Die Feier der Liebe oder Beschreibung der Verlobungs- und Hochzeits-Ceremonieen aller Nationen: Teil 1 [Reprint 2021 ed.] 9783112411148, 9783112411131


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Die Feier der Liebe oder Beschreibung der Verlobungs- und Hochzeits-Ceremonieen aller Nationen: Teil 1 [Reprint 2021 ed.]
 9783112411148, 9783112411131

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Feier der Liebe oder

Beschreibung dir

53 erlobungö- und Hochzeits Ceremonieen aller Rationen.

o

Das vorstehende Litelkupfer. Sin

Gemälde «ach Jacobi.

«cm Schooße der Natur lebten die Bewoh-,

ner der Insel CYpern, alS die junge Lie­

besgöttin, ihrer innern Gottheit sich noch un­

bewußt, als ein gutes unschuldiges Mädchen

zu ihnen kam.

Die Schönen der Insel nah-

IV

men die Unbekannte gastfreundlich auf, lern­ ten in ihrem Umgänge neuen Liebreiz sich an­

eignen, und wurden bald traute Freundinnen

der Begleiterinnen der Venus, der Gra­ zien; sie wurden bald so lieblich in allem, waS sie thaten, wie diese drei gutherzigen,

freundlichen Kinder, die, — sie mochten sich inS Gras lagern, oder über die Wiese lau­

sen, oder reden, oder singen, oder eine Freun­

din umarmen, oder den Einen Jüngling an­

lächeln, dem Andern entfliehen, oder zum

Feste sich anputzen, immer lieblich waren, ohne

daß sie es selbst wußten, und doch hätte man

aus ihren Handlungen ein Lehrbuch der Gra­ zien zusammensetzen können. Lange hatte sich bei

diesem glücklichen

Volke daS Andenken und die Verehrung der

Venus und ihrer Huldgöttinnen in ihrer

V

ersten Einfalt erhalten. Lauter Haine, statt Tempel; Altäre von Rasen, ein wenig Milch

und Honig aus hölzernen Opfergefäßen dar­ auf gegossen; Tänze, wie jedes Hirtenmäd­ chen sie tanzen kann; Gesänge, ohne Kunst,

aber zugleich ein keusches Gewand, ein be­

scheidener Haarputz, die Farbe der Schamhaf­

tigkeit, sittsame Blicke, der leise Ton einer Jungfrau, der Gang einer Priesterin, die

etwas Heiliges tragt, kurz, das ganze liebliche

Wesen der Grazien. —

Nun aber waren die Einwohner von Cypern nicht mehr jenes glückliche Volk.

Sie

bauten der Liebesgöttin große Tempel, präch­ tige Altäre, kamen in kostbarem Schmuck und wendeten viel auf Opfer.

Aber in den gro­

ßen Tempeln kein Auge mehr, welches ruhig

gen Himmel sah; keine Thräne der Liebe!

VI

Mädchen und Jünglings verlangten von der Göttin nichts, als Küsse; von den Grazien nichts, als äußere Lieblichkeit, süße Gespräche, lockende Winke, gefälligen Putz, und Anmuth in den nachlässigsten Bewegungen ihrer Glie­ der. —

Bei den cyprischen Schönen machte jetzt nicht mehr die Bescheidenheit ihr Glück, denn sie schrieben sie auf ein Gefühl von Schwäche. Wer sich fühlt, sagten sie, der weiß zu for­

dern; seine Kraft macht ihn ungestüm; er wird dringend und dann ist unser Beruf nach­

zugeben. Oft mußte der bescheidene Jüngling Jahre lang um einen Kuß seufzen, wenn sie

dem, der auf die rechte Art, und unter gün­ stigen Umständen zu verlangen weiß, am er­

sten Tage d.er Bekanntschaft ihre Umarmung

nicht verweigerten. —

VII

Nicht weit von der Stadt Paphos lag

ein Hügel, ganz mit Rosen bedeckt; hier ver­

sammelte sich jährlich aus der benachbarten Gegend die Jugend, das Rofenfest zu feiern. Jünglinge und Mädchen überließen sich

dem ausgelassensten Vergnügen.

Hier ent­

wand ein. Jüngling aus den Haaren oder von dem SSusen. des Mädchens eine Rose, dort

raubte er ihr, in wollüstige Tänze verschlun­ gen, einen Kuß, alles mit einer Anmuth, daß

jede Schöne bi’t Kühnheit des Losen mit einem

schalkhaften Lächeln entschuldigte.

Nur Amin­

tor, ein Jüngling von feinerer Empfindung,

findet an diesen muthwilligen Vergnügungen feinen Gefallen. — Amintor verläßt den Tanz, und ge­

langt unvermerkt an einen jenseits des Rosen-

Hügels gelegenen Hain, der alt und verwil­ dert von Niemanden besucht wurde. Er hatte

schon oft die Sage gehört, die Grazien und Musen hätten einst diesen Hain geli-bt, ihre Tänze darin gehalten, ihre Lieder darin

gesungen; aber jetzt wär er von ihnen gänz­ lich verlassen.

Heftiger als jemals 'war jetzt

sein Verlangen, in diesem Gehölze Spuren von jenen Göttern aufzufinden.

Den Eingang des Hains bewachte das

verstümmelte Bild einer fast ganz unkenntlich gewordenen Muse.

Zur Noth entdeckte man

eine Flöte in ihrer Hand und einen Mirten-

zweig um ihre Stirne. Amrntor dringt in die tiefste Waldung. Er kommt an ein klei­

nes Thal, von wildem Rosengebüsch bewach­ sen, über welches hohe Bäume Schatten und

IX

Kühle verbreiten.

Hier erblickt er einen Al­

tar von Rasen und eine ziemlich unbeschädigte

Bildsäule von Holz.

Es war die Bildsäule

der Liebesgöttin, mit dem rechten Arm auf eine Grazie gelehnt.

Ein rohes Werk,

wobei Amintor die höchste Ehrfurcht und Zu­

friedenheit mit der Einfalt des alten Gottes­ dienstes empfand; ein Werk, worüber der Künstler, wenn er nur mit den Händen ar­

beitet, lachen muß; worin aber hoher Geist verborgen, und für den zu finden ist, welcher

hohen Geist zu finden vermag. —

In dem Auge der Venus befriedigte Zärtlichkeit, seliges Wohlwollen, das sich an­

dern mittheilen will, und mittheilt. Stellung ist ruhig und edel.

Ihre

In dem Schleier

der Grazie keine wollüstige Falte.

Nichts

Üppiges in ihren Haarlocken, zwei Rosen-

knoSpen ihr ganzer Putz. Ein wenig vor sich hingebeugt, schlug sie die Augen nieder, als ob der Antrag, ihre Göttin verschönern zu

sollen, sie beschämte.

Das ist sie! rief

Amintor, und kniete vor dem Altar. —

seitdem Ami ntor den heiligen Ort ge­ sehen hatte, ward es ihm noch schwerer, sich

mit hem Opfergeprange der Göttin auszusöh­

nen.

überall war ihm die bescheidene Venus

des Hains mit der schamhaften Grazie ge­ genwärtig. Zwischen Lieb esg ö tt L nn en von schmachtenden Blicken und wollüstiger Stellung, zwischen Grazien mit schalkhaf­

tem Lächeln, mit Üppigkeit um sie her gewor­ fenen Dlumenketten, zwischen den prachtvolle-

sten Marmorvildern und den Altären von Gold

XI

lag er im Geiste beständig vor dem heiligen Rasen und vor dem hölzernen Bilde seiner

Gottheit, der einzigen, deren Strahl er aufzu­

fangen für Seligkeit achtete,

Die Zeit der Rosenblüthe kehrte wieder. Gesang und Flötenspiel lockten Amintor

wieder auf den Hügel. Aber bei den Reihen der Mädchen, welche mit ihm zum Opfer gin­ gen , blieb er kalt.

Er sah dann und wann

unter, ihnen sich um, ob er keinen Blick fin­

den könnte , welcher den Götterblicken im

Hain zu vergleichen wäre.

Aber da fand sich

keiner. Endlich an einem von den Rosenfesten zog ein Mädchen die Aufmerksamkeit des Jüng­

lings an sich. Das Mädchen hatte sich beson­ ders gelagert, und suchte die kleinsten Rosen-

XII

knospen und steckte zwei davon ins Haar, und eine an den Busen.

Es schien zu mer­

ken, daß an seinem Busen die Blume schö­

ner wurde, und schlug die Augen nieder,

als wäre es beschämt, eine Rose verschönern

zu wollen.

Dies war die Grazie des

AmintorS.

