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German Pages 112 Year 1934
BEIHEFTE ZUR
ZEITSCHRIFT FÜR
ROMANISCHE PHILOLOGIE BEGRÜNDET VON PROF. DR. GUSTAV GRÖBER f
FORTGEFÜHRT UND HERAUSGEGEBEN VON
DR. ALFONS HILKA PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT GÖTTINGEN
LXXXIII. HEFT HANS
JESCH KE
DIE GENERATION VON 1898 IN SPANIEN (VERSUCH EINER WESENSBESTIMMUNG)
MAX
NIEMEYER
VERLAG
/
HALLE/SAALE
1934
DIE GENERATION VON 1898 IN SPANIEN (VERSUCH EINER WESENSBESTIMMUNG)
VON
HANS
JESCHKE
MAX N I E M E Y E R V E R L A G / H A L L E / S A A L E 1934
Gedruckt mit Unterstützung des Königsberger Universitätsbundes, E . V. Alle Rechte, auch das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Halle (Saale), 1934 Printed in Germany
Bruck von G. Schulze * Co. G. m. b. H., Gräfenhainiehen
Inhaltsverzeichnis. Seite Die
geistigen
Ursprünge
I. T e i l . der G e n e r a t i o n
v o n 1898
Spaniens politische und geistige Lage um 1898. Der literarhistorische Begriff „Generation von 1898". Notwendigkeit seiner Neubegründung und Aufriß eines Plans zur Durchführung dieser Aufgabe
1—4
A. Die liberale Bewegung in Spanien vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1850 im Überblick und ausführliche Darstellung der Zeit des ,,krausisino" 1. Charakterisierung dieser philosophischen Bewegung durch Aufzeigen der Ursachen ihrer starken Breitenund Tiefenwirkung in Spanien II. Hauptvertreter dieser philosophischen Bewegung und Art ihrer Einflußnahme auf das geistige und politische Leben der Nation a) Julián Sanz del Río, der „spanische Sokrates" (1814 bis 1869) b) Francisco Giner de los Ríos, der Lehrer der Nation (1839—1915) c) Joaquín Costa, der kultur- und wirtschaftspolitische Herold der Bewegung (1846—1911) B . Die traditionalistische Gegenbewegung im Überblick bis 1876 und ausführliche Darstellung von Marcelino Menéndez y Pelayo's (1856—1912) kulturpolitischem Wirken . . I. Geschichtsphilosophische Schriften a) „Ciencia española" b) „Historia de los Heterodoxos españoles" . . . . II. Literarhistorische Schriften a) „Historia de las Ideas Estéticas en E s p a ñ a " . . . b) Grundlegung der modernen spanischen Literaturgeschichte („Programa de Historia crítica de la literatura española", „Prospecto de la Nueva Biblioteca de Autores españoles" und die großen literarhistorischen Werke: „Historia de la Poesía castellana", „Historia de la Poesía Hispano-americana", „Orígenes de la Novela" und „ E s t u d i o s de crítica literaria" (5 Serien)
24—26
c) Gesamtwürdigung seines Lebenswerkes und seiner Persönlichkeit. Urteil über die Bedeutung der traditionalistischen Bewegung im 19. Jahrhundert .
26—28
C. Verstärkter Ausgleich der Spannung zwischen beiden Bewegungen im Ausgang des 19. Jahrhunderts . . . I. Juan Valera (1827—1905) und Leopoldo Alas „ C l a r í n " (1852—1901)
5—17
5—8
9—17 9—10 10—13 13—17
17—28 19—22 19—21 21—22 23—26 23—24
28—32 28—30
VI Satt« I I . Wandlung von Menéndcz y Pelayo und Benito Pérez Galdós (1845—1920) und Gründung der „ J u n t a para Ampliación de Estudios" Rückblick auf die geistigen K ä m p f e in Spanien während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Versuch
einer
II. Teil. Wesensbestimmung v o n 1898
der
30—31 31—32
Generation
A. D a s Generationsproblcm I. Allgemeine Stellungnahme zur neueren Generationsforschung II. Kritische Betrachtung der Azorin'schen „generación de 1898" I I I . Definition des literarhistorischen Begriffs „Generation v o n 1898" und Festlegung ihrer Zusammensetzung .
33—50
42—50
B. Die geistige Struktur der Generation von 1898 . . . . I. Pessimistisches Lebensgefühl und skeptische Denkweise II. Einstellung zur Politik
50—57 50—55 55—57
C. Das geistige Schaffen der Generation von 1898 . . . . I. Überblick über das Gesamtschaffen der 98er . . . .
57—97 57—60
II. Ästhetische Theorien und literarische Vorbilder . . . I I I . Charakteristische Eigentümlichkeiten im sprachlichen und stilistischen Kosmos der Generation von 1898 . . a) Der Sprachschatz der 98 er 1. Inhaltlich bestimmte Wortwahl (Vorliebe für die Sphäre der Dekadenz und differenzierte Farbempfindungen) 2. Formell bestimmte Wortwahl (Wortherkunft: Archaismen, Gallizismen usw., und Wortkörper: K l a n g und R h y t h m u s ) b) Der Sprachbau der 98 er 1. Syntaktische Beziehungen innerhalb des Satzes: Gebrauch der attributiven Adjektive (Voranstellung) Gebrauch der prädikativen Adjektive (in adverbieller Funktion) 2. Syntaktische Beziehungen der Sätze untereinander: Vorliebe für parataktische Satzgefüge und asyndetische Anreihung von Sätzen Vergleich von Stimmungsbildern der 98 er mit einem Nachtbild von Valera zur Charakterisierung der Struktur, der Tektonik und des Sprachrhythmus dieser Generation Rückschau über den G a n g der Untersuchung und Zusammenstellung der wichtigsten Einzelergebnisse Verzeichnis der benutzten Literatur
60—63
34—37 37—42
63—97 64—86
64—77
77—86 86—97
86—89 89—90 90—97 90—93
94—97 97—100 101—106
I.
Teil.
Die geistigen Ursprünge der Generation v o n 1898. Spaniens politische und g e i s t i g e L a g e um 1898. historische Begriff „Generation von
1898".
D e r literar-
Notwendigkeit
seiner N e u b e g r ü n d u n g und Aufriß eines Plans zur Durchführung dieser A u f g a b e . Der Begriff „generación de 1898" oder ,,del 98" spielt in der modernen spanischen Literaturgeschichte und in der literarischen Tageskritik eine große Rolle. Er bezeichnet oder soll im Sinne von José Martínez Ruiz, der ihn in die literarische B e t r a c h t u n g eingeführt hat, eine Gruppe v o n Schriftstellern bezeichnen, deren Mentalität sich unter dem Eindruck der politischen Ereignisse dieses Jahres formte. Das Jahr 1898 bedeutet nämlich im politischen und geistigen Leben Spaniens einen W e n d e p u n k t . Im Pariser Frieden verlor Spanien damals nach dem unglücklichen Ausgange des Krieges m i t den Vereinigten Staaten die spärlichen Reste seines einst weltumspannenden Kolonialreiches, K u b a und die Philippinen, und büßte d a m i t in den Augen der W e l t seine Großmachtstellung und in den Augen vieler Spanier damals erst seine Weltmachtstellung ein, die es faktisch bereits seit dem Pyrenäenfrieden (1659) an Frankreich hatte abtreten müssen. ,,Hablar mal de E s p a ñ a " war z w a r lange schon v o r 1898 in weiten Bevölkerungsschichten Mode gewesen; aber wie die überhebliche Kriegsbegeisterung bei Ausbruch der Feindseligkeiten mit Amerika zeigte, tat man das eben in der beruhigten Überzeugung, daß man sich das leisten könne. 1898 aber sah sich die große Mehrheit der spanischen Nation plötzlich v o r die vollendete Tatsache gestellt, d a ß Spanien nicht mehr das Reich war, in dem die Sonne nicht unterging, sondern nur noch das Spanien der R e y e s Católicos vor der E n t d e c k u n g Amerikas, und das nur d e m territorialen Bestände nach, keineswegs aber hinsichtlich seiner machtpolitischen und geistigen Lebens- und Stoßkraft. D e m politischen E i n f l u ß parallel war natürlich auch die geistige Vormachtstellung Spaniens in Europa verloren gegangen. Seit Ende J e s c h k e , Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. L X X X I I I .
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2
des 17. Jahrhunderts war Frankreich auch geistig in Spanien maßgebend geworden und es bis zur Mitte des ig. Jahrhunderts geblieben, als die Gedankenwelt der deutschen Philosophie, insbesondere in der spanischen Umformung der Philosophie von Karl Christian Friedrich Krause (1781—1832), dem sogenannten „krausismo", dort vorzuherrschen begann. Gegen Ende des Jahrhunderts machte sich jedoch in verstärktem Maße eine Gegenströmung in Spanien geltend, die unter Führung von Marcelino Menéndez y Pelayo (1856—1912) sich gegen die unbesehene Übernahme fremdländischen Gedankengutes wandte und auf die Eigenwerte spanischer Kultur und Tradition hinwies. Als Menéndez y Pelayo im Jahre 1876 die „Ciencia española", ein epochemachendes Werk in dieser Richtung, veröffentlichte, kam es zu richtigen geistigen Kämpfen, in deren Verlauf der prinzipielle Gegensatz zwischen den beiden seit Beginn des Jahrhunderts bestehenden Parteien der Traditionalisten und Liberalen in der Kampfeslosung „Hie Spanien" und „Hie Europa" scharf sich abzeichnete. Einen wahrhaft dramatischen und sichtbaren Höhepunkt erreichten dièse geistigen Kämpfe im Jahre 1881, als der junge geniale Führer der Traditionalisten, Menéndez y Pelayo, anläßlich des 200jährigen Todestages von Calderón, vor zahlreichen ausländischen Gästen jene berühmte Lobrede auf die spanische Inquisition hielt und Francisco Giner de los Ríos (1839—1915), das geistige Haupt der Liberalen, nach der Rede voller Erregung auf ihn zutrat 1 ), um empört gegen diese unerhörte Brüskierung des in seiner Mehrheit europäisch und liberal denkenden Spanien zu protestieren. Die spanische Jugend, die um die Jahrhundertwende mit Bewußtsein ins Leben trat, erkannte im Schlaglicht der politischen Ereignisse von 1898 die politische und geistige Lage ihres Vaterlandes mit voller Klarheit. Aus Verzweiflung, Wut und Hoffnung erwuchs ihr nach und nach die K r a f t zum Ausharren und schließlich sogar zur Bejahung der spanischen Realität im weitesten Umfange dieses Begriffs. Es gelang dieser sogenannten „Generation von 1898" die Spannung Europa-Spanien in sich auszugleichen und ohne Überschätzung, aber auch ohne Preisgabe der nationalen Eigenwerte, Spanien in den Kreislauf europäischen Denkens wieder einzuschalten und damit das Dekadenz- und Minderwertigkeitsbewußtsein zu überwinden, das seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts die Besten der Nation belastet hatte*). Den tatsächlich nach beiden Seiten hin — spanisches Mittelalter — siglo de oro = europäische Gegenwart — vollzogenen Anschluß bekunden zur Genüge die Wertschätzung und Begeisterung, mit der diese so „ikonoklastische" Generation einen Gonçalo de Berceo, den Arcipreste de Hita oder Góngora ebenso wie etwa Nietzsche, Verlaine und Tolstoi verehrt hat. *) Nach mündlichem Bericht von M. B. Cossio, Direktor des Museo Pedagógico Nacional in Madrid. *) Azorin: Clásicos y Modernos, Madrid 1919, S. 29—34.
3 Mit sicherem Instinkt und historisch richtiger Einschätzung der politischen Geschehnisse von 1898 hat Azorfn — selbst ein 98 er — dieses für die politische und geistige Geschichte Spaniens gleich bedeutsame J a h r zur Charakterisierung des Geistes seiner Generationsgenossen in einer „ L a generación de 1898" überschriebenen Artikelreihe 1 ) verwandt, wo er als erster sich ausführlich mit dieser literarischen Gruppe beschäftigte. Azorin versucht dort, diese Schriftstellergruppe in die literarische und geistige Entwicklung Spaniens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einzuordnen. Stark schematisierend, weist er auf einige ihrer literarischen und geistigen Ahnherren (Campoamor, Echegaray, Galdós) in Spanien und auch auf außerspanische, meist zeitgenössische französische Vorbilder hin. Als wichtigste Merkmale allgemeiner Art hebt er an seiner „generación de 1898" hervor einen „espíritu de protesta" gegen die Politiker und Literaten der Restaurationszeit und die „curiosidad por lo extranjero" und rechnet zu ihr, außer sich selbst, noch die Schriftsteller: Valle-Inclán, Benavente, Pío Baroja, Bueno, Maeztu, Unamuno und Rubén Darío. Da Azorin es jedoch unterließ, Begriff und Wesen der Generation von 1898 genauer zu definieren und auch die Zugehörigkeit der einzelnen Schriftsteller zu ihr näher zu begründen, verwahrten sich einerseits einige von ihnen gegen diese literarhistorische Klassifizierung und leugneten die Existenz einer Generation von 1898, unter Anführung von allerdings wenig stichhaltigen Gründen, andererseits wurde dieser literarhistorische Begriff durch häufigen Mißbrauch allmählich so dehnbar und nichtssagend, zu einem „comodín critico" nach Montesinos, daß Andrés González Blanco es z. B. unwidersprochen wagen konnte, Jacinto Octavio Picón (geb. 1853) als einen „novelista de la generación gloriosa 2 ) zu bezeichnen! Die ernsthafte literarische Kritik und Forschung sah sich daher vor die Entscheidung gestellt, diesen Begriff entweder als wertlos auszumerzen oder aber, falls er einer historischen Wirklichkeit entsprach und nötig war, ihn auf sichere Grundlage zu stellen und neu zu bestimmen. In der Überzeugung, daß Azorins Auffassung richtig und mithin der literarhistorische Begriff „generación de 1898" durchaus zutreffend, brauchbar und sogar notwendig ist bei Betrachtung der modernen spanischen Literatur, nahm ich die vorliegende Untersuchung mit dem Ziel in Angriff, die Existenz der Generation von 1898 nachzuweisen und eine Neubestimmung des literarhistorischen Begriffs „generación de 1898" zu versuchen. In Verfolg dieses Zieles sollen in dem ersten Hauptteil dieser Studie die geistigen Ursprünge der Generation von 1898 aufgehellt und aus *) Azorin: Clásicos y Modernos, Madrid 1919, S. 233—257. J ) A. González Blanco: Jacinto O. Picón. (Nuestro Tiempo, Bd. X X I I I , S. 249—262, Madrid 1923.) i*
4 der Beschreibung des geistigen Nährbodens der 98 er Belege für den G«nerationscharakter dieser Gruppe gewonnen werden; denn jede Generation steht j a doch mit der vorausgehenden, wenn sie sich auch noch so originell und revolutionär gebärdet, in engstem geistigen Zusammenhang. Nach Behandlung dieser h i s t o r i s c h e n Frage werde ich im zweiten Hauptteil: „Versuch einer Wesensbestimmung der Generation von 1898" zunächst allgemein zum Generationsproblem Stellung nehmen, die Azorín'sche „generación de 1898" unter Berücksichtigung der Ergebnisse der neueren Generationsforschung einer Kritik unterziehen, die Existenz der Generation von 1898 auf Grund gemeinsamer Generationsmerkmale beweisen, um dann den literarhistorischen Begriff „Generation von 1898" neu zu bestimmen und nach Maßgabe der gefundenen Definition die Zusammensetzung der Generation von 1898 vorzunehmen. Anschließend werde ich dann versuchen, auf zwei verschiedenen Wegen zur Wesenserkenntnis der 98 er vorzudringen, einmal durch eine p s y c h o l o g i s c h e Zergliederung und Beschreibung wichtiger Grundelemente der geistigen Struktur der Generation von 1898, zweitens durch eine Übersicht über ihr geistiges Schaffen: gemeinsame Schaffensperioden, gemeinsame ästhetische Theorien und Vorbilder, und insbesondere durch eine s t i l i s t i s c h e Durchforschung des von ihnen geschaffenen sprachlichen Kosmos nach charakteristischen Stileigentümlichkeiten. Da eine vollständige Darstellung dieses stilistischen Kosmos den Rahmen meiner Untersuchung weit überschreitet, andererseits es aber darauf ankommt, den sprachlichen Kosmos der 98 er an entscheidenden Punkten zu fassen, werde ich aus jedem der vier überhaupt möglichen Kreise menschlicher Vorstellung: Gegenstandsvorstellungen, Merkmalsvorstellungen, Verlaufsvorstellungen, Verknüpfungsvorstellungen 1 ), die sprachlichen Korrelate den Werken der 98 er entnehmen und zum Vergleich herausstellen, um so durch den Nachweis einer charakteristischen Generationssprache den letzten schlüssigen Beweis für die Existenz dieser Generation in der von mir vorgeschlagenen Form und damit auch für die Berechtigung des literarhistorischen Begriffs „Generation von 1898" zu erbringen.
Die geistigen Ursprünge der Generation von 1898. Den Zeitraum von 1812 (Constituyentes de Cádiz) bis 1876, dem Verkündigungsjahr der konservativ-liberalen Verfassung (Constitución de 1876) und dem Beginn der sogenannten Restaurationszeit, füllen in Spanien i n n e n p o l i t i s c h die Kämpfe zwischen den Anhängern ') J . Haas, Kurzgefaßte neufranzösische Syntax, Halle 1924, S. 1—3.
5 des absoluten und konstitutionellen Königtums, g e i s t i g die Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern der Tradition („tradicionalistas") und des Fortschritts („liberales"). Die „Constitución de 1876" brachte zwar auf Grund ihres Kompromißcharakters dem Lande, das, von Revolutionen und Bürgerkriegen zerrüttet, sich nach Ruhe und Ordnung sehnte, eine gewisse Entspannung, in der Kernfrage aber keine Entscheidung. Dementsprechend gingen auch die geistigen Kämpfe, sogar verschärft, w e i t e r . Menéndez y Pelayo veröffentlichte eben in diesem Jahre seine „Ciencia española", eine ausgesprochene Kampfschrift, welche die traditionalistische Bewegung zum ersten Male in diesem Jahrhundert in die Offensive brachte. Andererseits gründete aber F. Giner de los Ríos im selben Jahre (29. X . 1876) die „Institución Libre de Enseñanza", die als liberal, d. h. europäisch orientiertes Bildungs- und Kampfzentrum Spanien mit der europäischen Gedankenwelt in Kontakt erhalten und im Rahmen einer freien, von staatlicher und religiöser Bevormundung völlig unabhängigen Universität die wissenschaftliche Lehr- und Forschungsfreiheit gewährleisten sollte. Die beiden letztgenannten Ereignisse sind das Ergebnis einer langjährigen Entwicklung und bereiten den Boden, in dem die Generation von 1898 wurzelt. Zur Kennzeichnung ihrer Bedeutung muß ich daher ausführlich auf die wichtigsten geistigen Strömungen im Spanien der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingehen. Aus der liberalen Bewegung, die vom Anfang des Jahrhunderts bis 1876 ziemlich unumschränkt herrscht, werde ich die Epoche des „krausismo" (1854 bis 1876) eingehend darstellen. Bei der traditionalistischen Bewegung hingegen kann ich mich bis zum Jahre 1876 — dem Zeitpunkt des Auftretens von Menéndez y Pelayo — auf einen ganz kurzen Überblick beschränken, um dann allerdings dem kulturpolitisch bedeutenden Werk dieses Mannes, der in sich die ganze traditionalistische Bewegung seiner Zeit repräsentiert, breiten Raum zu widmen.
A . Die liberale Bewegung- in Spanien vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1 8 5 0 im Überblick und ausführliche Darstellung der Zeit des „krausismo". I. C h a r a k t e r i s i e r u n g dieser philosophischen B e w e g u n g durch A u f z e i g e n der Ursachen ihrer s t a r k e n B r e i t e n - u n d T i e f e n w i r k u n g in S p a n i e n . Im Jahre 1854 begann Julián Sanz del Río (1814—1869), der etwa zehn Jahre vorher von der spanischen Regierung nach Deutschland geschickt worden war, um an Ort und Stelle die Hauptströmungen der deutschen Philosophie zu studieren, an der Universidad Central in Madrid seine Vorlesungen über den „krausismo". Diese Philosophie, die eine spanische Umformung des idealistischen Systems des deut-
6 sehen Philosophen K a r l Christian Friedrich Krause darstellt, fand unter den Gebildeten zahlreiche Anhänger und wirkte auf das philosophisch-religiöse, juristische und staatspolitische Denken, die Lebensführung und die Gestaltung öffentlicher Einrichtungen einen kaum begreiflichen ungeheuren Einfluß aus, der erst gegen 1875 mit dem Aufkommen des Positivismus etwas abflaute. Wie ist die rasche, weite und wirksame Verbreitung der Krauseschen Philosophie in Spanien zu erklären ? Die Beantwortung dieser Frage wird uns über das Wesen dieser philosophischen Bewegung und über den Charakter der liberalen geistigen Bewegung auf der iberischen Halbinsel wichtige Aufschlüsse geben. Nach Sanz del Río's eigener Aussage bestimmten ihn zur Wahl der Philosophie Krauses unter den idealistischen deutschen Systemen, in formaler Hinsicht die Konsequenz der Gedankenführung, in inhaltlicher die Möglichkeit praktischer Auswertung der in ihm enthaltenen Gedanken, vor allem aber der persönliche Eindruck, der unmittelbare Anklang, den Krauses Lehren in seinem Innern fanden: ,,. . . es mi convicción íntima y completa acerca de la verdad de la doctrina de Krause. Y esta convicción no nace de motivos puramente exteriores, como de la comparación de este sistema con los demás que y o tenía conocidos, sino que es producida directa e inmediatamente por la doctrina misma que yo encuentro dentro de mí mismo . . ., además es el sistema más consecuente, más completo, más conforme a lo que nos dicta el sano juicio en los puntos en que éste puede juzgar, y sobre todo, más susceptible de una aplicación práctica . . . no se espere de la doctrina de Krause una metafíscia abstracta y puramente formal, por consiguiente, inútil en la vida, sino que el conocimiento supremo en este sistema es conocimiento de la suprema realidad del Ser absoluto, en el cual es esta realidad parcial, individual, en la que el hombre pierde continuamente su atención y la identidad de su ser y de su conocimiento 1 )." So sehr dieses persönliche Bekenntnis von Sanz del Río zu Krauses Philosophie übertrieben erscheinen könnte und so sehr sich Menéndez y Pelayo bei seiner kritischen Darstellung des „racionalismo armónico" von Krause bzw. Sanz del R í o bemüht hat, diesen als intellektuellen Tölpel hinzustellen 2 ), weil er das am wenigsten originelle System des deutschen Idealismus nach Spanien importiert habe, müssen wir doch Sanz del R í o auf Grund unverdächtiger spanischer Zeugnisse, darunter eines unbeabsichtigten von Menéndez y Pelayo selbst, nicht nur glauben, sondern sogar Recht geben. Wenn er seinem spanischen *) Cartas inéditas de D. Julián Sanz del Río (Erstausgabe Madrid 1873), wieder abgedruckt in Boletín de la Institución Libre de Enseñanza, Nr. 750—753, Bd. 46, Madrid 1922, S. 274/275. 2 ) Menéndez y Pelayo: Historia de los Heterodoxos españoles, Madrid 1881, Bd. III, S. 717 ff.
7 Wesen nicht untreu werden wollte, konnte seine Wahl tatsächlich nur auf das System Krauses fallen. Für Sanz del Río zeugt in diesem Sinne der gewiß nicht antitraditionalistisch eingestellte Valera mit folgenden Worten: ,,Si Sanz del Río y los de su escuela eran panteístas, nuestros teólogos místicos de los siglos X V I y X V I I lo eran también; y que si los unos tenían por predecesores a Fichte, Schelling, Hegel y Krause, Santa Teresa, San Juan de la Cruz, y el iluminado y estático Padre Miguel de la Fuente, por ejemplo, seguían a Tauler y a otros alemanes, sin que yo negase a ninguno la originalidad española 1 )." Ähnlich äußert sich der in nationaler Hinsicht ebenso unverdächtige Ganivet in seiner erst vor kurzem veröffentlichten Jugendschrift „España filosófica contemporánea": ,,No anduvo desacertado Sanz del Río en la elección de sistema; entre todos los que constituyen la novísima filosofía alemana, ninguno como el armonismo de Krause, conciliación teístico-panteísta, ofrecía condiciones adecuadas para obtener algún éxito 8 )." Krauses Lehre von der unmittelbaren Wesensschau Gottes entspricht ja auch tatsächlich der Tradition der spanischen Mystik, die krausistische Devise ,,el bien por el bien por precepto de Dios" der Gesinnung des bekannten anonymen Sonetts „No me mueve, mi Dios, para quererte / el cielo que me tienes prometido . . .", das von dem deutschen Philosophen entworfene „Urbild der Menschheit" (Dresden 1 8 1 1 ) und seine spanische Bearbeitung „ E l Ideal de la Humanidad para la v i d a " (Madrid 1860) dem das ganze Mittelalter hindurch lebendigen Gedanken der „Civitas Dei", der dem „racionalismo armónico" Sanz del Río's eigene harmonisch die Extreme ausgleichende Wesenszug schließlich, wie er sich beim „krausismo" in der All-in-Gott-Lehre, dem Panentheismus (Synthese von Theismus und Pantheismus) zeigt, dem gleichen auf Harmonie der Gegensätze gerichteten Bestreben im Denken fast aller bedeutenden autochthonen spanischen Philosophen seit Seneca. Gerade auf diesen Zusammenhang mit der spanischen Philosophie der Vergangenheit hat kein Geringerer als Gumersindo Laverde, Lehrer und Freund von Menéndez y Pelayo und Anreger der „Ciencia española" schon hingewiesen, damit die Affinität des „krausimo" mit spanischem Wesen bestätigt und die Breiten- und Tiefenwirkung dieser philosophischen Bewegung in Spanien erklärt. In einem Aufsatz über den spanischen Philosophen F o x Morcillo bemerkt er nämlich: „Cuando el Racionalismo, que se decoraba con el apellido de armónico y que, sin duda, por lo que de armónico tenía o aparentaba tener, sedujo y fascinó a muchas y, algunas, muy nobles inteligencias . . . quiso, para obtener !) Im Vorwort zur englischen Ausgabe der Pepita Jiménez, New York 1886. 2 ) A. Ganivet: España filosófica contemporánea, Madrid 1930, S. 67/68.
8 mejor acogida en nuestro suelo, ostentar antiguo abolengo español, no hizo bien en invocar el nombre de Raimundo Lulio; debió remontarse más allá y no detenerse hasta la Fuente de la Vida (von Avicebrón), con cuyas doctrinas presentan las suyas no pocos puntos de parentesco . . . Será posible negar, en vista de tales datos, que el armonismo tiene oculta y extraordinaria eficacia para cautivar a entendimientos españoles ? . . . legítima es, sin duda, esta tendencia a conciliar las antitéticas doctrinas del idealismo y del empirismo, reduciendo a unidad la muchedumbre de sus diferencias . . .! Quiera Dios, empero, que nunca degenere de armonista en violentamente unitaria, ni vaya, por ende, a precipitarse en el tenebroso caos del panteísmo, término fatal de los grandes extravíos de la especulación filosófica 1 )." Und Menéndez y Pelayo, der Sanz del Río in seinen „Heterodoxos" wegen seiner harmonisierend-praktischen Tendenzen mit ¡ V a y a un metafísico! apostrophiert, bezeichnet in der „Ciencia española" selbst als „principales caracteres del genio filosófico nacional" den „espíritu crítico y el sentido práctico" und den Pantheismus, den er u. a. auch den Krausisten vorwirft, als typische Irrung spanischen Denkens: ,,el panteísmo está en el fondo de toda la filosofía española no católica . . . y persigue como fantasma a todo español que se aparta de la verdadera luz" 2 ). Neben diesen inneren Gründen, welche die Verbreitung und Wirkung des „krausismo" als Form typischen philosophischen Denkens der iberischen Rasse erklärlich erscheinen lassen, darf nicht übersehen werden, daß der Panentheismus Krauses außerdem auch eine politisch und geistig recht brauchbare Waffe war. Bot er doch überzeugten Pantheisten oder Atheisten die Möglichkeit, sich dem Zugriff des Staates zu entziehen, den liberalen Politikern aber, die sich die Stimmen ihrer gutgläubigen Wähler sichern mußten, den Vorteil, bei aller Heterodoxie doch orthodox zu scheinen. Dieser Opportunismus mancher Mitläufer und der Ärger über den „krausismo", den Menéndez y Pelayo als Resultat „de esa vergonzosa indigestión intelectual mal asimilada, que llaman cultura española moderna 5 )" ansah und als nationale Schande empfand, erklären die Schärfe seiner Angriffe gegen diese philosophische Bewegung und ihre Anhänger sowie die Ungerechtigkeit in der Beurteilung der deutschen Philosophie, die er in späteren Jahren objektiver gesehen und ihrer Bedeutung entsprechend hoch eingeschätzt hat 4 ). x ) Menéndez y Pelayo, La Ciencia española, Madrid 1887, Bd. 1, Apéndice (Fox Morcillo von Gumersindo Laverde) S. 309—312. *) Ebenda Bd. 2, S. 9. *) Menéndez y Pelayo, Historia de los Heterodoxos españoles, Bd. III, S. 587. 4 ) Luis Araquistain: Marcelino Menéndez y Pelayo y la cultura alemana, Jena und Leipzig 1932.
9 II. H a u p t v e r t r e t e r d i e s e r p h i l o s o p h i s c h e n B e w e g u n g u n d A r t i h r e r E i n f l u ß n a h m e auf d a s g e i s t i g e und p o l i t i s c h e L e b e n d e r N a t i o n . a) J u l i á n
Sanz del R í o , der „ s p a n i s c h e S o k r a t e s " (1814—1869). Trug so die Wahl des Krauseschen Systems dem mehr ethisch als spekulativ gerichteten Denken des Spaniers in ganz besonderer Weise Rechnung, so konnte es in der Person Sanz del Río's und der Art seiner Lehrmethode keinen geeigneteren und verständigeren Interpreten finden. Seiner Einsicht und seinem pädagogischen Geschick ist es zu verdanken, daß der „krausismo" nicht zu einer ephemeren philosophischen Schulgründung, sondern zu einer fruchtbaren Erneuerung des philosophischen Denkens in Spanien führte. Obwohl er selbst von der Wahrheit der Philosophie Krauses durchdrungen war, versuchte er niemals, andere zu dieser Überzeugung zu überreden oder sie ihnen auch nur nahe zu legen. Eine jeder Rhetorik abgeneigte innerliche Natur, übte er seinen Einfluß mehr als von seiner Lehrkanzel an der Madrider Universität im persönlichen Verkehr und Gespräch mit Schülern und Freunden aus. Eine Art sokratischer Methode, die in enger Anlehnung an Anschauungen von Krause 1 ) mehr das wissenschaftliche Denken entwickeln, mehr anregen als Kenntnisse vermitteln will, ist für ihn ebenso wie für Salmerón, Francisco Giner de los Ríos und den Einflußbereich der „Institución Libre de Enseñanza" bis über Unamuno hinaus charakteristisch. In einem posthumen Werk „ E l Análisis del pensamiento racional" (Madrid 1877, S. X X V ) hat Sanz del Río diese Art der Auffassung seiner Lehrtätigkeit folgendermaßen formuliert: ,,Lo que yo propiamente enseño es el método y ley de indagar la verdad filosófica, la orientación en el camino . . . Mas la indagación y mejor su resultado, toca a todos y a cada uno libremente como la cosa en la cual pueden y deben, en cuanto filósofos, ser jueces-conjueces de lo que digo. No se trata, como se dice, de hacer doctrina o escuela, cosa que en general rechazo como impropia de la filosofía y que condeno o rechazo enteramente2)." So wurde denn auch die Philosophie Krauses auf spanischem Boden durch Sanz del Río ethisch zu einer Art Laienreligion mit ') „Bildung eines Wesens überhaupt ist kunstreiche Leitung seines inneren Lebens, daß es an Kräften wachsend, sie gehörig richtend und gebrauchend, sein ewiges Wesen in der Zeit ausdrücke. Bei aller kunstmäßigen Einwirkung auf das zu bildende Wesen sind seine Lebensgesetze und die ganze Lage seines Lebens im Weltall, so wie die Lebensgesetze des Bildenden heilig zu halten, und die Weltgesetze des Guten, Gerechten, Innigen und Schönen nie zu verletzen" (K. Chr. Fr. Krause, Urbild der Menschheit, 2. Aufl., Göttingen 1 8 5 1 , S. 223ff.). 2 ) Vgl. dazu auch: Boletín de la Institución Libre de Enseñanza ( B I L E ) Bd. 46, Nr. 752, S. 324, Madrid 1922 und „ L a Enseñanza de Sanz del Rio explicada por él mismo", B I L E , Bd. 2, S. 1 7 1 , Madrid 1878.
IO stoischem Charakter, intellektuell zu einer hohen Schule philosophischen Denkens. Und als Gewinn erwuchs der liberalen Bewegung aus der Befruchtung durch die Gedanken des deutschen Philosophen Krause ein Schlag verantwortungsbewußter, ethisch und intellektuell hochstehender Persönlichkeiten, die für Spanien, wie wir sehen werden, trotz ihrer scheinbar unnationalen Hinneigung zu europäischem Gedankengut in der Stille große zukunftreiche Arbeit geleistet haben. b) F r a n c i s c o
G i n e r de l o s R í o s , d e r L e h r e r (1839—1915).
der
Nation
Während Sanz del Río seine Lebensaufgabe darin sah, zur „humanización" Spaniens unter dem Blickpunkt der Menschheitsentwicklung im Sinne von Krauses „Urbild der Menschheit" beizutragen, teilte Francisco Giner de los Ríos zwar auch dieses Ideal, faßte aber seine Aufgabe konkreter auf und widmete sich neben seiner Lehrtätigkeit an der Madrider Hochschule (Universidad Central) als Professor für Rechtsphilosophie und Internationales Recht (1868 bis 1 8 7 5 ; 1 8 8 1 — 1 9 1 5 ) in erster Linie der Umgestaltung des nationalen Erziehungswesens. 1876 gründete er, wie schon erwähnt, die „Institución Libre de Ensenañza", da man ihn wie auch Salmerón 1875 wegen ihrer politischen und religiösen Gesinnung von ihren Lehrstühlen an der Universidad Central entfernt hatte 1 ). Giner sah bald ein, daß eine wirkliche Gesundung des spanischen Erziehungssystems nicht von oben, sondern von unten einsetzen müsse. Folgerichtig wandelte er daher die „Institución Libre de Enseñanza" aus einem Forschungsinstitut mit Lehrbetrieb allmählich in eine regelrechte Schule, eine Art Mittelschule, um, in der nach europäischem Muster unterrichtet wurde: denn nür durch einen Schuß neuen Blutes konnte seiner Ansicht nach das überalterte, der Routine verfallene nationale Lehrgetriebe wieder in Gang gebracht und für die nationale Erziehung fruchtbar gestaltet werden. Diese Überzeugung, der er in vierzigjährigem selbstlosen Wirken innerhalb der „Institución Libre de Enseñanza" und weit darüber hinaus durch direkte Beratung der maßgebenden Regierungsstellen und Einflußnahme auf die öffentliche Meinung ganz allmählich erfolgreich Bahn gebrochen und Geltung verschafft hat, ist in programmatischer Form in einem Artikel mit der krausistisch anmutenden Überschrift ,,Lo Universal y lo Individual" niedergelegt, der erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde und aus dem hier einige Sätze zitiert werden sollen, *) Salmerón hatte zum ersten Male seine Professur zusammen mit Sanz del Río und Fernando de Castro im Jahre 1867 verloren, weil sie sich weigerten, eine „profesión de fe religiosa, política y aun dinástica" zu unterzeichnen; genau so erging es Francisco Giner de los Ríos, der des eben erst errungenen Lehrstuhls verlustig ging, weil er gegen diese Maßnahme der Regierung protestierte.
11 weil sie die Einstellung der spanischen Liberalen und Traditionalisten zum Problem Spanien-Europa in klassischer Weise formulieren: „Tan inútil como es la inocentada del hombre que se empeña en ser original, o en crear para su patria una filosofía, o un arte, o una religión, o una política, o un ideal, castizos, puros, nacionales, lo sería el de crearnos un sistema de educación nacional español neto. Ello vendrá de suyo, metiéndonos cada vez más adentro. Mas si para esto se tomara el camino de aislarse y huir de la imitación extranjera, de seguir las huellas de nadie, volver a nuestra tradición y a la característica nacional (que jamás tuvimos sino mientras vivimos en el mundo, y se deshizo en polvo y fango en cuanto nos retiramos de él a hacer vida eremítica en este rincón, vueltos de cara a Africa), estimando que es un servil atentado contra la patria, y que es desnacionalizarla el tener la audacia de alimentarnos con sustancias de fuera de nuestro propio cuerpo, y que lo noble y lo castizo es encerrarnos con . . . No estamos para volvernos a casa, abandonando ese cabo de salvamento: el de la comunión internacional. Mantenernos en la más continua comunicación con el espíritu de la Humanidad, y recibir de ella alimento hasta que podamos poner en esa obra universal también nuestra parte, es, pues, la primera obligación de todo español que trate de que haya España 1 )." Wenn wir es uns auch versagen müssen, die Tätigkeit Giners und seiner engeren Mitarbeiter: Alfredo und Laureano Calderón, Manuel Bartolomé Cossío, Ruiz Quevedo, Joaquín Costa u. a. in der „Institución Libre de Enseñanza" sowie deren Entwicklung aus einer von staatlicher und kirchlicher Aufsicht freien Universität zu einem Musterinstitut für die „primera y segunda enseñanza" im einzelnen zu verfolgen, so muß doch angedeutet werden, in welchem Geist und mit welchen Methoden (ohne jeglichen materiellen Zuschuß von offizieller oder privater Seite!) Giner und seine Freunde das Reformwerk der nationalen Erziehung in Angriff nahmen. Krausistisch war das Bildungsideal, das sie im spanischen Menschen zu verwirklichen gedachten, krausistisch der Geist opferwilliger Hingabe und vollen Einsatzes der ganzen Persönlichkeit für dieses als richtig erkannte Ziel, allen äußeren Anfeindungen zum Trotz; denn „donde la moral pública reinante demanda actos contra razón o humanidad, debe el particular dentro del pueblo escuchar la voz de Dios, que prohibe la enajenación de la libertad, antes que la voz del pueblo; debe mejor dejar la vida, que seguir, contra la voz interior, la voluntad inmoral de otro hombre por superior que sea . . .')." Und ganz im Sinne von Sanz del Río war ihre ganze l ) B I L E , Bd. 43, Nr. 707, S. 35, Madrid 1919. Für die Beurteilung des Einflusses der „ I L E " und Giners auf das spanische Erziehungswesen vergleiche man: J. Castillejo, Neuzeitl. Bildungsbestrebungen in Spanien. Minerva-Zeitschrift, 4. Jahrgang, 10. H e f t . O k t . 1928, S. 2 0 1 — 2 1 7 . *) Sanz del Río: Ideal de la Humanidad, S. 196, Madrid 1860.
