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German Pages 432 Year 2001
ULRICH KEUNECKE
Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 844
Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg
Von Ulrich Keunecke
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Keunecke, Ulrich: Die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg / Ulrich Keunecke. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 844) Zugl.: Greifswald, Univ., Diss., 1999 ISBN 3-428-10150-2
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10150-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier
entsprechend ISO 9706 θ
Vorwort Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 1999/2000 als Inauguraldissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechte angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zum Ende des Jahres 1999 berücksichtigt. Herrn Prof. Dr. Stefan Korioth, der die Arbeit als Doktorvater betreut hat, danke ich für sein außergewöhnliches Engagement und seine Gesprächsbereitschaft ganz herzlich. Seine Anregungen und Förderungen waren mir während der gesamten Zeit eine wertvolle Hilfe. Für das Zweitgutachten zu dieser Arbeit im Rahmen des Promotionsverfahrens danke ich Herrn Prof. Dr. Maximilian Wallerath. Besonders bedanke ich mich bei Frau Ass.jur. Ute Meyer für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre anregende Kritik in mannigfaltigen Diskussionen und Korrekturlesungen. Der Staatskanzlei Brandenburg sowie der Senatskanzlei Berlin danke ich für die freundliche Unterstützung, die sie mir haben zuteil werden lassen. Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die Arbeit durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums gefördert, ohne welches ich die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg nicht mit der erfolgten Intensität hätte bearbeiten können. Auch ihr gilt mein Dank. Berlin, im April 2000
Ulrich Keunecke
Inhaltsverzeichnis Fragestellung
17 Erstes Kapitel Grundlagen
A. Grundgesetzliche Neugliedemngsoptionen I. Die Systematik der Verfahrensregelungen des Art. 29 GG und seine Neugliederungsoptionen bis zum Jahre 1994 II. Der Neugliederungssonderweg: Idee und Herkunft 1. Die Neugliederungsregelungen im Grundgesetz von 1949 a) Die Verpflichtung der Art. 291 S. 1,118 GG zur umfassenden Neugliederung b) Neugüederungs-Allzuständigkeit des Bundes gemäß Art.291, V I I G G ... 2. Erschwertes Verfahren gem. Art. 29 GG (1969) - als Folge der Baden-Frage . 3. Aufhebung der Neugliederungsverpflichtung und weitere Heraufsetzung der Verfahrenshürden: Neufassung des Art. 29 GG im Jahre 1976 B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine Neugliederung gemäß Art. 291 GG .. I. Anwendungsbereich des Art. 291 GG II. Leistungsfähigkeit als Leitprinzip und Neugliederungsziel 1. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit 2. Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung 3. Neugliederung im Bund-Länder-Finanzausgleich und andere Fremdmittel.... a) Auswirkungen einer Neugliederung im Finanzausgleich (1) Änderungen im primären Ausgleich (2) Änderungen im sekundären horizontalen Ausgleich (3) Änderungen im Rahmen der Bundeseigänzungszuweisungen b) Grundsatzüberlegungen für die Übergangsregelungen neugliederungsbedingt entfallender Finanzmittel c) Entbehrlichkeit verfassungsrechtlicher Finanzausgleichs-Übergangsbestimmung d) Außerhalb des Finanzausgleiches stehende Finanzmittel 4. Interne Finanzregelungen eines fusionierten Landes: Kompensation neugliederungsbedingter Verluste im kommunalen Finanzausgleich und durch gemeindliche Kreditaufnahme? III. Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, konkretisiert durch die Berücksichtigung der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge 1. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit per Volksentscheid .. a) Ausgangslage der Zulässigkeit von Volksentscheiden im Grundgesetz ....
20 20 20 24 24 24 28 29 32 36 38 39 42 44 47 48 49 52 55 58 61 63
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8
nsverzeichnis
b) Neugliederung durch Ländervereinbarung mit Volksabstimmung: Verknüpfung von staatsrechtlicher Dogmatik mit den Voraussetzungen des Art.29IS.2GG 79 c) Die Ambivalenz eines Quorums als Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit 83 2. Chancengleichheit der Parteien 84 IV. Entscheidungsspielräume bei den unbestimmten Rechtsbegriffen des Art. 291 GG 86 C. Nicht ausdrücklich normierte Regelungsgegenstände eines Neugliederungsvertrages 89 I. Übergangsvorschriften - Zusammenarbeit in der Übergangszeit 89 II. Die Labilität einer ewigen Bestandsgarantie: clausula rebus sie stantibus 93 III. Rechtsweg für Streitigkeiten um einen und aus einem Neugliederungsvertrag ... 95 D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages 100 I. ^Rechtliche Einordnung eines Neugliederungsvertrages und sein Verhältnis zur / Landesverfassung und zum Grundgesetz 100 II. Verfahren des Vertragsabschlusses 104 III. Regelungen eines NeugliederungsVertrages: Das Programm 106 IV. Die Verwirklichung der Neugliederungsprogrammpunkte in den Neugliederungsvereinbarungen und Neugliederungen seit 1945 107 1. Die Punktation zwischen Lippe und Nordrhein- Westfalen 108 2. Die versuchte Ländervereinbarung: Neugliederung zum Land Βaden-Württemberg gemäß Art. 118 GG 111 3. Sonderfall Saarland gemäß Art. 23 GG: Eingliederung, nicht Neugliederung . 121 E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus? 122 I. Neugliederung selbstverständlich 124 1. Ausschuß für innergebietliche Neuordnung (Euler-Ausschuß, 1949); Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung 124 2. Effiziente Verwaltung und funktionierender Föderalismus durch Neugliederung: Weinheimer Tagung, 1950 125 II. Zurückdrängung der Neugliederungsverpflichtung zugunsten des Kooperationsgedankens 127 1. Die Länderinteressen im Luther-Ausschuß, 1952: Ansätze zum Kooperationsmodell 127 2. Neugliederung versus kooperativer Föderalismus: die kontroverse Diskussion der Loccumer Tagung, 1968 131 3. Normativierung des Kooperationsmodells als Gipfel: Finanzreform 1969 136 4. Finanzausgleich: Kurieren von Symptomen oder Alternative? 139 5. Staats- und Verwaltungsabkommen: die Verlegenheitslösung zur Neugliederung 142 III. Leistungsfähige Länder durch das Modell der Landschaften - Integration machtpolitischer Länderinteressen und der Kriterien des Art. 291 GG (1949): Viertes Cappenberger Gespräch 1969 146 IV. Länder auf dem Reißbrett ohne ausreichende landsmannschaftliche Verbundenheit: Emst-Gutachten, 1970-1973 148 V. Fünf neue, nicht leistungsstarke Länder: Der neuerliche Wunsch nach Neugliederung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung seit 1990 156
nsverzeichnis
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Zweites Kapitel Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
162
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen 162 I. Neugliederungsbestimmungen im Einigungsvertrag: Art. 5 EV 162 II. Die Berlin-Brandenburger Sonderregelung des Art. 118a GG: Teil neuer Neugliederungsoptionen mittels Ländervereinbarung gemäß Art. 29 VIII, 118a GG 166 III. Ermächtigungen für die Fusion in den Landesverfassungen 173 1. Regelung in der Brandenburger Verfassung, Art. 116 BbgVerf. 174 2. Ergänzung der Verfassung von Berlin, Art. 97 VvB 176 B. Aufbau des Vertragswerkes: Protokollnotizen, Briefwechsel, Organisationsstatut, Wahlgesetz, Abstimmungsvertrag 178 C. Funktionsweise der Neugliederung: Dreiphasiges Neugliederungsprocedere 181 I. Verhandlung, Abschluß und Inkrafttreten des Neugliederungs-Vertrages 182 II. Übergangszeit: Kooperative Vorbereitung beider Länder durch Vereinigungskommission und Vereinigungsausschuß auf die Fusion verfassungsgemäß? 184 III. Der Zusammenschluß: Bereitstellung des notwendigen Instrumentariums 189 1. Die ersten Wahlen: Augenblick der Fusion und Maßgaben für das Wahlrecht des gemeinsamen Landes, Art. 14-17 NV 189 2. Auflösung und Übergang der bisherigen Parlamente und Regierungen - Übergangsausschuß und Übergangsregierung, Art. 10-13 NV 192 3. Verfassung des gemeinsamen Landes - Organisationsstatut als Übergangsverfassung, Art. 8,9 NV 193 4. Fortgelten des Neugliederungs-Vertrages in dem gemeinsamen Land: Überleitung erforderlich? 198 5. Rechtsnachfolge, Art. 55 NV/Übergang der Hoheitsrechte 201 6. Rechtsvereinheitlichung und -Überleitung via Neugliederungs-Vertrag? 203 7. Vertragsänderungen/Versteinerungsklausel, Art. 58 NV: clausula rebus sie stantibus 207 8. Durchsetzung der Rechte aus dem Neugliederungs-Vertrag, Art. 56,57 NV ... 210 9. Formalia: Name, Flagge, Wappen des neuen Bundeslandes 212 D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes gemäß Art. 291 GG 213 I. Die externenfinanzrechtlichen Grundlagen der Neugliederung 214 1. Finanzielle Sicherung und Übeigang auf Bund-Länder-Ebene durch das Neugliederungsgesetz 215 a) Anpassung und Übergang im Bund-Länder-Finanzausgleich 218 (1) Anpassungen im primären Finanzausgleich 218 (2) Anpassungen im sekundären Finanzausgleich 219 (3) Übergangsbestimmungen und Revisionsklausel: rechtlich weit ausreichende Finanzpuffer für das neue Land 223 b) Anpassung der Investitionsförderung Aufbau Ost und des Fonds „Deutsche Einheit" 229 2. Generelle Unbeachtlichkeit der Neugliederung für die Bundesmittel nach Art.91a, 91b, 104a IV GG 230 a) Finanzmittel aus den Gemeinschaftsaufgaben gemäß Art. 91a, 91b GG .. 232 b) Finanzhilfen gemäß Art. 104 a IV GG 235
10
nsverzeichnis
3. Finanzielle Folgen auf EU-Ebene: Förderung durch Strukturfonds, Einzelinitiativen und Gemeinschaftsprogramme 241 II. Regelung der internen Finanzbeziehungen, Art. 27-39 NV: das Land im Land ... 245 1. Finanzpolitische Ziele auf Landesebene, Art. 27 NV 246 2. Finanzmittelverteilung zwischen Land und Kommunen 250 a) Grundlagen der Finanzmittelverteilung zwischen Land und Gemeinden .. 250 b) Einbindung der Stadt Berlin in den kommunalen Finanzausgleich? 252 c) Ausgleichsprinzip zwischen Land und der Stadt Berlin, Art. 28-34 NV ... 256 3. Haushaltskonsolidierungen in der Übergangszeit, Art. 35 NV 264 4. Die Problematik der Aufteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten des Landes Berlin: Funktionennachfolge, Realteilung und Einwohnerschlüssel 268 III. Personalkonzept für das gemeinsame Land, Art. 40-45 Ν V 275 1. Sozialverträglichkeit der Schaffung einer „schlanken" Verwaltung 275 2. Personalzusammenführung: Chancengleichheit, Funktionennachfolge, Vorbereitungen 279 IV. Neuordnung der Verwaltung: effektiv und bürgemahe? 283 1. Zweistufiger Verwaltungsaufbau des Landes, Art. 19 NV 284 2. Struktur der Kommunalverwaltung, Art. 20-23 NV 285 3. Besonderheiten der Einheitsgemeinde Stadt Berlin 288 4. Kommunalaufsicht im gemeinsamen Land: Art. 20 II S. 4, Art. 22 NV 292 V. Raumordnung und Landesplanung: Ambivalenz gegenüber Art. 291S. 2 GG .... 294 1. Landesentwicklung, Art. 24-26 ΝV 294 a) Gemeinsame Landes- und Regionalplanung vor und neben dem Neugliederungs· Vertrag: teilweise von Anfang an gescheiterter Koordinationsversuch 295 b) Grundsätze der Landesentwicklung, Aufgaben der Teilräume und Regionen, Zusammenarbeit in der Landesentwicklung: Vermeintliche Erfüllung der Vorgaben des Art. 29 IS. 2 GG? 301 c) Der Landesplanungsvertrag: Art. 291S. 2 GG genügende Konkretisierung des Neugliederungs-Vertrages 308 2. Konformität des neuen Landes mit den Raumordungsvorgaben des Art. 291S. 2 GG auf Bundesebene 313 E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit gemäß Art. 291 GG 314 I. Rechtlicher Niederschlag im Neugliederungs-Vertrag: Zustimmung der Parlamente und Volksentscheide, Art. 3 NV - das fragwürdige Quorum 315 II. Rechtmäßigkeit der Werbekampagnen in Berlin und Brandenburg 317 III. Umfragen im Vorfeld der Volksentscheide: Stimmungsbarometer von Dezember 1994 - 5. Mai 1996 als Folge landsmannschaftlicher Verbundenheit 318 1. Persönliche Erwartungen an eine Neugliederung 321 2. Wer profitiert mehr von der Neugliederung: Berlin oder Brandenburg? 323 3. Assoziationen zu Berlin, Brandenburg und dem gemeinsamen Land 325 4. Zustimmung und Ablehnung in Berlin und Brandenburg 328 5. Gut informiert ist halb gewonnen? 332 IV. Die Volksabstimmung am 5. Mai 1996 mit Blick auf die aus den Umfrageeigebnissen erkennbaren Entwicklungstendenzen 334 F. Zusammenfassende Einschätzung des Neugliederungs-Vertrages und Ausblick auf zukünftige Neugliederungsvorhaben 336
nsverzeichnis
Anhang
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I. Verfassungstexte zur Neugliederung 343 II. Richtlinien für die Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen - Punktation352 III. Auszug aus dem Zweiten Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollem vom 4.5.1951 354 IV. Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungs-Vertrag) 357 V. Staatsverträge zwischen Berlin und Brandenburg 386 VI. Verwaltungsvereinbarungen zwischen Berlin und Brandenburg 387 VII. Zustimmung und Ablehnung in Berlin und Brandenburg 390 VIII. Zustimmung und Ablehnung zur Neugliederung bei der Bevölkerung in Berlin und Brandenburg 391
Literaturverzeichnis
392
Sachverzeichnis
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Abkürzungsverzeichnis a. Α. aaO. Abg. abgedr. AbgH v.Bln ABl. a.D. a.M. APuZ Alt. AöR Art. Aufl. Bay. BayVBl. Bbg Bd BGBl. Bin BM BMinF BMinI Br. BR BT BVerfG BVerfGE BVerwGE BW CdSK DDR dems. ders. dies. d.h. Diss. DIW DÖV Drittbearb.
anderer Ansicht am angefühlten Ort Abgordneter abgedruckt Abgeordnetenhaus von Berlin Amtsblatt außer Dienst anderer Meinung Aus Politik und Zeitgeschichte Alternative Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Auflage Β ayern/B ayerische Bayerische Verwaltungsblätter Brandenburg Band Bundesgesetzblatt Berlin Bürgermeister; Berliner Morgenpost Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Inneren Bremen Bundesrat Bundestag Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Entscheidungssammlung des Bundesverwaltungsgerichts Baden-Württemberg Chef der Senatskanzlei Deutsche Demokratische Republik demselben derselbe dieselbe(n) das heißt Dissertation Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung Die öffentliche Verwaltung Drittbearbeitung
Abkürzungsverzeichnis Drs. DRZ DtZ DVB1. E ebda EGV-K EU EU-K EV EWG EWGV-K f. FA FAZ ff. Ff./M Fn. FraktVors. FS GBl. GG GG-K ggü. GVB1. HA HdB HdBStR Hess. HH h.M. Hrsg. hrsg. HS i.A. i.d.F. i.d.R. i.E. i.S.v. i.w.S. i.H.v. i.w.S. JR Jhg. Jh. JöR
Drucksache Deutsche Rechtszeitschrift Deutsch-Deutsche Rechtszeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt Entscheidung ebenda Kommentar zu dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäische Union Kommentar zur Europäischen Union Einigungsvertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Kommentar zum EWG-Vertrag und folgende Seite; für Finanzarchiv Frankfurter Allgemeine Zeitung und folgende Seiten Frankfurt am Main Fußnote Fraktionsvorsitzender Festschrift Gesetzblatt Grundgesetz Grundgesetz-Kommentar gegenüber Gesetz- und Verordnungsblatt Hauptausschuß Handbuch Handbuch des Staatsrechts Hessen; hessische Freie und Hansestadt Hamburg herrschende Meinung Herausgeber herausgegeben Halbsatz im Auftrag in der Form in der Regel im Ergebnis im Sinne von im engeren Sinne in Höhe von im weiteren Sinne Juristische Rundschau Jahrgang Jahrhundert Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart
13
14 LKV LT LTPräs. MA m. a. W. MAZ MdL Min. MinPräs. MV m. w. Bsp. m. w. N. Nds. NV NJW NW Nr. NVwZ 0. o.J. OStadtDir. ÖTV PlenProt. PR Prot. PVS rd. RegBM RegSpr. RGZ Rn. RP RuP S. s. s.a. Saarl. SachsAnh Sächs. Sen. SenFin. SenVw. SenStadtUm SH Sitzg. s.o. StenBer.
Abkürzungsveizeichnis Landes- und Kommunalverwaltung Landtag Präsident des Landtages Märkische Allgemeine mit anderen Worten Märkische Allgemeine Zeitung Mitglied des Landtages Minister Ministerpräsident Mecklenburg-Voipommem mit weiteren Beispielen mit weiteren Nachweisen Niedersachsen/niedersächsisch Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfalen Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht ohne ohne Jahresangabe Oberstadtdirektor Geweikschaft Öffentlicher Dienst, Transport und Verkehr Plenarsitzungsprotokoll Parlamentarischer Rat Protokoll Politische Vierteljahresschrift rund Regierender Bürgermeister von Berlin Regierungssprecher Reichsgericht in Zivilsachen Randnummer Rheinland-Pfalz Recht und Politik Satz; Seite siehe siehe auch Saarland; saarländisch Sachsen-Anhalt; Sachsen-Anhaltinisch sächsisch Senator Senatsverwaltung für Finanzen Senatsverwaltung Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz Schleswig-Holstein Sitzung siehe oben Stenographischer Bericht
Abkürzungsverzeichnis StGH StKanz. StMin. StRat StS s. u. SuS SZ Th. TOP TS TSP Tz. urspr. Verf. VerfGH v. vgl. VvB VVDStRL VwArch. WRV ZG Ziff. ZParl. ZRP zul. Zweitbearb.
Staatsgerichtshof Staatskanzlei Staatsminister Staatsrat Staatssekretär siehe unten Staatswissenschaften und Staatspraxis Süddeutsche Zeitung Thüringen Tagesordnungspunkt Teilstrich Tagesspiegel Teilzahl ursprünglich Verfassung Verfassungsgerichtshof von vergleiche Verfassung von Berlin Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsachiv Weimarer Reichsverfassung Zeitschrift für Gesetzgebung Ziffer Zeitschrift für Parlamentsfragen Zeitschrift für Rechtspolitik zuletzt Zweitbearbeitung
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Fragestellung Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben mit Berlin und Brandenburg die politischen Kräfte zweier Länder deren Neugliederung versucht und nach der Klärung der rechtlichen undfinanziellen Voraussetzungen in einem Staats vertrag - dem Neugliederungs-Vertrag (NV) 1 - die Modalitäten ihrer angestrebten Fusion geregelt. Eine Untersuchung der gescheiterten Neugliederung Berlin-Brandenburg erschöpft sich auf den ersten Blick in einer sozialwissenschaftlichen Analyse der Volksabstimmungen in den beiden Ländern. Warum hat die Bevölkerung im Land Brandenburg und großenteils auch in Berlin dagegen gestimmt? Bei näherer Betrachtung eröffnen sich indes weitere unterschiedliche Bereiche, die eng miteinander verwoben sind: Welche ökonomischen Verhältnisse sind erforderlich, um eine Neugliederung zu ermöglichen? Welche Rolle spielen die politischen Akteure? Welche Umstände haben zu den maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen geführt? Die beispielhaft genannten Fragen zeigen, daß der Ausgangspunkt der Arbeit genau festzulegen ist. Eine rechtswissenschaftliche Untersuchung muß sich von den Wirtschafts- sowie den Politikwissenschaften abgrenzen. Allerdings ist eine randscharfe Trennung nicht immer möglich. Gerade Verfassungsnormen und staatsrechtliche Verträge sind Folgen politischen Handelns, das seinerseits durch gesellschaftliche Strömungen und ökonomische Aspekte geleitet ist. Dieser Hintergrund kann bei der rechtlichen Untersuchung des Neugliederungs-Vertrages nicht unberücksichtigt bleiben. Die Wirtschaftswissenschaft untersucht den Neugliederungs-Vertrag etwa auf seine ökonomischen Auswirkungen2. Sie stellt eine Kosten-Nutzen-Rechnung3 für den Berlin-Brandenburger Raum auf und mißt an ihr den volkswirtschaftlichen Wert des Vertrages. Das Kernstück der Rechtswissenschaft dagegen ist die Rechtsdogmatik, die Erkenntnis des geltenden Rechtes. Es geht darum, den Regelungsgehalt ei1 Geht es im folgenden um die Neugliederungsvereinbarung zwischen Berlin und Brandenburg, so wird die von beiden Ländern gewählte Schreibweise „Neugliederungs-Vertrag" übernommen. Im übrigen wird die herkömmliche Schreibweise „Neugliederungsvertrag" verwandt. 2 Sie untersucht die Zusammenhänge und Vorgänge der Erzeugung, Verteilung und des Verbrauches von Gütern und Leistungen zur menschlichen Bedürfnisbefriedigung, vgl. etwa Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 1997, S. 3 f.; Klug, Die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaft, 1982, S.63ff.; Peters, Einführung in die Theorie der Wirtschaftssysteme, 1993, S.lOf. 3 Zur Kosten-Nutzen-Rechnung siehe Klug, Die Grundlagen der Wirtschaftswissenschaft, 1982, S.70ff.
2 Keunecke
18
Fragestellung
ner Norm zu ermitteln: Die Norm ist unter Anwendung eines vorgegebenen Instrumentariums auszulegen: Sie ist zunächst nach ihrem Wortlaut zu untersuchen4. Ferner ist die Norm in ihrem grammatikalischen, systematischen und sinnhaften Gesamtzusammenhang zu lesen, in den sie eingebettet ist5. Zuletzt ist die Genese der Norm hinzuzuziehen6. Damit ist der Rahmen vorgegeben, in dem die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg untersucht wird. Die von dem Vorhaben betroffenen Materien behandelt die Arbeit grundlegend vorab im 1. Kapitel. Es geht um - die Qualität der seinerzeit zur Verfügung stehenden grundgesetzlichen Neugliederungsoptionen (Α.), - die inhaltlichen Anforderungen an eine Länderneugliederung mittels Neugliederungsvertrag (B., C.), - die Grundlagen eines Neugliederungsvertrages (D.) sowie - das Verhältnis zwischen Neugliederung und kooperativem Föderalismus (E.). Diese Komplexe ergeben in ihrer Gesamtheit den normativen Obersatz, unter den ein Neugliederungsvertrag zu subsumieren ist. Als solcher ist er - da er nicht nur für die Neugliederung Berlin-Brandenburg gelten soll - abstrakt zu halten. Er bildet die überwölbende rechtliche Fragestellung an eine Neugliederung. An diesen Anforderungen muß sich der Neugliederungs-Vertrag messen lassen. Das 2. Kapitel der Untersuchung betrachtet zunächst dessen konkrete verfassungsrechtliche Bestimmungen (Α.). Im weiteren bestimmt es seine Regelungsinhalte einschließlich der ihn ergänzenden Nebenbestimmungen - Protokollnotizen, Begründung, Organisationsstatut, Briefwechsel, Staatsvertrag zur Volksabstimmung, Gesetz über die erste Wahl, etc. - , sowie deren Verhältnis zueinander und stellt sie den im 1. Kapitel erarbeiteten Anforderungen gegenüber (B.-E.). Das Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auch auf die Umsetzung der Volksabstimmungsregelungen gerichtet. Das juristische Blickfeld erweitert sich um Kriterien der Politikwissenschaft7. Von Bedeutung sind ihre sozialwissenschaftlichen Aspekte, um die Motive zu ermitteln, derentwegen die Bevölkerung gegen die Neu4
Vgl. BVerfGE 1,299 (312); 10,234 (239ff.); 11,126 (130ff.). Vgl. Müller, F., Juristische Methodik, 1989, S. 199 ff. 6 Vgl. BVerfGE 1, 299 (312). - Dementsprechend berücksichtigt das BVerfG den Willen den Gesetzgebers nur insoweit, „als er ein auf andere Art und Weise aufgefundenes Ergebnis bestätigt", Müller, F., Juristische Methodik, 1989, m.w.N. zum BVerfG, vgl. nur E 2, 124 (132ff.); 3, 248 (252); 6, 32 (38f.); 6, 55 (72f.). 7 Die Politikwissenschaft befaßt sich auf theoretischer Ebene mit dem menschlichen Zusammenleben im Gemeinwesen, praktisch mit der Analyse politischer Ordnungen und Vorgänge, vgl. etwa Lietzmann, Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders./ Bleek, Wilhelm (Hrsg.), Politikwissenschaft, 1996, S.38ff.; Naßmacher, Politikwissenschaft, 1998, S. 13 ff. 5
Fragestellung
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gliederung stimmte. Es stellt sich die Frage, ob die grundgesetzlich erforderliche „Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit" hinreichend Beachtung gefunden hat. Die Gegenüberstellung des Neugliederungs-Vertrages mit den mannigfaltigen Anforderungen an eine Neugliederung sieht sich einer besonderen Problematik ausgesetzt: Der Vertrag regelt eine Vielzahl von Materien - etwa Finanzen, Personal oder Landesplanung. Für die Untersuchung, ob diese Regelungen ihren Anforderungen entsprechen, ist zu einem wesentlichen Teil Sachverhaltsermittlung durch Sachverständige erforderlich. Liegen Gutachten oder anderweitige Stellungnahmen vor, werden diese als Sachverhaltsermittlung zugrunde gelegt. Desweiteren wurden mit der Senatskanzlei Berlin, verschiedenen Senatsverwaltungen sowie auf brandenburgischer Seite mit der Staatskanzlei Interviews geführt, um den Sachverstand der am Neugliederungs-Vertrag Beteiligten einzubinden8. Darüber hinaus verbleibt die Begründung zu dem Vertragswerk als wichtige Quelle. Da sich die Untersuchung auf die juristischen Aspekte konzentrieren soll, beschränkt sie sich im übrigen auf eine Plausibilitätsprüfung. Im Anhang der Arbeitfinden sich neben den verfassungsrechtlichen Neugliederungsnormen - darunter Art. 29 GG als zeitliche Synopse - (I.) die Neugliederungsvereinbarung zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen (Π.), das Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg (ΠΙ.) sowie der Neugliederungs-Vertrag einschließlich Protokollnotizen und Briefwechsel (IV.). Ferner enthält der Anhang eine Zusammenstellung der bisher zwischen Berlin und Brandenburg abgeschlossenen Staatsverträge (V.) und Verwaltungsvereinbarungen (VI.) sowie eine graphische (VII.) und tabellarische (VIII.) Übersicht über die zeitliche Entwicklung der Zustimmung und Ablehnung zur Neugliederung in der Bevölkerung beider Länder.
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Aufgrund der Bitte der Gesprächspartner werden Interviews anonym zitiert.
Erstes Kapitel
Grundlagen A. Grundgesetzliche Neugliederungsoptionen Die rechtlichen Wurzeln der (gescheiterten) Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg liegen im Grundgesetz. Die Ländergrenzen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland können nur verschoben werden, wenn Bedarf besteht und dieser sich in den gesellschaftlichen Kräften spiegelt. Mit einer Veränderung dieser Ländergrenzen kann aber eine Verschiebung der föderalen Kräfte verbunden sein, so daß sich das Grundgesetz ihrer angenommen hat und an eine Länderneugliederung in Art. 29, 118, 118 a GG verfassungsrechtliche Anforderungen stellt1. Darin sind sowohl verfahrensrechtliche als auch materiell-rechtliche2 Voraussetzungen für eine Länderneugliederung enthalten. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt für die Neugliederung Berlin-Brandenburg waren zunächst die Neugliederungsregelungen des Art. 29 GG ( 1976). Ohne die Ergänzung des Grundgesetzes im Jahre 1994 um Art. 118 a, der sich eigens mit dieser Neugliederung befaßt, hätte Art. 29 GG (1976) die Bestimmungen enthalten, nach denen sich Berlin und Brandenburg hätten zusammenschließen können. Wenn das Grundgesetz mit Art. 29 GG ( 1976) aber bereits detaillierte Neugliederungsmöglichkeiten vorsah, die zudem seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes zweimal modernisiert wurden, war es dann sinnvoll oder erforderlich, einen verfassungsrechtlichen Sonderweg zu beschreiten? Die Antwort gibt ein Blick auf die Neugliederungsoptionen des Art. 29 GG (1976) (I.) sowie deren Entstehungsgeschichte (II.).
I. Die Systematik der Verfahrensregelungen des Art. 29 GG und seine Neugliederungsoptionen bis zum Jahre 1994 Generell läßt das Grundgesetz fünf verschiedene Möglichkeiten der Gebietsveränderung zu: ein Gebietsteil wird aus einem Land herausgelöst und einem anderen Land zugeordnet, ein Gebietsteil wird aus einem Land herausgelöst und erwächst 1 Auf die Negativvoraussetzung des Art. 79 III GG wird nicht eingegangen. Eine partielle Neugliederung Berlin-Brandenburg stellt die bundesstaatliche Struktur der Bundesrepublik nicht in Frage und bleibt im Rahmen des durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG Zulässigen. 2 Hierzu siehe unten 1. Kapitel B.
A. Grundgesetzliche Neugliedeningsoptionen
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als selbständiges neues Land, ein Land geht in einem anderen Land auf, mehrere Länder bilden ein neues Land und schließlich ein Land wird in mehrere neue Länder aufgeteilt 3. Allerdings beziehen sich diese Gestaltungsmöglichkeiten ausschließlich auf die Landesgrenzen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Die bundesstaatlichen Grenzen sind nicht nach Art. 29 GG veränderbar4. Die Vorschriften des Art. 29 GG (1976), die im wesentlichen auch noch nach der Ergänzung der Neugliederungsbestimmungen um Art. 29 VIII, 118 a GG Gültigkeit beanspruchen, zeichnen sich verfahrensrechtlich durch eine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Neugliederungsoptionen aus5. Die Unterschiedefinden sich auf mehreren Ebenen: Zunächst gibt es das Initiativrecht des Bundes, das der betroffenen Bevölkerung und das der betroffenen Länder. Das führt zu dem weiteren Unterschied, der Zuständigkeit für das jeweilige Vorhaben, die entweder beim Bund oder bei den betroffenen Ländern liegt6. Grundsätzlich beauftragt Art. 29 GG (1976) den Bund mit der Regelung und Durchführung von Neugliederungen. Nur in Einzelfällen sieht das Grundgesetz eine Länderzuständigkeit vor. Einen letzten Verfahrensunterschied trifft das Grundgesetz hinsichtlich der Mitwirkungsbefugnisse der Beteiligten: Es geht um das etwaige Zustimmungserfordernis des Bundesrates zu den Ausführungsgesetzen des Bundes zu Art. 29 GG (1976)7, um das Zustimmungserfordernis des Bundes bei Neugliederungen durch Ländervereinbarungen sowie um die Mitentscheidungsbefugnisse der Bevölkerung - Volksbefragung, Volksentscheid. Vor dem Hintergrund dieser verfahrensrechtlichen Differenzierungsebenen teilt Art. 29 GG (1976) die verschiedenen Möglichkeiten entsprechend ihrem unterschiedlichen Umfang und den damit verbundenen Auswirkungen der Veränderung von Landesgrenzen in drei Kategorien ein: Die erste Kategorie bilden die „unterhalb der Schwelle einer Neugliederung"8 liegenden Grenzveränderungen nach Art. 29 VII GG (1976), bei der die Länder als 3 Ähnlich Pernice , in: Dreier, GG-K, Art. 29 Rn. 21, wobei dessen Unterscheidung zwischen „Länderaufteilung (auf andere bestehende oder noch zu gründende Länder)" und „Länderspaltung (in zwei oder mehrere Länder)" unklar läßt, ob es sich dabei um eigenständigen Kategorien handelt oder ob nicht vielmehr die „Länderspaltung" lediglich einen Unterfall einer „Länderaufteilung" in „noch zu gründende Länder" beschreibt; eine weitere Unterteilungfindet sich bei Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn. 20. 4 Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn. 17; Pernice , in: Dreier, GG-K, Art. 29 Rn.20. 5 Die Bestimmungen des Art. 29 GG - in zeitlicher Gegenüberstellung - sowie die der Art. 118,118 a GG sind abgedruckt im Anhang I. 6 Indes durchbricht Art. 29 VIII GG (1994) diese Zuständigkeitstrennung und weist den betroffenen Ländern die inhaltliche Ausgestaltung, dem Bund hingegen das Letztentscheidungsrecht über die konkrete Neugliederung zu, siehe im einzelnen unten 2. Kapitel A.II. 7 Diese sind abzugrenzen von den eigentlichen „Neugliederungsgesetzen", die in keinem Falle der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. 8 Vgl. nur Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 29 Rn. 62; ferner Hoppe!Schulte·, Rechtliche Grundlagen und Grenzen für Staatsgebietsänderungen von neuen Bundesländern, in: DVB1. 1991, 1041 (1043 f.).
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1. Kap.: Grundlagen
Rechtssubjekte weiterbestehen. Es handelt sich allein um „kleinere" Grenzkorrekturen zwischen einzelnen Ländern, von denen nicht mehr als 10.000 - seit Änderung des Art. 29 VII GG im Jahre 1994 nunmehr 50.0009 - Einwohner betroffen sind10. Dies ist die geringfügigste Variante der grundgesetzlich geregelten Gebietsveränderungen. Die inhaltliche Zuständigkeit und zugleich das Initiativrecht liegen sowohl bei den betroffenen Ländern, die die Änderung ihres Gebietsstandes ohne Zustimmung des Bundes durch Staatsvertrag regeln können, als auch - alternativ - beim Bund, der die Initiative ergreifen und die inhaltliche Regelung durch einfaches Bundesgesetz vornehmen kann. Lediglich das Art. 29 VE GG (1976) im einzelnen ausgestaltende Gesetz11 bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Eine weitere Kategorie bildet die Neugliederung nach Art. 29IV, V, V I GG (1976), bei der es um die Neuordnung der Landeszugehörigkeit eines zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraumes geht, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens 1 Mio. Einwohner hat. Zwar sind bei dieser Variante die betroffenen Gebietsteile wesentlich umfangreicher als bei den ,»kleinen" Grenzkorrekturen. Jedoch bleiben die Länder auch danach als Rechtssubjekte bestehen. Neue Länder werden nicht gegründet, so daß es sich gewissermaßen um „große" Grenzkorrekturen handelt, die darauf abzielen, einheitliche und nicht durch Ländergrenzen durchschnittene Siedlungs- und Wirtschaftsräume herzustellen. Die Besonderheit dieser Möglichkeit ist das Initiativrecht der betroffenen Bevölkerung in der Form des Volksbegehrens12. Doch liegt die Letztentscheidungsge9
Siehe hierzu unten 2. Kapitel A. II. Derartige Grenzkorrekturen führten die Länder bereits vor 1976 durch, als Art. 29 VII GG (1949) - der erst durch Art. 29 VII GG (1976) abgelöst wurde - die Regelung des Neugliederungsverfahrens für sonstige Gebietsänderungen noch einem Bundesgesetz überließ, vgl. Staatsvertrag zwischen Hessen und Niedersachsen über Änderung der gemeinsamen Landesgrenze v. 19./23.6.1967 (BAnz. Nr. 182 v. 27.9.1968, S. 1 f.); Staatsvertrag zwischen Hamburg und Niedersachsen über die Neuordnung der Rechtsverhältnisse in Cuxhaven und im Gebiet der Elbemündungv. 26.5./4.6.1961 (BAnz. Nr. 220 v. 27.11.1969, S.l f.); Staatsvertrag zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg über die Änderung der Landesgrenze bei Germersheim v. 7./12.10.1970 (BAnz. Nr. 146 v. 28.7.1971, S.2); Erster Staatsvertrag zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen über Änderungen der gemeinsamen Landesgrenze v. 8./15.1.1971 (BAnz. Nr. 2 v. 5.1.1972, S. 1 f.); Staatsvertrag zwischen Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen über Änderungen der gemeinsamen Landesgrenze im Bereich der Staustufe Geesthacht v. 29.3./9.4./30.4.1973 (BAnz. Nr.31 v. 14.2.1974, S. 1). Anders als Art.29 VIIGG (1976) sah das Gesetz über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs.7 des Grundgesetzes v. 16.3.1965 (BGB1.I S.65), geänd. durch Änderungsgesetz v. 9.8.1971 (BGBl. IS. 1241), nach dem die Länder kleinere Grenzkorrekturen durch Ländervereinbarung vornehmen durften, vor, daß die Zahl der betroffenen Einwohner nicht mehr als 2.000 betragen durfte; zur Durführung der vorgesehenen Anhörung der Bevölkerung siehe die Verordnung über das Verfahren nach den §§2 und 3 des Gesetzes über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Art.29 Abs.7 des Grundgesetzes v. 3.12.1965. 10
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Gesetz über das Verfahren bei sonstigen Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Art. 29 Abs. 7 des Grundgesetzes (G Artikel 29 Abs. 7) v. 30.7.1979 (BGBl. I S. 1325). 12 Dazu kritisch Engelken\ Neugliederung aufgrund von Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 4 GG, in: BayVBl. 1995, 556 (557): „Mit der Eröffnung einer solchen Möglichkeit [muß man]
A. Grundgesetzliche Neugliedengsoptionen
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wait ausschließlich beim Bund. Zwar kann aufgrund eines erfolgreichen Volksbegehrens eine sich anschließende unverbindliche Volksbefragung durchgeführt werden. Aber sowohl die Entscheidung hierüber, als auch die Entscheidung über die Frage der Neugliederung obliegt dem Bund und ergeht durch ein nicht zustimmungsbedürftiges Gesetz13. Die letzte und weitestgehende Kategorie gemäß Art. 29 Π, m , V I GG (1976) ermöglicht die vorbenannten Optionen sowie alle darüber hinausgehenden Grenzveränderungen. Darunter fallen neben über Art. 29 IV GG (1976) hinausgehende Grenzkorrekturen sowohl partielle Neugliederungen, bei denen eines oder mehrere Länder untergehen und/oder eines oder mehrere neue Länder entstehen, als auch - als unwahrscheinlichster Fall einer Neugliederung14 - die umfassende bundesweite Neugliederung, die das gesamte Bundesgebiet einheitlich in ihre Überlegungen einschließt. Derartig weitreichende Neugliederungen unterliegen außerordentlich hohen Legitimationsanforderungen. Zwar bedarf es auf legislativer Ebene nur eines einfachen Bundesgesetzes. Ein verbindliches Mitwirkungsrecht können die betroffenen Länder nicht geltend machen. Sie sind nach Art. 29 I I S. 2 GG (1976) lediglich „zu hören". Allerdings ist das Bundesgesetz in Volksentscheiden nach Art. 29 III, V I GG (1976) durch die betroffene Bevölkerung zu bestätigen. Gesteigert werden diese hohen legitimationsrechtlichen Anforderungen durch die in allen betroffenen Gebietsteilen bei den Volksentscheiden jeweils erforderlichen Mehrheiten nach Art. 29 ΠΙ GG (1976)15 sowie durch das in Art. 29 V I GG (1976) für diese Mehrheiten vorgesehene Quorum i. H. v. einem Viertel der in den betroffenen Ländern zum Bundestag Wahlberechtigten. Bei der Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg ging es um die Verschmelzung zweier Länder, die untergehen und ein gemeinsames neues Land errichzwangsläufig akzeptieren, daß Volksbegehren auch zu Agitationszwecken und zur Profilierung selbsternannter Volkstribunen benutzt werden können. Wenn man die Bürger abstimmen läßt, bedeutet das, daß sie auch für ein Neugliederungsziel wie die Neubildung eines kleinen Landes oder ernes Stadtstaates mobilisiert werden dürfen, der mit einer Einwohnerzahl ab einer Million eigentlich frontal allen Neugliederungsgrundsätzen nach Art.29 Abs. 1 [GG] [...] entgegenläuft." Der Kritik ist jedoch entgegenzuhalten, daß auch eine Neugliederung nach Art. 29IV GG (1976) die Anforderungen des Art. 291 GG (dazu unten 1. Kapitel Β.) - die Schaffung eines Leistungsfähigen Landes - erfüllen muß. 13 Die - soweit ersichtlich - bislang einzige Initiative nach Art. 29IV GG (1976) war der letztendlich gescheiterte Versuch des Fränkischen Bund e. V. Nürnberg, aus den bayerischen Bezirken Ober-, Mittel- und Unterfranken, dem baden-württembeigischen Main-TauberKreis sowie den thüringischen Kreisen Meiningen, Hildenburghausen, Sonnenberg und Neuhaus a. R. ein neues Land Franken mit über 4,3 Mio. Einwohnern zu bilden, vgl. Engelken; Neugliederung aufgrund von Volksbegehren nach Art. 29 Abs. 4 GG, in: BayVBl. 1995, 556 ff. 14 Trotz verschiedentlicher Anläufe wurde eine umfassende Neugliederung bislang nicht in Angriff genommen, siehe sogleich 1. Kapitel A.II., E. 13 Zu den Einzelheiten der Abstimmungsmodalitäten nach Art. 29 III GG siehe Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art.29 Rn.40ff.
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1. Kap.: Grundlagen 16
ten wollten . Für diese Neugliederungsmöglichkeit sah das Grundgesetz als Regelfall das zuletzt dargelegte Verfahren nach Art. 2911, ΙΠ, VI GG (1976) vor. Eine zwingende Notwendigkeit für eine spezielle verfassungsrechtliche, auf Berlin-Brandenburg bezogene Neugliederungsbestimmung bestand demnach nicht. Von daher war es keinesfalls selbstverständlich, daß beide Länder sich dennoch um eine Sonderregelung bemühten. Ein Blick auf die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der grundgesetzlichen Neugliederungsbestimmungen ermöglicht jedoch eine genauere Einordnung der Neugliederungsverfahrensmöglichkeit, die Berlin und Brandenburg ursprünglich zur Verfügung stand. Erst dadurch wird verständlich, aus welchen Gründen sich beide Länder um einen von Art. 29 GG abweichenden Sonderweg bemühten.
II. Der Neugliederungssonderweg: Idee und Herkunft 1. Die Neugliederungsregelungen im Grundgesetz von 1949 Aufgrund der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte hatte das Grundgesetz von 1949 vor allem die umfassende Neugliederung des gesamten Bundesgebietes vor Augen. An davon losgelösten Neugliederungen bestand kein Interesse. Dementsprechend verbindlich und restriktiv waren die verfassungsrechtlichen Neugliederungsbestimmungen. a) Die Verpflichtung der Art. 29IS.1.118GG zur umfassenden Neugliederung Der Zweite Weltkrieg veränderte die deutsche Landkarte erheblich. Ein Drittel des Reichsgebietes ging im Osten verloren, im Westen wurde das Saargebiet zunächst abgetrennt. Das verbleibende Gebiet teilten die Alliierten in neue Länder17. Preußen wurde durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 aufgelöst18. Die jeweiligen Militärregierungen beschlossen innerhalb ihrer Besatzungszonen die Bildung von insgesamt 16 Ländern und des gemeinsam kontrollierten Gebietes von Groß-Berlin. Mit Ausnahme von Bayern, Bremen und Hamburg hatten die neuen Länder keine historische Legitimation19. 11 der 16 Länder lagen in den 16
Siehe im einzelnen unten 2. Kapitel C. III. Zur Bildung der Länder in den westlichen Besatzungszonen siehe Stolleis, Besatzungsherrschaft und Wiederaufbau deutscher Staatlichkeit 1945-1948, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bdl, 1987, §5 Rn.57ff. (S. 196ff.). 18 Vgl. Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.7; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.44; Reuter, Föderalismus, 1991, S. 187 f.; Timmer, Neugliederung des Bundesgebietes, 1974, S.23; Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebiets, in: DVB1. 1991, S. 1024 (1026); Maunz/Herzog, in: MDHS; GG-K, Art.29 Rn.3. 19 Vgl. Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 32; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 18, S.44. 17
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drei westlichen Besatzungszonen20, auf dem späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland: Bayern, Bremen, Hessen und Württemberg-Baden in der amerikanischen Zone 21 , Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein in der britischen Zone 22 sowie Baden, Rheinland-Pfalz und Württemberg-Hohenzollern in der französischen Zone 23 . In der sowjetischen Besatzungszone wurden aus den Ländern Anhalt, Mecklenburg, Thüringen, Sachsen und den preußischen Provinzen fünf neue Länder gebildet: Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 24 . Aus diesen Ländern bestand die am 7. Oktober 1949 gegründete DDR. Das Demokratisierungsgesetz vom 23. Juli 1952 25 löste die Länder der Sowjetzone faktisch 26 auf und teilte das Staatsgebiet in 14 Bezirke ein 27 . Die Westalliierten hielten die in ihren Besatzungszonen entstandene Ländergliederung, die durch den Verlauf der Besatzungszonengrenzen vorgezeichnet war, wirtschaftlich und politisch 28 für reformbedürftig 29. Sie beauftragten die Minister20
Zur Entstehung der Ländergrenzen: Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.46ff. 21 Lauf er, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 47. 22 Lauf er, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 47. 23 Lauf er, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, 1981, S. 47. 24 Bernet, Aspekte zur Wiedereinführung der Länder, in: LKV 1991, S.2 (4); Münchheimer, Die Neugliederung Mitteldeutschlands bei der Wiedervereinigung, Hrsg.: Königsteiner Kreis, 1954, S.66f.; Reuter, Föderalismus, 1991, S. 188. 25 Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. II DDR 1952, S.613f.). 26 Das Demokratisierungsgesetz sah eine Auflösung der Länder ausdrücklich nicht vor. Auch die DDR-Verfassung, die die Länder verankerte, wurde nicht verändert. Doch verdeutlicht die Einleitung des Gesetzes seine Absicht: „Die alte administrative Gliederung, selbst mit den nach 1945 vorgenommenen Änderungen, [ist] jetzt zu einer Fessel der neuen Entwicklung geworden. Die örtlichen Organe der Staatsgewalt müssen deshalb so reorganisiert werden, daß der Staatsapparat die Möglichkeit erhält, den Willen der Werktätigen, der in den Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck gebracht ist, unverbrüchlich zu erfüllen [...]", GBl. II DDR 1952, S. 613 f. Erst mit dem Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der Deutschen Demokratischen Republik v. 8.12.1958 (GBl. DDR I S. 867) wurde die Länderkammer aufgelöst. 27 Das Land Mecklenburg wurde eingeteilt in die Bezirke Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, das Land Brandenburg in die Bezirke Potsdam, Frankfurt an der Oder und Cottbus, das Land Sachsen-Anhalt in die Bezirke Magdeburg und Halle, das Land Thüringen in die Bezirke Suhl, Gera und Erfurt und das Land Sachsen in die Bezirke Leipzig, Dresden und KarlMarx-Stadt (Chemnitz). Ostberlin wurde wie ein eigenständiger Bezirk behandelt. Bei der Einführung der Bezirke wurden zudem Veränderungen der Kreisgrenzen vorgenommen, vgl. Bernet,, Aspekte zur Wiedereinführung der Länder, in: LKV 1992, S.2 (5); ausführlich zur Bezirksund Kreiseinteilung: Münchheimer, Die Neugliederung Mitteldeutschlands bei der Wiedervereinigung, Hrsg.: Königsteiner Kreis, 1954, S.66ff.; vgl. ferner: Reuter, Föderalismus, 1991, S. 188. 28 Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.52. 29 Vgl. Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S.32f.; ferner
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1. Kap.: Grundlagen
Präsidenten der westdeutschen Länder in den Frankfurter Dokumenten Nr. 2 vom 1. Juli 1948 30 , die Ländergrenzen zu überprüfen und Änderungsvorschläge zu unterbreiten 31 . Es sollten Länder entstehen, die „den überlieferten Formen Rechnung tragen und möglichst die Schaffung von Ländern vermeiden, die im Vergleich mit den anderen Ländern entweder zu groß oder zu klein sind" 32 . Nach einer Prüfung der Vorschläge durch die Militärbehörden sollten sie durch Volksentscheid gebilligt werden 33 . Es war beabsichtigt, die angestrebte Neugliederung noch vor Inkrafttreten der neuen Verfassung zu realisieren 34. Jedoch setzten die Ministerpräsidenten der Länder das Anliegen der westlichen Militärbehörden nicht um 3 5 . Sie konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Vorschlag für das ganze Bundesgebiet einigen 36 . M i t dem Ergebnis des von ihnen eingesetzten Ländergrenzausschuß 37 bezeichneten sie lediglich die Lösung des Problems der drei südwestdeutschen Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern als vordringlich 38 . Frankfurter Dokumente Nr. 2, abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S. 263 f. 30 Frankfurter Dokumente, betreffend die Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung, die Änderungen der innerdeutschen Landesgrenzen und die Leitsätze für ein Besatzungsstatut; Nr. 2 trägt im Original folgenden Titel: „Meetings of the Military Governors and Ministers-President of the Western Zones on future political organization, 1. Juli 1948 MGMP/P (48) 2", abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR, (n.F.) 1 (1951), S.263f.; femer bei v.Münch, Dokumente des geteilten Deutschlands, 1968, S.89f. 31 Frankfurter Dokumente Nr. 2, abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.263f. 32 Frankfurter Dokumente Nr. 2, abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.263f. 33 Vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.51. 34 Vgl. die Erklärung der Militärgouvemeure v. 19./20.7.1948 zum Thema Neugliederung, abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.264: „Wir glauben, daß gegenwärtig derrichtigeAugenblick für ihre Behandlung ist, und wir sind bereit. Es würde für uns indessen viel schwieriger sein, uns später mit ihr zu befassen". 35 Zur Bedeutung der Länder (und ihrer Ministerpräsidenten) von 1945-1949 als die „wichtigsten Herrschaftsträger; sie wiesen Verfassungen, Parlamente, parlamentarische Regierungen auf, die parteipolitischen Aktivitäten beruhten auf Länderorganisationen", Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.326. Daher waren „nach Auffassung der Alliierten [...] die Ministerpräsidenten als demokratisch gewählte Regierungschefs allein zur politischen Vertretung Deutschlands berechtigt", Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.51. 36 Vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.52. 37 Hierzu siehe Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.56ff. 38 Stellungnahme der Ministerpräsidenten zum Dokument Nr. 2 v. 10.7.1948, abgedr. bei v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.264. - Schon damals dürften machtpolitische Erwägungen der Ministerpräsidenten ausschlaggebend gewesen sein und weniger die Zeitnot, vgl. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.28; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 52, 56ff.; Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Länderreform und Landschaften, Ein Cappenbeiger Gespräch, Cappenbeiger Gespräche der
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Die Reformbedürftigkeit der Ländergliederung veranlaßte den Parlamentarischen Rat nach eingehenden Beratungen 39, die Neugliederung des Bundesgebietes mit Art. 29 als Verfassungsauftrag in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufzunehmen 40. Während in der Weimarer Republik Art. 181 W R V nur eine Möglichkeit zur Neugliederung geboten hatte 41 , wurde die Neugliederung in Art. 291 S. 1 GG (1949), für die deutsche Verfassungsgeschichte einzigartig, als zwingendes Gebot normiert 42 . Insbesondere an dieser Regelung wird deutlich, wie sehr die Alliierten sowie der Parlamentarische Rat die willkürlich gesetzten Ländergrenzen nicht für endgültig oder gar zweckmäßig hielten. Das Inkrafttreten des Art. 29 G G (1949) wurde jedoch von den Alliierten zunächst bis zu einem Friedensvertrag suspendiert 43 , da sie sich bezüglich der Neugliederungsproblematik selbst Optionen offenhalten wollten 44 . Erst mit dem Fortfall des Alliiertenvorbehaltes am 5. M a i 1955 45 war die Möglichkeit für die Anwendung des Art. 29 GG geschaffen 46. Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Bd3, 1970 (im folgenden zit.: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970), S. 13 ff. Für Zeitnot jedoch Duppré, Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 33 (33). Inwieweit sich hier die Ministerpräsidenten - zumindest auch - von Befürchtungen haben leiten lassen, daß ein westdeutscher Staat mit ausgewogenen Ländern der Wiederherstellung eines gesamtdeutschen Staates nicht förderlich sei, sondern die bestehende Spaltung vertiefe, vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.327, ist fraglich. So stellt Benz y W., Von der Besatzungsherrschaft zur Bundesrepublik, 1984, S. 175 fest, daß sich schon Anfang August 1948 bei der Einsetzung des Ländeigrenzausschusses „das Bewußtsein eigenständiger Staatlichkeit [...] in den [...] Ländern in der kurzen Zeit ihres Bestehens so erstaunlich entwickelt (habe), daß ihre Regierungen an Veränderungen kaum Interesse hatten". 39 Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.32. 40 Schlußabstimmung, ParlRat-StenBer., 10. Sitzg, v. 8.5.1949, S.238; vgl. im einzelnen v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n. F.) 1 (1951), S. 13. Vollständige Dokumentation der amtlichen sowie teilweise Einarbeitung der nichtamtlichen Dokumente zur Entstehungsgeschichte der Art. 29 und 118 GGfindet sich bei Schneider, H.-P. (Hrsg.); Das Grundgesetz, Bd9, Art. 29 und 118, 1995. 41 Vgl. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.20; Lauf er, Der Föderalismus der Bundesrepublik Deutschland, 1974, S. 128. 42 Art. 291 GG (1949):,»Das Bundesgebiet ist unter Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges durch Bundesgesetz neu zu gliedern. Die Neugliederung soll Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können." 43 Vgl. Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 62. 44 Vgl. die Erklärung der Militärgouverneure v. 19./20.7.1948, abgedr. bei v.Doemming/ Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.264, auf die sie sich in Punkt 9 ihres Memorandums v. 2.3.1949 beziehen, abgedr. ebda, S.285f. 45 Durch den „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den Drei Mächten" (BGBl. 1955 II S. 305), vgl. Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HdBStR, Bd 1, 1987, § 7, S. 259ff. Rn. 28ff. 46 Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 118 Rn. 2.
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1. Kap.: Grundlagen
Da die westlichen Alliierten sowie der Grundgesetzgeber die Neuordnung des südwestdeutschen Raumes als besonders dringlich reformbedürftig befanden, hielten sie es für erforderlich 47, neben dem suspendierten Art. 29 GG (1949), der zudem ein langwieriges Verfahren vorsah, eine Sondervorschrift zu schaffen. Neben der allgemeinen Vorschrift des Art. 29 GG (1949) wurde für die Neugliederung im Bereich der drei südwestdeutschen Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern daher mit Art. 118 GG 48 eine besondere Regelung im Rahmen der Diskussion um eine zukünftige Neugliederung49 in das Grundgesetz aufgenommen50. Art. 118 GG ist also systematisch im Zusammenhang mit der bundesweiten Neugliederungsverpflichtung nach Art. 291 GG (1949) zu sehen: Nach Art. 291 GG (1949) sollte der Bund ohne die Mitwirkung der Länder das gesamte Bundesgebiet neugliedern. In dem in Art. 118 S. 1 GG genannten Teilgebiet hatten jedoch die betroffenen Länder zunächst den Vortritt. Sollten sie allerdings aus eigener Kraft nicht imstande sein, sich neuzugliedern, mußte die Intention des Art. 291 S. 1 GG (1949) auf andere Weise - gemäß Art. 118 S. 2 GG auch hier durch Bundesgesetz nebst Volksbeteiligung - durchgesetzt werden. Art. 118 S. 1 GG war damit als Verfahrensvorschrift 51 eine Sonderregelung zu Art.29 GG (1949), die die Neugliederung im südwestdeutschen Raum beschleunigen sollte. b) Neugliederungs-Allzuständigkeit gemäß Art.291, VU GG
des Bundes
Das Grundgesetz betraute also grundsätzlich den Bund mit der Durchführung von Neugliederungen. Das läßt sich zurückführen auf die Neugliederungsbestimmungen in der Weimarer Reichsverfassung. Schon Art. 181 S. 1WRV 52 ermächtigte das Reich zur Neugliederung. Die eigentlichen Gründe sind jedoch verfassungspraktischer Natur. Das verdeutlichen Art. 291 S. 1 GG (1949) sowie Art. 118 GG. Zwar hätte den Ländern eine Neugliederungsverpflichtung auferlegt werden können. Doch zeigt ge47
Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 114. 48 Art. 118 GG: „Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß." 49 Vgl. Greulich, Ländemeugliederung und Grundgesetz, 1995, S.30ff. 50 Schlußabstimmung, ParlRat-StenBer., 10. Sitzg, 8.5.1949, S.238. 51 Im Ergebnis so auch BVerfGE 5,34 (43 f.); Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 131. 52 Art. 181 WRV: „Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung des Willens der beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderungen des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz."
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rade Art. 118 GG die Notwendigkeit seines Satzes 2 auf: Die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern vermochten sich nicht aus eigener Kraft neuzugliedern. Um wieviel prekärer liegt der Fall, wenn eine umfassende Neugliederung des gesamten Bundesgebietes nicht nur drei, sondern - inzwischen statt 11 sogar - 16 Länder umfaßt. Die Aussichtslosigkeit, daß die Länder einer Neugliederungsverpflichtung nachgekommen wären, ist offensichtlich 53. Die Unfähigkeit der Länder, sich selbst neuzugliedern, hatte den Grundgesetzgeber wohlweislich veranlaßt54, nicht nur die bundesweite Neugliederung gemäß Art. 291 GG (1949) in die Hände des Bundes zu legen, „da in den norddeutschen Ländern die Schwierigkeiten mehr bei den Regierungen als bei der Bevölkerung dieser Gebiete liegen würde"55. Vielmehr bedurfte nach Art. 29 VII GG (1949) auch das Verfahren über ,jede sonstige Änderung des Gebietsstandes der Länder" ebenfalls eines Bundesgesetzes. Der Bund hatte damit zunächst die alleinige Zuständigkeit für Neugliederungen jeglicher Art 56 . Auch die Änderungen des Art. 29 GG in den Jahren 1969 und 1976 führten zu keiner grundlegenden Veränderung dieser Kompetenzverteilung. 2. Erschwertes Verfahren gem. Art. 29 GG (1969) als Folge der Baden-Frage Im Rahmen der Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum Bundesland Baden-Württemberg, die am 25. April 1952 in Kraft trat 57, kam es im Jahre 1969 zu einer ersten Modifizierung des Art. 29 GG. Bereits am 25. Mai 1951 hatte die Regierung des Landes Baden gegen die beiden der Neugliederung zugrunde liegenden Gesetze58 vor dem Bundesverfassungs53
Die Gründe für die Aussichtslosigkeit sind machtpolitischer Natur und sind hier nicht zu vertiefen. 54 Vgl. v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.265ff.-Die Auseinandersetzungen um Art.29 GG „betrafen vor allem die Frage, ob die Veränderung der Ländergebiete Sache des Bundes oder ausschließlich der betroffenen Länder sein sollte", wobei die Gegner einer Neugliederung durch Ländervereinbarung darauf abstellten, „daß schon die bisherige Erfahrung gezeigt habe, daß die Länder selbst nicht imstande seien, die einer vernunftgemäßen Lösung entgegenstehenden partikularen Egoismen zu überwinden", ebda, S.267. 55 Vgl. v. DoemmingJFüßlein/ Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.277. 56 Allerdings wurde davon ausgegangen, daß das entsprechende Gesetz die Voraussetzungen dafür schaffen würde, daß „bloße Grenzberichtigungen [...] durch Staatsvertrag zwischen den beteiligten Ländern vorgenommen" werden können, vgl. Eberhard; Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1949, S.268 (268). Dementsprechend sah das Gesetz über das Verfahren bei Änderungen des Gebietsbestandes der Länder nach Artikel 29 Abs. 7 des Grundgesetzes v. 16.3.1965 (BGB1.I S.65), geänd. durch ÄnderungsG v. 9.8.1971 (BGB1.IS. 1241) vor, daß die Länder kleinere Grenzkorrekturen durch Ländervereinbarung regeln durften, s.a. oben Fn. 10. 57 Zur Neugliederung Baden-Württemberg s. a. unten 1. Kapitel D. IV. 2. 58 Erstes Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern (BGBl. 1951 1283); Zweites Gesetzes über die Neugliederung in
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1. Kap.: Grundlagen 59
gericht Klage erhoben . Im Südweststaaturteil indes bestätigte das Bundesverfassungsgericht 1951 die Verfassungsmäßigkeit der Neugliederung60. Doch auch nach der Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zum Land Baden-Württemberg gab es Teile in der badischen Bevölkerung, die die Wiederherstellung des Landes Baden in den Grenzen von 1933 erstrebten61. Aus diesen Bestrebungen entstand eine intensive Diskussion62. Streitpunkt war die Anwendbarkeit des Art. 29 GG (1949) auf das Land Baden-Württemberg63, die von dem Verhältnis des Art. 29 GG (1949) zu Art. 118 GG abhing. Der Streit wurde durch das Altbadenurteil des Bundesverfassungsgerichtes 641956 dahin entschieden, daß eine Neugliederung des gerade erst geschaffenen Landes Baden-Württemberg möglich sei65. Daraufhin wurde auf dem Gebiet des ehemaligen Landes Baden im Jahre 1956 erfolgreich ein Volksbegehren auf Wiederherstellung des Landes Baden gemäß Art. 29 Π GG (1949) durchgeführt 66. Das soeben erst im Sinne des Art. 291 GG (1949) errichtete Land Baden-Württemberg drohte zu zerbrechen, was weder im Sinne des Landes Baden-Württemberg noch des Bundes und der übrigen Bundesländer war. Die Bundesregierung war daher bestrebt, Zeit zu gewinnen. 1959 ließ sie sich ein Sachverständigengutachten67 zu der Frage erstellen, wie aufgrund des Altbadenurden Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern v. 4.5.1951 (BGBl. I S.284). 59 Zu den politischen Hintergründen und Begleitumständen vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.78ff. 60 BVerfGE 1,14 (65). 61 Repräsentiert durch den Heimatbund „Badner Land e.V.", vgl. Krüger/Neumayer/Schneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg?, in: Hamburger öffentlich-rechtliche Nebenstunden 4 (1960), S.4. 62 Ausführlich zur Baden-Frage: Greulich, Ländemeugliederung und Grundgesetz, 1995, S.64ff. 63 So: Jaeger , Die Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 29 GG, in: Vom Bonner Grundgesetz zur Gesamtdeutschen Verfassung, FS für Hans Nawiasky, Hrsg.: Theodor Maunz, 1956, S. 359 (371 ff.); Neumayer, Die Neugliederung des Bundesgebietes und das Land Baden, in: Recht und Staat, Bd 186/187 (1955), S. 1 (40ff.); dagegen: Held, Kann der Südweststaat auf Grund des Art. 29 des Grundgesetzes wieder beseitigt werden?, in: DÖV 1954, S.737 (738). 64 BVerfGE 5, 34. 65 BVerfGE 5, 34 (44). - Es ging um die Frage, ob „die Neugliederung durch ein einziges Bundesgesetz - uno actu - erfolgen muß oder ob sie in mehreren Teilregelungen [...] erfolgen darf*, Klein, F., Bundesverfassungsgericht und Altbadenfrage, in: AöR 82 (1957), S. 327 (330ff.), dem Altbadenurteil zustimmend. 66 Vgl. Krüger/NeumayerlSchneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg?, in: Hamburger öffentlich-rechtliche Nebenstunden 4 (1960), S.6. 67 Krüger IN eumayerl Schneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg? Rechtsgutachten, erstattet i. A. des BMinI über die Frage „Wie ist verfassungsrechtlich die Lage zu beurteilen, die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 30. Mai 1956 und durch das Volksbegehren im Gebietsteil Baden des Bundeslandes Baden-Württemberg entstanden ist?", in: Hamburger öffentlich-rechtliche Nebenstunden 4 (1960).
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teiles weiter vorzugehen sei. Hieraus ergaben sich jedoch keine neuen Aspekte68. Erst aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht 1961 in seinem Hessenurteil ausgesprochenen Verpflichtung des Bundes zur Neugliederung69 wurde die Bundesregierung tätig70 und brachte den Entwurf eines Neugliederungsgesetzes ein71, der jedoch keine Zustimmung fand 72. Die darauf folgende politische Diskussion73 blieb folgenlos 74. 1969 wurde unter der großen Koalition von CDU und SPD Art. 29 GG (1949) geändert75. Die Änderung war das Ergebnis einer Einigung, die der politischen Diskussion über die Lösung der Baden-Frage und die Abwicklung der erfolgreichen Volksbegehren folgte. Sie bestimmte für die Durchführung der Volksentscheide in den Volksbegehrensgebieten mit dem 30. Juni 1970 für Baden und mit dem 31. März 1975 für die anderen Volkbegehrensgebiete feste Endtermine und erlaubte die Fragestellung, ob die Landeszugehörigkeit geändert werden oder bestehen bleiben solle76. Der Bundesgesetzgeber war nun gemäß Art. 29IV S. 1 2. HS GG (1969) bei seiner gesetzgeberischen Entscheidung an das Eigebnis des jeweiligen Volksentscheides gebunden, es sei denn, es widersprach den Zielen des Art. 291 GG (1969). Damit kam den Volksentscheiden bedingt konstitutive Wirkung zu. Ferner bestimmte Art. 29 III S. 2 GG (1969) eine neue Mehrheitsregelung, wonach der für eine Gebietsänderung erforderliche Volksentscheid als Quorum eine Mehrheit hervorbringen mußte, die mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten aus68 Das Mehrheits- (S.53ff.), sowie das Minderheitsvotum (S.52, 61, 69ff.) waren sich allerdings darin einig, daß die Bundesregierung zur Neugliederung verpflichtet sei (S.63f.). Das von Neumayer geäußerte Minderheitsvotum (S.69ff.) entspricht seiner Auffassung aus dem Jahre 1955, vgl. dersDie Neugliederung des Bundesgebietes und das Land Baden, in: Recht und Staat Bd 186/187, 1955, S.56. 69 BVerfGE 13, 54 (97). 70 Die Bundesregierung begründete ihre Untätigkeit wie folgt: „Die gesamtpolitischen Belange, insbesondere die Sorgen um Berlin und die Wiedervereinigung, lassen es in nächster Zukunft nicht zu, ohne schwerwiegende Nachteile für die politische Stabilität und Aktionsfähigkeit der Bundesrepublik in der Abwehr des Weltkommunismus und im Kampf um die Wiedervereinigung langwierige Verhandlungen über die innere Gebietseinteilung der Bundesrepublik einzuleiten.", siehe Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (11). Diese pauschale Aigumentation mit der Angespanntheit der außenpolitischen Lage verdeutlicht den generellen Unwillen des Bundes zur Neugliederung. Schon Münchheimer, Worum geht es bei der Neugliederung Deutschlands?, in: Frankfurter Geographische Hefte 3 (1951), S.4 schätzte sie als „Scheinaigumente" ein. 71 BT-Drs. 4/834. 72 Siehe Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, S. 18. 73 Über eine Neuordnung des Mitteldeutschen Raumes hinaus sprach sich die Bundesregierung gegen eine umfassende Neugliederung aus, vgl. Schäfer, H., Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, 1963, S.30f. 74 Vgl. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.70f. 75 25. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 19.8.1969 (BGB1.I S. 1241). 76 Art.29IIIS. 1 GG (1969).
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1. Kap.: Grundlagen
machte. Mit dieser Erschwerung77 der erforderlichen Mehrheitsverhältnisse setzten sich bei der Änderung des Art. 29 GG (1969) die Stimmen durch, die im Hinblick auf das junge Baden-Württemberg eine erneute Neugliederung, also eine Abtrennung des früheren Landes Baden, ablehnten: „Um die Entscheidung über das Schicksal des Südweststaates nicht [...] anheimzugeben, war auf Betreiben der baden-württembergischen Landesregierung eine Mindestvoraussetzung, ein Quorum, [...] festgelegt worden"78. Im Fall Baden-Württemberg war das Quorum jedoch ohne Folgen: „Der Volksentscheid vom 7. Juni 1970 bestätigte die 18 Jahre zuvor gegen den Willen eines großen Teils der badischen Bevölkerung erfolgte Vereinigung [...]. Viele Badener, die 1951/52 den neuen Staat abgelehnt [...] hatten, waren inzwischen in ihm heimisch geworden"79. Doch so, wie die Quorumsregelung eine erneute Neugliederung des Landes Baden-Württemberg verhindern sollte, stellt sie nun für zukünftige Neugliederungsvorhaben eine entsprechende Hürde dar 80, die auch Berlin und Brandenburg bei einer Neugliederung nach Art. 29 GG überspringen müßten. 3. Aufhebung der Neugliederungsverpflichtung und weitere Heraufsetzung der Verfahrenshürden: Neufassung des Art. 29 GG im Jahre 1976 Seit der Errichtung des Landes Baden-Württemberg kam es zu keiner weiteren Neugliederung mehr. Die NeugliederungsVerpflichtung des Art. 291 S. 1 GG (1949) erfüllte der Bund nicht. Im Zuge der Diskussion über den Bericht der Ernst-Kommission81 begründete die Bundesregierung ihre Neugliederungsuntätigkeit damit, 77 Art. 29III GG (1949) regelte die Mehrheitsverhältnisse bis dahin nicht, d.h. schon die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen wäre ausreichend gewesen. 78 Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977, S. 215. - Zu dem in Art. 29 GG vorgesehenen Quorum s. a. unten 1. Kapitel B. III. 1. c). 79 Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977, S.216. Das zeigte sich auch in dem Ergebnis des Volksentscheides: bei einer Beteiligung von 62,5 v. H. der Abstimmungsberechtigten entschieden sich 81,9v. H. für und 18,1 ν. H. gegen einen Verbleib von Baden im Land Baden-Württemberg, vgl. ebda, S.216. - Mit diesem Volksentscheid wurde die lange Auseinandersetzung um das neugeschaffene Land Baden-Württemberg endgültig beendet. Die heftigen Diskussionen insbesondere unter den beteiligten Ländern um die Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollem zum Land BadenWürttemberg zeigen Schwierigkeiten auf, die bei einem Neugliederungs vorhaben auftreten. Dieser Rückblick auf die Neugliederung ist insbesondere für neue Neugliederungsabsichten hilfreich. Das gilt umso mehr, als es seit 1949 bislang bei dieser Neugliederung geblieben ist. 80 Daneben stellt sich die - hier nicht zu vertiefende, politikwissenschaftliche - Frage, inwieweit die neu eingeführte Quorumsregelung auch weitere Neugliederungen vermeiden helfen sollte. 81 Gutachten über eine bundesweite Neugliederung im Auftrage des BMinI (Hrsg.): Vorschläge zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Art.29 des Grundgesetzes, Bericht der Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes, 1973 (im folgenden zit.: Bericht der Emst-Kommission, 1973); dazu s.a. unten 1. Kapitel E.IV.
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daß die Neugliederung ein Vorhaben von besonderer politischer Tragweite sei und der erforderliche breite Konsens bei den politischen Kräften und in der Bevölkerung nicht anzutreffen sei82. Doch liegt der Grund eher im Desinteresse der politischen Kräfte an jedweder Veränderung des status quo, als an einem Einvernehmlichkeitsbediirfnis: 1975 gingen Volksentscheide in Oldenburg und Schaumburg-Lippe auf Wiederherstellung der ehemaligen Länder erfolgreich aus83. Daraufhin verabschiedete der Bundestag gemäß Art. 29 III S. 2 GG (1969)84 ein Gesetz85, das entgegen den Bestrebungen der Bevölkerung den Verbleib der beiden Gebiete im Land Niedersachsen bestimmte. Die sich an dieses verfassungsgemäße86, aber verfassungspolitisch fragwürdige Vorgehen anschließende Diskussion um eine Neugliederung mündete in Überlegungen zu erneuten Änderungen des Art. 29 GG 87 . Noch im selben Jahr gründete der einer Neugliederung mit Rücksicht auf die Länder ablehnend gegenüberstehende Bundesminister des Inneren88 einen außerparlamentarischen Arbeitskreis, in dem die Bundesregierung, die Bundestagsfraktionen, Parteien, der Bundesrat und von den Ländern insbesondere Baden-Württemberg, RheinlandPfalz und Schleswig-Holstein vertreten waren89. In eineinhalb Jahren wurde dort ein Kompromiß ausgehandelt, der im August 1976 zur zweiten Änderung des Art. 29 GG führte 90. Die Volksentscheide in Oldenburg und Schaumburg-Lippe wurden 82 BT-Drs. 7/4958 S.6; s.a. BMinI Genscher, Vorwort, in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.3. 83 Vgl. Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 17. - Hier zeigt sich, daß der in Art. 291 GG verankerte und sonst schwer greifbare Begriff der landsmannschaftlichen Verbundenheit in der Verfassungsrealität existiert und eine emstzunehmende Größe darstellt; s. a. ders., Oldenburg und Schaumburg-Lippe nach den Volksentscheiden auf Wiederherstellung als Länder vom 19.01.1975, 1975, S.8f. 84 Danach war der Bundesgesetzgeber zur Regelung der Landeszugehörigkeit nach erfolgreichem Volksentscheid verpflichtet. 85 Gesetz über die Regelung der Landeszugehörigkeit des Verwaltungsbezirks Oldenburg und des Landkreises Schaumburg-Lippe nach Art. 29 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes v. 9.1.1976 (BGBl. I S.45). 86 Wohl h. M.: Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 17; Thiemann , Änderung von Art. 29 GG? - Eine Erwiderung zum Aufsatz von Röper, DVB1. 1975, S. 810ff., in: DVB1. 1975, S.976 (976); i.E. wohl auch: Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.95. Α. Α.: Bovermann, Bundesländer oder Provinzen - Neugliederung als Angelpunkt, in: DÖV 1974, S.6 (6); Müller, E., Der Stand der Neugliederungsdiskussion, in: DÖV 1974, S. 1 (2); Röper, Änderungen von Art. 29 GG - verfassungswidriges Verfassungsrecht, in: DVB1. 1975, S.810 (810). 87 Siehe Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 110. - Zu weiteren Änderungen des Art.29 GG im Jahre 1969 als Folge der Baden-Frage siehe oben 1. Kapitel A.II.2. 88 Vgl. BMinI Maihofer vor dem Bundesrat, BR-StenBer., 424. Sitzg v. 17.10.1975, S. 280
(B).
89 Vgl. Arndt (MdB SPD), BT-StenBer., 256. Sitzgv. 1.6.1976,S. 18385 (A);Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 110; femer Maihofer, BR-StenBer., 424. Sitzg v. 17.10.1975, S. 280 (B). 90 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 29 und 39) v. 23.8.1976 (BGBl. I S.2381).
3 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
zum Anlaß genommen, nicht nur Kleinstaatbestrebungen zu unterbinden. Darüber hinaus läßt Art. 29 Π , ΠΙ, V I GG (1976) vor jeglicher Neugliederung, die nicht nur eine kleine Grenzkorrektur nach Art.29 V I I GG (1976) darstellt, zurückschrecken. Denn mit Blick auf die Verfahrensvorschriften in Art. 29 Π - V I G G (1976), die sich - insbesondere hinsichtlich der Durchführung der Volksentscheide nach Art. 2 9 Ι Π , V I GG (1976) - teilweise „außerordentlich kompliziert" 91 ausnehmen, erscheint eine Neugliederung von vornherein wenig aussichtsreich. A m deutlichsten wird die geringe Neugliederungsmotivation der politischen Kräfte indes an der Herabstufung der Neugliederungsverpflichtung auf eine bloße Ermächtigungsnorm des Bundes in Art. 291 GG (1976)«. Allein die Modifizierung des Art. 29 V I I (1976) brachte den Ländern ein - wenn auch geringes - Kompetenzzugeständnis: er billigt ihnen zu, »Änderungen des Gebietsbestandes [...] durch Staatsvertrag der beteiligten Länder" zu regeln, „wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als 10.000 Einwohner hat." 93 Bemerkenswert an diesen Änderungen ist zunächst weniger das kritisierte sich im „vorparlamentarischen Raum" abspielende Verfahren 94, sondern vielmehr, mit wel91
Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1. 1991, S. 1024 (1026); s.a. oben 1. Kapitel A.I. 92 Art. 291 S. 1 GG (1976): „Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, daß die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können." (Hervorhebung nicht im Original). Zu den Änderungen des Art.29 (1976) im einzelnen siehe: Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 122ff. 93 Zur Neufassung des Art. 29 VII GG im Jahre 1976 s.a. Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art.29 Rn.l04f. 94 Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 111; Timmer, Neugliederung des Bundesgebiets und künftige Entwicklung des föderativen Systems, in: Raumplanung und Eigentumsordnung, FS für Werner Emst, Hrsg.: Harry Westermann u. a., 1980, S.463 (486). Unter verhandlungsdemokratietheoretischen Aspekten ist eine solche Verfahrensweise in einer parlamentarischen Demokratie notwendig. Aufgrund der immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Promblemsteilungen, sowie dem Bestreben der politischen Akteure, für politische Entscheidungen schon frühzeitig größtmögliche Mehrheiten zu sichern, sind die unterschiedlichen Interessengruppen frühzeitig in den Entscheidungsfindungsprozeß zu integrieren. Siehe hierzu insbesondere Benz, Α.; Umverteilung durch Verhandlungen?, in: SuS 2 (1991), 46 (50ff.); Herzog, D., Brauchen wir eine politische Klasse?, in: APuZ 41 (1991) B50; ders., Zur Funktion der Politischen Klasse in der sozialstaatlichen Demokratie der Gegenwart, in: Thomas Leif, Hans-Josef Legrand, Ansgar Klein (Hrsg.), Die politische Klasse in Deutschland, 1992, S. 126ff.; ders., Der Funktionswandel des Parlaments in der sozialstaatlichen Demokratie, in: ders., Hilke Rebenstorf und Bernhard Weßels (Hrsg.), Parlament und Gesellschaft, Eine Funktionsanalyse der Repräsentativen Demokratie, 1993, S. 13 ff. Weitere Aspekte zur Verhandlungsdemokratietheorie siehe etwa Bischoff, F./Bischoff, M., Parlament und Ministerialverwaltung, in: Hans-Peter Schneider, Wolfgang Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, S. 1459ff.; Scharpf\ Optionen des Föderalismus in Deutschland und Europa, 1994, S. 13ff. = ders., Die Politikverflechtungsfalle, in: PVS 26 (1985), S.323ff.; Schreckenberger, Informelle Verfahren der Entscheidungsvorbereitung zwischen der Bundesregierung und den Mehrheitsfraktionen: Koalitionsgespräche und Koalitionsrunden, in: ZParl. 25 (1994),
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Α. Grundgesetzliche Neugliederungsoptionen 95
cher Schnelligkeit und welchem augenscheinlichen Einvernehmen sich die politischen Kräfte auf diese inhaltlich einschneidenden Änderungen einigten und faktisch96 von einer umfassenden Neugliederung Abschied nahmen. Art. 29 I GG (1976) war eine Anpassung des Grundgesetzes an die VerfassungsWirklichkeit, in der die Länder sich seit ihrer Gründung insbesondere machtpolitisch stark institutionalisiert und gefestigt hatten97. Es ist daher Greulich darin zuzustimmen, daß Art. 29 GG (1976) wegen seiner Suggestion, eine Neugliederung zu erleichtern98, eine „Mogelpackung" sei99 und in Konsequenz seines tatsächlichen und bewußten Regelungsgehaltes eine Abschaffung jeglicher Neugliederungsmöglichkeit aufrichtig gewesen wäre. Die Änderung des Art. 291 GG (1976) führt noch einmal deutlichst vor Augen, daß, sofern überhaupt eine reale Aussicht auf eine Neugliederung besteht, diese - selbst wenn der Bund mit ihr betraut ist - in der Regel nur dann realisierbar ist, wenn sich bei den betroffenen Ländern neben dem Bevölkerungswillen ein entsprechender politischer Willefindet. Doch für diese Fälle erstickt Art. 29 Π, III, V I GG (1976) den Neugliederungskeim bereits im Ansatz. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Ausgangslage des Art. 29 Π, ΠΙ, V I GG (1976) hätten sich Berlin und Brandenburg nicht durch Staatsvertrag neugliedern können. Vielmehr hätte sich der einmalige Wille zweier Länder, sich zu einem einzigen zusammenzuschließen, mit dem neugliederungshinderlichen Verfahren des Art. 29 GG (1976) auseinandersetzen müssen. Naheliegenderweise griffen daher beide Länder in Anlehnung an Art. 118 GG die Idee des Neugliederungssonderweges für sich auf. Die Bestrebungen mündeten in der Sondervorschrift des Art. 118 a S. 329 ff.; Voigt, Staatliche Steuerung aus interdisziplinärer Perspektive, in: Klaus König und Nicolai Dose (Hrsg.), Instrumente und Formen staatlichen Handelns, 1993, S.93ff. 95 So auch Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 137. 96 Bothe, in: AK-GG, Art. 29 Rn. 16; Caesar (Min. RP) spricht von einem „Verhinderungsartikel", StenBer. der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (im folgenden zit.: GVK), 19. Sitzg, 25.3.1993, S.23; aus der weiteren Diskussion in derGVK, ebda, S. 11,14,26; Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1.1991, S. 1024 (1026); Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.55; Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 130ff.; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 110; Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof, HdBStR, BdIV, 1990, §98 (S.520); Meeting, in: Die räumliche Neugliedemng der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: Verfassungsreform und Grundgesetz, 32. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht", 1992, S.95 (101); Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, S. 889 (890), m. w. N. in Fn.5; Scharpf Föderalismus an der Wegscheide: eine Replik, in: SuS 1 (1990), S.579 (585); Timmer, Neugliederung des Bundesgebiets und künftige Entwicklung des föderativen Systems, in: Raumplanung und Eigentumsordnung, FS für Werner Emst, Hrsg.: Harry Westermann u. a., 1980, S.463 (490ff.). 97 Vgl. auch: Gründe für die Neufassung des Art. 29 GG, BT-Drs. 7/4958 S. 6, worin den Ländern „eine beachtliche staatliche und politische Identität" zugesprochen wird. 98 So Maihofer, BR-StenBer., 437. Sitzgv. 16.7.1976, S. 357; vgl. auch: Gründe für die Neufassung des Art. 29 GG, BT-Drs. 7/4958 S. 6. 99 Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 131. 3*
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1. Kap.: Grundlagen
GG, die sich unmittelbar und ausschließlich auf die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg bezieht, sowie in einer weiteren - allgemeingültigen - Neugliederungsoption gemäß Art. 29 VIII (1994). Damit steht nunmehr allen Ländern - Berlin und Brandenburg jedoch in privilegierter Form - die Möglichkeit offen, sich mittels Ländervereinbarung neuzugliedern100.
B. Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine Neugliederung gemäß Art. 291 GG Die Klärung der grundsätzlichen Wege einer Neugliederung führt zu den materiellen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen einer Neugliederung. Wann darf neugegliedert werden und unter welchen Prämissen? Reformbedarf besteht regelmäßig dort, wo das Geltende den Erwartungen nicht (mehr) genügt. Art. 291 GG bestimmt als Ziel einer Neugliederung unter Berücksichtigung aufgezählter Kriterien, Länder zu schaffen, die „nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können". Will man über die Güte des Neugliederungsvorhabens der Länder Berlin und Brandenburg eine Aussage treffen, müssen die sich aus diesen Begriffen ergebenden Anforderungen klar sein. Nur so läßt sich feststellen, ob das Vorhaben den allgemeinen grundgesetzlichen Anforderungen entspricht. Die Zielsetzung einer Neugliederung ist vielfach erörtert worden101. Dabei werden die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 291 GG regelmäßig als „Richtbegriffe" 102 oder „Neugliederungsprinzipien"103 bezeichnet. Art. 291 S. 1 GG (1949) verlangte die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge104, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit sowie des sozialen Gefüges. Art. 291 S. 2 GG (1976) erfordert statt der Be100
Siehe hierzu im einzelnen unten 2. Kapitel Α. II. Übersicht bei Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.43ff. 102 Vgl. etwa BMinI (Hrsg.); Die Neugliederung des Bundesgebietes, Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenausschusses (Luther-Kommission), 1955, (im folgenden zit.: Bericht der Luther-Kommission, 1955), S.21 Tz. 2; Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, Neugliederung der Länder, Tagung v. 22.-25.3.1968 (im folgenden zit.: Loccumer Protokolle 3/1968), S.7 (19); Bericht der EmstKommission, 1973, S. 42ff. Tz. 78 ff. 103 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der inneigebietlichen Neuordnung gemäß Artikel 29 Abs. 1 des Grundgesetzes, Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung i. A. des Deutschen Bundestages - Ausschuß für innergebietliche Neuordnung - , 1953 (im folgenden zit.: Probleme der inneigebietlichen Neuordnung, 1953), S. 15; so Münchheimer, Materialien zur Auslegung der Neugliederungsprinzipien, 1951, S. 1; vgl. auch Glum, Die rechtlichen Voraussetzungen der Neugliederung nach dem Grundgesetz, in: Die Bundesländer, Beiträge zur Neugliederung der Bundesrepublik, Hrsg.: Institut zur Forderung öffentlicher Angelegenheiten, 1950 (im folgenden zit.: Die Bundesländer, 1950), S. 171 (183ff.). 104 Diese drei Begriffe wurden später nicht nur positiv, sondern ebenso als konservativ und rückwärts gerichtet bewertet; vgl. Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (19). 101
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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rücksichtigung des sozialen Gefüges nunmehr die der Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung. Das mit diesen Begriffen einhergehende Bestreben, sie losgelöst von ihren Inhalten in einer bestimmten Rangfolge zu strukturieren, hilft bei der Erarbeitung ihrer Bedeutungen sowie ihrer Gewichtungen zueinander - d. h. der Verdeutlichung der Systematik des Art. 291 GG - nicht weiter 105. Insofern sind auch die Änderungen des Art. 291 GG unerheblich. Die Leistungsfähigkeit der Länder war schon nach Art. 291 S. 2 GG (1949) Ziel einer Neugliederung106: Sie sollte bereits seinerzeit „Länder schaffen, die nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können". Auf dem Weg zu diesem Ziel waren auch nach Art. 291 GG (1949) die dort genannten Kriterien zu berücksichtigen. Leicht modifiziert, dem Wesen und Inhalt nach diesbezüglich jedoch gleich, wurden die zwei Sätze des Art. 291 GG in ihrer Stellung durch die Verfassungsänderung von 1976107 vertauscht, um „klarstellend" die Rangfolge der „Richtbegriffe" festzusetzen: Während nunmehr Art. 291 S. 1 GG das Ziel einer Neugliederung festsetzt, bestimmt Art. 291 S. 2 GG, welche Gegebenheiten dabei zu beachten sind108. Die Begrifflichkeiten des Art. 291 GG weisen allerdings eine Grundstruktur auf. Das Ziel einer Neugliederung, die Schaffung eines leistungsfähigen Landes, läßt sich nur verwirklichen, wenn die in Art. 29 I GG genannten objektiven Kriterien 109 - Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung - beachtet werden. Daneben ist eine Neugliederung unter Berücksichtigung subjektiver, auf die betroffene Bevölkerung bezogener Kriterien 110 - landsmannschaftliche Verbundenheit, geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge - durchzuführen. Die Gewichtung der Berücksichtigungsgebote111 untereinander - sowohl zwischen den objektiven und subjektiven Kriterien als auch innerhalb dieser Katego105 Siehe nur Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.42ff. Tz.78ff.; Bericht der LutherKommission, 1955, S. 21 ff. Tz. 3 ff.; Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn. 35 ff. mwN.; Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn.24ff.; Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (24); ders.\ Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, 1963, S. 10ff.; Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 104f. 106 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.21 Tz. 9; Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn.37. 107 Zur Änderung des Art. 29 GG im Jahre 1976 s. a. oben 1. Kapitel Α. II. 3. 108 Vgl. nur BVerfGE 5, 34 (39); Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 37. 109 Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 29 Rn.23ff.; Maunz/Herzog, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn.27ff.; bereits Geeb\ Bundesministerium des Inneren, Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1953, S. 179 (179), der von den,»Prinzipien [...], die mehr rationaler Art sind", spricht. 1,0 Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 29 Rn.28ff.; Maunz/Herzog, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn. 27 ff.; s. a. Geeb\ Bundesministerium des Inneren, Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1953, S. 179 (179): „emotionale Prinzipien". 111 Die hier gewählte Begrifflichkeit des Berücksichtigungs-„gebotes" soll die sachliche Nähe der objektiven Neugliedeningskriterien des Art. 291 S. 2 GG (1976) zum Planungsrecht
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1. Kap.: Grundlagen
rien - läßt sich jedoch nicht aus einer abstrakten grammatikalischen und systematischen Herleitung des Art. 291 GG 1 1 2 oder allein aus ihrer Einordnung als Planungsleitlinien113 gewinnen. Sie ergibt sich aus ihren Inhalten. Die Berücksichtigungsgebote des Art. 291 GG sind unbestimmte Rechtsbegriffe 114, deren Gehalt überhaupt zu ermitteln ist. Erst diese genaue und differenzierte Analyse der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 291 GG ermöglicht es, sie in ihrer gegenwärtigen Bedeutung eingehend zu erfassen und für die Untersuchung des Neugliederungs-Vertrages zwischen Berlin und Brandenburg fruchtbar zu machen.
I. Anwendungsbereich des Art. 291 GG Indes stellt sich vor der Untersuchung der Voraussetzungen einer Neugliederung nach Art. 291 GG zunächst die Frage nach seinem Anwendungsbereich. Ist er lediglich auf die neue Grenzziehung oder auch auf die zu errichtende Binnenstruktur des neuen Landes anzuwenden? Nur wenn letzteres zutrifft, ist eine Überprüfung des Neugliederungs-Vertrages zwischen Berlin und Brandenburg auf die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 291 GG - unbeschadet des noch zu klärenden konkreten Verhältnisses zwischen Art. 118 a GG und Art. 291 GG - möglich. Wird im Vorfeld einer Neugliederung die neue Grenzziehung nach Maßgabe des Art. 291 GG ermittelt, geht damit einher, dem neuen Land bestimmte Binnenstrukturen zugrunde zu legen, bei deren Vorliegen die Anforderungen des Art. 291 GG erfüllt wären: es wird davon ausgegangen, daß der Haushalt aufgrund zu erwartender Synergieeffekte bestimmte Konsolidierungsresultate mit sich bringt, die Anzahl der öffentlichen Angestellten in dem neuen Land sich aufgrund der neuen Strukturen verringert, dadurch die Effizienz der öffentlichen Verwaltung gesteigert und Kosten eingespart werden können, etc. Um also die Leistungsfähigkeit des neuen Landes - der neuen Grenzziehung - zu beurteilen, werden bestimmte Strukturveränderungen und neue Strukturen impliziert, deren Errichtung zwar mit einem weiten Spielraum115, jedoch nicht voraussetzungslos dem neuen Land überlassen werden. Zwar mag davon ausgegangen werden, daß die sich neugliedernden Länder diese entsprechenden neuen inneren Strukturen in dem neuen Land implementieren. Maßgabe bleiben jedoch nach wie vor die materiellen Anforderungen des Art. 291 GG. Das gilt für alle Neugliederungen, unabhängig davon, ob es sich um eine umverdeutlichen. So gibt es beispielsweise im Bauplanungsrecht das sogenannte Rücksichtsnahme-„gebot", vgl. nur Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB-K, § 35 Rn.58. - Diese Richtung, eine Neugliederung vor dem Hintergrund des Art. 291 GG „als planerische Tätigkeit anzusehen", beschreitet jüngst auch Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art.29 Rn. 14ff. 112 So aber etwa Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 22ff. Tz. 6ff. 113 Vgl. Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art.29 Rn. 16; 22ff. 114 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 21 Tz. 3; Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG-Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (16); s.a. unten 1. Kapitel B.IV. 115 Zu den Entscheidungsspielräumen des Art.291 GG siehe unten 1. Kapitel B.IV.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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fassende bundesweite oder um eine partielle, grundgesetzlich konkret vorgesehene Neugliederung handelt. Dementsprechend basierte die nach Art. 118 GG erfolgte Neugliederung zum Land Baden-Württemberg auf der in Art. 291 S. 1 GG niedergelegten Zielsetzung116. Aber auch die Länder Berlin und Brandenburg versuchten im Vorfeld ihres Neugliederungsvorhabens genau zu prognostizieren, unter welchen durch eine Neugliederung möglichen Strukturveränderungen sich die Neugliederung auszahlen würde, d. h. das neue Land leistungsfähig i. S. d. Art. 291 S. 1 GG sein würde 117. Hinzu kommt, daß wenn Art. 291 GG nur für die Grenzziehung selbst die Voraussetzungen lieferte, deren Erfüllung durch die Neugliederung folglich nur potentiellen Charakter hätte. Ob das neue Land die mit der neuen Grenzziehung an Art. 291 GG gemessenen Anforderungen tatsächlich erfüllen würde, wäre ohne weiteren Belang. Das würde jedoch die Festschreibung besonders der leistungsfähigkeitsspezifischen Voraussetzungen an eine Neugliederung in der verfassungsrechtlichen Vorschrift des Art. 291 GG erübrigen. Denn der Bund wird seine Zustimmung zu einer Neugliederung ohnehin immer nur dann geben, wenn sie sich für ihn auszahlt, wenn also das neue Land gegenüber seinen Vorgängern erwartungsgemäß so leistungsfähig ist, daß für den Bund aus der Neugliederung Einsparungen resultieren. Der Sinn des Art. 291 GG liegt - insbesondere hinsichtlich des Neugliederungszieles - auch darin, seine bei der Neugliederung vorgesehene Binnenstruktur einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zugänglich zu machen118. Die Überprüfung der Binnenstruktur eines neuen Landes mit Art. 291 GG ist nichts anderes als die Prüfung, ob die der neuen Grenzziehung zugrunde liegenden Prämissen tatsächlich eingehalten wurden.
II. Leistungsfähigkeit als Leitprinzip und Neugliederungsziel Das Neugliederungsziel selbst erschließt sich aus der Relation der beiden Begriffe Leistungsfähigkeit und Aufgabenerfüllung. Die Leistungsfähigkeit setzt sich zusammen aus einem qualitativen Element und einem quantitativen, welches sich nach dem Umfang der zu erfüllenden Aufgaben des neuzugliedernden Landes bemißt. Diese Bedeutungszusammenhänge wurden schon früh erkannt: Um die Bedeutung des Art. 291 GG (1949) zu ermitteln, beschloß der Bundestag am 29. September 116 Vgl. BVerfGE 1, 14 (48); Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 131. 117 Siehe unten 2. Kapitel A.II. 118 Daher kann auch der mit einer Neugliederung einheigehende Volksentscheid die Binnenstruktur des neuen Landes nicht legitimieren. Es geht um verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Errichtung eines neuen Landes, deren Vorliegen nicht abstimmbar ist. Mit Blick auf das Erfordernis der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit suspendiert ein Volksentscheid auch nicht von dieser Vorgabe. Vielmehr ist er dessen Erfüllung, vgl. unten 1. Kapitel B.III.
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1. Kap.: Grundlagen
1949, den Ausschuß für die innergebietliche Neuordnung zu bilden119. Der Ausschuß tagte bis zum Ende der ersten Legislaturperiode 1953 und ließ 120 zwei Gutachten erstatten121. Das Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hannover) formuliert und konkretisiert prägnant, daß das wesentliche Ziel einer Neugliederung nach Art. 29 I GG die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Länder ist122: „Oberster Grundsatz dieser Neugliederung ist die Schaffung von Bundesländern solcher Größe und Leistungsfähigkeit, daß sie die ihnen nach dem Grundgesetz obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können"123. Es sind „Länder zu schaffen, die mit ihren kommunalen Gebietskörperschaften grundsätzlich aus eigener Finanzkraft die von ihnen zu erfüllenden Aufgaben erledigen können"124. Eine Neugliederung ist daher bei einem Land angeraten mit einer solchen Steuerschwäche, daß es „der Voraussetzung für ein lebensfähiges Land nach Art. 29 GG, seine Aufgaben aus eigener Finanzkraft erfüllen zu können, nicht gerecht" wird 125. Die Leistungsfähigkeit eines Landes nach Art. 291 GG ergibt sich daher aus mehreren Komponenten: Art. 291S. 2 GG weist auf die Teilaspekte der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit (1.) sowie der Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung (2.) bei einer Neugliederung hin. Ihre Berücksichtigung soll die Leistungsfähigkeit der betroffenen Länder in besonderem Maße steigern126. Daneben nennt die Literatur in unterschiedlichen Ausprägungen die administrative Leistungskraft sowie das politische Leistungsvermögen als Merkmale der Leistungsfähigkeit im Sinne des Art. 291S. 2 GG 127 . Indes handelt es sich bei diesen Kriterien weniger um ei119 Auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und der DP, BT-Drs. 1/51. Der Ausschuß wurde nach seinem Vorsitzenden, dem FDP-Abgeordneten Euler benannt und bestand aus 17 Mitgliedern, vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 100. 120 Siehe Kurzprotokoll des Ausschusses Nr. 30 - Ausschuß für innergebietliche Neuordnung-, 15. Sitzg v. 4.7.1951, TOP 3, S.6f., zit. nach Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.43 Fn. 189. 121 Eines vom Institut für Raumordnung, Bad Godesbeig (Institut für Raumforschung (Hrsg.), Beiträge zur innergebietlichen Neuordnung, Beiträge vom 15.9.1951.), welches ohne weitere Bedeutung war, und eines von der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Hannover (Brüning/ Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung gemäß Artikel 29 Abs. 1 des Grundgesetzes, Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung i. A. des Deutschen Bundestages - Ausschuß für innergebietliche Neuordnung - , 1953, (im folgenden zit.: Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953)). 122 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 16f., 26 ff. 123 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 18. 124 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 35. 125 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.36. Ferner Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.40. 126 Schäfer, H., Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, 1963, S. 12. 127 Vgl. nur Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art.29 Rn. 19f.; Evers (Drittbeaib.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.41.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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gene Merkmale, sondern - so sie einen greifbaren Gehalt haben128 - im weiteren Sinne um gedankliche Unterpunkte der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit. Erfahrungsgemäß sind es insbesondere die beiden Materien wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie Raumordnung und Landesplanung, die Neugliederungen immer wieder in die Diskussion bringen. Sie stehen nicht neben der Leistungsfähigkeit oder sind ihr nachgeordnet. Vielmehr bilden sie eine ihrer wesentlichen Grundlagen. Insofern wäre die Aufzählung nicht notwendig gewesen. Sie zeigt allerdings, daß das Grundgesetz die Gründe einer Neugliederung durchdrungen hat und auf die besonderen Schwierigkeiten ausdrücklich hinweist. Dabei ist die Größe eines Landes dem Ziel der Leistungsfähigkeit nachgeordnet129. Sie ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, die Leistungsfähigkeit eines Landes zu optimieren 130. Als Orientierungswert gilt eine Landesgröße von 5-6 Millionen Einwohnern 131. Ein weiterer, bereits angesprochener, jedoch nicht ausdrücklich in Art. 291 GG aufgeführter Aspekt der Leistungsfähigkeit eines neugegliederten Landes ist seine Finanzkraft. Dabei geht es um die Stellung des neuen Landes im Bund-Länder-Finanzausgleich (3.). Hierbei handelt es sich allerdings nicht um einen zu berücksichtigenden Faktor, wie ihn die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit oder die Belange der Raumordnung und Landesplanung darstellen. Vielmehr ist die Einordnung eines Landes in das System des Finanzausgleiches Indikator für seine Leistungsfähigkeit und Ausdruck seiner Wirtschaftlichkeit. Denn diese manifestiert sich nicht zuletzt in seiner steuerlichen Leistungsstärke, die ihrerseits Eingang in die Berechnungen des Finanzausgleichs findet 132. 128
Die von Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 29 Rn. 20, und Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 41, dargelegte Auffassung, das neue Land müsse für qualifizierte Politiker attraktiv sein, ist wenig hilfreich. Jedenfalls ist keine Untersuchung ersichtlich, nach der Politiker sich ihr Betätigungsfeld nach der Attraktivität eines Landes und seiner Möglichkeiten oder - vielleicht sogar im Gegenteil - nach seinen Herausforderungen auswählen. Ebenfalls den Aspekt der politischen Leistungsfähigkeit als „zu starke subjektive Elemente" ablehnend, Scheuner, Eine zweckrationale Gestaltung der föderalen Ordnung, in: DÖV 1974, S. 16 (17). 129 Brüning/ Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 31. 130 Vgl. Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn.39f. 131 Für 5 Mio.: Scheu, Geographische, wirtschafts-, Verkehrs- und sozialpolitische Gesichtspunkte für die Länderreform, in: Die Bundesländer, 1950, S. 17 (48); Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 85 Tz. 194.; für 6Mio.: Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (36); ders., Aufgaben und Gliederung der Länder im neuen Jahrzehnt, in: DÖV 1970, S. 154 (156). - Der Stand dieser Untersuchungen ist indes nicht aktualisiert worden. Ob also etwa die seit dem stark fortgeschrittene EDV diese Zahlen für die Gegenwart in die eine oder andere Richtung bewegt hat, bleibt unklar. 132 Insofern geht der Begriff der „Leistungsfähigkeit" über den Begriff der „Finanzkraft", wie er im Rahmen des Finanzausgleiches gebräuchlich ist, hinaus, obgleich sie dort synonym sind: Das Finanzreformgesetz v. 12.5.1969 (BGBl. IS. 359) ersetzte „leistungsfähige und leistungsschwache Länder" in Art. 107 II GG (1955) durch den Begriff „Finanzkraft" allein aus sprachlichen Gründen, vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997,
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1. Kap.: Grundlagen
Aber auch die internen Finanzstrukturen des neugegliederten Landes sind so zu errichten, daß seine Kommunen ihren Aufgaben angemessen nachkommen können (4.). Sämtliche Aspekte erfordern die Berücksichtigung der Interessen sowohl des Bundes als auch der betroffenen Länder: „Es ist von den Anforderungen auszugehen, die in einer entwickelten und anspruchsvollen Industriegesellschaft an den Staat - den Gesamtstaat und dessen Gliedstaaten - gegenwärtig und in übersehbarer Zukunft gestellt werden"133.
1. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ergibt sich zwangsläufig aus dem Ziel einer Neugliederung nach Art. 291 S. 1 GG, Länder zu schaffen, die aufgrund ihrer eigenen Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben bewältigen können. Für die Ermittlung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ist der Habenseite die voraussichtliche Ausgabenseite des Haushaltes gegenüberzustellen 134 . Die durch die Neugliederung errichteten Länder sind mit ihren Vorgängern zu vergleichen, wobei auch die Verwaltung auf ihre Effizienz hin zu prüfen ist 135 . Daraus resultiert, daß mit einer Neugliederung gegebenenfalls eine allgemeine Verwaltungsreform einhergeht, „die insgesamt auf Rationalisierung aller Verwaltungsgeschäfte, insbesondere auch durch möglichste Verminderung der Institutionen"136 angelegt sein muß. Bisher bestehende Spillover-Effekte 137 der Verwaltungen sind nunmehr zu internalisieren. Wirtschaftlichkeit meint allerdings nicht allein administrative und finanzielle Aspekte. Der Begriff der Wirtschaftlichkeit steht unter dem Vorbehalt der Sozialstaatlichkeit. Bis zur Änderung des Art. 291 GG (1976) folgte die soziale Komponente der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit einer Neugliederung ohne weiteres gemäß Art. 291 S. 1 GG (1949) aus dem Berücksichtigungsgebot des sozialen GefüS. 549 Fn. 453, S. 581; vgl. auch Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, 1998, S.75ff. 133 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.47 Tz. 93. 134 Im Ansatz bereits Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (25): „Bei der Ermittlung des wirtschaftlichen undfinanziellen Leistungsvermögens sind [...] auf der Soll-Seite jeweils die Aufwendungen für die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben des Landes in Rechnung zu stellen". 135 Vgl. auch Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (19). 136 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.26. 137 Zu diesem Begriff vgl. Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, in: SuS 7 (1996), S. 137 (141): „Als Spillover-Effekte (Nutzen- oder Kosten-Spillover) bezeichnet man Nutzengewinne bzw. Kosten in einer Gebietskörperschaft, die von der Aktivität einer anderen Gebietskörperschaft ausgehen".
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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ges. Es begriff „die wirtschaftlichen Erscheinungen vom Gesichtspunkt der Sicherung und Verbesserung der menschlichen Existenzformen aus"138. Aus dem Wegfall dieses Berücksichtigungsgebotes im Rahmen der Änderungen des Art. 29 GG im Jahre 1976 läßt sich indes nicht folgern, daß die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit dem sozialen Aspekt nicht mehr genügen müßte. Wie das gesamte Grundgesetz wird Art. 291 GG (1976) geprägt durch Art. 201 GG, wonach die Bundesrepublik ein „sozialer" Bundesstaat ist. Das führt nach wie vor dazu, daß die durch eine Neugliederung zu erreichende Wirtschaftlichkeit sozialverträglich sein muß. Die konkrete Bedeutung dieser „sozialen Wirtschaftlichkeit" läßt sich allerdings nur im Einzelfall festmachen. Jedes Neugliederungsvorhaben sieht sich anderen länderspezifischen Schwierigkeiten gegenübergestellt. Die konkrete Neugliederung verlangt daher, die im einzelnen für die Wirtschaftlichkeit erforderlichen Maßnahmen auf ihre Sozialverträglichkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen. Mit der sozial-wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit ist ebenfalls das bundesstaatliche Interesse an einer Neugliederung zu berücksichtigen. Durch eine Neugliederung sind zum einen Länder zu schaffen, die für sich genommen eine ausreichende Leistungs- und Wirtschaftskraft haben. Die neuen Länder müssen aber auch im Vergleich zu den übrigen Ländern eine angemessene Wirtschaftskraft haben139. Bezogen auf den Finanzausgleich folgt daraus, daß ein durch eine Neugliederung entstandenes Land den „entscheidenden Ausgleich in sich selbst vollziehen" können sollte, „so daß es auf eine Unterstützung von außerhalb nur wegen eines Spitzenausgleiches angewiesen"140 ist. Das Ziel der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse führt im Rahmen einer Neugliederung konkret dahin, daß mit ihr die Errichtung sozial-wirtschaftlich ausgewogener Länder zu verfolgen ist 141 . Die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit erhält ihre Bedeutung jedoch nicht allein aus diesen im weiteren Sinne kameralistischen142 und staatlichen Aspekten. Sie beinhaltet ferner den nichtstaatlichen Bereich. Er ist aufgrund seiner Steuerabgaben für die Steuerkraft und damit für die Leistungsfähigkeit eines Landes mitent138 Brüning/ S ting/ Peschlow, Probleme der inneigebietlichen Neuordnung, 1953, S.24. - Die Auffassung des Berichtes der Luther-Kommission, 1955, S. 34 Tz. 2 ff., daß das soziale Gefüge auf „den Menschen in der Geschlossenheit seines gesellschaftlichen Zusammenlebens im räumlichen Bezirk" abstellt, führt zum gleichen Ergebnis. Das von dem Bericht, ebda, S.34 Tz. 9 vorausgesetzte „gesunde" soziale Gefüge stellt letztlich auf die Sozialstaatlichkeit ab. 139 Brüning/ Sting/ Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 28 f. 140 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.29. 141 Im Ansatz schon Schäfer, H., Probleme einer Neugliederung des Bundesgebietes, 1963, S. 13: Unter dem Aspekt des sozialen Gefüges „sind insbesondere die Zusammenfassung überwiegend industrieller und landwirtschaftlicher Gebiete, femer die Berücksichtigung armer und reicher Bezirke zu beachten". 142 Zur Kameralistik vgl. Eichhorn, Allgemeine und Öffentliche Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Doppik und Kameralistik, in: ders. (Hrsg.), Doppik und Kameralistik, FS f. Ludwig Mühlhaupt zum 75. Geburtstag, 1987, S.48 (55ff.); Fuchs, Das betriebliche Rechnungswesen in der Kommunal Verwaltung, ebda, S.63ff.
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1. Kap.: Grundlagen
scheidend: „Schließlich schafft die Wirtschaftskraft erst die Finanz- und Steuerkraft" 143. Damit sich der nichtstaatliche Bereich, die Wirtschaft, optimal entfalten kann, „ist es notwendig, Wesen und Umfang der regional bestimmten wirtschaftlichen Zusammenhänge zu erfassen: Wirtschaftslandschaften, wirtschaftliche Kerngebiete, wirtschaftliche Kleinräume, Agglomerationen und ihre Einzugsgebiete" 144 . Der Einwand, daß die einmal ermittelten Wirtschaftsräume veränderlich seien, so daß unter diesem Aspekt jede Ländergliederung permanent nachzubessern sei145, überzeugt nicht: Dies träfe nur dann zu, wenn sich Wirtschaftsregionen tatsächlich vollständig verlagern würden. Das ist jedoch nicht der Fall. So zeigt etwa die Umstrukturierung des Ruhrgebietes, daß neue Wirtschaftszweige sich regelmäßig in etablierten Wirtschaftsregionen niederlassen. Allenfalls vergrößern sich - wie im Rhein-Main-Neckar-Gebiet - die schon bestehenden Wirtschaftsräume. Doch ein solches Zusammenwachsen von Ballungsgebieten kann eine Neugliederung - jedenfalls bis zu einem gewissen Grad - nicht nur ohne weiteres berücksichtigen. Derartige Entwicklungen sind vielmehr der Anlaß, über eine Neugliederung nachzudenken. Es geht darum, grundlegenden räumlichen Zusammenhängen, die sich aus der sozio-ökonomischen Entwicklung herauskristallisiert haben, für die Zukunft, soweit erforderlich, durch eine Neugliederung gerecht zu werden. Diese Aspekte der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit erfahren ihre Konkretisierung nunmehr mit dem Berücksichtigungsgebot der Raumordnung und Landesplanung.
2. Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung Die Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung146 ist erst mit der Änderung des Art. 29 GG im Jahre 1976 in Art. 291S. 2 GG 1 4 7 eingefügt worden. Gerade mit Blick auf die Großstadt-Umland-Problematik der Stadtstaaten sowie die Schwierigkeiten, die Ballungsräume durchschneidende Ländergrenzen mit sich bringen, ist die Ermöglichung einer sinnvollen Raumordnung 143
Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.42 Tz. 10; femer Duppré, Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 33 (38). 144 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 32 Tz. 2. 145 Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (89); vgl. auch Duppré , Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, ebda, S. 33 (39); Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., ebda, S.43 (44). 146 Raumordnung ist die zusammenfassende und übergeordnete Planung und Ordnung des Raumes, BVerfGE 3, 407 (425). Landesplanung ist die Raumordnung in den Ländern. Auf Landesebene werden beide Begriffe synonym gebraucht, vgl. etwa: Krautzberger in: Battis/ Krautzberger/Löhr, BauGB-K, § 1 Rn. 38. 147 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art.29 und 39) v. 23.8.1976 (BGBl. I S.2381); s.a. oben 1. Kapitel A.II.3.
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und Landesplanung der zweite Beweggrund neben der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, eine Neugliederung gegenwärtig148 in Angriff zu nehmen. Doch begründet Art. 291 S. 2 GG hinsichtlich der Raum- und Landesplanung keine neue Tatbestandsvoraussetzung149. Die Wirtschaftlichkeit eines Landes hängt heute mehr denn je von einer geordneten Landesplanung ab150. Sie ist einer ihrer Eckpfeiler. Im Hinblick auf die Verwaltungsräume gilt, daß „jeder einheitliche Siedlungsraum [...] ungeteilt zu einer Verwaltungseinheit gehören" muß151. Nur so lassen sich SpilloverEffekte minimieren und eine optimale öffentliche Verwaltung, d. h. Aufgabenerfüllung, wie sie Art. 291S. 2 GG fordert, verwirklichen. Durch die Konkurrenzsituation benachbarter Länder innerhalb eines Ballungsgebietes152 oder als Großstadt-Umland-Zusammenhang153 werden gemeinsame konstruktive Lösungen oft nicht gefunden. Dieser raumplanerische Aspekt wirkt sich unmittelbar auf die Verteilung der Steuererträge und der Kosten aus. Es treten Spillover-Effekte auf, in deren Gefolge eine optimale Bereitstellung öffentlicher Güter nicht möglich ist. Die Stadtstaatenproblematik läßt das Problem besonders deutlich hervortreten: Durch preiswertes Bauland im Umland entsteht zunächst eine Stadtflucht. Damit ändert das Aufkommen der Einkommensteuer, das den jeweiligen Ländern gemäß Art. 106 III, 1071 S. 1 GG und den Gemeinden gemäß Art. 106 V GG nach ihrem örtlichen Aufkommen zusteht154, ihren Adressaten155. Für die Stadtstaaten „ist deshalb die für Ballungsregionen charakteristische Pendlerverflechtung zwischen Arbeitsorten in der Kernstadt und Wohnorten im Umland zu einem gravierenden fiskalischen Pro148 Bis zur Änderung des Art. 291 GG im Jahre 1976 bestand darüber hinaus die Verpflichtung des Bundes zu einer umfassenden Neugliederung, siehe oben 1. Kapitel A.II, l.a), II.3. 149 Schon der Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 30 Tz. 1 ff., weist auf die Zusammenhänge zwischen dem Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und den naturräumlichen Gegebenheiten hin; femer Hettlage, Alternative zur Neugliederung: Neuregelung des Finanzausgleichs, in: Loccumer Protokolle 2/1968, S.69ff. 150 Vgl. schon Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.24f. 151 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (41). 152 So etwa im Rhein-Main-Gebiet, vgl. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.54ff. Tz. 1 ff.; S. 113 ff. Tz. 1 ff.; Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.86 (86ff.). 153 Zur Großstadt-Umland-Problematik von Hamburg und Schleswig-Holstein, vgl. ScharpfIBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.35ff., zu den sozialwissenschaftlich-theoretischen Grundlagen dieser vornehmlich auf Interviews basierenden Studie siehe Benz, A.IScharpflZintl, Horizontale Politikverflechtung, Schriften des MaxPlanck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln 10 (1992), S.9f.; auf Gemeindeebene vgl. Nouvortne, Interkommunale Zusammenarbeit - insbesondere zwischen Großstädten und Umland, in: Schriftenreihe der Hochschule Speyer 11 (1961), S. 109 (113 ff.); zu Berlin-Brandenburg unten 2. Kapitel D. V. 154 Vgl. Fischer-Menshausen, in: v.Münch, GG-K, Art. 106 Rn. 36: „Der Beteiligungsanspruch der einzelnen Gemeinde ist - entsprechend seiner Zweckbestimmung - auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen ihrer Einwohner, also der örtl. Steuerkraft zu bemessen". 155 Siehe im einzelnen Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 188 ff., 208 f.
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1. Kap.: Grundlagen
blem geworden"156. Entsprechendes gilt gemäß Art. 106 V I S. 1 GG für die Ansiedlung von Industrie und Gewerbe157. Durch freigegebenes Nutzland und niedrigere Gewerbesteuern werden Gewerbe und die mit ihm anfallenden Steuerbeträge aus der Stadt in das Umland gezogen158. Zugleich werden die für die Stadt dringend benötigten Naherholungsgebiete oft erheblich eingeschränkt159. Das medizinische Versorgungsangebot, insbesondere im Bereich der Spezialisierungen sowie der Krankenhäuser, konzentriert sich auf die Stadt, der damit die wesentlichen Kosten aufgebürdet sind. Ungeachtet dessen sind es auch die Bewohner des städtischen Umlandes, die in den Nutzen des städtischen Versorgungsangebotes kommen, ohne sich in angemessener Weise an den Kosten beteiligen zu müssen. Das gilt entsprechend für Schulen, Universitäten, Öffentlichen Personennahverkehr - ÖPNV - und alle sonstigen sozialen und kulturellen Leistungen, die in ihrem Versorgungsangebot ähnlich strukturiert sind160. Demgegenüber trägt das Umland etwa die Kosten für die Sicherung der städtischen Naherholungsgebiete oder gegebenenfalls der Wassereinzugsgebiete oder der Abfallentsorgung. Ob sich die gegenseitig erbrachten Aufwendungen ausgleichen, mag bezweifelt werden: „Ein Ausgleich durch die Ausgaben dieser Personen in den Stadtstaaten erfolgt nur sehr beschränkt; die anfallende Umsatzsteuer verbleibt Hamburg, Bremen und Berlin jedenfalls nicht"161. Die Wirtschaftlichkeit eines Landes hängt also unmittelbar mit der Landesplanung zusammen. Entsprechendes gilt für die Bundesebene162. Mit der Berücksichtigung der Raumordnungsplanung ist bei einer Neugliederung neben der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit nur scheinbar ein weiterer Aspekt vorgegeben, durch den das bundesstaatliche Interesse zu berücksichtigen ist: „sie ist die Ordnung, Sicherung und Entwicklung des Bundesgebietes und seiner Teilräume nach dem Leitbild der Freiheit und des sozialen Ausgleiches"163. So wie die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit auf Landesebene unmittelbar von ihrer Raumordnung und Landesplanung abhängt, bestimmt sich die Raumordnungsplanung des Bundes nach bundesweiten Wirtschaftlichkeitskriterien. Aber auch durch die Berücksichtigung der Raumordnungspla156 ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 39, die allerdings im Hinblick auf den Finanzausgleich die letztendlichenfinanziellen Verluste aus den Steuermindereinnahmen für überzogen hoch angesetzt halten. 157 Vgl. Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 191 f. - S. a. Brenke, Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung in Berlin 1992/93, in: DIW Wochenbericht 14/93, S. 159 (159). 158 Vgl. auch ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.44ff. 159 Vgl. ScharpflBenz , Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.36ff. 160 Vgl. ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.42ff. 161 Häde, Finanzausgleich, 1996, S.210. 162 Vgl. zur Raumordnung auf Bundesebene: Sachverständigenausschuß für Raumordnung, Die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland, 1961, S. 85 ff., 138 ff. Der von der Bundesregierung mit Beschluß v. 25.11.1955 eingesetzte Ausschuß hatte die Aufgabe, Richtlinien für die Koordinierung raumrelevanter Maßnahmen zu erstellen. 163 Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn.46.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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nung des Bundes ist eine soziale Wirtschaftlichkeit zu verfolgen: „Dem Sozialstaatsprinzip entsprechend sollen durch die räumliche Planung und Entwicklung möglichst gleichwertige Lebensverhältnisse geschaffen werden, indem der Abbau regionaler Gefalle und in allen Teilräumen der Bundesrepublik die Schaffung gesunder Lebens- und Arbeitsbedingungen angestrebt wird" 164. Diese Anforderungen hat der Bundesgesetzgeber bereits in seinem Raumordnungsgesetz konkretisiert: Nach § 1 I I S. 1 i. V. m. § 11 ROGBd ist die Leitvorstellung für die Raumordnung der Bundesrepublik Deutschland „eine nachhaltige Raumentwicklung, die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung führt". 3. Neugliederung im Bund-Länder-Finanzausgleich und andere Fremdmittel Die bereits angesprochenen Aspekte der neugliederungsbedingt möglichen Änderungen der Einkommensteuer-, Gewerbesteuer- und Umsatzsteuerverteilung werfen hinsichtlich des Finanzausgleichs eine Frage auf, die sich unmittelbar auch aus der Anforderung des Art. 291 GG ergibt, daß sich die Leistungsstärke des neuzugliedernden Landes an der der übrigen Länder orientieren muß165: Wie wirkt sich eine konkret geplante Neugliederung auf den Finanzausgleich aus beziehungsweise wie verändert sich die Position der sich neugliedernden Länder im Finanzausgleich im Vergleich zu der Position des neuen Landes (a)? Eine weitere Problematik, die eine Neugliederung mit Bezug auf den Finanzausgleich hervorruft, ist, ob und wie etwaig für das neue Land im Finanzausgleich wegbrechende Finanzmittel jedenfalls übergangsweise zu kompensieren sind (b) und ob es dafür finanzverfassungsrechtlicher Regelungen bedarf (c). Klärungsbedürftig ist ferner das rechtliche Schicksal der neben dem Finanzausgleich stehenden Finanzmittelzuweisungen (d). Diese Themenkreise berühren bereits die hier nur angedeutete und noch später eingehend erörterte Frage, in welchem Verhältnis die Möglichkeit einer Neugliederung zum Bund-Länder-Finanzausgleich steht166. Gibt es ein Moment, in dem diefinanzausgleichsrechtliche Situation die Neugliederung von Ländern verlangt?
Mit Blick auf die gescheiterte Neugliederung Berlin-Brandenburg beziehen sich die folgenden, allgemein gehaltenen Erörterungen vor allem auf die Situation des Zusammenschlusses eines Flächenstaates mit einem Stadtstaat167. 164 Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 123. Siehe zum Zusammenhang zwischen Raumordnung und Neugliederung auch: Sachverständigenausschuß für Raumordnung, Die Raumordnung in der Bundesrepublik Deutschland, 1961, S.54ff. 165 Vgl. oben 1. Kapitel B.II. 1. 166 Siehe unten 1. Kapitel E.II., insbes. Ziff.4. 167 Konkret zur gescheiterten Neugliederung Berlin-Brandenburg siehe unten 2. Kapitel D.I. 1.
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1. Kap.: Grundlagen a) Auswirkungen einer Neugliederung im Finanzausgleich
Die Finanzverfassung hat den Bund-Länder-Finanzausgleich in ein mehrschichtiges Verfahren aufgeteilt 168 . In dem primären Teil des Finanzausgleiches verteilt Art. 106 GG vertikal und sodann Art. 1071 GG horizontal die Ertragshoheitsrechte. In dem sekundären Teil erfolgt gemäß Art. 107 I I GG der eigentliche „Ausgleich" durch den umverteilenden Finanzausgleich, der die Ergebnisse vor dem Hintergrund der finanzausgleichsrechtlichen Leitlinie, der Schaffung und Wahrung gleicher Lebensverhältnisse 169, korrigiert. Auch hier sieht die Finanzverfassung zwei Schritte vor, zunächst den obligatorischen, i. e. S. horizontalen Länderfinanzausgleich gemäß Art. 107 I I S. 1 , 2 GG und als weiteres die sich daran anschließenden fakultativen vertikalen Bundesergänzungszuweisungen, Art. 107 I I S. 3 GG. Da der Ausgleich in vier Schritten 170 erfolgt, sind auf jeder dieser Stufen durch eine Neugliederung bedingte Modifikationen und Auswirkungen denkbar. Denn das neue Land wird grundsätzlich mit Blick auf seinen Status als Flächenland den übrigen Flächenländern gleichgestellt werden, woraus sich einschneidende finanzielle Folgen für das neue Land ergeben können. Insbesondere die langfristigen Auswirkungen einer Neugliederung auf den Finanzausgleich - etwa die Folgen unterschiedlicher Aufkommensentwicklung bei den Gewerbesteuern in den Teilgebieten 171 - können je168 Der Finanzausgleich wird nur soweit dargestellt, wie es für die Darstellung der neugliederungsspezifischen Zusammenhänge erforderlich ist. Für eine vertiefende Einsicht in den bundesstaatlichen Finanzausgleich der Bundesrepublik Deutschland siehe etwa Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 16ff.; Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S.73ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 407ff.; unter rechtshistorischen Aspekten Pagenkopf, Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1981, S.80ff.; aus politikwissenschaftlich-historischer Sicht Renisch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, 1991; ferner BVerfGE 1, 117 (117ff.); 72, 330 (330ff.); 86, 148 (148ff.). 169 Vgl. etwa Art. 106III S. 4 Nr. 2 GG. Siehe auch Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 235 ff. 170 Zur Frage, ob der nach Art. 1071 S. 4 2. HS GG fakultative Umsatzsteuerausgleich gesondert als zusätzlicher Schritt - so etwa Wieland, Die verfassungsrechtliche Rahmenordnung des Finanzausgleichs, in: Jura 1988, S.410 (411) - oder als Teil des sekundären umverteilenden Ausgleiches zu betrachten ist, überzeugend ablehnend Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.421 Fn.44: „Die Zurückführung der Art. 106, 107 GG auf die beiden Grundbegriffe .Finanzhoheitsrecht' und »Finanzzuweisung4 zeigt [...], daß beide Formen der Separierung der Umsatzsteuerergänzungsanteile vom übrigen primären horizontalen Finanzausgleich nicht sinnvoll sind, weil sie einen Verteilungsschritt einführen, der nach den Einteilungsprinzipien vertikal/horizontal und primär/sekundär schon zu einer anderen Stufe gehört. [...]". - Ein Berechnungsprogramm für den Bund-Länder-Finanzausgleich stellen bereit Gottfried/Wiegard, Finanzausgleich zum Selberrechnen, in: Probleme der Einheit, Bd9, Hrsg.: Eckhard Wegner, 1992, S. 133ff. 171 Durch den Wegfall von Ländergrenzen kann Gewerbe nicht mehr in dem Maße, wie zuvor Gemeinden zweier Länder gegeneinander mit Bezug auf die niedrigsten Gewerbesteuern ausspielen. Es gibt keine zwei Länder mehr, die ihre Gemeinden gegenseitig um Einnahmen aus Gewerbesteuern wetteifern lassen müßten, so daß nunmehr durch die in einer Hand liegende Aufsicht über die Genehmigung von Gewerbestandorten bei dem zuständigen Landesministerium die Gemeinden gemeinnütziger verfahren könnten. Als Folge könnten aufgrund der abnehmenden Konkurrenzsituation die Gewerbesteuereinnahmen tendenziell steigen.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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doch nicht abstrakt-generell, sondern erst konkret anhand der für Berlin und Brandenburg ermittelten Entwicklungsprognosen vorgenommen werden. Denn zu beachten ist, daß ein erhöhtes Steueraufkommen auf der einen Seite auf der anderen Seite zu geringeren Einnahmen im Bund-Länder-Finanzausgleich führen kann. Bevor die Ansatzpunkte für neugliederungsspezifische Änderungen des Finanzausgleichs aufgezeigt werden, muß klar sein, woraus sich die gemeinhin als „eigene" bezeichnete „Finanzkraft" eines Landes zusammensetzt. Für die Unterscheidung eigen - fremd ist der Ursprung der Finanzmittel entscheidend. Es ist darauf abzustellen, ob die Mittel originär dem Land entspringen172. Nur diese Mittel sind in bezug auf die „eigene" Finanzkraft, d.h. der Leistungsstarke eines Landes aussagekräftig. Der Begriff der „Finanzkraft" eines Landes umfaßt dabei neben seiner Steueikraft, die aufgrund der Tatsache im Vordergrund steht, „daß von der Einnahmenseite her der Staat des Grundgesetzes vorrangig Steuerstaat ist"173, grundsätzlich auch „die sonstigen Abgaben und solche Einnahmen, die auf nichthoheitlichem Erwerbsgrund beruhen."174
(1) Änderungen im primären Ausgleich I m ersten Schritt verteilt Art. 106 GG das gesamte Steueraufkommen vertikal und bildet die vier Finanzmassen Bundessteuern (Abs. 1), Landessteuern (Abs. 2), Gemeinschaftssteuern, die Bund und Ländern gemeinsam zustehen (Abs. 3, 4) sowie die Gemeindesteuern (Abs. 5 - 7 ) 1 7 5 . Die Bildung der Finanzmassen geschieht ausschließlich auf verfassungsrechtlicher Ebene. Allerdings sieht Art. 106 Π Ι S. 3 GG vor, daß die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer durch Zustimmungsgesetz176 festgesetzt werden 177 . I m primären vertikalen Finanzausgleich geht 172
Zu den Begriffen der „eigenen" und „originären" Finanzausstattung vgl. auch Henke/ Schuppen, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S.96; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.421 f. 173 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.550. 174 Siehe im einzelnen Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 549 ff. 175 Vgl. im einzelnen Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 422 ff. 176 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz - FAG) v. 23.6.1993 (BGBl. IS. 977), zul. geänd. durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit" und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern v. 16.6.1998 (BGBl. I S. 1290). - Die „neue" Fassung erhielt das FAG durch Art. 33 des auf den Solidarpaktverhandlungen vom Frühjahr 1993 beruhenden Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung derfinanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms - FKPG) v. 23.6.1993 (BGBl. IS. 944), welches in seinem dritten Abschnitt eine Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleiches vornahm, indem es die fünf jungen Bundesländer und Berlin mit Wirkung vom 1.1.1995 in den Ausgleich einbezog. Die grundlegende Struktur des bis dahin geltenden FAG in der Fassung v. 28.1.1988 (BGBl. I S. 94), zul. geänd. 4 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
es um die generelle und insgesamt noch grobmaschige Verteilung der Finanzmittel auf vertikaler Ebene, die die Grundlage für die weiteren Schritte des Finanzausgleiches bildet178. Erst die folgenden Schritte zwei bis vier im Finanzausgleich lassen eine mit jeder Stufe gezieltere Zuweisungfinanzieller Mittel an einzelne Länder zu. Grundsätzliche Änderungen für das neue Land im Vergleich zu den sich neugliedernden Ländern sind an dieser Stelle des Finanzausgleichs nicht zu erwarten. Allein die derzeitige teilweise Refinanzierung der Bundeszuschüsse für den Fonds „Deutsche Einheit" aus dem Länderanteil an der Umsatzsteuer gemäß § 1 Π, ΠΙ FAG steht einer Modifikation insoweit offen, als zwischen alten und jungen Bundesländern unterschieden wird. Tendenziell ist diese gebietlich vorgenommene Unterscheidung auch für ein neugegliedertes Bundesland aufrecht zu erhalten. Es wäre widersinnig, auch die 1990 der Bundesrepublik beigetretenen Teile eines neuen Landes - sofern solche von einer Neugliederung betroffen sind - durch die Beitragsberechnung in die Einzahlung des Fonds einzubinden, allein, um sie im Anschluß daran aus ihren eigenen aufgewandten Mitteln zu fördern. Im zweiten Schritt nimmt der primäre horizontale Finanzausgleich gemäß Art. 1071 GG - seinerseits in zwei Teilabschnitten - die horizontale Steuerertragsverteilung für alle Steuern vor, deren Erträge ganz oder teilweise nach Art. 106 I I GG den Ländern zustehen. Er wird nach Art. 1071 S. 1 GG eingeleitet durch die Aufteilung der Landessteuern sowie des Länderanteiles am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer nach dem örtlichen Aufkommen 179 - erster Teilabschnitt. Jedes Land soll die seiner „wirklichen Steuerkraft" entsprechenden Steuereinnahmen erhalten, die seine Wirtschaft und seine Einwohner erbracht haben. Daher sieht Art. 1071 S. 2, 3 GG vor, Verzerrungen, die durch die örtliche Vereinnahmung der Steuern entstehen, im Wege eines - gegenüber einer Verfasdurch Art. 32 FKPG, blieb dabei unverändert. Zur Neufassung des FAG kritisch Peffekoven, Reform des Finanzausgleichs - eine vertane Chance, in: FA η. F. 51 (1994), S. 281 ff.; Braun, Der bundesdeutsche Föderalismus an der Wegscheide, in: SuS 7 (1996), S. 101 (126ff.). 177 Zur Umsatzsteuerverteilung siehe umfassend und aktuell Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer zwischen Bund und Ländern, 1998, S. 123 ff. 178 Daraus rechtfertigen sich auch die Zuwendungen, die der Bund gemäß § 1 II S. 1-3 FAG aus dem Länderanteil an der Umsatzsteuer zweckgebunden für den Fonds „Deutscher Einheit" erhält. Daß der Bund dabei gemäß § 1 II S. 4 FAG nur aus dem Anteil der alten Bundesländer Beiträge erhält, versteht sich dann von selbst. Die in diesem Zusammenhang geregelte übergangsweise Entlastung der überproportionalen Belastungenfinanzschwacher alter Bundesländer gemäß § 1 III FAG erscheint als Annex bereits an dieser Stelle vertretbar. Eine sich darüber hinaus konkretisierende Berücksichtigung der Sonderbedarfe einzelner Bundesländer liefe der Intention des Art. 106 III GG jedoch zuwider. - Zur Aufgabe des primären vertikalen Finanzausgleich siehe im einzelnen auch Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 494ff. 179 Vgl. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S. 30:„Das Verteilungsprinzip des örtlichen Aufkommens weist den Ländern diejenigen Steuererträge zu, die von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden."
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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sungsbestimmung - flexiblen Bundesgesetzes, dem Zerlegungsgesetz180, zu berichtigen181: Das Zustimmungsgesetz „hat für die Körperschaftsteuer und die Lohnsteuer nähere Bestimmungen über die Abgrenzung sowie über Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen Aufkommens zu treffen." Art. 1071 S. 3 GG billigt dem Bundesgesetzgeber die entsprechende Möglichkeit auch für andere Bundessteuern 182 zu. Die in der unterschiedlichen „wirklichen Steuerkraft" der einzelnen Länder zum Ausdruck kommende differierende Leistungsstärke wird durch diesen Abschnitt des primären horizontalen Finanzausgleiches explizit betont183. Es geht ihm nicht um eine Angleichung unterschiedlicher Finanzkraft. Daher ergeben sich auch an dieser Stelle aus einer Neugliederung keine grundlegenden Konsequenzen für ein neues Land. Das für die Verteilung maßgebliche örtliche Aufkommen bleibt durch die juristische Sekunde der Neugliederung unverändert, so daß die bislang mehreren Ländern zugewiesenen Finanzmittel nunmehr allein ein einziges Land erhält. Im zweiten Teilabschnitt des primären horizontalen Finanzausgleichs verteilt Art. 1071 S. 4 GG den Länderanteil der Umsatzsteuer im Verhältnis ihrer Einwohnerzahl unter ihnen, wobei er ausschließlich generelle Maßstäbe anlegt: mindestens 75 v. H. des Länderanteils an der Umsatzsteuer sind im Verhältnis der Einwohnerzahlen zu verteilen. Allerdings erlaubt der 2. Halbsatz dem Bundesgesetzgeber per Zustimmungsgesetz bis zu 25 v. H. des Umsatzsteueranteils vorab auf die Länder zu verteilen, „deren Einnahmen aus den Landessteuern und aus der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer je Einwohner unter dem Durchschnitt der Länder liegen." Diese distributive Vorwegauffüllung mit Umsatzsteuerergänzungsanteilen gemäß Art. 1071 S. 4 2. HS GG bietet einen Ansatzpunkt, um die Finanzschwäche einzelner Länder durch die Berücksichtigung ihrer Steuerschwäche zu mildern. Die Ergänzungsanteile dürfen Steuerkraftschwächen ausgleichen. § 2 Π FAG schöpft diese verfassungsrechtliche Möglichkeit voll aus und hebt die Finanzausstattung der Länder, deren Einnahmen aus der Einkommens- und Körperschaftsteuer, der Gewerbesteuerumlage sowie den weiteren nach § 71 Nr. 3 FAG ermittelten Landessteuern184 auf 92 v. H. des Länderdurchschnittes an 185 . Die dadurch bewirkte Stär180 Gesetz über die Steuerberechtigung und die Zerlegung bei der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer (Zerlegungsgesetz) v. 25.2.1971 (BGB1.I S. 146), zul. geänd. durch Art. 8 des Gesetzes zur Regelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz) v. 9.11.1992 (BGB1.I S. 1853). 181 Siehe hierzu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.507 ff., Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S.31 f. 182 Vgl. Vogel/Kirchhof, in: BK, GG-K, Art. 107 Rn. 105. 183 So auch Hüde, Finanzausgleich, 1996, S. 223; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.509; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gemäß Art. 107 II GG, 1984, S. 32. 184 Vermögens-, Erbschafts-, Kraftfahrzeug-, Bier-, Grunderwerbsteuer, Feuerschutzsteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer, Spielbankabgabe, s. a. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 106.
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1. Kap.: Grundlagen
kung der Finanzkraft führt dazu, daß Ausgleichszahlungen im eigentlichen - sekundären horizontalen - Finanzausgleich entsprechend geringer ausfallen. Neugliederungsspezifische Folgen können dadurch auftreten, daß sich die jeweiligen Steuerkräfte der fusionierenden Länder dahin addieren, daß im Rahmen des Umsatzsteuervorwegausgleiches dem neuen Land insgesamt weniger Finanzmittel zufließen, als getrennten Ländern. (2) Änderungen im sekundären horizontalen Ausgleich Als dritte Stufe korrigiert der obligatorische horizontale Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Π S. 1,2 GG das aus den ersten beiden Schritten resultierende Ergebnis durch ein mehrschichtiges aufwendiges Verfahren 186, das Raum gibt für die gedankliche Fortsetzung des primären Finanzausgleiches: Nachdem durch die Verteilung des Steueraufkommens jedem Land die eigenen Einnahmen zugewiesen worden sind, werden diese angeglichen. Dazu wird die Finanzkraftmeßzahl eines Landes gebildet, die sich gemäß §§ 61, 71, 81 FAG aus bestimmten Steuer- und Abgabeeinnahmen zusammensetzt. Sie wird der Ausgleichsmeßzahl gegenübergestellt, die sich aus den entsprechenden Einnahmen im Bundesdurchschnitt je Einwohner zusammensetzt und multipliziert mit der Einwohnerzahl eines Landes umgerechnet das bundesdurchschnittliche Länderfinanzaufkommen für dieses Land ergibt. Die Ausgleichsmeßzahl bezeichnet das fiktive „Soll-Aufkommen" 187 und ist damit zugleich Maßstab für die bundesdurchschnittlich erforderlichen Mittel, die ein Land je Einwohner zur angemessenen Bewältigung seiner Aufgaben benötigt188. Nach einem mehrschichtigen in § 10 FAG festgelegten Verteilerschlüssel erhalten daher gemäß § 5 FAG die Länder, deren Finanzkraftmeßzahl im Ausgleichsjahr ihre Ausgleichsmeßzahl nicht erreicht, von den Ländern Ausgleichszuweisungen, deren Finanzkraftmeßzahl im entsprechenden Zeitraum ihre Ausgleichsmeßzahl übersteigt. Darüber hinaus berücksichtigt dieser Schritt im Finanzausgleich Sonderbedarfe einzelner Länder. Das sind Ausgaben, die nach Art oder Höhe nur in einzelnen Ländern anfallen. Sie rühren nicht aus der Erfüllung allgemeiner von allen Ländern vorzunehmender Aufgaben her oder sind, wenn sie darin ihren Ursprung haben, in ihrer Höhe außerordentlich189. Sie können allerdings nur Berücksichtigungfinden, soweit 183
Sofem der für die Ergänzungsteile vorgesehene Anteil der Umsatzsteuer hierfür nicht genügt, sind die Ergänzungsanteile entsprechend zu kürzen, §211 S. 3 FAG. Verbleibt ein Überschuß, wird dieser nach § 211S. 2 FAG im Verhältnis der Einwohneranzahl auf alle Länder verteilt. 186 Vgl. im einzelnen Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 111 ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.537ff.; BVerfGE72, 330 (395 ff.). 187 Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung 1998, S. 111. 188 S. a. Peffekoven, Reform des Finanzausgleichs - eine vertane Chance, in: FA η. F. 51 (1994), S. 281 (296). 189 Vgl. etwa Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 226ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 585ff.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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sie nicht auf einer freiwilligen autonomen Entscheidung beruhen 190 . Andernfalls hätten die Länder einen gegen die allokative Effizienz 191 verstoßenden Anreiz, beliebig Ausgaben zu steigern, da sie sie als Sonderbedarfe im Finanzausgleich geltend machen könnten. Ein ,3edarfswettlauf ' wäre die Folge 192 . So können Mehrbedarfe durch „unabänderliche" 193 Faktoren entstehen, wie etwa den geographischen Gegebenheiten oder der Größe eines Landes. Maßgeblich ist ferner, ob eine Aufgabe nur in einem einzelnen Land erfüllt werden kann oder erfüllt wird und ob ihre Erfüllung auch den Bewohnern anderer Länder erheblich zugute kommt. An dieser Stelle des Finanzausgleichs geht es wegen seiner Breitenwirkung auf alle Länder darum, generelle ,»Nutzenstreuungen oder Agglomerationsprobleme zu kompensieren"; Zuweisungen auf strukturbedingte Sonderbedarfe dagegen lassen sich „nur distributiv begründen" und können erst an anderer Stelle des Finanzausgleiches Beachtung finden 194. Berücksichtigungsfähig sind daher etwa die Seehafenlasten der Küstenländer. Ferner leitet die privilegierte Einwohnerwertung der Stadtstaaten trotz ihrer immer stärkeren Infragestellung 195 nach wie vor ihre Berechtigung aus dem Argument ab, daß die Stadtstaaten ihr Umland mit zentralen Ein190 Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107II GG, 1984, S.24,45ff.-Häde, Finanzausgleich, 1996, S.229 lehnt die Differenzierung zwischen berücksichtigungsfähigen und „quasi selbst verschuldeten" Sonderausgaben als „problematisch" - allerdings ohne Begründung - ab. 191 Im Rahmen der Allokation geht es um die bestmögliche Organisation der Güterproduktion, die dann erreicht ist, wenn „die Produktionsfaktoren effizient eingesetzt werden, und wenn die Produktionsstruktur an den Konsumentenwünschen orientiert ist", vgl. Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 1997, S.48ff.; zur Allokationseffizienz s.a. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 207ff.: „Dem Knappheitsproblem soll durch Effizienz begegnet werden. Produktionsfaktoren werden effizient eingesetzt, wenn mit ihnen möglichst viele Güter hergestellt werden und diese Güter in möglichst großem Maße den Präferenzen der Konsumenten entsprechen." Entscheidet sich der Staat, ein Gut öffentlich anzubieten, muß er dessen Produktion zur Verwirklichung des Allokationszieles möglichst effizient gestalten. Treten beispielsweise Spillover-Effekte auf, besteht die Gefahr, daß sie die Allokationseffizienz beeinträchtigen. 192 Vgl. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S.56; Wieland, Die verfassungsrechtliche Rahmenordnung des Finanzausgleichs, in: Jura 1988, S.410 (413). 193 So Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.586. Doch gerade hinsichtlich der Stadtstaaten handelt es sich nur bedingt um „unabänderliche" Faktoren. Soweit sich ein Stadtstaat gegen eine mögliche Neugliederung sperrt, beruhten die ,»Kosten der Kleinheit" tendenziell eher auf einer nicht im Finanzausgleich zu berücksichtigenden autonomenfinanziellen Entscheidung des Landes. 194 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.607. - Dagegen hält Peffekoven, Berücksichtigung der Seehafenlasten im Länderfinanzausgleich?, in: FA η. F. 46 (1988), S. 397 (414) die Aigumentation, die im horizontalen Finanzausgleich berücksichtigten Sonderbedarfe sollten Spillover-Effekte intemalisieren, um diefiskalische Äquivalenz wieder herzustellen, ausfinanzwissenschaftlicher Sicht für unhaltbar und stellt fest, „daß das heutige System des Länderfinanzausgleichs ein völlig untaugliches Verfahren" hierfür sei. So im Ergebnis auch H irte, Effizienzwirkungen von Finanzausgleichsregelungen, 1996, S.228f. 195 Vgl. Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich im Verfassungsstaat, 1995, S.85ff.
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1. Kap.: Grundlagen
richtungen und Leistungen versorgen und sie „den für Großstädte üblichen hohen innergemeindlichen Finanzbedarf je Einwohner nicht, wie dies in den Flächenländern der Fall ist, durch einen kommunalen Finanzausgleich" ausgleichen können 196 . Die berücksichtigungsfähigen Sonderbedarfe finden an zwei Stellen Zugang 197 : einmal bei der Errechnung der Finanzkraftmeßzahl. Diese wird für die Küstenstaaten gemäß § 7 Π Ι FAG mit Hinblick auf die von ihnen unterhaltenen Seehäfen um feste Beträge reduziert, mit der Folge, daß sich nach dem vorgesehenen Berechnungsverfahren für die Ausgleichszuweisungen und -beiträge eine Ausgleichsberechtigung erhöht beziehungsweise eine Ausgleichsverpflichtung ermäßigt. Der zweite Zugang für Sonderbedarfe findet sich bei der Errechnung der Ausgleichsmeßzahl durch eine überdurchschnittliche Gewichtung der Einwohnerzahl. Die Einwohnerzahlen der Stadtstaaten wertet § 9 Π FAG gegenüber den Flächenstaaten (100 v. H.) mit 135 v. H., um so ihren fiktiven finanziellen Mehrbedarf in Ansatz zu bringen 198 . Auch dies führt - gegenüber der vorigen Reduzierung der Finanzkraftmeßzahl nun über eine Erhöhung der Ausgleichsmeßzahl - zu einer Erhöhung der Ausgleichszuweisungen und -beiträge. Überraschend an diesen Regelungen ist, daß die beiden bisher berücksichtigten Sonderbedarfe - Seehafenlast und Stadtstaatenprivileg - einmal bei unterschiedlichen Meßzahlen und zum anderen im einen Fall in absoluten Beträgen und im anderen Fall in Vom-Hundertsätzen in Ansatz gebracht werden. Von beiden Meßzahlen ist jedoch nur die Ausgleichsmeßzahl zur Berücksichtigung von Sonderbedarfen geeignet. Das geht aus den Inhalten hervor, die die Meßzahlen darstellen. Die Finanzkraftmeßzahl verkörpert als Einnahmenseite das Finanzaufkommen der Länder in absoluten Beträgen. Erst in der Ausgleichsmeßzahl kommt der Finanzbedarf, die Ausgabenseite der Länder zur Geltung. Auch hinsichtlich der Art des Ansatzes kristallisiert sich eine Präferenz heraus. Die Ausgleichsbeträge bemessen sich auf der Grundlage des Verhältnisses zwischen Finanzkraftmeßzahl und Ausgleichsmeßzahl. Die Berechnung des Ausgleiches vollzieht sich folglich in Relationen, nicht in absoluten Beträgen. Wird in diese Rechnung ein Sonderbedarf in festen absoluten Beträgen eingestellt, hängt die tatsächliche Höhe der Ausgleichszahlung auf diesen Sonderbedarf in extremem Maße von der Relation der beiden Meßzahlen ab. Die Einstellung der Sonderbedarfe durch Seehafenlasten in absoluten 196 Zur Einwohnerwertung im Finanzausgleich mit Bezug auf Bremen siehe Kitterer, Neugestaltung der Finanzbeziehungen zur Stärkung des Föderalismus im vereinten Deutschland unter besonderer Berücksichtigung des Landes Bremen, in: Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen (Hrsg.), Neuordnung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern und ihre Auswirkungen auf das Land Bremen, 1993, S.293 ff. (= ders., Finanzausgleich im vereinten Deutschland, 1994, S.20ff.); femer Dietrich, Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den Finanzausgleichssystemen der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S.90ff., 203 ff., der die Einwohnerveredelung als „noch lange keinfinanzpolitisches Fossil ohne Existenzberechtigung" hält, ebda, S. 247; Schuppertl Dahrendorf, Verfassungsrechtliche und finanzwissenschaftliche Aspekte des Länderfinanzausgleichs, 1985, S.52ff. 197 Zur Zulässigkeit der Sonderbedarfsberücksichtigung im sekundären horizontalen Finanzausgleich siehe Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S.47ff. 198 Femer gewichtet § 9 III FAG die Größe der Gemeinden ab 5000 Einwohner mit wachsender Größe ab 1 lOv. H. aufwärts.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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Beträgen in die Finanzkraftmeßzahl nach § 7ΙΠ FAG ist daher gleich zweifacher Kritik ausgesetzt199. Neben der Berücksichtigung von Sonderbedarfen bei der Ausgleichsmeßzahl ergibt sich im Rahmen des sekundären horizontalen Ausgleiches femer die Möglichkeit, sie erst nach der Ermittlung der Meßzahlen in die eigentliche Ausgleichsberechnung einzustellen. Systematisch ist diese Plazierung jedoch unsauber. In der Ausgleichsberechnung stehen sich Haben und Soll bereits gegenüber und werden in einem aufwendigen Verfahren nach § 10 FAG angemessen200 i. S. v. Art. 107 II S. 1 1. HS GG aufeinander abgestimmt. Die Einbeziehung von Sonderbedarfen ist also vor der Gegenüberstellung von Finanzkraft- und Ausgleichsmeßzahl vorzunehmen. Im sekundären horizontalen Finanzausgleich ergeben sich aus einer Neugliederung nur dann für das neue Land Konsequenzen, wenn mindestens eines der untergehenden Länder bisher einen Sonderbedarf geltend machen konnte. Dabei ist danach zu differenzieren, ob der Sonderbedarf dem Grunde nach weggefallen ist oder ob er trotz der Neugliederung weiterhin besteht. Geht es also um den Ausgleich der Seehafenlasten, ergeben sich für das neue Land keine Veränderungen. Gegenüber den übrigen Bundesländern kann auch dieses im Finanzausgleich die aus dem zu unterhaltenden Seehafen resultierenden Spillover-Effekte geltend machen. Anders liegt der Fall hingegen, wenn ein Stadtstaat, das heißt die Privilegierung bei der Einwohnerwertung betroffen ist. Diese entfällt durch eine Neugliederung des Stadtstaates mit dem ihn umgebenden Flächenland dem Grunde nach. Ihr Fortbestehen könnte zudem dazu führen, daß auch andere Länder für ihre Großstädte eine entsprechende, ohnehin fragwürdige Einwohnerwertung einfordern würden.