Die Schöne richtete sich auf, sah den Jüng­ ling und wurde roth. Der Blick des Jünglings

siel auf die zwei Rvsenknospen im Haar, aber

nicht auf die dritte. Dennoch schaut er mit einer gewissen Furchtsamkeit in das Auge, daS

eben beschämt niedergesehen,, hatte. Die kleine Grazie lächelte.

Niemals hatte sie zu einem

Jüngling ein solches Zutrauen gefühlt. Indem stimmte man den großen Lobgesang an; daS Fest war geendigt; das Mädchen mußte sich

XIII

mit seinen Gefährten wegbegeben.

ES war

aus Paphos und hieß Laidion.

VenuS im Hain, mit ihrer Grazie, und nun ein sterbliches Mädchen, welches der letztern ähnlich war?— Amintor wurde trau­ rig. Ost ging er in daS alte Gehölz, allein

dse Göttinnen konnten ihn nicht anlächeln, wie das Mädchen aus Paphos.

Ein langes Jahr schlich dahin. Das Ro­ senfest kehrte zurück, und mit ihm die Mäd­

chen aus Paphos.

Auch Amintor eilt auf

den.Hügel, um das bescheidene Mädchen aus Paphos zu sehen. Aber Laidion war nicht unter den tanzenden Reihen.— Traurig ent­ fernt sich Amintor und richtet seinen Weg

XIV

nach dem alten Hain, um beim Anblick seiner

Göttin den Schmerz- seiner Seele zu lindern. — Und da er sich der Göttin nahete, sah er sie

schott von einer weiblichen Gestalt umfaßt;

sogleich erkannte er in ihr das schöne Mäd­ chen aus Paphos. Du hier, Laidio^? ich

suchte dich auf dem Hügel unterden tanzenden Reihen! — „Schon d rei-

mal begleitete ich

am Rosenfeste

meinen Bruder hierher, der nun seit

sechs Monden nicht mehr ist, sprach das überraschte Mädchen; jetzt nahm ich diese

treue Sclavin zu meiner Begleite­ rin mit; ich wollte nicht auf dem

Rosenhügel bleiben; ich hätte mich der Verwegenheit unserer Jünsg * linge Preisgeben müssen, und thäte

ich dies, würdest du mich dann noch

suchen, edler Jüngling?" —

Die

XV

Gottheit der Grazien ist in indeiner Seele, sie redet von deinen Lip­

pen, versetzte Amintor;

wir wollen

zusammen deinenKranz aufhängen; „das wollen wir", versetzte mit himmli­ scher Freundlichkeit Laidion.

Aber, Laidion! kennst du keinen Jüngling in Paphos, der dich glück­ licher machen kann, als ich? — „kei­

nen! bei dem Altar der Venus, wel­ chen ich jetzt berühre."—

So darfst

du auch, bei dem Altar der Venus, welchen du eben berührt hast, mir in

ihrem und ihrer Gespielin Ange­

sichte den ersten Kuß

geben;

den

letzten geben wiruns, wenn wirsterben. —

Laidion gab Amintor den er-

XVI

fielt Kuß. Beide knieten nieder, und LTHrLnen heiliger Siebe benetzten die Stufem des RasenaltarS, und die Zedern rauschten 'feier­ licher, und die Quelle rieselte sanfter zwrischen den Felsen.

Dichtungen der Griechen über den Ursprung

und di» Eigenschaften der Liebe.

Schon baS Aritalter ter grlrchischm Urwelt und ihn

alles )>ttfdmfitiren8tti, alles vergötternbia, überall Gottheit ahnenden Dichter Mrd Mythographen Kefeto und in der reinsten (Kinfalt wahrhaften Menschenfthnd die schönen Dichtungen eines Hesiods, von dem nach dem Ehaoü zunächst inS Daseyn ßctomme« nen Ämov, rineö ParmenideS, von dem unter allen Göttern etst erschalfenen EröS, und viele an­ dere , die der von den höchsten Idealen der Schön­ heit und Liebe begeisterte Plato in einem so reizen­ den , philosophischen Gewände, mit einer so reichen und wahrhaften, die fctnfirtf Empfindungen auf» Feier der Liebe, l. Th,

1

L

lösenden Phantasie, darstellt, daß ich meine Leser in die heiligen Mysterien dieser von der Milbe biß -um

Seraph alles in Harmonie umfassenden Gottheit nicht besser rinweihen kann, alö wenn ich sie zuvörderst mit

einigen Mythen auS dem Gastmahl diese- Unsterb­ lichen* bekannt mache.

Nachdem alle Gäste deS Plato die Liebe geprie­ sen und selig gesprochen hatten, kommt die Reihe zur

letzt an den SokrateS, der, nach einer kurzen Berich­

tigung der Rede deS Vgathonö, das, waS ihm seine geliebte Diotima über die Schöpfungsgeschichte der

Liebe gesagt hatte, vortragt, und also beginnt:

„An dem Tage, da VenuS geboren ward, hiel­

ten die Götter ein Freudenfest.

Unter ihnen befand

sich auch P oruS (der Überfluß), der Sohn der Me­ tis (der Klarheit).

Nach der Mahlzeit erschien Pe-

nia (dis Dürftigkeit) an den Thüren, in der Hoff­ nung , unter dem allgemeinen Wohlleben auch etwas für sich zu erhaschen.

PoruS, berauscht im Nectar,

') Nach der Übersetzung in der neuen Thalia.

ging ia bett Garten deS Jupiters, legte sich vV ter ein schattiges Gebüsch und fiel in einen tiefen Schlaf." „Lange hatte schon Penia den Drmsch bei fich genährt, einen Sohn vom Poruß zu haben, ut3 durch diesen gegen baß Elend geschützt zu werden. Jetzt benutzte ffe die Gelegenheit; strrchtttrm und zit­ ternd zwar legte sie sich an die Sette deß Gotteß; aber bald weckte ihr zärllicheß Kosen den Schlafenden, und Penia ward schwanger vom Poruß."

„Den scharfen Blicken der Oßttet entging dieß Abmtheuer nicht; sie find alle in gespannter Erwar­ tung, wie baß Kind von zwei so verschiedenen Ältern beschaffen seyn könnte. Endlich gebühr Povia einen Sohn, Amor genannt, bet, am Geburtßfeste bet Genuß gezeugt, nachher auch zu ihrem Dienste be­ stimmt, und ein Freund deß Schönen ward, weil seiet Gebieterin schön ist."

„Kaum wächst der junge Arnor heran, alß tnctt schon die von seinen Ältern ererbten Eigenschaften in ihm erblickt. Alß Sohn der Penia ist er tarnet arm, weder fein gebMöt rwch schön, sdndern rcr)

und unrein; ist scheu und furchtsam; fingt vor den Thüren, schläft auf dem Boden, auf den Straßen» unter freiem Himmel, stets vom Mangel begleitet/' ,,2H6 Sohn des PoruS und Enkel der Metis ist er leidenschaftlich für alles Gute und Schöne, tapfer, kühn, unternehmend, ein gewaltiger Jager, ränkesüchtig, wißbegierig, erfinderisch im Besiegen einer Schwierigkeit; Philosoph in allem, was er be­ ginnt; ein gefährlicher Schwarzkünstler, Zauderer und Sophist."

„Seiner Natur -U Folge gehört er weder -u den Unsterblichen noch Sterblichen. Er stirbt oft an eben dem Tage, an dem er den höchsten Gipfel seineGlücks erreicht. Aber als der Sohn des PoruS lebt er immer von Neuem wieder auf. WaS er er­ wirbt , zerrinnt im Augenblicke wieder. Daher ist et niemals gan- arm, aber auch niemals reich." „Amor ist ein Freund deS Schönen, er muß folglich auch ein Freund der Weisheit seyn. Als Freund der Weisheit aber muß er -wischen dem Wei­ sen und dem Unwissenden in der Mitte stehen. Auch dies läßt sich aus, seinem Ursprünge erklären, weil

-vw

5

er nämlich einen weisen und reichen Vater, aber eine dürftige und geisteSarme Mutter hatte. °

In dieftr gedankenreichen, die Naim der Liebs in allen ihren Modifikationen auffasseaben Mythe erzeugt Schönheit die Liebe, und die Liebe ist wechfelöweise stolz und demüthig, fröhlich und ttaurig, zu­ traulich und eifersüchtig. Zn einer andern eben so schönen Dichtung läßt Plato den VristophaneS den Ursprung der Liobr erzählen. „Ehemals war unsere Natur ganz anders, als jetzt. Damals gab es nicht blos Männer und Weiber, wie jetzt, sondern noch ein drittes Ge­ schlecht, daS Awittergc schlecht, daS zwar nicht mehr selbst vorhanden ist, von dem aber doch der Name noch als ein Spottname epistirt. Diese Menschenrace hatte eine völlig runde Form, Nacken und Rücken ringsherum, vier Hande und eben so viel Füße; zwei Gesichter, einander ganz ähnlich, auf dem runden Nacken, die an Einem Kopf in grade eutgegenstehcnder Richtung stauben; vier Ohren, doppelte GeschlechtStheikr, und so weiter alleü, wie man sich leicht denken kann. Übrigens givgsr de aufrecht wir wir, und konnten sich frei nach allen Gelten bkwe-

6 gtn.