12 Erziehungsarbeit darauf gerichtet, Menschen zu bilden, Menschen mit gesundem Leib und gesunder Seele, mit festem Charakter, voll Opfermut und Begeisterung für das Edle und gestählt in körperlicher und geistiger Selbstzucht. Den Aufgabenkreis der „Institución Libre de Enseñanza" hat Giner dementsprechend in seinen „ E s t u d i o s sobre Educación" einmal folgendermaßen umschrieben: ,,A difundir el sentido universal, educador e íntimo, que no tiende a instruir, sino en cuanto la instrucción puede cooperar a formar hombres, aspira con sincero esfuerzo la .Institución Libre* . . . dirigiendo el desenvolvimiento del alumno en todas relaciones . . . desde la génesis del carácter moral, tan flaco y enervado en una nación indiferente a su ruina, hasta el cuidado del cuerpo, comprometido, como tal v e z en ningún pueblo culto de Europa, por una indiferencia nauseabunda; . . . la severa obediencia a la ley, contra el imperio del arbitrio . . . el sacrificio ante la vocación, sobre todo cálculo egoísta . . . el patriotismo sincero, leal activo . . . el amor al trabajo, c u y a ausencia hace de todo español un mendigo del Estado o de la v í a pública . . . el odio de la mentira, uno de nuestros cánceres sociales, cuidadosamente mantenidos por una educación corruptora; en fin, el espíritu de equidad y tolerancia, contra el frenesí de exterminio que ciega entre nosotros a todos los partidos, confesiones y escuelas 1 )." Diesem auf organische und harmonische Entwicklung aller körperlichen, seelischen und geistigen K r ä f t e gerichteten pädagogischen Ziel entsprachen die in der „Institución Libre" durchgeführten neuen zum Teil europäischen Unterrichtsmethoden: gemeinschaftliche Erziehung beider Geschlechter, Handfertigkeitsunterricht, Gymnastik und Bewegungsspiele nach englischem Vorbild; Anschauungsunterricht, Ausflüge zur Stählung des Körpers und zur Erweckung der Sinne und der Liebe zur Heimat, zu den landschaftlichen Schönheiten und künstlerischen Schätzen der Städte, Kirchen und Klöster Spaniens. Der Religionsunterricht blieb folgerichtig von dem Lehrplan ausgeschlossen, da ein konfessioneller Unterricht dem Charakter dieser Erziehungsrichtung widersprochen hätte, die ja gerade gegenüber allem Trennenden das Menschlich-Gemeinsame betonen und pflegen wollte. Der Erfolg dieser Erziehungsarbeit war durchschlagend. Ein stolzes Zeugnis für die nationale Arbeit Giners und seiner Freunde und damit für die stets als unnational verketzerte liberale Bewegung stellt nachfolgender Tatsachenbericht anläßlich des 50jährigen Bestehens der „Institución Libre" dar, den ich trotz seiner Länge ungekürzt geben m u ß : „Sería labor superior a nuestras fuerzas hacer un resumen de la labor dilatada de la Institución Libre de Enseñanza en sus 50 años de vida. *) F. Giner: Estudios sobre Educación, Obr. compl. Bd. VII, S. 30—42, Madrid 1922.
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Ha influido en la reforma de los métodos de educación de la infancia, importando de los países más adelantados los progresos pedagógicos. A su iniciativa se deben las colonias y las excursiones escolares, los Jardines de la Infancia, las bibliotecas infantiles, los juegos escolares, las expediciones de maestros y catedráticos al Extranjero con fines de estudio. Ha fomentado y practicado constantemente el amor al niño y la protección a la infancia delincuente; ha despertado en la juventud el amor al campo, a las bellas artes, a las tradiciones artísticas de nuestro pueblo; ha exaltado el culto a la limpieza del cuerpo y del alma, procurando corregir, con elevado patriotismo, los defectos seculares de nuestra raza; ha sembrado con el ejemplo ideas de tolerancia y de respeto hacia los demás ciudadanos, y aun ha ejercido su influjo sobre sus adversarios. Museos, laboratorios, cátedras, escuelas, han recibido el soplo reformador que irradia el gran espíritu de D. Francisco Giner, a quien la cultura patria debe inmensos beneficios. La reforma penitenciaria se ha hecho más humana, y las relaciones entre el capital y el trabajo, más cordiales y comprensivas, merced al influjo del grande hombre que fundara la Institución 1 )." Auf diese Weise hat Giner de los Ríos, ganz abgesehen von vielen umfangreichen und fruchtbaren. Arbeiten auf seinem juristischen Fachgebiet2), die von Sanz del Río eingeleitete geistige und moralische Erneuerung Spaniens wirksam und erfolgreich weitergeführt. Durch sein Wirken und Vorbild hat er Spanien unabschätzbare geistige und moralische Werte in jenen Männern geschenkt, die durch seine Hand gegangen sind und von ihm ,,la regla de conducta" empfangen haben, „que en el conocer se llama método, rigor lógico, espíritu científico, flexibilidad de criterio, y en moral austeridad, desinterés, pureza, justicia, tolerancia." Und so bezeichnet denn auch einer von Giners Schülern, der bekannte Historiker Rafael Altamira, in seiner Studie über Giner de los Ríos, aus der die vorzitierten Worte stammen, die Erziehungsarbeit als die große nationale Leistung des geliebten Meisters und als sein Vermächtnis an Spanien: „Don Francisco ha hecho .hombres', y esto es lo que deja y lo que da a la España futura')." c) J o a q u í n C o s t a , der H e r o l d der Einer dieser „hombres" sollte es vorbehalten sein,
k u l t u r - und w i r t s c h a f t s p o l i t i s c h e B e w e g u n g (1846—1911). war Joaquín Costa (1846—1911). Ihm in den kritischen Jahren um die Jahr-
l ) Auszug aus der Madrider Zeitung „ E l Socialista", Nummer vom 29. X . 1926, abgedruckt im B I L E , Bd. 50, S. 383/84, Madrid 1926. s ) Vgl. Fernando de los Ríos Urruti: L a Filosofía del Derecho en Don Francisco Giner y su relación con el pensamiento contemporáneo, Madrid 1916, und die Bibliographie von Giners Werken in B I L E , Bd. 39, S. 38—40, Madrid 1915. 9 ) R. Altamira: Giner de los Ríos Educador, Valencia 1915, S. 1 2 — 1 4 .
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hundertwende das Verständnis für die pädagogisch-kulturelle Arbeit Giners in der Nation zu wecken, als seine „Cartas a España" (1898 bis 1904) in Form von Flugblättern von Hand zu Hand gingen und das darin enthaltene kulturelle und wirtschaftliche Aufbauprogramm unter dem berühmt gewordenen Schlagwort „Escuela y Despensa" (Schule und Speisekammer) die politischen Forderungen der ganzen Nation begriff. Costa war Schüler Giners an der Universität Madrid und gleichzeitig bei der juristischen und philosophischen Fakultät immatrikuliert. Im Jahre 1873 erhielt er für eine Abhandlung über „ L a vida del Derecho" einstimmig den Maranges-Preis zugesprochen. E r behandelt darin eines der Grundprobleme der Rechtsphilosophie, den Dualismus zwischen Natur- und Gewohnheitsrecht, und entscheidet sich für das Primat des Naturrechts. Doch schon im folgenden Jahre beginnt er in der „Revista de la Universidad de Madrid" einen „Ensayo sobre el derecho consuetudinario" zu veröffentlichen, wo er seine Ansichten in „ L a vida del Derecho" korrigiert und stärker dem Gewohnheitsrecht zuzuneigen scheint. Der Zwiespalt in Costas Natur, sein fortschrittliches Denken und sein bodenständiges Empfinden, sein vorurteilfreies Verständnis und seine Aufgeschlossenheit für ausländische Anregungen und seine starke Liebe zu heimischer Art und Sitte, offenbaren sich bereits in diesen beiden ersten Veröffentlichungen ebenso wie in seinen späteren Werken und haben zu manchem Mißverständnis und Fehlurteil Veranlassung gegeben, wenn man ihn allzu einseitig zum Traditionalisten oder Liberalen stempeln wollte. Die fortschrittliche Denkweise Costas führte ihn in die Reihen der Liberalen. 1876 gehörte er zu den ersten Mitarbeitern Giners in der neubegründeten „Institución Libre" und dem seit 1877 erscheinenden „Boletín de la Institución Libre de Enseñanza". E r publizierte darin zahlreiche Arbeiten verschiedenen Charakters und war lange Zeit der Schriftleiter dieser Zeitschrift, die übrigens seit ihrer Begründung bis heute ihren Mitarbeitern die Beiträge nie honoriert hat! Auf dem pädagogischen Kongreß von 1882 in Madrid vertrat er zusammen mit Giner die „Institución Libre", forderte die Einführung von Anschauungsunterricht und Lehrausflügen in den Schulen („lecciones de cosas, y por lo tanto, las excursiones instructivas") und verlangte allgemein, daß die Schule als soziale Einrichtung ihren Wirkungskreis inmitten des sozialen Lebens aufschlage: „abriendo cátedra en la plaza pública, en el campo, en la mina, en el taller, en el buque, en el templo, en el meeting, en el tribunal, en el Congreso, en el museo, allí donde la sociedad se congrega para pensar, para orar, para discutir, para trabajar, para realizar esto que constituye el fin último de la Humanidad en la tierra: el desenvolvimiento indefinido de nuestra esencia, el triunfo definitivo del bien sobre el mal, y el ascendi-
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miento perpetuo del alma hacia Dios." (Echt krausistische Wendungen in den drei letzten Zeilen dieses Zitates) 1 ). Ebenso wie in seinen pädagogischen Ansichten folgt Costa auch in seinen philosophisch-moralischen Anschauungen seinem Meister Giner. M. B. Cossio, der Verfasser des bekannten Buches über „ E l Greco" (Madrid 1908) nennt daher Costa, durch den er Giner de los Ríos kennen lernte2), mit Recht einen „krausista" und hebt als typisch krausistische Züge seines Charakters und seiner Weltanschauung einen „profundo sentido ético" und die Auffassung der Untrennbarkeit von „vida" und „conocimiento" hervor. Dagegen begann Costa sich frühzeitig von Giner in juristischen Grundanschauungen zu unterscheiden, insbesondere durch seine Auffassung vom Gewohnheitsrecht, die er in zahlreichen wichtigen Werken, z. B. „Derecho consuetudinario del Alto Aragón" (Madrid 1877—1880) und in „Teoría del hecho jurídico individual y social" (Madrid 1880) dargestellt hat. Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß sich in diesem Falle gegenüber seinem fortschrittlichen Denken sein bodenständiges blutbedingtes Empfinden durchsetzte. Auch durch die Art seiner Wirksamkeit, durch seine vielseitige Betätigung im öffentlichen Leben als Jurist, Volkswirtschaftler und Politiker, unterscheidet er sich stark von Giner. Costa war eine leidenschaftliche Propheten- und Kämpfernatur. Ihm genügte die pädagogische und wissenschaftliche Tätigkeit in stiller Zurückgezogenheit nicht, und schon vor dem Jahre 1898, das den Beginn seines politischen Apostolats bezeichnet, spielte er auf juristischen 3), landwirtschaftlichen4) und kolonial-politischen Kongressen5) eine große Rolle. Spanien verdankt z. B. seiner Initiative die Erwerbung der kleinen afrikanischen Kolonie Río de Oro. Somit ist Costas eigenstes Interessengebiet die Volkswohlfahrt, im engeren Sinne die Volkswirtschaft, und im Zusammenhang damit die Politik. Steigerung der Produktion und allgemeine Hebung des Volkswohlstandes „La Despensa" und der Volksbildung „La Escuela" sind seine innenpolitischen Ziele, agrarische und Verwaltungsreformen nach europäischem Muster der Weg, den er zu ihrer Verwirklichung beschreiten will. Die propagandistischen Schriften „Política hidráulica", „El Arbolado y la Patria", „ L a Tierra y la Cuestión social" und „Agricultura ') G. de Azcárate: Necrología del Señor Don Joaquín Costa Martínez, Madrid 1919, S. 6 1 . *) M. B. Cossio ist ein Lieblingsschüler Giners und als Direktor des „Museo Pedagógico Nacional" in Madrid und der „Institución Libre" der direkte Fortsetzer des pädagogischen Werkes seines Meisters. 3 ) Zaragoza, 1880; Madrid, 1887; Barcelona, 1888. *) Madrid, 1880/81, Asambleas y Meetings de la Cámara agrícola del Alto Aragón: Primera campaña 1892/93, 2 a 1894—1896, 3 a 1898/99. 6 ) Congreso de Geografía colonial (1883), Meetings sobre política hispano-marroquí (1884) und „Colonias portuguesas" (1887).
i6 armónica" 1 ) behandeln einzelne wichtige Punkte seines agrarischen Reformplans. Das monumentale unvollendet gebliebene Werk „ E l Colectivismo agrario" (Madrid 1898, 646 Seiten) ist eine Studie über die Formen der Bodenbewirtschaftung in Spanien und darf als das wirtschaftspolitische Gegenstück der in kulturpolitischer Hinsicht den gleichen Rang einnehmenden „Ciencia española" von Menéndez y Pelayo angesehen werden. Die politischen Voraussetzungen, welche die unumgängliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchführung seines umfassenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufbauprogramms bilden, werden von Costa in den Werken „Crisis política de España", „Oligarquía y Caciquismo" und „Política quirúrgica" aus den Jahren 1900—1903 besprochen. Alle wirtschaftlichen und politischen Fragen, die in den vorerwähnten Schriften ausführlich behandelt sind, stehen zusammen in dem 1900 veröffentlichten Band „Reconstitución y Europeización de España. Programa para un Partido nacional." Der Inhalt dieses Buches gipfelt in der Forderung nach einer fähigen Regierung, die Spanien wie einen europäischen Kulturstaat und nicht wie einen Negerstamm regiert und als dringendste Aufgabe die innere Kolonisation Spaniens (Bau von Schulen, Kanälen, Straßen, Bewässerungsanlagen; Trockenlegung von Sümpfen; Aufforstung) durchführt und die zu diesem Zweck notwendige Umgestaltung der Regierungsform (Revolution von oben — Diktatur) unverzüglich in Angriff nimmt. Spanien soll europäisiert werden, aber unter Anknüpfung an die Tradition: „Política tradicionalista: la historia y la costumbre como medio de partear el gran movimiento social de nuestro tiempo, imprimiéndole carácter evolutivo y conservador, ganando para su causa a las clases ricas. No puede el legislador decretar reformas para una sociedad vieja de dos mil años como el filósofo se pone a elaborar la „crítica de la razón pura 2 )." Das ist der Kern der so ganz mit Unrecht als unspanisch verketzerten „europeización" bei Costa, die sich mit traditionellem, bodenständigen Empfinden bei Männern wie Giner, Costa und vielen anderen liberalgesinnten Spaniern stets vertragen hat. Von Costas zahlreichen literar- und kulturhistorischen Werken verdienen in diesem Zusammenhang nur die „Poesía popular española, y Mitología y Literatura celto-hispanas" (Madrid 1881) und die „Estudios ibéricos" (Madrid 1891—1894) Erwähnung. Diese Schriften tragen mehr oder weniger aktivistischen Charakter und sollen, wie der Untertitel des erstgenannten Buches: „Introducción a un Tratado de Política racional y histórica, sacado de los Refraneros, Romanl ) Sämtlich in 2 Sammelbänden erschienen unter dem Titel: „ L a fórmula de la Agricultura española" (Madrid 1 9 1 1 / 1 2 ) . Ich gebe keine Einzelerscheinungsjahre an, da die Angaben darüber unzuverlässig sind. *) J . Costa: Reconstitución y Europeización de España, Madrid 1924, S. 17.
17 ceros y Gestas de la Península" schon äußerlich andeutet, die politischen Reformgedanken traditionell verankert und unterbaut erscheinen lassen. Die Nachwirkung der politischen und wirtschaftlichen Reformgedanken Costas in Spanien ist außerordentlich stark. Die Voraussage Giners, der Costas ideelles Vermächtnis eine „cantera" nannte „que podía alimentar, durante cien años, la actividad de los políticos españoles resueltos a estudiar las necesidades verdaderas del país y a darles satisfacción 1 )" hat sich vollauf bewahrheitet. Primo de Rivera, der einen, allerdings etwas unzulänglichen, Versuch einer „Revolución desde el Poder" gemacht hat, übernahm ebenso wie die neuen republikanischen Regierungen wichtige Punkte des Costa'schen Programms. E s wurden unter seiner Regierung der Bau zahlreicher Schulen und großer Bewässerungsanlagen im Gebiet des Duero in Angriff genommen und von den späteren Regierungen weitergeführt. Ein äußeres Zeichen dafür, daß die Persönlichkeit Costas im Gedächtnis seiner Nation ebenfalls noch lebendig ist und man bewußt an ihn anknüpft, ist der jüngst aufgetauchte Plan, ihm ein Denkmal zu errichten. Dieser Überblick über die geistige Haltung und Leistung von Sanz del Río, Giner de los Ríos und Costa als wichtigsten Vertretern der krausistischen Bewegung in Spanien dürfte erkennen lassen, was der o f t bespöttelte und verächtlich gemachte „krausismo" und damit die liberale Bewegung für den geistigen, seelischen und sogar körperlichen Neuaufbau Spaniens bedeutet. Als Vorbilder innerer Wahrhaftigkeit und opfermütiger Vaterlandsliebe haben jene Männer in aller Stille und unbeirrt gegenüber äußerer Verkennung und Anfeindung gearbeitet an der Schaffung von Lebensmöglichkeiten für Spanien und an der Erziehung des neuen spanischen Menschen, der, an Leib und Geist gesund, dereinst Spanien in Europa jene Stellung wiedererobern würde, die ihm auf Grund seiner Geschichte und K u l t u r gebührt.
B. Die traditionalistische G e g e n b e w e g u n g im Uberblick bis
1876
und
ausführliche Darstellung
von
Marcelino
Menéndez y Pelayo's ( 1 8 5 6 — i 9 i 2 ) kulturpolitischem Wirken. Die angriffsfreudige Initiative und wirkungsmäßige Durchschlagsk r a f t auf allen Gebieten des spanischen Lebens geht in der Zeit der Vorherrschaft des „krausismo" (1854—1876), ebenso wie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von der liberalen Seite aus. Die traditionalistische Bewegung gewinnt erst vom Jahre 1876 ab, wo sie aus der Defensive heraustritt, an Bedeutung. E s genügt daher auch, !) R. Altamira: Giner de los Ríos Educador, S. 13. J e s c h k e , Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. L X X X I I I .
i8 die wichtigsten Ereignisse innerhalb der traditionalistischen Bewegung vom Beginn des Jahrhunderts bis zu diesem Jahre in Form eines Tatsachenberichts zu geben, um dann die traditionalistische Offensivbewegung ausführlicher zu behandeln, die mit dem Erscheinen der „Ciencia española" Menéndez y Pelayo's beginnt und sich in dem als kulturpolitische Leistung ersten Ranges zu wertenden Lebenswerk dieser großen Persönlichkeit fortsetzt — und erschöpft. Jaime Balmes (1810—1848), welcher bestimmt schien, der zu seiner Zeit einsetzenden neuscholastischen Bewegung eine originell spanische Ausprägung und Richtung zu geben, starb zu früh, um seine Gedanken ausformen und durchsetzen zu können 1 ). Donoso Cortés (1809—1853) w a r wohl als Traditionalist im Sinne Bonaids ein begeisterter und auch begabter Verteidiger der katholischen Sache in seinen späteren Lebensjahren, doch fehlte ihm der Halt einer fest begründeten philosophischen Überzeugung, um auch andere mitreißen zu können2). Sogar Menéndez y Pelayo sagt von ihm: „Incidit in Scyllam, cupiens vitare Charibdym. Por lo mismo que en otros tiempos habla idolatrado en la razón humana, ahora venía a escarnecerla y a vilipendiarla, refugiándose en un escepticismo místico*)." In der nach 1854 einsetzenden Überflutung Spaniens durch den „krausismo" und die Philosophie Kants, Schellings und Hegels fehlte es der traditionalistischen Partei ebenfalls an einer starken Führerpersönlichkeit, in der die nationalen Abwehrkräfte sich hätten kristallisieren können. 1858 nahm zwar Ortí y Lara den Kampf auf gegen Sanz del Río und seinen Kreis, der Jesuit Cuevas veröffentlichte seine neuscholastischen „Philosophiae Rudimenta" und der Dominikaner Fray Ceferino González, der spätere Bischof von Córdoba, die bedeutenden „Estudios sobre la Filosofía de Santo Tomás" (Manila 1864): aber im wesentlichen war es doch so, daß dort, wo die Liberalen Krause, Kant und Hegel sagten, die Traditionalisten und Neuscholastiker Liberatore, Sanseverino, Prisco, Jungmann oder Ivleutgen antworteten. 1868 erschienen dann allerdings die „Ensayos críticos sobre Filosofía, Literatura e Instrucción Pública españolas" von Menéndez y Pelayo's Lehrer, Gumersindo Laverde. Doch blieb das Werk, trotz eines Prologs von Valera und trotzdem es viele Gedanken der „Ciencia española" vorwegnahm, unbeachtet. x ) Menéndez y Pelayo: Dos palabras en el centenario de Balmes, Vieh 1919, S. 9. s ) Über den jungen Donoso Cortés informiert eine jüngst unter diesem Titel von E . Schramm erschienene Studie in den gesammelten Aufsätzen der spanischen Forschungen der Görres-Gesellschaft, Bd. 4, S . 246—310, Münster. 3 ) Menéndez y Pelayo: Hist. d. 1. Heterodoxos españoles, Bd. III, S. 752.
19 I. G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i s c h e S c h r i f t e n y Pelayo's. a) „ C i e n c i a
Menéndez
española".
Einen völligen Umschwung zugunsten der Schätzung und Pflege der eigenen, bodenständigen, autochthonen Philosophie führte aber erst das Erscheinen der „Ciencia española" von Menéndez y P e l a y o herbei. 20 Jahre alt, nahm er mit angesehenen Literaten und Philosophen wie Gumersindo Azcárate, Manuel de la Revilla und Salmerón die Polemik über E x i s t e n z und W e r t der „Ciencia española" auf und dank einem, besonders in A n b e t r a c h t seiner Jugend, ungewöhnlich reichen Wissen gelang es ihm, in diesem mit heißem Herzen, scharfen W o r t e n und scharfsinnigen Argumenten geführten geistigen K a m p f über die Leugner der spanischen Wissenschaft und ihres Wertes obzusiegen. H a t t e n bisher nur gelehrte oder literarisch interessierte A m a t e u r e von der E x i s t e n z einer autochthonen spanischen Philosophie und Wissenschaft etwas g e w u ß t und ihr ein akademisches Dasein in Zeitschriften und gelegentlichen Veröffentlichungen erhalten, so schuf Menéndez y Pelayo darin durch seine „Ciencia española" eine völlig neue Situation; denn er bewies nicht nur durch diese siegreich durchgeführte Polemik den Gebildeten seiner Nation in beiden Lagern die Existenz spanischer Philosophie und Wissens c h a f t 1 ) , sondern betonte vor allem auch ihren W e r t , ihre Gleichwertigkeit mit der geistigen Produktion anderer Völker und in polemischer Übertreibung sogar die Priorität mancher Gedanken gegenüber der Philosophie des übrigen Europa 2 ). Auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Behauptungen im einzelnen k o m m t es j a auch garnicht an. Die große, j a geradezu revolutionäre T a t Menéndez y Pelayo's besteht vielmehr in der Kühnheit, spanische K u l t u r leistungen überhaupt als wertvoll hinzustellen und damit eine Neuund Umwertung des überkommenen spanischen K u l t u r - und Geistesgutes einzuleiten. In einem P u n k t e nämlich sind, wie er sich in der „Ciencia española" einmal bitter beklagt, Freund und Feind, die Liberalen und ihre Gegner einig: in der Verachtung der eigenen traditionellen und in der Überschätzung der fremdländischen Geistesproduktion: ,,. . . Estimar en poco el rico legado científico de nuestros padres, despreciar libros que jamás leyeron, oír con burlona sonrisa el nombre de Filosofía española, ir a buscar en incompletos tratados extranjeros lo que m u y completo tienen en casa, y preciarse más de conocer las doctrinas del último tratadista alemán o francés, siquiera
*) In „Ciencia española" Bd. III (Colección de escritores esp. Bd. 64, Madrid 1888) hat Menéndez y Pelayo auf S. 132—445 eine Bibliographie über wissenschaftl. spanische Literatur als sachlichen Beleg seiner Behauptungen geliefert. a) Ebenda Bd. I (Col. d. escr. esp. Bd. 52, Madrid 1887) S. 224, 267 bis 269, Bd. II (Col. d. escr. esp. Bd. 57, Madrid 1887) S. 23, 149.
IO
sean antiguos desvarios o trivialidades de todos sabidas, que los principios fecundos y luminosos de Lulio, Vives, Suárez o Fox Morcillo. Y en esto pecan todos en mayor o menor grado, así el neoescolástico que se inspira en los artículos de L a Civiltà y en las obras de Liberatore . . . como el alemanesco doctor que refunde a Hegel, se extasía con Schelling, o martiriza la lengua castellana con traducciones detestables de Kant y de Krause 1 )." Die erste Buchausgabe der „Ciencia española" erschien im Jahre 1876. Sie enthielt einen Prolog in Briefform von Gumersindo Laverde, den ursprünglichen Plan und einen Teil der Vorrede des nächsten bedeutenden Werkes von Menéndez y Pelayo, der „Historia de los Heterodoxos españoles", und eben den Neuabdruck jener sechs polemischen Artikel über die „Ciencia española", die im Laufe des Jahres 1876 zum ersten Male in der „Revista E u r o p e a " erschienen waren als Entgegnung auf Äußerungen von Gumersindo Azcárate, Manuel de la Revilla und Nicolas Salmerón in verschiedenen Nummern der Zeitschriften „Revista de E s p a ñ a " únd „Revista Contemporánea" des gleichen Jahres und in einem Prolog Salmeróns zu der spanischen Übersetzung des Werkes von John William Draper „History of the conflict between religión and science" (New York 1875).
Die Aufsätze 1, 3 und 6 der „Ciencia española", betitelt: „Indicaciones sobre la actividad intelectual de España en los tres últimos siglos", „Mr. Masson redivivo 2 )", „Mr. Masson redimuerto", sind rein polemisch gehalten und weisen folgende Behauptungen zurück: „La intolerancia ahogó casi por completo en España toda actividad científica durante tres siglos" (Azcárate). „ L a filosofía española es un mito" (Revilla). „No existe una creación filosófica española que haya formado una verdadera escuela original, de influencia en el pensamiento europeo" (Revilla). Die übrigen drei Artikel diskutieren bibliographische Pläne, die derartige Behauptungen künftig von vornherein unmöglich machen sollen. Aus ihnen ist die erwähnte, umfangreiche, in der 3. Ausgabe der „Ciencia española" enthaltene Bibliographie hervorgegangen, die Menéndez y Pelayo in der Vorrede zu dieser Ausgabe als „único mérito (si alguno tiene) de la Ciencia española" bezeichnet. Vom kulturpolitischen und geistesgeschichtlichen Standpunkt aus ist das Erscheinen der „Ciencia española" für Spanien ein außerordentlich wichtiges, vielleicht das wichtigste Ereignis des 19. Jahr») Ebenda Bd. I, S. 4/5. *) Masson, frz. Enzyklopädist, der die Frage „Quedoit-onàl'Espagne ?" negativ beantwortet hatte.
21 hunderts. Aber auch schon auf die Zeitgenossen machte das W e r k einen sehr großen und nachhaltigen Eindruck. Einen Maßstab für das Interesse an dieser Schrift liefert die Tatsache, daß der schnell vergriffenen Erstausgabe von 1876 im Jahre 1880 eine zweite stark vermehrte Auflage folgte, die ebenso rasch vergriffen war. Außerdem begann man jetzt tatsächlich die autochthone spanische Philosophie intensiv und ernsthaft zu studieren. Darüber macht Bonilla y San Martín in seiner Biographie über Menéndez y Pelayo interessante Angaben: „ A últimos de Setiembre de 1876 estaba (M. P.) en Madrid . . . Valera y Canalejas le manifestaron su simpatía por las cartas anti-revillescas. Canalejas le dijo que, durante el curso de 1876 a 1877, pensaba dedicar buen espacio, en su cátedra de Historia de la Filosofía, a Averroes, Maimónides y Raimundo Lulio, empezando con las Etimologías de San Isidoro y acabando con la Teología Natural de Raimundo Sabunde. Simonet, en Granada, dedicó su discurso inaugural a Suárez y el Suarismo. Valera trabajaba en un discurso sobre F o x Morcillo 1 )."
b) „ H i s t o r i a
de los
Heterodoxos
españoles".
Ebenso wie die „Ciencia española" schrieb Menéndez y Pelayo auch sein zweites bedeutendes W e r k : „Historia de los Heterodoxos españoles" (Madrid 1880/82) auf Anregung Laverdes. Mitte 1875 schlägt dieser seinem jungen Freunde und Schüler vor, über „Heterodoxos españoles célebres" zu arbeiten. Im September des gleichen Jahres liegt der Plan dieses Werkes bereits im Entwurf, Ende 1876 bis ins Einzelne ausgearbeitet und gedruckt vor. Das Manuskript des 1. Bandes (802 Großoktavseiten) beendet Menéndez y Pelayo im Sommer 1877, 1880 wird der 1. und 2. Band (786 S.) veröffentlicht, der 3. Band folgt im Jahre 1882 (891 S.). Diese Arbeitsleistung spricht für sich. Der leitende Gesichtspunkt ist in den „Heterodoxos" genau wie schon in der „Ciencia española" der „aspecto histórico nacional". Menéndez y Pelayo verteidigt die Inquisition und den Katholizismus, weil es eine Institution und die Religion seiner Vorfahren ist, weil Spanien erst durch das Christentum national geeint und zur großen Nation geworden ist: „ S o y católico, no nuevo ni v i e j o " lautet sein berühmtes Bekenntnis zum Katholizismus, „sino católico a machamartillo, como mis padres y abuelos, y como toda la España histórica, fértil en santos, héroes y sabios bastante más que la moderna. Soy católico apostólico romano sin mutilaciones ni subterfugios . . . Estimo cual blasón honrosísimo para nuestra patria el que no arraigase en ella la herejía durante el siglo X V I , y comprendo, y aplaudo, *) A. Bonilla y San Martín: Einleitg. zu Menéndez y Pelayo's Orígenes de la Novela, Bd. IV, S. 24, Madrid 1915.
22 y hasta bendigo la Inquisición como fórmula del pensamiento de unidad que rige y gobierna la vida nacional a través de los siglos, como hija del espíritu genuino del pueblo español, y no opresora de él sino en contados individuos y en ocasiones rarísimas 1 )." Dieser Gedanke der nationalen Glaubenseinheit als Fundament des nationalen Lebens, der alle heterodoxen Bestrebungen automatisch als antinational und oppositionell-unfruchtbar kennzeichnet2), wird im Epilog der „Heterodoxos" ähnlich wie in der eben zitierten Stelle aus der „Ciencia española" noch einmal energisch unterstrichen. Auf die Frage, welche Schlüsse man aus der „Historia de los Heterodoxos" ziehen müsse, antwortet nämlich Ménendez y Pelayo: „A mi entender, lo siguiente: Ni por la naturaleza del suelo, que habitamos, ni por la raza, ni por el carácter, parecíamos destinados a formar una gran nación . . . España debe su primer elemento de unidad en la lengua, en el arte, en el derecho, al latinismo, al romanismo. Pero faltaba otra unidad más profunda: la unidad de la creencia . . . Esta unidad se la dió a España el Cristianismo. España, evangelizadora de la mitad del orbe; España, martillo de herejes, luz de Trento, espada de Roma, cuna de San Ignacio . . . esa es nuestra grandeza y nuestra unidad: no tenemos otra. El día en que acabe de perderse, España volverá al cantonalismo de los Arévacos y de los Vectones, o de los reyes de Taifas . . , 3 )." Dieser radikal-patriotischen und gewollt-einseitigen Haltung Menéndez y Pelayo's verdanken seine beiden großen Frühwerke, deren Wert als „demostración y exposición de nuestro valor histórico en la esfera del pensamiento4)" durch ihren tendenziösen Charakter nicht wesentlich beeinträchtigt wird, die Stoßkraft und Wirkung, die z. B. den zahlreichen Arbeiten Valeras, Laverdes usw., welche auch die spanische Philosophie und Wissenschaft der Vergangenheit rehabilitieren wollten, nicht beschieden gewesen ist. Die Erklärung dafür liegt in dem für Valera typischen Satz: „Por cima del patriotismo está la verdad 6 )." Und ebenso sehr steht fest, daß ohne die Betonung des Zusammenhangs von religiösem und nationalem Credo (ob aus Überzeugung oder polemischen Gründen spielt keine Rolle) die „Ciencia española" und die „Historia de los Heterodoxos" und damit die kulturpolitische Wirksamkeit Menéndez y Pelayos im nationalen Leben Spaniens als Korrektiv und Abwehraktion einer geistigen Überfremdung niemals die geistesgeschichtliche und zukunftgestaltende Bedeutung erlangt hätte, die ihr zukommt. *) Menéndez y Pelayo: Ciencia española, Bd. I, S. 232. 2 ) Menéndez y Pelayo: Hist. d. 1. Het. Bd. I, S. 29: „el genio español es eminentemente católico: la heterodoxia es entre nosotros accidente y ráfaga pasajera." s ) Ebenda Bd. III, S. 832ff. ') A. Bonilla y San Martín, zit. Werk, S. 78. 5 ) A. Bonilla, zit. Werk, S. 78.
23
II. L i t e r a r h i s t o r i s c h e S c h r i f t e n y Peí ayo's.
Menéndez
a) „ H i s t o r i a de las I d e a s E s t é t i c a s en E s p a ñ a " . Wunderbar und geradezu unglaublich ist die geistige Arbeitsleistung Menéndez y Pelayo's im Jahre 1876. Neben kleineren literarischen Arbeiten hat er nämlich in diesem Jahre nicht nur die ca. 300 Seiten starke „Ciencia española", den Plan und den Prolog zu den „Heterodoxos" geschrieben und sein Werk „Horacio en España" (479 Seiten) umgearbeitet, sondern er faßte außerdem noch den Plan, eine Geschichte der ästhetischen Ideen in Spanien zu verfassen, deren detaillierte Gliederung er bereits am 21. Juni dieses Jahres an Laverde einsendet. „ Y todo ello", wie Bonilla mit berechtigter, erstaunter Bewunderung ausruft, „antes de cumplir los veinte años de edad 1 )!" Die „Historia de las Ideas Estéticas en España" (5 Bände, Madrid 1883—1891), die Menéndez y Pelayo bezeichnenderweise seinem Lehrer in Barcelona, Manuel Milá y Fontanals, und nicht Laverde gewidmet hat, ist „la obra fundamental y cardinal del maestro 2 )", insofern als sie den von Bonilla in das Todesjahr Laverdes (1890) gesetzten Schaffensabschnitt Menéndez y Pelayo's als „humanista y historiador de la filosofía*)" abschließt und zu der vorwiegend der s p a n i s c h e n L i t e r a t u r des M i t t e l a l t e r s gewidmeten zweiten Hälfte seines Lebens hinüberleitet. Menéndez y Pelayo selbst bezeichnete dieses Werk sozusagen schon als organisches Verbindungsstück, als Brücke, zwischen den von Bonilla unterschiedenen beiden Schaffensperioden, als er in einem Briefe an Laverde schrieb: „(es) como un capítulo de la Historia de la Filosofía en nuestra Península que todavía está por escribir y que yo escribiré algún día si la vida me alcanza para completar el círculo de mis trabajos . . . Es asimismo esta obra una como introducción general a la historia de la Literatura Española, que es obligación mía escribir para uso de mis discípulos4)." Miguel Artigas, dessen bereits zitierte ausgezeichnete Biographie über Menéndez y Pelayo wichtige z. T. unzugängliche Dokumente verwertet und enthält, nennt die obige Briefstelle den Schlüssel zum Verständnis des unzusammenhängend und fragmentarisch anmutenden Lebenswerkes von Menéndez y Pelayo, der, von einem „espíritu de reconstrucción y reivindicación nacional" angetrieben und einem ausgeprägten Sinn für den „valor estético" in der Beurteilung literarischer Dinge geleitet, sein Schaffensideal in der Vollendung einer „Historia del pensamiento y del arte español" erblickte, aber in der Erkenntnis, daß ein derartiges Werk die Kraft und Dauer eines ') Ebenda S. 23. Miguel Artigas: Menéndez y Pelayo, Santander 1927, S. 280. I A. Bonilla, zit. Werk, S. 51. *) M. Artigas, zit. Werk, S. 278 ff. 2 ) 3
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Menschenlebens übersteige, an strategisch wichtigen Punkten der spanischen Literaturgeschichte einsetzte und Untersuchungen von vorbildlichem Werte für künftige Forschergenerationen, Bausteine zu dem großen Werk der spanischen Literaturgeschichte, lieferte. Und, so schließt Artigas, „si no nos legó completa y acabada una .Historia del pensamiento y del arte español', nos transmitió su fe en España; levantó el espíritu nacional, abatido y postrado 1 )". b)
Grundlegung
der
modernen spanischen geschichte.