(3) Änderungen im Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen Leistungsschwachen Ländern können nach Art. 107 I I S. 3 GG zur „ergänzenden" Deckung in dem Finanzausgleichsgesetz Ergänzungszuweisungen gewährt werden. Die Bundesergänzungszuweisungen haben distributiven Charakter 201 und verhelfen 199 In diesem Zusammenhang hat Peffekoven, Berücksichtigung der Seehafenlasten im Länderfinanzausgleich?, in: FA n.F. 46 (1988), S. 397 (401) exemplarisch für 1986 vorgeführt, daß sich bei einer derartigen Vermischung von Relationen und absoluten Beträgen der Ausgleich in sein Gegenteil verkehren kann: Seinerzeit wurde die Seehafenlast für Hamburg mit 55 Mio. DM, für Bremen mit 25 Mio. DM und für Niedersachsen mit 18 Mio. D M in die Finanzkraftmeßzahl eingestellt. Als Folge hieraus ergab sich gegenüber derfiktiven Nichtberücksichtigung der Seehafenlasten für Hamburg ein Einnahmenplus i. H. v. nur 34,7 Mio. DM, für Bremen i. Η. v. 23,8 Mio. DM und Niedersachsen hatte sogar ein Negativsaldo i. H. v. 3,8 Mio. D M zu verbuchen. 200 Zum Begriff der Angemessenheit des Art. 107 II S. 1 1. HS GG umfassend Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.613ff.; ferner Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 233ff.; Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S.80ff. 201 Wahrend Allokationsaspekte bezogen auf den Staat auf die effiziente und optimale Bereitstellung eines öffentlichen Gutes abzielen, geht es dem Distributionsziel darum, „daß aus übergeordneten, politisch festgelegten Gründen sozialer Gerechtigkeit Einkommen und Vermögen zwischen einzelnen Personen umverteilt, aber auch Chancen auf bestimmte Güter zu-
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1. Kap.: Grundlagen
den Empfängerländern zur nötigenfinanziellen Unabhängigkeit, um ihre Aufgaben angemessen bewältigen zu können202. Diese vierte Stufe gibt dem Bund damit die Möglichkeit, durch Ergänzungszuweisungen gemäß Art. 107 I I S. 3 GG noch verbleibende Unausgewogenheiten abzugleichen203. Nach der breitenwirksamen Feinabstufung der dritten Stufe ermöglicht Art. 107 Π S. 3 GG eine abschließende landesspezifische Berücksichtigung von distributiv begründeten Sonderbedarfen. Subsidiär zu den vorherigen Stufen des Bund-Länder-Finanzausgleiches kann der umverteilende vertikale Ausgleich jedoch nur Sonderbedarfe berücksichtigen, die nicht bereits an anderer Stelle des Finanzausgleiches Eingang gefunden haben204. Zu denken ist daher an Sonderbedarfe, die nicht dem Ausgleich von Spillover-Effekten dienen, sondern auf Strukturschwächen beruhen und ebenfalls nicht die Folge politischer Entscheidungen sind. Sofern einem oder mehreren der Ursprungsländer Ergänzungszuweisungen zugeflossen sind, besteht möglicherweise auch bei dem neugegliederten Land ein Bedürfnis hierauf. Denn wenn der Grund der Zuweisungen „der enorme infrastrukturelle Nachholbedarf der neuen Länder" nach § 11IV FAG ist205 oder seine Ursache in einer Haushaltsnotlage nach § 11 V I FAG begründet liegt, wird sie regelmäßig nicht durch die Neugliederung selbst behoben. Vielmehr ist die Neugliederung eine erleichternde Voraussetzung für eine konsolidierende Restrukturierung. Nur dann - was kaum anzunehmen ist - wenn das neue Land aufgrund der Finanzkraft der zusammengehenden Länder so stark ist, daß es eine etwaige Haushaltsnotlage des oder der fusionierenden notleidenden Länder selbständig tragen kann, erübrigt sich jedenfalls die Bundesergänzungszuweisung nach § 11 V I FAG für das betroffene Land. Soweit jedoch der konkrete Grund der Zuweisung tatsächlich durch die Neugliederung entfallen ist oder in absehbarer Zeit entfällt, gibt es für eine Fortsetzung der jeweiligen Bundesergänzungszuweisung keinen Anlaß. Das wäre der Fall bei den gegenwärtig gemäß § 11 ΠΙ FAG gewährten Ergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlicher Kosten politischer Führung und der zentralen Verwaltung in den dort genannten kleinen Ländern. Schließen sich mehrere Länder zu einem zusammen, entfällt die ohnehinfragwürdige 206materielle Rechtfertigung. Denn sofern die geteilt werden", Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, S.216ff.; sich wegen der Unbestimmtheit der Begriffe „Gerechtigkeit" und „soziale Erfordernisse" auf das Spezifikum der staatlichen Umverteilung beschränkend: Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 1997, S. 71 ff. 202 Vgl. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen des Länderfinanzausgleichs gem. Art. 107 II GG, 1984, S.110. 203 Vgl. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 118 ff.; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.645ff.; BVerfGE 72, 330 (402f.); 86, 148 (261). 204 Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.644, 649. 205 Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 121; Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.657. 206 So kommt Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.656, zu dem Ergebnis, daß „die Zuweisungen gemäß § 11 III FAG den Eindruck [vermitteln], unter dem
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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Zuweisungen nach § 11 ΠΙ FAG mit besonderen Ausgabenlasten, die auf der Kleinheit leistungsschwacher und daher zu unterstützender Länder beruhen, gerechtfertigt werden, ist dieser Grund mit einer Neugliederung bei den betroffenen Ländern weggefallen. Die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit gemäß Art. 291S. 2 GG zwingt dazu, durch eine Neugliederung Länder zu schaffen, deren Administration ihrer Art und Ausgestaltung nach keine besonders auszugleichenden Sonderbedarfe hervorruft. § 11 V FAG gewährt denfinanzschwachen unter den alten Bundesländern einen Ausgleich überproportionaler Belastungen mit der Begründung, daß für sie aufgrund der Einbeziehung der jungen Bundesländer sowie Berlins in den Finanzausgleich die bisherigen Fehlbetrags-Bundeseigänzungszuweisungen gemäß § 11 Π FAG in erheblichem Maße wegfielen. Es geht um einen Ausgleich, der in einem Minus aus dem Finanzausgleich begründet ist. Der teilweise Wegfall der Fehlbetragsergänzungszuweisungen bedeutet jedoch für die allein dort aufgeführten alten Bundesländer - auch diefinanzschwachen unter ihnen - eine „Ausprägung der bundesstaatlichen Solidarpflicht" gegenüber den jungen Bundesländern, die einen Sonderbedarf nicht begründen kann207. Ihre Einstellung in den Finanzausgleich, selbst als neuerliche Fehlbetragsergänzungszuweisung, ist, wie schon die Zuweisungen nach § 11ΠΙ FAG, fragwürdig 208. Dasselbe träfe zu, wenn sich eines oder mehrere nach § 11V FAG unterstützte Länder neugliedern würden. Fusionieren ein Stadt- und ein Flächenstaat, kann dies zudem merkliche Folgen auf den allgemeinen Finanzkraftausgleich nach § 11Π FAG haben. Denn durch den Wegfall des Stadtstaatenprivileges reduziert sich die Ausgleichsmeßzahl im Länderfinanzausgleich 209, so daß infolgedessen der Tatbestand des § 11Π FAG möglicherweise für das neue Land im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht mehr beziehungsweise nicht länger in der bisherigen Höhe einschlägig ist.
Mantel des Sonderbedarfsausgleichs tatsächlich eine allgemeine Finanzkraftanhebung zu betreiben", welche anders als der Ausgleich von Sonderbedarfen dem „Verbot der Finanzkraftnivellierung und der Vertauschung der Finanzkraftreihenfolge" unterliegt; femer Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S. 121 f. 207 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 678; vgl. auch BVerfGE 1,117 (131): „Das bundesstaatliche Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Eine dieser Pflichten besteht darin, daß die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben." 208 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.678 f.; ebenfalls kritisch zu den Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 V FAG siehe Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 286ff. 209 Vgl. oben 1. Kapitel Β. II. 3. a) (2).
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1. Kap.: Grundlagen
b) Grundsatzüberlegungen für die Übergangsregelungen neugliederungsbedingt entfallender Finanzmittel Die Neugliederung insbesonderefinanzschwacher Länder wie Berlin und Brandenburg verwandelt sie nicht in einer juristischen Sekunde zu einem Land mit einer eigenen Finanzkraft, die seinen Aufgaben entspricht. Im Gegenteil: bislang am Tropf des Finanzausgleiches oder anderer Drittmittel hängend, wird es bei Fortwirken der bestehendenfinanzrechtlichen Bestimmungen unvermittelt der von dort fließenden Mittel beraubt, so daß eine Stabilisierung derfinanziellen Lage des oder der neu entstandenen Länder - auch wenn langfristig neugliederungsspezifische Konsolidierungen zu erwarten sind - behindert wird. Die weggebrochenen Finanzmittel müßten zunächst durch Kredite ersetzt werden, bis die Ausgaben entsprechend reduziert worden wären. Die daraus resultierenden steigenden Zinslasten würden die Haushaltsdefizite erhöhen statt reduzieren und eine Konsolidierung erschweren oder sogar vereiteln. Die Neugliederung ginge ins Leere. Neugliederungsziel ist die Schaffung von Ländern, die sofinanzstark sind, daß sie auf Drittmittel tunlichst nicht angewiesen sind210. Mittelbare Folge einer Neugliederung soll die Entlastung des Bund-Länder-Finanzausgleiches sein. Diese Ziele lassen sich jedoch nur erreichen, wenn für den Abbau bisher an die betroffenen Länder gewährleisteter Finanzmittel, die nicht ihrer eigenen Finanzkraft entstammen, in dem neuzugliedernden Land anfangs Finanzmittel in vergleichbarer Höhe zur Verfügung gestellt werden, wie sie an die sich neugliedernden Länder geleistet wurden. Erst in einem zweiten Schritt, für den ein Zeitrahmen vorzugeben ist, sind überleitende Finanzmittel stufenweise in der Höhe abzubauen, in der sie unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Situation durch Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen in dem neuen Land voraussichtlich entbehrlich werden. Das ergibt sich zum einen verfassungsrechtlich aus dem nach Art. 291 S. 1 GG vorgegebenen Neugliederungsziel der Schaffung leistungsfähiger Länder. Zum anderen aber gebietet es die Praxis: Kein Land wird auf eine Neugliederung hinwirken, die esfinanziell in eine zuvor nicht vorhandene Schieflage bringt. Jede Neugliederung ist daher von einer Überprüfung derfinanzrechtlichen Bestimmungen, die auf die betroffenen Länder einwirken, begleitet. Gegebenenfalls sind die Regelungen den Umständen anzupassen. Soweit die Entscheidung über die Vergabe vonfinanziellen Zuwendungen im Rahmen des Finanzausgleiches ganz oder teilweise im Ermessen des Bundes steht, wirkt Art. 291 GG indes nicht ermessensreduzierend dahin, daß derfinanzielle status quo für das neue Land soweit aufrecht zu erhalten wäre und nur in angemessenen Schritten abgebaut werden dürfte, als dies für die Schaffung eines leistungsfähigen Landes erforderlich wäre. Das würde nur dann gelten, wenn ein zwingender Neugliederungsauftrag bestünde. Dann müßte neugegliedert werden, wobei die Grundlage für ein leistungsfähiges Land geschaffen werden müßte. Die Möglichkeit der Neugliederung ist jedoch fakultativ und besteht gleichwertig neben der Möglich210
Siehe oben 1. Kapitel B.II, vor 1., 1.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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keit, den Ländern allein über den Finanzausgleich die notwendigen Mittel zukommen zu lassen, die es für die angemessene Erfüllung seiner Aufgaben benötigt211. Wird eine Neugliederung in Angriff genommen, liegt es - bei einer Neugliederung durch Ländervereinbarung - allein an den Bemühungen der sich neugliedernden Länder, die von Art. 291 GG geforderte Leistungsfähigkeit des zukünftigen Landes zu sichern. Sie haben entsprechende Verhandlungen zu führen, bei denen der Bund und die übrigen Länder mit Blick auf die langfristig mögliche Entlastung des Finanzausgleiches die Ansprechpartner sind. Allerdings ist der Bund-Länder-Finanzausgleich zum materiellen Verfassungsrecht akzessorisch, d. h. er muß ohnehin mit Blick auf den jeweiligen verfassungsrechtlichen status quo der Länder deren angemessene Aufgabenerfüllung gewährleisten212. Für eine Neugliederung folgt hieraus nach dogmatisch folgerichtigem Ablauf, daß als erstes die Neugliederung als neu entstehender finanzverfassungsrechtlich relevanter status quo zu planen ist und erst im weiteren die Anpassungen im Finanzausgleich der Neugliederung als Annex folgen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß bereits in die Planung der Neugliederung deren Auswirkungen auf den Finanzausgleich nach Art. 291 GG einzustellen sind, da das neue Land nach Möglichkeit eine den verbleibenden Ländern angenäherte Leistungsfähigkeit mitbringen soll213. Dies erfordert auch einen Blick auf das voraussichtliche Zusammenspiel des neuen Landes mit den übrigen im Finanzausgleich214. Daher sind bei einer Neugliederung die hierfür voraussichtlich erforderlichen Anpassungen im Finanzausgleich vor ihrer Durchführung, d. h. bereits während der Planung des Vorhabens auszuhandeln. Die sich neugliedernden Länder dürfen sich nicht des unausweichlichen Zwangs des Faktischen bedienen und der Neugliederung die dann notwendigen Modifikationen des Finanzausgleiches - äußerstenfalls Bundesergänzungszuweisungen wegen eines notleidenden Haushaltes des neuen Landes - folgen lassen. Nur so läßt sich die Leistungsfähigkeit des neuen Landes, wie es Art. 29 I GG als materielles Verfassungsrecht verlangt, auch unter finanziellen Aspekten bestmöglich verwirklichen 215. Außerdem würde anderenfalls die finanzielle Situation des neugegliederten Landes im Nachhinein über die Akzessorietät des Finanzausgleiches möglicherweise faktische Übergangsregelungen erzwingen, auf die die sich noch im Neugliederungsprozeß befindlichen Länder keinen Anspruch gehabt hätten. 211
Siehe hierzu unten 1. Kapitel E.II.4. Vgl. nur Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.87ff. 213 Siehe oben 1. Kapitel B.II. 1. 214 Vgl. etwa die Erarbeitung von Neugliederungsmöglichkeiten mit Blick auf den Finanzausgleich von Wiek, Der Finanzausgleich und die Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1971,109 (112ff.). 215 Die Akzessorietät der Finanzverfassung gegenüber der übrigen materiellen Verfassung bleibt also unberührt. Davon losgelöst muß der Finanzausgleich nach der Neugliederung die angemessene Finanzausstattung des neuen Landes - selbst wenn die zuvor erarbeiteten Übergangsregelungen nicht greifen - aufgrund seiner Akzessorietät in jedem Falle gewährleisten. 212
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1. Kap.: Grundlagen
Fraglich ist allerdings, auf welche Weise die notwendigen Kompensationen gewährt werden können. Sind sie im Länderfinanzausgleich selbst zu verorten oder sind sie vertikal als Bundeszuweisungen zu gestalten? In Betracht kommen etwa Bundesergänzungszuweisungen, Finanzhilfen nach Art. 104 a IV GG oder Bundeshilfen de lege ferenda nach dem Vorbild des Art. 106 a GG. Für die Verwirklichung der Übergangsregelungen sind unter den in Betracht kommenden Anknüpfungspunkten die zweckmäßigsten und geeignetsten zu auszuwählen. Es sind Lösungen auf der einfachgesetzlichen Ebene zu suchen, die keine - vergleichsweise aufwendige - Änderung der Finanzverfassung mit sich bringen. Erst wenn sich dort keine oder nur unzureichende Modifikationsmöglichkeiten finden, sollte die Verfassungsebene in die Erwägungen einbezogen werden. Für die aufgrund einer Neugliederung wegfallenden Finanzmittel stellt sich damit die Frage, ob diese als Sonderbedarf für das neue Land in den Finanzausgleich eingestellt werden könnten, und gegebenenfalls, an welcher Stelle dieser - oder aber auch andere - etwaige neugliederungsbedingte Sonderbedarfe in den Finanzausgleich einfließen sollten. Durch eine Neugliederung können zwei Arten von Mehraufwendungen entstehen: einmal die durch die Umstrukturierung und Verschmelzung mehrerer Apparate der allgemeinen Verwaltung entstehenden Aufwendungen. Sie treten allein bei dem neuen Land auf und dienen im wesentlichen den eigenen Einwohnern, die in den Genuß einer schlankeren, moderneren und bürgernäheren Verwaltung kommen. Auch gewinnt das neue Land gegenüber den übrigen Ländern, die ebenfalls vor der Aufgabe stehen, ihre Verwaltungen effizienter zu gestalten, einen bedeutenden Vorsprung216. Die Geltendmachung der damit verbundenen Aufwendungen erscheint nicht gerechtfertigt. Gleichwohl könnte erwogen werden, dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der Finanzausgleich durch die Neugliederung entlastet wird 217. Damit ist die zweitefinanzielle Belastung für das neue Land angesprochen: Sofern seine Einbeziehung in den Finanzausgleich ihm im Vergleich zu der Summe der Einnahmen der neugegliederten Länder absolut ein Minus an Einnahmen erbringt, sind dies aus der Sicht des neuen Landes zunächst Finanzmittelverluste, die es für die Neugliederung aufbringen müßte. Diese Mindereinnahmen rechtfertigen sich jedoch nur in dem Maße, wie das neue Land durch die Neugliederung im Laufe der Zeit Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen realisieren kann. Das ergibt sich schon aus dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Ziel einer Neugliederung. Auch kommen sie den verbleibenden Ländern zugute. 216 Zur Verwaltungsstrukturreform etwa in Mecklenburg-Vorpommern siehe Wallerath (Hrsg.), Administrative Strukturen und Verwaltungseffizienz, 1998, passim; s.a. Hoesch; Probleme des Verwaltungsaufbaus in den neuen Ländern, in: DtZ 1992,139ff. 217 Zwar tritt ein neues Land als Rechtsnachfolger zunächst in die Rechte und Pflichten seiner Ursprungsländer im Finanzausgleich ein. Es ist allerdings davon auszugehen, daß das FAG auf die neue Situation umgehend angepaßt würde, d.h. ein etwa bislang bestehendes Stadtstaatenprivileg oder Sonderbedarfsmittel für hohe Kosten politischer Führung ganz oder teilweise entfallen würden, obgleich die Aufgaben und die damit verbundenen Kosten in teilweise erheblichem Umfang weiterhin bestünden.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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Indes kann diesen Mindereinnahmen nicht der Status von im Finanzausgleich berücksichtigungsfähigen Sonderbedarfen zugesprochen werden. Bei den im Finanzausgleich wegfallenden kompensationsbedürftigen Finanzmitteln handelt es sich bei einer Neugliederung mittels Ländervereinbarung aus der Sicht des neuen Landes um Bedarfe, die aus einer eigenverantwortlichen politischen Entscheidung der betroffenen Länder entstehen. Ihre Geltendmachung ist weder im Länderfinanzausgleich noch bei den Bundesergänzungszuweisung zulässig. Zu denken wäre daher an eine übergangsweise Kompensation der wegfallenden Finanzmittel entweder bei Art. 104a GG oder de lege ferenda nach dem Vorbild des Art. 106a GG. Bei der Ermittlung des angemessenen Standortes von Kompensationsregelungen ist jedoch ein weiteres zu beachten: ihr Übergangscharakter. Es handelt sich nicht um zeitlich unbegrenzt festgelegte Zuweisungen, die auf Dauer auch für andere Länder zugänglich gemacht werden sollen. Vielmehr sollen sie allein die Überführung der Ausgangssituation in einen neuen Zustand ermöglichen. Eine Übergangsregelung zeichnet sich dadurch aus, daß sie bestehende Mittelzuweisungen in der Weise verträglich abbaut, daß die mit der neuen Situation zu erwartenden Synergie- und Konsolidierungseffekte die geringer werdenden Finanzmittel entsprechend kompensieren können. Von daher liegt es nahe, auf die einfachste Möglichkeit einer Übergangsregelung zurückzugreifen: die bestehenden Mittel regelungstechnisch nicht ad hoc wegfallen zu lassen und durch anderweitig verortete Mittel auszugleichen, sondern sie weiterhin nach ihrer Qualität und ihrem Standort weiterhin bestehen zu lassen und nur ihrer Höhe nach schrittweise zu reduzieren. Bezogen auf die dadurch im Bund-Länder-Finanzausgleich eingestellten Zuwendungen ist dieses Vorgehen zwar aus dogmatischem Blickwinkel unkorrekt. Es erhält seine Rechtfertigung jedoch aus seinem Übergangscharakter. c) Entbehrlichkeit verfassungsrechtlicher Finanzausgleichs-Übergangsbestimmung Damit steht überdies fest, daß sich neugliederungsbedingte Finanzmittelverluste im Finanzausgleich ohne eine ungleich aufwendigere Änderung der Finanzverfassung in dem einfachgesetzlich geregelten Finanzausgleich auffangen lassen. Die Erwägungen von Häde, daß mangels Einschlägigkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzipes - die Länder seien gegenüber dem Bund nicht zur Neugliederung verpflichtet, so daß dieser umgekehrt keine Übergangsregelung bereitstellen müsse - eine „Ermächtigung im Grundgesetz angeraten" sei218, gehen ins Leere. Art. 291 GG verpflichtet bei einer Neugliederung durch Ländervereinbarung in der Tat die sich neugliedernden Länder und nicht den Bund, die Leistungsfähigkeit des neuen Landes zu gewährleisten und entsprechende Verhandlungen zu führen. Auf der anderen Seite werden der Bund und die verbleibenden Länder nur dann einer Übeigangsregelung zustimmen, wenn sie jeweils ihre eigenen Interessen gewahrt sehen. Es kommt 218
Häde, Finanzausgleich, 1996, S.293.
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1. Kap.: Grundlagen
auf finanzrechtlicher Ebene zu einer von Art. 291 GG geforderten Einbeziehung sowohl der Bundesinteressen als auch der des neuzugliedernden Landes. Die finanztechnischen Voraussetzungenfinden erst dann eine Billigung, wenn die Neugliederung -finanzausgleichsspezifisch - sowohl auf Bundesebene als auch auf Länderebene langfristigen Nutzen erwarten läßt. Dieser intensive Interessenausgleich entfiele, würden der Bund und die verbleibenden Länder verfassungsrechtlich zu einer Übergangsregelung verpflichtet sein. Eine solche grundgesetzliche Bestimmung liefe im Ergebnis dem Neugliederungsziel des Art. 291 GG entgegen. Wegen dieses sich aus Art. 291 GG ergebenden umfassenden Interessenausgleiches sind auch entgegen Kesper gerade nicht „verfassungsrechtliche Garantien notwendig, die verhindern, daß die eher langfristig zu erwartenden sachlichen und finanzwirtschaftlichen Vorteile der Neugliederung von kurzfristigen finanziellen Interessen in den Hintergrund gedrängt werden."219 Die Argumentation von Kesper, weil für eine Neugliederung einefinanzausgleichsrechtliche Übergangsregelung erforderlich sei, müsse diese - schon um das Verfahren zu erleichtern - verfassungsrechtlich zugesichert sein220, ist keineswegs zwingend. Selbst wenn das Grundgesetzfinanzausgleichsrechtliche Übergangsregelungen für den Fall einer Neugliederung bereithalten würde, müßten diese im Einzelfall konkretisiert werden. Verhandlungen um finanzielle Übergangsbestimmungen im Neugliederungsfall zwischen denfinanziell Betroffenen - Bund und Ländern - würde eine verfassungsrechtliche Bestimmung wegen ihrer nötigen Abstraktheit nicht umgehen. Es wäre auch hier allenfalls in Erwägung zu ziehen, etwaige Übergangsbestimmungen von dem Finanzausgleich abzulösen und sie verfassungsrechtlich in Anlehnung an die Finanzhilfen nach Art. 104 a IV GG oder als Bundeszuschuß entsprechend Art. 106 a GG dem Bund zu überantworten. Damit entfielen zwar Verhandlungen über unmittelbarefinanzausgleichsrechtliche Übergangsbestimmungen. Gleichwohl wäre nicht auszuschließen, daß sich der Bund bemühen würde, die anfallenden Kosten - jedenfalls in Teilen - über eine Neuverhandlung des Finanzausgleiches, etwa der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern, zu kompensieren. Überdies bliebe auch eine solche verfassungsrechtliche Regelung in einer Abstraktheit, die die Aushandlung konkreter Übergangsbestimmungen zwischen den sich 219 Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung 1998, S. 382. Daß bei einer solchen verfassungsrechtlichen Übelgangsbestimmung eine „Übergangsphase von ca. zehn bis höchstens fünfzehn Jahren angemessen" sei, bleibt unbegründet und muß unbegründet bleiben. Zur Verdeutlichung sei nur an die irrigen Annahmen erinnert, die wirtschaftliche Angleichung der fünf neuen Bundesländer an das Niveau der alten sei innerhalb von kurzer Zeit zu bewerkstelligen, vgl. Lorenz, Konsequenzen für den deutschen Außenhandel aus der Integration West- und Ostdeutschlands, in: Gröner/Kantzenbach/Mayer (Hrsg.); Wirtschaftspolitische Probleme der Integration der ehemaligen DDR in die Bundesrepublik, 1991, S.245 (267); Muszynski, Zusammenwachsen durch Abwickeln, in: ders. (Hrsg.), Deutsche Vereinigung, 1991, S.9f. Allein daran zeigt sich die Schwäche einer abstrakten verfassungsrechtlichen Übergangsregelung: der Übergangszeitraum sowie die weiteren Einzelheiten sind auf den Einzelfall zu konkretisieren und entziehen sich jeder Generalisierung. 220 Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, 1998, S.284.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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neugliedernden Ländern und dem Bund verlangte. Für die von der Neugliederung betroffenen Länder wäre nichts gewonnen. Mit einer - gegenüber einer einfachgesetzlichen Lösung221 ohnehin vergleichsweise aufwendigen - verfassungsrechtlichen Übergangsregelung würde das Grundgesetz unnötig um eine Bestimmung erweitert werden, deren Inhalt sich bereits aus Art. 291 GG in ausdifferenzierter Form ergibt. d) Außerhalb des Finanzausgleiches stehende Finanzmittel Neben dem Finanzausgleich stellt der Bund weitere Finanzmittel zur Verfügung. Aber auch die EU hat Förderprogramme. Für ein neuzugliederndes Land ist daher zu klären, ob und inwieweit sich gegebenenfalls die Höhe dieser Zuwendungen gegenüber den untergehenden Ländern ändert und ob die voraussichtlichen Änderungen die Entstehung einesfinanziell auf eigenen Beinen stehenden Landes gefährdet. Das gebietet Art. 291 GG. Bei den anderweitigen Zuweisungen des Bundes und denen der EU handelt es sich um überwiegend zweckgebundene Finanzmittel, die die Leistungsfähigkeit eines Landes stärken sollen. Soweit ihr Grund nicht weggefallen ist, steht daher zu erwarten, daß sie weiterhin gewährt werden222. Ein differenzierendes Augenmerk gilt daher raumspezifischen Verteilungskriterien, die sich an Ländergrenzen festmachen. Die Aufrechterhaltung von Bundesfördermitteln und solchen der EU, die regionsspezifisch unabhängig von Ländergrenzen - etwa nach der Einwohnerzahl - zugewiesen werden, bringt voraussichtlich keine Schwierigkeiten mit sich. Ihre Angleichung erfolgt in Abhängigkeit der wirtschaftlichen Lage einer Region in dem Maße, wie das neue Land die Steigerung seiner Leistungsstärke in allen Landesteilen zu fördern vermag. Entsprechendes gilt für programm- oder projektbezogene Förderungen, die ebenfalls losgelöst von Landes- oder sogar von Staatsgrenzen eingesetzt werden. Dagegen nimmt sich die Behandlung solcher Mittel, die unmittelbar an finanzoder wirtschaftsspezifische Parameter eines Landes gekoppelt sind, problematischer aus. Die Schwierigkeit stellt sich insbesondere dann, wenn sich ungleich wirtschaftsundfinanzkräftige Länder neugliedern. Ausschlaggebend für die fortgesetzte Forderung sind nunmehr die Daten des neuen Landes, die sich aus den Ausgangsdaten der vormaligen Länder zusammensetzen. Für das neue Land kann dies einen Verlust von Fördermitteln zur Folge haben, wenn es Fördergrenzwerte, die zuvor einzelne sich neugliedernde Länder erreichten, nicht oder nicht in der ursprünglichen Höhe einhält. In erforderlichem Umfang ist nach Kompensationsmöglichkeiten zu suchen. 221
Siehe oben 1. Kapitel B.II.3.b). Dabei muß gewahr bleiben, daß es sich um politische Entscheidungen handelt, so daß sich aus der Natur der Sache ein gewisse Unwägsamkeit ergibt, die jedoch unabhängig von einer Neugliederung besteht. 222
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1. Kap.: Grundlagen
Die Frage, ob es sich um Aufwendungen handelt, die als Sonderbedarfe auf der horizontalen umverteilenden Stufe oder als Bundesergänzungszuweisungen auf der vertikalen umverteilenden Stufe Eingangfinden können, ist zu verneinen, da sie aus einer eigenverantwortlichen politischen Entscheidung herrühren 223. Die außerhalb des Finanzausgleiches wegfallenden Drittmittel zeichnen sich zudem dadurch aus, daß sie für die vormaligen Länder nicht für ihre angemessene Finanzausstattung erforderlich waren. Gegenüber den Mitteln aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich - der bereits die angemessene Finanzausstattung aller Länder gewährleistet - stellen sie quasi eine „Luxusausstattung" dar, die auf eine Strukturverbesserung abzielt. Ihr Ausfall berührt die angemessene Finanzausstattung des neuen Landes im Sinne des Finanzausgleiches nicht. Damit verbleiben die außerhalb des Finanzausgleich bestehenden Zuweisungsmöglichkeiten, die sich dem Bund eröffnen: Finanzhilfen nach Art. 104 a IV GG sowie Bundeszuschüsse de lege ferenda nach dem Vorbild des Art. 106 a GG. Hier eröffnet sich dem Bund sowie den sich neugliedernden Ländern Verhandlungsspielraum. In Abhängigkeit von dem bisherigen und dem sich daraus ergebenden zukünftigen Grund der Zuwendungen kann sich der Bund dieser Mittel bedienen. Da es sich hierbei um fakultative, außerordentliche Zuwendungen handelt, ist zu erwarten, daß der Bund von den sie einfordernden Ländern den strengen Nachweis der Erforderlichkeit für das Neugliederungsvorhaben verlangen wird. Der sich bei den Neuverhandlungen des Finanzausgleichs ergebende Interessenausgleich läßt indes auch hier in entsprechender Weise für die Beteiligten befriedigende Ergebnisse im Rahmen eines Gesamtpaketes erwarten. 4. Interne Finanzregelungen eines fusionierten Landes: Kompensation neugliederungsbedingter Verluste im kommunalen Finanzausgleich und durch gemeindliche Kreditaufnahme? In einem weiteren Schritt sind mit Rücksicht auf die - gegebenenfalls neugeordneten - externen Finanzströme internefinanzielle Ausgleichsregelungen für das neue Land zu finden. Die unterschiedlichen Landes- und Kommunalhaushalte der sich neugliedernden Länder müssen miteinander verschmolzen und in Einklang gebracht werden. Bei einer Neugliederung durch Ländervereinbarung stoßen dabei die Interessen der beteiligten Länder unmittelbar aufeinander. Das ist unproblematisch, soweit sich strukturell, wirtschaftlich undfinanziell weitgehend gleichwertige Länder neugliedern. Schließen sich jedoch sehr ungleiche Länder wie der brandenburgische Flächen- und der Berliner Stadtstaat zusammen, biigt das Neugliederungsvorhaben ein hohes Konfliktpotential: Unter möglichster Wahrung des eigenen Besitzstandes ist jede Seite bestrebt, die eigenen Lasten und Verpflichtungen abzuwälzen. Es besteht die Gefahr, daß der faktische status quo aufrecht erhalten bleibt. Bald unter einem Dach verschmolzen, sind die sich neugliedernden Länder bestrebt, ihre zukünf223
Vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.(2).
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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tigenfinanziellen Beziehungen in einer Weise zu regeln, daß ihre Haushalte im Ergebnis keine auf einer landesinternen Regelung beruhende Verschlechterung erfahren. Nur unter dieser Bedingung werden sich Länder überhaupt zu einer Neugliederung bereitfinden. Die Erwartungen an eine Neugliederung dürfen daher an dieser Stelle nicht überzogen sein. Eine Neugliederung bringt keine umverteilende Stärkung der Finanzkraft aller Teile des neuen Landes mit Sofortwirkung. Doch sie ist Voraussetzung für die Erzielung umfassender Synergieeffekte in vielen Bereichen, die erst im Laufe der Zeit die zusammengehenden Finanzhaushalte auch materiell miteinander verschmelzen läßt, so daß Effizienzsteigerungen wirksam werden. Finden sich ein Flächen- und ein Stadtstaat zu einer Neugliederung zusammen, bedürfen Landes- und Kommunalebene in außergewöhnlicher Weise der Neuordnung: Grundsätzlich gehen die stadtstaatlichen Landesaufgaben, -einnahmen und -ausgaben auf die Landesebene des neuen Landes über und die stadtstaatlichen Kommunalaufgaben, -einnahmen und -ausgaben verbleiben der Stadt. Ähnlich dem vielschichtigen Bund-Länder-Finanzausgleich liegen die kommunalen Finanzquellen auf mehreren Ebenen, auf die sich eine Neugliederung unterschiedlich auswirken kann: Die kommunalen Einnahmen aus Gebühren und Beiträgen sind aufgrund ihres geringenfinanziellen Volumens224 sowie ihres Zweckes, die Kosten eines konkreten Verwaltungsvorganges jedenfalls teilweise abzugleichen225, neugliederungsunempfindlich beziehungsweise nicht geeignet, neugliederungsbedingten Finanzbedarf aufzufangen. Darüber hinaus erhalten die Gemeinden eigene Steuererträge 226 sowie Ausgleichszahlungen aus dem kommunalen Finanzausgleich i.e.S. Für diese Finanzströme können mit der neugliederungsbedingten Einbettung eines vormaligen Stadtstaates in die bestehenden kommunalen Strukturen des ihn umgebenden Flächenstaates erhebliche Änderungen verbunden sein. Nach Art. 106 III S. 1, V S. 1 GG erhalten die Gemeinden vorab einen einfachgesetzlich zu bestimmenden Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer. Auf der Grundlage der Einkommensteuerleistungen der Gemeindeeinwohner leiten die Länder diesen Anteil an ihre Gemeinden weiter. Die Beteiligung der Gemein224 1994 machten die Einnahmen aus Gebühren, Beiträgen und ähnlichen Entgelten in den Kommunen der alten Bundesländer etwa 15 v. H. der Gesamteinnahmen aus, vgl. Döring/Geppert! Η orni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.203. 223 Vgl. etwa Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 61 ff. Rn. 164ff.: „Die Kommunen sollen einerseits durch die Gebühr nicht mehr einnehmen dürfen als die Leistungserbringung an effektiven Kosten verursacht hat, und andererseits soll die Gebühr in der Regel die entstandenen Kosten decken." Femer BVerfGE 20,257 (270). 226 Auf die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern gemäß Art. 106 V I S. 1 2. HS GG wird hier nicht eingegangen, da sie selbst keinen neugliederungsspezifischen Änderungen ausgesetzt sind oder aber wegen ihres jeweils relativ geringfügigen Umfanges nicht geeignet sind, auf kommunaler Ebene anfallende Neugliederungskosten aufzufangen, vgl. zu den einzelnen Steuerarten Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.41ff. Rn. 103ff.
5 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
den an der Lohn- sowie der veranlagten Einkommensteuer nach § 1 S. 1 GemFinanzRG227 i. H. v. 15 v. H. beträgt etwa 54 v. H. der kommunalen Steuerkraft 228. Bei Wahrung des Steuerkraftgefälles zwischen großen und kleinen Gemeinden wird die Steuerkraft von Gemeinden gleicher Größenordnung angeglichen. Im einzelnenrichtetsich die Verteilung des Gemeindeanteiles an dem Aufkommen der Einkommensteuer nach der Entwicklung, Streuung und den Höchstbeträgen der Einkommen in den jeweiligen Gemeinden. Nach § 81S. 2 FAG sind für die Anteile der Gemeinden an der Einkommensteuer die Feststellungen der Länder maßgebend. Sie setzen nach Maßgabe des § 3 GemFinanzRG den Verteilungsschlüssel fest, „der dem Anteil der Einkommensteuerleistungen der Einwohner in der jeweiligen Gemeinde an den gesamten Einkommensteuerleistungen in dem Bundesland entspricht."229 Die bei der Ermittlung des Verteilungsschlüssels zu berücksichtigenden Steuerleistungen werden gemäß § 31 S. 4 GemFinanzRG durch Einkommensobergrenzen - die Höchstbeträge - begrenzt230. Dies führt zu einer angleichenden Umverteilung des Aufkommens der Einkommensteuer unter den Gemeinden: Die Höchstbeträge lassen die über ihnen liegenden Steueraufkommen bei der Errechnung der Anteilsquote der jeweiligen Gemeinde unberücksichtigt. Für Gemeinden mit hohem Steueraufkommen - in der Regel große Gemeinden, etwa Großstädte - sind höhere Höchstbeträge günstiger als niedrige. Umgekehrt profitieren steuerschwache - zumeist kleine - Gemeinden von dem mit niedrigen Höchstbeträgen verbundenen Nivellierungseffekt 231. Aufgrund dieser nivellierenden Umverteilung können sich durch die Neugliederung eines einkommensteuerstarken Stadtstaates mit einem deutlich schwächeren Flächenstaat für ersteren erhebliche finanzielle Einbußen ergeben. Eine Kompensation dieser Verluste im Rahmen der Verteilung 227
Gesetz zur Neuordnung der Gemeindefinanzen (Gemeindefinanzreformgesetz) v. 8.9.1969, BGB1.I S. 1587 i.d.F. v. 6.2.1995 (BGB1.I S. 189) (BGBl. III 605-1), zul. geänd. durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform v. 29.10.1997 (BGBl. I S. 2590, 2597). 228 Vgl. die tabellarische Übersicht der gemeindlichen Steuerkraft 1990 nach Gemeindegrößen und Ländern bei Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 109. 229 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Stmkturforschung 147 (1993), S. 105; femer mit Rechenbeispiel Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.51 ff. Rn. 139ff. 230 Das Änderungsgesetz des Gemeindefinanzreformgesetzes v. 16.4.1997 (BGBl. I S. 790) hat die Höchstbeträge von 32.000 DM bei Nicht-Zusammenveranlagten und 64.000 DM bei Zusammenveranlagten auf 40.000 DM beziehungsweise 80.000DM heraufgesetzt. 231 Vgl. etwa die Modellrechnung der Auswirkung alternativer Höchstbeträge von zu versteuernden Einkommen nach Gemeindegrößeklassen bei Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 107; s.a. KarrenberglMünstermann, Gemeindefinanzbericht 1991, in: Der Städtetag n. F. 44 (1991), S. 116. - Bei steuerschwachen Gemeinden liegt die Steuerkraft unter 80 v. H. des Größenklassenunterschiedes, bei steuerstarken beträgt sie 120 v. H. und mehr, vgl. Vesper, aaO., S. 106.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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der kommunalen Finanzmittel kommt an zwei Stellen in Betracht: einmal durch die betroffenen Gemeinden selbst durch die Steuerung der Realsteuern232 mittels eines Hebesatzes233 und zum anderen durch den kommunalen Finanzausgleich i.e.S. Das Aufkommen der Realsteuern steht den Gemeinden nach Art. 106 V I S. 1,2 GG zu. Sie haben die Möglichkeit, im Rahmen der Landesgesetze Hebesätze auf diese Steuern festzusetzen. Derzeit bestehen nach § 3 Π AO zwei Realsteuern: die Gewerbesteuer und die Grundsteuer. Größere wirtschaftssteuernde und ihrem Volumen nachfinanzielle Bedeutung erlangt die Gewerbesteuer. Nach Abzug der Gewerbesteuerumlage gemäß Art. 106 V I S.4,5,6 GG i. V. m. § 6 GemFinanzRG234 macht sie etwa 33 v. H. der kommunalen Steuerkraft aus235. Das Hebesatzrecht auf die Gewerbesteuer eröffnet den Gemeinden einen Weg, ihre Einnahmen zu erhöhen. Finanzielle Verluste aus der Nivellierung bei der Verteilung des Gemeindeanteiles am Aufkommen der Einkommensteuer könnenfinanzstarke Gemeinden durch eine entsprechende Anhebung des Hebesatzes ausgleichen. Die Höhe des Hebesatzes auf die Gewerbesteuer hat aber noch eine weitere Wirkung: sie ist das steuerliche Mittel, mit dem die Gemeinden die Standortwahl der privaten Wirtschaftsbetriebe beeinflussen können. Bei gleichwertigen Standortfaktoren im übrigen wird sich ein Gewerbebetrieb in der Gemeinde mit dem niedrigeren Hebesatz, respektive den niedrigeren Gewerbesteuern niederlassen. Die großen und einkommensteuerstarken Gemeinden können daher den Hebesatz gegenüber den kleineren Umlandgemeinden nur soweit anheben, wie er aus der Sicht der Unternehmer die Standortvorteile der großen Gemeinde spiegelt236. Ob diese Mittel denfinanziellen Verlust aus der Nivellierung bei 232
Im Gegensatz zu Personalsteuem stellen Realsteuern „nicht auf die persönlichen Verhältnisse des Steuersubjekts ab, sondern belasten das ,Objekt'", Birk, in: AK-GG, Art. 106 Rn.41. 233 Mit dieser den Gemeinden in die Hände gegebenen Steuerungsmöglichkeit soll der verfassungsmäßige Grundsatz des kommunalen Selbstverwaltungsrechtes gemäß Art. 28 II GG gestärkt werden. 234 Siehe auch Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.35 Rn.78. 235 Vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 110. - Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer ist das Gewerbesteuergesetz v. 1.12.1936 (RGBl. I S.979) i.d.F. v. 21.3.1991 (BGBl.I S.814), zul. geänd. durch das Gesetz zur Umsetzung der EG-Einlagensicherungsrichtlinie und der EG-Anlegerentschädigungsrichtlinie v. 16.7.1998 (BGBl. IS. 1842,1849). Sie basiert nach §§ 11,14 GewStG auf dem einheitlichen Steuermeßbetrag, der sich zusammensetzt aus dem Meßbetrag des Gewerbeertrages gemäß § 7-11 GewStG. Für die Berechnung der Gewerbeertragsteuer wird ihre Steuermeßzahl (gemäß § 11 II GewStG je nach Gewerbebetrieb und Ertragshöhe i. H. v. 1-5 v. H.) nach § 16 GewStG mit dem Hebesatz der Gemeinde multipliziert; siehe im einzelnen Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 69 Rn.68ff. 236 Zur Verteilung der Hebesatzbereiche nach Gemeindegrößeklassen für das Jahr 1990 vgl. tabellarische Übersicht bei Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 111. - So gab es 1990 von den Gemeinden mit unter 3.000 Einwohnern nur 0,2 v. H., *
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der Verteilung des Einkommensteueraufkommens ausgleichen können, erscheint fraglich. Denn selbst wenn ein summenmäßiger Ausgleich erreicht wird, gelingt dieser - bei einer Gesamtschau - nur auf Kosten anderweitig benötigter Einnahmen: sofern der höhere Hebesatz mit besseren Standortfaktoren korrespondiert, sind die hieraus erzielten Mehreinnahmen für deren Unterhaltung und Ausbau notwendig237. Aber auch die gemeindlichen Einnahmen aus der Grundsteuer können nicht zum Ausgleich neugliederungsbedingter Verluste herangezogen werden. Ihre Steuerpflicht umfaßt gemäß § 2 Nr. 1 GrStG 238 land- und forstwirtschaftliche Betriebe einschließlich ihrer Betriebsgrundstücke239 (Grundsteuer A) sowie gemäß § 2 Nr. 2 GrStG alle übrigen Grundstücke (Grundsteuer B). Die Höhe der Steuer errechnet sich nach § 131 GrStG aus dem Einheitswert des Steuerobjektes, der mit einer Steuermeßzahl multipliziert wird 240. Den daraus resultierenden Grundsteuermeßbetrag kann die Gemeinde gemäß § 251 GrStG mittels des Hebesatzes verändern. Damit haben die Gemeinden zwar - wie bei der Gewerbesteuer - die Möglichkeit, höhere Einnahmen zu erzielen. Aber auch hier ist der Hebesatz nicht darauf angelegt, anderweitige Finanzdefizite auszugleichen, sondern Investitionen zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der steuergrundspezifischen Infrastruktur vorzunehmen. Überdies umfassen die Einnahmen aus der Grundsteuer nur einen Bruchteil des Volumes der Einkommensteueranteile: im Bundesdurchschnitt betragen sie 18,7 v. H. des Gemeindeanteiles an der Einkommensteuer beziehungsweise 10,7 v.H. an der gesamten gemeindlichen Steuerkraft 241. Die eigentliche Ausgleichsmöglichkeit in dem Finanzsystem zwischen Land und Gemeinden bietet der kommunale Finanzausgleich i.e. S. 242 . Um den „fiskalischen die einen Gewerbesteuerhebesatz von 401 v. H. und mehr hatten; von den Gemeinden mit 100.000 und mehr Einwohnern waren es hingegen 57,1 v. H., vgl. ebda. 237 Vgl. Döring/GeppertlHorn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.205: „Die Gewerbesteuer wird damit gerechtfertigt, daß die Gemeinden als Komplement zur Produktionstätigkeit der örtlichen Betriebe spezifische ,wirtschaftsnahe' Infrastrukturausgaben tätigen müssen." Allerdings ist zuzugeben, daß die Gemeinden sich nicht immer hieran orientieren sondern „durchaus auch gesamtwirtschaftlichen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen versuchen", Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 33 Rn. 75. Dies ändert jedoch nichts daran, daß ein Ausschöpfen des Hebesatzes für neugliederungsbedingte Kosten den bisherigen Finanzspielraum dementsprechend verkürzt. 238 Grundsteuergesetz v. 7.8.1973 (BGBl. I S. 965), zul. geänd. mit dem Gesetz zur Fortsetzung der Untemehmenssteuerreform v. 29.10.1997 (BGB1.I S.2590,2596). 239 Vgl. §§33,48a,51a, 991 Nr.2BewG. 240 Die Steuermeßzahl der Grundsteuer A beträgt gemäß § 14 GrStG 6 v. T., die der Grundsteuer Β gemäß § 151 GrStG 3,5 v. T.; siehe im einzelnen etwa Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 38 ff. Rn. 92ff. 241 Bezogen auf das Jahr 1990, vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 109. 242 Da dieser in den einzelnen Ländern differiert, wird die Möglichkeit des Ausgleiches von neugliederungsbedingten Finanzmittelverlusten nur anhand der Grundzüge des kommunalen
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und redistributiven, raumordnungspolitischen sowie gesamtwirtschaftlichen Belangen" der Länder gerecht zu werden, weisen diese ihren einzelnen Gemeinden aus der Finanzausgleichsmasse finanzielle Mittel in Abhängigkeit des jeweils in Ansatz gebrachten gemeindlichen Finanzbedarfes zu 2 4 3 . Die Ausgleichsmasse wird bestimmt durch die obligatorische allgemeine Verbundmasse nach Art. 106 V I I S. 1 G G 2 4 4 sowie die sie fakultativ nach Art. 106 V E S. 2 GG landesspezifisch ergänzenden „Sonderverbünde" 245 und Einnahmen aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich 246 . An dieser Gesamtverbundmasse 247 beteiligen die Länder ihre Gemeinden gemäß Art. 106 V I I S. 1 GG mit einem gesetzlich festgelegten Vom-Hundertsatz, der Verbundquote 248. Der resultierende kommunale Anteil an der Verbundmasse unter-
Finanzausgleiches i. e. S. untersucht. Einzelheiten des Ausgleiches siehe etwa zu Mecklenburg-^Vorpommern: Korioth, Der kommunale Finanzausgleich in Mecklenburg-Vorpommern, in: LKV 1997, S. 385 (387 ff.); zu Niedersachsen: Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996, S.94ff.; zu Nordrhein-Westfalen: Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S.51 ff.; zu Rheinland-Pfalz: Kirchhoff, Die rheinlandpfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, S.54ff.; zum Saarland: Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 178 ff.; zusammenfassend für die alten Bundesländer: Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, passim. 243 Vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 111 f.; zur Zusammensetzung der Verbundmasse in den alten Bundesländern im Jahre 1992 vgl. ebda, S. 113. - Zu den einzelnen Funktionen des kommunalen Finanzausgleiches siehe Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S. 17 ff.; Kirchhoff, Die rheinlandpfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, S. 17 ff.; aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht kritisch zu der Fähigkeit des gegenwärtigen System des kommunalen Finanzausgleiches, seinen allokativen und distributiven Anforderungen gerecht zu werden, Kuhn, Theorie des kommunalen Finanzausgleichs, 1995, passim, insbes. S.69ff., 193 ff. 244 Länderanteil an der Gemeinschaftssteuer (Einkommensteuer, Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer). 245 Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 73 Rn. 202. Hierunter zählen beispielsweise in Niedersachsen die Vermögenssteuer, die Erbschaftssteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, die Verkehrssteuer, die Biersteuer die Abgabe von Spielbanken, u. a., vgl. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung, 1996, S. 116. 246 Zum einen die Einnahmen aus dem sekundären horizontalen Finanzausgleich nach Art. 107 II S. 1,2 GG sowie die Bundeseigänzungszuweisungen nach Art. 107 II S. 3 GG, siehe nur für Niedersachsen: Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung 1996, S. 116; für Rheinland-Pfalz: Kirchhoff, Die rheinland-pfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, 1996, S.61. 247 Eine tabellarische Gegenüberstellung der Verbundmassen 1994 in den alten Bundesländernfindet sich bei Kirchhoff, Die rheinland-pfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, 1996, S. 62. 248 Diese betrug 1991 zwischen 11,54 ν. H. in Bayern und 23,80ν. H. in Schleswig-Holstein, Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 73 Rn. 202; die Spreizung besagt indes für sich wegen der in den einzelnen Ländern unterschiedlichen Aufgabenverteilungen und Verbundmassenzusammensetzungen nichts über ihre Kommunalfreundlichkeit. - Ein erschöpfendes Verzeichnis der Finanzausgleichsgesetze der
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liegt noch landesspezifischen Abzügen 249 . Die den Kommunen verbleibende Verbundmasse erhalten sie als allgemeine Zuweisungen und als zweckgebundene Zuweisungen, so daß sich unterschiedliche Ansatzpunkte ergeben, um neugliederungsspezifische Finanzverluste auf kommunaler Ebene auszugleichen. Die allgemeinen Zuweisungen erhöhen die einer Gemeinde zur Verfügung stehenden Finanzmittel und schwächen interkommunale Steuerkraftunterschiede ab, so daß alle Gemeinden „eine annähernd gleiche „Mindestversorgung" an öffentlichen Gütern bereitstellen können." 250 Sie unterliegen keiner Zweckbindung und berechnen sich in ihrem Hauptansatz als Schlüsselzuweisung über eine Einwohnerveredelung nach Gemeindegröße 251 : Dem Prinzip der horizontal-umverteilenden Stufe des Bund-Länder-Finanzausgleiches entsprechend wird der die Finanzkraft repräsentierenden Steuerkraftmeßzahl, die sich aus dem Gemeindeanteil am Aufkommen der Einkommensteuer sowie den Grund- und Gewerbesteuererträgen errechnet 252 , die Bedarfsmeßzahl einer Gemeinde gegenübergestellt, die sich - um sich nicht an der Ausgabenwilligkeit einer Gemeinde zu orientieren - nach fiktiven Maßstäben errechnet, indem die Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde herangezogen wird und diese mit steigender Gemeindegröße stärker gewichtet wird 2 5 3 . Der angenommene Mehrbedarf großer Gemeinde soll damit ausgeglichen werden 254 . Die Differenz zwi-
Länder findet sich bei Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S. 230ff. 249 Niedersachsen etwa bringt die für die im weiteren Finanzausgleich erforderlichen Mittel für die Bedarfszuweisungen in Ansatz, vgl. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung 1996, S. 116; in Rheinland-Pfalz erheben die Landeskreisebene sowie die Ortsgemeindeebene eine Finanzausgleichsumlage, die „zu einer Umverteilung der Finanzkraft innerhalb der kommunalen Ebene beitragen soll", Kirchhoff, Die rheinland-pfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, 1996, S.63. 250 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 112; s. a. Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S.29ff. 251 Vgl. Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.77 Rn.205ff. 252 Die Grund- sowie die Gewerbesteuer werden nicht mit den tatsächlichen, sondern mit einheitlich festgelegten Hebesätzen gewichtet, um sicherzustellen, daß die aus den unterschiedlichen Hebesätzen differierenden Einnahmen nicht im kommunalen Finanzausgleich nivelliert werden, s. a. Brinkmeier, Kommunale Finanzwirtschaft, Bd 1, 1998, S. 107; v.Mutiusl Henneke, Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, 1985, S. 127; Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung 1996, S. 120ff.; Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 116. 253 Vgl. Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung 1996, S. 118; Pechstein, Kommunaler Finanzausgleich - Grundstrukturen und Grundprobleme, in: LKV, 1991, S.289 (292 f.). 254 Der Gedanke, daß mit zunehmender Einwohnerzahl der Verwaltungsaufwand überproportional ansteigt, geht auf Popitz, Der künftige Finanzausgleich zwischen Reich, Ländern und Gemeinden, Berlin 1932, S.266 zurück: „Es kann die These aufgestellt werden, daß durchschnittlich, je größer die Einwohnerzahl einer Gemeinde ist, desto höher der Bedarf ansteigt,
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sehen den beiden Meßzahlen wird nach Maßgabe der einzelnen Länder ausgeglichen255. Für die Gemeinden in den alten Bundesländern - die Situation in den jungen Länder nähert sich dem zusehends an - variiert die Spreizungspitze des Hauptansatzes zwischen 133 v. H. bis 186 v. H. 2 5 6 Mit dieser Spreizung des Hauptansatzes bietet sich im kommunalen Finanzausgleich eine erste Möglichkeit, neugliederungsbedingte Finanzmittelverluste eines vormaligen Stadtstaates auf der Kommunalebene zumindest teilweise auszugleichen. Allerdings geht aus der Zweckungebundenheit der allgemeinen Zuweisungen hervor, daß sie grundsätzlich bestimmt sind, den Gemeinden einenfinanziellen Grundsockel zuzuweisen. Konkrete Sonderbedarfe einzelner Gemeindenfinden keine Berücksichtigung257, so daß als solcher auch neugliederungsbedingte Finanzmittelverluste nicht ansatzfähig wären. Dies ergibt sich auch aus „allokationstheoretischer Sicht", da Kosten nur unmittelbar von den Kommunen getragen werden sollten, die auch von ihrem Nutzen profitieren 258. Im Rahmen der allgemeinen Zuweisungen bieten auch die Nebenansätze keine Kompensationsmöglichkeit. Zwar erfolgen sie zielgerichteter als der Hauptansatz. Mit ihnen werden Sonderbedarfe erstmalig bedarfsorientiert berücksichtigt259. Sie orientieren sich etwa an zentralörtlichen Funktionen, Grenzlandlage sowie der Bevölkerungsstruktur einer Gemeinde und setzen sich aus katalogisierten Ansätzen - beispielsweise Raumordnungs-, Schüler-, Arbeitslosen oder Bäderansatz - zusammen260. Daher liegt es nahe, neben diesen üblichen Nebenansätzen im kommuund femer die These, daß, obgleich auch mit der Einwohnerzahl die Einnahmen aus allgemeinen Deckungsmitteln [...] ansteigen, trotzdem auch der Bedarf an Finanzzuweisungen zunimmt." Hierzu kritisch vgl. nur v. MutiuslHenneice, Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, 1985, S. 124; Schwarz, Finanzverfassung und kommunale Selbstverwaltung 1996, S. 118. 255 Vgl. mit Beispielen aus den alten Bundesländern: Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 116. - Das kann bei Kommunen, deren Steuerkraftmeßzahl über der Bedarfsmeßzahl liegt, dazu führen, daß sie einen entsprechenden Abschlag zahlen müssen. Dies gilt indes nur, sofern der kommunale Finanzausgleich eines Landes - wie in Baden-Württemberg - eine solche Abundanzabschöpfung vorsieht. 256 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 114. 257 Eine Ausnahme bildet Rheinland Pfalz, wo die Einwohnerveredelung nicht pauschal nach der Gemeindegröße vorgenommen wird, sondern allein anhand nachweislicher Aufgabenerfüllungen, vgl. Kirchhoff, Die rheinland-pfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, 1996, S.69ff. 258 Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S.53 f. - Daher fordert ders., ebda, S. 56, daß „wo dies [...] möglich ist, stärker zwischen der Erfassung des allgemeinen Ausgabenbedarfs durch die Hauptansatzstaffel und der Erfassung spezifischer Sonderbedarfe durch Nebenansätze getrennt" wird, da „auf diese Weise [...] die einzelgemeindlichen Ungerechtigkeiten größenklassenorientierter Bedarfsindikatoren verringert werden" könnten. 259 Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S.54ff. 260 S. a. die tabellarische Übersicht der Sonderbedarfsansätze in den Finanzausgleichsgesetzen der alten Bundesländer bei Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147
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1. Kap.: Grundlagen
nalen Finanzausgleich des neugegliederten Landes einen neugliederungsspezifischen Ansatz hinzuzufügen, der, auf den vormaligen Stadtstaat angewendet, dessen Verluste auf kommunaler Ebene ausgleicht. Wie der einwohnerveredelnde Hauptansatz verwirklichte indes auch ein solcher Nebenansatz nicht beziehungsweise in sehr unterschiedlichem Maße das Ziel der allokatorischen Effizienz 261. Mag einer Metropolgemeinde noch zugebilligt werden, daß sie Arbeitslose aus dem gesamten Land auf deren Suche nach Arbeit anzieht, so daß sämtliche Kommunen zu den Kompensationen der daraus resultierenden Spillover-Effekten über die Verbundmasse herangezogen werden, so läßt sich der Ausgleich von Neugliederungskosten auf Kommunalebene nicht allokativ begründen. Die Verluste des Stadtstaates gereichen zunächst in keiner Weise zum Nutzen der übrigen Gemeinden. Erst langfristig werden die übrigen Kommunen neugliederungsspezifische Effekte der starken Wirtschaftskraft des vormaligen Stadtstaates genießen können. Aus allokatorischen Aspekten können sie deswegen jedoch nicht zum vorleistenden Ausgleich herangezogen werden, da keine Unmittelbarkeit zwischen den Kosten und dem Nutzen vorliegt. Auch aus der Sicht der redistributiven Funktion des kommunalen Finanzausgleiches eröffnen sich einem vormaligen Stadtstaat aufgrund seiner relativ hohen Steuerkraft nicht notwendig Finanzquellen. Die redistributive Funktion ist darauf angelegt, unterschiedliche Steuerkraft - wenn auch mit Blick auf die durch sie zu finanzierenden Aufgaben - abzugleichen262. Die resultierenden Finanzströme fließen insoweit tendenziell von den großstädtischen Gemeinden in die ländlichen Kommunen263. Die zweckgebundenen Zuweisungen sind schon ihrem Wesen nach nicht dazu angetan, neugliederungsspezifische Finanzmittelverluste aufzufangen. Anders als die allgemeinen Zuweisungen unterliegen sie konkreten Vorgaben, sind auf einzelne Projekte gerichtet und werden in der Regel nur als Teilfinanzierungen gewährt264. Neben dem kommunalen Finanzausgleich i.e. S. können Landesgesetze jedoch weitere Zuweisungen vorsehen265. In der Regel sind sie auf die Förderung konkreter (1993), S. 115; Münstermann, Kommunaler Finanzausgleich vor dem Kadi, in: Der Städtetag n.F. 48 (1995), S.3 (5);ferner Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S. 54ff.; Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.79ff. Rn.211 ff.; Karrenberg/Münstermann, Gemeindefinanzbericht 1993, in: Der Städtetag n.F. 46 (1993), S.60 (117ff.). 261 Zu der Berücksichtigung der raumordnungsspezifischen Finanzmittel in den Nebenansatz aus allokativen Aspekten kritisch Kuhn, Theorie des kommunalen Finanzausgleichs, 1995, S.76ff. 262 Vgl. zur Verteilung des Gemeindeanteiles am Aufkommen der Einkommensteuer v.MutiuslHenneke, Kommunale Finanzausstattung und Verfassungsrecht, 1985, S.86ff. 263 Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 53. 264 Vgl. Kirchhoff, Die rheinland-pfälzischen Gemeinden im System des Finanzausgleichs, 1996, S. 75 ff. 265 Brinkmeier, Kommunale Finanzwirtschaft, Bd 1,1998, S. 104ff.; Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.76.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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Aufgabenerfüllungen - etwa als Zuweisung an kommunale Krankenhäuser, für Investitionen an Gemeinden oder als Zuwendung an die Träger zur Förderung des Feuerschutzes - gerichtet266. Sofern sich die neugliederungsbedingten Finanzmittelverluste nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten im Rahmen der allgemeinen Zuweisungen ausgleichen lassen, bietet diese Alternative verschiedene Vorzüge: gegenüber den aus den allgemeinen Zuweisungenfließenden Mitteln, die sich aus Relationen berechnen, ergeben sich hier absolute Beträge, die konkret auf die auszugleichenden Finanzmittel angepaßt werden können. Die erforderlichen Zuweisungen lassen sich optimal gezielt einsetzen und müssen wie eine allgemeine Zuweisung nicht mit einer konkreten Zweckbindung verknüpft sein. Zum anderen handelt es sich bei dem auf Kommunalebene entstehenden neugliederungsspezifischen Finanzbedarf um die Folge einer Entscheidung auf Landesebene und ist dieser aufzubürden, was bereits anhand der aleatorischen Aspekte deutlich wurde. Da dieser Weg jedoch - je nach Gesetzesinhalt - für die betroffene Kommune, den vormaligen Stadtstaat, gegenüber den übrigen Kommunen einenfinanziellen Sonderstatus einräumt, der einemfinanzrechtlichen Zusammenwachsen der neugegliederten Länder nicht förderlich ist, sollte er nur dann beschritten werden, wenn die Eingliederung der Kommune in den kommunalen Finanzausgleich - und damit die gesamte Neugliederung - sich nicht anderweitig realisieren läßt. Sofern der kommunale Finanzausgleich dem durch eine Neugliederung in die Kommunalebene eines Flächenstaates integrierten Stadtstaat finanzielle Verluste nicht vollständig auszugleichen vermag und anderweitige Zuweisungen nicht gewährt werden, kann dieser sich die notwendigen Mittel ergänzend noch auf anderem Wege beschaffen. Neben der Aktivierung bestehenden Vermögens267, verbleibt die Möglichkeit der Kreditaufnahme. Diese ist für Gemeinden aber nicht unproblematisch. Mit Blick auf gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte haben zwar sowohl der Bund nach Art. 1151 GG 268 als auch die Länder nach ihren Landesverfassungen 269 weitreichende Möglichkeiten der Kreditaufnahme: Zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes können Bund und Länder gegebenenfalls sogar mehr Kredite aufnehmen als es ihrem Investitionsvolumen entspricht. Im übrigen wird auf dieser Ebene zwischen Brutto- und Nettoneuverschuldung unterschieden, wobei nur letztere von Bilanzrelevanz ist und dem Investitionsvolumen gegenüberzustellen ist270. Bei den Kommunen jedoch stehen lokale und in starkem 266
Vgl. m. w.Bsp.: Brinkmeier, Kommunale Finanzwirtschaft, Bdl, 1998, S. 111. Siehe im einzelnen Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.84f. Rn.229ff. 268 Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 115 Rn.28ff.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-K, Art.115Rn.il ff. 269 Art. 84 BWVerf.; Art. 82 BayVerf.; Art. 87 VvB; Art. 103 BbgVerf.; Art. 72 HHVerf.; Art. 141 HessVerf.; Art. 65 MWerf.; Art. 71 NdsVerf.; Art. 83 NWVerf.; Art. 117 RPVerf.; Art. 108 SaarlVerf.; Art. 95 SächsVerf.; Art. 99 SachsAnhVerf.; Art. 53 SHVerf.; Art. 98 ThVerf. 27 0 Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 115 Rn. 28 ff.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-K, Art.115Rn.il ff. 267
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1. Kap.: Grundlagen
Maße individuelle Interessen im Vordergrund 271, deren vollständige Verwirklichung durch einen angemessenenfinanziellen Rahmen zu begrenzen ist. Gemeinden dürfen daher nur dann - und nur als ultima ratio, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich oder wirtschaftlich unzweckmäßig ist272 - Kredite aufnehmen, wenn sie „rentierlich" sind273; laufende Verwaltungsaufgaben, d.h. auch Kredittilgungen dürfen mit ihnen nichtfinanziert werden274. Ihre Aufnahme ist allein zulässig für Investitionen, Investitionsförderungsmaßnahmen sowie zur Umschuldung275 laufender Kredite. Ein Auffangen neugliederungsbedingter finanzieller Verluste auf Kommunalebene durch Kredite ist daher nur in begrenztem Umfange denkbar. Das zur Verfügung stehende Kreditvolumen erfährt materiell-rechtlich zudem eine Konkretisierung durch das Gebot der geordneten Haushaltswirtschaft: Die Verpflichtungen aus dem Schuldenbestand sowie der beabsichtigten Kreditaufnahme dürfen die Leistungsfähigkeit im Sinne einer Schuldendienstleistungsfähigkeit und einer gleichmäßigen Aufgabenerfüllung einer Gemeinde nicht beeinträchtigen276. Maßgebliches Kriterium ist diefinanzielle freie Spitze einer Gemeinde. Sie errechnet sich aus der Differenz zwischen den laufenden Einnahmen und Ausgaben - dem an den Vermögenshaushalt abzuführenden Überschuß im Verwaltungshaushalt277 - abzüglich der Kreditbeschaffungskosten sowie der Beträge für die ordentliche Kredittilgung278. Daraus resultiert bei hohen Einnahmen ein entsprechend hoher Kreditrah271 Vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 125. 272 Vgl. etwa § 75 III Gemeindeordnung für das Land Brandenburg (Gemeindeordnung-GO) i. d. F. des Art. 1 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg v. 15.10.1993 (GVB1.1 S. 398); femer Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.86f. Rn.241ff. 27 3 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 126. 27 4 Mülhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S. 301; Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen ernes gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 126. 275 Vgl. etwa § 851 GO Bbg; s. a. Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 86 Rn. 242, mit Fundstellen der Gemeindeordnungen in den alten Bundesländern. 276 So sehen die Gemeindeordnungen vor, daß die Genehmigung der Kreditaufnahme in der Regel zu versagen ist, wenn die daraus resultierende Verpflichtung nicht „mit der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde" im Einklang steht, vgl. nur § 85 II S. 3 GO-Bbg; für die Regelungen in den alten Bundesländern siehe Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.87 Rn.243. 277 Zu den Begriffen des Verwaltungs- und Vermögenshaushaltes im Gemeindehaushaltsrecht siehe Mülhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S.299ff. 278 Nach der in der gemeindlichen mehrjährigen Finanzplanung erwarteten Entwicklung der freien Spitze bemißt die Aufsichtsbehörde die dauerhafte Leistungsfähigkeit der Gemeinde. S. a. Schmidt-JortziglMakswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 112 Rn.278ff.; femer Mülhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S.303.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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men. Gehen die Einnahmen hingegen zurück, schrumpfen auch die zur Verfügung stehenden Kreditvolumina. Treten neugliederungsbedingte Einnahmeverluste auf kommunaler Ebene für einen vormaligen Stadtstaat auf, reduziert sich die Kreditmöglichkeit gerade um deren Höhe.
I I I . Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, konkretisiert durch die Berücksichtigung der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge Die Maßgaben des Art. 291 GG beschränken sich jedoch nicht allein auf diese objektiven - im rechtsuntechnischen Sinne - „materiellen" Anforderungen: Als subjektives Kriterium ist nach Art. 291 S. 2 GG bei einer Neugliederung die landsmannschaftliche Verbundenheit zu berücksichtigen. Diese Voraussetzung beziehungsweise ihre Gewichtung ist klärungsbedürftig. Bisherige Gutachten und Stellungnahmen zum Begriff der landsmannschaftlichen Verbundenheit blieben zumeist ausdrücklich vage und hielten eine„klar abgegrenzte Definition des Begriffes kaum [für] möglich"279. Gemeint ist das Zugehörigkeitsgefühl einer Bevölkerung zu ihrem Land, das Identifikationsbewußtsein280. Doch wie läßt sich dieses ermitteln? Entsprechende Umfragen zum Thema der landsmannschaftlichen Verbundenheit wurden fallbezogen lediglich im Jahre 1967 bezüglich der Baden-Frage und für Rheinland-Pfalz erhoben281. Es geht bei der Frage des Identifikationsbewußtseins der Bevölkerung nicht darum, wo es herrührt oder ob es historisch legitimiert ist. Wesentlich ist allein, ob es in der Gegenwart vorhanden ist282. Hierfür mag es allenfalls hilfreich sein, den Blick in die Vergangenheit schweifen zu lassen. Insbesondere bezüglich der Stadtstaaten Hamburg und Bremen sowie des Freistaates Bayern ist die landsmannschaftliche Verbundenheit augenscheinlich und blickt auf
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Brüning! Sting/ Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 19. Herzog, in: MDHS, GG-K, Art. 20 Rn. 73 spricht von „Landesbewußtsein", der Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.44 Tz. 84 von „Zusammengehörigkeitsbewußtsein". 281 Vgl. Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (100); ders., 60% für ein selbständiges Rheinland-Pfalz, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.55 (55 f.). - Jedoch wurde 1969 im Rahmen, „einer europaweiten Erhebung, [.. .][die] Frage nach der Identifikation mit verschiedenen geographischen Gruppen" gestellt, die eine im Durchschnitt bemerkenswert geringe Identifikation der Befragten mit ihrem Bundesland aufzeigte: Die Umfrage ergab, „daß sich 67 % der Bevölkerung in erster Linie der eigenen Wohngemeinde 18 % der Bundesrepublik als Ganzem und nur 8 % in erster Linie einem Bundesland zugehörig fühlen", vgl. Mayntz, Föderalismus und die Gesellschaft der Gegenwart, in: AöR 115 (1990), S. 232 (236). Diese Werte haben indes insoweit nur begrenzte Aussagekraft, als für die Frage nach der Identifikation der Bevölkerung mit einem Bundesland - zumindest ergänzend - die Frage zu stellen wäre, ob diese ihre gegenwärtige landliche Identität für die mit einem anderen Bundeslandes aufgeben würden. 282 So auch Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn.45. 280
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1. Kap.: Grundlagen
eine lange Tradition zurück283. Aber auch Berlin hat in seiner bundesrepublikanischen Geschichte, wie die übrigen westdeutschen Länder auch, eine 50-jährige Tradition, die in Berlin durch die Besonderheit der Insellage ein Identifikationsgefühl noch verstärkte. Die ohne Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg neu geformten Länder sowie die fünf jungen Bundesländer haben im Laufe der Zeit ein gewisses Identifikationsbewußtsein bei der Bevölkerung geschaffen 284. Davon zeugen mannigfaltige sich zu „seinem Land" bekennende Aufkleber und Anstecker in allen deutschen Landen. Diesen historischen Aspekt des Indentifikationsgefühles der Bevölkerung eines Landes erkennt das Grundgesetz in Art. 291S. 2. Das Erfordernis der Berücksichtigung der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge nach Art. 291S. 2 GG ist der Hinweis darauf, daß zusammenwachsen soll, was traditionell zusammengehört 285. Inhalt und Gewichtung dieser Bestimmung ergeben sich aus einem Blick auf die Entstehungsgeschichte des Neugliederungsgedankens. Die meisten Länder ergaben sich ohne Tradition aus den willkürlich gezogenen Zonengrenzen der Alliierten286. Um diese wahllose Zerstückelung im Rahmen der insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht für erforderlich gehaltenen Neugliederung jedenfalls in angemessenem Umfang aufzuheben, verlangte Art. 291 GG die Einbeziehung des geschichtlichen und kulturellen Kontextes. Der durch den Krieg ohnehin entwurzelten Bevölkerung sollte eine ihr bekannte Heimat zurückgegeben werden. Sie sollte, soweit mit dem Ziel der Neugliederung vereinbar, ihre alten Länder zurückerhalten, mit denen sie sich identifizieren könnte. Die Berücksichtigung der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge hat daher einen starken Bezug zu der zu berücksichtigenden landsmannschaftlichen Verbundenheit287, dem häufig zu wenig Beachtung 283 Vgl. zur Geschichte Hamburgs den Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 69 Tz. 1 ff.; zur Geschichte Bremens, ebda, S.76f. Tz. 1 ff.; zur Geschichte Bayerns, aaO., S. lOOf. Tz.2ff. 284 Für die alten Bundesländer stellt Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 39 fest, daß die „Bevölkerung Landesidentität und Landesbewußtsein gewonnen" hat in einer Weise, „daß man wieder von gewachsener Staatlichkeit sprechen kann". Für die Pfalz vgl. etwa Keller, Das Selbstbestimmungsrecht der Pfälzer, 1956, passim, insbes. S. 32ff. - Bezüglich Schleswig-Holstein und Hamburg stellen ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 29 fest, daß, „obwohl aussagekräftige Meinungsbefragungen zu diesem Thema fehlen, [...] politische Beobachter auf beiden Seiten beeindruckt [sind] von der Stärke des »Landesbewußtsein4 nicht nur in Hamburg, sondern auch in Schleswig-Holstein". 285 Vgl. Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.44f.; Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.44 Tz. 1. 286 Siehe oben 1. Kapitel Α. II. 1. a). 287 Im Ergebnis auch Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 30 Β II Tz. 1. - Besonders deutlich wird dieser Zusammenhang in der Formulierung des Art. 29 II S. 1 GG (1949): „In Gebietsteilen, die bei der Neubildung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit verändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden". Zur Wiederherstellung gegebener landsmannschaftlicher Verbundenheiten gab Art. 29 II S. 1 GG (1949) den Betroffenen damit sogar ein eigenes Initiativrecht. - Hinsichtlich des gemäß Art. 29 II S. 2 GG (1949) zu erreichenden
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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geschenkt wird 288. Sie gibt konkretisierend einige Aspekte vor, anhand derer die landsmannschaftliche Verbundenheit mittels identifikationsbewußtseinsschaffender Kriterien angenommen werden kann. Jüngstes Beispiel ist die Neubildung der fünf jungen Bundesländer. Bei ihrer Gründung wurden vornehmlich die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, wie sie vor der Zerschlagung der ostdeutschen Länder gegeben waren, in die Pflicht genommen. Es waren die Kriterien, auf deren Grundlage sich die neuen Länder zügig zu gründen vermochten289. Insofern war und ist ein Bewußtsein für die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge vorhanden, so daß ihm in diesem Maße im Hinblick auf die Gewichtigkeit der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit Beachtung geschenkt werden muß. Von dieser Ausnahmesituation abgesehen, hat sich nunmehr - 50 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes - die ursprüngliche Absicht der Regelung erheblich verändert. Sofern Ländergrenzen in Westdeutschland durch die Zonengrenzen willkürlich waren, so sind sie heute weithin anerkannt. Es haben sich in einem halben Jahrhundert neue geschichtliche und kulturelle Zusammenhänge entwickelt und mit ihnen auch ein neues Identifikationsbewußtsein. Diese gegenwärtigen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge290 sind heute im Rahmen der aktuellen landsmannschaftlichen Verbundenheit bei einer Neugliederung zu berücksichtigen, d. h. als Ausgangsbasis zu nehmen. Doch welches Gewicht hat die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit? Es ist unbestritten, daß die landsmannschaftliche Verbundenheit zu berücksichtigen ist291. Indes bleibt - zumeist aufgrund der unzureichenden Inhaltsbestimmung-regelmäßig im Dunkeln, wie sie zu berücksichtigen ist beziehungsweise wie sich eine Berücksichtigung auswirken soll292, obgleich Art. 29 GG selbst das wirksamste Mittel zur Ermittlung der landsmannschaftlichen Verbundenheit vorgibt: die im Rahmen von Neugliederungen vorgesehenen Volksentscheide. Die Bevölkerung hat unmittelbar die Möglichkeit, sich entweder für den status quo oder Quorums i. H. v. 10 v. H. führte der Abg. v. Mangoldt (CDU) im HA des ParlRat ausdrücklich aus, daß der Prozentsatz deshalb tief angesetzt worden sei, „damit die Alteingesessenen entsprechend zum Zuge" kommen, vgl. v. DoemmingJFüßlein JMatz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1 (1951), S.281. 288 Vgl. etwa Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.22. 289 Siehe dazu näher unten 1. Kapitel E. V. 290 Schon Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der inneigebietlichen Neuordnung, 1953, S. 20 stellten fest, daß für die kulturellen Zusammenhänge nur das „Gegenwartsbild" maßgeblich sein kann; ferner Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 17 Tz. 3: „Inwieweit heute vorhandene Länder von dem [...] Richtbegriff der »geschichtlichen Zusammenhänge4 erfaßt werden, ist Einzelfalls- und Bewertungsfrage." 291 Vgl. nur Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 86ff. Tz. 197 ff. 292 Vgl. etwa Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.20; Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn.45; Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 87 Tz. 201.
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1. Kap.: Grundlagen
aber für eine Änderung der Landesgrenzen auszusprechen. Letzteres wird ihr um so schwerer fallen, je fester sie sich mit ihrem Land verbunden fühlt 2 9 3 . Der im Rahmen von Neugliederungen vorgesehene Willensbildungsprozeß des Volksentscheides ist jedoch nicht unproblematisch.
1. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit per Volksentscheid a) Ausgangslage der Zulässigkeit von Volksentscheiden
im Grundgesetz
Bis auf Art. 29 V I I 2 9 4 , 118 S. 1 G G verlangen die Neugliederungsbestimmungen des Grundgesetzes die unmittelbare Beteiligung der Bevölkerung in Form des verbindlichen Volksentscheides. Doch sind Volksentscheide dem Grundgesetz wesensfremd 2 9 5 . Es sieht eine repräsentative Demokratie vor 2 9 6 . Zwar bestimmt Art. 20 Π S. 1 GG, daß die Staatsgewalt „vom Volke in Wahlen und Abstimmungen" ausgeübt wird. Doch bezieht sich die Abstimmungsoption ausschließlich auf die in Art. 29, 118,118 a G G vorgesehenen Abstimmungen 297 . Das ergibt sich aus der Systematik 293 So waren etwa die Badener 1956 noch mehrheitlich gegen die vollzogene Eingliederung in das Land Baden-Württemberg. Doch 18 Jahre später hatten sie ihre alte Identifikation aufgegeben und das Land Baden-Württemberg akzeptiert, siehe oben 1. Kapitel Α. II. 2.; ferner die sehr anschauliche Dokumentation Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977, passim; vgl. femer: Baden 1945-1951, was nicht in der Zeitung steht (o. Autor), 1951, passim, insbes. S.42ff. - Bezüglich Hamburg und Schleswig-Holstein vgl. Scharpf! Benz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 29. - Ein jüngstes Zeugnis landsmannschaftlicher Verbundenheit kristallisierte sich so bei der Volksabstimmung über die Neugliederung Berlin-Brandenburg heraus; hierauf wird noch genauer einzugehen sein (2. Kapitel E.). 294 Art. 29 V I I GG wird im weiteren außen vor gelassen. Er regelt lediglich kleinere Grenzkorrekturen, von denen nicht mehr als 50.000 (urspr. 10.000) Bürger betroffen sind. Deren Interessen berücksichtigt Art. 29 VII S. 3 GG, indem er eine Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise verlangt. 295 Dagegen werden unverbindliche Volksbefragungen nach derzeitigem Verfassungsrecht überwiegend für zulässig erachtet: Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, 1991, S. 483, jedoch als,»nicht empfehlenswert", S.485; Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, 1987, S. 180 hält sie auch „rechtspolitisch [...] [für] wünschenswert". - Für derzeitige verfassungsrechtliche Unzulässigkeit von Volksbefragungen, da„Kembereich der Staatswillensbildung" betroffen, Rommelfanger, Das konsultative Referendum, 1988, S. 134ff. 296 Ausführlich Bugiel, Volks wille und repräsentative Entscheidung, 1991, passim; Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 179f.; Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, 1987, S.28f., 181 f. 297 Dieser Punkt ist umstritten: Dafür: Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, 1991, S. 480ff.; Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 179f.; im Ergebnis auch Rommelfanger, Das konsultative Referendum, 1988, S. 134ff.; Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 93 ff.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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des Grundgesetzes298. Wahrend Wahlen in Art. 38 ff. GG ausdrücklich und abschließend geregelt sind,finden sich über Abstimmungen lediglich die genannten Sonderbestimmungen299. Wenn Art. 20 I I S. 2 GG „Abstimmungen" vorsieht, legitimiert er zum einen diese grundgesetzlichen Einzelbestimmungen. Zum anderen hat er „den Sinn, den Länderverfassungen eine großzügigere Haltung gegenüber den plebiszitären Einrichtungen zu ermöglichen, was ohne diesen Zusatz unzulässig wäre, da die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern gemäß Artikel 28 Abs. I Satz 1 den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes entsprechen muß"300. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes bestätigt dieses Ergebnis: „Die Problematik der Volksgesetzgebung" wurde „im Parlamentarischen Rat nicht übersehen, sondern mehrmals und ausführlich erörtert" 301. Er „verzichtete ganz bewußt auf ihre Einführung in das Bonner Grundgesetz"302. Das Grundgesetz sieht also als Regelfall der Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk Wahlen vor 303. Art. 29, 118, 118 a GG sind nicht verallgemeinerbare Ausnahmeregelungen. Das führt zu der Frage, woraus sich diese Ausnahmebestimmungen verfassungsrechtlich herleiten304. b) Neugliederung durch Ländervereinbarung mit Volksabstimmung: Verknüpfung von staatsrechtlicher Dogmatik mit den Voraussetzungen des Art. 29 IS. 2 GG Die Voraussetzung der Völksabstimmung bei einer Neugliederung ist zurückzuführen auf die demokratischen und bundesstaatlichen Elemente des Grundgesetzes. Nach Art. 201 GG ist die Bundesrepublik Deutschland ein Bundesstaat. Die Länder Dagegen: Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, 1987, S.58: „Der Begriff der Abstimmungen wäre, wollte man ihn nur auf die Art. 29, 118 GG beziehen, tatsächlich völlig überflüssig44. 298 Vgl. ausführlich Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 146ff. 299 Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 97. 300 Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 180 f. 301 Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, 1987, S.44ff., 56. 302 Schnurr, Möglichkeiten der Einführung von Volksbegehren und Volksbefragung auf Bundesebene ohne Änderung des Grundgesetzes, 1987, S.57, ferner Rommelfanger, Das konsultative Referendum, 1988, S. 133 f.; Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 100ff. 303 Vgl. Bugiel, Volkswille und repräsentative Entscheidung, 1991, S.480ff. 304 Denn wie Preuß, Plebiszite als Formen der Bürgerbeteiligung, in: ZRP1993, S. 131 (136) zutreffend bemerkt, ist „die unmittelbare Entscheidung des Volkes über politische Angelegenheiten44 weder „ein nicht weiter begründungsbedürftiger Wert an sich44 noch kann sie „offenkundig damit gerechtfertigt werden [...], daß sie ohne weiteres die Richtigkeit und Vemünftigkeit44 der Entscheidung verbürgt.
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1. Kap.: Grundlagen
haben Staatsqualität305. Die Staatsqualität innerhalb eines demokratischen Bundesstaatssystemes führt dazu, daß die Entscheidung über eine Neugliederung von der betroffenen Bevölkerung legitimiert sein muß. Wenn also nicht - wie in einer repräsentativen Demokratie zu erwarten gewesen wäre 306 - der Landtag als zuständige Volksvertretung in den Entscheidungsprozeß über die Neugliederung eingebunden wird, verbleibt als einzige Möglichkeit, die betroffene Bevölkerung selbst unmittelbar über die Neugliederung entscheiden zu lassen. Konsequent bestimmt Art. 29 Π S. 1 GG, daß eine Neugliederung durch Bundesgesetz „der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf 4. Vor diesem Hintergrund ist bei einer Neugliederung durch Vereinbarung der beteiligten Länder ein Volksentscheid zunächst entbehrlich. In einer repräsentativen Demokratie ist die Entscheidungsbefugnis an die Repräsentanten delegiert. Durch sie spricht und entscheidet das Staatsvolk. Am deutlichsten werden diese Verknüpfungen in Art. 118 GG: Nach Satz 1 können sich die dort genannten Länder durch Vereinbarung neugliedern. Vereinbarung ist regelmäßig ein Staatsvertrag, der der Zustimmung der Parlamente der betroffenen Länder bedarf. Dies ist gemessen an dem im Grundgesetz vorgesehenen System des Föderalismus und der - bis auf die Neugliederungsabstimmungen - reinen Repräsentativdemokratie der dogmatisch korrekte Weg einer Neugliederung. Es verwundert daher, daß die Ländervereinbarung gemäß Art. 118 S. 1 GG allein den Abstimmungsmodus eines Volksentscheides über die Neugliederung regeln sollte307. Nur darum drehten sich die politischen Diskussionen der Neugliederung des Südwestdeutschen Raumes308. Inhaltlich gingen diese Auseinandersetzungen in zweierlei Hinsicht fehl: Zum einen blieb unklar, wie die Neugliederung des neuen Landes und seine anfängliche Funktionsfähigkeit gesichert werden sollten309. Zum anderen sah Art. 118 S. 1 GG keine Volksabstimmung vor. Das Erfordernis einer Volksabstimmung wurde jedoch wie selbstverständlich bejaht. Wegen des anderslautenden Art. 118 S. 1 GG hätten hier zumindest verfassungsrechtliche Bedenken aufkommen müssen, zumal in Art.29 GG (1949) und in Art. 118 S.2 GG Volksabstimmungen ausdrücklich vorgesehen waren.
Nur wenn nach Art. 118 S. 2 GG die Neugliederung durch Bundesgesetz vorgenommen wird, muß dieses eine „Volksbefragung" vorsehen. Der Zweck einer sol305
Vgl. Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S.55f.: „Ein Bundesstaat [...] ist ein staatsrechtlich zusammengesetztes Staatsgefüge, das sich aus mehreren Staaten in der Weise zusammensetzt, daß die Teilnehmer Staaten bleiben oder sind (Gliedstaaten), aber auch die Verbindung selbst wieder ein Staat wird oder ist (Zentralstaat), an dessen Willensbildung die Gliedstaaten teilnehmen"; s.a. BVerfGE 1, 14 (34); kritisch Schnapp, in: v.Münch/Kunig, GG-K, Art. 20 Rn.6ff. 306 Das übersieht BVerfGE 1,14 (41). 307 Vgl. Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 115; Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 118 Rn. 3. 308 Vgl. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.60f. 309 Zu den Regelungserfordernissen einer Neugliederung vgl. unten 1. Kapitel D.III.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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chen Volks-„Befragung" wird aus dem Wortlaut nicht klar. Der Grundgesetzgeber hat ausdrücklich zwischen „Volksentscheid" in Art. 29 Π S. 1 GG und „Volksbefragung" in Art. 118 S. 2 GG unterschieden. Während ersteres unzweifelhaft und unstreitig eine verbindliche Entscheidung unmittelbar durch das Volk meint, steht letzteres schon nach seinem anderen Wortlaut hierzu im Gegensatz: eine Befragung ist unverbindlich310. Aber welchen Zweck erfüllt eine Befragung, nachdem gemäß Art. 118 S. 2 GG das die Neugliederung regelnde Bundesgesetz schon die Entscheidungen getroffen hat? Im Rahmen der Entstehung eines Neugliederungsgesetzes ist eine Befragung einsichtig. Sie soll die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit ermöglichen. Nach Erlaß des Neugliederungsgesetzes hingegen ist eine unverbindliche Volksbefragung nutzlos. Entgegen der durch den Verfassungsgeber im Wortlaut angelegten Intention hat der Bundesgesetzgeber die „Volksbefragung" nach Art. 118 S. 2 GG daher verfassungskonform als verbindlichen Volksentscheid verstanden311. Auch so kann wieder die landsmannschaftliche Verbundenheit in der ihr angemessenen Form berücksichtigt werden. Zwar wäre statt des Volksentscheides wiederum eine Beteiligung der betroffenen Länderparlamente dogmatisch vorzugswürdig. Doch würde dies der existenziellen Bedeutung der Entscheidung nicht gerecht werden: So wie die Verfassung eines Landes als seine normative Grundlage grundsätzlich der unmittelbaren Legitimation durch seine Landesbürger bedarf 312, ist die Entscheidung über die Auflösung und Neugründung eines Landes - die zugleich ein Außerkraftsetzen der jeweiligen Landesverfassung mit sich bringt - von gleicher grundlegender Bedeutung für das Landes(staats)wesen: der eine Akt ruft das Land in seiner rechtlichen Verfaßtheit ins Leben, der andere beendet sein Bestehen und führt es im Wege der Neugliederung 310 Vgl p e ii t piebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S.7 ff. 311 Siehe §§ 1-10 des Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern vom 4.5.1951 (BGB1.I S.284).-So auch die Literatur vgl. Scheuner, Gutachten, in: Der Kampf um den Südweststaat, 1952, S.356 (364ff.); Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 114; vgl. femer BVerfGE 1, 14 (41 f.); so wohl auch Maunz, Rechtsfragen zur Neugliederung im Südwestraum, in: DRZ 1949, S.532 (534); ders., Gutachten, in: Der Kampf um den Südweststaat, 1952, S. 339 (343 ff.); a. Α.: Glum, Die rechtlichen Voraussetzungen, das Verfahren und die Folgen der Neugliederung von Ländern nach dem Grundgesetz, in: Die Bundesländer, 1950, S. 171 (202) hält nach Art. 118 S. 2 GG - ohne weitere Begründung - sowohl eine Volksbefragung als auch einen Volksentscheid für möglich. 312 Dies entspricht sowohl demokratietheoretisch dem Gedanken, daß „alle Staatsgewalt in der jeweiligen Aktualität der Gegenwart vom betroffenen Staatsvolk legitimiert sein muß", so daß für das erstmalige Inkrafttreten einer Verfassung eine unmittelbare Legitimation durch die Bevölkerung wünschenswert ist, vgl. hierzu Kirchhof, R, Stetige Verfassung und politische Erneuerung, 1995, S. 223 ff., als auch der gegenwärtigen Verfassungspraxis, nach der die jüngeren Verfassungen der alten Bundesländer und die meisten Verfassungen der jungen Bundesländer einschließlich der neuen Verfassung für Berlin unmittelbar durch das Volk legitimiert sind, vgl. Art. 115 BbgVerf., Art. 155 BrVerf., Art. 1601 Hess Verf., Art. 801 M Werf., Art. 901 NRWVerf., Art. 144 RPVerf., zur VvB und zur BbgVerf. s. a. unten 2. Kapitel A.III. 6 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
einem neuen Landes(staats)wesen zu. Der Volksentscheid über eine Neugliederung verbindet daher elegant die unmittelbare demokratische Legitimation hierfür durch die betroffene Landesstaatsbevölkerung mit der nach Art. 291 S. 2 GG zu berücksichtigenden landsmannschaftlichen Verbundenheit. Denn diese läßt sich nicht besser verwirklichen, als durch eine unmittelbare Stellungnahme der Betroffenen selbst. Deren Entscheidung ist zu einem erheblichen Teil von ihrem Identifikationsbewußtsein geprägt. Unter diesem Aspekt erfordert auch eine Länderneugliederung durch Ländervereinbarung - wie sie auch in Art. 118 S. 1 GG vorgesehen war - einen Volksentscheid. Daß Art. 29 GG den Willen der Bevölkerung nicht - und im Rahmen des Art. 29 Vili GG nicht ausschließlich - über seine Repräsentanten in den betroffenen Länderparlamenten ermittelt, entspricht zwar nicht der grundsätzlichen Entscheidung des Grundgesetzes für eine Repräsentativdemokratie313. Die Volksabstimmung bei einer Neugliederung durch Ländervereinbarung ist insofern systemfremd. Sie ist zudem aus demokratietheoretischen Gesichtspunkten eine Doppelung in der Willensbildung: Einmal wird der Volks wille durch seine Repräsentanten zum Ausdruck gebracht. Daraufhin soll der dergestalt ermittelte Volkswillen nochmals direkt durch eine Volksabstimmung eingeholt werden. Sofern die Repräsentanten sich für eine Neugliederung entscheiden, werden sie ihrer Repräsentation enthoben. Ausschlaggebend ist einzig und allein die unmittelbare Stimme des Volkes. Andererseits kommt es nicht zu einer Volksabstimmung, so sich die Parlamentarier gegen die Neugliederung entscheiden. In diesem Fall wird eventuell der tatsächliche unmittelbare Wille des Volkes, der eben noch so wichtig sein sollte, überhaupt nicht erst gefragt. Daß eine Volksabstimmung der Kontrolle der Parlamentarischen Entscheidung dienen soll, überzeugt daher nicht. Dieser Gedanke würde dahin führen, daß in dem Fall, in dem sich das Parlament gegen eine Neugliederung entscheidet, das Volk dennoch befragt werden müßte. Entscheidet es sich für eine Neugliederung, müßte das Parlament gezwungen sein, sich der Sache erneut anzunehmen. Eine solche Regelung wird jedoch bislang nicht erwogen. Die Bedenken der doppelten Willensbildung sowie der mangelnden Systemkonformität verlieren jedoch an Gewicht vor dem Hintergrund der existentiellen Bedeutung der Entscheidung für das jeweilige Landes(staats)wesen. Damit steht der Stellenwert sowie die Art und Weise der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit fest: Sie ist im Wege des Volksentscheides die wesentliche Grundlage einer jeden Neugliederung314. Ohne sie kann und darf das Neugliederungsziel nicht verwirklicht werden.
313
Vgl. Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S.96. 314 Das verkennt der Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 87 Tz. 201.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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c) Die Ambivalenz eines Quorums als Erfordernis einer qualifizierten Mehrheit Die neugliederungsspezifischen Abstimmungsregelungen zeichnen sich - etwa in Art. 29 V I S. 1 GG - durch ein Quorum aus. Aufgrund ihrer Folgenschwere sind an diese Abstimmungsquoren mit Blick auf ihre demokratische Legitimationswirkung erhebliche Bedenken geknüpft. Die für ein Quorum im Zusammenhang mit einer Neugliederung vorgebrachten Beweggründe sind in höchstem Maße ehrenvoll: das über die einfache Mehrheit hinausgehende Quorum soll als unmittelbare Verwirklichung des Demokratieprinzipes ein möglichst umfassendes Einverständnis der Bevölkerung zur Neugliederung gewährleisten315. Wird das Quorum erfüllt, ist diese Demokratievorstellung fraglos realisiert. Auf der anderen Seite ist aber zu berücksichtigen, daß die Abstimmungsbeteiligungen grundsätzlich eher als gering einzustufen sind. Das gilt unabhängig von der in Frage stehenden Sachentscheidung und unabhängig von dem Maße, in dem die Bevölkerung von der Sachentscheidung betroffen ist. Als Beispiel316 sei der Versuch von 1924 erwähnt, ein Land Hannover aus Preußen auszugliedern: Er scheiterte schon daran, „daß es nicht gelang, eine hinreichende Anzahl von Abstimmungsberechtigten zu mobilisieren"317. Diese Auswirkungen vor Augen, ließ der Verfassungsgeber in Art. 29 GG (1949) für die „plebizitäre Komponente die einfache Mehrheit der in der Volksabstimmung abgegebenen Stimmen genügen"318. Vor diesem Hintergrund kann ein Quorum, das wie in Art. 29 ΠΙ S. 2 GG (1969) oder Art. 29 V I S. 1 GG (1976) eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen verlangt, die mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten umfaßt, nicht nur unter demokratietheoretischen Aspekten beurteilt werden319. So fanden am 19. Januar 1975 Volksentscheide in Rheinland-Pfalz gemäß Art. 29 Π, ΠΙ S. 2 GG (1969) statt, bei denen schon aufgrund der Abstimmungsbeteiligung ein positives Ergebnis nahezu ausgeschlossen war: Die Beteiligung lag im Abstimmungsgebiet Montabaur bei 46,5 v. H., in Koblenz-Trier bei 39,6 v. H. und in Rheinhessen bei 315
Vgl. etwa Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn.55 zur Quorumsregelung des Art. 29 VI GG; Einzelbegründung zu Art. 3 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3. - Zur Legitimationsfunktion des Mehrheitsprinzips vgl. Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie 1983, S.261f. 316 Ein weiteres Beispiel ist die amtliche Befragung der Bevölkerung der Stadt Neustadt, bei der es darum ging, ob sie kreisfrei bleiben soll, vgl. BVerfGE 34,216 (218 ff.). Hier beteiligten sich 56 v. H. der Neustädter Bevölkerung an der Abstimmung (ebda, S.222). Davon votierten 85 v. H. für die Erhaltung der Kreisfreiheit ihrer Stadt (ebda, S.222). 317 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 11; vgl. femer Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 4: In der Vorabstimmung vom 18.5.1924 fand der Antrag „zwar die Zustimmung von knapp 25 % der Abstimmungsberechtigten; da aber das von Art. 18 Abs. 4 WRV vorgeschriebene Drittel der Zahl der Abstimmungsberechtigten nicht erreicht war, kam es nicht mehr zu einer Hauptabstimmung". 3.8 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 11. 3.9 So aber Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 55 ff. 6*
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1. Kap.: Grundlagen
28,9 ν. H. 3 2 0 , so daß dementsprechend eine Zustimmung von 54 v. H., 63 v. H. und 86 v. H. hätte erreicht werden müssen. Staatsrecht und Demokratie bedeuten auch Staats- und Demokratiepraxis. Je schwerwiegender die Folgen einer rechtlichen Regelung einzustufen sind, desto erforderlicher ist es, ihre praktischen Konsequenzen bei der Erschaffung der Norm zu berücksichtigen. Anderenfalls setzen sich die Autoren der Regelung unweigerlich dem Verdacht aus, daß es ihnen bei dem hohen Ansetzen ihrer Meßlatte nicht um demokratische Legitimation, sondern um die Reduzierung der Wahrscheinlichkeit eines positiven Abstimmungsergebnis geht321. Je höher die Anforderungen an die erforderlichen Mehrheiten gehängt werden, desto drängender stellen sich Quoren als Verhinderungsklausel dar: „sie wirken sich dann zugunsten des status quo aus"322. Verlangt das Quorum etwa mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten, sind die nicht abgegebenen Stimmen nicht neutral, wie bei dem einfachen Mehrheitserfordernis der abgegebenen Stimmen. Sie gelten faktisch als „Nein"-Stimmen, wenn die Mehrheit der abgegebenen Stimmen , Ja"-Stimmen sind, sie aber nicht zugleich ein Viertel aller Abstimmungsberechtigten ausmacht. Ob diese Wertung mit der Zielvorstellung demokratischer Legitimation übereinstimmt, ist fraglich. Zum einen tragen ausschließlich die Befürworter des Projektes das Risiko der Bevölkerungsbeteiligung323. Nicht jeder Nichtabstimmende hätte sich bei seiner Stimmabgabe für „Nein" entschieden. Zum anderen ist es keinesfalls undemokratisch, wenn dem Nichtabstimmenden seine gelegentliche Wahlbeteiligung Demokratie genug ist und er im übrigen - insbesondere bezüglich der Abstimmung einer einzelnen Sachfrage - auf den Sachverstand der Abstimmenden vertraut. So wie bei Wahlen die volle Zahl der Mandate nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen verteilt wird, muß daher auch bei einem Volksentscheid allein die Mehrheit der abgegebenen Stimmen die Sachentscheidung treffen. „Es zählt nur, wer an die Urne kommt"324.
2. Chancengleichheit der Parteien Diese legitimatorischen, bislang nur unmittelbar auf die betroffene Bevölkerung bezogenen Darlegungen führen neben grundsätzlichen Erwägungen zur staatlichen 320 Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz (Hrsg.); Die Volksentscheide in RheinlandPfalz am 19. Januar 1975,1975, S.9. 321 So etwa bei der Einführung des Abstimmungsquorums von einem Viertel aller Abstimmungsberechtigten, die mindestens einer Neugliederung zustimmen müssen, in Art. 29 III GG im Jahre 1969 als Folge der Baden-Frage, siehe oben 1. Kapitel A.II.2. 322 Heun, Das Mehrheitsprinzip in der Demokratie, 1983, S. 123. 323 Jung, Welche Regeln empfehlen sich bei der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid (Volksgesetzgebung) auf Bundesebene?, in: Direkte Demokratie in Deutschland, Hrsg.: Evangelische Akademie Hofgeismar/Stiftung Mitarbeit, 1991, S. 19 (28f.). 324 Jung, Welche Regeln empfehlen sich bei der Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid (Volksgesetzgebung) auf Bundesebene?, in: Direkte Demokratie in Deutschland, Hrsg.: Evangelische Akademie Hofgeismar und Stiftung Mitarbeit, 1991, S. 19 (29).
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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und parteipolitischen Machtverteilung325 zu dem in Neugliederungsüberlegungen zu berücksichtigenden verfassungsrechtlichen Aspekt der Chancengleichheit der politischen Parteien. Keine Partei darf durch eine Neugliederung ungerechtfertigt gestärkt oder geschwächt werden326. Im Hinblick auf die sich überschneidenden Bestimmungen des Art. 291 GG überrascht es, daß gerade ein solch bedeutender Aspekt, selbst nachdem er erkannt worden war 327, bei keiner darauffolgenden Änderung des Art. 29 GG Beachtung fand. Das hat zwar wegen der sich für Parteien ohnehin „aus dem Mehrheitsprinzip, der Freiheit der Parteiengründung sowie den Prinzipien der Allgemeinheit und der Gleicheit der Wahl ergebenen Chancengleichheit"328 keine Folgen. Im Gegenteil ist es zu begrüßen, daß der Verfassungsgeber in diesem Punkt nichts in die Verfassung schreibt, was sich nicht schon aus ihrem jetzigen Wortlaut ergibt. Doch bleiben die Gründe der unterschiedlichen Behandlungsweisen zunächst unklar. Es ist nicht offensichtlich, daß die Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und der Erfordernisse der Raumordnung und Landesplanung einen höheren Stellenwert bei einem Neugliederungsvorhaben haben sollen als die Berücksichtigung der Chancengleichheit der Parteien. Immerhin ist die Gewichtung der Parteien untereinander ein Ausdruck der wählenden Bevölkerung, deren Willen ausdrücklich zu berücksichtigen ist. Doch an diesem Punkt angelangt, kommt Licht in das Dunkel: Als Ausdruck des Bevölkerungswillens ist die Stimmengewichtung der Parteien zueinander schon im Rahmen der landsmannschaftlichen Verbundenheit zu beachten und erfordert keine weitere Klarstellung329. 325
Siehe dazu Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 103 ff. Tz. 243 ff. Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 101 Tz. 238. - Die Aufrechterhaltung des parteipolitischen status quo gebietet zudem ein Blick auf die Verfassungspraxis: „Wer als Folge einer Neugliederung Besitzstand zu verlieren droht, wird sich dagegen stemmen bzw. um Kompensation bemühen; wenn ein neues Gefüge entsteht, werden die politischen Akteure darauf achten, gegenüber der bisherigen Gewichtsverteilung nicht ins Hintertreffen zu geraten." Nur wenn diese Interessen und Widerstände „angemessen berücksichtigt werden, ist mit einem Konsens in der Neugliederungsfrage zu rechnen", Hrbek, Das Problem der Neugliederung des Bundesgebiets, in: APuZ 21 (1971) Β 46, S. 46ff.; in diesem Sinne bereits Lerche, Föderalismus als nationales Ordnungsprinzip, in: VVDStRL 21 (1964), S.66 (96 Fn. 107): „Es ist klar, daß sehr kühne Vorschläge, Bundesstaaten mit traditionell gefestigter Einzelstaatlichkeit grundsätzlich ökonomisch-rationell umzubauen [...] nur geringe Erfolgserwartungen haben können [...]." 327 Erstmals in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. lOOff. Tz. 235ff.; S. 226ff. Tz. 548 ff. 328 Preuß, in: AK-GG, Art.21 Rn.45ff.; s.a. Pierotk, in: Jarass/Pieroth, GG-K, Art.21 Rn. 11 f. 329 Daher ist die Ansicht von Maunz/Herzog, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn. 26 unzutreffend, die wegen der angeblich abschließenden Regelung der Voraussetzungen des Art. 291 GG die Berücksichtigung der „politischen Färbung der neu entstehenden Länder" für unzulässig hält. Sofern Art. 291 GG - wenig überzeugend (s. u. 1. Kapitel D.I.) - für abschließend erachtet wird, ist dies hier ohnehin unbeachtlich. - Wegen der bisher ungenauen Gewichtung der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit erstaunt es nicht, daß die erforderliche Chancengleichheit der Parteien erst im Emst-Gutachten 1973 Beachtung fand und auch 326
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1. Kap.: Grundlagen
IV. Entscheidungsspielräume bei den unbestimmten Rechtsbegriffen des Art. 291 GG Die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 291 GG führt zu der Frage nach der Art und Weise ihrer Anwendung - oder umgekehrt nach der Tiefe ihrer rechtlichen Überprüfbarkeit. Teilweise eindeutig ist zumindest die Rechtsfolgenseite des Art. 291 GG: liegen die Voraussetzungen vor, kann neugegliedert werden. Den Neugliederungsbeteiligten ist bezüglich des „Ob" Ermessen eröffnet. Mit Schwierigkeiten behaftet ist indessen die - Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge übergreifende - Auseinandersetzung, wann und bei welchem Datenbefund auf Tatbestandsebene ein Land als leistungsschwach zu klassifizieren ist und vor allem auf der Rechtsfolgenseite: Wie muß das neue Land zahlenmäßig in concreto beschaffen sein, um als dauerhaft leistungsstark oder jedenfalls als leistungsstärker als die sich neugliedernden Länder zu gelten? Welcher DM-Betrag beispielsweise im Finanzausgleich oder bei anderen Finanzströmen gibt einer Neugliederung grünes Licht? Art. 291 GG eröffnet den unmittelbaren Neugliederungsbeteiligten für diese Fragen Entscheidungsspielräume. Dieser Begriff ist dem Verwaltungsrecht entlehnt und bezeichnet die Möglichkeit des Entscheidungsträgers, bei der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes auf der Tatbestandsseite in rechtlich nur begrenzt überprüfbarer Weise eine Würdigung des Sachverhaltes vorzunehmen330. Je nach der verwaltungsrechtlichen Materie differieren die Bezeichnungen von Beurteilungsspielraum, Anwendungsspielraum, Einschätzungsprärogative, etc. und finden sich auf staatsrechtlicher Ebene, etwa als parlamentarischer Entscheidungsoder Handlungsspielraum bei der Gesetzgebung, wieder 331. Allen Vorgängen ist gemeinsam, daß die Entscheidung rechtlich allein darauf überprüfbar ist, ob der Entscheidungsfindungsprozeß fehlerfrei erfolgte. Der sachliche Inhalt der Entscheidung hingegen entzieht sich der rechtlichen Überprüfbarkeit. Nichts anderes kann für die Umsetzung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 291 GG gelten. Zwar sind sie in ihrer Auslegung „unmittelbar bindende Rechtsbegriffe und nicht lediglich ein Programmsatz, den die Neugliederungsbeteiligten dort, ohne die tieferen Zusammenhänge inneihalb der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 291 GG zu erkennen. 330 Auf verfassungsrechtlicher Ebene fand statt dessen ursprünglich der Begriff des „Ermessens" Verwendung, vgl. etwa v. MangoldtlKlein, Das Bonner Grundgesetz, GG-K, Art. 29, S.726. 331 Die Existenz verwaltungs- und verfassungsrechtlicher Entscheidungsspielräume ist heute anerkannt und kann ohne weitere Vertiefung als gegeben vorausgesetzt werden, vgl. für das Verwaltungsrecht etwa Ossenbühl, in: Erichsen, AllgVwR, 1998, § 10 Rn. 31 ff. (S. 214ff.); Kopp, VwGO, 1994, § 114 Rn.24b; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, §6IV (S. 132ff.); für das Verfassungsrecht vgl. Dreier, in: ders., GG-K, Art. 1 III Rn.41; Dürig, in: MDHS, GG-K, Art. 1 III Rn. 105.
Β. Neugliederung gemäß Art. 291 GG
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zu beherzigen hätten332. Sie halten jedoch das „Ergebnis der Entscheidung offen". 333 Das ergibt sich jedoch nicht schon aus „ihrer eigenen Unbestimmtheit und der damit verbundenen Subsumtionsprobleme"334. Die Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes eröffnet nicht automatisch einen Entscheidungsspielraum335. Das gilt umso mehr, als die Unbestimmtheit eines Rechtsbegriffes seine konkrete Anwendbarkeit wegen daraus entstehender Subsumtionsprobleme vereitelt. Mit diesem Argument eröffnete jeder unbestimmte Rechtsbegriff einen Entscheidungsspielraum, was mit Blick auf Art. 19IV GG nicht möglich ist336. Liegt ein unbestimmter Rechtsbegriff vor, ist zunächst im Wege der Auslegung sein Inhalt und seine Bedeutung zu ermitteln337. Auf seiner Unbestimmtheit beruhende Subsumtionsprobleme sind daher in der Anwendung eines Rechtsbegriffes ausgeschlossen. Allerdings kann die Auslegung oder Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes im weiteren ergeben, daß sein Anwender einen nicht rechtlich überprüfbaren Spielraum bei seiner Entscheidung hat338. Diese mangelnde Überprüfbarkeit kann auf verschiedenen Ursachen beruhen, die sich in drei Entscheidungsgruppen zusammenfassen lassen: Es geht entweder um - nur verwaltungsrechtlich relevant - Prüfungsentscheidungen, deren Entscheidungsfindungsprozeß sich ex post nicht mehr nachvollziehen läßt, um eine Entscheidung, die auf dem überragendem Sachverstand durch ein Sachverständigengremium beruht oder um eine Planungs-, Prognose-, oder Risikoentscheidung339. In allen Fällen geht es gewissermaßen um „höchstpersönliche" Beurteilungen und Wertungen eines Sachverhaltes340, deren Überprüfbarkeit zumeist aus faktischen Gründen nicht möglich ist. Die mangelnde Überprüfbarkeit liegt in der Natur der Sache341. Ihre rechtliche Zulässigkeit kann sich einmal daraus ergeben, daß die Materie überhaupt geregelt ist oder aus der Art und Weise, daß die Materie so, wie geschehen, geregelt ist: Entscheidet sich der Gesetzgeber beispielsweise zur friedlichen Nutzung der Kernenergie, akzeptiert er zugleich die damit erforderlich 332
Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art.29 Rn.23; s.a. v.Mangoldt!Klein, Das Bonner Grundgesetz, GG-K, Art. 29, S.726. 333 Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 36. 334 So aber Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art.29 Rn.23. 335 Vgl. etwa Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, §6IV (S. 134). 336 Vgl. nur BVerfGE 88,40 (56ff.); BVerwGE 94, 307 (309ff.); 100, 221 (225). 337 Zur Auslegung von Verfassungsnormen siehe Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bdl, 1984, S. 123ff. 338 Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, §6IV (S. 134ff.). 339 Vgl. Ossenbühl, in: Erichsen, AllgVwR, 1998, § 10 Rn.34ff. (S. 215 ff.); Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, § 6IV (S. 134 ff.). - Liegt ein verwaltungsrechtlicher Entscheidungsspielraum vor, muß er durch Gesetz zugelassen sein. Dies ist gegebenenfalls durch Auslegung zu ermitteln. Das eigibt sich in grundrechtsrelevanten oder sonst wesentlichen Bereichen aus der Wesentlichkeitstheorie, vgl. BVerfGE 49, 89 (125 ff.); 61, 260 (275); 68, 1 (109f.); 88, 103 (116ff.); v.Arnim, Zur „Wesentlichkeitstheorie" des Bundesverfassungsgerichts, in: DVB1. 1987, 1241 ff. 340 Ramsauer, Die Assessorprüfung im öffentlichen Recht, 1995, S. 354 Rn. 37.08; zur Verortung des Beurteilungsspielraumes vgl. BVerwGE 72, 38 (53). 341 Vgl. etwa Kopp, VwVfG, 1996, §40 Rn.43f.
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1. Kap.: Grundlagen
werdenden rechtlich nicht auf ihren Inhalt überprüfbaren Planungs-, Prognose- und Risikoentscheidungen der Verwaltung. Bei Risikoentscheidungen dient es zudem „einer Dynamisierung des Rechtsgüterschutzes", wenn der Gesetzgeber die Beurteilung „in die Hand der Exekutive" gibt342. Entscheidet sich die Verfassung, eine Neugliederungsoption vorzusehen und an sie bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen, räumt sie den Neugliederungsbeteiligten gleichzeitig ein, die - faktisch nicht überprüfbaren - Planungs- und Prognoseentscheidungen vorzunehmen, die für die Neugliederung notwendig sind. Bestimmt - wie das Grundgesetz - die Verfassung eines kooperativen Föderalismus die Voraussetzungen einer Neugliederung, läßt sie zudem hinsichtlich der Art und Weise des Vorgehens immanent den hierfür erforderlichen intensiven Interessenausgleich aller Glieder des Staates nicht nur zu, sie verlangt ihn sogar. Nur so kann sie sicherstellen, daß die Neugliederung sowohl dem Bundesstaat als ganzes als auch den sich neugliedernden Ländern - respektive dem neuen Land - zum maximal für alle Staatsglieder erreichbaren Vorteil i. S. v. Art. 291 GG gereicht. Dieser Interessenausgleich findet in entsprechenden Verhandlungen der Beteiligten, d. h. den Regierungen von Bund und Ländern statt. Die dort gefundenen Entscheidungen stehen der Entscheidung eines Sachverständigengremiums nicht nach. Im Gegenteil wird kaum eine Entscheidung mit konzentrierterem Sachverstand möglich sein, als sie sich durch die Beteiligung mehrerer Ministerialverwaltungen zu einer Materie ergibt. Die Verfassung räumt also auch hier wieder Spielräume bei der Entscheidungsfindung ein. Die von Art. 291 GG bereitgestellten Entscheidungsspielräume führen jedoch nicht dazu, daß „ihre Justitiabilität [...] sich weniger auf die Frage" bezieht, „welche Neugliederungskonzeption sie enthalten oder gar fordern, als vielmehr auf die Frage, welche Neugliederungskonzeption mit ihnen überhaupt nicht mehr vereinbar ist."343 Diese Feststellung wird dem Befund der Entscheidungsspielräume in Art. 291 GG nicht gerecht: Soweit Art. 291 GG Entscheidungsspielräume eröffnet, ist eine inhaltliche Überprüfung auf die Vereinbarkeit einer Neugliederungskonzeption mit Art. 291 GG gerade nicht möglich. Die Frage nach der noch vereinbaren Neugliederungskonzeption stellt sich nicht. Die rechtliche Überprüfung beschränkt sich hinsichtlich der Entscheidungsspielräume allein auf die Frage, ob der Entscheidungsfindungsprozeß - soweit der Überprüfung zugänglich - rechtsfehlerfrei war, d. h. ob die Entscheidung ohne Beurteilungsfehler zustandegekommen ist. In Anlehnung an das Verwaltungsrecht richtet sich der Prüfungsmaßstab zweckmäßigerweise nach der Art des Entscheidungsspielraumes344.
342 BVerwGE 81,185 (190), vgl. zum Beurteilungsspielraum der Verwaltung bei der Genehmigung von Kernkraftwerken femer: BVerwGE 72, 300 (315f.); 78,177 (180); zu Planungs-, und Risikoentscheidungen s. a. Ossenbühl, 40 Jahre Bundesverwaltungsgericht, in: DVB1. 1993, S.753 (755). 343 Maunz/Herzog/Scholz, in: MDHS, GG-K, Art. 29 Rn. 23. 344 Vgl. im einzelnen Ramsauer, Die Assessorprüfung im öffentlichen Recht, 1995, S. 357 ff. Rn. 37.1 Iff.
C. Nicht normierte Regelungsgegenstände eines Neugliederungsvertrages
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C. Nicht ausdrücklich normierte Regelungsgegenstände eines Neugliederungsvertrages Art. 291 GG bestimmt die materiellen Anforderungen an eine Neugliederung. Neben diesen ausdrücklichen Voraussetzungen erfordert eine Neugliederung jedoch weitere Regelungen. Zur Sicherung der Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind das konkrete Vorgehen nebst Übergangsbestimmungen sowie die Grundstrukturen des oder der zukünftigen Länder zu regeln. Die Regelungsbereiche ergeben sich immanent aus dem Vertragsgegenstand, der Neugliederung345. Dabei bedürfen einige Materien der Regelung, ohne daß sie grundsätzliche Schwierigkeiten bereiten, die hier zu klären wären: der Übergang der Hoheitsrechte, die Rechtsnachfolge, eine neue gemeinsame Verfassung, die Wahlen des ersten gemeinsamen Landtages, die Rechtsvereinheitlichung, die demokratische Vertretung der Bevölkerung, die Übernahme der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, die Aufteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten, der Sitz von Behörden und Gerichten sowie das Schul- und Bildungswesen. Zum Teil ist hier der Regelungskanon sachimmanent vorbestimmt oder aber er verliert sich in spezifischen Eigenheiten der betroffenen Länder und entzieht sich einer zu verallgemeinernden Diskussion. Zu einem anderen Teil sind es Fragen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit, die sachnäher unter die Voraussetzungen des Art. 291 GG zu subsumieren sind: die Art und Weise der Übernahme der Angestellten und Beamten oder die Aufteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten. Andere Bereiche jedoch werfen Fragen auf, die geklärt werden müssen, bevor die entsprechenden Bestimmungen im Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg auf ihren Gehalt untersucht werden können: die Übergangsvorschriften sowie die Zusammenarbeit in der Übergangszeit (I.), etwaige Bestandsgarantien (Π.) sowie der Rechtsweg für Streitigkeiten aus dem Vertragswerk (IH.).
I. Übergangsvorschriften - Zusammenarbeit in der Übergangszeit Im Rahmen einer Neugliederung gibt es Regelungsbereiche, die nicht in einer juristischen Sekunde umgestellt werden können. Sofern die sich neugliedernden Länder einen gewissen zeitlichen Vorlauf für die Neugliederung vorsehen, sind Übergangsregelungen zu schaffen. Das gilt insbesondere, wenn es, wie im Fall BerlinBrandenburg, um die Zusammenlegung zweier Länder geht. Für die Übergangszeit ist sicherzustellen, daß die Länder in ihrer Gesetzgebungs-, Regierungs- und Verwaltungstätigkeit einen Gleichschritt entwickeln, der die jeweiligen Materien verschmelzen läßt. Zur Gewährleistung einer bestmöglichen Zusammenarbeit in diesen Bereichen liegt es nahe, Koordinationsgremien zu schaffen. Derartige vertragliche 345 Vgl. etwa die Eingliederungsverträge zwischen Preußen und Waldeck-Pyrmont 1921 sowie zwischen dem Freistaat Coburg und dem Freistaat Bayern 1920, unten 1. Kapitel D. IV. vor 1. (Fn.432).
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Koppelungen bergen durch die damit verbundene Delegierung von Mitwirkungsbefugnissen am staatlichen Leben die Schwierigkeit, daß mit enger werdendem Schulterschluß die betroffenen Länderparlamente in ihren demokratisch legitimierten Rechten unter Umständen erheblich beschnitten werden. Wo aber sind die Grenzen zur Verfassungswidrigkeit zu ziehen? Kisker hat die verfassungsrechtlichen Bedenken, die mit einer vertraglichen Zusammenarbeit von Ländern entstehen, in drei Punkten zusammengefaßt: „1. Sie gefährdet die vom GG vorausgesetzte innerbundesstaatliche Balance; 2. sie gefährdet die durch Art. 201 und 281 GG gebotene demokratische Ordnung insofern, als sie den sich vertraglich Bindenden einer Macht (ζ. B. einem anderen Land) ausliefert, die nicht durch seinen Demos legitimiert, nicht auf seine Interessen eingeschworen ist (Fremdherrschaft); 3. sie gefährdet die durch Art. 201 und 281 GG gebotene demokratische Ordnung ferner auch insofern, als sie zu der für alle »Außenpolitik" charakteristischen Verschiebungen der internen Machtbalance vom Parlament hin zur Exekutive führt (basisferne Herrschaft)" 346. Freilich sind die Maßstäbe im Übergangsstadium einer Neugliederung andere als in der alltäglichen Verfassungspraxis. Das ergibt sich aus ihrem Übergangscharakter. Dem schließt sich etwas Neues an, das sich dann allerdings an den hergebrachten Kriterien messen lassen muß. Doch verdeutlichen die Kiskerschen Punkte, daß die verfassungsrechtlichen Bedenken auf die Übergangszeit im Vorfeld einer Neugliederung nicht zum Tragen kommen: Zu Punkt 1.: Zwar verändert die vertragliche Zusammenarbeit mehrerer sich neugliedernder Länder abhängig von ihrer Intensität die bundesstaatliche Gewichtung. Ob sie allerdings auch die bundesstaatliche „Balance" verändert, ist fraglich: Balance bedeutet Gleichgewicht. Ein solches besteht jedenfalls unter den Ländern nicht. Im Hinblick etwa auf die sehr unterschiedliche Finanz- und Wirtschaftskraft der Länder, die allein durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich kompensiert wird, ist eine Balance nicht ersichtlich. Sofern man sie als durch den Finanzausgleich gegeben sieht, kann dieser einer neuen Situation angepaßt und das Gleichgewicht hergestellt werden347. Bedenken bezüglich der bundesstaatlichen Balance kommen nicht zum Tragen. Im Verhältnis zwischen Bund und Ländern werden die föderativen Kräfte über den in das Gesetzgebungsverfahren eingebundenen Bundesrat im Gleichgewicht gehalten. Jedes Land ist dort durch eine verfassungsmäßig vorgesehene Stimmenanzahl vertreten. An diesem Procedere ändert die vertraglich vereinbarte Zusammenarbeit mehrerer Länder nichts. Der Bundesrat ist das Sprachrohr der Länder im Bund. In ihm können und sollen sie ihre Interessen artikulieren. Daß die Effizienz der Interessenartikulation durch eine Zusammenarbeit mehrerer Länder - etwa durch gemeinsames Abstimmungsverhalten - gesteigert
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Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 143 (Hervorhebungen bei Kisker). Hinsichtlich der Gewichtung der politischen Kräfte sowie der etwaigen Besonderheiten der jeweiligen Länderfinden diese durch die Berücksichtigungsgebote des Art. 291 GG die ihnen angemessene Beachtung, so daß sie das bundesstaatliche Gleichgewicht im Rahmen einer Zusammenarbeit hin zu einer Neugliederung nicht gefährden. 347
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wird, bewegt sich im Rahmen des grundgesetzlich festgelegten föderativen Gefüges348. Also auch hier werden die bundesstaatlichen Kräfte nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Doch selbst, wenn eine übeigangsweise Zusammenarbeit eine bedenkliche Kräfteverschiebung bedeuten würde, müßte diese im Hinblick auf den durch die Neugliederung letztlich entstehenden Zustand gewürdigt werden. Dieser ist, sofern er den an eine Neugliederung gestellten Voraussetzungen genügt, verfassungsmäßig und soll die bundesstaatlichen Kräfteverhältnisse in ein Gleichgewicht oder einem solchen jedenfalls näher bringen. Wenn aber der letztendliche, durch eine Neugliederung erreichte Zustand eine positive Bewertung erfährt, ist die in ihn einmündende Zusammenarbeit der betroffenen Länder aus bundesstaatlicher Sicht immer ein Plus zu dem unerwünschten, eine Neugliederung auslösenden Ausgangszustand. Zu Punkten 2. und 3.: Die demokratietheoretischen und verfassungsrechtlichen Bedenken der Fremdherrschaft und der basisfernen Herrschaft treffen in der Sache abhängig von der Art und Weise, dem Maß und der Dauer der vereinbarten Zusammenarbeit zu 349 . Das Grundgesetz führt einerseits in Art. 201, 28 GG die demokratischen Prinzipien auf. Andererseits sieht es in Art. 118 S. 1,118 a, 29 VIII GG vor, daß Länder sich durch Vereinbarung neugliedern. Damit billigt es grundsätzlich die Nebenwirkungen, deren es für eine Neugliederung bedarf. Eine Lösung des Konfliktes findet sich nur im Wege der Verfassungsinterpretation in einer Abwägung zwischen den genannten Bedenken und der Zusammenarbeit, die für die Übergangszeit vorgesehen wird: Die Normen des Grundgesetzes sind so auszulegen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes und seiner Werteordnung vereinbar sind und daß Widersprüche zwischen den einzelnen Regelungen vermieden 348 Wie hier auch Reichard, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Länderkooperation in der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 167f. 349 So wird die Kooperation mit Organen eines anderen Landes oder durch eine zwischenlandliche Institution - teilweise je nach Intensität - als Verstoß gegen das Demokratieprinzip angesehen, vgl. Hirschmüller, Die Konferenzen der Ministerpräsidenten und Ressortminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.70f.; Klein, F., Verfassungsrechtliche Grenzen der Gemeinschaftsaufgaben, in: Schriftenreihe der Hochschule Speyer 11 (1961), S. 125 (157); Kölble, „Gemeinschaftsaufgaben" der Länder und ihre Grenzen, in: NJW 1962, S. 1081 (1084f.); Krämer, Organisatorische Verbindungen auf Länderebene, 1973, S. 154ff.; Kratzer, Die Mainzer Fernsehanstalt, in: DVB1. 1963, S.309 (313); Scheuner, Struktur und Aufgabe des Bundesstaates in der Gegenwart, in: DÖV 1962, S.641 (648). Der institutionalisierten Länderkooperation stehen grundsätzlich positiv und mit nur wenigen Vorbehalten gegenüber Bergdolt, Gemeinschaftseinrichtungen der Länder auf Bundesebene und das Grundgesetz, 1965, S. 121; Krapp, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit gemeinsamer Ländereinrichtungen, Hrsg.: Sekretariat des Bundesrates, 1962, S.58ff. Unter der Voraussetzung des Verbotes der Selbstpreisgabe wird das Maß der Fremdbestimmung durch Ländervereinbarungen in der Länderpraxis im übrigen als „weit davon entfernt" gesehen, Vedder, Intraföderale Staats Verträge, 1996, S. 145; ferner Jagenlauf\ Die Vereinbarkeit der Gemeinschaftseinrichtungen der Bundesländer mit dem Grundgesetz, 1966, S. 115 f.; Wolff, Die Rechtsbeziehungen zwischen den Ländern der Bundesrepublik Deutschland, 1968, S. 189.
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werden . Entstehen Kollisionen, verlangt das Prinzip der Einheit der Verfassung, daß den sich gegenüberstehenden verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern in praktischer Konkordanz Grenzen gezogen werden, durch die sie zu bestmöglicher Entfaltung gelangen351. Wegen der Vielzahl der Parameter, die eine Zusammenarbeit ausgestalten, kann die praktische Konkordanz nur im konkreten Fall gesondert für den Aspekt der Fremdherrschaft sowie den der basisfernen Herrschaft vorgenommen werden352. Allerdings können Kriterien an die Hand gegeben werden, mittels derer die Abwägungen vorzunehmen sind: Die Grenzziehungen der betroffenen Rechtsgüter müssen „im konkreten Falle verhältnismäßig sein; sie dürfen nicht weiter gehen, als es notwendig ist, um die Konkordanz beider Rechtsgüter herzustellen"353. Es bietet sich an, auf die für die Grundrechte - insbesondere für Art. 12 GG differenziert - entwickelte und auch im Verwaltungsrecht angewandte Verhältnismäßigkeitsprüfung zurückzugreifen. Das Demokratieprinzip soll - jedenfalls vorübergehend - zurückgedrängt werden. Insoweit kann es wie ein Grundrecht angesehen werden: Die Beschränkung muß dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck - der Erreichung der Neugliederung - dienen und muß als ein Schritt auf dem Wege dorthin geeignet sein. Das Demokratieprinzip kann auch nur dann im Hinblick auf eine Neugliederung wie vorgesehen beschränkt werden, wenn es mangels anderer milderer Mittel zur Zweckerreichung erforderlich ist. Wegen der grundlegenden Bedeutung des Demokratieprinzipes ist das gewonnene Ergebnis in einer Feinabstimmung nochmals auf seine Angemessenheit zu überprüfen. Der Einwand von Konrad Hesse, daß es sich bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen der praktischen Konkordanz nicht um „eine Relation zwischen einem konstanten ,Zweck4 und einem oder mehreren variablen »Mitteln* handele354, geht fehl: Die Bestimmung der Zweck-Mittel Relation ist ein Verfahren, das die Grenzen der beiden in Konkordanz zu bringenden Rechtsgüter in concreto ausformt. Es ist ein Mittel zu finden, das einerseits dem Neugliederungsvorhaben möglichst dienlich ist. Auf der anderen Seite hat dem Demokratieprinzip eine möglichst schonende Behandlung zu widerfahren. Die Verfassungswerte Demokratieprinzip und Neugliederung erfahren anhand einer konkreten Leitlinie ihre fallbezogenen gegenseitigen Grenzen. Das von Hesse beabsichtigte bloße Gegenüberstellen und Abwägen der beiden Rechtsgüter läßt ein solches Verfahren vermissen355. Der hier eingeschlagene 350
BVerfGE 19, 206 (220) m. w. N. Vgl. Ehmke, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, in: VVDStRL 20 (1963), S.53 (77 ff.); Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 125 ff.; Müller, F., Normstruktur und Normativität, 1966, S.213ff. 352 So hinsichtlich der basisfemen Herrschaft auch Reichard, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Länderkooperation in der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 138. 353 Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S.28 Rn. 72. 354 Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S.28 Rn.72. 355 Vgl. Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S.28 Rn.72. 351
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Weg stellt die betroffenen Rechtsgüter gegenüber und erarbeitet ihre Relation ganz im Sinne Hesses als solche „zweier variabler Größen"356.
II. Die Labilität einer ewigen Bestandsgarantie: clausula rebus sie stantibus Schließen Länder einen Neugliederungsvertrag, werden die Vertragspartner jeweils auch Interessen einbringen, die für sie von höchster Bedeutung sind, so daß sie diese mittels einer „Ewigkeitsklausel" festzuschreiben bestrebt sind. Dergestalte Versteinerungsklauseln finden sich auch in dem von Berlin und Brandenburg vereinbarten Neugliederungs-Vertrag 357. Indes sind vertragliche Versteinerungsklauseln mit Blick auf die clausula rebus sie stantibus nicht unproblematisch. In der Vergangenheit gab es zwischen dem untergegangenen und dem verbliebenen Land immer wieder Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit von Maßnahmen, die durch eine Veränderung der Umstände erforderlich erschienen, jedoch bezüglich des Neugliederungsvertrages bedenklich waren358. So hat das Bundesverfassungsgericht in dem Streit der Stadt Königsberg i. Bay. gegen das Land Bayern, in dem es im Rahmen der Neustrukturierung der Forstverwaltung um eine Verlegung des aufgrund Neugliederungsvertrages in Königsberg i. Bay. errichteten Forstamtes ging, prägnant festgestellt: „Eine Klausel mit solchem Inhalt - also unbeschränkte Bestandsgarantie - stellt innerhalb eines Staatsvertrages der hier in Rede stehenden Art etwas Außergewöhnliches dar. Kein Staat wird sich im allgemeinen hinsichtlich seiner Behördenorganisation - und sei es auch nur punktuell - für die Zukunft binden, weil eine solche Bindung jeder Reform im Wege stünde, die staatlichen Einrichtungen aber, wie jeder Vernünftige weiß, immer wieder an die veränderten Verhältnisse und Bedürfnisse angepaßt werden müssen"359. Diese Auslegung des Staatsvertrages verdeutlicht die Bedenken gegen eine Bestandsgarantie. Eine Bestandsgarantie ist daher nur unter der Voraussetzung wirksam, daß sie „für eine bestimmte Einrichtung [...] klar und ausdrücklich erklärt" wird 360. Dies ist ein Ausfluß der Vertragsfreiheit der Parteien, die grundsätzlich selbst entscheiden müssen, ob eine Bestandsgarantie vernünftig ist und wie weit sie reichen soll. Doch auch eine ewige Bestandsgarantie hält nicht ewig: „Eine vertraglich unbeschränkt und vorbehaltlos gegebene Garantie steht aber unter dem Vorbehalt der clausula rebus sie stantibus"361. 356
Vgl. Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1995, S.28 Rn.72. 357 Siehe hierzu unten 2. Kapitel C.7. 3 « Vgl. etwa BVerfGE 34,216 (Coburg II); 38, 23 (Coburg III). 359 BVerfGE 38,231 (238). 360 BVerfGE 38,231 (238); als eine Bestandsgarantie hat BVerfGE 22,221 (234) allerdings schon die Formulierung in § 10 des Staatsvertrages zwischen dem Freistaat Coburg und dem Freistaat Bayern gewertet: „die in Coburg bestehenden staatlichen Bildungsanstalten werden auch weiterhin erhalten". 361 BVerfGE 34, 216 (230).
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Das gilt unabhängig davon, ob die clausula als völkerrechtlicher Grundsatz zur Lükkenfüllung herangezogen wird 362 oder als ungeschriebener Bestandteil des Verfassungsrechts seine Herleitung aus dem Prinzip der Bundestreue363findet. Sollten sich „die Verhältnisse, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden haben, mittlerweile grundlegend geändert haben und angesichts dieser Veränderung das Festhalten am Vertrag für den Verpflichteten unzumutbar geworden" sein, ist die clausula anwendbar364. „Sie geht zunächst auf Anpassung des Vertrages an die veränderten Verhältnisse, u. U. also auf Milderung einer vertraglich übernommenen Verpflichtung und, wenn die inhaltliche Modifizierung einer vertraglich übernommenen Leistung nicht möglich erscheint, auf einen Ausgleich in Geld, soweit dies zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts der im Vertrag vereinbarten Leistungen und Gegenleistungen nötig ist"365. Eine ewige Bestandsgarantie kommt daher überhaupt nur für Materien in Betracht, bei denen eine grundlegende Veränderung der Umstände - das Fortbestehen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorausgesetzt - nicht absehbar ist. Darüber hinaus ist bei Bestandsgarantien wegen der clausula rebus sie stantibus Zurückhaltung geboten. Es ist den Parteien wenig geholfen, wenn die ursprünglichen Bestandsgarantien durch veränderte Umstände gegenstandslos werden und eine gütliche Einigung nicht absehbar ist. Der Rechtsstreit ist vorprogrammiert. An dieser Stelle ist ein Neugliederungsvertrag zweifach aufgefordert, Vorsorge zu treffen: Zum einen sollte er das verfahrensrechtliche Instrumentarium zur Verfügung stellen, mit dem der Vertrag gegebenenfalls den neuen Umständen angepaßt werden kann, so daß ein Rechtsstreit vermieden wird. Zum anderen muß er sich entweder ausdrücklich oder durch Fehlen einer Regelung für einen möglichen Rechtsweg entscheiden.
362 So noch StGH für das Deutsche Reich, abgedr. in: Entscheidungssammlung RGZ 112, Anh. S.21 (26ff.). 363 So BVerfGE 34, 216 (231 f.); Schneider, H.; Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen deutschen Bundesländern, in: DÖV 1957, S. 644 (648); vgl. auch Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 226ff., 253ff.; kritisch Vedder, ebda, S. 261 ff. - Zur Herleitung des Verfassungsprinzips der Bundestreue durch Rudolf Smend siehe Korioth, Integration und Bundesstaat, 1990, S. 16ff., S.85: „Smends Ansatzpunkt [...] ist der Versuch, zwischen den beiden wichtigsten Deutungen des Bundesstaates, der unitarisch ausgerichteten Staatskorporation Labands und der föderalistischen Leugnung des Bundesstaates bei v. Seydel zu vermitteln. Hierzu führt Smend den Grundsatz der .Vertragstreue und bundesfreundlichen Gesinnung4 zwischen den Bundesgliedem als allgemeinen Rechtsgrundsatz ein. Der Verfassungsrechtssatz der Bundestreue ist in dogmengeschichtlicher Hinsicht der Ertrag der Smendschen Abhandlung". 364 BVerfGE 34, 216 (232). 365 BVerfGE 34, 216 (232f.).
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I I I . Rechtsweg für Streitigkeiten um einen und aus einem Neugliederungsvertrag Der Rechtsweg für Auseinandersetzungen, die im Zusammenhang mit einem Staatsvertrag auftreten können, ist zu differenzieren. Für verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Ländern ist nach überwiegender Ansicht grundsätzlich gemäß Art. 9 3 1 Nr. 4 GG das Bundesverfassungsgericht zuständig 366 . Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn es um die Anwendung oder Auslegung der Verfassung, also des Grundgesetzes oder einer Landesverfassung geht 367 . I m Rahmen eines Staatsvertrages auf Länderebene sind dies insbesondere Auseinandersetzungen darüber, ob der Vertrag von den zuständigen Organen abgeschlossen und ratifiziert ist, ob die Rechte der gesetzgebenden Körperschaften gewahrt wurden 3 6 8 oder ob der Vertrag mit dem Grundgesetz oder den Landesverfassungen vereinbar ist 3 6 9 , kurz, es geht um den Vertrag. Insoweit ist das Bundesverfassungsgericht auch noch dann zuständig, wenn das beschwerdeführende Land inzwischen untergegangen ist es und Rechte gegen das aufnehmende Land geltend macht 370 . Geht es allerdings um Streitigkeiten aus einem Vertrag, handelt es sich gerade nicht „um Streitigkeiten, die im Bundesverfassungsrecht ihre Wurzel haben" 371 . Das Bun366 Die Gegenansicht, die auf Art. 931 Nr. 3 GG abstellt, entbehrt der Begründung wie Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S. 663 f., auf den hier verwiesen sei, überzeugend darlegt. Vgl. ferner Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 148 ff.; Schneider, H., Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen deutschen Bundesländern, in: DÖV 1957, S. 644 (649); BVerfGE 22, 221 (230f.); 34, 216 (226). 367 Zur Differenzierung der verfassungsrechtlichen und nichtverfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang des jeweils zu beschreitenden Rechtsweges siehe Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S. 665 ff.; Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.289 § 19 3.c), d); Wertenbruch, Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19.1.1959-III ZR 160/57,in: DÖV 1959, S. 506 (507); femer BVerfGE 42,345 (355).-Vorliegend geht es um die grundsätzliche Klärung des zu beschreitenden und beschreitbaren Rechtsweges. Die genaue Abgrenzung verfassungsrechtlicher von nichtverfassungsrechtlichen Fragen ist daher nicht zu vertiefen. 368 So in dem Streit des ehemaligen Landes Lippe gegen das Land Nordrhein-Westfalen, BVerfGE 4,250 (267 ff.). 369 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 154; Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S.669. 370 BVerfGE 3, 267 (279); 4, 250 (267); 22,221 (231); 34, 216 (226); 38,231 (237). 371 So aber ohne Begründung Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 93 Rn. 61, der eine verfassungsrechtliche Streitigkeit sogar dann annimmt, wenn es sich um ein Verwaltungsabkommen handelt; die Differenzierung aufhebend BVerfGE 22,221 (229), mit dem wenig überzeugenden Argument, daß die nichtverfassungsrechtlichen Materien eines Neugliederungsvertrages mit den verfassungsrechtlichen Regelungen ,41 ach der Eingliederung den letzten Rest von Staatlichkeit auf der Seite des aufgenommenen Landes" bilden und daher als verfassungsrechtlich zu bewerten seien. Wie hier, jedoch für Verträge zwischen Bund und Ländern Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.288 f. § 1 9 1 3 . b), c).
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desVerfassungsgericht ist unzuständig. Bei Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen den Ländern entscheidet gemäß § 501 Nr. 1 VwGO das Bundesverwaltungsgericht. Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 931 Nr. 4 GG subsidiär. Es ist sehr umstritten, ob Länder neben diesen beiden grundsätzlichen Zuständigkeiten ein anderes Gericht, das den Anforderungen des Art. 971 GG genügt, benennen dürfen. Zu unterscheiden ist zum einen zwischen der Zuweisung verfassungsrechtlicher und nichtverfassungsrechtlicher Streitigkeiten und zum anderen zwischen der Zuweisung an staatliche und an nichtstaatliche Gerichte372. Für die verfassungsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Ländern ist das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 931 Nr. 4 GG nur dann zuständig, wenn kein anderer Rechtsweg gegeben ist. Der Begriff „Rechtsweg" verlangt, daß ein anderes staatliches Gericht oder jedenfalls ein Gericht, das nach seiner Zusammensetzung, seinem Verfahren und nach den Grundsätzen, die es seiner Entscheidung zugrunde legt, als echtes Gericht anzusehen ist, für die verfassungsrechtliche Streitigkeit zuständig sein muß373. Entspricht eine Schiedsgerichtsvereinbarung diesen Grundsätzen nicht, kann sie allenfalls eine nicht abschließende Vermittlerfunktion haben. Als einzige staatliche Gerichte, die sich neben dem Bundesverfassungsgericht mit landesverfassungsrechtlichen Streitigkeiten befassen, sind die Landesverfassungsgerichte einschlägig. Sofern es sich aber um Streitigkeiten zwischen zwei Ländern und nicht bloß innerhalb eines Landes handelt, wird die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtes eines der beiden Länder der Sache nicht gerecht: „Die Verfassungsgerichtshöfe der Länder können [...] Entscheidungen nur für den Bereich ihres Landes treffen und deshalb die Verträge nur am Landesrecht [...] messen. Die Verträge der Länder untereinander [...] reichen über die Landesgrenzen hinaus. Sie sind gerade deshalb notwendig geworden, weil eine nur landesrechtliche Regelung unzureichend ist. [...] Die Streitigkeiten aus Verträgen zwischen [...] verschiedenen Ländern, für die das Bundesverfassungsgericht nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG noch - wenn auch subsidiär - zuständig ist, sind ausnahmslos verfassungsrechtlicher Natur. Sie haben damit besondere Bedeutung für das Verfassungsleben der Länder und für ihr gegenseitiges Zusammenleben. Die Entscheidung solcher Streitigkeiten kann und darf der Gesamtstaat nicht aus den Händen geben"374. In dem 372 Die Frage, ob eine bloße Schiedsstellenvereinbarung ausreicht oder ob ein förmliches Gesetz ergehen muß, braucht nicht erörtert zu werden. Sofern ein Neugliederungsvertrag eine Schiedsstellenvereinbarung beinhaltet, ergeht diese durch das Transformationsgesetz als förmliches Gesetz. 373 BVerfGE 1, 14 (59). Das BVerfG geht hier selbstverständlich von der Möglichkeit der Einrichtung eines abschließend entscheidenden Schiedsgerichtes aus. Sofern die Schiedsgerichtsbestimmung dies vorsieht, ist danach das BVerfG subsidiär. 374 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 159f., schließt mit dieser Begründung allerdings jegliche Schiedsgerichtsvereinbarung aus. Diesen zitierend auch Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S. 676.
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Verfahren des untergegangenen Landes Lippe gegen das dieses nunmehr umfassende Land Nordrhein-Westfalen hat das Bundesverfassungsgericht daher die Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichtes Nordrhein-Westfalens ausdrücklich verneint375. In einem Staatsvertrag hatten beide Länder am 17. Januar 1947 vereinbart, daß das Land Lippe von dem Land Nordrhein-Westfalen aufgenommen wird. Zu diesem Zeitpunkt standen sich beide Länder als gleichberechtigte Partner gegenüber, so daß ein „Streit über das Vorliegen eines bindenden Staatsvertrages und über seinen Inhalt jedenfalls nicht durch das Verfassungsgericht eines Verhandlungspartners nach dessen Landesrecht entschieden werden" konnte. Für die Geltendmachung der Rechte aus dem Staatsvertrag in formeller und materieller Hinsicht gilt das untergegangene Land - mit gewohnheitsrechtlichem Blick auf die Kommunalebene - als weiterbestehend376. Würde man „die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichtes verneinen, so würde dies für das untergegangene Land die Verweigerung jedes gerichtlichen Schutzes bedeuten", sofern kein anderer Rechtsweg vorgesehen ist377. Wollen sich neugliedernde Länder nicht die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgericht für etwaige Auseinandersetzungen in Anspruch nehmen, kommt also eine Zuweisung an das Landesverfassungsgericht nur eines der Länder nicht in Betracht. Die Lösung besteht in der Verschmelzung der Verfassungsgerichte der betroffenen Länder als Schiedsgericht. Die Bedenken gegen die Inanspruchnahme nur eines Landesverfassungsgerichtes oder eines Schiedsgerichtes sind damit zerschlagen. Auf diese Weise wird ein qualifiziertes Entscheidungsgremium geschaffen, das sachnäher ist als das Bundesverfassungsgericht und diesem in fachlicher Kompetenz nicht nachsteht. Es hat bei seiner Entscheidung - wie das Bundesverfassungsgericht - nicht nur die Verfassung eines Landes zugrunde zu legen, sondern sämtliche streitentscheidenden Normen 378. Insbesondere hat es neben den Landesverfassungen 375 BVerfGE 3,267 (278). In dem Verfahren machte das ehemalige Land Lippe geltend, das Erste Schulordnungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen verstoße gegen den Neugliederungsvertrag beider Länder. 376 BVerfGE 3,267 (279 f.): „Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hat wiederholt in Streitigkeiten, in denen es um die Frage der Verfassungswidrigkeit von Eingemeindungsgesetzen ging, Parteifähigkeit und Aktivlegitimation der[...] untergegangenen Gemeinden bejaht [...]. Die Anwendung dieses für ein geschlossenes Rechtsschutzsystem unentbehrlichen Grundsatzes führt [...] dazu, das untergegangene Land Lippe insoweit noch als fortbestehend zu behandeln, als um die Rechtsfolgen des Eingliederungsvertrages gestritten wird"; vgl. ferner BVerfGE 4,250 (268); 22,221 (231); 34,216 (226f.); 38,231 (237). 377 Vgl. BVerfGE 3, 267 (279); 4, 250 (267). Ein Schiedsgericht hatten Lippe und Nordrhein-Westfalen nicht vorgesehen, so daß seinerzeit kein anderweitiger Rechtsweg außer dem zum BVerfG eröffnet war. Es betont in beiden Entscheidungen ausdrücklich, daß es in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten nur subsidiär zuständig ist. Das übersieht auch Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 354 f., der diese Entscheidungen des BVerfG als „Vorgabe der Rechtsprechung" deutet, „über die Wirksamkeit von Staatsverträgen [...] auf bundesrechtlicher Ebene zu entscheiden". 378 Das wird regelmäßig übersehen, vgl. nur Grassi, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen den Ländern der BRD, 1969, S. 120f.
7 Keunecke
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die Einhaltung des Grundgesetzes zu überprüfen 379. Doch darum wird es in der Regel bei verfassungsrechtlichen Streitigkeiten im Zusammenhang mit einem Neugliederungsvertrag nicht gehen, so daß aus diesem Aspekt die Einschaltung des Bundesverfassungsgerichtes wenig angebracht ist. Soweit es sich um eine gesamtstaatliche Angelegenheit handelt, ist es keine, der sich das Bundesverfassungsgericht zwingend annehmen müßte. Nicht zuletzt kann ein Schiedsgremium wegen der geringeren Arbeitsbelastung schneller eine Entscheidung fällen, als das überlastete Bundesverfassungsgericht. Der Nachteil der Entscheidung eines schiedsgerichtlichen Gremiums ist, daß seine Entscheidung - im Gegensatz zu der eines staatlichen Gerichtes - nicht durchsetzbar ist. Doch ist es an den vertragschließenden Parteien, diesen Mangel im gegenseitigen Vertrauen gegenüber den Vorteilen abzuwägen und festzulegen, ob die Entscheidung eines Schiedsgerichtes endgültig und unüberprüfbar ist380. Hiervon abzusetzen sind Schiedsgerichtsbestimmungen über Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Die Zuweisung an das Bundesverfassungsgericht oder ein staatliches Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder einer anderen Gerichtsbarkeit - selbst durch Landesgesetz - ist nicht möglich. Das Grundgesetz sowie die gemäß Art. 31 GG höherrangigen bundesgesetzlichen Gerichtsordnungen sind insoweit abschließend. Sie sehen keine Zuweisungsmöglichkeit vor. Doch besteht auch hier wieder die generelle Möglichkeit, das Landesverfassungsgericht oder eine andere Schiedsstelle zu bestimmen381. Mit der Begründung, daß die Zuständigkeitsregelung des § 50 Nr. 1 VwGO abschließend sei, wird dies jedoch teilweise abgelehnt382. Doch führt auch hier nur eine genaue Betrachtung zum Ziel. Zwar trifft es zu, daß § 50 Nr. 1 VwGO die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes vollständig und erschöpfend regelt. Allerdings geht es dabei um die sachliche und instanzielle Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes. Diese kann aber erst geprüft werden, wenn gemäß §40 VwGO der Verwaltungsrechtsweg überhaupt eröffnet ist. Das verwechseln auch die Stimmen, die § 50 Nr. 1 VwGO als lex specialis zu § 401 S. 2 VwGO auffassen 383. Es geht nicht um die sachliche und instanzielle Zuständigkeit, sondern um den einschlägigen Rechtsweg. Diesen bestimmt aber nicht § 50 VwGO sondern § 40 VwGO. Ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, sind die Normen der Verwaltungsgerichtsordnung insgesamt nicht einschlägig384. Nach 379 Vgl. bezüglich der Landesverfassungsgerichte Pestalozza, 1991, §2111 Rn.5ff. (S.375ff.). 380 vgl. BVerfGE 1,14 (59).