Um recht schnell

***

cm einen Ort

zu kommen,

machten sie es vir die Springer, die sich ans ihre

Hände werfen und mit ihren Füßen ein Rad über den Kopf schlagen: und es ging um so schneller bet ihnen, da sie acht Glieder dazu brauchen konnten."

„Wir Uno en und bas Daseyn dieses dreifachen

Geschlechts daher erklären, weil das männliche Ger schlecht aus der Sonne, daL weibliche aus der Erde,

baS Awittcree^chlecht auS dem Monde, der auch ein

Zwitter von jenen beiden ist, seinen Ursprung hatte.

Kreisförmig, wie ihre Stammüttern, war auch ihre Gestalt und ihr Gang.

„Das Gefühl ihrer Stärke und Kraft machte sie endlich so verwegen, daß sie die Götter selbst an­

griffen.

Nun berathschlagte sich Zevö mit den andern

Göttern, was bei diesem Handel zu thun wäre.

Lange waren sie ganz unschlüssig: diese Menschen zu tödten und ihr Geschlecht wie dir Giganten mit dem Blitz zu vernichten, — baS ging doch nicht so» denn wo wären dann die Opfer und der ganze Gottesdienst

geblieben.

Und doch

eine solch? U-.gezogknhett zu

dulden, das war ihnen auch wieder nicht anständig. Sie besannen sich also lange hin und her.

Endlich

7 fing Jupiter an:

Ich glaube mir geht ein Licht auf'.

Ja, so können wirS machen.

Ich will ihrem Muth­

willen schon die Flügel beschneiden, ohne daß eS nö­

thig seyn soll, sie ganz zu vertilgen.

3ch werde sie

von oben herunter in zwo Hälften zerschneiden. Dadurch

machen wir sie nicht nur zahmer, sondern erhalten auch überdies den Vortheil, daß unS ihrer zwei gerade

noch einmal so viel opfern werden.

So können sie

bann auch immer auf zwei Deinen aufrecht herum

gehen.

Werden sie aber alsdann noch nicht Ruhe

halten,

so spalte ich sie »och einmal,

gen

sie sehen,

wie

sie

auf einem

dann mö­

Deine

herum

hüpfen."

,, Sogleich fing er nun an, die Menschen nach einander, jeden in zwei Hälften, zu spalten, wie die Köche Arlesbeere zum Einmachen zerschneiden, oder

Eier mit Haaren zertheilen.

So oft einer nun auf

diese Art halbirt war, mußte ihm Apollo daö Ge­ sicht und den halbirten Racken vorne nach dem Schnitt

zu drehen, damit sie fleißig an da§ Zerschneiden er­ innert und dadurch bescheidener werden möchten. War bieseö geschehen, so zog Apollo die Haut in der Gegend,

die nun derBauch heißt, von allen Seiten zusammen, ungefähr so, totL man einen Deutel oben zusammen

8 schnürt, so daß nur ein-einzige Öffnung blieb, hie er in her Mitte des Bauches zuknüpfte, und di- jetzt der Nabel heißt. Alsdann nahm er ejneFalzzange< womit die Schuster das Leder über den Leisten glatt ziehen, wölbte damit die Prust, und glättete die entstande­ nen Runzeln aus. Ein Paar ließ er aber hoch um Bauch und Nabel stehen, damit auch hier -in kleines Andenken von der ehemaligen Züchtigung ührig bliebe," „Nachdem nun diese Diseetion unser- Wesenglücklich vollendet war, fingen die getrennten Hälften an, sich nach einander zu sehnen, umschlossen sich mit ihren Armen so fest, und hielten sich so innig an ein­ ander, als wollten sie wieher in ein Wesen zusam­ menfließen. Keine wollte ohne die Andere etwaö verrichten, und so starben sie endlich mit einander aus lauter Hunger und Nichtsthun. Starb aber nur di- eine, so suchte hie verlassene wieder eine andere etwa männliche oder weibliche Hälfte, schloß sich qn fle an, und starb so mit ihr umschlungen."

„Jupiter erbarmte sich endlich der armen Sterb­ lichen, und sann auf ein anderes Mittal, ihnen zu helfen. Bisher hatten die M-nichen nicht sich durch

9



wechsel seitsge Begattung, sondern wie He Sicaden, durch Befruchtung der Erde sortgepflanzt, und ihre Geschlechtstheile standen nach hinten zu. Nun ver, setzte Aevs diese an die Vorderseite, und traf die Einrichtung zur wechselseitigen Begattung, damit durch die Umarmungen des ManneS und des Weibedas Geschlecht furtgepflanzt, und wenn Mann und Mann sich umarmen, wenigstens die GeschlechtSlust gestillt würde, damit diese heftige Leidenschaft ihnen endlich Ruhe ließe, auf nützliche Geschäfte -u denken, und für ihren Unterhalt -u sorgen.«

„Seitdem ist die Liede ein Naturtrieb der Men­ schen, ein Drang, die ursprüngliche Beschaffenheit wieder her-ustellen, zwei Wesen in EinS zu verbin­ den , und die Verstümmelung der menschlichen Natur wieder aufzrcheben." «, Jeder von unS ist also nur ein Fragment, auS Einem in Zwei getheilt, wie die Schollen,* und jeder sucht nun seine von ihm getrennte Hälfte."

Ein Geschlecht von Fischen.

w

10

„ Nun sind aber einige Hälften der eigentlichen

Zwitter, die zweierlei Geschlecht hatten.

Der männ­

liche Theil von diesen liebt die Weiber, und diese Klaffe hat unL die meisten Buhler geliefert, so wie der weibliche Theil von ihnen, der die Männer liebt,

die meisten Buhlerinnen.

Die Hälften der ehemali­

gen Doppelweiber sind gleichgültig gegen die Männer,

und lieben nur ihr eigenes Geschlecht: daher die Tri­ baden.

Die-Hälften der vormaligen Ooppelmänner

aber fühlen eine Neigung zum Männergeschlecht.

Sa

lange ihre Jugend dauert, lieben sie, alS Theile von einem Manne, nur Männer, und finden Vergnügen

in ihrem Umgänge und in ihrer Umarmung, und dies sind die edelsten Knaben und Jünglinge, weil sie von

Natur die männlichsten find. “

„Mit Unrecht hat man sie der Unzüchtigkeit be­

schuldigt; denn nicht Unzucht, sondern inneres Ge­ fühl ihrer männlichen Kraft und männlicher Geist ist der Grund ihrer Neigung zu ihrem Geschlecht.

Dies

zeigt sich offenbar dadurch, baß nur solche Jünglinge im reiferen Alter die politische Laufbahn betreten. Zu Männern gereift, lieben sie selbst wieder Jüng­

linge; heirathen zwar und zeugen Kinder, aber nicht aus Neigung, sondern gezwungen durch das Gesetz;

zufriedener, wenn ff- unverheirathet im Umgangmit ihres Gleichen leben könnten." „ Die Liebe ?tt Jünglingen und tte ^Tczenliebr von diesen hat also offenbar keinen andern Onmb, als weil jeder nach Vereinigung mit seiner Hälfte strebt. Hat der Eine oder der Andere seine eigentliche Halste gesunden; unaussprechlich ist dann daü Wo»' negefühl ihrer Zärtlichkeit, ihrer Vertraulichkeit, issrer Liebe — und was kann man mehr sagen? ** auch nicht einen Augenblick find sie zu trennen. Wenn ffnun auch lebenslang in unzertrennlicher Bereinigung gestanden haben, so wissen sie doch am Ende nicht zu sagen, was sie eigentlich von einander wünschen und verlangen. Befriedigung einer unreinen Luft kann es nicht seyn, waS fie mit solcher Innigkeit vereinigt, und ihren Umgang zu einer Quelle so uverschöpffir cher Freuden Macht; sondern etwas Anders ist eS, wornach beider Seele fich sehnt, was fie aber nicht sagen, nur ahnden, nut im dunklen Vorgefühl ra­ then können."