Literatur-
Wie sich die ideale Geschichte der spanischen Literatur im Geiste Menéndez y Pelayo's darstellte, zeigen seine beiden programmatischen Denkschriften: „Introducción al programa de Historia critica de la literatura española" (1878) und der Prospekt für die „Nueva Biblioteca de Autores Españoles" (1905), die, zeitlich 30 Jahre getrennt, inhaltlich vollkommen übereinstimmen. Schon den Begriff „Spanische Literatur" faßt Menéndez y Pelayo bedeutend weiter als das manche moderne Literarhistoriker tun. Die Auffassung, daß die spanische Literaturgeschichte lediglich die kastilisch geschriebene Literatur zu behandeln habe, verwirft er als einen in jeder, nicht nur in literarischer Hinsicht, verhängnisvollen Irrtum. E r verlangt vielmehr die Einbeziehung der portugiesischen und katalanischen Literatur in den Rahmen der spanischen Literaturgeschichte, da sie sich in engstem Zusammenhang und stetigem wechselseitigen Austausch mit der kastilischen Literatur entwickelt haben, so daß ohne deren Kenntnis vieles in der kastilischen Literatur unverständlich und unerklärt bleiben muß: „Españoles fueron en la Edad Media los tres romances peninsulares: todos recorrieron un ciclo literario completo, conservando unidad de espíritu y parentesco de formas, en medio de las variedades locales . . . Las tres literaturas reflejaban las mismas ideas e iguales sentimientos y reciprocamente se imitaban y traducían, y cedieron el mismo paso a extrañas influencias . . . Ni comprender podríamos siquiera, desde el punto de vista castellano, la historia literaria del siglo X V I . . . . En suma, por lo que hace a los siglos medios, no hay razón buena ni mala que autorice la exclusión de lemosines y portugueses; traída su historia hasta el siglo X V I , ¿ por qué dejarla mutilada, cuando Dios ha querido que, sin saberlo ni quererlo nosotros, siga unida a la nuestra como la sombra al cuerpo 2 ) ?" Daß Menéndez y Pelayo dieser Ansicht treu geblieben ist und sie bei der Zusammenstellung der „Nueva Biblioteca de Autores Españoles" konsequent zu berücksichtigen gedachte, zeigen die nachfolgenden Sätze des 30 Jahre später geschriebenen Prospektes zu dieser Sammlung: „Como nuestra Biblioteca se titula de Autores ') Ebenda S. 281 ff. *) M. Artigas, zit. Werk, S. 114—121.
25 Españoles, no sólo comprenderá autores castellanos (incluyendo entre ellos, por de contado, a los nacidos en las Repúblicas hispano-americanas y a los numerosos portugueses que escribieron en nuestra lengua tanto o más que en la suya), sino que, cumpliendo la voluntad expresa y varías veces declarada de los dos ilustres fundadores, don Buenaventura Carlos Aribau y don Manuel Rivadeneyra, figurarán al cabo en esta obra nacional varios tomos de poetas y prosistas catalanes de los siglos medios. Estas publicaciones serán bilingües, para que puedan ser manejadas por todos los españoles 1 )." Nur Bruchstücke dieser großzügigen ibero-amerikanischen Literaturgeschichte hat der Meister als gigantische Bausteine zu ihrer Vollendung künftigen Forschergeschlechtern hinterlassen 2 ). Als er 1883 erfuhr, ein bekannter spanischer Schriftsteller beabsichtige, eine spanische Literaturgeschichte zu verfassen, wies Menéndez y Pelayo auf die Schwierigkeit und das Wagnis eines solchen Unternehmens in einem Briefe an Laverde mit folgenden Worten hin: „Mientras no estén analizados todos (monumentos literarios), es imposible el trabajo de síntesis y de conjunto. Y o creo, sin jactancia, haber visto tanto número de libros españoles raros, como el que haya visto más en esta generación, y, así y todo, tiemblo antes de escribir la historia, y , cuando lo haga, lo haré a pedazos 3 )." Und doch hat die spanische Literatur schon allein durch diese, allerdings an Umfang und Gehalt gleich grandiosen Bruchstücke, eine weitgehende Umwertung erfahren und ein ganz anderes An- und Aussehen gewonnen. Durch seine „Antología de poetas líricos castellanos" und die „Orígenes de la Novela" hat er der spanischen L y r i k und Prosa die ihrem künstlerischen Wert entsprechende Stellung in der spanischen Literaturgeschichte gegeben und sie dadurch grundlegend erneuert. „ A cuántos historiadores y críticos de nuestra literatura, españoles y extranjeros", bemerkt Bonilla, „han sacado de apuros estas páginas de la Antología 4 )"! Ebenso ist die heute selbstverständliche Schätzung von Lopes dramatischem Genie, der in den 80 er Jahren noch stets hinter Calderón rangierte, Menéndez y Pelayos Werk, ganz zu schweigen !) M. Artigas, zit. Werk, S. 237/38. *) Menéndez y Pelayo: H i s t o r i a de la P o e s í a c a s t e l l a n a en la E d a d M e d i a , 3 Bde., Madrid 1 9 1 1 — 1 9 1 6 (teilweise Umarbeitung der Antología de poetas líricos castellanos Madrid 1890—1908). — H i s t o r i a de la P o e s í a H i s p a n o - A m e r i c a n a , 2 Bde., Madrid 1 9 1 1 — 1 9 1 3 (Erweiterung des Prologs zur Antología de poetas hispano-americanos, Madrid 1893—1895) — O r í g e n e s de la N o v e l a , 4 Bde., Madrid 1905—1915. — H i s t o r i a de l a s i d e a s e s t é t i c a s en E s p a ñ a , 5 Bde., Madrid 1883—1891. — E s t u d i o s sobre el T e a t r o de L o p e de V e g a , 5 Bde. (6. im D r u c k ) , Madrid 1919—1925. (Hervorgegangen aus den Prologen der von Menéndez y Pelayo im Auftrag der spanischen Akademie herausgegebenen 15 bändigen Ausgabe der Werke Lopes. — E s t u d i o s de c r í t i c a l i t e r a r i a , 5 Bde., Madrid 1884—1908. s ) A. Bonilla, zit. Werk, S. 43. 4 ) A. Bonilla, zit. Werk, S. 65.
26 von den zahllosen Hinweisen auf Lücken in der literarhistorischen Bearbeitung des spanischen Schrifttums, die besonders in der „Ciencia española" und dem Prospekt zu der „Nueva Biblioteca de Autores Españoles" enthalten sind und Arbeitsgebiete für Generationen von Gelehrten bezeichnen. Schließlich sei auch noch erwähnt, daß die geistige Annäherung zwischen den einstigen südamerikanischen Kolonien und dem Mutterlande durch Menéndez y Pelayos „Historia de la Poesía Hispano-Americana" zweifellos einen starken Impuls erhalten hat. Menéndez y Pelayo war aber weit mehr als ein großer vaterländisch gesinnter Gelehrter, der nur den „Staub der Bibliotheken" als seine Lebenssphäre betrachtete und sich „mit Bienenfleiß" in das Studium der alten Schriftdenkmäler spanischer Vergangenheit „versenkte" — ein beliebtes Lob, mit dem man seinerzeit und auch heute noch ihn gern abtun möchte — er war ein Mann von lebendigem, ausgesprochen künstlerischem Empfinden und sicherem ästhetischen Urteil, der nicht nur Literaturgeschichte s c h r i e b , sondern „machte". Er war es nämlich, der 1893, als außer Valera noch niemand Rubén Dario, den bedeutendsten spanischen Lyriker der Moderne, schätzte oder auch nur kannte, auf dessen dichterische Qualitäten in seiner „Antología de poetas hispano-americanos" mit den Worten hinwies: „Una nueva generación literaria se ha levantado en la América Central, y uno por lo menos de sus poetas ha mostrado serlo de verdad 1 )." Ebenso verdanken wir ihm die besten, heute weder überholten noch übertroffenen knappen Monographien über José Maria de Pereda und Benito Pérez Galdós, mit Valera die bedeutendsten Romanciers ihrer Zeit. „Sí, dígase alto, para que lo oigan todos. Menéndez y Pelayo comprende y siente lo moderno con la misma perspicacia y grandeza que la antigüedad y la Edad Media 2 )."
c) G e s a m t W ü r d i g u n g s e i n e s L e b e n s w e r k e s und s e i n e r Persönlichkeit. Urteil über die B e d e u t u n g der t r a d i t i o n a l i s t i s c h e n B e w e g u n g im 19. J a h r h u n d e r t . Nach diesem Überblick über das gewaltige Schaffen Menéndez y Pelayo's auf den Gebieten der Geschichte der Philosophie und Literatur seines Landes will ich versuchen, dem Leser das Charakterbild dieses Mannes etwas näher zu bringen. Das kann nicht kürzer und besser geschehen als durch Anführen der Worte, die der Meister der modernen spanischen Literaturgeschichte selber sprach, als seine Freunde und Schüler ihm im Jahre 1910 anläßlich der Ernennung zum Direktor der Real Academia de la Historia eine Bronzemedaille *) Menéndez y Pelayo: Antología de poetas hisp.-americanos, Bd. I, S. 181, Madrid 1893. *) A. Bonilla, zit. Werk, S. 62. Es handelt sich um ein dort zitiertes Urteil von Leopoldo Alas (Clarín).
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überreichten, Worte, deren Schlichtheit die eigene Person hinter dem Werk, dem Dienst an dem großen vaterländischen Gedanken, bescheiden zurückstellen und damit die einfache Größe der Persönlichkeit Menéndez y Pelayo's und seines reichen fruchtbaren Lebens treffend charakterisieren. ,,Lo que honráis en mí", sagte er damals, ,,no es mi persona, no es mi labor, cuya endeblez reconozco, sino el pensamiento capital que la informa, y que desde las indecisiones y tanteos de la mocedad me ha ido llevando a una comprensión cada vez menos incompleta del genio nacional y de los inmortales destinos de España . . . Podemos diferir en los medios, pero en la aspiración estamos conformes. Y también lo estamos en creer que ningún pueblo se salva y emancipa sino por su propio esfuerzo intelectual, y éste no se concibe sin la plena conciencia de sí mismo, que sólo puede formarse con el estudio recto y severo de la Historia 1 )." Damit ist die Darstellung der liberalen Bewegung und der traditionalistischen Bewegung, soweit im Rahmen dieser Untersuchung notwendig, abgeschlossen. Und es muß bei einem beurteilenden Rückblick auf die geistigen Kämpfe des ganzen 19. Jahrhunderts in Spanien und auf ihr Ergebnis festgestellt werden, daß die liberale Bewegung die geistige Hauptströmung ist und die traditionelle Gegenströmung, besonders gegen Ende des Jahrhunderts, hemmend und korrigierend, aber nicht definitiv richtunggebend wirkt, sondern vielmehr innerhalb der Strömung der mächtigeren und fruchtbareren liberalen Bewegung bleibt. E s ist nämlich nicht etwa so, daß man sich z. B . nach dem Erscheinen der „Ciencia española" nur mehr mit der autochthonen spanischen Philosophie der Vergangenheit beschäftigt hätte, sondern umgekehrt, w e i l man sich im Bemühen um ein modernes Weltbild mit Philosophie beschäftigte, studierte man nach 1876 in Spanien neben der europäischen jetzt auch ergänzend die autochthone spanische Philosophie. Wie stark der Druck des von liberaler Seite ausgehenden Interesses für Philosophie auf die geistige Produktion Spaniens vor und auch noch lange nach Erscheinen der „Ciencia española" war, zeigt einmal die Veröffentlichung, Aufnahme und Wirkung dieses Werkes selbst und außerdem die bedeutsame Tatsache, daß Menéndez y Pelayo, dessen eigentliches Gebiet doch Literaturgeschichte war, von 1876—1890 vor wiegend auf p h i l o s o p h i s c h e m Gebiete arbeitete. Ein weiterer Beweis dafür, daß es sich im großen Ganzen gesehen um eine einheitliche nach Europa tendierende geistige Bewegung in Spanien handelt, daß z. B . die Gegensätze zwischen Krausisten und Traditionalisten doch mehr polemischer Natür sind, daß beide Parteien im Grunde genommen Spanien irgendwie, mit Schwerpunktverlegung auf die Seite der Tradition oder des Fortschritts, spanischer Vergangenheit — europäischer Gegenwart, in den KreisEbenda S. 57.
28 lauf der europäischen Gedankenbewegung wieder einschalten wollen» ist die Tatsache, daß Menéndez y Pelayo selber in seiner „Historia de las ideas estéticas" die deutsche Ästhetik den Spaniern m i t einer „exposición aperitiva 1 )" dargeboten hat und daß es nicht an bedeutenden geistigen Persönlichkeiten fehlt, die man zwanglos jeder der beiden Parteien eingliedern könnte; da sie nämlich dem unmittelbaren Meinungskampf ferner standen, vermochten sie objektiver zu urteilen und sahen daher auch auf beiden Seiten das gleiche Bemühen um dasselbe Ziel: Erneuerung Spaniens. Solche Männer sind z. B. Juan Valera (1827—1905) und Leopoldo Alas (1852—1901, Pseudonym: Clarín).
C. Verstärkter Ausgleich
der Spannung- zwischen
beiden
Bewegungen im A u s g a n g des 19. Jahrhunderts. I. J u a n
Valera
(1827—1905)
und
Leopoldo
Alas
„ C l a r í n " (1852 — 1901). Valera, mit Menéndez y Pelayo und den traditionalistischen Kreisen durch Freundschaft, gesellschaftliche Stellung und seinen weltanschaulichen Realismus aufs engste verbunden, hat trotzdem den „krausismo" nicht nur anders beurteilt, als er ihn als Traditionalist hätte beurteilen müssen, sondern ihn sogar in Zeitungen und Zeitschriften ,,por no trillado camino 2 )" verteidigt. Ebensowenig hat er sich auch gescheut, in der überparteilichen „Institución Libre", die natürlich infolge ihres liberalen Ursprungs jedem „orthodoxen" Traditionalisten in nationaler Hinsicht verdächtig und ein Greuel war, gleich nach ihrer Gründung durch Übernahme von Vorträgen mitzuarbeiten. Clarín seinerseits wuchs ganz im liberalen Gedankenkreis auf. E r selbst berichtet aus seiner Studentenzeit im Madrid der 70er Jahre: „Enfrascado en la lectura de filósofos y poetas alemanes, me parecían entonces poca cosa muchos de mis contemporáneos españoles . . . a quienes no leía 3 )." Er kannte Giner und seine engeren Mitarbeiter persönlich und stand zu ihnen in Beziehungen herzlicher und bewundernder Freundschaft. Mit dessen Schülern Rafael Altamira, Adolfo Buylla u. a. arbeitete er sogar praktisch im Sinne Giners, als er im Jahre 1898 an der Universität Oviedo, wo er als Rechtslehrer wirkte, sich für den Gedanken der „Extensión Universitaria" (Volkshochschule) „como uno de los medios de contribuir la Unix)
Miguel de Unamuno, E n torno al casticismo, Madrid 1916, S. 21. *) J. Valera: Prolog zur engl. Übersetzung der P e p i t a Jiménez (vgl. S. 7 dieser Studie), wieder abgedruckt in der von Manuel A z a ñ a besorgten Ausgabe dieses Werkes in den Clásicos castellanos, Madrid 1927, S. 250. Vgl. ferner J. Valera: E l Racionalismo armónico in „ R e v i s t a de E s p a ñ a " , Bd. 33, S. 433—450, Bd. 34, S. 5 — 2 4 , Madrid 1873. 3) Clarín: Obras compl. Bd. I : Galdós, S. 30. Madrid 1912.
29 versidad a la regeneración del pais 1 )" einsetzte und damit eine Lieblingsidee seines Meisters2) verwirklichen half. Aus Clarins Feder stammt ferner eine der besten kritischen Würdigungen der krausistischen Bewegung in Spanien 3 ) sowie ein ausgezeichneter Aufsatz über die Einwirkung des „krausismo" und der europäischen Philosophie überhaupt auf die spanische Literatur, betitelt: „ E l examen libre y nuestra literatura presente", in dem er besonders Benito Pérez Galdós (1845—1920) feiert 4 ); aber nicht nur diesem „heterodoxo por excelencia, el enemigo implacable y frío del catolicismo" nach Menéndez y Pelayo's Urteil 5 ) wird Clarín gerecht ebenso wie den mehr „katholisierenden" Schriftstellern Valera und Campöamor, deren Orthodoxie er scharfsichtig als etwas fragwürdig entlarvt 4 ), sondern in klarer Erkenntnis der Bedeutung Menéndez y Pelayos und Peredas für die Erhaltung der Tradition und die Formung des Nationalbewußtseins, setzt er sich für diese beiden Männer aus dem anderen Lager, mit denen er auch befreundet war, ebenso warm ein wie für Giner und Galdós. Aus der Fülle der Zitate, die ich in diesem Zusammenhang allein aus dem Sammelbande „Ensayos y Revistas, 1888—1892" anführen könnte, möchte ich nur zwei Proben auswählen. Zunächst ein Urteil über Menéndez y Pelayo, das von vorbildlicher Unparteilichkeit und Klarsicht zeugt: „ A pesar de que Menéndez y Pelayo es hoy un escritor católico, pues mientras él lo diga hay que creer que lo es porque no es de los que engañan ni de los que juegan con estas cosas; a pesar de que para el mundo milita en partido y escuela que llaman reaccionarios, sería absurdo confundirle con los ilustres corifeos de la escuela tradicionalista aunque sean tan ilustres como Valdegamas' . . . (Donoso Cortés) Si hemos de insistir en dividirnos en liberales y tradicionalistas, en progresistas y retrógrados y conservadores, a Menéndez y Pelayo no le podremos medir ni le podremos clasificar; es de otro mundo, que será el que prevalezca si han de ir bien los destinos humanos 7 )." Und trotz der grenzenlosen Bewunderung für Galdós, von der die 400 Seiten des I. Bandes, seiner Obras completas sprechen, steht Clarín nicht an, Pereda, den *) Aniceto Sela: Extensión Universitaria en España, BILE, Bd. 35 S. 76 (1911). *) F. Giner: La Ciencia, como función social, ebenda Bd. 23, S. 26ff. und 55 ff. (1899). 3) Clarín: Prolog zu A. Posada: Ideas pedagógicas modernas, S. 14fr. 1892. *) Clarín: Solos de Clarín, Madrid 1891, S. 56/57. 5) Menéndez y Pelayo: Historia de los Heterodoxos españoles, Bd. III, S. ¿12, Madrid 1882. Vgl. dazu Menéndez y Pelayo's spätere Bemerkung zu diesem Urteil in Estudios de crítica literaria, 5 a serie, Madrid 1908, S. I I O / I I , in der er betont, daß jenes Urteil sich nicht auf den literarischen Wert beziehe, sondern gegen die Tendenz mancher Werke von Galdós gerichtet sei. «) Clarín: Solos de Clarín, S. 58 bzw. 61. 7) Clarín: Ensayos y Revistas, S. 364.
30 Antipoden von Galdós, ebenfalls zu rühmen, ihn „regocijo de las musas castellanas modernas" und „castizo, soleado, fresco, robusto escritor montañés" zu nennen und daran die Feststellung zu knüpfen, daß „su nombre es de los cinco o seis que todos respetan y a c l a m a n 1 ) " . Selbst Menéndez y Pelayo in seiner Besprechung des Pereda'schen Werkes „ E l Sabor de la Tierruca 2 )" und Galdós in seiner Rede bei der Aufnahme Peredas in die spanische Akademie haben sich nicht lobender über ihren Freund ausgesprochen. Im Hinblick auf die nach 1868 einsetzende Entwicklung des Romans, an der Galdós selbst hervorragend beteiligt war, hat Galdós in dieser Rede Pereda als „contrapeso poderoso de las impaciencias innovadoras" bezeichnet mit dem Hinweis „que las tentativas de renovación no tendrían eficacia sin ese contrapeso que les impide lanzarse a desvarios peligrosos, ni este contrapeso valdría lo que vale si no existiese algo que le estimula en su misión grandiosa 3 )".
II. W a n d l u n g v o n M e n é n d e z y P e l a y o u n d B e n i t o Pérez Galdós (1845 — 1920) u n d G r ü n d u n g der „ J u n t a p a r a A m p l i a c i ó n de E s t u d i o s " . Wie es der Weitblick parteilich nicht gebundener Männer wie Valera und Clarín vorausgesehen und vorausgesagt hatte, und wie das spätere objektivere Urteil Menéndez y Pelayo's über Galdós und die verständige Würdigung der Leistungen seines literarischen Rivalen Pereda durch Galdós in der vorzitierten Rede zeigen, ging die Entwicklung in Spanien dahin, daß nach dem scharfen Aufeinanderprall der Meinungen in den Jahren kurz nach dem Erscheinen der „Ciencia española" gegen Ende des Jahrhunderts die Anzeichen eines sich vollziehenden Ausgleiches und wachsenden Verständnisses für die Position des Gegners sich mehren. Die Einsicht, daß man j a dem gleichen Ziele nur auf verschiedenen Wegen zustrebe, führte dann konsequent zu direkter Zusammenarbeit. Bezeichnend dafür ist die bereits erwähnte Freundschaft der literarischen Gegner Galdós und Pereda („Gloria" von Galdós — 1877 löst „ D e tal palo tal astilla" von Pereda — 1879 aus. Weltanschaulich: These und Gegenthese) untereinander und mit Menéndez y Pelayo. Während der Sommermonate kamen die drei Freunde fast täglich in Galdós' Villa „ S a n Quintin" in Santander zusammen; bekannt die mit den Jahren stets umfassender werdende Geisteshaltung Menéndez y Pelayo's, die sich besonders an der Entwicklung seines Verhältnisses zu Deutschland und deutscher Wissenschaft sehr *) Clarín: Ensayos y Revistas, S. 99ff. ) Menéndez y Pelayo: Estudios de crít. lit. 5a serie, Madrid 1908, S. 411—414. s ) Discursos leídos ante la Real Academia Española (7 y 21 febrero, 1897). Reden von Galdós, Pereda und Menéndez y Pelayo. — Madrid 1897, S. 164. 8
31 gut nachweisen läßt 1 ) sowie die veränderte Einstellung von Galdós zum Katholizismus, die Menéndez y Pelayo in seinen letzten Werken mit den Worten feststellt: „ Y aunque todas sus tendencias sean de moralista al modo anglo-sajón, más bien que de metafísico o místico, basta la más somera lectura de los últimos libros que ha publicado para ver apuntar en ellos un grado más alto de su conciencia religiosa . . . mayor espiritualidad de los símbolos . . . contenido dogmático mayor . . . ráfagas de cristianismo positivo . . . que vienen a templar la aridez de su antiguo estoicismo 2 )." Ebenso bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß Menéndez y Pelayo im Schlußwort einer Rede, die er kurz vor seinem Tode bei der Aufnahme von Bonilla y San Martín in die Real Academia de la Historia hielt, sozusagen zu Erben und Fortsetzern seines Lebenswerkes diesen und Ramón Menéndez Pidal bestellt hat: „Cuando recuerdo que por mi cátedra han pasado D. Ramón Menéndez Pidal y D. Adolfo Bonilla, empiezo a creer que no ha sido inútil mi tránsito por este mundo, y me atrevo a decir, como el Bermudo del romance, que si no vencí reyes moros, engendré quien los venciera. Es ist jedenfalls ein seltsames Spiel des Schicksals, daß Menéndez y Pelayo sein aus traditionalistischem Antrieb geborenes Werk zwei Männern anvertrauen mußte, von denen der eine, R. Menéndez Pidal, aus dem liberalen Lager stammte und Giner sehr nahe stand, während Bonilla y San Martín als konservativ eingestellt galt. Schließlich sei noch der bedeutungsvollen Gründung der „Junta para Ampliación de Estudios e Investigaciones científicas" im Jahre 1907 als Ausdruck des sich vollziehenden geistigen Annäherungsprozesses gedacht, einer Art „westfälischen Friedens der spanischen Kultur 3 )", insofern als in ihr Männer der verschiedensten politischen, religiös-philosophischen und wissenschaftlichen Anschauungen wie Ramón y Cajal, Menéndez y Pelayo, Joaquín Costa, Gumersindo Azcárate, Menéndez Pidal u. a. zu positiver Arbeit sich zusammenfanden.
Rückblick auf die geistigen Kämpfe in Spanien während der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts.
Behält man die gewaltige Leistung Menéndez y Pelayos im Auge, der durch die Verlebendigung des national-spanischen Geistesgutes Vgl. dazu Clarín: Ensayos y Revistas, 1888—1892, S. 362/63 und L. Araquistain, zit. Werk. 2 ) Menéndez y Pelayo: Estudios de crít. lit. 5a serie: S. 113 (Neudruck der3 Akademierede von 1897). ) José Castillejo, zit. Aufsatz, besonders S. 208—2r3 über Organisation und pädagogische Versuche der Junta im Hinblick auf die „Institución Libre."
32 der Vergangenheit eine tragfähige Grundlage für eine organisch sich entwickelnde moderne spanische Kultur mit eigenem Charakter geschaffen hat, dann wird man gern als die drei anderen „españoles históricos del último tercio del siglo X I X " Giner de íos Ríos, Costa und Galdós gelten lassen und der nachfolgenden prägnanten Kennzeichnung ihrer Leistungen für das nationale Leben Spaniens, die als Zusammenfassung des ersten Hauptteils meiner Untersuchung ihn zugleich abschließt, die Zustimmung nicht versagen können: „Costa, Galdós y Giner son tan de ahora", schrieb Ramón Pérez de Ayala im Jahre 1917, „como de hace cuarenta años, y serán mucho más de mañana que lo son de ahora. Por eso son hombres históricos. Los tres tuvieron idéntica visión del medio que los cercaba y lastimaba, si bien cada uno reaccionó con ademanes distintos, según el propio carácter: Costa, con amor áspero y sañudo; Giner, con amor manso y evangélico; Galdós, con amor tolerante y sonriente . . . O empleando otros términos correlativos, son ,el político', el cirujano de hierro, que quiere modificar la realidad tutelarmente y desde fuera, Costa; el .maestro', que se conforma con sembrar gérmenes que al cabo de los días modifiquen la realidad desde dentro, Giner; el .poeta 1 )', en su más vasta expresión, en el cual político y maestro se funden, que perpetúa y salva la realidad transitoria, crea la realidad ideal y las orienta reciprocamente rostro a rostro, Galdós. L a redención de España se avecinará el día que haya un buen núcleo de españoles, quienes, cada cual conforme su vocación, temperamento y actitud, se guíen voluntariamente por el ejemplo y enseñanzas de Giner, Costa y Galdós 2 )." Menéndez y Pelayo: Estudios de crit. lit. 5 a serie, S. 125/26: „Sin ser historiador de profesión, Galdós ha reunido el más copioso archivo de documentos sobre la vida moral de España en el siglo X I X . " *) Ramón Pérez de Ayala: Aniversario de Giner. — B I L E , Bd. 41, S. 61/62, Madrid 1 9 1 7 . Vgl. hierzu Azorln: Lecturas españolas, Ed. Nelson, S. 248: „Cuando pasen los años, cuando transcurra el tiempo, se verá lo que debe España a tres de sus escritores de esta época: A Menéndez y Pelayo, a Joaquín Costa y a Pérez Galdós. El trabajo de aglutinación espiritual, de formación de una unidad ideal española, es idéntico, convergente, en estos tres grandes cerebros." Ferner Azorín: D. Francisco Giner. — B I L E , Bd. 40, S. 9 1 — 9 3 , Madrid 1 9 1 6 .
II.
Teil.
Versuch einer Wesensbestimmung der Generation von 1898. A . Das Generationsproblem. Während die offiziellen Politiker und Literaten der Restauration von der jungen Generation für den nationalen Zusammenbruch verantwortlich gemacht und abgelehnt wurden, bekannte sich der Teil der spanischen Jugend, der die politischen Ereignisse von 1898 bewußt miterlebt hatte, unbedingt zu dem politisch-kulturellen Aufbauprogramm Costa's (damit unausgesprochen auch zu Giner 1 )) und mehr oder weniger zustimmend zu Galdós, d. h. zu den Männern, die während der Restaurationszeit nicht gerade in schroffer Opposition, aber doch etwas abseits gestanden hatten und wegen ihrer liberal-europäischen Denkweise nicht die Stellung einnahmen, die ihnen eigentlich ihrer tatsächlichen Bedeutung nach zukam. Menéndez y Pelayo wurde anfangs von der jungen literarischen Generation, besonders von Baroja und Azorin, öfters angegriffen und kritisiert; doch wandelte sich diese Abneigung bei Azorin und seinen Generationsgenossen im Laufe der Zeit immer mehr in Anerkennung und sogar Gefolgschaft auf dem Wege zur heimischen Tradition und Kultur, insofern, als die spanische Geschichte und die Wertschätzung der spanischen Klassiker sich in den Werken der 98 er zunehmend Raum eroberte. All diese Zusammenhänge kann ich hier jedoch nur streifen, da ich in Verfolg des Ziels meiner Untersuchung: Neubestimmung des literarhistorischen Begriffs „Generation von 1898" erst die Frage nach der Existenz und Zusammensetzung dieses literarisch-geistigen StoßA z o r i n : D . Francisco Giner, B I L E , B d . 40, S. 91 ff. (Madrid 1 9 1 5 ) : „ E l espíritu de la Institución Libre — es decir, el espíritu de Giner — h a determinado el g r u p o de escritores de 1898; ese espíritu h a suscitado el amor a la N a t u r a l e z a , y consecuentemente al p a i s a j e y a las cosas españolas, castellanas . . . ese espíritu ha hecho que se v u e l v a la v i s t a a los valores literarios tradicionales, y que los v i e j o s p o e t a s sean v u e l t o s a la v i d a . . . que s u r j a una n u e v a escuela de filólogos y de críticos con un espíritu q u e a n t e s no e x i s t í a . " (Auf Menéndez Pidal w i r k t Menéndez y P e l a y o ebenso wie Giner, Menéndez y P e l a y o sachlich, Giner formal.) J e s c h k e , Beiheft iur Zeitschr. f. rom. Phil. LXXX1IJ.
3
34 trupps der spanischen Jugend um die Zeit der Jahrhundertwende entscheiden muß. Dazu ist vorher eine kritische Auseinandersetzung mit der modernen Generationsforschung und mit der Azorin'sehen Auffassung über die von ihm aufgestellte „generación de 1898" erforderlich.
I. A l l g e m e i n e S t e l l u n g n a h m e zur G e n e r a t i o n s i or s c h u n g .
neueren
Das Grundproblem der Generationsforschung ist die Frage nach der Entstehung und im Zusammenhang damit nach der zeitlichen Abfolge der Generationen in der Geschichte. Es gibt darüber drei Auffassungen. Die erste, sogenannte positivistische Anschauung faßt den Begriff Generation chronologisch als Zeitraum von 30 Jahren auf, setzt in einem geeignet scheinenden Punkte eines historischen Ablaufs, etwa in der Literaturgeschichte, diese Maßeinheit an und konstruiert mehr oder weniger elastisch die literarische Entwicklung nach Generationen. So z. B . Hans von Müller in seinem Werkchen „Zehn Generationen deutscher Dichter und Denker" (Berlin 1928). Die beiden anderen Auffassungen betonen dieser mechanischen Betrachtungsweise gegenüber die Unmöglichkeit, geistige Vorgänge, in diesem Falle also das Auftreten von Generationen und ihre Ablösung durch andere, irgendwie in der Zeit allgemeingültig festzulegen. Dagegen gehen sie auseinander in der Entscheidung der Frage, ob eine Generation als solche bereits durch ihre Geburtslage prädestiniert war oder erst durch Erleben gleicher Zeitumstände dazu geworden ist. Die Prädestinationslehre, nach der die Generationen ihre Lebensprobleme von Geburts wegen empfangen, wird von W. Pinder in seinem Werk „Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas" (Berlin 1926) vertreten, die Evolutionslehre von dem Romanisten Wechßler 1 ) und den Germanisten Petersen 8 ) und Alewyn 3 ). Für die moderne Generationsforschung lautet die Fragestellung also folgendermaßen: Stellt eine Generation eine „potentielle Entelechie" (Pinder) dar, deren „realer Zusammenhang" sekundär ist, oder umgekehrt eine „konkrete Erlebens- und Wirkensgemeinschaft" (Alewyn), für die die Nähe der Geburtslage von sekundärer Bedeutung ist? Während für das Individuum uneingeschränkt das Goethewort „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt" gilt, oder, in Pinders Terminologie, das Individuum eine „potentielle Entelechie" darstellt, 1 ) E . Wechßler: Die Generation als Jugendgemeinschaft in „Geist und Gesellschaft" (Breysig-Festschrift) Bd. I, S. 66—102, Breslau 1927. Das Problem der Generation in der Geistesgeschichte. Davoser Revue, Jahrg. I V , Nr. 8 (15. Mai), S. 209/10. Davos 1929. s ) J . Petersen: Die literarischen Generationen. Berlin 1930. Wesensbestimmung der deutschen Romantik, Berlin 1926. ') R . Alewyn: Das Problem der Generation in der Geschichte. Ztschr. f. deutsche Bildung, J g . 1929, S. 5 1 9 — 5 2 7 .
35 dessen Lebenslauf von Geburtswegen wesentlich vorbestimmt ist, können für die Bildung einer Generation als Kollektiverscheinung allein die nivellierenden Faktoren gleichen Kulturraums und Zeitgeschehens formgebend, die Generation also nur eine „konkrete Erlebens- und Wirkensgemeinschaft" sein. Aber — d a m i t diese nivellierenden Faktoren sich gegenüber den differenzierenden Einflüssen des geistigen Anlagetypus und der sogenannten „beharrenden Verbände": landschaftliche Abstammung, soziale Schichtzugehörigkeit, wenn auch, meiner Ansicht nach, immer nur teil- und zeitweise, durchsetzen können, ist es notwendig, daß die politischen und geistigen Ereignisse umwälzenden Charakters auf Individuen aus der Oberschicht eines Volkes treffen, die ihrer geistigen Erlebnisfähigkeit nach homogen, innerlich gleichzeitig, d. h. möglichst gleichaltrig sind. Den Vorgang der Generationsbildung selbst könnte man etwa veranschaulichen durch die Wirkung, die ein Magnet auf eisenhaltige Mineralteilchen ausübt: Der Magnet stellt ein Zeitereignis dar, das zum Generationserlebnis wird, die Mineralteilchen die einzelnen Individuen, die Eisenhaltigkeit den Grad der Empfänglichkeit bzw. inneren Gleichzeitigkeit = Produkt aus Alter und Anlage, das magnetische Kraftfeld den Wirkungsbereich des Ereignisses. Unter der Einwirkung der Magnetkraft werden die Mineralteilchen angezogen, besonders stark solche von großer Eisenhaltigkeit, die in den Kern des Kraftfeldes zu liegen kommen. Die weniger eisenhaltigen Teilchen werden in ihrer Lage kaum verändert oder finden sich mehr nach dem Rande des Kraftfeldes hin. Dabei gruppieren sich allgemein die gleichmäßig eisenhaltigen Teilchen zueinander. Nimmt man den Magneten weg, so kann das magnetische Kraftfeld, das unter seiner Einwirkung entstanden ist, leichter durch mechanische Einflüsse zerstört werden, d. h. läßt der Einfluß des Zeitereignisses nach, so treten die Individuen wieder unter die Gesetze ihrer eigenen Natur, deren Wirkungskraft vorübergehend aufgehoben oder abgeschwächt war, ebenso wie vergleichsweise auch die Mineralteilchen nur in ihrer Lage, nicht aber in ihrer Substanz durch den Magneten verändert worden waren. So möchte ich denn im Sinne einer knappen Zusammenfassung meiner Anschauungen vom Wesen einer Generation im engen Anschluß an Dilthey unter „Generation" einen kleinen Kreis schöpferisch-begabter Individuen verstehen, die infolge einer durch annähernd gleiche Geburtslage bestimmten und damit unter ähnlichen Lebensumständen verlaufenden Entwicklung zu einer seelisch-geistigen Gleichgestimmtheit (inneren Gleichzeitigkeit) gelangen, sich unter dem Eindruck eines großen Zeitereignisses zusammenfinden und dank ihrer schöpferischen Veranlagung Lebens- und Kunstformen ausprägen, die für die innerlich gleichzeitige Mitwelt (Masse) maßgebend und für die betreffende Epoche als Zeitausdruck charakteristisch werden. 3*
36 Aus den vorstehenden Ausführungen ergeben sich nunmehr bestimmte s a c h l i c h e und m e t h o d o l o g i s c h e Folgerungen: Das z e i t l i c h e A u f t r e t e n von Generationen läßt sich nicht vorausbestimmen. Schon bei den physischen Generationen liegen die Verhältnisse derart kompliziert, daß den aus der Erfahrung gewonnenen Zahlen von 30 Jahren oder Bruchteilen dieser Ziffer 1 ) jedwede über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung abzusprechen ist. Alewyn hat mit allem Nachdruck bereits betont, daß „Generationen wie alle historischen Wirklichkeiten zunächst Evidenzen (Gestalten) sind und nicht rechnerische oder sonstige Konstruktionen . . . Was man im Grunde meinte, wenn man die äußere Chronologie zu Hilfe rief, war die innere Gleichzeitigkeit, durch die Generation konstituiert wird 2 )". Daß jedoch diese innere Gleichzeitigkeit stark durch die äußere bedingt ist, wird bei Alewyn nicht genügend betont. E r scheint mir bei der Bekämpfung des chronologischen Generationsbegriffs und seiner aprioristisch-mechanischen Handhabung in polemischer Übertreibung zu weit zu gehen, wenn er schreibt: „Wo aber evidente Generationserscheinungen vorliegen, können sie durch eine widersprechende Chronologie nicht widerlegt werden 2 )." Ein solcher Fall wird praktisch nie eintreten. Die Frage der Außenseiter, die trotz äußerer Gleichzeitigkeit nicht zu ihrer generationbildenden Altersgenossenschaft gehören, dürfte meiner Ansicht nach durch den Hinweis auf die Wirkung der „beharrenden Verbände" (Alewyn) und den Anlagetypus (Petersen 3 )) grundsätzlich geklärt sein, jedenfalls sollte sie bei Entscheidung der Frage, ob eine Generation anzusetzen ist oder nicht, keine Rolle mehr spielen. Methodologisch kommt für den Nachweis der Existenz einer Generation nur eine historisch-phänomenologische Methode in Betracht. Petersen hat in seinem Werk „Die literarischen Generationen" in klar abwägender Besprechung die einzelnen generationsbildenden, d. h. die individuelle Veranlagung nivellierenden Faktoren: Geburt, Bildungselemente, persönliche Gemeinschaft, Generationserlebnisse, Führertum, Erstarren der älteren Generation, Generationssprache als wichtigste Bedingungen für das Werden einer Generation und damit gleichzeitig auch als Hauptkennzeichen einer Generation festgelegt und der Generationsforschung dadurch kräftig weitergeholfen. Ob man im übrigen die Generationssprache wie Petersen als einen generationsbildenden Faktor ansehen will oder, wie ich es lieber tun möchte, als Ausdrucksform einer bereits vorhandenen Generation, x ) „Seltsamer (oder sehr natürlicher ?) Weise spielt das, was wir ein Menschenalter nennen, eine geheimnisvolle Rolle, halb oder ganz gemessen . . . Aber gewiß können ja die Einheiten zuweilen kürzer sein: mehr nach 20 und 10, als nach 30 und 15 Jahren zu gebildet." (W. Pinder, zit. Werk, S. 95/96.) 2 ) R. Alewyn: zit. Aufsatz, S. 523. 3 ) J . Petersen: Wesensbestimmung der deutschen Romantik, S. 145/46.