Verfassungsprozeßrecht,
381 Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 290 §20 2.; Woltereck, Unechte und echte Schiedsgerichte des Verwaltungsrechts, in: DÖV 1966, S.323 (326). 382 Siehe nur Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S.676, 682f. 383 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 161; Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S.674; Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S.357. 384 Das verkennt auch Kopp, VwGO, 1994, § 50 Rn. 4, wenn er sich auf BVerwGE 54,29 (34) beruft. In dieser Entscheidung heißt es: „Der Anwendung des §50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO steht § 23 StV NDR, der bestimmt, daß über Streitigkeiten zwischen den Vertragsländern aus diesem Ver-
C. Nicht normierte Regelungsgegenstände eines Neugliederungsvertrages
99
§ 401S. 2 VwGO können nun öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art auf dem Gebiet des Landesrechtes einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden. Der Verwaltungsrechtsweg ist dann nicht mehr eröffnet. Unter bestimmten Voraussetzungen läßt § 401 S. 2 VwGO eine Schiedsgerichtsbestimmung zu 385 : Der landesrechtliche, nichtverfassungsrechtliche Streitgegenstand muß zur Disposition der Parteien stehen. Außerdem muß das Schiedsgericht die rechtsstaatlichen Voraussetzungen des Art. 971 GG erfüllen. Nur dann kann der Schiedsspruch tatsächlich die Entscheidung des sonst vorgesehenen gesetzlichen Gerichtes ersetzen. Anderenfalls schlösse eine Schiedsgerichtsklausel den verfassungsrechtlich und gesetzlich vorgesehenen Rechtsweg nicht aus. Sie wäre vielmehr darauf angelegt, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen, bevor es zum Rechtsstreit käme. Damit haben die sich neugliedernden Länder die Möglichkeit, staatsvertraglich - d. h. über den Weg des Transformationsgesetzes - die Landesverfassungsgerichte als ein einheitliches Schiedsgericht für zuständig zu erklären, sofern die Landesverfassungen dieses erlauben. Zwar greifen insoweit die Bedenken, die ein Schiedsgericht schon gegenüber dem Bundesverfassungsgericht für ungeeignet erscheinen ließen. Aber auch hier gilt, daß ein aus den betreffenden Landesverfassungsgerichten zusammengestelltes Gremium als Schiedsgericht eine zulässige und sinnvolle Alternative darstellt, diesmal jedoch zum Bundesverwaltungsgericht386.
trag das Oberverwaltungsgericht Lüneburg entscheidet, nicht entgegen. Diese Regelung ist, [...] durch die [...] Verwaltungsgerichtsordnung hinfällig geworden". Der Bund habe mit der VwGO die Verwaltungsgerichtsbarkeit erschöpfend geregelt und damit auch die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes im ersten und im letzten Rechtszug" bei Länderstreitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art, BVerwG, ebda (Hervorhebungen nicht im Original). Das BVerwG ist dann und nur dann, wenn der Venvaltungsrechtsweg eröffnet ist, nach § 501 Nr. 1 VwGO zuständig. Nur insoweit sind andere Regelungen ungültig. 385 Auch Stern (Zweitbearb.), BK, GG-K, Art. 93, Rn. 379 Fn. 24 hält die Vereinbarung von Schiedsgerichten für zulässig. 386 Davon abzugrenzen ist die Frage, ob beziehungsweise inwieweit ein Bundesland eine Entscheidung des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes über einen Staatsvertrag zwischen den beiden Bundesländern gegen sich gelten lassen muß. Indes führt die „Pflicht zur wechselseitigen Rücksichtnahme" dazu, „daß ein Land die verfassungsrechtlichen Fehler, die dem anderen deutschen Gliedstaat unterlaufen sind, gegen sich gelten lassen muß", vgl. Schneider, H., Verträge zwischen Gliedstaaten im Bundesstaat, in: VVStRL 19 (1961) S. 1 (25). Die betroffenen Bundesländer sind in einem solchen Falle „verpflichtet, eine etwaige landesverfassungssgerichtlich festgestellte Unvereinbarkeit mit der Verfassung des anderen Landes gegen sich gelten zu lassen", vgl. Macke, in: Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit auf Landesebene, Hrsg. ders., S.77 (79). 7*
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1. Kap.: Grundlagen
D . Grundlagen eines Neugliederungsvertrages I. Rechtliche Einordnung eines Neugliederungsvertrages und sein Verhältnis zur Landesverfassung und zum Grundgesetz Als Folge ihrer Staatsqualität können die Länder im Rahmen ihrer Kompetenzen zur Regelung der ihnen obliegenden Aufgaben unstreitig387 Verträge abschließen. Einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Regelung bedarf es nicht. Daß das Grundgesetz „das Recht zum Vertragsschluß - zumindest zwischen den Ländern - als selbstverständlich"388 voraussetzt, zeigt Art. 40 des Grundgesetzentwurfes des Parlamentarischen Rates: „Die Länder können über Gegenstände, die in ihren Aufgabenbereich fallen, Vereinbarungen mit anderen deutschen Ländern treffen" 389. Der Hauptausschuß des Parlamentarischen Rates verzichtete auf diese Bestimmung, nicht, um den Ländern dieses ihnen ureigene Recht abzusprechen, sondern „lediglich im Interesse einer Kürzung des Grundgesetzentwurfes" 390, der diese Selbstverständlichkeit konsequent zum Opfer fiel. Inwieweit die Vertragskompetenz der Länder sich auf den Gegenstand der Neugliederung erstreckt, wurde oben391 gezeigt. Damit stellt sich die Frage, ob ein Staatsvertrag, wie ihn Berlin und Brandenburg in Form des Neugliederungs-Vertrages ausgehandelt haben, überhaupt das adäquate Mittel ist, um eine Neugliederung zu regeln. Die andere Form, in der Länder zwischenstaatlich regelnd tätig werden, sind Verwaltungsabkommen392. Aus Art. 29 Vili, 118 S. 1, 118 a GG lassen sich keine Hinweise ableiten. Sie sprechen nur von „Vereinbarung". Art. 59 Π GG jedoch unterscheidet zwischen Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen.,»Nach der Stellung und Behandlung im Grundgesetz" folgt hieraus eine Unterscheidung „nach Gesetzgebung und Gesetzesvoll387 Vgl. nur BVerfGE 1, 299 (307 f.); 4, 250 (274); Berschel, Die Staatsqualität der deutschen Länder, 1982, S. 155 f.; Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 58; zuletzt Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S.31 ff., 121 ff.-Zum Rechtsregime, dem Staatsverträge unterliegen, vgl. Vedder, ebda, S. 221 ff. Auf diesen Fragenkomplex ist hier nicht weiter einzugehen, da er regelmäßig erst dann relevant wird, wenn ein bereits wirksamer Staatsvertrag mit bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften kollidiert. 388 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 58; Schneider, H., Verträge zwischen Gliedstaaten im Bundesstaat, in: WDStRL 19 (1961), S. 1 (2). 389 ParlRat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), 1948/49, S.22 (ParlRat-Drs. 279 v. 16.11.1948); Roellenbleg, Zwischengliedstaatliche Verträge und Institutionen, in: DÖV 1968, S.225 (234). 390 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 59. 391 1. Kapitel Α. II. 3. a. E.; s. a. unten 2. Kapitel Α. II. 392 Sehr ausführlich und übersichtlich zur Abgrenzung zwischen Staatsvertrag und Verwaltungsabkommen etwa Bartsch, Das Verwaltungsabkommen, 1968, S.29ff.
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D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages 393
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zug" . Diese kann auf die Länderebene übertragen werden . Die Länder begegnen sich insofern als vollwertige Staaten395. Maßgeblich ist der „materielle Begriff des Staatsvertrages"396, also wie die Auswirkungen eines Vertrages rechtlich zu bewerten sind und welche rechtliche Gewichtung ihm daher zukommt. Die Völkerrechtslehre begreift Staatsverträge als zwischenstaatliche Verträge, die Staaten kraft ihrer Souveränität miteinander schließen. Auf die innerdeutsche Ebene herabgestuft sind dies die Bundesländer sowie der Bund. Der Staatsvertrag ist immer dann das zutreffende Regelungsmedium, „wenn ein Land als hoheitlicher Gesamtverband kraft der ihm verliehenen Herrschaftsmacht mit einem anderen Lande rechtliche Bindungen eingeht, insbesondere also dort, wo Vereinbarungen getroffen werden, welche die Rechtsstellung der Landeseinwohner berühren" 397 oder sonstige gesetzlich zu regelnde Materien betroffen sind. Darunter fallen haushaltsrechtlich relevante Vereinbarungen, die Übertragung von Hoheitsrechten, verfassungsrechtlich vorgesehene Gegenstände der Gesetzgebung sowie die Änderung von Gerichtszuständigkeiten398. Die Kompetenz zum Erlaß solcher Bestimmungen liegt bei dem Parlament399. Es muß daher einem Staatsvertrag zustimmen400. Zur Beteiligung der Länderparlamente bei Staatsverträgen auf Länderebene hat das Bundesverfassungsgericht dies ausdrücklich festgestellt: „Der Abschluß von Verträgen gehört zwar zur vollziehenden Gewalt und fiel [...] in den Zuständigkeitsbereich der Landesregie393 Beer, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen im heutigen deutschen Staatsrecht, 1960, S. 14f.; Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 64; Jasper, Die Behandlung von Verwaltungsabkommen im innerstaatlichen Recht (Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG), 1980, S. 88 ff. 394 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 64. 395 Vgl. auch Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 32, § 1 1. 396 Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.31 ff. § 1.; Heiden, Öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1969, S.56. 397 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 64. 398 Vgl. BVerfGE 42, 345 (355); siehe im einzelnen Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.36ff. § 1 b); Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S.32ff., Zusammenfassung S. 84 f.; ferner Bauer, E., Die Bestandskraft von Verträgen zwischen Bund und Ländern, 1971, S. 42, weitere Beispiele bei Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 158f. 399 Vgl. BVerfGE 1,372 (388): hinsichtlich der Frage, ob sich ein internationaler Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, ist entscheidend, „ob im konkreten Fall ein Vollzugsakt unter Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften erforderlich ist". 400 Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 110. - Zur Form und zum Verfahren der parlamentarischen Beteiligung bei Staatsverträgen siehe Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S.87ff.
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1. Kap.: Grundlagen
rung. Aber es ist ein Satz gemeindeutschen Verfassungsrechts, daß die Regierung zum Abschluß von Verträgen, die sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung des Parlamentes bedarf* 401. Daher wird ein Abkommen, schon wenn es nur einige zustimmungsbedürftige Regelungen enthält, „einheitlich der Zustimmung unterstellt (Globalzustimmung)"402. Verwaltungsabkommen dagegen beziehen sich auf Materien, die ausschließlich im Bereich der Exekutive angesiedelt sind403. Die Landesregierung kann sie abschließen, ohne auf die Zustimmung des Parlamentes angewiesen zu sein404. Das sind Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsanordnungen, die keine Rechtswirkung gegenüber der Staatsbevölkerung haben405. Wegen seiner inhaltlichen Bedeutung406 für die Staatsbürger ist also ein Staatsvertrag der rechtliche Weg, den Länder für eine Neugliederung beschreiten müssen. Seine Regelungen sind für die Parteien rechtlich verbindlich. Aber auch die Länderverfassungen selbst lassen zumeist Staatsverträge zu 407 und unterscheiden überwiegend zwischen zustimmungsbedürftigen Staatsverträgen und nicht zustimmungsbedürftigen Verwaltungsabkommen; allein die Begrifflichkeiten sind nicht immer einheitlich. Damit ist geklärt, daß sich Länder durch Staatsvertrag neugliedern. Offen bleibt, welchen Einfluß die grundgesetzlichen Neugliederungsbestimmungen der Sache nach auf einen Neugliederungsvertrag haben. Das Grundgesetz sieht Neugliederungen mittels Ländervereinbarung vor und versieht sie mit bestimmten Voraussetzungen. Damit stehen die betroffenen Länder vor der Frage, welche Bindungswirkung die einschlägigen Verfassungsnormen für die von ihnen auszuhandelnde Länderver401
BVerfGE 4,250 (276); s. a. Kölble, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern, in: DÖV 1960, S.650 (660). 402 Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.40 § 1 3.b)ff. 403 Eingehend zum Begriff des Verwaltungsabkommens nach Art. 59 II S. 2 GG, Jasper, Die Behandlung von Verwaltungsabkommen im innerstaatlichen Recht (Art. 59 Abs. 2 S. 2 GG), 1980, S. 52ff. - Zur geschichtlichen Entwicklung sowie zum Begriff des Verwaltungsabkommens siehe femer Beer, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen im heutigen deutschen Staatsrecht, 1960, S.27ff. 404 Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S.52 § 1 8. 405 Bartsch, Das Verwaltungsabkommen, 1968, S.29ff., S. 85. 406 Vgl. oben 1. Kapitel B.III, l.b). 407 Art. 50 S. 2 VerfBW; Art. 72II VerfBay.; Art. 91 II BbgVerf.; Art. 1181 S. 3 VerfBr. nennt lediglich „rechtsverbindliche Erklärungen"; Art. 43 VerfHH; Art. 103 II VerfHessen; Art. 47 II VerfMV; Art. 35 II VerfNds.; Art. 66 S. 2 VerfNRW; Art. 101 S. 2 VerfRP; Art. 95 II S. 1 VerfSaarl.; Art. 65 II VerfSachsen; Art. 69 II VerfSa-Anh.; Art.3011 VerfSH; Art.7711 VerfTh; allein die VvB sieht keine allgemeine Regelung vor. Zum ganzen differenziert Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 32 ff. § 1 2. - Auch das BVerfG folgt dieser Unterscheidung und kennzeichnet in seiner Entscheidung (E4, 250 [275 f.]) einen Staatsvertrag zwischen zwei Ländern dadurch, daß er insbesondere Gegenstände der Gesetzgebung regelt, die der Zustimmung des Parlamentes unterliegen, so daß ihn die Regierung allein nicht wirksam abschließen kann.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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einbarung haben. Daß sich eine Ländervereinbarung an die grundgesetzlichen Vorgaben halten muß, steht außer Zweifel. Doch die Art und Weise der Bindung ist damit nicht bestimmt. Es gibt drei Möglichkeiten: die einschlägige Bestimmung wird als Minimalregelung, als Maximalregelung oder als vollständige und abschließende Regelung gelesen. Die Auswirkungen dieser zunächst theoretisch anmutenden Frage sind eklatant und können bis zur Unmöglichkeit einer Neugliederung durch Ländervereinbarung führen. Die Verfassungspraxis sah in Art. 118 S. 1 GG eine Bestimmung, die verfahrensrechtliche Minimalvoraussetzungen an das Neugliederungsvorhaben stellte: Bei dem Versuch der Neugliederung nach Art. 118 S. 1 GG gingen die Beteiligten entgegen seinem Wortlaut davon aus, daß über die Neugliederung ein Volksentscheid stattfinden müsse408. Sie verhandelten daher ausschließlich über die Modalitäten des Entscheides409. Die Staatsqualität der Länder spricht in diesem Fall für diese Auslegung, die in den grundgesetzlichen Bestimmungen Minimalanforderungen sieht. Konkreter ausgestaltet zielt nun auch Art. 118a GG in diese Richtung. Er verlangt die „Beteiligung" der wahlberechtigten Bevölkerung der betroffenen Länder. Dies ist eine Minimalanforderung in dem Sinne, daß die Art und Weise der Beteiligung nicht definiert ist. Der Begriff umfaßt qualitativ das gesamte Spektrum von der unverbindlichen und informellen Volksbefragung bis hin zur entscheidungserheblichen Volksabstimmung. Als der Verfassungsgeber das Grundgesetz um Art. 118 a GG ergänzte, hatte er bewußt vor Augen, daß es sich bei der „Beteiligung" um eine auslegungsbedürftige Bestimmung handelt: Während Art. 116 BbgVerf. vom 22. April 1992 einen Volksentscheid voraussetzt, spricht Art. 118 a GG vom 11. November 1994 lediglich von der „Beteiligung" der Bevölkerung. Es ist nicht ersichtlich, daß sich Art. 118 a GG damit gegen die Regelung in Art. 116 BbgVerf. wenden wollte. Vielmehr sollte den Ländern Berlin und Brandenburg bis zuletzt die Möglichkeit erhalten bleiben, über den Grad der unmittelbaren Einbeziehung der Bevölkerung selbst zu entscheiden410. Auch aus anderem Blickwinkel zeigt sich, daß die grundgesetzlichen Bestimmungen nicht abschließend sind411: Art. 291 GG stellt inhaltliche Anforderungen an 408 Ohne Begründung hält auch Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 118 Rn. 3 die Ländervereinbarung nach Art. 118 S. 1 GG für eine, „die vor allem auch eine Volksabstimmung vorsehen konnte (aber [...] nicht mußte)". Vgl. ferner ders., Rechtsfragen zur Neugliederung im Südwestraum, in: DRZ 1949, S.532 (532); ders., Gutachten, in: Der Kampf um den Südweststaat, 1952, S. 339 (340); femer Jellinek, Rechtsfragen zur Neugliederung im Südwestraum, in: DRZ 1949, 535 (536). 409 Siehe 1. Kapitel A.II.2. 410 Vgl. Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.46; Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, 889 (892); Scholz, in: MDHS, GG-K, Art. 118 a Rn. 8; s. a. unten 2. Kapitel Α. II. 411 So generell auch Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S.56: Durch das Grundgesetz werde den Ländern „ein - sogar sehr weiter - Rahmen abgesteckt, den sie ausfüllen können. [...] Sie dürfen z.B. unmittelbare demokratische Einrichtungen wie Volksbegehren und
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1. Kap.: Grundlagen
eine Neugliederung. Allein aus dem Umfang des dort aufgeführten Kataloges ergibt sich, daß es sich allenfalls um Grundsatzregelungen handeln kann412. Der Umfang der jeweils regelungsbedürftigen Materien hängt darüber hinaus von den betroffenen Ländern selbst ab 413 . Insofern kann es sich bei Art. 291 GG i. V. m. Art. 118 GG beziehungsweise Art. 118 a GG nicht um eine abschließende Regelung handeln.
II. Verfahren des Vertragsabschlusses Vor dem Abschluß eines Staatsvertrages steht ein langwieriges Procedere, an dem sowohl die Regierungen als auch die Parlamente der vertragschließenden Länder beteiligt sind. Das Verfahren wird zusätzlich erschwert, wenn es - wie bei dem Neugliederungs-Vertrag - um eine Vereinbarung mit staatsbeendender und -begründender Bedeutung geht414. Grundsätzlich jedoch hat sich in der Staatspraxis der Länder unter Berücksichtigung der jeweiligen Landesverfassungen ein standardisiertes Vorgehen für den Abschluß von Staatsverträgen durchgesetzt415: Kommen mehrere Länder überein, über eine bestimmte Materie einen Staatsvertrag zu schließen, wählen die Beteiligten zunächst Unterhändler aus, denen sie das Verhandlungsmandat übertragen: „In Ländern, in denen die Landesregierung als Kollegium abschlußberechtigt ist, erteilt diese dem Ministerpräsidenten oder einem Ressortminister ein Verhandlungsmandat; in den anderen Ländern kann der Ministerpräsident einen Minister mit den Verhandlungen beauftragen; die Verhandlungsmandate können weiter delegiert werden, z.B. auf hohe Beamte"416. Daraufhin beginnen die Verhandlungen, über deren Stand die Landesparlamente in der Regel unterrichtet werden417. Die Landesparlamente haben die informale Möglichkeit, ihre Änderungswünsche und Anregungen auf diese Weise indirekt in die Vertragsverhandlungen einzubringen. Die Verhandlungen münden schließlich in die Paraphierung des Vertrages durch die Verhandlungsführer. Sie unterzeichnen den Staatsvertrag unter dem Vorbehalt der späteren Ratifikation 418. Sofern landesverfassungsrechtlich vorgesehen, wird die Zustimmung der Landesregierung eingeholt. In der Regel wird der Vertrag schon jetzt von den Ministerpräsidenten oder den im Einzelfall bevollmächtigten MiniVolksentscheid schaffen." - Das verkennt der Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 23 Tz. 15. 412 Siehe oben 1. Kapitel B. 413 Vgl. oben 1. Kapitel C. 414 Siehe unten 2. Kapitel A.III. 415 Da sich die Untersuchung auf den Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg beschränkt, ist eine vertiefte allgemeine Befassung mit dem Verfahren eines Vertragsabschlusses nicht erforderlich; hierzu jedoch ausführlich etwa Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 130ff.; Rill, Gliedstaatenverträge, 1972, S. 161 ff. 416 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 176. 417 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 176. 418 Vgl. Grassi, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen den Ländern der BRD, 1969, S.70.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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stern unterschrieben, d.h. ratifiziert 419. Mit der Einbringung des Staatsvertrages als Zustimmungsgesetz durch den Ministerpräsidenten oder die Landesregierung in den Landtag gibt die Regierung das weitere Vorgehen aus ihren Händen. Da die Landesregierung das Land - anders als bei Verwaltungsabkommen - nicht in eigener Kompetenz, sondern der des Parlamentes420 vertritt, muß der Landtag nun mit einfacher Mehrheit - es sei denn, es geht zugleich um eine Änderung der Verfassung, die an eine Zweidrittelmehrheit geknüpft ist - per Gesetz seine Zustimmung erteilen. Damit ist gewährleistet, daß die Vereinbarung in innerstaatliches Recht und damit für die Staatsbevölkerung verbindlich umgesetzt wird und sie zwischen den Vertragsparteien eingehalten wird 421. Der Zustimmungsakt wird ausgefertigt und verkündet. Durch die nunmehr eintretende förmliche Ratifikation, das heißt die nun wirksam werdende Erklärung, daß der Staatsvertrag für das Land wirksam werden soll, wird er abgeschlossen422. Weiter ist der Staatsvertrag durch Gesetz zu transformieren. Das Zustimmungsgesetz zu einem Staatsvertrag hat daher in der Regel eine Doppelfunktion 423: Zunächst ist es ein Beschluß der gesetzgebenden Körperschaft, der das vertretungsberechtigte Organ des Landes ermächtigt, den Vertrag zu ratifizieren 424. Zugleich ist es das Transformationsgesetz, das den Inhalt des Vertrages innerstaatliches Recht werden läßt. Abschließend werden die Ratifikationsurkunden bei zweiseitigen Verträgen zumeist ausgetauscht, bei mehrseitigen bei einer vertraglich benannten Stelle hinterlegt425. Der Staatsvertrag tritt bestimmungsgemäß in Kraft 426.
419 Siehe Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 176; Grassi, Staats Verträge und Verwaltungsabkommen zwischen den Ländern der BRD, 1969, S.70. 420 Vgl. BVerfGE 4, 250 (276); Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 154. 421 Vgl. Schneider, H., Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen deutschen Bundesländern, in: DÖV 1957, S. 644 (647). Femer Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 114: „Innerdeutsche Staatsverträge sind daher auch nach außen nur wirksam, wenn [...] insbesondere die Zustimmung des Parlamentes eingeholt worden ist". 422 Vgl. Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 115,130. 423 Für die Bundesebene vgl. BVerfGE 1, 396 (410). Das gilt entsprechend für die Länderebene. Auch hier sind Staatsverträge zu ratifizieren und zu transformieren. 424 Sofern die Verfassung den Zeitpunkt der Zustimmung des Parlamentes nicht regelt, ist es zweckmäßig, daß das vertretungsberechtigte Organ den Vertrag erst nach parlamentarischer Zustimmung ratifiziert. Erfolgt die Ratifizierung vor der Zustimmung des Parlamentes, ist der Vertrag bis zu ihrer Erteilung schwebend unwirksam, Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 115, 121. 425 Vgl. Giese, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen der deutschen Bundesländer untereinander sowie zwischen Bund und Ländern, 1961, S. 130f. 426 Vgl. Grassi, Staatsverträge und Verwaltungsabkommen zwischen den Ländern der BRD, 1969, S.72f.
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1. Kap.: Grundlagen
I I I . Regelungen eines Neugliederungsvertrages: Das Programm In einer Ländervereinbarung zur Neugliederung sind zunächst drei Bereiche abzudecken427: einmal die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Voraussetzungen. Das sind gegebenenfalls Verfahrensbestimmungen und in jedem Falle die in Art. 291 GG ausdrücklich normierten materiellen Tatbestandsvoraussetzungen. Wie oben428 gesehen, handelt es sich um die folgenden vertraglich zu regelnden Materien: das Verfahren der Neugliederung einschließlich etwaiger Abstimmungsmodalitäten zur unmittelbaren Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit429, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit, d. h. Finanzen und Neuordnung der Verwaltungen430 sowie die Raumordnung und Landesplanung431. Als weitere sind die in den Verfassungen der betroffenen Länder vorgesehenen Bestimmungen zu berücksichtigen. Um die Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen sicherzustellen, ist schließlich das Procedere im weiteren Sinne unter Berücksichtigung der Besonderheiten eines Staatsvertrages über eine Neugliederung zu regeln432: der Übergang der Hoheitsrechte, die neue (gemeinsame) Verfassung, die Wahlen des ersten neuen (gemeinsamen) Landtages, die Rechtsvereinheitlichung, gegebenenfalls die Rechtsnachfolge, die demokratische Vertretung der Bevölkerung, die Übernahme der Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst, die Verteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten, der Rechtsweg bei Vertragsstreitigkeiten sowie die erforderlichen Übergangsvorschriften. Damit liegt das Grundprogramm vor, dem ein Neugliederungsvertrag zu folgen hat. An diesen Maßstäben muß sich der zwischen Berlin und Brandenburg ausgehandelte Neugliederungs-Vertrag messen lassen. Daneben können abhängig von den betroffenen Ländern weitere Materien, etwa der Sitz von Behörden und Gerichten oder das Schul- und Bildungswesen, regelungsbedürftig sein. Der Umfang zusätzlicher Bestimmungen hängt von dem Bedürfnis der beteiligten Länder ab, die entsprechenden Materien geregelt zu wissen. Eine gewichtige Rolle bezüglich der Regelungsdichte droht dabei der zunehmende Regelungsperfektionismus zu spielen. Bei einer Ländervereinbarung von solcher Gewichtigkeit wird dieser Effekt verstärkt durch die Unsicherheiten der betroffenen Verhandlungspartner. Das gilt insbesondere, solange eine Neugliederung durch 427
Auch ein eine Neugliederung von Bundesebene aus regelndes Gesetz muß die in einer Neugliederungsvereinbarung auf Länderebene zu regelnden Materien im wesentlichen enthalten. 428 1. Kapitel B. 429 Siehe oben 1. Kapitel B.III. 430 Siehe oben 1. Kapitel B.II. 1., 3., 4. 431 Siehe 1. Kapitel B.II.2. 432 Siehe 1. Kapitel C.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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Ländervereinbarung noch ohne unmittelbares Vorbild ist. Zu Recht ist etwaigen zukünftigen Konflikten durch Umsicht vorzubeugen. Doch ist sich zu jeder Zeit vor Augen zu führen, daß es eine vollständige und erschöpfende Regelung aus der Natur der Sache heraus nicht geben kann.
IV. Die Verwirklichung der Neugliederungsprogrammpunkte in den Neugliederungsvereinbarungen und Neugliederungen seit 1945 Die Feststellung, der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg habe kein unmittelbares Vorbild gehabt, das er hätte zugrunde legen können, ist indes zu modifizieren. Sie trifft insofern zu, als es seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland und den damit verbunden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen noch keine Neugliederung durch Ländervereinbarung gegeben hat. Doch gab es schon in der Weimarer Republik mehrere Neugliederungen, bei denen sich die betroffenen Länder im Wege eines Staatsvertrages einigten, der Vertrag zu seiner Wirksamkeit jedoch gemäß Art. 18 I I W R V der Genehmigung durch Reichsgesetz bedurfte 433 , so daß es sich um Neugliederungen durch Reichsgesetz mittels Länder433 Am 29.11.1921 schlossen Preußen und Waldeck-Pyrmont den Staatsvertrag über die Vereinigung des Gebietsteiles Pyrmont mit Preußen. Der Vertrag wurde von beiden Länderparlamenten transformiert und durch § 3 des nach Art. 18 II WRV erforderlichen Reichsgesetzes am 24.3.1922 (RGBl. IS. 281) bestätigt, so daß er am 1.4.1922 in Kraft trat, vgl. PrGS 1922, S. 37; Waldeckisches RegBl. 1922, S. 55 (zit. nach BVerfGE 42,345 [347]), siehe femer Nr. 39 der Anlage zum Zweiten Gesetz zur Bereinigung des niedersächsischen Rechts v. 30.3.1963 (GVB1. Nds. S. 147, 152). Der Staatsvertrag nebst Schlußprotokoll regelt insbesondere: Eingliederung des Gebietsteils Pyrmont nach Preußen, Übeigang der Hoheitsrechte auf Preußen, Einführung der preußischen Verfassung sowie des preußischen Rechts, Staatsangehörigkeit der Pyrmonter Bürger, Erweiterung des Provinziallandtages und des Kreistages um Pyrmonter Abgeordnete, Übernahme der Beamten, Übergang des auf Pyrmont entfallenden Staats- und sonstigen Vermögens sowie einer Staatsanleihe, Eigentum der Staatsstraßen, Verbleib von Behörden und Gerichten, vgl. auch BVerfGE 42, 345 (346ff.). Der Staatsvertrag beschränkte sich also im wesentlichen auf die nicht in Art. 291 GG vorgesehenen Kriterien einer Neugliederung.
Ähnliches gilt für den Eingliederungsvertrag zwischen dem Freistaat Coburg mit dem Freistaat Bayern v. 14.2.1920 (GVB1. S.336; BayBS I S.39 Nr. 9), der bestimmte, daß sich Coburg nach Bayern eingliedert. Der Bayerische Landtag „genehmigte" den Vertrag nebst Schlußprotokoll am 11.3.1920 (GVB1. S.335). Femer ist er in der Gesetzessammlung für Sachsen-Coburg 1920, S. 92 verkündet worden, vgl. BVerfGE 34, 216 (218f.). Das nach Art. 18 II WRV erforderliche Reichsgesetz erging am 30.4.1920 (RGBl. IS. 842). Am 1.7.1920 trat der Staatsvertrag in Kraft. Er regelt insbesondere den Übergang der Staatshoheit, die Eingliederung des bisher coburgischen Gebietes in die Bayerischen Gebietskörperschaften, den Erwerb der Bayerischen Staatsangehörigkeit durch die coburgische Bevölkerung, die Vertretung der Coburger im Bayerischen Landtag, das in Coburg geltende Recht, das coburgische Vermögen sowie die Übernahme der Staatsbeamten. Der Staatsvertrag macht jedoch in seiner Präambel deutlich, daß es ihm um die Verwirklichung der auch in Art. 291 GG genannten Aspekte ging:„In dem Bestreben, die zwischen beiden Ländern und ihrer Bevölkerung bestehenden Beziehungen inniger Zusammengehörigkeit noch enger zu gestalten und die beiderseitigen gemeinsamen wirtschaftlichen und kulturellen Interessen zu pflegen und zu fördern", kommen die Regierungen
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1. Kap.: Grundlagen
Vereinbarung handelte. Wegen des fehlenden unmittelbaren verfassungsrechtlichen und zeitlichen Bezuges zu den Neugliederungsbestimmungen des Grundgesetzes wird hierauf jedoch nicht näher eingegangen. Es sei lediglich festgestellt, daß diese Staatsverträge schon die wesentlichen technischen Regelungen beinhalteten, die für eine Neugliederung erforderlich sind434. Damit hatten sowohl der darauffolgende Neugliederungsvertrag zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen (1.) als auch die bundesgesetzliche Neugliederung zum Land Baden-Württemberg (2.) eine gute Grundlage und Orientierung für ihr inhaltliches Programm, das auch Berlin und Brandenburg ihrem Neugliederungs-Vertrag zugrunde legen konnten. 1. Die Punktation zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen Zwei Jahre vor Inkrafttreten des Grundgesetzes vereinbarten 1947 Lippe und Nordrhein-Westfalen ihren Zusammenschluß435. Es handelte sich zwar nicht um eine Neugliederung durch Staatsvertrag, doch sollte die Ländervereinbarung die Durchführung der Neugliederung regeln. Lippe sowie Nordrhein-Westfalen waren mit Zusammenbruch des Deutschen Reiches 1945 als Länder mit eigener Rechtspersönlichkeit, eigener Regierung und seit Mai 1946 beide mit einem eigenen Landtag durch die britische Militärregierung errichtet worden436. Im Sommer desselben Jahres gab die britische Militärregierung bekannt, daß sie die britische Zone in fünf Länder gliedern wolle437. Lippe konnte nicht als selbständiges Land weiterbestehen. Es hatte die Möglichkeit, sich dem zu bildenden Land Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen anzuschließen, die Lippe jeweils für sich gewinnen wollten438. Die Meinungen in Lippe waren geteilt439. Landtag und Landesregierung betonten, „daß eine verwaltungsmäßige Trennung des Landes Lippe von dem Gebiet Minden-Ravensberg eine jahrhundertealte natürliche Bindung zerstören würde und schwerste wirtschaftliche und bevölkerungspolitische Nachteile und Schädigungen zur Folge haben müßte"440. Das Bundesverfassungsgericht beschreibt den weiteren Verlauf: überein, „einen Staatsvertrag wegen der Vereinigung der beiden Länder abzuschließen" (GVB1. Bay. 1920 S. 336). Vgl. ferner BVerfGE 22, 221 (Coburg I); 38,231 (Coburg III). Weitere Gebietsänderungen mittels Ländervereinbarungen, die jedoch ebenfalls der Bestätigung durch Reichsgesetz bedurften waren: die Errichtung des Landes Thüringen, Reichsgesetz v. 30.4.1920 (RGB1.I 841); Gebietsaustausch zwischen Sachsen und Thüringen, Reichsgesetz v. 30.3.1928 (RGB1.1115); die Eingliederung von Waldeck nach Preußen, Reichsgesetz v. 7.12.1928 (RGBl. 401); Zusammenschluß der beiden Länder Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz, Reichsgesetz v. 15.12.1933 (RGB1.I S. 1065). 434 Zu den Anforderungen an eine Neugliederung siehe oben 1. Kapitel B., C. 435 Vgl. die Darstellungen bei BVerfGE 3,267; 4,250. 436 Vgl. BVerfGE 4,250 (252). 437 Mit Schreiben der Kontrollkommission für Deutschland (britischer Teil) an den Zonenbeirat vom 4. Juli 1946 ZAC/B (46) 36, siehe BVerfGE 4, 250 (252). 438 BVerfGE 4, 250 (253). 439 BVerfGE 4,250 (253). 440 Landtag Lippe, Beschl. v. 29.7.1946, zit. nach BVerfGE 4,250 (253).
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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„Da eine Lostrennung des Bezirks Minden-Ravensberg von Nordrhein-Westfalen nicht zu erwarten war, bemühte sich Landespräsident Drake , durch Verhandlungen mit Ministerpräsident Amelunxen die besonderen Belange Lippes für den Fall zu sichern, daß die Militärregierung die Eingliederung Lippes in Nordrhein-Westfalen verfügen sollte"441. Am 17. Januar 1947 vereinbarte der lippische Landespräsident Drake mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen Amelunxen die „Richtlinien für die Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen", die sogenannte Punktation. Sie enthielt 16 Regelungspunkte, die durch die Zusatzvereinbarungen A.-C. ergänzt wurden442. Daraufhin erließ die britische Militärregierung die Verordnung Nr. 77 der Militärregierung - MRVO - 4 4 3 , wonach das Land Lippe am 21. Januar 1947 seine Selbständigkeit als Land verlor und Teil von Nordrhein-Westfalen wurde444. Am 5. November 1948 erließ Nordrhein-Westfalen das Gesetz über die Vereinigung des Landes Lippe mit dem Lande Nordrhein-Westfalen - Vereinigungsgesetz445. Darin werden einzelne Bestimmungen der Punktation umgesetzt und in Gesetzesform gegossen446. Eine Transformation des Vertrages durch Transformationsgesetz führte weder der nordrhein-westfälische noch der lippische Landtag durch. Ein wirksamer Neugliederungsvertrag lag nicht vor. Es war von vornherein klar, daß es sich nicht um eine Neugliederung durch Staatsvertrag handeln würde447. Dem stand das letztverbindliche Besatzungsrecht entgegen. Rechtsgrund für die Neugliederung war Nr. 77 MRVO. Die Punktation konnte auch nicht in ein wirksames Verwaltungsabkommen umgedeutet werden. Als solche hätte sie zwar nicht der Zustimmung der beteiligten Länderparlamente bedurft. Sie enthält jedoch Neugliederungsregelungen, die - wie oben448 dargelegt - nur durch einen Staatsvertrag wirksam zwischen zwei Ländern geregelt werden können449. 441
BVerfGE 4, 250 (253). Wortlaut siehe Anhang, abgedr. bei Redelberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 9ff., femer BVerfGE 3, 267 (269ff.). 443 Abgedr. bei Redelberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 12f. 444 BVerfGE 4, 250 (280). - Im Gegensatz zu Lippe wurde Schaumburg-Lippe 1946 durch MRVO Nr. 55 (ABl. MilReg. 341; ABl. Nds. 103) dem Land Niedersachsen zugewiesen; vgl. auch Evers, Oldenburg und Schaumburg-Lippe nach den Volksentscheiden auf Wiederherstellung als Länder vom 19.01.1975,1975, S.7; femer BVerfGE 49,15 (16ff.). 445 GVB1. S. 267, tw. abgedr. bei Redelberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 13 f. Eine weitere Umsetzung erfolgte mit dem Gesetz über den Landesverband Lippe v. 5.11.1948 (GVB1. S.269). 446 Vgl. BVerfGE 3, 267 (272). 447 Dies geht auch aus dem Verlauf der Verhandlungen hervor, die sich im wesentlichen auf Briefwechsel der beiden Regierungschefs beschränkte, vgl. BVerfGE 4, 250 (253 ff., 277): „Angesichts der dem Gericht von beiden Parteien vorgelegten eindeutigen Dokumente bedurfte es keiner Vernehmung von Zeugen, um zu der Feststellung zu gelangen, daß im Dezember 1946 weder die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen noch Landespräsident Drake den Willen hatten, einen bindenden Staats vertrag zu abzuschließen". 448 1. Kapitel D.I. 449 Vgl. auch BVerfGE 4, 250 (275 ff.). 442
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1. Kap.: Grundlagen
Obgleich die Punktation nicht rechtswirksam wurde, ist ihr Inhalt von Interesse. Sie sollte den Zusammenschluß zweier Länder vorbereiten und seine Durchführung regeln. Insoweit fühlten sich die Vertragsparteien der Vereinbarung - unabhängig von ihrer Wirksamkeit - verpflichtet 450. Zwar ist die Punktation insgesamt kurz gehalten. Dennoch bestimmt sie mit der Rechtsnachfolge in Nrn. 2, 3 sowie mit dem zukünftigen Sitz des Regierungspräsidenten von Lippe in Nr. 4 zwei essentielle Punkte eines Neugliederungsvertrages. Ferner regelt sie die wesentlichen Materien, die nach Art. 291 GG im Rahmen einer Neugliederung zu beachten sind: in Nrn. 1, 2 die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit, in Nr. 1 die Berücksichtigung der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, in Nrn. 6, 7, 8, 11, 12, 15 die wirtschaftlichen Aspekte, in Nr. 14 die Aspekte der Raumordnung und Landesplanung sowie in Nr. 10 das Gleichbehandlungsgebot beider Bevölkerungsteile. Das ist insofern bemerkenswert, als das Grundgesetz erst am 23. Mai 1949 in Kraft trat, also zwei Jahre nach der Punktation. Diese hätte Art. 291 GG im Hinblick auf die Neugliederungsvoraussetzungen Vorbild sein können. Die Bestimmungen der Punktation sind in einer aus damaliger Sicht selbstverständlichen Schlichtheit gehalten, die den Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg bisweilen als ungelenkes Vertragswerk erscheinen läßt. Das mag ein Beispiel verdeutlichen: Während letzerer den Übergang der Beschäftigungsverhältnisse sowie die Personalzusammenführung ausführlich niederlegt, heißt es zu dem entsprechenden Sachzusammenhang in Nr. 11 der Punktation, daß „entgegenkommend verfahren" werde. Wie sich aus der Zusatzvereinbarung B. ergibt, hielten die Parteien die in dieser Weise wiederholt niedergelegten Grundsätze zwar nicht für abschließend. Vielmehr sollten die weiteren Regelungen erst nach der Eingliederung erfolgen. Das für den Zusammenschluß selbst Erforderliche sollte damit aber ausreichend geregelt sein. Das Weitere konnte dem Lauf der Dinge überantwortet werden. Dagegen regelt der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg die entsprechenden Materien eingehend und teilweise abschließend. Das ist zum einen zurückzuführen auf ein allgemeines gesteigertes Regelungsbedürfnis in der Gegenwart. Zum anderen sind die Gründe hierfür in den unterschiedlichen zeitlichen Gegebenheiten zu suchen. Als die Länder Lippe und NordrheinWestfalen die Punktation vereinbarten, hatten sie kaum Gelegenheit, sich ihrer Länderstaatlichkeit bewußt zu werden. Nach den Jahren der NS-Diktatur, die politisch wie gesellschaftlich einen Trümmerberg hinterließ, wurden sie schrittweise wieder in ein föderalistisches und demokratisches Staatswesen eingeführt, dessen Wesensmerkmal zunächst seine Vorläufigkeit war. Die niedergelegten Regelungen mußten zudem den britischen Militärbehörden zusagen. Durch deren Absicht, eine Länder450 Am 22.1.1952 erklärte Ministerpräsident Arnold, daß Lippe zwar durch die MRVO Nr. 77 Teil des Landes Nordrhein-Westfalen geworden sei, daß die Landesregierung sich, jedoch an die am 17. Januar 1947 zwischen Ministerpräsident Dr. Amelunxen und Landespräsident Drake vereinbarten Richtlinien [...] unverändert gebunden" halte, abgedr. bei Rede Iberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 17 f.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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neuordnung mit höchstens fünf Ländern zu schaffen, waren Lippe und NordrheinWestfalen in zeitlicher Bedrängnis, um das Notwendige zu regeln. Die Punktation entstand in einem halben Jahr451. Es ist daher nicht verwunderlich, daß sie die wesentlichen Materien knapp regelt. Im Gegenteil: es ist bemerkenswert, mit welcher Umsicht alles Erforderliche angesprochen wurde. Dem stehen die langwierigen Verhandlungen nebst Vorlauf für den Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg gegenüber, die sich von 1991 bis 1995 hinzogen. Hier saßen sich vergleichsweise gestandene Länder gegenüber, die selbstbestimmt und freiwillig die Fusion in Angriff nahmen. Daß die sich daraus ergebenden Vertragsbestimmungen entsprechend dezidierter ausfallen, liegt in der Natur der Sache. Ihre inhaltlichen Qualitäten bleiben noch zu untersuchen452.
2. Die versuchte Ländervereinbarung: Neugliederung zum Land Baden-Württemberg gemäß Art. 118 GG Die einzige Länderneugliederung in der Bundesrepublik Deutschland ist die der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu dem Land Baden-Württemberg. Art. 118 S. 1 GG gab den drei Ländern die Möglichkeit, sich allein durch zwischenstaatliche Vereinbarung abweichend von Art. 29 GG (1949) neuzugliedern453. Nur wenn die betroffenen Landesregierungen nicht zu einer Einigung kommen würden, war nach Art. 118 S. 2 GG die Neugliederung durch Bundesgesetz vorzunehmen454, das eine Volksbefragung 455 vorsehen mußte. Die auch Art. 29 GG (1949) umfassenden Alliiertenvorbehalte zum Grundgesetz erstreckten sich nicht auf Art. 118 GG 456 . Dadurch wurde die Sonderlösung des Art. 118 GG möglich: Anfangs versuchten die Regierungen der betroffenen Länder gemäß Art. 118 S. 1 GG eine Vereinbarung über die Neugliederung zu treffen 457. In diesem 451
Mit Schreiben der Kontrollkommission für Deutschland (britischer Teil) an den Zonenbeirat vom 4. Juli 1946 ZAC/B (46) 36 gab die britische Militärregierung ihren Plan der Neustrukturierung bekannt, vgl. BVerfGE 4, 250 (252). Am 17.1.1947 gliederte die MRVO Nr. 77 (abgedr. bei Redelberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 12 f.) Lippe in das Land Nordrhein-Westfalen ein. 452 Siehe unten 2. Kapitel B.-E. 453 Vgl. Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 114ff. 454 Siehe hierzu oben 1. Kapitel Α. II. 1. a). 455 Hierzu Südweststaaturteil, BVerfGE 1,46 (41); Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 118 Rn.4; femer oben 1. Kapitel B.III. 1. 456 Antwortschreiben der Alliierten Hohen Kommission v. 30.3.1950 auf eine Anfrage der Bundesregierung v. 11.1.1950 und 13.3.1950 mit einer rechtsverbindlichen Auslegung der Art. 29 und 118 GG, abgedr. in: Der Kampf um den Südweststaat, 1952, S.30ff.; s.a.: Klein, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG-K, Art. 29 Rn. 1; v. Münch, in: ders./Kunig, GG-K, Art. 118 Rn. 1 ; femer oben 1. Kapitel Α. II. 1. a). 457 Dazu siehe Eschenburg, Das Problem der Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland, 1950, S.33ff.
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1. Kap.: Grundlagen
Rahmen wurde 1950 eine informatorische Volksbefragung 458 in den drei Ländern durchgeführt. Da die Länderregierungen sich bewußt nicht darauf geeinigt hatten 459 und im weiteren Verlauf nicht einigen konnten, wie die divergierenden Ergebnisse der Volksbefragung auszuwerten seien460, scheiterte der Versuch, den südwestdeutschen Raum mittels einer Ländervereinbarung gemäß Art. 118 S. 1 GG, der eigens hierfür geschaffen worden war, zu regeln461. Dabei erstaunt, daß die Ländervereinbarung offensichtlich nur den Abstimmungsmodus regeln sollte, obgleich Art. 118 S. 1 GG keine Volksabstimmung vorsah462. Die wesentlichen Materien eines Neugliederungsvertrages 463 wurden nicht einmal ansatzweise angesprochen, obgleich bereits die Punktation zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen vorbildlich die wesentlichen Regelungspunkte aufgeführt hatte464. Der Grund liegt in dem mangelhaften Zuspruch, den die nach Art. 118 GG vorgeschriebene Neugliederung bei den betroffenen Länderregierungen fand. In aller Deutlichkeit hat Theodor Eschenburg diesen Umstand artikuliert: „Daß kein Ministerpräsident bereit war, einen Teil seines Landes an ein anderes abzugeben, daß aber auch Hemmungen gegen einen Zusammenschluß bei dem einen oder andern Regierungschef bestanden, lag auf der Hand. Man hatte hier eine falsche Konstruktion gewählt, indem man die Parteien gleichzeitig zu Richtern in eigener Sache gemacht hatte"465. Daraufhin nahm der Bund die Neugliederung vor: Gemäß Art. 118 S. 2 GG wurde durch das vom Bundesverfassungsgericht in seinem Südweststaaturteil vom 23. Oktober 1951466 im wesentlichen für verfassungsgemäß befundene (dazu sogleich) Zweite Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden 458 Die Volksabstimmung fand am 24.9.1950 statt. Zu den Ergebnissen der Abstimmung und ihrer Auswertung siehe Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 70; sowie: Greulichy Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 61 Fn. 297; Krüger/Neumayer/ Schneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg?, in: Hamburger öffentlichrechtliche Nebenstunden 4 (1960), S.2; Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977, S. 102ff. 459 Die drei Länderchefs hatten sich in der Freudenstädter Vereinbarung vom 15. April 1950 nach fast zweijährigen Verhandlungen insoweit auf ein gemeinsames Verfahren nach Art. 118 S. 1 GG geeinigt, daß statt eines Volksentscheides zunächst eine unverbindliche Volksbefragung durchgeführt werden sollte. Dieser sollten sich erneute Verhandlungen anschließen, bevor eine Neugliederung nach Art. 118 S. 1 GG endgültig als gescheitert gelten konnte, vgl. Eschenburg, Das Problem der Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland, 1950, S.48 ff.; Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württembeig, 1977, S.65ff. 460 Vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.69f. 461 Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954 S. 117. 462 Siehe oben 1. Kapitel B.III, l.b). 463 Dazu oben 1. Kapitel B., C., D.III. 464 Vgl. oben 1. Kapitel D.IV. 1. 465 Eschenburg, Das Problem der Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland, 1950, S.21. 466 BVerfGE 1, 14 (65); s.a. oben 1. Kapitel A.II.2.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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und Württemberg-Hohenzollern 467 - im folgenden: Zweites Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg ( Z N G - B W ) - das Land Baden-Württemberg gebildet 4 6 8 . Der letztlich verabschiedete Gesetzesentwurf 469 sah zur Lösung der thematisierten Problematik der Einteilung der Stimmbezirke vier Abstimmungsbezirke vor, die aus den Ländern Baden und Württemberg-Hohenzollern sowie den Landesbezirken Nordbaden und Nordwürttemberg bestanden. Es konnte für oder gegen die Neugliederung zum Land Baden-Württemberg gestimmt werden 470 . Alternativvorschläge wurden nicht zur Abstimmung gestellt. In der Volksabstimmung am 9. Dezember 1951 entschied sich die Bevölkerung für das Land Baden-Württemberg 471 . Die Abstimmungsbezirke Nord-Baden, Nord-Württemberg und Württemberg-Hohenzollern stimmten für den Südweststaat, wohingegen Süd-Baden sich dagegen entschied 472 . Gemäß § 1 Z N G - B W vereinigten sich die drei Länder am 25. April 1952 zu dem neuen Bundesland Baden-Württemberg. Damit wurde die bis dahin unbefriedigende 473 Ländergliederung des südwestdeutschen Raumes bereinigt 474 . Letzt467
Gesetz vom 4.5.1951 (BGB1.I S. 284ff.), auszugsweise abgedr. im Anhang. Das Erste Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und WürttembergHohenzollern aus demselben Jahr (BGB1.I S.283) verlängerte die Wahlperiode der Landtage in Baden und Württemberg-Hohenzollern, vgl. femer BT-Drs. 1/2057 (Gesetzesantrag); BT-StenBer., 1/4880 (Begründung des Antrages). Diese Verlängerung der Wahlperiode erklärte das Bundesverfassungsgericht - aus Gründen der „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit" unbeschadet der Wirksamkeit der zwischenzeitlich durch die Landtage vorgenommenen Handlungen (Maßnahmen, Beschlüsse, usw.) - für verfassungswidrig (E1, 14 [34 ff.]), siehe dazu Klein, F., Bundesverfassungsgericht und Südwestfrage, in: AöR 77 (1951/52), S.452 (454ff.). 468 Zur geschichtlichen Entwicklung von 1945-1952 siehe: Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.59f.; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S.43ff. 469 Auf Antrag der Abg. Gengier, Kiesinger, Bauknecht u. a. v. 26.1.1951 (BT-Drs. 1/1849). Der Entwurf der FDP-Fraktion v. 30.3.1950 (BT-Drs. 1/821), der die Fragestellung nach dem Südweststaat vorsah, bei einer Abstimmungsmehrheit im gesamten Abstimmungsgebiet, sowie der CDU-Entwurf der Abgeordneten Hilbert, Strauß u. a. v. 9.1.1951 (BT-Drs. 1/1752), der zum Südweststaat die Alternativfrage der Wiederherstellung der alten Länder vorsah, für die zugunsten der letzten Alternative unterschiedliche Auszählungsmodalitäten für die Mehrheitsfindung gelten sollten, setzten sich nicht durch. Die verschiedenen Gesetzesentwürfe sowie ihre Erörterungen im Bundestag sind dargestellt bei: Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 73ff. 470 Wortlaut der Stimmzettel siehe § 4 ZNG-BW. - Zu der Problematik des Wortlautes siehe BVerfGE 14 (40ff.) sowie Klein, F., Bundesverfassungsgericht und Südwestfrage, in: AöR 77, (1951), S.452 (458ff.). 471 69,7 % aller Abstimmungsberechtigten stimmten für die Vereinigung der drei Länder, siehe Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 122; Krügerl Neumayer/Schneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg?, in: Hamburger öffentlich-rechtliche Nebenstunden 4 (1960), S.4f. 472 Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 123; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983; S. 81; Sauer, Die Entstehung des Bundeslandes Baden-Württemberg, 1977, S. 149ff. 473 Krüger INeumay er!Schneider, Baden-Württemberg oder Baden und Württemberg?, in: Hamburger öffentlich-rechtliche Nebenstunden 4 (1960), S. 1. 8 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
lieh hatte sich also die Umsicht ausgezahlt, in Art. 118 S. 2 GG neben den Ländern den Bund mit der Neugliederung zu beauftragen. Die Bedenken des Grundgesetzgebers475, daß die Länder ihre Neugliederung aus eigener Kraft nicht würden durchführen können, hatten sich bestätigt. Neben diesem verfassungspraktischen Resümee ist der Inhalt des Zweiten Neugliederungsgesetzes zum Land Baden-Württemberg von Interesse. Wie hat der Bund das Verfahren für die Neugliederung der drei Länder geregelt? Hat er die an eine Neugliederung gestellten Voraussetzungen berücksichtigt? Abhängig von dem Ausgang der Volksabstimmung nach Abschnitt IZNG-BW sah § 10 ZNG-BW zwei Neugliederungsmöglichkeiten vor: im Abschnitt ΙΠ das Verfahren bei der Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg einschließlich Hohenzollern und im Abschnitt Π das Verfahren bei der Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland. Letztere Variante verwirklichte sich und entspricht in der Sache der gescheiterten Neugliederung Berlin-Brandenburg, bei der es ebenfalls um die Vereinigung mehrerer Bundesländer zu einem ging. Auf diesen Abschnitt sowie die in Abschnitt I geregelte Volksabstimmung beschränken sich daher die weiteren Ausführungen. Wie das gesamte Gesetz zeichnen sich die Abschnitte insgesamt durch ihre Kürze aus. Das Zweite Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg schenkt den in Art. 291 GG (1949) aufgestellten Neugliederungs Voraussetzungen nur geringe Beachtung. Auf die Anforderungen des Art. 291 GG (1949) wird in Abschnitt I insoweit eingegangen, als durch die auch in Art. 118 S. 2 GG verlangte Volksabstimmung die landsmannschaftliche Verbundenheit ermittelt wird 476. Gemäß § 10 I ZNG-BW genügt eine einfache Mehrheit in drei der vier Abstimmungsbezirke, die zugleich eine einfache Mehrheit im gesamten Abstimmungsgebiet ergeben muß. Eine solche Regelung kann grundsätzlich sicherstellen, daß sowohl die Bevölkerung der Ausgangsländer die Neugliederung legitimiert als auch die Bevölkerung des zu bildenden neuen Bundeslandes477. Ein weiteres Aufgreifen der Voraussetzungen des Art. 291 GG (1949)findet sich teilweise in Abschnitt II. Allerdings geht er auf die Berücksichtigungsgebote der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge als auch gemäß Art. 291 GG (1949) des sozialen Gefüges gar nicht, auf die der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit nur knapp ein. Das erklärt sich aus dem Verständnis 474
Beckmann, Innerdeutsche Gebietsänderungen nach dem Bonner Grundgesetz: Entstehungsgeschichte, Auslegung und Bedeutung der Artikel 29/118 GG, 1954, S. 123. 473 Siehe oben 1. Kapitel Α. II. 1. b). 476 Zum Erfordernis des - im Gegensatz zum Wortlaut des Art. 118 S. 2 GG („Volksbefragung") - verbindlichen Volksentscheides siehe oben 1. Kapitel B.III, l.b); femer BVerfGE 1, 14 (41 ff.). 477 Indes ist es unter demokratietheoretischen Aspekten nicht unproblematisch, daß die Bevölkerung zweier Länder in letzter Konsequenz über die staatliche Zukunft eines dritten Landes entscheiden können. Kritisch zur Verfassungsgemäßheit der einzelnen Regelungen des § 10 ZNG-BW auch: Schürmann, Die unmittelbare Demokratie in Bayern und im Bund im Vergleich zur Schweiz, 1961, S. 120ff.
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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des Gesetzgebers, daß bereits der Grundgesetzgeber von 1949 die Voraussetzungen des Art. 291 GG (1949) mit Art. 118 GG berücksichtigt habe und die innere Struktur des neuen Landes ohnehin den Voraussetzungen des Art. 291 GG (1949) entsprechen werde. Dennoch hat der Gesetzgeber auf landesstaatlicher Ebene insoweit Regelungsbedarf gesehen, als für die Übergangszeit bis zur vollständigen Errichtung des neuen Landes dessen zukünftige Wirtschaftlichkeit nicht durch Maßnahmen gefährdet werden durfte, die gemäß § 16 ZNG-BW „die bestehenden Verwaltungsorganisationen oder den Besitz- und Vermögensstand des Landes erheblich ändern, nachhaltige finanzielle Verpflichtungen des neuen Bundeslandes begründen oder in sonstiger Weise geeignet sind, die Vereinigung zu beeinträchtigen". Die Einhaltung dieses Vorgehens in der längstens viereinhalbmonatigen Zeit bis zur Bildung der vorläufigen Regierung bewehrt § 17 ZNG-BW mit dem Rechtsmittel des mit aufschiebender Wirkung versehenen Einspruches durch den Ministerrat. § 16 ZNG-BW findet eine Konkretisierung in § 18 ZNG-BW: Nach Nr. 1 bedarf die Beförderung der oberen Beamten und öffentlichen Angestellten, nach Nr. 2 bedürfen finanzielle Ausgaben über eine Million Deutsche Mark der Zustimmung des Ministerrates.
Wenn die Länder in der Übergangszeit auch keine wirtschaftlichen Verbesserungen erreichen mußten, so hatte der Bundesgesetzgeber doch weitgehend478 sichergestellt, daß das neue Land jedenfalls von dem bisherigen status quo ausgehen konnte. Die Implementierung der eigentlichen wirtschaftlichen Rationalisierungen und sonstigen Verbesserungen lag in der Hand des neuen Landes. Die Entwicklung des neu entstandenen Landes Baden-Württemberg bestätigt allerdings die grundsätzliche Vorbildhaftigkeit der Regelungen des seinerzeitigen Bundesgesetzgebers. Die „günstige ökonomische Entwicklung des Landes Baden-Württemberg" wird heute „allgemein als ein politischer Erfolg eingeschätzt"479. Wie hatte der Bund nun das Procedere des Zusammenschlusses geregelt? Für eine Übergangszeit sah § 12 ZNG-BW zunächst den Ministerrat vor, der gemäß § 13 ZNG-BW innerhalb von drei Monaten nach der Volksabstimmung die Wahl der Ver478 Aus den Regelungen des ZNG-BW eigab sich eine zeitliche Kontrollücke: Die Kontrolle lag bei dem Ministerrat. Dessen Aufgaben endeten gemäß § 121S. 2 ZNG-BW mit der Bildung der vorläufigen Regierung, die selbst nicht die Kontrollbefügnisse des Ministerrates inne hatte. Die alten zu kontrollierenden Parlamente konnten nach § 20 ZNG-BW jedoch bis längstens zur Verkündung der neuen Verfassung durch die vorläufige Regierung bestehen, d.h. das ZNG-BW ließ eine kontrollfreie Zeit der drei alten Länderparlamente zwischen der Bildung der vorläufigen Regierung und der Verkündung der neuen Verfassung zu. Das Problem löste das Gesetz über die vorläufige Ausübung der Staatsgewalt im Südwestdeutschen Bundesland - Überleitungsgesetz - v. 15.5.1952 (GBl. BW S. 3), nur teilweise, indem es die drei Länderparlamente gem. Art. 21 mit dem 25.5.1952 auflöste und ihre Aufgaben auf die verfassunggebende Landesversammlung übertrug. Da der Ministerpräsident mit seiner Bekanntmachung v. 25.4.1952 (GBl. für das Südwestdeutsche Bundesland v. 28.4.1952) die Bildung der vorläufigen Regierung bekannt gegeben hatte, waren mit diesem Zeitpunkt die Aufgaben des Ministerrates beendet. Die drei Länderparlamente standen damit vom 25.4.1952 bis zum 15.5.1952 nicht unter der ursprünglich vom Bundesgesetzgeber vorgesehenen Kontrolle. 479 ScharpflBenz , Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 27.
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1. Kap.: Grundlagen
fassunggebenden Landesversammlung durch die Bevölkerung der neuzugliedernden Länder durchzuführen hatte480. Diese bestand gemäß § 13 Π ZNG-BW aus mindestens 120 Mitgliedern, die sich verhältnismäßig nach der Größe der ursprünglichen Länder zusammensetzten. Sie hatte nach § 14IV ZNG-BW spätestens einen Monat nach ihrem Zusammentritt den Ministerpräsidenten zu wählen, gemäß § 14 Π ZNG-BW die Landesverfassung zu beschließen und bis zu deren Verkündung durch die vorläufige Regierung die erforderlichen Gesetze und Maßnahmen zu erlassen, § 14ΙΠ ZNG-BW. Mit der Bildung der vorläufigen Regierung durch den Ministerpräsidenten gemäß § 14IV ZNG-BW waren die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland vereinigt. Nach Inkrafttreten der Landesverfassung hatte die Verfassunggebende Landesversammlung gemäß § 14 V ZNG-BW längstens zwei Jahre die Befugnisse des ersten Landtages. Das Bundesverfassungsgericht sah diese Regelung verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Mit dem Hinweis, daß der Auftrag einer verfassunggebenden Versammlung gegenständlich beschränkt sei, erklärte es § 14 V ZNG-BW für verfassungswidrig 481. Diese Begründung geht an der Sache vorbei. Zweifellos ist eine verfassunggebende Versammlung darauf beschränkt, die zukünftige Verfassung zu beschließen sowie die bis dahin erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Dem widerspricht § 14 V ZNG-BW nicht. Vielmehr geht er davon aus, daß die Verfassunggebende Landesversammlung mit Inkrafttreten der von ihr beschlossenen Landesverfassung in ihrer Eigenschaft als verfassunggebende Versammlung nicht weiter besteht. Das geht aus der Systematik des § 14 ZNG-BW hervor. Die Aufgaben der Verfassunggebenden Landesversammlung als verfassunggebende Versammlung bestimmt § 1411, ΠΙ, IV ZNG-BW: „Die verfassunggebende Landesversammlung beschließt die Landesverfassung [...]. Sie kann verfassungsrechtliche Bestimmungen, Gesetze und Maßnahmen, die im Interesse der Bildung des neuen Bundeslandes schon vor Inkrafttreten der Verfassung erforderlich sind, beschließen. Sie wählt [...] den Ministerpräsidenten". Mit Inkrafttreten der Landesverfassung indes läßt § 14 V ZNG-BW einen neuen Abschnitt beginnen. Die Eigenschaft der Verfassunggebenden Landesversammlung als verfassunggebende Versammlung ist beendet. Nunmehr nimmt sie „die Befugnisse des ersten Landtages" wahr 482. Gegen 480 Für die alltäglichen Amtsgeschäfte waren nach wie vor die drei nebeneinander bestehenden Landesregierungen zuständig. 481 BVerfGE 1, 14 (61 ff.); diesem sich ohne weitere Aspekte anschließend Glaser, Die rechtlichen Probleme im Zusammenhang mit der Entstehung des Landes Baden-Württemberg, 1976, S. 109 ff. - Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht hindert indes den Gesetzgeber nicht daran, erneut eine Norm gleichen Inhaltes zu erlassen, denn „der Gesetzgeber hat die Freiheit, verfassungsrechtlich anders als das BVerfG zu denken"; allein „.obstinaten Wiederholungen4 von Nonninhalten, die das BVerfG als verfassungswidrig beurteilt hat, steht die Verpflichtung zur Verfassungsorgantreue entgegen", vgl. Korioth, Die Bindungswirkung normverwerfender Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für den Gesetzgeber, in: Der Staat 30 (1991), S.549 (571). 482 Es wäre praktisch sinnvoll gewesen, diesen Zeitpunkt durch das ZNG-BW auf den Moment der formalen Errichtung des neuen Bundeslandes sogar noch vorzuverlegen: nach § 11
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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dieses Vorgehen wendet das Bundesverfassungsgericht ein, daß sich die Verfassunggebende Landesversammlung nur durch die von ihr beschlossene neue Verfassung als erster Landtag konstituieren könne483. Nun geht aber aus § 14 V ZNG-BW hervor, daß die Verfassunggebende Landesversammlung selbst gerade nicht den ersten Landtag konstituiert: sie nimmt lediglich seine „Befugnisse [...] wahr". Es handelt sich um ein etwaiges, unerläßliches Übergangsparlament, das sicherstellt, daß das neue Land zu keinem Zeitpunkt ohne Volksvertretung sowie die von ihr in ihrer Existenz abhängigen vorläufigen Regierung ist484. Das bestätigt auch die Formulierung des § 14 V ZNG-BW, wonach die Verfassunggebende Landes Versammlung die Befugnisse des ersten Landtages „auf längstens zwei Jahre" wahrnimmt. Das Erfordernis der Regelung eines Übergangsparlamentes wird aus folgendem Zusammenhang klar: Gleich, welche Bestimmungen die neue Verfassung für das Zustandekommen beziehungsweise für die Wahl des ersten Landtages vorsieht, ist seine Konstituierung mit Unwägbarkeiten verbunden, für die Vorsorge zu treffen ist. Auch wenn schon die Weimarer Nationalversammlung für den Übergangszeitraum zwischen dem Inkrafttreten der Weimarer Reichs Verfassung vom 11. August 1919485 und der Wahl des ersten Reichstages am 6. Juni 1920 sich selbst die vorläufige Wahrnehmung der Funktionen des Reichstages mit Art. 180 WRV durch die Verfassung übertrug 486, konnte der Bundesgestzgeber nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß sich die Verfassunggebende Landesversammlung für das Land Baden-Württemberg - so wie es das Bundesverfassungsgericht zwar für zulässig, jedoch aus demokratietheoZNG-BW waren die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern mit der Bildung der vorläufigen Regierung (am 25.4.1952) zu einem Bundesland vereinigt. Bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung bestand damit zunächst die eigenartige Konstellation, daß in einem Bundesland drei nebeneinander gleichwertige Parlamente und Regierungen existierten. - Das hat die verfassunggebende Landesversammlung mit Art. 41 des Überleitungsgesetz v. 8.7.1952 (GBl. S. 3) insoweit korrigiert, daß die Aufgaben des Landtages schon ab dem 15.5.1952 von ihr wahrgenommen wurden. 483 BVerfGE 1, 14 (62). 484 Davon geht implizit auch aus Eschenburg, Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates, 1952, S. 17ff. 485 RGBl. S. 1383. 486 Siehe Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd V, 1978; S. 1078. - In gleicher Weise wie später die Verfassunggebende Landesversammlung für das Land Baden-Württemberg nahm die Weimarer Nationalversammlung von 1919 zudem - anders jedoch als der Parlamentarische Rat von 1948/49, der sich allein auf die Verfassungsgebung beschränkte - bereits vor Inkrafttreten der Verfassung übergangsweise Parlamentsaufgaben wahr: Mit dem Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919 (RGBl. S. 169; femer abgedr. bei dems. (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd3,1966, S.69 Nr. 76) legte sie sich „die Kompetenz bei, nicht nur über die künftige Reichsverfassung, sondern auch über sonstige dringende Reichsgesetze zu beschließen (§ 1). Sie nahm nicht nur verfassunggebende, sondern auch gesetzgebende Gewalt in Anspruch. [...] Die Vollmacht zu diesem Souveränitätsakt [...] entnahm die Nationalversammlung dem Volkswillen. In den Wahlen vom 19. Januar 1919 sah sie die Verleihung ernes uneingeschränkten Mandats an das neue Parlament, die höchste Reichsgewalt schon vor der Verabschiedung der neuen Reichsverfassung auszuüben", vgl. ders. t Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd V, 1978; S. 1078.
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1. Kap.: Grundlagen
retischen Erwägungen für unerwünscht erachtet hat487 - in ähnlicher Weise selbst in der neuen Verfassung als ersten Landtag bestimmt488. Gemäß § 20 ZNG-BW, dessen Verfassungsmäßigkeit das Bundesverfassungsgericht nicht in Frage gestellt hat, treten „die Verfassungen der beteiligten Länder [...] spätestens mit Inkrafttreten der Verfassung des neuen Bundeslandes endgültig außer Kraft, soweit die Verfassunggebende Landesversammlung nicht für einzelne Vorschriften andere Bestimmungen trifft" 489. Für den vom Bundesverfassungsgericht erwünschten Fall, daß die Verfassung nicht die Verfassunggebende Landesversammlung als ersten Landtag bestimmt490, hätte sie ohne § 14 V ZNG-BW bestimmen müssen, daß die einzelnen Landesparlamente und Regierungen bis zur Wahl des neuen Landtages weiterbestehen. Anderenfalls hätte es eine Parlaments- und regierungslose Zeit vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verfassung bis zur gültigen Wahl des ersten Landtages gegeben. Das Fortbestehen der alten Parlaments- und Regierungssysteme kann § 20 ZNG-BW jedoch nicht gemeint haben. Er zieht lediglich das Fortbestehen einzelner Vorschriften in Betracht, nicht das des gesamten Systems. Die Verfassungen der alten Länder sind „endgültig" außer Kraft getreten. Entgegen dem vom Bundesverfassungsgericht implizierten Vorgehen des vorläufigen Weiterbestehens der alten Systeme ist die vom Bundesgesetzgeber gefundene Regelung auch zweckmäßiger: Die übergangsweise Repräsentation durch die Verfassunggebende Landesversammlung sowie die Wahrnehmung der Exekutivfunktionen durch nur eine vorläufige Regierung vereinfacht das Verschmelzen der drei Länder erheblich mehr als das gleich487
Nach BVerfGE 1, 14 (62) würde es „demokratischen Grundsätzen [...] mehr entsprechen, wenn das Volk nach Inkrafttreten der Verfassung unverzüglich seinen ersten Landtag wählen würde". Der vom Bundesverfassungsgericht aufgebrachte demokratietheoretische Aspekt wirkt gekünstelt und läßt sich nicht aufrecht erhalten: Die verfassunggebende Versammlung hat ihre Legitimation bereits durch das Staatsvolk in spe erhalten. 488 Diesen Weg hat die VerfBW in Art. 93 jedoch letztlich beschritten: „(1) Die Abgeordneten der nach § 13 des Zweiten Gesetzes über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern vom 4. Mai 1951 (BGB1.I S. 283 ff.) gewählten Verfassunggebenden Landesversammlung bilden nach Inkrafttreten dieser Verfassung den ersten Landtag. (2) Die Wahlperiode dieses Landtages endet am 31. März 1956." Auch Art. 93 VerfBW betrachtete die verfassunggebende Landesversammlung nach § 14 V ZNG-BW als ein zunächst bestehendes Übelgangsparlament: als solches hatte es nicht länger als zwei Jahre Bestand. Erster Landtag wurde sie erst mit Art. 931 VerfBW, der seine Wahlperiode nunmehr von der Verkündung der Verfassung am 19.11.1953 bis zum 31.3.1956 auf fast zweieinhalb Jahre festlegte, vgl. Emmelmann/Gerecke/Römer, Studienbuch des Staats- und Verwaltungsrechts, 1977, S.27f. 489 Die Verfassung Baden v. 22.5.1947 (GVB1. Bad. S. 129) i.d.F. v. 28.2.1951 (GVB1. Bad. S. 183), die Verfassung Württemberg-Baden v. 28.11.1946 (RegBl. S.277) i.d.F. v. 29.3.1949 (RegBl. S.43) und die Verfassung Württemberg-Hohenzollern v. 20.5.1947 (RegBl. S. 1) i. d. F. v. 11.12.1951 (RegBl. S. 127) sind mit der Verkündung der VerfBW am 19.11.1953 außer Kraft getreten, soweit sie nicht schon vorher durch das Überleitungsgesetz v. 8.7.1952 (GBl. S. 3) außer Kraft getreten sind; vgl. auch Emmelmann! Gereckel Römer, Studienbuch des Staats- und Verwaltungsrechts, 1977, S.28 Fn. 1,2. 490 BVerfGE 1,14 (62).
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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zeitige Nebeneinander dreier voneinander unabhängiger Repräsentativsysteme. Das gilt insbesondere für den Fall, daß sich die Konstituierung des ersten Landtages über einen längeren Zeitraum erstreckt. Die ablehnende Haltung des Bundesverfassungsgerichtes gegenüber §§ 14 V, 15 ZNG-BW wird mit Hinblick auf seine Argumentation zur Verfassungsmäßigkeit des Ministerrates - Übergangszeiten brauchten Übergangslösungen, auch wenn sie nicht verfassungsrechtlich vorgesehen seien (dazu sogleich) - gänzlich unverständlich. Daß das Zweite Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg im weiteren die Begrifflichkeit „verfassunggebende Landesversammlung" aufrecht erhält, dient der Verständlichkeit des Gesetzes und ist insoweit unbeachtlich. Zeitlich abhängig von der neuen Landesverfassung sowie dem tatsächlichen Procedere - längstens jedoch zwei Jahre - , war die Verfassunggebende Landes Versammlung nach § 14 V ZNG-BW bis zur Konstituierung des ersten Landtages ein bereits durch die Bevölkerung des neuen Landes in spe491 legitimiertes Übergangsparlament. Der von der Verfassunggebenden Landesversammlung gewählte Ministerpräsident ernannte gemäß § 14IV S. 2 ZNG-BW binnen zwei Wochen die Minister der vorläufigen Regierung und stellte den Zeitpunkt der Bildung der vorläufigen Regierung fest. Ihre Amtszeit regelte das ZNG-BW nicht. Da sie aber durch die Verfassunggebende Landesversammlung ihre Legitimation erhielt, war ihre Amtszeit an die der Landesversammlung gekoppelt, ohne daß es einer weiteren Regelung bedurft hätte. Das ergibt sich aus der Funktionsweise der grundgesetzlichen repräsentativen Demokratie. Sowohl der Ministerrat als auch die vorläufige Regierung konnten der Verfassunggebenden Landesversammlung gemäß § 15 ZNG-BW Vorschläge für die Verfassung einreichen sowie Anträge stellen. Femer hatten sie Zutritt zu allen Sitzungen der Verfassunggebenden Landesversammlung und ihren Ausschüssen und mußten dort angehört werden. Mit der zu § 14 V ZNG-BW entsprechenden Begründung, daß die Aufgaben einer verfassunggebenden Versammlung nicht beschränkt werden dürften, hat das Bundesverfassungsgericht auch hier insoweit die Verfassungswidrigkeit ausgesprochen, daß der vorläufigen Regierung die in § 15 ZNG-BW zugebilligten Rechte nur durch die verfassunggebende Versammlung selbst zugeteilt werden könnten492. Hier gilt das schon zu § 14 V ZNG-BW Ausgeführte. Der vorläufigen Regierung, die die Landesverfassung verkündet, steht mit der Verkündung der Verfassung keine verfassunggebende Versammlung mehr gegenüber. Gegenüber dieser allerdings kann die vorläufige Regierung die in § 15 ZNG-BW genannten Rechte nicht geltend machen, es sei denn, die verfassunggebende Versammlung bestimmt selbst etwas anderes. Nichts anderes gilt insofern für den Ministerrat. Daß das Bundesverfassungsgericht diesem die Befugnisse aus § 15 ZNG-BW, anders als der vorläufigen Regierung mit der Begründung zuspricht, daß, solange - bis zur Bildung des neuen Landes - dieser bestehe, die verfassunggebende Versamm491 Nach § 11 ZNG-BW sind die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern erst mit der Bildung der vorläufigen Regierung zu einem Bundesland vereinigt. Die verfassunggebende Landes Versammlung wird jedoch gemäß §§ 13,14 bereits vor der Bildung der vorläufigen Regierung gewählt. Sie ernennt diese erst, § 14IV S. 1 ZNG-BW. 492 BVerfGE 1, 14 (63).
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1. Kap.: Grundlagen
lung „insoweit unter dem Vorbehalt der bundesstaatlichen Ordnung stehe"493, überzeugt nicht. Zum einen steht diese Behauptung begründungslos im Raum. Zum anderen können mit diesem Argument der vorläufigen Regierung ebenfalls die Rechte aus § 15 ZNG-BW zugesprochen werden. Eine Differenzierung eigibt sich hieraus nicht.
Das Zweite Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg installierte also innerhalb von viereinhalb Monaten ein behelfsmäßiges, vorübergehendes, mit den erforderlichen Verfassungsorganen ausgestattetes, parlamentarisches System auf längstens zwei Jahre, das - bis auf den Ministerrat - durch die es zukünftig repräsentierende Bevölkerung voll legitimiert war. Ein nennenswerter Demokratieverlust durch zwischenstaatliche Einrichtungen oder Kooperationen unter den schon oben dargelegten Aspekten494 war damit nicht einmal übergangsweise gegeben. Die Bedenken, daß „die Einrichtung des Ministerrates der verfassunggebenden Grundlage" entbehrten495, zerstreute das Bundesverfassungsgericht sehr anschaulich: „Die Neugliederung macht die organische Überführung des gegenwärtigen in den neuen Rechtszustand erforderlich. Das erfordert eine gewisse Übergangszeit, innerhalb derer die Organe der bisherigen Länder und ihre Funktionen zunächst koordiniert und allmählich abgebaut und die Oigane des neuen Landes [...] gebildet werden und ihre Funktionen übernehmen müssen. Das Grundgesetz selbst enthält für dieses Übergangsstadium - von den mehrfach erwähnten allgemeinen Grundsätzen wie ζ. B. Demokratie und Rechtsstaat abgesehen - keine Regelung. Seine Vorschriften und die der Landesverfassungen, insbesondere die über die Verfassungsorgane und ihre Kompetenzen, beziehen sich auf intakte, nicht auf sterbende und werdende Länder. Man kann deshalb aus diesen Vorschriften nicht die Schlußfolgerung ziehen, daß auch für die Übergangszeit während der Dauer des Neugliederungsprozesses andere als die im Grundgesetz und in den Landesverfassungen vorgesehene Organe nicht gebildet werden dürfen [...]." 496 Auch wenn das Zweite Neugliederungsgesetz zum Land Baden-Württemberg inhaltlich knapp gehalten ist und dementsprechend begrenzt nachfolgenden Neugliederungen dienlich ist 497 , resultiert doch aus den sich mit dem Ministerrat verknüpften Legitimitätsauseinandersetzungen die bunderverfassungsgerichtliche Bestätigung der Möglichkeit der Einsetzung nicht verfassungsrechtlich vorgesehener Gremien für eine Übergangszeit498. Seine Idee der übergangsweisen Zusammenarbeit in dergestalten Institutionen machte sich daher auch der Neugliederungs-Vertrag der Länder Berlin und Brandenburg zu Nutze499.
493
BVerfGE 1,14 (63). Siehe oben 1. Kapitel C.I. 495 Nawiasky, Gutachten, in: Der Kampf um den Südweststaat, 1952, S.345 (355). 4 * BVerfGE 1,14 (58). 497 Für den Neugliederungs-Vertrag siehe 2. Kapitel B.-E. 498 Vgl. auch oben 1. Kapitel C.I. 499 Siehe unten 2. Kapitel C.II. 494
D. Grundlagen eines Neugliederungsvertrages
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3. Sonderfall Saarland gemäß Art. 23 GG: Eingliederung, nicht Neugliederung Das Saarland war zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik Deutschland kein Bundesland. Vielmehr wurde das Saargebiet seit Juli 1945 von der französischen Besatzungsmacht aus der übrigen Besatzungszone herausgelöst500 und wirtschaftlich, zoll- und währungspolitisch so eng mit Frankreich verbunden, daß es praktisch zu einem Teil Frankreichs wurde 501. Am 23. Oktober 1954 unterzeichneten die Bundesrepublik und Frankreich das Saarstatut, um die Situation des Saarlandes zu klären 502. Die saarländische Bevölkerung lehnte das Statut in der erforderlichen Volksabstimmung jedoch ein Jahr später ab503. Daraufhin schlossen die Regierungen den Vertrag zwischen der Bundesrepublik und Frankreich zur Regelung der Saarfrage vom 27. Oktober 1956 - Saarvertrag - ab 504 , aufgrund dessen das Saargebiet am 1. Januar 1957 als Saarland der Bundesrepublik Deutschland beitrat505. Der vollständige wirtschaftliche Anschluß folgte gemäß Art. 1Π des Saarvertrages 506 mit Ablauf des Jahres 1959507. Der Beitritt des Saarlandes erfolgte also nicht im Rahmen einer Neugliederung nach Art. 29 GG (1949) oder Art. 118 GG. Vielmehr wurde der Geltungsbereich des Grundgesetzes durch den Beitritt des Saarlandes nach Art. 23 GG (1949) erweitert 508. Eine Neugliederung wäre in diesem Zusammenhang rechtlich schon deshalb nicht möglich gewesen, da während der Übergangszeit bis Ende 1959 der Saarver500
Vgl. Herrn, Fragen nach einer Neugliederung des Saarlandes nach Art. 29 des Grundgesetzes, in: DÖV 1959, S. 127 (127). 501 Greulich, Ländemeugliederung und Grundgesetz, 1995, S.26; Schäfer, H.; Die Eingliederung des Saarlandes in den Geltungsbereich des Grundgesetzes, in: DÖV 1957, S. 1 ff. 502 BGBl. II S. 295. - Nach dem Saarstatut sollte im Saaigebiet bis zu einem Friedensvertrag ein „Status" bestehen, der von einem europäischen, dem Ministerrat der Westeuropäischen Union verantwortlichen Kommissar überwacht werden sollte. Mit Urteil vom 4.5.1955 stellte das BVerfG (E4, 157 [178]) die Verfassungsmäßigkeit des Saarstatutes fest. 503 Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 96,72 v. H. lehnten 67,71 v. H. der Bevölkerung das Saarstatut am 23.10.1955 ab, vgl. Schäfer, H. Die Eingliederung des Saarlandes in den Geltungsbereich des Grundgesetzes, in: DÖV 1957, S. 1 ff. 504 Art. 11 Saarvertrag: „Frankreich ist damit einverstanden, daß sich der Anwendungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 1. Januar 1957 ab auf das Saarland erstreckt." 505 Siehe hierzu das Gesetz zur Eingliederung des Saarlandes v. 23.12.1956 (BGBl. I S. 1011), das vom Bundestag am 14.12.1956 und vom Bundesrat am 21.12.1956 jeweils einstimmig verabschiedet wurde. 506 Gemäß Art. 1 II Saarvertrag war dessen Abs. 1 mit der Maßgabe anzuwenden, daß das Saarland und Frankreich während einer Übergangszeit, die spätestens am 31.12.1959 endet, weiterhin ein einheitliches Zoll- und Währungsgebiet bilden. 507 Vgl. auch Lauf er, Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, S.50. 508 SieheMaunzlZippelius, Deutsches Staatsrecht, 1985, §311, S. 18; ausführlich begründet bei Schäfer, H., Die Eingliederung des Saarlandes in den Geltungsbereich des Grundgesetzes, in: DÖV 1957, S. 1 (3).
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1. Kap.: Grundlagen
trag in bezug auf die saarländisch-französische Zoll- und Wahrungsunion von dem Fortbestand des Saarlandes in seinem damaligen territorialen und verwaltungsorganisatorischen Bestand ausging 509 .
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus? Sowohl das Neugliederungsvorhaben von Berlin und Brandenburg als auch jedwede andere Neugliederung ist an verfassungsrechtliche Voraussetzungen geknüpft und muß hohe politische Hürden überspringen. Es liegt daher nahe, auf andere Problemlösungen auszuweichen, wenn sich dadurch eine Neugliederung vermeiden läßt. Mögliche Alternativen finden sich unter dem Schlagwort „kooperativer Föderalismus" 510 . Es kann nicht darum gehen, die föderale Zusammenarbeit durch Neugliederungen abzulösen. Die Art und Weise des Zusammenwirkens zwischen und innerhalb der Bundes- und der Länderebene ist ein verfassungsrechtliches Spezifikum des bundesrepublikanischen Föderalismus 511. Doch gibt es bestimmte Bereiche der Kooperation, die eine Neugliederung wünschenswert erscheinen lassen. Zumin509
Vgl. auch Henn, Fragen einer Neugliederung des Saarlandes nach Art. 29 des Grundgesetzes, in: DÖV 1959, S. 127 (128). 510 Die Entwicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland wird gemeinhin unterteilt in die Abschnitte des separativen, des unitarischen, des kooperativen sowie in der Gegenwart des kompetitiven Föderalismus, vgl. jeweils m. w. N. Häberle, Die Entwicklung des Föderalismus in Deutschland - Insbesondere in der Phase der Vereinigung, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, 1993, S.201 (207ff.); Klatt, Reform und Perspektiven des Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: APuZ 36 (1986) Β 28, S. 3 (4ff.); Ossenbühl, Föderalismus und Regionalismus in Europa, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Föderalismus und Regionalismus in Europa, 1990, S. 117 (152ff.); Schneider, H.-P, Die bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland, in: NJW1991, S.2448 (2448 f.). Diese Einteilung ist sowohl in ihrer zeitlichen als auch in ihrer inhaltlichen Dimension nicht unproblematisch: So gibt es keine zeitlichen Abgrenzungen zwischen der Phase des separativen und des unitarischen Föderalismus. Auch zwischen letzterem sowie dem kooperativen Föderalismus wird weder zeitlich noch inhaltlich ausreichend unterschieden. Der Begriff des kooperativen Föderalismus ist in diesem Zusammenhang ohnehin irreführend und kann zu einer sinnvollen Abgrenzung nur wenig beitragen: der grundgesetzliche Föderalismus ist „bereits ein kooperativer Föderalismus", vgl. Konow, Kooperativer Föderalismus und Gemeinschaftsaufgaben, in: DÖV 1966, S. 368 (375); femer Steffani, Die Republik der Landesfürsten, in: Regierung, Bürokratie und Parlament, Hrsg.: Gerhard A. Ritter, 1983, S. 180 (188). Die wenig ausgereifte zeitliche und inhaltliche Differenzierung der genannten Phasen wird jüngst deutlich an der Darstellung bei Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 37 ff., nach der die unitarische („zentralistische") und die kooperative Phase gleichsam parallel verlaufen. Zudem hält er im Gegensatz zu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.430, die Finanzreform von 1969 nicht als Höhepunkt der kooperativen sondern der zentralistischen Phase, obgleich er an anderer Stelle die Zeit von 1960-1972 als die „verfassungspolitische Situation - kooperativer Föderalismus-" qualifiziert, vgl. Vedder, aaO., S.222. 511 Zum Begriff des Föderalismus siehe Maier, Hans; Der Föderalismus - Ursprünge und Wandlungen, in: AöR 115 (1990), S. 213 ff.
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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dest werfen sie die Frage auf, ob durch eine Neugliederung nicht wertvolle Ressourcen gespart werden könnten, die durch den Reibungsverlust der Kooperation der betreffenden Länder verloren gehen. Zwei Ausgestaltungen des kooperativen Föderalismus stehen besonders in Konkurrenz zur Neugliederungsmöglichkeit: der Finanzausgleich sowie die Zusammenarbeit benachbarter Länder durch Verwaltungsvereinbarungen und Staatsverträge. Sie setzen sich seit 1949 gegenüber Neugliederungen durch. Das Spannungsverhältnis zwischen der Stärkung dieser kooperativen Elemente und der Wahrnehmung der Neugliederungsoption als Lösung föderaler Schwierigkeiten wird mit einem Blick auf die diesbezüglichen Auseinandersetzungen erkennbar: Um das Thema Neugliederung gab es Seminare, Tagungen, Gespräche sowie parlamentarische Ausschüsse und normative Niederschläge, die sich entweder unmittelbar mit der Materie auseinandersetzten oder aber - wie die Entwicklung des „kooperativen Föderalismus" - sie mittelbar beeinflußten. Die Neugliederungsdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland512 von 1949 bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990513 verdeutlicht, welchen Schwierigkeiten sich Neugliederungsvorhaben ausgesetzt sehen, und welche Situationen den Neugliederungsgedanken reaktivieren. Die unterschiedlichen Lösungsvorschläge für die Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 291 GG in der Vergangenheit haben dem Fortgang von Neugliederungsvorhaben insgesamt weniger genützt denn geschadet514. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund wird sich der verfassungspraktische Gehalt des Neugliederungsvorhabens Berlin-Brandenburg herausstellen515.
512 Eine Phasenbildung etwa in die verschiedenen Jahrzehnte, so wie sie von Greulich, Ländemeugliederung und Grundgesetz, S.24ff., sowie von Feuchte, Wege und Umwege zu einer neuen Struktur, in: FS für Gebhard Müller, Hrsg.: Ritterspach, Theo/Geiger, Willi, 1970, S.59 (62), vorgenommen wird, erscheint willkürlich und nicht inhaltlich begründet. Wie Greulich selbst immer wieder aufzeigt, kann die Neugliederungsdiskussion keineswegs in Jahrzehnte aufgeteilt werden. Vielmehr stellen Ereignisse, wie etwa die Änderung des Art. 291 GG im Jahre 1976, nach der die Diskussion um eine Neugliederung bis zur Wiedervereinigung weitgehend verstummte, Zäsuren dar, nach denen eine Phasenbildung für die inhaltliche Aufschlüsselung der Neugliederungsdiskussion vorgenommen werden könnte. Die Unterteilung in Jahrzehnte bedarf insoweit jedenfalls weiterer Begründung. 513 Zur allgemeinen territorialen Entwicklung des deutschen Raumes vom Mittelalter bis zum Ende des Dritten Reiches siehe den Überblick im Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 21 f. Tz. 23ff.; femer Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebiets, in: DVB1. 1991, S. 1024 (1025); zur Neugliederungsregelung des Art. 18 WRV siehe Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 17 ff.; 19. Jh. bis 1945 mit politologischem Blickwinkel: Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983; S.25 ff.; einen knappen Überblick von 1949-1970 gibt Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (16ff.). 514 Zur Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern siehe oben 1. Kapitel A.II.2. 515 Siehe unten 2. Kapitel B.-E.
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1. Kap.: Grundlagen
I. Neugliederung selbstverständlich 1. Ausschuß für innergebietliche Neuordnung (Euler-Ausschuß, 1949); Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung In den Anfängen der Bundesrepublik Deutschland wurde der Neugliederungsauftrag des Grundgesetzes als selbstverständlich angesehen und zügig angegangen. Anderweitige Wege zur Lösung struktureller föderaler Probleme standen nicht zur Diskussion. Noch im Jahr des Inkrafttretens des Grundgesetzes beschloß der Bundestag am 29. September 1949, den Ausschuß für die innergebietliche Neuordnung zu bilden516. Dieser frühe Zeitpunkt der erstmaligen Befassung mit der Neugliederungsthematik durch den Bundestag überrascht vor dem Hintergrund, daß der auch für Art. 29 GG geltende Alliiertenvorbehalt erst 1955 aufgehoben wurde. Bis dahin hätte es von politischer Seite keinen konkreten Anlaß gegeben, das Thema Neugliederung zu diskutieren. Jedoch war es auf das alliierte Unbehagen über die neu entstandenen Ländergrenzen zurückzuführen gewesen, daß der Parlamentarische Rat den Neugliederungsauftrag in das Grundgesetz aufgenommen hatte517. Der unerfüllte Auftrag der Alliierten in den Frankfurter Dokumenten Nr. 2 vom 1. Juli 1948518 an die westdeutschen Ministerpräsidenten, Neugliederungsvorschläge zu unterbreiten, war zu frisch, um vergessen zu sein. Nach dem Scheitern der Ministerpräsidenten sah sich der Bundestag in die Pflicht genommen. Das von dem Euler-Ausschuß519 der Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hannover) in Auftrag gegebene Gutachten520 zur innergebietlichen Neuordnung gemäß Art. 29 GG (1949) stellte im Ergebnis fest, daß insbesondere die Länder des norddeutschen Raumes nicht den Anforderungen eines leistungsstarken Landes im Sinne von Art. 291 GG (1949) genügten. Es schlug daher verschiedene Modelle für eine Neuordnung dieses Raumes vor 521. Allerdings gab das Gutachten keine abschließende Stellungnahme ab, sondern wies gewissenhaft daraufhin, daß die Fra516 Auf Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und der DP, BT-Drs. 1/51. Der Ausschuß wurde nach seinem Vorsitzenden, dem FDP-Abgeordneten Euler benannt und bestand aus 17 Mitgliedern, vgl. Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 100. 517 Siehe oben 1. Kapitel A.II. l.a). 518 Frankfurter Dokumente, betreffend die Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung, die Änderung der innerdeutschen Landesgrenzen und die Leitsätze für ein Besatzungsstatut, abgedr. bei v.Münch, Dokumente des geteilten Deutschlands, 1968, S. 89f. Siehe auch v. Doemming/Füßlein/Matz, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: JöR (n.F.) 1(1951), S.263f. 519 Siehe Kurzprotokoll des Ausschusses Nr. 30 - Ausschuß für innergebietliche Neuordnung-, 15. Sitzg, 4.7.1951, TOP 3, S. 6-7, zit. nach Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.43 Fn. 189. 520 Brüning/ Stingi Peschlow, Probleme der inneigebietlichen Neuordnung gemäß Artikel 29 Abs. 1 des Grundgesetzes, Gutachten der Akademie für Raumforschung und Landesplanung i. A. des Deutschen Bundestages - Ausschuß für innergebietliche Neuordnung - , 1953. 521 Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.38f.
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
125
ge der Neugliederung erst mit der Vorlage der Ergebnisse weiterer Studien endgültig beurteilt werden könne 522 . Der Euler-Ausschuß griff die Anregungen des Gutachten auf und befürwortete eine Neugliederung des norddeutschen Raumes 523 . Weiter sprach er sich für eine Neugliederung Mittelwestdeutschlands aus 524 . Der Verwirklichung der Vorschläge stand seinerzeit jedoch der Alliiertenvorbehalt entgegen.
2. Effiziente Verwaltung und funktionierender Föderalismus durch Neugliederung: Weinheimer Tagung, 1950 Ungeachtet des Alliiertenvorbehaltes ging auch die Wissenschaft frühzeitig auf der Tagung des Institutes zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten in Weinheim am 22. und 23. Juli 1950 5 2 5 das Neugliederungsproblem an 5 2 6 . I m Mittelpunkt standen Inhalt und Auslegung der Art. 29 GG (1949) und Art. 118 G G 5 2 7 , denen Vorschläge zur Umsetzung der Neugliederung folgten. Sie ging - wie der parallel bestehende Euler-Ausschuß - selbstverständlich und ohne Zweifel zu hegen von einer Neugliederung aus und erörterte geschichtliche528, landsmannschaftliche 529, geographische 530 , raumordnungsplanerische 531, finanzielle 532 und verwaltungsrechtliche Aspekte 533 . Auch das Verhältnis des Deutschen Bundesstaates zu einem Europäi522
Brüning/ Sting/ Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S.39f. Vgl. Die Welt, v. 30.6.1951, S. 1, „Ein Nordstaat von der Eider bis zum Harz?" - Seine Empfehlung für eine Neugliederung Norddeutschlands widerspricht daher entgegen Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.44, nicht dem Gutachten. Allerdings sah sich dieser Vorschlag des Euler-Ausschuß dem Widerstand von Hamburg und Bremen ausgesetzt, „die um ihre Eigenstaatlicheit fürchteten", Greulich, ebda, S.45. 524 Vgl. Die Welt, v. 30.6.1951, S. 1, „Ein Nordstaat von der Eider bis zum Harz?". 525 Zu den Teilnehmern siehe: Die Bundesländer, 1950, S.IXf.; M e die us, Neugliederung der Länder, in: DVB1. 1950, S.529 (529). 526 Die Referate, Materialien und Diskussionen wurden der Öffentlichkeit vorgelegt: Die Bundesländer, Beiträge zur Neugliederung der Bundesrepublik, Hrsg.: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, 1950 (im folgenden: Die Bundesländer, 1950). 527 Arbeitsergebnis des Ausschusses I, in: Die Bundesländer, 1950, S.84 (85 f.); Arbeitsergebnis des Ausschusses III, ebda, S. 104ff.; Glum, Die rechtlichen Voraussetzungen der Neugliederung nach dem Grundgesetz, ebda, S. 171 ff. 528 Aubin , Kräfte aus der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands als raumbildende Faktoren, in: Die Bundesländer, 1950, S.49ff.; Münchheimer, Die Versuche zur Neugestaltung der deutschen Länder von 1919 bis 1945, ebda, S. 118 ff. 529 Arbeitsergebnis des Ausschusses III, in: Die Bundesländer, 1950, S. 104 (105 f.); Zuhorn, (OStadtDir. Münster), Beitrag zur Allgemeinen Diskussion, ebda, S.67 (68 f.). 530 Scheu, Geographische, Wirtschafts-, veikehrs- und sozialpolitische Gesichtspunkte für die Länderreform, in: Die Bundesländer, 1950, S. 17 ff. 531 Brill, Der Typ des künftigen deutschen Bundeslandes, in: Die Bundesländer, 1950, S.3 (11 f.). 532 Hartmann, H., Finanzielle Grundlagen für die Neugliederung der Länder, in: Die Bundesländer, 1950, S. 209ff.; Heimerich, Beitrag zur Allgemeinen Diskussion, ebda, S.74f. 533 Weiter wurden allgemeine Fragen zur Begrifflichkeit des Föderalismus {Brill, Der Typ des künftigen deutschen Bundeslandes, in: Die Bundesländer, 1950, S.3 [9ff.]) sowie Fragen 523
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1. Kap.: Grundlagen
sehen Bundesstaat sowie der Begriff der deutschen Landschaften fand bereits damals Eingang in die Erörterungen 534. Hingegen war die Begrifflichkeit des „kooperativen Föderalismus" sowie die damit verbundene eher neugliederungsabgewandte Föderalismuskonzeption 535 noch nicht präsent. Es ging ausschließlich um die Optimierung des gegenwärtigen föderalistischen Systems vor dem Hintergrund der Neugliederungsverpflichtung des Art. 291 GG (1949). Etwaige Alternativmöglichkeiten hierzu waren kein Gegenstand der Erörterungen 536. U m große, wirtschaftlich ausgewogene und leistungsfähige Länder zu schaffen, zwischen denen ein finanzieller und ökonomischer Ausgleich möglich sei, empfahl die Tagung daher eine umfassende Neugliederung 537 . Dadurch und durch eine damit verbundene Verringerung der Anzahl der Länder könne eine wirksame und sparsame Verwaltung verwirklicht 5 3 8 und ein funktionsfähiger Föderalismus geschaffen 539 werden. Die Weinheimer Tagung kam zu dem Ergebnis, daß die Mindestgröße eines Landes 5 Mio. Einwohner betragen müsse 540 . Sie behandelte die genannten Punkte in einer bis dahin nicht gegebenen Ausführlichkeit 541 . Ihre Ergebnisse flössen unmittelbar in die Ar-
der Bedeutung wirtschafts- und verkehrspolitischer Zusammenhänge bei der Neugliederung (Scheu, Geographische, Wirtschafts-, Verkehrs- und sozialpolitische Gesichtspunkte für die Länderreform, ebda, S. 17 [22]), die Großstadt-Umland Problematik der Hansestädte Hamburg und Bremen mit den sie umgebenden Bundesländern (Scheu, aaO, S. 17 [43 ff.]; Hartmann, H., Finanzielle Grundlagen für die Neugliederung der Länder, ebda, S.209 [215]), die Südweststaatfrage (Scheu, aaO, S. 17 [28 ff.]) sowie die Erforderlichkeit einer bestimmten Größe der Länder zur Gewährleistung einer wirtschaftlich und effizient arbeitenden Verwaltung (Hartmann, H., aaO, S.209 [214]) diskutiert. 534 Brill, Der Typ des künftigen deutschen Bundeslandes, in: Die Bundesländer, 1950, S.3 (12ff.); Arbeitsergebnis des Ausschusses I, ebda, S.84 (87). 535 S.a. 1. Kapitel Ε.II. 536 Vgl. etwa Heimerich, Vorwort, in: Die Bundesländer, 1950, S. Vllf. 537 Ergebnisse, in: Die Bundesländer, 1950, S. 111 ff.; Hartmann, H., Finanzielle Grundlagen für die Neugliederung der Länder, ebda, S. 209 (214f.). - Sie bat die Bundesregierung, zur weiteren Untersuchung der aufgeworfenen Fragen einen Ausschuß bestehend aus Sachkundigen aus Wissenschaft und Praxis zu bilden, ebda, S. 111 (113). 538 Arbeitsergebnis des Ausschusses I, in: Die Bundesländer, 1950, S.84 ff.; Arbeitsergebnis des Ausschusses II, ebda, S.92f. 539 Lüdemann (MinPräs. SH a.D.), Beitrag zur Allgemeinen Diskussion, in: Die Bundesländer, 1950, S.72ff. 540 Scheu, Geographische, Wirtschafts-, veikehrs- und sozialpolitische Gesichtspunkte für die Länderreform, in: Die Bundesländer, 1950, S. 17 (48). Diese Größe wurde auch von Reformbestrebungen zwischen 1925 und 1939 immer wieder angestrebt, vgl. die Übersicht bei Münchheimer, Die Versuche zur Neugestaltung der deutschen Länder von 1919 bis 1945, ebda, S. 117 (147). 541 In Fortführung der zum Problem der Ländemeugliederung veranstalteten Tagung hat das Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten folgende weitere Studie als Arbeitsmaterial veröffentlicht, die, wie auch die Eigebnisse der Weinheimer Tagung, schon damals wesentliche Punkte des Berichtes der Emst-Kommission ausgeführt hatte, die diese lediglich aktualisierte und sich daher regelmäßig vertieft in der Literatur behandeltfindet (s. a. unten 1. Kapitel E. IV.); letztlich ist jedoch den Eigebnissen und der Folgeveröffentlichung der Weinheimer Tagung kaum eine mindere Bedeutung beizumessen, als der Emst-Kommission; siehe Fol-
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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beit des Euler-Ausschusses ein 542 und wirken insbesondere mit ihren Erörterungen über die erforderliche Größe und Finanzkraft der Länder bis in die gegenwärtige Neugliederungsdiskussion hinein543. Die Verwirklichung der Neugliederungsverpflichtung war auch hier den Beteiligten noch Selbstverständlichkeit.
II. Zurückdrängung der Neugliederungsverpflichtung zugunsten des Kooperationsgedankens 1. Die Länderinteressen im Luther-Ausschuß, 1952: Ansätze zum Kooperationsmodell Doch zeichneten sich schon bald die Schwierigkeiten ab, denen Neugliederungsvorhaben in der Zukunft ausgesetzt sein würden. Der Bund verfolgte die Neugliederungsverpflichtung nach wie vor eifrig, obgleich sich bei der Bundesregierung bereits ein zögerliches Moment abzeichnete544: Parallel zum Ausschuß für innergebietliche Neuordnung545 setzte sie am 15. Januar 1952 aufgrund des fast ein Jahr zuvor ergangenen Bundestagsbeschlusses vom 13. Juni 1951546 einen Sachverständigenausschuß für die Neugliederung gemäß Art. 29 GG ein. Der 40 Mitglieder 547 umfassende Ausschuß unter dem Vorsitz des Reichskanzlers a. D. Hans Luther begann seine Arbeit am 2. Mai 1952 und Schloß sie mit einem im Oktober 1955 veröffentlichten Gutachten ab 548 . Er sollte - ebenso wie der Euler-Ausschuß - die Intention des Art. 291 GG (1949) klären. Daher wurden die einzelnen für die Neugliederung als maßgeblich erachteten Voraussetzungen untersucht und Wege ihrer Anwendung aufgezeigt 549. Umsichtig wies der Ausschuß auf die politischen Zusammenhänge der Neugliederungsproblematik des Art. 29 GG (1949) hin 550 . Wegen der Unvorhersehbarkeit der parteipolitischen Folgen einer Neugliederung ging er auf die machtpolitischen Konsequenzen nicht weiter ein551. Dieser erstmalige Hinweis auf machtpolitische Bezüge ist allerdings nicht allein ein Zeichen von Umsicht. Er spiegelt geband Münchheimer, Materialien zur Auslegung der Neugliederungs-Prinzipien in Art. 29 Abs. 1 des Grundgesetzes, Hrsg.: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, o. J. 542 Vgl. Brüning! Stingi Peschlow, Probleme der innergebietlichen Neuordnung, 1953, S. 39 f. 543 Vgl. Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.47; Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 100. 544 Vgl. auch Redelberger, Die Neugliederung der Länder, in: DVB1. 1953, S.655 (655). 545 Euler-Ausschuß, siehe hierzu oben 1. Kapitel E.I. 1. 546 Auf Antrag der CDU/CSU vom 9.5.1951 zur Einsetzung einer Sachverständigenkommission, BT-Drs. 1/2222. 547 BMinI (Hrsg.); Die Neugliederung des Bundesgebietes, Gutachten des von der Bundesregierung eingesetzten Sachverständigenausschusses (Luther-Kommission), 1955, S. 13 f. Tz. 6 f. 548 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.5. 549 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 15 Tz. 3. 550 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 20 Tz. 1 ff. 551 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 20 Tz. 5.
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1. Kap.: Grundlagen
zugleich eine Wende in der Selbstverständlichkeit wieder, die jedenfalls auf Bundesebene bis dahin dem Neugliederungsauftrag entgegengebracht wurde. Das wird auch an anderer Stelle deutlich: Obgleich der Neugliederungsgedanke des Grundgesetzes nicht zuletzt auf dem Bedürfnis der Alliierten beruhte, die aus den Besatzungszonen entstandenen Ländergrenzen neu zu formen, verkehrte der Luther-Ausschuß die Geschichte. Die nach 1945 entstandenen und im weiteren beibehaltenen Ländergrenzen sollten nicht länger auch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder vor 1949552 sondern allein die Alliierten zu verantworten haben. Daher rühre Art. 291 GG (1949): „Man wünschte es nicht, sich die innere Gliederung deutschen Landes von draußen vorschreiben zu lassen"553. Damit wurde die Neugliederungsverpflichtung nicht länger als Auflage der Alliierten empfunden, sondern im Gegenteil als etwas ihr Entgegengesetztes. Mit dieser Einstellung ist es aber im weiteren ein Leichtes, die Neugliederungsverpflichtung nicht länger - wie bisher, zumindest auch - als eine solche gegenüber den Alliierten zu empfinden. Die Verpflichtungsbindung nach außen relativierte sich. Sich von den Vorgaben der Alliierten lösend, begann die Bundesrepublik im Hinblick auf das Thema Neugliederung ihre eigenen Wege zu gehen. Die Analyse des Art. 291 GG im Luther-Ausschuß ergab - folglich wenig überraschend - keine grundlegend neuen Erkenntnisse554. Entgegen den vorherigen Gutachten hielt sich die Kommission trotz der umfassenden vorausgegangenen Erörterungen mit eindeutigen Stellungnahmen, die eventuell ernsthafte Konsequenzen nach sich gezogen hätten, sehr zurück555 und sprach sich sogar gegen eine Neugliederung aus. 552 Obgleich diese von den Alliierten in den Frankfurter Dokumenten Nr. 2 v. 1.6.1948 aufgefordert waren, die Länder neuzugliedem, konnten sie sich seinerzeit nicht einigen, so daß sich das Problem in den Art.291 GG (1949) verlagerte, vgl. oben 1. Kapitel A.II. l.a). 553 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 21 ff. Tz. 1 ff. - Auch die Aussage des Berichtes, ebda, S.51 Tz.22, daß „die Möglichkeit einer ausgeglicheneren Gliederung des Bundesgebietes [...] nicht in freiem Entschluß ausgenutzt werden" konnte, ist wegen der Aufforderung der Alliierten an die Ministerpräsidenten in den Frankfurter Dokumenten Nr. 2 so nicht zutreffend, vgl. oben 1. Kapitel A.II, l.a). Diesen Zusammenhang übersieht auch Pagenkopf\ Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1981, S.296. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 30 Tz. 1 ff. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 30f. Tz. 1 ff. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 27 Tz. 1. 554 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 21 ff. Tz. 1 ff. - Der Ausschuß erörterte die naturräumlichen Gegebenheiten und ihre Bedeutung für die Neugliederung (ebda, S.30 Tz. 1 ff.), sowie die Begriffe der landsmannschaftlichen Verbundenheit und der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge (ebda, S.30 f. Tz. Iff.). Weiter untersuchte er die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit (ebda, S. 32 f. Tz. 1 ff.), das soziale Gefüge (ebda, S. 33 f. Tz. 1 ff.) und das Vermögen der Länder, ihre Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen (ebda, S.35f. Tz. 1 ff.). Dabei ging die Kommission auf die Größe der Länder (ebda, S.36ff. Tz. 1 ff.) sowie die Begriffe der wirtschaftlichen (ebda, S.41 ff. Tz. Iff.) und politischen Leistungsfähigkeit (ebda, S.43 Tz. 1 ff.) ein. 555 Vgl. etwa zur Größe der Länder: Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 38 Tz. 15; S.40f. Tz. 15f.; zur Leistungsfähigkeit der Länder: ebda, S.42 Tz. 11; S.43 Tz.6; i.ü. ebda, S. 132 Tz. 2.
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So stellte die Kommission fest, daß die bestehenden Ländeigrenzen gefestigt seien . Auch die Bevölkerung habe kein eigenes Interesse an einer Neugliederung557. Überdies statuierte die Kommission, daß die bestehenden Länder mehrheitlich die Kriterien des Art. 29 GG erfüllten, so daß eine Zerschlagung der Mehrzahl der Länder gar nicht erforderlich sei558. Insbesondere brächten größere Länder per se keine Kostenersparnis mit sich559. Diesbezüglich könne auch keine Idealgröße ermittelt werden560. Die Kommission hielt die Möglichkeit einer Neugliederung für vertan, da die Westalliierten durch das verzögerte Inkrafttreten des Art. 29 GG (1949) faktisch eine Neugliederung unrealisierbar gemacht hätten561. Diese Auffassung konnte sich auf Stimmen in Politik562 und Literatur 563 stützen. Sofern daher ein einziges Land manche Aufgaben nicht erfüllen könne, könne das Zusammenwirken benachbarter Länder dies wirksam bewerkstelligen564.
An diesen Äußerungen zeigten sich deutlich die nun offen zu Tage tretenden Schwierigkeiten der Verwirklichung des Neugliederungsauftrages: Aufgrund seiner hohen, Kompromisse einfordernden 565 Mitgliederzahl sowie des Umstandes, daß er sich in großem Maße unmittelbar von Länderinteressen hatte leiten lassen566, dekla556
Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.27 Tz. 5. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 27 Tz. 5. Dabei stellt sich die Frage, wie ein solches Bedürfnis der Bevölkerung überhaupt festgemacht wird. Entsprechende Umfragen etwa hierzu oder zum Thema der landsmannschaftlichen Verbundenheit wurden lediglich einmal 1967 bezüglich der Baden-Frage und für Rheinland-Pfalz erhoben, vgl. Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von Dr. Helmut Kohl, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 97 (100); ders., 60 % für ein selbständiges Rheinland-Pfalz, Bürger wurden befragt, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.55 (55 f.). 558 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 18 Tz. 10; S.48ff. 559 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.40f. Tz. 15 f. 560 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 38 Tz. 8 f. 561 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.27 Tz. 1. 562 Diesbezüglich hatte Hessen 1954 ein ausführliches Gutachten veröffentlicht, in dem es für sich eine Neugliederung ablehnte und lediglich „nur relativ geringe Grenzänderungen" wünschte, um in sich den Rhein-Main-Raum zu vereinen, Regierung des Landes Hessen (Hrsg.), Das Land Hessen im Rahmen der Neugliederung des Bundesgebietes, Gutachten für den Ausschuß zur Vorbereitung der Neugliederung des Bundesgebietes, 1954, S.54ff. Gerade hieran wird die Eigennützigkeit deutlich, mit der die Länder die Neugliederungsdiskussion führen. 563 Für die bleibende Selbständigkeit der Länder Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen: Hall, Die niedersächsisch-westfälische Grenze und die Neugliederung Niedersachsens, Versuch eines Ausgleichs, 1954, S. 17 f. 564 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 36 Tz. 9; S. 44ff. Tz. 1 ff. 565 Vgl. Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (17). 566 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 25 Tz. 1ff.: „Durch die Vorträge von Landesministem, Staatssekretären und höheren Ministerialbeamten, von Leitern der Landesplanung, der statistischen Ämter und anderen Dienststellen wurde dem Ausschuß ein umfassender Einblick in die Grundlagen zuteil, die nach den Richtbegriffen des Art. 29 von Bedeutung sind, sowie ein Einblick in die bei den Länderregierungen in Betracht kommenden Gesichtspunkte". Ferner auch Schöller, Neugliederung, Prinzipien und Probleme der politisch-geographischen Neuordnung Deutschlands und das Beispiel des Mitteilheingebietes, 1965, S. 15 f. 557
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1. Kap.: Grundlagen
rierte der Ausschuß unschlüssig zwar einerseits als Lösung zwischenstaatlicher Probleme Ländervereinbarungen als wirksames Mittel 567 . Der Ansatz zum Modell des „kooperativen Föderalismus" war geboren: Der Ausschuß „konnte [...] sich nicht der sich geradezu aufdrängenden Einsicht entziehen, daß in diesen Verflechtungen neben der Neugliederung ein anderes, bereits im großen Umfang bewährtes Mittel zur praktischen Bewältigung von Problemen gegeben ist, die den Problemen der Neugliederung wesensähnlich sind"568. Allerdings verheimlichte die Kommission die Beweggründe für ihre Erkenntnis kaum. Wahrend ihrer Arbeit wurde ihr klar, daß „so manches Problem, das zunächst unter dem Kennwort Neugliederung auftauchte, einer guten Erledigung zugeführt werden kann, ohne den Weg einer politisch so viel schwerer wiegenden Neugliederungsmaßnahme zu beschreiten"569. Zwischen den Zeilen ist die Resignation zu lesen, mit der die Kommission schließlich der Neugliederungsverpflichtung entgegentrat. Die in dem Ausschuß zur Geltung gekommenen Länderinteressen hatten den Abschied von der Verfolgung der Neugliederungsverpflichtung eingeläutet. Praktikabilitätserwägungen ließen die Luther-Kommission die Lösung von zwischenlandlichen Problemfeldern mittels Ländervereinbarungen als einzig realisierbaren Weg erscheinen570. Andererseits hielt der Ausschuß im mittelwestdeutschen Raum, im Bereich der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und im Bereich Nordbadens eine Neugliederung für erforderlich 571. Er stellte fest, daß die Ländergrenzen im Rhein-Main-Gebiet neu definiert werden müßten, damit Wirtschaft und Landesverwaltung effizient gestaltet werden könnten572. Anlaß für diese Empfehlung war die im Rhein verlaufende Landesgrenze, die die Ballungsräume Mainz/Wiesbaden und Mannheim/ Ludwigshafen zerschneidet573. An diesem Punkt angelangt, vermochte der Ausschuß seine Kräfte allerdings nicht zu einem konkreten Neugliederungsweg zu fokussieren. Zur Lösung der mittelwestdeutschen Probleme unterbreitete der Ausschuß insgesamt sieben Vorschläge574. Diese umfassende Liste von Lösungsmöglichkeiten hemmte zwar nicht selbst den Fortgang der Neugliederungsdiskus567
Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 36 Tz. 9; S.44 ff. Tz. 1 ff. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.23f. Tz. 17. 569 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.23f. Tz. 17. 570 Vgl. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.44 ff., wo sie unter der Überschrift „Verflechtungen in ihrer Bedeutung für die Neugliederung" zu dem Ergebnis kommt, daß das, „was früher durch die einheitliche preußische Zentralbehörde geregelt werde konnte, [...] jetzt, soweit überhaupt eine Lösung möglich ist, auf den Weg von Verflechtungen verwiesen werden" müsse. 571 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S.48; S. 113ff. Tz. 1 ff. 572 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 114 Tz. 6. 573 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 114 Tz. 7 ff. 574 Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 115 Tz. 14; S. 115ff. Tz. 16ff.-Bei den Vorschlägen der Neugliederung fanden auch die Wiedervereinigung Deutschlands sowie das Europaproblem Berücksichtigung, ebda, S.24 Tz. 1ff. Mit einem föderalen und demokratischen Staatsaufbau sollte der sowjetischen Besatzungszone eine Gegenideologie entgegengesetzt werden, ebda, S.24 Tz.5. 568
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sion 575 . Sie war jedoch ein Ausfluß der Tendenz in dem Ausschuß, eine Neugliederung auf dem Umweg der Zusammenarbeit der betroffenen Länder zu umgehen. Sie hatte ihre Ursache in der Berücksichtigung der divergierenden Interessen aller Beteiligten, insbesondere der Länderinteressen. Das Ergebnis war daher kein konstruktiver Vorschlag, sondern bestand aus unergiebiger, weil hinhaltender Vielfalt 5 7 6 . Die erste Weiche zum Abschied von der Neugliederungsverpflichtung - und noch grundsätzlicher: vom Neugliederungsgedanken - zugunsten des Modelles des „kooperativen Föderalismus" war gestellt.
2. Neugliederung versus kooperativer Föderalismus: die kontroverse Diskussion der Loccumer Tagung, 1968 Vom 22. bis 25. März 1968 fand in Loccum eine Tagung von Politikern und Wissenschaftlern zum Thema Neugliederung statt 577 . Auf dieser Tagung nun prallten die Strömungen der Neugliederung und der des kooperativen Föderalismus unmittelbar und großenteils offen aufeinander. Die bislang tendenziell verdeckt gehaltenen Divergenzen kamen zum Ausbruch. Grundlage der Diskussion war ein 5-Länder-Modell 5 7 8 . Die Neugliederungsbefürworter fühlten sich an die grundgesetzliche Verpflichtung nach wie vor gebunden 579 . Sie stellten darauf ab, daß die finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein nicht gegeben war 380 und der Länderfinanzausgleich sowie eine Intensivierung der Kooperation nur Symptome kuriert hätten581 und daher seinerzeit wegen der Neugliederungsverpflichtung des Art. 291 GG (1949) eine Neugliederung nicht hätten ersetzen können582. Im Hinblick auf die Neugliederungsverpflichtung wurde 575 So aber Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 101; Timmer, Neugliederung des Bundesgebietes, 1974, S.26. 576 13 Jahre später galten die Ergebnisse der Luther-Kommission daher als überholt, vgl. Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (97); Schnur, Gebietsreform als Neuverteilung politischer Macht, ebda, S. 116 (126); von der Heide, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 83 (84); Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, ebda, S. 13 (23). 577 Vgl. Loccumer Protokolle 3/1968, vor Inhaltsverzeichnis, S. 134. 57 8 Dienel, Föderalismus und Ultrastabilität der Verwaltung, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 1 (6). 57 9 Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 ff. 580 Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 7 (13 ff.). 581
Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (15),
49. 582 Heinke (StS nds. FinMin.j, Aus der Diskussion, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 96. - Eine Neugliederung sei notwendig, um Verwaltung effizienter zu gestalten, Schäfer, F., Das Problem der Länderregierung unter dem Aspekt einer aufgabengerechten Veiwaltungsstruktur der Länder im deutschen Bundesstaat, ebda, S. 23 (32); ferner sollten unrationelle Staatsverträge und Verwaltungsabkommen vermieden werden (Quaritsch, Der unerfüllte Ver-
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1. Kap.: Grundlagen
Art. 29 GG (1949) in Frage gestellt. Die Kritikrichtetesich sowohl gegen die Richtbegriffe 583, als auch gegen die Volksentscheidregelung584. Beides wirke sich hinderlich bei einer Neugliederung aus; insbesondere die Volksabstimmung sei regelmäßig eine Volksablehnung, da die aus machtpolitischen Gründen an der Erhaltung des status quo Interessierten mit Erfolg an die Bequemlichkeit der Bevölkerung appellieren könnten585. Die Befürworter einer Neugliederung empfahlen nach allem eine Neugliederung in fünf bis sieben Länder586 bei Vermeidung der Zerstückelung einzelner Länder587.
Das Bemerkenswerte an der Loccumer Tagung ist nun der offene Widerstand, der einer allgemeinen Neugliederung entgegenstand. Dieser formierte sich mit zunehmender zeitlicher Distanz zu der Entstehung des Neugliederungsgedanken und seiner geschichtlichen Umstände immer deutlicher und stärker. Während die Ressentiments gegen eine Neugliederung in der Luther-Kommission vergleichsweise dezent waren, lehnten nun einige Teilnehmer eine Neugliederung ausdrücklich ab. Die Neugliederungsgegner führten an, daß eine Neugliederung, isoliert betrachtet, nicht mehr zeitgemäß588, noch nicht aktuell589 und zu starr 590 sei und nach weiterer wirtschaftlicher fassungsauftrag, ebda, S. 7 [15].), um die Eigenständigkeit der Länder zu wahren (,Schäfer; F., aaO., S. 29 f.). Der Föderalismus sei überdies eine Form der Gewaltenteilung und habe die Zielfunktion, gesellschaftliche Lernprozesse zu erleichtem; diesen Aufgaben werde er nicht mehr gerecht, Dienel, Föderalismus und Ultrastabilität der Verwaltung, ebda, S. 1 (5). Der Gedanke der vertikalen Gewaltenteilung wurde erstmalig von James Madison im Federalist No. 51 entwickelt. Der Föderalismus als dezentrale Staatsoiganisation sollte eine doppelte Sicherheit für das Volk sein: „There are moreover two considerations particularly applicable to the federal system of America, which place that system in a very interesting point of view. First. In a single republic, all the power surrendered by the people, is submitted to the administration of a single government; and usurpations are guarded against by a division of the government into distinct and separate departments. In the compound republic of America, the power surrendered by the people, isfirst divided between two distinct governments, and then the portion allotted to each, subdivided among distinct and separate departments. Hence a double security arises to therightsof the people. The different governments will controul each other; at the same time that each will be controuled by itself.", abgedr. bei Wright (Hrsg.), The Federalist, 1966, S.355 (357). 583 Quaritsch , Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 7 (19). 584 Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 7 (20). 585 Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 7 (21 f.). Siehe hierzu bezüglich des in Art. 29 GG für die Volksentscheide vorgesehenen Quorums 1. Kapitel B.III.l.c).; s.a. Thaysen, Bürgerbeteiligung/Plebiszite, Thesen zur Verfassungsreform, in: Recht und Politik (RuP) 29/30 1993/94, S. 18 (19): „Plebiszite sind inhaltlich neutral, wirken (vermutlich) eher konservierend. [...] Plebiszite stärken in der Regel die ohnehin Mächtigen."; femer im Hinblick auf die Volksabstimmung Berlin-Brandenburg unten 2. Kapitel Ε.Ι.,ΠΙ.4. 586 Schäfer, F., Das Problem der Länderregierung unter dem Aspekt einer aufgabengerechten Verwaltungsstruktur der Länder im deutschen Bundesstaat, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.23 (32). 387 Mischnick, Schlußaussprache, unter Mitwirkung von dems., Emil Guilleaume, Volkmar Muthesius, Johannes Strelitz, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 128 (128). 588 Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (95).
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
133
591
Entwicklung erneuert werden müsse . Sie rufe politische Schwierigkeiten hervor, für die der Staat zu schwach sei592. Doch blieben auch die realpolitischen Hinteigründe nicht länger unausgesprochen: eine Neugliederung habe wegen ihrer Auswirkungen auf die parteipolitischen Herrschaftsstrukturen 593 sowie der machtpolitisch begründeten Widerstände durch die bestehenden Institutionen im öffentlichen 594 und privaten Bereich595 keine Aussicht auf Erfolg. Auch die Bevölkerung habe sich für den Bestand der Länder ausgesprochen596. Eine Neugliederung dürfe daher nicht „mit Gewalt" gegen den Widerstand der Bevölkerung, die durch rationale Diskussion überzeugt werden müsse, durchgeführt werden597.
Die Sympathie, die etwa Helmut Kohl dem kooperativen Föderalismus entgegenbrachte598, verdeutlicht, daß hier, bei aller Berechtigung der vorgebrachten Zweifel, 589 Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (86,88); Diederichs, Aussprache, eingeleitet von dems., ebda, S.64 (66); M ester n, Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, ebda, S.51 (62 f.); Thorwirth, Aus der Diskussion, ebda, S. 112 (112,114); Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., ebda, S.43 (44,47), das von Hopf geforderte Hinausschieben für zehn Jahre, damit sich eine politische Überzeugung bilde, kommt einer faktischen Negierung einer Neugliederung gleich. Mit zunehmendem Alter verfestigen sich auch die Institutionen und Machtstrukturen, die einer Neugliederung nicht aufgeschlossen gegenüberstehen. 590 Hopf Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.43 (44,46); vgl. auch Feuchte, Neugliederung: Versagen von gestern - Chance von morgen, Anpassung als Aufgabe bundesstaatlicher Politik und Verwaltung, in: DÖV 1968, S. 456 (461). 591 Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (89); vgl. auch Duppré, Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, ebda, S. 33 (39); Hopf Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., ebda, S.43 (44). 592 Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.43 (45). 593 Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (lOOf., 109); Schnur, Gebietsreform als Neuverteilung politischer Macht, ebda, S. 116 (122). 594 Muthesius, Schlußaussprache unter Mitwirkung von Wolfgang Mischnick, Emil Guilleaume, dems., Johannes Strelitz, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 128 (132); Schäfer, F., Das Problem der Länderregierung unter dem Aspekt einer aufgabengerechten Verwaltungsstruktur der Länder im deutschen Bundesstaat, ebda, S.31; Schnur, Gebietsreform als Neuverteilung politischer Macht, ebda, S. 116 (117 ff.). Genannt werden Bundesbehörden, Landesbehörden, Bundeswehr, Abgeordnete, politische Parteien, Kirchen und Rundfunkanstalten. Vgl. auch Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, ebda, S.7 (18,22). 595 Schnur, Gebietsreform als Neuverteilung politischer Macht, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 116 (120). Hier seien die Organisationen betroffen, die sich an den bestehenden Ländergrenzen orientiert hätten. Vgl. auch Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, ebda, S.7
(22).
596
Mit Verweis auf Umfrageergebnisse: Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (100). 597 Schnur, Gebietsreform als Neuverteilung politischer Macht, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 116 (125); das Interesse in der Bevölkerung müsse gestärkt werden, Mischnick, Schlußaussprache unter Mitwirkung von dems., Emil Guilleaume, Volkmar Muthesius, Johannes Strelitz, ebda, S. 128 (130); Strelitz, ebda, S. 128 (133). 598 Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (98).
134
1. Kap.: Grundlagen
kein tatsächliches Interesse an einer Neugliederung bestand. Vor diesem Hintergrund sind auch die Neugliederungsvorschläge zu sehen, die Kohl seinerzeit für den mitteldeutschen Raum ausdrücklich unter der Prämisse formulierte 599 , daß auch der norddeutsche Raum, dessen Ablehnung gewiß war 6 0 0 , sich mit einer Neugliederung bereit erklären würde. Diese realpolitischen Argumentationen, wie auch die Hinweise auf eine erforderliche langwierige Diskussion zur Urteilsbildung 601 , wie sie sich durch die gesamte Neugliederungsdiskussion ziehen, geben diesen Stimmen die Möglichkeit, ihre tatsächlich negative Auffassung zurückzuhalten 602 . Karl Maria Hettlage folgerte unumwunden, daß es zu einer „territorialen Neugliederung [...] so oder so nicht" komme 6 0 3 . Ohne der Neugliederungsverpflichtung des Art. 291 S. 1 G G (1949) weitere Beachtung zu schenken, zogen diese Stimmen daher einen horizontalen 604 , vertikalen 605 beziehungsweise umfassenden 606 Finanzausgleich sowie eine länderübergreifende Staatsverträge
609
Kooperation 607 durch Verwaltungsabkommen 608
und
vor. Die Zustimmung der Länder im Bundesrat zur Verfassungsän-
derung des Art. 109 G G im Jahre 1967 6 1 0 , durch die sie „auf das enorm wichtige At599 Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (104ff.), darin stellt er zudem ausdrücklich fest, daß es für ihn kein Zweifel daran gebe, daß Rheinland-Pfalz durchaus in der Lage sein, weiterzuexistieren, S. 107. 600 Mestern, Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 51(63). 601 So Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.43 (43,47). 602 Vgl. auch Mischnick, Schlußaussprache unter Mitwirkung von dems., Emil Guilleaume, Volkmar Muthesius, Johannes Strelitz, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 128 (129). 603 Hettlage, Alternative zur Neugliederung: Neuregelung des Finanzausgleichs, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 69 (69). 604 Duppré, Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.33 (37). 605 Hettlage, Alternative zur Neugliederung: Neuregelung des Finanzausgleichs, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 69 (69,76ff., 81 ff.). 606 Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.43 (46). 607 Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (92ff.), mit differenzierten Kooperationsmodellen und der Maßgabe, daß eine Neugliederung zu gegebener Zeit zur Schaffung europäischer Regionen dienen solle, S. 95; Diederichs, Aussprache, eingeleitet von dems., ebda, S. 64 (66); Hettlage, Alternative zur Neugliederung: Neuregelung des Finanzausgleichs, ebda, S.69 (73). 608 Duppré, Aussprache, eingeleitet von dems. und Volkmar Hopf, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.33 (40). 609 Hopf, Aussprache, eingeleitet von Fritz Duppré und dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.43 (46). Für beide Formen der Kooperation: Mestern, Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, ebda, S.51 (51,54ff., 59ff.). 610 Das 15. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 8.6.1967 (BGB1.I S.581) übernahm den bisherigen Wortlaut unverändert in Absatz 1 und fügte Absätze 2-4 an. Mit dem 20. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 12.5.1969 (BGBl. IS. 357) wurde Art. 109 III GG um
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
135
tribut ihrer reinen Eigenstaatlichkeit verzichtet" hätten, wurde ihnen daher lobend als die Einsicht zuerkannt, „daß Haushalt und Finanzwirtschaft nicht getrennt voneinander betrachtet werden können" 611 . Ohne auf die Zweckmäßigkeit dieser Vorschrift einzugehen, bleibt festzuhalten, daß sie ein Baustein in der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist, die bei steigender Intensität mit einer von Neugliederungen abgewandten Tendenz versehen ist. Im Rahmen der Neugliederungsdiskussion gewinnt ihre rein positive Bewertung daher eine die Neugliederung ablehnende Bedeutung hin zur Verfestigung des kooperativen Föderalismus. Die Loccumer Tagung zeichnete mit der dort manifestierten Ablehnung gegenüber einer Neugliederung die zukünftige Entwicklung der Neugliederungsdiskussion vor. Die wesentlichen Hindernisse - insbesondere die Alternative des kooperativen Föderalismus - , denen sich ein Neugliederungsprojekt in der Zukunft ausgesetzt sehen würde, waren ausgesprochen 612. Doch sollte die in der Loccumer Tagung erkennbar gewordene Entwicklung weitere Steigerungen erfahren.
eine Kompetenz erweitert sowie die Verbindlichkeit für Bund und Länder klargestellt (Änderungen kursiv): „Durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden." Die Ergänzungen und Änderungen des Art. 109 GG sind im Gesamtzusammenhang mit der Finanzreform 1969 zu sehen, die Art. 109 GG (1967) teilweise vorwegnahm, vgl. Vogel/ Wiebel (Zweitbearb.), in: BK, GG-K, Art. 109 Rn. 1 ff. 611 Schäfer, F., Das Problem der Ländergliederung unter dem Aspekt einer aufgabengerechten Verwaltungsstruktur der Länder im deutschen Bundesstaat, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.23 (25). - Nach Art. 109 II GG haben Bund und Länder bei ihrer Haushaltswirtschaft den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Zu diesem Zweck konnten nach Art. 109 III GG (1967) durch ein zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz Grundsätze für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden, die für Bund und Länder verbindlich waren, vgl. ders., ebda, S.25. 612 Dagegen mißt Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.86, der Loccumer Tagung die Bedeutung bei, daß sie eine 20-jährige Epoche der Neugliederungsuntätigkeit abgeschlossen habe und die Neugliederungsdiskussion wiederbelebt habe. Im Hinblick auf die sich bis 1970 hinziehende Baden-Frage, in deren Rahmen es sogar zu einer Änderung des Neugliederungsartikels Art. 29 GG kam, ist eine grundsätzliche Neugliederungsuntätigkeit nicht nachvollziehbar. Weitere Neugliederungspläne im Dezember 1965 durch Ministerpräsident Meyers, vgl. Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (11).
136
1. Kap.: Grundlagen
3. Normativierung des Kooperationsmodells als Gipfel: Finanzreform 1969 Mit der normativen Verfestigung des kooperativen Föderalismus613 erreichte das Neugliederungsdesinteresse 1969 zunächst einen Höhepunkt, der die Neugliederungsverpflichtung des Art. 291 S. 1 GG (1949) 614 vollends ad absurdum führte. Wegen ihrer teilweise finanziell nur unzureichenden Ausstattung war es den Ländern bis Ende der sechziger Jahre nicht gelungen, die ihnen obliegenden Aufgaben 615 in Eigenregie zu regeln616. Daher begannen sie, verstärkt untereinander und mit dem Bund in prozeduraler und institutioneller Zusammenarbeit die anstehenden Aufgaben anzugehen617. Im Juni 1963 gab die Konferenz der Ministerpräsidenten den Anstoß für eine umfassende Reform der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern618. Infolgedessen bildete der Bundeskanzler am 20. März 1964 in einer gemeinsamen Sitzung mit den Ministerpräsidenten der Länder die Kommission für die Finanzreform 619. Den Vorsitz führte der Vizepräsident der Deutschen Bundesbank Troeger* 20. Ihre 5 Mitglieder und die 3 ständigen Sachverständigen waren überwiegend hochrangige und erfahrene Praktiker aus Wirtschaft und Verwaltung621, die aufgrund ihrer Positionen nicht unerheblichen politischen Einfluß ausübten622. Die Kommission sollte die Aufgaben- und Ausgabenverteilung zwischen dem Bund und den Ländern überprüfen und Vorschläge zur wirtschaftlichen Optimierung der beiden Ebenen unter Vermeidung von Zuständigkeitsüberschneidungen unterbrei613
Vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.430: „Mit der Finanzreform des Jahres 1969 erreichte die Welle des in das Finanzverfassungsrecht verlängerten kooperativen Föderalismus ihren normativen Scheitelpunkt. [...] Entscheidenden Einfluß auf diese Finanzreform übte das [...] Troeger-Gutachten aus [...]." 614 Vgl. oben 1. Kapitel A.II. l.a). 615 Etwa Hochschulbau, Forschungsförderung, Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, deren Bedeutung gewachsen war. 616 Vgl. die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf des FinanzreformG, BT-Drs. 1969, 5/2861, Tz. 51 ff., 68 ff.; Heinze, „Kooperativer Föderalismus" und die Umbildung der Verfassung, in: FS für Emst Forsthoff, Hrsg.: Roman Schnur, 1972, S. 119 (120). 617 Groß, Kooperativer Föderalismus und Grundgesetz, in: DVB1. 1969, S.93ff.; ders., Die verfassungsrechtliche Würdigung der Kooperationsformen bei Bund und Ländern, in: NJW 1967, S. 1001 f.; Hesse, K.; Aspekte des Kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik, in: FS für Gebhard Müller, Hrsg.: Theo Ritterspach/Willi Geiger, 1970, S. 141 (144ff.); Heinze, „Kooperativer Föderalismus" und die Umbildung der Verfassung, in: FS für Emst Forsthoff, Hrsg.: Roman Schnur, 1972, S. 119 (121 ff.); Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, 1991, S. 209 ff. 618 Vgl. Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, 1991, S. 213 ff. 619 Kommission für die Finanzreform, Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1966 (im folgenden zitiert: Troeger-Gutachten), S. 1 Tz. 1. 620 Troeger-Gutachten, S. 1 Tz. 1. 621 Troeger-Gutachten, S.4f. Tz. 14f. 622 Vgl. auch Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S.4 Fn. 13.
. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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ten623. Insbesondere sollte das Institut der Gemeinschaftsaufgaben untersucht werden624. Die Verpflichtung zur Neugliederung des Bundesgebietes nach Art. 291 S. 1 GG (1949) war nicht zu berücksichtigen. Dem Auftrag zufolge sollte die anstehende Finanzreform allein den Ansatz des kooperativen Föderalismus auf zwei Ebenen vertiefen: einmal auf der vertikalen Ebene der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern; zum anderen sollte infolgedessen der Finanzausgleich überdacht werden. Damit wurde einer umfassenden Ausgleichsregelung zwischen den finanzstarken und denfinanzschwachen Ländern der Weg geebnet. Die Kommission veröffentlichte im Frühjahr 1966 ein Gutachten - auftragsgemäß - über die Neuordnung der Finanzverfassung 625. Allerdings bemerkte sie hinsichtlich der damaligen Länderaufteilungen am Rande, daß die Gliederung des Bundes in elf nach Größe und Leistungskraft sehr unterschiedliche Länder den Ansprüchen der damaligen Zeit nicht genüge626. Entgegen ihrem Auftrag hatte die Troeger-Kommission das seinerzeitige verfassungsrechtliche Kernproblem des Finanzausgleich wenigstens angesprochen: Vier Bundesländerfinanzierten regelmäßig und ohne Aussicht auf Veränderung die übrigen Länder über den horizontalen Finanzausgleich mit 627 . Gemäß Art. 291 GG (1949), der gleich leistungsfähige Länder verlangte, bedurfte es einer Neugliederung628. Der Finanzausgleich für sich kuriert lediglich Symptome, ohne die Ursache der Leistungsschwäche zu beseitigen629. Dem Troeger-Gutachten ist daher zuzustimmen, daß die Neugliederung nach Art. 291 GG (1949) dringend erforderlich war 630. Art. 291 GG (1949) bestimmte, daß Neugliederung, nicht Finanzausgleich das verfassungsmäßig vorgeschriebene Mittel war, um gleichwertig leistungsstarke Länder zu begründen631. Die Kompensation grundsätzlicher Leistungsschwäche eines Landes im Wege des Finanzausgleiches war unzulässig: „mit Rücksicht auf Art.29 GG" durfte er „nicht zu dem Ergebnis führen, lebensunfähige 623
Troeger-Gutachten, S. 1 ff. Tz. 1 ff. Daher ist der besonderen Breite, die das Gutachten dieser Thematik widmet, entgegen Gross, Die verfassungsrechtliche Würdigung der Kooperationsformen bei Bund und Ländern, Zugleich ein Beitrag zum Troeger-Gutachten, in: NJW 1967, S. 1001 ff., keine besondere Wertzumessung seitens der Kommission zu entnehmen. 624 Troeger-Gutachten, S. 2, Tz. 8. 625 Eine Zusammenfassung des Troeger-Gutachtens findet sich in DÖV 1966, S. 109ff. 626 Troeger-Gutachten, S. 11 Tz. 29. 627
Zu den leistungsfähigen Ländern zählten Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen, zu den nicht leistungsfähigen Ländern gehörten Bayern, (West-Berlin), Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein, vgl. Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (13). 628 Vgl. Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (13,15). 629 Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29 Rn. 40; Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (15). 630 Troeger-Gutachten, S. 11 Tz. 29; vgl. auch Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (15). 631 Insofern war der Auftrag an die Troeger-Kommission, die Neugliederung auszugrenzen und sich allein mit dem Finanzausgleich zu befassen, verfassungsrechtlich zumindest fragwürdig.
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1. Kap.: Grundlagen
Länder am Leben zu erhalten" 632 . Dem Finanzausgleich kam insofern lediglich die Aufgabe zu, vorläufige, nicht grundlegende Finanzschwächen zu überbrücken. Der beiläufige Hinweis der Kommission für die Finanzreform in ihrem TroegerGutachten 1966, daß sich die Schwierigkeiten nicht durch die angestrebte Finanzreform, sondern allenfalls durch eine Neugliederung bewältigen ließen, wurde einhellig ignoriert 633 . Daß auch das Troeger-Gutachten selbst das Thema Neugliederung nur am Rande streifte, war aufgrund des konkreten Kommissionsauftrages konsequent. Weitere Ausführungen zum Thema Neugliederung waren nicht zu erwarten gewesen 634 . Dem Troeger-Gutachten folgend führte die Finanzreform 1969 mit Art. 91 a, b GG das Institut der Gemeinschaftsaufgaben ein 6 3 5 , das eine Rahmenplanung von Bund und Ländern vorsieht 636 . Bund und Länder tragen hierbei jeweils die Hälfte 632 BVerfGE 1,117 (134); Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 8, der von der „der föderalistischen Konzeption des GG widersprechende^]" Abhängigkeit der finanzschwachen von denfinanzstarken Ländern spricht. 633 Auch die Literatur nahm die im Hinblick auf die Verpflichtung zur Schaffung leistungsfähiger Länder durch Neugliederung gemäß Art.291 S. 1 GG (1949) zumindest fragwürdige Finanzreform insoweit kritiklos hin, vgl. zum Troeger-Gutachten und zur Finanzreform, jeweils m. w. N.: Hettlage, Grundfragen einer Neuordnung des deutschen Finanzrechts, in: DÖV 1966, S. Iff.; Hiittl, Kooperativer Föderalismus und Gemeinschaftsaufgaben, in: DVB1. 1967, S.433 ff.; Kölble, Wirtschaftsplanung und Grundgesetz, in: NJW1966, S.473 ff.; ders., Finanzreform und Bundesstaatsprinzip, in: DÖV 1967, S. Iff.; Konow, Kooperativer Föderalismus und Gemeinschaftsaufgaben, in: DÖV 1966, S. 368 ff.; Liebrecht, Der kooperative Föderalismus, in: DVB1.1967, S.72ff.; Patzig, Der kooperative Föderalismus, in: DVB1.1966, S. 389 ff. Gänzlich resignierend zum Thema Neugliederung äußert sich in dem Zusammenhang mit der Finanzreform Scheuner, Wandlung im Föderalismus der Bundesrepublik, in: DÖV 1966, S.513 (516f.). Nur am Rande seines Aufsatzes zu diesem Thema hält Henle, Finanzreform zwischen Föderalismus und Fiskalpolitik, in: DÖV 1966, S.608 (612), eine Neugliederung für notwendig. 634 Vgl. auch Kölble, Finanzreform und Bundesstaatsprinzip, in: DÖV 1967, S. 1 (9). - Daraus, daß das Gutachten eine umfassende Neugliederung lediglich als Zielvorstellung anklingen ließ, kann der Kommission kaum politischer Opportunismus vorgeworfen werden; so aber Grawert, Finanzreform und Bundesstaatsreform, in: Der Staat 7 (1968), S.63 (64). Dieser Vorwurf wäre allenfalls an die Auftraggeber des Gutachtens zurichtengewesen, die keine nähere Befassung mit dem Thema Neugliederung formuliert hatten, sondern bei der Frage einer Finanzreform von dem status quo ausgingen und diesen durch die Finanzreform, respektive das Troeger-Gutachten festigten und keine grundsätzlichen Schritte zur Verbesserung der finanzwirtschaftlichen Situation durch eine umfassende Neugliederung vornahmen. 635 21. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Finanzreformgesetz) v. 12.5.1969 (BGBl. I S. 359 ff.). - Das Finanzgesetz sah eine umfassende Reform des X. Abschnittes des Grundgesetzes (Finanzwesen) vor, mit der folgende Artikel neu eingefügt oder neugefaßt wurden: Art.91 a; 91b; 104a; 105 II, IIa; 106; 107; 108; 115c III; 115k III; zu den Einzelheit ausführlich siehe Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.40ff. insbes. auch Fn. 75, S. 429ff., 620ff. 636 Zum Prozeduralen des Planungsverfahrens siehe Edling, Zentralistische Verflechtungstendenzen im Föderalismus, 1991, S. 85; zur Kompetenzverteilung zwischen Planungsausschuß und Land siehe Hesse, J. J., Regionalisierte Wirtschaftspolitik, Das Beispiel „Zukunfts-
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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der Kosten 637 . Damit sollte ihre Zusammenarbeit verbessert werden 638 . U m die unterschiedlichen Leistungsstärken der einzelnen Länder auszugleichen, erweiterte Art. 106 Π Ι (1969) die seit Art. 106 Π Ι GG (1955) 6 3 9 aus der Einkommen- und Körperschaftsteuer bestehenden Gemeinschaftssteuern noch um die Umsatzsteuer 640 . Neben der weiteren Neuordnung des Finanzausgleiches in Art. 107 G G ermächtigte Art. 104 a I V GG (1969) den Bund, „den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände)" zu gewähren, „die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet [...] erforderlich sind". Der Bund durfte also durch die Finanzhilfen entweder eine vorübergehende „Störung" abwehren „oder" aber einen dauerhaften „Ausgleich" herbeiführen. Aber gerade letzteres ließ Art. 291 GG (1949) nicht zu.
4. Finanzausgleich: Kurieren von Symptomen oder Alternative? Seit der Änderung des Art. 291 GG im Jahre 1976 6 4 1 , die die Neugliederungs Verpflichtung zu einer Kann-Bestimmung herabstufte, steht der Finanzausgleich allerdings in einer neuen Relation zur Neugliederung. Nunmehr zeigt die Verfassung mit initiative Montanregion", 1991, S. 151; ferner Pagenkopf\ Der Finanzausgleich im Bundesstaat, 1981, S. 238 ff.; zu den mit den Gemeinschaftsaufgaben verbundenen Koordinationsproblemen vgl. Hesse, J. J.; Entstehung und Funktionsweisen der Politikverflechtung in den einzelnen Aufgabenbereichen, in: Fritz W. Scharpf, Politikverflechtung, 2. Kritik und Berichte aus der Praxis, 1977, S.5 (7 ff.). 637 Vgl. Frowein/v. Münch, Gemeinschaftsaufgaben im Bundesstaat, in: VVDStRL 31 (1973), S. 13 ff., 51 ff.; Marnitz, Die Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91 a GG als Versuch einer verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der bundesstaatlichen Kooperation, 1974, S. 23; Tiemann, Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsrechtlicher Sicht, 1969, S. 6ff.; kritisch Barbarino; Zur Revision des Grundgesetzes: Planerische und finanzielle Aspekte des Bund-Länder-Verhältnisses unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinschaftsaufgaben, in: DÖV 1973, S. 19 (20ff.). 638 Marnitz, Die Gemeinschaftsaufgaben des Art. 91 a GG als Versuch einer verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der bundesstaatlichen Kooperation, 1974, S.23; Oppermann, Gemeinsame Bildungs- und Forschungsfinanzierung durch Bund und Länder nach Art. 91b und Art. 104 a Grundgesetz, in: DÖV 1972, S.591 (591). 639 Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) v. 23.12.1955 (BGBl. I S. 817). - Zu den politischen Auseinandersetzungen um die Finanzreform von 1955 vgl. Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, 1991, S. 130ff. 640 Dieser Steuerverbund enthält die umfangreichsten, aber auch konjunkturabhängigsten Steuereinnahmen, die derzeit etwa zwei Drittel der Gesamtsteuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden ausmachen, s.a. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.424f. Am Aufkommen der Einkommen- und der Körperschaftsteuer sind der Bund und die Länder seit Art. 106 III S. 1 GG (1969) je zur Hälfte beteiligt, die Anteile an der Umsatzsteuer legt nach Art. 106 III S. 3-5 GG (1969) ein zustimmungsbedürftiges Gesetz fest. 641 33. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Art.29 und 39) v. 23.8.1976 (BGB1.I S.2381); s.a. oben 1. Kapitel A.II.3.
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1. Kap.: Grundlagen
der Möglichkeit der Neugliederung einen Weg, um,finanziell betrachtet, eine gewisse Chancengleichheit unter den Ländern zu erreichen. Eine andere - nunmehr verfassungsrechtlich gleichermaßen zulässige Methode - ist, den status quo aufrecht zu erhalten und im Rahmen des Finanzausgleichs Strukturschwächen einzelner Länderfinanziell so auszugleichen, daß die Länder nach Abschluß des Finanzausgleiches fiktiv als vergleichbar leistungsstark angesehen werden können und über eine angemessene Finanzausstattung verfügen, so daß sie ihre Aufgaben i. S. v. Art. 291 S. 1 GG wirksam erfüllen können. Beide Möglichkeiten - Neugliederung wie auch Finanzausgleich - haben nunmehr gleichwertig, ohne insoweit in einem Stufenverhältnis zu stehen642, die Aufgabe, den Ländern eine Ausgangsposition zu verschaffen, mit der sie die ihnen obliegenden Aufgaben erfüllen können. Daß der Finanzausgleich „nur" Strukturschwächen kompensiere, ohne ihre Ursachen zu bekämpfen, spricht seit Art. 291 S. 1 GG (1976) per se nicht mehr gegen ihn. Vielmehr stellt sich die Frage, warum der Gesetzgeber den Finanzausgleich einer Neugliederung vorzieht. Eine gewichtige Rolle kommt machtpolitischen Hintergründen zu. Wer Neugliederung fordert, muß sich aber weiterfragen lassen, ob ihre Voraussetzungen vorliegen. Gerade die Berücksichtigung der bestehenden landsmannschaftlichen Verbundenheit nach Art. 291S. 2 GG, die sich auch in politischen Mehrheiten und ihren Ablehnungen einer Neugliederung gegenüber widerspiegelt, relativiert Neugliederungsforderungen. Die Länder sind - worauf sie zu Recht großen Wert legen - keine Verwaltungseinheiten, sondern demokratische Staaten der Bundesrepublik Deutschland. Sie bestehen aus einem Staatsgebiet, haben originäre Hoheitsgewalt und ein Staatsvolk. Wenn sich letzteres durch seine Repräsentanten gegen die Möglichkeit einer Neugliederung stellt, kann darüber nicht ohne weiteres hinweggesehen werden. Zudem haben die unmittelbare Anwendbarkeit und die enorme Flexibilität des bundesstaatlichen Finanzausgleiches insbesondere bei der Bewerkstelligung der Finanzierungsschwierigkeiten des Saarlandes und Bremens seit den 80er Jahren643 sowie durch die Wiedervereinigung644 seine ungewöhnlich hohe Fä642 Davon abzugrenzen ist die Frage der Akzessorietät des Finanzausgleichs: Seit Art. 291 GG (1976) kann also entweder der Finanzausgleich ohne Neugliederung akzessorisch zum verfassungsrechtlichen status quo die angemessene Finanzausstattung der Länder gewährleisten oder aber es kann neugegliedert werden; dann ist die gleichwertige Finanzausstattung der Länder in erster Linie durch die Neugliederung sicherzustellen und erst in einem zweiten Schritt durch den dann zu dieser neuen verfassungsrechtlichen Situation akzessorischen Finanzausgleich. Die Gleichrangigkeit bezieht sich also auf die Wahl der Mittel - entweder nur Finanzausgleich oder Neugliederung mit gegebenenfalls anschließend erforderlichem Fianzausgleich; s. a. Selmer, Grundsätze der Finanzverfassung des vereinten Deutschlands, in: VVDStRL 52 (1993), S. 10 (60): Die Frage, „wie sich die Aufgabe der Finanzverfassung, die Länder zur Wahrnehmung der ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben zu befähigen, zu dem Ziel der [...] Neugliederung verhält, [...] ist durch die 1976 vorgenommene Rückstufung der Vorschrift [des Art. 291 GG] in eine Kannbestimmung [... ] obsolet geworden [...]." 643 Kritisch hierzu Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 662 ff. 644 Eckertz, Die Aufhebung der Teilung im gesamtdeutschen Finanzausgleich, in: ZRP 1993, S.297 (298 ff.); der s., Der gesamtdeutsche Finanzausgleich im System des geltenden
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
141
higkeit zur Problembewältigung bewiesen und ihn dadurch weiter stark an Attraktivität gewinnen lassen. Auf der anderen Seite kommt in diesen Zeiten der Finanzmittelknappheit aus dem Lager der Geberländer harsche Kritik am Finanzausgleich. Der Vorwurf richtet sich gegen die Art und Weise der Finanzmittelumverteilung: es werde eine zu starke Umverteilung zu Lasten der Geberländer vorgenommen, die statt „eines erlaubten Spitzenausgleichs eine völlige Nivellierung herbeiführe." 645 Durch den damit verbundenen hohen Finanzmittelverlust würden sowohl die Geber- als auch die Nehmerländer ihre Motivation zur Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit verlieren: die Geberländer, weil ihnen von ihren Mehreinnahmen nichts mehr verbleibe, und die Nehmerländer, weil sie die erforderliche Finanzmittelausstattung auch ohne eigene Anstrengung erhielten 646 . Die Gefahr einer gewissen Lethargie bei den Nehmerländern ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen 647 . Doch wird daran deutlich, daß auch die Intensivierung des Finanzausgleiches als Alternative zur Neugliederung mit Kosten verbunden ist. Es ist eine Frage der Belastbarkeit des Finanzausgleiches, an welchem Punkt die Kosten-Nutzen-Rechnung zu Gunsten einer Neugliederung ausfällt. Doch gerade die Belastbarkeit ist eine Stärke des Finanzausgleiches.
Verfassungsrechts, in: DÖV 1993, S.281 (287 ff.); Fiedler, Die Regelung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen im Einigungsvertrag, in: DVB1. 1990, S. 1263 (1264ff.); Kilian, Das System des Länderfinanzausgleichs und die Finanzierung der neuen Bundesländer, in: JZ 1991, S.425 (427ff.); Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 656ff.; Patzig, Zwischen Solidität und Solidarität - die bundesstaatliche Finanzverfassung in der „Übergangszeit" - , in: DÖV 1991, S.578 (584ff.); Renzsch, Föderative Problembewältigung: Zur Einbeziehung der neuen Länder in einen gesamtdeutschen Finanzausgleich ab 1995, in: ZParl. 25 (1994), S. 116ff.; für eine Reform des Finanzausgleichs in diesem Zusammenhang plädiert Kirchhof, F., Grundsätze der Finanzverfassung des vereinten Deutschlands, in: VVDStRL 52 (1993), S.71 (88 ff.). 645 So schon pointierend das Land Württemberg-Baden, das das Finanzausgleichsgesetz aus dem Jahre 1950 deshalb für verfassungswidrig hielt, vgl. Finanzausgleichsurteil, BVerfGE 1, 117 (123 ff.); s. a. Kesper, Bundesstaatliche Finanzordnung, Grundlagen, Bestand, Reform, Baden-Baden 1998, S.202f., 260,268; vgl. ferner Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 628 ff., 640f. 646 Isensee, Der Föderalismus und der Verfassungsstaat der Gegenwart, in: AöR 115 (1990), S.248 (273), vgl. auch BVerfGE 1,117 (124). 647 Diese Gefahr darf mit Hinblick auf die gegenwärtige Finanzverfassung allerdings nicht überbewertet werden. So weist Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.641 differenzierend daraufhin, daß „nach der grundgesetzlichen Kompetenzaufteilung [...] allein der Bund über die zentralenfinanziellen Handlungsbefugnisse" verfügt, so daß „die Anreizeffekte, die der horizontale Länderfinanzausgleich entfalten oder vermindern kann, [...] begrenzt" sind; die „Senkung des Ausgleichsgrades horizontaler Umverteilung [...] verlangt [...] einen Umbau der bundesstaatlichen Kompetenzordnung und des Systems der Einnahmenverteilung nach den Art. 106, 107 GG überhaupt", ebda, S.642. Hinsichtlich der Bundesergänzungszuweisungen zur Behebung von Haushaltsnotlagen gemäß § 11 VI FAG allerdings sieht auch Korioth, ebda, S. 671 die Gefahr, daß Länder es auf „eine übermäßige Verschuldung mit anschließender Bundessanierung ankommen [...] lassen".