Wer sieht nicht sogleich, baß hier Plato die Liebe als ein aus Veranstaltung der physischen Natur ent­ sprungenes Bedürfniß unsers Wesens darstellt, baß

12 er daü Glück derselben in dem Suchen und finden

„seiner Hälfte," desjenigen Gegenstandes fetze, der sich mir unserm Wesen in eine selige Harmonie vereinige, dem wir vor allen andern den Vorzug ge­

ben, weil er nur allein unö aste- das ergänzen kann, waS unS -um Glück unsers Daseyns fehlt.

Wer

fühlt hier nicht die erhabene Idee des Plato, daß

durch die Einigung der physischen und moralischen Natur der beiden Geschlechter, durch eine aus dem Innern der Wesen entspringende karacterbilbende Ver­

bindung, Einer den Reichthum deS Ändern fich aneigne, und die Liebenden so durch dak Ringen ihrer Kräfte

sich

zur

höchsten

Energie

deö

Handeln-

erhe­

ben. —

Doch wir wollen unsern Plato selbst noch wei­ ter hören. —

13

Plato'S Offenbarung aus den Mysterien der Philosophie der Liebe»

Plata läßt in seinem Gastmahle den ©dtteteC

dasjenige erzählen, was dieser von seiner geliebten Diotima über die Natur der Liebe gehört.

„ Die

Liebe, sprach diese begeisterte Prophetin, ist daS Der-

langen nach dem immerwährenden Lefitz des Gaten. Diese- Verlangen,

al- die

wesentliche Natur der

Liebe, äußert sich durch die Zeugung im Schönen, so

wohl im körperlichen als geistigen Sinne; alle Meiu

schen empfinden nämlich, so wohl dem Körper alü der

Seele nach, einen Zeugung-trieb, wenn sie ein ge« wisse- Alter erreichen»

Dieft Zeugung fcmrr al«

14 M durch daS Häßliche nicht geschehen, sondern nur durch bas Schöne. Eine Art der Zeugung geschieht durch die Vermischung des männlichen und weiblichen Ge­ schlechts. Diese ist ein göttliches Werk, und Zeugung und Empfäugniß giebt dem sterblichen Menschenge­ schlecht eine Art von Unsterblichkeit. Zeugung kann über nur -wischen Wesen vorgehen, die in dieser Hin­ ficht mit einander zusammen stimmen. Nun stimmt aber mit dem Göttlichen nicht bas Häßliche, wohl aber baS Schöne zusammen. Folglich vertritt die Schönheit gleichsam die Stelle der Parze und der Ciletethyia bei der Zeugung. Denn fich nun ein vom Zeugungstriebe belebtes Wesen mit einem schönen Gegenstände gattet, so wird es in Wonne und Ent­ zückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Be­ fruchtung ; trifft es aber auf einen häßlichen Gegen­ stand, so kehrt es sich mit Widerwillen und Mißmuth weg, zieht sich in sich selbst zusammen, und, anstatt zu zeugen, behält es den Dilduvgsstoff unter sehr um angenehmer Empfindung zurück. Daher diejenigen, die einen sehr lebhaften Vildungstrieb empfinden, fich mit großem Eifer um den Besitz eines schönen Gegeustandeö bewerben, weil sie dadurch von dem schmerz­ haften Drange des Zeugungßtriebes befreit werden. Die Liebe ist also nicht Hang -um Schönen, sondern

vach dem Zeuges unb Empfangen durch daS Schöne, denn Zeugen und Empfangen ist für die sterbliches Wesen ein unaufhörliches Entstehen, und giebt Ihne« eine Art von Unsterblichkeit.

Da die Liebe ein Ver­

langen nach dem immerwährenden Besitz deö Guten ist, so muß sie auch Unsterblichkeit zu ihrem Gegen­

stände haben.

Aber das allgemeine Streben vach

Unsterblichkeit äußert sich auf verschiedene Art.

Menschen,

bei welchen

Einig-

eia mehr körperlicher Dil»

bungStrieb herrscht und die eben darum eine stärkerNeigung gegen baS weibliche Geschlecht fühlen, hof­ fen Unsterblichkeit, Nachruhm und Glückseligkeit durch

Andere, bei welchen sich

Kinderzeugea zu erlangen.

mehr geistiger, als körperlicher Bildungstrieb zeigte

fühlen mehr einen Drang, etwas zu erzeugen, we­ der Natur des Geistes gemäß ist, drS heißt, waö auf

Weisheit und Tugend Beziehung hat.

Zu diesen g-a

hören nicht nur alle Dichter, die Schöpfer ihreü Stof­

fes , sondern auch von den Künstlern alle die, welch-

Selbsterfinber

sind.

Der

alleredrlste und schönst-

Zweig dieser Philosophie ist aber ohne Zweifel die Kunst, Staaten und Familien zy regieren, die Weis­

heit und Gerechtigkeit, wie sie deswegen euch vor­ zugsweise genannt wird.

Wer nun

dvftur edle­

ren Theil- deü. Menschen den Keks ja ciuem solchen

^tobntt deS Geistes schon von seiner Kindheit an in sich trägt, der hat etwas Göttliches in seiner Natur. Der Trieb zum Erzeugen erwacht in ihm, so bald et -u einiger Reife gelangt. Auch in ihm entsteht bann ein Streben nach einem schönen Gegenstände, durch welchen der in seiner Seele vorhandene Stoss entfrun* den werbe. Sein Zustand bringt eS also mit sich, daß er auch Körper, und zwar die schönen mehr alS die häßlichen liebt. Findet er aber einen schönen Kör-er, mit einer schönen, edlen, fähigen Stele ver­ eint, so wird feine ganze Zuneigung von diesem zwei­ fach schönen Gegenstände gefesselt. Sein ganzes Herz Lffnet sich sogleich gegen einen solchen Mensiben; et sucht ihn zu unterrichten, er schildert ihm die Eigen­ schaften der Tugend, et lehrt ihn, wLS rin recht­ schaffener Mann seyn und wie er handeln müsse. So geschieht eö bann, daß dasjenige, wak zuvor in seiner Seele noch unentwickelt im Keime lag, durch diese Vereinigung mit einem schönen Gegenstand gleichsam geboren wird, und diese neligtbornen Ideen durch die beständige Erinnerung ün den geliebten Gegenstand von ihnen gemeinschaftlich auSgebilbet werden. Des­ wegen ist das Band, batz zwei solche Wesen verei­ nigt , weit fester, als dir Bande zweier Sittnlichliedenden; ihre wechselseitige Liebe weit bakerhaster.

17

well b!e Gelsteükinder, welche auS ihrer Vereinigung hervorgehen, schöne, für die Unsterblichkeit gereifte Früchte sind. Wer sollte nun nicht lieber wünschen, solchen Kindern, als fterbllchon Wesen, daS Daseyn gegeben zu haben." Hierauf fährt Diotima fort, ihren Schüler In die höheren Grade der Mysterien vollende einzuweihen, und rhn zu lehren, wie er sich zur vollkom­ mensten Liebe empor schwingen, und durch sie allein zum Genuß der höchsten Schönheit vorberetten solle. „Gewöhne dich frühzeitig", spricht sie, „an die Betrachtung schöner Menschengestalten, studiere sie, er­ forsche ihre Verhältnisse, und entwickele deinen Schönheitössnn. Du wirst die Schönheit beS Körpers weit höher schätzen, wirst Schönheit in Handlungen, und, durch einen neuen Fortschritt, Schönheit in den Wis­ senschaften entdecken. ES verräth einen sklavisch den­ kenden, beschränkten Kopf, die Schönheit nur in einem einzelnen Menschen, io einer einzelnen Handlung fin­ den zu wollen. Du wirst daS große Meer des Schö­ nen durchschiffen, und im Beschauen so mannigfalti­ ger schöner Gegenstände neue Ideen erzeugen, und von Stufe zu Stufe zu einer Philosophie cmporstck Feier der Liebe, L LH. L