37 ist eine Frage der Schwerpunktsverlegung. Wenn nämlich der schöpferische Stoßtrupp einer Generation die Grundformen der Generationssprache erst einmal bestimmt hat, wirkt diese natürlich generationsbildend weiter, indem sie innerlich gleichzeitige Individuen anzieht und in die Generation eingliedert. II. K r i t i s c h e B e t r a c h t u n g d e r A z o r i n ' s c h e n „ g e n e r a c i ó n d e 1898*'. Nach dieser kurzen Erörterung der prinzipiell wichtigsten Punkte der Generationsforschung trete ich jetzt in die kritische Besprechung einer Aufsatzreihe von Azorfn ein, in der er seine Auffassung über die „generación de 1898" niedergelegt hat 1 ). Bei der Besprechung dieser kleinen Abhandlung werden auch noch Fragen der Generationsforschung, die ihres spezielleren Charakters wegen bisher nicht berührt wurden, zur Sprache kommen. Die gedankliche und sprachliche Ausprägung des literarhistorischen Begriffs„generación de 1898" oder „del 98", der für das Verständnis der modernen spanischen Geistes- und Literaturgeschichte außerordentlich wichtig ist, geht nicht, wie man bis vor kurzem meinte, auf Azorln zurück noch auf den spanischen Philosophen Ortega y Gasset, sondern auf den bekannten spanischen Politiker D. Gabriel Maura y Gamazo, der im Jahre 1908 gelegentlich einer Polemik mit Ortega y Gasset in der Wochenschrift „Faro" diese Generation und ihre besondere Mentalität zum ersten Male erkannte und mit den Ereignissen von 1898 in Zusammenhang brachte. Den Charakter dieser Generation definierte er damals folgendermaßen: „ E s el Sr. Ortega y Gasset uno de los más valiosos representantes de la generación que ahora llega; generación nacida intelectualmente a raíz del desastre, patriota sin patriotería; optimista, pero no Cándida, porque las lecciones de la adversidad moderaron en ella las posibles exaltaciones de la fe juvenil 2 )." Tatsächlich hat aber erst die obige Aufsatzreihe von Azorin Charakter und Zusammensetzung der sogenannten „generación de 1898" so konstituiert, wie sie in die Literaturgeschichte und literarische Tageskritik übernommen worden ist. Da diese Artikel als Zeitungsveröffentlichungen populär gehalten, nicht streng systematisch durchdacht und aufgebaut waren und auch gar nicht diesen Anspruch erhoben, sondern vielmehr Erinnerungen und ganz persönlich gesehene und gemeinte geistige Zusammenhänge mitteilen wollten, Es handelt sich um 4 Zeitungsartikel, die Azorin unter dem Titel „La generación de 1898" mit anderen journalistischen Arbeiten zusammen in dem Band „Clásicos y Modernos" Madrid 1913 wieder abgedruckt hat. Ich zitiere nach einer Ausgabe aus dem Jahre 1919. Der betreffende Abschnitt steht auf den Seiten 233—257. 2 ) R. Marquina: El Bautista de la 98. Gaceta literaria, V. Jg. Nr. 99, 15. 2. 1931, S. 5, Madrid 1931.
3« wurde der Begriff „generación de 1898" allmählich abgegriffen und, wie ich in der Einleitung schon erwähnte, zu einer nichtssagenden Bezeichnung, einem „comodín crítico". Ich werde nunmehr die vier Artikel einzeln durchgehen, jeweils erst den Inhalt knapp wiedergeben und dann kritisch dazu Stellung nehmen. In dem ersten Aufsatz diskutiert Azorin den Wert des Begriffs ,,Lo viejo y los viejos", der seit der Niederlage von 1898 in Spanien zum Schlagwort geworden war. Alt ist an sich, sagt Azorin, kein Werturteil, sondern nur insofern, als es etwas bezeichnet, was nicht mehr lebendig wirksam ist oder es niemals war. Ist doch auch die revolutionäre Generation von 1898 erst möglich geworden durch die kritische Arbeit von einigen Männern der vorausgehenden Generation; denn ,,. . . nada, ni en el mundo físico ni en el moral, se produce incausadamente; nada puede considerarse como primero; todo tiene sus raíces en el tiempo y se halla engendrado por una vigorosa concasualidad. L a protesta de la generación de 1898 — que Ortega y Gasset ha recordado — no hubiera podido producirse sin la labor crítica de una anterior generación 1 )'*. Um also den Geist von 1898 und sein Werden zu begreifen, muß man versuchen, die „modalidad media del sentir entre los españoles" von 1870—1898 in Dichtung und Gesellschaftskritik zu erfassen. Azorin kritisiert damit seine eigene Haltung von 1898; denn damals hatte er im scharfen Meinungskampf der Lebensarbeit der voraufgegangenen Generation absolut jeden Wert abgesprochen für die Lösung der Aufgaben, die der jungen Generation von der Zeit gestellt wurden, eine Einstellung, die natürlich 1898 ebenso selbstverständlich und berechtigt war wie die Erkenntnis von 1913, daß trotzdem jede heraufkommende neue Generation irgendwie in der vorausgehenden geistig verwurzelt sei. Die Ablehnung von bestimmten Vertretern der älteren Generation wie etwa Baiart, Valera u. a. bleibt außerdem von diesem prinzipiellen Wechsel der Einstellung unberührt. Im zweiten Artikel versucht Azorin die geistige Umwelt, in der die Männer von 1898 aufgewachsen sind, dadurch zu bestimmen, daß er die literarischen Autoren charakterisiert, die für die „modalidad media del sentir entre los españoles de 1870—1898" auf Grund ihrer Beliebtheit und Verbreitung als repräsentativ gelten können. Echegaray, Campoamor und Galdós haben nach Azorin diese geistige Atmosphäre bestimmt: Echegaray, der gegenüber der konventionellen Gesellschaftsmoral nach- und überromantisch die Rechte der Leidenschaft verfocht, Campoamor, der durch seine sentimental wohl temperierte, im Grunde aber radikale Skepsis alle Werte relativierte und Galdós, der rücksichtslos, scheinbar oft mit kalter Objektivität, Spanien in seiner schmachvollen und schmerzlichen Realität vor den *) Azorin: Clásicos y Modernos, zit. Ausgabe, S. 236.
39 Augen seiner Zeitgenossen erstehen ließ: ,,Unid, pues, el grito de pasión de Echegaray al sentimentalismo subversivo de Campoamor y a la visión de realidad de Galdós, y tendréis los factores de un estado de conciencia que habia de encarnar en la generación de 1 8 9 8 . " Der Hinweis Azoríns, daß die den 98ern eigene kritische Empfindlichkeit durch das Schrifttum der Echegaray, Campoamor und Galdós vorbereitet wurde, ist sicher richtig. Dagegen scheint es mir nicht angängig, den „estado de conciencia" einer Generation nur aus Bildungsfaktoren der Vergangenheit, wenn sie auch noch so zutreffend und noch so allgemein charakterisierend oder schematisierend gemeint sind, in der Form herzuleiten, wie Azorin es getan hat. Durch Vergleich der Gesellschaftskritik vor und nach 1898 weist Azorin im folgenden dritten Artikel an einem praktischen Falle die geistige Verbundenheit der 98 er mit der von 1870—1898 geistig maßgebenden Generation nach. Die Gleichartigkeit der von Azorin herangezogenen Werke ist unleugbar; aber da die vor 1898 geschriebenen Werke in der Zeit, als sie erschienen, kaum beachtet wurden und erst nach 1898 zur Wirkung kamen, sind sie für die Zeit von 1870—1898 nicht charakteristisch, sondern sie stellen vielmehr ,,una continuación lógica, coherente, de la crítica social y política" dar, „que desde muchos años antes a las guerras coloniales venía ejerciéndose . . . Desde el siglo X V I I . . . ha existido entre nosotros una aspiración reconstructiva, basada en la crítica, más o menos áspera, más o menos vidente, de nuestras cosas y de nuestras corruptelas 2 )". Dieser dritte Artikel ist infolgedessen mehr ein gelehrter Beitrag zur Geschichte der spanischen Regenerationsliteratur als zur Wesenserkenntnis der Generation von 1898 und ihrer geistigen Ursprünge. Im vierten und wichtigsten Artikel umreißt Azorin die Bedeutung und Stellung der Generation von 1898 in der modernen spanischen Literatur. E r nennt die Schriftsteller, die zu ihr gehören, bezeichnet die literarischen Einflüsse, die auf sie gewirkt haben, charakterisiert ihr Schaffen und gibt einige Anhaltspunkte über gemeinsame Züge und wichtige Ereignisse aus dem Werdegang dieser Generation in den Jahren nach 1898. In der spanischen Literatur hat das Auftreten der Generation von 1898 die Bedeutung einer Renaissance, die, ähnlich wie um 1600, 1760 und 1830, ausgelöst wurde durch die Befruchtung spanischen Geistes mit ausländischem Gedankengut; denn ,,un renacimiento es sencillamente la fecundación del pensamiento nacional por el pensamiento extranjero 2 )". Dabei muß betont werden, daß diese Renaissance nicht erst mit dem Jahre 1898, sondern schon vorher einsetzte, daß aber infolge der Rückwirkung der politischen Ereignisse auf das geistige Leben der Nation die literarische Erneuerungsbewegung an ') Azorin: zit. Werk, S. 241. ) Azorin: zit. Werk, S. 242 u. 248.
2
4°
Tempo und Intensität gewann. Zur Generation von 1898 gehören Valle-Inclán, Unamuno, Benavente, Baroja, Manuel Bueno, Maeztu, Rubén Darío und Martínez Ruiz (Azorín). Ihr Schaffen wird von den verschiedensten ausländischen Autoren beeinflußt, besonders durch Nietzsche, Verlaine und Gautier; in Spanien gehört ihre Vorliebe den primitiven Dichtern (Berceo, Juan Ruiz, Santillana), Góngora und dem Romantiker Larra (Fígaro). Unter den Malern schätzen sie nicht Velázquez und Murillo, sondern den Greco. Außerdem prägt sich in ihren Werken eine besondere Liebe zu den alten kastilischen Städten und zur spanischen Landschaft aus. Von den gemeinsamen Kundgebungen der Generation von 1898 werden erwähnt die Wallfahrt zum Grabe Larras und das Bankett zu Ehren Barajas anläßlich der Veröffentlichung seines Romans „Camino de perfección". Der Artikel vier und damit der ganze Essay schließt ab mit einer Charakteristik der Generation von 1898 in Form einer Aufzählung der Elemente, die an der Ausprägung ihrer Eigenart beteiligt waren. Die wichtigen Schlußsätze, in denen Azorín besonders die geistige Verankerung der 98 er in der Vergangenheit noch einmal mit Nachdruck unterstreicht, lauten: „ L a generación de 1898, en suma, no ha hecho sino continuar el movimiento ideológico de la generación anterior: ha tenido el grito pasional de Echegaray, el espíritu corrosivo de Campoamor y el amor a la realidad de Galdós. Ha tenido todo eso; y la curiosidad mental por lo extranjero y el espectáculo del desastre — fracaso de toda política española — han avivado su sensibilidad y han puesto en ella una variante que antes no había en España 1 )." Ich muß hier, ehe ich auf die Zusammensetzung von Azoríns „generación de 1898" zu sprechen komme, meine früher geäußerten Bedenken noch einmal wiederholen, daß nämlich Azorín in dem Bestreben, die Generation von 1898 in den Gesamtverlauf der spanischen Geistesgeschichte einzuordnen und in der Tradition zu verankern, etwas zu elegant-oberflächlich verfahren ist und die Eigenart der 98 er unzulässig beschnitten hat. Wenn auch bei Charakterisierung einer Generation, die ja eine Kollektiverscheinung darstellt, die kennzeichnenden Merkmale notwendigerweise allgemeinerer Natur sein müssen, so darf das nicht soweit gehen, daß eine Generation fast nur vergangenheits- und milieubestimmt erscheint, wie das bei Azorín der Fall ist, denn der letzte Satz des vorausgehenden Zitates, daß die Generation von 1898 eine Variante im spanischen Geistesleben darstelle, überrascht beinahe. Bei der Auswahl der Schriftsteller, die seine „generación de 1898" bilden, scheinen Azorín zwei Gesichtspunkte geleitet zu haben: 1 . die Tatsache der Zugehörigkeit zu einer konkreten Erlebensund Wirkensgemeinschaft *) Azorín: zit. Werk, S. 255.
41 2. der geistige Rang der einzelnen 98 er unter den Altersgenossen, in den Anfängen der Generationsbildung, kurz nach 1898. Die Geburtslage und der tatsächliche Rang, den einzelne dieser Schriftsteller auf Grund ihrer Leistungen nach heutigem Urteil und auch schon zur Zeit, als Azorin die vorbesprochenen Artikel schrieb (etwa 1912/13), einnahmen, wurden von ihm nicht berücksichtigt. Das hat dazu geführt, daß Maeztu (geb. 1874) und Manuel Bueno (geb. 1874), die 1898 in der journalistischen Polemik gegen die Politiker und Literaten der Restauration das große Wort führten, als 98 er gezählt werden, ihrer wirklichen geistig-literarischen Bedeutung nach, historisch gesehen, aber gar nicht hineingehören, während tatsächlich wichtige Autoren, die außerdem dem Kreise der 98 er auch damals schon nahe standen, wie z. B . Manuel Machado (1874) und besonders Antonio Machado (1875), fehlen. Folgerichtig hätte nämlich Azorin neben Manuel Bueno dann auch noch Gregorio Martínez Sierra (1881), Gómez Carrillo (1873), Francisco Villaespesa (1877) u. a. erwähnen müssen, die auch damals schon eine gewisse Rolle spielten. Ferner hätte bei konsequenter Anwendung des zweiten Gesichtspunktes der konkreten Erlebens- und Wirkensgemeinschaft Unamuno (1864), der wenig in Madrid weilte, nicht unter die 98er gerechnet werden dürfen, oder aber Juan Ramón Jiménez (1881), der in engster geistiger Verbindung mit den g8ern stand, aber in Frankreich lebte, ebenfalls unter den g8ern genannt werden müssen. Der Geburtslage nach, die Azorin gegenüber der Tatsache der Zugehörigkeit zur konkreten Erlebens- und Wirkensgemeinschaft der 98 er nicht in Anschlag bringt, gehören weder Unamuno noch Juan Ramón Jiménez zur Generation von 1898: denn Unamuno ist ca. 10 Jahre älter als die Schriftsteller Baroja (1872), Azorin (1873 1 )), Machado (1875), die den Kerntrupp der 98er bilden, Juan Ramón Jiménez beinahe 8 Jahre jünger. Ebensowenig ist Rubén Darío, geboren 1867 bei dem Städtchen León in Nicaragua, ein 98er. E r kam zwar im Januar 1899 von Amerika nach Spanien und lebte bis zur Eröffnung der Pariser Weltausstellung (1900) im Kreise der Madrider Literaten. E r nahm auch an dem traurigen Geschick, das Spanien getroffen hatte, nach eigenem Bekenntnis stärksten inneren Anteil; aber das waren mehr verwandtschaftliche als persönliche Empfindungen. Diese Gefühle bewegten ihn, erschütterten ihn aber nicht im Innersten und konnten niemals auf ihn erlebnishaft formenden Einfluß gewinnen: denn Dario war kein Nationalspanier und kein Werdender wie die 98 er, sondern er kam im Jahre 1899 als Vollendeter, dessen geistige und literarische Bahn schon festgelegt war (1888 ,,Azul . . sein ErstDie Jahreszahl 1873 als Geburtsjahr Azorins entnehme ich der Azorinbiographie von Ramón Gómez de la Serna, der das Material dazu von Azorin selbst bekommen hat. Azorin, Madrid 1930, S. 59.
42 lingswerk, 1896 ,,Prosas profanas", ein reifes Meisterwerk) aus Südamerika — einem ganz anderen Milieu — nach Spanien, wo er auf die jungen Literaten einen tiefgehenden Einfluß ausübte. Diese Ausstellungen dürften wohl zeigen, daß die Verschwommenheit des literarhistorischen Begriffs „generación de 1898" in der modernen spanischen Literaturgeschichte aus einem „peccatum originis" zu erklären ist, insofern, als dem Azorfn'schen Begriff von vornherein klare Aufbauprinzipien fehlten und die bei der Konstitution der Gruppe der 98 er angewandten Gesichtspunkte nicht einmal konsequent durchgeführt wurden. Im Anschluß an die Ergebnisse der modernen Generationsforschung soll nun versucht werden, solche Aufbauprinzipien in Gestalt wichtiger Generationsmerkmale für die spanischen Schriftsteller um die Jahrhundertwende, die sogenannte „Generation von 1898", festzulegen, durch konsequente Anwendung der gefundenen Kriterien auf die als 98 er in Frage kommenden spanischen Literaten die Generation von 1898 neu zu konstituieren und damit den daraus abgezogenen literarhistorischen Begriff „generación de 1898" für die moderne spanische Literaturgeschichte wissenschaftlich zu begründen.
III.
Definition
des
„Generation
von
literarhistorischen 1 8 9 8 " und F e s t l e g u n g
Begriffs ihrer
Zusammensetzung. Generationserlebnis und Geburtslage sind die wichtigsten generationsbildenden Faktoren. Die Geburtslage bestimmt die „allgemeine Generationslagerung, die nichts anderes bedeutet als daauf einen bestimmten Raum beschränkte gemeinsame Zeiterleben 1 )," das Generationserlebnis schafft den „Generationszusammenhang, der sich als Schicksalsgemeinschaft zwischen den in derselben Lagerung befindlichen Individuen herstellt 1 )". Zwischen beiden Faktoren besteht eine enge Wechselbeziehung insofern, als die Stärke des Generationserlebnisses die Wichtigkeit der Geburtsnähenlage herabmindern kann, während bei günstiger Geburtslage, d. h. bei ausgesprochener Gleichaltrigkeit auch ein weniger aufwühlendes Ereignis als auslösender Faktor der Generationsbildung wirken kann. Die politischen Ereignisse von 1898 in Spanien stellen ein s t a r k e s G e n e r a t i o n s e r l e b n i s dar. Durch die im Pariser Frieden (1898) erzwungene Abtretung seiner letzten überseeischen Kolonien Kuba und Philippinen an die Vereinigten Staaten kam Spanien zur Selbstbesinnung und merkte erst, daß es keine Weltmacht, ja nicht einmal mehr eine europäische Großmacht war. Die überhebliche Kriegsbegeisterung, die einen raschen Sieg erhofft hatte, schlug in ') J . Petersen: Die literarischen Generationen, S. 36.
43 verzweifelte Niedergeschlagenheit um. Man glaubte das finis Hispaniae gekommen. Man fragte verstört nach den Ursachen dieses katastrophalen Zusammenbruchs, suchte nach Schuldigen und erschöpfte sich in Anklagen und ohnmächtiger Wut. Diese Stimmung war die Atmosphäre, in der der Geist der Generation von 1898 geboren wurde. Der düstere Pessimismus und die überschärfte kritische Empfindlichkeit, die sich in den Werken der 98 er allenthalben zeigt, sind der geistige Niederschlag jener Tage, jener Jahre nach 1898. Im heroischen Ertragen und aus dem konsequenten Ausformen dieses Erlebnisses in sich erwuchs den Männern der Generation von 1898 der Glaube und die Hoffnung auf ein neues Spanien, um das sie gerungen und für das sie sich geopfert haben. „ I m Rahmen des Generationszusammenhangs, der die an gleicher historisch aktueller Problematik orientierte Jugend verbindet, bilden sich Generationseinheiten als Gruppen, die in verschiedener Weise diese Erlebnisse verarbeiten. Innerhalb jeder Gruppe kommt ein einheitliches Reagieren und verwandtes Mitschwingen zustande, während sie untereinander polar entgegengesetzt sein können; aber gerade dadurch, daß sie aufeinander, wenn auch kämpfend, abgestimmt sind, bleiben sie im Generationszusammenhang 1 )." Unter dem Eindruck der Ereignisse von 1898 bildete sich in Madrid eine Gruppe von Literaten, Künstlern, Journalisten und Studenten, die sich in bestimmten Cafés der Hauptstadt (zuerst im Café de Madrid, später in dem Café de Levante, Café de la Carrera de San Jerónimo, Café inglés) regelmäßig, fast täglich trafen und in erregten Debatten politische und literarisch-künstlerische Fragen diskutierten: ,,lo que constituía el nervio de nuestra reunión", berichtet Ricardo Baroja, „era la salvaje independencia de juicio de cada uno de nosotros. Por eso las discusiones se hacían interminables; duraban a veces, días y días 2 )." Der ursprüngliche Einheitscharakter der Gruppe, die sich anfangs fast nur aus Literaten zusammensetzte, ging bald verloren: „ E n el café de Madrid se iban señalando dos tendencias, y, por lo tanto, dos grupos que tendían a separarse. Uno capitaneado por Benavente, que llevaba tras de sí a los que le admiraban por sus escritos escénicos; otro grupo, a cuyo frente iba Valle-Inclán, revolucionario, indisciplinado y revoltoso . . . E n el grupo de Benavente todos literateaban más o menos, en él de ValleInclán, más abigarrado, figurábamos literatos, caricaturistas, cómicos, pintores y algún estudiante 3 )." Auch Gómez de la Serna spricht in seiner Azorínbiographie von der Koexistenz zweier Gruppen: „Uno formado por Azorín, Baroja, Maeztu, José Ignacio Alberti, Gandía . . . Cornuty y otro grupo un J . Petersen, zit. Werk, S. 36. ) Ricardo Baroja: Valle-Inclán en el Café, La Pluma, Jg. IV, Nr. 32, S. 56, Madrid 1923. s ) R. Baroja: zit. Aufsatz, S. 50. 2
44 poco màis aparte formado por Valle-Inclán, Benavente, Manuel Bueno y algunos corifeos. Benavente, aunque a veces v a y a con ellos, es un poco chisgarabís y eso le aparta del grupo crédulo, menos fácil que él, más hondamente preocupado 1 )." Ob die Gruppen Ricardo Baroja's und Gómez de la Serna's die gleichen sind oder ob es drei Gruppen gab, deren Wortführer ValleInclán, Benavente und Azorín waren, läßt sich auf Grund der beiden zitierten vage gehaltenen Berichte nicht einwandfrei entscheiden. Ich möchte jedoch annehmen, daß R . Barojas Gruppe „Benavente" mit Gómez de la Sernas Gruppe ,,Azorín" identisch, mithin in beiden Berichten von denselben Gruppen die Rede ist. Ich glaube das aus den Andeutungen von Gómez de la Serna schließen zu dürfen, nach denen Benavente keiner der beiden Gruppen — (Azorín = ValleInclán) — ganz zuzurechnen war: ,,Ni Valle mismo tenía grandes relaciones con Benavente. Les interesaba pero había cierto recelo entre unos y otros y una pugna mayor quizás contra el grupo de Azorín 1 )." Obwohl Benavente seiner ganzen Einstellung und Veranlagung nach innerlich zu der rein künstlerisch orientierten Gruppe Valle-Inclán gehörte, scheint er sich doch zeitweise, aus Neigung oder auch aus Antagonismus gegen Valle-Inclán, zu den literarisch und politisch interessierten g8ern Azorín, Baroja und Maeztu geschlagen zu haben, um sich übrigens bald überhaupt zurückzuziehen. Als Autor, der bereits Werke veröffentlicht und einen Namen hatte, und als Herausgeber der Zeitschrift „Vida literaria", in der die ersten modernen spanischen Dichtwerke in Vers und Prosa erschienen waren2), nahm Benavente unter den jungen, sämtlich noch unbekannten Schriftstellern eine natürliche Führerstellung ein, in die nach seinem Weggange Azorín einrückte. Auf diese Weise ließen sich etwa die beiden Berichte, von denen der von Gómez de la Serna zweifellos sich auf ein späteres Entwicklungsstadium der Generation von 1898 bezieht, in Einklang bringen. Außer dem fast täglichen Umgang und der persönlichen Bekanntschaft bekunden die Generationseinheit und den Generationszusammenhang, auch noch nach der Spaltung in Gruppen, die gemeinsam herausgegebenen zahlreichen, meist kurzlebigen Zeitschriften, an denen alle Schriftsteller der genannten zwei oder drei Gruppen mitarbeiteten. Solche Zeitschriften sind der nur einmal erschienene „Mercurio" (1898), dann „Vida Nueva" (Madrid 1898/99), „Madrid Cómico" und „Vida literaria" (Madrid 1898/99), „Revista Nueva" (Madrid 1899), „Helios" (Bilbao 1903/04), „Alma española" (Madrid 1903), die Zeitschrift „Juventud", deren künstlerischer Leiter der berühmte Pablo Ruiz Picasso war, „Electra", „Revista Ibérica" usw; Außerdem müssen hier noch die zahlreichen gemeinsam durchgeführten Pressefehden in links gerichteten, bereits bestehenden *) R. Gómez de la Serna, zit. Werk, S. 89 bzw. 90. a ) M. Machado: La guerra literaria, Madrid 1914, S. 29/30.
45 Zeitungen wie „ E l Globo", „ E l País" und „ E l Imparcial" erwähnt werden, in denen die 98 er die Politiker und Literaten der Restauration öffentlich und scharf bekämpften. Während die revolutionären Kundgebungen der Gruppe „ValleInclán" sich unter dem Einfluß von Tabak und Kaffee in hitzigen Wortgefechten in den genannten Cafés und in gelegentlichen Provokationen der Polizei mit scherzhaftem Ausgang erschöpften, war die Aktivität der Gruppe „Azorin" ernsthafter und positiv gerichtet. Im Jahre 1901 unternahmen Azorin, Baroja, Maeztu und andere dieser Gruppe eine Reise nach Toledo, und nach einem reichlichen Mahl erklärten sie sich voller Überschwang im großen Sitzungssaale der Regierung als Anarchisten 1 ). Die wahre Bedeutung und der Sinn dieser Reise liegt jedoch darin, daß die 98er beim Besuch des altertümlichen historischen Toledo und seiner reichen Kunstschätze bewußt den Kontakt mit der großen spanischen Vergangenheit aufnahmen, aus der die Liebe zu dem Spanien, wie es jetzt war, in all seiner Schande und seinem Elend, aufkeimte. Die nächste gemeinsame Aktion dieser Gruppe war der Propagandafeldzug für die Errichtung eines Denkmals des „unbekannten spanischen Soldaten" (für „ J u a n español"), der ruhmlos und unbekannt in den Kolonialkriegen für Spanien gefallen war. Das Denkmal wurde errichtet und steht heute noch in dem Parke der Moncloa in Madrid 2 ). Eine sehr wichtige Kundgebung war die Wallfahrt zum Grabe Larra's am 13. Februar 1901, die Azorin ausführlich beschrieben und auch in seinem Roman „ L a Voluntad" verwertet hat 3 ). Mit Zylinder und Veilchensträußchen in der Hand zogen die jungen Literaten über die Calle de Alcalá, eine der Hauptverkehrsstraßen Madrids, zum Bahnhof Atocha und dem dort in der Nähe gelegenen Friedhof San Nicolás, wo Larra begraben liegt. Am Grabe Larras verlas Azorin eine Proklamation, die mit dem Bekenntnis schloß: „Maestro de la juventud presente es Mariano José de L a r r a ! " Ebenso bedeutsam als Zeichen der inneren Verbundenheit der 98 er war das zu Ehren Barrajas anläßlich der Veröffentlichung seines Romans „Camino de perfección" veranstaltete Bankett, das a l l e Gruppen der Generation von 1898 wieder einmal zusammen sah. Das Festessen fand in einem klassischen Lokal, dem „Parador de Barcelona," in Madrid am 25. März 1902 statt. Von dem Geist, in dem diese Feier begangen wurde, möge das Bruchstück eines Berichts über die Reden zeugen, die auf dem Bankett gehalten wurden: . . . Hija de una generación escéptica en el fondo, declamadora en la forma, la juventud moderna ha sufrido durante su infancia y su ') R. Gómez de la Serna, zit. Werk: S. 193. ) Ebenda S. 196. ) Azorin: RivasyLarra, S. 186ff. und La Voluntad, S. 241/42, Madrid 1919. 2
3
46 adolescencia el triste influjo que sobre las almas ejerce la falta de ideales. Ha venido a la vida del pensamiento cuando nuestra leyenda se desplomaba con estrépito, cuando la patria se achicaba casi sin lucha, y cuando el arte perdía toda su originalidad. Ante semejante espectáculo, las almas jóvenes protestan y se revuelven contra los que consideran disipadores de la herencia nacional, y confunden en un mismo anatema a los políticos, a los pensadores, a los soldados y a los poetas, en fin, a cuantos forman la generación que va desapareciendo 1 )." Schließlich sei auch noch als Kuriosum und Beweisstück für die „vielseitige Aktivität" der 98er erwähnt, daß die bekannte Madrider Schauspielerin und Tänzerin „Chelito" von ihnen entdeckt und sozusagen kreiert wurde als Schöpferin des „ritmo que correspondía a la sincera alborada de un siglo; un ritmo de mayor despertamiento y con más audaz quererlo decir todo 1 )". Auf Grund der eben geschilderten Tatsachen, die sich um die beiden Punkte „Generationserlebnis" und „persönliche Generationsgemeinschaft" gruppieren, hätten als 98er zu gelten: Benavente (1866), Valle-Inclán (1869), Pío Baroja (1872), José Martínez Ruiz (Azorín, 1873), Ramiro de Maeztu (1874), Manuel Bueno (1874); außerdem die beiden Lyriker Manuel Machado (1874) und Antonio Machado (1875), die ebenfalls in enger persönlicher und geistiger Verbindung mit den Schriftstellern der beiden Gruppen „ValleInclán" und ,,Azorín" standen. Auch Gómez de la Serna nennt sie „más parejos de la generación del 98" als Juan Ramón Jiménez (1881), ,,el poeta lejano a esos hombres (98er) . . . pero el que va con ellos 1 )". Bei der Betrachtung der G e b u r t s j a h r e der 98er drängt sich unmittelbar der enge Zusammenhang zwischen der Geburtslage und der Gruppenbildung auf. Die Gruppe „Azorín", der eigentliche Stoß- und Kerntrupp der 98er, ist gleichaltrig, jedenfalls nahezu gleichaltrig. Stichjahr ist 1873. Valle-Inclán ist auf das Stichjahr 1873 bezogen vier, Benavente sieben Jahre älter als die Männer der Gruppe ,,Azorín"; zwischen Benavente und Valle-Inclán dagegen beträgt die Altersdifferenz nur drei Jahre. Sollte nicht bei der sekundären Gruppenbildung ebenso wie bei der Generationsbildung die Geburtslage entscheidend mitgewirkt haben ? Die Tatsachen legen eine solche Deutung jedenfalls sehr nahe. Alle 98er waren Literaten. Alle waren sie einig in der Ablehnung der Generation der Restaurationszeit. Alle hatten sie sich ursprünglich unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse von 1898 zu einer einheitlichen Erlebens- und Wirkensgemeinschaft zusammengefunden. In der Gruppe ,,Azorín" waren Männer zusammen wie x ) R. Gómez de la Serna, zit. Werk: S. 207 (S. 203—208, ausführliche Schilderung des Banketts), S. 215, S. 96.
47 Azorín, Baroja und Maeztu, die ihrem Charakter und ihren Ideen nach sehr verschieden waren. Andererseits waren Benavente und Valle-Inclán in ihren literarischen Zielen und in ihrem literarischkünstlerischen Geschmack durchaus wesensverwandt. Warum bildet sich doch eine Gruppe ,,Azorín", eine Gruppe „Valle-Inclán" ? Warum zieht sich Benavente nach kurzem Schwanken zwischen beiden Gruppen — im Banne des Generationserlebnisses, das ihn gerade noch erfaßt hatte — ganz auf sich selbst zurück ? Neben diesen wichtigsten generationsbildenden Faktoren: „Generationserlebnis", „persönliche Generations- und Wirkensgemeinschaft", „Geburtslage" hat, wie schon angedeutet, auch der Widerstand gegen die voraufgegangene Generation („Erstarren der älteren Generation" nach Petersen) und, bedingt durch die annähernd gleiche Geburtslage und Zugehörigkeit zu derselben sozialen Schicht (mittleres und gehobenes Bürgertum), die Gleichheit der „Bildungselemente" die Formation der Generation von 1898 begünstigt. Auch die Tatsache gemeinsamer geistiger Führer — gedanklich-philosophisch: Schopenhauer und Nietzsche, literarisch: Verlaine, Rubén Dario und die französischen Symbolisten, politisch: Costa — sicherte den Generationszusammenhang. Da eine Verwandtschaft des Anlagetypus (emotional-rational unausgeglichen, romantisch zerrissen) noch hinzu kam, hat auch die Herkunft der 98 er aus den verschiedensten Gegenden Spaniens die Generationsbildung in keiner Weise hemmend beeinflussen können. Von der „Generationssprache" als generationsbildendem Faktor werde ich hier nicht sprechen, da ich, im Gegensatz zu Petersen, in ihr weniger einen generationsbildenden Faktor als eine wesentliche Ausdrucksform für die Eigenart einer Generation sehe.
Durch die vorstehenden Ausführungen über das Auftreten und die allgemeinen Entwicklungsbedingungen der Generation von 1898 ist der Beweis für die Existenz dieser Generation erbracht und ihre Zusammensetzung im UmriU festgelegt. Man wird daher in Zukunft den Widerspruch aus der Mitte der von Azorín als 98 er „etikettierten" Schriftsteller, die die Existenz dieser Generation und ihre Zugehörigkeit zu ihr ableugnen wollen, nicht mehr ernst zu nehmen brauchen, sondern ihn ansehen als das, was er wirklich ist, einen Akt der Notwehr zum Schutze der eigenen Persönlichkeit, den Ausdruck eines ausgesprochen übersteigerten Selbst- und Unabhängigkeitsbewußtseins, das für die 98 er sämtlich charakteristisch ist. Die Art und Weise nämlich, wie sie ihre Auffassung begründen, wirkt durchaus nicht überzeugend. Die angeführten Argumente sind wenig stichhaltig. So hat z. B . Valle-Inclán mir gegenüber im Gespräch die Existenz der Generation von 1898 geleugnet mit dem Hinweis, daß das Jahr 1898 nur politische Bedeutung habe, als ob
48 politisches und geistiges Leben sich, hermetisch voneinander abgeschlossen, getrennt entwickelten. Auch Pío Baroja hat in der ihm eigenen launig-übellaunigen Weise in seinen „Divagaciones apasionadas" die Existenz der Generation von 1898 mit den Worten abgestritten: „ Y o no creo que haya habido, ni que haya, una generación de 1898. Si la hay, yo no pertenezco a ella . . . Con 1898, época del desastre colonial, yo no me encuentro tener relación alguna. Ni yo colaboré en ella, ni tuve influencia en ella, ni cobré ningún sueldo de los Gobiernos de aquel tiempo, ni de los que les han sucedido . . . Ni por tendencias políticas o literarias ni por el concepto de la vida y del arte, ni aun siquiera por la edad, hubo entre nosotros carácter de grupo. La única cosa común fué la protesta contra los políticos y los literatos de la Restauración. Una generación que no tiene puntos de vista comunes, ni aspiraciones iguales, ni solidaridad espiritual, ni siquiera el nexo de la edad, no es generación; por eso la llamada generación de 1898 tiene más carácter de invento que de hecho real 1 )." Anschließend spricht Baroja noch von den ausländischen Einflüssen, die auf die einzelnen sogenannten 98er gewirkt haben. Er nennt als 98er Benavente, Valle-Inclán, Unamuno, Maeztu, Azorin (es fehlen also gegenüber der Liste von Azorin Manuel Bueno und Rubén Darío!), ergänzt noch einige Namen ausländischer Autoren, die die 98 er beeinflußt haben, und wundert sich schließlich darüber, daß nicht auch Blasco Ibáñez von Azorin unter die 98er gerechnet worden ist. Den meisten dieser haltlosen Behauptungen gegenüber verweise ich auf meine vorausgehenden Ausführungen und bemerke nur, daß Baroja zwei der wichtigsten Merkmale, die Azorin in dem früher besprochenen Essay über die „generación de 1898" als wesentliche Kennzeichen der 98 er anführt, nämlich den „espíritu de protesta" und die „curiosidad por lo extranjero", bestätigt! Blasco Ibáñez (geb. 1867) könnte allerdings seinem Alter nach gerade noch zur Generation von 1898 gehören. Seine robust unkomplizierte Natur wurde jedoch von den Ereignissen von 1898 in keiner Weise berührt. Er fand daher auch nicht den Weg zu den 98ern. Anlagetypus und enge Verbundenheit mit seiner Valencianer Heimat, über die er seine besten Romane: „ L a Barraca", „Arroz y Tartana" geschrieben hat, verhinderten bei ihm den Anschluß an seine Alters- und Generationsgenossen. Der erste Versuch nun, eine Generation von 1898 unter Anlegung eines historischen Maßstabes zu konstituieren, ist von Ramón Gómez de la Serna in seiner mehrfach bereits zitierten Azorinbiographie unternommen worden, allerdings nicht etwa in wissenschaftlicher Form, sondern ebenso impressionistisch, literarisch und dilettantisch, ') P. Baroja: Divagaciones apasionadas, Madrid 1927, S. 28,
30/31.
49 wie Azorin seinerzeit die „generación de 1898" zusammengesetzt hatte. Doch wurde Gómez de la Serna dafür von sicherem literarischem Instinkt geleitet und sah, durch den Abstand von Ereignissen und Personen unterstützt, die Generation von 1898 im wesentlichen verkörpert in dem Dreigestirn Azorin, Baroja und Valle-Inclán „componiendo entre los tres una especie de suero trivalente que levantó a la literatura nacional de aquel momento, necesitada de antitoxina (Azorín) de realidad para acabar con la realidad chabacana, antitoxina (Baroja) de cursilería prolija y antitoxina (Valle) de la poética mala de la mala prosa 1 )." Viele waren berufen, als Vorbereiter, als talentierte Mitläufer oder nur als Chor der 98er an deren historischer Aufgabe mitzuwirken, aber wirklich vollbracht haben sie nur diese drei Männer: „Todos discutían, temblaban de innovarse y sólo ellos siguieron nadando, siendo como los únicos supervivientes de una generación de millones que se quedaron al otro lado, mientras a ellos tres damos la mano en esta orilla 2 )." Ais 1930 „Ramóns" Biographie über Azorín, zu der ihm dieser selbst wertvolles Material zur Verfügung gestellt hatte, erschien, begrüßte ich besonders diese starke Reduktion der Generation von 1898, die meiner gleichgerichteten Absicht weitgehend entgegenkam und Augenblicksgrößen wie Ramiro de Maeztu und Manuel Bueno ebenso ausschied wie Unamuno, Rubén Darío oder auch Angel Ganivet (geb. 1865), die die 98er wohl stark beeinflußt, sie, auch persönlich (mit Ausnahme von Ganivet) gekannt und mit ihnen Umgang gepflegt und sie ermutigt haben, also Wegbereiter und streckenweise sogar Weggenossen, aber selbst keine 98er sind. Und doch ist diese Vereinfachung „Ramóns" insofern zu gewaltsam und historisch nicht richtig, als Benavente, der Schöpfer des modernen spanischen Dramas, und Antonio Machado, der bedeutendste Vertreter modernistischer und zugleich doch echt spanischer Lyrik, in „Ramóns" Generation von 1898 fehlen. Nachdem nunmehr in den vorausgehenden Untersuchungen die Frage der Existenz der Generation von 1898 in bejahendem Sinne entschieden und auch die verschiedenen Versuche, ihren Umfang festzulegen, erörtert worden sind, glaube ich jetzt den literarhistorischen Begriff „Generation von 1898" definieren und die Generation von 1898 dementsprechend konstituieren zu können. Das Jahr 1898 wird in der spanischen Geistesgeschichte gekennzeichnet durch das Erwachen eines starken kritischen Geistes, der nach der schmachvollen und unerwarteten Niederlage im Kriege mit Amerika, von dem heißen Wunsche nach innerer Erneuerung getrieben, alle durch Tradition und Konvention überkommenen Werte einer rücksichtslosen Prüfung unterzieht. *) R. Gómez de la Serna: zit. Werk, S. 105. Ebenda.
a)
J e 1 c h k e , Beiheft zur Zeiuchr. t. rom. Phil. L X X X I I I .