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1. Kap.: Grundlagen
5. Staats- und Verwaltungsabkommen: die Verlegenheitslösung zur Neugliederung Neben der finanztechnischen Seite des kooperativen Föderalismus müssen die Länder ihren Verwaltungsaufgaben nachkommen. Wo allerdings Aufgaben und Probleme über die Grenzen wachsen und überdies Spillover-Effekte entstehen, ist Zusammenarbeit erforderlich. Auf der Länderebene sind Staatsverträge und Verwaltungsabkommen ein adäquates Mittel zur Regelung der Zusammenarbeit648. Zur umfassenden Regelung aller bedürftigen Materien zwischen benachbarten Ländern indes bedarf es etwa zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg rund 100 Vereinbarungen649. Je nach Regelungsinhalt sind daran zwei Regierungen, zwei Parlamente sowie die entsprechenden Verwaltungen beteiligt. Das Verfahren ist langwierig und wirft insofern die Frage nach einem etwaigen Demokratieverlust auf 550, als von den Regierungen entworfene Verträge zwar zunächst noch durch die Parlamente informell mit unverbindlichen Anregungen versehen werden können651, jedoch letztlich nur als Ganzes652 ihre parlamentarische Zustimmung erhalten. Den Parlamenten bleibt auch die unmittelbare Beteiligung an den Vertragsverhandlungen versagt653. Es ist ihnen daher unmöglich, Sinn und Zweck der entsprechenden Bestimmungen in der Gründlichkeit zu durchschauen, wie es nur den verhandelnden Regierungen beziehungsweise ihren Abgesandten möglich ist. Das demokratietheoretische Bedenken des mit der Zusammenarbeit durch Abkommen verbundenen Demokratieverlustes654 ist in seiner Pauschalität unzutreffend 648
Weitere Formen der Zusammenarbeit zwischen Ländern sind etwa Konferenzen der Ministerpräsidenten und Ressortminister, Zusammenarbeit der Landtage oder Parallelgesetzgebung, vgl. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S.52ff. Soweit hier eine rechtliche Verbindlichkeit zur Zusammenarbeit besteht, beruht diese i. d. R. auf einem (Staats-)Vertrag, so daß sich hierauf beschränkt werden soll. 649 Vgl. Schröder, R., Die Fusion von Berlin und Brandenburg als Vollendung der deutschen Einheit, in: Berlin und Brandenburg - Ein Land? 1996, S. 9 (12). - Eine Auflistung der derzeit zwischen Berlin und Brandenburg abgeschlossenen Staatsverträge und Verwaltungsabkommenfindet sich im Anhang. 650 Zu weiteren verfassungsrechtlichen Fragen bezüglich vertraglich vereinbarter Kooperation vgl. oben 1. Kapitel C. I. - Zu den durch Art. 79 III GG der Länderkooperation gezogenen Grenzen vgl. Reichard, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Länderkooperation in der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S.73ff. 651 Siehe im einzelnen Schneider, P.G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S. 107ff.; Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: Christian Starck (Hrsg.), Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat, 1988, S. 17 (75). 652 Vgl. Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S.99. 653 Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S. 107. 654 Einen verfassungsrechtlich bedenklichen Demokratieverlust nehmen an Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 135 ff.; Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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und bedarf der Differenzierung 655: Bund und Länder haben die repräsentative Demokratie in ihren Verfassungen als Grundprinzip festgeschrieben. Das heißt der Wähler wählt seine Vertreter in das Parlament. Diese treffen alle weiteren, insbesondere wesentlichen Entscheidungen656. Die vom Parlament gewählte Regierung ihrerseits ist als Exekutivorgan beauftragt, die vom Parlament erlassenen Gesetze auszuführen. Ferner vertritt sie das Land nach außen. Damit hat die Regierung die Aufgabe, gegebenenfalls zwischenstaatliche Verträge auszuhandeln und dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Bis hierhin ist also kein Demokratieverlust zu bemerken, der nicht in der Verfassung vorgesehen ist657. Im Gegenteil ist es eine wesentliche Aufgabe der Regierung als Bestandteil des bundesrepublikanisch-repräsentativen Demokratieverständnisses, Verträge auszuhandeln und abzuschließen. Um die parlamentarische Zustimmung der Verträge zu sichern, besteht eine informelle Kommunikation zwischen Regierung und Parlament658. Letzteres hat durch seine Letztentscheidungsbefugnis die Möglichkeit, der Regierung das erstrebte Maß an Informationen abzuverlangen und Bedingungen zu stellen, die die Regierung in den Vertragsentwurf einzustellen hat. Also ergibt sich auch hier kein Demokratieverlust. Allerdings ist zuzugeben, daß es die Verfassungspraxis mit sich bringt, daß seitens der Regierung angeforderte Informationen nicht immer, nicht vollständig, nicht rechtzeitig gegeben werden und das Parlament im Gegenzug nicht immer mit dem erforderlichen Nachdruck seine Rechte geltend macht. Auch berücksichtigt die Regierung die parlamentarischen Stellungnahmen und Regelungsbedürfnisse zu einem Vertragsentwurf nicht immer zutreffend. Es wird gehandelt und gefeilscht. Jede Seite versucht ihr Ergebnis zu optimieren. Hier mögen demokratietheoretische Bedenken 659 angebracht sein. Solange sich das soeben beschriebene Vorgehen in von allen Beteiligten akzeptierten Maßen hält, ist dagegen allerdings nichts einzuwenden. Es geht lediglich um die verhandlungsdemokratietheoretische Verfassungspraxis, für die die Verfassungsnormen das Grundgerüst vorgeben660. Daß die Verweigerung der beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S. 139; femer Klatt, Parlamentarisches System und bundesstaatliche Ordnung - Konkurrenzföderalismus als Alternative zum kooperativen Bundesstaat, in: APuZ 32 (1982) Β 31/82, S. 3 (12). 655 So im Ergebnis auch Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 148. 656 Wesentlichkeitstheorie, vgl. BVerfGE 49, 89 (125 ff.); 61, 260 (275); 88, 103 (116ff.). 657 So mit Bezug auf die Hessische Verfassung im Ergebnis auch Lenz, Die Landtage als staatsnotarielle Ratifikationsämter?, in: DÖV 1977, S. 157 (164). 658 Vgl. Schneider, P. G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staats Verträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S. 107 f. 659 Vgl. etwa Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 278 ff.; Hempel, Der demokratische Bundesstaat, 1969, S.276f.; Pietzcker, Landesbericht Bundesrepublik Deutschland, in: Christian Starck (Hrsg.), Zusammenarbeit der Gliedstaaten im Bundesstaat, 1988, S. 17 (75). 660 Zu den verhandlungsdemokratietheoretischen Aspekten s. o. Fn. 94. - Es wäre freilich eine Situation denkbar, in der das Verhalten der Regierung die Beteiligung des Parlamentes faktisch ausschlösse, das Land auf den entsprechenden Staatsvertrag - jedoch nicht in der vorliegenden Form - angewiesen wäre und das Parlament also gute Miene zum bösen Spiel auf-
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1. Kap.: Grundlagen
parlamentarischen Zustimmung wegen des Zusammenhangs zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung zu einem „nicht praktikablen Veto"661 werde, geht fehl. Die Länderparlamente sind sich ihrer Machtposition durchaus bewußt. Das zeigt etwa die knappe Mehrheit, mit der der Brandenburger Landtag dem Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg zugestimmt hat662. Dem gingen intensive Einzelgespräche des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe mit den Abgeordneten seiner Partei voraus. Während dieser Zeit war die Zustimmung bis zuletzt keinesfalls sicher. Obgleich Stolpe die Neugliederung zur Chefsache gemacht hatte, von deren Erfolg er zwischenzeitlich sogar die Fortführung seines Amtes abhängig gemacht hatte, waren die Parlamentarier nicht weit davon entfernt, ihre Regierung zu „desavouieren"663. Vorzüge des Zusammenwirkens benachbarter Länder bei der Bewältigung anstehender Aufgaben durch Abkommen gegenüber einer Neugliederung werden allerdings nicht geltend gemacht664. Esfindet sich allenfalls der Hinweis, daß diese Form der Zusammenarbeit benachbarter Länder völlig ausreiche, so daß die damit verbundenen Reibungsverluste hinzunehmen seien665. Das ist jedoch ebenfalls zu differenzieren: Zum einen ist offensichtlich unbestritten, daß die Zusammenarbeit benachbarter Länder mittels Kooperationsabkommen keine Alternative zu einer Neugliederung ist in dem Sinne, daß sie Gleiches mindestens gleichwertig lediglich auf ansetzte. Bei einer Häufung solcher Situationen wären die Bedenken des Demokratieverlustes sicherlich weiterzuverfolgen. Doch auch hier bliebe dem Parlament die Möglichkeit der Ablehnung, um die Regierung für die Gegenwart wie für die Zukunft in ihre Schranken zu weisen. 661 Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 125; femer Schneider, P.G., Beteiligung der Landesparlamente beim Zustandekommen von Staatsverträgen und Verwaltungsabkommen der Bundesländer, 1977, S. 116f., mit dem Einwand, daß das Parlament, dessen Mehrheit die Regierung stelle, „im Zweifel einer Annahme des Staatsvertrages" zuneige, „um einen der Partei schädlichen Konflikt mit der von der Parlamentsmehrheit getragenen Regierung zu vermeiden". 662 Siehe hierzu unten 2. Kapitel C.I. Fn. 132. 663 Mag die Hemmschwelle vor einer Bloßstellung der Regierung bei internationalen Staatsverträgen mit Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 125 ein gewichtiges Argument sein, so verliert es doch auf innerstaatlicher Ebene erheblich an Bedeutung. 664 Vgl. etwa Reichard, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Länderkooperation in der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S. 170, wonach der „Nachteil in der Machtverschiebung zugunsten der Exekutive besteht. Die anderen Probleme sind konstruktiver Art oder vom Gegenstand der Länderkooperation bedingt und somit vermeidbar". Das verkennt, daß die mit einer Länderkooperation verbundenen Probleme ihr immanent und deswegen gerade nicht vermeidbar sind. - Femer Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S. 86 (86,94); Benz, Α., Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Ländern, in: DÖV 1993, 85 (94f.); Kisker, Neuordnung des bundesstaatlichen Kompetenzgefüges und Bund-Länder-Planung, in: Der Staat 14 (1975), S. 169 (174f.); ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.34; 137 ff.; Caesar (Min. RP), GVK-StenBer., 19. Sitzgv. 25.3.1993, S. 23 f.; Walter (Min. Saarl.), ebda, S.22f. 665 Vgl. nur Diederichs (MinPräs. Nds.), Aussprache, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.64ff.; Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, ebda, S. 86 (94).
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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derem Wege bewerkstelligt 666 . Eine andere Frage ist, ob der bisher praktizierte Lösungsansatz der Kooperationsabkommen den anstehenden Problemen gerecht geworden ist beziehungsweise in Zukunft noch gerecht werden kann. Hier liegt der Streitpunkt. In diesem Zusammenhang hat gerade Henning Voscherau in seiner Zeit als amtierender Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg immer wieder darauf hingewiesen, daß sich die Großstadt-(Stadtstaat)-Umland-Problematik Hamburgs in keiner Weise befriedigend durch Abkommen mit den Nachbarländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein lösen lasse 667 . Zu unterschiedlich sind die aufeinanderprallenden Interessen, als daß schnell, unkompliziert und kostengünstig Lösungen auf Kooperationsbasis gefunden werden können 668 . Die Behauptung, daß diese Art der Zusammenarbeit gut und reibungslos funktioniere 669 , entbehrt regelmäßig der Begründung 670 . Die Feststellung ist in aller Regel aus Regierungskreisen zu vernehmen 671 . Der machtpolitische Hintergrund ist augenscheinlich. Daher gab es schon während der intensivsten Phase des kooperativen Föderalismus - der Finanzreform 1969 - Initiativen, die den Neugliederungsgedanken vor dem Hintergrund der NeugliederungsVerpflichtung des Art. 291 S.2 G G (1969) wieder aufnahmen. 666
Vgl. etwa Becker-Marx, Alternative zur Neugliederung: Grenzüberschreitende Planungsverbände, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.86 (86); Döring!Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.22f.; ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 31 ff.; Braun, Der bundesdeutsche Föderalismus an der Wegscheide, in: SuS 7 (1996), S. 101 (125) bezeichnet das Kooperationsmodell gegenüber einer Neugliederung „als zweitbeste Lösung"; so auch Benz, Α., Kooperation zwischen Bundesländern - eine Alternative zur Neugliederung des Bundesgebiets?, in: Ellwein/Hesse/Mayntz/ Scharpf (Hrsg.), Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, Bd5/1991, S. 127 (146); s. a. Baumann, Norddeutscher Parlamentsrat, in: ZParl. 2 (1971), S. 293 (296f.); Klatt, Bundesstaaten vor den Herausforderungen der Gegenwart, in: SuS 1 (1990), S. 588 (593 ff.); zum Verhältnis der Länderkooperation über den Norddeutschen Parlamentsrat zu einer Neugliederung stellt Schmeel, Der Norddeutsche Parlamentsrat, 1976, S. 173, fest, daß „ein erfolgreicher NPR [...] die Notwendigkeit" einer Neugliederung „allenfalls [...] abzuschwächen" vermag. 667 Voscherau (Erster BM HH), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 14; ders., Von der Wichtigkeit einer Länderfusion, in: Berlin und Brandenburg - Ein Land?, 1996, S. 264 (264ff.). 668 Vgl. zum norddeutschen Raum ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 35ff., 59ff.; ferner Heitmann (StMinl. Sachsen), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S . l l . 669 Vgl. Mestern (StRat HH), Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.51 ff., seinerzeit war die Haltung Hamburgs zu einer Neugliederung noch ablehnend. 670 Vgl. etwa Diederichs (MinPräs. Nds.), Aussprache, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.64ff.; Mestern (StRat HH), Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, ebda, S.51 ff.; Hedergott (MdL Nds.), Aus der Diskussion im Plenum, ebda, S.67; Scherf (Sen. Br.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.20. 671 Vgl. soeben Fn.669; femer: Caesar (Min. RP), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 23 f.; Walter (Min. Saarl.), ebda, S.22f.; Braun, Der bundesdeutsche Föderalismus an der Wegscheide, in: SuS 7 (1996), S. 101 (124). 10 Keunecke
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1. Kap.: Grundlagen
I I I . Leistungsfähige Länder durch das Modell der Landschaften - Integration machtpolitischer Länderinteressen und der Kriterien des Art. 291 GG (1949): Viertes Cappenberger Gespräch 1969 Eine Privatinitiative rief die Neugliederungsverpflichtung zurück in das öffentliche Bewußtsein. A m 28./29. November 1969 veranstaltete die Freiherr-vom-SteinGesellschaft zum Thema Neugliederung das Vierte Cappenberger Gespräch. An dem Seminar nahmen 17 Experten aus Politik, Verwaltung und Wissenschaft teil 6 7 2 . Die Teilnehmer waren fast 673 ausschließlich Befürworter 674 einer Neugliederung und erörterten neben der Neufassung des Art. 29 GG (1969) 6 7 5 die Neugliederung des Bundesgebietes unter dem Aspekt eines funktionsfähigen Föderalismus 676 . Ausgehend von der Loccumer Diskussionsgrundlage einer Fünf-Länder-Gliederung 677 gal672 Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 9; s. a. den Tagungsbericht von Schröcker; Bund, Länder, Landschaften, in: DÖV 1970, S. 186f. 673 Gegen Neugliederung, da unflexible Lösung und für norddeutschen Raum mit Hinweis auf Hamburg und Bremen als Welthafenstadt: Adamietz (Pressesprecher des Senats, Bremen), Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.81 (82 f.). 674 Sofern bewußt überwiegend Befürworter zu dem Seminar eingeladen worden sind, ist die mehrheitliche Forderung nach einer Neugliederung entgegen Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.91, keineswegs erstaunlich und mit Vorsicht den geteilten Meinungen der Loccumer Tagung gegenüberzustellen. 67 5 Schäfer; H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (20f.). 67 6 Stein, Einleitende Worte, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 10 (11). - In diesem Zusammenhang erkannte das Seminar die Entwicklung der föderalen Kompetenzverteilung dahin, daß weitere Länderkompetenzen auf Bundesebene verlagert werden würden, vgl. Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, ebda, S. 32 (37,43,49). Dabei galt besonderes Augenmerk dem Bundesstaatsprinzip (,Schäfer; F., Diskussionsbeitrag, ebda, S. 52 [57 f.]) und dem Finanzwesen, wobei die Finanzreform 1969 sowie der horizontale Finanzausgleich überwiegend negativ kritisiert wurden, siehe Naunin, Diskussionsbeitrag, ebda, S. 50 f.); Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, ebda, S. 13 (24f.); gegen Gemeinschaftsaufgaben wegen unzureichender Kontrollmöglichkeiten der Regierung durch das Parlament und des hohen Verwaltungsaufwandes: Depenbrock, Diskussionsbeitrag, ebda, S.88 (89f.). Von anderer Seite wurden die durch die Finanzreform eingeführten Gemeinschaftsaufgaben als „mutiger Schritt nach vorne" bewertet, Schäfer, F., Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenbeiger Gespräch, 1970, S.52 (56 f.); positiv zum horizontalen Finanzausgleich: von der G roe ben, Die Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen wirtschaftspolitischer Integration und regionaler Subsidiarität, ebda, S.65 (76). Der scharfen Kritik Quaritschs auf der Loccumer Tagung an den Richtbegriffen des Art. 291 GG (1949) als rückwärtsgerichtet (ders., Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 [18 f.]) sowie an den Kleinstaatbestrebungen der Bevölkerung in Bezug auf die erfolgreichen Volksbegehren für die Verselbständigung von Baden, Oldenburg und Schaumburg-Lippe 1955/56 (Quaritsch, aaO., S. 21.) wurde indes entgegengehalten, daß die unbestimmten Rechtsbegriffe des Art. 291 GG (1949) den politischen Kräften den erforderlichen Spielraum gewähren würden und sich das kritische Bewußtsein des Bürgers verschärft habe (Schäfer, H., aaO., S. 16.). 67 7 Naunin, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenbeiger Gespräch, 1970, S.50 (51).
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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ten die Erörterungen daher der Frage der Verwirklichung der Neugliederung678: Neben den Punkten des Modernisierungsdruckes 679 und der Erforderlichkeit einer effektiven Verwaltung und Aufgabenerfüllung 680 hob das Seminar hervor, daß jeder einheitliche Siedlungsraum ungeteilt zu einer Verwaltungseinheit gehören müsse681. Die neu zu bildenden Länder sollten aus Gründen der Effizienz nicht weniger als 6 Mio. Einwohner haben682. An diesem Punkte nun beging das Seminar nicht den Fehler, die bestehenden Länder als bloße grundgesetzliche Interimslösung zu begreifen, deren Grenzen - verwaltungsbezirksähnlich - allein auf der Basis wirtschaftlicher Gesichtspunkte neu zu strukturieren seien. Vielmehr akzeptierte es die bestehenden Länder als im Rahmen einer Neugliederung zu berücksichtigende Größen. So stellte etwa Udo Klausa fest, „daß die Neugliederung des Bundes sehr erleichtert würde, wenn man bisherigen Ländereinheiten, die schon zusammengewachsen sind, eine regionale Selbstverwaltung beließe"683. Diesen Gedanken formulierte Friedrich Schäfer konkret für Mittelwestdeutschland: „Man soll die historischen Kräfte und das Herkommen nicht unterschätzen. Man kann [...] nicht mit dem Zirkel das Rhein-Main-Gebiet hin und her verplanen"684. Die Überlegungen mündeten in dem Modell der Schaffung von Landschaften, verstanden als historisch gewachsene Räume oder als regionale Verwaltungseinheiten685 im Zusammenspiel mit Ländern neu zu gliedernden Formates686. Das Seminar befürwortete schließlich die Schaffung von fünf leistungsfähigen Ländern687, die sich aus Landschaften zusam67 8
Diehm, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.86 (86); von der Heide, Diskussionsbeitrag, ebda, S. 83 (83); Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, ebda, S. 13 (26f.). 679 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (37 f.). 680 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.32 (35 ff.). 681 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.32 (41); zustimmend Klausa, Diskussionsbeitrag, ebda, S.59
(60).
682 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (36). 683 Klausa, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenbeiger Gespräch, 1970, S.59 (62). 684 Schäfer, F., Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 52 (55). 685 Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 13 (27); vgl. auch Klausa, Diskussionsbeitrag, ebda, S.59 (60 ff.); Laux, Diskussionsbeitrag, ebda, S. 91 (92); mit europäischem Bezug: von der Groeben, Die Gesellschaft im Spannungsfeld zwischen wirtschaftspolitischer Integration und regionaler Subsidiarität, ebda, S.65ff. 686 Naunin, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenbeiger Gespräch, 1970, S. 50-52,52; es wurden drei Möglichkeiten diskutiert: 1. neue Länder, die nur während Übergangszeit in Landschaften gegliedert werden; 2. dauerhafte inteme Gliederung neuer Länder in Landschaften; 3. Auflösung der neuen Länder zugunsten der Landschaften, Schäfer, H., Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, ebda, S. 13 (27 ff.). 687 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (49).
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1. Kap.: Grundlagen
mensetzen sollten, die durch die alten Länder zu bilden seien688. Auf der einen Seite berücksichtigte das Modell der Landschaften damit die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit. Wenn auch zunächst nicht unmittelbar an Art. 291S. 2 GG anknüpfend, sondern eher intuitiv, nahm es andererseits sowohl den emotionalen Aspekt der Bevölkerung als auch machtpolitische Komponenten689 - also letztlich die von Art. 291 S. 2 GG erforderliche Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit 690 - als Basis, auf der eine Neugliederung zu begründen ist: „Wir [dürfen] [...] nicht allein von den wirtschaftlichen Aspekten uns leiten lassen, so wichtig sie auch sind, wir müssen auch das emotionale Element respektieren, weil der Mensch schließlich nicht nur ein Verstandeswesen ist, sondern weil er auch Herz und Gefühl hat"691. Erst am Ende des Seminares stellte Reinhard Renger die Verknüpfung mit Art. 291 GG her: „Die dem Grundgesetz gemäße politische Lösung soll Landsmannschaftliches sowie historische und kulturelle Zusammenhänge neben den wirtschaftlichen und sozialen Notwendigkeiten berücksichtigen. Das Grundgesetz nimmt es bewußt in Kauf, daß die zufindende Lösung nicht unbedingt die rationellste und effektivste ist"692. Mit dieser Sichtweise zeigt die Idee der Landschaften einen Weg auf, das grundgesetzliche Ziel der Schaffung starker Länder unter Einschluß der Berücksichtigungsgebote des Art. 291S. 2 GG mit der VerfassungsWirklichkeit in Einklang zu bringen. Das gelingt ihr letztlich dadurch, daß sie die Voraussetzungen aus Art. 291 GG (1949) zutreffend gewichtet. Sie hat daher bis heute nicht an Aktualität verloren und stand auch der Neugliederung Berlin-Brandenburg faktisch Pate. Dort wäre etwa das Abgeordnetenhaus von Berlin zwar auf kommunale Ebene herabgestuft worden. Im übrigen aber hätte es weiter bestanden. Selbst der Regierende Bürgermeister hätte seine Amtsbezeichnung beibehalten dürfen 693.
IV. Länder auf dem Reißbrett ohne ausreichende landsmannschaftliche Verbundenheit: Ernst-Gutachten, 1970-1973 Die bei dem Vierten Cappenbeiger Gespräch eingeschlagene Richtung wurde nur in Ansätzen auf staatlicher Ebene fortgeführt. Im Oktober 1970694 berief der Bundesminister des Inneren eine unabhängige695 Sachverständigenkommission für die 688
Naunin, Zusammenfassung, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 100 (101). Von der Heide, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenbeiger Gespräch, 1970, S. 83 (83); Schäfer, H.; Der Auftrag des Artikels 29 GG - Länder oder Landschaften?, ebda, S. 13 (31). 690 Siehe dazu oben 1. Kapitel B. III. 691 Diehm, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.86 (86). 692 Renger, Diskussionsbeitrag, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.96 (98). 693 Siehe unten 2. Kapitel D. IV. 3. m Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.3. 695 Die Kommission bestand aus 12 Sachverständigen aus den Fachgebieten Geographie, Kommunalwesen, Politikwissenschaft, Raumordnung- und Landesplanung, Staats- und Verwaltungsrecht, Verkehrspolitik, Verwaltungswissenschaft und Wirtschafts- und Finanzwissen689
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus? Neugliederung des Bundesgebietes unter dem Vorsitz von Werner Ernst
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wickelte auf der Grundlage des Art. 29 G G neue Vorschläge für eine umfassende Neugliederung 697 und übergab ihren Bericht 698 im Februar 1973 dem Bundeskanzler. Abgehend von dem bei dem Vierten Cappenberger Gespräch eingeschlagenen Weg, konzentrierte der Auftrag die Arbeit der Ernst-Kommission 699 auf die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit der neu zu schaffenden Länder. Desungeachtet legte die Kommission jedoch zunächst auch „besonderen Wert [...] auf die Erörterung mit den Landesregierungen" 700. Vom Ansatz her wäre daher eine umfassende Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit sowie der sie konkretisierenden geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge durchaus möglich gewesen. Doch nahm die Kommission die Gelegenheit nicht wahr. In dem allgemeinen Teil des Berichtes setzte sich die Kommission mit der Geschichte des Neugliederungsauftrages 701 und abstrakt mit den Tatbestandsmerkmalen des Art. 29 G G 7 0 2 sowie den sonstigen neugliederungsrelevanten Verfassungsgeboten auseinander 703. Art. 29 G G wurde vor dem Hintergrund untersucht, die Funktionsfähigkeit des bundesstaatlichen Gefüges zu sichern und zu verbessern 704.
schaft, Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 13 Tz. 2; vgl. auch Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1.1991, S. 1024 (1026). 696 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 14 Tz. 4. 697 BMinI Genscher, Vorwort, in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 3. 698 Bericht der Emst-Kommission, 1973; eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei Timmer (Bearb.), Neugliederung des Bundesgebietes, Kurzfassung des Berichts der Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes, hrsg. i. A. des BMinI, 1974. 699 Der BMinI hatte die Anforderungen an die Ernst-Kommission dahin konkretisiert, daß sie „die Schaffung von Ländern vor Augen haben [solle], die groß und leistungsfähig genug sind, [...], insbesondere der wachsenden Vergrößerung der unteren Verwaltungskörperschaften angepaßt sind [...], insbesondere eine Finanzwirtschaft ermöglichen [...], wirtschaftlich zweckmäßig gegliedert sind [...], insbesondere den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung entsprechen [...]", vgl. Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 14f. Tz. 8. 700 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 15 Tz. 9. 701 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 21 ff. Tz. 22ff. 702 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.36ff. Tz. 58 ff. 703 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. lOOff. Tz. 234ff. 704 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 36 Tz. 58f., S. 40 Tz. 73f., S. 47 Tz. 93, S. 53 Tz. 105, S. 52f. Tz. 105. - Die Kommission stellte fest, daß das föderalistische Prinzip wegen seiner geschichtlichen Tradition in Deutschland (ebda, S. 37 Tz. 63) und unter dem Aspekt des modernen wirtschaftlich leistungsfähigen Staates sach- und zeitgemäß sei (ebda, S. 37 ff. Tz. 63 ff., S. 124 Tz. 294). Die Gliederung in wirtschaftlich gleichstaike und lebensfähige Länder diene der Balance und Kontrolle politischer Macht auf horizontaler und vertikaler Ebene (ebda, S. 36 Tz. 61, S. 58 f. Tz. 115 f.; zum Gedanken der horizontalen Gewaltenteilung siehe Madison , Federalist No. 51, in: Wright (Hrsg.), The Federalist, 1966, S. 355 ff., ausführlich schon oben, Fn. 581). Sie erleichtere dem Bürger die Teilnahme am politischen Leben (aaO, S. 37 Tz. 62) und begünstige die Verwirklichung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (ebda, S. 15 Tz. 8). Die diskutierten Alternativvorschläge zu einer Neugliederung, die interregionale Zusammenarbeit (ebda, S. 110ff. Tz. 256ff.), die Intensivierung des Finanzausgleiches
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1. Kap.: Grundlagen
Dabei wurde der schon im Vierten Cappenberger Gespräch herausgearbeitete Aspekt, daß Hoheits-, Planungs- und Verwaltungsraum übereinstimmen müssen705, zwar vertieft 706. Das Ernst-Gutachten stellte ebenfalls fest, daß, sofern ein Teilraum verschiedenen Ländern angehört, mehrere Regierungen und Parlamente zu beteiligen sind, wodurch lediglich minimale, das Entwicklungspotential nicht ausschöpfende Kompromisse möglich sind707. Für die Verwirklichung der Vorgabe eines politisch, administrativ und wirtschaftlich funktions- und leistungsfähigen Bundesstaates708 legte die Kommission Art. 291 GG (1969) allerdings dahin aus, daß die Richtbegriffe der Größe und Leistungsfähigkeit in Satz 2 vorrangig vor den übrigen grundsätzlich gleichwertigen Richtbegriffen aus Satz 1 seien709. Das war insoweit noch unschädlich, als die Leistungsfähigkeit als Ziel einer Neugliederung in der Tat von den Berücksichtigungsgeboten abzugrenzen ist.
Bei den weiteren Untersuchungen710 jedoch maß das Gutachten dem Berücksichtigungsgebot der landsmannschaftlichen Verbundenheit nicht die angemessene Be(ebda, S. 112ff. Tz.262ff.), der Ausbau der Gemeinschaftsaufgaben (ebda, S. 115f. Tz.267ff.) sowie die Schaffung regionaler Selbstverwaltungskörperschaften (ebda, S. 39 Tz. 69, S. 42 Tz. 77) wurden daher mangels gleichwertiger Wirksamkeit gegenüber einer Neugliederung abgelehnt. Mit der Intensivierung des kooperativen Föderalismus ginge ein Verlust der demokratischen Legitimation der zwischenstaatlichen Entscheidungen einher, da das Parlament nurmehr die Möglichkeit habe, die von den Regierungen ausgehandelten Beschlüsse zu ratifizieren (ebda, S. 80 Tz. 178, S. 93 Tz. 218, S. 102f. Tz. 241 f., S. 111 Tz. 259). 705 Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.32 (41); zustimmend Klausa, Diskussionsbeitrag, ebda, S.59
(60).
706
Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.58 Tz. 114, S.89ff. Tz.209ff., S. 103 ff. Tz.244ff. Bericht der Emst-Kommission, 1973, ebda, S. 56f. Tz. 111 ff., S. 90 Tz. 210f., S. 93f. Tz. 219 f. 708 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.40 Tz. 73, S.48 Tz. 95f., S.49 Tz. 100, S.77 Tz. 167. 709 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S.42f. Tz. 79. 710 Im weiteren setzte sich das Gutachten auseinander mit den Begriffen der landsmannschaftlichen Verbundenheit (Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 44 Tz. 83 f., S. 78 f. Tz. 170ff., S. 86ff. Tz. 197ff.), der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge (ebda, S. 44 Tz. 85, S. 86ff. Tz. 197ff.), der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit (ebda, S. 44 Tz. 86, S. 89 ff. Tz. 208 ff.), des sozialen Gefüges (ebda, S. 44 f. Tz. 87, S. 97 ff. Tz. 228 ff.), der Ländergröße (ebda, S.45 Tz. 88, S.50Tz. 102, S.52Tz. 105, S.61ff. Tz. 123ff., S.82ff. Tz. 185 ff.) sowie den wirtschaftlichen (ebda, S.45 Tz.89, S.54 Tz. 107, S.65ff. Tz. 136ff.), finanziellen (ebda, S.45 Tz. 89, S.74ff. Tz. 162ff.), politischen (ebda, S.45 Tz. 89, S.77 ff. Tz. 168 ff.) und administrativen (ebda, S. 45 Tz. 89, S. 54f. Tz. 108 f., S. 81 ff. Tz. 181 ff.) Aspekten der Leistungsfähigkeit aus Art. 291 S. 1 GG (1969) als auch den Aufgaben der Länder (ebda, S.45 Tz. 90, S.47ff. Tz. 93 ff.). Dabei wurde die Mindesteinwohnerzahl für die administrative Leistungsfähigkeit eines Landes auf 5 Millionen Einwohner beziffert (ebda, S. 50 Tz. 102, S. 85 Tz. 194, vgl. Wagener, Einwohnerzahl und Aufgabenerfüllung, in: Materialien zum Bericht der Sachverständigenkommission, Vorschläge zur Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Art. 29 des Grundgesetzes, Hrsg.: BMinI, 1973, S.77 ff.; siehe schon: ders., Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S.32 [36]). Die Emst-Kommission befaßte sich also mit sämtlichen bis dahin vorhandenen Positionen und Einschätzungen zum Thema Neugliederung und griff insbesondere die finanzwirtschaftlichen Aspekte der Weinheimer Tagung und des Euler-Ausschusses auf. - Die genannten Begrifflichkeiten wurden in den 60er Jahren komprimiert und zusammenfassend gleichsam ei707
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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deutung bei und kam zu dem Ergebnis, daß die landsmannschaftliche Verbundenheit sowie die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge „nicht das Grundgerüst einer Neugliederung abgeben können, sondern zur Überprüfung und zur Abänderung anderweitig erarbeiteter Gliederungsvorschläge eingesetzt werden sollen"711. Vielmehr sei grundsätzlich allein die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit „als Kriterium für die Bestimmung des Verlaufs der Landesgrenzen aufzufassen" 712. Lediglich indirekt befaßte sich die Kommission mit der landsmannschaftlichen Verbundenheit, indem sie neben Erwägungen zur staatlichen und parteipolitischen Machtverteilung713 erstmals714 den verfassungsrechtlichen Aspekt der Chancengleichheit der politischen Parteien in den Neugliederungsüberlegungen eingehend behandelte715. Das hatte zur Folge, daß letztlich Ländervorschläge auf dem Reißbrett entstanden, die zwar ein wirtschaftliches Optimum darstellen mochten. Die in dem besonderen Teil des Berichtes detailliert dargelegten Vorschläge716 berücksichtigten jedoch aufgrund der vorgenommenen Auslegung des Art. 291 GG (1969) die Gegebenheiten der Verfassungswirklichkeit nicht in erforderlichem Umfang 717: Zwar wurde eine Neugliederung trotz der erforderlichen Anpassungskosten für kostengünstiger erachtet, als der status quo718, so daß das Ernst-Gutachten empfahl 719, zur Bildung gleichfinanzstarker und lebensfähiger Länder das Bundesgebiet in fünf oder sechs Länder zu gliedern720. Diese Vorschläge orientierten sich indes nicht hinreichend an den bestehenden Ländergrenzen und den damit verbundenen gewachsenen Strukturen: Neben Grenzkorrekturen, die regionale Unausgewogenheiten ausner Anleitung zur Neugliederung daigestellt von Münchheimer, Materialien zur Auslegung der Neugliederungs-Prinzipien in Art.29 Abs. 1 des Grundgesetzes, Hrsg.: Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten, o. J. 711 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 87 Tz. 201. 712 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 89 Tz. 208. 713 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 103 ff. Tz. 243 ff. 714 Das Luther-Gutachten hatte den parteipolitischen Aspekt wegen seiner Unvorhersehbarkeit seinerzeit nicht erörtert, vgl. Bericht der Luther-Kommission, 1955, S. 20; die Loccumer Tagung hatte zuvor allein die parteipolitische Komponente angesprochen, vgl. Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (lOOf.); s.a. 1. Kapitel E.II. 1., 2. 715 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. lOOff. Tz. 235 ff., S. 226ff. Tz. 548 ff. 716 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 119ff. Tz. 274. 717 Das erstaunt insofern, als die Emst-Kommission die tatsächlichen Gegebenheiten scheinbar zutreffend erkannt hatte:,Anders als es in dem Zeitraum gleich nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes möglich gewesen wäre, kann die Neugliederung heute nicht mehr alle Änderungen der Ländergrenzen umfassen, die mit den Kriterien des Art.29 GG [...] in Verbindung gebracht werden können, sondern nur die, die durch die bezeichneten Kriterien und Gebote zwingend erfordert sind", Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 119 Tz. 275. 718 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 117 Tz. 272f. 719 Die konkret zu behebenden Mängel der 1973 gegenwärtigen Gliederung werden zusammenfassend dargestellt in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 121 ff. Tz. 277 ff. 720 Zusammenfassend dargestellt in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 17 ff. Tz. 14 ff., S. 126ff. Tz. 296ff.; siehe schon 1970 bei Wagener, Aufgaben und Gliederung der Länder im nächsten Jahrzehnt, in: Viertes Cappenberger Gespräch, 1970, S. 32 (48).
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1. Kap.: Grundlagen
gleichen sollten 721 , sah der Bericht im Norden vor, alternativ ein 7 2 2 oder zwei 7 2 3 Bundesländer zu bilden. Für den mittelwestlichen und südwestlichen Raum befürwortete die Kommission anstelle der vorhandenen vier Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Baden-Württemberg alternativ die Bildung von zwei Ländern 724 . Auch hier sah das Gutachten weitere Grenzkorrekturen vor 7 2 5 . Daß der landsmannschaftlichen Verbundenheit im allgemeinen Teil nicht die angemessene Beachtung geschenkt wurde, zeigte sich konkret in den vorgeschlagenen Gebietsänderungen: sie basierten ausschließlich auf wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen ohne die emotionalen Verknüpfungen derjenigen, deren Zustimmung eine Neugliederung durch Bundesgesetz bedarf sowie ihrer Repräsentanten in die Entwürfe einzustellen 7 2 6 . Den Vorschlägen konnte schon wegen dieses Ansatzes kaum Erfolg beschieden sein. Demzufolge wurde das Ernst-Gutachten zwar seiner Gründlichkeit und Ausführlichkeit entsprechend in der Literatur diskutiert. Für eine Neugliederung 727 sprachen im wesentlichen die schon im Ernst-Gutachten ausgeführten Argumente 728 . M i t ihnen unterstrichen die Neugliederungsbefürworter die dringende Notwendigkeit einer umfassenden Neugliederung 729 . Gleichwohl überwogen die Neugliederungsgeg721
Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 126 Tz.297f., S. 181 Tz. 425f. Ein Nordstaat durch die Zusammenfassung der vier Küstenländer Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, vgl. Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 126 Tz. 297. 723 Ein Nordweststaat aus den Ländern Bremen und Niedersachsen sowie einem Nordoststaat aus den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein, vgl. Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 126 Tz. 298. 724 Modell 1: Zusammenlegung der Länder Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland und des baden-württembergischen Raumes Mannheim-Heidelbeig als ein Land Mittelwest und teilweise Eingliederung der südöstlichen Pfalz zum Land Baden-Württemberg; Modell 2: Zusammenlegung der Länder Hessen und Rheinland-Pfalz ohne die Pfalz und das Gebiet Worms sowie die Zusammenlegung der beiden letztgenannten Gebiete mit den Ländern Baden-Württemberg und Saarland, Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 127 ff. Tz. 299 ff., S. 184 Tz. 428. 725 Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 127f. Tz.300ff., S.205ff. Tz.489ff. 726 Zu den daraus folgenden parteipolitischen Folgen, d.h. den resultierenden Verteilungen der Parlamentssitze siehe Hrbek; Bundesrat und Neugliederung - Parteipolitische Machtverschiebungen durch Neugliederungsmodelle?, in: ZParl. 3 (1972), S. 150 (151 ff.). 72 7 Fischer-Menshausen, Die strukturpolitische Leistungsfähigkeit der Länder - ein wichtiger Richtbegriff für die Neugliederung, Hoheitsraum und Planungsraum müssen identisch sein, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.27 (27ff.); Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 12ff. 728 Zusammenfassend: Ernst, Welches Interesse hat der Bürger an der Neugliederung des Bundesgebietes?, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Tagung v. 15.-17.11.1973 in Bad Boll, Hrsg.: Pressestelle der Evangelischen Akademie Bad Boll, Nr. 16/73, S. 2ff. 729 Ergebnis der Arbeitsgruppe II, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Tagung v. 15.-17.11.1973 in Bad Boll, Hrsg.: Pressestelle der Evangelischen Akademie Bad Boll, Nr. 16/73, S. 29; Boy ermann, Bundesländer oder Provinzen - Neugliederung als Angelpunkt, in: DÖV 1974, S.6 f.; Ernst, Der Auftrag des Grundgesetzes, in: Neugliederung des Bundes722
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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ner , die sich nach wie vor für eine Funktional- statt einer Territorialreform einsetzten731. Als Hauptbetroffene lehnten auch die Länder Bremen, Hamburg732 und gebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.9 (16); Ernst, Wozu Neugliederung?, in: DÖV 1974, S. 12 (14); Feuchte, Die Neugliederung im Rahmen der bundesstaatlichen Probleme, in: DÖV 1974, S.9 (10ff.); Grézer , Die Ländergliederung als Voraussetzung eines erfolgreichen Föderalismus, in: BayVwBl. 1974, S.90 (98); Hirsch, Eine Alternative gibt es nicht, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.65 (67); Kübel, Länderneugliederung im norddeutschen Raum - eine praktische Notwendigkeit, Hauptstadtfrage zweitrangig, ebda, S. 31 (31); Krause, (MdL Stuttgart), Welches Interesse hat der Büiger an der Neugliederung des Bundesgebietes?, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Tagung v. 15.-17.11.1973 in Bad Boll, aaO., S.9 ff.; Püttner, Territoriale Neugliederung - Lebenschance oder Ende des Bundesdeutschen Föderalismus?, ebda, S. 22 (27); Reschke, Die Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1. 1973, S.728 (729); Rietdorf; Die Neuordnung des Bundesgebietes - Eine Existenzfrage des föderativen Systems, in: DÖV 1974, S. 2 (3); Schäfer, H., Ein Plädoyer für die baldigen und vernünftige Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1.1973, S.732 (737f.); Scharpf Wirft eine Neugliederung neue Fragen auf?, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.71 (72); ders., Territoriale Neugliederung - Lebenschance oder Ende des Bundesdeutschen Föderalismus?, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Tagung v. 15.-17.11.1973 in Bad Boll, aaO., S. 14 (16ff.); Vogel, F., Verfassungspolitisches Gleichgewicht stärken, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.62 (63). 730 Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art.29 Rn. 14; Fromme, Ein deutsches Trauma, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.51 (54); Röper, Aspekte der Neugliederung des Bundesgebietes, in: Der Staat 14 (1975), S.305 (324); Weber, Zum Bericht der Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1974, S. 14 (15). 731 Der Gedanke des Pluralismus erfordere eine Vielfalt von unterschiedlich starken und großen Ländern, vgl. v.Mangoldt!Klein, Das Bonner Grundgesetz, Bd2: Art. 29-78 GG, 1966, Art.29 III.6.a. (S.730); Maunz/Herzog, in: MDHS, Art.29 Rn.42; Püttner, Die Ländemeugliederung als Problem der politischen Machtverteilung im Gesamtstaat, in: DÖV 1971, S.540 (541); Röper, Aspekte der Neugliederung des Bundesgebietes, in: Der Staat 14 (1975), S.305 (315); Weber, Zum Bericht der Sachverständigenkommission für die Neugliederung des Bundesgebietes, in: DÖV 1974, S. 14 (15).-Die Auswirkungen der die Ballungsgebiete durchschneidenden Ländergrenzen würden zu hoch bewertet, vgl. Scheuner, Eine zweckrationale Gestaltung der föderalen Ordnung, in: DÖV 1974, S. 16 (18); dess. Argument, die Ballungsräume hätten sich trotz sie durchschneidender Ländeigrenzen gebildet, ist entgegenzuhalten, daß sie sich ohne die Grenzen ungleich vorteilhafter hätten entwickeln können. - Die Einsparungen durch die Realisierung von Synergieeffekten im Verwaltungsbereich würden durch die Schaffung erforderlicher neuer Verwaltungseinheiten zunichte gemacht werden, vgl. Evers (Drittbearb.), in: BK, GG-K, Art. 29, Rn. 14; Fromme, Ein deutsches Trauma, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.51 (53); Röper, aaO, S.305 (342). - Insgesamt sei eine Gleichschaltung der Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu befürchten mit der Folge der Vereinheitlichung des politischen Lebens, vgl. Fromme, aaO, S.51 (52); Püttner, aaO, S.540 (541); Scheuner, aaO, S. 16 (17). Die Aufgaben zwischen Bund, Ländern und Gemeinden müßten jedoch neu verteilt werden. Die Intensivierung des Gedankens des kooperativen Föderalismus, des Finanzausgleichs oder die Ausarbeitung eines modernen Systems der Steuerverteilung wurde weiterhin einer Neugliederung vorgezogen, vgl. Röper, aaO, S.305 (326). 732 Koschnick (BM Br.), Inkonsequenz der Gutachter, Spielraum fehlte für eigene schöpferische Arbeit, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.41 (43); vgl. Müller, E., Der Stand der Neugliederungsdiskussion, in: DÖV 1974, S. 1 (2).
1. Kap.: Grundlagen
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Schleswig-Holstein die Empfehlungen des Gutachtens ab 7 3 4 . Bayern Schloß sich der Gruppe der Neugliederungsgegner an 7 3 5 . Eindeutig zustimmend äußerte sich lediglich das Land Niedersachsen 736. Die Ministerpräsidenten der Länder BadenWürttemberg 737 , Hessen 738 , Rheinland-Pfalz 739 und des Saarlandes 740 übten Zurückhaltung und erklärten sich generell bereit, eine Neugliederung zu unterstützen, obgleich ihre konkreten Vorstellungen sehr auseinandergingen 741. Diese mangelnde Bereitschaft zur Einigung, bei der auf jeden Vorschlag mit einem Gegenvorschlag geantwortet wurde 742 , belegt, daß bei den Ländern kaum Interesse an einer Neugliederung bestand. Ablehnende Haltung wurde durch taktierenden Konstruktivismus verdeckt. Verstärkt wurde diese Abneigung nun durch die Art der Neugliederungsvorschläge, die die bestehenden Länder und die mit ihnen gewachsenen Strukturen nicht ausreichend berücksichtigt und vornehmlich auf Wirtschaftlichkeit geachtet hatten.
733 Stoltenberg (MinPräs. SH), Schleswig-Holstein ist ein gesundes Land, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.34 (34); vgl. auch Barschel (Min. SH), Die Staatsqualität der deutschen Länder, 1982, S. 265 f. 734 Insbesondere der Vorschlag, die Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu einem Nordstsaat zusammenzufassen, stieß schon im Vorfeld des Ernst-Gutachtens auf Ablehnung, vgl. Kisker, Kooperation im Bundesstaat, 1971, S. 14 Fn. 65. 735 Siehe Müller, E., Der Stand der Neugliederungsdiskussion, in: DÖV 1974, S. 1 (2). 736 Kübel, Länderneugliederung im norddeutschen Raum-eine praktische Notwendigkeit, in: Neugliederung des Bundesgebiets, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.31 (33). 737 Filbinger, aus einer Fernsehsendung des Saarländischen Rundfunks am 7.8.1972, abgedr. in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.50. 738 Osswald, aus einer Fernsehsendung des Saarländischen Rundfunks am 7.8.1972, abgedr. in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.46; vgl. hierzu auch Ministerpräsident des Landes Hessen, Diskussionsbeitrag zur Neugliederung des Bundesgebietes, Thesen und Material zur Beantwortung der großen Anfrage der Fraktion der SPD im Hessischen Landtag vom 22. April 1971, - LT-Drs. 7/277 - , 1971, S. 24 ff. In einer früheren Stellungnahme, von der es sich nie ausdrücklich distanzierte, hatte sich Hessen allerdings ausdrücklich gegen eine umfassende Neugliederung ausgesprochen, vgl. Regierung des Landes Hessen (Hrsg.), Das Land Hessen im Rahmen der Neugliederung des Bundesgebietes, 1954, S.54ff. 739 Kohl, 60% für ein selbständiges Rheinland-Pfalz, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.55ff. Nach Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1.1991, S. 1024 (1026), war Rheinland-Pfalz allerdings eines der Länder, die eine Neugliederung mit Nachdruck ablehnten (ohne Quellenangabe). Hierfür spricht, daß Kohl die Bereitschaft von Rheinland-Pfalz zu einer Neugliederung von der Hamburgs abhängig machte, obgleich bekannt war, daß Hamburg sich ausdrücklich gegen eine Neugliederung aussprach. 740 Röder, aus einer Fernsehsendung des Saarländischen Rundfunks am 7.8.1972, abgedr. in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.70. 741 Vgl. zum Meinungsstand etwa Mattenklodt, Gebiets- und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S.92ff. 742 Siehe hierzu die Darstellung bei Mattenklodt, Gebiets- und Verwaltungsreform in der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S.93.
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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Auch die Bundesregierung brachte kein tatsächliches Neugliederungsengagement auf 43 . Obgleich sie das Ernst-Gutachten in Auftrag gegeben hatte, zog sie keine politischen Konsequenzen. Sie erklärte, daß vor weiteren Schritten die Resultate aus der öffentlichen Diskussion abgewartet werden müßten744, regte jedoch selbst keine Diskussion an 745 . Der Bundesminister des Inneren relativierte sogar am 17. Oktober 1975 vor dem Bundesrat die Notwendigkeit einer Neugliederung746. Im wesentlichen war es also den Ländern als maßgeblich Betroffene überlassen, die weitere politische Initiative zu ergreifen 747. An diesem Punkt angelangt, stellt sich mit einem Blick auf den konkreten Inhalt des Auftrages an die Ernst-Kommission die Frage, inwiefern die Einberufung der Kommission von vornherein ein Aktionismus mit dem vornehmlichen Ziel war, die Neugliederungsverpflichtung, gerade nach der Finanzreform 1969, lediglich nicht als ostentativ unbeachtet erscheinen zu lassen. Entsprechendes gilt für das Verhalten der Parteien. Sie setzten sich auf Bundesebene nicht und auf Landesebene nur teilweise für eine Neugliederung ein 748 . Die Befürchtung der politischen Akteure, sowohl der Politiker 749 als auch der Parteien750 um Mehrheits- und Machtverlust setzte sich schließlich durch, so daß die Bevölkerung mit dem Thema gar nicht erst vertraut gemacht wurde. Damit hatten sich die schon von Quaritsch auf der Loccumer Tagung geäußerten Bedenken bezüglich der Beeinflußbarkeit der Bevölkerung und der Übermacht derjenigen, die am status quo festhalten 751, noch vor einer etwaigen Abstimmung realisiert 752. Mit Hinblick auf die 743 So im Ergebnis wohl auch Hennings, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, 1983, S. 108 ff. Jedoch äußert sich Hennings an anderer Stelle dahin, daß die Bundesregierung an einer Neugliederung interessiert gewesen sei, S. 104 ff. 744 BMinI Genscher, Vorwort, in: Bericht der Emst-Kommission, 1973, S. 3. 745 Ernst, Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1. 1991, S. 1024
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BR-StenBer., 424. Sitzg v. 17.10.1975, S.280 (B). So auch ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.27: „Da die unmittelbar nicht oder kaum betroffenen [...] Länder, die von einer generellen Stärkung der Länderposition im bundesdeutschen Verfassungsgefüge am meisten profitiert hätten, jedenfalls nicht nachdrücklich für eine Neugliederung eintraten, gab es auch für Bundesregierung und Bundestagsmehrheit keinen Grund, die politischen Kosten eines den Vorschlägen der Emst-Kommission entsprechenden Neugliederungsgesetzes auf sich zu nehmen". 748 Collet , Für Einteilung in fünf Länder, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.60 (60). 749 Ernst, Wozu Neugliederung?, in: DÖV 1974, S. 12 (13); Collet, Für Einteilung in fünf Länder, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.60 (60). 75 0 Collet , Für Einteilung in fünf Länder, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.60 (60). 75 1 Quaritsch, Der unerfüllte Verfassungsauftrag, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.7 (22). 752 Trotz aller positiven Resonanz sind die gründlichsten Arbeiten fruchtlos, wenn der tatsächliche Wille der gefestigten machtpolitischen Strukturen, eine Neugliederung durchzusetzen, nicht vorhanden ist. Zu dieser Einschätzung kommt auch Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 120; Hartmann, VJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 11; im 747
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1. Kap.: Grundlagen
sich immer weiter festigenden Länderstrukturen konnte also schon seinerzeit die Einschätzung der Aussicht auf Erfolg eines Neugliederungsvorhabens um so weniger positiv ausfallen, als gerade diese Strukturen nicht die nötige Berücksichtigung in den Vorschlägen des Berichtes der Ernst-Kommission fanden. Dementsprechend blieb das Gutachten folgenlos.
V. Fünf neue, nicht leistungsstarke Länder: Der neuerliche Wunsch nach Neugliederung im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung seit 1990 Nachdem 1976 mit der Herabstufung der Neugliederungs Verpflichtung in eine Ermächtigung des Bundes 753 die Abneigung gegen eine Neugliederung nach der Finanzreform 1969 einen weiteren Höhepunkt erfahren hatte, wurde es um das Thema ruhig 754 . Lediglich 1985 wurde vergeblich ein Gesetzesentwurf eingebracht, der auf eine Grenzbereinigung für die früheren Teile der Stadt Mainz Amöneburg, Kastel und Kostheim abzielte 755 . Erst im Zuge der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 756 gab es ab dem Frühjahr 1990 wieder Vorschläge zu einer Neugliederung der Bundesrepublik. Großenteils ging es um die Frage der Ländereinteilung in der DDR. Daß ein wiedervereinigtes Deutschland ein Bundesstaat sein würde, war Konsens 757 und galt 7 5 8 als auch unter der ostdeutschen Bevölkerung mehrheitsfähig 759. Ergebnis wohl auch Ernst, Diskussionsbeitrag in: Neugliederung des Bundesgebietes, Tagung v. 15.-17.11.1973 in Bad Boll, Hrsg.: Pressestelle der Evangelischen Akademie Bad Boll, Nr. 16/73, S.42; ders., Die Alternative: Neugliederung des Bundesgebietes, in: DVB1. 1991, S. 1024 (1026). 753 Siehe hierzu oben 1. Kapitel Α. II. 3. 754 So setzte sich beispielsweise eine Kommission des nordrhein-westfälischen Landtages, die von 1988-1990 tagte, im Rahmen ihrer Reföderalisierungsdiskussion mit einer Neugliederung als Mittel zur Stärkung der einzelnen Länder gegenüber dem Bund nicht mehr auseinander, vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen (Hrsg.); Bericht der Kommission „Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland - auch in einem Vereinten Europa", Teil Eins, 1990, insbes. S.7-27. 755 Gesetzesentwurf der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und der Grünen, BT-Drs. 10/4264; 10/4265. Hierzu äußerte sich ablehnend: Ernst, Ein Beitrag zum Problem der Neugliederung des Bundesgebiets, in: DVB1. 1986, S.981 (982,984). 756 Der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrag - (EV) v. 31.8.1990 (BGBl. II. S. 889) trat am 29.9.1990 in Kraft (BGBl. II S. 1360) und bestimmte in Art. 11 EV für die Wiedervereinigung den 3.10.1990. - Zu den mit dem Einigungsvertrag aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen siehe Klein, E.; Der Einigungsvertrag - Verfassungsprobleme und -aufträge, in: DÖV 1991, S. 569ff. 75 7 Lapp, Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutschland Archiv 1990/11, S. 1079 (1079); Kaufmann, Bundesstaat und Deutsche Einheit, 1992, S.75; Lauf er!Münch, Die Neugestaltung der bundesstaatlichen Ordnung, in: Die Gestaltung der deutschen Einheit, Geschichte-PolitikGesellschaft, Hrsg.: Eckart Jesse/Armin Mitter, Bundeszentrale für politischen Bildung 308 (1992), S.215 (235); Klatt, Deutsche Einheit und bundesstaatliche Ordnung, Das föderale System der Bundesrepublik Deutschland im Umbruch, VwArch. 82 (1991), S.430 (431).
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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Der Aufteilung des DDR-Gebietes in Länder konnten unterschiedliche Kriterien zugrundegelegt werden. Die mit Blick auf das Gebot der Berücksichtigung der geschichtlichen Zusammenhänge gemäß Art. 291S. 2 GG naheliegendste Überlegung, die sich schließlich im Ländereinführungsgesetz 760 durchsetzte, war, die bis 1952 in der sowjetischen Besatzungszone bestehenden Länder Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wiederherzustellen761. Daneben gab es Vorschläge, die DDR in ein bis vier Länder einzuteilen. Während nun - ganz im Sinne des Art. 291S. 2 GG - für die Einteilung in die früheren fünf Länder vornehmlich geschichtliche, emotionale762 und kulturelle763 Aspekte der Identifikation der Bevölkerung764 mit ihnen und die Überwindung des SED-Erbes765 angeführt 766 wurden, bezogen die Vier-Länder- 767, Drei-Länder- 768, Zwei-Länder- 769 und Ein-Land-770 Modelle mit abnehmender Länder75 8
Lapp, Die fünf neuen Länder, Forum Deutsche Einheit, Perspektiven und Argumente Nr. 6, Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, 1991, S. 7 deutete das Zeigen der Landesfarben auf den Demonstrationen als die Forderung der Bevölkerung nach den Ländern. Wissenschaftlich-empirische Belege für ein solches Bestreben der Bevölkerung sind jedoch nicht ersichtlich. 75 9 Melzer, Die Verwaltungsreform in der DDR - Probleme und Diskussionen - , in: DVB1. 1990, S.404 (408). 760 14 Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik (Ländereinführungsgesetz) v. 22.7.1990 (GBl. DDR I S.955). 761 Zur Entstehungsgeschichte des Ländereinführungsgesetzes im einzelnen, vgl. Kaufmann, Bundesstaat und Deutsche Einheit, 1992, S.75ff.; s. a. Bayer; Die Konstituierung der Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, in: DVB1. 1991, S. 1014ff. 76 2 Lauferl Münch, Die Neugestaltung der bundesstaatlichen Ordnung, in: Die Gestaltung der deutschen Einheit, Geschichte-Politik-Gesellschaft, Hrsg.: Eckart Jesse/Mitter, Bundeszentrale für politischen Bildung 308 (1992), S.215 (237): „historische Bindung", „landsmannschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl als Refugium". 76 3 Häberle, Aktuelle Probleme des Deutschen Föderalismus, in: Die Verwaltung 24 (1991), S. 169 (191): „kulturelles Identitätsgefühl". 76 4 Bernet, Aspekte zur Wiedereinführung der Länder, in: LKV 1991, 2 (3); Blaschke, Alte Länder - Neue Länder, in: APuZ 40 (1990) Β 27, S. 39 (47); Czybulka, Zur Frage der Wiedererrichtung von Ländern in der DDR, in: RuP 1990, S.22 (27); Lapp, Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutschland Archiv 1990/11, S. 1079 (1079); ders., Die fünf neuen Länder, Forum Deutsche Einheit, Perspektiven und Argumente Nr. 6, Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, 1991, S.7. 76 5 Blaschke, Alte Länder-Neue Länder, in: APuZ 40 (1990) Β27, S.39 (49); Dudeck, Wie die neuen Bundesländer entstanden, in: Materialien zur Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 1993, S.83 (85); Mampel, Föderalismus in Deutschland - Teil II, in: Deutschland Archiv 24 (1991) II, S.919 (928). 766 Umfragen, Volksbefragungen hierzu wurden nicht durchgeführt. Anderweitige Forschungen, die diese Aussagen stützen oder falsifizieren, sind ebenfalls nicht ersichtlich. 767 Brandenburg mit Teilen von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg, Sachsen mit Teilen von Sachsen-Anhalt und Thüringen. Da Sachsen-Anhalt nur von 1945-1952 bestand, sollte aus wirtschaftlichen Gründen auf seine Wiederherstellung verzichtet werden; siehe im einzelnen: Blaschke, Alte Länder- Neue Länder, in: APuZ 40 (1990) Β 27, S. 39 (49); Rutz, Denkschriften zur Länderneubildung auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR, in: Politische Studien 1990, S. 604 (611); ders., Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, ihr Zuschnitt und dessen Vorläufigkeit, in: Materialien zur Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland, Akade-
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1. Kap.: Grundlagen
anzahl zunehmendfinanzwirtschaftliche Faktoren, wie sie insbesondere im Emst-Gutachten zutagegetreten waren 771, in ihre Erwägungen mit ein772. Doch entsprechend der bisherigen Neugliederungsdiskussion vermochten sich diefinanzwirtschaftlichen Argumente nicht durchzusetzen.
Zudem gab die Gebietsreform in der DDR erneut Anlaß, über eine generelle Neugliederung des Bundesgebietes, die sowohl die alten Bundesländer als auch die zu erwartenden neuen Bundesländer umfaßte, nachzudenken. Wiederum griffen die Verfechter einer solchen Neugliederungfinanzwirtschaftliche Argumente auf 73 . Ein Teil der Modelle trennte dabei zwischen den alten und den neuen Bundesländern 774, da eine insoweit übergreifende Grenzänderung die eigene Identitätsfindung mie für Raumforschung und Landesplanung, 1993, S.58 (83); Lapp, Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutschland Archiv 1990/11, S. 1079 (1081); ders., Die fünf neuen Länder, Forum Deutsche Einheit, Perspektiven und Argumente Nr. 6, Hrsg.: Friedrich-Ebert-Stiftung, 1991, S. 42. 768 Modell 1 : Brandenburg mit Teilen Sachsen-Anhalts, Mecklenburg sowie ein Land aus Sachsen, Thüringen und Teilen Sachsen-Anhalts, vgl.: Blaschke, Alte Länder - Neue Länder, in: APuZ 40 (1990) Β 27, S. 39 (51); Hansmeyer ! Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, S.234 (239). Modell 2: Brandenburg und Mecklenburg als ein Land, Thüringen und Sachsen-Anhalt als ein Land und Sachsen als drittes Land, siehe: Hohmann, Der Verfassungsgrundsatz der Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet - Erläutert anhand der fünf neuen Bundesländer-, in: DÖV 1991, S. 191 (193). 769 Berlin, Brandenburg und Mecklenburg als Nordstaat und Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als Südstaat, vorzugsweise im Rahmen einer Gesamtneugliederung vgl. Gobrecht, Der neue Bundesstaat braucht starke Länder: Neugliederung ist aktuell, in: RuP, 26. Jhg. 1990, Nr. 2, S. 72 (76); Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, 234 (239). 77 0 Thieme, Fragen einer gesamtdeutschen Verfassung, in: DÖV 1990, S.401 (404). 771 Siehe oben 1. Kapitel E.IV. 772 Dem entgegengesetzt wurde vereinzelt neben der Fünf-Länder-Lösung die Schaffung weiterer Länder Lausitz, Niederschlesien oder Vorpommern gefordert (Vgl. Lapp, Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutschland Archiv 1990/11, S. 1079 (1082); Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, in: Materialien zur Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland, Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 1993, S.58 (77ff.) beziehungsweise die Etablierung der Städte Leipzig, Rostock oder Görlitz als Stadtstaaten (Dafür: Czybulka, Zur Frage der Wiedererrichtung von Ländern in der DDR, in: RuP 26. Jhg. 1990, S.22 (26), dagegen: Lapp, Fünf plus eins: Länder statt DDR, in: Deutschland Archiv 1990/11, S. 1079 (1082); Leonardy, Gegenwart und Zukunft der Arbeitsstrukturen des Föderalismus Status quo, „Europa der Regionen" und staatliche Einheit Deutschlands, in: ZParl. 21 (1990), S. 180 (197); Melzer, Die Verwaltungsreform in der DDR - Probleme und Diskussionen-, in: DVB1. 1990, S. 404 (408). 77 3 Gobrecht, Der neue Bundesstaat braucht starke Länder: Neugliederung ist aktuell, in: RuP, 26. Jhg. 1990, Nr. 2, S. 72 (72); Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, 234 (239); Hohmann, Der Verfassungsgrundsatz der Herstellung einheitlicher Lebensveihältnisse im Bundesgebiet - Erläutert anhand der fünf neuen Bundesländer-, in: DÖV 1991, S. 191 (197). 774 Modell 1 : in der Bundesrepublik ein Nordoststaat, ein Rhein-Main-Saar-Staat, BadenWürttemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen; in der DDR Mecklenburg-Brandenburg ein-
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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der ostdeutschen Bevölkerung gefährden würde 775 . Doch im Hinblick auf die gesteigerte Integrationswirkung wäre eine Verbindung von alten und neuen Bundesländer - wenn auch kaum durchsetzbar - durchaus sinnvoll gewesen 776 . Durch eine umfassende Neugliederung, die sich nicht auf eine Ländereinteilung des DDR-Gebietes beschränkt hätte, wäre zudem sowohl der horizontale als auch der vertikale Finanzausgleich entlastet worden. Die Wirkung wäre um so stärker gewesen, wenn bei einer Neugliederung alte und neue Bundesländer miteinander verbunden worden wären 777 . Bislang durch die finanzschwachen der alten Bundesländer schon derart in Anspruch genommen, daß vereinzelt von einer „Krise des föderalistischen Bundesstaates" gesprochen wurde 778 , verschärfte sich diese Situation durch die leeren Kassen der beitretenden fünf neuen Bundesländer noch 779 . Schon schließlich Berlin, Sachsen-Thüringen einschließlich Sachsen-Anhalt; Gobrecht, Der neue Bundesstaat braucht starke Länder: Neugliederung ist aktuell, in: RuP, 26. Jhg. 1990, Nr. 2, S.72 (76). Modell 2: in der Bundesrepublik ein Nordoststaat, ein Nordweststaat, Fusion vom Saarland und Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen; in der DDR Brandenburg mit Teilen von Sachsen-Anhalt, Mecklenburg, Sachsen-Thüringen mit Teilen von Sachsen-Anhalt; Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, 234 (239). 77 5 Kommission des Nordrhein-Westfälischen Landtags, Bericht „Erhaltung und Fortentwicklung der bundesstaatlichen Ordnung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland - auch in einem Vereinten Europa", Hrsg.: Heinrich A. Große-Sender, Teil II: Nov. 1990, S.20; Scharpf/ Benz, Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S.25; Schneider, H.-P, Die bundesstaatliche Ordnung im vereinigten Deutschland, in: Mitteilungen des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung 1 (Sept. 1992), S. 19 (29); Thiel, Länderneugliederung: eine vertane Chance, in: Wirtschaftsdienst 1990/IX, S.434 (434). 776 Zusammenlegung Hamburgs mit Mecklenburg und Schleswig-Holstein, Niedersachsens mit Sachsen-Anhalt sowie Hessens mit Thüringen; Vogel, B., Mehr Länder, weniger Föderalismus?, in: SuS 1 (1990), S. 129 (130). 777 Vgl. Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, 234 (237). 778 Siehe Kisker, Kooperation im Bundesstaat, Tübingen 1971, S. 3. 779 Vgl. Donner!Berlit; Verfassungsrechtliche und verfassungspolitische Konsequenzen der Wiedervereinigung für die Bundesrepublik Deutschland, in: ZPärl. 23 (1992), S.316 (330); Häberle, Aktuelle Probleme des Deutschen Föderalismus, in: Die Verwaltung 24 (1991), S. 169 (179); ders., Die Entwicklung des Föderalismus in Deutschland - Insbesondere in der Phase der Vereinigung, in: Jutta Kramer (Hrsg.), Föderalismus zwischen Integration und Sezession, 1993, S.201 (210); Heise; Wirtschaftspolitik zur Verbesserung der Standortbedingungen in den neuen Bundesländern, in: APuZ 44 (1994) Β17, S. 24 (24) resümiert, daß „eine Bestandsaufnahme der wirtschaftlichen Lage in den neuen Bundesländern [...] zu dem Ergebnis [kommt], daß die Wirtschaftspolitik noch über Jahre hinaus mit den Folgen der Transformation der ostdeutschen Wirtschaft befaßt sein wird."; femer Herzog, R., Mängel des deutschen Föderalismus, in: BayVBl. 1991, S.513 (516); Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 10,172: „Nach Hinzutreten der amfinanziellen Nullpunkt beginnenden neuen Länder gab es mit einem Schlag ein beträchtliches Niveaugefälle in der Leistungsfähigkeit der Länder. So liegt etwa die Steuerkraft der neuen Länder, seit Beginn der neunziger Jahre kaum ansteigend, bei etwa 30 v. H. des Pro-Kopf-Steueraufkommens der westlichen Bundesländer; einem Bevölkerungsanteil von gut einem Fünftel entspricht lediglich ein Anteil von
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1. Kap.: Grundlagen
aus diesenfinanzpolitischen Aspekten ist es bedauerlich, daß sich die Neugliederungsgegner durchsetzten780. Die wieder geführte Grundsatzdiskussion um eine Neugliederung - in welchem Umfang auch immer - verdeutlicht jedoch, daß mit der Wiedervereinigung eine Veränderung der Rahmenbedingungen eingetreten war, die eine Neugliederung hätte ermöglichen können. Dabei war die Einbeziehung der alten Bundesländer nach den in der Vergangenheit vergeblichen Bemühungen wenig realistisch. Allein in den neuen Bundesländern wäre wegen der noch wenig gefestigten Strukturen vielleicht ausreichender Reformgeist anzutreffen gewesen. Doch bleibt zu berücksichtigen, daß sich schon die alten Bundesländer, als sie noch in ihren Kinderschuhen steckten, vehement gegen jegliche Neugliederung gewehrt hatten. So zeigt auch dieses junge Kapitel deutscher Neugliederungsgeschichte, welch überragende Bedeutung den Berücksichtigungsgeboten der landsmannschaftlichen Verbundenheit sowie der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge des Art. 291S. 2 GG beizumessen ist. Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen einer Neugliederung gab es schon vor der Wiedervereinigung Interesse an einer Fusion Gesamtberlins mit dem zu bildenden Land Brandenburg781. Hier ergab sich die Möglichkeit, die Stadtstaat-UmlandProblematik der Hansestädte Bremen und Hamburg von Anfang an zu vermeiden782 und ein leistungsfähiges Idealbundesland nach den Maßstäben des Cappenberger Modells der Landschaften zu schaffen und sogar die Aspekte des Ernst-Gutachtens zu berücksichtigen. Zu denfinanzwirtschaftlichen als auch den Verkehrs- und raumplanerischen Aspekten kommt hinzu, daß Berlin, geschichtlich betrachtet, bis 1920 ca. 10% am gesamten in der Bundesrepublik erzeugten Bruttosozialprodukt."; vgl. hierzu mit weiteren Wirtschaftsdaten auch Däubler, Die „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse" als Verfassungsgebot, in: FS für Emst Gottfried Mahrenholz, Hrsg.: Herta Däubler-Gmelin u. a., 1994, S. 455 (455); ferner Renzsch, Finanzverfassung und Finanzausgleich, 1991, S. 274; Schneider, H.-R, Die bundesstaatliche Ordnung im vereinigten Deutschland, in: NJW 1991, S. 2448 (2453); vgl. auch Lensch, Die Finanzverfassung des Grundgesetzes und die neuen Länder, in: Mitteilungen des Deutschen Instituts für Föderalismusforschung, 1 (Sept. 1992), S.31 (38). 780 Vgl. Benz, Α., Perspektiven des Föderalismus in Deutschland, in: DÖV 1991, S.586 (592 ff.); femer Korioth, Die Finanzausstattung der neuen Bundesländer, in: DVB1. 1991, S. 1048 (1057), der zutreffend feststellte, daß eine Neugliederung des Bundesgebietes „die finanzverfassungsrechtlichen Verteilungsprobleme sozusagen im Vorfeld entlasten" würde; so auch Hesse, J. J JRenzsch, Zehn Thesen zur Entwicklung und Lage des deutschen Föderalismus, in: SuS 1 (1990), S.562 (573f.); Peffekoven, Deutsche Einheit und Finanzausgleich, in: SuS 1 (1990), S.485 (501 f.); s.a. oben 1. Kapitel E.II.4. 78 1 Degenhart, Verfassungsfragen der deutschen Einheit, in: DVB1. 1990, S.973 (980); s.a. Finkelnburg, Verfassungsfragen des wiedervereinigten Berlin, in: LKV 1991, S.6 (7); Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, S. 234 (237); Leonardy, Gegenwart und Zukunft der Arbeitsstrukturen des Föderalismus Status quo, „Europa der Regionen" und staatliche Einheit Deutschlands, in: ZParl. 21 (1990), S. 180 (197). 78 2 Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder in einem vereinten Deutschland, in: Wirtschaftsdienst 1990/V, S.234 (237); Spieker, Wege zur deutschen Einheit, in: BayVBl. 1990, S.257 (259).
E. Alternative: Neugliederung versus kooperativer Föderalismus?
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Teil der preußischen Provinz Brandenburg war 7 8 3 . Die Bestrebungen mündeten schließlich in der Regelung des Art. 5,2. Teilstrich des Einigungsvertrages, der eine Fusion beider Länder erleichtern sollte.
78 3 Meckingy Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: Verfassungsreform und Grundgesetz, 32. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht", 1992, S.95 (106); zur Geschichte des Berlin-Brandenburger Raumes vgl. Becker, Wirtschaftshistorische Trends und historisch-prognostische Ansätze zur Entwicklung der Region Berlin/Brandenburg, in: Karlshorster Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft e. V. Berlin (Hrsg.), Wirtschaftsregion Berlin/Brandenburg - gestern, heute, morgen - , 1996, S. 11 ff.
11 Keunecke
Zweites Kapitel
Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg A. Verfassungsrechtliche Grundlagen I. Neugliederungsbestimmungen im Einigungsvertrag: Art. 5 EV Bereits in dem Verhandlungsumfeld um den Einigungsvertrag strebte Berlin eine Vereinfachung des Art. 29 GG für eine Fusion von Berlin und Brandenburg durch Schaffung einer speziellen Verfassungsnorm an. Die Frage war jedoch, ob gleich der gesamte Art. 29 GG einer umfassenden neugliederungserleichternden Revision unterzogen wird oder ob sich die Vereinfachungen lediglich auf eine Sonderregelung für Berlin und Brandenburg beschränken. Wegen der Eilbedürftigkeit des Einigungsvertrages war eine eingehende Auseinandersetzung mit der Frage des Ob und Wie einer allgemeinen Neugliederung im vereinten Deutschland nicht möglich. Es galt daher, eine offene Regelung zu schaffen, die Bund und Länder zufrieden stellte. Im Sommer 1990 unterbreitete der Bund den Vorschlag, in einem gegenüber Art. 29 GG vereinfachten Verfahren innerhalb von 10 Jahren eine umfassende Neugliederung vorzunehmen1. In den ersten fünf Jahren sollten die Länder die Möglichkeit erhalten, selbst durch Vereinbarungen, die mittels Volksentscheiden der beteiligten Bevölkerung zu bestätigen gewesen wären, wunschgemäße Neugliederungen vorzunehmen2. Danach sollte der Bund für weitere fünf Jahre durch Bundesgesetz, das einen Volksentscheid in den betroffenen Gebieten vorzusehen hatte, dieselbe Möglichkeit erhalten, wobei ablehnende Volksentscheide durch einen bundesweiten Entscheid hätten überstimmt werden können sollen3. Die Länder widersprachen dem Erfordernis einer umfassenden Neugliederung4 und erstrebten das Ziel wirtschafts- undfinanzstarker Länder über eine Stärkung ihrer Kompetenzen. In ihrem Gemeinsamen Beschluß vom 5. Juli 1
Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, S. 889 (891). 2 Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, S.889 (891). 3 Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, S.889 (891). 4 BR-Drs. 551/90 S.6.
Α. Verfassungsrechtliche Grundlagen
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1990 5 forderten die Ministerpräsidenten eine Finanzreform mit eigenem Steueraufkommen für die Länder*, eine Stärkung ihrer Gesetzgebungskompetenzen und die Änderung des Art. 72 Π GG 7 . Diese Interessengegensätze zwischen Bund und Ländern sowie das Bestreben Berlins, sich zügig unter Ausschluß der aufwendigen Regelungen des Art. 29 GG mit Brandenburg zusammenschließen zu können8, führten schließlich zu der als „Formelkompromiß" bezeichneten9 Lösung in Art. 5 E V 1 0 . Unter vier Teilstrichen wurden Regelbeispiele der durch die Wiedervereinigung bedingten regelungsbedürftigen verfassungsrechtlichen Materien angeführt, wovon der erste inhaltlich allgemein und der zweite konkret auf das Thema Neugliederung Bezug nimmt 11 .
5 Eckpunkte der Länder für die bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland v. 5.7.1990, abgedr. in: ZParl 21 (1990), S.461 ff. Hierzu s.a.: Albert, Die Föderalismusdiskussion im Zuge der deutschen Einigung, in: Kurt Bohr (Hrsg.), Föderalismus, Demokratische Struktur für Deutschland und Europa, 1992, S. Iff., 4 f.; Βadura, Die „Kunst der föderalen Form" - Der Bundesstaat in Europa und die europäische Föderation, in: Wege und Verfahren des Verfassungsleben, FS f. Peter Lerche, Hrsg.: ders./Rupert Scholz, 1993, S.369f.; Henke/ Schuppert\ Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S. 11 ff.; zu den Auswirkungen des Beschlusses auf den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern siehe Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.413f. 6 Eckpunkte der Länder für die bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland v. 5.7.1990, abgedr. in: ZParl 21 (1990), S.461 (462). 7 Eckpunkte der Länder für die bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland v. 5.7.1990, abgedr. in: ZParl 21 (1990), S.461 (462f.). 8 Vgl. Finkelnburg, Verfassungsfragen des wiedervereinigten Berlin, in: LKV 1991, S.6 (7). 9 Klatt, Deutsche Einheit und bundesstaatliche Ordnung, VwArch. 82 (1991), S.430 (455); Mecking, Die räumliche Neugliederung der Bundesrepublik Deutschland als Gegenstand der Verfassungsreform, in: Verfassungsreform und Grundgesetz, 32. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht", 1992, S. 95 (105). 10 Art. 5 EV: (Künftige Verfassungsänderungen) „Die Regierungen der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb von zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Änderung oder Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen, insbesondere - in bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990, - in bezug auf die Möglichkeit einer Neugliederung für den Raum Berlin/Brandenburg abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 des Grundgesetzes durch Vereinbarung der beteiligten Länder [...]." 11 Die Auffassung von Greulich, Ländemeugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 154, daß es sich einschließlich des ersten Halbsatzes des Art. 5 EV um drei Regelungen zum Thema Neugliederung handele, verkennt, daß der 1. Halbsatz durch die in Teilstrichen aufgeführten Regelbeispiele lediglich konkretisiert wird. Daß es sich um Regelbeispiele handelt und nicht um zu Halbsatz 1 selbständige Fälle, wird durch den Wortlaut deutlich, der die allgemeine Regelung des 1. Halbsatzes mit den Teilstrichregelungen durch das Wort „insbesondere" verbindet. Es handelt sich um ein „Oberbegriff-Unterbegriff-Verhältnis", in dem die Regelungen im gegenseitigen Lichte auszulegen sind.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Gemäß Art.5 l.TS EV sollen sich die gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands mit den durch die Wiedervereinigung aufgeworfenen verfassungsspezifischen Fragen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern entsprechend dem Gemeinsamen Beschluß der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990 befassen. Der durch die Wiedervereinigung erforderlichen Neuordnung des Föderalismus12 sollte also nicht das Bedürfnis des Bundes nach einer Neugliederung gemäß Art. 29 GG, sondern eine Kompetenzneuordnung im Sinne der Ministerpräsidenten zugrunde liegen. Schon die Bestrebung des Bundes zur Neugliederung ist aufgrund der faktisch nicht durchführbaren Regelung des Art. 29 GG 13 , auf die Art. 5 2. TS EV verweist, unrealistisch, zumal mit Blick auf die von Kohl X A auf der Loccumer Tagung geäußerten negativen parteipolitischen Konsequenzen einer umfassenden Neugliederung insbesondere bei der CDU 15 ein intensives Bemühen wenig wahrscheinlich ist. Aber auch die Forderungen der Ministerpräsidenten vom 5. Juli 1990 zeigen, daß diese sich nicht länger16 bemüht haben, ihr Desinteresse an einer Neugliederung zu verbergen. Vielmehr waren sie bestrebt, das Neugliederungsziel, wirtschafts- und finanzstarke Bundesländer zu schaffen, durch einefinanzielle und gesetzgebungsspezifische Kompetenzstärkung17 gegenüber dem Bund zu erreichen, was sie bis dahin im Rahmen einer Neugliederungsdiskussion in dieser Deutlichkeit nicht formuliert hatten. Daran wird eine weitere institutionelle Verfestigung der westlichen Bundesländer sichtbar, die jede Chance wahrnehmen, ihren status quo zu festigen, nicht jedoch ihn grenzerneuernd zu reformieren. Entgegen Greulich 18 ist mit der Wahl des Wortlautes des Art.5 l.TS EV eine umfassende Neugliederung von vornherein abgelehnt worden. 12 Vgl. Klatt, Deutsche Einheit und bundesstaatliche Ordnung, VwArch. 82 (1991), S.430 (454). 13 Vgl. oben B.III, l.c)(2). 14 Zur Zeit der Loccumer Tagung 1968 bekleidete Kohl das Amt des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Rheinland-Pfalz. Von 1982-1997 war er Bundeskanzler. 15 Kohl, Die Zukunft Mittelwestdeutschlands, Ein Podiumsgespräch, eingeleitet von dems., in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.97 (lOOf.). 16 Vgl. oben 1. Kapitel E.II. 17 Zu den Bestrebungen, Länderkompetenzen im Rahmen des Finanzausgleiches durch eine Umverteilung von Besteuerungskompetenzen vom Bund auf die Länder zu stärken, vgl. Franke, Zur Neuordnung der Finanzverfassung im vereinigten Deutschland, VwArch. 82 (1991), S.526 (541); Hendler, Finanzverfassungsreform und Steuergesetzgebungshoheit der Länder, in: DÖV 1993, S. 292 (298); Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S. 162 ff.; Hennecke, Finanzierungsverantwortung im Bundesstaat, in: DÖV 1996, S. 713 (723); Hinnendahl, Die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1974, S. 195; Littmann, Über einige Untiefen der Finanzverfassung, in: SuS 2 (1991), S. 31 (41); Milbradt, Finanzausstattung der neuen Bundesländer und gesamtstaatlicher Finanzausgleich im Dienste der Einheit, in: SuS 2 (1991), S.304 (315); Wendt, Neuorientierung der Aufgaben- und Lastenverteilung im „sozialen Bundesstaat", in: SuS 4 (1993), S.56 (72f.); Wieland, J.; Einen und Teilen, in: DVB1.1992, S. 1181 (1187). 18 Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 156.
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Dagegen waren die Bestimmungen im Einigungsvertrag zur Neugliederung Berlin-Brandenburg von einem konkreten Neugliederungswillen getragen. Art. 5 2. TS EV sieht vor, daß sich die gesetzgebenden Körperschaften des vereinten Deutschlands mit den durch die Wiedervereinigung aufgeworfenen verfassungsspezifischen Fragen hinsichtlich einer vereinfachten Neugliederung Berlin/Brandenburg befassen. Diese Sonderregelung ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte und der nur schwer durchsetzbaren Verfahrensregelungen des seinerzeit gültigen Art. 29 GG (1976) zu sehen19. Da im Abgeordnetenhaus von Berlin im Rahmen der Wiedervereinigung aus eigenem Antrieb das Bestreben nach einer Zusammenlegung mit dem noch zu bildenden Land Brandenburg aufkam 20, war es konsequent, sich für eine Sonderregelung außerhalb des Art. 29 GG einzusetzen. Denn selbst die einzige Neugliederung in der Geschichte der Bundesrepublik - die Schaffung des Landes Baden-Württemberg - basierte nicht auf Art. 29 GG sondern der eigens hierfür vorgesehenen Regelung des Art. 118 GG 21 . Im Gegensatz zu den übrigen Bundesländern war sich Berlin seiner historischen Chance zum Zusammenschluß mit dem zu bildenden Brandenburg bewußt22. Es war bestrebt, von vornherein rechtliche Grundsteine zur Realisierung einer Neugliederung unabhängig von einer allgemeinen Neugliederung zu legen. Mit Art. 5 2. TS E V wurde für die Region zwar kein Anspruch gegen den Bund zum Erlaß einer entsprechenden Neugliederungsregelung formuliert. Doch wurde eine politische Verpflichtung des Bundes begründet, die um so schwerer wog und dementsprechend von Berlin und Brandenburg gegebenenfalls hätte ins Feld geführt werden können, als sie in den historisch einmaligen Kontext des Einigungsvertrages gebettet war. Allerdings ist realistisch festzustellen, daß Art. 5 2. TS EV bei entsprechenden entgegenstehenden machtpolitischen Interessen trotz jeglicher Verpflichtung wirkungslos geblieben wäre. Das zeigt Art. 291 GG, der in seiner ursprünglichen Fassung die Verpflichtung des Bundes zu einer umfassenden Neugliederung ausgesprochen hatte, der der Bund nie nachgekommen ist und die ihn schließlich dazu veranlaßte, die Verpflichtung in eine Ermächtigung umzuformulieren, um nicht länger gegen sie zu verstoßen23. Da jedoch bei Art. 5 2. TS EV die Interessen gerade auf eine Neugliederung gerichtet waren, war die Regelung der Grundstein zur Fortführung und Durchsetzung dieser Bestrebungen.
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Siehe oben 1. Kapitel A. Vgl. Finkelnburg, Verfassungsfragen des wiedervereinigten Berlin, in: LKV 1991,6 (7). 21 Siehe oben 1. Kapitel D.IV.2. 22 Indes überrascht das von den politisch Verantwortlichen gezeigte Interesse an einer Neugliederung im Hinblick auf die vergeblichen Mühen um Neugliederungen in der Vergangenheit. Bislang waren es die Länderregierungen selbst, die sich einer Neugliederung in den Weg stellten, vgl. oben 1. Kapitel Α. 1.1. a), II. 2., E. II. 1. 23 Siehe oben 1. Kapitel A.II.3. 20
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
II. Die Berlin-Brandenburger Sonderregelung des Art. 118 a GG: Teil neuer Neugliederungsoptionen mittels Ländervereinbarung gemäß Art. 29 V I I I , 118 a GG Aufgrund des Prüfungsauftrages des Art. 5 2. TS EV sollten insbesondere die verfassungsrechtlichen Fragen geklärt werden, die sich aus der Neugliederungsabsicht der Länder Berlin und Brandenburg ergaben. Zweifellos hätten sich Berlin und Brandenburg regulär über Art. 29 GG neugliedern können24. Doch schien dieser Weg mit Blick auf die Vergangenheit - insbesondere hinsichtlich des für den Volksentscheid erforderlichen Quorums - wenig aussichtsreich25. Es wurde daher nach einer anderen Lösung gesucht, um der historischen Gelegenheit des auf länderpolitischer Ebene vorhandenen Neugliederungswillens zu seinem Erfolg zu verhelfen. Daraus resultierten die neuen Art. 29 VIII und 118 a GG. Grundnorm der neuen Neugliederungsbestimmungen ist Art. 29 VIII GG. Dieser ist jedoch in seinen Bestimmungen zu den bisherigen Neugliederungsregelungen nicht systemkonform: Während die bisherigen Neugliederungsregelungen klar zwischen den Möglichkeiten der Grenzveränderung durch Länderstaatsvertrag oder durch Bundesgesetz unterschieden haben26, sieht Art. 29 V m GG auf den ersten Anschein eine Länderneugliederung durch Ländervereinbarung vor. Darüber hinaus verlangt Art. 29 VIII GG jedoch eine Bestätigung dieser Ländervereinbarung durch Zustimmung des Bundestages. Letztere würde wegen der Bedeutung, die einer Neugliederung auf das gesamtstaatliche Gefüge beigemessen wird, „durch Gesetzesbeschluß erfolgen" 27. Doch selbst wenn es bei einem schlichten Parlamentsbeschluß des Bundestages bliebe28, hätte er jedenfalls das Letztentscheidungs- und Kontrollrecht. Die sich mittels Staatsvertrag neugliedernden Länder sind auf das placet des Bundes angewiesen und würden einen entsprechenden Staatsvertrag von vornherein in Abstimmung mit diesem erarbeiten müssen. Nur so können sie sich seiner erforderlichen Zustimmung versichern. Ergeht die Zustimmung des Bundes - erwartungsgemäß - in Form eines Gesetzesbeschlusses, handelt es sich auch formal bei einer Neugliederung nach Art. 29 V m GG um eine durch den Bund29. Art. 29 VIII 24 Neben Art. 118 a GG besteht theoretisch nach wie vor die Möglichkeit der Neugliederung nach Art. 29 GG, der durch Art. 118 a GG als lex specialis nicht ausgeschlossen wird, MeyerTeschendorf Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, 889 (891); so auch Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 118 a Rn. 2. 25 Siehe oben 1. Kapitel A.I., II.3., B.III, l.c). 26 Siehe oben 1. Kapitel Α. I. 27 Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 29 Rn.68. 28 Hierfür Pieroth, in Jarass/Pieroth, GG-K, Art.29 Rn.7a; vgl. auch BT-Drs. 12/6000 S45. 29 Das verkannte die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat (im folgenden: Gemeinsame Verfassungskommission [GVK]) offensichtlich, vgl. Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.45; vgl. ferner Scholz, Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, in ZG 1994, S. 1(16); Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsreform, 1995, S. 114 f. - Zu dem Erfordernis der Volksabstimmung in Art. 29 VIII GG siehe oben 1. Kapitel B.III. 1. - Damit ist der Kritik von Greulich, Länderneugliederung und
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GG als Grundregelung für Neugliederungen mittels Ländervereinbarungen setzt die Zustimmung des Bundes nebst der damit erforderlichen Volksabstimmung30 voraus. Er vermengt damit die ursprünglich separaten Wege der Neugliederung einmal durch Ländervereinbarung und einmal durch Bundesgesetz und erschwert die neue Neugliederungsoption vor allem durch das für die Volksabstimmung aus Art. 29 V I S. 1 GG übernommene hohe Quorum 31 . Die durch Art. 29 V I E GG vorausgesetzte Zustimmung des Bundes zu einer Neugliederung gilt hinsichtlich des die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg regelnden Art. 118 a GG als bereits im Einigungsvertrag ausgesprochen32 und wurde durch seine Einfügung in das Grundgesetz bestätigt. Er stellt klar, daß es keiner weiteren Bestätigung der Ländervereinbarung durch Bundesgesetz gemäß Art. 29 V m S. 6 GG bedarf. Art. 118 a GG erleichtert damit gegenüber Art. 29 V I I I GG den beiden Ländern das unmittelbare Neugliederungsverfahren. Dies erreicht er aber vor allem mit seinem weiteren Regelungsinhalt: die strengen, neugliederungshemmenden MehrheitsVerhältnisse von Art. 29 V I S. 1, V I I I G G 3 3 - insbesondere das hohe Quorum - hält Art. 118 a GG nicht aufrecht. Er stellt die Art und Weise der Bevölkerungsbeteiligung vielmehr in das Ermessen beider Länder 34 . Damit zeichnet Grundgesetz, 1995, S. 163 ff., daß die Gemeinsame Verfassungskommission es versäumt habe, ein erleichtertes Verfahren zu empfehlen, - allerdings nur im Ergebnis - zu folgen. 30 Siehe hierzu unten 1. Kapitel B.III. 1. 31 Das Zustimmungserfordernis des Bundes wird sich voraussichtlich nicht als Hemmnis erweisen. In der bundesrepublikanischen Neugliederungsgeschichte waren es regelmäßig die Länder die sich gegen eine Neugliederung wehrten, vgl. oben 1. Kapitel A.II, l.a), II.2., 3., E.II. 1. 32 Bräutigam (JustizMin. Bbg), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 18; Meyer-Teschendorf, Territoriale Neugliederung nicht nur durch Bundesgesetz, sondern auch durch Staatsvertrag, in: DÖV 1993, S.889 (892). 33 Art. 29 V I S. 1 GG: „Mehrheit im Volksentscheid und in der Volksbefragung ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfaßt."- S.a. oben 1. Kapitel B.III. 1.c). 34 Dieses ist indes reduziert: Zwar läßt der Wortlaut „Beteiligung" noch die Möglichkeit offen, lediglich eine Volksbefragung durchzuführen. Doch verbleibt wegen des Erfordernisses der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit gemäß Art. 291S. 2 GG sowie der erforderlichen plebiszitären Legitimation nur die Möglichkeit, daß die Länder einen Volksentscheid vereinbaren, siehe oben 1. Kapitel B.III, l.b). Daß, wie Erbguth, in: Sachs, GG-K, Art. 118 a Rn. 5, annimmt, „die Weitung des Art. 5 EV" sowie die „hiermit verbundenen (historischen) Besonderheiten des Verhältnisses zwischen Berlin und Brandenburg" es „verfassungsrechtlich unbedenklich erscheinen" lassen, die Ausformung der Volksbeteiligung allein den beiden Ländern zu überlassen, ist jedenfalls nicht unproblematisch: zum einen fordert Art. 5 EV lediglich dazu auf, über ein vereinfachtes Verfahren hinsichtlich der Neugliederung Berlin-Brandenburg nachzudenken, sagt aber selbst nichts zu dem Umfang der Vereinfachungen. Zum anderen kann eine - zudem bereits über ein halbes Jahrhundert zurückliegende und seinerzeit nur vergleichsweise kurze - historische Verbundenheit nicht ohne weiteres eine durch Volksentscheide begründete Legitimation ersetzen. Dies bedarf jedenfalls ergänzender Überlegungen. - Etwas ungenau ist die Formulierung des Art. 118 a GG, daß die „Wahlberechtigten" zu beteiligen seien. Es geht nicht um Wahlen, sondern um Abstimmungen, so daß die Abstimmungsberechtigten" zu beteiligen sind.
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sich Art. 118 a GG vor dem Hintergrund des neuen Art. 29 VIII GG für Berlin und Brandenburg als optimale verfassungsrechtliche Grundlage einer Neugliederung aus. Er enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung35 zu ihrer verfahrensmäßig gegenüber Art. 29 GG erleichterten Vereinigung. Die neuen Neugliederungsoptionen sind das Ergebnis einer Interessenkollision, die bei einer Betrachtung ihrer Entstehungsgeschichte erkennbar wird. Mit Beschluß vom 1. März 1991 kam der Bundesrat der Empfehlung des Art.5 2.TS EV nach und setzte die Kommission Verfassungsreform ein36. In der 32 Mitglieder umfassenden Kommission war jedes Bundesland durch seinen Ministerpräsidenten und ein weiteres Regierungsmitglied vertreten37. Sie entsprach den Wünschen Berlins und Brandenburgs und setzte sich mit den Möglichkeiten auseinander, eine Neugliederung der beiden Länder zu vereinfachen und zu beschleunigen38. Insbesondere sollte die Beteiligung des Bundesverfassungsgebers auf die Schaffung der hierfür verfassungsrechtlich notwendigen Voraussetzungen beschränkt bleiben39. Daher empfahl die Kommission antragsgemäß40, den mit der Neugliederung des südwestdeutschen Raumes gegenstandslos gewordenen Art. 118 GG für Berlin und Brandenburg zu modifizieren 41: „Die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet kann abweichend von den Vorschriften des Art. 29 GG unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung beider Länder erfolgen" 42. Die von der Kommission Verfassungsreform geäußerte Empfehlung wirkte in der Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat43 fort, die im 35
VerfGH des Landes Berlin, Beschluß vom 2.4.1996- VerfGH 17 A/96-, in: JR1997, S.97
(98). 36
BR-Drs. 103/91. BR-Drs. 103/91; Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S.2 Rn.l. 38 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 15 f. Rn. 93 ff. - Hinsichtlich der Maßgaben aus dem Einigungsvertrag wurde die Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa unter verfassungsrechtlichen Aspekten erörtert (ebda, S. 2 Rn. 1) und in der Empfehlung der Kommission Verfassungsreform vom 14. Mai 1992 niedergelegt (ebda, S. 2 Rn. 2). Eine umfassende Neugliederung des Bundesgebietes erörterte die Kommission erwartungsgemäß (zur Entstehungsgeschichte des Art. 5 TS 2 EV siehe oben 1. Kapitel E.V., 2. Kapitel A.I.) nicht. 39 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 15 f. Rn.96. 40 Antrag mit Schreiben v. 15.5.1992, abgedr. AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S. 13. 41 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 15 f. Rn. 93 f. 42 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 15 Rn.93; femer abgedr. in: AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S. 13. 43 Im November 1991 beschlossen Bundestag (Beschluß v. 28.11.1991, BT-StenBer., 61. Sitzg v. 28.11.1991, S.5260 [C]; auch abgedr. in: BT-Drs. 12/1590 und 12/1670.) und Bundesrat (Beschluß vom 29.11.1991, BR-StenBer., 637. Sitzg v. 29.11.19991, S.558f. [A]; BRDrs. 741/91.) die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat einzusetzen. 37
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Januar 1992 ihre Arbeit aufnahm und im Juli 1993 mit einem Kommissionsbericht abschloß45. Wie zuvor in der Kommission Verfassungsreform stellten die Länder Berlin und Brandenburg am 15. Mai 1992 in der Gemeinsamen Verfassungskommission ihren wortgleichen Antrag zu der Neufassung des Art. 118 GG 46 . Die Neugliederungsbestrebungen Berlins und Brandenburgs führten in der Diskussion über eine „territoriale Neugliederung"47 auf Länderseite teilweise zu einem Enthusiasmus, der überraschenderweise in dem Vorschlag gipfelte, die bestehenden Neugliederungsbestimmungen insgesamt zu „vereinfachen" und auch den übrigen Ländern die Möglichkeit partieller Neugliederungen mittels Ländervereinbarung verfassungsrechtlich zu erlauben48. Die Meinungen hierüber gingen - mit Ausnahme von Hamburg, Berlin und Brandenburg je nach Maß der potentiellen Betroffenheit einer Neugliederung - erwartungsgemäß sehr auseinander: Bremen49, Rheinland-Pfalz 50 und das Saarland51 wandten sich gegen eine allgemeine Neugliederung, da das Wesen des Föderalismus gerade in dem Nebeneinander großer und kleiner Länder bestehe52 und diese Vielfalt als positives Beispiel für Europa vertrauensstiftend sei53. Außerdem gewährleiste das in Art. 29 GG vorgesehene Verfahren der Beteiligung des Bundes die Berücksichtigung übergeordneter Gesichtspunkte54. Demgegenüber
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Der Kommission gehörten jeweils 32 Mitglieder von Bundestag und Bundesrat sowie eine gleiche Anzahl von Stellvertretern an. Die Mitglieder des Bundestages setzten sich entsprechend ihrer parteilichen Vertretung im Bundestag wie folgt zusammen: CDU/CSU: 15; SPD: 11; FDP: 4; PDS/Linke Liste: 1; Bündnis 90/Die Grünen: 1, Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.7. Zur Arbeitsweise der Kommission siehe Scholz, Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, in: ZG 1994, S. 1 ff.; femer Kloepfer, Verfassungsänderung statt Verfassungsrefoim, 1995, S. 17ff., der umfassende Literaturnachweise zu den Reaktionen auf die Arbeit der GVK bietet, ebda, S. 13 Fn. 4. 45 Beschluß über Kommissionsbericht vom 1.7.1993, Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.ll. 46 GVK-Drs. Nr. 2; femer abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 13. 47 GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, TOP 3: Territoriale Neugliederung; GVK-StenBer., 25. Sitzg, 1.7.1993, TOP 7: Abstimmung über die territoriale Neugliederung des Bundesgebietes. 48 Auf Antrag des Landes Sachsen vom 9.2.1993, GVK-Drs. Nr. 53. - In der GVK war es „unbestritten", daß Art.29 GG „ehereine Neugliederungs-Verhinderungsvorschrift" darstellte, vgl. Rennert, Der deutsche Föderalismus in der gegenwärtigen Debatte um eine Verfassungsreform, in: Der Staat 32 (1993), S.269 (275). 49 Klein (Abg. CDU/CSU Br.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.7, 15f.; Scherf (Sen. Br.), ebda, S. 19f. 50 Caesar (Min. RP), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.23f. 51 Walter (Min. Saarl.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.22f. 52 Klein (Abg. CDU/CSU Br.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.7; Scherf (Sen. Br.), ebda, S. 20. 53 Scherf (Sen. Br.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.20. 54 Klein (Abg. CDU/CSU Br.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 16. - Die Gegner einer bundesweiten Neugliederung beriefen sich im übrigen auf das hergebrachte - eher abstrakte - Bedenken, daß die Bundesländer nicht bloß administrative Einheiten seien, vgl. Walter (Min. Saarl.), ebda, S.22.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
fanden sich parteiübergreifend auf Bundestagsebene55 sowie in den Ländern Nordrhein» Westfalen 56 , Sachsen57 und Schleswig-Holstein58 ausdrückliche Befürworter, die mit Unterstützung von Bayern 59 , Brandenburg 60 und Hamburg 61 für eine generelle Vereinfachung des Neugliederungsverfahrens eintraten 62. Diese zwiespältige Stimmungslage in der Gemeinsamen Verfassungskommission schlug sich schließlich auch in den Empfehlungen des Kommissionsberichtes niedei*3: In Art. 29 GG sollten die kleinen Gebietsänderungen nach Absatz 7 bei einer Gebietsbevölkerung von 50.000 Einwohnern, statt bisher 10.000 Einwohnern möglich sein64. Weiter sollte ein Absatz 8 angefügt werden65. Bezüglich der Neugliederung Berlin-Brandenburg empfahl die Kommission, den bisherigen Art. 118 GG aus verfassungshistorischen Gründen bestehen zu lassen66 und einen neuen Art. 118 a GG mit dem von den Ländern Berlin und Brandenburg vorgeschlagenen Inhalt anzufügen67. Entsprechend den Vorschlägen der Kommission wurden am 15. November 1994 mit einem Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes 68 Art. 118 a, 29 V I I I G G eingefügt sowie Art. 29 V I I GG geändert. Bleibt die erleichternde Wirkung für allgemeine Neugliederungsvorhaben nach Art. 29 V m GG eher zweifelhaft, so ist die Absicht, mit Art. 118 a GG die verfassungsrechtliche Grundlage für ein vereinfach» Meseke (Abg.'e CDU/CSU), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 10; Otto (Abg. FDP Ff./M), ebda, S. 13f.; Wegner (Abg.'e SPD), ebda, S.9. 56 Schnoor (Min. NRW), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.26f. 57 Heitmann (StMin. Sachsen), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 11. 58 Bull (Min. SH), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 12. 59 Wilhelm (StS Bay.), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S.22. 60 Bräutigam (Min. Bbg), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 19. 61 Voscherau (Erster BM HH), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S, 14. 62 Auch die Befürworter einer umfassenden Neugliederung bezogen sich auf die bereits bekannten Argumente: Die hohe Länderzahl erschwere den innerstaatlichen Entscheidungsfindungsprozeß, Heitmann (StMin. Sachsen), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 11. Ein Europa der Regionen setze zudem größere Gebietseinheiten voraus, Otto (Abg. FDP Ff./M), ebda, S. 14. Zudem werde die Neugliederungsnotwendigkeit durch die Wiedervereinigung noch verstärkt, Wegner (Abg.'e SPD), ebda, S.9, denn diefinanzwirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Ländern seien so groß geworden, daß insgesamt eine Aushöhlung des Föderalismus drohe, Heitmann (StMin. Sachsen), ebda, S. 11 ; Schnoor (Min. NRW), ebda, S. 27; Wegner (Abg.'e SPD), ebda, S.9; Wilhelm (StS Bay.), ebda, S.21. Die Unpraktikabilität des Art.29 GG werde gerade durch das Bedürfnis der Länder Berlin und Brandenburg offenbart, für ihren Zusammenschluß eine Sonderregelung außerhalb des Art. 29 GG zu schaffen, Heitmann (StMin. Sachsen), ebda, S. 11. 63 Beschluß vom 28.10.1993, Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S. 11. 64 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S. 43. 65 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.43 f. 66 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S. 45 f. 67 Bericht der GVK, BT-Drs. 12/6000 S.45. 68 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994 (BGBl. IS. 3146). - Dem ging der Beschluß des Bundesrates vom 17.12.1993 voraus, den von der GVK empfohlenen Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes (u. a. Art. 29 und 118 a) im Bundestag einzubringen, BR-Drs. 886/93.
Α. Verfassungsrechtliche Grundlagen
171
tes Verfahren der Neugliederung Berlin-Brandenburg zu schaffen, realisiert worden. Jedoch befreit Art. 118 a GG Berlin und Brandenburg nicht von der Beachtung der materiellen Voraussetzungen des Art. 291 S. 2 GG. So wie die Regelungen des Art. 118 G G für Baden-Württemberg auf der in Art. 2 9 1 S. 1 G G niedergelegten Zielsetzung basieren 69, gilt dies entsprechend für Art. 118 a G G 7 0 . Das war auch seitens der neugliederungswilligen Länder Berlin und Brandenburg unproblematisch. Die Begründung ihres Antrages in der Gemeinsamen Verfassungskommission zu Art. 118 a GG zeigt, daß die Voraussetzungen des Art. 291 GG umfassend Berücksichtigung finden sollten 71 . Art. 118 a GG unterscheidet sich von Art. 118 GG jedoch darin, daß er das „Ob" der Neugliederung den beteiligten Ländern zur Disposition stellt72, wohingegen Art. 118 GG bei einem Scheitern der Bemühungen der dort genannten Länder eine zwingende Verpflichtung des Bundes zur Neugliederung des südwestdeutschen Raumes vorsah73. Als Grund für die unterschiedliche Regelung führt Greulich an, daß für den südwestdeutschen Raum seinerzeit eine Neugliederung für notwendig befunden worden sei, während diese Notwendigkeit für das Gebiet Berlin-Brandenburg nicht gesehen worden sei74. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die Stadtstaat-Umland-Problematik hinlänglich bekannt war und diese wegen ihrer Dringlichkeit sogar dazu geführt hat, daß sich die ursprünglichen Neugliederungsgegner Hamburg75 und Schleswig-Holstein76, bei denen die Problematik besonders zutage tritt, zu diesem Zeitpunkt schon für eine Neugliederung einsetzten77. Der Vorschlag könnte nun dahin gedeutet werden, daß sich in der Formulierung der bloßen Möglichkeit die Neugliederungsgegner durchgesetzt haben, die für den Fall einer aufgrund einer zwingenden Formulierung durchgeführten erfolgreichen Neugliederung einen Präzedenzfall in der Gegenwart befürchteten mit weitreichenden 69
Vgl. BVerfGE 1, 14 (48); Fell, Plebiszitäre Einrichtungen im gegenwärtigen deutschen Staatsrecht, 1964, S. 131. 70 Siehe auch oben 1. Kapitel B.I. 71 GVK-Drs. Nr. 2:„Im Bewußtsein der historischen und auch durch über 40-jährige politische Trennung nicht beseitigten Verbundenheit Brandenburgs und Berlins sowie aus der Erkenntnis der notwendigen Entwicklung des nicht trennbaren gemeinsamen Wirtschafts-, Sozialund Kulturraumes, aber auch hinsichtlich der auf die gesamte Region zukommenden Anforderungen, die der künftige Regierungs- und Parlamentssitz Berlin mit sich bringen wird, sprechen sich die betroffenen Länder Brandenburg und Berlin gemeinsam dafür aus, eine besondere Option für einen vereinfachten Zusammenschluß ihrer Länder in das Grundgesetz aufzunehmen". 72 Bericht der Kommission Verfassungsreform des Bundesrates, BR-Drs. 360/92 S. 16, Rn.96. 73 Vgl. oben 1. Kapitel A.II. l.a). 74 Greulich, Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S. 158. 75 Mestern (StRat HH), Hamburgs Chance als zentraler Ort Norddeutschlands, in: Loccumer Protokolle 3/1968, S.51 (62f.). 76 Stoltenberg (MinPräs. SH), Schleswig-Holstein ist ein gesundes Land, in: Neugliederung des Bundesgebietes, Im Vorfeld der Entscheidung, 1973, S.34 (37). 77 Bull (Min. SH), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 12; Voscherau (Vorsitzender und Erster BM HH), ebda, S. 14. - Schleswig-Holsteins nunmehr amtierende Ministerpräsidentin Heide-Simonis hat sich allerdings inzwischen gegen eine derartige Neugliederung ausgesprochen.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Folgen für ihr eigenes Land. Aus der Vergangenheit ist das Mühsal einer Neugliederung hinlänglich bekannt78, so daß eine optimale Absicherung durch zwingende Vorschrift angebracht gewesen wäre. Diese politikwissenschaftlichen Aspekte sind hier indes nicht weiter zu vertiefen. Aus rechtshistorischer Sicht ist der Unterschied unschwer zu erklären: Berlin und Brandenburg gaben Art. 118 a GG in der Verfassungskommission des Bundesrates sowie der Gemeinsamen Verfassungskommission mit ihren Anträgen inhaltlich vor. Vor der Eingabe dieser Anträge gab es zweifellos auch eingehende Beratungen mit dem Bund sowie den übrigen Ländervertretern 79. Diese konnten daher in den Verhandlungen der Kommissionen hinsichtlich Art. 118 a GG Zurückhaltung üben. Die Anträge waren aber vor allem von vornherein von dem Neugliederungswillen der Länder Berlin und Brandenburg getragen. Eine Verpflichtung zur Neugliederung in das Grundgesetz zu schreiben, wäre daher verfehlt gewesen. Es konnte auch nicht erwartet werden, daß Berlin und Brandenburg selbst ihre eigene grundgesetzliche Neugliederungsverpflichtung anregen. Zu groß sind zukünftige politische Unwägbarkeiten, als daß die Erfüllung einer solchen Verpflichtung gesichert sein könnte. Zudem ist die Üblichkeit einer Verpflichtungsbestimmung im Grundgesetz fraglich. Das gilt um so mehr, als der Verfassungsgeber die einzige Verpflichtung im Grundgesetz, die ursprüngliche Neugliederungsverpflichtung des Art. 291 GG (1949) erst 1976 aufgehoben hat80. Was aber hat den Verfassungsgeber dazu veranlaßt, in Art. 118 a GG die Beteiligung der Bevölkerung - anders als in Art. 118 S. 1 GG - vorzusehen? Als erstes fallen die historischen Zusammenhänge auf: A m 22. April 1992 trat mit der Brandenburger Verfassung ihr Art. 116 in Kraft, der für die Neugliederung mit Berlin eine Volksabstimmung vorsieht 81. Eine grundgesetzliche Klarstellung ihrer Zulässigkeit, die mit dem am 27. Oktober 1994 zwei Jahre nach Bestehen des Art. 116 BbgVerf. (1992) in das Grundgesetz aufgenommenen Art. 118 a GG vorgenommen wurde, lag nahe. Überdies gab es ein gesellschaftliches Verlangen, plebiszitäre Elemente zu stärken. So ging etwa der sächsische Staatsminister Heitmann in der Gemeinsamen Verfassungskommission von dem Bedürfnis aus, die Bevölkerung in Fragen, die sie selbst betreffen, unmittelbar einzubinden, um dadurch die demokratische Legitimität zu erhöhen 82. Vor allem jedoch sollte mit der gewählten Formulierung den Ländern Berlin und Brandenburg die Art und Weise der Bervölkerungsbeteiligung selbst an die Hand gegeben und sie von den strengen Anforderungen - insbesondere mit Blick auf das Quorum - des Art. 29 V I I I GG freigestellt werden 83 . 78
Siehe oben 1. Kapitel A.II., E.II. 1. Zu den demokratietheoretischen Aspekten eines solchen Vorgehens vgl. 1. Kapitel Fn. 94. 80 Siehe oben 1. Kapitel A.II.3. 81 Dazu sogleich 2. Kapitel A.III. 1. 82 Vgl. die Diskussion in der GVK: Heitmann (StMin. Sachsen), GVK-StenBer., 19. Sitzg v. 25.3.1993, S. 11; Klein (Abg. CDU/CSU Br.), ebda, S. 15 ff. Dieser Aspekt begegnet jedoch dem verfassungspraktischen Bedenken, daß die Bevölkerung eher dahin tendiert, am Bestehenden, Bekannten festzuhalten, als sich für die die Situation verbessernden Innovationen zu entscheiden, vgl. etwa auch den negativen Volksentscheid am 2.6.1992 in Dänemark zur Frage des EU-Beitrittes, s. a. „Nüchterne, Ja"-Voten für Europa, in: Zeitschrift für Direkte Demokratie 40/98, S. 17. 83 Vgl. Asmussen/Eggeling; Empfehlungen des Bundesrates zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland und Europa, in: VwArch. 84 (1993), S.230 (253); Sannwald, Die Reform des 79
Α. Verfassungsrechtliche Grundlagen
173
I I I . Ermächtigungen für die Fusion in den Landesverfassungen Für die Neugliederung von Berlin und Brandenburg haben beide Länder ihre Verfassungen um Neugliederungsermächtigungen ergänzt84, die zugleich Anforderungen an eine Neugliederung stellen. Die Vorschriften bringen keine besonderen Schwierigkeiten mit sich. Sowohl die Verfassung von Berlin (Art. 97 II) als auch die Brandenburger Verfassung (Art. 116 S. 2) bestimmen, daß ein Neugliederungs vertrag jeweils der Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit in den Parlamenten sowie der Zustimmung durch Volksabstimmung nach Maßgabe des Neugliederungs-Vertrages bedarf. Maßgeblich für die Wirksamkeit eines Staatsvertrages ist grundsätzlich seine parlamentarische Zustimmung. Diese ist in der Regel als einfache Mehrheit erforderlich, aber auch ausreichend85. Ein Neugliederungsvertrag jedoch hat verfassungsändernden - und weiter: Verfassungsauflösenden - Charakter, so daß sich das Erfordernis einer Mehrheit von zwei Dritteln der Parlamente ergibt86. Die Verfassungsbestimmungen bewirken eine doppelte parlamentarische Zweidrittelmehrheit für die Neugliederung: einmal über die Verfassungsnorm selbst und sodann für den konkret ausgehandelten Neugliederungsvertrag. Mit Hinblick auf die hohe Bedeutung des Vorhabens ist der Legitimationsaufwand angemessen und versichert die verhandelnden Regierungen von Anfang an der grundsätzlichen, landesverfassungsrechtlichen Zustimmung. Auch beschwichtigt eine landesverfassungsrechtliche Bestimmung an der Zulässigkeit einer Neugliederung zweifelnde Stimmen und ist als Politikum der öffentlichen Diskussion dienlich. Mit dem Erfordernis des Volksentscheides „nach Maßgabe" eines Neugliederungsvertrages in Art. 97 Π VvB, Art. 116 S. 2 BbgVerf. soll die entsprechende vertragliche Bestimmung landesverfassungsrechtlich abgesichert werden. Im Zusammenspiel mit Art. 118 a GG indes kommt den Regelungen im wesentlichen deklaratorische Bedeutung zu. Bereits der als Bundesrecht gemäß Art. 31 GG den landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen vorgehende Art. 118 a GG verlangt für den Fall der Neugliederung durch Ländervereinbarung zwingend die Beteiligung der Abstimmungsberechtigten. Besondere Anforderungen, die über Art. 118 a GG hinausgehen, sehen die Landesverfassungen nicht vor, erteilen jedoch einem Neugliederungsvertrag auf landesverfassungsrechtlicher Ebene die Zustimmung, die Volksentscheide ad libitum zu regeln. Grundgesetzes, in: NJW 1994, S.3313 (3315). - Mit der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung der aufgrund des Gebotes der Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit zwingend erforderlichen Volksabstimmung (siehe oben 1. Kapitel B.III. 1.) war ihre Aufnahme in Art. 118 a GG überdies selbstverständlich und blieb mit ihrer Formulierung der bloßen „Beteiligung" hinter dem grundgesetzlich Erforderlichen noch zurück. 84 Art.97 VvB; Art. 115, 116 BbgVerf. 85 Siehe oben 1. Kapitel D.II. 86 Für Verfassungsänderungen verlangen Art. 100 S. 1 VvB, Art. 79 S. 2 BbgVerf. jeweils eine Mehrheit von zwei Dritteln der Parlamentsmitglieder.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Unbeschadet dieser sowohl für Art. 97 VvB als auch für Art. 116 BbgVerf. geltenden Ausführungen, finden sich aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Entstehung sowie des unterschiedlichen geschichtlichen Umfeldes beider Vorschriften in Einzelpunkten abweichende Bestimmungen und Regelungsdichten.
1. Regelung in der Brandenburger Verfassung, Art. 116 BbgVerf. Vorreiter der landesverfassungsrechtlichen Regelungen war die Brandenburger Verfassung. Die vom Landtag Brandenburg am 14. April 1992 nach mehr als einjähriger Diskussion87 verabschiedete und von der Brandenburger Bevölkerung am 14. Juni 1992 angenommene Verfassung des Landes Brandenburg88 sah mit Art. 116 S. 1 BbgVerf. 89 von vornherein eine Ermächtigung zur Zusammenlegung der Länder Berlin und Brandenburg durch Neugliederung vor beziehungsweise ging selbstredend von ihr aus: „Für den Fall, daß das Grundgesetz" die Neugliederung beider Länder durch Vereinbarung zuläßt, „ist der Landtag [...] zu beteiligen." Die Ermächtigung selbst wird zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Sie bildet jedoch Grundlage der Verfahrensvorschrift, die ohne sie bedeutungslos wäre. In dieser ursprünglichen Fassung knüpfte Art. 116 BbgVerf. die Ermächtigung an die aufschiebende Bedingung der erfolgreichen Grundgesetzänderung beziehungsweise -ergänzung. Diese Konstruktion geht auf die Ungewißheit des Ausganges der Diskussion um die Einführung des Art. 118 a in das Grundgesetz zurück. Auch wenn die verfassungsrechtliche Bestimmung der ausdrücklichen aufschiebenden Bedingung etwas ungewöhnlich anmutet, wäre sie doch unschädlich gewesen und hätte der die Neugliederung aushandelnden Regierung eine ausreichende Befugnis zur Seite gestellt. Mit dem Gesetz zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin 90 - zu einem Zeitpunkt also, an dem Art. 118 a GG bereits in das Grundgesetz eingefügt war - besserte der Landesverfassungsgeber jedoch Art. 116 S. 1 BbgVerf. nach und nahm diese Formulierung aus Art. 116 S. 1 BbgVerf. heraus91. 87 Vgl. § 4 Gesetz zur Erarbeitung einer Verfassung für das Land Brandenburg v. 13.12.1990 (GVB1. 1991 S.26) i.d.F. v. 29.10.1991 (GVB1. 1991 S.500). 88 GVB1. Bbg I S. 122ff.; verkündet am 20.8.1992 (GVB1. Bbg I S. 298ff.). 89 Art. 116 BbgVerf. (1992): „(Neugliederung des Raumes Brandenburg-Berlin) Für den Fall, daß das Grundgesetz eine Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin durch Vereinbarung ermöglicht, ist der Landtag frühzeitig an der Gestaltung der Vereinbarung zu beteiligen. Diese bedarf zu ihrer Ratifizierung der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages sowie eines Volksentscheides, in dem die Mehrheit der Abstimmenden der Vereinigung zugestimmt hat." 90 Art. 2 Nr. 3 des Gesetz zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin (Neugliederungsvertragsgesetz - NVG) v. 27.6.1995 (GVB1.I S. 150). 91 Art. 116 BbgVerf. (1995): „(Neugliederung des Raumes Brandenburg-Berlin) (1) An der Gestaltung einer Vereinbarung zur Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin ist der Landtag frühzeitig und umfassend zu beteiligen. Die Vereinbarung bedarf zu ihrer Ratifizie-
Α. Verfassungsrechtliche Grundlagen
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Zugleich ergänzte er Art. 116 BbgVerf. um einen Absatz 2, wonach ein Neugliederungsvertrag für die Übergangszeit von seinem Inkrafttreten bis zur Bildung des gemeinsamen Landes Befugnisse des Landtages und der Landesregierung auf gemeinsame Gremien und Ausschüsse der Länder Berlin und Brandenburg übertragen kann. Allerdings ist diese Ergänzung nicht zwingend. Art. 116 I I BbgVerf. soll die Übertragung von Hoheitsrechten auf bestimmte Gremien verfassungsrechtlich legitimieren. Im Rahmen einer Neugliederung erfolgt diese Legitimierung jedoch bereits über ihre grundsätzliche Ermächtigung. Diese ist umfassend und aufgrund der mit einer Neugliederung verbundenen Übergangssituation auch bezüglich der Delegation von Befugnissen auf gemeinsame Gremien beider Länder im Rahmen einer Neugliederung weitreichend92. Entsprechend den Schwierigkeiten einer Neugliederung, die sich fallspezifisch je nach dem gewählten Vorgehen und der jeweiligen Fallkonstellation unterschiedlich gestalten können, sind an eine Neugliederungsermächtigung keine hohen inhaltlichen Anforderungen zu stellen. Dementsprechend ist auch Art. 116 Π BbgVerf. erst aus der Diskussion um den Neugliederungs-Vertrag erwachsen und war zuvor nicht absehbar. Die Meßlatte an eine Neugliederungsermächtigung ist auch aus dem Aspekt nicht allzu hoch zu hängen, daß ein Neugliederungsvertrag selbst legitimatorisch Verfassungsrang hat, da er einer verfassungsändernden parlamentarischen Zweidrittelmehrheit sowie eines Volksentscheides bedarf 93. Art. 116 I I BbgVerf. konkretisiert daher klarstellend die Ermächtigung des Art. 1161 S. 1 BbgVerf., ist für die Konformität des Neugliederungs-Vertrages mit der Landesverfassung jedoch nicht erforderlich. Er unterbreitet der einen Neugliederungsvertrag aushandelnden Regierung Möglichkeiten des Neugliederungsverfahrens und erleichtert ihr mit seiner Klarstellung die Regelung entsprechender Gremien. Mit Blick auf den konkreten Neugliederungs-Vertrag allerdings ist er wegen der zeitlichen Überschneidung wenig hilfreich. Allein für zukünftige Neugliederungsversuche entfaltet er seine konkretisierende Wirkung. Von größerer Bedeutung hingegen ist das in Art. 116 S. 1 BbgVerf. vorgesehene Verfahren, das Parlament „frühzeitig an der Gestaltung der Vereinbarung zu beteiligen." Diese ursprüngliche Formulierung erweiterte Art. 1 Nr. 3 NVG noch dahin, daß das Parlament frühzeitig „und umfassend" zu beteiligen ist. Mit Blick auf die DDRVergangenheit und die soeben erst erworbene parlamentarische Demokratie war den Schöpfern des Art. 116 BbgVerf. daran gelegen, das Parlament sicher in die Neugliederungs-Vertragsverhandlungen einzubinden. Es war den Befürchtungen zu berung der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages sowie der Zustimmung in einem Volksentscheid nach Maßgabe der Vereinbarung. (2) Die Vereinbarung nach Absatz 1 kann vorsehen, daß von ihrem Inkrafttreten an bis zur Bildung des gemeinsamen Landes Befugnisse des Landtages und der Landesregierung auf gemeinsame Gremien und Ausschüsse der Länder Brandenburg und Berlin übertragen werden." 92 Vgl. oben 1. Kapitel C.I. 93 Siehe im einzelnen oben 1. Kapitel B.III, l.b).
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
gegnen, daß die Regierungen den Vertrag ohne Mitwirkung des Parlamentes aushandeln und diesem lediglich am Ende die Möglichkeit der Zustimmung oder der Ablehnung verbleibt. Der mit dem herkömmlichen Vorgehen des Aushandelns von Staatsverträgen in Verbindung gebrachte „Demokratieverlust"94 sollte von vornherein, wenn nicht unterbunden, so doch auf ein notwendiges Minimum reduziert werden. Art. 116 S. 1 BbgVerf. verpflichtet daher die verhandlungsführende Regierung generell, von sich aus aktiv das Parlament in die inhaltliche Gestaltung des Vertrages einzubinden. Die nachträgliche Erweiterung ist jedoch wegen des Zeitpunktes ihrer Vornahme für den Neugliederungs-Vertrag selbst ohne Belang und vermag sich allein auf zukünftige Neugliederungsversuche mit Berlin auszuwirken: Sie erfolgte am 27. Juni 1995 zeitgleich mit der Veröffentlichung des Neugliederungs-Vertrages, nachdem die beiden Länderparlamente diesem bereits zugestimmt hatten95. Aufgrund der Quorumsregelung im Neugliederungs-Vertrag 96 wurde zudem das ursprünglich vorgesehene Erfordernis der mehrheitlichen Zustimmung der Bevölkerung mit Art. 2 Nr. 3 NVG dahin geändert, daß nunmehr die Zustimmung der Bevölkerung generell nach Maßgabe des die Neugliederung regelnden Staatsvertrages erforderlich ist97. Eine landesverfassungsrechtliche Vorgabe besteht nicht mehr. 2. Ergänzung der Verfassung von Berlin, Art. 97 VvB Im Gegensatz zu der in Brandenburg gefundenen Regelung legte Art. 97 VvB 98 von Anfang an durch seine Genauigkeit in der Beschreibung der einzelnen Ermächtigungen präzise Vorgaben fest. Klar strukturiert bestimmt Art. 971 VvB, daß das Land Berlin mit dem Land Brandenburg ein gemeinsames Land bilden kann. Die Ermächtigung wird direkt ausgesprochen. Erfolgt die Neugliederung über einen Staatsvertrag, regelt Art. 97 I I VvB die Wirksamkeitsvoraussetzungen - Zweidrittel94
Hierzu kritisch oben 1. Kapitel E.5. Vgl. GVB1.I S. 150. 96 Siehe hierzu unten 2. Kapitel E. I. 97 GVB1.I S. 150. 98 Art. 97 VvB: „(1) Das Land Berlin kann ein gemeinsames Land mit dem Land Brandenburg bilden. (2) Ein Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes bedarf der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie der Zustimmung durch Volksabstimmung nach Maßgabe dieses Staatsvertrages. (3) Der Staatsvertrag kann vorsehen, daß - einzelne Befugnisse des Abgeordnetenhauses und des Senats auf gemeinsame Ausschüsse und Gremien der beiden Länder übertragen werden, - die Wahlperiode des Abgeordnetenhauses und die Amtszeit des Senats mit der Bildung des gemeinsamen Landes enden. (4) Die Rechte des Abgeordnetenhauses bleiben unberührt. (5) Das Nähere zur Regelung der Volksabstimmung bestimmt ein Staatsvertrag." 95
Α. Verfassungsrechtliche Grundlagen
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mehrheit im Parlament sowie Volksentscheid nach Maßgabe des Vertrages. Die Wirksamkeitsvoraussetzungen an einen Neugliederungsvertrag in Art. 97 I I VvB gelten - wie in der Brandenburger Verfassung - selbstredend nur dann, wenn die Neugliederung auf diesem Wege erfolgt, d.h. das Grundgesetz ihn zuläßt. Als Ursache für die unterschiedlichen Bestimmungen kann einmal der Vorläufercharakter des Art. 116 BbgVerf. angenommen werden. Mit ihm stand Art. 971, Π VvB bereits eine weiterentwicklungsfähige Vorlage zur Verfügung. Das führt zu der zweiten Ursache, die darauf zurückzuführen ist, daß die Berliner Regelung gegenüber ihrem brandenburgischen Pendant vollständig erst zu einem Zeitpunkt in die Verfassung eingefügt wurde, als die einzelnen für den am 27. April 1995 unterzeichneten Neugliederungs-Vertrag 99 erforderlichen Befugnisse hinlänglich bekannt waren: Am 29. April 1995 legte der Senat dem Abgeordnetenhaus zur Beschlußfassung den Entwurf eines verfassungsändernden Gesetzes100 vor, worauf in die Verfassung von Berlin mit Art. 85 a die Ermächtigung zur Bildung des gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg eingefügt wurde 101. Aus redaktionellen Gründen fand die Bestimmung in der neuen Verfassung von Berlin schließlich Eingang in Art. 97 VvB. Diese wurde den Berlinern gleichzeitig mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 22. Oktober 1995 zur Abstimmung vorgelegt und von ihnen angenommen102. Zuvor hatte das Abgeordnetenhaus von Berlin am 8. Juni 1995, d. h. zwei Wochen, bevor sie über den Neugliederungs-Vertrag abgestimmt hat, der neuen Verfassung zugestimmt103. Vor diesem Hinteigrund erklären sich wie bei Art. 116 II BbgVerf. 104 die weiteren Konkretisierungen des Art. 97 III—V VvB. Auch wenn seine Bestimmungen an einigen Stellen über die des Art. 116 II BbgVerf. hinausgehen, kann auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden, die entsprechend gelten. Wie dieser konkretisiert auch Art. 97III-V VvB nur klarstellend die Ermächtigung des Art. 971 VvB in einigen Punkten.
Damit hat auch Berlin eine landesverfassungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen, um die Probleme einer Neugliederung - auch noch nach einem ersten Scheitern - umfassend anzugehen.
99
Vgl. Senatskanzlei Berlin, Vorblatt zu AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.I.; GVB1.490. Entwurf des 30. Gesetzes zur Änderung der Verfassung von Berlin, AbgH v. Bin, Drs. 12/5520. 101 29. Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin, v. 8.6.1995 (GVB1. S. 329). 102 Zu den Ergebnissen im einzelnen siehe die Bekanntmachung über das Eigebnis der Volksabstimmung über die überarbeitete Verfassung von Berlin am 22.10.1995 (GVB1. S. 719). - Die Verfassung von Berlin wurde am 23.11.1995 veikündet (GVB1. S. 779). 103 Vgl. Beschluß des AbgH v. Bin über die überarbeitete Verfassung von Berlin (GVB1. S.421). 104 Siehe oben 2. Kapitel A.III. 1. 100
12 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
B. Aufbau des Vertragswerkes: Protokollnotizen, Briefwechsel, Organisationsstatut, Wahlgesetz, Abstimmungsvertrag Berlin und Brandenburg vereinbarten schon frühzeitig in den Eckpunkten der Gemeinsamen Regierungskommission die wesentlichen Verfahrensschritte und Vertragsinhalte105. Nur die grundlegenden Bestimmungen sollten in den Neugliederungs· Vertrag aufgenommen werden: „Es bestand bei den Regierungen Einvernehmen darüber, daß Regelungen in drei Bereichen erforderlich seien: - wo Instrumente und Verfahren vereinbart werden müssen, um das gemeinsame Land zu schaffen, - wo Strukturen festgelegt werden müßten, um die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Landes sicherzustellen und - da, wo ein Partner elementare Interessen absichern will." 106 Es sollten nicht sämtliche Verfassungsfragen, die nicht vereinigungsspezifisch sind, geregelt werden107. Im einzelnen hielten die Regierungen daher folgende Materien für klärungsbedürftig: Unumkehrbarkeit der Entscheidung, Neugliederungszeitpunkt, erster Landtag, erste Regierung, Organisationsteil der neuen Verfassung, Grundzüge einer Kommunalverfassung, Grundzüge des kommunalen Finanzausgleichs, Garantien zum Bestand von Berlin, Grundzüge der Finanzbeziehungen, Verfahren der Rechtsvereinheitlichung, gegenseitige Verpflichtungen, Vorgehen bei Durchführungsvereinbarungen, Streitentscheidungsmechanismen sowie die Volksabstimmung über den Neugliederungs-Vertrag 108. Der Vertrag sollte damit also doch nicht nur das für die Neugliederung absolut Notwendige regeln. Vielmehr war er aufgrund der Absicherung der elementaren Interessen beider Länder in seinem Konzept inhaltlich zu einer „Überverfassung" des gemeinsamen Landes erwachsen. Er beinhaltet zu allen Bereichen wenigstens Grundsatzregelungen, 103
Bericht der GRK zur Klärung von Eckpunkten für die Vereinigung der Länder Berlin und Brandenburg, Stand 5.12.1992 (folgend zit.: Bericht der GRK), Teil IV - Eckpunkte, AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S. lOf. 106 Rüß, Neugliederung der Region Berlin-Brandenburg, in: LKV 1995, S. 337 (338); Einzelbegründung zu Kapitel II. NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.5. 107 Einzelbegründung zu Kapitel II. NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 5. - Aber auch sprachlich ist der Neugliederungs-Vertrag um Einfachheit und Klarheit bemüht: Art. 59 NV stellt aus Gründen der Gleichberechtigung klar, daß die im Neugliederungs-Vertrag verwendeten Funktions-, Status- und andere Bezeichnungen für Frauen wie für Männer gelten und „dementsprechend in weiblicher oder männlicher Form geführt werden können" (vgl. Einzelbegründung zu Art. 58 NV, ebda, S. 20). Art. 59 NV war zunächst nicht im Vertragswerk enthalten und wurde erst nach dem 2. April 1995 eingefügt, vgl. Entwurf zum Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungs-Vertrag), Stand: 2.4.995, S. 24, sowie Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 2 mit dem Neugliederungs-Vertrag, in seiner von den Landesparlamenten am 22.6.1995 abgestimmten Fassung. Gegenüber juristischen Texten, die durchgehend männliche und weibliche Formen benutzen, zeichnet sich die Lösung des Art. 59 NV durch die dadurch gewonnene Übersichtlichkeit, Lesbarkeit und Verständlichkeit des Regelungstextes aus. 108 Bericht der GRK, Teil IV - Eckpunkte, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. lOf.
Β. Aufbau des Vertragsweikes
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die nicht immer unbedingt erforderlich sind. An diesen Stellen kommt dem Vertragswerk Klarstellungsfunktion zu, die aus den Unsicherheiten beider Vertragsparteien herrühren. Auf beiden Seiten bestand die tiefe Besorgnis, von dem Vertragspartner übervorteilt zu werden109. Die Skepsis Brandenburgs gegenüber Berlin kann sicherlich bis zu einem gewissen Grad auf die damalige, auf Unsicherheit beruhende Unerfahrenheit der Brandenburger Parlamentarier 110 sowie die DDR-Vergangenheitserfahrungen mit Berlin zurückgeführt werden111. Allerdings zeigt die Kontroverse über den Ablauf der Verhandlungen112, daß die Neugliederungszweifler nicht bloß aus Unsicherheit heraus argumentiert haben. Insoweit sind in beiden Ländern parteipolitische Aspekte, etwa der Profilierung, nicht zu unterschätzen. Hintergrund für die jeweiligen Regelungen ist dementsprechend weniger eine rechtliche Funktion als vielmehr die politische Intention, Skeptiker zu beschwichtigen, indem ein möglichst konkretes Bild von den Strukturen des gemeinsamen Landes gezeichnet wird, das auf die maßgeblichen Interessen aller Betroffenen eingeht. Zugleich galt es, sich nicht unnötig in Einzelheiten zu verlieren. Die weiteren Details ohne verfassungsändernden Charakter sollte der Neugliederungs-Vertrag Folgeverträgen überlassen113. Diese zugrunde liegende Konzeption verwirklicht das Vertrags werk im wesentlichen dadurch, daß es sich unterschiedlicher Regelungsebenen bedient. Entsprechend ihrer Regelungsdichte kommen den einzelnen Materien unterschiedliche Gewichtungen zu 114 . Der Neugliederungs-Vertrag wird über die in Artikel gefaßten Bestimmungen sowie seine Präambel unmittelbar ergänzt durch die Protokollnotizen, den Briefwechsel zur Braunkohle, das als Anhang 1 beigefügte Organisationsstatut, das als Anhang 2 beigefügte Wahlgesetz sowie den Staatsvertrag zur Abstimmung über den Neugliederungs-Vertrag. Diese Differenzierungen weifen die Frage nach ihrem gegenseitigen Verhältnis sowie ihrer rechtlichen Bedeutung auf: 109 Vgl. Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.28; ferner für Brandenburg etwa Vietze (MdL Bbg), Diskussionsbeitrag, in: Beteiligung der Länderparlamente an Staatsverträgen, in: Schriften des Landtages Brandenburg 2 (1995), S. 20
(22).
uo Vgl. etwa Knoblich (LT-Präs. Bbg), Diskussionsbeitrag, in: Beteiligung der Länderparlamente an Staatsverträgen, in: Schriften des Landtages Brandenburg 2 (1995), S.46f. 111 Ein Grund war sicherlich das unausgewogene Berlin-Umland-Verhältnis in der DDR, das zur Benachteiligung aller Gebietsteile gegenüber Berlin geführt hatte und dessen Erinnerung die Betreffenden gegen den Vertragspartner Berlin skeptisch sein ließ. 112 Vgl. Vietze (MdL Bbg), Diskussionsbeitrag, in: Beteiligung der Länderparlamente an Staatsverträgen, in: Schriften des Landtages Brandenbuig 2 (1995), S.37ff.; Franck (MdL Bbg), Diskussionsbeitrag, ebda, S.39ff. 1,3 Bericht der GRK, Teil IV - Eckpunkte, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. lOf. 114 Schon während der Vertragsverhandlungen kristallisierten sich insbesondere in der Öffentlichkeit vier Schwerpunkte heraus: Sitz der Landeshauptstadt, Finanzfragen, Personalfragen und Bedeutung des Oiganisationsstatutes, vgl. die regelmäßigen Auseinandersetzungen mit der Thematik in diesem Zeitraum in den lokalen Tageszeitungen (Berlin: Berliner Moigenpost, BZ, Berliner Zeitung, Tagesspiegel, Tageszeitung; Brandenburg: Märkische Allgemeine).
12*
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
In der Präambel sind allgemeine Ziele, Erkenntnisse und Willensbekundungen der Vertragsparteien sowie konkrete Staatszielbestimmungen aufgeführt 115. Als Präambel sind sie unmittelbarer Vertragsinhalt. Ihre wesentliche rechtliche Bedeutung kommt ihnen typischerweise als verbindliche Auslegungshilfe des Vertrages zu 116 . Die Inhalte der Präambel erhalten ihre besondere Bedeutung dadurch, daß sie gemäß Art. 58 Π S. 1 NV unter die sogenannte VersteinerungsWirkung 117 fallen und Änderungen damit unzulässig sind. Als Vertragsbestandteil ist die Präambel ferner gemäß Art. 81S. 2 NV Grundlage für die gemeinsame Verfassung des gemeinsamen Landes. Für die Protokollnotizen stellt sich die Frage, ob sie Vertragscharakter haben oder ob sie lediglich als verbindliche Erklärungen zu einer Vertragsauslegung heranzuziehen sind. Räumlich sind sie dem Anhang des Neugliederungs-Vertrages vorgelagert. Auch inhaltlich sind sie unmittelbarer Vertragsgegenstand. Durch entsprechende Hinweise in dem Vertragstext sind sie mit dem Vertrag in einer Weise verflochten, daß sie Vertragscharakter erhalten haben: Sie haben die Funktion, in erläuternder Weise die Vertragsbestimmungen verbindlich zu konkretisieren. Dementsprechend nimmt der Vertrag an den jeweiligen Stellen im Vertragstext unmittelbar auf sie Bezug und bindet sie inhaltlich in die einzelnen Vertragsbestimmungen ein. Entsprechendes gilt für den Briefwechsel zur Braunkohle als akzessorisches Dokument. Er ist ebenfalls verbindlicher Bestandteil des Neugliederungs-Vertrages und konkretisiert die planungsrechtliche Vorschrift des Art. 26 Π NV. Als solcher steht er gleichwertig neben den übrigen Vertragsbestimmungen. 113
Die ersten sieben Halbsätze der Präambel befassen sich ausführlich mit der umfassenden geschichtlichen Verantwortung Deutschlands und des gemeinsamen Landes gegenüber den Nachbarstaaten und der internationalen Bündnis- und Staatengemeinschaft. Absatz 9 listet ausdrücklich folgende Staatszielbestimmungen auf: gleichwertige Lebensbedingungen in allen Landesteilen den gemeinsamen Landes zu schaffen insbesondere durch die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen (l.TS), einen hohen Beschäftigungsstand (2.TS), Wirtschaftswachstum (3. TS), ausreichenden Wohnraum (4. TS), öffentliche und soziale Sicherheit (5. TS), gleichen Zugang zu den Bildungseinrichtungen (6. TS) sowie der Förderung der Berlin-Brandenburger Kultur- und Wissenschaftslandschaft (7. TS). Die Begründung zum Neugliederungsvertrag deutet dabei einige der allgemeinen, präambulatorisch verfaßten Erkenntnisse und Willensbekundungen ebenfalls als Staatszielbestimmungen: die Erkenntnis, daß das gemeinsame Land eine für die Wohlfahrt seiner Bürger vorteilhafte Region in Europa ist (Abs. 8), den Willen, im gemeinsamen Land den Bürgern eine Verfassung zu geben, die ihnen gerechte und wirksame Teilhabe am politischen und kulturellen Leben sichert (Abs. 10) sowie die Entschlossenheit, im gemeinsamen Land eine schlanke und bürgemahe Verwaltung einzurichten (Abs. 11), vgl. Zusammenfassung und Begründung zum Neugliederungs-Vertrag, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S.2 f. Eine saubere inhaltlich-funktionale Differenzierung und Definition der präambulatorischen Bestimmungen ist daher nur schwer möglich. ne vgl etwa zu der Präambel des Grundgesetzes Badura, Staatsrecht, 1996, Β Rn. 2; Maunz, in: MDHS, GG-K, Präambel Rn. 7, 11; auch wenn die rechtliche Grundlage von Grundgesetz und Neugliederungs-Vertrag nicht übereinstimmen, ändert dies nichts an der generellen Aufgabe einer Präambel, wie sie sowohl von der grundgesetzlichen Präambel als auch von der des Neugliederungs-Vertrages wahrgenommen wird. 117
Zusammenfassung und Begründung zum Neugliederungs-Vertrag, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S.2.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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Auch das Organisationsstatut für das gemeinsame Land ist als Anhang 1 verbindlicher Bestandteil des Neugliederungs-Vertrages. Überdies wird es über den Verweis des Art. 91 Nr. 2 N V inhaltlich unmittelbar in den Neugliederungs-Vertrag integriert. Sein Inkrafttreten richtet sich nach den für das Inkrafttreten des Vertrages gültigen Regeln. Gleiches gilt für das als Anhang 2 mit dem Neugliederungs-Vertrag verbundene Wahlgesetz für die Wahl des ersten gemeinsamen Landtages. Zunächst mag die Wortwahl Wahlgesetz" irritieren: Schließlich handelt es sich um Vertragsbestimmungen. Da ein Wahlgesetz eine Materie der Gesetzgebung ist, kann sie zwischenstaatlich, aber wenn, dann nur durch Staatsvertrag geregelt werden 118 . M i t Blick auf Gültigkeitsvoraussetzungen eines Staatsvertrages lösen sich Irritationen auf: Sobald die Parlamente dem Vertrag zugestimmt haben, hat er Gesetzesrang. Das „Wahlgesetz" wird zum formellen und materiellen Gesetz. Die Ausführungen zum Wahlgesetz würden auch für ein entsprechendes Abstimmungsgesetz zum Neugliederungs-Vertrag gelten. Die Vertragsparteien haben jedoch die hierfür erforderlichen Bestimmungen gesondert in dem Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag niedergelegt. Das ist darauf zurückzuführen, daß der Neugliederungs-Vertrag bis zu seiner Billigung durch die Volksabstimmungen zunächst schwebend unwirksam ist. Die für diese Volksentscheide erforderlichen Regelungen haben beide Länder daher in einen Staatsvertrag ausgelagert, der unabhängig von dem Neugliederungs-Vertrag vor ihm in Kraft tritt. Das Inkrafttreten dieses Staatsvertrages war Voraussetzung der Abstimmung über den Neugliederungs-Vertrag. Die rechtliche Bedeutung der weiteren den Neugliederungs-Vertrag konkretisierenden Staatsverträge, wie etwa der Landesplanungsvertrag, ergibt sich unproblematisch aus ihrer Rechtsnatur als Staatsvertrag. Sie stehen weder in dem unmittelbaren räumlichen noch zeitlichen Bezug wie die vorbenannten Regelungswerke. Inhaltlich nutzt der Neugliederungs-Vertrag, etwa in Art. 26 III, die Verweisungstechnik, um sie in das Vertragswerk einzubinden. Es handelt sich um die aus dem Neugliederungs-Vertrag ausgegliederten Konkretisierungen.
C. Funktionsweise der Neugliederung: Dreiphasiges Neugliederungsprocedere Anders als die Neugliederung zum Land Baden-Württemberg läßt sich das gesamte Neugliederungsprocedere zum Land Berlin-Brandenburg in drei Phasen einteilen 119 : die Verhandlungen des Neugliederungs-Vertrages sowie sein Inkrafttreten (I.), den die Fusion vorbereitenden Übergangszeitraum ab dem Zeitpunkt des 118
Vgl. oben 1. Kapitel D.I. Demgegenüber verlief die Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zweiphasig: in der ersten Phase erarbeitete der Bundestag das ZNG-BW, die zweite Phase befaßte sich sogleich mit dem Zusammenschluß der Länder. Ein Übergangszeitraum wie bei der Neugliederung Berlin-Brandenburg als zweite Phase, der die Länder auf die Neugliederung vorbereiten sollte, war nicht vorgesehen, s. a. oben 1. Kapitel D.IV.2. 119
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2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Inkrafttretens des Vertrages bis zu der Errichtung des gemeinsamen Landes (II.) sowie den Ablauf der Errichtung selbst (HL). Wahrend die erste Phase aus der Natur ihrer Sache weitgehend vorgegeben ist, hatten Berlin und Brandenburg bei der Gestaltung des Verfahrensablaufes und des Inhaltes der beiden letzten Phasen große Freiräume.
I. Verhandlung, Abschluß und Inkrafttreten des Neugliederungs-Vertrages Die Vertragsverhandlungen 120 zogen sich länger als geplant über einen Zeitraum von rund vier Jahren hin. Ab dem 26. April 1991 tagte der Gemeinsame Regierungsausschuß. Unter Beteiligung aller Mitglieder von Senat und Landesregierung setzte er am 20. Dezember 1991 die Gemeinsame Regierungskommission - GRK - ein, die die Eckpunkte einer Vereinigung klären sollte121. Diese tagte erstmals am 29. Februar 1992 und legte bereits am 5. Dezember 1992 ihren Abschlußbericht vor. Darin stellte sie einen Zeitplan vor, nach dem die Regierungen einen Vertragsentwurf im Herbst 1993 vorlegen und die Behandlung des Vertrages in den Landesparlamenten im Frühjahr 1994, die Volksabstimmung spätestens zum Herbst desselben Jahres und die Fusion bis Ende 1999 umzusetzen waren122. Als Resultat dieser Empfehlung stimmte der Berliner Senat am 12. Januar 1993123 und die Regierung von Brandenburg am 19. Januar 1993 der Neugliederungsempfehlung zu. Einen Monat darauf, am 18. Februar 1993, begannen die Verhandlungen und schon nach weiteren dreieinhalb Monaten, am 7. Juni 1993, legte der Berliner Senat die Arbeitsentwürfe der Kanzleien dem Abgeordnetenhaus zur Besprechung vor 124; in der Vorlage heißt es: „Der Senat - wie auch die Brandenburger Landesregierung - wollen, daß die Ländervereinigung von einer breiten Mehrheit getragen wird. Deshalb werden die Parlamente und die Öffentlichkeit in beiden Ländern gebeten, sich an der Meinungsbildung frühzeitig zu beteiligen. Es entspricht dem Gewicht der Entscheidung, daß beide Landesregierungen das Ergebnis der Diskussion in ihre Beschlußfassung über den Neugliederungs-Vertrag einbeziehen."125. Die öffentlichen wie nicht-öffentlichen Auseinandersetzungen über die Neugliederung führten jedoch dazu, daß die Kanzleien bereits mit zeitlichem Verzug am 8. Oktober 1993 - lediglich - einen ersten Zwischenbericht zum Verhandlungsstand vorlegen konnten126. Zu umfassend 120
Grundsätzliches zum Verfahren des Vertragsabschlusses siehe oben 1. Kapitel D. II. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 5. 122 Bericht der GRK, Teil II - Empfehlungen, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357, S . l l . - Überdies empfahl sie eine sofortige Intensivierung der Kooperationsbeziehungen zwischen Berlin und Brandenburg, ebda, S.5f. 123 AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 1. 124 AbgH v. Bln, Drs. 12/4522. >2* AbgH v.Bln, Drs. 12/4522. 126 In Berlin wurde der Zwischenbericht den zuständigen Ausschüssen des Abgeordnetenhauses vorgelegt, vgl. AbgH v.Bln, Drs. 12/5521. 121
C. Funktionsweise der Neugliederung
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waren die zu bewältigenden Aufgaben und zu widerstrebend die sich gegenübersitzenden Interessen, als daß die Kanzleien nach nur knapp acht Monaten eine abstimmungsfähige Vorlage eines Vertragsentwurfes den Parlamenten hätten vorlegen können. Daher folgten erst am 17. Juni 1994 Beschlüsse der Regierungen beider Länder zur Vorlage der Arbeitsentwürfe der Kanzleien für einen Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungs-Vertrag) und einen Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag, so daß es auch erst im Juni 1994 bis Anfang 1995127 Diskussionen über einen konkreten Arbeitsentwurf zum Neugliederungs-Vertrag in beiden Parlamenten und der Öffentlichkeit beider Länder gab. Der Berliner Senat und die Landesregierung Brandenburg nahmen nun die abschließenden Verhandlungen auf, die sie am 2. April 1995 abschlossen128. Der daraus resultierende Vertragsentwurf wurde wiederum den beiden Länderparlamenten vorgelegt129, worauf sich von neuem eine parlamentarische und öffentliche Diskussion über einzelne Vertragsbestimmungen entfachte, die zu teilweise nicht unerheblichen Modifizierungen des vorgelegten Entwurfes führte 130. Doch vermochten die Verhandlungsführer auch in diesen letzten Uneinigkeiten ein Einvernehmen zu erzielen: Am 27. April 1995 unterzeichneten der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen und Ministerpräsident Manfred Stolpe auf Schloß Glienicke den Neugliederungs· Vertrag 131. Ein Jahr später als der ursprüngliche Zeitplan vorgesehen hatte, stimmten am 22. Juni 1995 auch in beiden Landesparlamenten über die erforderliche Zweidrittelmehrheit hinausgehende Parlamentariermehrheiten 132 für den Neu127 In Berlin etwa endete die Erörterung der Arbeitsentwürfe ein Jahr später als geplant mit der Entschließung des Abgeordnetenhauses vom 9. Februar 1995, mit der der Senat aufgefordert wurde, „umgehend in die abschließenden Verhandlungen mit der Landesregierung Brandenburg einzutreten und den Neugliederungs-Vertrag dem Abgeordnetenhaus im ersten Halbjahr 1995 zur Ratifikation vorzulegen, wobei der Senat von Berlin bei den Verhandlungen die Beschlüsse der Ausschüsse und die Empfehlungen der Fraktionen des Abgeordnetenhauses berücksichtigen" sollte (AbgH v.Bln, Drs. 12/5298.). Dieser Gedankenaustausch zwischen Abgeordnetenhaus und Senat war darauf angelegt, von vornherein im Abgeordnetenhaus eine breite Mehrheit und damit die Ratifikation des Neugliederungs-Vertrages zu gewährleisten (zum Verfahren des Abschlusses eines Staatsvertrages vgl. oben 1. Kapitel D.H.). Wie schon die zeitlichen Verzögerungen verdeutlichen, sah sich die Neugliederung unerwarteten Widerständen ausgesetzt, die wegen der erforderlichen Zweidrittelmehrheit in den Parlamenten flächendeckend zu überwinden waren. 128 AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.IV. 129 Das Abgeordnetenhaus von Berlin etwa wurde am 4.4.1995 zunächst anhand der vorläufigen Zusammenfassung des Verhandlungsergebnisses und am 6.4.1995 anhand der im Hinblick auf die Rechtsförmlichkeit und die einzelnen Vertragsfristen übeiprüften und am selben Tage paraphierten Vertragsentwürfe unterrichtet, vgl. AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.IV. 130 Vgl. etwa unten 2. Kapitel D. II. 4.; IV. 3. 131 Vgl. AgbH v.Bln, Drs. 12/5521 S. 1; GVB1. Bin S.490. 132 Abstimmungsergebnis: AbgH v.Bln (241 Mitglieder): Ja: 188; Nein: 42; Enthaltungen: 2; LT Brandenburg: Ja: 64; Nein: 24; Enthaltungen: keine, vgl. Senatskanzlei Berlin, Voiblatt
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2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
gliederungs-Vertrag 133. Die Mühen der Verhandlungen und der aufreibenden Überzeugungsarbeit in den Parlamenten war von Erfolg gekrönt gewesen. Allerdings war mit der parlamentarischen Zustimmung zum NeugliederungsVertrag nur eine der beiden Voraussetzung seines Inkrafttretens erfüllt. Nach Art. 60 NV tritt der Neugliederungs-Vertrag am ersten Tag des auf den Austausch der Ratifikationsurkunden folgenden Monats in Kraft. Hierfür wäre nach Art. 31 S. 1 NV neben den Zweidrittelmehrheiten der beiden Länderparlamente zuvor die Zustimmung der Berliner und der Brandenburger Bevölkerung jeweils durch einen Volksentscheid erforderlich gewesen. Letztere blieb dem Neugliederungs-Vertrag verwehrt 134, so daß er keine rechtliche Wirksamkeit entfaltete.