18 gen, welche daS Schöne selbst zum Gegenstände hat» Hier stehest du nun am Ziele, wohin alle vorhrrgegangne Bemühungen allein abzweckken. Dir offen­ bart sich nun mit einemmale der Anblick der ewigen Urschönheit. Ewig ist diese Schönheit, keinem Entstehen und keinem Vergehen, keinem Zuwachse und keiner Abnahme unterworfen. Sie ist nicht hier schön, dort häßlich; jetzt schön, dann abscheulich; dem Einrn hold, dem Andern herbe; in diesem Verhältniß liebenÜwerth, in jenem widerwärtig. Sie ist nicht Schönheit deß LeibeS, nicht der Rede, nicht der Phantasie, nicht der Wissenschaften. Sie ist kein Attribut irgend eines Subjekts, weder deS Himmels, noch der Erde, noch irgend sonst eines lebendigen WesenS. Sie ist wesentlich, selbstständig, durch sich selbst, von sich selbst, nur sich selbst gleich und ewig. Alleö, was sonst schön ist, ist nur schön durch sie, durch Lheilnehmung an ihrer Schönheit, doch so, daß, wenn daS abgestammte Schöne vergeht, das uranfLngllche weder verliert noch leibet. Dieö Anschauen der ewigen Schönheit ist das Ziel, wonach die Liebe stufenweise sortschreiten soll, von der Liebe eineS schönen Körpers zu zweien, von zweien zu mehreren, von mehreren zu allen, von den schönen Körpern zu schönen Seelen, von schönen Seelen zu schönen Hand-

ww

19

\4v

kungen, von schönen Handlungen zu schösten Qiffen-

schäften,

bis du endlich bei derjenigen ©rfrnntnftf

aufhörft, welche nichts alS bas absolute Schöne zum Gegenstand hat, und du mm, eingeweihdin den ketz^

ten Grad der Geheimnisse dieser Weisheit, die Ut*

fchönhett selbst erkennest.

Hier, wo der Mensch

zum Anblick der ursprünglichen Schönheit selbst ge-'

langt ist, wirb sein Leben erst ein wahres Leben.

Alle Erdenschönheit, die dich schon in unauihörlichkl Anschauung hinzaubert, wird dir nun nicht mehr ge­

nügen; du genießest deö unaussprechlichen, beneidenswerthen GlückeS, die Urschönheit selbst, ächt, relnz

unyermischt, nicht verbunden mit körperlicher Masse,

Farben oder anderm vergänglichen Tand, sondern io ihrem göttlichen Glanze, in der ganzen Reinheit ih­ rer Form zu erblicken, sie zu betrachten, daran -a

hangen, daran dich unaufhörlich zu weiden, zu gro­

ßen Thaten entflammt zu werden, Tugend aus Tu­

gend zu erzeugen, dann Liebling der Götter zu seyn — p, wenn es irgend eines Sterblichen Loos ist! —

durch Thatenruhm der Unsterblichkeit Erbe zu seyn."—

Wer sieht nicht, daß hier bei Plato die Urschönheit

nichts anders war, als

daS höchste Wesen;

Und alles vov ihm in die ganze Äütrw übettzegbllgeliö

20

Schöne! Wahrlich ein hoher, seelenerhebenber Ge­ danke, dengeln Grieche schon vor zwei lausend Jahren fassen konnte, welcher nur von denen für Schwär­ merei gehalten werden kann, die nicht begreifen kön­ nen, zu welcher hohen Stufe von Geistesbildung das feinere Gefühl und die äußerste Empfindbarkeit die griechische Natron empor hob; denen daher ihre Tu­ genden und Laster in einem gleich falschen Glanze er­ scheinen. Unter wie mancherlei Namen und Einkleidungen auch dieS schöne Gebild der feinsten Ideen und Em­ pfindungen der Liebe vorgetragen ward, so ist doch überall der Hauptsatz kennbar: „ Liebe vereinige die Wesen, wie Haß sie scheide; in Liebe und Vereini­ gung gleichartiger Dinge bestehe aller Genuß der Göt­ ter und Menschen; Sehnsucht und Verlangen seyen die ersten Begleiterinnen der Liebe, die starken und doch zarten Triebe, die allen Genuß herbei fuhren und vorberetten, ja die selbst den Genuß vorahnbend gewähren, und wodurch die Liebe alles in Ordnung erhalte, und -u dem Einen leite, der die Quelle alles LichtS ist, wie aller Liebe." Indessen ward auch bald die andere Seite deS System- sichtbar, baß diese Liebe Gränzen habe, daß

vxv

21

***

eine völlige Vereinigung der Wesen fn unserm Welt, all selten oder gar nicht Statt finde, da- also auch

die Bande dieser Vereinigung, immerwährendes Be­

streben , in größter Anstrengung nachlassen, und statt

des Genusses mässe.

Überdruß

und

Sättigung

gewähren

Man bemerkte bald, daß auch in diesem Ge­

setz Weisheit liege, weil der Schöpfer hierdurch eben so sehr für den festen Bestand einzelner Wesen ge­

sorgt habe, wie er durch Liebe und Sehnsucht für baö Vereinigen mehrerer Geschöpfe sorgte.

Man sah,

daß diese beiden Kräfte, die in der geistigen Welt

das find, was in der körperlichen Anziehung und Zu-

rückstoßung seyn möchten, zur Erhaltung und Fest­ haltung

des

Weltalls

gehören.

EmpedokleS

machte daher Haß und Liebe zu Bildern der Schö­ pfung: durch Haß, sagt er, werden die Dinge ge­ trennt und jedes einzelne bliebe, was eS ist; durch

Liebe werden sie verbunden und geselliger zu einan­ der,

in so fern fie sich nämlich ihrer Natur nach

gesellen konnten: denn auch über die Liebe, sagten

die Griechen, herrscht das Schicksal; und Nothwen­ digkeit, die älteste der Gottheiten, ist mächtiger alS

die Liebe.

XV*»

AZ

WV

So erhaben und reis Has SBilV bey Liebe auch zu seyn scheint, das uns Plato oufftcdt, so ähnlich sie

selbst derjenigen ist, welche unsere Vernunft als Grund­

satz unserer Handlungen un6 gebietet, so können wir

doch von diesen, wett auö dem Gebiete der Erfah­ rung liegenden Ideen keinen Gebrauch machen, wenn

von der Liebe, als Leidenschaft, die Rebe ist.

Ich

werde daher diese geistigen Zonen verlassen, und in die niederen, aber fruchtbareren Gegenden der Sia-

penwelt zurüffkehren müssen, wo Erfahrung uns den

Stoff giebt, um die Realität unserer Vorstellungen pnd Empfindungen daran zu ermessen.

LS

Nähere Entwickelung des Wesens der Liebe. Meinungen der Philosophen vereinigen sich imwer mehr darüber, daß den Formen unsers DorstellungkvermögenS der Stoff aUefn in der Erfahrung gegeben werde, und daß also die Sinnlichkeit eine eben so nothwendige wesentliche Eigenschaft deß Men­ schen sey, alö die Vernunft, und der Mittled zwischen beiden, der Verstand. Der Zweck unser- Daseyn- ist Yeine-wege-, wie die platonische Schule lehrt ober vielmehr nur zu lehren scheint, un- von aller Sinnlichreit loö zu m'a-

24 chen, durch die allein wir nur fähig find, unS die Theilnahme an reinen, hohen Gefühlen, an edlen Freuden zu verschaffen, und uns eben dadurch zu der Stufe zu erheben, wo wir nicht blos als organi­ sche Wesen, sondern alS Menschen genießen.

Liebe, in der allgemeinen Bedeutung genommen, ist eine Empfindung, welche auf gegenseitiger Zunei­ gung beruht. Gegenstand und Empfindung find also die beiden Hauptmerkmale der Liebe. In Ansehung beS ersten führt die Gejchlechtsverschiedenhelt zu einer näheren Bestimmung der Liebe, nämlich der Geschlechtsliebe und der Freundschaft. — Freundschaft, Empfindung eines besondern Wohl­ wollens , die ernstere Schwester der Liebe, kann zwar auch bei der Verschiedenheit des Geschlechts Statt fin­ den, aber es ist alsdann diese Verschiedenheit kein nothwendiges wesentliches Stück, eS ist zufällig, es ist gleichgültig, daß der Gegenstand vom andern Ge­ schlecht ist.

In Ansehung der Empfindung bezieht fich die Liebe entweder auf geistigen und körperlichen Genuß zugleich, oder auf körperlichen allein; in jenem Falle

25

***

erhält sie den Namen der feinern, in diesem den der grobsinnlichen Liebe.

Die grobsinnlicheLiebe ist ein Naturtrieb, der der ganzen thierischen Körperwett eingepflanzt ist. Nur dem Menschen allein sind neben dem Natur-

Instinkt noch höhere Gesetze von der Vernunft gege­ ben worden.

Wenn er, alS Theil der Körperwelt, dem Instinkt unterworfen seyn mußte, so ist er, alS ein vernünftiges Wesen, Gesetzgeber der Natur, Herrscher über sich selbst als Sinnenwesen.