A
5o Unter „Generation von 1898" möchte ich dementsprechend diejenigen Schriftsteller, nach Maßgabe ihrer geistigen oder literarischen Bedeutung, zusammenfassen, deren Wesen und Schaffen durch den Geist, den die politischen Ereignisse von 1898 in Spanien auslösten, seine entscheidende Prägung erfuhr. Unter Ausschaltung der Wegbereiter: Unamuno, Ganivet und Rubén Dario, der Zeitgrößen: Maeztu, Manuel Machado und Bueno, der Mitläufer: Villaespesa, Marquina, Martínez Sierra u. a., des großen Chors der Alejandro Sawa, Ricardo Baroja, Camilo Bargiela, Luis Bello, Gómez Carrillo usw. gehören meiner Ansicht nach zur Generation von 1898 nur: der Dramatiker Benavente, die Prosaschriftsteller : Valle-Inclán, Baroja, Azorin und der Lyriker Antonio Machado.
B . D i e geistige Struktur der Generation von I. P e s s i m i s t i s c h e s
1898.
Lebensgefühl Denkweise.
und
skeptische
Instinkte und Gedanken der im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit Bewußtsein ins Leben tretenden europäischen Jugend werden bestimmt und formuliert durch Schopenhauer und Nietzsche 1 ). Die Welt der Tatsachen wird dem Willkürspiel der Vorstellung2), der subjektiven Interpretation ausgeliefert und muß natürlich in dem Augenblick enttäuschen, wo die idealistischen Zerrbilder Wirklichkeitsscharakter annehmen sollen. Die Überzeugung ersteht, daß nicht das Ideal, die Denkform, falsch, sondern nur der Wille zu schwach ist, um es zu verwirklichen. Man verzweifelt infolgedessen an seinem Wert, wird pessimistisch, nihilistisch. Und da man an nichts mehr glauben und sich daher auch für nichts mehr vollinhaltlich einsetzen kann, entbehrt man resigniert — oder genießt — oder tut beides periodisch. Diese Seelenlage, die zu einem Leiden am Ich führt, ist, noch verschärft durch den tatsächlichen Niederbruch von 1898, auch die der spanischen Jugend.
In einem „Los enfermos del
l ) Die erste französische Ubersetzung von Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung** erschien in den Jahren 1888—1890 in 3 Bänden, fibersetzt von Burdeau, die von Nietzsches Hauptwerken im Zeitraum von 1893—1900. Für Spanien vgl. Azorin: Clás. y Modernos, Madrid 1919, S. 251/52 und L a Voluntad, Madrid 1919, S. 265: Pío Baroja: Juventud, Egolatría. Madrid 1920, S. 151/53; Maeztu: Hacia otra España. Bilbao 1899, S. 224/25. *) „ L a imágen lo es todo" (Azorin, L a Voluntad. S. 34, 110, 177, 193. 199. 274/75). „No me asustas, tempestad, por más que brames; no eres más que un aspecto, y un aspecto insignificante del mundo de los fenómenos." (Baroja: Paradox, Rey. Madrid 1906, S. 80. Ferner „Camino de perfección", S. n o , Madrid 1920.)
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ideal" betitelten Aufsatz ) hat Urbano González Serrano die Psychologie dieser Generation wie folgt charakterisiert: „Los enfermos del ideal, ascetas del alma, sin vigor en la voluntad, llegan a la contradicción más completa en todo. Sienten surgir al lado del anhelo religioso las audacias intelectuales, su misticismo v a acompañado de una curiosidad insaciable, amalgaman el valor y la debilidad, la ambición y la apatía, la timidez y el orgullo, el candor y la ironía, la desesperación y la frivolidad, el gusto de las grandes cosas y el infantilismo. Piensan como hombres, sienten como mujeres y obran como niños." Hellsichtiger Intellekt, krankhafte Sensibilität und Willensschwäche sind denn tatsächlich auch die Grundelemente der geistigen Struktur der Generation von 1898 in Spanien. Die vom Spiel oder vom unbestechlichen Wahrheitsdrang des Intellekts zersetzten sozialen, moralischen und seelischen Werte bieten dem Willen keinen Angriffspunkt mehr zum Handeln, das Seelenleben entartet und wird zum Seziersaal der eigenen Empfindungen und Gedanken und zum Tummelplatz raffinierter Sinnessensationen herabgewürdigt. Dieser Jugend, die sich durch die äußeren politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Spanien nach 1898 und durch ihre innere Lage zur Untätigkeit verurteilt fühlte und in Pessimismus und Selbstkritik verkam, erschien Nietzsche vor allem als Künder von der Macht des Willens, als „profesor de energía", und seine Lehre von der Entfesselung der Willensinstinkte durch den Willen zur Macht als neue erlösende Zielsetzung, die Befreiung vom Ich durch Expansion nach außen zu verheißen schien. „Falta de f e " infolge radikaler Skepsis ist der psychologische Grundzug der 98 er, bedingt ihr durch die Zeitlage verstärktes und gewissermaßen bestätigtes pessimistisches Lebensgefühl und die so oft von ihnen beklagte Willensschwäche (abulia). „ L a inteligencia es el mal", das alle klar erkennen und an dem sie leiden; denn „Comprender es entristecerse; observar es sentirse vivir . . . Y sentirse vivir es sentir la muerte, es sentir la inexorable marcha de todo nuestro ser y de las cosas que nos rodean hacia el océano misterioso de la Nada . . . 2 ). Die Sehnsucht nach einer neuen Sinngebung des Daseins und das resignierte Gefühl, diese Sehnsucht nie erfüllt zu sehen, durchzieht als melancholische Grundstimmung ihre Werke. Die gleiche seelische Ausgangssituation findet sich übrigens auch schon bei Unamuno (1864) und Ganivet (1865), die ich als Wegbereiter und Vorläufer der Generation von 1898 ansehe, und ihr, abgesehen von den früher angeführten Gründen, deshalb nicht zurechne, weil sie trotz aller Skepsis noch mit stark vitalem gläubigen Pathos nach Lösung ihres seelischen Konflikts suchen — und sie !) U. González Serrano: Los enfermos del ideal. Vida literaria, April 1899 (Nr. 14) S. 171. 2 ) Azorín: La Voluntad (!), Madrid 1919, S. 160. 4*
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zu finden hoffen. Unamuno läßt nicht nach, in all seinen Schriften durch die willkürliche „lógica de la pasión" sich und uns zu beweisen, daß es einen Gott geben muß. weil er als geistige Persönlichkeit unsterblich sein will, und poltert bei der Annahme, daß man ihm das womöglich nicht glauben könnte, weil er natürlich zwingend sich selbst auch nicht überzeugen kann. Der Lösungsversuch Ganivets ist identisch, wenn auch zeitlich früher: „Crearse un alma inmortal en su alma terrenal 1 )." Der Sinn des Lebens erschließt sich im Tode: „No está la verdad delante? Sí. Muriendo la hallarás 2 )." 33 Jahre alt sucht er den Tod in den Wellen der Düna. In Baroja ist der Wahrheitsdrang nicht weniger stark als bei Unamuno und Ganivet, aber intellektuell mehr temperiert und resigniert. E r wagt die Wirklichkeit der Welt so zu sehen, wie sie ist, oder er versucht es jedenfalls, nüchtern, realistisch bei aller Romantik des Empfindens. E r hält sich gelegentlich für einen Materialisten insofern, als er im Materialismus nicht etwa ein philosophisches System begreift, sondern „un procedimiento científico que no acepta fantasías ni caprichos" 8 ). Als Skeptiker und Phänomenologe, ohne es zu wissen, verzichtet er auf eine Deutung der Welt, weil er weiß, daß dabei notwendigerweise eine Konstruktion herauskommt, und obwohl er weiß, daß Lüge und frommer Selbstbetrug eigentlich das Leben erst möglich machen; denn „la mentira es lo más vital que tiene el hombre . . . Esta gran Maia de la ficción sostiene todas las bambalinas de la vida, y cuando caen unas, levanta otras . . . La mentira es mucho más excitante que la verdad, casi siempre es más tónica y hasta más sana. Y o lo he comprendido tarde. Por utilitarismo, por practicismo, debíamos buscar la mentira, la arbitrariedad, la limitación. Y , sin embargo, no la buscamos. ¿Tendremos, sin saber, algo de héroes? 4 )" Der mehr feminine Azorín flüchtet sich in ein pantheistisches Weltbild, das auch für Baroja zeitweilig die große Verführung bedeutete5). Der Gedanke, daß alles vergänglich ist und alles wiederkehrt (Nietzsche!), bringt eine gewisse Stabilität in Azorins Seelenstimmung. E r versenkt sich, von einem Gefühl der Schicksals') A. Ganivet: El escultor de su Alma, Madrid 1926, S. 1 1 2 . ') Ebenda S. 48/49. Vgl. dazu die eingehende Analyse und Deutung dieses Werkes in meiner Dissertation: Angel Ganivet. Seine Persönlichkeit und Hauptwerke. Revue Hispanique, Bd. 72, S. 228ff. New YorkParis 1928. *) P. Baroja: Juventud, Egolatría, Madrid 1920, S. 29. *) Baroja, Juventud, Egolatría. S. 30, ähnlich schon im „Arbol de la Ciencia, S. 180/81 (Madrid 1 9 1 1 ) , zitiert nach Ausgabe: Madrid 1929. s ) Baroja: Paradox, Rey. S. 68/69: „oh, la extraña poesía de las cosas vulgares! . . . ¡Oh, modestos acordeones! ¡ Simpáticos acordeones! Vosotros no contáis grandes mentiras poéticas como la fastuosa guitarra . . . vosotros decís de la vida lo que quizás la vida es en realidad: una melodía vulgar, monótona, ramplona, ante el horizonte ilimitado..."
53 sympathie getrieben, liebevoll in die Kleinwelt der Dinge — „ V i v a la bagatela" hat Cansinos-Asséns als Formel dieser Art von Weltbetrachtung geprägt — und lebt und liebt sich selbst schließlich „como una cosa" 1 ). Wenn man genau zusieht, ist diese auf Resignation basierende Weltanschauung der rein phänomenologischen Barajas 2 ) durchaus wesensverwandt und nur durch den Charakter beider Persönlichkeiten nuanciert: Baroja bewahrt die Distanz zu den Dingen, stellt sich ihnen betrachtend gegenüber, Azorin geht zu ihnen hin und möchte in ihnen aufgehen. Bei dem Dramatiker Benavente ist es infolge des Charakters seiner Kunst schwer, aus seinen Werken Anhaltspunkte für seine Anschauungen zu gewinnen. Immerhin läßt sich aus der allgemeinen Atmosphäre seiner Dramen, der Themenwahl, der scheinbar gleichgültig ironisch-weltmännischen Art, mit der er die Wirklichkeit darstellt, herausfühlen, daß er im Grunde ein enttäuschter Wahrheitssucher3), ein „hombre de fondo escéptico, falto de creencias y de fe" 4 ) ist, Pessimist wie seine Generationsgenossen, der insbesondere in seinen Frühwerken „Gente conocida" (1896) und „Comida de las fieras" (1898) mehr das Böse als das Gute in der Gesellschaft seiner Zeit sieht, hervorkehrt und satirisiert 5 ). Für den Charakter von Valle-Incláns Schaffen und Denkungsar t ist typisch die Gestalt seines „Marqués de Bradomín, feo, católico, sentimental"*), ein moderner nietzscheanischer Don Juan-Typ, amoralisch, pervers, satanistisch, der in der „Sonata de otoño" (1902) in einem Milieu auftritt, das mit allen verführerischen Reizen der Dekadenz ausgestattet ist: Herbststimmungen mit Sonnenuntergängen unter den hochragenden Bäumen aristokratischer Parks, grausige nächtliche Visionen und eine devot-lüsterne Frau, bleich, schmalgliedrig, traurig, die der Macht ihrer Liebesleidenschaft körperlich nicht gewachsen ist und wie eine zarte, von Feuershauch Versehrte Blüte (229 Seiten lang !) dahinsiecht. Eine wundervoll rhythmisierte preziöse Sprache läßt den Leser in eine gedämpft-verhaltene musikalische Stimmung hineingleiten, die die zuchtlose Geisteshaltung des Dichters ahnen, aber nicht sofort als solche erkennen läßt. Religiöse Indifferenz bzw. nur aus ästhetischen Gründen fingierte Religiosität und Skepsis sind die notwendigen Voraus') Azorin: La Voluntad. S. 292. -) Baroja: El Arbol de la Ciencia. S. 71 (Ausgabe Madrid 1929). 3) K. Voßler: Jacinto Benavente. Corona I. 1, S. 115/16. *) F. de Onis: Jacinto Benavente. New York 1923, S. 14. s ) Nachträglich in BenaventesProsaschtfften „De sobremesa" (5 Bände), Bd. IV, S. 92 und 132, Bd. V, S. 157, Madrid 1928, gefundene direkte Äußerungen über seine Lebens- und Kunstauffassung bestätigen obige Ausführungen in vollem Umfange. 6) Hauptfigur in dem Zyklus der „Memorias del Marqués de Bradomln" (4 Bände).
54 Setzungen dieser raffinierten Genußkunst, Kehrseite eines Idealismus, der nicht verzichten konnte und daher genießt 1 ). Das Gefühl trostloser Verlorenheit in einem freud- und sinnlosen Dasein ist a uch der düstere Grundton in der Dichtung von Antonio Machado, „cantarse a sí mismo, o cantar, cuando más, el humor de su raza" ihr Inhalt und Gehalt. Einen „obscuro rincón que piensa" nennt sich der Dichter, „devanando los hilos del hastío y la tristeza". Die einzige Gewißheit, die sein Leben trägt und erträglich macht, ist der Gedanke an den Tod: „AI borde del sendero un día nos sentamos. Ya nuestra vida es tiempo, y nuestra sola cuita son las desesperantes posturas que tomamos para aguardar . . . mas ella no faltará a la cita." Die Gegenwart, das schmerzliche Bewußtsein zu leben, sucht Machado auszulöschen, zu übertäuben, durch Versenken in die Vergangenheit, die dem Träumenden als wahres Leben gilt. Flucht aus der Gegenwart, die gleicht einer „tarde mustia y cencicienta, destartalada, como el alma mía", in die „romanticismos muertos, cursilerías viejas, c o s a s de a y e r que sois mi a l m a , y cantos y cuentos de la abuela . . .! Wie Anakreon will der Dichter vergessen: „las sabias amarguras y los graves consejos; y quiero, sobre todo, emborracharme, ya lo sabéis . . . ¡Grotesco! Pura fe en el morir, pobre alegría y macabro danzar antes de tiempo." Was Machado in diese verzweifelte Melancholie treibt, der er vergebens durch träumendes Vergessen zu entrinnen sucht, ist wie bei den übrigen 98ern die Ungewißheit, der Zweifel an den überkommenen Wahrheiten und Werten, die Unmöglichkeit, auf die immer wieder sich aufdrängenden Fragen über den Sinn des Daseins eine Antwort zu finden: „ Y ha de morir contigo el mundo tuyo, la vieja vida en orden tuyo y nuevo? ¿ Los yunques y crisoles de tu alma laboran para el polvo y para el viento ?" Dieses Gefühl der Verlassenheit in der Welt, ohne Glauben, ohne Sinngebundenheit im Dasein, ohne Gott, hat Machado in die eindrucksvoll schlichten Gleichnisse der gemessen-ernst wirkenden folgenden Strophen gefaßt, die man als seelisches Selbstporträt des Dichters ansehen darf: „Como perro olvidado que no tiene huella ni olfato y yerra por los caminos, sin camino, como el niño que en la noche de una fiesta ') „Zwei Blumen blühen für den weisen Finder / sie heißen Hoffnung und Genuß. / Wer dieser Blumen eine brach, begehre / die andre Schwester nicht. / Genieße, wer nicht glauben kann, die Lehre / ist ewig wie die Welt. / Wer glauben kann, entbehre." Schiller: Resignation.
55 sc pierde entre el gentío y el aire polvoriento y las candelas chispeantes, atónito, y asombra su corazón de música y de pena, así voy yo, borracho, melancólico, guitarrista lunático, poeta, y pobre hombre en sueños, siempre buscando a Dios entre la niebla 1 )." II. E i n s t e l l u n g
zur
Politik.
Die Einstellung der 98 er zur Politik zeigt sich deutlich in der Auffassung, die sie vom Politiker haben. Baroja meint bezeichnenderweise, er sei „demasiado poco histrión (Komödiant) para ser político**2). Für Azoríri ,,no hay cosa más abyecta que un político; un político es un hombre que se mueve mecánicamente, que pronuncia inconscientemente discursos, que hace promesas sin saber que las hace, que estrecha manos de personas a quienes no conoce, que sonríe, sonríe siempre con una estúpida sonrisa automática . . .')." In diesem negativen Sinne und in ähnlichem Tone protestierten Baroja, Azorfn und um 1898 vor allem auch Ramiro de Maeztu und Manuel Bueno in Zeitungen („El Globo" — Diario liberal ilustrado, „ E l País ' — Diario republicano-revolucionario, vor 1898 republicanoprogresista) und den früher genannten Zeitschriften („Vida Nueva", „Revista Nueva" usw.) gegen den hohlen verantwortungslosen Geist der Politiker der Restauration, die die Nation ins Unglück gestürzt hatten. Und in dieser mit leidenschaftlichem Schmerz und Zorn geführten politischen Polemik, in der die 98er ihre ersten literarischen Waffen schmiedeten, wurde der Geist von 1898 zuerst offenbar, jener Geist unbestechlich rücksichtsloser Kritik an altüberkommenen Anschauungen, den die 98 er vom politischen aufs literarisch-geistige Gebiet übertrugen. Soweit die 98er positive Forderungen vertraten, schlössen sie sich eng an Costa an der schon seit Jahren unter den bekannten Devisen „Escuela y Despensa" und „Europeización" für eine grundlegende innere Reorganisation Spaniens gekämpft hatte und durch die Ereignisse von 1898 zum politischen Führer der Nation geworden war. Besonders eifrige Propagatoren Costascher Gedanken sind in der 1 ) A. Machado: Poesías completas, S. 95, Madrid 1917. Später ist es dem Dichter, vielleicht von Unamuno beeinflußt, gelungen, das Ringen um den Glauben als einen Glauben neuer Art zu werten, als eine Ausdrucksform der ,,fe viva" im Gegensatz zur „fe muerta" des traditionellen Gottesglaubens (Begriffe von Unamuno). „Creo en la libertad y en la esperanza, / y en una fe que nace / cuando se busca a Dios y no se alcanza / y en el Dios que se lleva y que se hace." Ebenda S. 254. 2) Baroja: Juventud, Egolatría. S. 292 und 287—315. 3 ; Azorín: La Voluntad. S. 181/82.
56 Generation von 1898 Azorin und damals um 1898 auch Maeztu. Azorin vor allem hat Costas Gedanken populär gemacht, ja sie geradezu gepredigt und ihnen dadurch eine Dauerwirkung gesichert, daß er, abgesehen von zahlreichen Zeitungsartikeln, sozusagen in jedem Werk seiner Obras completas, die inzwischen auf 30 Bände angewachsen sind, irgendwo von Costa handelt oder irgendwie auf ihn anspielt. Von Benavente, Antonio Machado und Valle-Inclán sind mir persönliche Äußerungen, die auf ihre politische Einstellung könnten schließen lassen, nicht bekannt. Ich kann mich jedoch hier auf das Zeugnis von Baroja und Azorin berufen, die übereinstimmend von dem Unmut der „hombres del 98" gegen die Politiker der Restauration berichten1). Auch bezüglich der positiv-praktischen politischen Forderungen darf ich, ohne mich einer Fahrlässigkeit schuldig zu machen, diese Schriftsteller in den „consensus omnium" einbeziehen. Wie sehr nämlich Costas politisches Programm damals Allgemeingut der Nation geworden war, konnte ich bei Durchsicht der Zeitungen aus den Jahren um 1898 in der Hemeroteca in Madrid feststellen. Die Antworten führender Persönlichkeiten, die auf die Rundfrage der großen Tagesblätter über „ E l Porvenir de España" einliefen, ließen sich fast sämtlich auf die Hauptpunkte des Costaschen Programms „Escuela" und „Despensa" zurückführen. Als Beispiel nur einige Sätze aus einem Artikel von Galdós „Soñemos, alma soñemos", der im November 1903 in der Zeitschrift „Alma española" erschien und als typisch gelten darf. „Entre lo mucho que nos traen las nuevas formaciones de terreno", schreibt Galdós dort, „descuellan dos aspiraciones grandes, que han de ser las primeras que busquen la encarnación de la realidad. Necesitamos instrucción para nuestros entendimientos y, agua para nuestros campos." In ihrer negativen Kritik der Politiker der Restauration wie auch in ihren positiven politischen Forderungen waren die 98 er also fast nicht mehr als die Lautsprecher der öffentlichen Meinung, Literaten, aber keine Politiker. Ihre wahre Aktionssphäre war ja auch nicht die Welt der Tatsachen, der Politik, sondern die Welt des Geistes, des Wachseins in Spenglers Terminologie. Als praktischer Politiker ist demzufolge auch keiner von ihnen hervorgetreten, obwohl die Sehnsucht, ein „hombre de acción" zu sein, in diesen „abúlicos" durchaus lebendig war. Baroja hielt zwei politische Reden in Valencia und Barcelona. Im übrigen beschränkte er sich darauf, die „Memorias de un hombre de acción" zu schreiben. Azorin sah zwar den uneingestandenen „deseo de la mocedad", Deputierter zu werden, sich erfüllen; aber er wurde ein sehr schweigsamer Abgeordneter und sah seine politische Mission darin, seine parlamentarischen Eindrücke niederzuschreiben. Bena*) Baroja: Divagaciones apasionadas, S. 31. S. 253.
Azorin: Clás. y Mod.
57 vente war eine Zeitlang konservativer Abgeordneter. Über seine Tätigkeit ist jedoch gar nichts bekannt. Ebenso wie die kritische Empfindlichkeit, das wesentlichste Charakteristikum des Geistes von 1898 und der 98 er, sich im politischen Tagesstreit entwickelte und, in der Welt der Tatsachen entstanden, auf die Welt des Gedankens übergriff, wurde von der Generation von 1898 auch für die politische Forderung der „europeización" die geistige Gleichschaltung durch die Übernahme und Assimilation europäischer Literatur vollzogen. Diese doppelte Einwirkung der Welt der Tatsachen, der Politik, auf die Welt des Gedankens, die Formung der Mentalität einer literarischen Generation und die Bestimmung ihrer Entwicklungsrichtung durch Vorgänge auf dem Gebiet der Politik, zeigt, wie zutreffend und berechtigt die an sich auffällige Benennung der literarischen Generation von 1898 nach dem politisch ereignisreichen und wichtigen Jahre 1898 ist. Außerdem war es unter dem Eindruck der plötzlichen Niederlage nur allzu verständlich, daß sich die junge Generation zunächst nach echten Geisteswerten außerhalb Spaniens umsah. Wie die übrige europäische Jugend fand sie diese Vorbilder und Führer in Dostojewski, Tolstoi, Gorki, Ibsen, d'Annunzio, den französischen Symbolisten, besonders Verlaine, und den beiden Philosophen Schopenhauer und Nietzsche. E s muß dabei als ein besonders interessanter Zufall angesehen werden, daß der dekadente allgemeine Zug der europäischen Geistesentwicklung der geistigen und seelischen Verfassung der unter dem Eindruck der Katastrophe von 1898 stehenden „Generation von 1898" ganz besonders entgegenkam. Im Hinblick auf die geistigen Kämpfe des 19. Jahrhunderts bedeuten die politischen und geistigen Geschehnisse um die Jahrhundertwende den endgültigen Sieg der liberalen europäisch orientierten Bewegung. Die von Giner de los Ríos vorgelebte und zur Geltung gebrachte Anschauung, daß geistige Erneuerung, geistiges Wachstum und sogar eigene Wesenserkenntnis nur durch Fühlungnahme mit fremdem Volkstum und Geistesgut, durch geistige Aufgeschlossenheit, nicht durch Abschließung gegen fremde Einflüsse und Anregungen, möglich sei, hatte sich durch die Annahme der politischen Leitgedanken Costas von Seiten der ganzen Nation und ihrer Übertragung auf das geistige Gebiet durch die führende Schicht der jungen Generation vollständig durchgesetzt.
C. Das geistige Schaffen der Generation von 1898. I. Ü b e r b l i c k
über
d a s G e s a m t s c h a f f e n d e r 98er.
Im geistigen Schaffen der 98 er lasseh sich ganz allgemein zwei Perioden feststellen. Die erste umfaßt Werke, die unmittelbar unter dem Eindruck der nationalen Katastrophe und ihrer Auswirkungen ent-
58 standen sind und als direkte oder indirekte Spiegelung der seelischen Reaktion der „hombres del 98" auf diese Ereignisse für diese Untersuchung am meisten interessieren. Sie reicht etwa bis 1905. Typisch sind für diese Periode Benaventes Dramen „Gente conocida" und „ L a comida de las fieras", scharf satirische und zugleich realistische Darstellungen der Madrider Gesellschaft, ferner die 1902/03 uraufgeführten Dramen „Alma triunfante" und „ L a noche del Sábado", bezeichnend als Niederschlag pessimistischen Lebensgefühls und dekadenten Zeitgeschmacks. Von Valle-Inclán, Baroja und Azorin gehören dieser Schaffensperiode an die sämtlich 1902 erschienenen Bände „ L a sonata de otoño" (Valle-Inclán), „Camino de perfección" (Baroja) und „ L a Voluntad" (Azorin). Die Helden der drei Romane sind dekadent, pessimistisch, problematisch. Angel Ossorio und Azorin (in Azorfns „ L a Voluntad") finden sich schließlich mit den Tatsachen des Lebens ab — und heiraten. Der Marqués de Bradomin in der „Sonata" tut auf seine Weise das gleiche, indem er seinen dekadenten Pessimismus in delikatest nuancierten psychischen und physischen Genüssen auskostet. Von Antonio Machado, dem Lyriker des „hastío", des modernen Weltschmerzes, in Spanien, fallen in diese Periode die „Soledades", sein Erstlingswerk, das im Januar 1903 erschien und Gedichte aus den Jahren 1899—1902 enthält. Diese egozentrisch und europäisch orientierte Periode persönl i c h e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit sich und der U m w e l t wird abgelöst von einer mehr sachlich und spanisch bestimmten Epoche. Nachdem in der inneren Entwicklung ein gewisser Abschluß, damit außerdem Distanz zu sich und den Ereignissen von 1898 sowie eine Sättigung mit fremden Einflüssen eingetreten war, erschienen im selben Jahre wie die „Cantos de vida y esperanza" (!) von Rubén Darío „Los Pueblos" (1905) von Azorin, Barojas „Paradox, R e y " 1906, 1907 die „Intereses creados" von Benavente, 1908—1911 die Romantrilogie „ L a Raza" („La Dama errante" 1908, „ L a ciudad de la Niebla" 1909, „ E l Arbol de la Ciencia" 1911) von Baroja, der eine „ E l Pasado" betitelte Trilogie („La feria de los Discretos" 1905, „Los últimos Románticos" 1906, „Tragedias grotescas" 1907) vorausgegangen war, 1908 Valle-Incláns dreibändige „Guerra Carlista" („Los Cruzados de la Causa" 1908, „El Resplandor de la Hoguera" 1909, „Gerifaltes de antaño" 1909), 1909 von Azorin „España" (Hombres y paisajes); im Jahre 1912 schließlich veröffentlichte Ma chado seine „Campos de Castilla", Azorin „Castilla" und die „Lecturas españolas", deren Fortsetzung die 1913 bzw. 1915 herausgekommenen Bände „Los Valores literarios", „Clásicos y Modernos" und „AI margen de los clásicos" bilden. Im Gegensatz zu den Werken der ersten Periode zeichnen sich all diese eben genannten Schöp'fungen durch eine gewisse innere Freiheit, Versöhnlichkeit und Unbefangenheit gegenüber der Tatsachenwelt aus. Es fehlt das bittere Element, die Unnatur und innere Ver-
59 krampftheit, die für die erste Schaffensperiode der 98er typisch ist und sie hinderte, das sie umgebende Leben natürlich anzusehen, hinzunehmen und sich darin einzurichten. Daher tritt jetzt Spanien, die spanische Landschaft, Geschichte und Literatur, im Schaffen der 98er stark in den Vordergrund. Nach der geistigen Rückkehr von sich selbst und aus Europa entdecken und werten sie ihre eigene Heimat und Kultur neu, sehen Spanien gewissermaßen mit europäischen Augen, jedoch ohne Verzicht auf Kritik; denn auch in dieser Schaffensperiode „ s a c h l i c h e r S i c h t u n g " bleibt die durch die Ereignisse von 1898 geformte Mentalität, deren Exponent eine ausgeprägt kritische Empfindlichkeit ist, bestehen. Starke Jugendeindrücke formen das Lebensgefühl und die Denkweise einer Generation endgültig und derart, daß zwar nicht immer das Verständnis für die Gedanken- und Gefühlswelt einer anderen Generation unmöglich wird, wohl aber die Fähigkeit mit ihr zu erleben und zu empfinden. So bekennt z. B. Rubén Darío im Prolog zur Neuausgabe seiner vor 12 Jahren geschriebenen „Raros", im Jahre 1905, in dem auch die „Cantos de Vida y Esperanza" erschienen: „Hay en estas páginas mucho entusiasmo, admiración sincera, mucha lectura y no poca buena intención. En la evolución natural de mi pensamiento el fondo ha quedado el mismo. Confesaré, no obstante, que me he acercado a algunos de mis ídolos de antaño y he reconocido más de un engaño de mi manera de percibir. Restan la misma pasión de arte, el mismo reconocimiento de las jerarquías intelectuales, el mismo desdén de lo vulgar y la misma religión de belleza. Pero una razón a u t u m n a l ha s u c e d i d o a las e x p l o s i o n e s de la p r i m a v e r a 1 " , ein Satz, den man als Motto über diese zweite Periode „sachlicher Sichtung" setzen könnte. Überblickt man diese eben skizzierte Entwicklung der „generación de 1898", so zeigt sich, daß, abgesehen von ihrer inneren Folgerichtigkeit, die erste Schaffensperiode der Fühlungnahme mit Europa, der inneren Sammlung und Formung ganz im Zeichen des Geistes von Giner verlief. In der zweiten Periode dagegen, in der die 98er sich der nationalen Vergangenheit und Kultur zuwandten, sich zu ihr bekannten und dieses Erbe verantwortungsbereit und verantwortungsbewußt übernahmen, setzte sich der historische Grundgedanke des Lebenswerkes von Menéndez y Pelayo fruchtbar durch, daß „ningún pueblo se salva y emancipa sino por su propio esfuerzo intelectual, y éste no se concibe sin la plena conciencia de sí mismo, que sólo puede formarse con el estudio recto y severo de la Historia" (vgl. S. 27). So hatte die Generation von 1898 politisch und geistig die Spannung Europa-Spanien, die die geistigen und politischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts in Spanien erregt und beherrscht hatte, in sich ausgeglichen, Rubén Darío: Los Raros.
Madrid 1918 (Mundo Latino), S. 7/8.
6o das seit drei Jahrhunderten auf dem spanischen Geistesleben lastende nationale Dekadenz- und Minderwertigkeitsbewußtsein gegenüber den anderen europäischen Nationen überwunden und den Weg frei gemacht für ein geistig selbständig und organisch sich entwickelndes, dem europäischen Geistesleben eingegliedertes Spanien.
II. Ä s t h e t i s c h e T h e o r i e n u n d l i t e r a r i s c h e V o r b i l d er. Der geschlossenen Einheitlichkeit der geistigen Struktur und der Entwicklung des Schaffens der 98 er entspricht eine weitgehende Gleichartigkeit des von ihnen ausgebildeten stilistischen Kosmos und der ihn zum Teil bedingenden ästhetischen Theorie. Ich wende mich zunächst der ästhetischen Theorie der Generation von 1898 zu, nicht in dem Glauben, dadurch den stilistischen Eigentümlichkeiten der 98 er besser beikommen zu können, auch nicht mit der stillen Voraussetzung, daß das Geschaffene dem theoretisch Gewollten entsprechen müsse, sondern vielmehr um noch einmal auf einem Gebiet, das die „hombres del 98" als Schriftsteller wesentlich interessiert, eine Gleichgerichtetheit im Gedanklichen nachzuweisen. Es liegt dabei in der Natur der Sache, daß ich bei Beantwortung der drei wichtigen Fragen, die hier zu stellen sind: Wogegen wandten sich die 98 er? Wofür traten sie ein ? Strebten sie Vorbildern nach und welchen? die 98 er, die sich im Kampf gegen die Verteidiger der literarischen Tradition, des „casticismo", ja oft äußern mußten, nach Möglickkeit selbst sprechen lasse. „Eso del casticismo a todo trapo", schreibt z. B. Benavente in „De sobremesa" (Bd. IV, S. 159), „no es una gracia para celebrada, que en todos tiempos los pueblos han influido unos sobre otros, y que no hay gran artista en quien, sobre la raza y la personalidad, no predomine la influencia de una cultura superior a su tiempo y a su nación. Bueno es ser de la tierra, pero no como la patata. Arraigue muy hondo nuestro arte, pero tienda a lo alto, al sol y al cielo, que es de toda la tierra y de todos los hombres." Die gleiche Abwehrstellung gegenüber der als unzeitgemäß empfundenen sprachlich-literarischen Tradition bezieht Valle-Inclán im Kompendium seiner Ästhetik „ L a Lámpara Maravillosa" (Madrid o. J. S. 72—79): „Los idiomas nos hacen, y nosotros hemos de deshacerlos . . . Nuestra habla, en lo que más tiene de voz y de sentimiento nacional encarna una concepción del mundo, vieja de tres siglos . . . Volvamos a vivir en nosotros y a crear para nosostros una expresión ardiente, sincera y cordial . . . Desterremos para siempre aquel modo castizo, comentario de un gesto desaparecido con las conquistas y las
6i guerras. Amemos la tradición, pero en su esencia, y procurando descifrarla como un enigma que guarda el secreto del Porvenir." Baroj a beantwortet unsere drei Fragen direkt und in ähnlichem Sinne: „Si yo tuviera que expresar la idea que tengo de la retórica, diría: la retórica de todo el mundo es mala; la retórica de cada uno es la buena . . . Para la mayoría de los casticistas españoles no hay más retórica posible que la retórica en tono mayor. Esta retórica es, por ejemplo, la de Castelar, la de Costa; la que emplean hoy Ricardo León y Salvador Rueda. Esta retórica en tono mayor marcha con un paso ceremonioso y académico. En un momento histórico puede estar muy bien; a la larga, y repetida a cada instante, es de lo más aburrido de la literatura; destruye el matiz, da una uniformidad de plana de pendolista a todo lo escrito. Y o supongo que se puede ser sencillo y sincero, sin afectación y sin chabacanería, un poco gris, para que se destaquen los matices tenues; que se puede emplear un ritmo que vaya en consonancia con la vida actual, ligera y varia, y sin aspiración de solemnidad. Esta forma de la retórica del tono menor hay un poeta moderno que la ha llevado, en mi sentir, a la perfección. Este poeta ha sido Paul Verlaine. Una lengua así como la de Verlaine, disociada, macerada, suelta, sería indispensable para realizar la retórica del tono menor que yo siempre he acariciado como un ideal literario1)." Mit ähnlichen Worten und Gründen wie Baroj a und die übrigen 98er lehnt auch Azorin den „casticismo" ab und tritt wie jene für eine Sprache ein, die in Wort und Rhythmus dem Zeitempfinden entspricht. „Evoluciona la sensibilidad, y ha de evolucionar el medio que esa sensibilidad tiene para exteriorizarse. Como hay en nuestro acervo mental aspectos, relaciones y matices de las cosas que no había en el siglo X V I I , hay también una gama de expresiones literarias — y lexicográficas — que era desconocida hace tres siglos. L a sensibilidad que se refleja, en un paisaje de Claudio Monet no es ya la reflejada en un lienzo de Claudio Lorena; ni la de una poesía de Verlaine ( !) la misma de otra de Ronsard . . . en resolución: el arte es la vida; cuando el artista siente y expresa la vida, entonces llega al más hondo casticismo, aunque su estilo se halle plagado de barbarismos y desaliños; entonces es un gran prosista o un gran poeta, porque nos da lo supremo que puede producir la prosa o el verso: la emoción2)." Auch Machados Absage an den „casticismo" im Prolog seiner „Soledades" ist eindeutig: „Ningún alma sincera podía entonces (1903) aspirar al clasicismo . . . Nuevos epígonos de Protagoras (nietzscheanos, pragmatistas, humanistas, bergsonianós) militaban contra toda labor constructora, coherente, lógica. La ideología do*) Baroja: Juventud, Egolatría. S. 98, 102—104. 2 ) Azorín: Clásicos y Modernos. S. 89—92.