I I . Übergangszeit: Kooperative Vorbereitung beider Länder durch Vereinigungskommission und Vereinigungsausschuß auf die Fusion verfassungsgemäß? Für den Fall der erfolgreichen Volksentscheide sah der Neugliederungs-Vertrag nach Art. 4-7 NV - neben einzelnen, Art. 51 NV konkretisierenden Spezialübergangsregelungen in den jeweiligen Regelungsmaterien135 - für eine Übergangszeit die Zusammenarbeit beider Länder vor, um Berlin und Brandenburg auf den eigentlichen Zusammenschluß vorzubereiten und sie zueinander neugliederungsfähig zu gestalten. Wegen der hohen Bedeutung dieser Vorbereitungen bestand nach Art. 51 S. 1 NV für die gesamte Vertragsdurchführung die - für eine Neugliederung selbstverständliche - allgemeine Grundsatzverpflichtung der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Diesen Grundsatz konkretisierend, hat die gegenseitige Unterrichtung über alle wesentlichen, insbesondere haushalts- und Stellenplan wirksamen Vorhaben und Planungen nach Art. 51S. 2 NV das Ziel einer sinnvollen Abstimmung zwischen den beiden Ländern. Sie ist eine verbindliche zu AbgH v. Bin, Drs. 12/5521; vgl. im einzelnen, AbgH v.Bln, Prot. 12/87 S.7553; LT Bbg, Prot. 2/17 S. 1512. 133 Abgedr. im GVB1. Bin S.491; GVB1. Bbg I S. 150. 134 Siehe dazu unten 2. Kapitel E. IV. 133 Etwa Art. 261 NV für die Zusammenarbeit in der Landesentwicklung, Art. 29II-IV, 37, 38 NV für die Verteilung von Vermögen, Lasten und Verbindlichkeiten, s. a. unten 2. Kapitel D. II. 4., V. 1. b). - Femer dient Art. 47 II, III NV der Konkretisierung von Art. 5 NV, frühzeitig Synergie- und Einspareffekte zu verwirklichen. Schon ab Inkrafttreten des NeugliederungsVertrages verpflichten sich beiden Länder in Art. 47 II NV, schrittweise gemeinsame Behörden, Gerichte und sonstige erforderliche Einrichtungen der Landesverwaltung zu bilden, ohne jedoch eine terminliche Verpflichtung vorzugeben. In Anlehnung an Art. 5 II NV bestimmt Art. 47 III S. 1 NV, daß neue Behörden, Gerichte oder sonstige Einrichtungen der Landesverwaltung, sowie sonstige Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes nur im gegenseitigen Einvernehmen gebildet werden dürfen. Entsprechendes gilt nach Satz 2 für die Errichtung von Neubauten für Landesaufgaben. Hiermit wird im Rahmen der Hinarbeit auf eine gemeinsame Verwaltung verhindert, daß zuvor neue Institutionen geschaffen werden, über die der Einfluß im gemeinsamen Lande gefestigt werden kann.
C. Funktionsweise der Neugliederung
185
Mindest- und Grundvoraussetzung, um die Länderzusammenführung erfolgreich vorzubereiten und Synergieeffekte zu erreichen 136. In diesem Sinne schreibt Art. 5 I I NV eine gegenseitige Zustimmungspflicht vor für Vorhaben, Planungen und Maßnahmen, die zu Lasten des gemeinsamen Landes wirken und ein erstmals bis Ende 1996 festzulegendes Finanz- und Verpflichtungsvolumen überschreiten. Ferner streben die beiden Länder nach Art. 5 ΠΙ NV an, nach außen in überregionalen Gremien (ζ. B.: Bundesrat, Ministerkonferenzen) bei für die Neugliederung relevanten Fragen einvernehmlich abzustimmen. Bereits bei diesen allgemeinen Grundsätzen der Zusammenarbeit sahen sich Berlin und Brandenburg verfassungsrechtlich-kompetenziellen Bedenken ausgesetzt, so daß sie eine weitergehende verbindliche Abstimmung nicht eingingen137 und sich sogar verfassungsrechtlich in Art. 97 ΠΙ Nr. 1 VvB beziehungsweise Art. 116 Π BbgVerf. (1995) absicherten138. Indes waren diese Bedenken unbegründet: Solange noch zwei verschiedene Länder bestehen, unterstehen die beiden Regierungen zwar unterschiedlichen politischen Verantwortlichkeiten gegenüber den jeweiligen Parlamenten und ihren Wählern, so daß eine umfassende staatsvertragliche Bindung problematisch erscheint139. Wegen der Vorläufigkeit der Einschränkung der parlamentarischen und exekutiven Entscheidungsfreiheit im Vorfeld der Neugliederung ist eine entsprechende vertragliche Bindung bei ausreichender Konkretisierung im Rahmen der Neugliederung jedoch unbedenklich, zumal nach wie vor eine Legitimationskette besteht140. Überdies nimmt Art. 4 NV der legitimatorischen Frage an Schärfe: Die Hervorhebung der Unterrichtungspflicht der Regierungen in Art. 4 NV beruht auf der Gewichtigkeit des Vertrages und den mit seiner Durchführung verbundenen umfassenden Aufgaben 141. Entsprechend dem in beiden Ländern landesverfassungsrechtlich verankerten Recht der Parlamente, über die Regierungstätigkeiten unterrichtet zu werden142, wird durch Art. 4 NV auch für die detaillierte Unterrichtung über die Vertragsdurchführung quasi eine Bringschuld der Regierungen gegenüber den Parlamenten bestimmt143. Die Parlamente bleiben nach Art. 4 NV ohne eigene Initiative auf dem aktuellen Stand der Zusammenarbeit und können frühzeitig ihre Anregungen und Bedenken in das Kooperationsprocedere einbringen. 136
Vgl. Einzelbegründung zu Art.5 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.4. Vgl. Einzelbegründung zu Art.5 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.4. 138 Siehe oben 2. Kapitel A.III. 139 So die Einzelbegründung zur Art. 5 NV, AbgH v. Berlin, Drs. 12/5571 S. 4. 140 Vgl. oben 1. Kapitel C.I., D.IV. 2. - Zur möglichen Kooperation zweier Länder mittels einer zwischenlandlichen Institution, vgl. Reichard, Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Länderkooperation in der Bundesrepublik Deutschland, 1971, S.96ff., 130f., 141 ff., 160ff., 166 ff. 141 Vgl. Einzelbegründung zu Art.4 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.4. 142 Vgl. Art. 48 VvB, Art. 72 BbgVerf.: Möglichkeit der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen; Art. 501 VvB, Art. 94 BbgVerf.: Veipflichtung der Regierung, das Parlament jeweils frühzeitig und vollständig über bestimmte Vorhaben zu unterrichten. 143 Die Parlamente haben dem Neugliederungs- Vertrag mit verfassungsändernder Mehrheit zugestimmt, so daß Art. 4 NV die Landesverfassungen in zulässiger Weise modifiziert. 137
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Um eine bestmögliche vorbereitende Kooperation zwischen Berlin und Brandenburg zu gewährleisten, errichtet der Neugliederungs-Vertrag auf Regierungsebene mit der Vereinigungskommission und auf Parlamentsebene mit dem Vereinigungsausschuß zwei zwischenstaatliche Gremien, die die Zusammenarbeit steuern und beide Länder aneinander angleichen sollen. Vorbild ist die Schaffung des Ministerrates im Rahmen der Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern 144. Dementsprechend werfen die beiden Vereinigungsgremien die Frage ihrer verfassungsrechtlichen Zulässigkeit auf. Im Vordergrund steht auch hier die Auseinandersetzung über die Zulässigkeit des Umfanges und der Art und Weise der ihnen übertragenen Aufgaben und Kompetenzen145. Die Vereinigungskommission ist nach Inkrafttreten des Vertrages die zentrale Koordinationsstelle146 auf Regierungsebene, die die Abstimmung und Zusammenarbeit gewährleisten soll, Art. 61 S. 1, I I NV 1 4 7 . Mit Blick auf die zu Art. 5 II NV geschilderte verfassungsrechtlich-kompetenzielle Problematik arbeiteten Berlin und Brandenburg einen vorsichtigen Kompromiß zwischen delegierten Kompetenzen und eigenständigen politischen Verantwortlichkeiten der beiden Regierungen aus. Als Ausfluß dessen ergehen die Beschlüsse der Vereinigungskommission einstimmig, wobei jedes Land seine Stimme einheitlich abgibt, Art. 6 ΠΙ S. 1,2 NV. Dabei sieht Art. 6 ΠΙ S. 3 NV vor, daß die Beschlüsse der Kommission nur als Empfehlungen den Entscheidungen der Landesregierungen zugrunde gelegt werden müssen, soweit der Neugliederungs-Vertrag nicht im einzelnen etwas anderes vorsieht. Sofern eine Regierung jedoch von einer Empfehlung abweichen will, verlangt Art. 6 III S. 4 NV, daß dies gegenüber der Vereinigungskommission begründet werden muß und die abweichende Entscheidung erst nach erneuter Befassung durch die Kommission in Kraft tritt. Damit kommt den Empfehlungen der Vereinigungskommission in der Praxis bindende Wirkung zu: Die Einstimmigkeit trägt dazu bei, daß bloße Empfehlungen im weiteren Verlauf befolgt werden.
In vertraglich festgelegten Fragen, insbesondere zu Finanzen und Personal, darf die Vereinigungskommission aber auch verpflichtend abschließend selbst entscheiden148. Daß die Kommission gerade bei diesen den Kern des Vertrages ausmachen144 Vgl. Einzelbegründung zu Art. 5, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.4; zum Ministerrat im Rahmen der Neugliederung zum Lande Baden-Württemberg siehe oben 1. Kapitel D. IV. 2. 145 Dazu allgemein oben 1. Kapitel C.I. 146 Die Vereinigungskommission sollte mindestens halbjährlich, sonst nach Bedarf tagen, Art.6III S.5,6 NV. Gemäß Art.6IV S. 1 NV hatte sie die Befugnis, Ausschüsse zu bilden. Bezüglich des Ausschusses zur Rechtsvereinheitlichung gemäß Art. 521S. 2; Art. 541S. 3 NV war sie dazu sogar verpflichtet. 147 Sie besteht gemäß Art. 61 S. 2 NV aus den Regierungschefs als Vorsitzende und den für Justiz, Inneres und Finanzen zuständigen Regierungsmitgliedern beider Länder. Die von einem Beratungsgegenstand in ihrem Geschäftsbereich betroffenen anderen Ressorts konnten im Einvernehmen hinzugezogen werden, die Kanzleichefs hatten beratende Funktion, Art.61 S. 3,4 NV. 148 Betroffen sind die vollständige Zuordnung der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten auf die Stadt Berlin und das gemeinsame Land (Art. 391S. 2 NV), die Festlegung der er-
C. Funktionsweise der Neugliederung
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den Materien teilweise selbständig entscheiden kann, steht im Widerspruch zu den aufgeworfenen Bedenken bezüglich der demokratischen Legitimation. Mit Blick hierauf müßten gerade diese grundlegenden Materien in der Selbstbestimmung der beiden Länder bleiben. Allerdings relativieren sich die verfassungsrechtlichen Bedenken aus zwei bereits erwähnten Aspekten: Zum einen besteht nach wie vor eine demokratische Legitimation aufgrund der Zusammensetzung der Vereinigungskommission. Denn „die Übertragung und der damit verbundene Verlust von Hoheitsrechten werden durch Mitentscheidungsbefugnisse in den gemeinsamen Einrichtungen kompensiert. Die Eigenständigkeit wird auch dann nicht bedroht, wenn einzelne Länder in Vertragsorganen oder gemeinsamen Einrichtungen durch Mehrheitsentscheidungen überstimmt werden können. Allein schon die Mitwirkung an der Willensbildung verhindert, daß die Länder bloße Objekte einer Fremdbestimmung werden."149 Zwar beziehen sich zwei unabhängige Legitimationsketten auf jeweils nur die Hälfte der Kommission. Kein Wähler hat mit seiner Wahl die Zusammensetzung der Kommission insgesamt beeinflussen können. Jedoch wird dieser Mangel, wenn nicht aufgehoben, so doch stark dadurch abgeschwächt, daß die Kommission - was ebenfalls nicht notwendig gewesen wäre - einstimmig beschließt. Damit bleibt keine Legitimationskette unberücksichtigt. Überdies „sind die Kompetenzen der Gremien durch präzise Ermächtigungen umschrieben, so daß auch solche Beschlüsse vom Zustimmungsgesetz mit abgedeckt werden. Durch Mehrheitsbeschlüsse können also keine über den Rahmen des Staatsvertrages hinausgehenden Bindungen der Länder hergestellt werden."150 Zum anderen existiert die Vereinigungskommission nur für eine von ihr nicht zeitlich beeinflußbare Übergangsperiode. Sofern ein Demokratiedefizit angenommen wird, besteht dies nur während eines begrenzten Zeitraumes und ist - wie oben dargelegt151 - wegen des Übergangscharakters zulässig. Auch mit Blick auf das Südweststaaturteil des Bundesverfassungsgerichtes 152 ist eine solche Bindung möglich. Vor diesem Hintergrund hätte der NeugliederungsVertrag die Kooperation und damit die Entscheidungsbefugnisse der Vereinigungskommission sogar noch verpflichtender und breitergefächert regeln können. Als parlamentarisches Gegenstück zur Vereinigungskommision sieht Art. 7 NV die Bildung eines Vereinigungsaussschusses vor. Er wird gemäß Art. 71 S. 1 NV je zur Hälfte aus Mitgliedern beider Länderparlamente gebildet153. Wie bei der Vereisten Stellenpläne (Art. 41 II, III, Art. 42 III NV) und die Letztentscheidung über Änderung und Kündigung von Verträgen und Vereinbarungen (Art. 55 II S. 2 NV). - Zudem hatte die Vereinigungskommission von der Bildung des gemeinsamen Landes bis zum Amtsantritt seines ersten Ministerpräsidenten gemäß Art. 13 NV die Funktion einer Übergangsregierung, siehe sogleich unten 2. Kapitel C.III.2. 149 Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 145 f. 150 Vgl. Vedder, Intraföderale Staatsverträge, 1996, S. 145 f. 151 Siehe oben 1. Kapitel C.I., D.IV.2. 152 BVerfGE 1,14 (58). 153 Die Zusammensetzung im einzelnen entspricht nach Art. 71 S. 3 NV jeweils den Fraktionsstärken.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
nigungskommission, sahen Berlin und Brandenburg auch hier die Schwierigkeit, solange sie noch Bestand haben, einen Mittelweg zwischen verbindlicher Koordination und selbständiger politischer Verantwortlichkeit zu finden. Ebenfalls mit großer Zurückhaltung und in verfassungsrechtlich daher unproblematischer Weise haben sie die Kompetenzen der Vereinigungskommision ausgestaltet. Als Ausfluß dieser verfassungsrechtlichen Sicht verlangt Art. 7 V S. 1 NV, daß sich für die Beschlüsse nach Art. 7 II NV sowohl eine Mehrheit der Berliner als auch der Brandenburger Ausschußmitglieder findet 154. Art. 7 VII NV stellt zudem klar, daß der Vereinigungsausschuß die Rechte der beiden Landesparlamente nicht berührt. Grundsätzliches Ziel des Ausschusses ist daher die Bündelung der parlamentarischen Angelegenheiten der Vertragsdurchführung dergestalt, daß ein effektives Zusammenarbeiten der beiden Länderparlamente möglichst gewährleistet wird 155 . Der Vereinigungsausschuß hat Abstimmungsfunktion: Er kann sich gemäß Art. 7 Π N V mit allen Angelegenheiten der Vertragsdurchführung befassen und dazu Stellungnahmen und Empfehlungen abgeben. Wegen der besonderen Abstimmungsrelevanz ist gemäß Art. 7 Π Nr. 1, 521S. 2, 541S. 3 N V ausdrücklich die Beratung von Regierungsentwürfen und anderen Vorschlägen für die Vereinheitlichung von Rechtsvorschriften vorgesehen. Zur Verstärkung der Abstimmungsfunktion bestimmt Art. 7 Ι Π S. 2 NV, daß er bei einer von seiner Empfehlung abweichenden Parlamentsentscheidung eine weitere Lesung verlangen kann, zu der er - ähnlich dem Verfahren des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat gemäß Art. 77 Π S. 5 GG - erneut eine Beschlußempfehlung vorzulegen hat. Dem Vereinigungsausschuß kommt zudem auch die verfassungsrechtlich weitergehende Aufgabe zu, die Tätigkeit der Vereinigungskommission „parlamentarischer" Kontrolle und Legitimation zu unterziehen. Er hat gemäß Art. 7 II Nr. 2 Ν V den nach Art. 5 II NV von der Vereinigungskommission festzulegenden Finanz- und Verpflichtungsvolumina sowie den von dieser gemäß 28IV Ν V zu erarbeitenden Durchführungsregelungen zum Ausgleichsprinzip zuzustimmen. Weiterhin bedarf gemäß Art. 7 II Nr. 3 NV der von der Vereinigungskommission aufgrund Art.41 II S. 1 Nr. 1 NV aufgestellte Entwurf des ersten Stellenplanes für Berlin-Brandenburg sowie die damit einher154
Einzige länderübergreifende Mehrheitsbildung sieht Absatz 6 bei dem Beschluß über die Geschäftsordnung vor. Diese Mehrheitsbildung rechtfertigt sich daraus, daß es sich nicht um eine die Bevölkerung unmittelbar betreffende Entscheidung handelt, sondern um den gremiumsintemen Verfahrensablauf, über den eine gremiumsrepräsentative, länderübergreifende Mehrheit herbeizuführen ist. 155 Vgl. Einzelbegründung zu Art.7NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 5.-Der Ausschuß ist für beide Länderparlamente nach Art. 7 III S. 1 NV der für die Vertragsdurchführung federführende Ausschuß. Konkretisierend hat der Ausschuß nach Satz 2 die Aufgaben, erstens, der Beratung von Regierungsentwürfen und anderen Vorschlägen für die Vereinheitlichung der Rechtsvorschriften (Art. 52,54 NV); 2. der Zustimmung zu dem gemäß Art. 5 II NV festzulegenden Finanz- und Verpflichtungsvolumen und zu den Durchführungsbestimmungen zum Ausgleichsprinzip (Art. 28IV NV) und 3. der Zustimmung zum Entwurf des ersten Stellenplanes für das gemeinsame Land und der damit verbundenen Organisationsstruktur, Art. 41 II S. 1 Nr.l NV.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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gehende Organisationsstruktur seiner Zustimmung. Zur Absicherung seiner Kontrollfunktion kann der Vereinigungsausschuß - ähnlich den Regelungen zum Untersuchungsausschuß - die Anwesenheit eines jeden Mitgliedes der Vereinigungskommission und die Erteilung von Auskünften verlangen, Art. 7IV S. 1 NV. Als Pendant haben die Mitglieder der Vereinigungskommission und ihre Beauftragten nach Art. 7 I V S. 2 NV Zutritt zu den Sitzungen des Vereinigungsausschusses und müssen dort gehört werden.
Mit Blick auf die legitimatorische Ableitung des Verfassungsausschusses begegnen die ihm zuteil werdenden Aufgaben keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Im Gegenteil wäre - ähnlich wie bei der Verfassungskommission - eine weitergehende Kompetenzverlagerung zur Optimierung der Zusammenarbeit beider Länder denkbar. Das gilt umso mehr, als es sich nur um eine vorläufige, für den Übergangszeitraum bestehende Kompetenzverlagerung handelt.
I I I . Der Zusammenschluß: Bereitstellung des notwendigen Instrumentariums Die Übergangszeit endet mit der Bildung des gemeinsamen Landes Berlin-Brandenburg. Neben diesem juristischen Moment seiner Bildung (1.) muß der Neugliederungs-Vertrag die damit verbundenen erforderlichen Regelungen umfassen: Die Parlamente und Regierungen der vormaligen Länder Berlin und Brandenburg sind aufzulösen (2.) und die Strukturen des neuen Landes zu errichten: Zunächst bedarf es einer neuen Verfassung (3.), so daß sich die Frage stellt, ob und inwieweit der Neugliederungs-Vertrag auf das gemeinsame Land und auf dessen Verfassung sowie auf seinen Gesetzgeber Einfluß nehmen kann, also ob und inwieweit er in dem gemeinsamen Land fortgilt (4.). Ferner sind Rechtsnachfolgen zu klären (5.) und das Verfahren der Rechtsvereinheitlichung und -Überleitung festzusetzen (6.). Aber auch für Vertragsänderungen (7.) sowie für nicht auszuschließende Rechtsstreitigkeiten über die Durchsetzung von Rechten aus dem Neugliederungs-Vertrag (8.) trifft dieser Vorkehrungen. Überdies legt er die Landesfarben und das Wappen des gemeinsamen Landes fest (9.). 1. Die ersten Wahlen: Augenblick der Fusion und Maßgaben für das Wahlrecht des gemeinsamen Landes, Art. 14-17 N V Das gemeinsame Land Berlin-Brandenburg wird mit den Wahlen des ersten gemeinsamen Landtages156 gebildet, Art. 11, Π, 3 Π NV. Anders als bei der oben erörterten Neugliederung des Landes Baden-Württemberg157 schließt diese Konstruktion aus, daß ein Übergangsparlament das für diese Wahlen erforderliche Recht erst noch schafft, nachdem das neue Land bereits gebildet worden ist. Sie ist demokratietheoretisch dem seinerzeitigen Baden-Württembergischen Konstrukt vorzuziehen: Das 156 157
Gemäß Art. 3 II NV im Jahre 1999 oder im Jahre 2002. Siehe hierzu oben 1. Kapitel D.IV.2.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
neue Land entsteht mit einem ebenso neuen gemeinsamen Parlament. Zwar könnte formal-juristisch argumentiert werden, daß dies noch von der Bevölkerung der vormaligen Länder Berlin und Brandenburg gewählt werde. Dieser formale Aspekt tritt jedoch mit Blick darauf zurück, daß die Wahl ausdrücklich auf das erste gemeinsame Landesparlament abzielt, es also - insofern ähnlich den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung im Rahmen der Baden-Württembergischen Neugliederung - von der Bevölkerung des gemeinsamen Landes in spe legitimiert wird. Zudem verwischt Art. 11 N V diese zeitlichen Differenzierungen bis zur Unkenntlichkeit, denn die beiden Länder bilden „mit dem Tag der Wahl" das neue Land. Das Wahlrecht ist also vor der Neugliederung bereitzustellen. Da Brandenburg bei der Zusammensetzung des gemeinsamen Landesparlamentes befürchtete, aufgrund des hohen „politischen Organisationsgrad[s]" auf Berliner Gebiet von dessen Interessen dominiert zu werden 158 , formuliert der Neugliederungs-Vertrag neben den wesentlichen allgemeinen Grundsätzen des Wahlrechtes zum gemeinsamen Landtag, die er in Art. 14 N V festlegt, in Art. 15 N V die für die Wahl des ersten Landtages erforderlichen oder für nötig befundenen Modifikationen und Konkretisierungen 159. Hinsichtlich der Wahlmodi stellte Brandenburg die Frage, wie sich die Brandenburger zu den Berliner Interessen optimal vertreten lassen, ohne daß eine Vertragspartei im gemeinsamen Land benachteiligt wird 160. Als Lösung wird das Wahlgebiet gemäß Art. 14III S. 1 NV zunächst in die herkömmlichen Wahlkreise eingeteilt, in denen nach Art. 14 III S. 3 NV mindestens die Hälfte der Abgeordneten direkt gewählt werden. Es gilt das Prinzip der Personenwahl. Dies ist - wie in den anderen Ländern auch - verbunden mit dem Prinzip der Verhältniswahl. Jedochrichtetsich dies nicht nach Landeslisten sondern in Anlehnung an das bayerische Landeswahlrecht nach Regionallisten, die eine parlamentarische Vertretung aller Landesteile absichern161. Als Besonderheit für die Wahl des ersten gemeinsamen Landtages sieht Art. 15 NV abweichend von Art. 141 S. 1 NV vor, daß der erste Landtag 200 statt 150 Mitglieder umfaßt. Daß die158
Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 19. Grundsätzlich bestimmt Art. 141 NV, daß der für fünf Jahre zu wählende Landtag des gemeinsamen Landes 150 Mitglieder zuzüglich Überhangs- und Ausgleichsmandaten umfaßt. Bei der Festlegung dieser Zahlfindet Berücksichtigung, daß die Durchschnittsgröße der Landtage aller Länder seinerzeit etwa 150 Mitglieder betrug, die Durchschnittsgröße der Landtage aller Flächenländer rund 124 Mitglieder (Einzelbegründung zu Art. 14 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S.7). Bei der Festsetzung der Anzahl der Mitglieder des gemeinsamen Landesparlamentes sind die Vertragsparteien grundsätzlichen von 125 Mitgliedern ausgegangen, haben diese Zahl jedoch wegen der großen Fläche des gemeinsamen Landes (etwa 30.000 qkm, fünftgrößtes Bundesland, vgl. ebda, S. 7) und der dadurch bedingten flächenmäßigen Ausdehnung der Wahlkreise auf 150 Mitglieder erhöht, vgl. Bericht der GRK, AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S. 19. 160 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 19. 161 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 19. - Im übrigen gilt die 5 v. H.-Klausel: Nach Art. 14IV NV sind zur Landtagswahl Parteien und ihnen entsprechende politische Vereinigungen zugelassen, wobei eine Fünf-Prozent-Klausel die Vertretung von Splittergruppierungen im Landtag vermeidet, soweit nicht Direktmandate erzielt werden. 159
C. Funktionsweise der Neugliederung
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se Zahl wegen des anfangs erhöhten Arbeitsaufwandes erforderlich sei162, überzeugt nicht163. Grund ist wohl das Entgegenkommen dieser Regelung an die bisherigen Abgeordneten, so mit höherer Wahrscheinlichkeit im ersten gemeinsamen Landtag Mitglied zu werden. Im übrigen regelt der Neugliederungs-Vertrag in Art. 15 NV i. V. m. Anhang 2 - Wahlgesetz - unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 14 NV abschließend die Modalitäten der Wahl des ersten gemeinsamen Landtages. Da die Wahlperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin gemäß Art. 10 S. 1 NV mit der Bildung des gemeinsamen Landes endet, ist überdies - anders als für die Kommunen im brandenburgischen Gebietsteil - eine Regelung für die nunmehr allein existierende Berliner Kommunalebene zufinden. Für die Kommune Berlin wiederholt sich die auf der Landesebene mit der Bildung des neuen Landes einheigehende Problematik. Als naheliegenden Weg sieht der Neugliederungs-Vertrag daher vor, daß gleichzeitig mit der Wahl zum ersten gemeinsamen Landtag die Berliner Stadtverordnetenversammlung mit 150 Mitgliedern gewählt wird, Art. 171 NV. Diese Zahl wurde von den Vertragsparteien im Verhältnis zur Größe der Stadt und zu der des Landtages für angemessen gehalten164. Darüber hinaus allerdings ist die erste Kommunalwahl weder für die Stadt Berlin noch für die brandenburgischen Kommunen en detail geregelt. Art. 16 NV legt jedoch die Grundsätze des Kommunalwahlrechtes des gemeinsamen Landes nieder165. Im übrigen bleibt das Kommunalwahlrecht dem in der Übergangszeit nach Art. 17 II NV abzuschließenden Staatsvertrag überlassen166. Diese Lösung bewahrt der Stadt Berlin eine 162
Einzelbegründung zu Art. 15 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.7. Bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten wurde die hierdurch anfallende Arbeit, die ungleich umfassender war, auch nicht durch ein - nur für diese Aufgaben - größeres Parlament bewerkstelligt. 164 Einzelbegründung zu Art. 17, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.7. 165 Nach Art. 161 NV wird der Einfluß der Wähler durch die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens gestärkt. Panaschieren bedeutet das Zusammenstellen von Kandidaten aus verschiedenen Wahlvorschlägen durch den Wähler auf demselben Stimmzettel, s. a. Vogelsangl Lübking/Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S. 56 (Rn. 161 f.); es ist bei Bundes- und Landtagswahlen unzulässig, kann aber für Kommunalwahlen landesrechtlich vorgesehen werden. Nach Art. 16III S. 1 NV werden die Oberbürgermeister und Bürgermeister direkt gewählt. Sie sind nach Satz 2 nur dann Mitglied der kommunalen Vertretung, wenn sie hierfür gewählt werden. Damit wird ausgeschlossen, daß Oberbürgermeister und Bürgermeister schon kraft Amtes Mitglieder von Kommunal Vertretungen werden, vgl. Einzelbegründung zu Art. 16, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.7. Für die Stadt Berlin ist nach Art. 16 III S. 3 NV die Amtszeit des Oberbürgermeisters mit der Dauer der Wahlperiode der Stadtverordnetenversammlung verknüpft. Aus Gründen der kommunalen Handlungs- und Regierungsfähigkeit ist eine kommunalwahlperiodenübergreifende Amtszeit ausgeschlossen, ebda, S.7. Sie wäre auch für eine Stadt mit der Größe Berlins nicht angemessen, da der Wählerwille sich „auch in der Stadtregierung und ihrem Regierungsprogramm jeweils niederschlagen" muß, ebda, S.7. Das Land im Land soll auch hier strukturell nach Möglichkeit bestehen bleiben. 166 Wegen der mit der Bildung des gemeinsamen Landes erforderlichen Kommunalwahl in Berlin regeln die Vertragsparteien bis spätestens ein Jahr vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes das Wahlrecht für Kommunalwahlen, wobei zugleich die Anpassung der Wahlperioden der brandenburgischen Kommunen und der Termin für die erste landesweite Kommunalwahl festgelegt werden. - In diesem Staatsvertrag wird nach Art. 23 III NV zugleich die Einbeziehung der Stadt Berlin in die Gemeindeordnung des gemeinsamen Landes geregelt, siehe hierzu unten 2. Kapitel D. IV. 3. 163
1 9 2 .
Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
für eine Kommune außergewöhnliche Mitbestimmung167 und vermeidet Konfliktpotential bei den Vertragsverhandlungen.
2. Auflösung und Übergang der bisherigen Parlamente und Regierungen - Übergangsausschuß und Übergangsregierung, Art. 10-13 N V „Mit der Bildung des gemeinsamen Landes" enden zugleich die Wahlperioden des Abgeordnetenhauses von Berlin als Berliner Landesparlament und des Landtages Brandenburg (Art. 10 S. 1 NV) sowie die Amtszeiten der beiden Landesregierungen (Art. 121 NV). Die vormaligen Länder Berlin und Brandenburg hören mit diesem Zeitpunkt auch funktional auf zu existieren. Für die Zeit zwischen der Bildung des gemeinsamen Landes und dem ersten Zusammentritt des neuen Parlamentes beziehungsweise der Aufnahme der Amtsgeschäfte durch die erste Regierung des gemeinsamen Landes werden damit Gremien erforderlich, die die Funktionen der Parlamente und Regierungen übernehmen. In der Zeit zwischen der Bildung des gemeinsamen Landes und dem Zusammentritt des ersten gemeinsamen Landtages übernimmt der Vereinigungsausschuß nach Art. 11 S. 1 NV als Übergangsausschuß die Funktion des Landesparlamentes mit Ausnahme der Gesetzgebungs- und Wahlrechte: er übt die Kontrolle über die Übergangsregierung aus. Zur Sicherung seiner Kontrollfunktion ist er ausdrücklich mit den Rechten eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ausgestattet, Art. 11 S. 2 NV. Historisches Vorbild des Ausschusses ist der Übergangsausschuß gemäß Art. 45 GG (1949)168.. Hinsichtlich der Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin ergibt sich die außergewöhnliche Situation, daß sie in der Übeigangszeit sowohl im Übergangsausschuß die parlamentarischen Rechte für das gemeinsame Land als auch die Funktion der Stadtverordnetenversammlung für Berlin wahrnehmen: Für die Stadt Berlin bestimmt Art. 10 S. 2 NV daher, daß das Abgeordnetenhaus die Aufgaben der ersten Berliner Stadtverordnetenversammlung bis zu deren Wahl wahrnimmt. Als Übergangsvorschrift für die weitere Volksvertretung der beiden Vertragsparteien ist die Regelung systematisch in Art. 11 NV als Absatz 2 unterzubringen. Art. 10 S. 1 NV regelt allein das Ende der Wahlperioden der bisherigen Landesparlamente. Demgegenüber befaßt sich Art. 11 NV mit Übergangsregelungen auf Landesebene. Hier findet die Übergangsregelung für die Berliner Kommunalebene systematischer Eingang.
Mit den Regelungen wird einerseits sichergestellt, daß es weder auf Landes- noch auf Berliner Kommunalebene eine Zeit ohne Vertretungsorgan gibt. Zum anderen 167 Obgleich das Kommunalwahlrecht nicht zum Kembereich der nach Art. 28 II GG gewährleisteten Kommunalen Selbstverwaltung gehört und durch entsprechende Gesetze der Länder - d. h. ohne gesetzgeberischen Einfluß der Kommunen - geregelt ist, vgl. etwa Vogelsang/ Lübkingl Jahn, Kommunale Selbstverwaltung, 1991, S.56 (Rn. 161 f.), erhält Berlin die Möglichkeit, sein eigenes zukünftiges Kommunalwahlrecht mitzubestimmen. 168 Einzelbegründung zu Art. 11 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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besteht bei zwei nebeneinander arbeitenden Länderparlamenten die Gefahr, daß gegenläufige Beschlüsse zu gleichen Themen verabschiedet werden. Dies wird durch den Übergangsausschuß als vorläufiges Parlament des gemeinsamen Landes verhindert. Diese Regelung ist effizienter als eine Koordinationsvereinbarung zwischen den Parlamenten. Auch ist die demokratische Legitimation des Übergangsausschusses der der Länderparlamente entsprechend, da er sich aus deren Mitgliedern zusammensetzt. Der Zeitraum, in dem der Übergangsausschuß agiert, wird auf etwa sechs bis acht Wochen geschätzt169. Die Beendigungen der Amtszeiten der bisherigen Landesregierungen und die Einsetzung der Übergangsregierung entspricht in ihrem zeitlichen und institutionellen Ablauf den für die Landesparlamente vorgesehenen Bestimmungen. Um eine regierungslose Zeit zu vermeiden, führt nach Art. 13 S. 1 NV die Vereinigungskommission als Übergangsregierung bis zum Amtsantritt des ersten Ministerpräsidenten des gemeinsamen Landes die Regierungsgeschäfte für das gemeinsame Land. Die Landesvertretung wird von den beiden Kommissionsvorsitzenden gemeinsam wahrgenommen und kann auf einzelne Kommissionsmitglieder übertragen werden, Art.13S.2NV. Die Berliner Stadtvertretung ist in Art. 12 II NV geregelt. Die Mitglieder des Senates von Berlin oder ihre Vertreter üben die Geschäfte des Magistrates der Stadt Berlin bis zum Amtsantritt des ersten Oberbürgermeisters und der jeweiligen Magistratsmitglieder aus. Wegen der bisherigen Dopppelfunktion des Senates als Landes- und Stadtregierung nehmen die Senatsmitglieder in der Übergangszeit sowohl Funktionen in der Übeigangsregierung (soweit sie ihr angehören) als auch für den künftigen Magistrat der Stadt Berlin wahr. Zur Systematik von Art. 12 und 13 NV sei auf die Darstellung zu den Landesparlamenten, Art. 10 und 11 NV, verwiesen. Die vorgenommene Systematik - einerseits in Art. 12 NV Ende der Regierungen plus Übergangsregelung für die Stadt Berlin (Kommunalebene), andererseits in Art. 13 NV Übergangsregierung des gemeinsamen Landes (Landesebene) - ist aufgrund ihrer inhaltlichen Zusammensetzung unübersichtlich. Es ist vorzugswürdig, die Übeigangsregelungen vollständig in einem Artikel jeweils zusammenzufassen. Art. 12 NV würde dann lediglich den jetzigen Absatz 1 beinhalten. Sein Absatz 2 wäre als solcher an Art. 13 NV anzufügen. Der bisherige Text des Art. 13 NV wäre Absatz 1.
3. Verfassung des gemeinsamen Landes - Organisationsstatut als Übergangsverfassung, Art. 8,9 N V Mit der Bildung des gemeinsamen Landes wird eine es materiell-rechtlich und organisatorisch regelnde Satzung, eine Verfassung erforderlich. Sie muß also mit dem Tag der Wahl des ersten gemeinsamen Landtages vorliegen. Der NeugliederungsVertrag selbst beinhaltet keine Verfassung für das gemeinsame Land. Das ist darauf zurückzuführen, daß die beiden den Vertrag aushandelnden Landesregierungen als Exekutivorgane nicht befugt sind, unmittelbar an der Ausarbeitung einer Verfassung 169
Einzelbegründung zu Art. 11 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6.
13 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
mitzuwirken. Dies ist vielmehr Aufgabe einer Volksvertretung, sei es das Parlament, sei es eine eigens hierzu einberufene verfassunggebende Versammlung. Daher regelt Art. 81 N V lediglich das Verfahren zur Schaffung einer neuen Verfassung. M i t Blick auf diese Regelung sind die Bedenken, daß die Inhalte der fortschrittlichen Brandenburger Verfassung auf dem Spiel stünden 170 , haltlos. Denn zum einen sind gemäß Art. 81S. 2 N V 1 7 1 neben dem Neugliederungs-Vertrag die Inhalte beider Verfassungen bei der Schaffung der Verfassung des gemeinsamen Landes zugrunde zu legen 172 . Für die Verfassung des gemeinsamen Landes gilt mindestens der kleinste gemeinsame Nenner. Zum anderen liegen die beiden Landesverfassungen inhaltlich nicht weit auseinander 173. Beide beruhen auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes, welche auch in der neuen Verfassung nicht angezweifelt werden darf. Ob die daneben niedergeschriebenen - bisweilen divergierenden - Staatszielbestimmungen tatsächlich einen Fortschritt bedeuten, ist überdies fraglich 174 . In seiner Wahl der verfassunggebenden Volksvertretung hat sich der Neugliederungs-Vertrag nicht für eine gesonderte verfassunggebende Versammlung entschieden, Art. 81, Π N V 1 7 5 . Eine solche ist im Hinblick auf die beiden direkt vom Volk ge170
Vgl. etwa Bisky (PDS) in einem Streitgespräch gegenüber der ΜΑ ν. 19.6.1995, S. 3: Werden die Brandenburger über den Tisch gezogen? 171 Nach Art. 81 S. 2 NV sollte der Verfassungsentwurf bei Neugliederungszeitpunkt 1999 bis zum 30.6.1997 und bei Neugliederungszeitpunkt 2002 bis zum 30.6.2000 erstellt werden. Protokollnotiz Nr. 1 zu Art. 8 NV weist hier daraufhin, daß zum vertragschließenden Zeitpunkt die für die Verfassung des gemeinsamen Landes von Berliner Seite zugrundezulegende Verfassung erst noch Inkraft gesetzt werden mußte und verweist auf die diesbezüglich bis dahin geleisteten Vorarbeiten des Berliner Abgeordnetenhauses. Die überarbeitete Verfassung von Berlin wurde am 22.10.1995 von der Berliner Bevölkerung in einer Volksabstimmung erwartungsgemäß angenommen (siehe oben 2. Kapitel A. III.). Die Protokollnotiz Nr. 1 zu Art. 8 NV wurde damit gegenstandslos. 172 Von daher überrascht Art. 50 Ν V, der die Rechte des sorbischen Volkes in einem gemeinsamen Land festschreibt. Mit Blick auf Art. 25 BbgVerf., der über Art. 81S. 2 NV Grundlage einer gemeinsamen Verfassung ist sowie dem im Lande Brandenburg geltenden Sorben(Wenden)-Gesetz, das gemäß Art. 511 S. 1 NV in seinem jetzigen Geltungsbereich in Kraft bleibt, ist Art. 50 NV nicht erforderlich. Seine Herkunft ist daher eher politischer Natur seitens Brandenbuigs, um etwaigen Befürchtungen der sorbischen Minderheit vorzubeugen. 173 Siehe auch die Gegenüberstellung beider Verfassungen bei Hartmann, UJHerten! Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 170ff. 174 Eine Verfassung ist einfach, klar und deutlich zu formulieren. Gerade in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit verleitet etwa die Staatszielbestimmung der „Verwirklichung des Rechts auf Arbeit" (Art. 481 BbgVerf.), einen rechtsunkundigen Leser zu der irrigen Annahme, daß ein Arbeitsplatz einklagbar sei. Das einfache Verständnis des Verfassungswortlautes steht im Widerspruch zu seiner angeblichen Intention. Die Verfassung wird so unglaubwürdig; im übrigen ergeben sich die Staatszielbestimmungen schon aus dem Sozialstaatsprinzip oder den Grundrechten, vgl. Badura, Staatsrecht, 1996, C Rn.93 (S. 195), D Rn.35ff. (S. 256ff.). 173 Nach Art. 81 S. 1 NV wird der Verfassungsentwurf für das gemeinsame Land nach Inkrafttreten des Vertrages durch einen von beiden Landesparlamenten paritätisch besetzen Ausschuß ausgearbeitet, nach Art. 8 II NV bedarf jeweils einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Parlamenten und eines positiven Volksentscheides.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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wählten Landesparlamente auch nicht erforderlich. Insbesondere im Hinblick auf das Verhältnis von Art. 116 BbgVerf. zu Art. 115 BbgVerf. 176 ist entgegen den Stimmen der PDS ein rechtliches Erfordernis nicht gegeben177. Die in Art. 115 BbgVerf. vorgesehene verfassunggebende Versammlung betrifft nicht die Verfassungsgebung im Rahmen einer Neugliederung178. Die Länderneugliederung beruht auf Art. 118 a GG i. V. m. Art. 116 BbgVerf. und Art. 97 VvB 179 . Die Festlegung des Verfahrens für die Ausarbeitung einer Verfassung für das gemeinsame Land ist also - im Gegensatz zum Inhalt der gemeinsamen Verfassung - Sache der beiden Vertragsparteien und daher im Neugliederungs-Vertrag zu regeln180. Den von der PDS hiergegen beim Brandenburger Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrag hat dieser zutreffend zurückgewiesen181, denn „kein Verfassungsgesetz, auch keine vorherige Verfassung kann eine neue verfassunggebende Gewalt begründen und ihr die Form ihrer Betätigung vorschreiben"182. Das folgt „aus der Freiheit des Volkes als Träger der verfassunggebenden Gewalt"183. Insofern ist „das Staatsvolk eines Landes Berlin-Brandenburg das alleinige Legitimationssubjekt für das neue Bundesland"184. Hierauf beruht auch Art. 116 BbgVerf., der daher zu Art. 115 BbgVerf. lex specialis ist185. Gegen die PDS-Argumentation sprechen weitere Gründe. Art. 8 I I NV sieht vor, daß der durch die beiden Länderparlamente jeweils mit Zweidrittelmehrheit verabschiedete Entwurf einer Verfassung für das gemeinsame Land der Bestätigung in einer Volksabstimmung bedarf. Damit wird ohne jeden Zweifel die direkte Legitimation der gemeinsamen Verfassung begründet. Die Berechtigung der beiden Parlamente, sich mit einem Entwurf zu einer gemeinsamen Verfassung zu befassen, steht im übrigen der einer verfassunggebenden Versammlung nicht nach. Auch für die Ge176 Art. 115 BbgVerf.: „(Verfassunggebende Versammlung) (1) Die Verfassung verliert ihre Gültigkeit, wenn eine verfassunggebende Versammlung eine neue Verfassung mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschlossen und in einem Volksentscheid die Mehrheit der Abstimmenden der neuen Verfassung zugestimmt hat. (2) die Bürger haben das Recht, die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung zu verlangen, die eine neue Landesverfassung erarbeitet. Dazu müssen zehn Prozent der Stimmberechtigten eine entsprechende Initiative unterzeichnet haben. (3) Über die Durchführung der Wahl zu einer verfassungsgebenden Versammlungfindet ein Volksentscheid statt. Die Wahl wird durchgefühlt, wenn zwei Drittel derjenigen, die ihre Stimme abgegeben haben, jedoch mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten, zugestimmt haben. (4) Der Landtag kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder durch Gesetz die Wahl einer verfassungsgebenden Versammlung beschließen. (5) [...]." 177 Vgl. Einzelbegründung zu Art.8 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.5. 178 Einzelbegründung zu Art.8 ΝV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.5. 179 Vgl. Einzelbegründung zu Art.8 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.5. 180 Einzelbegründung zu Art. 8 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 5. 181 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (204f.). 182 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (204). 183 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (204). 184 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (205). 185 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (205).
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2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
schichte der Bundesrepublik ist es nicht ungewöhnlich, daß Landesverfassungen von den entsprechenden Landesparlamenten erarbeitet werden186. Mit Blick auf die Volksabstimmung ist bemerkenswert, daß Art. 8 II NV keine Quorumsregelung vorsieht. Im Gegensatz zu der Volksabstimmung nach Art. 31S. 2 NV genügt eine einfache Mehrheit für die Annahme der Verfassung des gemeinsamen Landes, obgleich die Gewichtigkeit der Entscheidung ähnlich gelagert ist: der Inhalt einer Verfassung ist ebenso grundlegend wie ihr räumlicher Geltungsbereich, so daß für beide Fälle gleiche Quoren beziehungsweise gleiche Mehrheitserfordernisse bestehen müßten, wobei die in Art. 8 II NV vorgesehene einfache Mehrheit anderweitigen Quoren vorzuziehen ist187. Verfahrensmäßig sieht Art. 8 III NV vor, daß, sofem der Entwurf der gemeinsamen Verfassung die erforderlichen Mehrheiten nach Art. 8 II NV erlangt, die Bevölkerung am Tag der Wahl des ersten gemeinsamen Landtag über die Verfassung abstimmt und sie am Tage nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt des gemeinsamen Landes in Kraft tritt. Für den Fall, daß der Entwurf der gemeinsamen Verfassung nach Art. 81 NV nicht zustande kommt, sind dem Landtag des gemeinsamen Landes nach Art. 8IV S. 1 NV die Beratungsunterlagen des gemeinsamen Ausschusses zu unterbreiten. Erhält der Entwurf nicht die erforderlichen Mehiheiten nach Art. 8 II NV, ist der Verfassungsentwurf nach Art. 8IV S. 2 NV ebenfalls dem ersten Landtag des gemeinsamen Landes vorzulegen. Für diese Fälle ist neben der Zustimmung in einer Volksabstimmung188 eine Zweidrittelmehrheit des gemeinsamen Landtages nach Art. 8IV S. 3 NV erforderlich 189.
Da die Verfassungen von Berlin und des Landes Brandenburg bereits mit der Bildung des gemeinsamen Landes außer Kraft treten190, entsteht bis zu dem Tage nach der Verkündung der neuen Verfassung im Gesetz- und Verordnungsblatt nach Art. 8 ΠΙ NV ein Verfassungsvakuum. Daher tritt bis zu der Inkraftsetzung der neuen 186
Gemäß § 23 II des Ländereinführungsgesetzes der DDR hatten die Landtage der neuen Bundesländer die Aufgabe, eine Landesverfassung zu entwerfen. Auch etwa die Verfassung Schleswig-Holsteins 1990 ist vom dortigen Landtag erarbeitet und beschlossen worden (Beschl. v. 13.6.1990 (GVB1. S.391). 187 Siehe oben 1. Kapitel A.II.2, 3., B.III, l.c); unten 2. Kapitel E.I. 188 Die Einzelheiten zu der für die Annahme der Verfassung erforderlichen Volksabstimmung ist nach Art. 3 III NV durch einen Staatsvertrag zu regeln und zwar gemäß der Begründung zum Neugliederungs-Vertrag rechtzeitig vor Bildung des gemeinsamen Landes, Einzelbegründung zu Art. 8 ΝV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6. Dieser „Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den NeugliederungsVertrag" (abgedr.: GVB1. Bin 1995 S.554; GVB1. Bbg I 1995 S.231) wurde mit diesem am 27.4.1995 unterzeichnet und trat am 29.7.1995 in Kraft. Neben den für Volksabstimmungen erforderlichen allgemeinen Bestimmungen soweit sie für diese Abstimmung spezifisch sind, konkretisiert der Vertrag die in Art. 3 NV vorgegebenen Abstimmungsfragen, Art. 4. Im übrigen verweist der Vertrag auf die entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften von Berlin und Brandenburg, Art. 16. Der Vertrag ist vorbildlich übersichtlich und sprachlich klar und einfach verständlich gefaßt. 189 In bezug auf die nicht vorhandenen Quoren gilt das eben Ausgeführte. 190 Die beiden Landesverfassungen treten gemäß Art. 91 S. 1 Nr. 1 NV mit der Bildung des gemeinsamen Landes in jedem Fall bis auf ihre Grundrechtsteile außer Kraft. Wegen der ausführlichen Regelung des Außerkrafttretens der beiden alten Verfassungen ist Art. 8 III S. 2 NV ohne eigenen Regelungsgehalt und hätte ebenso gut weggelassen werden können.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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Verfassung an deren Stelle das Organisationsstatut. Das Organisationsstatut hat die Aufgabe, den Zeitraum zwischen der Bildung des gemeinsamen Landes und dem Inkrafttreten der gemeinsamen Verfassung im Hinblick auf den staatsorganisatorischen Teil einer Verfassung zu überbrücken. Liegt zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinsamen Landes bereits ein Verfassungsentwurf gemäß Art. 8 Π, ΠΙ NV vor, handelt es sich nach Art. 8 ΠΙ NV nur um die wenigen Tage bis zu der Verkündung der Verfassung im Gesetz- und Verordnungsblatt des gemeinsamen Landes. Das Statut ist praktisch bedeutungslos. Zeitlich weitreichendere Folgen entfaltet das Organisationsstatut allerdings, wenn der Verfassungsentwurf nicht bis zu der Entstehung des gemeinsamen Landes verabschiedet wird und der gemeinsame Landtag mit der Beendigung seiner Erarbeitung befaßt ist. Das Statut verbindet für diese Situation geschickt Altes mit Neuem: Für die „verfassungslose" Übergangszeit bestimmt Art. 91 Nr. 1 NV, daß mit der Bildung des gemeinsamen Landes die Verfassungen von Berlin und Brandenburg bis auf die jeweiligen Grundrechtsteile für die beiden Länder außer Kraft treten. An die Stelle der übrigen Bestimmungen tritt nach Nr. 2 das als Anhang den Neugliederungs-Vertrag beigefügte Organisationsstatut. Dieses enthält einen Satz an Minimalregelungen, die für die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Landes erforderlich sind191. Es hat die Regelungen der bisherigen Verfassungen über Referenden allerdings in modifizierter Form gerade bezüglich der Quoren aufgenommen 192. Darüber hinaus hält sich das Organisationsstatut aus den eingangs erörterten legitimationsrechtlichen Erwägungen zurück. Der damit zugleich ausgeübte konstruktive Druck für die zügige Verabschiedung einer gemeinsamen Verfassung 193 wird durch die beiden nebeneinander bestehenden Landesverfassungen noch verstärkt: Soweit das gemeinsame Land grundrechtsrelevante Maßnahmen ergreift, die Auswirkungen auf das gesamte Land haben, ist der Maßstab das jeweils weiter gefaßte Grundrecht 194. Dieses Nebeneinander mehrerer Regelungsquellen gilt fort, bis eine Verfassung für das gemeinsame Land in Kraft tritt, Art. 912. HS NV. Für den staatsorganisatorischen Teil können die Verfassungen von Berlin und Brandenburg nicht nebeneinander bestehen, da sonst keine Organisation für das gemeinsame Land nach dessen Bildung geschaffen werden kann. Andererseits ist der Grundrechtsteil einer jeden Verfassung ihr sensibelster Bereich, der selbst übeigangsweise nicht - wie das Organisationsstatut - durch eine durch die Exekutive zweier Länder ausgehandelte 191
Vgl. Einzelbegründung zu Art.9 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6. Aufgrund der Intention, im Organisationsstatut nur für eine kurze Übergangszeit das Nötigste zu regeln, verwundert die hohe Regelungsdichte, mit der in § 29 des Statutes Plebiszite geregelt sind, die für eine Übeigangszeit ohnehin fragwürdig sind. Hier sollte der Bevölkerung die Volksnähe einer zu bildenden neuen Verfassung vorgespiegelt werden. Vorgespiegelt deshalb, weil gemäß § 29 VII des Statutes der entsprechende Gesetzesentwurf nur bei einer Mehrheit der Abstimmenden angenommen ist, die mindestens ein Viertel aller Abstimmungsberechtigten ausmacht. Damit sind die Erfolgsaussichten ernes Volksentscheides äußerst begrenzt. 193 Einzelbegründung zu Art. 9 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 6. 194 Vgl. Einzelbegründung zu Art.9 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6. 192
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Vereinbarung geregelt werden sollte. Das Organisationsstatut sowie der mit ihm verbundene Grundrechtsstatus bilden eine Übergangsverfassung. Als solche ist sie daher nur mit einer Zweidrittelmehrheit im gemeinsamen Landtag änderbar, Art. 91 S.2NV. Um die Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Landes in der Übeigangszeit von der Bildung des Landes bis zur endgültigen und vollständigen Errichtung umfassend zu gewährleisten, bestimmt Art. 9 II NV femer, daß das Organisationsstatut als Übergangsverfassung und Auffangtatbestand auch für bestimmte Institutionen weitergilt, wenn die Verfassung des gemeinsamen Landes hier kerne Regelungen für die Zeit zwischen dem Inkrafttreten der Verfassung und der Neubildung dieser Institutionen trifft: Erfaßt sind die Zusammensetzung des Landesrechnungshofes 195, des Richterwahlausschusses, des Verfassungsgerichtshofes 196 „oder anderer Gremien".
4. Fortgelten des Neugliederungs-Vertrages in dem gemeinsamen Land: Überleitung erforderlich? Die vom Brandenburger Verfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Verfahren der Erarbeitung einer Verfassung für das gemeinsame Land ausgesprochene Feststellung, daß „kein Verfassungsgesetz, auch keine vorherige Verfassung [...] eine neue verfassunggebende Gewalt begründen und ihr die Form ihrer Betätigung vorschreiben" kann 1 9 7 , da „das Staatsvolk eines Landes Berlin-Brandenburg das alleinige Legitimationssubjekt für das neue Bundesland" ist 1 9 8 , wirft die Frage auf nach der Geltung des Neugliederungs-Vertrages in dem gemeinsamen Land. Der Vertrag ist zunächst ein Staatsvertrag zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg und entfaltet seine Wirksamkeit mit Inkrafttreten in erster Linie zwischen den Vertragspartnern. Insoweit weicht er nicht von anderen Staatsverträgen ab. Aller195 Ursprünglich sah ein Vorschlag der beiden Landesrechnungshöfe vor, den in § 38 Abs. 3 des Organisationsstatutes vorgesehenen Übergangsrechnungshof aus allen Mitgliedern der Rechnungshöfe beider Länder zusammenzusetzen. Daran wird deutlich, welchen Widerständen sich eine Neugliederung erwehren muß. Der Vorschlag war in seinem Umfang nicht erforderlich, vgl. Einzelbegründung zu Art.9 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.6. Daher ist anzunehmen, daß das alleinige Interesse hinter diesem Vorschlag darauf beruhte, zunächst die Stellen zu sichern und darauf zu hoffen, daß ein etwaig erweiterter Rechnungshof auch in der Zukunft bestand haben würde. Die beiden Länder haben sich zu diesem Vorschlag aus Gründen der Vorbildfunktion für die Zusammenführung der Landesverwaltungen nicht verleiten lassen, ebda, S.6. 196 Das Organisationsstatut regelt in §41 die Zuständigkeiten des Übergangsverfassungsgerichtes. Dabei blieb die Kommunalverfassungsbeschwerde außer Betracht. Damit hätten die Kommunen jedoch nicht ohne die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde bestanden. Art. 93 Nr. 4 b GG eröffnet den Kommunen die Möglichkeit, hier den Weg zum Bundesverfassungsgericht zu beschreiten. Die Einführung einer Kommunalverfassungsbeschwerde auf Landesebene sollte im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung beider Länder oder der Verfassungsgebung erfolgen, vgl. Einzelbegründung zu Art. 9 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 6. 197 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (204). 198 BbgVerfG, Urt. v. 21.3.1996-VfGBbg 18/95, in: LKV 1996, S.203 (205).
C. Funktionsweise der Neugliederung
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dings regelt der Neugliederungs-Vertrag die Auflösung seiner ihn abschließenden Vertragspartner und die Entstehung eines neuen Landes. Der Vertrag selbst bestimmt, daß er in diesem neuen Land fortgilt. Er gibt dem gemeinsamen Land sogar Maßgaben vor, nach denen es sich zu errichten hat, etwa die Überleitung des bisherigen Rechtes der Länder Berlin und Brandenburg. Ginge es lediglich um die Fusion zweier privatwirtschaftlicher Unternehmen, ergäben sich hieraus keinerlei Schwierigkeiten. Der Vertrag hätte eine den Zusammenschluß überwölbende Funktion, ginge in seiner Bedeutung hierüber jedoch nicht hinaus. Anders der Neugliederungs· Vertrag: Da es um den Zusammenschluß zweier Länder geht, kollidieren seine Vorgaben für das gemeinsame Land mit legitimatorisch-demokratietheoretischen Aspekten. Mit dem neuen Land entsteht zugleich eine neue Landesbevölkerung, eine neue Verfassung und ein neues Parlament. Wie das Brandenburger Verfassungsgericht zutreffend feststellt, sind diese nicht an das Recht - auch nicht an das Verfassungsrecht - gebunden, das vor ihnen bestand. Damit würde auch der Neugliederungs· Vertrag - trotz seiner Legitimation von Verfassungsrang - in dem gemeinsamen Land nicht fortgelten. Insbesondere könnte er inhaltlich nicht in das gemeinsame Land hineinwirken. Doch gerade hierauf ist der Vertrag angelegt. Die erforderliche Legitimität für seine Wirksamkeit in dem gemeinsamen Land soll der Neugliederungs-Vertrag bereits durch seine eigene unmittelbare Legitimation in den beiden vorherigen Ländern mitbringen. Die Abstimmungen in den beiden Parlamenten mit verfassungsändernder Mehrheit sowie die Volksentscheide in beiden Ländern sollen ihm die Befähigung mit auf den Weg geben, sogar den neuen Gesetzgeber zu binden. Entgegen der Vorablegitimation der verfassunggebenden Versammlung - zugleich Übergangsparlament - im Rahmen der Neugliederung zu dem Land Baden-Württemberg durch dessen Bevölkerung in spe199, ist eine entsprechende Vorablegitimation für den Neugliederungs-Vertrag nicht möglich. Da der eigentliche Zusammenschluß erst vier beziehungsweise sieben Jahre nach Inkrafttreten des Vertrages erfolgt, weist die über den Neugliederungs-Vertrag abstimmende Bevölkerung nicht mehr die erforderliche Identität mit der Bevölkerung des gemeinsamen Landes auf. Auch die Parlamente, die über den Neugliederungs-Vertrag abstimmen, sind in keiner Weise mit dem des gemeinsamen Landes identisch, so daß auch hier eine vorab erteilte Zustimmung nicht in Betracht kommt. Zudem stellt die dem Neugliederungs-Vertrag zugedachte Konstruktion ihn als Dach der Fusion in der Normenhierarchie über die Verfassung des gemeinsamen Landes. Hierfür ist die beabsichtigte Legitimierung über die Abstimmungen in den Länderparlamenten und über die Volksentscheide ohnehin nicht ausreichend, da einem neuen Land von Länderebene aus durch die vorherigen Länder keine „Metaverfassung" oktroyiert werden kann. Ranghöchste Norm eines Landes ist seine Verfassung. Jedoch steht über der Landesverfassung das Bundesrecht, Art. 31 GG. Es ist daher die Bedeutung des Art. 118 a GG zu berücksichtigen: Bei der Neugliederung 199
Siehe oben 1. Kapitel D.IV.2.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
zu dem Land Berlin-Brandenburg nach Art. 118 a GG handelt es sich nicht um eine Neugliederung durch Ländervereinbarung, sondern um eine Neugliederung unter Zuhilfenahme einer Ländervereinbarung - die das konkrete Verfahren und die Ausführung regelt - durch den Bund. Nur dieser zeichnet in letzter Konsequenz verantwortlich 200. Von daher stellt sich der Neugliederungs-Vertrag als eine vertragliche Konkretisierung des Art. 118 a GG dar, der automatisch in dem gemeinsamen Land fortbesteht. Der Neugliederungs-Vertrag erhält seine Legitimation insoweit nicht allein aus sich selbst heraus, d.h. aus den von ihm gesetzten und vorliegenden Wirksamkeitsvoraussetzungen. Vielmehr verleiht ihm Art. 118 a GG eine bundesrechtliche Legitimation sui generis, die ihn zu dem Dache der Fusion erhebt. Dies betrifft jedenfalls die Dachfunktionsbestimmungen des Neugliederungs-Vertrages, etwa die Definition und Bildung des gemeinsamen Landes (Art. 1-3 NV), die verfassungsrechtlichen Übergangsregelungen (Art. 8, 9 NV), die Regelungen zur Rechtsnachfolge (Art. 55 NV), zur Rechtswahrung (Art. 56 NV), zur Streitentscheidung (Art. 57 NV) und zu Vertragsänderungen (Art. 58 NV). Aber auch Bundesrecht kann sich nicht über die angesprochene Legitimationsproblematik hinwegsetzen, ohne die Länderstaatlichkeit grundsätzlich in Frage zu stellen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Südweststaaturteil deutlich gemacht201. Auch das Zweite Gesetz zur Neugliederung zum Land Baden-Württemberg hat sich ausschließlich auf die Regelung des Zusammenschluß der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern beschränkt und darüber hinausgehende Regelungen - etwa die Überleitung von Rechtsvorschriften, etc. - dem neuen Land Baden-Württemberg überlassen202. Dennoch ist klar, daß der Neugliederungs-Vertrag in vollem Umfang auch in dem gemeinsamen Land rechtsverbindlich sein muß, wobei ihm wegen seiner das neue Land begründenden Funktion Verfassungsrang zukommt. Offen ist allein der Weg dorthin. Den Legitimationen des Neugliederungs-Vertrages selbst mag - der besonderen Situation geschuldet - seine vollständige Fortwirkung in dem gemeinsamen Land von dem Zeitpunkt seiner Bildung an bis zu der den gemeinsamen Landtag konstituierenden Sitzung oder dem Inkrafttreten der gemeinsamen Verfassung zugebilligt werden. Allerdings ist dieser Zeitraum nicht unbedingt notwendig: Ansatzpunkt ist mit Blick auf die Neugliederung zu dem Land Baden-Württemberg der durchaus variable Moment der Bildung des neuen Landes203. Wird die Bildung des gemeinsamen Landes mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung zusammengelegt, 200
Auch bei einen Länderzusammenschluß per Ländervereinbarung liegt die letztendliche Entscheidung über die Neugliederung beim Bund, Art. 29 VIIIS. 6 GG; nichts anderes gilt für die Neugliederung Berlin-Brandenburg: hier hat der Verfassungsgeber die Zustimmung des Bundes bereits vorab in Art. 118 a GG ausgesprochen, s. a. oben 2. Kapitel A. II. 201 Vgl. BVerfGE 1,14 (61 f.). 202 Vgl. oben 1. Kapitel D. IV. 2. 203 Die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern waren nach § 11 ZNG-BW mit der Bildung der vorläufigen Regierung zu dem Land Baden-Württemberg vereinigt, siehe oben 1. Kapitel D.IV.2.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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fällt der Übergang weg. Das neu gewählte gemeinsame Parlament in spe hätte bis zu dem Inkrafttreten der neuen Verfassung allein die Aufgabe, diese als verfassunggebende Versammlung zu beschließen. Erst mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung beendeten die Länder Berlin und Brandenburg ihre Existenz, träten ihre Verfassungen außer Kraft, endeten die Amtszeiten der Regierungen sowie die Wahlperioden ihrer Parlamente und führten ihre Geschäfte kommissarisch bis zur Ernennung der neuen Regierung beziehungsweise bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Parlamentes. Das vorab gewählte Parlament des gemeinsamen Landes nähme seine Parlamentsfunktionen auf 204 und wählte die neue Regierung. Für eine dauerhafte, vollständige Geltung des Neugliederungs-Vertrages in dem gemeinsamen Land ist jedoch in jedem Falle die Integration der problembehafteten Materien in die gemeinsame Verfassung, d. h. der damit für sie verbundene Legitimationsakt erforderlich. Dies bereitet den Weg, um die legitimatorischen Bedenken auszuräumen: nach dem von dem Neugliederungs-Vertrag vorgesehenen Procedere besteht die Möglichkeit, seine Inhalte entweder unmittelbar in die gemeinsame Verfassung aufzunehmen oder sie durch eine entsprechende Norm zu inkorporieren. Dieses Vorgehen legt Art. 81 S. 2 NV nahe, wonach die gemeinsame Verfassung auch auf der Grundlage des Neugliederungs-Vertrages zu entwerfen ist. Seine Inkorporierung hat den Vorzug, daß sie den Vertrag in seiner ausgehandelten Gestalt vollständig in die gemeinsame Verfassung aufnimmt und er damit in der Zukunft unmittelbar der Auslegung zur Verfügung steht. 5. Rechtsnachfolge, Art. 55 NV/Übergang der Hoheitsrechte Für die Rechtsnachfolge der ehemaligen Länder Berlin und Brandenburg finden sich im Neugliederungsvertrag bei den wichtigsten Materien konkrete Bestimmungen205. Allgemein regelt lediglich Art. 551 S. 1 NV die Rechtsnachfolge beider Länder in öffentlich-rechtlichen Verträgen und Vereinbarungen. Grundsätzlich gilt das Prinzip der Funktionennachfolge: Das gemeinsame Land wird Rechtsnachfolger für die untergegangenen Länder bezüglich der mit den Landesaufgaben übernommenen Rechte und Pflichten, die Stadt Berlin bezüglich der mit den Kommunalaufgaben der Stadt verbundenen Rechte und Pflichten 206. Nach Art. 551 S. 2 NV gilt entsprechendes auch für sich aus Verträgen ergebende Mitgliedschaften 207. 204
Den für die Neugliederung zum Land Baden-Württemberg von BVerfGE 1,14 (62) vorgetragenen Bedenken, ein derartiges Vorgehen erfordere eine entsprechende Legitimation in der neuen Verfassung, könnte durch eine entsprechende Regelung genügt werden, siehe im einzelnen oben 1. Kapitel D.IV.2. 205 Art. 29 II, III, Art. 38 NV für die Verteilung der Lasten und Verbindlichkeiten; Art. 421 S. 2, II S. 2, IV NV im personalrechtlichen Bereich. 206 Die Rechtsnachfolge für die Beschäftigtenverhältnisse richtetsich als Annex zu der materiellen Regelung ebenfalls grundsätzlich nach dem Prinzip der Funktionennachfolge: Soweit das gemeinsame Land - nach der Funktionennachfolge gemäß Art. 29 II Ν V - die Beschäftigten der ehemaligen Länder übernimmt, tritt es nach Art. 421S. 2 NV in die Rechte und Pflichten
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Für die Rechtsnachfolge in öffentlich-rechtlichen Verträgen und Vereinbarungen bleibt allerdings dem Wortlaut nach unklar, ob und wer in die Verträge und Vereinbarungen eintritt, die Berlin in Wahrnehmung kommunaler Aufgaben abgeschlossen hat. Hierfür besteht keine Regelung. Art. 551 S. 1 NV stellt lediglich fest, daß das gemeinsame Land nicht Rechtsnachfolger für öffentlich-rechtliche Verträge und Vereinbarungen wird, „soweit sie [...] von Berlin in Wahrnehmung kommunaler Aufgaben abgeschlossen wurden". Damit ist für diese Materien zwar keine ausdrückliche Rechtsnachfolge festgelegt. Sinn und Zweck des Neugliederungs-Vertrages ist jedoch zweifellos, die Stadt Berlin als Rechtsnachfolgerin für die die Kommune Berlin betreffenden Verträge und Vereinbarungen einzusetzen. Eine ausdrückliche Regelung über den Übergang der Hoheitsrechte, wie sie sich etwa in der Punktation zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen findet 208, sieht der Neugliederungs-Vertrag nicht vor. Dies entspricht den unterschiedlichen Gegebenheiten: Bei der Punktation zwischen Lippe und Nordrhein-Westfalen handelte es sich um die Eingliederung eines Landes in ein anderes. Die Hoheitsrechte des Landes Nordrhein-Westfalen blieben bestehen, die des Landes Lippe waren auf die verbleibende Landesebene Nordrhein-Westfalens überzuleiten. Für den Neugliederungs· Vertrag indessen gestaltet sich die Situation entsprechend der Neugliederung zu dem Land Baden-Württemberg209. Er geht von dem Selbstverständlichen aus: die Hoheitsrechte der beiden untergehenden Länder Berlin und Brandenburg hören auf zu existieren; an ihre Stelle treten die Hoheitsrechte des gemeinsamen Landes. Der Vertrag behandelt Hoheitsrechte der beiden untergehenden Länder, respektive des gemeinsamen Landes jedoch insoweit, daß er ihre Ausübung für wesentliche Bereiaus den bisher bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Für die Beschäftigten, die von der Stadt Berlin übernommen werden, tritt diese die Rechtsfolge an, Art. 42 II S. 2 NV. Für diefinanzspezifischen Regelungen siehe im einzelnen 2. Kapitel D. II. 4. 207 Über die im Rahmen der Neugliederung erforderlichen Vertragskündigungen und -änderungen verständigen sich die beiden Landesregierungen nach Art. 55 II S. 1 NV bis Mitte des zweiten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes (30.6.1997 bei Neugliederungszeitpunkt 1999,30.6.2000 bei Neugliederungszeitpunkt 2002) und legen die Rechtsnachfolge fest. Kommt kerne Einigung zustande, übernimmt nach Art. 55 II S. 2 NV die Vereinigungskommission oder der von ihr bestimmte Ausschuß die Entscheidung. Bei mehrseitigen Verträgen und Vereinbarungen ist nach Art. 55 III NV die Zustimmung der weiteren Vertragsbeteiligten rechtzeitig einzuholen. Rechtzeitigkeit meint mit Bezug auf Art. 55 II NV, daß die Zustimmung zeitlich so einzuholen ist, daß die dort genannte Frist eingehalten wird. Art. 55IV NV stellt klar, daß für das Abschließen von Verträgen in der Übergangszeit nach Inkrafttreten des Neugliederungs-Vertrages die Abstimmungs- und Zusammenarbeitsverpflichtung des Art. 5 NV gilt. An dieser Stelle besteht kein Klarstellungsbedürfnis. Art. 5 NV gilt seinem Wortlaut nach für den ganzen Neugliederungs-Vertrag, also auch für weitere Vertragsabschlüsse. In der Protokollnotiz Nr. 13 zu Art. 55 NV wird das Ziel verfolgt, der Stadt Berlin eine angemessene Vertretung in dem Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Nr. 1) sowie einer Vertretung Berlins im EU-Ausschuß der Regionen (Nr. 2) zu ermöglichen. 208 Siehe dazu oben 1. Kapitel D. IV. 1. 209 Siehe oben 1. Kapitel D.IV.2.
C. Funktionsweise der Neugliederung che schon während der Übergangszeit gleichschaltet und im weiteren die vereinheitlichten Rechtsmaterien auf das gemeinsame Land überleitet.
6. Rechtsvereinheitlichung und -Überleitung via Neugliederungs-Vertrag? Da mit dem gemeinsamen Land eine neue, staatsrechtlich bislang nicht existierende Einheit entsteht, ist eine neue Rechtsordnung zu erstellen. I m Gegensatz zu der Neugliederung zu dem Land Baden-Württemberg, bei der die Rechtsvereinheitlichung mangels vorheriger Bestimmungen vollständig dem neuen Land überlassen war 2 1 0 , stellt der Neugliederungs-Vertrag Regeln für die Rechtsvereinheitlichung auf. Sie kann auf zwei Wegen erfolgen: zum einen durch die Parallelgesetzgebung nach Art. 52 N V und zum anderen per Staatsvertrag, Art. 54 NV. Beschreiten beide Länder für die Rechtsvereinheitlichung den Weg der Parallelgesetzgebung, nimmt auf der Regierungsebene ein von der Vereinigungskommission einzurichtender Pflichtausschuß die notwendigen Vorarbeiten vor, Art. 521S. 2 NV. Ihm gehören als ständige Mitglieder die Innen- und Justizressorts an 2 1 1 . Um zum Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes den für seine Funktionsfähigkeit erforderlichen Mindestbestand an einheitlichem einfachem Landesrecht zu gewährleisten und so „die sofortige Funktionsfähigkeit des gemeinsamen Landes" zu sichern212, ist ein Mindestkatalog von in der Übergangszeit zu vereinheitlichen Rechtsmaterien in Art. 521S. 3 NV vorgeschrieben. Dieser Katalog wird ergänzt durch die Protokollnotiz 12 zu Art. 521S. 3 Nr. 8 NV, wonach die Stadt Berlin Aufgabenträger für den öffentlichen Personennahverkehr auf ihrem Gebiet, - Besitzstand wahrend, aber auch zweckmäßig - einschließlich der für Berlin bedeut210
Vgl. oben 1. Kapitel D.IV.2. Der Ausschuß koordiniert die von den Fachressorts beider Länder zu leistenden Arbeiten bei der Erstellung der Entwürfe zur Rechtsvereinheitlichung. Die aus dieser Arbeit resultierenden Gesetzesentwürfe legen die beiden Regierungen gemäß Art. 521 S. 1 NV bis Ende des zweiten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes (bis 31.12.1997 bei Neugliederungszeitpunkt 1999, bis 31.12.2000 bei Neugliederungszeitpunkt 2002) ihren Parlamenten vor. Diese Frist soll die wirksame Beteiligung der Parlamente in der Weise gewährleisten, daß sie die Rechtsvereinheitlichungen rechtzeitig bis zur Bildung des gemeinsamen Landes realisieren. Im parlamentarischen Bereich ist die Vorbereitung der Rechtsvereinheitlichung, das heißt die Aufbereitung der Entwürfe des durch die Vereinigungskommission eingesetzten Pflichtausschusses eine wesentliche Aufgabe des Vereinigungsausschusses gemäß Art. 7 II S. 2 Nr. 1 NV. Hierfür bildet er einen ständigen Unterausschuß gemäß Art. 71S. 4 NV. Zur Konkretisierung der parlamentarischen Zusammenarbeit bestimmt Art. 52 II NV konsequent, daß die Gesetzgebungsverfahren beider Länder aufeinander abzustimmen sind. 212 Vgl. Einzelbegründung zu Art. 52 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 18. - Nach Art. 521 S. 3 NV sollten insbesondere folgende Materien vorab einer Rechtsvereinheitlichung unterzogen werden: 1. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht einschließlich der Polizeioiganisation; 2. Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 GG; 3. Datenschutz; 4. Gerichtswesen; 5. Haushaltsrecht; 6. Kommunalrecht; Öffentliches Dienst- und Besoldungs-, Personalvertretungsund Gleichstellungsrecht; 8. Öffentlicher Personennahverkehr; 9. Staatsorganisation; 10. Verfassungsgericht ; 11. Verfassungsschutz; 12. Verwaltungsverfahren. 211
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg samen S-Bahn213 ist, so daß das gemeinsame Land diese nach § 1 II Regionalisierungsgesetz214 erforderliche Aufgabenzuweisung für Berlin nicht mehr vorzunehmen braucht, in der Zukunft wegen der Versteinerung nach Art. 581 NV aber auch nur noch erschwert modifizieren kann215. Ferner verpflichten sich beide Länder, für die Übergangszeit ihre Zusammenarbeit im Rahmen eines Verkehrsverbundes zu koordinieren 216. Ob die Vertragsparteien vor der Bildung des gemeinsamen Landes darüber hinaus Rechtsvereinheitlichungen vornehmen, läßt Art. 52 NV nebst Protokollnotiz offen 217.
Dieses Vorgehen soll die Voraussetzungen dafür schaffen, daß das so entstandene in beiden Ländern identische Recht das einheitliche Recht ist, das spätestens am Tage der Bildung des gemeinsamen Landes in Kraft tritt, Art. 52 ΠΙ S. 2 1. HS NV. Das Inkrafttreten selbst bestimmt dabei der Neugliederungs-Vertrag: Am Tage der Bildung des gemeinsamen Landes gelten gleichlautende Gesetze als einheitliches Gesetz des gemeinsamen Landes, Art.52in S.2 2.HS NV; das Justizministerium des gemeinsamen Landes hat eine Auflistung dieser Gesetze und - fakultativ - ihren Wortlaut in dem Gesetz- und Verordnungsblatt des gemeinsamen Landes zu veröffentlichen. Das Vorgehen begegnet jedoch legitimatorischen Bedenken: Da die bisherigen Länder Berlin und Brandenburg untergegangen sind, hat das gemeinsame Land eine neue eigene Landesrechtsordnung zu verabschieden. Die Schaffung dieses Landesrechtes liegt allein „in der Verantwortung des künftigen gemeinsamen Landtages"218. Dieser beziehungsweise die neue Verfassung, nicht aber der Neugliederungs-Vertrag hat das neue Recht durch Überleitungsvorschriften für das gemeinsame Land zu legitimieren. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht zur Rechtsüberleitung durch nachfolgende Verfassungen schon früh festgestellt, daß sich „Bestimmungen für das Fortgelten alten Rechts [...] in jeder Verfassung" finden und sinngemäß in die Schluß- und Übergangsbestimmungen" gehören219. Je213 Vgl. Einzelbegründung zu Art. 52 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 19. - Leistungen des Bundes im Rahmen der Regionalisierung der Bahn an die Stadt Berlin werden an diese durchgeleitet, Art. 34 II NV, s. a. unten 2. Kapitel D. II. 2. c). 214 Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs (Regionalisierungsgesetz) - Artikel 4 Eisenbahnneuordnungsgesetz - ENeuOG - v. 27.12.1993 (BGB1.I S.2378, 2395). 215 Siehe sogleich unten 2. Kapitel C.III.7. 216 Indes liefen die Vorbereitungen zu der Schaffung eines Verkehrsverbundes unabhängig von dem Ausgehen der Neugliederung. Es geht hierbei um elementare Kooperation zwischen Großstadt und Umland. 217 Vgl. Einzelbegründung zu Art.52 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 19. 218 Allgemeinbegründung zu Kap. IX, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 18. - Vgl. auf Bundesebene etwa die Überleitungsvorschriften der Art. 123 ff. GG, die das Fortgelten vorkonstitutionellen Rechtes der Bundesrepublik Deutschland regeln; zur Rechtsüberleitung auf Bundesebene s.a. BVerfGE 1, 283 (293f.); 4,115 (133ff.); 4, 178 (184); 4, 219 (238); 6, 309 (341 f.); 6, 389 (418f.); 7,18 (26); 7,330 (336); 8,186 (192f.); 9,185 (190); 11,23 (28); 14,174 (182f.); 15,167 ff.; 21,292 (295 f.); hinsichtlich der Neugliederung zum Land Baden-Württemberg siehe Art. 311 des Gesetzes über die vorläufige Ausübung der Staatsgewalt im südwestdeutschen Bundesland-Überleitungsgesetz-v. 15.5.1952 (GBl. BW S.3). 219 BVerfGE 6, 309 (341 f.).
C. Funktionsweise der Neugliederung
doch begründet der Neugliederungs-Vertrag - unbeabsichtigt - mittelbar eine auch formal einwandfreie, dauerhafte Überleitung: Nach Art. 81 S. 2 NV ist die Verfassung des gemeinsamen Landes sowohl auf der Grundlage der Verfassungen der Länder Berlin und Brandenburg als auch auf der Grundlage des Neugliederungs-Vertrages zu bilden. Damitfinden sich die Überleitungsvorschriften des NeugliederungsVertrages -jedenfalls als Inkorporierung - in der neuen Verfassung wieder, die nach Art. 8 Π NV die für eine Überleitungsvorschrift mehr als ausreichende verfassungsbildende Legitimation erfährt 220. Allein für die Zeit zwischen der Bildung des gemeinsamen Landes und dem Inkrafttreten dieser Überleitungsvorschriften ist es aufgrund des zeitlich befristeten Übergangscharakters und der Legitimation des Neugliederungs· Vertrages möglich, daß er bis dahin die Rechtskraft von Vorschriften begründet, um einen rechtsfreien Raum zu vermeiden und sonstigen Rechtsunklarheiten vorzubeugen. Dahin sind die derzeitigen Vorschriften des Art. 52 NV ihrem Sinn und Zweck nach auszulegen. Dauerhaft rechtsgültig sind die Überleitungsvorschriften des Neugliederungs-Vertrages hingegen erst mit Inkrafttreten der Verfassung des gemeinsamen Landes. Desungeachtet bleibt es dem neuen Parlament unbenommen, einfachgesetzliche Überleitungsvorschriften zu verabschieden oder Materien einzeln oder vollständig neu zu regeln. Neben dem Parallelgesetzgebungsverfahren gibt Art. 541 S. 1 NV beiden Ländern mittels eines durch die Vereinigungskommission einzusetzenden Ausschusses, dem als ständige Mitglieder ebenfalls die beiden Innen- und Justizressorts angehören, die Möglichkeit, sich über das vom Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes an einheitlich geltende Recht vertraglich zu einigen221. Die vertragliche Rechtsvereinheitlichung hat gegenüber der Parallelgesetzgebung den Vorteil, daß sie das Verfahren zu beschleunigen vermag. Zwar bestimmt Art. 54 I I NV, daß die Parlamente bei der staatsvertraglichen Variante regelmäßig auf dem laufenden zu halten sind. Auch hier wird für die Unterrichtung der Parlamente eine Bringschuld der durch die Vereinigungskommission vertretenen Regierungsseiten bestimmt222, so daß Bedenken der Parlamente bezüglich ihrer frühzeitigen Beteiligung zerstreut und ein reibungsloser Ablauf des Verfahrens gewährleistet werden können. Bei der Fülle der zu vereinheitlichen Rechtsmaterien ist jedoch davon auszugehen, daß die Parlamente zügiger von den Regierungen Vorgearbeitetes und Vorgelegtes mit geringfügigen Änderungen akzeptieren als sie es selbst auszuhandeln und aufeinander abzustimmen vermögen. Wegen ihrer staatsvertraglichen Herkunft handelt es sich bei der vertraglichen Rechtsvereinheitlichung grundsätzlich um einfachgesetzliche Vorschriften. Art. 54 III NV stellt als ,JEnt220
Siehe hierzu auch oben 2. Kapitel C. III. 3. Nach Art. 541S. 2 NV gilt auch hier für die Zuleitung der Entwürfe an die Länderparlamente die für das Parallelgesetzgebungsverfahren bestimmte Frist (Art. 521 S. 1 NV) bis zum Ende des zweiten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes. 222 Entsprechendes sieht Art. 4 NV für die Unterrichtung der Parlamente über die Durchführung des Neugliederungs-Vertrages vor, siehe oben 2. Kapitel C. II. 221
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
steinerungsklausel"223 daher lediglich klar, daß das vertraglich vereinheitlichte Recht, soweit nichts anderes bestimmt ist, ab Bildung des gemeinsamen Landes in dem üblichen Rechtssetzungsverfahren geändert oder aufgehoben werden kann. Eventuelle Mißverständnisse, die etwa mit Blick auf die erschwerten Möglichkeiten der Vertragsänderung nach Art. 58 NV aufkommen könnten, räumt Art. 54 III NV sorgfältig aus. Art. 54 III NV gilt zudem für Rechtsverordnungen, die der Gesetzgeber angleicht. Diese stehen trotz der Anpassung durch den Gesetzgeber nach Art. 54 III NV weiterhin zur Disposition in dem jeweiligen Rechtssetzungsverfahren. Freilich bleibt wiederum außer acht, daß auch das für das gemeinsame Land vertraglich vereinheitlichte Recht für sein Inkrafttreten einer Überleitungsvorschrift durch das Parlament des gemeinsamen Landes oder seine Verfassung bedarf. Es gelten die zu der Parallelgesetzgebung geäußerten Bedenken. Ob Berlin und Brandenburg in der Übergangszeit das über den nach Art. 521S. 3 N V vorgeschriebenen Mindestkatalog hinaus verbleibende Recht zeitlich noch zu vereinheitlichen vermögen, ist ungewiß. Art. 51 N V leitet daher als Auffangtatbestand 224 die Rechtsmaterien, die nicht bis zur Bildung des gemeinsamen Landes vereinheitlicht werden, auf das neue Land über. Danach gelten für die nicht geregelten Bereiche die überkommenen Regelungen in den jeweiligen Geltungsbereichen solange weiter, bis sie aufgehoben oder verändert werden. Erst der Gesetzgeber des gemeinsamen Landes führt die Rechtsvereinheitlichung durch. Für die auch hier geltenden legitimatorischen Bedenken sei auf die Ausführungen bezüglich der Parallelgesetzgebung verwiesen. Der Neugliederungs-Vertrag läßt schließlich auch das Fortgelten von Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen sowie Zuständigkeitsregelungen nicht außer acht. Damit deckt er sämtliche Regelungsbereiche - wenn auch hier wiederum teilweise in seiner rechtlichen Konstruktion ungenau - vollständig mit Überleitungsbestimmungen ab: Die Zuständigkeitenregelung nach Art. 51 II S. 1 NV, die aufgrund Art. 511 S. 1 NV bestehende Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen, allgemeine Verwaltungsvorschriften und Zuständigkeitsregelungen auf die in dem gemeinsamen Land zuständigen Stellen überleitet, ist - unbesehen der Kritik an Art. 52 III, 54, 511 NV - unproblematisch. Bei Unklarheiten entscheidet nach Art.51 II S.2 NV die Landesregierung des gemeinsamen Landes. Die Entscheidung ist nach Art. 51 II S. 3 NV im Gesetz- und Verordnungsblatt des gemeinsamen Landes zu veröffentlichen. Dies trifft auch für die weitere für noch nicht vereinheitlichte Rechtsbereiche niedergelegte Zuständigkeitenregelung zu: Art. 51 III S. 1 NV leitet die Zuständigkeiten und Zusammensetzungen für Ausschüsse und Beiräte, die an Stelle einer Behörde treten, für den Gültigkeitsbereich der Vorschrift über. Art.51 III S.2 NV ermächtigt die Landesregierung des gemeinsamen Landes, diese Institutionen für den Fall ihrer durch die Bildung des gemeinsamen Landes hervorgerufenen Ineffizienz gegebenenfalls durch Rechtsverordnung so neu zu bilden, daß eine effiziente Verwaltungstätigkeit gewährleistet ist. Die Vorschrift ermöglicht es der gemeinsamen Landesregierung, durch Rechtsverordnung im genannten Bereich schnellstmöglich zu agieren. Zu beachten sind aber auch hier die bereits zur Parallelgesetzgebung geäußerten Bedenken. 223
Gespräch D l mit Mitarbeiter aus der Senatsverwaltung für Justiz Berlin vom 26.11.1998; Erläuterung D2 der Senatsverwaltung für Justiz Berlin vom 2.12.1998, S. 3. 224 Einzelbegründung zu Art.51 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 18.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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Vorkonstitutionelle Vorschriften des gemeinsamen Landes können dessen Regierung grundsätzlich nicht ermächtigen, Rechtsverordnungen zu erlassen. Sie bedürfen erst der Überleitung in geltendes Recht des gemeinsamen Landes. Entsprechendes gilt für die Ermächtigungsregelung des Art. 531 NV. Soweit er für die Übergangszeit bis zur Bildung des gemeinsamen Landes die Gleichschaltung der Rechts Verordnungen beider Länder vorsieht, ist dies wünschenswert und unbedenklich: Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen in beiden Ländern gleichlautenden Gesetzen sollen so zeitig in Kraft treten, daß bis zur Bildung des gemeinsamen Landes ihre Vereinheitlichung möglich wird. Bis zur Bildung des gemeinsamen Landes sind nach Art. 53 II NV dabei die Stellen beider Länder als ermächtigte Stellen zuständig, die den ermächtigten Stellen im gemeinsamen Land entsprechen. Im Zweifel ist die Landesregierung ermächtigt. Sofem Art. 53 III NV jedoch auf die Vorschriften des Art. 52 III, IV ΝV verweist, geht die Feststellung fehl, daß Art. 53 NV „rechtsstaatlich erforderliche Regelungen für den Umgang mit Ermächtigungen zum Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen"225 enthalte. Auf die Ausführungen zu der Parallelgesetzgebung sei verwiesen.
7. Vertragsänderungen/Versteinerungsklausel, Art. 58 NV: clausula rebus sie stantibus Grundsätzlich steht der einmal gefundene Interessenausgleich nicht mehr zur Disposition des Gesetzgebers des gemeinsamen Landes - sogenannte „Versteinerung" des Neugliederungs-Vertrages 226. Dieser Grundsatz wird in Art. 58 NV für unterschiedliche Bereiche differenzierend festgeschrieben. Motivation dafür ist, einen Mittelweg zwischen der Wahrung der Interessen der Vertragsparteien in dem gemeinsamen Land und seiner Handlungsfähigkeit zu finden 227. Maßgebend für die Veränderbarkeit der jeweiligen Bestimmungen ist ihre Bedeutsamkeit für die vertragschließenden Parteien. Dies wirkt sich sowohl zeitlich als auch in dem vorgesehen Verfahren aus. Mit zunehmender Gewichtung der Regelungen steigen die Anforderungen an ihre Veränderbarkeit. Das hat zur Folge, daß die Grundentscheidungen, die das gemeinsame Land betreffen, - in Anlehnung an Art. 79 III GG - keiner Modifizierung zugänglich sind. Sie sind in einer Versteinerungsklausel unabänderlich festgeschrieben. Davon sind die Entscheidung zur Neugliederung selbst betroffen, sowie die „Staatsformalia" des Sitzes der Landeshauptstadt, des Landesnamens, der Landesfarben sowie des Landeswappens, Art. 1, 2 NV. Letztere sind die identifikationsbildenden Merkmale eines Landes, deren Kontinuität in der Praxis eines Staatswesens die Regel darstellt. Die Festlegung ihrer Versteinerung hat daher zwar einen eigenen rechtlichen Inhalt. Für die Staatspraxis aber wirkt sie sich allein deklaratorisch aus. Die Veränderung dieser Merkmale ist auch ohne ihre Versteinerung nicht zu erwarten. Allein bezüglich der Landeshauptstadt mag mit Blick auf den Hauptstadtwechsel auf Bundesebene von Bonn nach Berlin über den Sinn einer 225 226 227
Vgl. Einzelbegründung zu Art. 53 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 19. Vgl. Einzelbegründung zu Art.58 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 19. Vgl. Einzelbegründung zu Art.58 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 19.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Versteinerung nachgedacht werden. Doch gerade hier wird ihre Fragwürdigkeit deutlich: Dieser Hauptstadtwechsel ist einer außergewöhnlichen historischen Situation geschuldet. Mit einer - an dieser Stelle freilich politisch nicht denkbaren - Versteinerungsklausel wäre dieser Wechsel jedoch nicht möglich gewesen. Unproblematisch ist die Versteinerung der Präambel. Die dort formulierten Bekenntnisse und Zielvorstellungen beziehen sich unmittelbar auf den Akt der Neugliederung sowie die Absichten für das gemeinsame Land. Auch die Versteinerung der Rechtswahrung - Art. 56 NV - bedarf keiner Vertiefung. Sie räumt dauerhaft Unsicherheiten aus, die durch die Rechtswahrung beziehungsweise die Veränderung ihrer eindeutigen Regelung in dem Neugliederungs-Vertrag auftreten können. Von größerer Bedeutung dagegen ist die Versteinerung der in Art. 211S. 2 NV festgelegten Grundstruktur der Stadt Berlin als Einheitsgemeinde. Der Neugliederungs-Vertrag schreibt ihren kommunalstrukturellen status quo in Art. 58 II NV unveränderlich fest. Dies mag mit Blick auf die Berliner Vergangenheit und Gegenwart unproblematisch sein. Berlin erhält ein Zugeständnis, ohne das das Zustandekommen des Neugliederungs-Vertrages ungewiß gewesen wäre. Ferner hat sich die bisherige Struktur in der Sache auch in Städten anderer Bundesländer bewährt, so daß der Neugliederungs-Vertrag sie ausdrücklich allen kreisfreien Städten des gemeinsamen Landes zugänglich macht228. Allerdings ist die zukünftige Entwicklung nicht mit völliger Sicherheit vorhersehbar. Trotz der Erfahrungen aus der Vergangenheit kann nicht ausgeschlossen werden, daß Situationen eintreten, die neuartige Strukturen auf kommunaler Ebene erfordern oder - sogar selbst aus Berliner Sicht - wünschenswert erscheinen lassen. Im übrigen gilt nach Art. 581 NV grundsätzlich, daß innerhalb von 10 Jahren nach dem Tag der Bildung des gemeinsamen Landes nur eine Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages die vertraglichen Bestimmungen aufheben oder ändern kann, soweit der Vertrag nichts anderes bestimmt. Das Ausgleichsprinzip nach Art. 28 NV kann gemäß Art. 581 NV auch über die 10-Jahres-Frist hinaus nur mit einer Zweidrittelmehrheit aufgehoben oder geändert werden. Ohne an dieser Stelle hierauf näher einzugehen, zeigt gerade die für das Ausgleichsprinzip229 vorgesehene Perpetuierung, in welchem Maße dem Neugliederungs-Vertrag an der Aufrechterhaltung des landesintemen status quo der vormaligen Länder gelegen ist. Eine auf 15 Jahre befristete Unzulässigkeit von Änderungen spricht Art. 58 II S. 2 NV für die in Art. 23 N V 2 3 0 und Art. 24 NV 2 3 1 niedergelegten Grundsätze und Wesensgehalte aus. Mit Ablauf der 15-Jahres-Frist läßt Art. 58 II S. 3 NV Änderungen mit einer Zweidrittelmehrheit im Landtag zu. Der Vergleich zu dem Wortlaut in Absatz 1 ergibt, daß hier auch nach Fristablauf eine völlige Aufhebung nicht möglich ist232. Für die Magistratsverfassung der Stadt Berlin nach Art. 23 NV ist damit ein angemessener Kompromiß aus dem Sicherungsbedürfnis Berlins und dem Erfordernis möglicher Flexibilität geschaffen. Gleiches gilt für Art. 24 NV. Die Raumordnung und Landesplanung ist eine Materie, die langfristige Planung erfordert. Neuentwicklungen und Situationsanpassungen innerhalb der vorgesehenen Frist sind daher nicht zu erwar228 229 230 231 232
Siehe hierzu unten 2. Kapitel D. IV. 2. Vgl. unten 2. Kapitel D.II.2.C). Magistratsverfassung für Berlin und Gemeindeordnung. Grundsätze der Landesentwicklung. Vgl. auch Einzelbegründung zu Art.58 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.20.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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ten. Überdies beinhaltet Art. 24 NV überwiegend allgemeingültige Grundlinien, deren rechtliche Ausprägung einen weiten Auslegungsspielraum eröffnet, so daß auch nach Ablauf der 15-Jahres-Frist kaum grundlegende Modifizierungen zu erwarten sind. Mit Ablauf der jeweiligen Fristen kann das Landesparlament mit einfacher Mehrheit Bestimmungen des Neugliederungs-Vertrages ändern, sofem der Vertrag nicht selbst anderes bestimmt. Das ergibt der Wortlaut des Art. 581 NV, nach dem nur während der dort genannten Frist eine Zweidrittelmehrheit des Landesparlamentes erforderlich ist. Die nicht weiter perpetuierten Regelungen des Neugliederungs-Vertrages stehen nach Fristablauf einfachgesetzlichen Regelungen des gemeinsamen Landes gleich und sind entsprechend änderbar. Unabhängig von diesen Bestimmungen schließt der Neugliederungs-Vertrag und damit auch Art.58 NV die Einbeziehung des gemeinsamen Landes in eine bundesweite Neugliederung nicht aus233. Insoweit relativieren sich die „Versteinerungen" aus Art. 58 NV. Vor dem Hintergrund der bundesrepublikanischen Neugliederungsgeschichte234 kann hiervon jedoch kaum ausgegangen werden.
Insgesamt kristallisiert sich bei den Vertragsversteinerungen die Schwierigkeit der mit ihr einhergehenden Unbeweglichkeit. Zwar ist noch für die Übergangszeit im Notfall ein Ausweg eröffnet: Stellt sich in dieser Zeit heraus, daß bestimmte Regelungen des Neugliederungs-Vertrages der Modifizierung bedürfen, sieht Art. 58 ΠΙ S. 1 NV vor, daß bei unabweisbarer Notwendigkeit eine Vertragsänderung durch eine Zweidrittelmehrheit jeweils in beiden Länderparlamenten zulässig ist. Sofern diese Änderungen den Wesensgehalt des Vertrages antasten, bedürfen die Änderungen nach Art. 58 Π S. 2 NV in beiden Ländern der Zustimmung durch Volksabstimmung und sind legitimatorisch den verbleibenden Bestimmungen des Neugliederungs· Vertrages gleichwertig. Mit der Bildung des gemeinsamen Landes sind die Versteinerungsklauseln jedoch endgültig. Zu dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbare, in der Zukunft möglicherweise erforderliche Modifikationen sind nicht mehr durchführbar. Die inhaltliche Fragwürdigkeit und Ungewöhnlichkeit einer derartigen zeitlich unbegrenzten Bindung hat das Bundesverfassungsgericht bereits in Bezug auf frühere Neugliederungsvereinbarungen zum Ausdruck gebracht235. Vor diesem Hintergrund erhalten die unbegrenzt gültigen Versteinerungsklauseln, soweit sie die Strukturen der Stadt Berlin betreffen, ihre Berechtigung allein dadurch, daß sich ohne sie das Land Berlin wahrscheinlich kaum zu der Neugliederung bereit erklärt hätte. Die Bereitschaft bestand aber auf beiden Seiten nur unter der Voraussetzung, daß der jeweilige status quo in dem gemeinsamen Land - soweit möglich - gewahrt wird. Die rechtliche Zweckmäßigkeit bleibt allerdings sehr fragwürdig. Das gilt um so mehr, als sie in jedem Falle unter dem Vorbe233
Einzelbegründung zu Art.58 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.20. Vgl. oben 1. Kapitel A.II., E. 235 In der Vergangenheit gab es zwischen einem unteigegangenen Land und dem verbleibenden immer wieder Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit von Maßnahmen, die durch eine Veränderung der Umstände erforderlich erschien, jedoch bezüglich des Neugliederungsvertrages bedenklich waren, vgl. etwa BVerfGE 34, 216ff.; 38, 231 (238); femer oben 1. Kapitel C.III. 234
14 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
halt der clausula rebus sie stantibus236 stehen und im Zweifel der Anpassung unterliegen. Die Bedeutung der Versteinerungsklauseln ist - insbesondere für die unbegrenzt festgeschriebenen Materien - in erheblichem Maße weniger rechtlicher als vielmehr politischer Natur. Besonderes Gewicht kommt daher den Anpassungsregelungen und -möglichkeiten - sowohl bei den einzelnen Regelungsmaterien als auch für die teilweise nur zeitlich bedingte Versteinerung nebst ihren Verfahrensregelungen zur Vertragsänderung in Art. 58 NV - zur Vermeidung zukünftiger Rechtsstreitigkeiten zu. Sie dienen als Streitschlichtungsmechanismus über vertragsgegenständliche Auseinandersetzungen in dem gemeinsamen Land auf politischer Ebene. 8. Durchsetzung der Rechte aus dem Neugliederungs-Vertrag, Art. 56, 57 NV Trotz der vorgesehenen nachträglichen Vertragsgestaltungsmöglichkeiten konnten auch Berlin und Brandenburg für die Zukunft eines gemeinsamen Landes nicht davon ausgehen, daß alle vertragspezifischen Meinungsverschiedenheiten außergerichtlich beigelegt worden wären. Anders als in vorigen Neugliederungsvereinbarungen und -gesetzen237finden sich in dem Neugliederungs-Vertrag daher vorausschauend prozessuale Regelungen zur Durchsetzung der Rechte aus dem Vertrag, die er nicht dem im Zweifel zuständigen Bundesverfassungsgericht 238 überläßt. Sie bestimmen das zuständige Gericht sowie die Parteifähigkeit. Die Entscheidung über Streitigkeiten über Rechte und Pflichten der Vertragsparteien aus dem Neugliederungs-Vertrag liegt nach Art. 57 NV bei dem Landesverfassungsgericht des gemeinsamen Landes. Nur bis zur Bildung des gemeinsamen Landes ist für derartige Streitigkeiten das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 931 Nr. 4 GG zuständig. Die Regelung ist zulässig und unkompliziert. Das spricht für sie. Sachnäher wäre es hingegen gewesen, für die Übergangszeit ein Schiedsgericht, das sich aus Mitgliedern beider Landesverfassungsgerichte zusammensetzte, zu bilden239. Allerdings ist die Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichtes des gemeinsamen Landes mit Blick auf den Rechtsstreit des in Nordrhein-Westfalen aufgegangenen Landes Lippe gegen Nordrhein-Westfalen erörterungsbedürftig. In diesem Rechtsstreit stellte das Bundesverfassungsgericht seine eigene Zuständigkeit unter zutreffender Negierung der des Landesverfassungsgerichtes des Landes NordrheinWestfalen fest, da dieses nicht die erforderliche gerichtliche Unparteilichkeit besitze 240 . Diese Situation läßt sich jedoch nicht auf die Neugliederung Berlin-Branden236 237 238 239 240
Vgl.obenl.KapitelC.il. Siehe oben 1. Kapitel D. IV. Vgl. oben 1. Kapitel C.III. Siehe hierzu oben 1. Kapitel C.III. BVerfGE 3,267 (278); s.a. oben 1. Kapitel C.III.
C. Funktionsweise der Neugliederung
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burg übertragen. Das Land Lippe verlor seine Landesebene und wurde in das fortbestehende Land Nordrhein-Westfalen eingegliedert241. Wäre das Landes Verfassungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen für die Streitentscheidung des ehemaligen Landes Lippe und des fortbestehenden Landes Nordrhein-Westfalen zuständig gewesen, hätte das Verfassungsgericht eines Landes über eine originär zwischenlandliche Angelegenheit entschieden, ohne daß das andere Land einen verfassungsgerichtlichen Entscheidungsträger hätte stellen können. Eine neutrale Berücksichtigung aller beteiligten Interessen und Argumente wäre nicht sicher gewährleistet gewesen. Dagegen handelt es sich bei der Neugliederung von Berlin und Brandenburg nicht um eine Eingliederung des einen Landes in das andere: Zwar verliert Berlin seine Landesebene und verbleibt wie Lippe mit der Kommunalebene. Die Ausgangslage ist aber sehr unterschiedlich. Der Neugliederungs-Vertrag sieht einen Zusammenschluß vor, in dem sowohl das Land Berlin als auch das Land Brandenburg untergehen und ein neues, bisher nicht existierenden Land gründen. Kein Land unterwirft sich den Verfassungsorganen des anderen Landes. Vielmehr werden diese neu gegründet. Damit ist auch die Verfassungsgerichtsbarkeit des neuen Landes Berlin-Brandenburg losgelöst von denen der vormaligen Länder. Seine Neutralität und Unbefangenheit in Rechtsstreitigkeiten aus dem Neugliederungs-Vertrag ist gewährleistet. Wie aber können Berlin und Brandenburg die aus dem Neugliederungs-Vertrag herrührenden Rechte vor dem neuen Landesverfassungsgericht geltend machen? Sie selbst haben aufgehört zu existieren. Im Fall Lippe gegen Nordrhein-Westfalen hat das Bundesverfassungsgericht gewohnheitsrechtlich hergeleitet, daß ein untergegangenes Land für die Geltendmachung staatsvertraglich verbürgter Rechte in formeller und materieller Hinsicht als weiterbestehend gilt 242 , so daß die entsprechenden Vertretungsorgane die Rechte wahrnehmen. Dieser Verfahrensgedanke liegt auch der Bestimmung des Art. 56 NV zugrunde. Danach können die Rechte aus dem Neugliederungs-Vertrag zugunsten des ehemaligen Landes Berlin von der Stadt Berlin oder von einem Drittel der in den Berliner Wahlregionen gewählten Abgeordneten des Landtages geltend gemacht werden. Für das ehemalige Land Brandenburg können die Rechte entsprechend von den Kreisen und anderen kreisfreien Städten oder von einem Drittel der in den Wahlregionen außerhalb Berlins gewählten Abgeordneten des Landtages geltend gemacht werden. Damit sieht der Neugliederungs-Vertrag für beide Vertragsparteien zwei Möglichkeiten einer Prozeßstandschaft vor. Durch diese prozessualen Vorgaben erhalten die Kommunalebene und die Landesebene unabhängig voneinander die Möglichkeit, die insbesondere sie betreffenden vertraglichen Rechte geltend zu machen. Sofern auf Landesebene der Rechtsweg beschritten wird, stellt dabei ein Eindrittel-Quorum sicher, daß nur solche Vertragsverletzungen zu Rechtsstreitigkeiten führen, die von gewisser Erheblichkeit sind. 241 242
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Siehe oben 1. Kapitel C.III. BVerfGE 3,267 (279f.); s.a. oben 1. Kapitel C.III.
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Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Verwunderlich ist die Systematik der prozessualen Bestimmungen im Neugliederungs-Vertrag. In Anlehnung an die Struktur einer Prozeßordnung wäre zu erwarten, daß zunächst die Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichtes geregelt ist und im Anschluß daran gegebenenfalls die weiteren allgemeinen oder besonderen Sachurteilsvoraussetzungen. Der Neugliederungs-Vertrag läßt diese Systematik unberücksichtigt: Zunächst regelt Art. 56 NV die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen und erst im Anschluß daran bestimmt Art. 57 NV die Zuständigkeit des Landesverfassungsgerichtes. Aufgrund der wenigen Bestimmungen schadet dieser unsystematische Aufbau zwar noch nicht der Übersicht und Verständlichkeit. Sofern jedoch weitere Regelungen hinzukommen, ist es übersichtlicher, nicht ohne besonderes Erfordernis von den allgemein gültigen und gebräuchlichen Strukturen prozessualer Regelungen abzuweichen.
9. Formalia: Name, Flagge, Wappen des neuen Bundeslandes Weniger eine juristische als vielmehr eine politische Schwierigkeit war schließlich die Namensfindung. Doch wurden auf diesem Felde wohl eher Anregungen ausgetauscht und Scheingefechte geführt, als daß der schließliche Name des gemeinsamen Landes ernstlich von den Vertragsparteien in Frage gestellt wurde: Nach Art. 1 I I NV sollte es den Doppelnamen Berlin-Brandenburg erhalten. Damit wären beide Vertragsparteien bereits im Namen des neuen Landes vertreten gewesen. Mit dem Doppelnamen sollte zugleich die Bekanntheit Berlins für das gemeinsame Land genutzt werden243. Ein historisch begründeter Name wie etwa Mark Brandenburg oder Brandenburg kam damit nicht in Betracht244. Dem Hinweis, daß die bisherigen Bindestrich-Bundesländer ihren Namen aus Landschaftsbezeichnungen zusammengesetzt haben, ist entgegenzuhalten, daß es in Deutschland bislang keine Verbindung eines Stadtstaates mit einem Flächenstaat gab245. Überdies hat auch Baden-Württemberg seinen Doppelnamen nicht wegen der in ihm zusammengehenden Landschaften erhalten, sondern vielmehr, um in dem neuen Namen die Namen der vormaligen Länder möglichst wiederzugeben. Diese Überlegung gab auch für den Namen Berlin-Brandenburg den Ausschlag: Ein wesentlicher Grund für die Namengebung war die Angst vor Benachteiligung, die sich auch hier niederschlug. Die Gleichwertigkeit beider Vertragsparteien repräsentierte so schon der Name des gemeinsamen Landes. Heftige öffentliche Diskussionen gab es ebenfalls um das Wappen des neuen Landes. Dem Entwurf eines gemeinsamen Landeswappens gingen daher eingehende heraldische Untersuchungen voraus. Die bisherigen Landeswappen waren wiederum so zu einem einzigen zusammenzuschmelzen, daß das neue Wappen die Gleichwertigkeit von Berlin und Brandenburg widerspiegelt246. Nach Art. 21 NV sind die Landesfarben des gemeinsamen Landes rot und weiß, 243
Einzelbegründung zu Art. 1 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3. Einzelbegriindung zu Art. 1 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3. 243 Einzelbegriindung zu Art. 1 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3. 246 Vgl. Staatskanzlei Brandenburg-, apropos..., Erläuterungen zum Neugliederungsvertrag, Stand: Juni 1995 (unveröffentlicht), Stichwort: Wappen: „Die Verbindung von Brandenburger Adler und Berliner Bärfindet sich [...] in einer Vielzahl historischer Wappen der Stadt Berlin und bis heute in Wappen mehrerer Berliner Bezirke, zum Teil neben dem preußischen Adler." 244
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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mithin die Landesfarben der Länder Berlin und Brandenburg. Art. 1 II NV beschreibt detailliert das Landeswappen. Es ist angelehnt an das kurfürstliche Wappen der Berliner Dorotheenstadt aus dem 17. Jahrhundert247. Das Wappenschild ist nicht in Felder geteilt, sondern zeigt den Brandenburger Adler, an dessen Herzstelle als vornehmster Stelle ein Brustschild zu sehen ist, das das derzeitige Berliner Wappen einschließlich der Stadtsymbole abbildet. Durch diese Stellung des Berliner Wappens sollten die Größenunterschiede ausgeglichen werden248. Auch hier ist die Genauigkeit zu beachten, mit der beide Parteien auf die Wahrung ihrer Gleichrangigkeit bedacht waren.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes gemäß Art. 291 GG Eine grundlegende Voraussetzung für die Neugliederung ist, daß die sich neugliedernden Länder ein leistungsfähiges Bundesland schaffen 249. Hierfür galt es, Verhandlungen zu führen und Regelungen zufinden für folgende Materien: die externen und internen Finanzbeziehungen des neuen Landes250 (I., Π.), seine Personal- und Verwaltungsstruktur 251 (HL, IV.) sowie seine Raumordnung und Landesplanung252 (V.). Um in die entsprechenden Verhandlungen einzutreten und die erforderlichen Regelungen zu entwerfen, mußten Berlin und Brandenburg jedoch zunächst die jeweiligen Zielkorridore festlegen. Von dem während der Vertragsverhandlungen bestehenden status quo ausgehend, galt es unter Hinzuziehung vor allem von Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktprognosen auf die Bedingungen hinzuwirken, die die Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes nicht gefährden und möglichst gut unterstützen würden. Dabei sahen sich die Beteiligten mit der für eine Zukunftsentscheidung spezifischen Schwierigkeit konfrontiert, daß die für die Entscheidungsfindung erforderlichen Prognosen nur begrenzte Zeiträume umfassen und statt Sicherheit nur Wahrscheinlichkeiten spiegeln. Die aktuellsten, während der Vertragsverhandlungen zur Verfügung stehenden Prognosen, die sich mit den Konsequenzen der Neugliederung auseinandersetzen, stammen aus dem Jahre 1994253. Sie beziehen sich auf die für die einzelnen Materien vorgegebenen Planungszeiträume, die zumeist nicht über das Jahr 2000 hinausgehen. Für die Untersuchung der Folgen der Neugliederung wird daher grundsätzlich das Jahr 1994 und der entsprechende Planungszeitraum zugrunde gelegt. Nur eine solche Betrachtung ex ante er247
Dieses zeigt den Brandenburger Adler mit einem blauen Brustschild. Einzelbegründung zu Art. 2 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3. 249 Zu den materiellen Voraussetzungen einer Neugliederung siehe oben 1. Kapitel B. 250 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.3. 251 Vgl. oben 1. Kapitel B.II. 1. 252 Siehe oben 1. Kapitel B.II.2. 253 Gutachten des DIW und des BWI im Auftrage des Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Brandenburg: Döring!GeppertlHornlKutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995). 248
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
möglicht die Einschätzung, ob das Vorgehen von Berlin und Brandenburg auf dem Stand der seinerzeitigen Erkenntnisse ein leistungsfähiges neues Land geschaffen hätte254. Eine Betrachtung ex post ist für diese Einschätzung unzulässig: Für nicht vorhersehbare Entwicklungen auf den einzelnen Sektoren, die ex post die Einschätzung ex ante partiell modifizieren würden, können die Beteiligten nicht verantwortlich zeichnen. Da ein neugegliedertes Land aber gerade für zukünftige Krisen besonders gewappnet sein muß, sind an die Nichtvorhersehbarkeit strenge Maßstäbe anzulegen. Maßgeblich ist, daß Berlin und Brandenburg auf der Grundlage vergangener Erfahrungswerte, der gegenwärtigen Situation und der Prognosewerte in den einzelnen Materien eine solide Basis schaffen, die dem neuen Land - notfalls bei Anspannung aller Kräfte - eine erfolgreiche Konsolidierung ermöglicht.
I. Die externen finanzrechtlichen Grundlagen der Neugliederung Diefinanzielle Ausgangslage für das Neugliederungsvorhaben war in Berlin und Brandenburg von erheblichen Defiziten gekennzeichnet: Die Finanzplanung sah für das Jahr 1994 auf der Einnahmenseite für Berlin 33,11 Mrd. D M und für Brandenburg 14,02 Mrd. DM, insgesamt 47,13 Mrd. DM vor 255. Dem standen Ausgaben in Berlin in Höhe von 41,31 Mrd. DM und in Brandenburg in Höhe von 19,88 Mrd. DM, insgesamt 61,29 Mrd. D M gegenüber256. Für 1994 ergab das eine Deckungslücke von insgesamt 14,16Mrd.DM (Berlin: 8,2 Mrd. DM, Brandenburg: 5,86Mrd.DM). Aufgrund dieser Ausgangsdaten257 hatten beide Länder eine außerordentlich schwierige finanzielle Problematik zu bewältigen. Alsfinanzschwache Länder, die ihren Finanzbedarf nicht aus originär eigenen Mitteln bestreiten können, sind sie auf fremde Finanzquellen angewiesen258. Neben dem Bund-Länder-Finanzausgleich erhalten sie zusätzliche Fördermittel des Bundes - etwa aus dem Fonds „Deutsche Einheit" - sowie der Europäischen Union. Die Anwendung der geltenden Finanzbestimmungen hätte für das neue aus den beiden Ländern Berlin und Brandenburg entstandene Land erheblichefinanzielle Konsequenzen mit sich gebracht. Das gilt insbesondere für die Mittel, die Berlin-Brandenburg aus dem Finanzausgleich erhalten hätte. 234
Zur Anforderung der Leistungsfähigkeit siehe oben 1. Kapitel B.II. Vgl. Klein!Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (342). 236 Vgl. Klein!Krimms, Die finanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S. 341 (342). 237 Zur wirtschaftlichen Situation Berlins siehe auch Berger, Hauptstadt Berlin, in: Süß, Werner (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Bd3,1995, S.63ff.; zur Wirtschaftsstruktur und -entwicklung des Großraumes Berlin Heuer, Der Großraum Berlin, in: Moser, Hubertus (Hrsg.), Berlin-Report, 1992, S. 17, 32ff., ferner BrenkelGeppert, Die Wirtschaft im Raum Berlin, ebda, S.47ff. 258 Zu den Begriffen der „originären" und „fremden" Finanzkraft siehe oben 1. Kapitel B.II.3.a). 233
D. Schaffg eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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1. Finanzielle Sicherung und Übergang auf Bund-Länder-Ebene durch das Neugliederungsgesetz Wegen der Voraussetzung des Art. 291 GG, mit einer Neugliederung ein leistungsstarkes Land zu schaffen, waren Berlin und Brandenburg in die Pflicht genommen, insbesondere hinsichtlich des Bund-Länder-Finanzausgleiches den entsprechenden Rahmen einzufordern 259. Auf der anderen Seite waren der Bund und die verbleibenden Länder angehalten, die notwendigenfinanziellen Mittel zu gewährleisten: „Inwieweit das Projekt tatsächlich verwirklicht wird, hängt [...] entscheidend von der Frage derfinanziellen Ausstattung des neu geschaffenen Bundeslandes ab", wobei es vor allem um die Frage ging, „ob und für welchen Zeitraum dem Land Berlin/Brandenburg das Privileg der Einwohnergewichtung für Berlin (§ 9 Abs. 2 FAG) eingeräumt werden soll."260 Die Berlin-Brandenburgische Verhandlungsposition war stark, so daß beide Länder ihre Forderungen im wesentlichen durchzusetzen vermochten. Selbstbewußt resümierte die Gemeinsame Regierungskommission, daß, sofern die Forderungen der beiden Länder nicht erfüllt würden, „der Vollzug einer Ländervereinigung auf lange Sicht aufgeschoben werden" müsse261. Da den übrigen Ländern und dem Bund allein die Wahl zwischen einer teuren und gar keiner Neugliederung blieb, entschieden sich die - voraussichtlich - langfristigen Nutznießer der Neugliederung im Finanzausgleich für das kleinere Übel. Am 28./30. Oktober 1992 ging die Ministerpräsidentenkonferenz auf die grundsätzlichen Forderungen der Länder Berlin und Brandenburg ein und befürwortete das Neugliederungsvorhaben: „Die Regierungschefs der Länder sprechen sich dafür aus, den künftigen horizontalen und vertikalen Finanzausgleich in bezug auf die Länder Berlin und Brandenburg so zu gestalten, daß eine Neugliederung dieser Länder nicht behindert, sondern gefördert wird, so daß ein gemeinsames neues Land während einer Übergangszeit nicht schlechter gestellt wird als zwei getrennte Länder."262 Ferner erklärten Berlin und Brandenburg am 12. November 1992 als „wichtigstes Ziel der neuen Länder und Berlin [...] ihre volle und gleichberechtigte Einbeziehung ab 1.1.1995 in den neu zu regelnden Finanzausgleich"263. Damit war die Grundrichtung zweigleisig vorgegeben: Der neu 259
Zu den neugliederungsbedingten Modifikationen im Bund-Länder-Finanzausgleich vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.a)-c). 260 Peffekoven, Reform des Finanzausgleichs - eine vertane Chance, in: FA η. F. 51 (1994), S. 281 (307 f.). 261 Bericht der GRK, Ani. 3, AbgH v. Bin Drs. 12/2357 S. 15; dies betonte Diepgen (RegBM) auch im Rahmen der Diskussion im Bundesrat um den Entwurf des Neugliederungsgesetzes: „Die beiden Länder [...] werden sich nur dann zu einer Fusion [...] entscheiden können, wenn die Bundesregierung und die Spitze Ihres Hauses eine solche Entscheidung nicht nur mittragen, sondern auch mit fördern [...].[...] Wenn die Ausgangspositionen für die Übergangsregelungen nicht ausreichend sind, kann diese wichtige Entscheidung [...] nicht getroffen werden.", BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S. 89 (B). 262 Bericht der GRK, Ani. 3, AbgH v. Bin Drs. 12/2357 S. 13. 263 Bericht der GRK, Ani. 3, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 13.
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2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
zu regelnde Bund-Länder-Finanzausgleich sollte Berlin und Brandenburg unabhängig von den Neugliederungsbemühungen mit einbeziehen264. Parallel sollten die finanzausgleichspezifischen Übergangsregelungen für die Neugliederung verhandelt werden, die im Kern einenfinanziellen Verlust des neuen Landes in der Übergangszeit verhindern sollten. Am 16. Dezember 1993 sowie 17. März 1994 folgten Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz zu denfinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung. Dabei gab es zunächst verfassungsrechtliche Vorbehalte einzelner kleiner Länder an einer zeitlichen Übergangsregelung265, die sich durch die in dem Fall einer erfolgreichen Fusion wieder aufkeimende generelle Neugliederungsdiskussion in ihrer Existenz bedroht sahen. Zuletzt setzten sich die größeren und Geberländer durch. Am 18. März 1994 stimmte daher der Bundesrat dem Gesetzesantrag266 der Länder Berlin und Brandenburg über diefinanziellen Voraussetzungen zu 267 . Auch der Bund befürwortete die angestrebte Neugliederung ausdrücklich: „Die Bundesregierung begrüßt es, daß der Bundesrat mit vorliegendem Gesetzentwurf die Bemühungen der Länder Berlin und Brandenburg um einen Zusammenschluß zu einem gemeinsamen Flächenstaat durchfinanzielle Flankierungen unterstützt. Sie sieht die Bereitschaft der beiden Länder zu einer Fusion mit Sympathie. Es ergibt sich die Chance, aus zwei regional eng verbundenen Ländern ein großes, leistungsfähiges Land zu bilden, das zu einer ausgewogenen Struktur der in ihrer Finanzkraft weit auseinander liegenden Länder beiträgt"268. Darauf folgte am 30. Juni 264 Das durch Art. 33 FKPG ergangene FAG brachte für Berlin keine Änderung gegenüber dem vorigen FAG, da die „Mittel, die der Stadt aus der Neuverteilung der Umsatzsteuer, dem Länderfinanzausgleich sowie den Ergänzungs- und Investitionszuweisungen zufließen, [...] den Beträgen [entsprechen], die 1994 im Rahmen der Berlinhilfe und aus dem Fonds Deutsche Einheit zur Verfügung gestellt" wurden; dagegen war für Brandenburg ein Plus von 3 Mrd. DM zu erwarten: „es entfallen die Mittel aus dem Fonds Deutsche Einheit in Höhe von über 5 Mrd. DM, doch stehen dem Land reichlich 8 Mrd. DM aus dem Föderalen Konsolidierungsprogramm zu", DöringlGeppertlHorn!KutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 187. Den diesbezüglichen Forderungen der beiden Länder war damit mehr als Genüge getan: Die GRK hatte im November 1992 für die Gestaltung der Finanzbeziehungen des gemeinsamen Landes zum Bund gefordert, a) eine Nachfolgeregelung für die Bundeshilfe nach § 16 des Dritten Überleitungsgesetzes für erne Übergangszeit von mindestens 10 Jahren für kurzfristig nicht abbaubare Teilungslasten der Stadt (ζ. B. Wohnungsbauförderung, ÖPNV, Energiewirtschaft, innere Sicherheit, Sozialstruktur, Kultur- und Wissenschaftsförderung, Versorgungslasten); b) eine „befriedigende" Regelung für die Finanzierung der Hauptstadtlasten Berlins (und der Region) entsprechend Art. 6 des „Vertrages über die Zusammenarbeit der Landesregierung und des Senats von Berlin" v. 25.8.1992 und Art. 4 des entsprechenden Vertrages über die Zusammenarbeit der Bundesregierung und der Regierung des Landes Brandenburg, Bericht der GRK, Ani.3, AbgH v.Bln Drs. 12/2357 S. 14. 265
Bremen, Schleswig-Holstein und Sachsen, vgl. Kähne (CdSK), Ausschuß für die Zusammenarbeit der Länder Berlin und Brandenburg, 27. Sitzg v. 28.1.1994, AbgH v. Bin, ABlnBbg 12/27 S.4; ferner auch Hessen, siehe BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S. 122 (C). 266 Antrag der Länder Berlin und Brandenburg für ein Gesetz zur Regelung der finanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, BR-Drs. 887/93. 267 BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S. 88 (D). 268 BT-Drs. 12/7818 S. 8 zu I.
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1994 die einstimmige Beschlußempfehlung des Finanzausschusses des Bundestages zum Bund/Länder-Kompromiß über diefinanziellen Voraussetzungen sowie am 1. Juli 1994 die abschließende Zustimmung des Bundestages. Am 9. August 1994 erging das Gesetz zur Regelung derfinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg269 (NGG) und legte den finanziellen Grundstein für die Einigung zwischen Berlin und Brandenburg270. Es tritt gemäß Art. 6 NGG allerdings nur aufschiebend bedingt für den Fall einer erfolgreichen Neugliederung in Kraft 271, m. a. W. ist die Regelung mit der gescheiterten Neugliederung hinfällig geworden. Das Neugliederungsgesetz geht von einer Neugliederung im Jahre 1999 aus. Auf diesen Zeitpunkt bezogen272 nimmt es zum einen Änderungen des Bund-Länder-Finanzausgleiches vor: das Finanzausgleichsgesetz wird an die neue Situation eines Landes Berlin-Brandenburg angepaßt und zugleich mit Übergangsregelungen ergänzt, die dasfinanzielle Umfeld der Neugliederung absichern. Ein gemäß Art. 1 Nr. 4 NGG neu einzufügender § 17 FAG hält denfinanzausgleichsrechtlichen status quo, wie er für zwei getrennte Länder Berlin und Brandenburg gilt, im wesentlichen für 15 Jahre aufrecht. § 17 FAG ist die „Kernvorschrift" des Neugliederungsgesetzes273. Zum anderen gleicht das Neugliederungsgesetz Bundesgesetze an, soweit sie finanzielle Zuwendungen an Berlin und Brandenburg vorsehen. Sowohl Berlin als auch Brandenburg konnten jedoch die vollständige Aufrechterhaltung des status quo im Finanzausgleich nicht für den gesamten Übergangszeitraum durchsetzen, so daß ein gemeinsames Land absolut mit einem Minus gegenüber den Einnahmen zweier getrennter Länder Berlin und Brandenburg hätte auskommen müssen.
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BGBl. IS. 2066. Häde, Finanzausgleich, 1996, S.293, befürwortet eine verfassungsrechtliche Übergangsregelung in Art. 118 a GG. Zu den Bedenken gegen eine solche Übelgangsregelung siehe oben 1. Kapitel Β. II. 1. c): insbesondere wäre wegen der Unsicherheiten des Ob und Wann der Neugliederung die Regelung in einer Allgemeinheit geblieben, die für die Verwirklichung des Vorhabens entsprechende Verhandlungen über eine Übergangsbestimmung erfordert hätte. 271 Gemäß Art. 6 des Gesetzes tritt es erst „am 1. Januar des Jahres in Kraft, in dem die Länder Berlin und Brandenburg ein gemeinsames Land bilden." Korioth bezeichnet diese Regelung als Kuriosum, vgl. ders. Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997,408, Fn. 1, ähnlich Häde, Finanzausgleich, 1996, S. 291, der von einer „wohl eher seltene[n] Regelung" spricht. In der Begründung des Gesetzentwurfes (BT-Drs. 12/7818 S.7) wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß „nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 1976, BVerfGE 42, 263,283ff.) [...] die aufschiebend bedingte Inkraftsetzung gesetzlicher Regelungen grundsätzlich zulässig" ist; s.a. Dietrich, B., Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den Finanzausgleichssystemen der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S.245 Fn. 1487. 272 Sofem sich die Neugliederung verschiebt, verkürzt sich die Dauer der Übeigangsregelungen entsprechend. 27 3 Klein!Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (343). 27 0
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
a) Anpassung und Übergang im Bund-Länder-Finanzausgleich (1) Anpassungen im primären Finanzausgleich Die Änderungen des primären Finanzausgleiches beziehen sich inhaltlich allein auf die horizontale Ebene. In vertikaler Richtung paßt Art. 1 Nr. 1 a), b) NGG klarstellend274 lediglich den Wortlaut des § 1Π S. 2 2. HS, S. 4 FAG an, so daß die teilweise Refinanzierung der Bundeszuschüsse für den Fonds „Deutsche Einheit" aus dem Länderanteil an der Umsatzsteuer in bezug auf Berlin und Brandenburg unverändert bleibt: Auch für das neue Land wird der Beitragsanteil unverändert gegenüber der Inanspruchnahme bei Bestehen beider Länder nur „vorab nach der Einwohnerzahl des ehemaligen Landes Berlin ohne Berücksichtigung" des Ostteiles von Berlin berechnet. Wie oben dargelegt275, trägt eine solche Regelung dem Gedanken des Fonds „Deutsche Einheit" Rechnung, die jungen Bundesländer und den Osten Berlins in ihrem strukturellen Aufbau zu fördern. In horizontaler Richtung bedarf es aufgrund der allgemeingültigen Regelungen des Finanzausgleichsgesetzes und des Zerlegungsgesetzes keiner Angleichung, um Berlin-Brandenburg vollständig und gleichwertig in den Ausgleich einzubeziehen. Die gleichwertige Einbeziehung des neuen Landes hätte für dieses indes weitreichendefinanzielle Konsequenzen nach sich gezogen: Aufgrund der in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1993 erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung für den Zeitraum von 1994 bis 1998 hätte im Jahre 1999 bei zwei getrennten Ländern das Land Berlin über eine Steuerkraft i. Η. v. 117 v. H. und das Land Brandenburg i. H. v. 57 v. H. des Bundesdurchschnittes aufgewiesen 276. Im Umsatzsteuervorwegausgleich hätte Berlin daher 766 Mio. DM abgeben müssen, Brandenburg hätte eine Zuweisung i. Η. v. 2,4 Mrd. D M zu erwarten gehabt. Auf die Region Berlin-Brandenburg bezogen hätte dies Einnahmen aus dem Umsatzsteuervorwegausgleich i. H. v. 1,64 Mrd. D M bedeutet. Allerdings hätte ein gemeinsames Land aufgrund der Steuerstärke Berlins nach Modellrechnungen eine Steuerkraft von über 92 v. H. gehabt, so daß es 1,06 Mrd. D M im Umsatzsteuervorwegausgleich hätte abgeben müssen277. Um auch 274 Eine juristische Notwendigkeit besteht nicht: Das neue Land Berlin-Brandenburg tritt als Rechtsnachfolger der Länder Berlin und Brandenburg auch finanzausgleichsrechtlich in deren Rechte und Pflichten ein. 275 Siehe oben 1. Kapitel B.II.3.a)(l). 276 Vgl. Döring/GeppertlHorn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 194f. - Schon zuvor waren verschiedene Simulationsrechnungen bezüglich der finanziellen Folgen für das neue Land erstellt worden. Diese können indes unbeachtet bleiben, da die Neuordnung des FAG 1995 dort keine Berücksichtigungfindet, vgl. etwa Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.42, oder nur sehr rudimentär behandelt werden, so ders. Öffentliche Finanzen in Berlin-Brandenburg - Bringt ein gemeinsames Bundesland Vorteile?, in: DIW Wochenbericht 38/93, S.513 (517f.). 277 Vgl. Döring/Geppert/Horn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 196.
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hier per saldo den status quo aufrecht zu erhalten, findet sich in § 171 FAG für die Verteilung der Umsatzsteuer und der Gewerbesteuerumlage unter den Ländern sowie in Art. 3 N G G mit einer Änderung des Zerlegungsgesetz eine Übergangsregelung.
(2) Anpassungen im sekundären Finanzausgleich Den belastendsten Einschnitt nimmt Art. 1 Nr. 2 N G G vor, indem er Berlin aus der Einwohnerveredelung herausnimmt 278 . Gemäß § 9 Π FAG wird bei der Bemessung der Ausgleichsmeßzahl die Einwohnerzahl Berlins mit 135 v. H. gegenüber den Flächenländern (100 v. H.) gewertet 279 . Diese Privilegierung läßt Art. 1 Nr. 2 N G G entfallen 280 . Das neue Land wird bei der Errechnung der Ausgleichsmeßzahl den übrigen Flächenstaaten gleichgestellt. Der sich daraus ergebende finanzielle Einschnitt für die Region Berlin-Brandenburg wäre eklatant gewesen. Nach Angaben des Berliner Senates vom 29. April 1995 belief sich allein „der Gegenwert [...] [des] Stadtstaatenprivilegs" zum damaligen Entscheidungszeitpunkt bezogen auf das Jahr 1998 auf etwa 5 Mrd. DM 2 8 1 . Daraus folgernd stellte der Berliner Senat weiterhin fest, daß das Volumen der 15-Jahres-Übergangsregelung für die Einwohnerwertung insgesamt etwa 55 Mrd. DM umfasse 282. Diese Werte gehen zurück auf Prognosen der der Gemeinsamen Regierungskommission nachgeordneten Arbeitsgruppe 2 (Finanzen), die sich aus der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin und dem Ministerium für Finanzen des Landes Brandenburg zusammensetzte. Die Arbeitsgruppe hatte am 12. November 1992 - ausfinanzpolitischem Interesse für das gemeinsame Land das Volumen des Stadtstaatprivileges großrechnend283 - festgestellt, daß „derfinanzielle Vorteil der besonderen Einwohnerwertung [...] bei gegenwärtiger Regelungsstruktur des Länderfinanzausgleichs rd. 3,8 Mrd. D M im Jahre 1995 betragen und bis zum Jahr 2000 auf rd. 6 Mrd. ansteigen" würde 284. Diese prognostizierten hohen Werte erscheinen jedoch mit Hinblick auf zwei Gutachten, von denen eines die Senatsverwaltung für Finanzen 1992285 und das andere das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Bran278 Vgl. Geppert/Vesper, Länderfusion begünstigt Entwicklung, in: DIW Wochenbericht 10/95, S.219ff. 279 S. a. oben 1. Kapitel Β. II. 3. a) (2). 280 Siehe auch Müller-Overheu, Der bundesstaatliche Finanzausgleich im Rahmen der deutschen Einheit, 1994, S. 131 ff. 281 Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S.2; Begründung zu Kapitel VI. NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 10. 282 Vgl. AbgH v.Bln, Drs. 12/5521, S.III., Hochrechnung auf der Grundlage des Basiswertes 1995 ohne Dynamisierung. 283 Die Arbeitsgruppe 2richtetesich mit der Bekanntgabe der Prognosewerte zugleich an den Bund und die übrigen Länder, um die Ausgangsposition von Berlin und Brandenburg in den Verhandlungen um die Übergangsbestimmungen für die Neugliederung im Finanzausgleich zu stärken: ,3erlin und Brandenburg fordern für das gemeinsame Land [...] den Erhalt der besonderen Stadtstaaten-Einwohnerwertung [...] für mindestens 10 Jahre [...]", Bericht der GRK, AbgH v. Bin Drs. 12/2357 S. 13. 284 Bericht der GRK, AbgH v. Bin Drs. 12/2357 S. 13. 285 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.9. - Das Gutach-
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg denburg 1993286 bei dem DIW in Auftrag gegeben hatte, wenig überzeugend und betreffen weniger den Gegenwert des Stadtstaatenprivileges als vielmehr den Wert der gesamten aus dem „Länderfinanzausgleich" für Berlin resultierenden Mittel 287 . Nach beiden Gutachten lagen die Schätzungen für das Stadtstaatenprivileg bedeutend niedriger. Unter Zugrundelegen der seinerzeit aktuelleren, schon die Neuordnung des Finanzausgleiches zum Jahre 1995 einbeziehenden Modellrechnung des DIW mit Stand vom Sommer 1994 hätte Berlin als eigenständiges Land im Jahre 1999 aus dem sekundären horizontalen Finanzausgleich aufgrund der Einwohnerveredelung insgesamt 2,92 Mrd. DM erhalten288. Brandenburg hätte 1,5 Mrd. D M erhalten, so daß sich umgerechnet auf die Region Berlin-Brandenburg ein Betrag i. H. v. insgesamt 4,42 Mrd. DM errechnet; ein gemeinsames Land hingegen hätte nurmehr 2,01 Mrd. DM auf dieser Stufe des Finanzausgleiches erhalten289. Auf das gesamte Landesgebiet umgelegt hätten einem gemeinsamen Land insgesamt 2,42 Mrd. DM weniger aus dem umverteilenden horizontalen Finanzausgleich zur Verfügung gestanden, als zwei getrennten Länder290. Zwar schlagen diese Beträge Berlin betreffend im Gegensatz zu denen der Senatsverwaltung für Finanzen und ten wurde erst im Herbst 1993 freigegeben, worauf zunächst eine aktualisierte Vorabzusammenfassung erschien, vgl. ders., Öffentliche Finanzen in Berlin-Brandenburg - Bringt ein gemeinsames Bundesland Vorteile?, in: DIW Wochenbericht 38/93, S. 513 ff.; ferner zusammenfassend veröffentlicht unter ders., Die Problematik der Verschmelzung eines Flächen- und eines Stadtstaates im Länderfinanzausgleich: Der Fall Berlin-Brandenburg, in: Probleme des Finanzausgleichs in nationaler und internationaler Sicht, Beihefte der Konjunkturpolitik 41 (1993), S.llóff. 286 Beauftragt wurden das DIW und das BWI. Den Gutachtenteil des DIW nebst einer Gesamtzusammenfassung hat es erst 1995 - mit Stand vom Spätsommer 1994 - veröffentlicht, vgl. Döring/GeppertlHorn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.9f. Es wurde vollständig erst der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, nachdem im Spätsommer 1994, am 9.8.1994, das NGG verabschiedet worden war (BGBl. I S. 2066), so daß auch hier offensichtlichfinanzpolitisches Kalkül für das gemeinsame Land verantwortlich zeichnet. 287 Vgl. etwa SenFin (Hrsg.); Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001, 1997, S.52. 288 2,86 Mrd. DM hätten sich ergeben aus der Bemessung der Ausgleichszuweisungen gemäß § 101 FAG, in die die Stadtstaatprivilegierung nach § 9 II FAG unmittelbar Eingang findet; weitere 60 Mio. D M hätte die Anhebung der Finanzkraft auf 95 v. H. des Bundesdurchschnittes gemäß § 10 III FAG gebracht, vgl. Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 196. - Aber auch nach der älteren Schätzung hätte Berlin gemäß § 101 FAG bestenfalls 4,5 Mrd. DM erhalten. Der Wert des Stadtstaatprivileges ist dabei nicht herausgerechnet, vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.56. 289 Vgl. tabellarische Übersicht der Modellrechnung bei Döring/Geppertl Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 198. 290 Ohne Einbeziehung der Bundeseigänzungszuweisungen hätte die Neugliederung also - auf die gesamte Region umgerechnet - gegenüber der Situation zweier getrennter Länder Berlin und Brandenburg einen Verlust im Finanzausgleich i. H. v. 5,11 Mrd. DM jährlich verursacht: Im primären Finanzausgleich hätten zwei getrennte Länder insgesamt 1,64 Mrd. DM, im sekundären horizontalen Finanzausgleich 4,42 Mrd. DM, d. h. summa summarum 6,06 Mrd. DM erhalten. Ein gemeinsames Land hätte im verteilenden Ausgleich 1,06 Mrd. DM abgeben müssen und hätte bei dem umverteilenden horizontalen Ausgleich 2,01 Mrd. DM, d.h. per Saldo 0,95 Mrd. DM erhalten.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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des Ministeriums für Finanzen in das andere Extrem und beruhen auf der überzogenen Annahme, daß „die Berliner Wirtschaft [...] stärker wachsen wird als die Wirtschaft in den anderen Regionen Deutschlands."291 Die Diskrepanz zeigt jedoch mit aller Deutlichkeit, daß die Berechnungen der Finanzverwaltungen - auch wenn sie tendenziell besser lagen292 - auf das obere Ende der Prognoseskala abzielten293. Trotz dieser Divergenzen sind sich die Prognosen jedoch darin einig, daß die Neugliederung auf der Stufe des sekundären horizontalen Finanzausgleiches für das gemeinsame Land gravierende Folgen mit sich bringt.
Dennoch ist mit Blick auf den Grund der Privilegierung 294, den Ausgleich der stadtstaatspezifischen Spillover-Effekte und den fehlenden möglichen kommunalen Finanzausgleich, die Streichung der Einwohnerprivilegierung folgerichtig. Beide Aufgaben können innerhalb des neuen Bundeslandes prinzipiell wahrgenommen werden295. Die übergangsweise Aufrechterhaltung der Einwohnerveredelung, die § 171, I I FAG vorsieht, ist daher nicht unproblematisch. Daneben enthält § 171 FAG eine allgemeine Bestimmung zur übeigangsweisen Aufrechterhaltung des status quo im horizontalen umverteilenden Finanzausgleich. Auch die Bundesergänzungszuweisungen läßt das Neugliederungsgesetz nicht unbeachtet. Sowohl für Berlin als auch für Brandenburg entfallen gemäß Art. 1 Nr. 3 a) NGG die nach § 11 III FAG gewährten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung und der zentralen Verwaltung in Höhe von insgesamt 383 Mio. DM jährlich 296. Daß diese gewährten Zuweisungen entfallen, ist ebenfalls nur folgerichtig. Die mit der Zuweisung ausgeglichenen „Kosten der Kleinheit" sind in der Sache entfallen 297. Da der Abbau des damit verbundenen Verwaltungsapparates jedoch nur über einen längeren Zeitraum möglich ist, erfordert der Wegfall der Zuweisung eine Übergangsregelung, die sich in § 171, IV FAG findet. Hinsichtlich der Sonderbedarfs-Bundesei^änzungszuweisungen zum Abbau teilungsbedingter Sonderbelastungen sowie zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft stellt Art. 1 Nr. 3 b) NGG klar, daß die bisher an die Länder Berlin und Brandenburg zu leistenden Zuweisungen das neue Land Berlin-Brandenburg 291 Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 194. 292 SenFin (Hrsg.), Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001, 1997, S. 52, stellt für das Jahr 1997 Einnahmen des Landes Berlin aus dem „Länderfinanzausgleich i. H. v. 4,29 Mrd. DM fest und prognostiziert für das Jahr 1999 Einnahmen i. H. v. 4,84 Mrd. DM, für das Jahr 2000 i. H. v. 5,1 Mrd. DM. 293 Siehe zum Vergleich auch Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.56. 294 Vgl. oben 1. Kapitel Β. II. 3. a) (2). 295 Zur Einbeziehung der Stadt Berlin in den kommunalen Finanzausgleich eines gemeinsamen Landes siehe 2. Kapitel D.II.2.b). 296 Vgl. BT-Drs. 12/7818 S. 7; vgl. auch Vorlage - zur Beschlußfassung - über Neugliederungs vertragsG, AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.2. 297 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.a)(3).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
erhält. Ohne Änderungen des Wortlautes von § 11IV S. 1-2 FAG geschieht dies durch Anfügen eines weiteren Satzes. Im Gegensatz zu einer Neuregelung, die die bisherigen Ländernamen Berlin und Brandenburg durch den Namen des neuen Landes ausgewechselt hätte, setzt der Gesetzgeber damit die summenmäßige Verteilung der Ergänzungszuweisung innerhalb des neuen Bundeslandes fest. In ungewöhnlicher Weise unterliegen die nach § 11IV FAG an ein Land gerichteten Zuweisungen einer landesbezogenen Regionalbindung, mit der die Bundesebene sicherstellt, daß das neue Land nicht die vormals für Berlin beziehungsweise Brandenburg bestimmten Mittel in das jeweils andere Gebiet umleitet. Die Entstehungsgeschichte und der Inhalt des Neugliederungs-Vertrages - etwa die Durchleitungsnorm des Art. 34 N V 2 9 8 - lassen vermuten, daß diese Regelung auf die Wünsche Berlins und Brandenburg zurückzuführen ist. Die Bundesergänzungszuweisungen nach § 11IV FAG erhalten ihren status quo - auch innerhalb des neuen Landes. Die Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11Π FAG bedürfen keiner Anpassung, um das neue Land in den Finanzausgleich zu integrieren. Ohne auf ein konkretes Land Bezug zu nehmen, gleicht § 11 II FAG nach dem sekundären horizontalen Ausgleich noch verbleibende Fehlbeträge zwischen der Finanzkraftmeßzahl und der Ausgleichsmeßzahl zu 90v.H. aus. Der Region Berlin-Brandenburg wäre indes aus der Neugliederung ein deutlicher Verlust an Zuweisungen entstanden. Vornehmlich bedingt durch den Wegfall des Stadtstaatenprivileges hätte die Ausgleichsmeßzahl einen vergleichsweise geringeren Wert angenommen, d.h. der auszugleichende Fehlbetrag hätte sich reduziert. Auf das Jahr 1999 bezogen, hätte bei zwei getrennten Ländern Berlin voraussichtlich 1,08 Mrd. D M und Brandenburg 630 Mio. DM erhalten; umgerechnet wären 1,71 Mrd. D M in die Gesamtregion geflossen 299. Einem gemeinsamen Land indes wären nurmehr 1,53 Mrd. D M an Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen zugekommen300. Wie für die übrigen Verlustbereiche im Finanzausgleich enthält § 171 FAG daher für die Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 I I FAG eine Übergangsbestimmung.
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Siehe hierzu im einzelnen unten 2. Kapitel D. II. 2. c). Vgl. tabellarische Übersicht der Modellrechnung bei Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.200. 300 Döring! Geppertl Η orni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 200. - Damit hätte sich für die Gesamtregion Berlin-Brandenburg durch die Neugliederung im Finanzausgleich - ohne Übergangsregelungen - insgesamt ein Verlust i. H. v. 5,67 Mrd. D M ergeben: 5,11 Mrd. D M aus dem primären und sekundären horizontalen Ausgleich (s.o. Fn. 290) sowie 563 Mio. DM aus wegfallenden Bundesergänzungszuweisungen (bisher 383 Mio. DM aus § 11 III FAG und 180 Mio. DM mehr aus § 11 II FAG). 299
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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(3) Übergangsbestimmungen und Revisionsklausel: rechtlich weit ausreichende Finanzpuffer für das neue Land Um die Versorgung des neuen Landes mit ausreichenden Finanzmitteln zu gewährleisten, enthält das Neugliederungsgesetz einen umfassenden Katalog mit Übergangsbestimmungen, die durch die Neugliederung wegfallende Mittel weitgehend auffangen. Das Gesetz geht von der Annahme aus, daß der Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg spätestens im Verlaufe des Jahres 1999 erfolgt: Nach § 171 FAG wird das gemeinsame Land für einen Zeitraum von 15 Jahren, längstens bis zum Jahre 2013 einschließlich im bundesstaatlichen Finanzausgleich so behandelt, als seien die Länder Berlin und Brandenburg noch getrennt. Die Übergangsbestimmungen haben unterschiedliche Ausprägungen sowohl im primären als auch im sekundären Finanzausgleich. Auf der ersten Teilstufe der primären horizontalen Ebene modifiziert Art. 3 NGG den § 9 des Zerlegungsgesetzes. Er hält am status quo fest und stellt das neue Land bei der Zerlegung der Körperschaftsteuer, der Lohnsteuer und des Zinsabschlages für den gesamten, dem in § 171 FAG entsprechenden Übergangszeitraum den fiktiven Ländern Berlin und Brandenburg gleich und führt die Zerlegung getrennt durch. Auf der zweiten Teilstufe des primären horizontalen Finanzausgleiches bestimmt § 171 FAG, daß die Verteilung der Umsatzsteuer sowie die Verteilung der Gewerbesteuerumlage für den Übergangszeitraum so zu berechnen sind, als seien Berlin und Brandenburg noch getrennte Länder. Im sekundären Finanzausgleich bleibt auf der horizontalen Ebene die Einwohnerwertung des bisherigen Stadtstaates Berlin für den Gebietsteil Berlin des gemeinsamen Landes für den Übergangszeitraum erhalten301. Dies ist fragwürdig, da der Grund der Einwohnerveredelung - die Ausgleichsfunktion - entfallen ist302. Die Mittel sind hernach nicht mehr erforderlich. Dennoch haben die Länder Berlin und Brandenburg auf der übergangs weisen Beibehaltung der Veredelung bestanden und haben sogar das gesamte Neugliederungsvorhaben hiervon abhängig gemacht. Dies führt zu dem Schluß, daß Berlin in der Vergangenheit die aus der Einwohnerveredelung resultierenden Mittel jedenfalls teilweise nicht für die vorgesehenen Ausgleichsaufgaben benötigt, sondern in Bereichen eingesetzt hat, deren Wegfallen aus rechtlichen oder praktischen Gründen nicht sogleich möglich oder erwünscht ist. Die Einwohnerveredelung hat aus diesem Blickwinkel überkompensiert. Soweit darauf abgestellt wird, daß die Einwohnerveredelung ferner das gegenüber den Flächenstaaten relativ höhere Finanzaufkommen der Stadtstaaten - „den aufkommensstarken städtischen Regionen (stehen) keine aufkommensschwache Gebiete" gegenüber" 303 - korrigiert habe, ist mit der Bildung des neuen Bundeslandes auch diese 301 Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S.2. 302 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.a)(2); 2. Kapitel D.I. l.a)(2). 303 Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.593.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Rechtfertigung entfallen. Dort steht in seiner Gesamtheit der aufkommensstarken Stadt Berlin das aufkommensschwache Umland gegenüber. Hieran wird jedoch das Erfordernis einer Übergangsregelung deutlich: Auf die Region Berlin-Brandenburg bezogen bevorteilt die Einwohnerveredelung im Finanzausgleich die Situation des Stadtstaates im Flächenstaat. Das erhöhte Finanzaufkommen Berlins wird berücksichtigt. Berlin - und auch umgerechnet der gesamten Region - stehen gesteigerte Finanzmittel zur Verfügung, mit denen eine überdurchschnittliche Infrastruktur Berlinsfinanziert werden kann304. Brechen durch eine Neugliederung diese Mittel weg, entsteht für die überdurchschnittliche Infrastruktur eine Finanzierungslücke305, deren Ausgleich dem neuen Land wegen des Auftrags des Art. 291 GG nur soweit aufgebürdet werden kann, als es hierzu in der Lage ist. Dies dürfte bei Berlin-Brandenburg - selbst bei Zugrundelegen der gegenüber den vom Senat von Berlin veröffentlichten moderateren Beträgen des DIW-Gutachtens - kaum der Fall sein. Mit einer Übergangsregelung ist daher den betroffenen Ländern beziehungsweise dem neuen Land die Möglichkeit zu geben abzuwägen, welcher Teil der bislang privilegierten Berliner Infrastruktur in welchem zeitlichen, quantitativen und qualitativen Umfang abgebaut wird, und diese Restrukturierung durchzuführen. Zu diesem Zweck gewährt § 17 I I S. 1 FAG für die ersten zehn Jahre, jedoch nicht über das Jahr 2008 hinaus, die volle Einwohnerveredelung in Höhe von 135 v. H. Entgegen den übrigen Übergangsregelungen, die die bisherigen Finanzmittel über den jeweils gesamten Zeitraum in voller Höhe gewährleisten, setzt § 17 Π S. 2 FAG die Einwohnerveredelung - der zu erwartenden Restrukturierung entsprechend - in den folgenden vier Jahren um jeweils 6 Prozentpunkte und dem fünften und letzten Jahr um 5 Prozentpunkte herab. Damit geht die Regelung weit über die von Berlin und Brandenburg in Ansatz gebrachte Fortsetzung der privilegierten Einwohnerwertung hinaus: während sie ursprünglich allein die 10jährige volle Aufrechterhaltung des Stadtstaatenprivileges einforderten 306, wäre das neue Land darüber hinaus für fünf weitere Jahre bei schrittweisem Abbau in dessen Genuß gekommen. Mit Blick auf gebräuchliche Verhandlungsstrategien, mit denen Berlin und Brandenburg den Bund und die übrigen Ländern mit großgerechneten Verlusten aus dem Wegfalls des Stadtstaatenprivileges konfrontierten, gewährt die Übergangsregelung dem neuen Land einen weitreichendenfinanziellen Spielraum. 304
Mit Hinblick auf die absolut einer Region aus dem Finanzausgleich zur Verfügung stehenden Finanzmittel, müßten Länder mit Großstädten daran interessiert sein, diese zu Stadtstaaten umzuwandeln. Dies wäre indes kurzsichtig durch die damit verbundene Stadtstaat-Umland-Problematik außerordentlich kontraproduktiv. 305 Dahin geht auch die Äußerung von Klein/Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S. 341 (343), daß „mit der Neugliederung nicht alle stadtstaatlichen Raumordnungs- und Strukturprobleme überwunden sein werden und das neue Bundesland erst allmählich den Charakter eines Flächenstaates im Sinne der [...] Finanzverfassung annehmen wird.4* 306 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bln, Drs. 12/2357 S. 13. - Erst später forderten Berlin und Brandenburg eine 15-jährige Übeigangsregelung, vgl. BR-Drs. 887/93; Diepgen (RegBM), BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S.89 (A).