Es ist also Pflicht für

ihn, alS ein fteies Wesen zu handeln, und nicht den

Gesetzen der Sclaverei alS bloßes Thier zu gehor­ chen. —

Aber eben, weil alles umher nach physi­

schen Gesetzen auf uns wirkt, sind auch wir geneigter, diesen Gesetzen gegen unS gemäß zu wirken; es wird uns so leicht, eben darnach zu handeln.

Ist der Hauptzweck der Liebe Befriedigung deS Instinkts, so ist sie grobsinnlich, gleich viel, ob sie von bürgerlichen Gesetzen gebilligt wird ober nicht.

Man nennt diese Liebe auch die- epikureische, im

Gegensatz der platonischen.

Zwischen der platonischen und

epikurei­

schen Liebe liegen jedoch noch Mittelgefühle,

die

sich in den feinern Abstufungen der Sinnlichkeit ver­ rieten, deren Gränzlinie aber vielleicht nur der Pin­

sel eine- Apelleö genau zu bezeichnen vermöchte. —

Die Liebe ist nicht allein in Ansehung ihres Ge­

genstandes, sondern auch deS Ursprungs der Em­ pfindung von der Freundschaft verschieden.

Liebe wird

vämlich durch äußere, Freundschaft durch innere

Vorzüge erzeugt; Freundschaft ist also eine durch Urtheile und Vernunft heryorgebrachte Empfindung, die

vom Kopf zum Herzen geht; die Liebe hingegen be­ mächtiget sich zuerst unsers HerzenS, und rechtfertigt

sich

bann erst durch

die Vernunft,

und vor der­

selben.

Liebe in der gewöhnlichen Bedeutung wird durch

äußere Vollkommenheiten erweckt, und ist also auf Sinnlichkeit gegründet; sie ist aber desto sinnlicher, je mehr der Trieb nach äußeren Empfindungen strebt,

desto reiner, je mehr der Trieb innere Empfindun­ gen zugleich in sich schließt.

Von der ersteren Art

war die Liebe deS Kardinals zur tzauretta Pisana, von der zweiten Prtrarcha'S Liebe zu seiner

Laura,

das

Mittel

-wisch«

beibrn

hüt

GL

Preu'6 Liebe zu Julie.

Reine Liebe muß sich also auf äußere und lmwre

Vollkommenheiten gründen.

Jene beziehen sich hier

auf körperliche Schönheit, oder an deren Stelle auf

das, was man Gefallen nennt; diese beziehen sich auf Eigenschaften

deS Geistes- die

unS angenehm

und nützlich scheinen, es mögen beide wahr ober eingebildet seyn, gleichviel! wir lieben eine Person we­

gen ihrer geistigen und körperlichen Vollkommeuhritrn,

weil sie uns in undeutlichen Dorhersehungea

erwarten lassen, baß eine genauere Verbindung und einen hohen Grad der Glückseligkeit gewähren wird.

Will man sich zwei Wesen einander genießend

vorstellen, so muß man sie sich vereinigt denken,-beide

zusammen alS Ein Wesen.

Das Verlangen nach

der Vereinigung muß also desto lebhafter, oder viel­

mehr, der Grad von Anziehungskraft der Seele muß

desto größer seyn,

je mehr Gleichartiges oder

vielmehr An-iehendeS' si: in dem begehrten Ge­

genstände entdeckt, weil eben hierauf die Möglichkeit einer vollkommenen Vereinigung beruht.

Man wird

z. B. eine schöne Statue weniger al- seinen Freund,

diesen weniger als feine Geliebte, seine Geliebte we­ niger als das höchste Wesen lieben. Daher kommt-, daß die Religion größere Enthusiasten^ macht als die Liebe, die Liebe größere alS die Freundschaft, diese größere als die gewöhnliche Lust an leblosen Gegen­ ständen. Jede Begierde nach sinnlichem und geistigem Ge­ nuß, alles Verlangen der Freundschaft und Liebe, strebt nach Vereinigung mit dem Begehrten, weil eS in ihm den süßesten Genuß deS eigenen Daseyns ahn­ det. Die Gottheit hat eS weise und gut eingerichtet, daß wir unser Daseyn nicht in unö allein, sondern durch Reaction gleichsam in einem Gegenstände außer unS fühlen follen, nach dem wir also streben, für den wir leben, und in dem wir doppelt und vielfach find. Ja sie hat die Menge anziehender Gegenstände, die sie in uns legte, in so mancherlei Entfernungen ge­ fetzt, mit so vielen Graden und Arten der Anzie­ hungskraft begabt, daß eben hierdurch ein sanfteunaufhörliches Saitenspiel der Empfindungen in un­ möglich ward, und unser Leben gleichsam eine Har­ monie des Verlangens, einer immer reinem, uner­ sättlichen, ewigen Sehnsucht würde. —

Selbst in den

schönen,

großen Leidenschaften

Zeigt uns die Natur das Streben nach Vereinigung.

Unstreitig ist e6 nicht Erfindung der Menschen, nicht Gewohnheit der Erziehung, wenn wir Ältern und Freunde umarmen; wir drücken sie an unsere Brust

mit einer Kraft, die die innern Empfindungen der Liebe

versinnlicht.

Man sehe diese zärtliche Mutter, und

auf ihrem Schoße

den Säugling, wie sie ihn ar»

den Busen drückt?

wie sie rhn mit Küssen über­

schwemmet !

Man untersuche den Mechani-muS die»

feS Kusses, wie ihn Lucrez

schildert:

so bewundernswürdig

Et tenet adsuctis humectans oscula la*

bris, man wird finden, daß die Seele alle Mittel

sucht,

sich mit dem geliebten Gegenstände izu ver»

einigen.

Die Mittel, deren sich die Seele bedient, sich der begehtten Einigung za nähern, sind physisch und geistig.

Bei dem groben sinnlichen Genuß findet völlige

Vereinigung Statt, oder wenigstens weiß un- die Natur einen Augenblick zu täuschen; denn so lebhaft auch das Verlangen nach körperlicher Vereinigung ist, so vorübergehend ist doch der grobe sinnliche Genuß;

w so der Gegenstand ist augenblicklich verschlungen, zer­ stört. Gewissermaßen ist auch hser der feinste Genuß vor dem Genusse; der Appetit nach einer schönen Frucht ist angenehmer, als die Frucht selbst; baL Auge macht die Zunge am lieblichsten lüstern, oder wie Luk re- von einem andern Sinne sagt: Voluptatem praesagit multa cupido.

Das geistige Mittel der Wesenvereinigung be­ steht darin, daß man sich den begehrten Gegenstand mehr gleichartig, ihn sich von mehreren Seiten sinn­ lich zu machen sucht, d. i., daß man die Möglichkeit der Einigung, nach der unsere Seele strebt, mehret. Aber auch hierzu bedürfen wir der Organe, wir bedienen uns der edleren Sinne, deö Gesichts und Gehörs, zur Thellnehmung an den innern Vorzügen deS begehrten Gegenstandes; in den Augen, in den Mienen lesen wir das Gepräge einer für uns ge­ schaffnen Seele, und im Wechsel der Rede offenbar ren wir »uns unsere Gedanken, suchen die unsrigen mit£ den andern, und diese mit den umrigen zu vereinigen, und wechselseitig durch ein gemein­ schaftliches Interesse vollkommuer zu werden. Die reinste Liebe würbe sich also mit dem An­ schauen und der mündlichen Unterhaltung, begnügen.

3L

*****

imb rotnn wir platonische Liebe annehmeo, so

wird nur diese Art darunter verstanden werden kvnnen.

Dieser Trieb bloS nach innerer Empfindung,

diese reinste Liebe ist möglich, ja sie wird unter Mens schen gefunden, ob sie gleich unerklärbar ist, nämlich

in so fern, daß, ungeachtet dieser reinste Genuß btt friedigt, dennoch Verschiedenheit des Geschlechts er»

Diese Liebe ist eben daher eia voa bd>

fordert wird.

Freundschaft sehr verschiedene-,

ein weit lebhaftes

empfundenes Gefühl der Zuneigung.

Woher kommt

eS mm, daß Anschauung und Unterhaltung bei. glei­

cher, ja bei höherer Schönheit des KörperS und dev

Seele, bei ein

und demselben Geschlecht eine gar­

andere Empfindung bewirkt?, baß hier Freundschaft

und Liebe so verschieden Ist?