62 minante era esencialmente subjetivista . . . Y o amé con pasión y gusté hasta el empacho esta nueva sofistica, b u e n a n t í d o t o paira el c u l t o sin fe de v i e j o s d i o s e s , representados ya en nuestra patria por una imaginería de cartón piedra 1 )." Die Übereinstimmung der 98er in der Ablehnung des überkommenen Sprachstils, des „estilo castizo", und in der Forderung nach einer neuen Sprache, die in Lexikon, Bau und Rhythmus dem modernen Leben entspreche, geht aus all diesen Zitaten klar hervor. Das gemeinsame literarische Vorbild der Generation von 1898 bei der Verwirklichung ihres Sprachideals in Vers und Prosa ist Verlaine. Merkwürdigerweise führt gerade Baroja, der am wenigsten als Literat gilt, den französischen Dichter als solches an; denn Verlaine hat direkt, vor allem aber indirekt über Rubén Darío, die spanische Versund Prosadichtung in Inhalt und Form maßgebend beeinflußt und dadurch erneuert. In fast wörtlicher Anlehnung an den Vers Verlaines aus der Art poétique: „Prends l'éloquence et tords-lui son cou" ruft Valle-Inclán den spanischen Dichtern zu: „Poetas, degollad vuestros cisnes y en sus entrañas escrutad el destino. La onda cordial de una nueva conciencia sólo puede brotar de las liras 2 )." Bei Benavente und Machado habe ich ähnliche direkte Bekenntnisse zu Verlaine nicht finden können; aber bei den engen literarischen3) und menschlichen Beziehungen, die zwischen diesen beiden Dichtern und Rubén Darío bestanden, sind Belege dafür auch überflüssig. Tatsache ist jedenfalls, daß die Erneuerung der spanischen Literatur wirklich von der sogenannten modernistischen Lyrik her erfolgte, wovon u. a. in den Romanen der 98er der starke lyrischstimmungsmäßige Einschlag zeugt. Die „Summa" der Ästhetik der Generation von 1898 liegt also beschlossen in der „Art poétique" Verlaines. Die erste praktische Einwirkung der ästhetischen Prinzipien Verlaines auf die spanische Sprache zeigen die „Prosas profanas" von Rubén Darío. Dieses Werk, das den jungen spanischen Literaten in der Pariser Ausgabe von 1901 bekannt wurde, gab den Anstoß zur Erneuerung der spanischen Sprache und Literatur. Dabei war es, wie schon gesagt wurde, für die Erleichterung und Beschleunigung des Eingliederungsprozesses der spanischen Literatur in die allgemein europäische literarische Entwicklung ein besonders glückliches Spiel des Zufalls, daß einmal die spanische Jugend für die Aufnahme des von pessimistischem Lebensgefühl getragenen französischen Symbolismus x) A. Machado: Soledades, Galerías y otros poemas. Colección Universal, Nr. 27, Madrid-Barcelona 19x9, S. 5/6. 2) Valle-Inclán: Lámpara maravillosa, zitierte Stelle: S. 72—79. 8) Benavente veröffentlichte als erste modernistische Dichtung in Spanien Daríos „Sinfonía en gris mayor" mit einer Einführung in der von ihm geleiteten Zeitschrift „Madrid Cómico".
63 durch die Ereignisse des Katastrophen] ahres 1898 besonders empfänglich war, und daß außerdem die moderne französische Lyrik der spanischen Literatur durch Rubén Darío bereits gedanklich und sprachlich hispanisiert zugeführt wurde, ohne daß dieser jedoch seinerseits in seinem Lebensgefühl und seiner Geisteshaltung irgendwie durch die Ereignisse von 1898 in Spanien erlebnishaft beeinflußt worden wäre. Seine „Prosas profanas" waren ja schon 1896 in BuenosAires erschienen, „Azul . . .", sein Erstlingswerk, schon 1888. Er gehört also — das sei hier nochmals betont — nicht zur Generation von 1898, hat sie aber entscheidend beeinflußt. Die 98 er sind nämlich trotz ihrer europäischen Orientierung durchaus national eingestellt, Dario dagegen kosmopolitisch. Bezeichnend für die Stärke und Nachhaltigkeit des nationalen Erlebnisses bei den g8ern ist z. B. die Tatsache, daß sie als Symbol ihrer sehnsüchtig-müden Lebensstimmung nicht wie die zeitgenössische europäische Literatur die Steppe oder das Meer, sondern die kastilische Landschaft wählen, die öde, baumlose, von der Sonne versengte Meseta. Und ich glaube, man darf die Vorliebe für dieses Symbol außerdem noch ansehen und werten als eine romantische Liebe zu Kastilien seitens baskischer, levantinischer und andalusischer Menschen, als Bekenntnis zur nüchtern und ungeschminkt gesehenen spanischen Wirklichkeit, eine Brücke, die später den Weg zu den spanischen Klassikern eröffnet, die aus modernem Empfinden heraus zu neuem wirksamen Leben erweckt werden. Rubén Darío aber ist weder ein „poeta de América", wie Rodó in seiner berühmten Interpretation der „Prosas profanas" geschrieben hat, noch weniger aber ein „poeta de España", wie ich variierend sagen möchte, trotz der Jahre, die er vor und nach 1900 in Spanien lebte und trotz der natürlichen inneren Anteilnahme, die er stets an den Geschicken der „madre España" nahm. Er ist vielmehr der Führer der „nuevos poetas de las Españas", denen er bezeichnenderweise auch seinen 1907 in Madrid erschienenen Gedichtband „Canto E r r a n t e " gewidmet hat 1 ). III. C h a r a k t e r i s t i s c h e E i g e n t ü m l i c h k e i t e n im s p r a c h l i c h e n und s t i l i s t i s c h e n K o s m o s der G e n e r a t i o n v o n 1898. An die historische und psychologische Betrachtung der Generation von 1898 soll sich jetzt eine stilistische Untersuchung des von ihnen geschaffenen stilistischen Kosmos anschließen, der im Rahmen dieser Arbeit eine doppelte Bedeutung zukommt. Sie soll einmal die Erkenntnisse vom Wesen der 98 er, die sich bei der psychologischen i) Widmung der „Cantos de Vida y Esperanza: A Nicaragua. A la República Argentina.
64 Zergliederung ihrer Denkweise, ihres Lebensgefühls und ihres (politischen) W o l l e n s ergeben haben, vertiefen bzw. bestätigen und zweitens die durch die h i s t o r i s c h e Betrachtung der geistigen Ursprünge, der Entwicklungsbedingungen und Erscheinungsformen des Hervortretens der 98er als Gruppe in ihrem Werden dargestellte und nach Generationsmerkmalen formal bewiesene Existenz dieser Generation auch innerlich, ihrem Sein nach, begründen durch den p h ä n o m e n o l o g i s c h geführten Nachweis einer Generationssprache mit bestimmten Stileigentümlichkeiten. Ich werde zu diesem Zweck die Sprache der 98 er unter den natürlich gegebenen Gesichtspunkten von Sprachschatz und Sprachbau durchgehen, und in dem Bestreben, die stilistische Welt dieser Generation vollständig zu erfassen, nicht im Sinne aller Einzelheiten, sondern im Sinne der sie wesentlich integrierenden Bestandteile, werde ich versuchen, entscheidende stilistischsprachliche Korrelate aus den vier Kreisen, die die menschliche Vorstellungswelt ausmachen: Gegenstands-, Merkmals-, Verlaufs- und Verknüpfungsvorstellungen (ihre sprachlichen Korrelate sind: Substantiva, Adjektiva und Adverbien; Verben; Konjunktionen und Präpositionen), in der literarischen Sprache der 98er aufzuzeigen und zum Vergleich zu stellen. Die Werke, die ich für diese Untersuchung ausgewählt habe, stammen aus der ersten Schaffensperiode der Generation von 1898, da sich in den Frühwerken generationsmäßige Zeiteinflüsse am stärksten bemerkbar machen. Bei der getroffenen Wahl war neben dem selbstverständlichen Gesichtspunkt der repräsentativen Bedeutung des einzelnen Werkes der Zeitpunkt der Veröffentlichung entscheidend, wobei natürlich möglichst gleichzeitig erschienenen Dichtungen der Vorzug gegeben wurde. So wählte ich denn von Ausgaben: „Alma triunfante" uraufgef. 2. 12. 1902 Madrid 1902 „La Noche del Sábado" „ 17. 3. 1903 „ 1924 Valle-Inclán „Sonata de otoño" Erstausg. 1902 „ 1924 Baroja „Camino de perfección" „ 1902 ,, 1920 Azorin „La Voluntad" „ 1902 ,, 1919 Machado „Soledades, Galerías y otros poemas" ,, Jan. 1903 „ 19x7 (in „Poesías completas") Benavente
a) Der S p r a c h s c h a t z der 98er. 1. Inhaltlich bestimmte Wortwahl (Vorliebe für die Sphäre der Dekadenz und differenzierte Farbempfindungen). Bei Betrachtung des Sprachschatzes dieser Werke aus der ersten Schaffensperiode der 98 er fällt vom Gesichtspunkt der inhaltlich bestimmten Wortwahl die Fülle von Bezeichnungen für Begriffe aus dem Bereich der Dekadenz auf und im Zusammenhange damit für
65 Ausdrücke zur Wiedergabe von fein differenzierten Sinneseindrücken, insbesondere von Farbempfindungen. Alles, was krankhaft, vergänglich, negativ ist, zieht in einer A r t Schicksalssympathie diese Generation unwiderstehlich an und wird ihr zum symbolischen Ausdruck ihres pessimistischen Lebensgefühls. Der Grundzug ihrer Stimmung ist Traurigkeit, die resigniert als schicksalhaft verhängt empfunden wird. Ihr kann man daher nicht entrinnen und läßt sich in zuchtlosem Behagen von ihr tragen, kostet sie aus in einer A r t infamer, ungesunder Wollust, die die ganze Skala von der Melancholie bis zum Grauen durchläuft 1 ). In Benaventes Drama „ A l m a triunfante" deuten schon einige Worte, die die Szenerie des ersten Aktes beschreiben, diese Stimmung an: „ S a l a de visitas en la planta baja de un s a n a t o r i o (lies Irrenanstalt), dos ventanas a l t a s con reja al través de las que se divisan las copas de los árboles de un j a r d í n s o m b r í o . Muebles s e v e r o s . " „ E s un drama gris, triste, verdaderamente deprimente" . . . sagt Baroja in einer Kritik dieses Stückes. . . . „sus hombres y sus mujeres son figuritas resignadas, que sufren en un infierno de hielo bajo un horizonte de plomo . . . me parece mal esta representación gris de la vida, sin grandeza y sin fuerza, a mí, que no v o y con los viejos y que no quiero continuamente el tono mayor y la charanga estrepitosa a cada momento 2 )." Die Worte, die in der T a t auf jeder Seite begegnen, sind: „dolor, suplicio, pena, muerte, tristeza, sacrificio, horrible, triste etc.". Auf den weit gedruckten 64 Seiten des Dramas habe ich das Vorkommen der A d j e k t i v a „horrible" und „triste" 22mal — auf vier Seiten 2mal und auf einer Seite sogar 4mal hintereinander — die Worte „sacrificio" und „sacrificar" 11 mal gezählt. Im Prologe (25 Zeilen) zur „Noche del Sábado" erscheinen bereits in der 4. Zeile wieder „dolor" und „muerte", in der 8. Zeile 3mal Ausdrücke für „Traurigkeit" „si un espíritu triste de nuestro tiempo triste ennoblece en tí tu tristeza" . . ., in der 20. Zeile ist von der inneren Leere und Gefühlskälte der Personen die Rede, die sich auf dem Schauplatz der Handlung des Dramas zusammengefunden haben : „ H u y e n del frío y traen el frío de su vida," und den Abschluß des Prologs und das Geleitwort für das Drama bilden die ebenfalls nicht hoffnungsvoll klingenden Verse aus Dantes Divina Commedia (Inf. III, Vers 1—3) : „Per me si va nella città dolente; per me si va nell' eterno dolore; per me si va tra la perduta gente." *) Valle-Inclán: Sonata de otoño, S. 214: „ Y o soy un santo que ama siempre que está triste." Azorín: La Voluntad, S. 243/44: „Azorín . . . como está un poco triste, nada más natural que procurar entristecerse otro poco." 2) Baroja: Divagaciones apasionadas, Madrid 1927, S. 240. J e s c h k e , Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. IiXXXIII.
c
66 Die „Sonata de otoño" von Valle-Inclán beginnt mit den Worten: „Mi amor adorado, estoy muriéndome y sólo deseo verte!" Das ganze in köstlicher Prosa geschriebene Werk, in dem der Dichter auf 229 Seiten (!) das langsame Erlöschen einer Frau im Auskosten einer romantisch-herbstlichen Liebe, buchstäblich bis zum letzten Lebenshauch, beschreibt, wird durchzogen von einer verworfen traurig-wollüstigen, raffiniert inszenierten Stimmung, einer „tristeza depravada y sutil," nach des Dichters eigenen Worten. Der sprachliche Niederschlag dieser Stimmung zeigt sich einmal in dem zahlreichen Vorkommen der für die 98 er sozusagen obligaten Worte „tristeza, triste, melancolía, melancólico", vor allem aber in einer Fülle von Ausdrücken, die ich als „negativ" charakterisieren möchte, insofern sie lebensverneinende, dekadente, negative Inhalte bezeichnen, die dem pessimistischen Lebensgefühl, dem negativen Welterlebnis der 98 er, besonders entsprechen und daher in ihrem Sprachschatz einen breiten Raum einnehmen. Bei Valle-Inclán treten diese negativen Bezeichnungen besonders deutlich und häufig auf in den Beschreibungen Conchas, der Geliebten des Marqués de Bradomin, Typ der schwärmerisch-zarten und dekadenten Frau und Frauenideal schlechthin für Valle-Inclán und seine Generationsgenossen. Man beachte z. B. die zahlreichen negativen Substantive und Adjektive in folgenden beiden Porträts von Concha: „Concha tenía la palidez delicada y enferma de una Dolorosa, y era tan bella así demacrada y consumida, que mis ojos, mis labios y mis manos hallaban su deleite en aquello mismo que me entristecía" (S. 66) oder ähnlich, nur in Einzelzügen und Stichworten: „mate lividez del rostro, boca sin color, mejillas dolientes', sienes maceradas, cuencas descarnadas y violáceas de los ojos, el cuello como un lirio enfermo, los senos dos rosas blancas aromando un altar, los brazos de una esbeltez delicada y frágil" (S. 64). Auch Baroja, der am Beginn seines Romans „Camino de perfección" das künstlerische Axiom aufstellt: „Hay que buscar algo agudo, algo finamente torturado" (S. 8) fühlt sich von dem gleichen dekadenten Frauentyp angezogen, wie sich ja überhaupt das Lebensgefühl einer Zeit am unmittelbarsten an ihrem Frauenideal ablesen läßt. Oft in wörtlicher Übereinstimmung mit Valle-Inclán, oft mit denselben negativen Nominalia (Substantive und Adjektive) beschreibt er in „Camino de perfección" eine solche Frauengestalt folgendermaßen: „Estaba también la m u j e r de l u t o hablando con un húsar. Ossorio la contempló desde lejos. Era para él aquella mujer, d e l g a d a , e n f e r m i z a , o j e r o s a , una fantasía cerebral e imaginativa, que le ocasionaba dolores ficticios y p l a c e r e s sin r e a l i d a d . . . ella, la pobre m u c h a c h a , e n f e r m a y t r i s t e , ansiosa de vida, de juventud, de calor, quería que él la desease . . .
67 tenía una m i r a d a d e s o l a d o r a , una mirada de entregarse a la r u i n a d e su c u e r p o , d e s u s i l u s i o n e s , de su alma, de todo." (S. 20). In gleicher Weise, mit ähnlichen Worten, wird derselbe Frauentyp von Azorfn beschrieben, f ü r den er ebenso wie für Valle-Inclán und Baroja nichts anderes als eine Projektion seines Lebensgefühls in ein anderes Ich, eine Erweiterung seines Ich, bedeutet: „ J u s t i n a es una moza f i n a y b l a n c a . A través de su e p i d e r m i s t r a n s p a r e n t e , resalta la t e n u e red de las venillas azuladas. Cercan sus ojos llameantes anchas ojeras" (La Voluntad, S. 25). Auch bei Machado bestätigen sich hinsichtlich des bevorzugten Frauentyps und des zu seiner Beschreibung verwandten Wortmaterials die Beobachtungen, die wir bei den anderen 98ern machen konnten. Das zeigt etwa folgende Beschreibung aus den „Soledades"
qué sueños cierran tus párpados,
mal cubierto el d e s d e ñ o s o gesto de tu r o s t r o p á l i d o , ni de quien haya entreabierto tu l e c h o i n h o s p i t a l a r i o . . Detén el paso, b e l l e z a e s q u i v a , detén el paso . . .
Besar quisiera la a m a r g a a m a r g a f l o r de tus labios. Die Fülle der bei der Beschreibung des dekadenten Frauentyps verwandten negativen Nominalia findet sich als charakteristische Note des Sprachschatzes der 98 er wieder bei den zahlreichen, sehr beliebten und ausführlich gehaltenen Schilderungen von Vorgängen des Vergehens und Zuständen des Verfalls in der Natur (Spätzeiten des Jahres und des Tages): otoño (Herbst), puesta del sol (Sonnenuntergang), tarde (Spätnachmittag) und dem von Menschenhand Geschaffenen (verlassene Gärten, Städte, Ruinen von Klöstern und Schlössern usw.). Auf den symbolischen Charakter dieser Vorliebe, dieser Schicksalssympathie mit allem Untergehenden, habe ich j a schon mehrfach hingewiesen 1 ). ') In seiner „Kultur der Dekadenz" hat Eckart v. Sydow das Zeiterlebnis des dekadenten Menschen ausgezeichnet charakterisiert: „Wer dekadent ist, fühlt den Strom der Zeit als eine Negation seines Lebens, weil er für das Vergehende der Zeit, ihren Absturz, ihr Schwachwerden ein unmittelbares starkes Gefühl hat. Es ist gleichsam das übermächtige schlechte Gewissen, das ihn peinigt. Das Bewußtsein: selbst ein vergehendes Leben zu sein. Er lebt darum in diesem Widerspruch: Sowohl dem Positiven des Zeitverhältnisses oder der Gegenwart anzugehören und dennoch in unmittelbarem nahem Konnex zur Vergangenheit zu stehen — in einem so nahen Konnex zu ihr zu stehen, daß er selbst für sein überwiegendes Gefühl schon ein Vergangener ist. Nur noch mit einer Hand hält er sozusagen an der Barke der Ewigkeit im eiligen Strom der Zeit sich fest, sicher merkend, daß ihm der Untergang unendlich nahe ist. Jeder Zeitpunkt wird nun erfühlt als Repräsentant des Negativen,
68 Bei dem Dramatiker Benavente dürfen wir dem Charakter seiner Kunst entsprechend keine Landschafts- oder sonstige Beschreibungen oder Stimmungsbilder suchen, in denen sich sein negativ-dekadentes Lebensgefühl wortmäßig auswirken könnte. Bei ihm äußert es sich, wie ich schon zeigte, in der Themenwahl und Art der Charaktere seiner Dramen. Bei den Generationsgenossen Benaventes hingegen ist das Beispielmaterial für die genannte Erscheinung derart reichhaltig, daß die Auswahl schwer fällt. Bei V a l l e - I n c l á n z. B. ist der Horizont entweder verhängt mit „nubes pesadas y plomizas" (S. 193), die fernen „lomas yermas y tristes" eingehüllt in den „sudario ceniciento de la llovizna" oder verdeckt durch die „cortina cenicienta de la lluvia" (S. 16 und 19) oder vergoldet von den Strahlen der untergehenden Sonne: „el sol empezaba adorar las cumbres de los montes," „aquel renacimiento de nuestros amores fué como una tarde otoñal de celajes dorados, amable y melancólica! Tarde y celajes que yo pude contemplar desde los miradores del Palacio, cuando Concha con romántica fatiga se apoyaba en mi hombro! Por el campo verde y húmedo, bajo el sol que moría ondulaba el camino. Era luminoso y solitario. Concha suspiró con la mirada perdida: — ¡Por ese camino hemos de irnos los dos! Y levantaba su mano pálida, señalando a lo lejos los cipreses del cementerio" (S. 103/04; 144, 188). Die Gärten sind bei ihm alt, vernachlässigt und verlassen, ohne Blumen: „viejo jardín sin flores" (S. 28), „bramido del viento en el jardín, susurro de hojas secas, mirtos seculares, ramas desnudas de los árboles" (S. 123/24), „antiguo jardín, mirtos seculares, fuente abandonada, carreras (del jardín) cubiertas de hojas secas y amarillentas, caracoles inmóviles como viejos paralíticos, flores empezaban a marchitarse, el agua parecía difundir por el jardín un sueño pacífico de vejez, de recogimiento y de abandono" (S. 78—81). Die Schilderungen von „Intérieurs", welche die gleiche Stimmung trostlos-süßer Verlassenheit und Traurigkeit erwecken sollen, werden bei Valle-Inclán ebenfalls mit negativem Wortmaterial gegeben; so ist z. B. eine Kirche „oscura, desierta", schwach erleuchtet von einer „incierta luz moribunda" (S. 12), eine Kapelle „húmeda, tenebrosa, resonante; Säle in alten Schlössern sind „entarimadas de nogal, des Unheils; jeder Tag und jede Minute ist Träger und Zeuge des Belastenden, das Leben Erschwerenden . . . Der Dekadente muß ja durch seine Einstellung auf die Negativität des Zeitlichen seiner Lebenskraft eine doppelte Tendenz geben: die Gegenwart abwehrend und die Vergangenheit ersehnend. Denn das aktuelle Zeiterleben schmerzt ihn, wie alle Aktualität, die ja immer zum sofortigen Entschließen und Handeln herausfordert. Das Vergangene zieht ihn an, weil er dort nur Abgestorbenes findet, Totes, das ihm keinen Widerstand leistet, sondern sich ihm fügt, wie und wann er will." („Kultur der Dekadenz", Dresden 1922, S. 90/91.)
69 frías y silenciosas", durchduftet von dem „aroma de manzanas agrias y otoñales" und versehen mit „antiguos cortinajes de damasco, espejos nebulosos y retratos familiares", sind Räume, in denen die Schritte widerhallen „como en las iglesias desiertas", y al abrirse las puertas . . . exhálase del fondo silencioso y oscuro, el perfume lejano de otras vidas" (S. 88). Um einige Einzelheiten erweitert, eine andere Schilderung von alten verlassenen Schloßsälen in Stichworten: „llama agonizante y débil, imagen desmelenada y lívida, grandes salones y corredores tenebrosos, claro de luna, fondo desierto de las estancias, carcomidas vidrieras con emplomados vidrios llorosos y tristes" (S. 219/20). Von den zahlreichen Landschafts- und Sonnenuntergangsschilderungen aus B a r o j a s „Camino de perfección" will ich nur je ein typisches Beispiel bringen. Nachstehende Schilderung von Marisparza in Kastilien, die an niederdrückender Öde kaum zu überbieten ist, besteht nur aus Substantiven und Adjektiven negativen Inhalts: „Los alrededores de Marisparza eran desnudos, parajes de una adustez tétrica, con cerros sin vegetación y canchales rotos en pedrizas, llenos de hendeduras y de cuevas . . . en los primeros taludes del monte, se veía una balsa derruida y cuadrada, en cuyo fondo brillaba el agua muerta, negruzca, llena de musgos verdes. Eran los alrededores de Marisparza de una desolación absoluta y completa. Desde el monte avanzaban primero las lomas yermas, calvas; luego tierras arenosas, blanquecinas, como si fueran aguas de un torrente solidificado, llenas de nódulos, de mamelones áridos, sin una mata, sin una hierbecilla, plagadas de grandes hormigueros rojos. Nada tan seco, tan ardiente, tan huraño como aquella tierra; los montes, los cerros, las largas paredes de adobe de los corrales, las tapias de los cortijos, los portillos de riego, los encalados aljibes, parecían ruinas abandonadas en un desierto, calcinadas por un sol implacable, cubiertas de polvo, olvidadas por los hombres" (S. 188. Ähnliche Landschaften: S. 55, 57, 91, 104/05, 173/74). Daß es sich bei diesen Landschaftsschilderungen Barojas um seelische Stimmungsbilder handelt, daß sie also symbolischen Charakter haben, zeigt deutlich die Beschreibung derselben Landschaft, natürlich wieder mit vorzugsweiser Verwendung negativer Nominalia, im Licht der untergehenden Sonne: „Iba anocheciendo; la caída de la tarde era de una tristeza infinita. A un lado y a otro del camino se veían viñedos extensos de tierra roja, con los troncos de las viñas, que semejaban cuervos en hilera. Veíanse aquí manchas sangrientas de rojo obscuro; allá, el lecho pedregoso de un río seco, olivares polvorientos, con olivos centenarios, achaparrados, como enanos disformes, colinas calvas, rapadas; alguno que otro grupo de arbolillos desnudos. En el cielo, de un color gris de plomo, se recortaban los cerros pedregosos y negruzcos. Pasaban (Ossorio und sein Begleiter) por delante de una tapia
7o larguísima de color de barro. Se veía la ciudad roñosa, gris, en la falda del castillo, y la carretera, que serpenteaba llena de pedruscos. Allá cerca, el campo yermo se coloreaba por el sol poniente, con una amarillez tétrica. Fernando miraba y apenas oía" (S. 199. Weitere „puestas del sol" S. 86, 93/94, 101/02). Denselben Wortschatz verwendet Baroja bei der Beschreibung von verlassenen Gärten und zerfallenden Gebäuden, die sich auch bei ihm wiederfinden, z. B. S. 57, 73. Ich verzichte auf die Anführung dieser Stellen ebenso wie auf die Wiedergabe von Intérieurschilderungen, die wortmäßig und inhaltlich sich bei Valle-Inclán und Baroja gleichen (z. B. S. 31, 113, 187 usw.). Da Azor in die Vorliebe für öde Landschaften, Sonnenuntergänge, Spätnachmittage, verlassene Gärten, alles Zerbrechliche und Zerbrechende, mit seinen Generationsgenossen teilt, so läßt sich der gleiche und beträchtliche Anteil negativer Nominalia auch in seinem Wortschatz feststellen. Eine glückliche Kombination von verschiedenen der eben genannten Elemente stellt folgende Stelle aus, ,La Voluntad' *, inhaltlich und wortmäßig, dar: „Yuste y Azorín han ido al Pulpillo. E l Pulpillo es una de las grandes llanuras yeclanas. Amplios cuadros de viñas vénse entre dilatadas piezas de sembradura, y los olivares se extienden a lo lejos, por las lomas amarillentas, en diminutos manchones grises, simétricos, uniformes . . . En los días grises del otoño, o en Marzo, cuando el invierno finaliza, se siente en esta planada silenciosa el espíritu austero de la España clásica, de los místicos inflexibles, de los capitanes tétricos — como Alba —; de los pintores tormentarios — como Thotocópuli —; de las almas tumultuosas y desasosegadas -*- como Palafox, Teresa de Jesús, Larra — . . . E l cielo es ceniciento; la tierra es negruzca; lomas rojizas, lomas grises, remotas siluetas azules cierran el horizonte. E l viento ruge a intervalos. El silencio es solemne. Y la llanura solitaria, tétrica, suscita las meditaciones desoladoras, los éxtasis, los raptos, los anonadamientos de la energía, las exaltaciones de la fe ardiente . . . Hay en el Pulpillo tres o cuatro casas de labranza juntas; una de ellas es la del Obispo. A ésta han venido Yuste y Azorín. Es un vetusto edificio, enjalbegado de cal amarillenta; tiene cuatro balcones diminutos; ante la casa se extiende un huerto abandonado, con las tapias ruinosas. Y en uno de los ángulos del huerto, dos negruzcos cipreses elevan al cielo sus copas desmochadas" (S. 151/52; vgl. ferner S. 162, i73ff.; für „ p u e s t a del sol y t a r d e " S. 41, 91, 165 bzw. 31, 63, 100, 135, 143; für „Intérieurs" z. B. S. 29, 38, 95). Als ein Stück noch lebendiger, langsam zerfallender Vergangenheit zieht Azorín auch Toledo an, zu dem er ebenso wie die übrigen 98er „gewallfahrtet" ist; denn „Toledo es una ciudad sombría, desierta, trágica." (La Voluntad, S. 193) Aus dem gleichen Grunde sucht
7i Azorín Sonntags mit Vorliebe den „Rastro", den Madrider Trödelmarkt, auf, um „cierta tristeza vaga" genießend zu empfinden „en este immenso y rumoroso cementerio de cosas — que representan pasados deseos, pasadas angustias, pasadas voluptuosidades". (S. 227) Auch in den 19 Gedichten der Sammlung „Soledades" von Machado sind die Symbole für innere Leere und Traurigkeit die gleichen und zeitigen einen parallel gehenden häufigen Gebrauch Negatives bezeichnender Nominalia, z. B. bei der Beschreibung von Ebenen mit staubig weißen, in der Ferne sich verlierenden Wegen unter den Strahlen der untergehenden Sonne an herbstlichen Spätnachmittagen. Die Gedichte VI, VII, X I , X I I I , X V I I behandeln nur „Tarde" und „Puestadel Sol", in I, IV, V, X V kommt „tarde' * als wesentliches Stimmungselement vor. Daher erscheinen die meisten Wörter, die in den vorausgehenden Zitaten aus den Werken der übrigen 98 er häufig vorkamen und für den Sprachschatz ihrer ersten generationsgebundenen Schaffensperiode typisch sind, auch bei Machado fast auf jeder Seite wieder: „sala familiar sombría, deshójanse las copas otoñales del parque mustio y viejo, húmedos cristales, floridos desengaños dorados por la tarde, hojas amarillas otoñales, blancas rosas" (Gedicht Nr. I), „caravanas de tristeza, melancólicos borrachos de sombra negra" (II), „tarde horrible, abierta sepultura, podridos pétalos, áspera fragancia, pesados terrones polvorientos" (IV), „tarde triste y soñolienta, hiedra negra y polvorienta, vieja cancela, agrio ruido, solitario parque, hierro mohoso, tarde muerta" (VI), „desierta plaza, viejo paredón sombrío, ruinosa iglesia, plaza muerta" (X), „caminos de la tarde, polvorientas encinas, campo mudo y sombrío" (XI), „sombrías torres, negra caja, sitio de la fosa, golpes de la azada" (XII). Damit ist für den Sprachschatz der Generation von 1898, soweit er in der Wortwahl inhaltlich durch die Vorliebe für Begriffe aus dem Bereich der Dekadenz bestimmt ist, eine weitgehende Gleichartigkeit im häufigen Gebrauch negativer Nominalia erwiesen. Diese Feststellung läßt sich noch weiter ausdehnen auf Bezeichnungen zur Wiedergabe von Sinneseindrücken, die ebenfalls in der ersten Schaffensperiode der 98er einen bevorzugten Platz einnehmen. Haftet doch der „décadent" im Bewußtsein der Zeitbedingtheit seines Ich und ohne Lebensziele und Glauben an ein Jenseits mit allen Fasern am Leben dieser Erde, das er in all seinen Erscheinungsformen und seiner Vielgestaltigkeit zu sehen und, dadurch daß er es als Vergehendes und oft als bereits Vergangenes ansieht, mit aller Kraft und Intensität in sich hineinzuziehen und auszukosten sucht. So nennt sich Azorín z. B. einmal selbst einen „amante de la sensación intensa y refinada" (S. 273) und charakterisiert die Mentalität seines literarischen Ich „Azorin" folgendermaßen: „Su espíritu anda ávido y perplejo de una parte a otra; no tiene plan de vida; no es capaz del esfuerzo sostenido; mariposea en torno a todas las ideas, tratá de g u s t a r t o d a s l a s s e n s a c i o n e s " (S. 183).
72 So findet man denn z. B . in sämtlichen Werken aus der ersten Schaffensperiode der 98 er eine Fülle von Farbbezeichnungen für impressionistisch, nuanciert gesehene Farben. Dabei zeigt sich weiter, daß bestimmte Farben, nämlich „blanco, amarillo und negro" besonders bevorzugt werden. Die Sensibilität für Geruchempfindungen ist ebenfalls stark ausgeprägt. Auch Synästhesien begegnen häufig. Diese starke Sensibilität, die sich natürlich im Sprachschatz deutlich ausprägt, ist aber, wie oben angedeutet, nicht nur durch die weltanschauliche Skepsis und die daraus resultierende Differenziertheit des Empfindens bedingt, sondern auch bewußt unter dem literarischen Einfluß von Verlaine und vor allem wieder Rubén Daríos ausgebildet. Ich erinnere hier nur an die Verse aus der „Art poétique" von Verlaine : Car nous voulons la Nuance encor pas la Couleur, rien que la nuance! und an Darios Erstlingswerk „Azul . . .", in dem er an einer Stelle erklärt, daß der Kopf des lyrischen Dichters „una orgía de colores y de sonidos" sei 1 ). In den Abschnitten dieses Werkes mit den Titeln: „ E n busca de cuadros. Acuarela. Paisaje. Agua fuerte. Un retrato de Watteau. Naturaleza. Al carbón. Paisaje". 1 ) finden sich infolgedessen bereits viele Bezeichnungen für Farbnuancen und ebenso eine ausgesprochene Vorliebe für bestimmte Farben, besonders „weiß", die ich jetzt als typisch für den Sprachschatz der 98er nachweisen will. Ich beginne mit einer Übersicht über die Bezeichnungen für impressionistisch gesehene Farben aus den bisher herangezogenen Werken. Da auch hier, wie im vorausgehenden Abschnitt, Gegenstände bezeichnet und ihre Farbmerkmale beschreibend, wenn auch oft stimmungsmäßig-symbolisch umgedeutet, festgehalten werden, überwiegt wieder als sprachliches Korrelat der beiden angedeuteten Vorstellungskreise wortartmäßig das nominale Element: Substantive und Adjektive. Für die Reihenfolge der Aufzählung der sprachlichen Variationen für die verschiedenen Farbnuancen soll bei den einzelnen Autoren die Originalität bzw. die Zahl ihres Vorkommens maßgebend sein. Sprachliche Neubildungen oder Wiederbelebung veralteter Ausdrücke, was j a mit Neubildung gleichbedeutend ist, werde ich bei dieser Zusammenstellung von Ausdrücken für Farbempfindungen besonders hervorheben. Zunächst einige Beispiele aus B a r o j a s „Camino de perfección": 1 . Nuancen von „amarillo" = gelb: „resplandores anaranjados, cobrizo, oro pálido, amarillez de ópalo, opalino" (S. 14); „casas amarillentas, ictéricas" (medizinischer Ausdruck: „die Gelbsucht betreffend", zur Bezeichnung dieser Farbe sonst „icterino" gebräuchlicher, obwohl auch seltener als „amarillo") *) R. Darío: Azul . . ., Bibl. de Autores Americanos, Barcelona o. j . S. 125 bzw. 119 ff.
73 „colinas de ocre, de siena" (seltene Worte) S. 93; „papel amarillo claro, madera de limoncillo, teclas amarillentas" (S. 30/31); „amarillez cruda calcárea" (S. 105). Zur Kennzeichnung des Gefühlswertes von „amarillo", der wieder negativ (!) ist, sei noch der Ausdruck „amarillez tétrica" (S. 199) zitiert. 2. Nuancen von „blanco" = weiß: „tinte blanquecino, cadavérico" (S. 94); „cielo lechoso" (S. 82); „tinte calcáreo-cadavérico" (S. 150); „casas enjalbegadas de un color agrio y doloroso" (S. 167); „blanco-azulado" (S. 205). 3. Nuancen von „negro" = schwarz: „negruzco" (17 mal) „verde-negruzco" (2 mal). Bei den Ausdrücken „tejados terreros" (erdfarben, in dieser Bedeutung neu) S. 68, ,,aguas color de limo" (limo = Schlamm, Kot) S. 128 und „resplandor de azogue" (azogue = Quecksilber) S. 142 weiß ich nicht, ob es sich um Nuancen von „gelb, grau oder weiß" handelt. An sonstigen Bezeichnungen für Farbnuancen treten bei Baroja noch auf: „rojizo" (i7mal) „violáceo" (umal) „verdoso" (4mal), außerdem noch „azul líquido, azul negro, azulado, azul profundo, rosado etc." Sonstige für seine impressionistische Sehweise typische Ausdrücke sind: „el humo de unas fábricas manchaba el cielo azul" (S. 14); „mancha verde, neblina de color de acero" (S. 50); „algodonosas nubes, pincelada de oro" (S. 85); „luz tamizada, claro-oscuro de un cuadro impresionista"(!); „polvareda luminosa" (S. 250) etc. Bei V a l l e - I n c l á n kommen an Bezeichnungen für Farbtönungen vor: 1. Nuancen von „amarillo": „carrillos melados por el sol" (S. 70) („melado" sehr selten); „rayo de anaranjada luz" (S. 193). 2. Nuancen von „blanco": „blanquecino" (S. 64), ferner das sehr häufige „lívido". 3. Nuancen von „gris": nur „ceniciento" (S. 16 und 19). 4. Nuancen von „negro": nur „negruzco" (z. B. S. 220). An sonstigen Bezeichnungen für Farbtöne treten bei ihm noch auf:
74
„verde sombrío casi negro" (S. 27), „verdoso" (S. 125, 180), „color de malva" (S. 38), „rosado", „avellanado" (S. 89), „violáceo," „dorado" (häufig), „de topacio" (S. 155). Seine Vorliebe für Lichtreflexe und unklares Halblicht zeigen folgende Ausdrücke: „luz incierta, lívido reflejo" (S. 12), „Concha . . . toda blanca en el reflejo de la luna" (S. 117), für alles Vaporeuse das beliebte Bild des aufsteigenden Rauches, der die Farben verschleiert und abtönt, z. B. „Humo blanco parecía salir de entre las higueras." (S. 139)
Bei A z o r í n , der „farbenfreudiger" ist als Valle-Inclán, treffen wir wieder zahlreichere Farbbezeichnungen, etwa für dieselben Farben und Farbtöne wie bei Baroja, doch sprachlich zum Teil weniger originell: 1. Nuancen von „amarillo": „amarillentas cabazas largas" (S. 21), sonst noch 15mal; „pálidos oros" (S. 36); „tintes ocres, lívidos" (S. 175); „ambarinas escolopendras" (S. 138), außerdem „dorado" (6mal) und „áureo pálido dorado" (S. 36). 2. Nuancen von „negro": „negruzco" (ismal), „negroso" (S. 158). 3. Nuancen von „gris": „nacaradas tintas" (S. 17/18); „vieja ciudad gris negruzca" (S. 48); „uniformidad plomiza" (S. 189): „cúpulas cenicientas" (S. 190). 4. Nuancen von „blanco": „vetas blanquecinas" (S. 17), sonst noch 7mal; „lechosa claror del horizonte" (S. 17), noch 1 mal S. 34; „semiblanco" (S. 190). Ferner wären noch an Bezeichnungen für Farbtöne zu erwähnen: „rojizo" (i2mal), „verdeante, jaspeado, verdoso, verdinegro, verde oscuro, verde pálido, verde claro", „azulado" (5 mal) „azul verdoso, azul borroso, azul pálido, semiazul", „rosado", „terrero" (S. 163). Weitere Belege sprachlicher Art für seine impressionistische Sehweise sind: „mancha negra entre bocanadas de humo" (S. 36); „el sol espejea entre las paredes blancas" (S. 174); „las diversas tonalidades de los verdes se funden en una inmensa y uniforme mancha de azul borroso; los términos primeros suéldanse a los lejanos; los claros salientes de las lomas se esfuman misteriosos" (S. 92); „la leve pincelada de la cordillera de Salinas azulea por encima de otra larga pincelada blanca de la niebla" (S. 173)-
75 M a c h a d o ist dem intim-verhaltenen Charakter seiner Dichtung entsprechend b e w u ß t sparsam im Gebrauch von Farben; das bemerkt er selbst ausdrücklich im Prolog zu den „Soledades": „Pensaba yo que el elemento poético no era la palabra por su valor fónico, ni el color, ni la línea, ni un complejo de sensaciones, sino una honda palpitación del espíritu 1 )." An Bezeichnungen für Nuancen der von der übrigen 98ern besonders bevorzugten Farben „amarillo, negro, blanco" finden sich bei ihm nur folgende Ausdrücke: „Naranjos encendidos" (S. 14); „fanal de oro transparente" (S. 29); „blanquecino" (2mal); „negruzco" (S. 29). Immerhin hat er auf den ca. 30 Seiten umfassenden „Soledades" trotz bewußter Einschränkung noch eine ganze Anzahl weiterer Farbnuancen bezeichnender Adjektive verwandt: z. B. „verde casi azul, verde mustio, verdinoso, gris plateado, dorado, rosado, morado" sowie einige andere Ausdrücke, die sein impressionistisches Farbensehen bezeugen: „espuma de la montaña ante la azul lejanía" (S. 25); „los últimos arreboles coronaban las colinas manchadas de olivos grises y de negruzcas encinas" (S. 29); „tras el vidrio de equívoco reflejo" (S. 32). In B e n a v e n t e s Werken muß die Ausbeute an Farbbezeichnungen natürlich spärlich sein, da die Beschreibungen im Drama selten sind und sein müssen. Doch wo einmal Farbbezeichnungen in größerer Zahl auftreten, wie in der nachfolgend zitierten Stelle aus „Noche del Sábado", zeigt sich auch bei ihm die für die 98er typische impressionistische Sehweise, durch die zahlreiche Farbbezeichnungen in ihren Sprachschatz gekommen sind. Die Situation: Donina, Tochter Imperias, ist vom Tode schon gezeichnet. Alle wissen es, nur sie nicht, die es selbst ahnungsvoll-ahnungslos in den Schlußworten dieser kleinen Szene andeutet: D o n i n a . ¡Mira qué hermosas rosas de todos colores! . . . I m p e r i a . No hay flores más hermosas. L e o n a r d o . Ni que más hablen de la vida. Todos los colores de la carne son sus colores; rojas como sangre, como labios encendidos; r o s a d a s como carnes de niño; a m b a r i n a s con suave caricia de carmín, como desnudos del Tiziano; éstas, opulentas de vida, como diosas de Rubens . . .; éstas, e x a n g ü e s , p á l i d a s como mano de virgen . . . Donina.