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
225
Diese Regelung ist aber nicht unproblematisch307. Statt einer systematisch sauberen Verortung der neugliederungsbedingt im Bund-Länder-Finanzausgleich entfallenden und außerhalb desselben zu kompensierenden Finanzmittel308 werden diese jeweils an den Stellen aufgefangen, an denen sie wegbrechen: Die bestehende Regelung wird auf Zeit aufrecht erhalten. Der Kritik der sachlich unerwünschten Einordnung der Übergangsregelungen stehen allerdings nicht unerhebliche Vorteile praktischer Natur gegenüber: Erstens ist die Gestaltung derfinanziellen Überleitung unkomplizierter. Ein aufwendiges Regelwerk zur Ermittlung der Kosten entfällt. Das führt zu dem zweiten Vorzug. Durch das schlichte Fortschreiben der hergebrachten Bestimmungen, dem die Fiktion zugrunde liegt, daß die Länder Berlin und Brandenburg weiterhin bestünden, ist sichergestellt, daß das neue Land finanzausgleichstechnisch exakt den status quo der ehemaligen Länder behält. Auf verfassungsrechtlicher Ebene bestehen keine Bedenken gegen dieses Vorgehen: Dem Erfordernis des Art. 291 GG, diefinanziellen Grundlagen für die Schaffung eines Landes zu legen, das aus eigener Kraft die ihm obliegenden Aufgaben zu bewältigen vermag, genügt das Verfahren. Relativ gleichbleibenden Einnahmen stehen synergieeffektbedingt abnehmende Ausgaben gegenüber. Aber auch der Finanzverfassung nach Art. 106, 107 GG sind aufgrund des Übergangscharakters der Regelungen keine Einschränkungen zu entnehmen. Daß, wie die Länder Bremen und Hessen309 sowie die Bundesregierung geltend gemacht haben, die Übergangsweise Aufrechterhaltung des Stadtstaatenprivileges wegen seiner Dauer von 15 Jahren gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße sowie, daß die Dynamisierung der Einwohnerzahlen des Landes Berlin auch während der Übergangszeit einen über den „Besitzstandschutz [...] nicht mehr gedeckten Vorteil des vereinigten Landes" bedeute310, greift weniger auf verfassungsrechtlicher Ebene als vielmehr auf finanzpolitischer. Denn verfassungsrechtlich betrachtet verbleibt dem Gesetzgeber aufgrund Art. 291 GG ein weitreichender Spielraum, um denfinanziellen Rahmen einer Neugliederung auszugestalten. In diesem Zusammenhang ist auch die kritische Haushaltslage der sich neugliedernden Länder Berlin und Brandenburg in Rechnung zu stellen, die sich nicht allein durch den Moment der Neugliederung für ein gemeinsames Land konsolidiert. Ein grober und offensichtlicher Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, der allein zu verfassungsrechtlichen Bedenken hätte führen können, wurde aber letztlich auch von der Bundesregierung nicht geltend gemacht311. 307 Zu der rechtlichen und praktischen Problematik siehe Dietrich, Das Prinzip der Einwohnerveredelung in den Finanzausgleichssystemen der Bundesrepublik Deutschland, 1996, S. 244ff. 308 Zur dogmatisch zutreffenden Verortung entsprechender Übeigangsregelungen s. o. 1. Kapitel B.II.3.b). 309 BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S. 122 (A), (C). 310 BT-Drs. 12/7818 S. 8 f.; s.a. Grünewald (StS BMinF), BR-StenBer. 667. Sitzg v. 18.3.1994 S.90 (D). 311 Der Gesetzesentwurf zum Neugliederungsgesetz (BT-Drs. 12/7818) wurde im wesentlichen nur hinsichtlich der von der Bundesregierung eingeforderten Streichung der für das ge-
15 Keunecke
6
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Auch die Verortung der Übergangsregelungen für die entfallenden Bundesergänzungszuweisungen im Finanzausgleich nach § 17 FAG - wiederum als Ergänzungszuweisungen - rechtfertigt sich aus deren Übergangscharakter. Die FehlbetragsBundesergänzungszuWeisungen nach § 11Π FAG gewährt § 171 FAG für den Übergangszeitraum jährlich in der Höhe weiter, in der sie zwei getrennten Ländern Berlin und Brandenburg für das jeweilige Rechnungsjahr summarisch zustünden. Der status quo wird in vollem Umfang fortgeführt. Anders hingegen die nach Art. 1 Nr. 3 a) NGG entfallenden Bundesergänzungszuweisungen wegen überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung und der zentralen Verwaltung: Hier bekommt das gemeinsame Land einmalig im Jahre 1999 eine Übergangs-Bundesergänzungszuweisung in der Höhe zugewiesen, wie sie die Länder Berlin und Brandenburg insgesamt für ein Jahr erhalten hätten. Sofern ein gemeinsames Land später gebildet wird, entfällt diese Übergangs-BundesergänzungszuWeisung312. Die dann noch getrennten Länder erhalten aber bis zum Fusionszeitpunkt die auf sie jeweils entfallenden Bundesergänzungszuweisungen weiter 313. Bezogen auf die Bundesergänzungszuweisung nach § 11 DI FAG stünde die Region Berlin-Brandenburg mit einem nach 1999 erfolgenden Zusammenschlußfinanziell besser, würde jedoch wegen des stufen weisen Abbaues anderer Übergangsfinanzierungen insgesamt schlechter stehen. § 17IV FAG gewinnt daher nur vor dem Hintergrund eines Zusammenschlusses von Berlin und Brandenburg spätestens zum 1. Januar 1999 seinen Sinn als Übergangsvorschrift: Obgleich die überdurchschnittlich hohen Kosten politischer Führung und zentraler Verwaltung dem Grunde nach mit dem Moment des Zusammenschlusses entfallen sind, ist in der Sache für deren Abwicklung und anschließende Neustrukturierung eine Übergangsspanne notwendig, für die die Ergänzungszuwendung nur stufenweise abgebaut werden kann: »Angesichts der Tatsache, daß die bisherigen Sonderbelastungen beider Länder, wie ζ. B. die hohen Personalausgaben, nicht durch die Neugliederung schlagartig wegfallen [...], sondern zu einem gewissen Grad in der Aufbau- und Integrationsphase weiter fortbestehen, ist die [...] Übergangs-BundesergänzungszuWeisung [...] gerechtfertigt." 314 Diesen stufenweisen Abbau faßt § 17IV FAG durch die einmalige Gewährung der vollen Zuweisung zusammen. Ob dieser Betrag in Höhe von 383 Mio. DM für die Bereinigung der ursprünglichen Zuweisungsgründe ausreicht, mag bezweifelt werden. Doch schlagen die Forderungen von Berlin und Brandenburg bei der Ausarbeitung des Neugliederungsgesetzes, die Ergänzungszuweisungen nach § 11 ΠΙ in voller jährlich an sie gezahlter Höhe bis - längstens - zum Jahr 2009 an das neue Land zu gewähren315, in das andere Exmeinsame Land in § 17 III FAG (Entwurf) vorgesehenen Bundesergänzungszuweisung modifiziert. 312 S. a. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S.2. 313 Vgl. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S.2. 314 So auch Klein/Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (344). 315 Vgl. BT-Drs. 12/7818.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
227
trem. Regelmäßig ist es die Mitte, auf der sich Verhandlungspartner treffen. Es ist jedoch bemerkenswert, daß, nachdem der Bund die Zuweisungen entgegen der Forderung von Berlin und Brandenburg zunächst übergangszeitlos wegfallen lassen wollte316, sich die Beteiligten auf diese nur einmalige Zahlung einigten. Eine genaue Betrachtung der eigentlichen Übergangsregelung erhellt, daß es sich dabei keinesfalls um eine großmütige Geste seitens der sich neugliedernden Länder handelte. Eine Übergangsregelung ist dadurch gekennzeichnet, daß sie die Überleitung von einem Stadium in ein neues erleichtert oder überhaupt erst ermöglicht. Sie verhindert einen abrupten Bruch und nimmt die notwendigen Veränderungen schrittweise vor 317. Bei einer Neugliederung ist diese Anpassung an den mit ihr einhergehenden Synergieeffekten, Konsolidierungen und Restrukturierungen zu orientieren. Durch die Neugliederung wegfallende Finanzmittel sind entsprechend stufenweise abzubauen. Diesen Grundsatz verfolgt das Neugliederungsgesetz nur teilweise: Allein für die Berliner Einwohnerveredelung sieht § 17 Π FAG einen geregelten stufenweisen Abbau vor. Für die übrigen Übergangsregelungen bestimmt § 171 FAG beziehungsweise Art. 3 NGG (Änderung des Zerlegungsgesetzes) keine schrittweise Herabstufung. Der Regelsatz besteht in der Festsetzung, daß der status quo für 15 Jahre, maximal bis zum Jahre 2013 aufrecht erhalten wird und dann stufenlos und vollständig entfällt, nicht umgekehrt - wie in § 17 Π FAG - in einer Stufenregelung, die ausnahmsweise modifiziert werden kann. Erst § 17 ΠΙ FAG hält - als Ausnahme - mit der „Revisionsklausel"318 eine Stufungsmöglichkeit bereit: In den Jahren 2003 319 und 2006 werden der Bund, das vereinigte Land und die anderen Länder gemeinsam überprüfen, „ob" die Entwicklung der Finanzkraft des vereinigten Landes im Vergleich zu den bei der Festlegung der Übergangszeit zugrunde gelegten Erwartungen oder die Finanzkraftentwicklung bei den anderen Ländern im Vergleich zum vereinigten Land eine Änderung der Übergangsregelung der Absätze 1 und 2 „erforderlich" macht. Der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, daß eine Änderung grundsätzlich nicht nötig sei. Zurückhaltend fragt er nach dem Ob-überhaupt, nicht nach dem Wie einer Anpassung. Allein für den Fall einer Entwicklung, die unter den gesteckten Erwartungen bleibt, soll § 171, Π FAG korrigiert werden können. Die Situation, daß eine über den Erwartungen liegende Entwicklung eintritt, meint § 17 ΠΙ FAG indes nicht. Denn dann wäre eine Anpassung nicht „erforderlich" sondern möglich oder zulässig. Die nötige Stufung zum Abbau der Übergangsleistungen kann auch 316
Vgl. Stellungnahme der Bundesregierung zu dem NGG-Entwurf des Bundesrates, BTDrs. 12/7818 S.8f. 317 S.a. oben 1. Kapitel B.II.3.b). 318 Ygi Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 3; Begriindung zu Kapitel VI., AbgH v.Bin, Drs. 12/5571 S. 10; Klein/Krimms, Die finanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (344). 319
Dieser erstmalige Revisionszeitpunkt beruht auf der Prämisse, daß das gemeinsame Land noch 1998 errichtet wird sowie auf der gemäß Art. 141S. 2 NV fünfjährigen Wahlperiode, vgl. Klein/Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (344). 15*
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
nicht darin gesehen werden, daß eine steigende Wirtschaftskraft des neuen Landes sinkende Einnahmen in dem Finanzausgleich mit sich bringt 320. Dieser Effekt besteht unabhängig von der Übergangsregelung und vermag die mit Ablauf der Regelung eintretendenfinanziellen Verluste nicht schon in der Übergangszeit durch entsprechendes Wirtschaftswachstum auszugleichen. Das neue Land muß sich daher auf den unvermittelten Wegfall der Übergangsmittel vorbereiten, d. h. es muß sich grundsätzlich anstrengen, innerhalb von 15 Jahren, spätestens bis zum Jahre 2013 seinen Haushalt so zu konsolidieren, daß er von diesem Zeitpunkt an mit den Regelmitteln aus dem Finanzausgleich auskommt. Von einer möglichen Verlängerung der Übergangsmittel nach § 17 III FAG kann es nicht ausgehen, aber auch unerwartete Kürzungen sind nicht zu befürchten 321. Es treten also mittels Sparmaßnahmen und Restrukturierungen Synergieeffekte ein, die die relativ gleichbleibenden Übergangsmittel Jahr für Jahr weniger erforderlich machen. Dieser Effekt potenziert sich noch dadurch, daß die überschießenden Mittel ihrerseits zur Konsolidierung zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die Übergangsregelung des Stadtstaatenprivileges ist das Nachgeben von Berlin und Brandenburg bezüglich der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen nach § 11 ΠΙ FAG für das neue Land zu verkraften 322. Wird die Länge des mit 15 Jahren bemessenen Übergangszeitraumes als hinreichend zugrunde gelegt323, bietet das Neugliederungsgesetz mit seinerfinanzausgleichsbezogenen Übergangsregelung dem Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg eine überaus solide Basis.
320
So aber wohl Geppert/Vesper, Länderfusion begünstigt Entwicklung, in: DIW Wochenbericht 10/95, S. 220 Fn. 21. 321 Die Revisionsklausel des § 17 III FAG beinhaltet zwar eine Unsicherheit für den langfristigen Bestand der Übergangsregelung. Allerdings ist sie im Zusammenhang mit dem Beschluß der Ministerpräsidenten der Länder vom 17.3.1994 zu lesen, in dem sie als „Ausdruck eines ländergemeinsamen Willens" die Eckpunkte einer Ausgleichslösung niederlegten. Zu diesen Eckpunkten gehörten auch Regelungen über einen Revisionsmechanismus sowie über die Richtung einer möglicherweise vorzunehmenden Anpassung, für die das Prinzip der Einvemehmlichkeit ausdrücklich festgelegt ist. Die mit diesen Beschlüssen verbundenen politischen Wirkungen „stellen [...] die ländergemeinsame Geschäftsgrundlage zu den finanziellen Rahmenbedingungen dar, auf welche Berlin und Brandenburg ihre Entscheidung der Länderneugliederung" gründeten. Sie erlangen zwar keine rechtliche Bedeutung, doch sind derlei Vereinbarungen typischer Bestandteil des kooperativen Verhandlungsföderalismus der Bundesrepublik Deutschland. Eine Änderung der beschlossenen Übeigangsregelung wäre daher voraussichtlich nur im Einvernehmen mit allen Ländern, also auch dem neuen vereinigten Land, vorgenommen worden. Damit ist die durch die Revisionsklausel hervorgerufene Unsicherheit kalkulierbar und von den Ländern Berlin und Brandenburg mitbestimmbar gewesen, vgl. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 3; Begründung zu Kapitel VI., AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 10. 322 Das Nachgeben bedeutet für das neue Land einen Verlust von insgesamt 5,362 Mrd. DM. Diesen stehen insgesamt schon aus der Einwohnerveredelung etwa 55 Mrd. DM Übergangszahlungen gegenüber, von denen nur diese degressiv gestaffelt ist, vgl. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.IÏÏ. 323 Vgl. DöringlGeppertlHornJKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.202.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
2
b) Anpassung der Investitionsförderung Aufbau Ost und des Fonds „Deutsche Einheit " Neben den Änderungen des Bund-Länder-Finanzausgleiches gleicht das Neugliederungsgesetz die wiedervereinigungsbedingten Förderungen des Bundes für den beigetretenen Teil Deutschlands an die durch die Neugliederung entstehende Situation an. Betroffen sind das Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost324 (LAOG) sowie das Gesetz über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit"325 (FDEG). Die Modifikationen des auf Art. 104 a IV GG beruhenden Investitionsförderungsgesetzes durch Art. 2 NGG dienen in klarstellender Weise326 allein der Aufrechterhaltung des status quo. § 21IAOG wird dahin ergänzt, daß die Zuweisungen für die Länder Berlin und Brandenburg das durch die Neugliederung entstandene Land erhält. Diese Fortschreibung entspricht dem Zweck des Investitionsförderungsgesetzes. Nach § 1 IAOG gewährt der Bund den neuen Ländern und Berlin ab 1995 für 10 Jahre Finanzhilfen i. H. v. 6,6 Mrd. DM jährlich zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums327. Für Berlin resultieren hieraus gemäß § 21 IAOG jährliche Zuwendungen i. Η. v. 1,255 Mrd. DM, für Brandenburg i. H. v. 939 Mio. DM. Der Grund für diese Zuweisungen - wiedervereinigungsbedingte, wirtschaftliche Strukturschwächen - entfällt durch eine Neugliederung nicht328. Sie mag zwar für einen Aufbau der weggebrochenen oder nicht vorhandenen Strukturen förderlich sein. Doch zielt sie in erster Linie darauf ab, kooperationsbedingte Reibungsverluste zweier Länder zu minimieren und dadurch
324 Gesetz zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft und zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums in den neuen Ländern (Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost); das Gesetz war als Art.35 Bestandteil des FKPG v. 23.6.1993 (BGBl.IS.944,982).; s.a. Entwurf IAOG, BT-Drs. 12/4801 S. 180ff. 325 Der Fonds „Deutsche Einheit" wurde errichtet durch Art. 31 des Gesetzes zu dem Vertrag vom 18. Mai 1990 über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik v. 25.6.1990 (BGBl. II S.518, 533). Er übeibrückte die Zeit bis zur Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich zum 1.1.1995 und enthielt ursprünglich ein Volumen von 115 Mrd. DM. Er wurde jedoch in seinemfinanziellen Umfang auf insgesamt 160,705 Mrd. DM erweitert, um dem Finanzmittelbedürfhis der neuen Länder gerecht zu werden; bis zur ausgebliebenen Änderung durch Art. 4 NGG zul. geänd. durch Art. 6 des Zweiten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (2. SKWPG) v. 21.12.1993 (BGBl. IS. 2374,2376); danach zul. geänd. durch Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung eines Fonds „Deutsche Einheit" und des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, v. 16.6.1998 (BGBl. IS. 1290). 326 So auch Klein!Krimms, Diefinanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S. 341 (344); s. a. BT-Drs. 12/7818 S. 1 f. 327 Soweit sich die Förderung aus dem IAOG mit solchen aus Gemeinschaftsaufgaben gemäß Art. 91a, 91b, 104a IV GG überschneidet, verbietet §4 IAOG eine Doppelförderung. 328 Vgl. Begründung zu § 2 IAOG, der die Mittelvergabe einheitlich nach der Zahl der Einwohner eines Landes vorsieht, um eine flächendeckende und ländergrenzenunabhängige Förderung zu erreichen, BT-Drs. 12/4752 S.4.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
eine Strukturstärkung des neuen Landes zu bewirken. Neugliederung und Investitionsförderungsgesetz stehen daher inhaltlich unabhängig nebeneinander. Sie haben beide dasselbe Ziel - die Herstellung eines leistungsstarken Landes, setzen indes an unterschiedlichen Punkten an. Aus diesem Grunde überrascht die vorgesehene Änderung des § 6 V S. 2 FDEG gemäß Art. 4 NGG, mit der das Land Brandenburg aus der Freistellung der Fondzuschußerstattung an den Bund herausgenommen wird, ohne daß an die Stelle Brandenburgs das gemeinsame Land tritt. Von der Erstattung ausgenommen sind die fünf jungen Bundesländer. Sinn der Regelung ist, diese nicht selbst an der Rückzahlung der ihnen gewährten Zuschüsse zu beteiligen. Aber auch auf ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg trifft der Grund der Freistellung zu. Zwar besteht das gemeinsame Land auch aus dem rückZahlungsverpflichteten Berlin. Der Freistellungsgrund für das Gebiet Brandenburg fällt jedoch - entsprechend den Finanzhilfen des Investitionsförderungsgesetzes Aufbau Ost - durch die Neugliederung nicht weg. Für das gemeinsame Land hätte daher nur eine Differenzierung der beiden Gebietsteile dem Sinn der Freistellung entsprochen. Jedoch ist die vorgesehene Änderung des § 6 V S. 2 FDEG in den Zusammenhang des gesamten Neugliederungsgesetzes einzubetten. Die darin enthaltenen Übergangsregelungen des Bund-Länder-Finanzausgleichs für das gemeinsame Land329 lassen dessen von Beginn an vorgesehene Behandlung als relativfinanzstärkeres Land als die verbleibenden vier jungen Bundesländer im Rahmen des Fonds „Deutsche Einheit" angemessen erscheinen330.
2. Generelle Unbeachtlichkeit der Neugliederung für die Bundesmittel nach Art. 91 a, 91 b, 104 a I V GG Auf nationaler Ebene erhalten Berlin und Brandenburg neben den im Bund-Länder-Finanzausgleich fließenden Mitteln weitere Bundesmittel. Mit Blick auf die auf Art. 104 a IV GG beruhende Investitionsförderung Aufbau Ost stellt sich die Frage, aus welchen Gründen das Neugliederungsgesetz nicht auch für die weiteren Bundesmittel nach Art. 91 a, 91 b und 104 a IV GG Übergangsregelungen bereit hält. Die Antwort liegt in der Geltungsdauer der Programme: Die Investitionsförderung Aufbau Ost hat eine Laufzeit von 1995 bis 2004 und reicht in ihrem Wirkungskreis somit in das seinerzeit erwartungsgemäß 1999 entstehende neue Land hinein. Eine jedenfalls klarstellende Übergangsregelung sollte Unsicherheiten über die Förderungsfortschreibung für das neue Land vermeiden. Dagegen reichten die Planungszeiträume der übrigen Bundesmittel nicht an den voraussichtlichen Zeitpunkt der Neugliederung heran. Dennoch durften auch hier zur Absicherung der finanziellen 329
Siehe oben 2. Kapitel D. 1.1. a) (3). Insofern stellt sich die Änderung des §6 V S.2 FDEG als Ergebnis von Verhandlungen zwischen Berlin und Brandenburg einerseits sowie den übrigen Ländern andererseits dar. Bereits die Berücksichtigung dieser Interessengegensätze sind Garant für die Angemessenheit der Regelungen des Neugliederungsgesetzes. 330
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Leistungskraft des neuen Landes bei einer etwa zu erwartenden Förderungsfortschreibung keine nennenswerten neugliederungsbedingten Verluste eintreten, es sei denn, sie wären in der Sache berechtigt und nötigenfalls mit einer Übergangsregelung versehen gewesen. Sachimmanent geht es um Finanzmittel, deren „Vergabe an Verteilungsschlüssel oder Förderindikatoren mit jeweils länderspezifischen Ausprägungen (besondere Einwohnerwertungen, länderspezifische Wirtschaftskennzahlen etc.) gebunden ist." 331 Finanzströme, die allein von fachlichen Aspekten geleitet sind 332 , können außer acht bleiben. Sie werden durch die Neugliederung nicht berührt. Betroffen sind somit Bundesmittel im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a, 91 b GG sowie Finanzhilfen nach Art. 104 a I V G G 3 3 3 . Die Behandlung dieser Bundesmittel ist überwiegend nicht mit Schwierigkeiten behaftet, steht jedoch unter dem Vorbehalt der jederzeitigen politischen Verhandelbarkeit 334. Für die Untersuchung des Wegfalles der Mittel ist allein maßgebend, ob er neugliederungsbedingt ist und rechtliche Konsequenzen nach sich zieht 335 . Ihre mittel- und langfristige Fortführung spielt sich in der politischen Arena ab und kann nicht mit absoluter Sicherheit prognostiziert werden 336 . Die damit verbundenen Unsicher331
Döring!Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.228. 332 So beispielsweise die Förderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Agrarbereich für Umweltschutz, vgl. BMinF (Hrsg.), Finanzierungshilfen der Bundesregierung, 1994, S.21f. 333 Die Geldleistungen des Bundes gemäß Art. 104 a III GG sind nicht neugliederungsempfindlich: Entgegen derfinanziellen Unterstützung der Länder durch den Bund bei den Gemeinschaftsaufgaben und den Finanzhilfen bezeichnen die Geldleistungen keinefinanziellen Bundeshilfen oder -förderungen. Nach Art. 104 a IU GG verteilt der Bund über die Länder an bestimmte Gruppen der Bevölkerung soziale Unterstützung durch Geldleistungen. Ihre Vergabe richtet sich nach personen- oder objektbezogenen Tatbestandsmerkmalen, vgl. zum ganzen BMinF (Hrsg.), Finanzierungshilfen der Bundesregierung 1994, passim; Henke!Schuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S.63ff. 334 Es bestehen politische und wirtschaftliche Unwägsamkeiten. So kann ein Wirtschaftswachstum der Region oder eine durch die Fusion bloß rechnerisch entstehende höhere Wirtschafts- und Finanzkraft u. U. eine Herabstufung der Förderungswürdigkeit mit sich bringen. Nur vage abschätzen lassen sich femer die Folgen des Verlustes einer Länderstimme für die Region. Darüber hinaus muß mit Hinblick auf das neue Land damit gerechnet werden, daß gegenwärtige Förderungen in der Zukunft aus politischen Beweggründen entfallen und dem neuen Land nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit Hinblick auf die Förderungspraxis des Bundes in der Vergangenheit kann jedoch ein gewisses Maß an Planungssicherheit angenommen werden. Zu den aufgeworfenen Fragen s. a. Döring! Geppert!Horn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 229ff. 335 Würde der neugliederungsbedingte Wegfall eines Bundesmittels den Aufbau und die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des neuen Landes emsthaft gefährden, so wären Berlin und Brandenburg aufgrund des Art. 291 GG gehalten gewesen, auf entsprechende Ausgleichs- oder Fortsetzungsregelungen hinzuwirken, vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.b). 336 Vgl. DöringlGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 229. - Der Untersuchungszeitraum politischer und wirtschaftlicher Prognosen beschränkt
. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
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heitsfaktoren mußten Berlin und Brandenburg bei der Bildung des gemeinsamen Landes einkalkulieren. Allerdings treffen sie alle Länder gleichermaßen, so daß der Ruf nach einer besonderen Regelung für das neugegliederte Land keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
a) Finanzmittel
aus den Gemeinschaftsaufgaben
gemäß Art. 91 a, 91 bGG I m Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben plant und finanziert der Bund Länderaufgaben mit, an deren Erfüllung ein gesamtstaatliches Interesse besteht. Es handelt sich bei Art. 91 a GG um den Aus- und Neubau von Hochschulen, die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Verbesserung der Agrarstruktur sowie des Küstenschutzes und bei Art. 91b GG um die Bildungsplanung und Forschungsförderung. Für die sich aus der Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich Hochschulkliniken gemäß Art. 91 a I Nr. 1 GG ergebenden Mittel hätte sich durch die Neugliederung für das neue Land voraussichtlich keine Änderung ergeben. Die Gemeinschaftsaufgabe findet ihre konkrete Ausformung in dem auf Art. 91a I I - I V GG basierenden Hochschulbauförderungsgesetz 337 (HBFG): Bund und Länder stellen jährlich einen gemeinsamen Rahmenplan auf, der die Förderungsvoraussetzungen niederschreibt338. Von den in dem Rahmenplan vorgesehenen Vorhaben trägt der Bund nach Art. 91 a IV S. 1 GG, § 121 HBFG die Hälfte der Landesausgaben339. Der Finanzierungsschlüssel sieht keine festen Zuweisungen an die einzelnen Länder vor und schwankt teilweise erheblich340. Er orientiert sich sich mit Hinblick auf die Prognosezuverlässigkeit in der Regel auf mittelfristige Zeiträume. Er ging bis Mitte der 90er Jahre daher regelmäßig nicht über das Jahr 2000 hinaus, vgl. etwa Geppert/Seidel/Toepel, Strukturelle Anpassungsprozesse in der Region Berlin-Brandenburg, in: DIW-Beiträge zur Strukturforschung 142 (1993), S. 295 ff.; Görzig/Gornig/Schulz, Quantitative Szenarien zur Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung in Deutschland bis zum Jahr 2000, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 150 (1994), S.5ff.; Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.29ff., 54ff., so daß Berlin und Brandenburg für das ab 1999 beabsichtigte neue Land nur vage Wirtschafts- und Finanzplanungen vornehmen konnten. 337 Hochschulbauförderungsgesetz v. 1.9.1969 (BGB1.I S. 1556) i.d.F. Zweites Gesetz zur Änderung des Hochschulbauförderungsgesetzes v. 20.8.1996 (BGBl. 1327). 338 Ygi etwa Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1994, Bd3, Einzelplan 31 Titel 88201-139 (S.48). 339 Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1994, Bd3, Einzelplan 31 Titel 88201-139 (S. 48). Für den seinerzeit aktuellen 23. Rahmenplan hat der Bund für den Zeitraum von 1993-1997 einen durchschnittlichen Jahresbetrag i.H. v. 1,63 Mrd. DM in den Finanzplan eingestellt, vgl. Döring/Gepperti Ήorni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.231. 340 Vgl. Henke/Schuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S.79.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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nicht in erster Linie an dem Einwohner- oder Gesamtstudentenanteil, sondern stellt auf eine gezielte Förderung einzelner Projekte ab 341 , die seinerzeit ihren Schwerpunkt in den neuen Ländern fanden 342.
Nicht unproblematisch sind die auf das neue Land durchschlagenden Auswirkungen der Neugliederung mit Blick auf die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur gemäß Art. 91 a I Nr. 2 GG. Nach dem hierzu auf der Grundlage von Art. 91a I I - I V GG ergangenen Gesetz343 geht es um „Entwicklungshilfe" der gewerblichen Wirtschaft durch ihre Förderung bei der Errichtung, dem Ausbau, der Umstellung und der Rationalisierung von einzelnen Gewerbebetrieben sowie der Förderung der Infrastruktur. Von den Kosten trägt auch hier der Bund gemäß Art. 91 a IV S. 1 GG, § 10 VrWSG die Hälfte der Länderausgaben. Die sich aus der Kostenteilung ergebende gemeinsame Planung nach Art. 91 a II S. 1 GG erfolgt, wie bei der Gemeinschaftsaufgabe nach Art. 91 a I Nr. 1 GG, nach §§4-9 VrWSG durch einen jährlich fortzuschreibenden Rahmenplan344. Es werden gemäß § 1 II VrWSG die Gebiete gefördert, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem Bundesdurchschnitt liegt oder entsprechend abzusinken droht. Als Abgrenzungskriterien setzte 1991 der 20. Rahmenplan fest: den Bruttojahreslohn der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten pro Kopf, die durchschnittliche Arbeitslosenquote, einen aufwendigen Infrastrukturindikator und einen Indikator zur Prognose der zukünftigen Arbeitsplatzentwicklung eines Gebietes.
Vorab entscheidend für die Finanzmittelverteilung bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur ist aber die Gebietsaufteilung. Durch die Zusammenfassung eines an sich förderungsbedürftigen Gebietes mit einem nicht förderungsbedürftigen entfällt der Anspruch für ersteres, wenn die Indikatorwerte des letzteren des ersteren Schwäche einebnen. Um diesen strukturellen Gebietsunterschieden in der Förderung gerecht zu werden, erfolgt in den alten Bundesländern die Einteilung der Fördergebiete nach der Unterteilung in Arbeitsmarktregionen. Auf diese feingliedrige Gebietsaufteilung wurde für die fünf jungen Bundesländer und Berlin verzichtet. Aufgrund der dort notwendigen flächendeckenden Förderung entsprechen hier die Förder- den Ländergebieten. Hätten Berlin und Brandenburg von dem status quo der Gebietsaufteilungskriterien ausgehen müssen, 341
Etwa den Hochschulbau nebst Ersteinrichtung sowie den Erwerb von Grundstücken und Großgeräten, vgl. Henke/Schuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S.79; ferner etwa Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 1994, Bd3, Einzelplan 31. 342 Vgl. BMinF, Finanzbericht 1994, S. 138. 343 Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" (VrWSG) v. 6.10.1969 (BGB1.I S. 1861), zul. geänd. durch Steueränderungsgesetz 1991 v. 24.6.1991 (BGB1.I S. 1322). 344 Der 1994 ergangene 23. Rahmenplan für die Jahre 1994-1997 (1998) sah für die Förderung der Wirtschaftsstruktur insgesamt 41,93 Mrd. DM vor. Der Jahresdurchschnitt beträgt rd. 8,39 Mrd. DM, wovon 1994 Mittel i. H. v. 7,1 Mrd. DM auf die neuen Länder entfallen. Für das Jahr 1994 sah der Rahmenplan ohne EFRE-Zuflüsse aus der EU für Berlin-Ost 0,29 Mrd. DM, für Berlin-West 87,6 Mio. DM und für Brandenburg rd. 0,67 Mrd. DM vor (BT-Drs. 12/7175 S.lOf.).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
wäre ein Verlust von Fördermitteln für das gemeinsame Land nicht auszuschließen gewesen: Im Hinblick auf die 1994 prognostizierte Entwicklung am Arbeitsmarkt für das Jahr 2010 hätte das gemeinsame Land zu diesem Zeitpunkt die Forderschwelle von dann etwa 8 v. H. Arbeitslosigkeit unterschritten; eine getrennte Betrachtung von Berlin und Brandenburg hätte hingegen für letzteres eine mit 9 v. H. bis 10 v. H. über dem Schwellenwert liegende prognostizierte Arbeitslosenquote ergeben345. Allerdings rechtfertigt sich die unterschiedliche Aufteilung der Fördergebiete nur, solange die wirtschaftlichen Grunddaten der fünf jungen Länder und Berlins grundlegend hinter denen der alten Bundesländer zurückbleiben. Wie schon anhand der erwarteten Arbeitslosenquote für das Jahr 2010 ersichtlich wird, stand die voraussichtliche Angleichung um die Jahrtausendwende an. Für die jungen Länder bedeutete dies, daß es dort „im Unterschied zur gegenwärtigen Förderpraxis [...] über das Jahr 2000 mit großer Wahrscheinlichkeit [...] gezielte Schwerpunktförderungen in den strukturschwachen Gebieten eines jeweiligen Landes" entsprechend den Förderungsmodalitäten für die alten Bundesländer geben wird 346. Mittel- bis langfristig wären Fördermittel auf die Region Berlin-Brandenburg nicht an bestehenden Ländergrenzen orientiert gewesen. Ein Verlust von Fördermitteln aufgrund der durch die Neugliederung entstehenden neuen Gebietseinteilung war nicht zu erwarten. Das gilt auch für das Maß der Verteilung, das sich nach den Bevölkerungsanteilen der geförderten Gebiete richtet347. Es nimmt unabhängig von einer Neugliederung allein Bezug auf die Einwohnerzahlen. Ebenfalls keine Änderungen hätte das neue Land bezüglich der Fördermittel aus der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes gemäß Art. 91 a I Nr. 3 GG 3 4 8 zu erwarten gehabt. 345 Döring!Geppert! Ή orni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.236. 346 DöringlGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.237. 347 1994 ergab sich für Berlin-West 12,7 v. H. des für die alten Länder geltenden Teiles der Gemeinschaftsaufgabe, für Berlin-Ost 6,5 v. H. und für Brandenburg 15 v. H. des für die neuen Länder geltenden Teiles der Gemeinschaftsaufgabe, vgl. DöringlGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.237. 348 Das die Gemeinschaftsaufgabe nach Art. 91 a II-IV GG konkretisierende Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAAKG) v. 3.9.1969 (BGBl. IS. 1573), zul. geänd. 8.8.1997 (BGB1.I S.2027) bestimmt den Bundesbeitrag hinsichtlich der für Berlin und Brandenburg relevanten Agrarstrukturförderung in § 101 GAAKG mit 60 v. H. und kommt damit der Aufforderung des Art. 91 a IV S. 2 GG nach, wonach der Bund bei dieser Gemeinschaftsaufgabe „mindestens" die Hälfte, wenn nicht mehr übernehmen soll. - 1993 standen der Gemeinschaftsaufgabe insgesamt rd. 4,3 Mrd. DM 2,6 Mrd. DM durch den Bund - zur Verfügung. Davon erhielten die jungen Länder knapp 1,9 Mrd. DM. An erster Stelle stand Brandenburg mit 505 Mio. DM (11,6 ν. H.), das Schlußlicht bildete förderungsspezifisch Berlin-Ost mit 3 Mio. DM (0,1 ν. H.). Bundesweit lag Brandenburg hinter Bayern mit 665 Mio. DM und Niedersachsen mit 507 Mio. D M an dritter Stelle. Berlin steht insgesamt mit 5 Mio. DM an letzter Stelle. Zum ganzen siehe BMin.f. Raumordnung,
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Der die Förderung für die Gemeinschaftsaufgabe jährlich fortschreibende Rahmenplan integriert seit 1991 mit Sonderförderungen die jungen Länder und sah für den Zeitraum von 1994 bis 1997 bereits ihre Angleichung an den Standard der Förderung der alten Länder vor 349. Von den von diesem Zeitpunkt an einheitlich geltenden Förderungsmodalitäten war zu erwarten, daß sie sich wie in der Vergangenheit allein auf sachbezogene Kriterien der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe konzentrieren 350. Sie fallen zwar für die einzelnen Länder in unregelmäßiger Höhe an 351 , sind aber neugliederungsunempfindlich. Nichts anderes gilt für die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und Forschung nach Art. 91b GG. Denn die Mittelverteilung erfolgt auch hier unabhängig von Ländergrenzen: Art und Umfang sowie die Kostenverteilung sind nach Art. 91 b S. 1 GG fakultativ. Von dieser Möglichkeit der Zusammenarbeit haben Bund und Länder Gebrauch gemacht und das Schwergewicht auf die Forschungsförderung gelegt. Daneben beteiligt sich der Bund an Modellversuchen im Bildungswesen. Zu dem seinerzeitigen Zeitpunkt der Neugliederungs-Vertragsverhandlungen 1994 umfaßte das neueste auf die alten Bundesländer bezogene Hochschulsonderprogramm 4 Mrd. DM und einen Zeitraum bis zum Jahr 2001 352 . Der Bund trägt hieran mit 2,4 Mrd. DM einen Anteil von 60 v. H. 3 5 3 Wie bei den übrigen Gemeinschaftsaufgaben liegt ein besonderes Augenmerk auf der Situation in den jungen Ländern. Ihnen soll mit dem Hochschulemeuerungsprogramm geholfen werden. 1994 sollte das Programm mit einem \blumen i. Η. v. 2,472Mrd. DM bei einem Bundesanteil i. Η. v. 1,82Mrd. DM vorläufig bis 1996 laufen 354. Charakteristikum der Förderungen nach dieser Gemeinschaftsaufgabe ist die Projektbezogenheit. Auf ein Land bezogen bemessen sich seine Fördermittel nach den dort geförderten Projekten und Forschungseinrichtungen. Die Neugliederung hätte - wie bei den Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a I GG - keine Auswirkungen auf die Fördermittelverteilung gezeitigt. b) Finanzhilfen
gemäß Art. 104 a IV GG
Die Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104 a I V GG unterstützen besonders bedeutsame Investitionen von Ländern und Gemeinden, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes, zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Art und Weise der Investitionsförderungen werden gemäß Art. 104a I V S. 2 Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993 (BT-Drs. 12/6921), S. 130; zum Raumordnungsbericht 1993 s.a. BT-Drs. 13/1740. 349 Vgl. Bericht der Bundesregierung über die zukünftige Gestaltung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" - Rahmenplan 1994 bis 1997-, BT-Drs. 12/5686 S. 3. 350 S. a. Döring!Geppert!Horn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.239. 351 Vgl. etwa HenkelSchuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S. 81. 352 Zweites Hochschulsonderprogramm v.2.10.1990, vgl. BMinF, Finanzbericht 1994, S. 139. 353 BMinF, Finanzbericht 1994, S. 139. 354 BMinF, Finanzbericht 1994, S. 139.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
GG durch oder aufgrund eines Gesetzes bestimmt 355 . Der größte Teil dieser Bundesmittel flöß 1994 in den sozialen Wohnungsbau nebst Studentenwohnraumförderung, die Fernwärmeversorgung in den jungen Ländern und Berlin-Ost, den Ausbau gemeindlicher Verkehrswege sowie in die Stadtsanierung und -entwicklung 356 . Die Verteilung der Mittel richtet sich nach der Maßgabe der Gleichbehandlung der Länder durch den Bund 3 5 7 . Ungleichbehandlungen darf der Bund nur bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung vornehmen. Ohne den strukturellen Besonderheiten der einzelnen Länder besondere Aufmerksamkeit zu schenken, hat der Bund Finanzmittel nach Art. 104 a I V GG „weitgehend nach dem Gießkannenprinzip" verteilt 358 . M i t Hinweis auf ein von dem Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium erstellten Gutachten, wonach kein besonderes länderspezifisches Verteilungssystem ersichtlich ist 359 , folgern Döring u. α., daß die Finanzmittel Verteilung nach Art. 104 a I V G G „lediglich Ausdruck politischer Verteilungskämpfe" ist 3 6 0 . Diese Schlußfolgerung ist wenig aussagekräftig, da letztlich jede Konkretisierung finanzverfassungsrechtlicher Verteilungsmöglichkeiten das Ergebnis eines solchen politischen Kampfes ist 361 . Sie läßt aber vermuten, daß die Finanzhilfen nach Art. 104 a I V GG weitgehend neugliederungsunempfindlich sind. Eine ausdrückliche Länder-
355 Siehe hierzu HenkelSchuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S.69. 356 Das ebenfalls auf Art. 104 a IV GG beruhende Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost verhält sich zu der Neugliederung neutral. Eine diesbezügliche Klarstellung nahm das NGG vor, s. a. oben 2. Kapitel D. 1.1. b). - Für die alten Bundesländer vgl. die tabellarische Übersicht für das Jahr 1988 bei Henke!Schuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S. 69 f. 357 BVerfGE 41, 291 (308); Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 104 a Rn.56. 358 Henke!Schuppert, Rechtliche undfinanzwissenschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen von Bund und Ländern im vereinten Deutschland, 1993, S. 73. - Vgl. etwa die im einzelnen die zu folgenden Finanzhilfen ergangenen Gesetze: Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden (Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz-GVFG) v. 18.3.1971 (BGBl.IS.239), i.d.F. der Bekanntmachung v. 28.1.1988 (BGBl. I S. 100), zul. geänd. durch Eisenbahnneuordnungsgesetz v. 27.12.1993 (BGBl. I S.2378, 2417); Gesetz über Finanzhilfen des Bundes zur Forderung des Baues von Erdgasleitungen v. 29.1.1980 (BGBl. IS. 109); Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a IV GG an die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Freie Hansestadt Bremen sowie Freie und Hansestadt Hamburg v. 19.12.1986 (BGBl. IS. 2584); Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a IV GG an das Saarland v. 20.12.1986 (BGBl. IS. 1708); Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a IV GG für Investitionen zur vorläufigen Unterbringung von Aussiedlem und Übersiedlern v. 5.7.1990 (BGB1.I S. 1347). 359 Ygi Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen; Gutachten zum Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriftenreihe des BMinF 47 (1992), S. 105 f. 360 DöringlGeppertlHornlKutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.253. 361 Es sei nur erinnert an die Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern um die Neuordnung des Bund-Länder-Finanzausgleiches im Rahmen der Wiedervereinigung, vgl. Korioth, Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, 1997, S.410ff.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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bindung der Mittel besteht auf den ersten Blick nicht. Eine auf die genannten, finanziell umfangreichsten Finanzhilfen konzentrierte Untersuchung bestätigt diese Annahme weitgehend. An erster Stelle gilt die Betrachtung den Finanzhilfen für die Förderung des sozialen Wohnungsbaues 362. Ihre Vergabe bemißt sich nach der Einwohnerzahl der einzelnen Länder und „stellt den Normalfall einer Mittelaufteilung auf die Länder dar" 363. Für den seinerzeitigen Planungszeitraum von 1994 bis 1997 waren jährliche Fördermittel i. H. v. 2,76 Mrd. DM, darunter 1 Mrd. DM für die jungen Länder, vorgesehen364. Brandenburg erhielt eine Förderung i. Η. v. 150 Mio. D M jährlich, Berlin i. Η. v. 138 Mio. DM 3 6 5 . Der Berliner Förderbetrag setzte sich - wie bei den meisten der folgenden Finanzhilfen - zusammen aus der Förderung für den Westteil der Stadt, die sich an der für die alten Bundesländer geltenden Verteilung orientierte, sowie der Förderung für den Ostteil, dem die gesteigerte Förderung der jungen Bundesländer zuteil wurde. Grundsätzlich hätte die Neugliederung sich nicht auf die Verteilung der Fördermittel ausgewirkt. Diese wären aus der Summe der Einwohnerzahlen von Berlin und Brandenburg zu ermitteln gewesen. Allein für den WestBerliner Teil hätte sich die Frage ergeben, ob er nicht an den für das übrige Gebiet des neuen Landes geltenden Verteilungsmodus angeglichen werden sollte. Ein Verlust wäre damit nicht verbunden gewesen. Vielmehr hätte sich der Bund zu diesem Mehr für das neue Land bereitfinden müssen. Entsprechendes gilt für die Finanzhilfen zur Schaffung von Studentenwohnraum. Sie bemißt sich nach der Anzahl der Studenten eines Landes und konzentrierte sich in der Planung von 1994 bis 1997 auf die jungen Länder366. Ohne eine grundlegende - nicht zu erwartende - Änderung des Verteilungsmodus hätte sich die Förderungszuweisung für das neue Land neugliederungsunabhängig nach der Summe der dort Studierenden bemessen, die der zweier getrennter Länder Berlin und Brandenburg entsprochen hätte. Die Verteilung der Finanzhilfen für die Sanierung der Fernwärmeversorgung von der Zahl der Einwohner abgekoppelt. Dies bedingt der Förderungszweck: In den jungen Ländern soll die Versorgung mit Fernwärme effizient und umweltverträglich gestaltet werden. Mit den Fördermitteln sollen bestehende Kraft- und Heiz362
ist
Siehe hierzu auch BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 185 ff. Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.253 mit Verweis auf eine Auskunft des Referates „Bund-Länder-Beziehungen" im Bundesministerium für Finanzen; s.a. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen', Gutachten zum Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriftenreihe des BMinF 47 (1992), S. 106. 364 BMinF, Finanzbericht 1994, S. 140. 365 Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.254. 366 Vgl. BMinF, Finanzbericht, 1994, S. 141. 363
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
kraftwerke modernisiert und neue Heizkraftwerke errichtet werden. Hierfür standen für den Planungszeitraum von 1993 bis 1995 jährlich 300Mio. D M - davon 50 v. H. Bundesmittel - zur Verfügung 367. Um diese Gelder jährlich in voller Höhe optimal einsetzen zu können,richtetesich die Verteilung nach dem in den einzelnen Ländern erwarteten Sanierungsbedarf und konnte noch im laufenden Haushaltsjahr neu verhandelt werden, wenn ein Land seine Jahresmittel nicht vollständig, ein anderes Land hingegen darüber hinaus weiterefinanzielle Unterstützung benötigte368. Für Berlin bedeutete dies eine grundsätzliche Förderung jährlich i. H. v. 23,2 Mio. DM, für Brandenburg i. H. v. 23,4 Mio. DM. Im Falle des Auslaufens der Finanzhilfen hätte sich die Diskussion um ihre Neugliederungsempfindlichkeit erübrigt. Indes war es aufgrund des desolaten Zustandes des Fernwärmenetzes in den jungen Länder nicht unwahrscheinlich, daß die Förderung nach 1995 - unter Beibehaltung der Vergabemodi - fortgesetzt werden würde. Dies hätte sich für das neue Land allenfalls positiv ausgewirkt: Es hätte die ihm zugeteilten Mittel durch die flexibleren Vergabemöglichkeiten innerhalb eines großen Raumes mit größerer Wahrscheinlichkeit extensiver ausgenutzt, als dies zwei kleinen Ländern möglich ist.
Nicht unproblematisch sind hingegen die Auswirkungen der Neugliederung auf die Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten und G meinden. Wie bei den Finanzhilfen zur Förderung der Fernwärme in den jungen Bundesländern bemißt sich die Verteilung der Mittel nicht nach der Zahl der Einwohner, obgleich dieses Verteilungsprinzip auch hier dem Gedanken nach zugrunde liegt. Da es sich um die Qualität der Verkehrswege betreffende Maßnahmen handelt, richtet sich die Finanzmittelvergabe nach der Intensität ihrer Inanspruchnahme in den einzelnen Ländern: An die Stelle des Einwohnerschlüssels tritt gemäß § 6 Π S. 4 GVFG ein Kraftfahrzeugschlüssel 369, der für den Planungsraum 1993 bis 1997 von einem gesteigerten Finanzbedarf der jungen Länder sowie der Stadtstaaten ausgeht370. In den jungen Ländern wird nach § 611 S. 5 GVFG die Zahl der Kraftfahrzeuge mit dem Faktor 1,25, in den Stadtstaaten - in Anlehnung an die Einwohnerprivilegierung im Finanzausgleich - mit dem Faktor 1,35 gewertet gegenüber den übrigen Ländern, deren Fördermittel sich nach ihrer einfachen Kraftfahrzeugzahl richten. Für Berlin und Brandenburg bedeutete dies, daß von den für 1993 bis 1997 jährlich vorgesehenen Mitteln i. H. v. knapp 6,3 Mrd. D M auf Berlin jährlich 367
§§ 1-3 der Verwaltungsvereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen über die Förderung von Investitionsvorhaben zur Sanierung der Femwärmeversorgung im Beitrittsgebiet v. 1.2.1993 (VV-FernwVers.), abgedr. bei BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 138ff. 368 §3IV VV-FernwVers. 369 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen; Gutachten zum Länderfinanzausgleich in der Bundesrepublik Deutschland, in: Schriftenreihe des BMinF 47 (1992), S. 106. 370 Vgl. Döring! Geppert! H orni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.255.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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369 Mio. D M und auf Brandenburg 293 Mio. D M entfielen 371 . M i t Blick auf ein gemeinsames Land waren finanzielle Verluste nicht auszuschließen: bei einer generellen Fortführung der Vergabemodi hätte das gesamte neue Land den Status eines jungen Bundeslandes erhalten. Die Zahl der dort zugelassenen Kraftfahrzeuge wäre mit dem Faktor 1,25 gewichtet worden. Das Berliner Gebiet wäre aus der Stadtstaatprivilegierung herausgefallen, wodurch sich auf die dort angemeldeten Kraftfahrzeuge bezogen eine Faktorminderung von 1,35 auf 1,25 ergeben hätte. Daraus hätte sich für das Berliner Gebiet ein Verlust i. H. v. 7,4 v. H. beziehungsweise rd. 27 Mio. D M jährlich errechnet. Dieses relativ geringe Einnahmeminus 372 wäre durch die umfassenden Übergangsregelungen im Bund-Länder-Finanzausgleich oder auf andere Weise, etwa durch Einsparungen, hinreichend kompensiert worden. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte ist davon auszugehen, daß Berlin und Brandenburg bei ihrer Entscheidung, nicht auf einer konkreten Übergangsregelung zu bestehen, von der ihnen eingeräumten Entscheidungsprärogative fehlerfrei Gebrauch gemacht haben: Die Entscheidung über die Neugliederungsrelevanz eines Verlustes der Fördermittel war für beide Länder sowohl aufgrund der Komplexität der Entscheidungsmaterie als auch wegen ihres überragenden regierungsspezifischen Sachverstandes mit einer Entscheidungsprärogative verbunden373. Die aus einer Sachverstandsbündelung - wie sie in Form in der aus zwei Regierungen bestehenden Gemeinsamen Regierungskommission vorlag - resultierende höchstpersönliche Entscheidung entzieht sich einer sachlichen Überprüfung. Das gilt umso mehr, als die Verhandlungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfanden und sich der Entscheidungsfindungsprozeß ex post wegen der umfassenden Sach- und Interessenabwägung nicht rekonstruieren läßt. Ein Blick auf die Verhandlungen, die Berlin und Brandenburg sowohl mit den übrigen Ländern und dem Bund als auch - soweit zugänglich - untereinander wegen der Neugliederung geführt haben, zeigen jedoch, daß beide Länder ihre Interessen mit außerordentlichem Ehigeiz und - beispielsweise bei den Übergangsbestimmungen im Finanzausgleich - erfolgreich verfolgt haben374, so daß keine offensichtlichen Fehler bei der Entscheidungsfindung ersichtlich sind. Die Finanzhilfen, die der Bund gemäß Art. 104 a I V G G zur Stadtsanierung und Stadtentwicklung zur Verfügung stellt, ergeben einen umfassenden Maßnahmenkatalog. Ihre Verteilung bestimmt sich nach drei unterschiedlichen, einer Neugliederung allerdings jeweils unempfindlich gegenüberstehenden Modi: 371
Vgl. tabellarische Erfassung bei Döring/Geppertl Horni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.255: Für 1993/94 konnte Berlin auf 368 Mio. D M und Brandenburg auf 292 Mio. DM zurückgreifen. Für die darauffolgenden Jahre bis 1997 sah die Finanzplanung eine Erhöhung auf 369Mio. DM beziehungsweise 293 Mio. DM vor; s. a. BMinF, Finanzbericht 1994, S. 140; ders., Finanzierungshilfen, 1994, S.208f. 372 Auf das gesamte Gebiet des gemeinsamen Landes umgerechnet beträgt der Verlust sogar nur rd. 4v.H. 373 Zur Entscheidungsprärogative im Rahmen einer Neugliederung siehe oben 1. Kapitel B.IV. 374 Vgl. oben 2. Kapitel D. 1.1. a) (3).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg Die Verteilung der Finanzhilfen für die Maßnahmen der ersten Gruppe richtet sich regelkonform nach der Zahl der Landeseinwohner. Dies betrifft die Förderung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen375, den Denkmalschutz376 sowie die Erschließung von Wohngebieten377. Auf das Jahr 1994 bezogen kamen dieser Maßnahmegruppe 82 v. H., das heißt 820Mio. DM der Bundesfinanzhilfen für die Städtebauförderung zu; davon erhielt Berlin 65 Mio. DM und Brandenburg 130 Mio. DM 3 7 8 . Bei einer Neugliederung und gleichzeitigen Fortschreibung der Finanzhilfen wären diese Mittel, entsprechend der Summe der Einwohnerzahlen von Berlin und Brandenburg, dem neuen Land zugeflossen. Der zweite Verteilungsmodus betrifft die Finanzhilfen für die Förderung der städtebaulichen Weiterentwicklung großer Neubaugebiete379. Ihre Vergabe beschränkt sich auf die jungen Bundesländer sowie Berlin und umfaßte im Jahre 1994 lOv. H. der Bundesfinanzhilfen zur Städtebauförderung. Sie ist entsprechend der Finanzhilfevergabe für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten und Gemeinden strukturiert: Da sie nicht generell auf den Städtebau abzielt, sondern maßnahmespezifisch und einwohnerunabhängig allein auf die Weiterentwicklung bereits bestehender Neubaugebiete abstellt, orientiert sie sich nicht an der Zahl der Einwohner eines Landes. Verteilungserheblich ist vielmehr die Anzahl der betroffenen Wohnungseinheiten. Diese wird je nach Bundesland mit unterschiedlichen Faktoren gewichtet. Während für die Zahl der Wohnungseinheiten in Brandenburg eine Gewichtung mit dem Faktor 1,5 erfolgt, bleibt es für Berlin bei der einfachen Wertung380. Unter Zugrundelegen der Annahme der Fortschreibung dieser 375
Vgl. die Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder und das Land Berlin nach Art. 104 a IV GG zur Förderung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen (VV-Städtebauförderung-Ost) i.d.F. v.7.12.1992/ 4.2.1993, abgedr. bei BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 155 ff. 376 Siehe hierzu die Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder und das Land Berlin nach Art. 104 a IV GG zur Förderung des Städtebaulichen Denkmalschutzes i.d.F. v.7.12.1992/4.2.1993, abgedr. bei BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 162ff. 377 Vgl. dazu die Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder und das Land Berlin nach Art. 104 a IV GG zur Förderung der Erschließung von Wohngebieten (VV-Erschließung) i.d.F. v. 22.11.1993/30.12.1993; femer BMinF, Finanzbericht 1994, S. 140; BMin.f. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1991, BT-Drs. 12/1098 S. 129; ders., (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993, BT-Drs. 12/6921, S. 139. 378 Sanierung und Entwicklung 420 Mio. DM (Berlin 32 Mio. DM/Brandenburg 66 Mio. DM), Denkmalschutz 200 Mio. DM (17 Mio. DM/32 Mio. DM) und Erschließung von Wohngebieten 200Mio. DM (16 Mio. DM/32 Mio. DM). Diese Bundesmittel stellen ein Drittel der Gesamtmittel für die Städtebauförderung dar. Für die verbleibenden zwei Drittel kommen Land und Gemeinden jeweils zur Hälfte auf, vgl. tabellarische Übersicht bei Döring!Geppert! Horn!KutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.255; s.a. BMinF, Finanzbericht 1994, S. 140; ders. (Hrsg.), Finanzierungshilfen 1994, S. 148 ff.; femer ΒM in f. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993, BT-Drs. 12/6921 S. 139. 379 Siehe dazu die Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder und das Land Berlin nach Art. 104 a IV GG zur Förderung der städtebaulichen Weiterentwicklung großer Neubaugebiete (VV-Neubaugebiete) i. d. F. v. 22.11.1993/30.12.1993, abgedr. bei BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 174ff. 380 Diese unterschiedliche Gewichtung soll die zu DDR-Zeiten ungleich höheren Finanzvolumina, von denen Berlin gegenüber dem Umland profitierte, ausgleichen, vgl. BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 175.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Finanzhilfe waren für sie keine Neugliederungsefifekte - weder die Herabstufung der brandenburgischen Gewichtung, noch eine Angleichung der Berliner Gewichtung auf brandenburgisches Niveau - zu erwarten: Die Grundstruktur der Verteilung nach Wohnungseinheiten ist ländergrenzenunabhänig, d.h. neugliederungsneutral. Die faktorenmäßige Differenzierung ergibt sich aus der unausgewogenen Förderungsvergangenheit. Eine diesbezüglich Angleichung war zweckentsprechend - ebenfalls neugliederungsunabhängig - nur in Anlehnung an die entwicklungsbezogene Nivellierung der großen Neubaugebiete im Berliner und Brandenburger Raum zu erwarten gewesen. Der dritte und letzte Verteilungsmodus betrifft die Finanzhilfen für städtebauliche Modellvorhaben. Diese verteilt der Bund vornehmlich auf alle jungen Länder in gleicher Höhe und verschafft damit diesen Ländern die gleiche Möglichkeit, städtebauliche Neuheiten zu entwickeln381. Der Bund eröffnet damit jedem Land gewissermaßen ein Experimentierfeld im städtebaulichen Bereich. Ausgenommen von der Förderung ist Berlin, dem bereits in der Vergangenheit umfassende Mittel zur Verfügung standen382. Vor dem Hintergrund dieser Förderungseinstufung konnte für den Fall der Fortschreibung der Förderung davon ausgegangen werden, daß für das Gebiet Brandenburg in dem neuen Land die Finanzhilfe aufrecht erhalten würde. Eine neugliederungsspezifische Änderung der Finanzhilfe für städtebauliche Modellvorhaben war nicht zu erwarten. 3. Finanzielle Folgen auf EU-Ebene: Förderung durch Strukturfonds, Einzelinitiativen und Gemeinschaftsprogramme Auf europäischer Ebene sind die Fördermaßnahmen der Europäischen Union (EU) in Ansatz zu bringen 383 . Für ihre Betrachtung gelten die Prämissen bezüglich der Bundesmittel entsprechend. I m Mittelpunkt stehen - unter Berücksichtigung der nur bedingt kalkulierbaren Zukunft 384 - die Förderungen, deren Vergabekriterien sich auf bundesrepublikanischem Gebiet an länderspezifischen Kriterien orientieren: im Rahmen der EU-Strukturfonds gemäß Art. 123,130a-e E W G V die Förderprogramme des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE), des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) sowie im übrigen die wirtschaftsspezifischen Fördermittel konkreter Einzel- und Gemeinschaftsinitiativen und anderweitiger EUProgramme 385 . 381 Art. 11IV der VerwaltungsVereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes an die neuen Länder und das Land Berlin nach Art. 104 a IV GG zur Förderung städtebaulicher Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen (W-Städtebauförderung-Ost) i. d. F. v. 7.12.1992/4.2.1993, abgedr. bei BMinF, Finanzierungshilfen 1994, S. 155 ff. 382 Vgl. Döring/GeppertlHorn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Stmkturforschung 157 (1995), S.260. 383 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.3.d). 384 So reichte etwa die seinerzeit aktuelle Strukturfondverordnung der EU von 1994-1999, vgl. DöringlGeppert/HornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.229. 385 Zu den EU-Strukturfonds: Beschel, in: v. d. Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV-K, Art. 130a-e S. 3699ff.; Borchardt, in: Lenz, EGV-K, Art. 130a-d; Geiger, EGV-K, Art. 123 Rn. 1 ff.; Pieper, in: Bleckmann, Europarecht, 1997, Rn. 2764ff.; Stabenow, in: Grabitz/Hilf, EU-K, Art.130dRn.lff.
16 Keunecke
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg Bezüglich der EU-Strukturfondsförderung war und ist die Prognose mit ähnlichen Schwierigkeiten behaftet, wie bei der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur 386. Die Verteilung der Mittel aus den für die jungen Bundesländer und Berlin relevanten Regional-, Sozial- und Agrarfonds basiert auf einer Fördergebietseinteilung nach Zielgebieten undrichtetsich im weiteren nach der Bevölkerungszahl. Mit einem Förderanteil i. H. v. 75 v. H. der Gesamtkosten die höchste Förderung wird nach Art. 13 III VO (EWG) Nr. 2081/93387 den Regionen mit Entwicklungsrückstand - Ziel-1-Regionen - zuteil388. In diesen Regionen muß nach Art. 81 VO (EWG) Nr. 2081/93 das Bruttoinlandprodukt je Einwohner in den vergangenen drei Jahren unter 75 v. H. des Gemeinschaftsdurchschnittes gelegen haben. Regionen mit rückläufiger industrieller Entwicklung erhalten als Ziel-2-Gebiete gemäß Art. 13 III VO (EWG) Nr. 2081/93 nurmehr höchstens 50 v. H. der Gesamtkosten389. Ohne an einen festen Grenzwert gebunden zu sein, trifft die EU-Kommission ihre Entscheidung über die Förderung eines Ziel-2-Gebietes gemäß Art. 91, Π VO (EWG) Nr. 2081/93 nach drei Grundkriterien: einer über dem Gemeinschaftsdurchschnitt liegenden Arbeitslosenquote, einem überdurchschnittlichen Anteil industrieller Erwerbstätiger und einem Rückgang der Erwerbstätigenzahl in der regionsspezifischen Industrie in den vergangenen drei Jahren. Ist eine flächendeckende Kategorisierung einer Region als Ziel-1- oder Ziel-2-Gebiet nicht möglich, kann eine Förderung als Ziel-5 b-Gebiet erfolgen. Dieses ist nach Art. 11 b I VO (EWG) Nr. 2081/93 gekennzeichnet durch einen grundlegenden niedrigen Entwicklungsstand, einem hohen Beschäftigungsanteil in dem Agrarsektor mit einem zugleich niedrigen Agrareinkommen und einem Ansatz zur Entvölkerung oder einer bereits geringen Bevölkerungsdichte. Die Höhe der Förderung bei Ziel-5 b-Gebieten entspricht gemäß Art. 13 III VO (EWG) Nr. 2081/93 der der Ziel-2-Gebiete390. Die Frage nach der Neugliederungsempfindlichkeit der EU-Strukturfondsmittel hängt davon ab, welche Parameter der Födergebietseinteilung zugrunde liegen. Für Ziel-1-Gebiete gilt gemäß Art. 81 V O (EWG) Nr. 2081/93 die Gebietseinteilung auf der National Units of Trade Statistics391 (NUTS)-Ü-Ebene, die sich an die Aufgliederung in Verwaltungseinheiten anlehnt. Für die Bundesrepublik entspricht dies den unter den Ländern liegenden Regierungsbezirken; existiert diese Verwaltungsebene in einem Land nicht, wird als nächsthöhere Stufe das Land selbst als NUTS-II-Gebiet deklariert 392 . Die Einordnung der Ziel-2- oder Ziel-5 b-Gebiete findet nach Art. 9 I I , 11 a l V O (EWG) Nr. 2081/93 auf der NUTS-IÜ-Ebene statt. Räumlich zielgerichteter als die Einteilung auf der NUTS-Ü-Ebene bedeutet dies für die Bundesrepublik eine Förderungszuteilung noch unterhalb der Regierungsbezirke auf Kreisebene 393 . 386
Siehe oben 2. Kapitel D. 1.2. a). EWG-Verordnung des Rates v. 20.7.1993, ABl. L193/5. 388 Vgl. Stabenow, in: Grabitz/Hilf, EU-K, Art. 130d Rn.5ff., 16. 389 Vgl. Stabenow, in: Grabitz/Hilf, EU-K, Art. 130d Rn. 16. 390 S. a. Stabenow, in: Grabitz/Hilf, EU-K, Art. 130d Rn. 16. 391 Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik, vgl. Art. 81 VO (EWG) Nr. 2081/93. 392 Döring,/Geppert/HornJKutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.245. 393 Döring,/Geppert/HornJKutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.246. 387
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Unter Beibehaltung des status quo zweier getrennter Länder bedeutete diese Kategorisierung bezogen auf den Planungszeitraum von 1994 bis 1999 für Brandenburg und Berlin-Ost eine Förderung als Ziel-1-Gebiet394 i. H. v. fast 1,9 Mrd. DM 3 9 5 . Wie die übrigen neuen Länder sind sie die förderungsbedürftigsten Ziel-1-Gebiete der Europäischen Union. Dagegen zählte Berlin-West gemäß Art. 9 V VO (EWG) 2081/93 bis 1996 zu den weniger Förderungsbedürftigen unter den Ziel-2-Gebieten. Aufgrund der erwarteten Entwicklung Berlins auf dem Wirtschafts- und Arbeitsmarktsektor war es 1994 wenig wahrscheinlich, daß Berlin nach 1996 beziehungsweise 1999 - abhängig vom West- und Ostteil der Stadt - diese Einordnung beibehalten würde 396. Für Brandenburg indes stand zu erwarten, daß es, selbst bei optimistischer Einschätzung, im Jahre 2000 mit einem Bruttoinlandprodukt i.H. v. 65 v. H. bis 70 v. H. weiterhin als Ziel-1-Gebiet gefördert wird 397. Die Neugliederung hätte, bereits im Jahre 1994 vollzogen, unter den bestehenden Kategorisierungen erhebliche Einschnitte in der Förderung für das gemeinsame Land mit sich gebracht. Da Berlin und Brandenburg und auch das gemeinsame Land keine Aufteilung in Regierungsbezirke unterhalten, wäre für letzteres nur in seiner Gesamtheit als ganzes Land eine Förderung als Ziel-1-Gebiet in Betracht gekommen. Jedoch hätte in dem neuen Land das Bruttoinlandprodukt pro Kopf durch die Wirtschaftskraft West-Berlins die 75 v. H. Grenzmarke des EU-Durchschnittes überschritten398. Mit Blick auf die für die Räume Berlin und Brandenburg erwartete positive Entwicklung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes war abzusehen, „daß ein fusioniertes Bundesland bei einer einheitlichen Eingruppierung keine Chance hat, zur Ziel-1-Region erklärt zu werden. Unter diesen Umständen bliebe lediglich die Möglichkeit, daß Teilgebiete Brandenburgs als Ziel-2- oder Ziel-5b-Region eingestuft werden. Ersteres würde auch für Berlin gelten."399 Auf das Gebiet Brandenburg bezogen würden mindestens 33 v. H. der Förderung, die es als getrenntes Land erhielte, entfallen. 394
Art. 81 VO (EWG) Nr. 2081/93; s. a. Stabenow, in: Grabitz/Hilf, EU-K, Art. 130d Rn.6. Davon fallen jährlich 0,5 Mrd. DM auf Brandenburg und 317 Mio. D M auf Berlin-Ost, vgl. Döring,IGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.243. 396 Vgl. Döring,IGeppertl H orni KutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 246. Femer Eickelpasch, Vorausschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung Berlins bis 2010,1994, S. 15, zit. nach Döring/Geppertl Horni KutterIVesper, aaO., S.246; BrenkelGeppert, Die Wirtschaft im Raum Berlin, in: Moser, Hubertus (Hrsg.), Berlin-Report, 1992, S.47ff. (93); s. a. Gaulke, Der Arbeitsmarkt im Raum Berlin, in: Moser, Hubertus (Hrsg.), Berlin-Report, 1992, S. 97 ff. (111). 397 Vgl. Döring,IGeppertl Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.246. 398 Vgl. Döring,IGeppertl H orni KutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.246. 399 Döring,IGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.246. 395
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. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
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Bei dieser Einschätzung bliebe unberücksichtigt, daß die Einstufung auf der NUTS-II-Ebene als ganzes Land - mangels einer Regierungsbezirksebene - eine Ausweichlösung darstellt. Die Gemeinsame Regierungskommission hat daher 1993 diefinanziellen Folgen der Neugliederung für die Strukturfondsförderung der EU als eher neutral eingeschätzt: „Da die Regionalklassifizierung der EG auf der Ebene NUTS-II nicht zwingend ein Bundesland zur Voraussetzung hat, müßten bei rechtzeitiger Aufnahme von Verhandlungen mit der EG-Kommission Chancen bestehen, daß Brandenburg im Rahmen der EG-Strukturförderung weiterhin als Ziel-1-Region eingruppiert werden kann. Abschließende Aussagen über unmittelbare Auswirkungen eines Zusammenschlusses von Berlin und Brandenburg auf die EG-Strukturfondsmittel sind deshalb heute nicht möglich."400 Aus diesem Befund ergab sich für die fusionierenden Länder die Aufgabe zu klären, ob ein Wegfall der Ziel-1-Förderung für die Brandenburger Region dem Verfassungsauftrag der Schaffung eines leistungsfähigen Landes entgegensteht. Bei Verneinung der Frage wäre ein Scheitern der Verhandlungen um die Aufrechterhaltung der Förderung für die Neugliederung folgenlos gewesen. Die Bejahung der Frage hingegen hätte schwerwiegende Konsequenzen nach sich gezogen: Wären die Verhandlungen um die Förderungsfortsetzung für Brandenburg auf bisherigem Niveau erfolgreich gewesen, hätte der Neugliederung bezüglich der EU-Strukturfondsforderung nichts im Wege gestanden. Bei einem Scheitern wären Berlin und Brandenburg angehalten gewesen, Finanzmittel in notwendiger Höhe auf anderen Wegen, entweder auf EU-Ebene oder - wahrscheinlicher - auf Bund-Länder-Ebene, zu sichern. Wären Ersatzmittel nicht zu beschaffen oder eine Kompensation nicht in anderer Weise möglich gewesen, hätte der Auftrag des Art. 291 GG der Neugliederung entgegengestanden. Wie bei der Einschätzung der zu erwartenden Verluste hinsichtlich der Bundesfinanzhilfen für die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Städten und Gemeinden401, hatten Berlin und Brandenburg bei der Entscheidung dieser Frage eine Entscheidungsprärogative402. Sie resultiert auch hier aus der außerordentlichen Komplexität der Materie sowie der Höchstpersönlichkeit des Entscheidungsfindungsprozesses durch die Gemeinsame Regierungskommission. Davon ausgehend, daß auf die Entscheidung über die Verhandlungsaufnahme mit der EU-Kommission zur Fortsetzung der Ziel-1-Gebiet-Förderung für die Region Brandenburg die gleiche Sorgfalt und Interessenbeachtung aufgewandt wurde, wie etwa bei den - erfolgreichen - Verhandlungen um die Übergangsregelungen im Finanzausgleich403, kann die „Untätigkeit" der Gemeinsamen Regierungskommission hinsichtlich der EUFördermittel 404 rechtlich dahin gewürdigt werden, daß ein Wegfallen der Förde400
Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 9. Siehe oben 2. Kapitel D. 1.2. b). 402 Zur Entscheidungsprärogative im Rahmen von Neugliederungsvoihaben siehe oben 1. Kapitel B.IV. 403 Siehe oben 2. Kapitel D. 1.1. a) (3). 404 Die Gemeinsame Regierungskommission hat zu keinem Zeitpunkt derartige Verhandlungen aufgenommen, Gespräch A l mit Mitarbeiter aus der Senatskanzlei Berlin vom 7.12.1998. 401
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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rung - auch wenn dies aus der Sicht Berlins und Brandenburgs freilich unerwünscht gewesen wäre - langfristig der Schaffung eines leistungsfähigen neuen Landes nicht entgegengestanden hätte. Offensichtliche Beurteilungsfehler sind jedenfalls nicht erkennbar. Nichts anderes gilt für Förderungen der EU im Rahmen der Gemeinschaftsinitiativen. Gemäß Art. 11 ff. VO (EWG) Nr. 2082/93405 beinhalten sie in der Regel über mehrere Jahre laufende Förderungen, die unabhängig von Regionalquoten und Staatsgrenzen verteilt werden können. Anders als die Strukturfondsförderung setzen sich die Gemeinschaftsinitiativen zusammen aus Einzelinitiativen und Sonderprogrammen, deren Fördervergabe sich maßgeblich nach der Qualität der Förderungsvorhaben und deren Trägerschaft richtet. Für Brandenburg und Berlin-Ost war bis 1994 lediglich das der Nutzungsumstellung vormals militärisch genutzter Gebiete dienende Programm KONVER einschlägig406. Wie schon zuvor für BerlinWest, besteht die Möglichkeit, sich um die Förderung aus weiteren Programmen zu bemühen407. Jedoch bemißt sich die Höhe der bereitgestellten Fördermittel nach der räumlichen Zuordnung der einzelnen Förderprojekte: wie bei der Strukturfondsförderung erhalten die in Ziel-1-Gebieten gelegenen Vorhaben „deutlich mehr Geld" als solche in Ziel-2- oder Ziel5 b-Gebieten408.
II. Regelung der internen Finanzbeziehungen, Art. 27-39 NV: das Land im Land Waren die externen Finanzbeziehungen des gemeinsamen Landes bereits im Vorfeld des Neugliederungs-Vertrages zu klären, bilden die internen Finanzregelungen - wie sich schon aus ihrem Umfang ergibt - zu Recht den Kern des Neugliederungs· Vertrages. Sie bilden die Grundlage für die Errichtung einer im Sinne des Art. 291 G G erforderlichen leistungsfähigen (Finanz-)Verwaltung 409 . Den internen Finanzregelungen lag in besonderem Maße die Schwierigkeit zugrunde, daß sowohl Berlin als auch Brandenburg eine für sie vorteilhafte Lösung erreichen - zumindest ihren status quo aufrecht erhalten - wollten und die Befürch405
Verordnung des Rates v. 20.7.1993, ABl. L193/20. Döring,! Geppert! H orni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.248. 407 Von besonderen Interesse sind das der Unterstützung von Kohlerevieren dienende Programm RECHAR (s.a. Schweizer!Hummer, Europarecht, 1996, Rn. 1750), INTERREG, das Grenzregionen auf den gemeinsamen Binnenmarkt vorbereitet sowie LEADER, das im ländlichen Raum innovative Lösungen implementieren soll. Femer fördert die EU gezielt Berufsund Weiterbildungsmaßnahmen sowie Maßnahmen in den Materien Umwelt, Energie und Außenwirtschaft, vgl. SenVw.f Wirtschaft und Technologie!Min.f Wirtschaft, Mittelstand un Technologie des Landes Brandenburg (Hrsg.); Berlin und Brandenburg im EG-Binnenmarkt, 1993, S. 22, zit. nach Döring,/Geppert!Horn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, in: DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.248. 408 Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 28. 409 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.4. 406
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
tung hegten, durch den Verhandlungspartner benachteiligt zu werden. Dem Konzept des Neugliederungs-Vertrages entsprechend, statuiert das Finanzkapitel daher zunächst diefinanziellen Ziele (1.) und allgemeinen Strukturen (2.a)) des gemeinsamen Landes. Erst darauffolgend regelt es die Besonderheiten der Finanzmittelverteilung in dem gemeinsamen Land (2.b) c)), die neugliederungsspezifischen Einzelheiten der Hauhaltskonsolidierung beider Länder in der Übergangszeit (3.) sowie die Aufteilung von Vermögen, Lasten und Verbindlichkeiten des Landes Berlin (4.). 1. Finanzpolitische Ziele auf Landesebene, Art. 27 NV Diefinanzpolitischen Ziele nach Art. 271 NV setzen sich vornehmlich zusammen aus einer - eine sparsame und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtete Haushaltsführung vorausgesetzt - für jeden Staatshaushalt geltenden Selbstverständlichkeit: Art. 271 S. 1 NV verpflichtet das gemeinsame Land, durch eine sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung die aufgaben- und bedarfsgerechte Entwicklung sowie die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen zu sichern. Kredite sollen dabei nach Art. 271 S. 2 NV nur für investive Zwecke aufgenommen werden, konsumptive Ausgaben sind gemäß Art. 271 S. 3 NV durch laufende Einnahmen zu decken. Unter Berücksichtigung der Intention der Vertragsparteien, nur das Notwendige in dem Neugliederungs-Vertrag zu regeln, überrascht Art. 271S. 1-3 NV. Die Bestimmung ist entbehrlich und mag einem Sicherheitsbedürfnis beider Länder bei den Vertragsverhandlungen geschuldet sein. Ihre Entbehrlichkeit ergibt sich aus dem Kontext der Verfassung des gemeinsamen Landes: diese ist nach Art. 81S. 2 NV auf der Grundlage der beiden bisherigen Landesverfassungen zu erarbeiten. Deren wesentliche Inhalte sind in die neue Verfassung aufzunehmen. Unter den zu übernehmenden Bestimmungenfindet sich nun in beiden Ländern - Art. 87 Π S. 2 VvB, Art. 1031 S. 2 BbgVerf. - fast wortgleich und inhaltlich identisch410 die Vorgabe, daß die Einnahmen aus Krediten die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben nicht überschreiten dürfen, es sei denn eine gesamtwirtschaftliche Störung erfordert es411. Diese sowohl mit Art. 1151S. 2 GG als auch mit 410 Art.87II S.2 VvB [Weglassung in Art. 1031 S.2 BbgVerf.]: „Die Einnahmen aus Krediten dürfen die [Summe der] im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten." Daß die Weglassung in der BbgVerf. keine inhaltliche Bedeutung hat, verdeutlicht § 181 S. 1 LHO-Bbg (v. 7.5.1991, GVB1.I S.46, zul. geänd. 3.6.1994, GVB1.I S. 197), wonach „Einnahmen aus Krediten [...] nur bis zur Höhe der Summe der Ausgaben für Investitionen in den Haushaltsplan eingestellt werden" dürfen. 411 Mit Blick auf diese die gemeinsame Verfassung prägenden Bestimmungen ist die Begründung des Neugliederungs-Vertrages irreführend: Kredite „sollen" nach Art.271 S.2 NV nur für investive Zwecke aufgenommen werden. Dabei kann kein Zweifel bestehen, daß die gemeinsame Verfassung als Ausnahme zu dieser Sollbestimmung eine den bisherigen Verfassungen entsprechende Bestimmung vorsehen wird. Im scheinbaren Widerspruch dazu steht die Begründung, wonach Art. 271 S. 1 NV „ausdrücklich" festlegt, „daß Kredite nur für investive Zwecke aufgenommen werden dürfen", Einzelbegriindung zu Kapitel VI. NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 11 (Hervorhebungen nicht im Original). Diese Festlegung in der Begründung
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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den entsprechenden Bestimmungen in den übrigen Landesverfassungen 412 übereinstimmenden Vorschriften stellen die Nettoneuverschuldung - die zur Umschuldung verwendeten Kredite bleiben außer Betracht, es geht allein um die im Haushaltsplan auszuweisenden Einnahmen aus Neuverschuldung - den gesamten, d. h. den eigenfinanzierten zuzüglich denfremdfinanzierten Investitionen gegenüber413. Innovationscharakter kann Art. 271S. 2 2. HS NV daher allerdings mit Blick darauf zugesprochen werden, daß die investiven Ausgaben zu einem „angemessenen" Teil durch laufende „eigene" Einnahmen zu decken sind. Zunächst wirft der Wortlaut die Frage auf, wie sich die laufenden eigenen Einnahmen definieren und darüberhinaus von laufenden (nicht-eigenen) Einnahmen nach Art. 271S. 3 NV abgrenzen. Der Zusammenhang des Art. 271 NV deutet zunächst daraufhin, daß die eigenen Einnahmen allein als Gegensatz zu Kreditmitteln zu verstehen sind: Art. 271S. 2 NV behandelt in semen beiden Halbsätzen insgesamt die Finanzierung von Investitionen und sieht dafür zwei Möglichkeiten vor, Kredite und laufende eigene Einnahmen. Damit stehen - typischerweise - den Investitionen größere Finanzbeschaffungsspielräume zur Verfügung als den konsumtiven Ausgaben, die nach Art. 271S. 3 NV nur durch laufende Einnahmen zufinanzieren sind. Wenn aber schon die strikter gehandhabten konsumtiven Ausgaben sowohl mit „eigenen" - i. S. v. originären - als auch mit „fremden" Einnahmen bestritten werden dürfen, gilt dies für Investitionen erst recht. Überdies ist eine genaue Unterscheidung bei Zuweisung der laufenden eigenen und der zweckungebundenen fremden Mittel, wie sie etwa der Bund-LänderFinanzausgleich zur Verfügung stellt, kaum möglich. Nach dieser Lesart würde die von Art. 271 NV getroffene Unterscheidung zwischen „laufenden eigenen" und „laufenden" Einnahmen auf einem Redaktionsversehen beruhen.
Der Gegenbegriff laufende,»fremde" Einnahmen verdeutlicht, daß es sich bei den laufenden eigenen Einnahmen um solche handelt, die unmittelbar aus der originären Finanzkraft (Einnahmen aus originärer Steuerkraft, Gebühren, Beiträge) erwachsen, wogegenfremde Einnahmen Drittmittel - Bundesergänzungszuweisungen etwa - bezeichnen414. Damit erhält auch Art. 271 S. 2, 3 NV seine Bedeutung: Die Haushalte der Länder, die wie Berlin und Brandenburg - als auch das gemeinsame Land - in dem Bund-Länder-Finanzausgleich auf der Nehmerseite stehen, zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich nicht in der Lage befinden, auch nur die konsumtiven Ausgaben ausschließlich durch laufende eigene Einnahmen auszugleichen. Bereits für diesen Ausgleich werden laufende „fremde" Einnahmen - laufende Zuweisungen und Zuschüsse - benötigt. Dies ist für die Nehmerländer der Regelfall, unter dem Art. 271S. 2, 3 NV zu lesen ist. Wenn nun Art. 271S. 2 NV für investive Ausgaben einen angemessenen Eigenanteil an laufenden „eigenen" Einnahmen einforist als unverbindlichesfinanzpolitisches Ziel freilich nicht unzulässig. Sie verwirrt indes die Vertragsauslegung. 412 Siehe oben 1. Kapitel B.II.4. 413 Vgl. auch Maunz, in: MDHS, GG-K, Art. 115 Rn. 28 ff.; Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig, GG-K, Art. 115 Rn. 11 ff. 414 S.o. 1. Kapitel B.II.3.a).; femer SenFin (Hrsg.), Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001,1997,S.103 ff.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
dert, so will er sicherstellen, daß das gemeinsame Land neben der Aufnahme von Krediten nicht auf die für Investitionsausgaben verwendeten „fremden" laufenden Einnahmen verweisen kann. Diese stellen mit ihrer Zweckgebundenheit nur einen durchlaufenden Posten im Vermögenshaushalt dar. Das gemeinsame Land soll vielmehr einen eigenen durch originäre laufende Einnahmen aufgebrachten Finanzbeitrag an seinen Investitionsausgaben leisten. Das setzt voraus, daß der Betriebshaushalt nicht nur ausgeglichen ist, sondern darüber hinaus als Überschuß die für die Investitionen einzusetzenden laufenden eigenen Einnahmen erwirtschaftet. Die Nettoneuverschuldung soll lediglich das Defizit des Vermögenshaushaltes ausgleichen. Ausdrückliche Zielvorgabe ist damit ein Haushalt im Gleichgewicht415. Gegenüber den geltendenfinanzverfassungsrechtlichen Vorgaben der Länder Berlin und Brandenburg ist dies innovativ, da dort das Kreditvolumen für Investitionen lediglich auf deren Betrag begrenzt ist, darüber hinaus jedoch keinerlei Beschränkungen und Tendenzvorgaben unterliegen. Diese - als Zielbestimmung nur mit begrenzter Verbindlichkeit versehene - relationsmäßig unbestimmte Vorgabe konkretisiert der Neugliederungs-Vertrag durch die Maßgabe eines „angemessenen" Anteiles laufender eigener Einnahmen. Damit scheint lediglich eine Unbestimmtheit durch eine andere ausgetauscht zu sein. Wonach bestimmt sich der angemessene Anteil? In der Anwendungspraxis eines gemeinsamen Landes wird die Angemessenheit des Eigenanteiles die Kreditaufnahme im investiven Bereich kaum wirksam beschränken oder auch nur vorgeben: angemessen ist, wasfinanziell möglich ist. Zudem ist praktischfraglich, ob der angemessene Eigenanteil überhaupt rechtlich durchsetzbar, d. h. ein Vertragsrecht zugunsten eines der ehemaligen Länder nach Art. 56 NV ist, wodurch die maßgebende Auslegung des Begriffes faktisch in den Händen des den Haushaltsplan verabschiedenden gemeinsamen Landtages liegt. Bleiben diese staatspraktischen Überlegungen bei der Auslegung der Angemessenheit unberücksichtigt, ist der Ausgangspunkt ein volkswirtschaftlicher: Investitionen dürfen nur soweit durch Kreditmittel finanziert werden, wie sie die Kreditbelastungen zu tragen vermögen416. Damit ist dem gemeinsamen Land eine hinreichend konkrete Zielsetzung vorgegeben, die ihm zugleich aufgrund ihrer Eigenschaft alsfinanzpolitisches Ziel einen genügend großenfinanziellen Handlungsfreiraum beläßt. Mit ihrer Vorgabe, selbst in dem investiven Bereich im Rahmen des Möglichen die Kreditaufnahme zu senken, ist sie mit Blick auf die hohe Verschuldung der Länder Berlin und Brandenburg ein Ausfluß ihrer Bemühungen um Haushaltskonsolidierung und eine Richtungsweisung, deren Beachtung eine zukünftige Überschuldung des gemeinsamen Landes vermeiden helfen kann. Denn trotz ihrer fehlenden unmittelbaren Verbindlichkeit gibt sie 415
Vgl. SenFin (Hrsg.), Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001, 1997, S. 104. Hierdurch öffnet sich ein breiter Fächer von Auslegungsmöglichkeiten in Abhängigkeit von dem jeweiligen volkswirtschaftlichen Standpunkt: So stellt sich die Frage, ob etwa bei der Bewertung der Angemessenheit der Investitionsausgaben eines Haushaltsjahres die bereits bestehende Gesamtkreditbelastung zu berücksichtigen sind oder im Gegenteil jeder einzelne Investitionsposten eines Haushaltsjahres getrennt zu beurteilen ist. 416
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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die Diskussionsrichtung vor, in die sich die Ausarbeitung der einzelnen Haushaltspläne entwickelt. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das in Anlehnung an § 100 II GO-Bbg für die Landesebene formulierte finanzpolitische Ziel der Senkung der Staatsquote für die Haushaltskonsolidierung und die Errichtung einer sparsamen und effizienten Verwaltung, wie von Art. 291 S. 2 GG vorausgesetzt417, förderlich: Nach Art.27IV S. 1 1. Alt. NV soll das gemeinsame Land dafür Sorge tragen, daß im Interesse einer sparsamen Haushaltsführung Aufgaben an Dritte delegiert werden, wenn diese die Leistung mindestens gleichwertig, jedoch günstiger erbringen können und kerne öffentlichen Interessen entgegenstehen. Daraus folgt, eingeschränkt durch die Berücksichtigung des öffentlichen Interesses, eine Subsidiarität der staatlichen Aufgabenerfüllung, die allerdings einen Rechtsanspruch auf Privatisierung nicht zu begründen vermag418. Um die Anfangsvoraussetzungen für die Verwaltung in dem gemeinsamen Land bestmöglich vorzubereiten, gibt Art. 27IV S. 2 NV entsprechendes für die Übergangszeit vor. Wesentlich konkreter und mit Verbindlichkeit ausgestattet ist das finanzpolitische Ziel gemäß Art. 271 S. 4 NV, die Anzahl der Stellen des Landespersonales des gemeinsamen Landes so gering wie möglich zu halten, um Personalkosten zu minimieren und die Verwaltung zu straffen. Die Gesamtzahl der Stellen für Landesaufgaben soll auf 159.000 begrenzt werden, um so investiven Spielraum zu gewährleisten 419 . An dieser Stelle gab es erhebliche Auseinandersetzungen, da insbesondere das Land Berlin aufgrund seines aus der Zeit bis zur Wiedervereinigung übermäßig großen Verwaltungsapparates nach den Vorstellungen Brandenburgs rund 40.000 Stellen abbauen sollte 420 . Die für den Neugliederungs-Vertrag nach Art. 291 G G erforderliche Straff ung der jeweiligen Verwaltung 421 konnte jedoch von den Regierungen beider Länder zum Vorwand des ohnehin erforderlichen 422 Stellenabbaues vorgeschoben werden, um nicht die eigenen Wählerschaft gegen sich aufzubringen. Insoweit waren die von der Politik in der Öffentlichkeit geführten Diskussionen um 417
Siehe oben 1. Kapitel B.II. 1. Vgl. Benedens y in: GO-Bbg Kommentar, § 100 Ziff. 5.1; Pähl, in: Potsdamer Kommentar, § 100 Nr. 8 a) (S. 459ff.); zur Subsidiarität der staatlichen Aufgabenerfüllung s. a. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 209ff. 419 Einzelbegründung zu Art. 27 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 12. 420 Vesper, Öffentliche Finanzen in Berlin-Brandenburg - Bringt ein gemeinsames Bundesland Vorteile?, in: DIW Wochenbericht 38/93, S.513 (522), errechnete 1993 sogar- gemessen an westdeutschen Verhältnissen einen Stellenüberhang von 60.000 Stellen, wobei er von 160.000 Stellen für das gemeinsame Land ausging. Die unterschiedliche Stellenanzahl resultiert aus der bis zum Inkrafttreten des Neugliederungs-Vertrages voraussichtlich bereits eingetretenen Konsolidierung in Berlin. Diese Zahlen wurden im Frühjahr 1995 auf 35.000 (Geppert/Vesper; Länderfusion begünstigt Entwicklung, Wirtschaftliche und finanzpolitische Aspekte einer Vereinigung von Berlin und Brandenburg, in: DIW Wochenbericht 10/95, S. 215 [225]) und im November 1995 auf nurmehr 20.000 Stellen korrigiert, s. Vesper y Riesige Fehlbeträge im Berliner Landeshaushalt - Bisherige Sparbemühungen reichen nicht aus, in: DIW Wochenbericht 45/95, S.771 (775). 421 Vgl. oben 1. Kapitel B.II. 1. 422 Für Berlin siehe Vesper, Öffentliche Finanzen in Berlin-Brandenburg - Bringt ein gemeinsames Bundesland Vorteile?, in: DIW Wochenbericht 38/93, S.513 (522). 418
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg die Zahl der einzusparenden Stellen Scheingefechte. Daher verwundert es nicht, daß sich schließlich die Position Berlins sehr an die Brandenburgs annäherte. Dieses finanzpolitische Ziel verbleibt nun auch nicht mit der Unverbindlichkeit der übrigen Zielvorgaben: Die Haushaltsausgaben in beiden Ländern bestehen in überproportionalem Verhältnis aus Personalausgaben 423. Eine grundsätzliche Reduzierung der Gesamtausgaben wirkt sich damit in erster Linie unweigerlich auf den Personalumfang aus 424 . Diese Reduzierung gibt Art. 35 Π - I V N V beiden Ländern schon für die Übergangszeit vor.
2. Finanzmittelverteilung zwischen Land und Kommunen a) Grundlagen der Finanzmittelverteilung zwischen Land und Gemeinden So wie die Länder im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleiches die Finanzmittel erhalten, die sie für die angemessene Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgaben benötigen 425 , erhalten auf unterstaatlicher Ebene die Kommunen Finanzmittel vom jeweiligen Land 4 2 6 . Sie sind gemäß Art. 28 II GG für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zuständig. Für die Erfüllung dieser Selbstverwaltungsaufgaben haben sie diefinanzielle Eigenverantwortung, Art. 28 II S. 3 GG. Das gemeinsame Land hat seine Gemeinden also mit den erforderlichenfinanziellen Mitteln auszustatten. Obgleich dies bereits aus Art. 28 II GG hervorgeht 427, findet sich im Neugliederungs-Vertrag in Art. 27 II NV eine sinngemäße Umschreibung der grundgesetzlichen Vorschriften: „Das gemeinsame Land gewährleistet unter Berücksichtigung der jeweiligenfinanziellen Leistungsfähigkeit eine angemessene, aufgaben- und bedarfsgerechte Finanzmittelverteilung zwischen dem Land und den Gemeinden sowie Gemeindever423 Vgl. Hartmann, XJJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 148, die den Personalkostenaufwand gemessen an den „Steuereinnahmen" in Berlin i. H. v. 86 v. H. und in Brandenburg i. Η. v. 80,1 v. H. errechnen; für Berlin vgl. ferner Vesper, Riesige Fehlbeträge im Berliner Landeshaushalt-Bisherige Sparbemühungen reichen nicht aus, in: DIW Wochenbericht 45/95, S. 771 (774f.), wonach der Anteil der Personalausgaben an den Gesamtausgaben 35 v. H. betrug. 424 Vgl. auch Brente , Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung in Berlin 1995/96, in: DIW Wochenbericht 8/96, S. 127 (132): „Es kann keinen Zweifel daran geben, daß die Haushaltskonsolidierung nicht möglich sein wird ohne einen deutliche Senkung der Personalausgaben. [...]." 425 Siehe oben 1. Kapitel B. II. 3. a). 426 Vgl. etwa Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S.9 Rn.22ff.; s.a. oben 1. Kapitel B.II.4. 427 Die ausreichende aufgabengerechte Finanzausstattung „wird in Rechtsprechung und Lehre als unmittelbar aus [...] Art.28 Abs.2 GG [...]fließender Anspruch der Kommunen" hergeleitet, vgl. Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 5 Rn. 12ff.; Henneke, Finanzierungsverantwortung im Bundesstaat, in: DÖV 1996, S. 713 (709); ferner mit erschöpfendem Fundstellennachweis: Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S.75ff.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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bänden." Dies geht über den Inhalt des Art. 28 II GG nicht hinaus. Daß die Finanzmittelausstattung der Gemeinden ihre Grenzen in derfinanziellen Leistungsfähigkeit des Landes findet, ist „Geschäftsgrundlage" der Finanzmittelverteilung zwischen Land und Kommunen. Auch im übrigen wird Art. 28 II GG nicht konkretisiert. Art. 27 II NV hat damit ausschließlich deklaratorische Funktion ohne eigenen Regelungsgehalt. An dieser Stelle konnten die Länder Berlin und Brandenburg ihrem Grundsatz, den Neugliederungs-Vertrag auf das Wesentliche und Erforderliche zu beschränken, nicht gerecht werden. Es bricht die hohe Vorsicht durch, mit der der Vertrag - an dieser Stelle die Vorbehalte der Brandenburgischen Kommunen mit Blick auf ihr Verhältnis zu Berlin in der DDR-Vergangenheit berücksichtigend - verfaßt werden mußte. Nur vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, daß die Deklaration des Art. 27 II Ν V inhaltlich identisch und fast wortgleich nochmals bei der Regelung der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 201S. 2-4 NV wiedergegeben ist428. An Art. 27 Π N V anknüpfend, gibt Art. 27 Π Ι N V die rudimentären Grundsätze des kommunalen Finanzausgleiches i. e. S. des gemeinsamen Landes vor 4 2 9 . Jede Gemeinde beziehungsweise jeder Gemeindeverband ist bedarfsgerecht finanziell auszustatten. Dies ist vor allem für die Städte von Interesse, die übergeordnete Funktionen für das Umland wahrnehmen und die damit verbundenen Kosten zu tragen haben. Eine Differenzierung zwischen Haupt- und Nebenansätzen 430 wird indes nicht vorgenommen und bleibt dem gemeinsamen Land vorbehalten. Sofern Art. 27 Π Ι S. 2 N V die Gewährleistung der Grundfinanzierung der besonderen Funktionen der Städte neben Art. 27 Π Ι S. 1 N V betont, kann ihm mangels darüber hinausgehender Konkretisierung kein diesbezüglicher Inhalt entnommen werden. Vielmehr ist er eine politische Bekräftigung der städtespezifischen Teilaussage des Art. 27 Π Ι S. 1 NV. Aber auch die ländlichen Regionen sind mit etwaigen Sonderbedarfen zu berücksichtigen. Die Regelung entspricht insgesamt den allgemeingültigen Grundsätzen eines kommunalen Finanzausgleiches431, ohne für das gemeinsame Land Besonderheiten vorzusehen. Wegen der Allgemeinheit ihrer festgelegten Struktur steht sie der Einführung eines kommunalen Finanzausgleichssystemes unter Berücksichtigung der lauter werdenden finanzwissenschaftlichen Kritik an hergebrachten Strukturen 432 unvoreingenommen gegenüber. Wie für das das gemeinsame Land, wurde auch für seine Kommunen aus § 100 III GO-Bbg die Vorgabe der Reduzierung der Staatsquote übernommen: Sofern Leistungen von Dritten mindestens qualitativ gleichwertig und gleich zuverlässig, jedoch zu niedrigeren Kosten durchge428 Auch daß Art. 27 V NV das Benachteiligungsverbot aus Art. 281 NV auf die Landesregelungen öffentlicher Förderungen für die Gemeinden des gemeinsamen Landes konkretisiert und bestimmt, daß sie einheitlich für alle seine Gemeinden und Gemeindeverbände gelten, läßt sich auf diese Behutsamkeit bei der Vertragsformulierung zurückführen. 429 Siehe allgemein zum Aufbau des kommunalen Finanzausgleiches oben 1. Kapitel B.II. 4. 430 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.4. 431 Siehe oben 1. Kapitel B.II.4. 432 Kritisch zu der Fähigkeit des gegenwärtigen Systems des kommunalen Finanzausgleiches, seinen allokativen und distributiven Anforderungen gerecht zu werden: Kuhn, Theorie des kommunalen Finanzausgleichs, 1995, passim, insbes. S.69ff., 193ff.; s.a. Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S. 53 ff.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg führt werden können, sollen sie „im Interesse sparsamer Haushaltsführung" an diese abgegeben werden, es sei denn, es stehen öffentliche Interessen entgegen, Art. 27IV NV. Es gilt das hierzu bereits für die Landesebene Ausgeführte, die gemeindliche Aufgabenerfüllung ist subsidiär433. Die Grundsätze der Finanzmittelverteilung zwischen dem gemeinsamen Land und den Gemeinden und Gemeindeverbänden sind systematisch in der Vorschrift des Art. 27 NV, der finanzpolitische Ziele des gemeinsamen Landes vorgibt, nicht überzeugend eingeordnet. Sie finden zudem eine spezielle Ausformung für das Verhältnis zwischen der Einheitsgemeinde434 Stadt Berlin und dem gemeinsamen Land in dem in Art. 28-35 NV niedergelegten Ausgleichsprinzip. Von der Vertragsstruktur wäre es daher systematisch und damit auch für den Vertragsanwender übersichtlicher, in Art. 27 ΝV lediglich diefinanzpolitischen Ziele des gemeinsamen Landes - und nicht noch dessen Finanzbeziehungen zu seinen Kommunen - zu bestimmen, dann einen Art. 28 NV über die allgemeine Finanzstruktur zwischen dem gemeinsamen Land und seinen Gemeinden folgen zu lassen, dessen Absätze 1 bis 4 den jetzigen Absatz 2 bis 5 des Art. 27 NV entsprechen, diesem Art. 28 NV einen Absatz 5 hinzuzufügen mit einem Hinweis auf die Sonderregelung für die Stadt Berlin, und schließlich die jetzigen Art. 28-35 NV um eine Ordnungsnummer zu Art. 29-36 NV zu verschieben. Die folgenden Artikel des Neugliederungs-Vertrages wären entsprechend neu zu numerieren.
b) Einbindung der Stadt Berlin in den kommunalen Finanzausgleich? M i t ihrer Neugliederung waren Berlin und Brandenburg vor die Aufgabe gestellt, eine eigenständige Kommune Berlin in die bestehenden Kommunalstrukturen Brandenburgs einzufügen 435 . Für die finanzielle Seite waren die Landeseinnahmen und -ausgaben von denen auf kommunaler Ebene zu trennen. Jedoch mußten der Stadt Berlin für die ihr obliegenden Aufgaben ausreichende Finanzmittel verbleiben beziehungsweise zur Verfügung gestellt werden. Diese Neuordnung der Finanzströme war mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Auf der Ausgabenseite hätte sich bei fiktiver Verteilung der Ausgaben des Landes Berlin im Jahre 1995 auf ein gemeinsames Land und eine Kommune Berlin für letztere ein Betrag i. H. v. 20,26 Mrd. D M 4 3 6 , bei Zugrundelegung der Ausgaben westdeutscher Großstädte ein Betrag gleicher Größenordnung i. H. v. knapp 19 Mrd. D M errechnet 437. Dem hätten auf der Einnahmenseite nicht annähernd die Mittel gegenüber gestanden, deren eine Kommune Berlin bedurft hätte: Bereits bei der Verteilung des Ge433
Siehe oben 2. Kapitel D.II. 1.; femer Pähl in: Potsdamer Kommentar, § 100 Nr. 8a) (S. 459 ff.). 434 Nach Art. 211S. 2 NV wäre Berlin eine in rechtlich unselbständige Stadtbezirke gegliederte Einheitsgemeinde geworden. 435 Zurfinanziellen Neuordnung von Landes- und Kommunalebene bei einer Neugliederung eines Flächenstaates mit einem Stadtstaat s.a. oben 1. Kapitel B.II.4. 436 Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 17. 437 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 132 Tab. 44.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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meindeanteiles am Einkommensteueraufkommen 438 hätte die Stadt Berlin deutliche Verluste hinnehmen müssen: Als eigenständiges Land hatte Berlin nach einer Projektion aus dem Jahre 1993 für das Jahr 1995 - nach Abzug des Bundesanteiles gemäß Art. 106 Π S. 1 GG - aus der Lohn- sowie der veranlagten Einkommensteuer Einnahmen zwischen 9,1 Mrd. DM und 10,1 Mrd. D M zu erwarten 439. Der darin enthaltene Gemeindeanteil i. H. v. 15 v. H. betrug 2,37 Mrd. DM bis 2,64 Mrd. DM beziehungsweise 690 D M bis 770 DM pro Kopf 440. In einem gemeinsamen Land hingegen wären der Landesebene zwischen 11,54 Mrd. D M und 12,49 Mrd. D M zugeflossen; der darin enthaltene Gemeindeanteil hätte 3,01 Mrd. D M beziehungsweise 3,26 Mrd. DM betragen. Der Anteil der einzelnen Gemeinde hieran richtet sich nach der Einkommensteuerleistung der Einwohner der Gemeinde im Verhältnis zu dem gesamten Aufkommen der Einkommensteuer in dem jeweiligen Bundesland, wobei der Einkommensteuerertrag nur bis zu bestimmten Höchstbeträgen angerechnet wird 441. Diese Nivellierung hätte für eine Kommune Berlin zugunsten des Gebietes des gemeinsamen Landes außerhalb der Stadtgebietes erheblichefinanzielle Verluste bedeutet: Bei der Feststellung der Schlüsselzahlen für die Aufteilung des Gemeindeanteiles an der Einkommensteuer nach § 3 des Gesetzes zur Neuordnung der Gemeindefinanzen 442 bleiben Einkommensteuerbeträge auf zu versteuernde Spitzeneinkommen - oberhalb von 40.000 DM jährlich, bei Zusammenveranlagung von Ehegatten oberhalb von 80.000 DM jährlich - unberücksichtigt; die aufgrund dieser Regelung nach dem Stand vom April 1995 erwarteten Mindereinnahmen einer kreisfreien Stadt Berlin beliefen sich auf etwa 350 Mio. DM jährlich 443. Umgerechnet hätte sich für eine Kommune Berlin damit je Einwohner ein Betrag von nurmehr 438
Vgl. dazu oben 1. Kapitel B.II.4. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 128. 440 Vgl. Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.24 f. Tab.4f.; S. 128. 441 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.4. 442 Das Änderungsgesetz des Gemeindefinanzreformgesetzes v. 16.4.1997 (BGBl. IS. 790) hat die Höchstbeträge von 32.000 DM bei Nicht-Zusammenveranlagten und 64.000 DM bei Zusammenveranlagten auf 40.000 DM beziehungsweise 80.000DM erhöht. 443 Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 3. - Zur Zeit des Gutachtens von Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 128 ff., betrugen die Höchstbeträge 32.000 DM für Ledige und 64.000 DM für Verheiratete. Der sich daraus eigebene Verlust für eine kreisfreie Stadt Berlin hätte allein für den Westteil der Stadt etwa 270 Mio. DM betragen. Für Berlin-Ost lagen seinerzeit noch keine nach Einkommensklassen differenzierte Lohn- und Einkommensteuerstatistiken vor. - Die beiden Zahlenquellen sind in ihren Größenordnungen vergleichbar: Während die Projektion für das Land Berlin in dem der Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, aaO., S. 3, vorausgegangenen Bericht der GRK (AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 17) auf Einnahmen ohne solche aus dem Bund-Länder-Finanzausgleich i. H. v. 25,23 Mrd. DM kommt, errechnet Vesper entsprechende Einnahmen i. H. v. 24,16Mrd. DM (Variante I)/25,99Mrd. DM (Variante II), aaO., S.24 f. 439
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
etwa 590 DM/670 D M beziehungsweise insgesamt ein Betrag i. H. v. 2,02 Mrd. DM/ 2,29 Mrd. D M ergeben444. Die finanziellen Verluste Berlins in einem gemeinsamen Land hätten jedoch noch um ein Vielfaches höher gelegen, denn der kommunale Finanzausgleich eines gemeinsamen Landes hätte unter Zugrundelegung der Bestimmungen des kommunalen Finanzausgleiches im Lande Brandenburg nur einen Bruchteil dessen aufgefangen, was der Stadtstaat Berlin von seinen Einnahmen auf der Landesebene auf die Kommunalebene weiterleitet: Mit einer Verbundquote von nur 20 v. H. 4 4 5 ist bereits die Beteiligung der Gemeinden am Steueraufkommen des gemeinsamen Landes, d. h. die dem kommunalen Finanzausgleich zur Verfügung stehende Finanzmasse für eine kreisfreie Stadt Berlin einnahmenmindernd446. Ferner hätten zum Zeitpunkt der diesbezüglichen Modellberechnungen im Jahre 1992447 die Schlüsselzuweisungen für kreisfreie Städte - das hieße, auch für Berlin - , anders als in den meisten übrigen Bundesländern448, keine Veredelung erfahren, sondern hätten sich allein nach der Einwohnerzahl berechnet449. Bei Steuereinnahmen eines gemeinsamen Bundeslandes im Jahre 1995 zwischen 20 Mrd. D M und 21 Mrd. D M hätte dem kommunalen Finanzausgleich eine Verbundmasse i. H. v. 4 Mrd. D M bis 4,2 Mrd. D M zur Verfügung gestanden450. Daraus errechnen sich für eine Kommune Berlin Einnahmen i. Η. v. 10,7 Mrd. D M bis 11,6 Mrd. DM: rund 2 Mrd. D M aus dem Einkommensteueranteil, etwa 2 Mrd. DM aus den Gemeindesteuern, 2,5 Mrd. D M aus Gebühren und etwa 4,3 Mrd. D M Landeszuweisungen451. Diese setzen sich - ohne eine etwaige Abundanz einer Stadt Berlin zu berücksichtigen - zusammen aus 2,26 Mrd. D M bis 444 Die Auswirkungen einer etwaigen Stadtflucht der Berliner Bevölkerung in das brandenburgische Umland ist aufgrund der kaum möglichen Vorhersehbarkeit ihrer Entwicklung in diesen Zahlen noch nicht berücksichtigt. 445 Bezogen auf das Haushaltsjahr 1992, vgl. § 31 des Gesetzes zur Regelung der Zuweisungen des Landes Brandenburg an die Gemeinden und Landkreise im Haushaltsjahr 1992 (Gemeindefinanzierungsgesetz 1992) v. 4.3.1992 (GVB1.I S.99). Ab dem Haushaltsjahr 1993 wurde die Verbundquote ständig erhöht, vgl. nur § 31GFG1993 v. 24.12.1993 (GVB1.1S. 567); §21 GFG 1998 v. 22.12.1997 (GVB1.I S. 154). 446 Die Quote der Zuweisungen zu den Pflichtaufgaben betrug im Lande Brandenburg 40 v. H. und wurde für die folgenden Berechnungen für Berlin mit 45 v. H. angesetzt, da sie in den westdeutschen Bundesländern knapp 50 v. H. betrug, vgl. Vesper, Finanzielle und finanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 131. 447 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.9. 448 Siehe oben 1. Kapitel B.II.4. 449 Vgl. § 7 GFG 1992. Seit dem Haushaltsjahr 1993 jedoch (§ 9 II GFG 1993) werden die Einwohnerzahlen auch in Brandenburg veredelt bis zu 120 v. H. für Gemeinden mit mehr als 100.000 Einwohnern. 450 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 131,132 Tab. 44. 451 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Stmkturforschung 147 (1993), S. 131,132 Tab. 44.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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2,37 Mrd. DM aus der Verbundmasse und im übrigen aus sonstigen Zuweisungen452. Die Gegenüberstellung der projektierten Einnahmen und Ausgaben einer Kommune Berlin hätte für diese im Jahre 1995 ein Defizit zwischen 7 Mrd. D M und 8 Mrd. D M bedeutet. Dieses hätte eine Kommune Berlin nicht durch die Aufnahme von Krediten ausgleichen können, die nur für investive Zwecke in Anspruch genommen werden dürfen 453. Die sich rechnerisch aus der Höhe der Investitionsausgaben ergebende Obergrenze für die Kreditaufnahme hätte etwa bei 5 Mrd. D M gelegen454. Es wären noch die Zins- und Tilgungsaufwendungen als Pflichtzuweisungen aus dem Verwaltungshaushalt einzustellen gewesen, so daß die Obergrenze bedeutend niedriger anzusetzen gewesen wäre. Um die erforderliche Besserstellung einer Kommune Berlin zu erreichen, ohne die Finanzmittel der übrigen Gemeinden absolut zu reduzieren, hätte die Verbundmasse entsprechend erhöht werden müssen. Zwar verringerten sich dementsprechend die Finanzmittel, die auf der Landesebene zur Verfügung stünden, so daß ein Nullsummenspiel angenommen werden könnte: „Mehr Mittel für die Gemeinden reduzieren deren Finanzprobleme und verschärfen die des Landes; weniger Mittel verbessern die Finanzen des Landes auf Kosten der Gemeinden."455 Dabei bliebe aber unberücksichtigt, daß die Landesebene des gemeinsamen Landes erhebliche Mehreinnahmen durch die Überleitung der Berliner Landesebene auf das gemeinsame Land erhalten hätte: Für das Jahr 1998 ging die Finanzplanung von Einnahmen für den Stadtstaat Berlin i. H. v. 36,1 Mrd. D M aus, von denen 27,5 Mrd. D M (76,2 v. H.) gemäß Art. 106 Π GG als Einnahmen auf Landesebene an das neue Land gegangen wären, obgleich lediglich i. H. v. 18,5 Mrd. DM (45,2 v. H.) für die Erfüllung der übergegangenen Landesaufgaben erforderlich gewesen wären 456. Umgekehrt wären von den für den Stadtstaat Berlin veranschlagten Ausgaben i. H. v. 40,9 Mrd. D M in einem gemeinsamen Land 22,4 Mrd. D M (54,8 v. H.) an die Kommune Berlin gefallen, obgleich diese von den errechneten Einnahmen lediglich 452 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 131, 132 Tab. 44. - Wegen der gegenüber den übrigen Gemeinden eines gemeinsamen Landes vergleichsweise starken Steuerkraft einer kreisfreien Stadt Berlin läßt die Modellrechnung indes offen, „ob Berlin als sog. abundante Gemeinde überhaupt Leistungen aus dem kommunalen Finanzausgleich beanspruchen könnte", aaO., S. 131. 453 Siehe oben 1. Kapitel B.II.4. 454 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 133. 455 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S. 134. 456 Beträge ohne zweckgebundene Zuweisungen des Bundes und der EU sowie ohne Nettokreditaufnahme, vgl. Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 129ff.; SenFin/MinFinBbg, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S.22ff.; SenFin, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, Visualisierte Darstellung, 1995 (unveröffentlicht).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
8,6 Mrd. D M (23,8 v. H.) erhalten hätte457. Der auf der Landesebene des gemeinsamen Landes für das Gebiet Berlin absolut überschießende Betrag i. H. v. 9 Mrd. D M hätte also, ohne eine Schwächung der Landesebene zumfiktiven status quo mit sich zu bringen, in die Verbundmasse eingestellt werden und an die Kommune Berlin etwa als Finanzmittel zu den Kosten der Pflichtaufgaben zugewiesen werden können. Dabei wäre jedoch der ,3ezug zur jetzigen Einnahmenverteilung verloren gegangen"458, so daß beide Länderfinanzielle Nachteile befürchteten. Dies und das Erfordernis, für die Stadt Berlin innerhalb des kommunalen Finanzausgleiches ohnehin - auch wegen ihrer voraussichtlichen Abundanz - eine Sonderregelung schaffen zu müssen, bewegte beide Länder dahin, die Problematik vollständig aus dem kommunalen Finanzausgleich auszulagern. Insbesondere Brandenburg bestand mit Blick auf die DDR-vergangenheitsspezifischen Ressentiments seiner Kommunen darauf, innerhalb des kommunalen Finanzausgleiches kein ,3erlingesetz" niederzulegen. c) Ausgleichsprinzip zwischen Land und der Stadt Berlin, Art. 28-34 NV Berlin wollte - wogegen Brandenburg sich zunächst wehrte - als Kommune für die ihr obliegenden Aufgaben mit Finanzmitteln in der gleichen Höhe ausgestattet sein, wie sie die kommunale Ebene in dem Stadtstaat Berlin erhält: „nach den Vorstellungen Berlins muß der Kommune Berlin vom Steueraufkommen in Berlin im Ergebnis - in Form kommunaler Steuern und der geforderten Sonderleistungen des Landes - ein Anteil verbleiben, der dem der Kommune verbleibenden Ausgabenanteil entspricht."459 Der Gedanke des Ausgleichsprinzipes war geboren: Sowohl das gemeinsame Land als auch die Kommune Berlin sollten von den Einnahmen, die dem Stadtstaat Berlin zugeflossen wären, einen Vom-Hundertsatz in der Höhe erhalten, wie die jeweilige Ebene Aufgaben und damit Ausgaben übernommen hätte. Das Ausgleichsprinzip setzte sich im Neugliederungs-Vertrag durch: Ausgangspunkt ist Art. 281 S. 1 NV, der die grundlegendefinanzielle Garantie für die Gebietsteile der bisherigen beiden Länder enthält: „Durch die Bildung des gemeinsamen Landes soll kein Gebietsteilfinanzielle Vorteile zu Lasten des anderen haben". Der finanzielle status quo zweier getrennter Länder wird damit innerhalb des gemeinsamen Landes zementiert. Die Neugliederung bringt keinefinanziellen Veränderungen für die beiden Gebietsteile mit sich. Art. 281 S. 1 Nr. 1 NV konkretisiert dies für Brandenburg dahin, daß die Neugliederung weder diefinanzielle Ausstattung auf 457 Hartmann, \} JHerten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 129 ff.; SenFinIMinFinBbg, nahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 22ff.; SenFin, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Ländemeugliederung, Visualisierte Darstellung, 1995 (unveröffentlicht). 458 Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, in: SuS 7 (1996), S. 137 (145). 459 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 14.
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D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Landesebene noch die auf Gemeindeebene verschlechtern darf 60 . Für das Land Berlin steht das Pendant zu Art. 281 S. 1 Nr. 1 NV in Nr. 2. Die Regelung, die i. V. m. Art. 28 Π, ΠΙ NV als Kern des Ausgleichsprinzipes zugleich an die Stelle des herkömmlichen kommunalen Finanzausgleichs tritt, berücksichtigt, wie von Berlin eingefordert, daß dem gemeinsamen Land im Verhältnis zu den von ihm zu übernehmenden Aufgaben ein überproportionaler Anteil an den Einnahmen des bisherigen Landes Berlin zufällt. Der Einnahmeverlust für Berlin ist also relativ nicht größer als die Ausgabenentlastung, die die Stadt in gleichem Zuge erfährt. Aus diesen Grundsätzen haben die beiden Vertragspartner in Art. 28 Π NV das Ausgleichsprinzip konkretisiert 461: Der Stadt Berlin verbleibt von ihren Einnahmen prozentual ein Anteil, der sich aus dem Verhältnis der gesamtstädtischen Einnahmen zu den von und für die Stadt Berlin getätigten Ausgaben errechnet 462. Hierfür sind auf der Grundlage der Ausgaben der Stadt Berlin und des gemeinsamen Landes in und für Berlin Ausgabenanteile zu bilden. In Höhe dieser Ausgabenanteile haben die Stadt Berlin und das gemeinsame Land Ansprüche auf die in und für Berlin erzielten Einnahmen, die das Land durch den Transferanspruch an Berlin ausgleicht. Vorab ist die Aufgabenverteilung zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin, nach der sich die Ausgabenverteilungrichtet,festzulegen. Diese wegen ihrer finanziellen Bedeutung nicht unproblematische Materie haben Berlin und Brandenburg aus dem Neugliederungs-Vertrag herausgenommen und gemäß Art. 291 NV in einen bis Mitte des Jahres 1997 abzuschließenden Staatsvertrag ausgelagert. Auf diese Weise konnte der Zusammenschluß beider Länder vorangetrieben werden, ohne schon jetzt in politisch schwierigen Fragen zu einem Konsens gelangen zu müssen463.
Der erste Schritt des Ausgleichsprinzipes nach Art. 301 NV berechnet die Ausgabenanteile des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin. Auf Grund der gesamten Ausgaben der Stadt Berlin und des gemeinsamen Landes in und für Berlin sind im Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes - Basisjahr - die relativen Anteile der beiden Ebenen zu bestimmen. Die Ausgaben des gemeinsamen Landes in Berlin sind solche, die es im Gebiet der Stadt Berlin tätigt, etwa die Besoldung der Berliner 460
Für die Dauer der Durchführung des Ausgleichsprinzipes hält dies Art. 28 III S. 2 NV noch einmal ausdrücklich fest. 461 Art. 28 II NV: „Die Finanzbeziehungen zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin sind so zu gestalten, daß für die Stadt Berlin von den in Berlin erzielten Einnahmen im Ergebnis ein Anteil verbleibt (Einnahmeanteil in v. H.), der dem Anteil der Ausgaben der Stadt Berlin an der Summe der Ausgaben der Stadt Berlin und des gemeinsamen Landes in Berlin und für Berlin entspricht (Ausgabenanteil in ν. H.) - Ausgleichsprinzip 462 Einnahmen: städtischen Ausgaben = Vom-Hundertsatz des Einnahmenanteils, der Berlin zusteht. - Die Berechnung der Einnahmen mittels des Ausgleichsprinzipes verteilt auch die Mindereinnahmen des gemeinsamen Landes durch das Entfallen der Bundeseigänzungszuweisungen, die Neubehandlung im bundesstaatlichen Finanzausgleich durch das Neugliederungsvertragsgesetz sowie die Verlagerung der Einnahmen durch Einkommensteuer von der Stadt Berlin auf das gemeinsame Land gleichmäßig auf beide Ebenen, vgl. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 3. 463 Lediglich für bestimmte Berliner Altlasten sah Art.29II-IV NV schon jetzt eine teilweise am Ausgleichsprinzip orientierte Verteilung vor, siehe unten 2. Kapitel D.II.4. 17 Keunecke
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Lehrer 464. Die Ausgaben des gemeinsamen Landes für Berlin sind solche, die an anderer Stelle erfolgen, jedoch in ihrer Zweckbestimmung für Berlin bestimmt sind, etwa Teile der Ministerialverwaltung des gemeinsamen Landes465. Bestimmte Ausgabenfinden bei der Ermittlung der Ausgabenanteile keine Berücksichtigung: zum einen die besonderen Finanzierungsaufgaben 466. Dies entspricht der gängigen Praxis des Haushaltsrechtes auf Landesebene467. Zum anderen unberücksichtigt bleiben gemäß Art. 30 Nr. 1,2 NV Ausgaben nach Art. 33 NV, das heißt solche des gemeinsamen Landes zur Erfüllung des Transferanspruches der Stadt Berlin, und nach Artikel 34 ΝV, also Ausgaben, die durch zweckgebundene Zuweisungen öffentlicher Verwaltungenfinanziert werden. Mit der Herausnahme der Ausgaben nach Art. 33 NV wird ausdrücklich klargestellt, daß Ausgaben des Landes zur Erfüllung des Transferanspruches der Stadt Berlin nicht ihrerseits einen Einnahmeanspruch des gemeinsamen Landes begründen können468, was ebenfalls für den von der Stadt Berlin zu übernehmenden Teil der Versorgungsleistungen, soweit diese in voller Höhe bei dem gemeinsamen Land nach Art. 29 II NV anfallen, gilt. Da, wie die Begründung zum Neugliederungsvertrag selbst darstellt469, ein solcher Anspruch nicht erhoben werden kann - er wäre völlig regelungsentstellend - , ist die Bestimmung lediglich klarstellend und bezeugt die Vorsicht, mit der beide Länder den Neugliederungs-Vertrag gestalteten. Die Finanzmittel nach Art. 34 NV werden wegen ihrer Zweckgebundenheit nicht in das Ausgleichsprinzip miteinbezogen. Da es sich umfinanzielle Sonderposten aus dem öffentlichen Bereich an das gemeinsame Land oder die Stadt Berlin handelt, ist es sinnvoll, eine Regelung zur Vermeidung zukünftiger Mißverständnisse zu schaffen. Art. 341, II NV behandelt daher die zweckgebundenen Zuweisungen, die dem gemeinsamen Land für die Erfüllung von Landesaufgaben oder für die Erfüllung kommunaler Aufgaben in Berlin zufließen, Art. 34 III NV die zweckgebundenen Zuweisungen, die die Stadt Berlin unmittelbar erhält. Diese Zuweisungen sind in Berlin einzusetzen beziehungsweise an Berlin weiterzuleiten: Zuweisungen, die das gemeinsame Land von öffentlichen Haushalten für die Erfüllung von Landesaufgaben in Berlin erhält, sind in Berlin einzusetzen, soweit diese Leistungen der Stadt zuzurechnen sind. Namentlich erwähnt Art. 341 S. 1 NV die Zuwendungen bezüglich der Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91 a, 91 b GG, Geldleistungsgesetze des Bundes nach Art. 104 a III GG und Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a IV NV 4 7 0 . Nach Art. 341S. 2 NV gilt entsprechendes für Fördermittel der Europäischen Union471 sowie nach Satz 1 für Zuweisungen aufgrund anderer 464
Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 466 Diese sind durch die Protokollnotiz Nr. 5 zu Art. 301 NV bestimmt als die zu den Obergruppen gehörig 59: Tilgungsausgaben am Kreditmarkt; 91: Zuführungen an Rücklagen, Fonds und Stöcke; 96: Ausgaben zur Deckung von Fehlbeträgen aus Vorjahren und 98: Haushaltstechnische Verrechnungen. 467 Vgl. etwa SenFin (Hrsg.), Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001, 1997, S. 103 ff. 468 Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 469 Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 470 Beispiele: Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", Wissenschaftliche Forschung von überregionaler Bedeutung, Kindeigeid, s. a. Einzelbegründung zu Art.34 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 14; femer oben 2. Kapitel D.I.2.b). 471 Mittel des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, vgl. Einzelbegründung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14; siehe femer oben 2. Kapitel D. 1.3. 463
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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472
Rechtsgrundlagen . Zuweisungen, die das gemeinsame Land von öffentlichen Haushalten für die Erfüllung kommunaler Aufgaben nach Art. 104 a IV GG oder aufgrund anderer Rechtsgrundlagen473 erhält, werden nach Art. 34 II NV an die Stadt Berlin durchgeleitet, soweit diese Einnahmen Berlin zurechenbar sind474. Entsprechendes gilt nach Art. 34II S. 2 NV auch hier für Fördermittel der Europäischen Union. Zuweisungen, die die Stadt Berlin unmittelbar von öffentlichen Verwaltungen erhält, sind nach Art. 34 III NV den Zuweisungen an das gemeinsame Land gleichgestellt und sind ebenfalls im Rahmen des Ausgleichsprinzipes nicht zu berücksichtigen475. Dieses Transfersystem der Zuweisungen steht neben dem Transfersystem des Ausgleichsprinzipes476 und ergänzt es: Während das Ausgleichsprinzip die grundsätzlichen Einnahmen und Ausgaben regelt, modifiziert Art. 34 NV dieses Prinzip dahin, daß die darüber hinaus gewährleisteten Einnahmen durch zweckspezifische Zuweisungen nicht in den Ausgleich einzubeziehen sind, um die Zweckgebundenheit zusätzlicherfinanzieller Mittel zu sichern. Mit dieser Regelung werden zudem beide Ebenen animiert, weiterefinanzielle Nebenquellen, die nicht in das Ausgleichsprinzip einfließen, zu erschließen. Die unter Berücksichtigung von Art. 34 N V einmal ermittelten Ausgabeanteile bleiben nach Art. 3 0 I I S. 1 N V zunächst unverändert, es sei denn, Leistungsgesetze des Bundes bewirken eine Ausgabenveränderung oder gesetzliche Bestimmungen schaffen neue oder verlagern bestehende Aufgaben 477 . I m übrigen sind nach Art. 3 0 I I S. 2 N V die Ausgaben nach Art. 301 N V alle drei Jahre auf Veränderungen zu überprüfen und einvernehmlich anzupassen. Dem liegt die Intention zugrunde, „Streitigkeiten zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin über eine angemessene Entwicklung von Ausgaben zu vermeiden" 478 . Die Anpassungsregelung 472
Insbesondere: Leistungen des Bundes im Rahmen der Hauptstadtfinanzierung, Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit an das Land im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, vgl. Einzelbegründung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14. 473 Ζ. B. Leistungen des Bundes zur Förderung der Kultur, vgl. Einzelbegriindung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14, etwa nach der „Richtlinie über die Vergabe vom Auswärtigen Amt bereitgestellter Finanzmittel zur Förderung auswärtiger Kultureller Maßnahmen im Rahmen von Partnerschaften der Städte, Gemeinden und Kreise", abgedr. in: BMinF (Hrsg.); Finanzierungshilfen 1994, S.24f. 474 Etwa Leistungen des Bundes im Rahmen der Städtebauförderung, der Gemeindeverkehrsfinanzierung und im Rahmen der Regionalisierung der Bahn, vgl. Einzelbegriindung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14. Für letzteres wäre die Stadt Berlin nach der Protokollnotiz 12 zu Art. 521 S. 3 Nr. 8 NV für ihr Gebiet Aufgabenträger im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit für den öffentlichen Personennahverkehr (S-Bahn und übriger ÖPNV) gewesen (Protokollnotizen zum NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 18). 473 Darunter verstehen die Vertragsparteien insbesondere Leistungen des Bundes an die Stadt Berlin im Rahmen der Hauptstadtfinanzierung, Kindergeld sowie Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit an die Stadt Berlin im Rahmen arbeitspolitischer Maßnahmen fallen, vgl. Einzelbegründung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14. 476 Einzelbegründung zu Art. 34 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 14. 477 In diesem Zusammenhang weist die Begründung zu Art. 30 NV darauf hin, daß eine Erhöhung des kommunalen Ausgabeanteiles ausgeschlossen ist, wenn das Land einen Kostenausgleich bei der Übertragung der Erfüllung von Landesaufgaben nach Art. 20 II NV vornimmt, Einzelbegriindung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. Dies versteht sich, da anderenfalls Ausgaben zweifach in Ansatz gebracht werden könnten. 478 Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 17*
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
vermeidet bei einer wesentlichen Veränderung der Vertragsumstände die Anwendung der clausula rebus sie stantibus479. Da ein Zurücktreten vom Vertrag den Parteien nicht möglich ist, ist es zweckmäßig, von vornherein Anpassungsregelungen in das Vertragswerk aufzunehmen. So wird gewährleistet, zukünftige Meinungsverschiedenheiten auf ein Minimum zu beschränken. Das gilt umso mehr unter dem Aspekt der Zurückhaltung, die die Verhandlungspartner sich entgegenbrachten. Das Einvernehmlichkeitserfordernis weist jedoch die Tendenz auf, diefinanzielle Trennung beider Länder in einem gemeinsamen Land fortzuführen: nur so werden beide Gebietsteile die für sie bestehendenfinanziellen Vorteile aufrecht erhalten können, zumindest keine Nachteile erleiden. Dies aber ist die grundsätzliche und unvermeidbare Prämisse, unter der sich beide Länder auf die Neugliederung eingelassen haben. Die Ermittlung der Einnahmeteile konkretisiert Art. 311 NV. Ähnlich wie bei der Bestimmung der Ausgabenanteile werden zunächst die gesamten Einnahmen für das Gebiet Berlin im Basisjahr ermittelt, die den Einnahmepool bilden. Die Einnahmen auf Landesebene umfassen gemäß Art. 311 Nr. 2 NV sowohl diejenigen, die dem gemeinsamen Land unmittelbar aus dem Gebiet von Berlin zufließen, beispielsweise Steuern, die in Berlin aufkommen 480 und Gebühren auf landesrechtlicher Grundlage481, als auch diejenigen, die vom Bund für das Gebiet von Berlin zufließen, beispielsweise Zuweisungen im Länderfinanzausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Finanzhilfen nach dem Investitionsförderungsgesetz Aufbau Ost. Die Stadt Berlin ihrerseits bringt nach Art. 311 Nr. 1 NV ihre kommunalen Steuereinnahmen sowie ihre sonstigen Einnahmen in den Einnahmepool ein482. Wie bei der Ermittlung der Ausgabenanteile sind nach Art. 311 S. 1 NV bestimmte Einnahmen bei der Ermittlung der Einnahmeanteile nicht zu berücksichtigen: zum einen die besonderen Finanzierungseinnahmen483, zum anderen gemäß Nr. 1 und 2 die Einnahmen nach Art. 33 NV, das heißt Einnahmen der Stadt Berlin aus dem Transferanspruch sowie Einnahmen nach Art. 34 NV, also zweckgebundene Zuweisungen von öffentlichen Verwaltungen. Bezüglich des Regelungsgehaltes hinsichtlich der nicht zu berücksichtigenden Einnahmeanteile gelten die Ausführungen zu der Berechnung der Ausgabenanteile.
Die dergestalt ermittelten Einnahmeanteile sind jedoch den in der Zukunft liegenden, schwankenden Finanzströmen anzupassen. Im Rahmen dieser Anpassung differenziert die Fortschreibung der Einnahmeanteile in den Jahren nach der Bildung des gemeinsamen Landes nach Art. 31 Π NV zwischen beeinflußbaren und 479 Zum Wegfall der Geschäftsgrundlage vgl. auch/?///, Gliedstaatsverträge, 1972, S.634f.; femer oben 1. Kapitel C.II.; 2. Kapitel C.III.7. 480 Einzelbegründung zu Art.31 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 13. 481 Einzelbegründung zu Art. 31 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 482 Vgl. Einzelbegründung zu Art. 30 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. 483 Die besonderen Finanzierungseinnahmen bestimmen sich nach der Protokollnotiz Nr. 6 zu Art. 311 NV aus den Obeigruppen 32: Schuldenaufnahme am Kreditmarkt; 35: Entnahme aus Rücklagen, Fonds und Stöcken; 36: Einnahmen aus Überschüssen der Vorjahre; 38: Haushaltstechnische Verrechnungen.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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unbeeinflußbaren Einnahmen: Die Einnahmen aus Steuern, Länderfinanzausgleich, Bundesergänzungszuweisungen und Finanzhilfen nach dem Investitionsgesetz Aufbau Ost sowie die Einnahmen der Stadt Berlin aus dem Gemeindeanteil an der Einkommensteuer sind nach Art. 31Π S. 1 NV als unbeeinflußbare Einnahmen jeweils mit ihrem tatsächlichen Aufkommen zu berücksichtigen. Alle übrigen, sogenannten beeinflußbaren Einnahmen, sind nach Art. 31 Π S. 2 NV mit der durchschnittlichen Zuwachsrate der Einnahmen der Gemeinden beziehungsweise der Länder fortzuschreiben. Mit dieser in Anlehnung an Art. 341, Π NV unterscheidenden Regelung erhalten beide Ebenen einen Anreiz, ihre eigenen Einnahmen zu steigern. Denn der über der Fortschreibung liegende Betrag der beeinflußbaren Einnahmen wird nicht in den Einnahmepool einbezogen. Mit Blick auf das relativ geringe Einnahmepotential der beeinflußbaren Einnahmen484 hat dieser Effekt jedoch keine großen Auswirkungen. Die wesentlichen Einnahmen erfolgen durch unbeeinflußbare Einnahmen. Neben den erwähnten Anreizen zur Hauhaltskonsolidierung auf Landes- wie auf Kommunalebene könnte das Ausgleichsprinzip allerdings ebenfalls die grundsätzlich in seiner Natur liegende unerwünschte Möglichkeit mit sich bringen, durch das entgegengesetzte Verhalten die jeweiligen Einnahmen zu steigern: Da die Höhe der Einnahmen sich nach Maßgabe der Ausgabeanteilerichtet,führt eine Senkung der Ausgaben zugleich zur Senkung des entsprechenden Einnahmeanteiles. Umgekehrt gehen mit gesteigerten Ausgaben erhöhte Einnahmen einher. Folge dieser Strategie wäre ein „Ausgabenwettbewerb" mit steigenden Haushaltsdefiziten 485. Die Kritik von Lutz, das Ausgleichsprinzip bringe daher „äußerst problematische Anreizwirkungen" mit sich, schießt jedoch über das Ziel hinaus. Denn so wie er selbst zutreffend einfordert, werden bereits „vor der Fusion haushaltspolitische »Altlasten4"486 in erheblichem Umfang beseitigt: Sinn des Übergangszeitraumes ist, die beiden Länder - imfinanzspezifischen Bereich nach Maßgabe des Art. 35 NV durch einschneidende Haushaltskonsolidierungen - überhaupt neugliederungsfähig zu machen487. Darüber hinaus entspricht seine Prämisse, daß die Ausgaben alle drei Jahre auf Veränderungen „überprüft und angepaßt" werden488, nicht der Regelung des Neugliederungs-Vertrages: nach Art. 3011S. 2 NV werden die Ausgabenanteile gegebenenfalls „einvernehmlich" angepaßt. Damit ist der von Lutz angenommene Anpassungsautomatismus ausgeschlossen: Erhöht nur die eine Seite ihre Ausgaben, wird die andere Seite, so sie nicht davon profitiert, der Anpassung nicht die erforderliche Zu484
Hierunter fallen auf Kommunalebene etwa die durch Hebesätze beeinflußbaren Realsteu-
ern. 485
Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, in: SuS 7 (19%), S. 137 (146). 486 Vgl. Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, in: SuS 7 (1996), S. 137 (146). 487 Siehe sogleich 2. Kapitel D.II.3. 488 Lutz, Wege zur Neugliederung des Bundesgebietes nach dem Scheitern der Länderfusion Berlin-Brandenburg, in: SuS 7 (1996), S. 137 (145).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Stimmung erteilen489. Die eine Seite verbleibt mit erhöhten Ausgaben bei gleichbleibenden Einnahmen. Eine einvernehmliche Anpassung der Ausgabenanteile ist daher nur dann zu erwarten, wenn sie sich auf beiden Seiten im Vom-Hundertsatz gleichwertig verändern, so daß die Einnahmeanteile unverändert bleiben. Dann aber kann keine Seite an einer Ausgabenerhöhung ein Interesse haben. Auf beiden Seiten stünden gleichbleibenden Einnahmeanteilen erhöhte Ausgaben gegenüber, der finanzielle Spielraum würde sich verengen. Im äußersten Falle wäre die Situation für eine Kommune Berlin sogar haushaltsrechtlich unzulässig, wenn das entstehende Defizit durch den gemeindehaushaltlichen Investitionsbetrag übersteigende Kredite abgefangen werden müßte. Dementsprechend hätte aber auch eine Ausgabensenkung wegen des Einvernehmlichkeitsbedürfnisses nicht notwendig zu einer Anpassung geführt. Das relative Plus an Einnahmen wäre erhalten geblieben. Diese Regelung hat zwar einerseits den Effekt, daß beide Seiten zur Reduzierung ihrer Ausgaben animiert werden. Auf der anderen Seite hätte das Ausgleichsprinzip auch hier wieder den status quo zweier getrennter Länder tendenziell zementiert. Der letztendliche Transferanspruch der Stadt Berlin gegenüber dem gemeinsamen Land erschließt sich über den Einnahmeanspruch: Art. 31ΙΠ NV bestimmt den Einnahmeanspruch der Stadt Berlin gegenüber dem Einnahmepool in Höhe des Vom-Hundertsatzes des Ausgabenanteiles nach Art. 30 NV. Aus diesem Anspruch leitet sich der Transferanspruch ab. Nach Art. 32 NV erhält die Stadt Berlin von dem gemeinsamen Land Transferleistungen in der Höhe, in der die eigenen Einnahmen nach Art. 311 Nr. 1 NV hinter dem Einnahmeanspruch gemäß Art. 31 ΠΙ NV zurückbleiben. Diesen sich nach allem ergebenden Transferanspruch kann das gemeinsame Land gemäß Art. 33 NV entweder nach Nr. 1 durch die Förderung kommunaler Aufgaben oder gemäß Nr. 2 durch sonstige ungebundene Transferleistungen an die Stadt Berlin erfüllen. Mit Art. 33 Nr. 1 NV hat das gemeinsame Land eine Regelung, nach der es gezielt die Einsetzung der zu transferierenden Gelder bestimmen kann. Eine derartige Zweckbindung kann der Landesebene zwar gegenüber einer Kommune nicht verwehrt werden. Für die Stadt Berlin sind hieraus jedoch keine übermäßigen Repressionen zu befürchten: Zum einen erreichen die durch das Ausgleichsprinzip zu verteilenden Finanzmittel einen Umfang, der ihre vollständige Zweckbindung ausschließt. Des weiteren sichert die starke personelle Repräsentation der Stadt Berlin in dem gemeinsamen Landtag deren ausreichende Interessenwahrung. In den Transferanspruch werden ferner bestimmte Mittel eingestellt, die das gemeinsame Land im Rahmen der Gemeinschaftsfinanzierungen nach Art. 341, II NV aufbringt: Soweit das gemeinsame Land im Rahmen von Leistungen nach Art. 341 NV Komplementärmittel für Landesaufgaben einsetzt, wird bereits hierdurch der Ausgabenanteil des Landes nach Art. 301 Nr. 2 489 Das läßt auch Herten, Konsequenzen desfinanziellen Ausgleichsprinzips im Fusionsvertrag zwischen Berlin und Brandenburg, in: Apt-papers 2/95, Arbeitsstelle Politik und Technik, FU-Berlin, Berlin 1996, S.2,14ff., unberücksichtigt.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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NV erhöht. Die Bereitstellung von Komplementärmitteln im Rahmen von Leistungen nach Art. 34 II NV für kommunale Aufgaben erfüllt ebenfalls den Transferanspruch der Stadt Berlin gemäß Art. 33 Nr. 1 NV.