Wem die Antworte

baß Geschlechtstrieb bei aller Liebe, wenn gleich noch so verborgen,selbst unbewußt, dennoch-umGrand­

liege , nicht befriediget, der wird auch in der mystrr

schen, über die Menschheit hinausgehenden Erklärung deS Plato keine Befriedigung finden, der sie nur

in dar Bewußtseyn der Gegenliebe setzt,

wodurch

eineö in dem andern lebe, dergestalt, daß jedes Ding

außer unö,

jede Begebenheit in unsern Gedankv.*,

mit dem geliebten Gegenstände in Beziehung gesetzt

werbe.

Wir sind in unS beständig mit ihm beschäft

tißet, und wünschen, hoffen oder wissen, daß auch

wir auf diese Art dem andern immer gegenwärtig

sind. —

Aber werden wir wohl bei allem diesem ru­

hig und glücklich seyn können,

ohne den geliebten

Gegenstand zu sehen und zu sprechen?

Und streben

wir nach Anschauung und Unterhaltung, ist dies nicht

schon körperlicher Genuß?

Platonische Liebe, so gei­

stig auch immer ihr Genuß seyn möge, läßt sich nicht ganz entkörpert denken. —

Versteht man unter dem Genuß platonischer Liebe

den Jdeengenuß körperlicher Schönheit, so legt man Plato einen Sinn unter,

stem widerspricht. Eigenschaften, müssen,

und

der seinem ganzen Sy­

Plato redet nur von geistigen

die mit dem Geist genossen werden auch nicht anders

genossen

werden

können; nicht aber von der wahnsinnigen Vergeistung der Körper, aus der nur zu oft grobe Sinnlichkeit

entsteht.

Daß dieser Genuß nicht geistig sey, sehen

wir daraus, well er den Körper zerstört und den Geist nicht befriedigt, er sündigt am Nervensaft, wie

die zu grobe Liebe am Fleisch und Blut, und zeigt also eben damit, daß er kein wahrer Genuß, keine

glückliche Beschauung der Art sey, wo brr geliebte Gegenstand mit uns EinS wird.

***

53

Je geistiger der Genug ist, desto bauernder ist er, desto mehr ist auch sein Gegenstand außer uns

dauernd; aber desto schwächer ist er auch, denn sein Gegenstand ist und bleibt außer unS und kann eigent­

lich nur im Bilde, b. i. wenig oder gar nicht mit uns vereinigt werden.

DaS Auge wird

zu sehen

nimmer sütt, weil das Herz dabei unbefriedigt bleibt. Was der Dichter vom unvollkommenen Genuß der Liebenden sagt, gilt auch hier:

Nil datur praeter simulacra fruendum I

Ut bihcre insomnis sitiens cum quaerit et humor Non datur,

ardorem in memhris qui s tingelte possit,

Sed laticum simulacra petit fnutraque laborat,

In medioque aitit torrenti flumine potans. Und in der That scheinen bieS auch die Liebhaber dieses SinneS, die ihn bis zur Wollust,

bis zum

höchsten Genusse ausgebildet haben, zu fühlen; sie

suchen sich das Bild zu beleben.

Wohl ihnen in dem

süßen Traum ihres geistigen WahnS! —

Die Natur sahe, baß jene reine himmlische Flammr für menschliche Wesen zu sein wäre; sie gab unk

Feier der Liebe, I. Th.

3

34 daher den edlen Genuß der Liebe in einer körperlichen

Einkleidung, dessen höchsten Grad der Entzückung wir freilich nicht da suchen sollen, wo uns ein Augen­ blick irdischer Vereinigung täuscht; er ist vielmehr in jenem ersten glücklichen Finden, in jenem unbeschreib­

lich süßen Augenblick, da zwei Seelen sich das, was tausend Zungen nicht auszusprechen vermögen, sagen:

daß sie einander herzlich lieben. Wenn es einen Augenblick himmlischer Wollust

und reiner Vereinigung verkörperter Wesen hier auf Erden giebt, so ists dieser, — der einzige, erste und

und letzte Augenblick himmlischer Wonne, und nach

ihm alles nur darbender Genuß. — Die Mythologie eines Astatischen Volks theilt

ihre Zeiträume des höchsten Alterthums der Welt so

ein, daß die Menschen — damals noch paradiesische, selige Wesen — sich Jahrtausende zuerst durch Blicke, nachher durch einen Kuß, durch eine bloße Berührung

geliebt hätten, bis sie endlich zu den niedrigen Arten des Genusses allmählig erst in langen Zeiträumen hinab gesunken wären. —

Der Augenblick jeneS geistigen Erkennens, jenes

Verrathö der Seele durch einen Blick setzt uns gleich-

55 sam in diese Zeit zurück, und mit ihr in die Freu­ den des Paradieses. In ihm gemeßen wir zurück empfindend, waS wir so lange suchten, und uns selbst nicht zu sagen vermochten; in ihm genießen wir vorempfindend alle Freuden der Zukunft, nicht ahndend, sondern habend, ja mehr alS habend. Die Zukunft kann immer nur entwickeln, selten hinzu­ thun; und oft thut sie ab, sie vermindert den Wahn deS Genusses bei drm Genusse. Jener Augenblick ist der Liebe erblickt, den sie die Fackel entfällt ihren seliger Liebe sind plötzlich

der, da Pshche den Kott so lange verschleiert liebte; Händen, und alle Freuden verschwunden. —

Seelen, die zur treuesten, reinsten, edelsten Liebe geschaffen sind, fliehen zögernd die e. Augen­ blick deS Qerraths, ja sie zittern vor ihm als vor einem Feinde. Das zärtere Geschlecht fühlt es, wie viel die Seligkeit der Liebe mit jedem sinnlichen Ge­ nuß verliere, wie bei ihrem Ausbruch ihre innere Kraft sich schwächt, die reinen Gefühle himmlischer Wonne schwinden. Keusch und heilig sucht eS daS Geheimniß im Herzen deS Liebenden zu bewahren, sobald es desselben gewiß ist, Und nichts macht sich

86 gewlsser als di-seS.

*v*

Das Geheimniß wird gleichsam

entweiht, wenn eS nur die Lippen berührt; eS er­ stirbt schon

ersten Kusse,

im

im

ersten Seufzer.

Psyche verliert ihre himmlischen Fittige, sobald sie

zur Materie herabfinkt.

Aber diese rein platonische Liebe, wo innere Em­

pfindung, Befriedigung der höheren Sinne un6 ge­ nüget, ist nur eine Frühlingsblume des Erdenlebens,

die der Jüngling

und daS Mädchen im blühenden

Lenze ihrer Jahre genießen.

Das Lächeln der Unschuld ist noch auf dem Munde deS JünglingS, Leben und Wärme in seinem Blicke,

Heiterkeit und Verlangen auf seiner Stirne, die noch

nicht durch Erfahrung und Nachdenken ernst und trübe gemacht wird.

Gering ist die Masse seiner Kennt­

nisse, aber voll ist die Kraft im Empfinden, und al­

les, was an jenem ihm mangelt, ersetzt ihm diese.

Wie Adam in Eden, sucht er nun, waö ihm gleich sey, um auszufüllen die Leere seine- Herzen-.

Noch ungewohnt in fich, nur gewohnt in andern zu leben, sucht er den Gegenstand,

und seyn könne.

in dem er leben

Go wird ihm das Bedürfniß, so



37

endlich der Vollgenuß der Liebe»

Den geliebten (Ze-

genstand sehen, ist ihm Wonne, und sich geliebt wis­ sen aller Wünsche Befriedigung.

Alle

Menschen,

die

ihn umgeben, glaubt er

gut und ohne Falsch, denn er ist es; er bestrebt sich, sie alle glücklich -u wissen, denn er ist eö.

Die ganze

Natur lacht ihm im reinen Schöpfungsgewande ent­ gegen, denn reine Liebe strahlt ihm auS dem Auge der Geliebten; alleS ist ihm Harmonie, denn er ist

geliebt; ihm mangelt nicht-, denn er ist geliebt; al­

les ist ausgefüllt, alles befriedigt; denn er ist ge­ liebt. — Er wähnt in diesem Gefühle unaufhörlich leben zu können: er kann keinen höheren Begriff von Men­

schenglück fassen, ja er mag Leinen höheren Begriff selbst von der Seeligkeit der Zukunft haben.

So ganz auSgefüllt, so ganz befriediget, würde der Besitz einer Welt nichts hinzu zu setzen vermö­

gen , 'um keinen Punkt höher in der Schöpfung ihn heben können.

Sey es Wahrheit oder Täuschung, gleichviel für den Liebenden!

Und wer hat all das in ganzer Fülle

38

empfunden, und wünscht nicht zurück diese seelige Zeit der ersten Liebe.

Aber darum ist die Liebe für den reifenden Mann nicht minder beseeligend, der nun seine Begriffe von Vollkommenheit richtiger bestimmt, der seine Kennt­ nisse und Erfahrungen erweitert, dessen EmpsindungSc kraft aber eben dadurch schwacher, dessen Einbil­ dungskraft kühler wird. —

Auch der feinere sinnliche Genuß, der Kuß der Liebe, schließt noch reine Liebe des zweiten Gra­ des in sich. Sie verliert dadurch nichts in ihrer Rein­ heit, wenn sie ursprünglich rein war. Cs ist aber die höchste Befriedigung, die äußerste Vereinigung der rein Liebenden, und wer nun noch andere Wünr sche in sich fühlt, als die der Wiederholung, — hat ursprünglich nicht der Göttin von Cypern, sondern der von Paphos geopfert. Hier ist der Granzstem, wo sich das Land dieser beiden Gottheiten scheidet. — Wenn dem Kuß der Liebe noch etwas mehr Kör­ perlichem folgt, so hört zwar die Liebe des zweiten Grades ans, ne wird sinnlich, körperlich, ohne je­ doch zur grobsinnlichen herabzusinken. Diese kann der

w,

99

reinen, ursprünglich und bi- dahin bauern- reinen nie

folgen, denn ihr Zweck und ihre Triebe sind sehr ver­ schieden.

Sie würde noch immer reine, aber schon

ganz sinnliche Liebe zugleich, im Gegensatz der ganreinen Liebe, genannt werden, sie würde Liebe de-ritten Grades seyn. —

Es ist eine glückliche und weise Veranstaltung in der Natur,

daß alle Dinge

einem unaufhörlichen

Wechsel unterworfen, daß selbst im physischen un­

moralischen Menschen beständig etwas vergeht, wah­

rend auf der andern Seite etwas Neues entsteht. —

So paarte die Natur jenen kurzen trügenden

Wahn der. innigsten Vereinigung mit Freundschaft, und beglückte uns von Seiten des Körpers mit dem

electrischen Funken ihrer Allmacht,

durch den au-

einer uns unbegreiflichen Verbindung zweier Wesen

Ein drittes wird, gleichsam

ein Geschöpf der

Liebe, des Verlangens und her vollendeten Sehn­ sucht.

Die feurige Kette schlingt sich also fester, zwi­ schen der Dürftigkeit und dem Überfluß wird ein neue-

***

40

***

©lieb geknüpft, in dem der Funke der Sehnsucht wei­ ter zündet. — Überhaupt ließ der Schöpfer keinen Grad der Vereinigung der Wesen in seiner Natur ohne Frucht. Die erste Stufe von sinnlichem Genuß, nach dem auch schon das Kind sauget, giebt uns 2ebenssaft; er bereitet uns ein Edleres aus einer schlechteren Ma­ terie. Je seiner das Organ wird, desto geistiger sind die Kinder feines CmpfLngnisses. Dufte stärken und erquicken die Seele; Musik tröstet und labt das Herz. Die Bilder der Liebe führen dem Geiste zartere Ge­ danken zu, als ihr Materielles selbst ist; und endlich Freundschaft und Liebe, jene die Ehe der Geister, diese die Che der Körper, bringen un- einen Becher beö Genusses, mit den fchönsten Fruchten bekränzt. —

41

über den Zweck

Allgemeine Bettachtung

der Ehr.

Fortpflanzung seiner Geschlecht- hat Me Na»

tut dem Menschen, wie allen übrigen Lhierarten, den Eeschlechtstrleb eingepflanzt,

und die Befriedigung

desselben mit einem unwiderstehlichen Reiz verknüpft. Diesen großen Zweck der Natur befördert die Ehe, nämlich

eine

gesetzmäßige Vereinigung

beider Ge-

schlechter zur gemeinschaftlichen Befriedigung beS GeschlechtstrkebeS, am besten.

EL wäre eine Beleidi­

gung der Natureinrichtung, wenn beide Geschlechter

blos die Befriedigung sinnlicher Luft, und nicht zu­ gleich die Fortpflanzung ihreS Geschlechts beabsichtig

ten. Eine solche Vereinigung würde nicht Ehe,, son­ dern vielmehr eine privilegirte Hurerei zu nennen seyn. Eine Ehe verdient diesen Namen nicht im eigent­ lichen Verstände, wenn der Hauptzweck derselben, nämlich die Fortpflanzung des Geschlechts, nicht erreicht werden kann. Doch kann das Naturrecht auch für diesen Fall die Verbindung zwischen Personen heiderlet Geschlechts nicht hindern,, so wenig der Staat ihr seine Sanction verweigern darf. Eö giebt poch andere Zwecke, worauf sich eheliche Verbindun­ gen gründen, und welche alle bürgerlichen Wirkungen der ehelichen Gesellschaft fordern. Vom Naturzwcck sind die sehr gewöhnlichen Bewegungsgründe der Ebe verschieden. Einer heirathet, um eine gute Haus­ hälterin, ein Anderer, um Geld oder angesehene Ver­ wandte und Gönner zu erhalten, die Meisten aber, um den Instinkt des Beischlafes -u stillen. Für die Menschen, als moralische Wesen, ist un­ streitig der zweite noch edlere Hauptzweck der Ehe dieser, moralische Wesen für die bürgerliche Gesell­ schaft -u erziehen. Die Erziehung ist eine stillschwei­ gende Bedingung deS ehelichen Vertrags, und jeder

w

43

Gatte Ist berechtigt, von dem andern zu fotbero, daß er zur Erhaltung und Erziehung der erzeugten Kinder nach seinen Kräften beitrage« Ein ehelicher Vertrag ist dem allgemeinen Grund­ satz über gesellschaftliche Vertrage gemäß abzuschließen, das heißt: die beiden Theile bedingen einander den Gebrauch ihrer moralischen Freiheit; es soll da­ bei weder List noch Gewalt gebraucht, noch eines Dritten Recht damit gekrankt werden, auch darf kein Recht der Menschheit und Menschlichkeit hierbei ver­ letzt werden.

' Mit den wesentlichen Zwecken, Rechten und Verbindlichkeiten des Ehebundes können noch an­ dere verbunden werden, z. B. standesgemäße Erhal­ tung, welche aber nie allgemeine wesentliche Bedin­ gung seyn können. Solche aufierwesentliche Bedin­ gungen beruhen blos auf einem ausdrücklichen oder stillschweigend cingegaugenen.Vertrag; letzterer be­ zieht sich auf bürgerliche Rechte, Sitten und Ge­ wohnheiten, deren Inhalt als bekannt und gültig an­ genommen wird.

Die physische und moralische Beschaffenheit des Menschen lehret, daß der Naturzweck der Ehr, uam-

lich bie Erzeugung bet Kinder, nur unvollkommen erreicht,

und die daraus entspringende Pflicht der

Kindererziehung nicht vollständig erfüllt werden kann,

wenn nicht beide (Satten im engsten Bunde der Liede

ihre Kräfte zu gemeinschaftlichen Zwecken gebrauchen. Je länger die Dauer einer Gesellschaft ist, desto grö­ ßer muß daS Maas der zu erreichenden Vollkommen­

heiten seyn.

Die Stimme der praktischen Vernunft

hat langst entschieden, und e- ist von den

flrtesten Völkern anerkannt worden,

civilis

baß der dem

großen Menschheitsziel, nämlich dem Fortschreitea zu

immer höherer Kultur, untergeordnete Zweck der Ehe nur unter folgenden Bedingungen erreichbar sey:

i.

Wenn die Ehe auf die ganze Leben-zeit ge­ schloffen wird;

r.

Wenn

nur

eine Ehe unter

zweien Statt

findet;

z.

Wenn flch Heide Theile verpflichten, den Ge­

schlecht-genuß mit keiner andern Person zu

theilen, und daö Wort der Treue wirklich

halten. Da es im Allgemeinen der Bestimmung de- Geschlechtstriebes und den übrigen ediern Zwecken der

v**

45

***

Ehe und der bürgerlichen Gesellschaft schabet, wenn

ein Gatte gegen den andern die Treue verletzt, und temporäre GeschlechtSverbinbungen, Konkubinat, Viel­

weiberei, Vielmänneret sich erlaubt; so werden alle

solche Pflichtverletzungen in gesitteten Staaten aus­ drücklich verboten, und jeder Mensch übernimmt hier

bei

seiner Derheirathung die

freiwillige Derbmd-

lichkelt: r.

Die erwähnten Verletzungen der ehelichen

Treue überall selbst dann zu vermeiden, wenn sie auch

außer dem Staat, wo er lebt, für seine Person in dem einzelnen Falle ünd sogar ohne auffallende Un