Y éstas a m a r i l l a s como la cera, como los muertos. (Noche del Sábado, S. 67.) Abgesehen von der Häufigkeit des Vorkommens von Farbbezeichnungen im Sprachschatz der 98 er, die durch die impressionistische ') A. Machado: Páginas escogidas, Madrid 1917 (Calleja) S. 15.
76 Sehweise der Generation von 1898 bedingt ist, läßt sich noch nachweisen, daß Bezeichnungen für bestimmte Farben, nämlich f ü r „amarillo, blanco, negro", von allen 98ern bevorzugt werden, daß also diese Generation besondere Lieblingsfarben hat. Zum Nachweis dieser Tatsache habe ich sämtliche Farbbezeichnungen, also unter Einschluß der Bezeichnungen für Farbtönungen, in der „ S o n a t a de otoño" (229 Seiten), „Camino de perfección" (255 Seiten), „ L a Voluntad" (307 Seiten) und „Soledades" (38 Seiten) gezählt. Das Ergebnis dieser Zählung liegt in nachstehender Aufstellung vor. Die eingeklammerten Zahlen geben den Rang an, den jede Farbe auf Grund der Häufigkeit der Farbbezeichnungen, die für sie im Sprachschatz der 98er vorkommen, j e w e i l s in d e m b e t r e f f e n d e n W e r k einnimmt. Von einer Angabe des Häufigkeitsverhältnisses in jedem Werk nach Prozenten habe ich abgesehen, da sich mit Hilfe der Rangziffern die Häufigkeitsfolge leichter ablesen läßt. Valle-I nclán 46 (1) 51
blanco (pálido) negro amarillo gris polvoriento rojo verde azul pardo
97 15 (3) 17 (2) 6 (7)
8 (5) 11 (4) 7 (6) —
161
Baroja
Azorín
137 (O
ni
67 (2) 62 (3)
42
(1)
77 (2) 35 (6)
Machado 20 (1)
5 (4) 9 (2)
18
60 49 43 53 5
(4) (6) (7) (5) (8)
476
39 48 42 39 7 398
(5) (3)
(4) (5) (7)
3 (5) 7 (3) 7 (3) 5 (4) 2 (6)
58 Farbbezeichnungen
Aus dieser Übersicht ergibt sich also, daß „weiß" bei a l l e n g8ern die absolut am häufigsten vorkommende von den 8 untersuchten Farben ist, während „schwarz" und „ g e l b " , die beiden anderen Lieblingsfarben, außer bei Azorln, an zweiter und dritter Stelle folgen. Bei prozentueller Berechnung stellt sich das gleiche Ergebnis für die drei genannten Lieblingsfarben insofern als noch besser und evidenter heraus, als bei a l l e n 98ern mehr als 5 0 % der verwendeten Farbbezeichnungen die Lieblingsfarben benennen. Die genauen Zahlen sind für Valle-Inclän 8 0 % , für Baroja 5 6 % , für Azorfn 5 5 . 8 % und für Machado 5 8 , 5 % . Die Verwendung von Farbbezeichnungen pro Seite veranschaulichen folgende Zahlen: Valle-Inclän 229 161 0,7%
Baroja 255 476 1,86%
Azorin 307 398 I>32%
Machado 38 Seiten 58 Farbbezeichnungen 1,53% Pro Seite
Das prozentuelle Ergebnis für die Häufigkeit der drei Lieblingsfarben gestaltet sich noch günstiger, wenn man weniger auf das zahlenmäßige
77 Vorkommen der Farbbezeichnungen achtet, die der Sprache normalerweise für die Lieblingsfarben der 98 er zur Verfügung stehen, als vielmehr Originalität und Zahl der Neubildungen und Archaismen berücksichtigt, welche diese Generation zur Benennung ihrer Lieblingsfarben geschaffen oder wieder aufgebracht hat, so wenn z. B . Valle-Inclän statt ,,negro" die heraldische Farbbezeichnung „sable", Azorin für ,,blanco" „diäfano, cändido, nitido, albo" und die zugehörigen Substantive „nitidez" und „albura" gebrauchen. Das Ergebnis der damit abgeschlossenen Untersuchung des Sprachschatzes der Generation von 1898, vom Gesichtspunkt der inhaltlich bestimmten Wortwahl aus, läßt sich mithin für die erste Schaffensperiode der 98er etwa so zusammenfassen: Der Sprachschatz der 98 er hat in dieser Periode ihres Schaffens einen ausgesprochen nominalen Charakter. Die sprachlichen Korrelate für Gegenstands- und Merkmalsvorstellungen überwiegen gegenüber den verbalen Elementen. Sie bezeichnen negative Inhalte und treten in Landschafts-, Milieu- und Personenschilderungen auf, die als unmittelbarer symbolischer Ausdruck des negativen dekadenten Welterlebnisses der Generation von 1898 anzusehen sind. Das Vorherrschen und die Originalität der lyrisch-meditativen gegenüber den dramatisch-aktivistischen Stellen erklärt das Zurücktreten der Verba in der Sprache der 98 er und ist ebenfalls weltanschaulich durch die radikale Skepsis bedingt, die das Wollen dieser Generation lähmt und sie dem Leben gegenüber in eine passive Rolle drängt. 2. Formell bestimmte Wortwahl im Sprachschatz der 98 er. Im Verfolg meiner Absicht, die generationsmäßige Gebundenheit der 98 er in der sprachlichen Gestaltung ihrer Werke aus der ersten Schaffensperiode durch Aufzeigung gemeinsamer wesentlicher Stileigentümlichkeiten nachzuweisen, will ich jetzt den Sprachschatz dieser Generation von der Seite der formell, durch die Wortherkunft und durch den Wortkörper, bedingten Wortwahl ins Auge fassen. Neben der Vorliebe für zeitgenössische vorhandene Sprachbestände interessieren auch hier wieder als besonders aufschlußreich sprachliche Neuerungen, seien es Provinzialismen, Archaismen oder Neologismen im eigentlichen Sinne, neu gebildet aus spanischen Sprachund Formelementen oder aus dem Französischen und Lateinischen leicht hispanisiert oder unverändert übernommen (Gallizismen, Latinismen). Leider stellen sich einer derartigen Untersuchung allgemein und dem Ausländer besonders große Schwierigkeiten entgegen. Die vorhandenen Wörterbücher verzeichnen wohl die Gallizismen, sagen auch meist aus, woher der betreffende Ausdruck stammt (technische Bezeichnung, gelehrte Bildung, Provinzialismus usw.), geben aber keinen Anhaltspunkt für das erstmalige Auftreten eines Wortes,
7« wie etwa Littré in seinem Dictionnaire. Auch gibt es keine Geschichte der spanischen Sprache ähnlich der, die Brunot für die französische Sprache geschrieben hat. E s läßt sich also im Einzelfalle oft nicht nachweisen, ob die 98er einen Ausdruck selbst aufgebracht oder ihn übernommen und nur allgemeiner zur Geltung gebracht haben. Hier kann also nur das Urteil eines gebildeten spanischen Zeitgenossen maßgebend sein. Die einzige mir bekannte Arbeit dieser Art ist die „Critica profana" (Madrid 1916) von Julio Casares, die aber leider nur Valle-Inclân und Azorin behandelt, die Tendenz dieser Autoren zu Gallizismen, Archaismen und Solezismen (fehlerhafte Spracheigenschaften) feststellt und ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, eine Reihe solcher Ausdrücke und Wendungen herzählt (Kap. III und IV, S. 42—61 über Valle-Inclân, Kap. I I , S. 149—164 über Azorin). Die zweite Schwierigkeit für den Nachweis einer generationsmäßigen Gleichartigkeit des Sprachschatzes dieser wie jeder Generation, vom Gesichtspunkt der formell bedingten Wortwahl aus, besteht darin, daß die zweifellos vorhandenen gemeinsamen Tendenzen sich bei dem einzelnen Schriftsteller je nach der Art seines Charakters und der Gattung der von ihm gepflegten Dichtung anders ausprägen, ja unter Umständen gar nicht ausprägen können, wie z. B. lyrischmusikalische Tendenzen im Drama. Erlesenheit und Musikalität des sprachlichen Ausdrucks sind Forderungen, die die 98 er allgemein erheben und bei der Wortwahl berücksichtigen. Auch in diesen beiden Punkten streben sie den von Dario praktisch und theoretisch1) vertretenen beiden Grundsätzen des „Art poétique" von Verlaine nach: Il faut aussi que tu n'ailles point choisir tes mots sans quelque méprise. De la musique avant toute chose.
Für die Aufnahme beider Grundsätze war die Mentalität der 98 er auch besonders empfänglich; denn die Ereignisse von 1898 hatten die Bildung eines Geistes scharfer Kritik und Auslese ebenso wie das Aufkommen einer Stimmung fatalistischer Hingabe an das Geschehen als Gegenstück gezeitigt, die den Wunsch nach Flucht aus der Wirklichkeit in eine Traumwelt begünstigte, in der die Gesetze der Wirklichkeit und des bewußten Lebens nicht galten. Die Musik als spezifische Kunst des Unbewußten und natürlicher Gegenpol kritisch-rationaler Überwachheit wurde daher auch von den 98ern 1 ) R . Dario: Canto errante, Madrid 1922, Vorrede S. i 8 f f . : ,,No gusto de moldes, nuevos ni viejos . . . Mi verso ha nacido siempre con su cuerpo y su aima, y no le he aplicado ninguna clase de ortopedia. He si cantado aires antiguos, y he querido ir hacia el porvenir, siempre bajo el divino imperio de la müsica: müsica de las ideas (!), müsica del verbo."
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als „calmante" ) empfunden und spielt sowohl inhaltlich wie auch formell-sprachlich in den Werken ihrer ersten Schaffensperiode eine große Rolle. Bei Valle-Inclán erscheint daher als wesentlicher Bestandteil seiner Ästhetik der magische Glaube an die musikalische Ausdruckskraft des Wortkörpers unter Verachtung der begrifflichen Wortbedeutung: „ L a suprema belleza de las palabras sólo se revela, perdido el significado con que nacen, en el goce de su esencia musical, cuando la voz humana, por la virtud del tono, vuelve a infundirles toda su Ideología. — El poeta ha de confiar a la evocación musical de las palabras todo el secreto de esas ilusiones que están más allá del sentido humano apto para encarnar en el número y en la pauta de las verdades demostradas. El secreto de las conciencias sólo puede revelarse en el milagro musical de las palabras. ¡Asi el poeta, cuanto más obscuro más divino! 2 )" Erlesenheit ihres Sprachschatzes erstreben und erreichen die 98 er in doppeltem Sinne, inhaltlich durch die Wahl des zutreffendsten Wortes für den zu bezeichnenden Begriff, ohne Rücksicht darauf, ob es spanisch (castizo) oder fremdländisch, volkstümlich oder gelehrt ist; formell durch die bevorzugte Wahl von Wörtern seltener Art und Herkunft, sofern die begriffliche Adäquatheit des betreffenden Ausdrucks seinen Gebrauch rechtfertigt. Verhaßt ist allen 98ern der Gemeinplatz, der Gebrauch trivialer Wörter und konventioneller Wendungen. Abgegriffene leere formelhafte Ausdrücke oder hemdsärmelig volkstümelnde Bezeichnungen, wie sie etwa Galdós, z. B. in Angel Guerra (1891—1892, dem Gegenstand mit „Camino de perfección" von Baroja verwandt), dauernd gebraucht, finden sich in ihrem Wortschatz nicht mehr. Ich zitiere einige solcher Wendungen aus dem Roman von Galdós: „se comprende a medias, p a l a b r a sí, p a l a b r a no" II, S. 13 (Madrid 1921); „ s a b o r e a n d o el g u s t i l l o de considerarse próximo a ella" II, S. 20; „un fabuloso hipogrifo le había transportado en un d e c i r J e s ú s " II, S. 10; „ c a u d a l o s a e r u d i c i ó n " , „ i n m a c u l a d a b l a n c u r a " , „razón f r í a " II, S. 12/13; „durmiendo a p e d a c i t o s " usw. Ebensowenig schätzen sie akademische Floskeln und Leerläufe, wie man sie bei Valera fast auf jeder Seite seiner Romane nachweisen kann, beispielsweise solche Ausdrücke wie „siendo grande el cuarto como lo era" oder „supongo pues, y creo y tengo por cierto" (aus 1
) Baroja, Juventud, Egolatría, S. 41. ) H. Petriconi: Die spanische Literatur der Gegenwart, Wiesbaden 1926, S. 94. Dort zum Teil zitiert, im übrigen Valle-Inclán: Lámpara Maravillosa, S. 88, 53/54, 55/56. ä
8o Pepita Jiménez, Ausg. Madrid 1921, S. 165 und 173). Für sprachlichen Biedersinn oder akademisch verbrämtes Pathos und hohles Gepränge hatte diese Generation nach dem Erlebnis des Zusammenbruchs von 1898 keinen Sinn mehr; ihr Bestreben ging dahin, eine würdige, dem Gegenstande inhaltlich und formell angepaßte Sprache zu schreiben. Die Behandlung der Erlesenheit des Sprachschatzes der Generation von 1898 gehört daher sowohl in das vorausgehende Kapitel der inhaltlich bestimmten Wortwahl wie in diesen Abschnitt, in dem der Sprachschatz der 98 er nunmehr vom Gesichtspunkt der formell bestimmten Wortwahl aus betrachtet werden soll. Die Wirksamkeit des musikalischen Prinzips bei der Wortwahl zeigt sich besonders bei Valle-Inclán, Azorfn und Machado. Bei Baroja spielt es bei seinen Landschafts- und Stimmungsbildern und in den Prosagedichten, die er in seine ersten Romane eingestreut hat 1 ), eine gewisse, wenn auch beschränkte Rolle, bei Benavente ebenfalls, jedoch nur bei der wirkungsvollen Ausgestaltung von Prologen und Aktschlüssen (z. B. Prolog zu „Noche del Sábado" und Schluß von Akt V, S. 7 bzw. 75). Bevor ich in den Einzelnachweis für formell bestimmte Wortwahl großer Bestände im Sprachschatz der ersten Schaffensperiode der 98er eintrete, möchte ich noch bemerken, daß die genannten beiden formalen Prinzipien der Erlesenheit und Musikalität bei der Wortwahl gelegentlich selbstverständlich zusammenwirken können, insofern die Wahl eines Wortes auf Grund des musikalischen Wertes des Wortkörpers oft auf ein Wort fremder Herkunft und seltenen Gebrauches fallen kann, das eben wegen seines u n g e w ö h n l i c h e n K l a n g e s oder R h y t h m u s ' , wegen seiner Klangwirkung und seiner Seltenheit oder fremdartig vornehmen Herkunft 2 ) gewählt wird. Bei Valle-Inclán sind die auf -oso endigenden Adjektive, ihrer Sonorität wegen, außerordentlich beliebt und häufig. Auf den 229 Seiten der „Sonata de otoño" habe ich ca. ioomal das Vorkommen solcher Adjektiva gezählt. Neben Adjektiven auf -oso, die im allgemeinen Sprachgebrauch oft vorkommen, wie „bondadoso, hermoso, gracioso, religioso, delicioso" stehen andere, die allgemein weniger üblich sind, bei Valle-Inclán aber überaus häufig erscheinen, so z. B. „amoroso" 7mal, „oloroso" 7mal, „doloroso" 6mal, „silencioso" iomal, „piadoso" 8mal. Man könnte nun hier den Einwand machen, die Häufigkeit des Vorkommens dieser Adjektive sei inhaltlich bedingt, müsse also nicht aus klanglichen Gründen erfolgt sein. Diese Behauptung läßt sich aber nicht für die nachl ) Baroja: Paradox, Rey: Elogio sentimental del acordeón (S. 67); Elogio metafísico de la Destrucción (S. 191). Vgl. ferner Barojas Frühwerk „Idilios vascos", Bibl. Mignon, Madrid 1901, besonders S. 45 ff. (Playa de otoño). . . . „aplicación de erudición oportuna, aristocracia léxica" sind Forderungen Daríos. (R. Darío: Historia de mis libros, Madrid 1919, S. 177.)
8i folgenden, selten vorkommenden Adjektive aufrechterhalten, zu deren Gebrauch Valle-Inclán nur ihr Klangwert bestimmt haben kann. E s sind die Adjektive: „medroso, lustroso, ruboroso, umbroso, caviloso, carnoso, pedregoso, tenebroso, nebuloso, cauteloso", sowie sedoso statt sedeño, verdoso statt verdal, humoso statt ahumado und die Neubildung sudoroso statt sudoriento. Klangliche Rücksichten waren ebenfalls maßgebend bei der W a h l der Adjektive auf -ino: palatino statt palaciego, repentino statt súbito, latino statt bucólico (in „emoción latina", S. 78); des A d j e k t i v s auf -iano: réplica calderoniana statt equívoca; der Substantive auf -ura: cabalgadura statt caballo, premura statt prisa, pavura statt miedo, beber con largura statt largamente; der postnominalen Substantive und Adjektive auf -eo bzw. -ear: „cascabeleo, aleteo, ventear, secretear, palmotear, chisporrotear, blanquear, chalanear, tambalear, revolotear", mordisquear statt mordiscar und die Neubildung flamear. Der Klangwert zugleich mit der Seltenheit des Ausdrucks hat Valle-Inclán „ a z a f a t a " statt „doncella", das portugiesisch-galizische „riveirana" statt „canción" und „saudade" statt „nostalgia" wählen lassen. Für die zahlreichen Latinismen und Archaismen sind dieselben Gründe maßgebend gewesen: z. B. L a t i n i s m e n : „aura, sierva, gleba, mantelo, colono"; A r c h a i s m e n : „huelgo, vianda, luengo, escampar, escampo". Klanglich, aber wohl noch mehr rhythmisch ist die Wahl folgender adjektivischen und substantivischen Oxytona bedingt: A d j e k t i v a a u f - a l : „abacial, monacal, sepulcral, otoñal, senatorial, doctoral, estelar" (Neubildung, 1 dissimiliert). S u b s t a n t i v e a u f - a l : „umbral, madrigal, balaustral statt balaustrado oder balaustrada, ventanal" (Neubildung). S u b s t a n t i v e a u f - í , - i n : „ r u b í " in „rubíes de la brasa", „ p a t í n " statt „patio pequeño". Die Vorliebe für Oxytona zeigt sich außerdem in der gelegentlichen Häufung von Formen des „perfecto simple", so z. B. sieben Formen hintereinander in sieben Zeilen (S. 209/10): ,,. . . me deslicé, cogí, contemplé . . . tocó, pensé, abrí und miré". Auch den scharf markierten Rhythmus der Proparoxytona schätzt Valle-Inclán sehr, wie das häufige Erscheinen von Worten aus dem Latein der Gelehrten- und Kirchensprache zeigt; dafür folgende Beispiele: S u b s t a n t i v e : „hábito, túnica, cámara, réplica, súplica, tríptico, hálito, tálamo, égloga, vértigo, crepúsculo, hórreo". A d j e k t i v e : „pálido, nostálgico, lívido, trémulo, lánguido, eucarístico, estóico, visigótico, Cándido, húmedo, monástico, J e s c h 1c e , Beiheft xur Zeitschr. f. rom. Fhil. LXXX11I.
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82 melancólico, heráldico, seráfico, tácito, diáfano, canónico, solícito, quimérico" usw. Verbale Proparoxytona sind ebenfalls ihres rhythmischen Charakters wegen bei Valle-Inclán sehr beliebt; z. B. erscheinen auf S. 204/05 in kurzem Abstände hintereinander 5 mal Gerundia mit angehängtem Pronomen: „rozándome, acariciándola, riéndome, retorciéndome, levantándome". Noch auffälliger ist die Eigenheit Valle-Incláns, zur Erzielung verbaler Proparoxytona von der Möglichkeit, das Pronomen am Satzbeginn dem Verbum, zu dem es gehört, nachzustellen, ausgiebigsten Gebrauch zu machen. Ich habe 15 derartige Fälle gezählt. Außerdem habe ich I4mal diese Nachstellung sogar im Satzinnern gefunden. Zwei ganz besonders krasse Fälle will ich zitieren: „Volvía la cabeza, y con los ojos b u s c á b a l e s en torno del hogar, en medio del humo . . ." (S. 22). „Tal vez la misma boca h a b í a l e contado ahora que el Marqués de Bradomín estaba en el Palacio de Brandeso!" (S. 174). Diesen Oxytona und Proparoxytona im Wortschatz Valle-Incláns, die den Rhythmus beleben sollen, wirken zur Unterstreichung der durch das Thema bedingten Largostimmung lässig und lang ausschwingende Paroxytona entgegen, so z. B . : S u b s t a n t i v e a u f - a n c i a , - a n a , - u r a : „fragancia (sehr häufig), en lontananza, a usanza (seltener Ausdruck) de Castilla, labranza, fontana, solana, riveirana". A d j e k t i v e a u f - a n t e : „cambiante, distante, agonizante, radiante, vacilante, suplicante, caminante, palpitante"; die Neubildungen: „orante, suspirante, torturante, fragante statt fragranté, ondulante" (vgl. Casares, zit. Werk, S. 66/67). A d j e k t i v e auf - e n t e : „ardiente, doliente, indulgente, complaciente, yacente, potente, decadente". Der gleichen, den Satzrhythmus verlangsamenden und damit dämpfenden und auf den Ausdruck einer getragenen Stimmung abzielenden Tendenz scheinen neben den eben genannten Substantiven und Adjektiven auch die auf -oso, -ino und -iano endigenden Adjektive zu dienen; ferner Paroxytona mit klangvollem Tonvokal wie „saudade" statt „nostalgia", „humareda" statt „humo", „aguacero" statt „chubasco", „beso postrero" statt „último beso" und endlich vielsilbige retardierend wirkende Wörter, wie z. B. „funambulesco" (Neubildung nach frz. Muster). Azorfn teilt mit Valle-Inclán die Vorliebe für Adjektiva mit klangvollen Endungen. Man kann sagen, daß z. B. in seinem autobiographischen Roman „ L a Voluntad", der ja auch dieser Untersuchung zugrunde gelegt wurde, sämtliche im Spanischen existierenden A d j e k t i v e a u f - o s o vorkommen. Das Schwelgen in Sonorität wirkt geradezu geschmacklos und unkünstlerisch, wenn in knapp
83 i6 Zeilen hintereinander erscheinen: „tembloroso, rumoroso, sonoroso, armonioso, angustioso, anchuroso", untermischt mit „moscardoneo, rastreante, tambalea, clamoreo, negrura" (S. 161/62). Von den Adjektiven auf -oso will ich darum nur die im sonstigen Sprachgebrauch seltenen Wörter und die Neubildungen aufzählen: S e l t e n e r e W ö r t e r : „sedoso, herrumbroso, vagaroso, lechoso, verdoso, abundoso, veleidoso". N e u b i l d u n g e n : „negroso, esplendoroso, ombrajoso (Casares sieht darin einen Gallizismus, ich glaube nicht daran: Klang maßgebend), sombrajoso, onduloso, sonoroso" („sonoro" nicht sonor genug!). Fast ebenso auffallend ist der Gebrauch der eben schon zum Teil zitierten zahlreichen Substantiva auf -eo und der postnominal gebildeten Verben auf -ear: S u b s t a n t i v e auf -eo: „tintineo, carraspeo, clamoreo, traqueteo moscardoneo" (Neubildung). V e r b e n auf - e a r : „golpear, gatear, campanillear, azulear, bordear, blanquear, llamear, fiamear (Neubildung), musiquear (Neubildung), flanquear" (nach Casares Gallizismus). Auch die auf -ino a u s l a u t e n d e n A d j e k t i v e finden wir bei Azorin häufig wieder, z. B. „blanquecino, cristalino, argentino, repentino, mohino", ferner solche auf -ero (langer Vokal wie -ino): „plañidero, palabrero", auf -ento: „sanguinolento, soñoliento" (ihrer Vielsilbigkeit und Betonung auf der paenultima wegen beliebt). Weniger schwerfällig-künstlich wie die postnominal gebildeten Verben auf -ear wirken die Partizipien auf -ante und -ente, die bei Azorin ebenso wie bei Valle-Inclán zahlreich auftreten, meist als Adjektiva, zuweilen auch substantivisch verwandt: A d j e k t i v e auf - a n t e : „joyante, radiante, crepitante, claudicante, acompañante, circunstante, andante, aplastante, jadeante"; Neubildungen: „inquietante, sedante, denigrante, resaltante, contoneante, cimbreante". A d j e k t i v e auf - e n t e : „ferviente, estridente, indolente, patente, intercadente, persistente, decadente". Auch hier habe ich den Eindruck, daß die bisher angeführten klangvollen nominalen Paroxytona mit ihrem langsam schleppenden Rhythmus die Grundstimmung des Romans und die Generationsstimmung, verhaltene Melancholie und Monotonie, künstlerisch untermalen sollen. Die dadurch hervorgerufene rhythmische Largostimmung wird ebenso wie bei Valle-Inclán noch unterstützt durch l a n g e S u b s t a n t i v e mit den weitausschwingenden t o n l a n g e n Endungen -anza, -ancia und -ura, z. B. in „lontananza, añoranza, fragancia, llanura" u. a. und durch die sehr beliebte K o n j u n k t i v f o r m auf - a r a , -iera statt -ase, -iese. 6*
»4 Wie bei Valle-Inclán1) treten diese klang- und archaisch stimmungsvollen Formen auch bei Azorin in der unbestimmt zwischen der seltenen Plusquamperfekt- und Perfecto simple schwankenden Bedeutung auf: „ Y como la noche llegara . . . " S. 8o; „Como llegara el crepúsculo . . ." S. 157; „ L a inspiración que informara nuestra literatura" S. 202; „ E l desolador pesimismo del pueblo griego, el pueblo que creara la tragedia, resurge . . ." S. 242. Selbstverständlich kommen auch bei Azorin Oxytona und Proparoxytona in großer Zahl vor; doch reichen sie nicht aus, um der geradezu erdrückenden Monotonie, die auf dem ganzen Roman lastet, etwas entgegenwirken zu können; denn Azorin hat nicht genügend künstlerisches Taktgefühl, um wie Valle-Inclán dem Leser seine Empfindungen in künstlerischer Gestaltung darzubieten und sie ihn innerlich frei nachempfinden und genießen zu lassen. Die menschliche Ehrlichkeit, der Drang, seine Stimmung unstilisiert wiederzugeben, hat Azorin und seine Leser vielfach um die ästhetische Wirkung seines Romans gebracht. Trotz der Zurückhaltung, die sich Machado bezüglich der Auswertung des „valor fónico de las palabras" (vgl. S. 75) auferlegt, läßt sich auch bei ihm der Einfluß von Verlaines „De la musique avant toute chose" bei der Wortwahl aufzeigen. Wie das bei einem Dichter ja selbstverständlich ist, haben Machado im Reim und auch sonst klangliche Rücksichten bei der Wahl der verwandten Wörter oft bestimmt. Ein Beispiel dafür ist das 6 mal in den 19 Gedichten seiner „Soledades" vorkommende „sonoro", das 4mal im Reim und 2mal im Versinnern steht: im R e i m : „sol de oro" — „mar sonoro" (S. 12); „la sonora/copla — agua cantora" (je imal S. 18—20); „campanitas de oro" — „campo sonoro" (S. 30); im V e r s i n n e r n : „timbre sonoro y hueco", „espuela sonoro de mi paso" (S. 17 und 34). Auch die Vorliebe für die A d j e k t i v e auf -oso finden wir bei Machado wieder. Auf den 30 Seiten der „Soledades" kommen 13mal solche Adjektive vor, und zwar: „oloroso, mohoso (2mal), silencioso, hermoso (2mal), luminoso (2mal), vanidoso, nervioso, ruinoso, desdeñoso und verdinoso" (Neubildung). A d j e k t i v e auf -ino sind seltener, aber dafür gerade an exponierter Stelle, im Reim, sehr beliebt: z. B. „diamantino, campesino, marino, divino, blanquecino". l ) Valle-Inclán: Sonata de otoño, S. 22, 37, 136. „ E l año anterior, como la sequía fuera tan grande, p e r d o n á r a l e todo el fruto." — . . . „los vestidos que Concha l l e v a r a puestos aquel día". — „ L a pobre Concha e n o j á r a s e conmigo. . ."
«5 Von Machado wird ebenso wie von den übrigen 98ern die schmerzlich süß empfundene Trauer- und Schwermutstimmung, die ihre Werke durchzieht, klanglich und rhythmisch betont durch lange rhythmisch schleppend wirkende Paroxytona, z. B. „amargura" statt ,,amargor", ,,sepultura" (eigentlich Beerdigung) statt „sepulcro" oder „ f o s a " , „algazara" statt „algarabía", bei denen außerdem der Tonvokal ein Laut von starker Klangfülle ist. So begegnen bei Machado z. B . auch oft Reim- und Assonanzpaare mit langem a, i und e in der paenultima: a
„hermano-lejano, 18,
i
hermana-lejana,
hermano-verano"
(S.
n,
19);
„ilumina-declina, caminos-pinos, mantino" (S. 12, 26, 29);
colinas-encinas,
divino-dia-
e „vereda-ribera, serena-pena, fieros-animales carniceros" (S. 13, 26, 35). An Substantiven und Adjektiven mit langem Vokal, schleppendem Rhythmus und Akzent auf der vorletzten Silbe lassen sich bei Machado außerdem noch folgende aufzählen: S u b s t a n t i v e a u f - a n a , - a n c i a , - e r o : „caravana; fragancia, estancia statt cuarto, lucero; sepulturero". A d j e k t i v e a u f - a n t e , - i e n t o : „resonante, vibrante, borbollante" (Neubildung); häufig mit „lento" reimend „soñoliento, polvoriento". Die Bevorzugung der K o n j u n k t i v f o r m auf - a r a , - e r a gehört auch in diesen Zusammenhang 1 ). In den beiden einzigen Fällen, wo der Konjunktiv in den „Soledades" vorkommt, wird das langsame verklingende -era dem kurz abschneidenden -ese vorgezogen. Wie Valle-Inclán sucht Machado dem vorherrschenden LargoRhythmus, der der gedämpft melancholischen Stimmung seiner Gedichte am besten entspricht, aus künstlerischen Gründen entgegenzuwirken durch Proparoxytona, z. B . die Substantiva: „hálito, túnica", ferner „álamo" statt „chopo" und die Adjektiva: „húmedo, candido, trémulo, místico, áspero, tórrido, purpúreo, equívoco, esquelético" (Neubildung), die zum größten Teil schon bei ValleInclán vorkamen. Damit stehen wir am Schluß dieses Abschnittes, der die Beeinflussung des Sprachschatzes der Generation von 1898 durch die Wirkung der formalen Prinzipien der Herkunft und des musikalischen Wertes der einzelnen Wörter bei der Wortwahl zeigen sollte. Inwie*) Die einzige exakt nachweisbare Rücksichtnahme auf den klanglichen Wert bei der Wortwahl, die Benavente mit seinen Generationsgenossen teilt, ist die Vorliebe für den Konjunktiv auf -ara-iera: Alma triunfante: Konj. auf -ase-iese, 2 mal, auf-ara-iera 39 mal. Noche del Sábado: Konj. auf-ase-iese 5 mal, auf-ara-era 52 mal.
86 fern die Aufstellung und Anwendung dieser Prinzipien bei den 98ern literarisch und weltanschaulich bedingt ist, wurde angedeutet. Zusammenfassend muß auch hier wieder, wie am Ende des vorausgehenden Abschnitts, auf das Vorherrschen der sprachlichen Korrelate für Gegenstands- und Merkmalsvorstellungen (Nomina) gegenüber den Verlaufsvorstellungen (Verba) hingewiesen werden. Typisch dafür ist, daß Neubildungen in ihrer überwiegenden Mehrheit Substantive und Adjektive sind. Die wenigen neu geschaffenen Verben, die dazu noch p o s t n o m i n a l gebildet sind und steif und künstlich wirken, fallen demgegenüber überhaupt nicht ins Gewicht. Wenn man an die für die 98 er charakteristische Stimmungskunst (Landschafts- und Milieuschilderungen) mit exaktester Beschreibung feinster Sinneseindrücke (Farben!) denkt, wird das Vorwiegen des nominalen Elements in ihrem Sprachschatz gegenüber dem verbalen gar nicht überraschen. Auch der Zusammenhang zwischen der stilistischen Tatsache, daß vorzugsweise Substantive und Adjektive bei der beschreibenden, wenn auch oft symbolisch gemeinten, Wiedergabe von Eindrücken der Außenwelt verwandt werden, und der phänomenologisch-kontemplativ gerichteten Weltauffassung der Generation von 1898 liegt klar auf der Hand. Das Überwiegen des nominalen Elements im Sprachschatz der 98 er, dessen wesentlichste Bestände in den beiden letzten Abschnitten unter den Gesichtspunkten der inhaltlich und formell bedingten Wortwahl erfaßt und betrachtet wurden, ist mithin als eine unmittelbare Auswirkung ihrer Weltanschauung auf die Zusammensetzung ihres Sprachschatzes anzusehen.
b) Der S p r a c h b a u
der 98er.