In Zahlen ausgedrückt hätte das Ausgleichsprinzip gegenüber einem herkömmlichen kommunalen Finanzausgleich eine deutliche Umverteilung zugunsten einer kreisfreien Stadt Berlin bedeutet, woraus die eingangs dargelegten Interessenkonflikte zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg nur allzu verständlich werden. Bezogen auf das Jahr 1998 hätte einer Kommune Berlin aus dem Ausgleichsprinzip nach der diesbezüglichen Modellrechnung ein beträchtlicher Transferanspruch zugestanden: Der Stadtstaat Berlin hätte Ausgaben i. H. v. 40,9 Mrd. D M gehabt, von denen 45,2 v. H. (18,5 Mrd. DM) an das gemeinsame Land und 54,8 v. H. (22,4 Mrd. DM) an die Kommune Berlin gegangen wären 490. Dementsprechend wären die Einnahmen zu verteilen gewesen: von den Gesamteinnahmen des Landes Berlin i. H. v. 36,1 Mrd. DM hätten dem gemeinsamen entsprechend dem Ausgabenanteil i. Η. v. 45,2 v. H. statt der eingenommenen 27,5 Mrd. D M (76,2 v. H.) nur 16,3 Mrd. DM zugestanden491. Die Kommune Berlin hingegen hätte - anstatt der ohne Ausgleichsprinzip eingenommenen 8,6Mrd. DM (23,8 v. H.) - einen Anspruch auf einen Einnahmeanteil i. H. v. 19,8 Mrd. DM (54,8 v. H.) gehabt492. Daraus hätte sich für die Kommune Berlin ein Transferanspruch gegen das gemeinsame Land i. Η. v. 11,2 Mrd. D M errechnet 493. Ferner hätte sie die zweckgebundenen Finanzmittel nach Art. 34 NV erhalten, die nicht in den Ausgleich einzustellen sind. Gegenüber dem im Rahmen des kommunalen Finanzausgleiches für eine Kommune Berlin verbleibenden Defizites zwischen 7 Mrd. DM und 8 Mrd. D M hätte sie über das Ausgleichsprinzip lediglich ein Minus i. H. v. 2,6 Mrd. D M gehabt, das sie - bei gleichzeitiger Haushaltskonsolidierung - über Kredite hätte ausgleichen können. Trotz - oder gerade wegen - der Beibehaltung desfinanziellen status quo zweier getrennter Länder im Innenverhältnis des gemeinsamen Landes wird einer kreisfreien Stadt Berlin diefinanzielle Existenz erst ermöglicht. Auch das vormalige Brandenburg erleidet zwar keinen Schaden. Die durch eine Neugliederung bezweckte Neu490
Beträge ohne zweckgebundene Zuweisungen des Bundes und der EU sowie ohne Nettokreditaufnahme, vgl. Hartmann, \5JHerten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 129 ff.; SenFin/MinFinBbg, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.22ff.; SenFin, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, Visualisierte Darstellung, 1995 (unveröffentlicht). 491 Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 132 ff.; SenFin/MinFinBbg, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 22 ff. SenFin, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, Visualisierte Darstellung, 1995 (unveröffentlicht). 492 Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 132ff.; SenFin/MinFinBbg, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.22ff. 493 SenFin, Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, Visualisierte Darstellung, 1995 (unveröffentlicht).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Ordnung und etwaig erforderliche binnenländische Umverteilung von Finanzmitteln verhindert das Ausgleichsprinzip indes. Zudem privilegiert es die Stadt Berlin gegenüber den übrigen Kommunen des gemeinsamen Landes, die durch ihre Einbindung in den kommunalen Finanzausgleich jährlich im Rahmen der Aufstellung des Landesfinanzhaushaltes ihre Finanzmittel einfordern müssen494. Doch erscheint das Ausgleichsprinzip als Brücke zum Zusammenschluß der beiden Länder als hilfreich, wenn nicht gar unabdingbar. Seine weitere Entwicklung und zeitliche Inanspruchnahme hängt nach Art. 28 ΠΙ NV von einer die Partikularinteressen beider Gebietsteile ausreichend berücksichtigenden parlamentarischen Zweidrittelmehrheit in dem gemeinsamen Land ab. 3. Haushaltskonsolidierungen in der Übergangszeit, Art. 35 N V Um diefinanzpolitischen Ziele des Art. 271 NV realisieren und ein leistungsstarkes, d. h. auchfinanziell möglichst handlungsfähiges gemeinsames Land im Sinne des Art. 291 GG 4 9 5 errichten zu können, haben sich Berlin und Brandenburg für die Übergangszeit im Neugliederungs-Vertrag ein strenges Haushaltsregime verordnet. Dies leitet Art. 351 NV mit der grundsätzlichen Verpflichtung beider Länder ein, in der Zeit bis zur Bildung des gemeinsamen Landes Schritte zur Konsolidierung ihrer Haushalte zu unternehmen. Art. 351 NV geht davon aus, daß die Länder Berlin und Brandenburg haushaltstechnisch erst neugliederungsfähig gemacht werden müssen. Überdimensionierte Bereiche in den Haushalten beider Länder sind vor dem Zusammenschluß dergestalt zu konsolidieren, daß das gemeinsame Land von Beginn an - zumindest jedoch in absehbarer Zeit - denfinanzpolitischen Zielen nach Art. 271 NV nachkommen kann. Der Grundsatz findet seine Konkretisierung in Art. 35 H - V n NV. Insgesamt muß nach Art. 35 Π S. 1 NV die Konsolidierung durch strukturelle Einsparungen oder dauerhafte Einnahmeverbesserungen die Nettokreditaufnahme im Land Berlin um 4,7 Mrd. D M und die von Brandenburg um 3,0 Mrd. D M gegenüber dem Haushalts-Soll 1994 absenken496. Für Berlin bedeutet das eine Konsolidierung des Haushaltes um ll,4v.H., für Brandenburg sogar um 494
Vgl. Junkernheinrich, Sonderbedarfe im kommunalen Finanzausgleich, 1992, S. 17. Zu den Anforderungen des Art.291 GG vgl. oben 1. Kapitel Β. II. 496 Als Ausprägung des Institutes des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sehen die Vertragsparteien mit Protokollnotiz Nr. 7 zu Art. 35 II NV in Satz 1 als „ E s c a p e - K l a u s e l " vor, daß Vertragsgrundlage für diese Übergangsregelungen der Sach- und Rechtsstand zum Zeitpunkt des Vertragsabschlussses und das Bestehen eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes ist. Sofern dieses gestört wird oder durch Änderungen des Steuerrechtes oder der Steuerverteilung bedingte Mindereinnahmen sowie unvorhergesehene Mehrausgaben von erheblicher finanzieller Bedeutung diese Geschäftsgrundlage entfallen läßt, sind nach Satz 2 die Konsolidierungsanstrengungen einvernehmlich anzupassen. Diese Regelung hat lediglich klarstellenden Charakter, da eine einvemehmliche Vertragsanpassung jederzeit erfolgen kann, sofern - wie hier - nicht Bestimmungen betroffen sind, die von der Versteinerungsklausel erfaßt werden. Der Standort der Erläuterung als Protokollnotiz ist daher zutreffend und für den Zweifelsfall als Auslegungshilfe angemessen gewählt. 493
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15 v. H. Maßgeblicher Zeitpunkt für den Beginn der Konsolidierungsanstrengungen ist nach der Protokollnotiz Nr. 7 zu Art. 35 Π NV der Abschluß des Vertrages, maßgebliches zeitliches Limit grundsätzlich der Zusammenschluß beider Länder. Von dem Land Berlin fordert Art. 35 Π S. 2 NV, daß die jährlichen Abbauschritte der Nettokreditaufnahme bis zu der Bildung des gemeinsamen Landes mindestens 650 Mio. D M betragen. Diese Vorgabe hat mit Blick auf den nach Art. 35IV NV festgesetzten zeitlichen Konsolidierungsrahmen bis zum Jahre 2002 einschließlich nur begrenzte Aussagekraft: vom Jahr des Inkrafttreten des Vertrages (1996) bis zum Jahre 2002 hat das Land Berlin - im Gegensatz zu Brandenburg auch bei einem Zusammenschluß im Jahre 1999 - sieben Jahre Zeit, die Konsolidierung i. H. v. 4,7 Mrd. D M zu erreichen, so daß sich schon hieraus ein durchschnittlicher jährlicher Abbau i. H. v. rund 650Mio. D M ergibt. Art. 35 Π S. 2 NV sichert lediglich die Stetigkeit des Abbaues, gibt dem Berliner Senat insoweit allerdings auch einen Rückhalt und eine Möglichkeit, Einsparungen mit Verweis auf den konkret vorgegebenen Betrag in der Öffentlichkeit leichter zu rechtfertigen. Damit Berlin aber nicht nur auf der es zukünftig betreffenden Kommunalebene konsolidiert, ist es nach Art. 35 Π S. 3 NV verpflichtet, die Konsolidierungsanstrengungen gleichermaßen auf Landes- wie auf Kommunalebene vorzunehmen. Die Konsolidierungsmöglichkeiten des Landes Brandenburg sind dagegen erheblich restriktiver gehalten: In zeitlicher Hinsicht gilt in jedem Fall der Zusammenschluß beider Länder als Stichtag, an dem die Konsolidierungen für das Gebiet Brandenburg erreicht sein müssen. Findet die Fusion bereits im Jahre 1999 statt, verbleiben Brandenburg drei Jahre weniger als Berlin, obgleich der Konsolidierungsbetrag gemessen am Haushaltsvolumen um 3,6 Prozentpunkte höher liegt als in Berlin. Hinzu kommt die Unsicherheit über den Zeitpunkt während der Vertragsverhandlungen. Dies läßt darauf schließen, daß Brandenburg davon ausging, vergleichsweise unproblematisch erhebliches Konsolidierungspotential freisetzen zu können. Darauf deutet auch, daß Brandenburg gegenüber Berlin zunächst nur auf Landesebene die Konsolidierung betreiben kann. Eine Konsolidierung auf Kommunalebene kann nur indirekt durch eine Reduzierung der Verbundmasse im kommunalen Finanzausgleich erfolgen. Mit Blick auf die Kommunalebene jedoch hat das Land Brandenburg umgekehrt ebenso diefinanzpolitisch unerwünschte Möglichkeit, die Haushaltskonsolidierung gerade auf die Reduzierung der Verbundmasse zu fokussieren, ohne daß die Kommunen dagegen vorgehen könnten. Grenzen wären nur gesetzt durch die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit der Gemeinden. Zur Absicherung der Einhaltung der Konsolidierungsvorgaben hält der Neugliederungs-Vertrag ein umfangreiches, nicht unproblematisches Instrumentarium bereit. Als Ausfluß des in Art. 28 I NV festgelegten Benachteiligungsverbotes be497 Vgl. Finanzplanungsdaten 1994 für Berlin und Brandenburg bei Klein/Krimms, Die finanziellen Voraussetzungen für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg, in: LKV 1995, S.341 (342): Ausgaben Berlin: 41,31 Mrd.DM, Brandenburg: 19,88Mrd.DM.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
stimmt Art. 35 Π S. 4 NV, daß die Nichterfüllung der KonsolidierungsVerpflichtung nicht zu Lasten des jeweils anderen Gebietsteils gehen darf: Soweit das Land Berlin Konsolidierungsleistungen nicht in dem nach Art. 35 I I S. 2 NV vorgesehenen Umfang i. H. v. 650 Mio. DM jährlich erbringt, werden seine Ausgabenanteile bei ihrer Ermittlung nach Art. 30 NV um die nicht erbrachten Konsolidierungsleistungen gekürzt, Art. 35 ΠΙ S. 1 NV 4 9 8 . An dieser Stelle entfaltet die Maßgabe des Art. 35 I I S. 2 NV ihren eigentlichen Zweck. Die daraus folgende Kürzung des Einnahmeanteiles nach Art. 31 NV würde für eine Kommune Berlin die Notwendigkeit mit sich bringen, die nicht erfolgten Konsolidierungen umgehend nachzuholen499. Unmittelbare Folge für das Land Berlin ist der Zwang zur Einhaltung der Konsolidierungsvorgaben nach ihrem Umfang. Denn sowie die Ausgabenanteile einmal festgelegt sind, ist ihre zukünftige Anhebung wenig aussichtsreich500. Der durch eine unvollständige Erfüllung des Konsolidierungsumfanges eintretende finanzielle Verlust wäre dauerhaft. Erbringt das Land Berlin jedoch speziell nur auf Landesebene Konsolidierungsleistungen nicht, ist das gemeinsame Land nach Art. 35 ΠΙ S. 2 NV berechtigt, den Transferanspruch der Stadt Berlin entsprechend zu kürzen. Die Kürzungen sind allerdings innerhalb von vier Jahren abzubauen. Die Regelung steht vor dem Hintergrund, daß an Stelle des vormaligen Landes Berlin nunmehr das gemeinsame Land die ausstehenden Konsolidierungen vornimmt501. Das Land Berlin kann damit die Konsolidierung auf Landesebene nicht gegenüber der auf kommunaler Ebene vernachlässigen: die Erfüllung der Verpflichtung Berlins nach Art. 35 Π S. 3 NV zur gleichmäßigen Konsolidierung auf beiden Ebenen ist neben der Einhaltung des Konsolidierungsumfanges explizit abgesichert. Sie ist jedoch nicht in der Härte bewehrt, wie die Nichteinhaltung des Konsolidierungsumfanges: Nur der Transferanspruch, nicht die Ausgabenanteile als seine Berechnungsgrundlage werden gekürzt, und das auch nur zeitlich begrenzt. Damit kommt der Neugliederungs-Vertrag der unterschiedlichen Gewichtung beider Verstöße nach. Hält das Land Brandenburg seine Konsolidierungsverpflichtungen nicht bis zum Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes ein, ist das gemeinsame Land nach Art. 35 ΠΙS. 3 NV berechtigt, seine Leistungen an die Kommunen oder an sonstige Empfänger in dem Gebietsteil des bisherigen Landes Brandenburg um den Betrag 498
Der Wortlaut der Vorschrift erscheint unglücklich gewählt und wird erst unter Hinzuziehung seiner Begründung (AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15) eindeutig verständlich: Ohne sich auf Berlin oder Brandenburg zu beziehen bestimmt Art. 35 III S. 1 NV, daß die nach Art. 30 NV zu ermittelnden Ausgaben „um nicht erbrachte Konsolidierungsleistungen gemessen an den Anforderungen nach Absatz 2 Satz 2 gekürzt" werden. Erst der zweite Blick läßt erkennen, daß sich die Vorschrift nur auf Berlin beziehen kann. Die Vorschrift ist wie folgt zu lesen: ,3ei der Ermittlung der Berliner Ausgabeanteile [...] werden die Ausgaben um bis dahin nicht erbrachte Konsolidierungsleistungen [...] gekürzt." 499 Einzelbegründung zu Art. 35 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. 500 Siehe oben 2. Kapitel D. II. 2. c). 501 Einzelbegründung zu Art.35 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 15.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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der nicht erbrachten Konsolidierungsleistungen zu kürzen. Diese, für die Konsolidierung der Ausgaben Berlins auf Landesebene entsprechende Vorschrift zwingt das Land Brandenburg zu den vertraglich vorgesehenen Einsparungen. Die Folgen ihrer Nichteinhaltung den im Gebietsteil Brandenburgs liegenden Kommunen aufzubürden, ist fragwürdig 502. Anders als in Berlin - wegen der dortigen Einheit von Landes- und Kommunalebene - können die brandenburgischen Kommunen in der Übergangszeit nicht auf die Durchführung der Haushaltskonsolidierung des Landes einwirken. Da der Gebietsteil Brandenburg seine Landesebene - im Gegensatz zu Berlin - beibehält, hat das Land Brandenburg zudem nicht das vitale Interesse an einer Nichtabwelzung unerfüllter Konsolidierungen auf die Kommunalebene wie Berlin. Wahrend also Berlin unmittelbar die Folgen jedweder Nichteinhaltung der vertraglich vorgesehenen Konsolidierungen nachhaltig auf sich zu nehmen hat, kann Brandenburg derartige Folgen aus der Sicht der Landesebene unbeschadet auf die Kommunalebene abwälzen. Eine Überbeanspruchung dieser Möglichkeit hätte zur Folge, daß das gemeinsame Land die vermeintlich reduzierten Kommunalmittel aufstocken und die auf Landesebene erforderlichen Konsolidierungen nachholen müßte. In dieser Situation besteht jedoch aus politischen Erwägungen die Gefahr, diese Konsolidierungen nicht oder nur teilweise aufzuarbeiten und durch Kredite auf Landesebene auszugleichen. Vorbeugende Abhilfe bereits in der Übergangszeit hätte möglicherweise ein mit einer engeren Zusammenarbeit beider Länder einhergehender erhöhter Handlungsdruck schaffen können. Jedoch gestaltet Art. 35 V - V I I NV in diesem Zusammenhang diefinanzielle Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg in der Übergangszeit recht dürftig aus. Die eigentlichen Koordinationsgremien - Vereinigungskommission und Vereinigungsausschuß - erlangen keinerlei Bedeutung. Vielmehr bleibt die Abstimmung und Zusammenarbeit den beiden Ländern beziehungsweise ihren Finanzressorts überlassen. Ob mit diesen Aufgaben vertragliche Koordinationsgremien betraut werden, ist erstens die - hier nicht zu beantwortende - politische Frage des Wollens, zweitens eine Frage der Zweckmäßigkeit und drittens eine Frage des verfassungsrechtlichen Könnens: dürfen die zwischenstaatlichen Gremien mit der sensiblen Materie der Finanzen des Landes betraut werden? Mit Blick auf die obigen Darlegungen503 ist die letzte Frage zu bejahen. Auch die zweite Frage ist positiv zu beantworten: Eine intensivere Koordination wäre den Konsolidierungsanstrengungen förderlich. Sie würde bei entsprechender Ausgestaltung die Verwirklichung der vorgegebenen Konsolidierungsziele in gesteigertem Maße gewährleisten können. Die Wahrscheinlichkeit der Anwendung derfinanzpolitisch teilweise eher kritisch zu würdigenden Maßregelungen bei Nichteinhaltung der Konsolidierungen nach Art. 35 III, IV NV würde sinken.
502
Vgl. Hartmann, U JHertenlSchroeder, Land in Sicht, 1996, S. 138 mit Verweis auf DIW! BWI y Volkswirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, 1994, S.479f. 503 Siehe oben 2. Kapitel C. II.; s. a. 1. Kapitel C. I.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
4. Die Problematik der Aufteilung von Vermögen und Verbindlichkeiten des Landes Berlin: Funktionennachfolge, Realteilung und Einwohnerschlüssel Die Regelung derfinanzrechtlichen Binnenstruktur des gemeinsamen Landes verlangt neben der Verteilung von zukünftigen Einnahmen und damit verbundenen Finanzströmen die die Auflösung der vormaligen Länder Berlin und Brandenburg mit sich bringende Aufteilung des jeweiligen Vermögens und der jeweiligen Verbindlichkeiten und Lasten. Es geht um diefinanzielle Rechtsnachfolge beider Länder: Für das Land Brandenburg genügt die Klarstellung, daß Vermögen und Verbindlichkeiten auf das gemeinsame Land übergehen, Art. 36 NV. Schwierigkeiten hingegen bereitet dasfinanzielle Erbe des Stadtstaates Berlin. Die Einheit von Landes· und Kommunalebene erfordert - wie bei der Aufteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen - die Zuordnung von Vermögen, Verbindlichkeiten und Lasten auf die zukünftige Landesebene Berlin-Brandenburgs sowie auf die Kommune Berlin. In Anlehnung an das Ausgleichsprinzip haben Berlin und Brandenburg an dieser Stelle grundsätzlich das Prinzip der Funktionennachfolge gewählt. Dieses Prinzip sowie weitere Grundsätze für die Zuordnung von Vermögen und Verbindlichkeiten des Landes Berlin sind in Art. 37 und 38 NV niedergelegt. Nach ihnen erfolgt nicht schon im Neugliederungs-Vertrag, sondern erst in der Übergangszeit die detaillierte Aufteilung, Art. 39 NV. Für die Zuordnung des Vermögens der Stadt Berlin bestimmt Art. 371, ΠΙ NV generell das Prinzip der Funktionennachfolge504. Es sieht vor, daß das Vermögen, das zweckgebunden öffentlichen Aufgaben dient - Verwaltungsvermögen505 sowie zweckgebundenes Betriebsvermögen506 - , diejenige Ebene erhält, die in dem gemeinsamen Land die jeweilige Aufgabe übernimmt. Die Funktionennachfolge gilt darüber hinaus für alle anderen Vermögenswerte des Landes Berlin, soweit sie einem Zweck unmittelbar zugeordnet werden können: sie ist nach Art. 37 Π NV für Stiftungsvermögen und zweckgebundenes Rücklagevermögen entsprechend anzuwenden. Ähnlich dem Ausgleichsprinzip erhält über das Prinzip der Funktionennachfolge sowohl die Landesebene als auch die Kommune Berlin die Vermögenswerte, die bisher für die ihnen jeweils zugedachten Aufgaben eingesetzt wurden. Der Unterschied liegt in der Berechnung: Während bei dem Ausgleichsprinzip die Einnahmeanteile nach dem Vom-Hundertsatz der Ausgabenanteile zu berechnen sind, kann bei 504
Einzelbegriindung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. Beispielsweise Verwaltungsgebäude und die dazugehörigen Grundstücke (Einzelbegriindung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15), Ansprüche aus der Förderung Dritter (Zusammenfassung und Begründung zum NV, ebda, S. 12.). 506 Das Betriebsvermögen bestimmt sich gemäß der Protokollnotiz Nr. 8 zu Art. 37 III NV nach den Berliner Ausführungsvorschriften zur Landeshaushaltsordnung (Stand: Rdschr. v. 5.12.1990), Ziff. 4.1.2 zu § 73. - Zum Begriff des Betriebsvermögens auf Bundesebene vgl. Mühlhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 1987, S.330, 335,466,488. 505
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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den Vermögenswerten aufgrund der weniger aufwendigen konkreten Zuordnungsmöglichkeit eine unmittelbare absolute Zuweisung erfolgen. Der status quo einer Berliner Kommunalebene bleibt als Grundvoraussetzung der Neugliederung für Berlin erhalten. Der Gedanke an eine Umverteilung von Vermögenswerten auf dieser Ebene zugunsten des gemeinsamen Landes oder seiner übrigen Kommunen bliebe daher theoretisch und wäre zudem wenig überzeugend: soweit eine Kommune Berlin im Vergleich zu den übrigen Kommunen relativ vermögender ausgestattet ist, muß die umfangreiche Palette übergeordneter Funktionen in die Überlegung eingestellt werden, die ihr als Metropole und als Bundeshauptstadt zukommen. Überdies entspräche eine gleichwertige Ausstattung aller Kommunen des Landes nicht der gängigen Kommunalstruktur, in der sich regionale Unterschiede gerade widerspiegeln und selbst im kommunalen Finanzausgleich nur teilweise nivelliert werden. Die Aufteilung des sonstigen Vermögens, d. h. des Finanzvermögens sowie des Betriebsvermögens, soweit es nicht bestimmten öffentlichen Zwecken dient507, nimmt der Neugliederungs-Vertrag hingegen nach einem völlig anderen Maßstab vor 508. Nach Ausgleichsprinzip und Funktionennachfolge hätte es nahegelegen, diese Vermögenswerte nach Maßgabe der im Ausgleichsprinzip vorgenommenen Aufgabenverteilung in Vom-Hundertsatz an das gemeinsame Land und die Kommune Berlin aufzuteilen. Indes bestimmt Art. 37IV S. 1 NV für das sonstige Vermögen eine hälftige Teilung zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin. Bei dieser Aufteilung des sonstigen Vermögens wird „aus Kostengründen"509 keine Bewertung nach Art. 37IV S. 2 NV vorgenommen. Die Zuordnung erfolgt vielmehr im Wege der Realteilung510: Für das nicht zweckgebundene Betriebsvermögen bedeutet das eine relativ simple hälftige Aufteilung nach Kapitalanteilen - etwa in Form von Aktienpaketen511. Differenzierter sind die Verteilungskriterien für die Immobilien507 Hierzu zählt insbesondere das Allgemeine Grundvermögen, das alle Grundstücke umfaßt, die keiner öffentlichen Zweckbindung unterliegen, vgl. Einzelbegründung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. 308 Ausgenommen sind die Zweck- und Konzessionsabgaben von Lotto-Unternehmen, Art. 37 VI S. 1 NV. Diese werden entsprechend dem Lotterieaufkommen in den Gebieten der früheren Länder Berlin und Brandenburg verteilt. Bei der Verteilungfinden nach Art. 37 VI S. 2 NV die bisherigen Bindungen und Verfahrensweisen Berücksichtigung. Die weiteren Einzelheiten sind in dem Lotteriegesetz des gemeinsamen Landes zu regeln, vgl. Einzelbegründung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. Diese Regelung wahrt Berliner Interessen, da der Stadt Berlin die dort anfallenden überproportionalen Einnahmen aus Zweck- und Konzessionsabgaben von Lotto-Unternehmen verbleiben und nicht an das gemeinsame Land abzuführen sind. 509 Zusammenfassung und Begründung zum NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 12. 310 Einzelbegründung zu Art.36-38 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 15. 311 Einzelbegründung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. - Hinsichtlich des Betriebsvermögens der Bankgesellschaft Berlin AG schlossen die Vertragsparteien in der Protokollnotiz Nr. 9 zu Art. 37 NV im Sinne der Aufrechterhaltung des status quo fusionsbedingte Strukturänderungen aus und sicherten die Aufrechterhaltung der öffentlichen Mehrheitsbeteiligung bei der Bankgesellschaft Berlin AG sowie die bestehende öffentliche Beteiligung an der und die Gewährträgerschaft für die Landesbank Berlin zu.
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2. Kap.: Der Neugliedengs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
werte des sonstigen Vermögens ausgestaltet: Zuordnungsmaßstab ist nach Art. 37IV S. 3 NV für die bebauten Grundstücke die Kubikmeter umbauten Raumes und für die unbebauten Grundstücke die Quadratmeter Grundfläche. Durch das sich dem anschließende Auswahlkriterium verbleibt der Stadt Berlin bei dieser Art der Vermögensverteilung sonstiges Vermögen mit einem Wert, der den des auf die Landesebene übergehenden Wertes an sonstigem Vermögen deutlich übertrifft und die Stadt Berlin sogar besser stellen kann, als wenn bei der Verteilung die Vom-Hundertsätze des Ausgleichsprinzip zugrunde gelegt werden: Die Stadt Berlin hat nach Art. 37IV S. 4 NV das Recht des ersten Zugriffes. Dieses finanzielle Zugeständnis an die Stadt Berlin ist vor dem pragmatischen Hintergrund zu sehen, daß diese aus ihrer Sachnähe besser die für siefinanziell und zweckmäßig geeigneten Grundstükke auszuwählen vermag als das gemeinsame Land. Zudem bringt das Land Berlin mit der Bankgesellschaft Berlin AG, die ihrem Werte nach ebenfalls hälftig verteilt wird, einen relativ hohen Vermögensposten ein, der das Berliner Recht des ersten Zugriffes rechtfertigt. Obgleich Brandenburg zunächst das Prinzip der „brüderlichen Teilung" bevorzugte - Berlin verteilt die Vermögenswerte, worauf das gemeinsame Land eine Hälfte wählt512 - , ist die in den Neugliederungs-Vertrag eingegangene Lösung sowohl für das gemeinsame Land als auch für die Stadt Berlin langfristig von Vorteil: durch die anfänglichen finanziellen Vorteile der Stadt Berlin sind in der Folgezeit etwa erforderlich werdende Subventionen des gemeinsamen Landes an die Stadt Berlin faktisch schon in diesem Umfang vorgeleistet, so daß spätere Subventionsforderungen in entsprechender Höhe ausgeschlossen werden. Dadurch wird Streitpotential reduziert. Für die Aufteilung der Verpflichtungen und Verbindlichkeiten unterscheidet der Neugliederungs-Vertrag wie bei der Zuordnung des Vermögens grundsätzlich zwischen solchen, die bestimmten öffentlichen Zwecken dienen und den keiner Zweckbestimmung unterliegenden Kreditmarktverbindlichkeiten. Die bestimmten öffentlichen Zwecken dienenden Verbindlichkeiten - etwa Bundesdarlehen und Förderzusagen gegenüber Dritten 513 - teilt Art. 38 II NV entsprechend der Vermögensverteilung nach dem Prinzip der Funktionennachfolge auf: Sie werden von der Ebene übernommen, die die jeweilige Aufgabe übernimmt. Damit vervollständigt die Art und Weise der Zuordnung der Verbindlichkeiten konsequent das Prinzip der Funktionennachfolge. Denn zu einer Funktion gehören sowohl die diesbezüglichen Vermögenswerte als auch ihre Verbindlichkeiten und Verpflichtungen. Schwierigkeiten bereitet diese Nachfolgeregelung dann, wenn bei einer Neugliederung die mit einer Funktion verbundenen Verpflichtungen in einem Land erheblich höher sind, als in dem anderen oder sie sachfremd in den jeweiligen Haushalt eingestellt sind. Der Neugliederungs-Vertrag nimmt daher die Verpflichtungen des Landes Berlin aus den Förderzusagen im Rahmen der Wohnungsbauförderung aus der Funktionennachfolge heraus: Nach Art. 29 III NV übernimmt das gemeinsame 512 5,3
Vgl. Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 142. Vgl. Einzelbegründung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Land von diesen bis zum Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes von dem Land Berlin eingegangenen Verpflichtungen einen Pro-Kopf-Anteil, der dem der von dem Land Brandenburg eingegangenen Verpflichtungen aus der Wohnungsbauförderung entspricht. Die verbleibenden Verpflichtungen trägt die Stadt Berlin. Diese Regelung ist das Ergebnis der Vorgabe aus Art. 281 S. 1 NV, daß kein Gebietsteil Vorteile zu Lasten des anderen haben soll: Sie bewirkt im Sinne der Aufrechterhaltung desfinanziellen status quo, daß die Pro-Kopf-Gesamtbelastung sowohl für die Berliner als auch für die brandenburgische Bevölkerung gleich bleibt514. Verwirrend ist dabei das Verhältnis dieser Bestimmung zu Art. 38 Π NV mit Blick auf dessen Begründung. Die nach Art. 38 I I NV für die für einen öffentlichen Zweck aufgenommenen Verpflichtungen einschlägige Funktionennachfolge gilt nach der Begründung zu Art. 38 Π NV ausdrücklich auch für die „Förderzusagen gegenüber Dritten, ζ. B. im Rahmen der Wohnungsbauförderung" 515. Die Begründung steht damit im völligen Gegensatz zu der tatsächlichen Regelung in Art. 29ΙΠ NV, der von dem in Art. 38 I I NV aufgestellten Grundsatz eine Ausnahme darstellt. Der in Art. 29 ΠΙ NV vorgesehene Berechnungsmodus entspricht vielmehr dem für die sonstigen, nicht für öffentliche Zwecke bestimmten Kreditmarktverbindlichkeiten anzuwendenden. Die Regelung des Art. 29 ΠΙ NV selbst ergibt Sinn mit Blick auf den finanzrechtlichen Hintergrund der Wohnungsbauförderung in Berlin 516: Die Bauherren nehmen die nötigen Mittel auf den Kreditmärkten auf und bedienen diese selbst. Als Forderung erhalten sie von dem Land Berlin „langfristige Annuitäts- bzw. Aufwendungshilfen", die dieses in seinem Haushalt als laufende Zuschüsse an Unternehmen einstellt. In der Sache handelt es sich jedoch um „zinsgleiche" Ausgaben, die im Jahre 1995 mit einem Betrag i. H. v. 2,2 Mrd. DM zu Buche schlugen517. Aus der Herausnahme der Drittzusagen im Rahmen der Wohnungsbauförderungen aus der Funktionennachfolge ergeben sich damit erheblichefinanzielle Folgen: Für das Jahr 1998 erwartete die Modellrechnung der Berliner Senatsverwaltung für Finanzen und des brandenburgischen Ministeriums der Finanzen aus dem Jahre 1995 eine Ausgabenerhöhung auf 3,0 Mrd. DM, die sich in einem gemeinsamen Land gemäß Art. 29 III NV i. Η. v. 2,4 Mrd. DM auf die Stadt Berlin und i. H. v. 0,6 Mrd. DM auf das gemeinsame Land verteilt hätte518. In Art. 29 NV finden sich aber noch weitere Lastenverteilungsregelungen: es geht um die Versorgungsleistungen der Beamten, deren Aufteilung sich nach dem Grundsatz der Funktio514 Darin sehen auch Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 139 den Vorteil der Regelung. 5,5 Einzelbegründung zu Art.36-38 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 15. 316 Die widersprüchliche Begründung jedoch bleibt ungeklärt. 3,7 Geppert/Vesper, Länderfusion begünstigt Entwicklung, in: DIW Wochenbericht 10/95, S.222. 318 Einnahmen und Ausgaben des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin nach Länderneugliederung, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.22ff. - D i e in dem Modell für 1998 errechneten Aufwandssubventionen für Wohnungsbau entsprechen in der Größenordnung den von Geppert/Vesper (Länderfusion begünstigt Entwicklung, in: DIW Wochenbericht 10/95, S.222) für das „Ende des Jahrzents" prognostizierten Betrag i. H. v. 3,2 Mrd. DM.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg nennachfolge richtet.Dieser bewirkt auch hier eine zweckgerechte Kostenverteilung: Für die aktiven Beamten ergibt sich dies unmittelbar aus Art. 29II S. 1 NV, wonach die Ebene die Kosten für die Versorgungsleistungen trägt, für die die Beamten nach der Neugliederung jeweils tätig sind. Für ehemalige Beamte und Richter519 des Landes Berlin übernimmt die laufenden Versorgungsleistungen gemäß Art. 29 II S. 2 NV als unmittelbar Leistungsveipflichteter gegenüber den Beamten das gemeinsame Land oder eine zu gründende Einrichtung. Die Kosten dagegen sind nach Art. 29 II S. 3 NV über das Prinzip der Funktionennachfolge zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin in dem Verhältnis aufzuteilen, in dem sie jeweils aktive Beamte des Landes Berlin übernehmen. Nach Art. 29IV NV hat das gemeinsame Land die laufenden Lasten aus den Verbindlichkeiten zu tragen, die es gemäß Art. 38 NV übernimmt. Die Regelung hat deklaratorischen Charakter: Wer eine Kreditverbindlichkeit übernimmt, übernimmt grundsätzlich auch die daraus entstehenden laufenden Kosten. Bedeutsam ist Art. 29IV NV insoweit, als er auf Art. 38 NV als Verteilungsregelung der Verbindlichkeiten verweist. Doch daran zeigt sich, daß der Standort der Bestimmungen des Art. 29 II—IV NV unglücklich gewählt ist: Systematisch hätten diese Bestimmungen über Verpflichtungs- und Lastenzuordnungen unter Art. 38 NV, etwa als Absätze 4-6, eingeordnet werden sollen, der die Grundsätze sowie einige Teilfragen zur Aufteilung der Verpflichtungen des Landes Berlin regelt. Die Bestimmungen über Verbindlichkeiten und - der daraus folgenden sowie anderweitiger - Verpflichtungen wären übersichtlich in einer Norm zusammengefaßt. Entsprechend der zeitlich vorher gefundenen Lösung des Art. 29 Π Ι N V bestimmt Art. 38 I N V die Verteilung der Kreditmarktverbindlichkeiten, d. h. der zweckungebundenen Verbindlichkeiten, die bis zum Zeitpunkt der Neugliederung eingegangen wurden, nach einem Einwohnerschlüssel: das gemeinsame Land übernimmt je Einwohner Berlins einen Betrag, der den bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen brandenburgischen Kreditmarktverpflichtungen je Einwohner Brandenburgs entspricht. I m übrigen trägt die Stadt Berlin die Kreditmarktverbindlichkeiten. Entgegen dem Entwurf zum Neugliederungsvertrag, der zunächst eine hälftige Aufteilung vorsah 520 , regelt der Neugliederungs-Vertrag nunmehr auch diese Verbindlichkeiten „belastungsneutral" 521. Die ursprüngliche Fassung hätte die Stadt Berlin zwar noch bezogen auf das Jahr 1994 um etwa 700 Mio. D M gegenüber dem in Art. 381 N V festgelegten Einwohnerschlüssel bessergestellt 522, so daß, um den Gebietsteil Brandenburg gemäß Art. 2 8 1 S. 1 N V gegenüber dem status quo nicht 519
Einzelbegriindung zu Art. 29 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 13. Art. 38 des Entwurfes zum Neugliederungs-Vertrag, AbgH v. Bin, Drs. 12/4522. 521 Vgl. Hartmann, \5JHerten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 139. 522 Unter Zugrundelegung der Pro-Kopf-Verschuldung in Brandenburg im Jahre 1994 i. H. v. 4.300 DM (vgl. GeppertfVesper, Länderfüsion begünstigt Entwicklung, in: DIW Wochenbericht 10/95, S. 222) ergibt sich bei 3,47 Mio. Berlinern für die Stadt Berlin ein Schuldenanteil i. Η. v. 14,88 Mrd. DM. Eine hälftige Aufteilung der Schulden des Landes Berlin i. H. v. 28,37Mrd. D M (vgl. Geppert/Vesper, ebda, S. 222: Pro-Kopf-Kreditmarktschulden des Landes Berlin i. H. v. 8.200 DM multipliziert mit der Anzahl seiner Einwohner) bedeutet für die Stadt Berlin dagegen die Übernahme eines Schuldenanteiles i. H. v. nur 14,186 Mrd. DM. Die hälftige Aufteilung ist für Berlin nach diesen Zahlen erst bei einer Brandenburger Pro-Kopf-Verschuldung unter 4.099 DM günstiger als die Verteilung nach Art. 381 NV. 520
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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schlechter zu stellen, auch für die Kreditmarktverbindlichkeiten ein dem Art. 29 ΠΙ NV entsprechender Einwohnerschlüssel als Verteilungsmaßstab aus Brandenburger Sicht vorteilhaft gewesen wäre. Für den Zeitpunkt des Zusammenschlusses jedoch gingen die Haushaltsprognosen dahin, daß Brandenburg seinen Haushalt - wie es sich indirekt auch aus Art. 35 NV ergibt - gegenüber Berlin erheblich schneller und drastischer hätte konsolidieren können. Die hälftige Verteilung der Berliner Kreditmarktverbindlichkeiten wäre für den brandenburgischen Gebietsteil, auf den Zeitpunkt der Fusion berechnet, günstiger gewesen523. Jedoch setzte sich der seinerzeitige brandenburgische Finanzminister Kühbacher mit seiner Forderung durch, keine hälftige, sondern eine Pro-Kopf-Verteilung der Berliner Kreditmarktverbindlichkeiten vorzunehmen. Von dem brandenburgischen Konsolidierungspotential ausgehend erwächst daraus die Selbstverpflichtung für Brandenburg, jede nur erdenklich Einsparung tatsächlich vorzunehmen, um einen möglichst geringen Anteil der Verbindlichkeiten übernehmen zu müssen. Diese letztendliche Uneigennützigkeit mag auf Uneinsichtigkeit seitens des Ministeriums für Finanzen in Brandenburg zurückgeführt werden524. Die vergeblichen Haushaltskonsolidierungsbemühungen Brandenburgs in den vergangenen Jahren legen jedoch nahe, den Verantwortlichen eine gewisse altruistische Weitsicht zuzusprechen. Denn es ist wenig wahrscheinlich, daß ein Finanzministerium Haushaltshochrechnungen für die nächsten Jahre so fehlgehend, wie unterstellt525, deutet. Mit Blick auf die der Stadt Berlin nach allem verbleibenden hohen Verbindlichkeiten und Lasten ist ihr Haushalt erheblichen Belastungen ausgesetzt. Um eine finanzielle Überlastung der Kommune Berlin zu vermeiden526, bestimmt Art. 38 III NV, daß das gemeinsame Land die Voraussetzungen dafür schafft, „daß die im Verwaltungshaushalt der Stadt Berlin zu erwirtschaftenden Pflichtzuführungen an den Vermögenshaushalt für die ordentliche Tilgung von Krediten entsprechend der Abschreibungsdauer des Anlagevermögens angepaßt und Tilgungen auch durch neue Kreditefinanziert werden können". Diese Regelung ermöglicht eine Verlängerung der Tilgungsdauer. Während Länder in der Regel mit Tilgungszeiträumen von bis zu 10 Jahren arbeiten, sind auf Kommunalebene Tilgungszeiträume von 30 Jahren durchaus üblich527, so daß die Tilgungen zeitlich gestreckt und der wirtschaftlichen Lebensdauer des Anlagevermögens angenähert werden. Die Pflichtzuführungen der Stadt Berlin sind nur in dem Maße aus dem Betriebshaushalt aufzubringen, wie sie
523
Mit Verweis auf Interviews Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 139. So wohl Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 140: „In Brandenburg mag die allgemeine Verhandlungssituation dafür ausschlaggebend gewesen sein, nur Nachteile wahrzunehmen, auch wenn sie gar nicht existierten. [...] Das ging sogar soweit, daß der [...] damalige Finanzminister Kühbacher [...] behauptete, BRANDENBURG übernehme die Hälfte der Berliner Schulden [...]" (Hervorhebung im Original). 525 Vgl. Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 139f. 526 Einzelbegründung zu Art.36-38 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 15. 527 Gespräch El mit Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Finanzen Berlin vom 8.12.1998. 524
18 Keunecke
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
den „rechnerischen" Abschreibungen auf das Anlagevermögen entsprechen528, d.h. es handelt sich insoweit allein um die Nettotilgungsleistungen. Die wesentliche Aussage jedoch enthält Art. 38 ΠΙ NV mit seiner Möglichkeit, die darüber liegenden (Brutto-)Tilgungsleistungen, die in den einzelnen Haushaltsjahren, abhängig von den jeweiligen Konditionen und Laufzeiten der aufgenommenen Verbindlichkeiten, in sehr unterschiedlicher Höhe anfallen können, durch Kreditaufnahme zu refinanzieren 529. Die Stadt Berlin erhält - anders als andere Kommunen530 - die Möglichkeit, Kredite auch zur Umschuldung auslaufender Kredite aufzunehmen. Als Kommune dürfte sie sonst - im Gegensatz zu einem Land - Kredite nur in Höhe des Investitionsvolumens oder zur Umschuldung laufender Kredite 531 aufnehmen. Denn für Kommunen gilt generell, daß sie ihre Tilgungsleistungen aus dem laufenden Betriebshaushalt erwirtschaften müssen, der seinerseits nur durch laufende Einnahmen auszugleichen ist532. Anders als auf Landesebene533 gibt es für Kommunen keine Unterscheidung zwischen Brutto- und Nettokreditaufnahme. Um als Gemeinde Tilgungsleistungen durch Kreditefinanzieren zu können, bedarf es einer Ausnahmeregelung. Eine solche Ausnahme läßt Art. 38 ΠΙ NV für die Stadt Berlin in dem Umfang zu, in dem die Tilgungen die rechnerischen Abschreibungen auf das Anlagevermögen überschreiten534. Die konkrete Verteilung des Vermögens sowie der Verbindlichkeiten nimmt der Neugliederungs-Vertrag nicht selbst vor, sondern gibt allein ihre Grundsätze vor. Die konkrete und vollständige Zuordnung erfolgt erst in der Übeigangszeit und ist nach Art. 391 S. 1 NV auf den in Art. 37, 38 NV festgelegten Grundlagen von den Finanzressorts der beiden Länder zu erarbeiten535. Hierbei verlangt Art. 391 S. 4 NV, daß gleichzeitig das Verfahren der Abwicklung der Kreditmarktverbindlichkeiten des Landes Berlin geklärt wird. Unklar ist, wie mit den Gläubigem des Landes Berlin zu verfahren ist, die in der Sache mit der Bildung eines gemeinsamen 528
Einzelbegründung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. Einzelbegriindung zu Art. 36-38 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 15. 530 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.4. 531 Dabei geht es etwa um die Ablösung eines höherverzinsten Kredites mit einem niederverzinsten Kredit gleicher Restlaufzeit. 532 Vgl. Mülhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S.301. 533 Vgl. Mülhaupt, Theorie und Praxis des öffentlichen Rechnungswesens in der Bundesrepublik Deutschland, 1987, S.301; femer SenFin (Hrsg.), Finanzplanung von Berlin 1997 bis 2001, 1997, S. 35 ff., 88 f. 534 Einzelbegriindung zu Art.36-38 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 15. 535 Die schließliche Ausarbeitung ist nach Art. 391 S. 2 NV der Vereinigungskommission oder einem von ihr bestimmten Ausschuß bis Ende 1997 zuzuleiten und darauffolgend von ihr zu entscheiden. Für den Fall der Nichteinigung sieht Art. 391 S. 3 NV erne Schiedsstellenbestimmung vor, deren Schiedsspruch sich die beiden Länder zu unterwerfen verpflichteten. Für die Übernahme und Veräußerungen von Beteiligungen sowie für die Gründung und Auflösung von Unternehmen verlangt Art. 39II S. 1 NV bis zur Bildung des gemeinsamen Landes die Zustimmung der jeweils anderen Landesregierung, soweit nicht kommunale Unternehmen betroffen sind. Die Vergütungsstruktur der Geschäftsleitungen wäre nach Satz 2 zwischen den Ländern abzustimmen gewesen. 529
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Landes an die Stadt Berlin zu verweisen wären. Die daraus hervorgehenden Unsicherheiten läßt der Neugliederungs-Vertrag zwar offen. Gleichzeitig gibt er jedoch einen zeitlichen Rahmen vor, innerhalb dessen Klarheit für die Betroffenen zu schaffen ist. Da aus der zu erarbeitenden Zuordnung für die Gläubiger letztlich keine insolvenzspezifischen Folgen erwachsen - die Landesebene steht in jedem Falle für die Verbindlichkeiten seiner Kommunen ein - ist die Beschränkung auf den zeitlichen Rahmen zwar unproblematisch, insoweit aber auch zu der zügigen Verschaffung der notwendigen Klarheit für die Gläubiger erforderlich.
I I I . Personalkonzept für das gemeinsame Land, Art. 40-45 N V Die von Art. 291 GG eingeforderte Wirtschaftlichkeit der Verwaltung des gemeinsamen Landes536 führte im personalrechtlichen Teil des Neugliederungs-Vertrages in erster Linie zu der Aufgabe, das Ziel der „schlanken" Verwaltung unter dem in demfinanzpolitischen Vertragsteil auferlegten hohen Konsolidierungsdruck 537 sozialverträglich538 zu verwirklichen (1.). Darüber hinaus eröffnete die Personalstruktur des gemeinsamen Landes zwei erörterungsbedürftige Themenbereiche: Erstens das Verfahren der Zusammenführung des Personals beider Seiten und zweitens die Verteilung der Berliner Beschäftigten (2.).
1. Sozialverträglichkeit der Schaffung einer „schlanken" Verwaltung Entsprechend dem in der Präambel formulierten Ziel, eine sparsame Verwaltung zu schaffen, bestimmt Art. 401 S. 1 NV, daß die Landes- und Kommunalaufgaben in dem gemeinsamen Land mit einer möglichst geringen Anzahl von Beschäftigten erfüllt werden sollen. Die Vorgabe der aufgaben- und bedarfsgerechten Stellenbemessung nach Art. 401 S. 2 NV in diesem Zusammenhang beschreibt zwar eine Selbstverständlichkeit und hat allenfalls klarstellende Funktion. Allerdings gibt der Neugliederungs-Vertrag hinsichtlich der Bedeutung „einer möglichst geringen Zahl von Beschäftigten" in seinemfinanzrechtlichen Teil eine überraschend genaue Vorgabe: Den Zielkorridor für die Anzahl der insgesamt von dem gemeinsamen Land Beschäftigten setzt Art. 271S. 4 NV mit 159.000 fest. Dieser Zahl liegt neben Berechnungen der Länder Berlin und Brandenburg539 ein Gutachten540 zugrunde, das für die beiden Länder jeweils einen Stellenüberhang im öffentlichen Dienst feststellt, nach dessen Abbau die Anzahl von 159.000 Beschäftigten in dem gemeinsamen Land mit 536
Vgl. oben 1. Kapitel B.II. 1. Siehe oben 2. Kapitel D. II. 3. 538 S.a. oben 1. Kapitel B.II. 1. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 25 ff. 540 Vesper, Finanzielle undfinanzpolitische Konsequenzen eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, DIW Beiträge zur Strukturforschung 147 (1993), S.80ff. 537
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Blick auf die übrigen Bundesländer angemessen ist541. Diese Zahl ist daher dem Entwurf eines ersten Stellenplanes zugrunde zu legen. Etwaig verbleibende Überhänge, die beide Länder nicht bis zu der Bildung des gemeinsamen Landes abzubauen vermögen, sind darin gesondert auszuweisen542. Die Anzahl von 159.000 Stellen in dem gemeinsamen Land setzt sich zusammen aus den Beschäftigten, die beide Länder in das gemeinsame Land einbringen. Entsprechend ihrer unterschiedlichen Einwohnerzahl umfaßt der brandenburgische Anteil 69.000 Beschäftigte und der Berliner Anteil 90.000 Beschäftigte 543. Für das Land Brandenburg ist der damit verbundene Stellenabbau von rund 4.000 Stellen544 vergleichsweise leicht zu bewältigen. Das wird bereits an den KonsolidierungsVerpflichtungen des Landes Brandenburg gemäß Art. 35 NV erkennbar 545. Schwierigkeiten hingegen ergeben sich für das Land Berlin. Dort beläuft sich der Überhang auf 40.000 bis 45.000 abzubauende Stellen546.
Der erforderliche Stellenabbau konfligiert mit dem Gebot der Sozialverträglichkeit einer Neugliederung547. Da der - insbesondere von Berlin vorzunehmende - Stellenabbau sozialverträglich ausgestaltet sein muß, lassen sich die zulässigen Maßnahmen komprimiert umreißen als „alle Maßnahmen zum Personalabbau, die direkte Entlassungen vermeiden. Dazu gehören vornehmlich die Ausnutzung der natürlichen Fluktuation durch die Nicht-Wiederbesetzung frei werdender Stellen, Teilzeitmodelle, Arbeitszeitverkürzungen und Vorruhestandsregelungen sowie attraktive Abfindungsangebote als Anreiz für »freiwillige* Kündigungen durch die Beschäftigten (»goldener Handschlag'). Die Sozialverträglichkeit von Privatisierungen ist umstritten, obwohl sie von den öffentlichen Arbeitgebern gern als ein Mittel zum Personalabbau unterhalb der Entlassungsschwelle eingesetzt werden."548 Dann aber steht Berlin vor der Schwierigkeit, entweder die Zahl von 90.000 von ihm einzubringenden Beschäftigten nicht bis zu der Bildung des gemeinsamen Landes einhalten oder aber nicht sozialverträglich den Stellenabbau durchführen zu können. Der Neugliederungs-Vertrag hat das Problem umfassend gelöst und zunächst die Zeitspanne für den vollständigen, grundsätzlich notwendigen Stellenabbau über den Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes hinaus verlängert. Das entspricht 541
Bei der öffentlichen Diskussion über diese Zahl war daher beiden Ländern bewußt, daß sie ihren Personalüberhang unabhängig von einer Neugliederung abbauen müssen, so daß sich der Streitpunkt in weiten Teilen als Scheingefecht darstellt, s.a. oben 2. Kapitel D. II. 1. 542 Einzelbegriindung zu Art.40 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 16.-Die mit den verbleibenden Überhängen verbundenen bereitzustellenden Stellen fallen mit dem Ausscheiden des Beschäftigten aus dem Landesdienst weg, so daß sich das gemeinsame Land schrittweise der Zielmarge von 159.000 Stellen gemäß Art. 271 S.4 NV nähert, vgl. Hartmann, U./Herten/ Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 160f. 543 Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 160. 544 Vgl. Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 151. 545 Siehe oben 2. Kapitel D. U. 3. 546 Siehe hierzu oben 2. Kapitel D.II. 1.; femer Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 153 f. 547 Zur Sozialverträglichkeit einer Neugliederung siehe oben 1. Kapitel Β. II. 1. 548 Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 153.
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auf derfinanzpolitischen Seite dem Ziel, daß die haushaltsrechtliche Konsolidierung bis zum Jahre 2002 erfolgen muß, also für den Fall der Neugliederung im Jahre 1999 zwei Jahre über die Landesbildung hinaus549. Überdies ist die Gesamtstellenzahl i. Η. v. 159.000 nicht für den Zeitpunkt der Bildung des gemeinsamen Landes vorgeschrieben, sondern formuliert lediglich das Ziel für das gemeinsame Land. Damit verbleibt dem Land Berlin bei dem vorzunehmenden Stellenabbau zwar ein gewisser Spielraum. Jedoch ist dieser mit Blick auf die fällige Haushaltskonsolidierung in der Übergangszeit in jährlichen Schritten i. H. v. 650 Mio. D M der Nettoneuverschuldung begrenzt, da die Einsparungsmöglichkeiten auf anderen Gebieten gegenüber dem Personalsektor vergleichsweise gering sind550. Für die darin eingerechnete neugliederungsspezifisch notwendige konkrete Personalzusammenführung schreibt der Neugliederungs-Vertrag in Art. 43 I I S. 1 NV das Berücksichtigungsgebot der Sozialverträglichkeit der Neugliederung ausdrücklich fest: „Die Sozialverträglichkeit der Personalzusammenführung ist zu gewährleisten." In concreto bedeutet dies nach Art.43 II S. 2 NV, daß „fusionsbedingte Beendigungen oder Herabgruppierungen von Beschäftigungsverhältnissen im öffentlichen Dienst ausgeschlossen" sind. Damit sind fusionsbedingte Beendigungskündigungen oder Änderungskündigungen, die auf eine Herabgruppierung abzielen, nicht möglich551. Die nach Art. 271 S. 4 NV erforderlichen Stelleneinsparungen erfolgen nach Art. 43 II S. 3 NV „grundsätzlich durch Nichtbesetzung frei werdender Stellen oder sozialverträgliche Regelungen". Allerdings wird der nicht-fusionsbedingte Stellenabbau hiervon nicht umfaßt. Wo aber liegt die Grenze zwischen fusionsbedingter und nicht-fusionsbedingter Beendigung eines Arbeitsverhältnisses? Die Antwort gibt Art. 43 II S. 1 NV bereits selbst mit dem Stich wort der Personalzusammenführung. „Fusionsbedingte" Kündigungen können nur in Bereichen erfolgen, in denen aufgrund der Neugliederung Behörden zusammengelegt werden und Stellen dadurch entbehrlich werden, weil anderenfalls eine Doppelbesetzung vorläge. Es geht also ausschließlich um die Personalzusammenführung i.e. S., nicht jedoch um einen etwaigen allgemeinen Personalüberhang, der aus den generellen Konsolidierungsvorgaben herrührt 552. Allein für den sich aus der Personalzusammenführung resultierenden Stellenüberhang - für diesen aber ohne zeitliche Begrenzung - gilt Art. 43 I I S. 1 NV 5 5 3 . Darüber hinaus bemessen sich Stellenkürzun549
Siehe dazu oben 2. Kapitel D. II. 3. M. a. W. lassen sich die vertraglich vorgegebenen Einsparungen nur dann verwirklichen, wenn die Möglichkeiten des sozialverträglichen Stellenabbaues vollständig genutzt werden (so auch Hartmann, VJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 161.). Werden sie vollständig ausgeschöpft, wird zugleich mit der Erfüllung des Haushaltskonsolidierungssolls auch die vertraglich vorgesehene Reduzierung der Stellenzahl auf sozialverträgliche Weise gewährleistet. 551 Vgl. Einzelbegründung zu Art.43 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 17. 552 So aber ohne Begründung Hartmann, VJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 159. 553 Die von Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 159, aufgeworfene Unklarheit bezüglich der zeitlichen Unbestimmtheit des Begriffes „füsionsbedingt" ergibt sich daher nicht. 550
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
gen in den Ländern Berlin und Brandenburg in der Übergangszeit sowie in dem gemeinsamen Land nach Maßgabe des neugliederungsspezifisch zeitlich gedrängt vorgegebenen Stellenabbaues nach den allgemeinen Vorschriften und dem insoweit zu berücksichtigenden Sozialstaatsprinzip554. Die Vorgabe der Sozialverträglichkeit der Zusammenführung des Personals erfährt eine wesentliche Einschränkung, denn die vorzunehmenden Stelleneinsparungen sind nach Art. 43 Π S. 3 NV nur „grundsätzlich" durch Nichtbesetzung frei werdender Stellen und sozialverträgliche Regelungen vorzunehmen. Wahrend also die sozialverträgliche Stellenstreichung den Regelfall darstellt, läßt der Neugliederungs· Vertrag daneben Ausnahmen zu, die Ausfluß der prekären Haushaltssituation beider Länder zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen sind. Für das gemeinsame Land sind damit gegebenenfalls Härtemaßnahmen möglich, die allerdings dem allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Genüge leisten müssen555. Über die Ausgestaltung dieser Ausnahmen wird jedoch auf zwei Wegen das Einverständnis der Beschäftigten eingeholt: Zum einen sind die Personalvertretungen der Länder Berlin und Brandenburg nach Art. 40 ΠΙ S. 2 NV an den personalspezifischen Entscheidungen der Vereinigungskommission zu beteiligen, d.h. bereits die zukünftigen Verwaltungs- und Personalstrukturen des gemeinsamen Landes sind unter der Mitwirkung der Personalvertretungen beider Länder vorzubereiten 556. Darüber hinaus sind die Personal Vertretungen über alles weitere gemäß Art. 411S. 2 NV regelmäßig zu unterrichten und anzuhören. Zum andern wird die grundsätzliche Zustimmung der Beschäftigten über die praktische Seite in anderweitigen Vereinbarungen als dem Neugliederungs-Vertrag abgesichert. Denn die Ausgestaltung dieser Ausnahmen steht unter faktischer Kontrolle der Berliner und der brandenburgischen ÖTV-Gewerkschaften, die zeitgleich mit den Vertragsverhandlungen der beiden Länderregierungen über den Neugliederungs-Vertrag versuchten, mit diesen tarifliche Zusatzvereinbarungen auszuhandeln557. Ihr nicht unerheblicher Einfiuß auf den Ausgang der Abstimmungen über den Neugliederungs-Vertrag aufgrund von entsprechenden Empfehlungen an ihre Mitglieder stellte sicher, daß auch die Ausnahmen sich im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bewegen und auf Einzelfälle beschränkt bleiben. In diesem Sinne bestätigten Berliner ÖTV-Vertreter, daß „der Neugliederungsvertrag [...] insgesamt einen auch für die Beschäftigten gangbaren und sicheren Weg der Personalzusammenführung" aufzeigt 558. 554 Zum Sozialstaatsprinzip siehe Badura, Staatsrecht, 1996, D Rn. 35 ff. (S. 256ff.); Sachs, in: ders., GG-K, Art. 20 Rn.46ff. 555 Zum Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. Sachs, in: ders., GG-K, Art. 20 Rn. 145 ff. 556 Dies sind in Berlin der Hauptpersonalrat und in Brandenburg die entsprechenden Personalvertretungen, s.a. Einzelbegriindung zu Art.41 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 16. 557 Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 159. 558 Siehe Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 159f., die selbst von einer im Neugliederungs-Vertrag gefundenen „Maximallösung" sprechen und gleichfalls zu der Einschätzung gelangen, daß „der Vertrag die Beschäftigteninteressen umfassend ab[sichert]", ebda, S. 161. - Im übrigen „bleibt das Dienst- und Arbeitsrecht unberührt", vgl. Einzelbegrün-
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2. Personalzusammenführung: Chancengleichheit, Funktionennachfolge, Vorbereitungen Die Schwierigkeit der Personalzusammenführung ergibt sich jedoch nicht für alle Beschäftigten der Länder Berlin und Brandenburg beziehungsweise eines gemeinsamen Landes. Der größte Anteil der Beschäftigten bekleidet Funktionen, die keiner Zusammenführung bedürfen 559. Der Zusammenführung bedürfen diejenigen Beschäftigten, deren Aufgabenerfüllung bislang in beiden Ländern jeweils separat erforderlich war und nun institutionell zusammengelegt wird: diese Konstellation findet sich besonders auf politischer Ebene, nach Art. 431 S. 1 NV namentlich bei den obersten Landesbehörden (mit Ausnahme der Minister und Staatssekretäre), den Landesoberbehörden, den landesweit tätigen Landeseinrichtungen sowie den mit der Bildung des Landes zusammengeführten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes. Der Bereich der erforderlichen Zusammenlegungen beschränkt sich damit auf die Landesebene. Nur dort finden „Behördenfusionen" statt. Die Personalzusammenführung erfolgt in ihrer Erstbesetzung gemäß Art. 431 S. 1 NV nach dem nach Art.41Π S. 1 Nr. 1 NV ausgearbeiteten Stellenplan. Die Neubesetzung dieser fusionierten Verwaltungseinheiten ruft gleich zweifach das Postulat der Chancengleichheit beziehungsweise der Gleichberechtigung auf: Einmal sind beide Länder angemessen bei der Stellenvergabe zu berücksichtigen. Zum anderen gilt es, für die konkrete Stellenvergabe das Gebot der Chancengleichheit für den einzelnen zu beachten. Die gleichwertige Repräsentation beider Länder löst der Neugliederungs-Vertrag durch eine Quotenregelung: Bei der Erstbesetzung stehen den bisherigen Ländern die Stellen und Arbeitsgebiete gemäß Art.431S. 2 NV entsprechend dem Verhältnis der Bevölkerungszahlen am Ende des dritten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes zu. Auf diese Weise werden Berlin und Brandenburg nach ihrer Einwohnerzahl in den jeweiligen Landesverwaltungen repräsentiert. Dabei stellt Art. 431 S. 2 NV auch innerhalb der einzelnen Landes Verwaltungen auf allen Funktionsebenen und in allen Besoldungsgruppen die entsprechende Durchmischung von Bediensteten aus beiden Ländern sicher, denn die Quotierung bezieht sich sowohl auf die , Anzahl", als auch auf die „Funktion und Bewertung** der jeweiligen Stellen und Arbeitsgebiete. dung zu Art. 43 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 17. In der aUgemeinen Begründung zu Kapitel VII. - Personal - findet sich ebenfalls der Hinweis auf die für Beamte maßgeblichen Bestimmungen für die Umbildung von Körperschaften gemäß §§ 128-133 BRRG, auf die für das Arbeitsrecht maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen sowie darauf, daß das Tarifrecht unberührt bleibt, vgl. Einzelbegründung zu Art. 40 NV, ebda, S. 16. 559 Als Beispiele sind etwa Lehrer, Sachbearbeiter insbesondere auf Kommunalebene etc. zu nennen. Von den im Jahre 1999 noch prognostizierten etwa 180.000 Beschäftigten in einem gemeinsamen Land betrifft die Personalzusammenführung i. e. S. nach Hartmann, V./Herten/ Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 156, lediglich „etwa 14.000 (Landes-)Beschäftigte in Berlin und ungefähr 16.000 in Brandenburg", d.h. rd. „17 v. H. des Personals, das in den Dienst des gemeinsamen Landes übernommen wird/ 4
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Zugleich konkretisiert die Erstbesetzung der Stellen den in Art. 40 II NV zeitlich auch darüber hinaus geltenden Grundsatz, daß in der Landesverwaltung des gemeinsamen Landes Beschäftigte aus den vormaligen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden sind. Dieser Grundsatz an sich hat wenig Außerordentliches. Erfindet sein Vorbild in Art. 361 S. 1 GG sowie in Art. 91 VerfBW 560, die ähnliche Situationen regeln, und bedarf keiner weiteren rechtlichen Auseinandersetzung.
Schwierigkeiten können indessen auftreten mit Blick auf den zweiten Aspekt der Chancengleichheit: Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte 561 . Dieses Prinzip hat Verfassungsrang, Art. 33 Π GG. Bei der Fusion der Länder Berlin und Brandenburg sollten jedoch Bedienstete, die aufgrund ihrer teilweise unterschiedlichen Ausbildung in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR nicht ohne weiteres als fachlich gleich angesehen werden konnten, in gemeinsame Verwaltungen zusammengeführt werden. Die Quotenregelung könnte dazu führen, daß, um sie zu erfüllen, ein Land seinen Stellenanteil mit minder qualifizierten Bediensteten besetzen müßte. Diese „Quotenbediensteten" würden durch die Quote privilegiert werden und unterlägen nicht in der gleichen Weise wie ihre Konkurrenten den Voraussetzungen der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung. Dementsprechend stand insbesondere in Brandenburg mit seinem gegenüber Berlin vergleichsweise hohen Anteil an Bediensteten aus der ehemaligen DDR die Befürchtung im Raum, als solcher nicht von einem gemeinsamen Land übernommen zu werden562. Dieses Dilemma - Erfordernis der gleichen fachlichen Qualifikation und unterschiedliche Ausbildung - löst der Neugliederungs-Vertrag geschickt mit einer Selbstverständlichkeit: auf der einen Seite postuliert Art. 43 III S. 1 NV ausdrücklich: „Die Chancengleichheit aller Bediensteten in den zusammenzuführenden Verwaltungen ist zu gewährleisten." Diese Feststellung hat wegen der in Art. 33 I I GG garantierten Chancengleichheit klarstellende Funktion. Auf der anderen Seite ermöglicht Art. 43 III NV i. V. m. Protokollnotiz Nr. 10 den betroffenen Verwaltungsbereichen, bis zu der Bildung des gemeinsamen Landes eine hinreichende Anzahl von Beschäftigten in erforderlicher Weise aus- und fortzubilden und mit konkurrenzfähigen Abschlüssen zu versehen, denn nach Art.43 III S. 2 werden die bis zu der Bildung des gemeinsamen Landes erworbenen und anerkannten Qualifikationen und Abschlüsse anerkannt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Qualifikationsanerkennung ist nicht der Vertragsabschluß, zu dem teilweise noch erhebliche Qualifikationsunterschiede zu bemerken waren. Die Qualifikationsanerkennung bezieht sich allein auf den Zeitpunkt der Bewerbung, der Bildung des gemeinsamen Landes und seiner Verwaltung. Bis dahin gibt die 560
Art. 91 VerfBW: „Bei den Ministerien und sonstigen obersten Landesbehörden sollen Beamte aus den bisherigen Ländern in angemessenem Verhältnis verwendet werden." S.a. Einzelbegriindung zu Art.40 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 16. 561 Zu dieser Spezialregelung zum allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 31 GG mit Betonung auf dem Leistungsprinzip siehe nur Kunig, in: v.Münch/ders., GG-K, Art. 33 Rn. 14; ferner Maunz, in: MDHS, GG-K, Art.33 Rn. 19f. 562 Vgl. auch Hartmann, U./Herten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 155.
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Protokollnotiz Nr. 10 zu Art. 43 Π Ι N V den betroffenen Beschäftigten die zeitliche Möglichkeit, sich in den bisherigen Ländern zu bewähren und die Bewährung als Qualifikation in dem gemeinsamen Land vorlegen zu können 563 : Diese Qualifikationsbestätigung gilt - selbstverständlicherweise - in dem gemeinsamen Land fort und kann bei der Zusammenführung der Verwaltung geltend gemacht werden. Die Wahrung der Chancengleichheit ist gesichert. Das Verfahren vermag sicherzustellen, „daß es bei der anteiligen Erstbesetzung nicht allein auf die Ist-Bewertung der bisherigen Amtsinhaber, sondern auf alle aufgeführten Kriterien ankommt" 564 , die Art. 431S. 2 N V zusammenfassend nennt. Neben der Problematik der Chancengleichheit stellt sich für die Berliner Beschäftigten zusätzlich die Frage, auf welcher Ebene - Land oder Kommune - sie im gemeinsamen Land weiterbeschäftigt werden565. Wie bei der Verteilung der Einnahmen und Ausgaben im Rahmen des Ausgleichsprinzipes geht der Neugliederungs-Vertrag auch hier naheliegender Weise von dem Prinzip der Funktionennachfolge aus: Nehmen die Beschäftigten Landesaufgaben war, werden sie von der Landesebene übernommen, Art. 421 NV. Sind sie im Bereich der Kommunalverwaltung tätig, übernimmt sie gemäß Art.42II S. 1 NV die Stadt Berlin. Um mit Blick auf die genannten Aufgabenfelder auch im personellen Bereich einen reibungslosen Übergang für das gemeinsame Land zu erreichen, beginnen die Vorbereitungen für die Personalzusammenführung bereits in der Übergangszeit. Nach Art. 411 S. 1 NV gewährleistet die Vereinigungskommission für die allgemeine Verwaltung durch ihre Koordination die Verwirklichung der personalpolitischen Ziele nach Art. 40 NV und die personalpolitische Abstimmung und Zusammenarbeit566. Hierfür geht sie bei der Personalzusammenführung gemäß 563 S. a. die brandenburgische Verordnung über die Bewährungsanforderungen für die Einstellung von Bewerbern aus dem Beitrittsgebiet in ein Beamtenverhältnis (Bewährungsanforderungsverordnung) v. 20.8.1991 (GVB1. S.378). 564 Vgl. Einzelbegründung zu Art.43 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 17. 565 Davon unabhängig ist die Frage nach der Ebene, die jeweils dem einzelnen Bediensteten gegenüber unmittelbar leistungsverpflichtet ist, siehe hierzu oben 2. Kapitel D.II.4. 566 Sonderregelungen bestehen nach Art. 451ΝV für die Verwaltung des Abgeordnetenhauses von Berlin, die Verwaltung des Landtages Brandenburg sowie den Rechnungshof von Berlin und den Landesrechnungshof Brandenburg. Abweichend von Art. 40-44 NV erstellen die Präsidenten der beiden Landesparlamente und die Präsidenten der beiden Rechnungshöfe jeweils einen gemeinsamen Entwurf des ersten Stellenplanes für ihre Verwaltung einschließlich Organisationsstruktur und leiten ihn der Vereinigungskommission zu, Art. 45 II S. 1 NV. Diese leitet die Entwürfe dem Vereinigungsausschuß nach Art.45 II S. 2 NV zusammen mit dem Stellenplanentwurf nach Art. 41 II S. 1 Nr. 1 NV zu. Sie hat nach Art. 45 II S. 2 2. HS ΝV die Möglichkeit der Stellungnahme. Bei der Zuordnung der Beschäftigten nach Art.42I-III NV sind zudem nach Art. 45 III NV die Erfordernisse für die künftige Stadtverordnetenversammlung und eine Rechnungsprüfungsinstitution der Stadt Berlin zu berücksichtigen. Mit diesen Maßgaben wird der von der allgemeinen Verwaltung abweichende verfassungsrechtliche Stellung der Parlamente und Rechnungshöfe Rechnung getragen. Darüber hinaus weisen sie jedoch keine atypischen Bestimmungen auf. Die Ausgestaltung der Stellung des Datenschutzbeauftragten bleibt als Landesaufgabe dem gemeinsamen Land vorbehalten. Da der Brandenburger Datenschutzbeauftragte beim Präsidenten des Landtages Brandenburg eingerichtet ist, ist er von Art. 45 NV erfaßt. Für Berlin ist die besondere Stellung des Datenschutzbeauftragten als eine oberste Landesbehörde bei der Vorbereitung des Stellenplanes und der damit verbundenen Organisationsstruktur für das ge-
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg den ausführlichen Bestimmungen des Art. 41 II NV vor und stellt zunächst gemäß Art. 41 III NV unter Beteiligung der Ressorts beider Länder verbindlich fest, welche Stellen und Aufgabengebiete der bisherigen Länder dem gemeinsamen Land zugewiesen werden. Diese neuerliche Feststellung der Verteilung von Aufgabengebieten irritiert mit Blick auf Art. 291 NV, wonach beide Länder bis Mitte 1997 die Aufgabenverteilung zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin festlegen. Im Zusammenspiel besagen beide Normen, daß zunächst verbindlich die Aufgabenverteilung zwischen der Stadt Berlin und dem gemeinsamen Land durchgeführt wird, die für das weitere Vorgehen des Ausgleichsprinzipes benötigt wird. Insoweit deklariert die Vereinigungskommission die Aufgabenverteilung erneut im Rahmen der Personalzusammenführung. Entsprechend stellt sie für Brandenburg die dort vollständig auf Landesebene verbleibenden Funktionen fest 567. Die Feststellung der Vereinigungskommission, „welche Stellen und Aufgabengebiete der bisherigen Länder dem gemeinsamen Land zugewiesen werden" hat insoweit eine für den personellen Bereich bindende deklaratorische Bedeutung, da die Stellen den bereits verteilten Aufgabengebieten folgen 568. Diese nach Art. 291 NV unterfinanziellen Aspekten erfolgte Aufgabenverteilung konkretisiert die Vereinigungskommission nun für den personalrechtlichen Bereich und weist die einzelnen Planstellen zu. Die konkrete Vornahme der genauen Aufgaben- und Stellenverteilung erst in der Übergangszeit durch die Vereinigungskommission steht vor dem Hintergrund, die Vertragsverhandlungen nicht unnötig durch Detailregelungen in die Länge zu ziehen. Femer sollte der „nach einer endgültigen Fusionsentscheidung bestehende[n] Einigungszwang zur Lösung auftretender Konflikte" genutzt werden569. Wesentliche Bedeutung erlangt die Vereinigungskommission daher dadurch, daß sie - wie bei der Feststellung der Verteilung von Aufgabengebieten und Stellen - unter Beteiligung der Ressorts für beide Länder über die Erstbesetzung der Landesverwaltung des gemeinsamen Landes entscheidet, Art. 41 III NV 5 7 0 .
meinsame Land entsprechend den Bestimmungen der LHO-Berlin zu gewährleisten, s. a. Einzelbegriindung zu Art.45 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 17.). 567 Diese Feststellung macht letztlich nur für die Konstellation Sinn, daß die Stadt Berlin Aufgaben behält, die in Brandenburg bisher der Landesebene zugeordnet waren. Denn im übrigen ist für Brandenburg ohnehin klar, daß die Landesaufgaben auf das gemeinsame Land und nicht auf die Kommunen übergehen. Aber auch diese Konstellation erscheint ausgeschlossen mit Blick auf Art. 36 NV, wonach Vermögen und Verbindlichkeiten des Landes Brandenburg auf das gemeinsame Land übeigehen. Sonst hätte auch hier nach dem Prinzip der Funktionennachfolge verfahren werden müssen. 568 Indes kann die Vereinigungskommission nach Art. 42 III NV von der Zuordnung nach Art. 421, II NV abweichen, wenn dies erforderlich wird, um die Arbeitsfähigkeit des gemeinsamen Landes und der Stadt Berlin zu sichern, s. a. Einzelbegriindung zu Ait. 42 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.16. 569 Hartmann, VJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 151. 570 Um Zeit und Aufwand bei der personalpolitischen Abstimmung zu sparen, werden in der Vereinigungskommission - VK - die erforderlichen Zustimmungen in der Übergangszeit vorwegnehmend vor die Klammer gezogen. Im einzelnen arbeitet die VK wie folgt: Nach Art. 41 II S. 1 Nr. 1 NV hat sie bis Mitte des Jahres vor dem Jahr des Zusammenschlusses den Entwurf des ersten Stellenplanes nebst Organisationsstruktur festzulegen. Der Entwurf bedarf gemäß Art. 7 II S. 2 Nr. 3 NV der Zustimmung des Vereinigungsausschusses (insoweit klarstellend) und ist der vorläufigen Haushaltsführung zugrunde zu legen; er bildet nach Art. 431 S. 1 NV die Grundlage der Personalzusammenführung und bereitet die Entscheidung der VK gemäß Art. 41 III NV vor.
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I V . N e u o r d n u n g der V e r w a l t u n g : effektiv u n d bürgernahe? Die Errichtung eines strukturell leistungsfähigen gemeinsamen Landes i. S. d. Art. 2 9 1 G G hätte unter dem Aspekt der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit jedoch nicht nur die Errichtung einer auf sozialem Wege „schlankeren" 571 , sondern auch einer effizienten Verwaltung erfordert 572 . M i t Blick auf die neben der sparsamen Verwaltung in der Präambel N V niedergelegten Ziele der effektiven und bürgernahen Verwaltung legt der Neugliederungs-Vertrag die Grundsätze der Landesverwaltung und der kommunalen Selbstverwaltung fest. Art. 18 N V faßt Absatz 11 der Präambel dahin zusammen, daß die öffentlichen Aufgaben möglichst bürger- und ortsnah durchzuführen sind. Ausgangspunkt für die Erfüllung dieser Zielvorgaben ist das Prinzip der Dezentralisierung sowie das Subsidiaritätsprinzip: „Öffentliche Aufgaben sollen weitestgehend dezentral und bürgernah auf der Ebene der kommunalen Selbstverwaltung wahrgenommen werden." 573 In seiner ursprünglichen Bedeutung weist das Subsidiaritätsprinzip die entsprechende Zuständigkeit im Zweifel der jeweils unteren Instanz zu, d. h. der Kommunalebene. Erst wenn die untere Ebene zu der Aufgabenerfüllung nicht mehr imstande ist, geht sie an eine höhere Ebene 574 . Von übergeordneten Ebenen hingegen wird das Subsidiaritätsprinzip bisweilen dahin ausgelegt, daß sie schon dann eine Aufgabe wahrnehWeiter legt die VK gemäß Art. 41 II S. 1 Nr. 2 S. 1 NV innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten des Neugliederungs-Vertrages die Beschäftigungsgruppen, Stellung und Arbeitsgebiete fest, bei denen die Entscheidung über Einstellung, Ernennung und Versetzung in das andere Land der Zustimmung des jeweils anderen Landes bedarf. Sofem die VK keine Einigung erzielt, bedarf nach Art. 41 II S. 1 Nr. 2 S. 2 NV jegliche Entscheidung über personalwirksame Maßnahmen der Zustimmung des anderen Landes. Zur Entlastung kann die VK gemäß Art. 41IV NV einer Personalkommission Aufgaben und Befugnisse übertragen: Gemäß Art. 441 NV bilden die Regierungen beider Länder eine gemeinsame Personalkommission, die aus jeweils einem Vertreter der Kanzleien, der Innen- und der Finanzressorts besteht. Sie bereitet die Entscheidungen der VK oder des von dieser eingesetzten Ausschusses im Personalbereich vor und entscheidet in den ihr übertragenen Gebieten selbst. Wie die VK, beschließt die Personalkommission einstimmig, Art. 44 II S. 1 NV, wobei beide Länder ihre Stimmen jeweils einheitlich abgeben, Satz 2. Bei Nichteinigung der Personalkommission entscheidet die VK oder der von ihr eingesetzte Ausschuß, Art. 44 II S. 3 NV. Die Entscheidungen der Personalkommission sind entsprechend ihrem aufwendigen Abstimmungsmodus verbindlich, Satz 4. Sie besteht nach Satz 5 solange wie die VK, also bis zum Amtsantritt des ersten gemeinsamen Ministerpräsidenten. Die Übernahme von Beschäftigungsgruppen in das Beamtenverhältnis bedarf nach Art. 41 II S. 2 NV davon unabhängig bis zur Bildung des gemeinsamen Landes der Zustimmung der VK. Von der VK gemäß Art. 6IV S. 1 NV gebildete Ausschüsse besitzen keine Delegationsbefugnis, s.a. Einzelbegründung zu Art.41 NV, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S. 16. Das ergibt sich aus der Gewichtung der Materie, über die Entscheidungen nur unmittelbar durch die VK einstimmig gefällt werden, es sei denn, sie selbst delegiert einen Punkt zur Ausarbeitung. 571 Siehe oben 2. Kapitel D.III.; 1. Kapitel B.II. 1. 572 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.l. 573 Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 18. 574 Vgl. nur Schmidt-Jortzig/Schink, Subsidiaritätsprinzip und Kommunalordnung, 1982, S.5f.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
men sollen, wenn sie sie besser als die Kommunalebene erfüllen könnten. Hierfür spricht zwar eine potentiell wirksamere Vorgehensweise bei überregionalen Problemen. Allerdings ermöglicht das Subsidiaritätsprinzip nur in seiner originären Begriffsbestimmung, „die kommunale Selbstverwaltung zu stärken", wie es die Präambel des Neugliederungs-Vertrages in Absatz 11 einfordert, sowie eine größere Bürgernähe. Dies ist auch die von den Vertragsparteien zugrundegelegte Bedeutung des Subsidiaritätsprinzipes. Vor diesem Hintergrund steht der Verwaltungsaufbau des gemeinsamen Landes. 1. Zweistufiger Verwaltungsaufbau des Landes, Art. 19 N V Von diesen Grundsätzen ausgehend, verordnet Art. 191 S. 1 NV dem gemeinsamen Land einen zweistufigen Verwaltungsaufbau 575. Die Ebene des Regierungspräsidenten576 wird aus Gründen der Kostenersparnis577 nicht eingeführt, was dem Aufbau des Landes Brandenburg entspricht578. Die Landesaufgaben werden nach Art. 19 Π NV nur auf der Ebene der obersten und oberen Landesbehörden und sonst ortsbezogen von den Landräten und Oberbürgermeistern als allgemeine untere Landesbehörden wahrgenommen. Diese Lösung billigt den Gemeinden tendenziell eine umfangreichere Aufgabenwahrnehmung als ein dreistufiger Verwaltungsaufbau zu. Das Subsidiaritätsprinzip wird zusätzlich zu der Zweistufigkeit dadurch verankert, daß in der Regel die den obersten Landesbehörden nachgeordneten Behörden und sonstigen Landeseinrichtungen keine Aufsichtsbefugnisse gegenüber den unteren Landesbehörden - Landräte und Oberbürgermeister - haben, Art. 191 S. 2 NV 5 7 9 . Ferner werden besondere untere Landesbehörden nur dann gebildet, wenn Aufga575 Zur Entstehung des zweistufigen Verwaltungsaufbaues sowie mit Anregungen einer solchen Verwaltungsstruktur in einem Land Berlin-Brandenburg siehe Ellwein, Konstruktionsalternativen für die Verwaltung des Landes Berlin-Brandenburg, in: Werner Jann (Hrsg.), Berlin-Brandenburg, 1997, S.27 (30ff.). 576 Siehe hierzu Wagener, Die Regierungsbezirke im Gesamtaufbau der Verwaltung, in: VwArch. 73(1982), S. 153 ff. 577 Vgl. auch Hartmann, U./Herten!Schroeder, Land in Sicht, 1996, S. 148. 578 In diesem Sinne auch Stolpe (MinPräs. Bbg), Das neue Bundesland als Chance für aktive und bürgernahe Politik, in: Werner Jann (Hrsg.), Berlin-Brandenburg, 1997, S. 13 f.: „Man entschied sich in Brandenburg für ein zweistufiges Verwaltungssystem [...][unter anderem], weil es für ein Land mit 2,5 Mio Einwohnern aus Gründen der Wirtschaftlichkeit - wie unter Effektivitätsgesichtspunkten - sinnvoller ist, auf die Mittelinstanz zu verzichten." - Zum Verwaltungsaufbau im Land Brandenburg s. a. Jann, Kommunal- und Funktionalreform in Brandenburg: Lehren für das neue Bundesland Berlin-Brandenburg?, ebda, S. 53 ff. 579 Hierüber herrschte schon früh Einigkeit. Die Regelung entspricht sowohl den Berliner Interessen als auch denen der brandenburger Kommunen. Bereits die Gemeinsame Regierungskommission stellte fest, daß sich der Landesgesetzgeber „entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip [...] weitgehend" zurückhält; „die Ausgestaltung von Aufgaben zu Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung soll nur zur Gewährleistung einheitlicher Lebensverhältnisse erfolgen; der Weisungsgehalt soll das für die Aufgabenwahrnehmung Unerläßliche nicht überschreiten", Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 18 f.
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ben den Kreisen und kreisfreien Städten nicht übertragen werden können. Art. 19 II S. 3 NV bestimmt, daß die örtliche Zuständigkeit dieser zusätzlichen Behörden grundsätzlich der der allgemeinen Kommunalstrukturen angepaßt wird, um zwecks Leistungseffizienz den Grundsatz der Einräumigkeit der Verwaltung580 einzuhalten. Der Ansatzpunkt für die Verwirklichung einer bürgernahen und effizienten Verwaltung auf Landesebene ist insoweit gegeben, als er schon im Lande Brandenburg vorliegt. Eine spürbare Veränderung wird sowohl verwaltungsintern als auch gegenüber dem Bürger überwiegend der - ohnehin notwendige - festgeschriebene Personalabbau mit sich bringen. Dieser, weniger die neugliederungsspezifischen Strukturänderungen der Verwaltung werden in erster Linie grundlegende Anpassungen der Verwaltungsorganisation erzwingen. 2. Struktur der Kommunalverwaltung, Art. 20-23 N V Dies gilt im wesentlichen auch für die kommunalrechtlichen Strukturen des gemeinsamen Landes. Bereits in der Übergangszeit schaffen die Länder Berlin und Brandenburg nach Art. 521 S. 3 Nr. 6 NV ein einheitliches Kommunalrecht581. Aufgrund eines solchen Vorgehens steht zu erwarten, daß sich das neue Kommunalrecht bezüglich der Gemeindeordnung im wesentlichen aus der Gemeindeordnung des Landes Brandenburg582 sowie den kommunalrechtsspezifischen Besonderheiten des Landes Berlin 583 zusammensetzen wird. Denn grundsätzlich werden beide Länder auch in diesem Bereich bestrebt sein, ihre bisherigen Strukturen möglichst auf das gemeinsame Land zu übertragen und den status quo auf kommunalrechtlicher Ebene zu wahren. Die kommunalrechtsspezifischen Bestimmungen des Neugliederungs-Vertrages sind daher vorrangig politischer Natur und erfüllen den Zweck, sowohl den Ressentiments der brandenburgischen Gemeinden gegenüber der Neugliederung entgegenzuwirken als auch den Interessen der zukünftigen Kommune Berlin gerecht zu werden. Für die Betroffenen soll sichergestellt sein, daß sie in dem gemeinsamen Land durch die Neugliederung keine wesentlichen kommunalverfassungsrechtlichen Veränderung erfahren. Die rechtliche Bedeutung der Vertragsbestimmungen kommt den Vertragsbestimmungen erst im Zusammenspiel mit Art. 81S. 2 NV zu, wonach auch die Vorschriften des Neugliederungs- Vertrages der Verfassung des gemeinsamen Landes zugrunde zu legen sind. Zwar gilt dies ebenfalls bereits für die der Brandenburger Gemeindeordnung zugrunde liegenden Verfassung des Landes Brandenburg sowie für die den Berliner Kommunalstrukturen zugrunde liegende Verfassung von Berlin. Je580
Vgl. Einzelbegründung zu Art. 19, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 8. Zur Rechtsvereinheitlichung und -Überleitung s.a. oben 2. Kapitel C.III.6. 582 Zum Kommunalaufbau nach der Gemeindeordnung Brandenburg siehe Nierhaus, Die Gemeindeordnung des Landes Brandenburg, in: LKV 1995, S.5ff. 583 Vgl. hierzu etwa Schmidt-Eichstaedt/Stade/Borchmann, Die Gemeindeordnungen und Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Abschnitt Berlin S. 1 f. 581
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg doch stellen die im Neugliederungs-Vertrag aufgeführten Punkte klar, welche Aspekte bei der Erarbeitung der Verfassung des gemeinsamen Landes, respektive der Erarbeitung seiner Kommunalstrukturen besondere Beachtung erfordern. Dieser Wesensgehalt wird in Verbindung mit Art. 58 NV, der die einzelnen Vertragsregelungen unterschiedlichen zeitlichen Versteinerungen unterwirft, noch gesteigert: Sie erlangen die Funktion, die geregelten Materien dementsprechend festzuschreiben beziehungsweise Änderungen gegenüber dem einfachen Gesetzgebungsverfahren zu erschweren 584. Da die kommunalen Strukturen zweier Länder zu sichern sind, gehen die Bestimmungen des Neugliederungs-Vertrages zur kommunalen Selbstverwaltung in ihrem Umfang insgesamt über das übliche verfassungsrechtliche Maß hinaus585. Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung als Grundsatz betonend, wiederholt Art. 201 NV den Inhalt des Art. 28 II GG 586 . Dieser Regelung kommt im Rahmen des Neugliederungs-Vertrages klarstellende Wirkung zu. Ausfluß des Art. 28 II GG ist es, daß auch die Länderverfassungen den Gemeinden das Recht auf Selbstverwaltung garantieren 587. Erne entsprechende Bestimmung wird sich in der Verfassung des gemeinsamen Landesfinden. Diese grundlegenden Feststellungen hätten nicht rechtsnotwendig in den Neugliederungs-Vertrag aufgenommen werden müssen. Sie erklären sich vor der Bedeutung des Vertragswerkes als Neugliederungsrahmen, der die - aus Sicht der jeweiligen Interessenvertreter - festschreibungsbedürftigen Strukturen des gemeinsamen Landes enthält. Die Regelung der darüber hinausgehenden kommunalrechtlichen Strukturmeikmale geht auf den hohen Stellenwert zurück, den ihnen die brandenburgischen Kommunen beigemessen haben. Dementsprechend wiederholt Art. 20 II, III NV allgemeine Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung, die bereits in der Brandenburgischen Verfassung und/oder der Gemeindeordnung Brandenburgs anzutreffen sind: Sofern das Land den Gemeinden oder Gemeindeverbänden Aufgabenverpflichtungen auferlegt, hat es die Kosten nach Maßgabe des Art. 20 II NV selbst zu tragen. Diese Regelung entspricht Art. 97 II S. 1 BbgVerf. i. V. m. § 4 GO-Bbg. Die Bestimmung soll mit Blick auf die gesonderten Finanzregelungen zwischen dem gemeinsamen Land und der Stadt Berlin vor allem dem Schutz der anderen brandenburgischen Gemeinden und Gemeindeverbände dienen588, findet sich aber alsfinanzverfassungsrechtliches Konnexitätsprinzip so oder in ähnlicher Weise auch in den Gemeindeordnungen der übrigen Bundesländer, entspricht also in der Sache der gängigen Praxis589. Sofem das gemeinsame Land Angelegenheiten der Gemeinden und Gemeindeverbände von grundlegender Bedeutung regelt, hat es zuvor gemäß Art. 20 III NV die kommunalen Spitzen584
Zur Versteinerung nach § 58 NV s. a. oben 2. Kapitel C. III. 7. Vgl. Art. 71-75 BWVerf.; Art. 11 BayVerf.; Art. 97-100 BbgVerf.; Art. 137, 138 HessVerf.; Art. 72-75 MVVerf.; Art. 57-59 NdsVerf.; Art. 78, 79 NWVerf.; Art. 49, 50 RPVerf.; Art. 117-123 SaarlVerf.; Art. 82-90 SächsVerf.; Art. 87-90 SachsAnhVerf.; Art. 46-49 S H Verf.; Art. 91-95 ThVerf. 586 Bezüglich derfinanzrechtlichen Vorschriften siehe oben 2. Kapitel D. II. 2. 587 S. a. Schmidt-Jortzig/Makswit, Handbuch des kommunalen Finanz- und Haushaltsrechts, 1991, S. 1 Rn. 1. 588 Einzelbegriindung zu Art.20, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.8. 589 Vgl. nur Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 162ff. 585
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verbände590 rechtzeitig anzuhören. Diese sind also nicht nur dann anzuhören, wenn durch Gesetz oder Rechtsverordnung, sondern auch, wenn in anderer Form - etwa Verwaltungsvorschriften, Richtlinien, Erlasse - grundsätzliche kommunale Angelegenheiten geregelt werden591. Auch hierfindet sich mit Art. 97IV BbgVerf. ein verfassungsrechtliches Pendant. Die Berliner Interessen - soweit sie im wesentlichen Allgemeingültigkeit für das gemeinsame Land in Anspruch nehmen können - finden sich in Art. 21 NV. Dieser befaßt sich speziell mit der kommunalen Gliederung kreisfreier Städte in Stadtbezirke. Kreisfreie Städte können sich gemäß Art. 211 S. 1 NV bei ausreichender Größe in rechtlich unselbständige Stadtbezirke gliedern592. Hierdurch besteht neben Berlin, dessen Status als in Bezirke eingeteilte Einheitsgemeinde Art. 211 S. 2 NV festschreibt 593, auch für andere Städte die Möglichkeit, durch Dezentralisierung eine Verwaltung mit gesteigerter Effizienz und Bürgemähe zu schaffen 594. Denn nach Art. 21 II NV übernimmt die Stadt nur die Aufgaben, die von gesamtstädtischer Bedeutung sind, oder die wegen ihrer Eigenart zwingend einer einheitlichen Durchführung bedürfen, in Berlin auch die mit der Funktion als Bundeshauptstadt verbundenen Aufgaben. Im übrigen sieht Art. 21 II S. 2 NV vor, daß die verbleibenden Verwaltungsaufgaben durch die Stadtbezirke wahrgenommen werden. Eine Übertragung von städtischen Aufgaben auf einzelne oder alle Bezirke ist möglich. Diese grundsätzliche Aufgabenverteilung ist - den hauptsächlich mit der Regelung vertretenen Interessen entsprechend - Art. 67 VvB entlehnt. Die Regelung der Einzelheiten der Aufgabenverteilung und der Organisation 590 Kommunale Spitzenverbände sind der Deutsche Städtetag, der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund, die sich in der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zusammengeschlossen haben. Ihre Aufgabe ist insbesondere der Erfahrungsaustausch über kommunale Probleme, die Beratung staatlicher, insbesondere kommunaler Stellen, die Vertretung kommunaler Interessen gegenüber Regierung und Parlament sowie die Förderung des Verwaltungsrechtes und der Verwaltungstätigkeit. 591 Vgl. Einzelbegründung zu Art.20, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.8. 592 Durch diesen Punkte jedoch könnten die Gemeinden Brandenburgs eine Einschränkung erfahren: nach §§21,541 GO-Bbg ist es sowohl den kreisangehörigen als auch den kreisfreien Städten möglich, Ortsteile zu bilden (vgl. Jahn, in: Potsdamer Kommentar, § 54 Nr. 5 [S. 276 Fn. 496]). Maßgebliches Kriterium ist nicht die Kreisangehörigkeit sondern - sofern sich Gemeinden nicht zusammenschließen - die Amtszugehörigkeit. Nach Art. 211 S. 1 NV indes können sich „kreisfreie Städte [...] bei ausreichender Größe in rechtlich unselbständige Stadtbezirke gliedern." Wird dieser zunächst offenen Formulierung eine abschließende Bedeutung beigemessen, hätte dies für die auf brandenburgischem Gebiet liegenden Städte, die zwar amtsfrei, jedoch kreiszugehörig sind, zur Folge, daß sie eine Ortsteilbildung nicht mehr vornehmen könnten. Mit einem den gesamten Art. 21 NV umfassenden Blick greift diese Auslegung indes zu kurz: So wie Art. 20 NV auf die Empfindlichkeiten der brandenburger Gemeinden zurückzuführen ist, befaßt sich Art. 21 NV in erster Linie mit den im Neugliederungs-Vertrag festzuschreibenden Eigenheiten der Stadt Berlin und übernimmt kommunalrechtsspezifische Regelungen des Landes Berlin, die auf die Stadt Berlin übertragen werden sollen. Es geht um Interessenwahrung seitens Berlin. Art. 211 S. 1 NV schließt daher nach seinem Sinn nicht aus, daß auch die kreisangehörigen Städte auf brandenburgischem Gebiet in einem gemeinsamen Land weiterhin nach §§21,541 GO-Bbg Ortschaften bilden. Die tatsächliche Ausgestaltung dieses Punktes indes bleibt den Auseinandersetzungen im Rahmen der Rechtsvereinheitlichung vorbehalten. 593 Zum Aufbau Berlins als Land und als Kommune vgl. Schmidt-Eichstaedt/Stade/Bochmann, Die Gemeindeordnungen und Kreisordnungen in der Bundesrepublik Deutschland, 1995, Abschnitt Berlin S. 1 f. 594 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 18 f.
. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
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der Stadtbezirke bleibt nach Art. 21 II S. 5 NV der kommunalen Eigenregelung durch Hauptsatzung überlassen. Ein weiterer Ausfluß des Dezentralisierungsgedankens ist Art. 21 III NV. Er ermächtigt die Stadtbezirke in ihren eigenen Angelegenheiten mit den Gemeinden und Gemeindeverbänden Verträge abzuschließen595. Das war bisher aufgrund des Fehlens einer solchen Ermächtigung in beiden Ländern nicht möglich. Die Regelung kann die Zusammenarbeit zwischen der Kommune Berlin und den Umlandgemeinden, unbesehen der durch die Neugliederung selbst eintretenden Synergieeffekte, deutlich verbessern596. Sie ermöglicht im Sinne des Subsidiaritätsprinzipes, unmittelbar dort die Probleme zu bewältigen, wo sie anfallen. Es sind nicht erst schwerfälligere höhere Ebenen einzuschalten. 3. Besonderheiten der Einheitsgemeinde Stadt Berlin Neben diesen überwiegend allgemein gehaltenen Bestimmungen beinhaltet der Neugliederungs-Vertrag kommunalstrukturspezifische Sondervorschriften für die Stadt Berlin. Wegen des Wegfalles der Landesebene hatte das Land Berlin ein außerordentliches Interesse, seine verbleibende Eigenständigkeit sowie den status quo auf der Kommunalebene möglichst umfassend zu gestalten und in dem Neugliederungs-Vertrag rechtlich abzusichern: Als für die Stadt Berlin wichtigste Bestimmung garantiert ihr Art. 211 S. 2 N V die fortdauernde Struktur als in rechtlich unselbständige Bezirke gegliederte Einheitsgemeinde 591. Diese Struktur Berlins genießt die „Ewigkeitsgarantie" der Versteinerungsklausel gemäß Art. 58 Π S. 1 N V 5 9 8 . Die Grundstruktur Berlins als Einheitsgemeinde verankert der Neugliederungs-Vertrag zusätzlich dadurch, daß Art. 211 S. 3 NV den Art. 66 II VvB 5 9 9 wiederholt, wonach die Bezirke - nach den Grundsätzen der Dezentralisation und der Subsidiarität - an der Verwaltung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung zu beteiligen sind. Das heißt, daß ihnen nicht im Sinne des Art. 28 II GG eigene Selbstverwaltungskompetenz gewährleistet wird, sondern daß sie eben nur an der Selbstverwaltung der Gemeinde Berlin „zu beteiligen" sind600. Die mehrfache Affimierung derselben Materie 601 zeigt die Vorbehalte auf Berliner Seite, kommunale Autonomie an das Land abgeben und hergebrachte Strukturen verlieren zu müssen. Ausfluß der Ressenti-
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Allerdings sind Vertragsabschlüsse durch die Bezirke wegen ihres Status als unselbständige Verwaltungseinheiten nur im Namen der Gesamtstadt möglich, Art. 21 III NV. 596 Einzelbegriindung zu Art. 21, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 8. 597 Zum Berliner Verwaltungsaufbau s. a. Drügemöller; Die Verwaltungsstruktur Berlins, in: LKV 1995, 393 (394f.). 598 Änderungen, die den Wesensgehalt des Art. 23 ΝV antasten, sind gemäß Art. 58 II, III NV grundsätzlich nicht, beziehungsweise nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich. Als Wesensgehalt ist insbesondere eingestuft die Befugnis der Stadt Berlin zur kommunalen Eigenregelung ihrer Magistratsverfassung, vgl. Einzelbegriindung zu Art. 23, AbgH v. Bin, Drs. 12/75571 S.9.; s.a. oben 2. Kapitel C.III.7. 599 Vormals Art. 50II VvB. 600 So im Ergebnis auch Einzelbegriindung zu Art. 21, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 8. 601 Eine weitere Absicherung der Grundstruktur Berlins als Einheitsgemeindefindet sich in Art. 221 NV. Hierzu siehe unten 2. Kapitel D. IV. 4.
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ments sind ferner die vertraglichen Regelungen über die Grenzen des Berliner Stadtgebietes, die Berliner Schulstruktur sowie das Berliner Polizeiwesen. Art. 49 S. 1 NV gewährleistet das Gebiet von Berlin in den vom Einigungsvertrag festgelegten und dementsprechend von beiden Ländern überprüften und dokumentierten Grenzen. In Art. 49 S. 2 bestätigt der Neugliederungs-Vertrag, daß die Festlegung von Anzahl und Größe der Berliner Bezirke der Stadt Berlin obliegt. Diese klarstellende Regelung ist eine Konkretisierung der in Art. 21 NV niedergelegten Selbstverwaltungsautonomie der Städte speziell für die Stadt Berlin und insoweit systematisch auch dort hingehörig. Sofern eine solche Regelung auch in einem etwaigen neuen Neugliederungsvertrag aufgenommen wird, empfiehlt sich die Niederlegung etwa als Art. 21IV S. 2 NV, als Art. 21V NV - jeweils mit entsprechend modifizierter Artikel-Nummerierung - oder in einem unmittelbar nachfolgenden Artikel. Denn in Art. 21IV NV ist die Verpflichtung des Landes Berlin zur Bezirksreform einschließlich der Überarbeitung der Beziiksgrenzen festgelegt und die vorigen Absätze 1 bis 3 beschäftigen sich intensiv mit der Selbstverwaltungsautonomie der Stadtbezirke und der Städte. Die Verpflichtung des Landes Berlin, spätestens gemäß Art. 2 1 I V N V bis zur Bildung des gemeinsamen Landes unter Überprüfung der Bezirksanzahl eine Bezirksgebietsreform durchzuführen, dient der Stärkung der Leistungskraft der Stadt Berlins. Wahrend bei Vertragsabschluß das Land Brandenburg bereits eine Kreisgebietsreform durchgeführt hatte 602 , wurde die Bezirksreform im Lande Berlin noch ausgearbeitet. Die Art und Weise der Reform überläßt Art. 2 1 I V N V dem Land Berlin - was Art. 49 S. 2 N V nochmals klarstellt - und setzt nur einen verbindlichen Zeitpunkt, bis zu dem die Reform durchzuführen ist. Wegen der von einer Länderfusion unabhängigen Dringlichkeit der Reform ist anzunehmen, daß die Bestimmung sogar auf Berliner Bestrebungen zurückgeht, da die Berliner Regierung sowohl gegenüber dem Abgeordnetenhaus als auch gegenüber ihren Wahlern, insbesondere den öffentlichen Angestellten, die einen Verlust ihres Arbeitsplatzes zu befürchten haben, eine übergeordnete Handlungslegitimation für zügige Reformen vorweisen kann. Jedenfalls wird sich die Berliner Seite dieser Bestimmung nicht wirklich in den Weg gestellt haben. Denn inzwischen wurde die Reform unabhängig von einer Neugliederung durchgeführt 603. Die Bestimmungen über die Schulstruktur in dem gemeinsamen Land dient ebenfalls vornehmlich der Absicherung Berliner Interessen. Sie wurden erst in der letzten Phase der \fer602
Durch das Gesetz zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte im Land Brandenburg (Kreisneugliederungsgesetz-KNGBbg) v. 24.12.1992 (GVB1.1 S.546); zul. geänd. durch Art. 8 der Kommunalverfassung v. 15.10.1993 (GVB1.1. S. 398). Das KNGBbg wurde als Art. 1 des Gesetzes zur Neugliederung der Kreise und kreisfreien Städte sowie zur Änderung weiterer Gesetze v. 24.12.1992 verkündet und ist gemäß dessen Art. 4 am 1.1.1993 in Kraft getreten. Die Namen und Kreissitze wurden durch Einzelgesetze v. 22.4.1993 festgelegt (GVB1.1S. 142ff.); zur Gemeindeverwaltungs- und Kreisgebietsreform in Brandenburg siehe Köstering, Grundlagen und Probleme einer Funktionalreform im Land Brandenburg, in: DÖV 1994,238 ff.; ders., Kreisgebietsreform im Land Brandenburg, in: DÖV 1992, S.721 ff.; ders., Einführung der Amtsverfassung im Land Brandenburg, in: DÖV 1992, S. 369 ff. 603 Durch das Gesetz über die Verringerung der Zahl der Bezirke (Gebietsreformgesetz) v. 10.6.1998 (GVB1. S. 131, wurden die vormals 23 Stadtbezirke zu 12 größeren Einheiten zusammengefaßt. 19 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
tragsverhandlungen in den Vertrag aufgenommen, um „die Zustimmung der Berliner CDU [zu] sichern/*604 Zwar bestimmt Art. 461 S. 1 NV nur allgemein die Verantwortlichkeit des gemeinsamen Landes für die Entwicklung und Finanzierung einer Vielfalt von Schulen in öffentlicher und freier Trägerschaft unter Berücksichtigung der Belange der städtischen Zentren und Berlins als Bundeshauptstadt sowie der Belange des ländlichen Raumes. Femer hat das gemeinsame Land nach Art. 461 S.2 NV die bundesweite Anerkennung der Abschlüsse öffentlicher Schulen zu gewährleisten. Insoweit geht es um die Klarstellung von Selbstverständlichkeiten, die die Schwierigkeiten der Vertragsverhandlungen in Erscheinung treten lassen. Im weiteren schreibt Art. 46 II NV jedoch mit der grundsätzlichen Gliederung des Schulwesens des gemeinsamen Landes Berliner Besonderheiten fest. Die Schulen gliedern sich in die grundsätzlich gemeinsame sechsjährige Grundschule, die weiterführenden Schulen und die Schulen mit sonderpädagogischem Schwerpunkt, wobei in Berlin auch Gymnasien zulässig sind, die mit dem 5. Schuljahr beginnen. Art. 46 ΠΙ NV gewährleistet einen Mindestbestand bei den weiterführenden allgemeinen und beruflichen Schularten und Bildungsgängen, was in Berlin auch die Hauptschule einschließt603. Um die personelle Lebensfähigkeit dieser Ausbildungsvielfalt zu garantieren, bestimmt Art. 46 V NV, daß ein entsprechendes Lehrerbildungsrecht im gemeinsamen Land besteht, so daß dem gemeinsamen Land insofern kein, Austrocknen" einzelner Schulzweige möglich werden soll. Diese Bestimmung erhellt in besonderem Maße die politische Intention des Schulartikels: einzelnen Berufsgruppen des Berliner Schulpersonales waren die Befürchtungen zu nehmen, daß sie in einem gemeinsamen Land keine Zukunft hätten. Mit Blick auf die starke personelle Repräsentanz der Stadt Berlin in einem gemeinsamen Landtag waren diese Vorbehalte indes vorwiegend emotional begründet. Vor diesem Hintergrund stellt Art. 46IV S. 1 NV zudem klar, daß die Aufgabe der Schulträgerschaft eine Selbstverwaltungsangelegenheit der Gemeinden und Gemeindeverbände ist, wobei Art. 46IV S. 2 NV für die Stadt Berlin explizit die Gewährleistung niedergelegt, daß sie Träger aller Schularten sein kann und die Schulträgerschaft die Errichtung oder Schließung von Schulen einschließt. Darüber hinaus sichert Art. 46IV S. 3 NV, daß das gemeinsame Land die Beteiligung der Schulträger bei der Bestellung der Schulleiter gewährleistet. Die dezidierte Beschreibung und die Verpflichtung des gemeinsamen Landes zur angemessenen Ausstattung der „Berliner" Polizei in Art. 48 ΝV nebst der dazugehörigen Protokollnotitz Nr. 11 zeigt ebenfalls die Vorbehalte Berlins auf, in dem gemeinsamen Land vernachlässigt zu werden606. Doch gerade auf diesem Ordnungssektor ist dies unverständlich, da Berlin durch seine Hauptstadtfunktion im Rampenlicht steht und eine Vernachlässigung durch das gemeinsame Land nahezu ausgeschlossen ist. In der Protokollnotiz 11 zu Art. 48 NV wird als Konkretisierung von Art. 5 NV die Vorbereitung der Zusammenlegung der Polizei beider Länder im einzelnen abgesteckt. Das Sicherheitsbedürfnis des Landes Berlin setzt sich abschließend fort in den vertraglichen Bestimmungen zur wirtschaftlichen Betätigung der Stadt Berlin in dem gemeinsamen Land. Neben allgemeinen Befugnissen steht der Stadt Berlin gemäß Art. 23 II NV die generelle Befugnis zur Beteiligung an Unternehmen zu. Dies entspricht in verkürzter Form den §§ 100 ff. 604
Hartmann, OJHerten/Schroeder, Land in Sicht, S.92f. S. a. Einzelbegründung zu Art.46, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 17. 606 Kritisch zu Art. 48 NV aus verwaltungsstrukturellen Aspekten siehe Ellwein, Konstruktionsalternativen für die Verwaltung des Landes Berlin-Brandenburg, in: Werner Jann (Hrsg.), Berlin-Brandenburg, S.27 (36). 605
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GO-Bbg, wonach Gemeinden zur wirtschaftlichen Betätigung Unternehmen gründen, erwerben oder sich daran beteiligen dürfen. Eine rechtliche Notwendigkeit für diese Regelung ist nicht erkennbar. Sie stellt lediglich den kommunalrechtlichen Regelfall fest 607. Der Neugliederungs-Vertrag sieht für die Stadt Berlin aber noch eine weitere - tatsächliche - Sonderrolle vor. Denn für die Stadt Berlin gilt die gemeinsame Schaffung eines einheitlichen Kommunalrechtes durch beide Länder nach Art. 5 2 1 S. 3 Nr. 6 N V nur begrenzt: Abweichend von den auf brandenburgischem Gebiet liegenden Gemeinden erarbeitet das Land Berlin gemäß Art. 231 N V die Gemeindesatzung für die Stadt Berlin als Magistratsverfassung aus. Erst die bereits fertig erstellte Magistratsverfassung wird zugleich mit den Regelungen über die wirtschaftliche Betätigung der Stadt Berlin und gemeinsam mit dem Kommunalwahlrecht in die Gemeindeordnung des gemeinsamen Landes mittels eines Staatsvertrages gemäß Art. 17 Π , 23 Π Ι N V bis spätestens ein Jahr vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes integriert. Diese Einbeziehung verlangt der gemeindeordnungsrechtliche Gesetzes vorbehält 608 . Ursprünglich sollte die Magistratsverfassung zwar in ausführlicherer Form und allgemein für alle kreisfreien und großen kreisangehörigen Städte in den Neugliederungs-Vertrag aufgenommen werden609. Doch gab es auf Berliner Seite im letzten Augenblick heftigen Widerstand gegen die bis dahin entworfene Magistratsverfassung, so daß sich der Neugliederungs-Vertrag auf die wesentlichen Merkmale der für Berlin geltenden Magistratsverfassung beschränkt. Art. 23 Ν V befaßt sich daher nur rudimentär mit der Magistratsverfassung für Berlin 610 und ihrer Einbeziehung in die Gemeindeordnung des gemeinsamen Landes. Er bestimmt zunächst lediglich die Regelungsbedürftigkeit der Organe Stadtverordnetenversammlung, Oberbürgermeister und Magistrat, die die kommunalen Aufgaben in der Stadt Berlin wahrnehmen, Art. 231 NV. Das Land Berlin entscheidet also nach Art. 231S. 2 N V über seine zukünftige innere Struktur selbst 611 , inhaltlich wird nur der Zeitpunkt vorgegeben - bis zur Mitte 607 Vgl. etwa VogelsanglLübkinglJahn, Kommunale Selbstverwaltung, RechtsgrundlagenOrganisation-Aufgaben, Berlin 1991, Rn.783ff. (S. 223ff.); Waechter, Kommunalrecht, 1997, Rn. 591ff. (S. 368ff.). - Rechtliche Relevanz ist allein der Protokollnotiz Nr. 9 zu Art. 37 NV beizumessen, wonach die Stadt Berlin nach wie vor an der Bankgesellschaft Berlin AG sowie an der Landesbank Berlin beteiligt ist, s. a. oben 2. Kapitel D. II. 4. 608 Vgl. auch Einzelbegründung zu Art.23, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9. 609 Vgl. Bericht der GRK, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 19; graphische Darstellung des Entwurfes einer Magistrats Verfassung in: Regierender Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei (Hrsg.); Berlin/Brandenburg, Ein Land für alle, 1995, S. 36. 610 Zur Magistratsverfassung siehe Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, S.55 Rn.42. 611 Art. 231S. 3 NV benennt in fünf Punkten die wesentlichen von Berlin zu regelnden Materien: „1. Anzahl, Bestellung und Abberufung der Magistratsmitglieder. 2. Aufgabenverteilung zwischen Magistrat und Stadtverordnetenversammlung. 3. Aufgabenverteilung zwischen Stadt und Stadtbezirken. 4. Bildung der Bezirksämter, Mitgliederzahl der Bezirksverordnetenversammlungen sowie Aufgabenverteilung zwischen Bezirksämtern und Bezirksverordnetenversammlung. 5. Grundsätze für die wirtschaftliche Betätigung der Stadtbezirke."
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
des zweiten Jahres vor dem Jahr der Bildung des gemeinsamen Landes612 - bis zu dem die Magistratsverfassung festzulegen ist. Daß für die Stadt Berlin als Gemeindeverfassung die Magistratsverfassung vorgesehen war, lag aus zwei Gründen nahe: Zum einen besteht bei einer Aufrechterhaltung der Berliner Verwaltungsstrukturen nach Wegfall der Landesebene in der Sache sofort eine unechte Magistratsverfassung. Neben der Stadtverordnetenversammlung als Gemeindevertretung gibt es den von ihr gewählten Senat als Magistrat, d. h. als kollegiales Vollzugsorgan sowie als drittes Organ den Bürgermeister als Vorsitzender des Magistrates und als Leiter der Gemeindeverwaltung613. Zum anderen rekurriert die Magistratsverfassung für Berlin auf eine Tradition, die auf das Großberlingesetz614 aus dem Jahre 1920 zurückgeht, welches Berlin zur Stärkung seiner Verwaltungskraft zugleich den Status einer Einheitsgemeinde verlieh, die in 20 Bezirke unterteilt war 615. Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob ein anderer Gemeindeverfassungstyp die Kommunalverwaltung der Stadt Berlin effizienter, sparsamer und bürgernäher gestalten würde616. Die feste Installierung der hergebrachten Strukturen hätte etwas grundlegend Neues nicht zugelassen. Es galt auch hier die neugliederungsvoraussetzende Maxime der Kontinuität des status quo. Als „fassadewahrender" Ausfluß dessen stellt Art. 231 S. 1 NV dem Land Berlin zudem frei, auf die neue Bezeichnung „Magistrat" zu verzichten, und diesen forthin „Senat" zu nennen. 4. Kommunalaufsicht im gemeinsamen Land: Art. 20 I I S. 4, Art. 22 NV Wie die übrigen kommunalrechtlichen Strukturen unterscheidet sich auch die im Neugliederungs-Vertrag vorgesehene Kommunalaufsicht in der Sache nicht von der in den Ländern Berlin und Brandenburg. Wiederum haben beide Länder ihre grundsätzlichen Spezifika in die Regelungen einfließen lassen. Aus dem Lande Brandenburg übernimmt der Neugliederungs-Vertrag die flächenstaatspezifischen Aufsichtsbestimmungen: Es geht um die Aufsicht des Landes über die Selbstverwal612
Bis 30.61997 bei Neugliederungszeitpunkt 1999 oder bis 30.6.2000 bei Neugliederungszeitpunkt 2002. 613 Es handelt sich um eine unechte Magistratsverfassung, da die Beschlüsse der Gemeindevertretung bei Aufrechterhaltung der bestehenden Strukturen nicht der Zustimmung des Magistrates bedürften, vgl. Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, S.55 Rn.42. 6,4 Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin v. 27.4.1920 (PrGS S. 123). 615 Vgl. Gern; Deutsches Kommunalrecht, S.46 Rn.30; s.a. Drügemöller; Die Verwaltungsstruktur Berlins, in: LKV 1995, 393 ff. 616 An der Effizienz und der Effektivität der Magistratsverfassung bestehen gegenüber anderen Gemeindeverfassungstypen Bedenken, da die kollegiale Verwaltungsleitung etwa gegenüber der Süddeutschen Gemeinderatsverfassung schwerfälliger ist; ob letztere allerdings für eine Gemeinde von der Größe der Stadt Berlins geeignet ist, mag bezweifelt werden, vgl. dazu Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, S.58.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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tungsaufgaben der Gemeinden sowie über die Auftragsangelegenheiten. Da die Gemeinden in ihrem Gebiet nach Art. 201 S. 1 NV alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft „im Rahmen der Gesetze" selbstverantwortlich wahrnehmen, verbleibt das Land bei den Selbstverwaltungsaufgaben der Gemeinde grundsätzlich allein mit der Rechtsaufsicht. Dies entspricht sowohl der brandenburgischen Regelungen des § 120 GO-Bbg als auch den üblichen Aufsichtsbeziehungen in andern Ländern617. Gleiches gilt für die Kommunalaufsicht bei übertragenen Angelegenheiten618. Hier kann sich das Land nach Art. 20 II S.4 NV ein Weisungsrecht nach gesetzlichen Vorschriften vorbehalten. Inhaltlich ist es zwar nachvollziehbar, daß diese Vorschrift als Annexregelung in Art. 20 II NV Niederschlag gefunden hat. Denn hier wird grundsätzlich die Übertragung von Aufgaben geregelt. Übersichtlicher wäre es hingegen, wenn sämtliche kommunalaufsichtsrechtlichen Vorschriften in Art. 22 NV zusammengefaßt werden, zumal dieser mit „Aufsicht" überschrieben ist, so daß der Eindruck entsteht, daß hier das Aufsichtsrecht abschließend geregelt stehe. Insoweit ist Vorzugs würdig, Art. 20 II S. 4 NV zu streichen und als neuen Absatz 3 in Art. 22 NV einzufügen. Art. 22 NV regelt allein die aufsichtsrechtlichen Beziehungen zwischen Land, Stadt und Stadtbezirken. So wie die allgemeinen kommunalaufsichtsrechtlichen Strukturen dem Lande Brandenburg entlehnt sind, übernimmt der Neugliederungs-Vertrag an dieser Stelle aus der Verfassung von Berlin die aufsichtsrechtliche Struktur zwischen der Stadt und ihren Bezirken. Nach Art. 67 II S. 2 VvB ist der Senat in den bezirkseigenen Angelegenheiten auf die Rechtsaufsicht über die Bezirke beschränkt. Nur soweit er ihnen nach Art. 67 III VvB Aufgaben zur Erfüllung unter Fachaufsicht ausdrücklich zuweist oder nach Art. 67IV S. 1 VvB eigene Aufgaben zur Erfüllung unter Fachaufsicht überträgt, obliegt ihm diese. Diesen Grundsatz übernimmt Art. 21 II NV: bei der Ausübung der Bezirksaufgaben unterliegen die Stadtbezirke nur der städtischen Rechtsaufsicht619. Dies folgt konsequent aus dem Subsidiaritätsprinzip sowie dem Dezentralisierungsgrundsatz des Art. 211S. 3 NV 6 2 0 . Für die nicht bezirkseigenen Aufgaben behält die Stadt demgemäß die Möglichkeit, nach den gesetzlichen Vorschriften eine Fachaufsicht zu regeln. Von Bedeutung ist mit Blick auf den Status der Stadt Berlin als Einheitsgemeinde die Klarstellung, daß auch das Land generell nur Aufsichtsbefugnisse gegenüber der Stadt, nicht jedoch gegenüber den Bezirken wahrnehmen kann, Art. 2 2 1 S. 1 NV. Die Stadt muß die Aufsichtsmaßnahmen des Landes gegebenenfalls gegenüber ihren Bezirken durchsetzen. Dem Land ist nach Art. 221 S. 2 N V ein unmittelbarer aufsichtsrechtlicher Durchgriff auf die Bezirke nur möglich im Rahmen der Fachund Sonderaufsicht bei Gefahr im Verzuge. Diese „Notstandsermächtigung" kann der Landesebene nicht versagt bleiben, da sie in letzter Konsequenz - insbesondere mit Blick auf finanzielle Folgen - verantwortlich zeichnet 621 . Zudem geht es bei den 617
Vgl. Waechter, Kommunalrecht, 1997, Rn. 196ff. (S. 126ff.): „Die staatlichen Behörden üben über die Kommunen eine Kontrolle hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von deren Handeln aus. [...]" 618 Siehe VogelsanglLübkinglJahn, Kommunale Selbstverwaltung, Rechtsgrundlagen-Organisation-Aufgaben, Berlin 1991, Rn. 124 (S.46). 619 Vgl. Einzelbegründung zu Art.22, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.8. 620 Vgl. Einzelbegründung zu Art.22, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.8. 621 Siehe etwa Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, Rn.717 (S.442).
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Materien der Fach- und Sonderaufsicht nicht um Aufgaben der gemeindlichen Selbstverwaltung, sondern um übertragene staatliche Aufgaben 622. In diesem Falle jedoch ist die Stadt zugleich über die Maßnahmen zu unterrichten. Die generelle Unzulässigkeit eines aufsichtsrechtlichen Durchgriffes des Landes auf die Stadtbezirke ist eine Folge der Qualität der Stadt als Einheitsgemeinde und bestätigt diese Qualität zugleich623. Mit Blick auf die zahlreichen Sicherungsbestimmungen624 diesbezüglich wird das Verlangen nach Absicherung deutlich, das die Berliner Verhandlungspartner leitete. An keiner Stelle sollte es dem zukünftigen Land möglich sein, auch nur in Ansätzen an der städtischen Berliner Unabhängigkeit zu rütteln. Das Land im Lande sollte aufrecht erhalten und gesichert bleiben. V . Raumordnung und Landesplanung: Ambivalenz gegenüber Art. 2 9 1 S. 2 G G 1. Landesentwicklung, Art. 24-26 N V Neben der Finanzneuordnung, der Personalzusammenführung und der Verwaltungsstruktur war - entsprechend seiner nach Art. 291 GG verfassungsrechtlich zukommenden Bedeutung625 - die Landesplanung des gemeinsamen Landes ein heftig diskutiertes Thema des Neugliederungs-Vertrages. Und gerade hier kam es auf eine sinnvolle Einigung der Verhandlungspartner an. Die Landes- und Raumordnungsplanung ist einer der gewichtigen Gründe, die für Neugliederungsvorhaben in die Waagschale geworfen werden626. Die Normen hierzu im Neugliederungs-Vertrag sind Ausfluß einer Zusammenarbeit beider Länder, die sehr bald nach der Wiedervereinigung Deutschlands infolge der schnell wachsenden engen Verzahnung von Berlin und seinem Umland ihren Anfang nahm. Ihre Prüfung auf die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit beziehungsweise die Berücksichtigung der Raumordnung und Landesplanung gemäß Art. 291S. 2 GG kann sich daher nicht allein auf theoretische Optimallösungen beschränken. Vielmehr ist das verfassungspraktisch, d.h. politisch noch Machbare zu ermitteln.
622 Gern, Deutsches Kommunalrecht, 1997, Rn. 803 (S. 495); VogelsanglLübkinglJahn, Kommunale Selbstverwaltung, Rechtsgrundlagen-Organisation-Aufgaben, Berlin 1991, Rn.688ff. (S. 196ff.); Waechter, Kommunalrecht, 1997, Rn.212ff. (S. 134ff.). 623 Vgl. Einzelbegründung zu Art. 22, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 8. 624 Weitere Bestimmungen mit dieser Zielrichtungfinden sich in Art. 211, II NV, s. o. 2. Kapitel D.IV.3. 623 Siehe oben 1. Kapitel B.II.2. 626 Vgl. zur parallelen Großstadt-Umland-Problematik von Hamburg und Schleswig-Holstein, ScharpflBenz, Α., Kooperation als Alternative zur Neugliederung?, 1991, S. 35 ff.; s. a. oben 1. Kapitel B.II.2.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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a) Gemeinsame Landes- und Regionalplanung vor und neben dem Neugliederungs-Vertrag: teilweise von Anfang an gescheiterter Koordinationsversuch Durch beginnende Wachstums- und Suburbanisierungsprozesse ergab sich mit der Wiedervereinigung vor allem in den Randbereichen Berlins und dem Berliner Umland die Notwendigkeit, eine gemeinsame Landesplanung für Berlin und Brandenburg zu schaffen 627. Das Problembewußtsein war geradezu überpräsent. Noch in der Phase der Wiedervereinigung konstituierte sich am 22. Dezember 1989 im Rathaus Schöneberg der Provisorische Regionalausschuß, der schon damals die sich aus der Grenzöffnung ergebenden raumplanerischen Schwierigkeiten in Angriff nehmen und Lösungsvorschläge unterbreiten sollte628. Mit der Erkenntnis, daß die Region einer einheitlichen Planung bedarf, setzte der Ausschuß am 1. März 1990629 die Planungsgruppe Potsdam ein, die in nur drei Monaten Problemfelder, Zielvorgaben und Lösungsansätze nebst zeitlichen Laufplänen entwikkeln sollte. Ihr 1. Bericht 630 im Mai 1990 wurde als eine „bemerkenswerte Grundlage für die Regionalpolitik im Berliner Raum angesehen**631. Indes wurden die einmaligen „Chancen, die aus rechtzeitigem Reagieren**632 hätten erwachsen können, nicht wahrgenommen. Wegen unzureichender Abstimmungen in der Planung hatten sich in den darauffolgenden Jahren die räumlichen Ungleichgewichte verstärkt633. Es bahnte sich die typische Fehlentwicklung einer Großstadt-Umland-Re-
627
SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f. Dem Ausschuß gehörten Vertreter der Bundesregierung, der DDR-Regierung, des Magistrats von Ost-Berlin und des Westberliner Senates an, vgl. Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bd II, Region Berlin/Brandenburg, in: Konrad-Adenauer-Stiftung, Bereich Forschung und Beratung, Interne Studien und Berichte Nr. 54/93 (im folgenden zit.: Berlin 2000, Bdll), S. 50; vgl. femer Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 1 f.; Heuer/Stoll, Konzepte zur räumlichen Entwicklung der Region Berlin-Brandenburg, in: Moser, Hubertus (Hrsg.), Berlin-Report, S.235 (237 ff.). 629 Beschluß Nr. 28/90, zit. nach Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 1. 630 Provisorischer Regionalausschuß - Planungsgruppe Potsdam, Grundlagen und Zielvorstellungen für die Entwicklung der Region Berlin, 1. Bericht 5/90, zit. nach Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 3. 628
631 Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenbuig-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 2. 632 Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 2; Hoffmann/Dill (Hrsg.): Berlin 2000, Bdll, S. 30. 633 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f.; Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S.4ff.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg gion an 6 3 4 . I m engeren Verflechtungsraum von Berlin und Brandenburg zeichnete sich eine Zersiedelung der Landschaft ab, „die längerfristig Lebensbedingungen und Entwicklungschancen der gesamten Region negativ" beeinflußt 635 . Daher legte die Gemeinsame Regierungskommission den beiden Ländern in ihren Empfehlungen vom 5. Dezember 1992 zur Umsetzung des raumordnerischen Leitbildes der „dezentralen Konzentration" nahe, ein gemeinsames Landesentwicklungsprogramm zu erarbeiten, den Entwurf eines gemeinsamen Landesentwicklungsplanes für den engeren Verflechtungsraum vorzulegen sowie eine gemeinsame Organisationseinheit für die Landes- und Regionalplanung einzurichten 636 . Für das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der polyzentrischen Landesentwicklung unterbreitete die Kommission bereits einen umfassenden Katalog von konkreten Eckwerten 637 . Damit sollte die Neugliederung Berlin-Brandenburg landesplanerisch vorbereitet werden 638 . Umgekehrt läßt sich feststellen, daß „in über zweijähriger Arbeit der Regierungen und Fachverwaltungen keine Übereinstimmung über die Notwendigkeit von Regionalplanung für den Verflechtungsraum und über die Art und Weise, in der sie institutionalisiert werden sollte, erreicht werden konnte" 639 .
634 Vgl. Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra4 (Feb. 1993), S. 12ff. 635 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f. Neben der Zersiedelung und der damit verbundenen Zerstörung nennt Au, Vorschläge und Anregungen für erne situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 12, die weiteren Fehlentwicklungen: „ - Starke räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsstätten, damit verbundenes Anwachsen von Ein- und Auspendlerströmen sowie generell des Verkehrs; - Peripheriewanderung von Wohn- und Arbeitsstätten, die von einer «Inflation' von Flächenausweisungen für Gewerbegebiete im Berliner Umland gefördert wird; - Zugespitzte Nachfrage für großflächige Verbrauchermärkte in städtebaulich nicht integrierten Lagen (d.h. ,auf der grünen Wiese4), verbunden mit schwerwiegenden Konsequenzen sowohl für die Existenzbedingungen des Einzelhandels in den Innenstädten als auch in Gestalt einer starken Zunahme des individuellen PKW-Verkehrs." 636 Bericht der GRK, Teil II - Empfehlungen, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 6; vgl. auch SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f. 637 Bericht der GRK, Ani.6, AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S.29ff. 638 Hoffmann! Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S.51; Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra4 (Feb. 1993), S.3. 639 Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 28; ferner Sauberzweig!Schmidt-Eichstädt, Die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen einer gemeinsamen verbindlichen Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, Gutachten i. A. der Senatskanzlei des Landes Berlin und der Staatskanzlei des Landes Brandenburg (im folgenden zit.:) Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Dr. 12/2357 S. 35 (38f., 91); so auch Brenke, Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung in Berlin 1992/93, in: DIW Wochenbericht 14/93, S. 159 (165), der feststellt, daß die bisherige „Zusammenarbeit [...] sehr zu wünschen übrig läßt" und daher „in dieser Hinsicht [...] ein schneller Zusammenschluß der beiden Länder vieles erleichtem" würde. - Dementsprechend bemerkte Hassemer (SenStadtUm), in: Stadtforum Berlin, Die Stadt-
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Die unterschiedlichen Vorstellungen, die Berlin und Brandenburg insbesondere zu einer gemeinsamen Landesplanung des engeren Verflechtungsraumes hatten, schlugen sich unmittelbar in den Empfehlungen nieder: Während Berlin einen „kommunal verfaßten Zweckverband" für den engeren Verflechtungsraum befürwortete, der zunächst für die Beratung und Koordinierung der Bauleitplanung zuständig werden sollte, dem aber in „weiteren Schritten auch regionalplanerische Aufgaben übertragen werden können"640 sollten, bestand die brandenburgische Landesregierung darauf, die Regionalplanung im Berliner Umland auf vier Regionen zu übertragen, die ihre Planungen mit den entsprechenden Planungen Berlins in einem Regionenverbund koordinieren sollten641. Ungeachtet der Berliner Bedenken begann die brandenburgische Landesregierung zeitgleich mit der Abgabe der gemeinsamen Empfehlungen mit der Umsetzung ihres Vorhabens642. Die Bestrebungen einer gemeinsamen und einheitlichen Regionalplanung für den Berliner Raum nebst Umland wurden damit geradezu konterkariert: ein „durch das zuständige brandenburgische Ministerium zur parlamentarischen Beratung vorgelegter Entwurf eines Regionalplanungs-Gesetzes [sah] eine solche gesonderte Regionalplanung gar nicht erst vor. Stattdessen soll[te] die Regionalplanung in fünf Planungsregionen installiert werden, von denen vier bis an die Stadtgrenzen Berlins reich[t]en, die Stadt jedoch ausklammeren" 643 . Am 13. Mai 1993 beschloß der Landtag Brandenburg das daraus hervorgehende Gesetz zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg (RegBkPIG)644. Darin bestimmt § 31 S. 2 RegBkPIG, daß für die Regionalplanung als großflächige Teilräume des Landes fünf Regionen gebildet werden, die sich wegen der besonderen Lage von Berlin in der Mitte des Landes sektoral von der inneren bis zur äußeren Landesgrenze erstrecken (Tortenstückmodell), um somit den engeren Verflechtungsraum zu entlasten, die Speckgürtelbildung zu vermeiden und vor allem: wirtschaftliches Wachstum und den Ausbau der Infrastruktur in das Hinterland zu tragen. Diese Intention liegt auch dem im gemeinsamen Landesentwicklungsprogramm (LEPro) festgelegten Modell der dezentralen Konzentration zugrunde, auf das sich philosophie Berlins - Der Spiegel des Flächennutzungsplans I + I I , Dokumentation der 30./31. Sitzg v. 11./12.6.1993, 18./19.6.1993, Hrsg.: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, 1993, S.21 (22), daß die „Zusammenarbeit mit Brandenburg im letzten halben Jahr 1992 einen erheblichen Ruhestand zu verzeichnen" hatte. 640 Bericht der GRK, Teil IV - Eckpunkte, AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 10, Ziff. 4, 5.4; Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdü, S.52. 641 Sauberzweig!Schmidt-Eichstädt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Dr. 12/2357 S. 35 (72 ff.). 642 Vgl. Hassemer, Landesentwicklungsplanung im Raum Berlin-Brandenburg, in: Werner Süß (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Bd2,1995, S.349, 352f. 643 Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 14. 644 GVB1.I S. 170.
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
die beiden Länder im Rahmen der Beratungen der Gemeinsamen Regierungskommission zumindest in Grundzügen verständigen konnten645: „Um die Entwicklung auch in die Tiefe des brandenburgischen Raumes zu tragen, sollte eine begrenzte Anzahl von Berlin ausreichend entfernter »Regionaler Entwicklungszentren' entstehen"646. Diese sollten durch spezielle Förderung und Aufwertung ihrer bisherigen Strukturen ein ausreichendes Entlastungspotential gegenüber Berlin bieten und zugleich für den ländlichen Raum in Brandenburg die notwendige Stabilisierung ermöglichen647. Neben dem Landesentwicklungsprogramm hatten beide Landesregierungen den Entwurf eines gemeinsamen Entwicklungsplanes für den engeren Verflechtungsraum (LEPeV) vorgelegt, der die Städte Berlin und Potsdam sowie den größten Teil der acht angrenzenden Umland-Altkreise umfaßt 648. „Die vordringliche Aufgabe dieses Planungswerkes" sollte es sein, „einer Zersiedelung des Berliner Umlandes entgegenzuwirken und die Lebens- und Standortqualitäten des Raumes zu sichern"649. „Mit dem gemeinsamen Landesentwicklungsplan soll[t]en die Ziele der Raumordnung und Landesplanung für die Region festgelegt und verbindlich für die kommunalen Planungsaktivitäten formuliert werden"650. „Durch Sicherung und Entwicklung von Freiflächen im engeren Umland soll[te] die Ausuferung eines »Speckgürtels4 um Berlin verhindert werden"651. Es war der Abschluß eines Staatsvertrages (Landesplanungsvertrag - siehe hierzu c)) vorgesehen, der die Grundlage für eine gemeinsame Landesplanung beider Länder darstellen und damit die auf dieser Planungsebene mögliche planerische Gestaltung des Raumes gewährleisten sollte 652 . Die Zielvorgaben für den Entwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum waren schon hier von vornherein zum Scheitern verurteilt: Die frühzeitig von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz angestrebte Schaffung eines verbindlich wirkenden regionalen Planungsverbandes fand, wie erwähnt, bei der brandenburgischen Landesregierung kein Gehör 653. Vielmehr nahm sie in expliziter Abgrenzung vom Berlin-Brandenburger Kernraum eine eigenständige, sternförmige Einteilung von Regionalplanungsräumen unter Ausschluß Berlins vor 654. Sie bestand darauf, an dieser Stelle kompromißlos ihren eigenen Weg zu beschreiten, obgleich Berlin sehr an einer verbindlichen, gemeinsamen und zweckmä645
Bericht der GRK, Ani. 6, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 29ff. SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, dies. (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, 1993, S.56f. 647 Bericht der GRK, Ani.6, AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.29ff.; SenStadtUm jekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f. 648 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 649 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 650 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 651 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 51. 652 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 653 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 654 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 646
1995, S.66f.; (Hrsg.), Pro1995, S.66f. 1995, S.66f. 1995, S.66f. 1995, S. 66f. 1995, S.66f. 1995, S.66f.
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ßigen Regionalplanung gelegen war 655. Allerdings hatten beide Länder zumindest eine gemeinsame Abstimmung der Vorhaben zwischen den fünf Planungsregionen und Berlin vereinbart 656. Das Tortenstückmodell stieß schon seinerzeit auf überwiegend negative Resonanz657. Die Erfahrungen mit vergleichbaren Ansätzen, die sich nun bestätigen, ließen das Modell nicht sinnvoll erscheinen. Den von Berlin vorgeschlagenen Regionalverband lehnte Brandenburg jedoch ab, weil es zum einen befürchtete, „daß in ihm die Stadt Berlin gegenüber den Kreisen und Gemeinden des Umlands eindeutig dominieren würde" und es zum anderen einheitlich „das gesamte Landesgebiet als zusammenhängenden Wirtschaftsraum entwickeln" wollte658. Hoffmann/Dill bestätigen zwar die brandenburgischen Bedenken: „Würde ein Regionalplan für das Gebiet des engeren Verflechtungsraums abgegrenzt, so könnten in den Randgebieten Brandenburgs - mit Ausnahme der Region Cottbus - keine vernünftigen Planungsgebiete mehr eingeteilt werden. Zudem läßt sich die Entwicklung von Entlastungsorten besser in den Regionen im jetzigen Zuschnitt planen. Zu berücksichtigen ist auch, daß ein starker Stadt-Umland-Verband, der das ökonomisch wichtigste Gebiet Brandenburgs in sich einschließt, entweder den Einfluß der Landesregierung auf die Entwicklung des Landes beträchtlich vermindern oder in ständigem Konflikt mit ihr liegen würde" 659. Diese Aussage bleibt indessen unbegründet und scheint undifferenziert von Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedf*** übernommen zu sein, die hingegen grundsätzlich feststellen, daß bei einer Modifizierung und Verkleinerung des engeren Verflechtungsraumes sehr wohl eine sinnvolle Einteilung des verbleibenden Raumes in Planungsregionen möglich sei: „Eine Vergrößerung des vorgesehenen Planungsraumes ist dagegen nicht zu empfehlen, weil damit die sinnvolle Bildung weiterer Planungsregionen in Brandenburg unmöglich gemacht wird" 661. 655 Vgl. Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 82ff.; Au, Vorschläge und Anregungen für eine situationsgerechte Regionalpolitik zur Gestaltung des Wirtschafts- und Sozialraums Brandenburg-Berlin, in: Söstra 4 (Feb. 1993), S. 28. 1994 hatte Berlin ebenso, ohne die Bedürfnisse des Landes Brandenburg zu berücksichtigen, den Flächennutzungsplan (FNP 94) aufgestellt. Allerdings sind dessen Auswirkungen auf Brandenburg im Gegensatz zu den schwerwiegenden Folgen des Tortenstückmodelles vergleichsweise unbedeutend. 656 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f. 657 Siehe Benz, Α., Reformillusion und Eigendynamik des Verwaltungsaufbaus in Ostdeutschland, in: Die Verwaltung 1993,329 (344f.); Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.25; Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 84f.; Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S.35 (76). 658 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 83; Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S.35 (72ff.). 659 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 84. 660 Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 35 (96 Rn. 67). 661 Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 35 (70).
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Die mit dem Tortenstückmodell verbundenen Schwierigkeiten sind offenkundig: Entgegen dem einer Neugliederung zugrunde liegenden Sinn, einheitliche siedlungs-, wirtschafts- und Verwaltungsräume nicht durch anderweitige Planungsgrenzen zu durchschneiden662, resultiert aus dem Tortenstückmodell das Gegenteil: Der engere Verflechtungsraum Berlin und Umland bedarf einer einheitlichen Planung663. Diesen der Sache nach einheitlichen Planungsraum zerschneidet das Modell in insgesamt sechs verschiedene Planungseinheiten einschließlich Berlin, die nun wieder untereinander zur Kooperation gezwungen sind, wollen sie der erforderlichen gesamtkonzeptualen Regionalplanung gerecht werden. Eine Lösung der mit einer Kooperation verbundenen Schwierigkeiten kann das Modell nicht vorweisen664. § 11 RegBkPIG erkennt lediglich, daß überhaupt eine Zusammenarbeit erforderlich ist, verweist jedoch für das weitere auf einen für die Kooperation erforderlichen Staatsvertrag. Um den Auseinandersetzungen um ein Planungsmodell gerecht zu werden, sei angemerkt, daß es keinem der anderweitig geäußerten Vorschläge665 gelungen ist, optimale Problemlösungen zufinden, „die einerseits von beiden Ländern als zumindest nicht schlechter eingeschätzt werden als der jetzige Zustand, andererseits die Koordination zwischen Berlin und dem Umland auf regionaler Ebene verbessern"666. Dementsprechend unstrukturiert und für beide Seiten unerfreulich stellt sich heute die Entwicklung des engeren Verflechtungsraumes dar. Obgleich Berlin und Brandenburg die einmalige Gelegenheit hatten, ein aufgrund der deutsch-deutschen Teilungssituation weitgehend unberührtes großstädtisches Berliner Umland behutsam einer ökologisch wie wirtschaftlich optimalen Nutzung zuzuführen, wurde dieses durch die Reißbrettplanung Brandenburgs der Zersiedelung preisgegeben. Noch während der Vorbereitung der Planung für ein gemeinsames Land war es beiden Ländern nicht möglich, im Wege der Kooperation durch Verträge die Planungsarbeit im Vorfeld angemessen zu leisten. Die schon seinerzeit unbedingte Notwendigkeit einer Neugliederung zur angemessenen Lösung der anstehenden Aufgaben wird überdeutlich667. Über die verfehlte Planung der sternförmigen Einteilung der Regionalplanungsräume scheint inzwischen weitgehend Einigkeit zu bestehen668. 662
Vgl. oben 1. Kapitel B.II.2. Vgl. auch die Expertenanhörung im Ausschuß für die Zusammenarbeit der Länder Berlin und Brandenburg, Prot, zu TOP 2, 6. Sitzg v. 11.9.1992., AbgH v. Bin, ABlnBbg 12/6 S. 1 ff. 664 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 84. 665 Eine übersichtliche Zusammenfassung findet sich bei Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S.82ff.; s.a. Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S.35 (58ff.). 666 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 85. 667 Vgl. nur Keim, Verschiebungen in der Steuerungs- bzw. Selbstregelungsfähigkeit der politischen und wirtschaftlichen Akteure in Berlin/Brandenburg - Auswirkungen der gescheiterten Fusionsabstimmung-, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Die gescheiterte Fusion Berlin-Brandenburg, 1997, S. 12 ff.; Bluth, Das Scheitern der Fusion - Konsequenzen für die regionale und kommunale Kooperation, ebda, S. 19 ff. 668 So resümiert etwa Geppert, Berlin-Brandenburg - eine verpaßte Chance, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Die gescheiterte Fusion Berlin-Brandenburg, 663
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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Die durch das Tortenstückmodell erforderliche Zusammenarbeit im Bereich des engeren Verflechtungsraumes institutionalisierten die Regierungen von Berlin und Brandenburg am 11. August 1993 mittels einer Verwaltungsvereinbarung, die eine gemeinsame Arbeitsstelle für die Erarbeitung und Fortschreibung der gemeinsamen Landesplanung (GAST-Vereinbarung) einrichtet669. „Diese bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz und dem Brandenburgischen Raumordnungsministerium angesiedelte Arbeitseinheit soll[te] die Arbeiten an den oben genannten Projekten beschleunigen, die Abstimmung sonstiger raumbedeutsamer Planungen und Vorhaben in der Region sicherstellen und koordinieren" 670. Die Berliner Seite bezeichnete die Einrichtung der Arbeitsstelle daher als einen ersten „Schritt auf dem Wege zu übergreifenden Planungs- und Kommunikationsstrukturen für den Gesamtraum und die engere Region [...]. Zum Januar 1996 war zudem geplant, die für die Landesplanung zuständigen Arbeitsbereiche der Planungsressorts in beiden Ländern institutionell zu einer gemeinsamen Abteilung der beiden Landesbehörden zusammenzuführen" 671 (= gemeinsame Landesplanungsabteilung - siehe sogleich b)). Bei genauer Betrachtung jedoch stellt die Arbeitsstelle einen letzten Rettungsversuch dar, um auf diesem Umweg möglichst früh zu einer ansatzweisen gemeinsamen Regionalplanung für Berlin und Umland zu kommen. Vor diesem Gesamtzusammenhang stehen die Vorschriften des NeugliederungsVertrages zur Landesplanung. b) Grundsätze der Landesentwicklung, Aufgaben der Teilräume und Regionen, Zusammenarbeit in der Landesentwicklung: Vermeintliche Erfüllung der Vorgaben des Art.291 S.2 GG? Wie aus der Vorgeschichte der gemeinsamen Landesplanung vor dem Neugliederungs-Vertrag hervorgeht, bestand die grundsätzliche Schwierigkeit bei der Normativierung der Landesplanung darin, den unterschiedlichen Bedürfnissen der Vertragspartner gerecht zu werden. Da Brandenburg jedoch mit der Verwirklichung des Tortenstückmodelles in einem wesentlichen Punkt bereits vollendete Tatsachen geschaffen hatte, war von den im Neugliederungs-Vertrag niedergelegten Grundsätzen und deren Konkretisierung keine befruchtende Innovation mehr zu erwarten. 1997, S.4 (7), daß die durch das Tortenstückmodell erforderliche „große Zahl der Beteiligten und die Komplexität des Abstimmungsprozesses [...] die Koordination und die Einigung auf verbindliche Vorgehensweisen fast unmöglich machen" dürften. 669 Verwaltungsvereinbarung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg über eine gemeinsame Arbeitsstelle und Planungskonferenz zur Vorbereitung und Fortschreibung der gemeinsamen Landesplanung v. 11.8.1993 (ABl. Bin S.2530; ABl. Bbg S. 1398). - In Art. 211 der Vereinbarung, der die Aufgaben der gemeinsamen Arbeitsstelle aufzählt, machen die Planungsbelange des engeren Verflechtungsraum überdurchschnittlich vier von neun Punkten aus. 67 0 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f.; vgl. Art. 21, 3 GAST-Vereinbarung. 67 1 SenStadtUm (Hrsg.), Projekte der räumlichen Planung, Fortschreibung, 1995, S.66f.
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Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Art. 2 4 1 S. 1, 2 N V benennt als Grundlagen für die Raumordnungspolitik und Landesplanung für das gemeinsame Land das Leitbild der dezentralen Konzentration, die Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen sowie den Interessenausgleich zwischen den Interessengebieten Berlin und Brandenburg. Diese Interessengebiete teilt Art. 241S. 2 N V dreistufig ein: in Berlin, das angrenzende Umland (Teil des engeren Verflechtungsraumes) und den übrigen Raum (äußerer Entwicklungsraum). Nach Art. 24 S. 4 N V ist umweltverträglich und landschaftserhaltend zu planen. Aus diesen Grundlagen sind nach Art. 24 Π N V das Landesentwicklungsprogramm, die Landesentwicklungspläne, die Regionalplanung, die Fachplanung sowie die Entwicklungs- und Fördermaßnahmen zu entwickeln. Die nähere Ausgestaltung des Prinzipes der dezentralen Konzentration ist darauf angelegt, durch gezielte Förderung von Entwicklungsschwerpunkten in einem Radius von etwa 60 km um Berlin herum, wie auch das Tortenstückmodell es intendiert, die „unter ökologischen Gesichtspunkten negative Sogwirkung der Metropole" zu verringern und „die wirtschaftlichen Impulse in die Tiefe des Landes Brandenburg" hineinzutragen 672 . Daher ist nach Art. 2 4 Π Ι S. 1 N V die Siedlungsstruktur auf zentrale Orte und ausgeprägte Siedlungsschwerpunkte mit schienengebundenem öffentlichem Personennahverkehrsanschluß zu konzentrieren. Diese Vorgabe konkretisiert der Neugliederungs-Vertrag zumindest teilweise mit seiner Gerichts Verteilung: Die oberen Landesgerichte werden gemäß Art. 471 S. 1 NV im gemeinsamen Land verteilt, indem sie ihre bisherigen Standorte beibehalten: das Kammeigericht bleibt in Berlin (Nr. 2) sowie ein weiteres Oberlandesgericht in Brandenburg an der Havel (Nr. 3). Das Oberverwaltungsgericht bleibt traditionsgemäß in Berlin (Nr. 4). Das Finanzgericht wird in Cottbus, das Landessozialgericht in Potsdam und das Landesarbeitsgericht in Berlin angesiedelt. Femer können nach Art. 471 S. 2 NV bei dem Oberverwaltungsgericht und dem Finanzgericht auswärtige Senate gebildet werden. Damit wird die Konzentration der Gerichte auf wenige Orte gemildert. Doch damit hat die Realisierung des Modelles der dezentralen Konzentration in dem Neugliederungs-Vertrag, sofern Institutionen räumlich festzusetzen waren, ihr Bewenden: Wie die übrigen Staatsgewalten auch hat nach Art. 471 Nr. 1 NV das Landesverfassungsgericht seinen Standort in Potsdam. Die Verwirklichung der dezentralen Konzentration indes läßt seinen Standort in einer außerhalb des Berliner Umlandes gelegenen Städte wünschenswert erscheinen. Ein zwingender oder effizienzspezifischer Grund, das Verfassungsgericht in Potsdam anzusiedeln, ist nicht ersichtlich. Noch fragwürdiger erscheint vor dem Hintergrund des Modelles der dezentralen Konzentration die Lösung der Frage der Landeshauptstadt sowie des Parlaments- und Regierungssitzes, die von beiden Parteien besonders problematisiert wurde. In Berlin gab es starke Stimmen673, die sich dafür einsetzten, den Parlamentssitz nach Berlin zu holen. Der neu renovierte 67 2 Döring/Geppert/ Ήorni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 119ff. 673 Besonders ist hier die Berliner CDU-Fraktion zu nennen, vgl. Staatskanzlei Brandenburg, apropos..., Erläuterungen zum Neugliederungsvertrag, Stand: Juni 1995 (unveröffentlicht), Stichwort: Landeshauptstadt; Johannes Leithäuser: Kalkül, nicht Zuneigung leitete Berlin und Brandenburg, in: FAZ v. 23.6.1995. Hier war es insbesondere der Fraktionsvorsitzende Landowsky, der als Neugliederungsgegner immer wieder die Verhandlungen erschwerte; siehe
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes und eingerichtete ehemalige Preußische Landtag sei hierfür bestens geeignet und repräsentiere „die Geschichte eines freien Parlaments in der Region, nicht ein zu errichtender Landtag in Potsdam"674. Ferner sollten die Kosten eines Parlamentsneubaues in Potsdam eingespart werden675. Brandenburg und andere Berliner Stimmen hingegen setzten sich dafür ein, das Landesparlament in die designierte Landeshauptstadt zu setzen, um von Potsdam aus eine „starke eigene, nach außen dokumentierte Landespolitik Berlin-Brandenburg" zu ermöglichen676. Art. 1 III NV bestimmte schließlich Potsdam als Landeshauptstadt, Regierungs- und Parlamentssitz. Mit dem ehemaligen Preußischen Landtag hätte Berlin zwar ausreichend große und bereits renovierte Räumlichkeiten für ein Parlament zur Verfügung stellen können. Ferner würde an die Geschichte des Hauses angeknüpft. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß eine weitere Zentralisierung von Verwaltungsfunktionen auf die Bundeshauptstadt Berlin jeder raumordnerischen Vernunft zuwiderläuft. Unter diesem Aspekt ist sogar wünschenswert, nicht das ohnehin prosperierende und nahe an Berlin gelegene Potsdam, sondern eine dezentralere Stadt, etwa Cottbus oder Frankfurt an der Oder für diese Aufgaben auszuwählen. Diese Form der regionalen Strukturförderung, die in jedem Falle mit hohen Kosten verbunden ist, läßt das Kostenargument eines neu zu errichtenden Landtages vergleichsweise gering erscheinen. Da Potsdam jedoch schon in der Vergangenheit die Hauptstadtfunktion für die Mark Brandenburg inne hatte und auch als Hauptstadt des Landes Brandenburg fungiert, liegt es vor diesem geschichtlichen Hinteigrund nahe, hier anzuknüpfen, zumal die entsprechenden Räumlichkeiten auch dort zur Verfügung stehen. Das Konzept der dezentralen Konzentration findet seine Ergänzung in der Maßgabe der sparsamen Flächennutzung. Zum einen geht die Aufbereitung bisheriger Nutzflächen der Erschließung neuer Flächen vor, Art. 2 4 Π Ι S. 3 NV. Industriestandorte sollen gemäß Absatz 5 erhalten und durch produktionsorientierte Dienstleistungen entwickelt werden. Überdies ist die „Umstrukturierung und Weiterentwicklung" schon vorhandener Industriestandorte auch für die zügige „Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur" erforderlich 677. Jedoch ist es für die Leistungsfähigkeit und die Regeneration des Naturhaushaltes nicht ausreichend, lediglich einzelne Bereiche zu schützen 678 . Daher ist zum anderen gemäß Art. 24 Ι Π S. 4, Art. 2 5 I V S. 4 N V ein ökologisch wirksamer Freiraumverbund zu verwirklichen. Art. 2 4 I V N V befaßt sich daher mit dem ländlichen Raum: Er ist als Wirtschafts-, Natur- und Siedlungsraum dauerhaft zu sichern und zu entwickeln. Dieser ressortübergreifende Planungs- und Entwicklungsansatz liegt zwar „im Interesse der Enthierzu auch TSP v. 16.5.1995: Landowsky und das,»kleine Stück Preußen"; Evelyn Roll: Schön wie ein Spiegelei, nur schwerer, in: SZ v. 21.6.1995; Focus 44/1994, S.36f.: Kessel unter Druck. So setzte Landowsky sich auch in der Frage des Parlamentssitzes für Berlin ein; Landowsky (CDU-FraktVors. Bin) ggü. MAZ v. 30.01.1995: Der rote Adler wird steigen - nur ein bißchen später. 67 4 Landowsky (CDU-FraktVors. Bin) ggü. MAZ v. 30.01.1995: Der rote Adler wird steigen - nur ein bißchen später. 67 5 Landowsky (CDU-FraktVors. Bin) ggü. MAZ v. 30.01.1995: Der rote Adler wird steigen - nur ein bißchen später. 67 6 Staatskanzlei Brandenburg; apropos..., Erläuterungen zum Neugliederungsvertrag, Stand: Juni 1995 (unveröffentlicht), Stichwort: Landeshauptstadt. 677 Einzelbegriindung zu Art.24, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9. 678 Einzelbegriindung zu Art.24, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
wicklung des Gesamtraumes"679. Doch die Erfüllung des damit verbundenen Wunsches - der sowohl das Konzept der dezentralen Konzentration als auch das Tortenstückmodell dient - , durch die Stärkung der ländlichen Räume die Anziehungskraft der Verdichtungsräume zu reduzieren und „dadurch unerwünschten Verdichtungsprozessen" entgegenzusteuern680, ist damit nicht automatisch gewährleistet. Jedoch sind sie Leitbilder 681 und als solche entsprechen sie insgesamt der Absicht ihrer Autoren: sie „berücksichtigen ökonomische, ökologische und soziale Ziele gleichermaßen"682. Mit Blick auf diese Vorgaben stellt sich die Frage, warum in Brandenburg dem zuwider handelnd gerade um Berlin herum zahllose neu zu erschließende Gewerbeparks genehmigt wurden, die heute brach liegen oder den regionalen Zentren des Umlandes Kunden entziehen und insgesamt keine Schwerpunktbildung bei der Bildung von Siedlungs- und Gewerbestandorten ermöglichen683. Der bei der Durchsetzung des Tortenstückmodelles sowie der der dezentralen Konzentration vorgegebenen Intention, einen Speckgürtel um Berlin zu vermeiden, steht die brandenburgische Genehmigungspraxis diametral entgegen684. Die Antwort könnte sich aus einem etwaig in der Nachwendezeit völlig unbeplanten Zustand Brandenburgs ergeben: gemäß § 11, II BauGB obliegt die Bauleitplanung den Gemeinden. Sie ist nach § 1 III BauGB den Zielen der Raumordnung und Landesplanung anzupassen. Diese Anpassung kann aber erst nach Aufstellung des Gesamtplanes der Raumordnungs-, Landes- und Regionalplanung erfolgen 685. „Ziele der Raumordnung und Landesplanung in Programmen und Plänen, die erst in der Aufstellung, Änderung oder Eigänzung begriffen sind, entfalten noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen nach § 1IV BauGB"686. Aufgrund der Dringlichkeit einer Planung erließ Brandenburg aber bereits am 6. Dezember 1991 ein Vorschaltgesetz zur Landesplanung687 - VorschGLPl. - mit der in § 4 Nr. 2 des Gesetztes ausdrücklich bestimmten Vorga679
Einzelbegründung zu Art. 24, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 9. Einzelbegründung zu Art.24, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9. 681 Zur Leistungsfähigkeit des Leitbildes der dezentralen Konzentration siehe Hartmann, U./Herten, Die Region Berlin-Brandenburg, in: Süß, Werner (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Bd2, 1995, S. 365, 371 ff. 682 Vgl. auch Einzelbegründung zu Art.24, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9. 683 So stellten 1992 Sauber zweig! Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v.Bln, Drs. 12/2357 S.35 (45) fest, daß „nach Ansicht von Fachleuten [...] im Umland von Berlin ein Überangebot an Gewerbeflächen (5500-6000 ha) (entsteht), das deutlich den mittel- und längerfristigen Bedarf übersteigt". 684 So auch Geppert/Toepel, Strukturelle Anpassungsprozesse in der Region Berlin-Brandenburg, in: DIW-Wochenbericht 33/93, S.434 (443): „In der Umgebung Berlins muß eine ungeordnete Entwicklung vermieden werden. Der Bedarf an Gewerbeflächen kann[...] auf den [...] Entwicklungsachsen gedeckt werden. Dies steht zwar in vielen Konzepten, tatsächlich sieht es aber vielfach anders aus." Es ist „zu einer inflationären Ausweisung von Gewerbeflächen gekommen. Ein großer Teil davon ist auch genehmigt worden. Viele dieser Flächenangebote orientieren sich nicht an den Vorstellungen über eine auf Achsen konzentrierte Raumentwicklung." 685 Siehe hierzu sogleich die Ausführungen zum Landesplanungsvertrag. 686 Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB-K, § 1 Rn. 39; VG Oldenburg, in: DVB1. 1967, S. 393 (394). 687 Vorschaltgesetz zum Landesplanungsgesetz und Landesentwicklungsprogramm für das Land Brandenburg (GVB1. S. 616). - Gemäß § 18 VorschGLPl. (RVO-Ermächtigung) erließ die 680
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
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be, daß, um „eine ausgewogene Siedlungsstruktur im Land Brandenburg sicherzustellen und um eine einseitige Entwicklung des Raumes um Berlin zu verhindern, [...] die Oberzentren und die Mittelzentren in ihrer Eigenständigkeit zu fördern" sind. Diesen Gedanken führt § 4 Nr. 7 VorschGLPl. für das Berliner Umland weiter aus: „Bei der zunehmenden räumlichen und funktionalen Verflechtung des Landes Brandenburg mit dem Land Berlin ist im Ballungsrandgebiet insbesondere sicherzustellen, daß den Erfordernissen des Natur- und Landschaftsschutzes, der Naherholung der Bevölkerung und der Wasserwirtschaft Rechnung getragen wird. Der an das Land Berlin angrenzende Freiraum ist von Siedlungstätigkeit (sogar! [Anm. d. Verf.]) freizuhalten. Siedlungsentwicklungen im Verflechtungsgebiet sollen sich in Siedlungsschwerpunkten an den radial verlaufenden Trassen des Schienenverkehrs vollziehen." Diese mit den Berliner Vorstellungen zur Planung des engeren Verflechtungsraumes kongruenten Bestimmungenfinden jedoch sogleich ihre Einschränkung in §4 Nr. 8 VorschGLPl., wonach „Einrichtungen der privaten Versorgung von überörtlicher Bedeutung und großflächige Einzelhandelsbetriebe [...] nur zugelassen werden [sollen], soweit die in ihnen zugelassenen Nutzungen nach Art, Lage und Umfang der angestrebten zentralörtlichen Gliederung sowie der in diesem Rahmen zu sichernden Versorgung der Bevölkerung entsprechen und wenn sie räumlich und funktional den Siedlungsschwerpunkten zugeordnet sind." Dies sind die wesentlichen für die Gemeinde und Gemeindeverbände des Berliner Umlandes nach § 8 VorschGLPl. verbindlichen planungsrechtlichen Bestimmungen, unter denen sie abzuwägen hatten. Da die Bestimmungen gemäß § 81S. 3 VorschGLPl. kerne Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und das Land Brandenburg aufgrund seiner Finanzmittelknappheit jeden Investor - besser im Berliner Umland, als gar nicht - Willkommen heißen muß, war und ist nicht zu erwarten, daß die Regierung, respektive der zuständige Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung gemäß §§2,9,10,12 VorschGLPl.688 gegen die nicht erwünschte Zersiedelung durch Gewerbe und Wohnen in - jedenfalls aus übergeordneter Sicht - ausreichendem Maße vorgeht689. Das ursprüngliche Konzept der beiden Raumordnungsmodelle, die Entwicklung des Ballungsraumes Berlin in das brandenburgische Hinterland zu tragen, hat das Land Brandenburg damit selbst schon frühzeitig durch seine Genehmigungspraxis aufgegeben 690.