1. Voranstellung der attributiven Adjektive und Gebrauch der prädikativen Adjektive in adverbialer Funktion. Nach Betrachtung des Sprachschatzes der Generation von 1898 will ich jetzt auch den Sprachbau dieser Schriftsteller in der ersten Periode ihres Schaffens auf gemeinsame stilistische Eigentümlichkeiten hin untersuchen. Ich werde zuerst die syntaktischen Erscheinungen stilistischer Herkunft besprechen, die mir beim Bau des Einzelsatzes aufgefallen sind, und dann die besondere Art der Satzgefüge. Innerhalb des Satzes fällt bei den 98ern, besonders bei ValleInclän, Azorin, Machado und Baroja, die starke Auswertung der stilistischen Möglichkeiten auf, die in der Durchbrechung der Regeln der normativen spanischen Grammatik über die Voranund Nachstellung der Adjektive liegen. Schon bei oberflächlicher Betrachtung zeigt sich, daß im Vergleich zum gewöhnlichen spanischen Sprachgebrauch bei den 98ern die Adjektive häufiger voran-
87 gestellt werden. Auch Nachstellung von sonst vorangestellten, kurzen Adjektiven kommt, wenn auch weit seltener, vor. Die Bevorzugung der subjektiv-interpretierenden (Voran-) Stellung des Adjektivs gegenüber der objektiv kennzeichnenden Nachstellung ist als Tendenz für die 98 er charakteristisch und hängt mit ihrer skeptischen Weltanschauung und ihrem bewußten Willen zur Relativierung und Umwertung aller Werte zusammen. Und da das Adjektiv als sprachliches Korrelat der Merkmalsvorstellungen der Hauptträger der Werturteile ist, hat sich der Wandel im Denken, die Wendung zur subjektiven Wertung, zusammen mit dem sprachlichen Erneuerungswillen ganz konsequent am stärksten beim Gebrauch der Adjektive ausgewirkt. Bei V a l l e - I n c l á n habe ich folgende Fälle auffälliger Voranstellung von Adjektiven in attributiver Verwendung gefunden: i n n e r h a l b des S p r e c h t a k t e s : „olorosa cabellera" (S. 65), „avellanados mayorazgos" (S. 89), „romántica fatiga" (S. 103), „negro corredor" (S. 211), „trágico secreto" (S. 221), „diáfana veste" (S. 80), ,,con torpe y asustadizo respeto" (S. 151), „trágica y ondulante cabellera" (S. 220), „verde y oloroso cementerio" (Farbbezeichnung!) S. 26 usw. am E n d e des S p r e c h t a k t e s : „lívido reflejo" (S. 12), „alegre fuego, rosado reflejo" (S. 43), „angustiado gesto" (S. 49), „blanca almohada" (Farbbezeichnung! S. 93), „anaranjada luz" (Farbbezeichnung! S. 193), „fúnebre carga" (S. 218), „húmeda y olorosa yerba" (S. 151), „olvidada y luenga parentela" (S. 131), „añeja e hidalga costumbre" (S. 196), „negra y olorosa trenza" (S. 208), „queridos y olorosos cabellos" (S. 221), „afroditas y nupciales esencias" (S. 223) usw. Es ist bemerkenswert, daß die Beispiele von Voranstellung des Adjektivs am Ende des Sprechtaktes häufiger sind. Da Valle-Inclán Proparoxytona, auch an wichtigen Abschnitts- und Kapitelschlüssen, nicht liebt, vorangestellte adjektivische Proparoxytona jedoch zahlreich sind, läge neben der Erklärung der Voranstellung aus inhaltlichaffektischen Gründen auch eine solche aus rhythmischen Rücksichten bei ihm sehr nahe. Doch bedürfte es zur Stützung dieser Behauptung ausgiebigeren Beispielmaterials und umfangreicher Untersuchungen, die den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Bei A z o r in ist die Voranstellung der Adjektive so häufig, daß ich mich bei der Auswahl der Beispiele auf die ersten 30 Seiten seines Romans beschränken kann. Dabei sei noch bemerkt, daß Azorfn nicht zwei und drei, sondern bis zu fünf Adjektive vor das zu bestimmende Substantiv setzt, z. B. S. 162: „exagerado, dislocado, violento, penoso, lúgubre desfile de hambrones y mujerzuelas". (Bei
88 Casares zitiert S. 176, zit. Werk). Außerdem ist interessant, wie zahlreich die vorangesetzten Farbadjektiva sind, ein wahres Sacrileg gegenüber der strengen Regel der Grammatik, die hier wie im Französischen die Nachstellung des Adjektivs fordert. Dazu die folgenden Beispiele: i n n e r h a l b des S p r e c h t a k t e s : „anchuroso b l a n c o severo templo herreriano" (S. X I I I ) „aceitosa cabellera" (S. 20), „ b l a n c o s soportales" (S. 21), „ a m a r i l l e n t a s cabazas largas" (S. 21), „ b l a n c o farol" (S. 23), „ l e c h o s a claror, b l a n c a mole, b l a n q u e c i n a s vetas" (S. 17, 18, 19), „ r o j o s ladrillos, n e g r a s placas, anchurosa pieza de b l a n c a s paredes y b e r m e j a s vigas" (S. 22, 23, 29); am E n d e des S p r e c h t a k t e s : „ v e r d e s tintas, n a c a r a d a s tintas, b l a n c o s y a z u l e s espirales" (S. 18), „mohosa alambrera, grandes y olorosos membrillos" (S. 20—23), „blancas cortinillas, oloroso alerce, elzevirianos tipos" (S. 24—29), „sutil y deprimente metafísica, infolios de sonadoras hojas" (S. 29—31). Diese Beispielsammlung spricht für sich. Bei M a c h a d o ist die gleiche Vorliebe für Voranstellung der attributiv gebrauchten Adjektive ebenfalls leicht nachzuweisen. Unter Ausschaltung von Fällen, wo diese Stellung der Adjektive durch den Vers bedingt sein könnte, wähle ich unter den zahlreichen Beispielen folgende aus: „gris mechón, blanca juventud, roja flor, agrio ruido, pálida rama polvorienta, cálido viento, amarga, amarga flor de tus labios, blancas sombras" (S. i r , 12, 15, 18, 20, 30, 33, 36). Auch bei B a r o j a finden sich zahlreiche Fälle von Voranstellung der Adjektiva in attributiver Funktion, allerdings nicht so häufig wie bei den übrigen 98ern. Doch sind die Beispiele um so auffälliger; denn Farbbezeichnungen, die in einer Landschaftsschilderung eben noch den normalen Platz hinter dem zugehörigen Substantiv innehatten, werden plötzlich vorangestellt. Dafür folgendes Beispiel: „Aquella tierra lejana e inundada de sol daba la sensación de un mar espeso y turbio; y un mar también, pero mar azul y transparente, parecía el cielo, y sus b l a n c a s nubes eran b l a n c a s espumas agitadas en inquieto ir y venir" (S. 85). Andere Beispiele sind: i n n e r h a l b des S p r e c h t a k t e s : „pálidos celajes" (S. 57), „góticas ventanas, fantásticas figuras" (S. 73), „ b l a n c a s corolas de flores" (S. 74), „ b l a n c a s flores de jara, blanca esfumación de la niebla" (S. 86/87), „delgadas y perezosas columnas de humo, estridente cacareo de los gallos" (S. 173), „ r o j a s corolas de p u r p u r i n o s geranios" (S. 217), „sangriento tono" (S. 217).;
89 am E n d e d e s
Sprechtaktes:
,,negros fantasmas, negros vencejos, viejos y amarillentos arrayanes, largos y blancos lienzos de pared de los conventos, monstruosos canecillos, soñolientos hidalgos, rojos resplandores, espléndidos colores, inexplicable alegría, rojas incandescencias" (S. 59, 65, 73, 130, 166, 173, 187, 216, 217, 241). Die Tendenz zur Voranstellung attributiv gebrauchter Adjektive bei den g8ern, die sich am deutlichsten bei der Voranstellung sogar objektiv kennzeichnender, nicht symbolisch gemeinter Farbadjektive zeigt, ist damit erwiesen. Ebenso charakteristisch ist für die Generation von 1898 der häufige Gebrauch von prädikativen Adjektiven in adverbialer Funktion. Die Attraktionskraft des Subjekts ist stärker als die des Prädikats. Da die 98 er mehr den Eindruck eines Vorgangs statisch fixieren als seinen dynamischen Ablauf in der Zeit geben wollen, wird eine engere Beziehung zwischen Subjekt und Adverb sowohl begrifflich als auch grammatisch erstrebt und der verbal orientierten Konstruktion mit der Adverbform auf -mente die nominale Konstruktion des an das Subjekt gebundenen prädikativ gebrauchten Adjektivs mit Adverbbedeutung vorgezogen. „ J e nachdem nun das Satzverbum mehr oder weniger gehaltvoll ist und dem vom Subjekt getrennten prädikativen Ausdruck näher oder entfernter steht . . . nähert sich dann das Verb der Bedeutung einer bloßen Kopula, während die prädikative Subjektsbestimmung zum Prädikatsnomen wird 1 )." Zur Verbreitung dieser Konstruktion, die vor den g8ern auf einige Adjektive beschränkt war, mag außerdem bei öfterem Vorkommen auf einer Seite die Klangleere von -mente beigetragen haben. Während die stärker formell-artistisch eingestellten Autoren ValleInclán, Azorín und Machado für diese Konstruktion zahlreiche Beispiele liefern, so daß ich eine engere Wahl treffen muß, werde ich von Benavente und Baroja, bei denen die Ausbeute gering war, sämtliche bemerkten Fälle anführen: Benavente: Alma
triunfante:
„advierte desesperado, ella aguarda a usted tranquila, desafías orgulloso, humilde y resignada aceptaré, me confías generoso, ella vive contenta, resucita el alma triunfante" (S. 10, 20, 23, 25, 31, 33, 64. Teatro de B . Bd. V I I , Madrid 1918). Noche del S á b a d o : ,,se unen amorosos, conversan animados, entra apresurado, vive tranquila, muere feliz" (S. 7, 8, 27, 40, 68). ') G. Loesch: Die impressionistische Syntax der Goncourt, Nürnberg 1919 S. 93.
go Baroja: „caballos piafaban impacientes, una fuente que cantaba invariable y monótona, le miró sofocada y temblorosa, la mujer, indiferente . . . recibe al hombre, escuchaba indiferente, el terral (Wind) venía blando, suave . . ." (S. 16, 73—78, 155, 182, 241). Valle-Inclán: ,,se acercó respetuoso y familiar, subí presuroso, callé sentimental, se sometía feliz, preguntó respetuoso y humilde, mi boca recorrió celosa, contempló melancólica, su voz leía piadosa y lenta, sus párpados se abrieron tardos, cauteloso abrí, receloso tendía la vista, cauteloso y prudente d e j é " (S. 17, 30, 54, 60, 69, 120, 121, 201, 209, 210, 211, 221). Azorín: ,,el cielo comienza a clarear indeciso, golpes resuenan lentos" (S. 17), „una voz grita colérica, surge majestuosa la blanca mole" (S. 18), „humo blanco asciende lento, campana tañe pesada . . . tintinea afanosa" (S. 19), „medita silencioso" (S. 33), „ojos miran vagarosos y turbios" (S. 38), „cúpula destaca poderosa" (S. 76), „horas transcurren lentas, eternas" (S. 100), „llanura se esfuma tétrica" (S. 165), „una paloma vuela aleteando voluptuosa en el a z u l " (S. 255). Machado: ,,el ataúd sonó solemne, golpeó grave (la puerta), grave sonó (la puerta), (canciones) llevan confusa la historia, clara la pena, sentí la espuela sonora de mi paso repercutir lejana, el agua m u d a r e s b a l a en la piedra, bajo los arcos de piedra el agua c l a r a c o r r í a " (Grenzfall!) (S. 16, 18, 20, 23, 34, 37, 29). Ich darf rückblickend auch hier wieder darauf hinweisen, daß die nachgewiesenen charakteristischen Eigenheiten in der Satzsyntax der 98 er wieder an nominalen Elementen ihres Sprachschatzes in Erscheinung treten. Es sei außerdem betont, daß als geistige Radix der Voranstellung der attributiven Adjektive sowohl wie des Gebrauchs der Adjektive in adverbieller Funktion die Subjektivität der 98er und ihr revolutionärer Sprachwillen anzusetzen sind. 2. Vorliebe für parataktische Satzgefüge und asyndetische Anreihung von Sätzen. Die Tendenz der 98 er, alle Stimmungen und Eindrücke möglichst unmittelbar, ohne Zwischenschaltung logischer Bindeglieder in die sprachliche Form zu überführen, wirkt sich im Bau der Satzgefüge in einer Vorliebe für asyndetische Anreihung oder leicht beiordnende Verknüpfung der Sätze durch einfaches „ y " (und) aus. Nebensätze, die mit den logisch subordinierenden Konjunktionen „aunque" obgleich, „puesto que" da, „porque" weil u. a. eingeleitet werden, sind
9i infolgedessen bei ihnen relativ selten zu finden. Möglichst vermieden werden außerdem anschließende oder das Verhältnis zweier Sätze irgendwie näher bestimmender Adverbien wie etwa „pues" oder „asimismo". Ebenso kommen wohl ausbalanzierte Satzpaare, die durch „ya — ya", „ora — ora", „sea — sea", „tanto — como", „no — sino", „tan pronto — que", „no ya — que" verbunden sind, wenig vor. Selbst Relativsätze, Gerundial- und sonstige Partizipialkonstruktionen werden von einigen g8ern, besonders von Benavente und Azorin, in ihrer ersten Schaffensperiode scheinbar bewußt ausgeschaltet. Bei B e n a v e n t e z. B. äußert sich in seinem Drama „Alma triunfante" die Tendenz zur Parataxe und Koordination darin, daß „pero" (aber) allein öfter gebraucht wird als sämtliche subordinierenden Konjunktionen zusammen. Das genaue Zahlenverhältnis zugunsten von „pero" ist 3 6 : 2 7 , und zwar kommen vor: „aunque" 5mal. „porque" 11 mal, „como si" 6mal, „como" 2mal, „por si, como (kausal), siempre que, para que" je imal. Die verbleibenden Sätze stehen entweder verbindungslos nebeneinander oder sind durch „ y " miteinander verknüpft. Die entsprechenden Zahlen für „Noche del Sábado" zeigen dasselbe Verhältnis: „pero" 73mal, die subordinierenden Konjunktionen, an Zahl 60, in folgender Verteilung: „aunque" lomal, „porque" 26mal, „para que" 7mal, „como" (vergleichend und kausal) 8mal, „desde que, mientras" je 3mal, „ya que" 2mal, „después que" imal. Ferner ist bei Benavente der sparsame Gebrauch des Gerundiums auffallend, dessen häufige Verwendung für das Spanische typisch ist. In „Alma triunfante" (64 Seiten, Ausg. Teatro compl. Bd. VII) habe ich nur 13, in „Noche del Sábado" (135 Seiten) nur 17 Gerundien als verbundene Partizipien verwandt gefunden. Statt dessen tritt ein Hauptsatz mit finitem Verb oder der Infinitiv mit „ a l " ein. Bei V a l l e - I n c l á n ist die Vorliebe für die Parataxe ebenso eindeutig nachzuweisen. In der ganzen „Sonata" (229 Seiten) kommen nur 22 logisch subordinierende Konjunktionen vor: „aunque" imal, „porque" 9mal, „como" (kausal) 4mal, „como si" 6mal, „puesto que" und „por — que" (,,por inocente que sea") je imal. Sonst stehen die Sätze unverbunden nebeneinander, werden auch gelegentlich adverbial eingeleitet oder meist ganze Tiraden lang mit monoton sich wiederholendem „ y " angeknüpft. Dafür ein Beispiel: „Los perros seguían aullando muy distantes, y el viento se quejaba en el laberinto como un alma en pena, y las nubes pasaban sobre la luna, y las estrellas se encendían y se apagaban como nuestras vidas" (S. 210, vgl. ferner S. 50, 55/56, 60/61). Gerundial- und andere Partizipialkonstruktionen erscheinen bei Valle-Inclán dagegen oft, was zum Teil seinen Grund hat in der Vorliebe für verbale Proparoxytona, die er besonders gern vor dem Ende eines Sprechtaktes verwendet, der mit einem Paroxytonon schließt.
92 Die geradezu pedantische Art, mit der A z o r i n jegliche Art von Nebensätzen vermeidet, ist derart offenbar, daß man nur eine Seite deskriptiven oder auch erzählenden Charakters aufzuschlagen braucht, um sich von dieser Tatsache zu überzeugen, z. B. folgende Stelle auf S. 47 von „La Voluntad": „Esta tarde, como hacía un tiempo espléndido, Yuste y Azorín han ido a la Fuente. Para ir a la Fuente se sale del pueblo con dirección a la plaza de toros; luego se tuerce a la izquierda . . . (Nichts ausgelassen!) La Fuente es un extenso llano rojizo, arcilloso, cerrado por el negruzco lomazo de la Magdalena. Aquf, al pie de este cerro, unos buenos frailes tenfan su convento, rodeado de umbríos árboles, con extensa huerta, regada por un venero de agua cristalina . . . (Keine Auslassung!) Luego se marcharon a Yecla, y el antiguo convento es hoy una casa de labranza, donde hay una frondosa higuera que plantó San Pascual . . .1)'* Bei dem Lyriker M a c h a d o treten natürlich logisch subsumierende Konjunktionen erst recht kaum auf, auch keine komplizierten Satzgebilde. Auf den 38 Seiten der „Soledades" konnte ich nur imal „porque" und 2 mal „como si" finden, dagegen 26mal als Satzverbindung „ y " . Meist jedoch standen die meist kurzen, oft nur ein bis zwei Verse füllenden Sätze unverbunden nebeneinander, um den „hastfo" (ennui-Weltschmerz), das Hauptthema der Dichtung Machados, auch äußerlich durch die gleichgültig und monoton abrollende Folge der Sätze zu unterstreichen. Am Schlüsse einer solchen Abfolge von Empfindungen, Eindrücken oder Bildern wird der einfache Ablauf der Sätze oft durch ein retardierend wirkendes, eingeschaltetes ,,y" gehemmt. Dafür ein Beispiel: R e c u e r d o infantil. „Una tarde parda y fría de invierno. Los colegiales estudian. Monotonía de lluvia tras los cristales.
Con timbre sonoro y hueco, truena el maestro, un anciano mal vestido, enjuto y seco, que lleva un libro en la mano. Es la clase. En un cartel Y todo un coro infantil se representa a Caín va cahtando la lección: fugitivo, y muerto Abel, mil veces ciento, cien mil; junto a una mancha carmín. mil veces mil, un millón. Una tarde parda y fría de invierno. Los colegiales estudian. Monotonía de la lluvia en los cristales." (S. 17/18.) *) „Entre los literatos de la generación del 98, no pocos de los cuales sentaron plaza de estilistas, la persecución del „que" . . . era una verdadera manía . . . Pero he aquí que „Azorín", más extremado en esto que sus demás colegas, se propone el exterminio de los „ques", a costa de repetir sin empacho cualesquiera otras palabras." (Casares, zit. Werk, S. 179/80.)
93 Schließlich muß ich in diesem Zusammenhang auch noch auf B a r o j a zu sprechen kommen. Als der einzige wirkliche Romancier unter den g8ern, dessen Originalität und Kraft mehr im Gehalt seiner Werke als in ihrer formell sprachlichen Gestaltung liegt, unterwirft er sich keiner stilistischen Tagestendenz. Er braucht die ganze Sprache zum Erschaffen der Welt, die in seinen Romanen lebt. Er vermeidet daher bewußt weder Gerundial- und Partizipialkonstruktionen noch Relativsätze oder Nebensätze, die mit subordinierenden Konjunktionen eingeleitet werden. In den lyrischen Landschaftsund Stimmungsbildern aber, die in seinen Romanen häufig und für „Camino de perfección" besonders charakteristisch sind, wirkt sich die Tendenz, die Stärke der Eindrücke durch unvermittelte Wiedergabe zu steigern, bei ihm ebenso wie bei den übrigen 98ern in einer weitgehenden Vereinfachung der Satzgebilde und einer ausgesprochenen Neigung zu leichter Koordination und Parataxe aus. Auch bei ihm finden wir dann wie bei Machado und Valle-Inclán lange Folgen asyndetisch gereihter Sätze, die kurz vor dem Ende der Schilderung oder des Stimmungsbildes durch ein „ y " gerafft werden1). Dafür ein typisches Beispiel: „Graznó una corneja; la locomotora de un tren cruzó a lo lejos con estertor fatigoso. Llegaban ráfagas de niebla por entre las quebraduras de los montes; poco después empezó a llover. Fernando y el alemán bajaron al pueblo. Se había levantado la luna sobre los riscos de un monte, roja, enorme, como un sol enfermizo, e iba ascendiendo por el cielo. L a vaga luz del crepúsculo, mezclada con la luz de la luna, iluminaba el valle y sus campos, violáceos, grises, envueltos en la blanca esfumación de la niebla. Por delante de la luna llena pasaban nubecillas blancas, y el astro de la noche parecía atravesar sus gasas y correr vertiginosamente por el cielo" (S. 86/87). Die Abkehr der Generation von 1898 vom traditionellen, besonders durch die Renaissanceeinflüsse stark lateinisch orientierten Satzperiodenbau mit kunstvollen Schachtelungen und Nebensätzen mehrfachen Grades ist also nicht nur Theorie geblieben, sondern praktisch, wie ich eben zeigte, durchgeführt worden. Ästhetischstilistisch betrachtet, hat die Vorliebe der 98 er für parataktischen Bau der Satzgefüge und Vermeidung komplizierter Satzgebilde zu einer neuen für sie typischen Satz-Tektonik geführt. Die Sätze rollen nicht mehr wie im „estilo castizo" in schwungvoll pathetischer und wohlausgewogener Formung ab, sondern folgen bald kürzer, bald länger in mitunter schnellem und scharfem Wechsel aufeinander und lösen durch ihre anspruchlos nüchterne und uniforme Struktur stärkste seelische und rhythmische Wirkungen aus. l ) Vgl. ähnliche Formen der Satzverknüpfung- und Abfolge bei Dario: „Azul . . ." zitierte Ausgabe, S. 137 „Recaredo. . . chinerías" und S. 86/87 ..El mundo . . . placer".
94 Um noch einmal besonders eindrucksvoll die für die 98 er charakteristische Vorliebe für parataktischen Bau der Satzgefüge und damit für eine bestimmte Satztektonik zu zeigen, werde ich einige typische Stellen aus den Werken ihrer ersten Schaffensperiode zusammenstellen und die darin gegebenen Stimmungsbilder mit einer Schilderung der hereinbrechenden Nacht von Valera, dem vielleicht repräsentativsten Vertreter der vorausgehenden literarischen Generation, kontrastieren. Die Stelle aus Valera möge die Zitatenreihe eröffnen: „Las sombras nocturnas fueron pronto ganando terreno; pero la noche, al desplegar su manto y cobijar con él aquellas regiones, se complace en adornarle de más luminosas estrellas y de una luna más clara. La bóveda azul no t r o c ó en negro su color azulado: c o n s e r v ó su azul, a u n q u e le hizo más obscuro. E l aire era tan diáfano y tan sutil, que se veían millares y millares de estrellas fulgurando en el éter sin término. La luna plateaba las copas de los árboles y se reflejaba en la corriente de los arroyos, que parecían de un líquido luminoso y transparente, donde se formaban iris y cambiantes como en el ópalo. Entre la espesura de la arboleda cantaban los ruiseñores. Las hierbas y flores vertían más generoso perfume. Por las orillas de las acequias, entre la hierba menuda y las flores silvestres, relucían como diamantes o carbunclos los gusanillos de luz en multitud innumerable. No hay por allí luciérnagas aladas ni cocuyos, pero estos gusanillos de luz abundan y dan un resplandor bellísimo. Muchos árboles frutales, en flor todavía; muchas acacias y rosales sin cuento embalsaban el ambiente, impregnándole de fragancia" (Pepita Jiménez, Obr. compl. Bd. IV, Madrid 1921, S. 156/57). Man vergleiche damit entsprechende Schilderungen bei Baroja und Azorin: „Fué anocheciendo. Se levantó un vientecillo suave que pasaba por la piel como una caricia. Los cantuesos perfumaron el aire tibio de un aroma dulce, campesino. Piaron los pájaros, chirriaron los grillos, rumor confuso de esquilas resonó a lo lejos. Era una sinfonía voluptuosa de colores, de olores y de sonidos" (S. 86). ,,. . . En este rojo anochecer de Agosto, el cielo parece inflamarse con las pasiones de la ciudad enardecida. Lentamente, los resplandores se amortiguan. Oculto el sol, las sombras van cubriendo la anchurosa vega. Las diversas tonalidades de los verdes se funden en una inmensa y uniforme mancha de azul borroso; los términos primeros suéldanse a los lejanos; los claros salientes de las lomas se esfuman misteriosos. Cruza una golondrina rayando el azul pálido. Y a lo lejos entre las sombras, un bancal inundado refleja, como un enorme espejo, las últimas claridades del crepúsculo" (S. 92).
95 Die sprachliche und innere Verwandtschaft der Schilderungen Barojas und Azorins und ihre Verschiedenheit gegenüber der Valeras ist offensichtlich. Das liegt daran, daß Valera ein objektiv anschauliches realistisches B i l d der hereinbrechenden Nacht geben will, Baroja und Azorin dagegen eine Abendstimmung. Die Eindrücke wirken bei den 98ern unmittelbarer und intensiver, weil sich bei ihnen zwischen Aufnahme und schriftlicher Fixierung ihrer Eindrücke nicht der logische Ordnungsprozeß dazwischenschaltet, dem Valera seine Eindrücke unterwirft. In der vorausgehénden Schilderung Valeras wirkt sich dieser stimmungsstörende Faktor sprachlich aus in dem Gebrauch der Konjunktionen „pero" und „aunque", den Satzkonstruktionen mit „tan sutil que", „no hay-pero", „no trocó-conservó", welche logische Folge und Gegensatz ausdrücken; ferner in den häufigen Vergleichen und vergleichsähnlichen Ausdrücken: „ m á s luminosas estrellas", „luna más clara", „más generoso perfume", „como diamantes o carbunclos" (das abwägende „ o " sehr bezeichnend!) sowie den zahlreichen Quantitätsbezeichnungen: „miliares y millares de estrellas, multitud innumerable, muchos árboles, muchas acacias, rosales sin cuento, éter sin término." Den gleichen Unterschied zwischen realistisch-anschaulicher und modernistisch-stimmungsmäßiger Naturschilderung stellt man beim Vergleich von Valeras Nachtbild mit ähnlichen Stimmungsbildern von Valle-Inclán, Benavente und Machado fest: „ A lo lejos aullaban canes. Sin ruido me deslicé hasta el suelo . . . Pensé huir, y cauteloso abrí una ventana. Miré en la oscuridad con el cabello erizado, mientras en el fondo de la alcoba flameaban los cortinajes de mi lecho y oscilaba la llama de las bujías en el candelabro de plata. Los perros seguían aullando muy distantes, y el viento se quejaba en el laberinto como un alma en pena, y las nubes pasaban sobre la luna, y las estrellas se encendían y se apagaban como nuestras vidas" (S. 209/10). „ L a noche del sábado. Mar, cielo y tierra se unen amorosos con gloriosa alegría; luz, oleaje, montañas, frondas, son como risotadas de un mundo niño, ignorante del dolor y de la muerte. ¡Encantado pedazo de tierra! Deidades, héroes, ninfas y faunos fueron tus únicos habitadores; espíritus de ciencia y de amor, los únicos que te contemplaran; idilios de Teocrito, églogas de Virgilio, tu propia poesía; y si un espíritu triste de nuestro tiempo triste ennoblece en tí su tristeza, sea el de Shelley, divino poeta, creyente en la eterna armonía de la Verdad, el Bien y la Belleza." (Noche del Sábado, Prolog S. 7.) „ L a plaza y los naranjos encendidos con sus frutas redondas y risueñas.
96 Tumulto de pequeños colegiales, que al salir en desorden, de la escuela, llenan el aire de la plaza en sombra con la algazara de sus voces nuevas. ¡Alegría infantil en los rincones de las ciudades muertas! . . . ¡Y algo nuestro de ayer, que todavía vemos vagar por estas calles viejas!"
(S. 14/15.)
Ein vergleichender Rückblick auf die zuletzt zitierten Stellen aus Valle-Inclán, Benavente und Machado zeigt, daß diese Schriftsteller eine asyndetische oder leicht anreihende Ordnung syntaktisch einfacher Sätze lieben, deren Ablauf, tektonisch-rhythmisch betrachtet, gegen Abschnitts- oder Kapitelschluß hin durch einen oder auch mehrere mit ,,y" eingeleitete Sätze leicht gehemmt wird. Bei Baroja ist noch zu bemerken, daß er den Fluß der Sätze oft dadurch retardiert, daß er plötzlich eine Inversion des Subjekts eintreten läßt. Häufiger Wechsel von invertierter Stellung des Subjekts mit syntaktischer Normalstellung dient ihm manchmal (vgl. vorausgehendes Zitat) auch dazu, die Monotonie der gleichförmig einfach gebauten Sätze künstlerisch etwas zu beleben. Gegenüber der einheitlichen Bevorzugung schlichter Einzelsätze in ungestörter Abfolge bei den g8ern, sehen wir bei Valera den Ablauf der Sätze verlangsamt und die Stimmung gestört bzw. ihr Aufkommen unmöglich gemacht durch die eingeschalteten Nebensätze und ganz allgemein durch die hypotaktische Verknüpfung der Sätze, die den Leser in eine ganz bestimmte Gedankenbahn drängt und von ihm zur Zusammensetzung des Bildes eine vom Autor diktierte Arbeit logischer Zuordnung verlangt. Das Nachtbild Valeras enthält nicht weniger als dre i Adversativsätze — „pero la noche, no trocóconservó, no hay-pero" •—•, einen Konzessivsatz — „aunque le hizo" —, einen Konsekutivsatz — „tan sutil que" —, einen Relativsatz ersten und zweiten Grades —• „que parecían de un líquido — donde" — und schließlich noch eine Infinitiv- und Gerundialkonstruktion — „la noche, al desplegar . . . fulgurando . . ." Durch diese Beobachtungen hinsichtlich der Struktur der Satzgefüge und ihrer Tektonik habe ich einen weiteren charakteristischen Zug'im stilistischen Kosmos der Generation von 1898 nachgewiesen. Mit der Feststellung, daß die logisch subordinierenden Konjunktionen von den 98ern möglichst gemieden werden, ist nach Betrachtung des Niederschlags bzw. Anteils der sprachlichen Korrelate der Gegenstands-, Merkmals- und Verlaufsvorstellungen im Sprachschatz der ersten Schaffensperiode der Generation von 1898 nunmehr auch der noch ausstehende Kreis der Verknüpfungsvorstellungen und seiner sprachlichen Korrelate in den Rahmen dieser Untersuchung über den stilistischen Kosmos der Generation von 1898 einbezogen.
97 Der Verzicht der 98 er auf die Herstellung fester Beziehungen im logischen Verhältnis der Sätze zueinander, der sich im Vermeiden subordinierender Konjunktionen auswirkt, und die Bevorzugung einfachster, primitiver Satzformen und parataktischer Satzverbindungen ist auch in diesem sprachlichen Bezirk die stilistische Erscheinungsform der stimmungsmäßig-passiven Geisteshaltung der Generation von 1898, die in ihrem pessimistischen Lebensgefühl und ihrer skeptischen Denkweise begründet liegt. Die Durchführung des Versuches, den sprachlichen Kosmos der 98 er als generationsmäßig genormt, als Generationssprache, dadurch zu kennzeichnen, daß wichtige gemeinsame sprachliche Korrelate im Sprachschatz und Sprachbau ihrer ersten Schaffensperiode für jeden der vier Bereiche menschlichen Vorstellungsvermögens nachgewiesen wurden, ist damit abgeschlossen. Mit diesem Nachweis einer gemeinsamen Generationssprache ist der letzte schlüssige Beweis für die Existenz der Generation von 1898 erbracht, und ich hoffe, daß es mir außerdem gelungen ist, durch Aufzeigen der Beziehungen zwischen der Weltanschauung der 98 er und ihrer sprachlichen Ausdrucksform, zwischen Gehalt und Gestalt, die Ergebnisse der psychologischen Zergliederung der geistigen Struktur dieser Generation zu erhärten, die Kenntnis ihres Wesens zu vertiefen und damit den literarhistorischen Begriff „Generation von 1898" in der modernen spanischen Literaturgeschichte fest zu begründen.
Rückschau über den Gang der Untersuchung und Zusammenstellung der wichtigsten Einzelergebnisse. An den Gang der vorliegenden Untersuchung und ihre wichtigsten Einzelergebnisse möge eine zusammenfassende Rückschau noch einmal kurz erinnern: Ziel der Arbeit war, den literarhistorischen Begriff „generación de 1898", der in der modernen spanischen Tageskritik und Literaturgeschichte zu einem nichtssagenden „comodín crítico" geworden war, neu zu begründen. Zur Aufhellung der geistigen Ursprünge der Generation von 1898 und zur Bestimmung ihrer Stellung in der modernen spanischen Geistesgeschichte behandelte ich im ersten Hauptteil dieser Studie die geistigen Kämpfe, die in Spanien etwa von der Mitte bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts zwischen den liberal-europäisch orientierten Krausisten und den konservativ-spanisch eingestellten Traditionalisten ausgefochten wurden. Ich versuchte zu zeigen, daß in diesen geistigen Auseinandersetzungen die Schlagworte „europeización" und „casticismo" nur die polemischen Kampfstellungen der beiden Parteien bezeichneten, der Gegensatz Europa-Spanien letzten Endes aber nur äußerlich war, J e s c h k e , Beiheft zur Zeitschr. f. rom. Phil. L X X X I I I .
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98 da ja Krausisten sowohl wie Traditionalisten um das gleiche nationale Ziel: die geistige Erneuerung Spaniens, rangen und lediglich auf verschiedenem Wege Spanien als ebenbürtige Nation wieder in das europäische Geistesleben eingliedern wollten. Vor und nach der Jahrhundertwende bahnte sich infolgedessen auch ein Ausgleich zwischen beiden Strömungen an, den dann die Generation von 1898 durch Anknüpfen an die Anschauungen von Francisco Giner de los Ríos, Costa, Galdós und Menéndez y Pelayo und durch die Fortsetzung ihrer Lebensarbeit vollendete, dadurch den Anschluß an Europa vollzog und das Minderwertigkeits- und Dekadenzbewußtsein überwand, das seit dem Ende des 17. Jahrhunderts das spanische Geistesleben belastet hatte. An die Klärung dieser h i s t o r i s c h e n Fragen nach den geistigen Ursprüngen der Generation von 1898, ihrer Stellung und Bedeutung im spanischen Geistesleben, schloß sich im zweiten Hauptteile dieser Untersuchung zunächst eine kritische Stellungnahme zur neueren Generationsforschung und zur Azorinschen Auffassung der „generación de 1898" an. Mit Hilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse bewies ich die Existenz dieser Generation formal, nach gemeinsamen Generationsmerkmalen, definierte den literarhistorischen Begriff „Generation von 1898" und rechnete zu ihr den Dramatiker Benavente, die Prosaschriftsteller Baroja, Azorín, Valle-Inclán und den Lyriker Antonio Machado. Anschließend ging ich dazu über, das Wesen der 98 er durch zwei unabhängig voneinander durchgeführte Betrachtungsweisen zu bestimmen, einmal p s y c h o l o g i s c h durch Zergliederung der geistigen Struktur der 98er, zweitens s t i l i s t i s c h durch Aufzeigen gemeinsamer charakteristischer Stileigentümlichkeiten in dem von ihnen geschaffenen sprachlich-stilistischen Kosmos. Die p s y c h o l o g i s c h e Analyse der 98er ergab eine völlige Gleichartigkeit ihrer geistigen Struktur, gekennzeichnet durch pessimistisches Lebensgefühl, eine radikal skeptische Denkweise und Mangel an starkem Wollen. Der Gleichartigkeit ihrer Psychologie entsprechend konnten auch in dem geistigen Schaffen der 98 er weitgehende Übereinstimmungen festgestellt werden, z. B. zwei gemeinsame Schaffensperioden, die ich schlagwortartig als egozentrisch-europäisch und sachlich-spanisch kennzeichnete; ferner gemeinsame Ablehnung des „estilo castizo" und Forderung einer neuen, dem modernen Zeitempfinden in Lexikon, Bau und Rhythmus angepaßten Sprache und schließlich das Bekenntnis zu gemeinsamen literarischen Vorbildern: Rubén Darío und Paul Verlaine. Die s t i l i s t i s c h e Untersuchung wurde an repräsentativen Werken aus der ersten Schaffensperiode der 98 er durchgeführt, da sich in den Frühwerken die generationsmäßigen Zeiteinflüsse naturgemäß am stärksten ausprägen. Diese Untersuchung ergab im S p r a c h s c h a t z (dem pessimistischen Lebensgefühl entsprechend), vom Ge-
99 sichtspunkt der i n h a l t l i c h bestimmten Wortwahl aus, eine ausgesprochene Vorliebe für Ausdrücke negativen Inhalts zur Bezeichnimg von Begriffen aus dem Bereich der Dekadenz und ein überaus zahlreiches, auffälliges Vorkommen von Farbadjektiven zur Wiedergabe differenzierter Farbempfindungen. In der f o r m e l l bestimmten Wortwahl war eine Bevorzugung klangvoller Worte oder solcher mit starken rhythmischen Werten sowie ganz allgemein ein Zug zu aristokratisch-dekadenter Erlesenheit und Prägnanz des Ausdrucks — Archaismen, Gallizismen, Neologismen — im Wortschatz der ersten Schaffensperiode der 98er festzustellen. Dabei fiel noch besonders das Überwiegen der sprachlichen Korrelate für Gegenstands- und Merkmalsvorstellungen, das Vorherrschen des nominalen gegenüber dem verbalen Element, im Gesamtsprachschatz auf, was ich mit der skeptischen Weltanschauung der Generation von 1898 in Zusammenhang brachte. Der S p r a c h b a u der 98er zeichnete sich durch Besonderheiten im Gebrauch der Adjektiva aus: Vorliebe für Voranstellung der attributiv gebrauchten Adjektive und Verwendung der prädikativ gebrauchten Adjektive in adverbieller Funktion; ferner durch die Vorliebe für einfache Satzgebilde, durch das Vermeiden hypotaktischer Konstruktionen und durch die Bevorzugung parataktischer oder asyndetischer Anreihung von Sätzen, was zu einer bestimmten Tektonik der Sätze und zu einem Sprachrhythmus führte, der durch die schlichte Abfolge einfach gebauter Sätze und Satzgefüge zu dem rhetorisch-kunstvollen, komplizierten und pathetisch-schwungvollen Satzperiodenbau nach lateinischem Vorbild, welcher für die vorausgehende Generation typisch war, in scharfem Gegensatze stand. Ich deutete an, daß auch diese syntaktisch-stilistischen Erscheinungen sämtlich weltanschaulich bedingt sind, insofern als die 98 er bewußt und konsequent auf Grund ihrer radikalen Skepsis sich darauf beschränken, ihr inneres Verhältnis zur Welt nicht aktiv-rationalgestaltend, sondern stimmungsmäßig-passiv kundzutun und möglichst unmittelbar in die sprachliche Gestalt zu überführen. Aus dieser engen Wechselbeziehung zwischen Weltanschauungsgehalt und Sprachgestalt, zwischen Denk- und Sprachform, erklärt es sich auch, daß in der ersten, als egozentrisch gekennzeichneten Schaffensperiode der Generation von 1898 Adjektive oft in subjektiv-interpretierender Voranstellung anzutreffen sind, wo sie im gewöhnlichen Sprachgebrauch als objektiv-determinierend (z. B. Farbadjektive) nachstehen, daß die nominale Bindung an das Subjekt der verbalen an das Prädikat bei der Verwendung prädikativer Adjektive in adverbieller Funktion vorgezogen wird, um die Anschaulichkeit und Stärke der Eindrücke durch Überführen aus dem dynamischen Verlauf in das statische Sein zu steigern, und daß schließlich das logische Verhältnis zwischen den Sätzen durch Unterdrücken der sübordinierendten Konjunktionen unbezeichnet bleibt, die Parataxe gegenüber der 7*
IOO Hypotaxe bevorzugt wird, da die Satzinhalte als Phänomene an sich und nicht als Bestandteile einer Bildanordnung oder sonstigen Ordnung wirken sollen. Bestätigte so die stilistische Untersuchung die Ergebnisse der psychologischen Analyse der geistigen Struktur der 98 er in vollem Umfange und vertiefte dadurch die Kenntnis vom Wesen dieser Generation, so lieferte der Nachweis einer gemeinsamen Generationssprache durch Aufzeigen wichtiger gemeinsamer sprachlicher Entsprechungen im Sprachschatz und Sprachbau der ersten Schaffensperiode der 98 er für jeden der vier Kreise der menschlichen Vorstellungswelt einen letzten schlüssigen Beweis für die Existenz der Generation von 1898; denn neben den formalen Beweis nach gemeinsamen Generationsmerkmalen, der durch die historische Darstellung des Werdens der Generation von 1898: geistige Ursprünge, Entwicklungsbedingungen und Hervortreten der 98 er als Gruppe, geführt worden war, trat jetzt noch die innere Begründung durch die Kenntnis vom Sein und Wesen dieser Generation, die durch die psychologische Zergliederung der geistigen Struktur der 98 er und den phänomenologischen Nachweis einer gemeinsamen Generationssprache erbracht wurde. So darf ich denn hoffen, daß es mir gelungen ist, die Existenz der Generation von 1898 durch diese beiden Betrachtungsmethoden, die sich in ihren Ergebnissen ergänzen und bestätigen, zu beweisen, zur Wesensbestimmung dieser literarischen Gruppe beizutragen und dadurch den literarhistorischen Begriff „Generation von 1898" für die moderne spanische Literaturgeschichte neu zu begründen.
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