Um trotz der ausstehenden überörtlichen Planung während der Übergangszeit bis zur Aufstellung der Raumordnung und Landesplanung diese nicht gänzlich der Willkür der Gemeinden zu überlassen, haben die Vertragsparteien zu Art. 24 NV Landesregierung Brandenburg am 28.6.1994 die Verordnung über die Durchführung von Raumordnungsverfahren (Raumordnungsverfahrensordnung - ROVerfV) (GVB1. II S. 562). 688 Danach bedarf die gemeindliche Bauleitplanung zur Sicherung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung gemäß § 9 VorschGLPl. der Billigung des Ministers für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung als Landesplanungsbehörde gemäß § 2 VorschGLPl. beziehungsweise gemäß § 10 VorschGLPl. der Billigung der Regierung. Nach § 12 VorschGLPl. kann die Landesplanungsbehörde bei Zweifeln eines Vorhabens mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung bei der Bauaufsichtsbehörde anregen, die Baubehörde anzuweisen, die Entscheidung über die Baugenehmigung bis zu 12 Monaten auszusetzen. 689 Vgl. DöringlGeppertlHornlKutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 121. 690 Bereits 1995 stellte Döring/Geppertl Horn!Kutter IVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 121, fest, „daß ein nicht ausreichend restriktiven Vorgehen gegen die Ansiedlungsbestrebungen vieler Gemeinden im engeren Verflechtungsraum [...] für ein Überangebot an Gewerbefläche (2.150 ha) in diesem Raum gesorgt" hat. 20 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
die umfassende Protokollnotiz Nr. 3 verfaßt, die für vier Bereiche bis Ende 1997 zu erfüllende Planungsaufträge enthält 691 . Bei drei Punkten handelt es sich um aufgabenbezogene und von beiden Ländern als besonders dringlich empfundene Kompensationslösungen für Materien, bei denen ein Seite besondere Belastungen durch Aufgaben übernimmt, deren Erfüllung zu einem erheblichen Teil der anderen Seite zugute kommen: Hochschulplanung, Schulplanung und Krankenhauswesen 692. Ausdrücklich für diese Bereiche sollten bestehende Spillover-Effekte zwischen Stadt und Umland eliminiert werden 693 . Für beide Länder war die Bewältigung dieser Materien von einer Dringlichkeit, daß bei Vertragsabschluß bereits gemeinsame Vorarbeiten der beiden Landesregierungen existierten 694 . Die fertiggestellten Planungen sind jeweils der Vereinigungskommission als der für die Koordinierung in der Übergangszeit gemäß Art. 6 Π , Art. 411 S. 1 N V zuständigen Institution vorzulegen. Aber auch in anderer Richtung vertieft der Neugliederungs-Vertrag die Grundsätze der Landesentwicklung. Art. 25 N V führt die in Art. 241 N V vorgenommene Aufteilung in Teilräume aus. Nach Art. 251 S. 1 N V gliedert sich das gemeinsame Land in Teilräume und Regionen. Es gibt gemäß Art. 251S. 2 N V zwei Teilräume, erstens 691 Vgl. Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S. 18: In Nr. 1 war eine Hochschul- und Hochschulklinikaplanung für den Gesamtraum durch die Wissenschaftsressorts i. V.m. den Innen- und Finanzressorts vorgesehen, die eine Studienplatzzahl von 134.000 verwirklichen sollte. Dabei sollten in Berlin die Plätze von 115.00 auf 100.000 im Jahre 2003 abgebaut und für den entsprechenden Aufbau in Brandenburg von 13.000 auf 34.000 genutzt werden. Eine gemeinsame Hochschulkommission aus überwiegend auswärtigen Sachverständigen sollte sich mit sämtlichen sich hieraus eigebenden Fragen befassen. Darüber hinaus verpflichteten sich die Vertragsparteien, bereits für die Anmeldung gemäß Hochschulbaufördergesetz zum 26. Rahmenplan von einer einvernehmlichen Planung auszugehen. Nr. 2 schrieb den Schulressorts i. V. m. den Innen- und Finanzressorts eine Lehrerbedarfsplanung vor unter Berücksichtigung aller hierfür erforderlichen Gesichtspunkte. Insbesondere sollte eine ausgeglichene Altersstruktur der Lehrerschaft sowieflexible Arbeitszeiten Berücksichtigung finden. Die Innenressorts i. V. m. den Finanzressorts und den Kanzleien beider Länder wurden in Nr. 3 beauftragt, für die übrige Landesverwaltung eine mittelfristige Personalbedarfsplanung aufzustellen. Diese sollte eine Effektivierung und Modernisierung zum Ziel haben und sich an der Stellenzahl entsprechender Bundesländer orientieren. Nr. 4 schließlich nahm die Gesundheitsressorts i. V. m. den Innenressorts und den Wissenschaftsressorts in die Pflicht, um eine Krankenhausplanung unter Berücksichtigung der Hochschulklinika zu erstellen. Diese sollte einen bedarfsgerechtes und leistungsfähiges Krankenhausnetz schaffen. 692 Zu den kompensationsbedürftigen Materien mit weiteren Aufzählungen siehe Hoffmann! Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S.51 ff. 693 Zur Intemalisierung räumlicher Spillover-Effekte durch eine effizientere Umweltpolitik (Abfallentsorgung, Wasserhaushalt) in einem gemeinsamen Land vgl. Döring! Geppert! H orni KutterIVesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 124ff., 136ff. 694 Einzelbegründung zu Art.24, AbgH v.Bln, Drs. 12/5571 S.9.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
den engeren Verflechtungsraum einschließlich der Stadt Berlin und zweitens den äußeren Entwicklungsraum. In Art. 25ΙΠ S. 1 NV wird speziell die Berliner Raumordnungsfunktion dargestellt: Berlin ist als Bundeshauptstadt sowie als herausragendes Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kulturzentrum des gemeinsamen Landes in diesen Funktionen zu stärken695. Diese Gewichtung Berlins wird in Protokollnotiz Nr. 4 zu Art. 25 III S. 1 NV noch einmal bekräftigt. Damit scheint die in Art. 251S. 2 NV vorgenommene Raumzweiteilung, bei der Berlin und der engere Verflechtungsraum zusammengefaßt werden, zunächst sinnlos zu sein. Denn diesen Teilräumen scheint im weiteren keine Funktion zuzukommen. Wenn in Art. 25 I I NV die Regionen dahin definiert werden, daß sie die räumlichen Ungleichgewichte des engeren Verflechtungsraumes und des äußeren Entwicklungsraumes ausgleichen sollen, so wäre diese Aufgabe der Regionen auch ohne die Begrifflichkeit der Teilräume möglich. Mit der Definition des engeren Verflechtungsraumes wird zunächst der Eindruck hervorgerufen, daß die Stadt-Umland-Problematik zwischen Berlin und dem es umgebenden Umlandes mit Vertragsabschluß bereinigt sei. Der eigentliche Regelungsgehalt der Unterscheidung der Teilräume zeigt sich aber erst im Zusammenhang mit dem Landesplanungsvertrag (hierzu sogleich c)). Im Zusammenspiel mit den Zielen der Landesentwicklung zeigen sich noch einmal mit aller Deutlichkeit die Widersprüchlichkeiten zwischen dem von Brandenburg durchgesetzten Tortenstückmodell und der Teilraumgliederung. Zwar wiederholt einmal Art. 25IV NV die Grundsätze der Landesentwicklung nach Art. 24 ΠΙ NV und konkretisiert ihre Anwendung auf insbesondere den engeren Verflechtungsraum, wie auch Art. 251 NV den Art. 24 ΠΙ, IV NV auf den äußeren Entwicklungsraum konkretisiert. Die Einteilung der beiden Teilräume in Form von zwei kreisförmigen Segmenten konterkariert jedoch die durch Brandenburg vorgenommene sternförmige Bildung der Regionalplanungsgebiete, so daß im Falle einer Neugliederung Synergieeffekte auf dem Gebiet der Raumordnung und Landesplanung nicht in dem möglichen Maße eingetreten wären. Trotz allem ist sich der Neugliederungs-Vertrag der Bedeutung der Raumordnung und Landesplanung bewußt, so daß er in diesem Bereich die allgemeine Zusammenarbeitsverpflichtung des Art. 51 NV für die Übergangszeit konkretisiert: Art. 261 NV verpflichtet die Länder zu einer gemeinsamen Raumordnungspolitik und Landesplanung. Er komprimiert die Protokollnotiz Nr. 4 zu Art. 24 NV und verallgemeinert die darin ausgesprochenen Aufträge. Besondere Bedeutung erlangt in diesem Zusammenhang die Niederlausitzer Braunkohle. Das Land Brandenburg hatte diese Materie bereits 1993 vorbereitend in §§ 12-16 RegBkPIG geregelt: Nach § 12 II S. 1 RegBkPIG ist es Ziel des Braunkohleplanes, „eine langfristig sichere Energieversorgung zu ermöglichen, die zugleich umweit- und sozialverträglich ist". Hierüber erhob sich zwischen beiden Ländern eine öffentliche Diskussion, die auf Berliner Seite weniger sachlich als vielmehr verhandlungstaktisch motiviert war: Erst das durch den Braunkohleabbau bedingt in die Spree abgepumpte Grundwasser ermöglicht Berlin eine sichere Trinkwas695
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Entsprechendes ist für Potsdam als Landeshauptstadt in Art. 25 III S. 2 NV festgelegt.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
serversorgung 696. Ohne diese quantitative Anreicherung des Grundwassers sänke der Grundwasserspiegel in einem Maße, das zudem die Berliner und brandenburgischen Wald- und sonstigen Naturbestände emsthaft gefährdete 697. Seitens Brandenburg ist mit der Sicherung eines Mindesteinsatzes der Lausitzer Braunkohle „die Glaubwürdigkeit seiner Industrie- und Sozialpolitik verbunden."698 Daher verwundert es nicht, daß sich in Art. 26 II NV beide Länder schon für die Übergangszeit zu der Unterstützung der industriellen Erneuerung der Niederlausitz durch Strukturwandel und Nutzung der dortigen Braunkohle verpflichten und ihre Regierungschefs diese Verpflichtungen in einem Briefwechsel, der Bestandteil des NeugliederungsVertrag ist, inhaltlich für das gemeinsame Land fortbestehend, bekräftigen 699. Insgesamt ist das Kapitel Landesentwicklung eine Kompromißlösung, in der Berlin seine Interessen nur sehr begrenzt durchzusetzen vermochte. Das erklärt, daß sich insbesondere Art. 24 und 25 N V inhaltlich stark überschneiden und wenig aufeinander abgestimmt sind. Bis hierher stellen sich die vertraglichen Regelungen der Art. 24,25 N V als gute Hoffnung in einer auf weitem Terrain verlorenen Sache dar, bei denen sich die Frage stellt, ob sie damit den Vorgaben des Art. 291S. 2 G G 7 0 0 gerecht werden: Berücksichtigt die Neugliederung sowie Art. 24, 25 N V in ausreichender Weise die Raumordnung und Landesplanung? Mit Hinblick auf Art. 26 Π Ι N V sind Art. 24-26 N V lediglich die Spitze eines Eisberges, der sich mit der Gesamtplanung des gemeinsamen Landes befaßt. c) Der Landesplanungsvertrag: Art. 291S. 2 GG genügende Konkretisierung des Neugliederungs-Vertrages Die planungsrechtlichen Bestimmungen des Neugliederungs-Vertrages sind im Zusammenhang mit dem nach Art. 2 6 Ι Π N V vorgesehenen Staatsvertrag zu lesen: Art. 26 Π Ι N V bestimmt, daß Aufgaben, Trägerschaft sowie Grundsätze und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung einschließlich der Abstimmung der Regionalplanung durch Staatsvertrag geregelt werden. Diesen Landesplanungsvertrag hatten beide Länder bereits am 6. April 1995 unterzeichnet 701. Das Abgeordnetenhaus von 696 Döring!Geppert/ Ηorni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 143 ff., 179. 697 Döring/Geppert/Horn/Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 143 ff. 698 Döring!Geppert!Horn!Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 179. 699 Vorlage - zur Beschlußfassung - über NeugliederungsvertragsG, AbgH v. Bin, Drs. 12/5521 S.20. 700 Vgl. oben 1. Kapitel B.II.2. 701 Staatsvertrag über die Aufgaben und Trägerschaft sowie Grundlagen und Verfahren der gemeinsamen Landesplanung zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg (Landesplanungsvertrag), abgedr. in: GVB1. Bin v. 4.7.1995, S. 407, GVB1. Bbgl v. 20.7.1995, S. 210. - Bereits am 4.4.1995 hatten beide Länder Entwürfe für das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm für den Gesamtraum beider Länder sowie einen gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin beschlossen. Im
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
Berlin 702 und der Landtag Brandenburg703 haben ihm jeweils zusammen mit dem Neugliederungs-Vertrag am 22. Juni 1995 zugestimmt. Im Rahmen der Zustimmung hat der brandenburgische Landtag zugleich das Vorschaltgesetz zum Landesplanungsgesetz und Landesentwicklungsprogramm für das Land Brandenburg außer Kraft gesetzt und durch das Brandenburgische Landesplanungsgesetz - BbgLPIG ersetzt704. Ferner modifizierte er § 2 RegBkPIG dahin, daß die Regionalpläne sich inhaltlich auf den nach dem Landesplanungsvertrag aufzustellenden Landesentwicklungsprogramm sowie den Landesentwicklungsplänen beziehen705. Fast zur gleichen Zeit - am 4. Juli 1995 - beschloß die Brandenburger Landesregierung im Einvernehmen mit dem Landtagsausschuß für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung den Landesentwicklungsplan Brandenburg LEPI - Zentralörtliche Gliederung - 7 0 6 , der Anlage 1 VorschGLPl. ersetzt707 und sie für die zentralen Orte mittlerer Stufe differenziert 708. Brandenburg hatte damit auch für die zentralörtliche Gliederung vollendete Tatsachen geschaffen, die Grundlage für das Landesentwicklungsprogramm sowie die weiteren Landesentwicklungspläne waren: „Er legt einen wesentlichen Bestandteil des raumordnerischen Leitbildes als Ziel der Raumordnung und Landesplanung fest" 709. Der Landesplanungsvertrag selbst trat gemäß Art. 25 LP1V nach Austausch der Ratifikationsurkunden am 1. August 1995 in Kraft. Durch eine mehrschichtige Vernetzung der Raum- und Landesplanung, die unabhängig von dem Neugliederungs-Vertrag Bestand hat710, haben beide Länder den bis Mai 1995 sollten beide Entwürfe in nächster Zeit in das erforderliche Beteiligungsverfahren gehen (vgl. Einzelbegriindung zu Art. 26, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 10). 702 AbgH v.Bln, Prot. 12/87 S.7525 (B); AbgH v.Bln, Drs. 12/5746. 703 LT-Prot. 2/17 S. 1462ff.; LT-Drs. 2/579, LT-Drs. 2/850. 704 Art. 2 des Gesetzes zu dem Landesplanungsvertrag v. 6.4.1995: Landesplanungsgesetz und Vorschaltgesetz zum Landesentwicklungsprogramm für das Land Brandenburg (Brandenburgisches Landesplanungsgesetz - BbgLPIG) (GVB1.1 S. 210). Das Gesetz modifiziert das VorschGLPl. im wesentlichen dahin, daß die dort genannten Grundsätze und Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die § 3 BbgLPIG wiederholt, gemäß § 5 III BbgLPIG nur noch übergangsweise gelten, bis entsprechende Regelungen gemäß Art. 7,8 LP1V in Kraft treten. An die Stelle der Kontrollmechanismen der §§ 2,9,10,12 VorschGLPl. treten die Bestimmungen der Art. 12-16 LP1V. 705 Art. 3 des Gesetztes zu dem Landesplanungsvertrag v. 6.4.1995: Änderung des Gesetzes zur Einführung der Regionalplanung und der Braunkohlen- und Sanierungsplanung im Land Brandenburg (GVB1.I S.210). 706 GVB1. II S. 474. - Der LEP I legt für die zentralen Orte oberer und mittlerer Stufe für das Land Brandenburg fest, Teil 1.1.2. Abs. 2, Teil II. 1. Abs. 1. Femer konkretisiert er die Kriterien für die Bestimmung der zentralen Orte unterer Stufe, deren Festlegung gemäß Teil 1.1.2. Abs. 7 durch die Regionalen Planungsgemeinschaften als Träger der Regionalplanung (§ 4 II RegBkPIG) vorgenommen wird. 707 Teil 1.1.2. Abs. 8. 708 Teil II. 2.4., insbes. Abs. 3. 709 Erläuterungsbericht LEP I, Teil II. 1. Abs. 4 S. 2. 710 Art. 24: „(1) Dieser Staatsvertrag gilt für unbestimmte Zeit. Er kann von jedem vertragschließenden Land zum Ende des Kalenderjahres schriftlich mit einer Frist von drei Jahren gekündigt werden.
310
2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
dahin gewachsenen Zustand verfestigt 711, für die Zukunft jedoch ein überregionales - und soweit beide Länder sich zusammenschließen, effizientes - Gremium geschaffen: Auf der Ebene der obersten Landesplanungsbehörden als ein Bestandteil derselbenrichtetArt. 2 LP1V die gemeinsame Landesplanungsabteilung ein 712 . Mit ihrer Errichtung wird die GAST gemäß Art. 22 I I LP1V aufgelöst. Die gemeinsame Landesplanungsabteilung ist mit den wesentlichen Planungsaufgaben betraut. Darunter fallen gemäß Art. 2 Π Nr. 1,2 LP1V insbesondere die Zuständigkeit für das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm, das nach Art. 71 LP1V als Staatsvertrag zwischen beiden Ländern zu vereinbaren ist, die daraus gemäß Art. 8 LP1V zu entwickelnden gemeinsamen Landesentwicklungspläne sowie die Sicherstellung der Vereinbarkeit der Regionalpläne mit den gemeinsamen Grundsätzen und Zielen der Raumordnung und Landesplanung und ihre Genehmigung. Zur Sicherung der Durchsetzung der durch die gemeinsame Landesplanungsabteilung entworfenen Planungen sieht Art. 6 LP1V eine gemeinsame Landesplanungskonferenz auf Regierungsebene vor. Die gemeinsame Landesplanungskonferenz hat also vor allem nach Art. 61 S. 1 LP1V den Interessenausgleich zwischen beiden Ländern zu gewährleisten. Hinsichtlich des gemeinsamen Landesentwicklungsprogramms, das auf der Grundlage der dezentralen Konzentration zu entwerfen ist, dürfte aufgrund des bis hierhin bereits in der Vergangenheit bestehenden Konsenses wenig Schwierigkeiten zu erwarten sein. Anders dagegen die Landesentwicklungspläne: Soweit sie nicht den engeren Verflechtungsraum berühren, rufen zwar auch sie keine grundlegenden Auseinandersetzungen hervor. Doch sind an einer Stelle die Konflikte vorprogrammiert: Nach Art. 8 IH LP1V ist für den Teilraum des engeren Verflechtungsraumes ein Landesentwicklungsplan vorrangig aufzustellen. Damit wird eines offensichtlich: aufgrund des Willens, den Neugliederungs-Vertrag abzuschließen, basieren
(2) Bilden die vertragschließenden Länder ein gemeinsames Land, so gehen alle Rechte und Pflichten der bisherigen Länder aus diesem Vertrag auf das neue Land über." 711 Der bis 1994 entstandene Planungszustand beider Länder bleibt gemäß Art. 22IV, V LP1V erhalten: „(4) Die Darstellungen des Berliner Flächennutzungsplanes vom 23. Juni 1994 (FNP 94) gelten als an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung angepaßt. Für Vorhaben, die im Berliner Flächennutzungsplan dargestellt sind, werden Raumordnungsverfahren nicht durchgeführt. (5) Im Brandenburger Teil des engeren Verflechtungsraumes gelten als an die Ziele der Raumordnung und Landesplanung angepaßt: 1. bis zum 4. April 1995 genehmigte Bebauungspläne, Vorhaben- und Erschließungspläne sowie Entwicklungssatzungen, 2. bis zum 30. September 1994 genehmigte Flächennutzungspläne, 3. Entwürfe zu Bebauungsplänen, Vorhabenund Erschließungsplänen sowie Entwicklungssatzungen, deren öffentliche Auslegung bis zum 30. September 1994 bekanntgegeben wurde." 712 Das Verfahren der gemeinsamen Landesplanungsabteilung regelt die von den Regierungen beider Länder am 24.1.1996 gemäß Art. 16IV LP1V einvernehmlich erlassene Verordnung über die einheitliche Durchführung von Raumordnungsverfahren für den gemeinsamen Planungsraum Berlin-Brandenburg (Gemeinsame Raumordnungsverfahrensverordnung - GROVerfV) (GVB1. Bin S.90; GVB1. Bbg II S. 82). Sie ersetzt zugleich die Raumordnungsverfahrensordnung des Landes Brandenburg v. 28.6.1994 (GVB1. II S.562).
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
dessen Planungsvorschriften nur auf einem Minimalkonsens. Art. 24-26 NV bezeichnen allein die essentiellen Grundsätze der Planung. Das Konfliktpotential haben beide Länder aus den unmittelbaren Vertragsverhandlungen ausgeklammert. Der Landesplanungsvertrag sieht nun - abhängig von einer möglichen Neugliederung - zwei Lösungsmöglichkeiten vor: Kommt eine Neugliederung nicht zustande, bleibt der durch den Landesplanungsvertrag institutionalisierte Zustand erhalten. Für den engeren Verflechtungsraum bedeutetet dies Stagnation. Der Vertrag hält keine konkrete Lösung bereit. Er delegiert lediglich die anstehenden Auseinandersetzungen an die gemeinsame Landesplanungsabteilung sowie die gemeinsame Landesplanungskonferenz 713. Eher subtil impliziert der Landesplanungsvertrag eine Lösung für den Fall der Neugliederung: Nach Art. 24Π LP1V gehen alle Rechte und Pflichten der bisherigen Länder aus dem Vertrag auf das neue Land über. Eine Wahrnehmung von Rechten und Pflichten durch die Stadt Berlin ist aufgrund ihres Kommunalstatus nicht vorgesehen. Sie wäre damit weder in der gemeinsamen Landesplanungsabteilung noch in der gemeinsamen Landesplanungskonferenz vertreten. Die Geltendmachung ihrer Interessen könnte die Stadt Berlin nur noch auf gerichtlichem Wege geltend machen: Nach Art. 241 S. 1 NV muß die Landesplanung des gemeinsamen Landes den Interessen der Stadt Berlin gerecht werden. Doch jede unmittelbare Einflußnahme wäre ihr versagt. Das Land Berlin wäre im Fall der Rechtskraft des NeugliederungsVertrages damit zwangsläufig angehalten gewesen, die Aufstellung des Landesentwicklungsplanes für den engeren Verflechtungsraum noch vor der Errichtung des gemeinsamen Landes zu erreichen, um eine optimale Geltendmachung der Berliner Interessen zu ermöglichen. Dieser zeitliche Zugzwang bestärkt die von vornherein dominierende Verhandlungsposition Brandenburgs714 hinsichtlich der Raumordnung und Landesplanung. Da Brandenburg allein durch Zeitablauf sich seines Verhandlungspartners hätte entledigen können, konnte ihm nicht viel daran liegen, den Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum zügig aufzustellen. Ungeachtet dieses nicht unproblematischen Weges, einen gemeinsamen konstruktiven und für die Beteiligten damit zufriedenstellenden Interessenausgleich im Sande verlaufen zu lassen, liegt der letztlich erreichte Institutionenzustand jedenfalls insoweit im Sinne einer Neugliederung: Mit der Landesplanung als Landesaufgabe liegt sie für einen einheitlich zu beplanenden Raum nur noch in der Hand einer einzigen zuständigen Landesverwaltung. Für die Regionalplanung läßt sich dies nicht sagen: insgesamt sechs Regionalplanungseinheiten müssen sich gemeinsam um die einheitlich erforderliche Regionalplanung im engeren
713 Allerdings geht der mit der Einrichtung dieser beiden Institutionen erreichte Zustand bereits deutlich über die Zusammenarbeit in den Stadt-Umland-Regionen Hamburg sowie Bremen hinaus, vgl. Priebs, Gemeinsame Landesplanung Berlin/Brandenburg - Vorbild für die Regionen Bremen und Hamburg?, in: DÖV 1996, S.541 (546ff.); zu weiteren planungsspezifischen Einzelheiten siehe Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Techno logie, Stadt und Nachbarn, 1996, S.2 (31). 714 Hoffmann/Dill (Hrsg.), Berlin 2000, Bdll, S. 85.
3 1 2 .
Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Verflechtungsraum bemühen715. Ist diese Lösung während des Nebeneinander der Länder Berlin und Brandenbuig unter bestimmten Kooperationsvoraussetzungen als Übergangslösung noch hinnehmbar, so wäre sie in einem gemeinsamen Land kaum mehr vertretbar 716. Die von dem Landesplanungsvertrag gewählte Konstruktion der Regionalplanung wirft daneben weitere Fragen auf. Nach Art. I l l LP1V erfolgt die Zusammenarbeit in der Regionalplanung und die gegenseitige Beteiligung und Abstimmung in der regionalen Planungskonferenz. Diese setzt sich zusammen aus den Mitgliedern der Landesplanungskonferenz, je zwei Vertretern der Träger der Regionalplanung im Land Brandenburg und zwei Vertretern der Berliner Bezirke. Einzelfragen delegiert die regionale Planungskonferenz an den Regionalplanungsrat. Dieser setzt sich gemäß Art. 11 II LP1V zusammen aus den Vorsitzenden der Träger der Regionalplanung im Land Brandenburg sowie zweier Vertreter der beiden Landesregierungen. Für den Fall der Neugliederung wäre die Stadt Berlin also in der regionalen Planungskonferenz mit zwei Bezirksvertretern, in dem Regionalplanungsrat jedoch nicht vertreten gewesen. Diese zunächst fragwürdige Besetzung ergibt sich aus dem Gegenstand der Regionalplanung: Art. 25 V NV sieht eine Bildung von regionalen Entwicklungsräumen außerhalb des engeren Verflechtungsraumes vor. Unmittelbare Interessen des Landes oder der Stadt Berlin sind damit nicht betroffen. Eine andere Frage ist die nach dem bereits erzielten planungsrechtlichen Zustand: angesichts des beschrittenen Weges - zuerst die eigenen Interessen zu sichern und im weiteren die damit erforderliche Schadensbegrenzung zu betreiben - mag die planungs-inhaltliche Sinnhaftigkeit in Zweifel gezogen werden, entzieht sie sich im übrigen jedoch der juristischen Bewertung. Doch lassen die niedergelegten Grundsätze und Zielvorgaben per se nichts zu wünschen übrig. Sie entsprechen den allgemeinen Vorgaben einer geordneten, wirtschaftliche, soziale und ökologische Aspekte berücksichtigenden Raumordnung und Landesplanung, wie sie von Art. 291 S. 2 G G gefordert ist 7 1 7 . 715
Siehe etwa Döring/Geppert! Horni Kutter/Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S.80ff.; femer Senatsverwaltung ßr Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Stad und Nachbarn, 1996, S.30. 716 Vgl. Geppert, Berlin-Brandenburg - eine verpaßte Chance, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Die gescheiterte Fusion Berlin-Brandenburg, 1997, S.4 (7); Sauberzweig/Schmidt-Eichstaedt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357 S. 35 (94 Rn. 44). 717 Entsprechendes gilt für das inzwischen in Kraft getretene gemeinsame Landesentwicklungsprogramm (Berlin: Gesetz zu dem Staatsvertrag über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg (Landesentwicklungsprogramm) und über die Änderung des Landesplanungsvertrages vom 9. Dezember 1997 (GVB1. S. 657); Brandenburg: Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 7. August 1997 über das gemeinsame Landesentwicklungsprogramm der Länder Berlin und Brandenburg (Landesentwicklungsprogramm) und über die Änderung des Landesplanungsvertrages vom 4. Februar 1998 (GVB1.1S. 14) sowie für den gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Berlin-Brandenburg (Verordnung über den gemeinsamen Landesentwicklungsplan für den engeren Verflechtungsraum Brandenburg-Berlin vom 2. März 1998 (GVB1. Bin S. 38; GVB1. Bbg II S. 186)), siehe hierzu ausführlich Ministerium ßr Umwelt, Naturschutz und Raumordnung, Senatsverwaltung ßr Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.), G meinsam planen für Berlin und Brandenburg, 1998.
D. Schaffung eines leistungsfähigen gemeinsamen Landes
313
2. Konformität des neuen Landes mit den Raumordungsvorgaben des Art. 291 S. 2 GG auf Bundesebene Aber auch auf Bundesebene muß ein Bundesland Berlin-Brandenburg raumordnungsspezifische Vorgaben des Art. 291 S. 2 GG erfüllen und der Raumordung und -planung des Bundes entsprechen718. An diesen Anforderungen läßt sich ein gemeinsames Land problemlos messen: Brandenburg ist - wie die übrigen jungen Bundesländer - nach Zuschnitt und zukünftiger wirtschaftlicher Größe ein unzulängliches Bundesland: „Nach innen fehlt Berlin, nach außen nimmt Brandenburg an der Problematik der Bundesländer teil, die als zu klein empfunden werden"719. Entsprechendes gilt umgekehrt für Berlin als Großstadt ohne Umland. In ihrem aufgrund der Wiedervereinigung außerordentlichen720 Raumordnungsbericht 1993721 spricht die Bundesregierung die Wichtigkeit einer Neugliederung Berlin-Brandenburg für die Bundesraumordnung an: „[...] die angestrebte Vereinigung beider Länder [...] [hat] als wichtige raumpolitische Aufgaben: - [ . . . ] - Der Großraum Berlin stellt aus raumstrukturellen, ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und infrastrukturellen Gründen einen dynamischen Verflechtungsbereich dar. Deshalb bedarf es der engen Koordination von Planungen und Maßnahmen, um die vielfältigen Verflechtungsaspekte zwischen Berlin und dem Umland angemessen zu berücksichtigen und geordnet weiterzuentwickeln. - Die Bewältigung des ökonomischen Strukturwandels sowohl in Berlin als auch im Raum Berlin-Brandenburg. - Die funktionale Einordnung von Berlin in die dezentrale Raum- und Siedlungsstruktur des Bundesgebietes sowie in das europäische Städtenetz als Metropole und wichtiger wirtschaftlicher und kultureller Vermittler zwischen West- und Osteuropa"722. Der letzte Gedankenstrich betont die raumordnungspolitische Bedeutung der Vereinigung auf Bundesebene. Mit den davor aufgeführten Gedankenstrichen wendet der Raumordnungsbericht sich zur Erreichung dieser Zielvorgabe an die Landesplanung eines einheitlichen Landes beziehungsweise bis dahin an die beiden Länder Berlin und Brandenburg. Der Bericht stellt daher fest: „Der weitere Ausbau Berlins zur Bundeshauptstadt und zugleich zur europäischen Metropole sowie die angestrebte Vereinigung beider Länder Berlin und Brandenburg berühren aufgrund ihrer länderübergreifenden Bedeutung sowie der Hauptstadtfunktion von Berlin unmittelbar 718
Vgl. oben 1. Kapitel B.II.2. Sauberzweig/Schmidt-Eichstädt, Gemeinsame Landes- und Regionalplanung für Berlin und Brandenburg, abgedr. AbgH v. Bin, Drs. 12/2357, S. 35 (39); femer Gärtner, Die Bildung des Bundeslandes Berlin-Brandenburg, in: NJW 1996, 88 (88). 720 Nach § 11 ROGBd a. F. erstattete die Bundesregierung 1990 durch das BMin.f Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.) einen Raumordnungsbericht (BT-Drs. 11/7589). Der Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (19. Ausschuß) empfahl, aufgrund der Wiedervereinigung den turnusmäßig erst 1994 nächsten Raumordnungsbericht schon für das Jahr 1993 von der Bundesregierung anzufordern, vgl. BT-Drs. 12/2143. 721 Abgedr. BT-Drs. 12/6921. 72 2 BMin.f. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993, BT-Drs. 12/6921 S.91 f. (Hervorhebungen nicht im Original). 719
314
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Bundesinteresse. Das Interesse der Bundesraumordnung ist es, die Entwicklung von Berlin und seinem engeren Verflechtungsraum einzubinden in die bewährte polyzentrische Städtelandschaft der Bundesrepublik Deutschland und sie zugleich zu nutzen für eine Stabilisierung der Siedlungsstruktur des Landes Brandenburg. Raumordnerisches Instrument zur Umsetzung dieser Aufgabenstellung ist das im raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen vom Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau vertretene räumliche Leitbild der dezentralen Konzentration", das einer ausgewogenen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zur „Schaffung möglichst gleichwertiger Lebensbedingungen in allen Landesteilen"723 dienen soll. Ebendies sind aber auch die Vorgaben des Art. 291 S. 2 GG an die Berücksichtigung der Raumordnung des Bundes im Rahmen einer Neugliederung. Diese lassen sich insbesondere für den engeren Verflechtungsraum mit einer geordneten Planung und Entwicklung unter der Regierung eines einzigen Landes BerlinBrandenburg eher realisieren, als in der gegenwärtigen Situation, in der zwei Bundesländer an der gemeinsamen Planung beteiligt sind. So kam auch der Beirat für Raumordnung am 1. Juli 1993 in seiner Empfehlung zur Entwicklung des Raumes Berlin-Brandenburg „zu der Einschätzung, daß die Maßnahmen zur Verwirklichung dieser Absichten [...] bisher nicht der Notwendigkeit und der Dringlichkeit der Abstimmungsaufgabe entsprechen". Mit Hinblick auf das brandenburgische Tortenstückmodell befürchtete er sogar, daß „falls es nicht bald zu einer grundlegenden Änderung im Verhalten der Beteiligten [...] kommt, sich die längerfristigen Entwicklungsvoraussetzungen im Gesamtraum eher verschlechtern als verbessern"724. Aus bundesraumplanerischer Sicht ist daher ein einheitliches Bundesland BerlinBrandenburg eine unausweichliche Notwendigkeit725.
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit gemäß Art. 2 9 1 G G Grundlegende Richtschnur jedweder Neugliederung ist neben der Erfüllung der objektiven Anforderungen die Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit gemäß Art. 291 GG 726 . Die Neugliederung muß mit dem Willen der betroffenen Bevölkerung im Einklang stehen. Diese muß bereit sein, ihr bisheriges Identifikationsbewußtsein für das mit einem neuen, gemeinsamen Land einzutauschen. Für die Neugliederung Berlin-Brandenburg verlangt Art. 118 a GG nur allge72 3 BMin.f. Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993, BT-Drs. 12/6921 S.93f. 72 4 BMin.f Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Hrsg.), Raumordnungsbericht 1993, BT-Drs. 12/6921 S.96. 725 Verstärkt wurde dieses vom Bund ausgesprochene Bedürfnis noch durch die Hauptstadtplanung in Berlin: Aufgrund des Hauptstadtvertrages ist der Bund ebenfalls an der planungsrechtlichen Kooperation der beiden Länder beteiligt. 726
Vgl. oben 1. Kapitel B.III.
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
315
mein, ohne sie zu konkretisieren, die Beteiligung der Bevölkerung beider Länder. Jedoch setzen die Verfassungen von Berlin und Brandenburg in concreto eine Volksabstimmung nach Maßgabe eines Neugliederungsvertrages voraus727. Der Neugliederungs· Vertrag hat also die Volksentscheide rechtlich auszugestalten (I.). Auf der praktischen Seite muß die Bevölkerung auf den Volksentscheid vorbereitet werden. Dies geschieht typischerweise mittels Informations- und Werbekampagnen, derer sich auch die Regierungen beider Länder bedient haben, um zugleich die bisherige landsmannschaftliche Verbundenheit zu öffnen für ein gemeinsames Land, obgleich ein solches Vorgehen in dem Vorfeld von Abstimmungen nicht unproblematisch ist (II.). Bei diesen Kampagnen haben sich sowohl die Regierungen beider Länder als auch die Medien durch Umfragen über die landsmannschaftliche Verbundenheit und das diese prägende Meinungsbild der Menschen informiert, um ihr Vorgehen beziehungsweise ihre Berichterstattung daran zu orientieren (HL). Obgleich die Tendenz der Bevölkerung insgesamt eher positiv einer Neugliederung gegenüber war, kam es am 5. Mai 1996 zum Eklat. Der Neugliederungs-Vertrag vermochte die Hürde der Volksabstimmungen nicht zu nehmen. Rückblickend auf die durchgeführten Umfragen sowie die politischen Ereignisse lassen sich Stimmungshochs und -tiefs ersehen und Erklärungsansätze für die Abstimmungseigebnisse in Berlin und Brandenburg finden (IV.).
I. Rechtlicher Niederschlag im Neugliederungs-Vertrag: Zustimmung der Parlamente und Volksentscheide, Art. 3 NV das fragwürdige Quorum Art. 3 NV wiederholt die Legitimationssäulen der Ländervereinigung BerlinBrandenburg und schreibt in Absatz 1 Satz 1 zunächst eine Zweidrittelmehrheit für den Neugliederungs-Vertrag in den beiden Länderparlamenten vor. Unabhängig von den Bestimmungen der beiden Landesverfassungen zu der Neugliederung ergibt sich diese Mehrheit daraus, daß der Neugliederungs-Vertrag beziehungsweise sein Zustimmungsgesetz nicht nur verfassungsändernd, sondern in letzter Konsequenz sogar verfassungsauflösend wirkt 728. Die zweite Säule ist die Zustimmung der Bevölkerung beider Länder in einer Volksabstimmung, Art. 31 S. 1 NV 7 2 9 . Nach Art. 31 S. 2 NV ist dabei in jedem der beiden Länder eine Mehrheit für die Neugliederung erforderlich, die zugleich je727
Siehe hierzu oben 2. Kapitel A.III. S.a. oben 2. Kapitel A.III. 729 Nach Art. 3 II Ν V war mit den Volksabstimmungen die Frage nach dem Fusionszeitpunkt 1999 oder 2002 zu verbinden, wobei bei unterschiedlichen Voten der spätere Zeitpunkt hätte gelten sollen. 728
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2. Kap. : Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
weils mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten umfaßt 730. Dieses Quorum bedeutet faktisch, daß, sofern es nicht erfüllt wird, jede nicht abgegebene Stimme einer Nein-Stimme gleichkommt731. Im Hinblick auf die Neugliederungsversuche in der Bundesrepublik Deutschland732 verwundert die Bestimmung733. Ein entsprechendes Quorum wurde ursprünglich nur deshalb in das Grundgesetz aufgenommen, um eine konkrete Neugliederung, die Abspaltung Badens von BadenWürttemberg zu verhindern 734. Vor diesem Hintergrund versteht sich Art. 118 a GG, der für die Neugliederung Berlin-Brandenburg lediglich die Beteiligung der Bevölkerung verlangt und entgegen Art. 29 VIII S. 5 GG auf jedes verfassungsrechtlich verankerte Quorum verzichtet. Art. 118 a GG und Art. 31S. 2 NV stehen sich konträr gegenüber. Art. 118 a GG wurde mit seinem Wortlaut auf Initiative von Berlin und Brandenburg in das Grundgesetz eingefügt, um die erfolgreiche Vollendung der Neugliederung möglichst zu gewährleisten735. Dem entgegengesetzt folgt aus der Quorumsregelung des Art. 31 S. 2 NV, daß, sofern der Neugliederungs-Vertrag die erforderliche Zustimmung in den Länderparlamenten findet, er mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Volksabstimmung scheitert736. Interessanterweise gab es zu dieser Quorumsregelung keine erkennbare Diskussion in der Öffentlichkeit. Die Regelung kam in der letzten Verhandlungsphase vornehmlich auf Drängen aus der Berliner CDU in den Vertrag 737. Damit stellt sich die Frage, ob die Neugliederungs730
Die Abstimmungsregelung des Art. 3 NVfindet gemäß Art. 3 III NV ihre Konkretisierung in dem Staatsvertrag zur Regelung der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg über den Neugliedemngs-Vertrag (AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S. 39 ff.), der am 29. Juli 1995 in Kraft trat (GVB1. Bin S.554; GVB1. Bbg IS. 231). Der Vertrag regelt die technischen Einzelheiten der Volksabstimmungen und tritt als ihre gesetzliche Grundlage nach seinem Art. 23 bereits mit der letzten Veröffentlichung des Neugliederungs-Vertrages im Gesetz- und Verordnungsblattes in den Ländern Berlin und Brandenburg in Kraft, s. a. Begründung für das NeugliederungsvertragsG, AbgH v.Bln, Drs. 12/5521 S.2. 731 Siehe hierzu oben 1. Kapitel B.III, l.c). 732 Siehe 1. Kapitel D.IV.2., E. 733 Schon Art. 29IV S. 1 GG und Art. 29 VIIIS. 5 GG bestimmen, daß die bei einer Neugliederung erforderliche Volksabstimmung eine einfache Mehrheit erreichen muß, die mindestens ein Viertel der Abstimmungsberechtigten ausmacht. Hierzu ist in der Vergangenheit in Politik und Literatur festgestellt worden, daß dieses Quorum eine in der Praxis schwer zu nehmende Hürde darstellt, siehe oben 1. Kapitel Α.II. 2, Β. ΠΙ. 1. c), Ε. II. 2. 734 Siehe oben 1. Kapitel A.II.2. 735 Siehe oben 2. Kapitel A.II. 736 Mit diesem Argument versuchten die Befürworter einer Neugliederung in beiden Landesparlamenten sogar ihre Gegner zur Zustimmung zu bewegen, vgl. nur Grunert, „Nach dem Ja der Parlamente haben die Bürger das Wort", in: TSP v. 21.6.1995; dies., „Wir müssen jetzt kämpfen", in: TSP v. 13.6.1995; BZ v. 21.6.1995, .Länderehe: Jetzt sind die Abgeordneten dran"; Krauß, „Stolpe bringt SPD auf Linie", in: BerlZ v. 15.6.1995, zitiert Angelika Thiel (SPD-Vors. StadtParl. Potsdam) mit den Worten: „Niemand, auch kein Ablehner des Zusammenschlusses, habe das Recht, dem Volk die Abstimmung über die Länderneugliederung zu verweigern."; ferner Gespräch B1 mit Mitarbeiter aus der Staatskanzlei Brandenburg vom 26.1.1998. 737 Hartmann, UJHerten/Schroeder, Land in Sicht, 1996, S.95.
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
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befürworter an dieser Stelle nicht die erforderliche Aufmerksamkeit haben walten lassen oder ob die Verhandlungspartner ein Scheitern der Neugliederung billigend in Kauf genommen haben738. Demgegenüber ist die Begründung zum Neugliederungs· Vertrag, wonach sich die Vertragsparteien entgegen dem von Bundesrat und Bundestag beschlossenen Art. 118 a GG wegen der Tragweite und Unumkehrbarkeit der Entscheidung sowie zur Sicherung der Repräsentativst gegen das Grundgesetz für ein hohes Quorum entschieden hätten739, nicht überzeugend. Art. 118 a GG beruht gerade auf der Initiative von Berlin und Brandenburg, die mit diesen nunmehr vorgebrachten Gründen schon mit ihren Anträgen zu Art. 118a GG ein entsprechendes Quorum hätten einbringen können. Im übrigen ist jede Volksabstimmung über eine Verfassung nicht minder bedeutend. In diesem Zusammenhang sieht jedoch auch der Neugliederungs-Vertrag keine Quoren vor 740.
II. Rechtmäßigkeit der Werbekampagnen in Berlin und Brandenburg Da die landsmannschaftliche Verbundenheit, das Identifikationsgefühl der Bevölkerung mit ihrem bisherigen Land, im Wege einer Volksabstimmung zu berücksichtigen ist, stellt sich die Frage, ob die Regierungen - wie in dem Zeitraum zwischen der Abstimmung des Neugliederungs-Vertrages in beiden Landesparlamenten und den Volksabstimmungen ab dem 31. Januar 1996 geschehen - im Hinblick auf die Abstimmung werben durften: ob sie auf bestehende landsmannschaftliche Verbundenheit Einfluß nehmen durften, um sie zu Gunsten eines gemeinsamen Landes umzulenken. Für eine Abstimmung im Rahmen des Art.29II-IV GG (1969) verneint Roellecke dies741. Indes können die Ausführungen hierzu, daß eine Neugliederung Bundes- und nicht Landessache sei und der Bund auf ein neutrales Meinungsbild 738
Denn mit der Neugliederung wären eihebliche Führungsstellen in der Politik aufgelöst worden. Bejaht man diese Frage, bleibt die Verwunderung über das vorige Engagement für die Neugliederung. Doch auch hier könnte es Antworten geben: Nach anfänglichem tatsächlichen Interesse wäre ein völliges Umschwenken in den Augen der Wähler unglaubwürdig gewesen. Femer konnte der einmal in die Wege geleitete Neugliederungs-Vertrag auf beiden Seiten für eigene Interessen genutzt werden. Insbesondere auf Berliner Seite bestand gegenüber den Wählern ein Erklärungsbedürfnis für notwendige Sparmaßnahmen. Diese mußten den Wählern gegenüber ohne Stimmenverlust, d.h. ohne eigene Verantwortlichkeit begründet werden. Ähnlich, wie die Maastricht-Bestimmungen für notwendige Einsparungen des Bundes vorgeschoben wurden, wurden die Maßgaben des Neugliederungs-Vertrages möglicherweise vorgeschoben, um längst und unabhängig vom Neugliederungs-Vertrag erforderliche Sparmaßnahmen, - etwa den Abbau von 40.000 öffentlichen Stellen - zu begründen. 739 Einzelbegründung zu Art. 3 NV, AbgH v. Bin, Drs. 12/5571 S. 3; Gespräch B2 mit Mitarbeiter aus der Staatskanzlei Brandenburg vom 9.2.1998. 740 Siehe oben 2. Kapitel C. III. 3. 741 Roellecke, Darf die Landesregierung in den Abstimmungskampf eingreifen? Rechtsgutachten von dems., in: Informationen zur Baden-Frage 3,1970, S. 11.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
der Bevölkerung angewiesen sei, nicht ohne weiteres übertragen werden. Denn Art. 118 a GG stellt im Gegensatz zu der seinerzeitigen Neugliederungs-Verpflichtung des Bundes die Entscheidung über das „Ob" und „Wie" einer Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg zur Disposition der beiden Länder und verlangt lediglich, die Bevölkerung in irgendeiner Weise zu beteiligen. Es ist daher den Ländern die Berechtigung zuzugeben, in der ihnen eigenen Sache der Neugliederung werbend auf die Abstimmungsberechtigten einzuwirken, um bestehende landsmannschaftliche Verbundenheiten zu überwinden und so vorbereitend auf eine neue landsmannschaftliche Verbundenheit für das gemeinsame Land hinzuwirken. Diese Berechtigung billigt auch der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin den Regierungen sich neugliedernder Länder, respektive dem Senat von Berlin zu: „Das Verfassungsgebot der grundsätzlich staatsfreien Meinungs- und Willensbildung des Volkes verpflichtet ihn hierbei zur Sachlichkeit, nicht aber zur Neutralität. Die für Wahlkämpfe entwickelten Beschränkungen der Öffentlichkeitsarbeit [...] lassen sich auf den Fall der Volksabstimmung über die Fusion nicht übertragen. [...] In diesen Meinungsbildungsprozeß darf auch der Senat von Berlin als durch das Grundgesetz ausdrücklich legitimierter Initiator einer Vereinigung der beiden Bundesländer eingreifen" 742. Doch das Gericht geht noch weiter und spricht der Landesregierung sogar die Aufgabe der sachlichen Beeinflussung der Bevölkerung zu: „Durch eine das Gebot der Sachlichkeit wahrende Beteiligung der Regierung am Meinungsbildungsprozeß wird sowohl dem legitimen staatlichen Interesse an einer bestimmten Entscheidung Rechnung getragen als auch die Bevölkerung in die Lage versetzt, sich ein eigenständiges Urteil über die Frage der Fusion zu bilden."743 Der Senat von Berlin beziehungsweise die Landesregierungen hatten geradezu die Aufgabe, in eigener Sache zu informieren und zu werben744.
I I I . Umfragen im Vorfeld der Volksentscheide: Stimmungsbarometer von Dezember 1994 - 5. Mai 1996 als Folge landsmannschaftlicher Verbundenheit Um die Abstimmungsmotivation sowie das daraus resultierende Abstimmungsverhalten tendenziell zu ermitteln und die Öffentlichkeitsarbeit entsprechend anzupassen, haben die beiden Landesregierungen, aber auch Zeitungen in beiden Ländern im Vorfeld der Abstimmung - seit Dezember 1994 bis April 1996 - bei ver742
VerfGH Bin, Beschl. v. 2.4.1996, in: JR 1997, S.97 (98) = LKV 1996, S.336 (Leitsätze); bestätigt durch BVerfG, Beschl. v. 29.4.1996, LKV 1996, S.333f. 743 VerfGH Bin, Beschl. v. 2.4.1996, in: JR 1997, S.97 (98). 744 In der damit verbundenen Öffentlichkeitsarbeit liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb, vgl. VerfGHBln, Beschl. v. 21.9.1995, in: LKV 1996, S. 133 (134); Beschl. v. 8.3.1996, in: JR 1997, S.58 (59) = LKV 1996, S.335 (336).
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
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schiedenen Umfrageinstituten quantitative Umfragen 745 zu dem Thema Neugliederung Berlin-Brandenburg in Auftrag gegeben. Sollen aus heutiger Sicht die Gründe für das Abstimmungsverhalten der Bevölkerung der Länder Berlin und Brandenburg über den Neugliederungs-Vertrag erforscht werden, bietet sich zunächst die Möglichkeit an, in der Gegenwart eine quantitative Umfrage über die seinerzeitige Abstimmungsmotivation durchzuführen. Doch würde eine solche Umfrage schon durch ihre zeitliche Distanz zum Abstimmungstag am 5. M a i 1996 nur schwer kontrollierbare Fehlerquotienten mit sich bringen 746 . Eine andere Möglichkeit ist daher, auf den seinerzeit erhobenen Umfragebestand zurückzugreifen. Die Untersuchung des bereits vorhandenen Datenbestandes gewährleistet eine höhere Unmittelbarkeit und damit eine höhere Zuverlässigkeit über die seinerzeitigen Motivationen und Abstimmungsabsichten. Auf sie beschränkt sich daher die weitere Untersuchung. Zwei große Umfrageserien gab es von Infas von Dezember 1994 bis Februar 1995747 sowie von Januar 1996 bis Ende April 1996748. Dazwischen führte Infratest Burke Berlin von März 1995 bis März 1996 in unregelmäßigen Abständen Umfragen durch, die eine weitere Umfrageserie bilden749. Die Umfrage im März 1996 überlagert sich mit der von Infas im selben Monat 745
Je nach Umfrageziel ist zwischen qualitativer und quantitativer Umfragetechnik zu wählen. Die qualitative Umfrage zeichnet sich durch hohe Detailgenauigkeit aus. Jedoch fällt dieser wegen ihres hohen Zeit- und des damit einheigehenden Finanzmittelaufwandes regelmäßig die Repräsentativität zum Opfer, da zumeist keine repräsentative Personenzahl befragt werden kann. Daher haben sich im Bereich des politischen und öffentlichen Lebens mündliche quantitative Umfragen durchgesetzt. Mittels standardisierter geschlossener und/oder offener Fragen kann diese Umfragetechnik mit verhältnismäßig geringem Zeit- und Geldaufwand eine repräsentative Anzahl von Personen befragen. Das Ergebnis einer solchen Umfrage kann-je nach Repräsentativität und Qualität - ein Wahl- oder Abstimmungsergebnis tendenziell prognostizieren oder Gründe und Motivationen für ein bestimmtes Wahl- oder Abstimmungsverhalten aufzeigen; vgl. im einzelnen etwa Atteslander/Kopp, M., in: Erwin Roth (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Methoden, 1995, 2.3. (S. 146ff.); Habermehl, Angewandte Sozialforschung, 1992, S. 158ff.; Schnell!Hill!Esser, Methoden der empirischen Sozialforschung, 1992, 3.1. (S. 118ff.)· 7.1. (S. 328ff.). 746 Es würde eine Verfälschung durch Mängel im Erinnerungsvermögen der zu befragenden Personen entstehen. Selbst wenn eine Person sich ihres Abstimmungsverhaltens und ihrer dazu führenden Motivation zu erinnern glaubt, ist keinesfalls sicher, daß diese Annahme zutrifft. 747 In dem Zeitraum führte Infas im Auftrag der Staatskanzlei des Landes Brandenburg monatlich eine Umfrage in Berlin und Brandenburg durch. Das sich hieraus ergebende und im folgenden verwendete Datenmaterial stellten in aufbereiteter Form freundlicherweise Mitarbeiter der Staatskanzlei Brandenburg im Gespräch (Cl) vom 24.2.1998 (im folgenden zit.: SKb 240298/C1) zur Verfügung. 748 Diese Umfrageserie führte Infas im Auftrag des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg, Femsehen und Antenne Brandenburg sowie der Berliner Zeitung durch, vgl. Infas; Fusionsbarometer, 1996, S. 1 (Die für den Umfragebericht im weiteren verwendete Seitenzählung beginnt auf der mit „Vorbemerkung" überschriebenen Seite.). 749 Vom 4.9.1995 bis 16.10.1995 führte Infratest-Burke Berlin im Auftrag der Staatskanzlei des Landes Brandenburg eine repräsentative Bevölkerungsbefragung durch. In dem Zeitraum befragte das Institut 1863 Personen, von denen 1782 wahlberechtigt waren, vgl. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in Berlin und
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
durchgeführten. Eine vierte Umfrageserie führte Forsa durch und befragte im April 1995 nur Berliner 750 und im Juni 1995 sowie in den Monaten Februar, April 1996 Berliner und Brandenburger 751. Darüber hinaus gab es weitere einzelne Umfragen: Emnid befragte die Bevölkerung Berlins und Brandenburgs im Mai 1995 und im Januar 1996752, Infas im Mai/Juni 1995753.
Um einen zeitlichen Überblick über die Entwicklung der Meinungstendenzen zu erhalten und sie gegebenenfalls mit politischen Ereignissen in Zusammenhang zu bringen, werden die einzelnen Umfrageergebnisse in einen zeitlichen Zusammenhang gesetzt. Dazu werden die einzelnen Umfrageeigebnisse themenspezifisch unmittelbar aufeinander abfolgend dargestellt und die Meinungstendenzen auf der Zeitachse aufgetragen. Aus der Sicht des Statistikers ist diese Aneinanderreihung unterschiedlicher Umfragen freilich nicht unproblematisch. Die von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten erstellten Umfragen verwenden differierende Umfragedesigns. Selbst bei inhaltlich gleichen Fragen ist der Wortlaut unterschiedlich, die Reihenfolge der Fragen voneinander abweichend und lenkt die befragten Personen in anderer Weise754. Die Umfrageergebnisse verlieren daher im Verhältnis zueinander an Aussagekraft. Vorliegend steht jedoch nicht die statistische Genauigkeit im Vordergrund. Vielmehr soll lediglich ein Eindruck über die Entwicklungstendenzen abgebildet werden, um diese mit parallelen Ereignissen in Verbindung zu bringen. Das umfassend vorliegende Umfragematerial bedarf zu seiner Berücksichtigung einer erheblichen Reduzierung. Sofem für einen Monat mehrere Umfragen vorhanden sind, beBrandenburg, Berichtsband (im folgenden zit.: Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband), 1995, S. 1. Die Umfrageauswertung bezieht sich auf von dems. durchgeführte Umfragen im März, Mai und Juni 1995, vgl. aaO., S. 8 f. Der Umfragebericht der Umfrage vom 1 .-14.3.1996 nimmt Bezug auf die von dems. durchgeführten Umfragen im März, Juni sowie der vorbenannte Umfrage im Jahre 1995, vgl. Infratest-Burke Berlin, Berichtsband zur Fusionsstudie, 1996, S.4f. Die Befragung im September/Oktober 1995 bediente sich standardisierter und offener Fragen. - Zur ausführlichen Auswertung nebst Methodenbeschreibung dass., Fusion Berlin-Brandenburg, Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in Berlin und Brandenburg (im folgenden: Fusion Berlin-Brandenburg), 1995, S.2ff. 750 Umfrage vom 3.-20.4.1995, vgl. Veröffentlichung der Umfrageeigebnisse bei Walter t, In Brandenburg wohnen? Viele Berliner sagen Ja. Und ebenso zur Länderfusion, in: BM v. 24.4.1995, S. 1,2. 751 Vgl. Veröffentlichung der Umfrageergebnisse, in: BM v. 14.4.1996, Fusionskampagne entzweit die Bürger beider Länder, S. 1,2, s. a. Veröffentlichung der Umfrageeigebnisse vom Juni 1995 bei Waltert, Studien zeigen: Klare Mehrheit für Länder-Ehe, in: BM v. 20.6.1995, S.1,2. 752 Vgl. Veröffentlichung der Umfrageergebnisse bei Gramse, Zustimmung drastisch gesunken, in: ΜΑ ν. 17.1.1996, S.l. 753 Vgl. Veröffentlichung der Umfrageergebnisse in: ΜΑ ν. 17.6.1995, Mehrheit begrüßt ein gemeinsames Bundesland, S. 1, 3., ferner ΜΑ ν. 1.8.1995, Nur jeder Fünfte nutzt das Berliner Kulturangebot, S. 3. 754 Siehe Atteslander/Kopp, M., in: Erwin Roth (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Methoden, 1995, 2.3.2. (S. 152ff.). - Weitere Faktoren, die eine Vergleichbarkeit unterschiedlicher Umfragen in Frage stellen, sind die Auswahlmechanismen und die Anzahl der Befragten, die Befragungstechnik sowie die Auswahl und Supervision der Interviewer, vgl. nur ders., ebda, 2.3.2. (S. 152ff.).
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
321
schränkt sich die Untersuchung daher - soweit vorhanden - auf die aus den Umfrageserien 755. Überschneiden sich Umfragen aus den Umfrageserien, findet diejenige Umfrage Berücksichtigung, die in einem engeren zeitlichen Zusammenhang mit weiteren Umfragen ihrer Serie durchgeführt wurde 756. Eine weitere Beschränkung erfolgt dahin, daß vornehmlich die in der Sache vergleichbaren Fragen, die alle Umfragen in ihrem Umfragedesign hatten, in die vorliegende Untersuchung aufgenommen werden. Anderweitige Fragenfinden Erwähnung, soweit ihre Darstellung der Erforschung der landsmannschaftlichen Verbundenheit sowie der Abstimmungsmotivation der Bevölkerung dienlich ist. Erst die so selektierte und drastisch reduzierte Datenmenge vermag angemessen in die vorliegende Untersuchung aufgenommen werden757.
1. Persönliche Erwartungen an eine Neugliederung Die Infas-Umfrage vom Dezember 1994 bis Februar 1995 behandelte die persönlichen Auswirkungen einer Neugliederung auf die Befragten. In beiden Ländern lag die Zahl der Befragten, die den Auswirkungen indifferent gegenüberstanden „bei etwa der Hälfte", wobei die Skeptiker in Brandenburg - anders als in Berlin - mit 21 v. H. diejenigen, die sich Vorteile erhofften, um 3 v. H. überwogen 758 . I m Befragungszeitraum sank in Brandenburg allerdings sowohl die Zahl derer, die Vorteile, als auch die derjenigen, die in der Neugliederung Nachteile für sich erwarteten; sie wanderten zu der Gruppe der Unentschlossenen ab 7 5 9 . Hinsichtlich der Gründe, die gegen die Neugliederung sprechen, nahmen die brandenburgischen Befragten bereits eine eindeutige Stellung ein: mit 40 v. H. bis über 50 v. H. befürchteten sie neben der Angst vor einer Berliner Dominanz eine Entwicklung ausschließlich des Speckgürtels um Berlin 760 . Von den Berlinern hingegen bejahten nur 20 v. H. bis 30 v. H. jeweils Gründe gegen die Neugliederung 761 . 755
Es würde über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausgehen, die aus den genannten Faktoren resultierenden Unterschiede zeitgleicher Umfragen zu analysieren. Da die Einzelumfragen in ihrer Tendenz die jeweiligen Umfragen, die innerhalb einer Serie durchgeführt wurden, bestätigen, ist für die hier angestrebte Zielsetzung eine solche Analyse zudem nicht notwendig. 756 Beispielsweise befragte Infas von Januar bis Ende April 1996 die Bevölkerung beider Länder fünfmal. Infratest Burke Berlin führte zwar ebenfalls im März 1996 eine Umfrage durch. Doch fand in dieser Serie die letzte Umfrage im September/Oktober 1995 statt, so daß die Märzumfrage 1996 von Infratest Burke Berlin hinter die von Infas zurücktritt. 757 Dabei kann eine dezidierte Analyse der Rohdaten der ausgewählten Umfragen wegen ihres Umfanges hier nicht vorgenommen werden, erscheint aber auch im Hinblick auf die von den einzelnen von den jeweiligen Instituten vorgenommenen Auswertungen nicht notwendig. Die Untersuchung beschränkt sich daher auf die zusammenfassenden Analysen der jeweiligen Umfrageergebnisse. Nur sofern das in den zusammenfassenden Berichten der Meinungsforschungsinstitute dargestellte Zahlenmaterial unzureichend ist - weil es beispielsweise nur die auf eines der beiden Länder bezogenen Daten wiedergibt - , wird daher im Einzelfall auf den Ausgangsdatensatz zurückgegriffen. 758 SKb 240298/C1. 759 SKb 240298/C1. 760 SKb 240298/C1. 761 SKb 240298/C1. 21 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Als konkrete Aufgaben der Neugliederung nannten die Brandenburger zu 80 bis 90 v. H. zunächst die Sicherung ihrer Arbeitsplätze, gefolgt von der Materie der Verkehrsanbindung sowie dem Erhalt der Landwirtschaft 762. Den Berlinern ging es neben der Sicherung der Arbeitsplätze um eine Verbesserung der Verkehrsanbindungen763. Diese Ergebnisse erhielten auf brandenburgischer Seite ihre Bestätigung in der Beantwortung der Frage nach den wichtigsten Gründen für die Neugliederung: in Brandenburg nannten die Befragten ein „größeres Arbeitsangebot", „bessere wirtschaftliche Entwicklung" sowie „niedrigere Kosten eines gemeinsamen Landes"764. An zweiter Stelle fanden sich Umwelt, Kultur und Verkehr 765. In Berlin hielten die Befragten zunächst die effizientere Gestaltung der Verwaltung, gefolgt von einer besseren wirtschaftlichen Entwicklung für besonders wichtig766. Diese Tendenzen verschoben sich bis zum Herbst 1995: Die vom 4. September bis 16. Oktober 1995 durchgeführte Umfrage von Infratest-Burke Berlin 767 stellte den Berlinern und Brandenburgern die offenen Fragen nach den Vorteilen und Nachteilen, die sie sich von der Neugliederung erhofften. Die Wünsche und Hoffnungen in Berlin und Brandenburg wichen nur unwesentlich voneinander ab: Wirtschaftliche Vorteile erhofften sich 11 v. H. (10 v. H.), gefolgt von allgemeinen Verbesserungen 7 v. H. (8 v. H.) 768 . Erst an dritter Stelle stand die Hoffnung auf mehr Lehrstellen und Arbeitsplätze 5 v. H. (7 v. H.); eine sparsamere Verwaltung wünschten sich noch 5 v. H. der Berliner und 3 v. H. der Brandenburger 769.
Die große Mehrheit aber - 62 v. H. in Berlin und sogar 70 v. H. in Brandenburg - sah der Neugliederung eher neutral entgegen und erhoffte sich keine Vorteile 770. Diese inhaltliche Unsicherheit war bei den Gegnern der Neugliederung in Berlin mit 80 v. H. beziehungsweise 92 v. H. in Brandenburg außerordentlich hoch771. Aber selbst bei den Befürwortern gab es immerhin noch 40 v. H. und bei den Unentschiedenen 88 v. H., die keinen Vorteil der Neugliederung anführen konnten772.
Mit 65 v. H. eine ebenfalls große Mehrheit befürchtete dementsprechend in Berlin aber auch keine Nachteile. Hier befürchteten darüber hinaus nur 17 v. H., daß die Fusion auf Kosten des eigenen Landes geht; 6v.H. erwarteten finanzielle, wirtschaftliche oder politische Nachteile und 4 v. H. eine steigende Arbeitslosigkeit773. We762 763 764 763 766 76 7 76 8 76 9 77 0 77 1 77 2 77 3
SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. Infratest Burke Infratest Burke Infratest Burke Infratest Burke Infratest Burke Infratest Burke Infratest Burke
Berlin, Berlin, Berlin, Berlin, Berlin, Berlin, Berlin,
Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg, Fusion Berlin-Brandenburg,
Berichtsband, 1995, S. 1. 1995, S.21,22. 1995, S.21, 22. 1995, S.21, 22. Berichtsband, 1995, S. 12. Berichtsband, 1995, S. 12. 1995, S.26.
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
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sentlich skeptischer äußerten sich dagegen die Brandenburger: nur 46 v. H. befürchteten keine Nachteile und insgesamt 32 v. H. drückten - nicht zuletzt aus ihrem landsmannschaftlichen Bewußtsein heraus, das gerade in Brandenburg auch durch die geschichtliche Vergangenheit mit Berlin geprägt war - ihre Angst aus, daß die Fusion auf Kosten ihres eigenen Landes gehen könnte, Berlin sie bevormunden werde oder „daß sie uns unterbuttern"774. Die Befürchtung, von Berlin übervorteilt zu werden, stand danach klar im Vordergrund. Erst jetzt zählten die Brandenburger berlinneutrale Punkte auf: 6 v. H. sahen finanzielle, wirtschaftliche oder politische Nachteile auf sich zukommen, 6 v. H. befürchteten höhere Kosten und 5 v. H. nahmen eine steigende Arbeitslosenzahl in dem gemeinsamen Bundesland an775. Demgegenüber zeichnete sich in der Infas-Umfrage von Januar bis April 1996 eine verblüffend positive Tendenz ab: Obgleich sich im April 1996 nur in Berlin eine Mehrheit für die Neugliederung gefunden hätte, sahen überraschenderweise auch die Brandenburger zu diesem Zeitpunkt die Neugliederung, mehrheitlich in wichtigen Aspekten positiv. So erwarteten 55 v. H. der Berliner und 52 v. H. der Brandenburger Einsparungen in der Verwaltung, mit 33 v. H. (34 v. H.) gut ein Drittel ein größeres Arbeitsplatzangebot und sogar 44 v. H. (42 v. H.) eine schnellere wirtschaftliche Entwicklung776. Danach wäre in beiden Ländern eine deutliche Mehrheit für die Neugliederung zu erwarten gewesen.
Dem standen jedoch erhebliche emotionale Ressentiments gerade auf brandenburgischer Seite gegenüber. Zu stark waren die Ängste vor einem Verlust der nach der Wiedervereinigung gewonnenen Identität. So meinten 56 v. H. der Brandenburger, daß Berlin sie in einem gemeinsamen Land dominieren würde 777. Die divergierende landsmannschaftliche Verbundenheit der beiden Bevölkerungen schlug sich darin nieder, daß in Berlin nur 18 v. H., in Brandenburg jedoch mit 32 v. H. fast doppelt so viele der Befragten einen Verlust ihrer regionalen und kulturellen Identität befürchteten 778. Die emotionalen Stimmungsbilder waren für die Abstimmungsentscheidung der Menschen ausschlaggebend. 2. Wer profitiert mehr von der Neugliederung: Berlin oder Brandenburg? Dieses emotional geprägte Meinungsbild der Bevölkerung brachte von Anfang an ein starkes Mißtrauen gegenüber dem Verhandlungspartner mit sich779. Bei der sensiblen Frage an die Brandenburger, wessen Interessen sie gewahrt sehen, hielt sich 77 4 77 5 77 6 77 7 77 8 779
21'
Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.28. Infratest Burke Berlin,, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.28. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.5. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.5. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.6. Vgl. Infas-Umfrage vom Dezember 1994 bis Februar 1995, SKb 240298/C1.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
die Zahl derer, die die brandenburgischen Belange für nicht gewahrt hielten, zwischen Dezember 1994 und Februar 1995 auf hohem Niveau zwischen 61 v. H. auf 64 v. H . 7 8 0 Die Zahl derer, die die brandenburgischen Interessen gewahrt sahen, stieg zwar ebenfalls, und zwar von 22 v. H. auf 27 v. H. 7 8 1 Mit nur unwesentlichen Abweichungen befanden sie jedoch im gleichen Befragungszeitraum zu durchschnittlich 70 v. H., daß die Berliner Interessen gewahrt werden würden782. Diese Auffassung bestätigten die Brandenburger mit ihrer Einschätzung bezüglich der Regionen, die am meisten von einer Neugliederung profitieren würden: 85 v. H. nannten den Speckgürtel und 54 v. H. Westberlin als die Gebiete, die mehr als die im Berlin-fernen äußeren Entwicklungsraum gelegenen Gebiete profitieren würden783. Auch wenn die Berliner dahin zustimmten, daß der Speckgürtel mehr als die Berlin-fernen brandenburgischen Regionen profitieren würde, waren dort die Vorbehalte gegen eine Neugliederung nicht so stark ausgeprägt 784. Die insgesamt eher skeptische Tendenz gegenüber der Neugliederung nahm bis zum Herbst 1995 noch weiter zu. In der Infratest-Burke Umfrage vom 4. September bis 16. Oktober 1995 nahmen die meisten Befragten an, daß nicht das eigene, sondern vielmehr das andere Land von einer Neugliederung profitiere. Allerdings gingen nur 24 v. H. der Berliner davon aus, daß Berlin profitiere, während 42 v. H. annahmen, daß Brandenburg profitiere 785. Umgekehrt waren 64 v. H. der Brandenburger der Auffassung, daß Berlin profitiere und nur 14v. H. sahen diese Möglichkeit für ihr eigenes Land786. Dementsprechend sahen die Berliner zu 32 v. H. die Nachteile einer Neugliederung auf sich und nur zu 2 v. H. auf die Brandenburger zukommen, während die Brandenburger zu 42 v. H. davon ausgingen, daß sie unter den Nachteilen leiden müßten, was für Berlin nur 10 v. H. von ihnen sahen787. Diese Zahlen spiegelten sich auch bei der Frage wider, welches Land mehr profitiere. Es zeigt sich, daß die Berliner insgesamt einer Neugliederung offener gegenüberstanden: Wahrend sie zu 27 v. H. die meisten Vorteile für Brandenburg und nur zu 13 v. H. bei ihrem eigenen Land sahen, befanden in Brandenburg umgekehrt sogar 52 v. H., daß Berlin besser als Brandenburg dastehen werde und nur 2 v. H. sahen dies für Brandenburg788. Mehr als in Brandenburg (29 v. H.) befanden die Berliner (38 v. H.) darüber hinaus, daß beide Länder gleichermaßen von einer Neugliederung profitieren würden789. Dabei überrascht, daß trotz eines hohen Informationsmangels bei den Befürwortern in beiden Ländern 42 v. H. an780
SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. 782 SKb 240298/C1. 783 SKb 240298/C1. 784 SKb 240298/C1. 78 5 Infratest Burke 78 6 Infratest Burke 78 7 Infratest Burke 78 8 Infratest Burke profitiert mehr?". 78 9 Infratest Burke profitiert mehr?". 781
Berlin, Berlin, Berlin, Berlin,
Fusion Berlin-Brandenbuig, Berichtsband, 1995, S. 14f. Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 14f. Fusion Berlin-Brandenbuig, Berichtsband, 1995, S. 14f. Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Wer
Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Wer
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
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nahmen, daß sich Vor- und Nachteile ausgleichen und nur ein Drittel der Befürworter in beiden Ländern davon ausging, daß das eigene Land profitieren werde 790.
Wie in den vorherigen Umfragen waren die in beiden Ländern unterschiedlich starken Ängste vor einem Identitätsverlust und einer Vereinnahmung durch das jeweils andere Land auch bei der letzten Umfrageserie durch Infas von Januar bis Ende April 1996 bis zum Abstimmungstag durchgehend zu beobachten. In Berlin war die Angst vor einer Neugliederung bis zuletzt vergleichsweise gering. Relativ stabil meinten über den Umfragezeitraum 37 v. H. der Berliner, daß beide Länder gleich viel Nutzen aus einer Neugliederung ziehen würden791. Während allerdings im Januar 1996 nur 18 v. H. die größeren Vorteile für Berlin und 35 v. H. für Brandenburg sahen, waren Ende April 1996 auch hier die Lager fast gleich stark (26 v. H./28 v. H.) 792 .
Dagegen war die Situation in Brandenburg unausgeglichen. So wie im April 1996 rd. 56 v. H. der Brandenburger die Befürchtung aussprachen, im Falle einer Neugliederung von Berlin dominiert zu werden, so sahen im Januar 1996 zunächst rd. 50 v. H., daß Berlin den größeren Nutzen aus einer Neugliederung ziehen würde 793. Nur 20 v. H. sahen dies für ihr eigenes Land794. Diese Tendenz verstärkte sich noch bis Ende April, als sogar 62 v. H. der Brandenburger Berlin und nur 10 v. H. Brandenburg als Gewinner einer Neugliederung sahen795. Auch hier wird klar sichtbar, daß die Weichen für eine Neugliederung in Berlin eher gestellt waren als in Brandenburg. Je höher die Befürchtungen vor Identitätsverlust und Benachteiligung des eigenen Landes waren, desto stärker fiel als Ausprägung des landsmannschaftlichen Bewußtseins die Ablehnung einer Neugliederung aus. Das galt ungeachtet der Tatsache, daß in beiden Ländern der Anteil derer, die rational Vorteile für das eigene Land sahen, etwa gleich stark waren. Mit Brandenburg" hatten die Brandenburger einen Strohhalm im Meer der Unsicherheiten, an den sie sich klammerten. 3. Assoziationen zu Berlin, Brandenburg und dem gemeinsamen Land Dieses Ergebnis spiegelt sich besonders deutlich wider in den Antworten auf einen Komplex offener Fragen, die allein Infratest-Burke Berlin in seiner Umfrage vom 4. September bis 16. Oktober 1995 den Befragten stellte. Auf diese Fragen sollten die Befragten zunächst mitteilen, was ihnen „spontan [ein-]fällt, wenn sie an das Land Brandenburg" beziehungsweise an das Land Berlin denken796. 790
Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 16. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.6. 792 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.6. 793 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.5f. 794 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.6. 795 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S. 6. - Dementsprechend sahen in Brandenburg im Januar 1996 nur 21 v. H. und Ende April 1996 schließlich unverändert 22 v. H. den Nutzen einer Neugliederung gleichmäßig auf beide Länder verteilt, vgl. dass., ebda, S. 6. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.3ff. 791
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
Eine klare Mehrheit der Brandenburger identifizierte sich bereits mit ihrem Land, das erst seit fünf Jahren in dieser Form existierte, und manifestierte ihr landsmannschaftliches Bewußtsein. Davon entfielen insgesamt 81 v. H. auf Begriffe, die auf Landesbewußtsein schließen lassen797: Die Brandenburger assoziierten mit ihrem Land zu 40v. H. die schöne Landschaft, die Natur und die landschaftlichen Sehenswürdigkeiten798.23 v. H. nannten den Begriff „Heimat", 16 v. H. „große" oder „soziale Probleme"799 und lOv. H. Ministerpräsident Stolpe oder die Ministerin Hildebrandt800. Brandenburgs Geschichte oder sein Wappen führten 8 v. H. an 801 . Auf sonstige, eher wertneutrale Nennungen wie etwa Erholung, Freizeit, Zulieferer von Berlin, Fusion, etc. fielen jeweils nur zwischen 1 v. H. bis 4 v. H. 802 . Das eigene landsmannschaftliche Bewußtsein zeigte sich auch in den Äußerungen der Brandenburger über Berlin: 34 v. H. sahen die Funktion als Hauptstadt und Regierungssitz, 18v.H. die Sehenswürdigkeiten und 12v.H. empfanden Berlin als eine „schöne Stadt"803. Bis auf die schöne Stadt sind dies Begriffe, die nicht die emotionale Aufgeladenheit in sich bergen, wie die für Brandenburg genannten Äußerungen. Zudem assoziierten 15 v. H. mit Berlin den,»Moloch Großstadt" und weiteren 7 v. H.fielen die Verkehrsprobleme, 4v. H. die vielen Baustellen ein804.
Bedeutend schwächer schien das landsmannschaftliche Bewußtsein in Berlin ausgeprägt: nur 11 v. H. der Berliner Befragten gab den Begriff „Heimat" an 805 und weitere 11 v. H. nannten die Wahrzeichen und Sehenswürdigkeiten806. Dagegen assoziierten 20 v. H. den „Moloch Großstadt"807, 13 v. H. die Verkehrsprobleme, 10 v. H. die vielen Baustellen und 8 v. H. soziale Probleme808. Allerdings weist Infratest-Burke daraufhin, daß eine andere von ihnen durchgeführte Umfrage für den Sender Freies Berlin und den Tagesspiegel ergeben habe, daß „sich 72 % der Berliner in Berlin wohlfühlen" 809. Diese im Gegensatz zu einer Bindung an die„Heimat" geringere emotionale Verbundenheit scheint sich auch mit den weiteren Assoziationen der Berliner in der September-/Oktoberumfrage 1995 widerzuspiegeln: für 15 v. H. war Berlin allein eine interessante, lebendige und/oder schöne Stadt und weitere 10 v. H. verbanden mit Berlin ihr kulturelles Leben810. Im Gegensatz zu den Bran797 Durch zulässige Mehrfachnennungen ergab sich in dieser Frage für die Brandenburger eine Summe von 134 v. H., siehe Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 3. 798 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 2. 799 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.3. 800 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 3. 801 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 2, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Brandenburg denken? 802 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 3. 803 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.4. 804 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.4. 805 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 3. 806 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.4. 807 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an Berlin denken?". 808 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.6. 809 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 3. 810 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenbuig, Berichtsband, 1995, S. 3, dass., Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.6.
E. Berücksichtigung landsmannschaficher Verbundenheit
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denburgern konnten sich die Berliner auch nicht mit ihrem sie repräsentierenden Politiker, dem Regierenden Bürgermeister, identifizieren: nur 1 v. H. verband mit Berlin den Namen Diepgen811. Dementsprechend offen und positiv waren die Berliner gegenüber dem Land Brandenburg eingestellt: öfter noch als die Brandenburger selbst nannten 48 v. H. die schöne Landschaft und die Natur und weitere 8 v. H. stellten auf den hohen Freizeitwert ab 8 1 2 . 4 v. H. empfanden Brandenburg sogar als Heimat im weiteren Sinne, 17 v. H. sahen die Bedeutung der wirtschaftlichen Verbindungen Berlins mit Brandenburg und nur jeweils 4 v. H. assoziierten mit Brandenburg soziale oder sonstige Probleme 813 . Ein weiteres Indiz für die Berliner Offenheit ist die mit 5 v. H. vergleichsweise hohe Zahl von Berlinern, die mit dem Land Brandenburg die „Länderehe" assoziierten 814. In einer weiteren offenen Frage sollten die Befragten mitteilen, was ihnen spontan bei einem Land Berlin-Brandenburg einfalle. Hier bestätigten sich die vorbenannten Ergebnisse: Wahrend 14 v. H. der Brandenburger einer Neugliederung gegenüber skeptisch und 9 v. H. ablehnend gegenüberstanden, weitere 6v. H. Nachteile für Brandenburg befürchteten und 7 v. H. eine Neugliederung für zu kostenaufwendig hielten, war die ausdrückliche Zurückhaltung in Berlin schwächer: dort gab es nur 10 v. H. Skeptiker, 5 v. H. lehnten die Neugliederung ab und 4 v. H. hielten sie für zu teuer815. Umgekehrt lag die Zustimmung in Berlin bei 12 v. H. gegenüber Brandenburg mit 7 v. H. 816 . Allerdings schien die Meinungsbildung in Berlin - vielleicht gerade wegen der dort anzutreffenden Offenheit - noch nicht so weit gereift, wie in Brandenburg. In Berlin standen 26 v. H. einer Neugliederung neutral gegenüber und 25 v. H. hatten hierzu kerne Meinung817. Die Brandenburger hingegen waren einer Neugliederung nur zu 15 v. H. gegenüber neutral eingestellt818. Doch auch hier hatten immerhin 21 v. H. überhaupt keine Meinung819.
811
Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.6. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 3. 813 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.3. 814 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 1. - Von den Brandenburgern nannten im Zusammenhang mit ihrem eigenen Land nur 2v. H. die ,Länderehe", ebda, S.3. Mit Berlin assoziierten weder die Berliner noch die Brandenburger diesen Begriff. 815 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Berlin-Brandenburg denken?". 816 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Berlin-Brandenburg denken?". 817 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Berlin-Brandenburg denken?". 818 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Berlin-Brandenbuig denken?". 819 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an das Land Berlin-Brandenburg denken?". 812
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg 4. Zustimmung und Ablehnung in Berlin und Brandenburg
Die zunehmende Skepsis - vor allem bei den Brandenburgern - gegenüber der Neugliederung schlug sich ab Herbst 1995 nieder in der insgesamt stark schwankenden Entwicklung der Zustimmungs- und Ablehnungsquoten. Zwischen Dezember 1994 und Februar 1995 nahm in Berlin der Infas-Umfrage zufolge die Zustimmung zunächst wenig signifikant von 58 v. H. auf 54 v. H. ab 8 2 0 . Die Ablehnung bewegte sich konstant zwischen 20 v. H. bis 22 v. H . 8 2 1 , wobei der Grad der Zustimmung im Ostteil der Stadt höher als im Westteil war 8 2 2 . Ein leicht umgekehrter Trend zeichnete sich in Brandenburg ab: Dort hielt sich die Zahl der Befürworter zwischen 40 v. H. und 42 v. H.; die Zahl der Fusionsgegner hingegen sank von 34 v. H. auf 27 v. H . 8 2 3 Erstaunlicherweise sahen die Brandenburger im angrenzenden Berliner Umland eine Neugliederung deutlich skeptischer und stellten mehr Gegner einer Neugliederung als die Befragten in Berlin-fernen Gebieten824. Rational ließe sich dieser Befund daraus herleiten, daß die Bewohner des äußeren Entwicklungsraumes an eine Neugliederung höhere Erwartungen hatten, als die Speckgürtelbewohner, die davon ausgegangen sein könnten, daß sie in jedem Falle von der Berliner Entwicklung profitieren und daher die vermeintlichen Risiken einer Neugliederung vermeiden wollten825. Damit steht jedoch im Widerspruch, daß sowohl die Berliner als auch die Brandenburger mehrheitlich davon ausgingen, daß vor allem das Berliner Umland von einer Neugliederung profitiert hätte826. Als Ursache hierfür bieten sich zwei Erklärungen an: Zum einen besteht die Möglichkeit, daß die Speckgürtelbewohner zwar ob der Risiken einer Neugliederung skeptisch waren, jedoch die Ressentiments der Bewohner des äußeren Entwicklungsraumes geringer waren trotz ihrer Einschätzung, daß das Berliner Umland am meisten von einer Neugliederung profitiere. Leitmotiv für eine solche Überlegung könnte der Gedanke gewesen sein, daß eine Neugliederung sich für den äußeren Entwicklungsraum immernoch positiver auswirke als der status quo, durch den ein Hineintragen der Berliner Entwicklung in das Hinterland gänzlich unterbliebe827. Diese Erwartung hätte die Angst vor Berliner Dominanz oderfinanziellen Nachteilen überwogen. Der andere Erklärungsansatz geht davon aus, daß nicht rationale Erwägungen, sondern emotionale Unsicherheiten ausschlaggebend waren: Das Gefühl der mangelnden Informiertheit ging einher mit der Unsicherheit über die - insbesondere persönlichen - Folgen einer Neugliederung. In der daraus resultierenden Unbestimmtheit machten sich die Befragten sämtliche Argumente der Kritiker zu eigen, ohne sie insgesamt auf ihre Schlüssigkeit zu überprüfen. Sowohl das in der öffentlichen Diskussion angebotene Argument der Berliner Dominanz und des Berliner Molochs als auch das des Speckgürtels waren
820
SKb 240298/C1. - Bei einer Befragung von etwa 1000-1500 Personen liegt die Fehlertoleranz etwa bei 3 v. H. 821 SKb 240298/C1. 822 SKb 240298/C1. 823 SKb 240298/C1. 824 SKb 240298/C1. 825 SKb 240298/C1. 826 SKb 240298/C1. 827 SKb 240298/C1.
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hier dankbare Rettungsringe, mit denen die Befragten ihre Unsicherheit hilfsweise zum Ausdruck bringen und ihre Ängste kanalisieren konnten. I m Frühjahr 1995 stellte sich in beiden Ländern eine Trendwende ein. Die Neugliederungsbefürworter gewannen nun im weiteren zeitlichen Verlauf zunächst stark an Gewicht: Neben der im September/Oktober 1995 durchgeführten Umfrage hat Infratest-Burke in Berlin im März und Juni 1995, in Brandenburg darüber hinaus auch im M a i 1995 nach der Einstellung der Befragten zur Fusion gefragt 828 . Es kristallisierte sich klar heraus, daß zu dem Zeitpunkt, als die Neugliederungsdiskussion ihren Höhepunkt erreichte und alle Pro- und Kontraargumente ihre feste Position in der öffentlichen Auseinandersetzung eingenommen hatten, also zwischen April 1995, als der Neugliederungs-Vertrag unterzeichnet wurde, und Juni 1995, als die Parlamente beider Länder dem Vertrag zustimmten, die Zustimmung in der Bevölkerung einen Zenit erreicht hatte 829 : In Berlin stimmten im März 1995 rd. 53 v. H., im Juni 58 v. H. und im September/Oktober 49 v. H. der Befragten einer Fusion eher zu 830 . Damit lag die Zustimmungsquote in Berlin durchgehend über der der Neugliederungsgegner, die im März zu 13 v. H., im Juni zu 32 v. H. und im September/Oktober zu 22 v. H. die Neugliederung eher ablehnten. Unentschieden oder gleichgültig waren in Berlin im März noch 34 v. H. im Juni nur 10 v. H. und im September/Oktober wieder 29 v. H. Zeitgleich mit der politischen Entscheidung hatten sich auch die bisher Unentschiedenen ein eindeutiges Urteil gebildet, das im weiteren Verlauf, als die öffentliche Diskussion, noch verstärkt durch die Senatswahlen am 22. Oktober 1995, abebbte831, wieder verschwamm. Noch ausgeprägter war der Stimmungsverlauf in Brandenburg: Dort überwog im März 1995 die Ablehnung mit 35 v. H. die Zustimmung zunächst sogar um 3 v. H. Wahrend in den Folgebefragungen die Ablehnung zunächst vergleichsweise konstant blieb832, kletterte die Zustimmung im Mai auf den Höchstwert von 51 v. H. und ging bis September/Oktober mit 38 v. H. fast auf den im März erreichten Tiefstand zurück833. Wie schon die weitgehend konstante Ablehnungsquote aufzeigt, resultierte die hohe Zustimmung aus einem Rückgang derer, 828
Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S. 8 f. nebst Grafiken. - Da Infratest Burke Berlin die verschiedenen Umfrageergebnisse ohne weiteres gegenüberstellt, wird davon ausgegangen, daß die Befragungen unter Bedingungen geführt wurden, die eine Vergleichbarkeit zulassen. 829 Vgl. auch die graphische und die tabellarische Übersicht im Anhang (VII., VIII.). 830 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Einstellung der Berliner zur Fusion". - Die Zustimmung lag im September/Oktober 1995 im Westteil der Stadt bei 49 v. H. und im Ostteil bei 48 v. H. Unterschiede ergaben sich jedoch hinsichtlich der Neugliederungsgegner, die mit 26 v. H. im Westteil deutlich gegenüber dem Ostteil (14v. H.) überwogen. Dort indes war gegenüber dem Westteil (24 v. H.) die Unsicherheit mit 38 v. H. erheblich höher, dass., Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.50. Gründe für diese Unterschiede sind nicht ersichtlich. Insbesondere spielten parteipolitische Orientierungen keine tragende Rolle, dass., Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.8. 831 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.8. 832 So lehnten im Mai 32 v. H., im Juni 37 v. H. und im September/Oktober 34 v. H. der Brandenburger die Neugliederung eher ab, Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Einstellung der Brandenburger zur Fusion". 833 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Einstellung der Brandenburger zur Fusion".
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
die einer Neugliederung indifferent gegenüberstanden: Wahrend im März noch 33 v. H. der Brandenburger sich keine Meinung gebildet hatten, waren es im Mai nur 17 v. H., im Juni mit 14 v. H. noch einmal 3 v. H. weniger, im September/Oktober jedoch wieder 27 v. H. 8 3 4 Auch hier nahm das öffentliche Interesse an der Neugliederung nach den politischen Höhepunkten der Vertragsunterzeichnung und der Zustimmung in den Länderparlamenten drastisch ab. Zu diesen Zeitpunkten wäre bisherige landsmannschaftliche Verbundenheit für die beiden Länder bereitwillig für ein gemeinsames Land aufgegeben worden. Diese positiven Zustimmungsquoten gewinnen jedoch erst eine aussagekräftige Gewichtung, wenn sie dem vertragsmäßig erforderlichen Quorum gegenüber gestellt werden. M i t welcher Wahrscheinlichkeit beabsichtigten die Befragten, an der Volksabstimmung teilzunehmen? In Berlin wären im September/Oktober 1995 rd. 52 v. H. sicher und 22 v. H. wahrscheinlich zu der Abstimmung gegangen835. Nur 3 v. H. wollten wahrscheinlich nicht und 6 v. H. sicher nicht an der Abstimmung teilnehmen836. Ebenfalls relativ wenige Berliner, 17 v. H., waren sich darüber noch nicht im klaren 837. In Brandenburg war die potentielle Abstimmungsbeteiligung noch höher: dort wollten 57 v. H. sicher und 21 v. H. wahrscheinlich an der Abstimmung teilnehmen838. Wie in Berlin gaben 3 v. H. an, wahrscheinlich nicht und 6 v. H. sicher nicht zu der Abstimmung zu gehen839. 14 v. H. der Brandenburger wußten hierzu keine Angabe zu machen oder hatten sich noch keine Meinung gebildet840. Doch sind diese Angaben mit Vorsicht zu behandeln: so gaben 67 v. H. der Brandenburger an, bei ihrer letzten Volksabstimmung - über die Brandenburger Verfassung - teilgenommen zu haben841. Die tatsächliche Abstimmungsbeteiligung lag aber nur bei etwa 50 v. H. 8 4 2 Werden nur die Zahlen derjenigen zugrunde gelegt, die sich sicher an der Abstimmung beteiligen wollten, ergibt sich mit Blick auf die für September/Oktober 1995 genannten Zahlen der Zustimmung - Berlin 49 v. H., Brandenburg 38 v. H. - , daß in Berlin das Quorum von 25 v. H. der Abstimmungsberechtigten nur knapp und in Brandenburg mit 22 v. H. nicht erreicht worden wäre. Die ausgeführten Bedenken gegen die Einführung des Quorums 843 erhärten sich bei seiner praktischen Anwendung. Die für das Abstimmungsergebnis am 5. M a i 1996 ausschlaggebende Trendwende in Brandenburg vollzog sich erst kurz vor diesem Zeitpunkt im Frühjahr 1996. In der von Infas von Januar bis Ende April 1996 durchgeführten Umfrage 844 wollten 834 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, Grafik „Einstellung der Brandenburger zur Fusion". 835 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.57. 836 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.57. 837 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.57. 838 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.58. 839 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.58. 840 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.58. 841 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.58. 842 Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S.58. 843 Siehe oben 2. Kapitel E.I.; 1. Kapitel B.III, l.c). 844 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S. 1.
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zwar zunehmend mehr Menschen ihre Stimme abgeben 845 . Die gesteigerte Teilnahmeabsicht ging allerdings zu Lasten der Neugliederungsbefürworter, die Zustimmung zu der Neugliederung in der Bevölkerung war stark rückläufig: Wahrend in Berlin im Januar 1996 noch 51 v. H. für die Neugliederung gestimmt hätten, waren es im Februar 46 v. H. und bei den übrigen Umfragen im März, März/April und April 1996 jeweils nur noch 43 v. H. 846 . Dementsprechend nahm in Berlin die Ablehnung zu, blieb jedoch deutlich unter den Werten der Zustimmung: im Januar sprachen sich 23 v. H., im Februar 26 v. H. im März und März/April 27 v. H. und im April 29 v. H. der Berliner gegen die Neugliederung aus847. Diese Trendentwicklung war in beiden Berliner Stadthälften entsprechend. Zuletzt standen im Westteil 45 v. H. Pro-Stimmen 28 v. H. Kontra-Stimmen und im Ostteil 40 v. H. ProStimmen 33 v. H. Kontra-Stimmen entgegen848. Gegenüber der in Berlin über den Umfragezeitraum anzutreffenden Zustimmungsmehrheit, wechselten die Mehrheitsverhältnisse in Brandenburg vollständig: waren im Januar 1996 noch 42 v. H. der Brandenburger für und 31 v. H. gegen die Neugliederung, so gab es im März 1996 mit 36v.H. Ja- und 3 6 v . H . Neinstimmen eine Pattsituation. In der darauffolgenden März/April-Umfrage fanden sich nurmehr 29 v. H. Zustimmung, denen eine ablehnende Mehrheit von 44 v. H. gegenüber stand 849 . Dabei waren die Trendentwicklungen auch regional unterschiedlich. So nahm im Berliner Umland die Zustimmung um 6v. H. auf zuletzt 36 v. H. zu und die Ablehnung um 4v. H. auf 42 v. H. ab, während im restlichen Brandenburg sowohl die Befürworter als auch die Neugliederungsgegner jeweils konstant blieben850. In beiden Ländern gab es bis zuletzt einen hohen Anteil an Unentschlossenen. Dieser bewegte sich in Berlin zwischen im Januar 26 v. H. über 30 v. H. im März/April und betrug im April 28 v. H. 8 5 1 In Brandenburg hatten sich im Januar 27 v. H., im Februar und im März 28 v. H. und im April 24 v. H. noch keine Meinung gebildet852.
845 Wollten sich in Brandenburg im Januar 71 v. H. an der Abstimmung beteiligen, so waren es Ende April sogar 87 v. H.; in Berlin stieg die Zahl von 72 v. H. auf 84 v. H., vgl. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S. 2. Diese Zahlen über die Teilnahmeabsicht sind jedoch, wie schon bei den früheren Umfragen, mit Zurückhaltung zu sehen, da die Befragten aus innerem sozialen Druck, zur Abstimmung hingehen zu müssen, oftmals so, wie sie glauben, daß es von ihnen erwartet wird, antworten. 846 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.3. 847 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.3. 848 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.3. 849 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S. 3. 850 Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.4. 851 Vgl. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.3 f. 852 Vgl. Infas, Fusionsbarometer, 1996, S.3 f.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
5. Gut informiert ist halb gewonnen? Der hohe Grad an Unentschlossenheit und Mißtrauen war aber nichts Endgültiges und hätte durch eine Öffentlichkeitsarbeit, die den Menschen das Gefühl des Gutinformiert-seins vermittelt hätte, möglicherweise gemildert werden können. In diese Erwägungen ist allerdings einzustellen, daß das Gefühl der mangelnden Informiertheit insoweit nicht allein themenspezifisch bedingt ist und sich auf Unsicherheiten zurückführen läßt, als es generell bei komplexen Themen auftritt. Die Frage, ob sie sich „besser informiert" fühlten, bejahten von den Brandenburgern in der Infas-Umfrageserie vom Dezember 1994 bis zum Februar 1995 zunächst 17 v. H., zuletzt 24 v. H. 853 . In Berlin hielten sich durchgehend 26 v. H. für gut informiert 854. Allerdings meinten in Berlin und in Brandenburg während des Befragungszeitraumes über 50 v. H., daß sie schlecht informiert seien855. Die Informationsbedürftigkeit bezog sich auf die Vor- und Nachteile der Neugliederung sowie die Einzelheiten des Vertrages 856. Die Unentschlossenen sowie die Mißtrauischen beider Länder schienen - jedenfalls zu einem gewissen Teil - durchaus offen für eine Neugliederung mit einer Tendenz, für den Fall der bleibenden Unsicherheit am Bekannten festzuhalten. Ob eine noch umfassendere Aufklärung, als sie vorgenommen wurde, hätte Abhilfe schaffen können, bleibt fraglich. Jedem Pro hätte ein Contra entgegengestanden, deren Abwägung dem einzelnen Unsicherheit bereitet hätte. Statt der offenen und öffentlichen Auseinandersetzung innerhalb der Regierungskreise wäre eine geschlossene Haltung der politischen Führungen der Neugliederung förderlicher gewesen, um den Abstimmenden mehr Sicherheit in ihrer Bewertung der positiven Aspekte zu vermitteln857. Auch im Herbst 1995 gab es nach der Infratest-Burke Berlin Umfrage vom 4. September bis 16. Oktober 1995 in beiden Ländern - trotz starker landsmannschaftlicher Verbundenheit vor allem in Brandenburg - ein beachtliches Potential derer, die einer Neugliederung nicht von vornherein ablehnend gegenüberstanden, sondern vielmehr unsicher waren und überzeugt sein wollten. Dementsprechend intensiv war das Interesse der Befragten in beiden Ländern an der Berichterstattung über die Neugliederung: in Berlin verfolgten 42 v. H., in Brandenburg 43 v. H. die Berichte mit großem Interesse, weitere 33 v. H. beziehungsweise 34 v. H. immerhin noch mit weniger großem Interesse858. Nur 17 v. H. beziehungsweise 18 v. H. beachteten die Berichte wenig und nur 9 v. H. in Berlin und 6v. H. in Brandenburg gaben an, dem Thema bislang noch keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben859. Mit dem großen Interesse ging einher, daß sich 853 854 855 856 857 858 859
SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. SKb 240298/C1. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.6. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.6.
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von den Berlinern 38 v. H. gut und 5 v. H. sogar sehr gut informiert fühlten 860. Die Brandenburger fühlten sich zu 44 v. H. gut und zu 6 v. H. sehr gut informiert 861. Diese Zahlen liegen deutlich über denen der Infas-Umfrage vom Dezember 1994 bis Februar 1995. Hielten sich jedoch seinerzeit in beiden Ländern über 50 v. H. schlecht informiert, so befanden nun 46 v. H. der Berliner und 45 v. H. der Brandenburger, daß sie weniger gut informiert seien862. 11 v. H. beziehungsweise 6v. H. gaben an, gar nicht informiert zu sein863. Insoweit trat also keine wesentliche Veränderung ein.
Die Zahlen der sich unzureichend informiert Fühlenden entsprachen insbesondere in Berlin etwa denen, die assoziativ einer Neugliederung neutral gegenüberstanden oder keine Meinung hierzu hatten. Soweit diese beiden Kriterien auf dieselben Befragten zutrafen - wovon Infratest Burke Berlin ausgeht864 - , stand landsmannschaftliches Bewußtsein jedenfalls nicht grundsätzlich einer Neugliederung entgegen. Vielmehr bemühte sich diese Personengruppe, über Informationen zu einer Überzeugung zu gelangen, die auch für eine Neugliederung hätte ausfallen können. Wie diese Informationen beschaffen sein sollten, läßt sich hieraus nicht ablesen. Unklar bleibt daher, ob tendenziell eher rationale Sachaigumente ohne emotionalen Unterbau oder aber eine geschlossene politische Front für eine Neugliederung ohne wirklich grundlegende Diskussion in der Sache ihr dienlicher gewesen wäre. Die Tatsache, daß die wesentlichen Sachargumente immer wieder - in Brandenburg letztlich erfolglos - diskutiert wurden, deutet auch hier wieder darauf hin, daß - wenn sich schon mit der PDS in der Opposition deutliche Stimmen sich gegen eine Neugliederung aussprechen - jedenfalls die politische Führung in dem Thema mehr Einigkeit hätte zeigen müssen. Als wesentlicher Punkt bleibt festzuhalten, daß die landsmannschaftliche Verbundenheit in beiden Ländern durchaus eine Neugliederung zugelassen hätte, - insbesondere auf Berliner Seite - teils aufgrund Sympathie für das andere Land, teils aufgrund einer verbreiteten Offenheit für die Sache, die mit der landsmannschaftlichen Verbundenheit entweder gar nicht im Wettstreit lag oder hinter der die landsmannschaftliche Verbundenheit zurücktrat. Die Umfrageergebnisse zeigen aber auch sehr deutlich, wie emotionsgesteuert und wie wenig sachbezogen die Entscheidung über die Neugliederung war.
860 861 862 863 864
Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 17. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 18. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 17 f. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, 1995, S. 17f. Infratest Burke Berlin, Fusion Berlin-Brandenburg, Berichtsband, 1995, S.7.
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
IV. Die Volksabstimmung am 5. Mai 1996 mit Blick auf die aus den Umfrageergebnissen erkennbaren Entwicklungstendenzen Die Volksabstimmung865 am 5. Mai 1996 über den Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland Berlin-Brandenburg bestätigte im Ergebnis die letzten Meinungsumfragen: In Berlin stimmten 53,60 v. H. für und 45,85 v. H. gegen die Neugliederung866. Bei einer Abstimmungsbeteiligung von 57,8 v. H. war hier auch das Quorum von einem Viertel der Abstimmungsberechtigten erfüllt. In Brandenburg jedoch entschieden von den 66,38 v. H., die sich an der Abstimmung beteiligten, 62,72 v. H. gegen und nur 36,57 v. H. für den Zusammenschluß. Die weit überdurchschnittlich hohe und jenseits jeder Erwartung liegende Abstimmungsbeteiligung in Brandenburg zeigt, daß dort die Menschen bewußt ihrer Ablehnung Ausdruck verleihen wollten, möglicherweise gleichsam als „Protestwahl" gegen eine zweite Vereinigung, nachdem die Folgen der Wiedervereinigung noch nicht verkraftet waren. Damit war die Neugliederung gescheitert. Der bis zu diesem Zeitpunkt bestehende hohe Anteil von Unentschlossenen hatte sich in beiden Ländern mehrheitlich dem Lager der Neugliederungsgegner angeschlossen. In Berlin stimmten von den zuletzt 28 v. H. Unentschiedenen 60 v. H. gegen und nur 40 v. H. für die Neugliederung; noch drastischer verhielt es sich in Brandenburg: dort entschieden sich von den zuletzt 24 v. H. Unentschlossenen 79 v. H. gegen und nur 21 v. H. für die Neugliederung867. Auch wenn sich in Berlin eine knappe absolute Mehrheit für die Neugliederung entschieden hatte, war es keinem der beiden Länder gelungen, die Zweifler für ein gemeinsames Land zu gewinnen. In Berlin fand zudem im Ostteil eine Trendwende statt. Hatte sich dort in den vorangegangenen Umfragen eine Mehrheit für die Neugliederung ausgesprochen, so
865
Zur Zulässigkeit der Verbindung der Abstimmungsfrage mit der Zusatzfrage über den Zeitpunkt der Neugliederung vgl. VerfGHBln, Beschl. v. 2.4.1996, in: LKV 1996, S.334 (335) = JR 1997, S.98 (99f.). 866 In Berlin waren 2.475.724 Personen abstimmungsberechtigt, von denen 1.428.268 an der Abstimmung teilnahmen. Davon stimmten für die Neugliederung 765.602, dagegen 654.840 Abstimmungsberechtigte. 7.826 Stimmen waren ungültig. In Brandenburg gab es 1.957.424 Abstimmungsberechtigte, von denen 1.299.424 Personen von ihrem Stimmrecht Gebrauch machten. Hier entschieden sich 457.208 Abstimmungsberechtigte für die Neugliederung und 814.936 dagegen, 9.280 Stimmen waren ungültig; siehe die Bekanntmachung der Ergebnisse der Volksabstimmungen in den Ländern Berlin und Brandenburg am 5. Mai 1996 über den Neugliederungs-Vertrag, in Brandenburg v. 21.5.199 (GVB1.1 S. 168); in Berlin v. 15.5.1996 (GVB1. S. 181), Ergebnisse auch abgedr. bei Jung, Die Volksabstimmungen über die Länderfusion Berlin-Brandenburg: Was hat sich bewährt - wer ist gescheitert?, in: ZParl. 28 (1997), S. 13 (14f.); ferner Landesabstimmungsleiter des Landes Berlin, Informationen zur Volksabstimmung am 5. Mai 1996 über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes Berlin-Brandenburg, Berlin 1996. 867 Diese Werte resultieren aus einer Gegenüberstellung der letzten Umfrageergebnisse mit den Abstimmungsergebnissen.
E. Berücksichtigung landsmannschaftlicher Verbundenheit
335
stimmten dort am 5. Mai 1996 54,7 v. H. gegen und nur 44,5 v. H. für den Zusammenschluß. In Berlin-West entschieden sich 58, 7 v. H. für und 40,3 v. H. gegen ein gemeinsames Land. Ein Rückblick auf die vorausgegangenen Umfragen läßt Zusammenhänge mit den politischen Ereignissen erkennen, die schließlich zu diesem Abstimmungsergebnis geführt haben könnten868: Der Prozeß der Meinungsbildung verlief in beiden Ländern anfangs parallel und driftete zuletzt auseinander: In Berlin stellten die Befürworter einer Neugliederung durchweg die - unterschiedlich starke - Mehrheit. Die Entwicklung in Brandenburg war bis März 1996 ähnlich: bis dahin überwog die Zustimmung. Der im März 1995 von Infratest Burke ermittelte Mehrheitswert für die Neugliederungsgegner stellt sich im Vergleich zu den zeitlich umliegenden Umfragen als Ausrutscher dar. Ein derartiger Stimmungsumschwung - von 42 v. H. Pro- und 27 v. H. Kontra-Stimmen im Februar auf umgekehrt nur noch 32 v. H. zu 35 v. H., um schließlich sogar eine Zustimmungsmehrheit von 51 v. H. gegen 32 v. H. Gegenstimmen im April 1996 zu erhalten - ist wenig wahrscheinlich und läßt sich nicht begründen. Die Grundstimmung für eine Neugliederung war demnach in beiden Ländern durchweg überwiegend positiv. Eindeutig sind in beiden Ländern die Spitzenwerte zwischen April und Juni 1995 auszumachen. Die Abstimmung in den Länderparlamenten mit der einhergehenden öffentlichen Diskussion war - trotz aller Kritik der Gegner an der Neugliederung - für die Befürworter von Vorteil. Doch ebbte die Neugliederungseuphorie insbesondere in Brandenburg stark ab. Zum Zeitpunkt der Senatswahlen in Berlin am 22. Oktober 1995 lagen in Brandenburg die Befürworter mit 38 v. H. nur noch 4 v. H. über den Gegnern. Ein maßgeblicher Grund für das Scheitern der Neugliederung war somit der gewählte Zeitpunkt der Volksentscheide. Wäre die Volksabstimmung über den Neugliederungs-Vertrag - wie ursprünglich in den Eckpunkten vorgesehen - zeitlich näher mit der Abstimmung in den beiden Länderparlamenten verknüpft worden, wäre ihr Ausgang mit höherer Wahrscheinlichkeit positiv ausgefallen. Den rechtlichen und praktischen Bedenken, daß sie sich mit der im Oktober 1995 anstehenden Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus in den Wahlkampfzeiten überschneiden würde, hätte durch einen entsprechend engeren zeitlichen Zusammenhang zu den Parlamentsabstimmungen begegnet werden können. Die am 31. Januar 1996 angelaufene Werbekampagne für die Neugliederung scheint in Brandenburg mitentscheidend für die endgültige Ablehnung gewesen zu sein. Einen Monat später dominierten dort die Neugliederungsgegner. So ergab die Forsa-Umfrage in den ersten beiden Aprilwochen 1996, daß die „Art und Weise, wie die Politiker für die Fusion werben, bei den Menschen das Gefühl bestärkt, es gebe weniger Gemeinsamkeiten und mehr Unterschiede"869. Darüber hinaus empfand die Bevölkerung die Werbekampagne als „schwachsinnig" und wenig über868 869
S. a. die graphische und die tabellarische Übersicht im Anhang (VII., VIII.). BM, v. 14.4.1996, S. 1: „Fusionskampagne entzweit die Büiger beider Länder44.
336
2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
zeugend870. In Berlin etwa fand die breitenwirksame Werbekampagne ihren Höhepunkt in ab dem 15. April 1996 geklebten Großplakaten, die zwei kleine nackte Mädchen mit den Fähnchen von Berlin und Brandenburg zeigten und dem Slogan „Gemeinsam sind wir stark!"871. Manfred Güllner von Forsa verdeutlicht die Wirkung der Werbekampagne statistisch: „Daß öffentliche Ausgaben und Neuverschuldung nach der Fusion geringer würden, glaubten vor knapp einem Jahr in Berlin noch 43, in Brandenburg 36 Prozent. Zuletzt aber glaubten dies nur noch 26 Prozent der Berliner und 21 Prozent der Brandenburger" 872. Auch gingen die Brandenburger zunehmend davon aus, in einem gemeinsamen Land würden sie von Berlin ausgenutzt werden. So machten etwa die Gemeinden Groß Welle, Garz, Tüchen und Messendorf für den nur langsam voranschreitenden Ausbau des Straßennetzes medienwirksam die Investitionstätigkeit in Berlin verantwortlich 873. Derartige Ressentiments gingen zurück auf die Vorwendezeit, in der die Umlandbewohner Berlins solche Erfahrungen reichlich gesammelt hatten874. Im übrigen lassen sich bei den politischen Indikatoren, etwa den Kompetenz- und Sympathiezuweisungen an die Parteien, Präferenzen für den Ministerpräsidenten beziehungsweise den Regierenden Bürgermeister von Berlin zwischen Januar und Mai 1996 keine nennenswerten Änderungen feststellen. Auch die Einschätzung der wichtigsten Probleme in beiden Ländern blieb unverändert.
F. Zusammenfassende Einschätzung des Neugliederungs-Vertrages und Ausblick auf zukünftige Neugliederungsvorhaben Eine Gesamtschau des Neugliederungs-Vertrages und seines Umfeldes ergibt, daß er den an ihn gestellten Voraussetzungen, wenn auch in den einzelnen Punkten in unterschiedlicher Güte, genügt. Dem neuen Land hätten in seiner Anfangsphase durch die Übergangsregelungen im Bund-Länder-Finanzausgleich ungewöhnlich 87 0
Manfred Güllner, „Wie und weshalb aus einem lauten, Ja" am Ende ein Scherbenhaufen wurde", in: BM v. 07.05.1996. 871 Vgl. MAZ, v. 15.04.1996, S.5, ,Alle gehen in die Schlußoffensive". 87 2 Manfred Güllner, „Wie und weshalb aus einem lauten, Ja" am Ende ein Scherbenhaufen wurde", in: BM v. 07.05.1996. - Indes ist diese Wirkung nicht allein auf die Werbung, sondern auch auf den im Frühjahr 1996 der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Berliner Schuldenberg zurückzuführen. 873 MAZ, v. 15.04.1996, S.5, ,AHe gehen in die Schlußoffensive". 874 So auch Stolpe (MinPräs. Bbg), Zwei Länder in der Region - eine Verantwortungsgemeinschaft für die Region, Regierungserklärung v. 22.5.1996, Staatskanzlei Brandenburg (Hrsg.), 1996, S.6. Mit Blick auf das Abstimmungsergebnis - Westdeutsche: „Pro", Ostdeutsche: „Kontra" - könnte auch der Konflikt zwischen Ost- und Westdeutschen diese Vorbehalte noch verstärkt haben.
F. Zusammenfassende Einschätzung
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hohe Finanzmittel zur Verfügung gestanden, die es in eine gute Startposition gebracht hätten. Vor diesem von den Ländern Berlin und Brandenburg gegenüber dem Bund und den übrigen Ländern durchgesetzten finanziellen Hintergrund stehen die - insbesonderefinanzrechtlichen - vertraglichen Regelungen. In der Tendenz zeichnen sie sich dadurch aus, daß der status quo zweier getrennter Länder in dem gemeinsamen Land zunächst über lange Jahre aufrecht erhalten worden wäre. Kein Land war bereit, neugliederungsbedingte Verschlechterungen hinzunehmen. Insbesondere diefinanzielle Binnenstruktur als auch der Verwaltungsaufbau des gemeinsamen Landes hätte - bis auf die fusionsspezifisch notwendigen Anpassungen - ein Land im Land geschaffen. Veränderungen hätten sich durch den vertraglich festgeschriebenen Personalabbau - hier allerdings bereits im Vorfeld der Neugliederung in beiden Ländern - ergeben. Indes ist dieser, ebenso wie die vereinbarte Haushaltskonsolidierung, unabhängig von einer Neugliederung notwendig. Auf diesen Gebieten hätten sich Synergieeffekte im wesentlichen nicht unmittelbar mit der Neugliederung eingestellt. Doch ist der Zusammenschluß die grundlegende Voraussetzung, um sie im weiteren zeitlichen Verlauf zu realisieren. Ähnliches gilt für die Aspekte der Raumordung und Landesplanung. Hier hat das Land Brandenburg mit seinem „Tortenstückmodell" bereits vor dem Abschluß des Neugliederungs-Vertrages vollendete Tatsachen geschaffen, denen dieser sich nolens volens beugen mußte. Dennoch wäre zu erwarten gewesen, daß eine einzige Landesebene koordinierter vorginge und bisher fehlgegangene Entwicklungen zwar nicht rückgängig, jedoch stoppen oder abschwächen könnte. Dies wird zwei getrennten Ländern nicht gelingen. Umfassend und vorsichtig hat der Neugliederungs-Vertrag die Neugliederung selbst sowie die mit einer Neugliederung verbundenen Nebengebiete geregelt. Die ersichtliche Zurückhaltung erklärt sich aus den der Neugliederung in starkem Maße entgegenstehenden Ressentiments, denen vorzubeugen war. Allerdings fragt sich, inwieweit der Neugliederungs-Vertrag mit Blick auf die die landsmannschaftliche Verbundenheit berücksichtigenden Volksentscheidregelungen sein Scheitern nicht selbst verschuldet hat. Zum einen wurde zwischen die Abstimmungen des Vertrages in beiden Parlamenten sowie den Termin der Volksentscheide entgegen den ursprünglichen Vorstellungen ein übermäßig langer Zeitraum gelegt. Nicht zuletzt aufgrund dessen fiel die Entscheidung der brandenburgischen Bevölkerung gegen den Vertrag aus. Durch besser aufeinander abgestimmte Termine der Abstimmungen in den Länderparlamenten und den Volksentscheiden hätte das Scheitern vielleicht verhindert werden können. Inwieweit diese Terminsetzung auf das Durchsetzungsvermögen der Gegner der Neugliederung oder lediglich auf widrige äußere Umstände zurückzuführen ist, muß politikwissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten bleiben. Aber auch das für die Volksentscheide vorgesehene Quorum ist mit Blick auf die Geschichte entsprechender Quoren in Art. 29 GG möglicherweise auf den Einfluß 22 Keunecke
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2. Kap.: Der Neugliederungs-Vertrag zwischen Berlin und Brandenburg
der Neugliederungsgegner auf den Vertrag zurückzuführen. Das verdeutlicht jedoch, daß, auch wenn Volksentscheide aus legitimatorischen Gründen und zur Berücksichtigung der landsmannschaftlichen Verbundenheit erforderlich sein mögen, sie aufgrund ihrer beeinflussenden Wirkung allein durch den gewählten Zeitpunkt und durch etwaige Quoren nur begrenzte Aussagekraft über den tatsächlichen Willen der Bevölkerung haben und sich - jedenfalls im Rahmen der gescheiterten Neugliederung Berlin-Brandenburg - im wesentlichen auf eine emotionale Momentaufnahme beschränkten. Das Abstimmungsverhalten der Bevölkerung ist entscheidend „von oben" beeinflußbar. Die Sinnhaftigkeit entsprechender Plebiszite erscheint von daher in sehr fragwürdigem Licht. Durch Quoren und Termine erhalten Politiker die Möglichkeit, unter dem Deckmantel - derzeit im Trend der öffentlichen Meinung liegender - direktdemokratischer Elemente, die mehr Entscheidungsnähe des Bürgers suggerieren, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Ein einziges Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben sich Politiker bereit gefunden, ernsthaft eine Neugliederung zu forcieren. Auch wenn an einigen wichtigen Stellen des Neugliederungs-Vertrages - etwa dem hohen, nicht grundgesetzlich notwendigen Quorum - sich möglicherweise die Macht der Neugliederungsgegner manifestiert hat, ist es den Regierungen beider Länder insgesamt gelungen, ein Vertragswerk zu erarbeiten, das unter Berücksichtigung aller Interessen ein i. S.d. Grundgesetzes leistungsfähigeres Land als seine Vorgänger geschaffen hätte875 und das die Zustimmung beider Parlamente gefunden hat. Um so bedauerlicher ist, daß die Bevölkerung in Brandenburg die Einmaligkeit dieser Gelegenheit schließlich nicht, und die in Berlin nur zu einem knapp ausreichenden Teil erkannt hat. Jahrelanges überparteiliches Engagement derer, die sich für die Neugliederung der Länder Berlin und Brandenburg eingesetzt haben, war damit vergeblich. Dies ist um so bestürzender, als es mit Blick auf die Neugliederungsgeschichte in der Bundesrepublik wenig wahrscheinlich ist, daß sich in der Politik nochmals die Kraft finden wird, ein solches Unterfangen anzustoßen und voranzutreiben. Auch die erhofften Impulswirkung auf sachlich anstehende Neugliederungen im nordund mitteldeutschen Räume bleiben aus. Hoffnung verbleibt jedoch insofern, als sich aus den Reihen der politischen Führungen in Berlin und Brandenburg gewichtige Stimmen vernehmen lassen, die eine Neugliederung in der nächsten Legislaturperiode, die jeweils 1999 beginnt, erneut in Angriff nehmen wollen. Ob sich diese Stimmen allerdings nach den Parlamentswahlen durchzusetzen vermögen, liegt nicht zuletzt in der Hand der Wahler und bleibt ungewiß.
875 Aus ökonomischer Sicht kommt auch Geppert, Berlin-Brandenburg - eine verpaßte Chance, in: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.), Die gescheiterte Fusion Berlin-Brandenburg, 1997, S. 4 (11), zu dem Ergebnis, daß bei einer Neugliederung „die Region Berlin-Brandenburg einen steileren Wachstumspfad eingeschlagen [hätte], als es bei getrennten Ländern der Fall sein wird."
F. Zusammenfassende Einschätzung
339
Berlin und Brandenburg sind - jedenfalls zunächst - wie bisher auf das Mittel der Kooperation beschränkt876. Aber diese nimmt sich auch nach der gescheiterten Neugliederung überwiegend zurückhaltend aus. Bis auf den Landesplanungsvertrag beschränken sich die zwischen beiden Ländern abgeschlossenen Staatsverträge und Verwaltungsabkommen auf ein Minimum877. Wesentliche Bereiche - etwa eine gemeinsame Hochschulplanung oder eine gemeinsame Krankenhausplanung - bleiben ungeklärt. Lediglich im schulischen Bereich haben sich beide Länder auf die „Gastschülervereinbarung" geeinigt. Mit Blick auf Hamburg und Schleswig-Holstein ist dies zwar bereits ein beachtlicher Kooperationserfolg. Der Zustand zeigt jedoch auf, daß Kooperation eine Neugliederung nicht zu ersetzen vermag. Richtet sich das Augenmerk auf die Zukunft, wird gerade mit Blick auf „Euroland" die Schaffung schlagkräftiger Regionen unumgänglich. Hierzu zählen für sich genommen weder das Land Berlin noch das Land Brandenburg878. Mögen die einzelnen Länder auf Bundesebene unabhängig von ihrer wirtschaftlichen Stärke beachtet werden, ist abzusehen, daß mit fortschreitender Europäisierung die Bundesebene an Bedeutung verlieren wird und die Länder sich als Regionen in einem gemeinsamen Europa behaupten müssen. Vor diesem Hintergrund kann auch die eigennützige Klage der Länder Bayern, Baden-Württemberg und Hessen vor dem Bundesverfassungsgericht bezüglich der Finanzmittelverteilungen im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleiches gesehen werden, die sich mit allen Mitteln für ein gemeinsames Europa möglichst gut positionieren wollen. Ebenso wie eine bundesweite Neugliederung ist daher die Neugliederung BerlinBrandenburg, nach wie vor geboten. Sollte über weitergehende Neugliederungsvorhaben nachgedacht werden, würde sich in diesem Zusammenhang eine Simplifizierung des Art. 29 GG auf das Wesentliche empfehlen, so daß er in einfacher und angemessener Weise den staatsrechtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen nachkäme: Unter diesen Aspekten enthielte Art. 291 GG die materiellen Voraussetzung einer jeden Neugliederung. Art. 29 Π GG regelte, den Bund ermächtigend, die bundesweite Neugliederung durch Bundesgesetz. Ein abschließender Art. 29 ΠΙ GG bestimmte im übrigen die Durchführung von Neugliederungen durch Ländervereinbarung oder Bundesgesetz.
876 Etwa über den Koordinierungsrat, vgl. Senat von Berlin!Landesregierung Brandenburg; Vereinbarung der Regierungen der Länder Berlin und Brandenburg über ihre Zusammenarbeit und die Einrichtung eines gemeinsamen Koordinierungsrates, v. 20.11.1996. 877 Siehe Anhang. 878 Vgl. Döring!Geppert!HornJKutter!Vesper, Wirtschaftliche Aspekte einer Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin, DIW Beiträge zur Strukturforschung 157 (1995), S. 14; Stadtforum Berlin, Die Metropolenregion Berlin-Brandenburg in Europa, Dokumentation der 50. Sitzg v. 1./2.9.1995, Hrsg.: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, 1995.
22*
Anhang
Art. 29 GG (1969)
Art. 29 (1976)
Art. 29 (1995)
( 1 ) Das Bundesgebiet ist unter Be- ( 1 ) (keine Änderungen) ( 1 ) Das Bundesgebiet kann neu ge- ( 1 ) (keine Änderungen) rücksichtigung der landsmanngliedert werden, um zu gewährleischaftlichen Verbundenheit, der sten, daß die Länder nach Größe geschichtlichen und kulturellen und Leistungsfähigkeit die ihnen Zusammenhänge, der wirtschaftliobliegenden Aufgaben wirksam chen Zweckmäßigkeit und des soerfüllen können. Dabei sind die zialen Gefüges durch Bundesgelandsmannschaftliche Verbundensetz neu zu gliedern. Die Neuglieheit, die geschichtlichen und kultuderung soll Länder schaffen, die rellen Zusammenhänge, die wirtnach Größe und Leistungsfähigkeit schaftliche Zweckmäßigkeit sowie die ihnen obliegenden Aufgaben die Erfordernisse der Raumordwirksam erfüllen können. nung und der Landesplanung zu berücksichtigen.
Art. 29 GG (1949)
(S.a. Greulichy Länderneugliederung und Grundgesetz, 1995, S.227ff.)
Synopse zu Art. 29 GG
I. Verfassungstexte zur Neugliederung
Anhang
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(2) In Gebietsteilen, die bei der Neugliederung der Länder nach dem 8. Mai 1945 ohne Volksabstimmung ihre Landeszugehörigkeit geändert haben, kann binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung. Kommt das Volksbegehren zustande, so hat die Bundesregierung in den Gesetzentwurf über die Neugliederung eine Bestimmung über die Landeszugehörigkeit des Gebietsteils aufzunehmen.
Art. 29 GG (1949)
Art. 29 (1976)
Art. 29 (1995)
(2) In Gebietsteilen, die bei der (2) Maßnahmen zur Neugliede- (2) (keine Änderungen) Neugliederung der Länder nach rung des Bundesgebietes ergehen dem 8. Mai 1945 ohne Volksab- durch Bundesgesetz, das der BeStimmung ihre Landeszugehörig- stätigung durch Volksentscheid bekeit geändert haben, kann binnen darf. Die betroffenen Länder sind eines Jahres nach Inkrafttreten des zu hören. Grundgesetzes durch Volksbegehren eine bestimmte Änderung der über die Landeszugehörigkeit getroffenen Entscheidung gefordert werden. Das Volksbegehren bedarf der Zustimmung eines Zehntels der zu den Landtagen wahlberechtigten Bevölkerung.
Art. 29 GG (1969)
344 Anhang
(3) Nach Annahme des Gesetzes ist in jedem Gebiete, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, der Teil des Gesetzes, der dieses Gebiet betrifft, zum Volksentscheid zu bringen. Ist ein Volksbegehren nach Absatz 2 zustande gekommen, so ist in dem betreffenden Falle ein Volksentscheid durchzuführen. oder die
(3) Ist ein Volksbegehren nach Ab- (3) Der Volksentscheidfindet in (3) (keine Änderung) satz 2 zustande gekommen, so ist den Ländern statt, aus deren Gebiein dem betreffenden Gebietsteil bis ten oder Gebietsteilen ein neues zum 31. März 1975, im Gebietsteil oder neu umgrenztes Land gebildet Baden des Landes Baden-Würt- werden soll (betroffene Länder), temberg bis zum 30. Juni 1970 ein Abzustimmen ist über die Frage, Volksentscheid über die Frage ob die betroffenen Länder wie bisdurchzuführen, ob die angestrebte her bestehenbleiben sollen oder ob Änderung vorgenommen werden das neue oder neu umgrenzte Land bisherige Landeszugehö- gebildet werden soll. Der Volksrigkeit bestehen bleiben soll, entscheid für die Bildung eines Stimmt eine Mehrheit, die minde- neuen oder neu umgrenzten Lanstens ein Viertel der zum Landtag des kommt zustande, wenn in deswahlberechtigten Bevölkerung sen künftigem Gebiet und insgeumfaßt, der Änderung zu, so ist die samt in den Gebieten oder GebietsLandeszugehörigkeit des betref- teilen eines betroffenen Landes, fenden Gebietsteiles durch Bun- deren Landeszugehörigkeit im desgesetz innerhalb eines Jahres gleichen Sinne geändert werden nach Durchführung des Volksent- soll, jeweils eine Mehrheit der Änscheides zu regeln. Wird innerhalb derung zustimmt. Er kommt nicht desselben Landes in mehreren Ge- zustande, wenn im Gebiet eines der bietsteilen eine Änderung der Lan- betroffenen Länder eine Mehrheit deszugehörigkeit verlangt, so sind die Änderung ablehnt; die Ablehdie erforderlichen Regelungen in nung ist jedoch unbeachtlich, wenn einem Gesetz zusammenzufassen, in einem Gebietsteil, dessen Zugehörigkeit zu dem betroffenen Land geändert werden soll, einen Mehrheit von zwei Dritteln der Änderung zustimmt, es sei denn, daß im Gesamtgebiet des betroffenen Landes eine Mehrheit von zwei Dritteln die Änderung ablehnt.
Anhang
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Art. 29 GG (1969)
Art. 29 (1976)
Art. 29 (1995)
(4) Soweit dabei das Gesetz minde- (4) Dem Bundesgesetz ist das Er- (4) Wird in einem zusammenhän- (4) (keine Änderung) stens in einem Gebietsteil abge- gebnis des Volksentscheides zu- genden, abgegrenzten Siedlungslehnt wird, ist es erneut bei dem gründe zu legen; es darf von ihm und Wirtschaftsraum, dessen Teile Bundestage einzubringen. Nach nur abweichen, soweit dies zur Er- in mehreren Ländern liegen und erneuter Verabschiedung bedarf es reichung der Ziele der Neugliede- der mindestens eine Million Eininsoweit der Annahme durch rung nach Absatz 1 erforderlich wohner hat, von einem Zehntel der Volksentscheid im gesamten Bun- ist. Das Gesetz bedarf der Zustim- in ihm zum Bundestag Wahlbedesgebiete. mung der Mehrheit der Mitglieder rechtigten durch Volksbegehren des Bundestages. Sieht das Gesetz gefordert, daß für diesen Raum die Änderung der Landeszugehö- eine einheitliche Landeszugehörigkeit eines Gebietsteiles vor, dierigkeit herbeigeführt werde, so ist nicht durch Volksentscheid ver- durch Bundesgesetz innerhalb von langt worden ist, so bedarf es der zwei Jahren entweder zu bestimAnnahme durch Volksentscheid in men, ob die Landeszugehörigkeit dem gesamten Gebiet, dessen Lan- gemäß Absatz 2 geändert wird, deszugehörigkeit geändert werden oder daß in den betroffenen Länsoll; dies gilt nicht, soweit bei Aus- dem eine Volksbefragung stattfingliederung von Gebietsteilen aus det. einem bestehenden Land die verbleibenden Gebietsteile als selbständiges Land fortbestehen sollen.
Art. 29 GG (1949)
346 Anhang
Art. 29 GG (1969)
Art. 29 (1976)
Art. 29 (1995)
(5) Bei einem Volksentscheide ent- (5) Nach Annahme eines Bundes- (5) Die Volksbefragung ist darauf (5) (keine Änderungen) scheidet die Mehrheit der abgege- gesetzes über die Neugliederung gerichtet festzustellen, ob eine in benen Stimmen. des Bundesgebietes außeiiialb des dem Gesetz vorzuschlagende ÄnVerfahrens nach den Absätzen 2 derung der Landeszugehörigkeit bis 4 ist in jedem Gebiet, dessen Zustimmungfindet. Das Gesetz Landeszugehörigkeit geändert kann verschiedene, jedoch nicht werden soll, der Teil des Gesetzes, mehr als zwei Vorschläge der der dieses Gebiet betrifft, zum Volksbefragung vorlegen. Stimmt Volksentscheid zu bringen. Soweit eine Mehrheit einer vorgeschlagedabei das Gesetz mindestens in ei- nen Änderung der Landeszugehönem Gebietsteil abgelehnt wird, istrigkeit zu, so ist durch Bundesgees erneut bei dem Bundestage ein- setz innerhalb von zwei Jahren zu zubringen. Nach erneuter Verab- bestimmen, ob die Landeszugehöschiedung bedarf es insoweit derrigkeit gemäß Absatz 2 geändert Annahme durch Volksentscheid im wird. Findet ein der Volksbefragesamten Bundesgebiet. gung vorgelegter Vorschlag eine den Maßgaben des Absatzes 3 Satz 3 und 4 entsprechende Zustimmung, so ist innerhalb von zwei Jahren nach der Durchführung der Volksbefragung ein Bundesgesetz zur Bildung des vorgeschlagenen Landes zu erlassen, das der Bestätigung durch Volksentscheid nicht mehr bedarf.
Art. 29 GG (1949)
1
Anhang 347
Art. 29 GG (1969)
Art. 29 (1976)
Art. 29 (1995)
(7) Das Verfahren über jede sonstige Änderung des Gebietsbestandes der Länder regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf.
(7) (keine Änderungen) (7) Sonstige Änderungen des Ge- (7) Sonstige Änderungen des Gebietsbestandes der Länder können bietsbestandes der Länder können durch Staatsverträge der beteilig- durch Staatsverträge der beteiligten Länder oder durch Bundesge- ten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundes- setz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, wenn das Gebiet, rates erfolgen, wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geän- dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als dert werden soll, nicht mehr als 10 000 Einwohner hat. Das Nähere 50 000 Einwohner hat. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf. Es muß die Bundestages bedarf. Es muß die Anhörung der betroffenen Ge- Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise vorsehen. meinden und Kreise vorsehen.
(6) Das Verfahren regelt ein Bun- (6) Bei einem Volksentscheide ent- (6) Mehrheit im Volksentscheid (6) (keine Änderungen) desgesetz. Die Neugliederung soll scheidet die Mehrheit der abgege- und in der Volksbefragung ist die vor Ablauf von drei Jahren nach benen Stimmen; Absatz 3 bleibt Mehrheit der abgegebenen StimVerkündung des Grundgesetzes unberührt. Das Verfahren regelt ein men, wenn sie mindestens ein und, falls sie als Folge des Beitrit- Bundesgesetz. Die Neugliederung Viertel der zum Bundestag Wahltes eines anderen Teiles von soll, falls sie als Folge des Beitrit- berechtigten umfaßt. Im übrigen Deutschland notwendig wird, in- tes eines anderen Teiles von wird das Nähere über Volksentnerhalb von zwei Jahren nach dem Deutschland notwendig wird, in- scheid, Volksbegehren und VolksBeitritt geregelt sein. nerhalb von zwei Jahren nach dem befragung durch ein Bundesgesetz Beitritt geregelt sein. geregelt; dieses kann auch vorsehen, daß Volksbegehren innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren nicht wiedelholt werden können.
Art. 29 GG (1949)
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Art. 29 GG (1949)
Art. 29 GG (1969)
Art. 29 (1976) (8) Die Länder können eine Neugliederung für das jeweils von ihnen umfassende Gebiet abweichend von den Vorschriften der Absätze 2 bis 7 durch Staatsvertrag regeln. Die betroffenen Gemeinden und Kreise sind zu hören. Der Staatsvertrag bedarf der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem beteiligten Land. Betrifft der Staatsvertrag Teilgebiete der Länder, kann die Bestätigung auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden; Satz 5 2. Halbsatz findet keine Anwendung. Bei einem Volksentscheid entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfaßt; das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der Staatsvertrag bedarf der Zustimmung des Bundestages.
Art. 29 (1995)
Anhang 349
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Anhang
Weitere Verfassungstexte zur Neugliederung Weimarer Reichsverfassung (v. 11.8.1919 [RGBl S. 1383]) Art. 18 „(1) Die Gliederung des Reichs in Länder soll unter möglichster Berücksichtigung des Willens der Beteiligten Bevölkerung der wirtschaftlichen und kulturellen Höchstleistung des Volkes dienen. Die Änderungen des Gebiets von Ländern und die Neubildung von Ländern innerhalb des Reichs erfolgen durch verfassungsänderndes Reichsgesetz. (2) [.· (3) [·· (4)[.. (5) [·· (6) [.. (7) [..
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (v. 23.5.1949 [BGBl. S. 1]) Art. 118 GG „Die Neugliederung in dem die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern umfassenden Gebiete kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 durch Vereinbarung der beteiligten Länder erfolgen. Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muß." Ait. 118 a GG (eingefügt durch 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27.10.1994 [BGBl. I 3146]) „Die Neugliederung in dem die Länder Berlin und Brandenburg umfassenden Gebiet kann abweichend von den Vorschriften des Artikels 29 unter Beteiligung ihrer Wahlberechtigten durch Vereinbarung beider Länder erfolgen."
Verfassung von Berlin (v. 23.11.1995 [GVB1. S.779]) Art. 97 „(1) Das Land Berlin kann ein gemeinsames Land mit dem Land Brandenburg bilden. (2) Ein Staatsvertrag der Länder Berlin und Brandenburg über die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes bedarf der Zustimmung einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Abgeordnetenhauses sowie der Zustimmung durch Volksabstimmung nach Maßgabe dieses Staatsvertrages. (3) Der Staatsvertrag kann vorsehen, daß 1. einzelne Befugnisse des Abgeordnetenhauses und des Senats auf gemeinsame Ausschüsse und Gremien der beiden Länder übertragen werden,
Anhang
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2. die Wahlperiode des Abgeordnetenhauses und die Amtszeit des Senats mit der Bildung des gemeinsamen Landes enden. (4) Die Rechte des Abgeordnetenhauses bleiben unberührt. (5) Das Nähere zur Regelung der Volksabstimmung bestimmt ein Staatsvertrag."
Verfassung des Landes Brandenburg (v. 20.8.1992 [GVB1.I S. 298]) Art. 116 (i. d. F. des Art. 2 Nr. 3 des Gesetz zu den Staatsverträgen über die Neugliederung der Länder Brandenburg und Berlin [Neugliederungsvertragsgesetz-Ν VG] v. 27.6.1995 [GVB1.I S. 150]) „(Neugliederung des Raumes Brandenburg-Berlin) (1) An der Gestaltung einer Vereinbarung zur Vereinigung der Länder Brandenburg und Berlin ist der Landtag frühzeitig und umfassend zu beteiligen. Die Vereinbarung bedarf zu ihrer Ratifizierung der Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages sowie der Zustimmung in einem Volksentscheid nach Maßgabe der Vereinbarung. (2) Die Vereinbarung nach Absatz 1 kann vorsehen, daß von ihrem Inkrafttreten an bis zur Bildung des gemeinsamen Landes Befugnisse des Landtages und der Landesregierung auf gemeinsame Gremien und Ausschüsse der Länder Brandenburg und Berlin übertragen werden."
II. Richtlinien für die Aufnahme des Landes Lippe in das Gebiet des Landes Nordrhein-Westfalen - Punktation (abgedr. bei Redelberger, Lippe und Nordrhein-Westfalen, 1953, S. 9ff., ferner BVerfGE 3, 267[269ff J) „1. Von seiten des Landes Nordrhein-Westfalen wird bei der Übernahme und Eingliederung des Landes Lippe in jeder Hinsicht großzügig und entgegenkommend verfahren werden. Auf die 800 jährige Geschichte des Landes Lippe, seine geschlossene Verwaltungseinheit soll im Rahmen der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen jede erdenkliche Rücksicht genommen werden. 2. Die Landeshoheit geht, sobald die Landeshoheit von der Militärregierung auf deutsche Stellen übertragen wird, auf das Land Nordrhein-Westfalen über. 3. Lippe wird Teil des Regierungsbezirkes Ost-Westfalen. 4. Als Sitz der Verwaltung dieses Regierungsbezirks wird Detmold in Aussicht genommen. 5. Vor der Berufung des Regierungspräsidenten für den neuen, Lippe einschließenden Regierungsbezirk wird die Landesregierung Nordrhein-Westfalen auch Verhandlungen mit den Exponenten des Volkswillens in Lippe fuhren. 6. Lippe erhält zur Durchführung der ihm verbleibenden Aufgaben der Selbstverwaltung, zur Erhaltung von Landeseinrichtungen usw. das Recht zur Bildung eines Zweckverbandes oder einer ähnlichen, diesem Zweck dienenden Verwaltungsform. Ihm werden hierfür alle möglichen Erleichterungen gewährt. Soweit der lippische Zweckverband zur Durchführung seiner Aufgaben im Rahmen des allgemeinen Rechts besonderer Ermächtigungen bedarf, werden sie ihm durch das Land Nordrhein-Westfalen erteilt. 7. Die kulturellen und sozialen Einrichtungen des Landes - Landestheater, Musikakademie, Landesbibliothek, Landesmuseum, Archiv, soziale Anstalten usw. - bleiben erhalten und werden gefördert. 8. Das Landesvermögen (einschließlich das der Stiftungen) verbleibt dem lippischen Gebiet, soweit nicht in Einzelheiten auf Grund gleichartiger geschichtlicher Vorgänge und in Rücksicht auf die allgemeine Übernahme der Landeshoheit besondere Vereinbarungen sachlich geboten sind. Es besteht Übereinstimmung, daß Festlegungen nach Prüfung durch einen beiderseits paritätisch zu besetzenden Ausschuß durch Vereinbarung erfolgen sollen. 9. Auf kulturpolitischem Gebiete werden die bisherige Entwicklung, der jetzige Zustand und der Wille der lippischen Bevölkerung Berücksichtigung finden. Die lippische Gemeinschaftsschule bleibt im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen erhalten. Das Land Nordrhein-Westfalen sichert zu, daß die in Lippe bestehenden Lehranstalten nach Möglichkeit gefördert werden sollen. 10. Lippe wird keinerlei Benachteiligung erfahren in der Teilnahme an allen Einrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen, die dem allgemeinen Wohl der Bevölkerung dienen. Es wird ihm gleichmäßige Behandlung zugesichert. 11. Bei der Übernahme der Landesbeamten wird entgegenkommend verfahren werden.
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12. Für den Fall der Übernahme des lippischen Stromversorgungsnetzes des Elektrizitätswerks Wesertal GmbH, in Hameln - Ablauf des Konzessions- und Lieferungsvertrages am 1. Januar 1950- wird Lippe, wenn nötig, die Hilfe des Landes Nordrhein-Westfalen nach Möglichkeit gewährt. Das gleiche gilt für den Ausbau der Ferngasversorgung. 13. Bei der Übernahme und in der ferneren Behandlung als Teil des Landes NordrheinWestfalen sollen Lippe gegenüber dieselben Grundsätze gelten, die entsprechend den Ausführungen des Vertreters der Kontrollkommission, General Robertson, das Land Niedersachsen gegenüber den in ihm aufgehenden Ländern Oldenburg und Braunschweig anwendet, vorausgesetzt, daß dadurch nicht Grundsätze der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen beeinträchtigt werden. 14. Das Land Lippe wird in allen Teilen als Erholungsgebiet des rheinisch-westfälischen Industrierevier angesehen und genießt die sich daraus ergebende Förderung. Das gleich gilt für die Bäder des Landes (Salzuflen, Meinberg). 15. Nordrhein-Westfalen erkennt in den Resten der lippischen Wanderarbeiter eine unsoziale Erscheinung. Es wird dazu beitragen, daß die Wanderarbeiter seßhaft werden. Lippe wird Vorschläge einreichen. 16. Für die Regelung der lippischen Angelegenheiten wie für besondere Aufgaben, namentlich wirtschaftlicher Art, im Ostgebiet des Landes Nordrhein-Westfalen, wird in Aussicht genommen, als Vertrauensmann des Ministeriums einen Kommissar zu bestellen, und zwar in der Person des Landespräsidenten Drake, falls dieser zur Übernahme einer solchen Stellung bereit ist. Von der Bestellung eines Kommissars wird Abstand genommen, wenn nach Ansicht des Landtages oder des vorgesehenen Zweckverbandes die fraglichen Aufgaben dem Regierungsräsidenten übertragen werden können. Die obigen Vereinbarungen sind durch folgende Zusätze ergänzt worden: A. Land Lippe und Regierungsbezirk Minden werden als ein Regierungsbezirk verwaltet werden. Wahrend der Zeit dieser vorläufigen Regelung - Entscheidung des Kontrollrats gemäß Schreiben des Regional Commissioners an Ministerpräsident Dr. Amelunxen - bleiben die kulturellen und religiösen Verhältnisse des Landes Lippe gewahrt. Es wird nichts geschehen, was der endgültigen Regelung Abbruch tun könnte. Die kulturellen Interessen des Landes Lippe werden besonders pfleglich behandelt und tatkräftig gefördert werden. Die Besonderheiten im Schulwesen werden beachtet. B. Sobald die in Aussicht gestellte Verordnung des Kontrollrats erlassen ist, werden die einzelnen Punkte der Vereinbarung festgelegt werden. C. Entsprechend den gegenwärtigen Verhältnissen zwischen Einwohner- und Abgeordnetenzahlen in Nordrhein-Westfalen werden vier lippische Vertreter in den ernannten Landtag Nordrhein-Westfalen eintreten. Vorschläge werden der Militärregierung unterbreitet."
23 Keunecke
I I I . Auszug aus dem Zweiten Gesetz über die Neugliederung in den Ländern Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern vom 4.5.1951 (BGBl. I S. 284) „Abschnitt I
Die Durchführung der Volksabstimmung §§ 1-9 (...)
§ 10 (1) Ergibt die Volksabstimmung im gesamten Abstimmungsgebiet und in mindestens drei der nach § 3 gebildeten Abstimmungsbezirke eine Mehrheit für die Vereinigung der Länder zu einem Bundesland, so wird dieses Land nach Maßgabe der §§ 11 bis 20 dieses Gesetzes gebildet. (2) Ergibt sich keine Mehrheit nach Absatz 1, so werden die alten Länder Baden und Württemberg (einschließlich Hohenzollern) nach Maßgabe der §§ 21 bis 26 dieses Gesetzes wiederhergestellt. Abschnitt II
Das Verfahren bei der Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern zu einem Bundesland §11 Die Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern sind mit der Bildung der vorläufigen Regierung (§ 14 Abs. 4) zu einem Bundesland vereinigt.
§ 12 (1) Die Regierungen der beteiligten Länder bilden unmittelbar nach der Volksabstimmung einen Ministerrat. Er nimmt die ihm nach §§ 13, 14, 15, 17 und 18 übertragenen Befugnisse wahr. Seine Aufgaben enden mit der Bildung der vorläufigen Regierung (§14 Abs. 4). (2) Der Ministerrat besteht aus vier von der Regierung des Landes Württemberg-Baden, und aus je zwei von den Regierungen der Länder Baden und Württemberg-Hohenzollern zu bestimmenden Vertretern. Von den Vertretern des Landes Württemberg-Baden müssen zwei aus dem Landesbezirk Baden stammen. Für jeden Vertreter ist ein Stellvertreter zu benennen. (3) Der Ministerrat wird auf den fünften Werktag nach der Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses im Bundesanzeiger (§ 9 Abs. 2) vom Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden einberufen.
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(4) Der Ministerrat wählt aus seiner Mitte einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Die Entscheidungen erfolgen durch Mehrheitsbeschluß. § 13 (1) Der Ministerrat hat innerhalb von drei Monaten nach der Volksabstimmung die Wahl der verfassunggebenden Landesversammlung des neuen Bundeslandes durchzuführen. (2) Die verfassunggebende Landesversammlung besteht aus mindestens 120 Abgeordneten, von denen Württemberg-Baden mindestens
73 Abgeordnete
Baden mindestens
25 Abgeordnete
Württemberg-Hohenzollern mindestens
22 Abgeordnete
zu wählen haben. (3) Die Wahlen werden in entsprechender Anwendung der Bestimmungen des Wahlgesetzes zum ersten Bundestag und zur ersten Bundesversammlung der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Juni 1949 (Bundesgesetzbl. S.21) durchgeführt. Die Vorschriften des Artikels 41 des Grundgesetzes gelten entsprechend. Der Ministerrat ist ermächtigt, die erforderlichen Durchführungsverordnungen zu erlassen. §14 (1) Die verfassunggebende Landesversammlung wird von dem Vorsitzenden des Ministerrates auf den sechzehnten Tag nach der Wahl einberufen. (2) Die verfassunggebende Landesversammlung beschließt die Landesverfassung, die mit der Verkündung durch die vorläufige Regierung wirksam wird. (3) Sie kann verfassungsrechtliche Bestimmungen, Gesetze und Maßnahmen, die im Interesse der Bildung des neuen Bundeslandes schon vor Inkrafttreten der Verfassung erforderlich sind, beschließen. (4) Sie wählt spätestens einen Monat nach ihrem Zusammentritt den Ministerpräsidenten. Dieser ernennt binnen zwei Wochen die Minister und stellt den Zeitpunkt der Bildung der vorläufigen Regierung fest. (5) Nach dem Inkrafttreten der Verfassung nimmt die verfassunggebende lung die Befugnisse des ersten Landtages auf längstens zwei Jahre wahr.
Landesversa
(6) Die Beschlüsse der verfassunggebenden Landesversammlung werden mit einfacher Mehrheit gefaßt, soweit sie nichts anderes bestimmt. §15
Der Minister rat oder die vorläufige Regierung können der verfassunggebenden Landesv sammlung einen Verfassungsentwurf vorlegen und Anträge stellen. Die Mitglieder des M sterrats oder der vorläufigen Regierung oder ihre Beauftragten haben zu allen Sitzungen verfassunggebenden Landesversammlung und ihrer Ausschüsse Zutritt. Sie müssen jeder gehört werden. 2*
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§ 16 Die beteiligten Länder sind verpflichtet, vom Tage der Volksabstimmung an alle Maßnahmen zu unterlassen, welche die bestehenden Verwaltungsoiganisationen oder den Besitz- und Vermögensstand des Landes eiheblich ändern, nachhaltige finanzielle Verpflichtungen des neuen Bundeslandes begründen oder in sonstiger Weise geeignet ist, die Vereinigung zu beeinträchtigen. § 17 Der Ministerrat hat das Recht, gegen Gesetze und Maßnahmen, die entgegen dem § 16 ergangen sind, Einspruch zu einzulegen. Der Einspruch hat aufschiebende Wirkung, Gegen den Einspruch ist die Anrufung der verfassunggebenden Landesversammlung zulässig.
§ 18 (1) Folgende Maßnahmen der beteiligten Länder bedürfen der Genehmigung des Ministerrats: 1. Ernennung und Beförderung von Beamten des höheren Dienstes bei den Obersten Landesbehörden und bei den Landesmittelbehörden sowie bei den obersten Gerichten. Das gleiche gilt für die Dienstverträge von Angestellten in entsprechenden Stellungen. 2. Einmalige Ausgaben des ordentlichen und außerordentlichen Haushalts, deren insgesamt veranschlagter Aufwand mehr als eine Million Deutsche Mark beträgt. (2) Die Länderregierungen sind verpflichtet, dem Ministerrat alle für seine Tätigkeit erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. § 19 Die Aufwendungen für den Ministerrat, für die verfassunggebende Landesversammlung und die vorläufige Regierung werden von den beteiligten Ländern im Verhältnis des Aufkommens an Ländersteuem getragen. §20 Die Verfassungen der beteiligten Länder treten spätestens mit Inkrafttreten der Verfassung des neuen Bundeslandes endgültig außer Kraft, soweit die verfassunggebende Landesversammlung nicht für einzelne Vorschriften andere Bestimmungen trifft. Abschnitt III
Das Verfahren bei der Wiederherstellung der alten Länder Baden und Württemberg einschließlich Hohenzollern §§21-26 (...) Abschnitt IV
Übergangs- und Schlußvorschriften §27 (1) Das Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft.