Die Eroberung urbaner Bewegungsräume: SportBündnisse für Kinder und Jugendliche [1. Aufl.] 9783839429198

Cities are known as »Exercise Deserts«, even though they offer many exciting possibilities and occasions for movement, g

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German Pages 274 Year 2015

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Inhalt
Einleitung
SPORTWISSENSCHAFTLICHE KINDHEITSUND JUGENDFORSCHUNG
Sozialräumliche Aneignung von Räumen durch Jugendliche. Theoretische Grundlagen und beanspruchte Raumtypen in öffentlichen Räumen
Freestyle-Bewegungskulturen. Moves, Tricks und Selbstmediatisierung
Neue Diskurse – alte Geschlechterpraxis?. Verfestigung dualer Geschlechterbilder in der frühkindlichen Bewegungspraxis
ErlebnisRAUMerfahrung. Räume mit Bewegung, Spiel und Sport erschließen
URBANE BEWEGUNGSRÄUME MIT KINDERN EROBERN
Urbane Bewegungsräume mit Kindern erobern. Theoretische Vorüberlegungen
Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten. Offene Bewegungsangebote inszenieren
Bewegungsräume im Quartier mit Kindern erkunden. Spiel und Bewegung im Wohnumfeld fördern
Bewegungsräume des Vereinssports mit Kindern erkunden. Institutionalisierte Formen von Sport und Bewegung erleben
Nicht alltägliche Bewegungsräume mit Kindern erkunden. Ausflüge vorbereiten, begleiten und nachbereiten
URBANE BEWEGUNGSRÄUME MIT JUGENDLICHEN EROBERN
Jugendarbeit und Medienpraxis im Feld des Trendsports
Raumaneignung als informeller Lernprozess am Beispiel des Flensburger BMX- und Skateparks Schlachthof
Sportbündnisse. Vom BMX Girls Camp bis zur Rampenbau Schule
Autorinnen und Autoren
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Die Eroberung urbaner Bewegungsräume: SportBündnisse für Kinder und Jugendliche [1. Aufl.]
 9783839429198

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Jan Erhorn, Jürgen Schwier (Hg.) Die Eroberung urbaner Bewegungsräume

Pädagogik

Jan Erhorn, Jürgen Schwier (Hg.)

Die Eroberung urbaner Bewegungsräume SportBündnisse für Kinder und Jugendliche

Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: codswollop / photocase.de Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-2919-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2919-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung

Jan Erhorn & Jürgen Schwier | 7

S PORTWISSENSCHAFTLICHE KINDHEITS UND J UGENDFORSCHUNG Sozialräumliche Aneignung von Räumen durch Jugendliche Theoretische Grundlagen und beanspruchte Raumtypen in öffentlichen Räumen

Ahmet Derecik | 13 Freestyle-Bewegungskulturen Moves, Tricks und Selbstmediatisierung

Michael Kolb | 31 Neue Diskurse – alte Geschlechterpraxis? Verfestigung dualer Geschlechterbilder in der frühkindlichen Bewegungspraxis

Ina Hunger | 47 ErlebnisRAUMerfahrung Räume mit Bewegung, Spiel und Sport erschließen

Clemens Töpfer, Sebastian Liebl & Ralf Sygusch | 61

URBANE BEWEGUNGSRÄUME MIT KINDERN EROBERN Urbane Bewegungsräume mit Kindern erobern Theoretische Vorüberlegungen

Jan Erhorn | 89 Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten Offene Bewegungsangebote inszenieren

Jan Erhorn | 109

Bewegungsräume im Quartier mit Kindern erkunden Spiel und Bewegung im Wohnumfeld fördern

Jan Erhorn | 129 Bewegungsräume des Vereinssports mit Kindern erkunden Institutionalisierte Formen von Sport und Bewegung erleben

Jan Erhorn | 149 Nicht alltägliche Bewegungsräume mit Kindern erkunden Ausflüge vorbereiten, begleiten und nachbereiten

Jan Erhorn, Anna Grohmann & Lisa Sophie Lüthje | 171

URBANE BEWEGUNGSRÄUME MIT J UGENDLICHEN EROBERN Jugendarbeit und Medienpraxis im Feld des Trendsports

Jürgen Schwier & Dirk Dillmann | 195 Raumaneignung als informeller Lernprozess am Beispiel des Flensburger BMX- und Skateparks Schlachthof

Sara Karstens | 217 Sportbündnisse Vom BMX Girls Camp bis zur Rampenbau Schule

Jürgen Schwier | 247

Autorinnen und Autoren | 269

Einleitung J AN E RHORN & J ÜRGEN S CHWIER

Die Eroberung urbaner Bewegungsräume findet in allen Regionen Deutschlands täglich statt. Die Stadt ist eben immer auch ein potenzieller Spielplatz, den sich die Menschen mittels ihrer Bewegungshandlungen zumindest vorübergehend aneignen können. Trotz der vorherrschenden Tendenzen zur Parzellierung, Spezialisierung und Kommodifizierung urbaner Orte und Räume laufen Jogger oder Traceure ganz selbstverständlich quer durch die City, versuchen Crossgolfer auf Industriebrachen ein Birdie zu erzielen, balancieren Akteure auf ihrer Slackline im Park, werden die dortigen Wiesen zum Ballspielen und öffentliche Plätze als BMX- oder Tanzfläche genutzt. In diesem Zusammenhang ist allerdings verschiedentlich zurecht darauf hingewiesen worden, dass die zeitgenössische Konjunktur der urbanen Bewegungs- und Sporträume nicht alle Bezirke bzw. Quartiere in vergleichbarer Weise betrifft und gerade die marginalisierten Stadtviertel zumeist außer Acht lässt. Vor diesem Hintergrund präsentiert dieser Sammelband nicht zuletzt sportpädagogische Forschungsprojekte, deren Fokus auf der Entwicklung, Umsetzung und Evaluation von Bewegungsangeboten für Heranwachsende in so genannten Brennpunkt-Stadtteilen liegt. Einerseits bieten innerstädtische Räume gerade auch Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten und/oder bildungsfernen Familien vielfältige Gelegenheiten zum Spielen, Sich-Bewegen und Sportreiben, andererseits finden zahlreiche Heranwachsende in bestimmten Quartieren jedoch kaum Zugang zu derartigen Bewegungs- und Sportgelegenheiten. Am Beispiel von lokalen Sportbündnissen in der Stadt Flensburg skizzieren die Herausgeber mögliche Wege einer institutionenübergreifenden Kinder- und Jugendarbeit, die das Sich-Bewegen im Freien nachhaltig fördert sowie gemeinsam mit den Heranwachsenden Prozesse der Erkundung und Gestaltung von Bewegungsräumen initiiert.

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Der vorliegende Band lässt sich in drei Themenfelder unterteilen. Den ersten thematischen Block bilden vier Beiträge zu aktuellen Fragen der sportwissenschaftlichen Kindheits- und Jugendforschung. Ahmet Derecik beschäftigt sich mit der sozialräumlichen Aneignung von Räumen durch Jugendliche und betont in diesem Zusammenhang unter anderem die Bedeutung des informellen Lernens für die Lebensbewältigung von Heranwachsenden, wobei zugleich die Frage einer jugendgemäßen Raumgestaltung in den Blick gerät. Auf der Hintergrundfolie der Befunde einschlägiger qualitativer Studien diskutiert Michael Kolb die Merkmale so genannter Freestyle-Kulturen, deren unterschiedliche Ausprägungsformen sich klar von organisierten Formen des traditionellen Sports abgrenzen und durch besondere Handlungsmuster, personale Orientierung, typische Bewegungscodes sowie informelle Formen der Vergemeinschaftung gekennzeichnet sind. Der Beitrag von Ina Hunger präsentiert ausgewählte Ergebnisse einer qualitativen Studie zur Verfestigung dualer Geschlechterbilder in der frühkindlichen Bewegungspraxis und zeichnet nach, dass Mädchen und Jungen im Medium der Bewegung schon in der frühen Kindheit verschiedene Lern- und Erfahrungsgelegenheiten geschlechtsspezifisch nahegelegt und von den Kindern in ihr geschlechtsbezogenes Selbstverständnis integriert werden. Der Beitrag von Clemens Töpfer, Sebastian Liebl und Ralf Sygusch befasst sich mit dem Programm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« der Deutschen Sportjugend, welches als Teil des BMBF-Förderprogramms »Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung« gefördert wird. Die Autoren fokussieren das Modul ErlebnisRAUMerfahrung, in dessen Rahmen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet werden soll, unterschiedliche Lebensräume über verschiedenste Formen von Bewegung, Spiel und Sport zu erschließen und zu gestalten. Die Autoren entfalten die theoretischen Ausgangspunkte und Kernziele des Moduls und liefern Hinweise zu methodischen Gestaltungsmöglichkeiten. Das zweite Themenfeld umfasst Beiträge zu pädagogischen Maßnahmen, die sich an Kinder aus den sozial benachteiligten Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt richten. Dem ökologischen Zonenmodell von Baacke (1999) folgend, werden mit den Kindern von zwei Kindertageseinrichtungen exemplarisch ausgewählte Bewegungsräume des ökologischen Nahraumes, der ökologischen Ausschnitte und der ökologischen Peripherie erkundet. Auf diese Weise sollen den Kindern spezifische Erlebnisse und Erfahrungen ermöglicht und ökologische Übergänge angebahnt werden. In einem Basisbeitrag werden zunächst die theoretischen Grundlagen der Maßnahmen dargestellt. In den nachfolgenden Beiträgen werden dann die verschiedenen Maßnahmen, die sich auf die Bewegungs-

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räume der Kindertageseinrichtungen, des Wohnquartiers, des lokalen Sportvereins sowie entferntere Bewegungsräume richten, beschrieben und die Ergebnisse der Begleitforschung vorgestellt. Die Beiträge des dritten Themenfeldes kreisen um die Erkundung und Aneignung von urbanen Bewegungsräumen durch Jugendliche. Jürgen Schwier und Dirk Dillmann skizzieren am Beispiel des lokalen BMX- und Skateparks das Konzept der offenen Jugendarbeit der Sportpiraten Flensburg und gehen hierbei im Besonderen auf die Medienpraxis der jugendlichen Biker bzw. Boarder ein, an der unter anderem ein medienpädagogisches Projekt ansetzt. Auf der Grundlage einer an diesem Jugendareal von ihr durchgeführten ethnographischen Studie diskutiert Sara Karstens anschließend juvenile Raumaneignung als einen informellen Lernprozess, wobei mit Blick auf den BMX-und Skatepark auch die Zugangsbarrieren sowie die Partizipationschancen für Mädchen und junge Frauen rekonstruiert werden. Der abschließende Beitrag von Jürgen Schwier geht noch einmal detailliert auf die für diesen außerschulischen Lernort charakteristischen Muster der Peer-Education ein und porträtiert die im Rahmen des Teilprojekts durchgeführten Kursangebote (BMX Girls Camp, Rampenbau-Schule, Trend-Sport-Tage). An den verschiedenen lokalen Sportbündnissen, die im Rahmen des vorliegenden Bandes dargestellt werden, sind – neben dem Hamburger Forum Spielräume (im Institut für urbane Bewegungskulturen e.V.) – zahlreiche Flensburger Bildungs- und Sportinstitutionen beteiligt gewesen: Comenius Schule, Familienhaus an der Bergmühle, Forum, Kita Sol-Lie, Jugendzentrum AAK, Sportpiraten e.V., TSB Flensburg sowie die Waldschule. Die Zusammenarbeit dieser unterschiedlichen Partner ist nicht immer reibungslos, aber jederzeit kollegial, lösungsorientiert und respektvoll verlaufen. Die Vernetzung der Bündnispartner hat sich im Projektzeitraum jedenfalls vertieft und neue Kooperationen sind mittlerweile entstanden. Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle dem BMBF-Programm »Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung/Programm Sport:Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« und der Deutschen Sportjugend, die die in diesem Band dokumentierten Teilprojekte finanziell gefördert haben. Vor allem Dunja Fickeis und Alexander Strohmayer von der Deutschen Sportjugend haben das Gesamtprojekt in vorbildlicher Weise inhaltlich und administrativ begleitet. Ebenso bedanken wir uns bei Tine Kaphengst für ihre wertvolle Unterstützung bei der Manuskriptgestaltung.

Sportwissenschaftliche Kindheitsund Jugendforschung

Sozialräumliche Aneignung von Räumen durch Jugendliche Theoretische Grundlagen und beanspruchte Raumtypen in öffentlichen Räumen A HMET D ERECIK

E INLEITUNG Um die Raumbedürfnisse von Jugendlichen in öffentlichen Räumen bestimmen zu können, ist es hilfreich das spezifische Agieren der Jugendlichen anhand des aktualisierten Aneignungskonzeptes zu untersuchen (vgl. Derecik, 2011). Deshalb werden zunächst die theoretischen Grundlagen zum Konzept der sozialräumlichen Aneignung beschrieben und anschließend die operationalisierten Aneignungsdimensionen vorgestellt. Anhand dieser lassen sich auf einer übergeordneten Ebene die dominanten Tätigkeiten1 sowie die beanspruchten Raumtypen von Jugendlichen identifizieren. Jugendliche benötigen aufgrund ihrer Entwicklungsphase zwei Raumtypen: Zum einen Aktivitätsinseln und zum anderen Rückzugs- und Kommunikationsnischen. Die Beschreibung dieser Raumtypen wird sehr allgemein gehalten und müsste auf spezielle Jugendkulturen spezifiziert werden, da die Jugendkultur sich durch eine bunte Vielfalt an Lebensstilen auszeichnet. Das sozialräumliche Aneignungsverhalten von Jugendlichen ist »oft von Sport- und Freizeitaktivitäten geprägt, durch verschiedene Musikrichtungen

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Die dominanten Tätigkeiten können als entwicklungsbedingte Lernstufen bezeichnet werden, die für jeden Entwicklungsabschnitt durch adäquate Aneignungsdimensionen gekennzeichnet sind und bei erfolgreicher Bewältigung des jeweiligen Entwicklungsabschnitts durch nachfolgende dominante Tätigkeiten abgelöst werden.

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beeinflusst und durch viele Konsummuster bestimmt« (Haury, 2014, S. 234; Calmbach et al., 2012).

AKTUALISIERTES K ONZEPT DER SOZIALRÄUMLICHEN ANEIGNUNG Die Eroberung urbaner Bewegungsräume von Jugendlichen kann als Agieren im Sozialraum betrachtet werden, welches mit dem aktualisierten Aneignungskonzept als Wechselbeziehung zwischen Sozialraum und Mensch erfasst werden kann. Der klassische Aneignungsansatz ist auf die kulturhistorische Schule der sowjetischen Psychologie zurückzuführen und wird vor allem mit Leontjew (1973) in Verbindung gebracht. Demnach präsentiert sich die Umwelt dem Menschen als eine Welt, die zuvor durch menschliche Tätigkeit geschaffen bzw. verändert wurde. Die Interaktion der Menschen bzw. der Jugendlichen mit ihrer Umwelt kann dabei als Wechselwirkung zwischen den objektiven Strukturen des Raums und den subjektiven Sinndeutungen der Jugendlichen betrachtet werden. Aus diesem Grund wird das Aneignungskonzept auch als eine dialektische Entwicklungstheorie bezeichnet, welches vor allem in klassischen sozialökologischen Entwicklungstheorien aufgegriffen wird (vgl. Bronfenbrenner, 1981). Die Tätigkeit der Jugendlichen in ihren urbanen Bewegungsräumen kann sowohl den Umgang mit Gegenständen als auch die Herstellung eines Gegenstands implizieren. Im Umgang mit Gegenständen geht es im Prozess der Aneignung für den Jugendlichen darum, die materiellen und symbolischen Gegenstandsbedeutungen aus ihrer Gewordenheit zu begreifen und damit die gesellschaftlichen Bedeutungen der Gegenstände zu erlernen. Die Herstellung eines Gegenstands wird dagegen als Vergegenständlichung bezeichnet. Dieser Begriff wird im Aneignungskonzept als dialektischer Gegenbegriff zur Gegenstandsbedeutung aufgefasst. Im Gegensatz zu klassischen entwicklungspsychologischen Ansätzen entwickelt Leontjew (1973) damit ein Konzept, das die Entwicklung des Menschen nicht als innerpsychischen Prozess begreift, der mehr oder weniger von »außen« beeinflusst verläuft, sondern Entwicklung als tätige Auseinandersetzung mit der Umwelt versteht. Der Gesellschaftsbezug des Aneignungskonzepts wurde in Deutschland hauptsächlich von Holzkamp (1983) weiterentwickelt, indem die Gedanken Leontjews (1973) auf heutige gesellschaftliche Bedingungen übertragen wurden. Entwicklung vollzieht sich demnach durch aktives und eigentätiges Handeln aus der Auseinandersetzung der Jugendlichen mit der gegenständlichen und symbolischen Kultur (vgl. Deinet, 2004, S. 178).

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Der klassische Aneignungsansatz bedarf allerdings einer Aktualisierung, um die in ihm implizit liegende Trennung zwischen Mensch und Raum zu überwinden. Dies kann mithilfe der Raumdefinition von Löw (2001) erfolgen, die einen prozessualen Raumbegriff entworfen hat und somit das Raumverständnis von einem »Container« überwindet. In der Konsequenz spielt im aktualisierten Aneignungsansatz die tätige Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt nach wie vor eine zentrale Rolle. Allerdings kommen die Aspekte des eigentätigen Räume Schaffens (Spacing) und die Verbindung von verinselten (auch virtuellen und symbolischen) Räumen hinzu. »Tätigkeit« ist folglich nicht mehr nur als gegenständlicher Aneignungsprozess im klassischen Sinne zu verwenden, sondern verbindet den Begriff der Aneignung mit der von Löw (2001) besonders herausgehobenen Bedeutung der Bewegung und der prozesshaften Konstituierung von Raum im Handlungsverlauf. Aus dem aktualisierten Aneignungskonzept lassen sich insgesamt fünf konkrete sozialräumliche Aneignungsdimensionen operationalisieren, anhand derer die Aneignung urbaner Bewegungsräume von Jugendlichen aus einer sozialräumliche Entwicklungsperspektive beschrieben und empirisch analysiert werden kann (vgl. Derecik, 2011, S. 70ff.)

O PERATIONALISIERTE ANEIGNUNGSDIMENSIONEN ZUR B ESCHREIBUNG UND ANALYSE DER T ÄTIGKEITEN VON J UGENDLICHEN IN R ÄUMEN Die Tätigkeiten von Jugendlichen in (urbanen) Räumen lassen sich anhand von fünf Aneignungsdimensionen beschreiben und analysieren. Die Aneignung als Erweiterung motorischer Erfahrungen basiert auf der grundlegenden Aneignung von Gegenstandsbedeutungen nach Leontjew (1973). Die nächsten drei Aneignungsdimensionen lassen sich anhand sozialökologischer Raumvorstellungen (Zonen- und Inselmodell) bestimmen (vgl. Deinet, 2004), wobei Aneignung als Verknüpfung von Räumen die Schnittmenge zwischen den klassischen und den erweiterten Formen der Aneignung darstellt. Aneignung als Spacing ist schließlich den neuen Raumvorstellungen und damit dem neuen Raumbegriff von Löw (2001) zu verdanken. Im Folgenden werden diese fünf operationalisierbaren Aneignungsdimensionen näher beschrieben. Aneignung als Erweiterung motorischer Fähigkeiten Aneignung als Erweiterung motorischer Fähigkeiten kann als erste Aneignungsdimension betrachtet werden. Sie ist auf den Umgang mit Gegenständen, Werkzeugen, Materialien und Medien zurückzuführen, die Bestandteile der gegen-

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ständlichen und symbolischen Kultur sind und vor allem von Kindern, aber auch noch im weiteren Lebensverlauf von Jugendlichen und Erwachsenen, über Tätigkeiten erschlossen werden müssen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Jugendlicher den Umgang mit einem Skateboard und mögliche Tricks mit diesem neu lernt. Die Indikatoren für die Erweiterung motorischer Fähigkeiten werden in der wiederholten Erprobung erweiterter Fähigkeiten in neuen Situationen gesehen. Mit dieser Bestimmung bezieht sich Aneignung als Erweiterung motorischer Fähigkeiten nur auf Situationen, in dem es zu Lernprozessen kommt. Es geht um konkrete Aneignungssituationen, in denen es tatsächlich gelingt, zuvor erworbene motorische und mediale Fähigkeiten zu erweitern. Aneignung als Erweiterung des Handlungsraums Mit Bezug auf sozialökologische Raummodelle, die für die Entwicklung der Jugendlichen zentral sind, kann als eine weitere Aneignungsdimension die sukzessive Erweiterung des Handlungsraums betrachtet werden. Als ein Indikator für die Erweiterung des Handlungsraums wird die mehrmalige und eigenständige Nutzung neuer Räume und Medienwelten betrachtet, wie zum Beispiel den Flensburger BMX- und Skatepark Schlachthof (siehe Karstens im Band). Über neue räumliche Ausschnitte im Nahraum hinaus ist auch der symbolische und mediale Raum gemeint, wie beispielsweise die Nutzung von diversen Kommunikationsforen im Internet. Insgesamt geht es um die Schaffung von Möglichkeitsräumen, so dass eine Erweiterung des Handlungsraums auch in der Aneignung neuartiger Möglichkeiten in vorhandenen Räumen und Medienwelten zu sehen ist. Aneignung als Veränderung von Situationen Die eigentätige Veränderung von vorgefundenen Situationen stellt eine weitere wichtige Aneignungstätigkeit von Jugendlichen dar. In dieser Dimension der Aneignung geht es um die Umgestaltung einzelner Strukturelemente von Situationen, womit u.a. die Veränderung des Themas, des Umfeldes und des Handlungskontextes gemeint ist. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Jugendliche Vorplätze von Kirchen zu Skatearealen umfunktionieren (vgl. Peters, 2011). Diese Aneignungsdimension ist insofern bedeutend, als für Jugendliche zugängliche und »von ihnen selbst gestaltbare Räume Quellen der Selbstwertschöpfung und Orte des Experimentierens mit sich selbst« (Böhnisch, 1999, S. 124) sind. Vor dem Hintergrund der Einengung von Jugendlichen innerhalb ihrer Umwelt ist deshalb zu fragen, welche Veränderungsmöglichkeiten in Situationen in vorhandenen Räumen und Medienwelten vorhanden sind. Ein besonderer Indikator

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für diese Aneignungstätigkeit ist die Analyse von einzelnen Strukturelementen einer Situation und deren Veränderungsmöglichkeit. Aneignung als Verknüpfung von Räumen Jugendliche wachsen heute in einer verinselten Lebenswelt und in einer Mediengesellschaft mit veränderten Kommunikationsformen auf (vgl. Schwier, 2008), wodurch sie nicht nur diskontinuierliche Raumvorstellungen entwickeln, sondern gleichzeitig auch die Fähigkeit erlernen, sich in unterschiedlichen Räumen gleichzeitig aufzuhalten. Sie stellen Verbindungen her zwischen verschiedenen Räumen, etwa dem konkreten geographischen, an dem sie sich gerade befinden (dem durch Aneignung eine Sinnbedeutung gegeben wurde, sodass ein sozialer Raum entsteht) und den entfernteren Orten und sozialen Räumen, mit denen sie jederzeit kommunizieren können (über Handy oder PC) sowie virtuellen Räumen im Internet (chatrooms). Indikatoren für die Aneignung unterschiedlicher Räume sind demnach in der Verknüpfung von konkreten geografischen Inseln wie auch von virtuellen Räumen zu sehen. Aneignung als Spacing Löw (2001, S. 231ff.) arbeitet die Bedeutung von »gegenkulturellen Räumen« als notwendiges Erfordernis zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit von Jugendlichen heraus. Eine wesentliche Dimension von Aneignung kann demzufolge in der (sichtbaren) körperlichen Inszenierung (z. B. Skaten) und der Verortung in Nischen, Ecken und Bühnen ausgemacht werden, aber auch in einer virtuellen Inszenierung in Medienwelten. Diese Selbstinszenierungen bilden die fünfte und vermutlich zentrale Aneignungsdimension von Jugendlichen, was als Spacing bezeichnet wird. Spacing, also das eigentätige Schaffen von Räumen, ist nicht nur eine erweiterte Form der Aneignung, sondern ermöglicht es ebenso, »neu über bildungspolitische und pädagogische Aspekte der Kämpfe um Raum nachzudenken« (Löw, 2001, S. 245). In dieselbe Richtung gehen auch die Überlegungen von Scherr (2002, S. 6), der vor allem die Bedeutung von »Rückzugsräumen« hervorhebt und gleichzeitig den bedeutendsten Indikator für derartige Aneignungstätigkeiten liefert: »Fragt man nach den Bildungspotenzialen aktiver Raumgestaltung und -aneignung, dann ist erstens an die unterschiedlichen Arrangements von Rückzugsräumen zu denken, d. h. solcher Orte und Arrangements, die durch maximale Distanz zu den Routinen und Zwängen des Alltagslebens gekennzeichnet sind.«

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Diese fünf beschriebenen operationalisierten Aneignungsdimensionen sind nicht immer trennscharf und oftmals sind innerhalb einer Tätigkeit mehrere Aneignungsdimensionen gleichzeitig zu beobachten. Dennoch können diese genutzt werden, um in empirischen Studien die Aneignungstätigkeiten von Jugendlichen zu beschreiben und aus einer sozialräumlichen Entwicklungsperspektive zu analysieren. Derartige raumtheoretische Untersuchungen erfordern es, sowohl die Wechselbeziehungen zwischen den Jugendlichen und dem Raum in konkreten Situationen zu betrachten, als auch die Räume und die Jugendlichen selbst. Löw (2001, S. 156-157) fordert dabei zu relationalem Denken auf, das heißt dass vor allem die Wechselbeziehungen zwischen den Räumen und den Menschen zu betrachten sind. Aus diesen können dann die Eigenschaften der Räume und die entwicklungsbedingten Bedürfnisse der Jugendlichen identifiziert werden. Hierzu kann bereits auf empirische Ergebnisse zurückgegriffen werden.

AKTIVITÄTSINSELN SOWIE R ÜCKZUGS - UND K OMMUNIKATIONSNISCHEN ALS ENTWICKLUNGSBEDINGTE B EDÜRFNISSE VON J UGENDLICHEN Um Jugendlichen angemessene Räume zur Verfügung zu stellen und sie dadurch in ihrer Entwicklung fördern zu können, ist es erforderlich ihre Bedürfnisse an Räume und ihre entwicklungsadäquaten Tätigkeiten zu kennen. Diese wurden im Rahmen einer Studie zum informellen Lernen auf Schulhöfen von Ganztagsschulen ermittelt. Ohne näher auf die raumtheoretische Untersuchungskonzeption einzugehen (vgl. Derecik, 2013), können aus den empirischen Ergebnissen allgemeingültige Raumtypen für Jugendliche ermittelt werden. Die Untersuchung fand zwar im informellen Schulhofsetting der Ganztagsschule statt, dennoch können diese Ergebnisse weitgehend verallgemeinert werden, da die entwicklungsbedingten dominanten Tätigkeiten von Jugendlichen grundlegende und damit Setting übergreifende Aussagen über die Raumbedürfnisse und ihren Entwicklungsstand erlauben. Bevor die empirischen Ergebnisse auf den öffentlichen Raum übertragen werden, ist darauf hinzuwiesen, dass es den öffentlichen Raum nicht gibt. Hilfreich ist eine Definition von Frey (2004, S. 223), der drei Typen von öffentlichen Räumen unterscheidet: • •

»öffentliche Freiräume« (Grünflächen, Parks, Spielplätze, der Straßenraum…) »öffentlich zugängliche verhäuslichte Räume« (Kaufhäuser, Shoppingmalls, Bahnhöfe…)

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»institutionalisierte öffentliche Räume« (Sportanlagen, Vereine, Musikschulen, Schulräume, Kirchenräume…).

Während sich das Raumaneignungsverhalten in institutionalisierten öffentlichen Räumen vor allem durch formelles und nicht-formelles Lernen auszeichnet, bieten die öffentlichen Freiräume und öffentlich zugänglichen verhäuslichten Räume ein enormes Potenzial zum informellen Lernen. Jugendliche sind in ihrer Lebensphase gezwungen, vermehrt Selbstständigkeit auszuüben, weshalb sie auf Schulhöfen und in öffentlichen Räumen als dominante Tätigkeit vor allem Räume konstituieren (Spacing), in denen sie ihre Gleichaltrigenkultur ausleben können (Krisch, 2009, S. 193). Dies kann in Aktivitätsinseln, aber auch in Rückzugs- und Kommunikationsnischen erfolgen. Diese beiden Raumtypen sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, sondern bedingen sich oftmals gegenseitig. Sowohl (trend-)sportliche Aktivität, vor allem bei Jungen, als auch Rückzug und Kommunikation, werden gerne in sozialen Treffpunkten unter Gleichaltrigen ausgeübt. Dies bestätigen nicht nur die empirischen Ergebnisse zu den beanspruchten Räumen auf Schulhöfen (vgl. Derecik, 2011), sondern auch aktuelle Ergebnisse aus der Jugendforschung (vgl. Calmbach et al. 2012). In einem weiten Sportverständnis stellen Bewegung, Spiel und Sport eine zentrale und attraktive Freizeitbeschäftigung von Heranwachsenden dar und können somit ohne Bedenken als eine jugendspezifische Altersnorm bezeichnet werden (vgl. Grgic & Züchner, 2013; Zinnecker, 1991). Neuber, Breuer, Derecik, Golenia & Wienkamp (2010) merken des Weiteren an, dass Bewegung, Spiel und Sport nicht nur gegenwartsbezogene Erlebnispotenziale bieten, sondern auch eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung von Heranwachsenden besitzen. Gerade informelle Settings bieten günstige Bedingungen für Entwicklungsprozesse durch sozialräumliche Aneignung, aus denen wiederum ein informeller Kompetenzerwerb erfolgen kann. Diese zeichnen sich »durch direkte Rückmeldungen, authentische Erfahrungen und ästhetische Ausdrucksmöglichkeiten« (Neuber, 2010, S. 21) aus. Des Weiteren spielt in informellen Bewegungs- und Sportsettings die Möglichkeit der geschützten Interaktion und Kommunikation mit Gleichaltrigen eine hervorgehobene Rolle, da im Rahmen einer Gleichaltrigengruppe »ein Austausch von Sichtweisen und Gefühlen unter Personen gleichen Rangs und mit vergleichbarem Erfahrungshorizont möglich [ist], weil keine überlegene Person in kulturell festgelegtes Wissen und Können einführt« (Hurrelmann, 2002, S. 241).

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Aus diesem Grund sind Gleichaltrigengruppen geradezu prädestiniert für informelles Lernen und Aneignungsprozesse. Jugendliche benötigen also Aktivitätsinseln, in denen sie sich treffen und innerhalb ihrer Gleichaltrigengruppe in einem geschützten Raum in Szene setzen können, aber auch Rückzugs- und Kommunikationsnischen, in denen sie unter sich sein und sich ungestört unterhalten können. Beide Raumtypen können als Treffpunkte für Jugendliche bezeichnet werden, die zugleich auch immer eine Bühne sind, allerdings keine öffentliche, sondern eine exklusive Bühne meist nur für die Jugendlichen selbst. Damit erlangen Aktivitätsinseln sowie Rückzugsund Kommunikationsnischen den Status von jugendgemäßen Territorien, die bei der Bereitstellung von Räumen berücksichtigt werden sollten. Beide Raumtypen werden im Folgenden in Bezug auf öffentliche Räume vorgestellt, indem die dominanten Tätigkeiten von Jugendlichen exemplarisch anhand einiger ausgewählter Räume beschrieben und unter Berücksichtigung der sozialräumlichen Aneignungsdimensionen interpretiert werden. Aktivitätsinseln Jugendliche üben zwar teilweise noch gerne traditionelle Sportarten wie Fußball aus, am liebsten praktizieren sie jedoch Trendsportarten (vgl. Grgic & Züchner, 2013). Die Trendsportarten gehören, neben den Bewegungsformen der »Asphaltkultur«, auch zu den beliebten Trendsportarten von Jugendlichen in öffentlichen Räumen (vgl. Schwier, 2003). Deshalb wird exemplarisch auf die Tätigkeiten Skaten, Streetball und Beachvolleyball eingegangen. Zunächst kann festgestellt werden, dass die meisten Trendsportarten auf jugendliche Jungen ausgerichtet sind und sich als Lebensstil ausdrücken. Bei der Ausübung von Trendsportarten orientieren sich Jugendliche oftmals an eigenen Leistungs- und Bewertungsmaßstäben, die als Kritik an den bestehenden Gütemaßstäben der Schule und der Gesellschaft verstanden werden. Im Gegensatz zum Prinzip der objektiv messbaren Leistung der Schule und der Gesellschaft dominieren in den Trendsporträumen von Jugendlichen vermehrt subjektive und ästhetische Gesichtspunkte (vgl. Wopp, 2007). In diesem Zusammenhang sollten bei der Gestaltung von jugendgerechten Räumen Aktivitätsinseln entstehen, in denen die Bewegungskultur der Jugendlichen auch selbstorganisiert durchgeführt werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Jugendlichen Möglichkeiten zum Skaten eingeräumt werden. In Städten sind meist skatende jugendliche Jungen anzutreffen (vgl. Tappe, 2011; Peters, 2011), auch wenn »das Männermonopol da und dort ins Wanken gerät und sich nun auch Mädchen und junge Frauen den Sport aktiv aneignen« (Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 96). Als Grund wa-

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rum mehr Jungen diesen Sport praktizieren, kann angeführt werden, dass Skateboarden eine risikofreudige und harte Sportart darstellt. Jugendliche überwinden am liebsten mit unterschiedlichen technischen Fertigkeiten verschiedene »Obstacles« (Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 86) (Hindernisse), wie Treppen, Bordsteine und Geländer. Skatende Jugendliche sind zur Erweiterung ihrer motorischen Fähigkeiten auf anregende räumliche Strukturen angewiesen, da oftmals nicht die Nachahmung von Tricks, sondern der kreative Umgang mit den räumlichen Strukturen und die Art der Kombination und Präsentation der Kunststücke wichtig sind. Wenn den Jugendlichen der Zugang zu öffentlichen Räumen gewährt wird, zeigen sie, dass sie über ein feines Gespür für den Raum und seine Atmosphäre verfügen. Gleichzeitig demonstrieren sie wie hocheffizient sie »im Lernen und Lehren neuer Tricks und Manöver, in der Weitergabe ihres impliziten Rum- und Szenewissens oder in der Perpetuierung kollektiver Stilmuster« (Peters, 2011, S. 155) sind. Solange der Sinn der Anstrengungen für die Übenden ersichtlich ist, stört es sie nicht, Fehler zu machen. Vielmehr stellt das Lernen aus Fehlern einen wichtigen Bestandteil ihres Aneignungsprozesses dar. Aufgrund von Unfällen und Sicherheitsbedenken in der Schule und Erregung öffentlichen Ärgernisses in der Kommune werden Tätigkeiten mit einem Skateboard allerdings selten zugelassen, womit der eigene Lernstil von Jugendkulturen nicht erkannt und anerkannt wird. Jugendliche missachten zum Teil dennoch ihre räumliche Zurückweisung, denn die Eroberung von Räumen ist ein typisches Kennzeichen (nicht nur) des Skateboardings. Bei entsprechenden räumlichen Anreizen setzen sie sich über Verbote immer wieder hinweg, »einfach weil sie Rebellen sind, weil es zu ihrer Identität gehört, nicht alles zu tun, was die Obrigkeit von ihren Bürgern verlangt« (Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 88). Das Erobern und Erweitern von Handlungsräumen mag bei Skatern aufsässig erscheinen, ist aber ein wichtiges Merkmal, um in oftmals verregelten urbanen Bewegungsräumen handlungsfähig zu bleiben und nicht in Passivität zu versinken (vgl. Reutlinger, 2003). Als weitere Treffpunkte zum Sporttreiben und zum Kommunizieren eignen sich Jugendliche u. a. Streetballplätze an. Damit diese zu angenommenen Aktivitätsinseln von Jugendlichen werden können, ist eine angemessene Anordnung dieser im Raum notwendig. Einzelne Basketballkörbe bzw. -plätze bedürfen, genauso wie Tischtennisplatten und ein Beachvolleyballplatz, einer Platzierung in Nischenbereichen, die nur zum Teil einsehbar sind. Jugendliche reklamieren insgesamt einen Anspruch auf separate Räume, in denen sie sich unbeobachtet in Szene setzen können. Wird diese Bedingung berücksichtigt, können Jugendliche in Trendsporträumen ihre motorischen Fähigkeiten erweitern und ihren sportlich

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orientierten Lebensstil ausleben. Streetball kann beispielsweise als Ausdruck einer jugendlichen Suchbewegung nach einer Männerrolle und damit als ein Trendsportraum für männliche Selbstsozialisation aufgefasst werden (vgl. Kolb, 1997, S. 205). Für bewegungsfreudige jugendliche Jungen ergeben sich dadurch Möglichkeitsräume für ausdrucksstarke und körperbetonte Bewegungshandlungen. Hauptsächlich bevölkern zwar Jungen die Basketballkörbe, dennoch sind an diesen, im Vergleich zu Fußballplätzen, zumindest öfters auch Mädchengruppen zu sehen. Dies kann am weniger körperbetonten Spiel und auch an der besseren Kontrollierbarkeit des Balls mit der Hand liegen. In Trendsporträumen sind jugendliche Mädchen am ehesten auf Beachvolleyballplätzen anzutreffen. Beachvolleyball besitzt für Jugendliche insgesamt einen hohen Aufforderungscharakter und hat sich in den letzten Jahren zu einer der führenden Sommersportarten entwickelt, die vor allem von jungen Menschen aktiv ausgeübt wird. Sie kann gerade in urbanen Bewegungsräumen als ein »Publikumsmagnet« (Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 104) für Jungen und Mädchen sein. Während die meisten sportiven Jugendszenen mehr oder weniger von Jungen beherrscht werden, gehört Beachvolleyball aber »eindeutig zur Kategorie der weniger männlich dominierten Szenen« (Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 107), auch wenn diese Trendsportart eine starke Tendenz zu einem sich ausgleichenden Geschlechterverhältnis aufzeigt. Eine Erklärung für die Beliebtheit von Beachvolleyballplätzen bei Mädchen kann darin liegen, dass diese Trendsportart keinen Körperkontakt beinhaltet und das Image einer angepassten, braven und entspannten Trendsportart besitzt. Damit entspricht Beachvolleyball dem bevorzugten Aneignungsverhalten von vielen Mädchen. Dies bedeutet, dass Mädchen Beachvolleyballplätze wollen und benötigen, um sich von rebellischeren Trendsportaktivitäten vieler Jungen abgrenzen zu können, zum Beispiel von Skatern (vgl. Großegger & Heinzlmaier, 2004, S. 108-109). Auch wenn jugendliche Jungen meist von sich aus keine Beachvolleyballgelegenheiten wünschen, bietet Beachvolleyball die Möglichkeit einer adäquaten sportlichen Kontaktaufnahme zwischen jugendlichen Mädchen und Jungen (vgl. Diketmüller et al., 2007, S. 66). In Bezug auf das Geschlecht im Jugendalter ist zu konstatieren, dass Mädchen nicht per se weniger Interesse an Bewegung und Sport haben, sondern im öffentlichen Raum mit gesellschaftlich definierten Hindernissen und Barrieren konfrontiert sind (vgl. Diketmüller et al., 2007, S. 22f.). Wenn Mädchen gemeinsam mit Jungen in (Trend-)Sporträumen agieren, können sie zwar auf der einen Seite eine Erweiterung ihres meist weiblich konnotierten Handlungsraums vollziehen, gleichzeitig gefährden sie allerdings in einer kulturell zweigeschlechtlich ausgerichteten Umwelt die Bewältigung ihrer an sie gerichteten Aufgabe, eine

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eindeutig weibliche Geschlechtsidentität zu entwickeln (vgl. Hagemann-White, 2002). Für Mädchen ist es »nicht nur wichtig, sich selbst eindeutig als einem Geschlecht zugehörig zu fühlen, sondern auch, von anderen eindeutig als Mädchen […] erkannt zu werden« (Weber, 2002, S. 725). Das Meiden von klassischen Sporträumen und den meisten Trendsportsporträumen durch Mädchen stellt damit kein individuelles Problem dar, sondern ein gesellschaftlich und kulturell bedingtes Dilemma. Das eigene Interesse vieler Mädchen an einem kooperativen Spiel wird somit nicht nur durch eine Dominanz von Jungen übergangen. Insgesamt werden Trendsportarten in den wenigsten Kommunen durch eine Bereitstellung von Räumen gewürdigt und anerkannt. Nicht zuletzt aus diesem Grund nutzen Jugendliche den öffentlichen Raum viel mehr als Treffpunkt für ruhige und kommunikative Tätigkeiten. Rückzugs- und Kommunikationsnischen Für Jugendliche sind nicht nur Aktivitätsinseln notwendig, in denen sie sich in sportlichen Situationen in Szene setzen und ihre jugendkulturelle Identität ausleben können, sie benötigen ebenso Möglichkeiten zum Entspannen und zur Unterhaltung. Bei der Planung und Gestaltung von informellen Settings in öffentlichen Räumen sollte bedacht werden, dass Jugendliche in ihrer Pubertät ein verstärktes Grundbedürfnis nach Ruhe und Kommunikation mit Gleichaltrigen verspüren. Der sozialkommunikative Aspekt spielt in der Phase der Jugend eine enorme Rolle für beide Geschlechter. Der Austausch innerhalb der Gleichaltrigengruppe wird für Mädchen in der Regel früher bedeutsamer als für Jungen. Mädchen leben meist 1 bis 2 Jahre später pubertierenden Jungen ruhigere Tätigkeiten vor. In der Konsequenz ahmen jugendliche Jungen zeitlich verzögert das Verhalten der Mädchen nach. Durch ein »erwachseneres« Verhalten, was meist mit einem Rückgang an aktiven Bewegungshandlungen in Verbindung gesetzt wird, machen sich jugendliche Jungen interessanter und bauen langsam eine Verbindung zu Mädchen auf. Dies wird in diesem Alter zunehmend wichtiger und kennzeichnet eine dominante Entwicklungsaufgabe von Jugendlichen (vgl. Dreher & Dreher, 1985, S. 61). Die Kontaktaufnahme mit dem anderen Geschlecht gewinnt in der Phase der Pubertät also an Bedeutung. Dennoch gehen Jungen und Mädchen mit dem Beginn der Pubertät oftmals zunächst getrennte Wege (vgl. Schröder, 2005). Die oftmals getrennte Anordnung der Geschlechtergruppen ist vermutlich vorwiegend auf unterschiedliche Gesprächsthemen, andere Interessen und anderes Auftreten von Jungen und Mädchen zurückzuführen (vgl. Bütow, 2006, S. 223f.). Die räumliche Trennung der Geschlechtergruppen im öffentlichen Raum bekräftigt, dass viele Mädchen und Jungen insbesondere zu Beginn der Adoleszenz

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»oft wenig miteinander anfangen können« (Sichtermann, 2002, S. 114f.). Sie empfinden sich zu nah dran an ihren eigenen Themen, als dass sie diese mit Erwachsenen, geschweige denn mit dem anderen Geschlecht, besprechen könnten. Wenn im Alter von ca. 15 bzw. 16 Jahren eine Distanz zu den körperlichen »Ersterfahrungen« (Schröder, 2005, S. 96) der Pubertät aufgebaut wird, findet eine erste Annäherung der Geschlechtergruppen statt. Aus diesem Grund sind sowohl separate Rückzugs- und Kommunikationsnischen für Jungen und Mädchen notwendig, als auch Treffpunkte, in denen sie flüchtige und unverbindliche Kontaktaufnahmen mit dem anderen Geschlecht eingehen können. Rückzugs- und Kommunikationsnischen werden im Zusammenhang mit der Gestaltung von öffentlichen Plätzen für Jugendliche allerdings kaum berücksichtigt. Im Gegenteil, bereits bestehende institutionalisierte öffentliche Räume wie Jugendeinrichtungen werden teilweise sogar geschlossen. Deshalb bleibt Jugendlichen oftmals nichts anderes übrig als ihren Bedürfnissen nach Rückzug und Kommunikation an den Rändern ihrer vorhandenen Räume zu gehen. Jugendliche drängen sich im öffentlichen Freiraum, aber auch innerhalb von öffentlich zugänglichen verhäuslichten Räume wie Shoppingmalls, vorrangig in Nischenbereiche, die sie dann zu Stammplätzen bzw. Territorien erklären (vgl. Deinet, 2014). In den meisten Fällen schaffen sich Jugendliche bereits durch ihre körperliche Präsenz und ihre Anordnung zu einer abgeschlossenen Gleichaltrigengruppe eigentätig einen geschützten jugendkulturellen Raum (Spacing) in Nischenbereichen. Damit schaffen sich Jugendliche ihre eigenen gegenkulturellen Räume und reklamieren einen Anspruch auf Territorien, in denen sie sich ungestört unterhalten wollen. Dieses Verhalten, bei dem auch über Zugehörigkeit und Ausschluss bestimmt wird, bezeichnet Lindner (1983, zit. nach Reutlinger, 2003, S. 51f.) als »eine altersspezifische Variante der symbolischen Raumaneignung«. Durch eine jugendkulturelle Besetzung des Raums werden Territorien geschaffen, in denen »sich eigenartige soziale Beziehungen, Regeln und gruppenbezogene Verhaltensmuster [entwickeln], aus denen ein besonderer Typ sozialen Lernens und sozialer Orientierung Jugendlicher hervorgeht« (Böhnisch, 1993, S. 255).

In verschiedenen Ecken und Nischen werden auf diese Weise geschlechtshomogene Rückzugs- und Kommunikationsnischen konstituiert, die als flüchtige Territorien besetzt werden. In dieser Form angeeignete Territorien drücken Abgrenzungen gegenüber anderen Personen(-gruppen) aus, womit das »Wir-Gefühl« verstärkt wird. In Nischen von öffentlichen Räumen definieren sich Jugendliche also als eigenständige Person, indem sie sich im Raum zu anderen in Beziehung

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setzen. Sie geben sich in ihren Gleichaltrigengruppen zu erkennen und offenbaren bemerkbar ihren Lebensstil (vgl. Böhnisch & Münchmeier, 1990, S. 16). Dem Bedürfnis der Jugendlichen nach Rückzugs- und Kommunikationsnischen kann mit einfachsten Mitteln entsprochen werden, u. a. durch eine kleinteilige Strukturierung des Raums und durch randständige Sitzgruppen. Kleine und schwer einsehbare Räume im öffentlichen Raum führen zwar mit sich, dass die Jugendlichen nicht mehr einfach »kontrolliert« werden können, allerdings sollte in diesem Zusammenhang bedacht werden, dass Jugendliche einen Großteil ihrer Lebenszeit unter Beobachtung stehen und Nischen aller Art benötigen, um Eigenständigkeit entwickeln zu können. Öffentliche Räume sollten deshalb Möglichkeiten bereithalten, in denen Jugendliche unter sich sein können. Kleinteilig strukturierte Randzonen mit vielfältigen und mobilen Sitz- bzw. ChillMöglichkeiten sind als Rückzugs- und Kommunikationsnischen besser geeignet als große, offene und einsichtige Flächen, weil sie für die Jugendlichen eine Identifikation mit ihren geschützten Privaträumen bieten.

F AZIT Die empirischen Ergebnisse zu den dominanten Tätigkeiten von Jugendlichen legen nahe, dass dem Arrangieren von Treffpunkten und Szeneplätzen, in Form von abgeschotteten Aktivitätsinseln sowie Rückzugs- und Kommunikationsnischen, eine besondere Bedeutung zukommt. Allerdings fehlen derartige Räume für Jugendliche oftmals im öffentlichen Raum. In der Konsequenz haben sich an die Stelle der Parkbank oder der Grünanlagen der früheren Jahre »heute verhäuslichte öffentliche Räume geschoben, wie z. B. McDonald’s-Restaurants, die überall präsenten Shoppingsmalls: also im Wesentlichen auch Räume, die in der Bewertung von Erwachsenen eher als problematisch und negativ dastehen, aus Sicht der Jugendlichen aber anscheinend besondere Raumqualitäten besitzen« (Deinet, 2014, S. 215).

Diese Orte locken nicht nur mit ihren Angeboten, z.B. Softdrinks zum Nachfüllen (Flatrate), sondern dienen vor allem als geschätzte Treffpunkte, bieten die Möglichkeit zu sehen und gesehen zu werden und die Jugendlichen werden dort in Ruhe gelassen, solange sie die sozialen Strukturen wie Hausordnung befolgen (vgl. Neumann & Gestring, 2008). Territorialverhalten von Jugendlichen sind immer mehr in öffentlichen, kommerziellen Räumen zu identifizieren, wodurch die Jugendlichen gleichzeitig ausdrücken, dass ihnen keine eigenständigen Räume zur Verfügung stehen. Der BMX- und Skaterpark Schlachthof in Flensburg (vgl. den Beitrag von Karstens

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in diesem Band) oder der Mellowpark in Berlin (vgl. Haury, 2014) können in diesem Zusammenhang als seltene Projekte explizit für Jugendliche betrachtet werden, innerhalb dessen den Jugendlichen Aktivitätsinseln sowie Rückzugsund Kommunikationsnischen geboten werden. Zudem wird in diesen Projekten eine Partizipation der Jugendlichen gewährt, was in hohem Maße zur Identifikation mit ihren eigenen (mitgeschaffenen) Räumen führt. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) untersucht seit 2009 in diversen Forschungsprojekten, wie Jugendliche sich aktiv in die Prozesse der Stadt- und Quartiersentwicklung einbringen können. In über fünfzig durchgeführten Projekten zeigt sich, »dass Jugendliche ein großes Interesse nach eigenen Räumen haben, die sie nach ihren Wünschen selbst umgestalten können« (Haury, 2014, S. 234). In diesen können Jugendliche dann ihre gegenwartsorientierten und entwicklungsbedingten Bedürfnisse ausleben, aber auch gleichzeitig durch unterschiedliche Aneignungsprozesse informell Lernen, sich entwickeln und bilden (vgl. Derecik, 2014). Gerade in der Jugendphase ist das informelle Lernen für die Lebensbewältigung von Jugendlichen von zentraler Bedeutung und sollte dementsprechend in öffentlichen Räumen durch eine jugendgemäße Raumgestaltung gefördert werden (vgl. Böhnisch, 2008).

L ITERATUR Böhnisch, L. (1993). Sozialpädagogik des Kindes- und Jugendalters. Eine Einführung. Weinheim und München: Juventa. Böhnisch, L. (1999). Abweichendes Verhalten. Eine pädagogisch-soziologische Einführung. Weinheim und München: Juventa. Böhnisch, L. (2008). Sozialpädagogik der Lebensalter. Eine Einführung. Weinheim und München: Juventa. Böhnisch, L. & Münchmeier, R. (1990). Pädagogik des Jugendraums. Zur Begründung und Praxis einer sozialräumlichen Jugendpädagogik. Weinheim und München: Juventa. Bronfenbrenner, U. (1981). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Stuttgart: Klett. Bütow, B. (2006). Mädchen in Cliquen. Weinheim und München: Juventa. Calmbach, M., Thomas, P.M., Borchard, I. & Flaig, B. (2012). Wie ticken Jugendliche 2012? Sinus-Milieustudie. Altenberg: Verlag Haus. Deinet, U. (2004). »Spacing«, Verknüpfung, Bewegung, Aneignung von Räumen – als Bildungskonzept sozialräumlicher Jugendarbeit. In Deinet, U. &

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Freestyle-Bewegungskulturen Moves, Tricks und Selbstmediatisierung M ICHAEL K OLB

V ORÜBERLEGUNGEN In den vergangenen Jahrzehnten hat eine auffällige Zunahme an besonderen Bewegungspraxen stattgefunden. Diese haben sich neben dem herkömmlichen, meist wettkampfmäßig organisierten Sport etabliert und verstehen sich im eigenen Selbstverständnis vielfach als dezidierte gegenkulturelle Bewegung zu tradierten Formen des Sports. Trotz der wachsenden Bedeutung, die vereinzelt sogar zur Aufnahme in den Kanon olympischer Sportarten geführt hat, und der damit verbundenen merklichen Zunahme der öffentlichen Wahrnehmung widersetzt sich ein Großteil der Akteure dieser Bewegungspraxen allerdings entschieden der Vereinnahmung für kommerzielle oder anderweitige Nutzungen. Schon die adäquate Bezeichnung ist mit begrifflichen Schwierigkeiten verbunden. Die Bezeichnung als Trendsportarten (vgl. Schwier, 2003) fokussiert den typischen Entstehungs- und Entwicklungsverlauf neuer Bewegungspraktiken, erfasst damit aber nicht die spezifische Eigenart der Bewegungspraxen selbst. Die Kennzeichnung als selbstorganisiertes Sporttreiben in informellen Gruppen (vgl. Bindel, Balz & Frohn, 2010) betont die besondere soziale Organisationsform, in der die Handlungsrollen von Sportreibenden, Sportvermittelnden und Sportorganisierenden zusammenfallen. Im englischsprachigen Raum finden sich Begriffe wie »alternative sport subcultures«, »extreme sports« oder »action sports« (vgl. Honea, 2013, S. 1253), »post modern, post industrial and new sport« (Griggs, 2012, S. 181) durch die der Gegenentwurf zum wettkampfdominierten Mainstream-Sport, der spezielle Lifestyle sowie der riskante Wagnischarakter der Bewegungspraxen als zentrale Merkmale herausgestellt werden. Doch wenn argumentiert wird: »Alternative sports are generally defined by what they

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are not: mainstream« (Honea, 2013, S. 1255), so wird die besondere charakteristische Qualität dieser Bewegungskulturen nicht erfasst. Im vorliegenden Beitrag wird zur Bezeichnung der unterschiedlichen Bewegungspraxen der Begriff Freestyle-Bewegungskulturen gewählt, der zum einen von den Akteuren selbst vielfach genutzt wird und der zum anderen geeignet erscheint, die kennzeichnende Eigenart der unterschiedlichen Bewegungspraxen stimmig zu charakterisieren. Umfasst werden damit genuine Freestyleformen wie Skateboarding und Surfen, gewissermaßen die Freestyle-Archetypen, die von Beginn durch einen Freestyle-Charakter gekennzeichnet sind. Dies gilt in ähnlicher Weise für Wakeboarding und Kitesurfen sowie die Street-Bewegungspraxen Le Parkour und Freerunning. Viele andere Freestyle-Bewegungskulturen sind aus herkömmlichen Sportarten hervorgegangen. Im Bereich des Wassersports Freestyle-Windsurfen oder Kanu-Freestyle, im Schneesport SnowboardFreestyle und New School Skiing, im Rollsport Aggressive Inline, BMXing, Mountainbike Dirt und Slopestyle, im Motorsport Freestyle Motocrosse, in den Teamsportarten Footbag-Freestyle, Frisbee-Freestyle, Soccer-Freestyle oder Basketball-Freestyle. Die Freestyle-Idee hat sich offensichtlich ausgehend von den genuinen Freestyle-Bewegungskulturen Surfen und Skateboarding auf verschiedene Sportarten ausgedehnt, in deren Umfeld sich Freestyle-Varianten zusätzlich zu den weiter in herkömmlicher wettkampforientierter Form praktizierten Sportarten entwickelten. Die Ausführungen im vorliegenden Beitrag sind der Frage gewidmet, was Freestyle aus Sicht einheimischer Akteure verschiedener Freestyle-Bewegungspraxen im Kern ausmacht. Dazu muss einschränkend angemerkt werden, dass bislang nur vereinzelt umfassendere Studien zu den recht heterogenen FreestyleBewegungskulturen existieren (vgl. z. B. Peters, 2013; Schweer, 2014; Stern, 2010), die je nach Erkenntnisinteresse und Studiendesign differierende Perspektiven einnehmen und entsprechend zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die hier nachfolgend beschriebenen Merkmalskategorien des Freestyles basieren auf Studien1, die sowohl räumlich eingegrenzt sowie weitgehend auf Skateboar-

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Die Daten stammen aus verschiedenen studentischen Abschlussarbeiten, die am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien in den letzten Jahren entstanden sind (vgl. Auer, 2010, 2011; Botros, 2007; Fischer, 2013; Unterrainer, 2010). Forschungsmethodisch handelt es sich um ethnographische Untersuchungen durch Personen, die in engem Kontakt zu den entsprechenden Szenen standen bzw. selbst als Akteure an den Szenen teilhatten. Die Datenerhebungen erfolgten mittels teilnehmender Beobachtungen, Kurzinterviews und biographischen Interviews in den Core-Gruppen der verschiedenen Freestyle-Szenen.

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ding, Freerunning und Freestyle-Snowboarding beschränkt sind. Die Verallgemeinerbarkeit ist entsprechend begrenzt. Allerdings wird versucht, an ausgewählten Stellen auf vergleichbare Ergebnisse aus anderen Studien zu verweisen. Nachfolgend wird zunächst auf das mit Freestyle verbundene allgemeine Phänomenverständnis eingegangen. Im Anschluss werden Einzelaspekte der Freestyle-Bewegungskulturen thematisiert: die Freerunning-Akteure als Social Organism, die Raumbegegnung in Spots & Trips, das Selbstverständnis der Akteure im Sinne von Group- & Self-Concept sowie das besondere Körpererleben bzw. die körperbasierte Selbstinszenierung als Performance & Body. Zwei weitere Abschnitte sind dem Aspekt der Inszenierung von Männlichkeit im Freestyle sowie den Bewegungsbiographien von Freestyle-Akteuren gewidmet. Abschließend erfolgt ein zusammenfassendes Resümee.

F REE & S TYLE Als wesentliches Moment des Freestyles wird von den Akteuren die besondere Bewegungscharakteristik genannt. »Das ist Free. Ich kann mich einfach entscheiden, und das ist das, was uns auch unterscheidet von, von einem Eiskunstläufer oder sonst irgendwas.« (Botros, 2007, S. 165) Die Bewegungen sind durch das Fehlen normierender Vorgaben, wie sie für sportbezogene Techniken typisch sind, gekennzeichnet. Eine ganze Anzahl der Akteure hat in ihrer Bewegungsbiographie ein sportliches Training in negativer Weise kennengelernt. Der besondere Reiz liegt gerade im Gegenentwurfscharakter des Freestyles zum althergebrachten Sport, in der prinzipiellen Freiheit einer individuellen situativen Bewegungsgestaltung, die auch im Gegensatz zu ästhetischen Sportarten wie Eiskunstlaufen gesehen wird, in denen es z. B. strenge Vorgaben für Sprünge gibt. Die nonkonformistische Haltung gegenüber den tradierten und etablierten Formen organisierten Wettkampfsports richtet sich insbesondere gegen das dort dominierende fremdbestimmt angeleitete, disziplinierende systematische Training, denen sich Freestylerinnen und Freestyler nicht zu unterwerfen bereit sind und das pointiert als negatives Gegenbild zu den eigenen Aktivitäten beschrieben wird. Sie wenden sich gegen jede Form von Autorität, die ihr Bewegen dominiert, steuert, kontrolliert oder sanktioniert und die persönliche Bestimmung über ihr eigenes Tun einschränkt. Ein Freerunner bringt es auf den Punkt: »Freerunning ist freier! Ohne Regeln und Normen! Du kannst im Prinzip deine eigene Form von der Bewegung entwickeln, deinen eigenen Style! ... Einfach die totale Freiheit

34 | M ICHAEL KOLB in der Bewegung, weil du es einfach überall machen kannst, du bist unabhängig. … Und es entspricht einfach meiner Philosophie und Mentalität.« (Auer, 2010, S. 49)

So werden Treppen als Objekte zum Hinunterspringen genutzt, Treppengeländer als Rutschobjekte, Wellen als Absprungmöglichkeit, aus Rollgeräten werden Beschleunigungsobjekte zur Steigerung von Sprüngen und Überschlägen aller Art. Einen wesentlichen Attraktionskern stellen in den Freestyle-Bewegungskulturen die Tricks dar, die von Szenemitgliedern selbst erfunden worden sind und noch immer weiter erfunden werden. Tricks sind schwierige, komplizierte und häufig riskante Dreh-, Gleit-, Roll-, Schwebe-, Flug- und Sprungbewegungen. Bei diesen von Gebauer et al. treffend mit »Sprung ins Ungewisse« (2004, S. 79) bezeichneten Aktionen, deren Bewältigung möglich, aber schwierig ist, wird die sichere Balance und Kontrolle für kurze Zeit aufgegeben bzw. aufs Spiel gesetzt. Die Rückmeldung über das Gelingen eines Tricks ist dabei für jeden Akteur offenkundig. Die Ausführung ist gelungen, wenn nach der Bewältigung des Tricks die Kontrolle wiedererlangt, die Bewegung also gestanden bzw. gestickt wird, also z. B. Aufkommen auf den Füßen und direkter Übergang in eine Weiterbewegung, Wiederfinden der Balance auf dem Skateboard oder dem BMX und Weiterfahren, kontinuierliches weiteres In-der-Luft-Halten des Footbags oder Balles etc. Welche Tricks ausgewählt oder angegangen werden, steht ganz in der Verfügung der Akteure und richtet sich nach dem eigenen Könnensstand und den situativen Bedingungen. Allerdings reicht die einfache Bewältigung eines Tricks noch nicht aus, es geht nicht nur um den Schwierigkeitsgrad, sondern um die besonders virtuose Ausführung. Ein Trick sollte in stylischer Weise durchgeführt werden. »Ja, es muss flüssig sein, schnell, es muss easy ausschauen, fetzen – einfach, dann hat es Style. … Letztlich ist ein Trick dann sehr stylisch, wenn er sehr einfach aussieht.« (Botros, 2007, S. 167) Die Bewegungen erhalten so eine gestalterische, beinahe tänzerische Form, die jedem Akteur eine immense Vielfalt an individuellen Ausgestaltungen, Trickvariationen sowie Trickkombinationen zum Ausdruck seiner Selbst bietet. Es bedarf allerdings intensiver, langwieriger Lernprozesse, bis die Ausführung eines Tricks in stylischer Form wie anstrengungslos, gleichsam natürlich, gelingt und ihm zudem eine besondere individuelle Ausdrucksform gegeben wird. Ein besonderer Style ist damit auch beobachtbarer Ausdruck einer zeitlich ausgedehnten Teilhabe und intensiven Hingabe an eine Freestyle-Bewegungspraxis, derer es bedarf, um eine außergewöhnliche Expertise zu erlangen, die zur Anerkennung in der Gruppe beiträgt. Ein stylisches Bewegen wird in der Szene zugleich als Ausdruck eines besonderen Freestyle-Habitus betrachtet, den ein Akteur bei der Gestaltung seines

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eigenen Lebens an den Tag legt. »Freestyle ist halt einfach, wenn du dein Leben gut schupfen kannst, dann bist du schon ein guter Freestyler. Also wenn du dein Leben spontan und easy leben kannst und nicht ständig in irgendwelchen Strukturen hängst, die dich quälen, dann bist du ein guter Freestyler.« (Botros, 2007, S. 170) Die spezifische Form der Bewegung ist demnach inhärenter Bestandteil als auch Ausdruck eines nonkonformistischen Lebensstils, in dem man sich allen Formen von Anpassungszumutungen widersetzt, eigenen Bedürfnissen unvermittelt folgt und keine langfristigen Verpflichtungen eingeht. Analog wird diese Freestyle-Lebenshaltung von Gebauer et al. (2004, S. 128) beschrieben: »Sie favorisieren ein spielerisches Weltverhältnis und schätzen dies ungleich höher ein als auferlegte Strukturen und Reglements. Bei ihnen findet man ein Pathos des Improvisierens und der Bindungslosigkeit, das in den schwebenden Bewegungen dieser Sportpraxis körperlich evident wird.«

S OCIAL O RGANISM Die Aktivitäten finden im Freestyle in der Regel in Szenen, auch Crews genannt, statt, die ständig lebendig sich wandelnden sozialen Organismen gleichen. Zusammengehalten werden diese Organismen von der Faszination, die für die Beteiligten von der spezifischen Freestyle-Bewegungsform ausgeht. Die Teilhabe an der von kollektiven Raumeroberungen und intensiven Gelingensemotionen gekennzeichneten Praxis stellt das wesentliche kohäsive Element zwischen den Mitgliedern der Gruppen dar. Frage ist, wie es einer Ansammlung nonkonformistischer und individualistischer Personen, die ja über keinerlei verbands- und vereinsmäßig organisierte Orte und Zeitpunkte für ihr Bewegen verfügen, gelingt, ihre vielfach gegenläufigen individuellen Bereitschaften und spontan wechselnden Ideen zu synchronisieren. Diese schwierigen Aushandlungsprozesse werden geradezu als »Ausmachwahnsinn« (Fischer, 2013, S. 103) erlebt und bezeichnet, wie die folgende Beschreibung des Ablaufs einer Session illustriert: »Ursprünglich haben Tobi und ich ausgemacht, dass wir in Niederösterreich Skaten gehen. Dann heißt es plötzlich ohne Absprache, dass wir eine Tour mit einem Bus machen, in dem mehrere Leute Platz haben. Ort: unbekannt. Dann weiß eine Zeitlang niemand, ob man sich bei der Nordbrücke trifft oder nicht, der Standort der Session ist offensichtlich nach Wien verlegt. Um überhaupt in die Gänge zu kommen, pushen wir erst mal los. Erst unterwegs erfahren wir den Treffpunkt.« (Fischer, 2013, S. 104)

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Ein typischer Verlauf der Ortsfindung beginnt mit einer Sammelphase, in der alle enthusiastisch Ideen einbringen und in einem Kommunikationschaos über SMS-Botschaften und Telefonate versucht wird, einen Konsens zu finden. Dies geht in eine Startphase über, in der sich einige in eine grobe Zielrichtung in Bewegung setzen, um die dort liegenden möglichen Spots zu checken. In der abschließenden Entscheidungsphase lösen sich die anfänglichen Meinungsgeflechte auf und in der Regel entscheiden einflussreiche Akteure, wo nun endgültig hingefahren wird. Zwischen den am ausgemachten Spot eintreffenden Akteuren finden dann typische synchronisierende Begrüßungsrituale statt, die den Zusammenhalt durch besondere innerhalb der Gruppe eingespielte Gesten neuerlich festigen. Die Gruppen bleiben in der Regel allerdings nicht an ihrem ersten Treffpunkt, sondern sie bewegen sich unter weiteren aufwändigen kommunikativen Abstimmungsprozessen von Spot zu Spot durch den öffentlichen Raum. »Eine JamSession: wir treffen uns und grasen halt die Spots der Reihe nach ab, im Regierungsviertel oder sonst irgendwo. … Und dann machen wir halt jeder sozusagen unser Ding, neue Figuren oder altbekannte Verbesserungen.« (Auer, 2011, S. 51) Neben dem eigentümlichen chaotisch wirkenden Bewegungs-Nebeneinander der Akteure auf dem Spot finden immer wieder auch Austausche und gegenseitige Unterstützung bei der selbstgesteuerten Aneignung der Tricks statt. »Eigentlich lernen wir Tricks immer selbst. … Und für das Erlenen der Tricks ist die Gruppe insofern auch wichtig, weil die Gruppe quasi der Trainer ist.« (Auer, 2011, S. 52) Allerdings ein Trainer, der nicht wie im Sport im Training autoritäre Vorgaben setzt, sondern bei Problemen mit einem Trick werden von anderen wie beiläufig kurze nützliche Tipps gegeben. So entsteht das Bild einer Session, in der sich die Akteure zwischen verschiedenen Spots bewegen, auf denen dann selbstregulierte Phasen der Erprobung bekannter und der Aneignung neuer Tricks sich abwechseln mit gemeinsamem Abhängen bzw. Chillen, häufig unterstützt durch den Konsum von entspannenden Drogen und dem Austausch von spaßigen Kommentaren (vgl. zu diesen selbstbestimmten Zeitmustern Schwier, 1998, S. 59ff.). Einen besonderen verbindenden Stellenwert für den Zusammenhalt hat diese gemeinschaftliche Sprache, die geradezu als niveaulose Männergruppen-Gesprächskultur bzw. Austausch von »Dauerschwachsinn« (Fischer, 2013, S. 92) beschrieben wird. »Es geht um das Ausprobieren und Experimentieren mit vermeintlichen Einstellungen, welche man sich in der Männerrunde an den Kopf wirft. […] Wir machen Wortspiele, erzählen spaßige Gschichtln, die wir erlebt haben, beschimpfen uns gegenseitig zum Spaß,

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ohne es ernst zu nehmen, benutzen rassistische Ausdrücke oder machen frauenfeindliche Bemerkungen.« (Fischer, 2013, S. 93, vgl. zum »Shit Talkin« auch Schwier, 1998, S. 62 ff.)

Man darf nicht den Fehler begehen, die Formen dieser Gesprächskultur, insbesondere die benutzte abqualifizierende sowie diskreditierende Wortwahl, als ernsthafte Äußerungen zu werten. Hier zeigt sich vielfach ein ironisierender Regelbruch mit gesellschaftlich unzulässigen, ja geradezu tabuisierten Begriffen und Anschauungen, die zitiert werden und auf die in der Gruppe angespielt wird. Auch auf der sprachlichen Ebene zeigt sich so das genuine Vergnügen an Grenzüberschreitungen in einem gegenkulturellen Entwurf.

S POTS & T RIPS Ein wichtiges Moment der Attraktion im Freestyle ist die schon thematisierte Eroberung öffentlicher Räume, indem man dort Aktivitäten nachgeht, die im Widerspruch zu deren architektonisch geplanter Nutzung stehen. Der Raum wird gewissermaßen mit anderen Augen, einem geübten Skater- oder FreerunningBlick, unter der Perspektive der Eignung für Freestyle-Bewegungsformen betrachtet, entsprechend erobert und umgenutzt. Teilweise werden sogar in Do-ityourself-Manier mit mitgebrachten Werkzeugen zusätzliche Hindernisse gebaut oder es wird z. B. eine ausgetrocknete, verdreckte Betonwanne für Löschwasser freigeschaufelt und ausgekehrt, um darin skaten zu können. Dabei stehen die Akteure in permanenter Gefahr, z. B. durch Aufsichtspersonen, vertrieben zu werden. Dies führt zu einem zusätzlich spannenden Spiel von regelbrechender Eroberung, blitzschneller Flucht bei Vertreibung, raschem Wechsel zu anderen Spots, Rückkehr und Wiederinbesitznahme (vgl. Schwier, 1998, S. 55 ff.). Neben der auf einen engeren Raum begrenzten Raumaneignung unternehmen manche Gruppen auch ausgedehnte mehrtägige Trips zu bekannten Städten in ganz Europa wie z. B. Barcelona, die für ihre große Anzahl an attraktiven Spots in der Szene berühmt sind. Diese gemeinsamen Unternehmungen intensivieren nicht nur den Zusammenhalt und die Beziehungen in der Gruppe, sondern gehen auch in die gemeinschaftliche Kommunikation ein und werden in der Folge zum Gegenstand heroisierender rückblickender Erzählungen.

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G ROUP - & S ELF -C ONCEPT Die Selbstwahrnehmung von Straßen-Freestyle-Szenen ist von einem speziellen Gang-Gefühl einer unangreifbaren Gruppe gekennzeichnet, das von einem Akteur mit dem Begriff »Straßenpiraten« gekennzeichnet wurde. »Wenn die ganze Gruppe durch die Stadt rollt, sehe ich mich wie ein Mitglied einer Piratengang. … Am Rande der Legalität, gegen den Strom und von den Passanten gefürchtet. Dieses Gefühl ist am besten mit ‚unantastbar‘ zu beschreiben.« (Fischer, 2013, S. 138) Das die Gruppe verbindende Erleben wird getragen vom Lebensgefühl eines anstrengungs- und schwerelosen Cruisens bzw. Surfens durch die städtische Asphalt- und Betonlandschaft, das gleichzeitig hohe Konzentration erfordert, da man permanent geistig gegenwärtig sein und auf plötzlich auftauchende Fahrzeuge aller Art, Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer sowie Fußgängerinnen und Fußgänger achten muss, um Kollisionen zu vermeiden. Gelingt dies, so stellt sich ein Gefühl einer unangreifbaren Überlegenheit ein. Das Selbstverständnis ist somit zum einen von einer gegenkulturellen Orientierung getragen. Gerade die Skater nehmen den Argwohn, das Unverständnis und die verärgerte Ablehnung durch die Fußgängerinnen und Fußgänger wahr, die sie mit ihren flinken Bewegungen im öffentlichen Raum hervorrufen. Sie inszenieren diese in geradezu provokanter Weise in dem Bewusstsein, dass sie auf Grund ihrer Schnelligkeit und unvermittelter Richtungswechsel kaum fassbar sind. Zum anderen spüren sie in der Beobachtung durch die Passantinnen und Passanten eine unverkennbare Bewunderung für ihre kunstfertigen Tricks. Diese ambivalente Wahrnehmung zwischen Erschrecken und Beeindrucken wird von ihnen erkennbar genossen. »Einerseits beeindrucken wir gerne. Andererseits genießen wir das Image der Bürgerschrecks, die außerhalb der Dinge stehen und diese kritisch und leicht herablassend betrachten.« (Fischer, 2013, S. 138) Die Identität der Gruppe wird durch diese exklusive Abgrenzung konstituiert. Die Ablehnung durch die soziale Umgebung führt zu keinem negativen Gefühl des Ausgegrenzt-Seins, sondern wird zum positiven Kern eines selbstbewussten Außenseiter-Seins. »Insofern konstituiert sich unsere Identität durch Abgrenzung, als Reaktion auf eine ausgrenzende Umwelt.« (Fischer, 2013, S. 138) Freestyler bestehen aus einer Ansammlung nonkonformistisch ausgerichteter Personen, die in ihrem Selbstverständnis nicht bereit sind, sich einer Gruppe anzuschließen. Es ist nachvollziehbar, dass solche Personen eine auf einem Außenseitertum basierende gemeinschaftliche Identität entwickeln. Ein Skater fasst dies treffend in Worte: »Skater sind Skater, weil sie zu keiner Gruppe dazugehören wollen. Eigentlich paradox.« (Fischer, 2013, S. 137)

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Die Attraktion der in der kollektiven Bewegungspraxis geteilten Emotionen bildet entsprechend das zentrale verbindende Element eines gemeinsamen Selbstgefühls in den Freestyle-Szenen. Zu einem vergleichbaren Schluss kommen Gebauer et al. (2004, S. 64): »Die Gemeinsamkeit hat eine von allen geteilte motorische Basis. Sie entsteht aus der Leidenschaft für ganz bestimmte Bewegungsweisen.« Über das gemeinsame Tun und die Kommunikation darüber gibt es allerdings häufig wenige Kontakte oder intensivere Freundschaften. Wenn Personen nicht mehr an den gemeinsamen Unternehmungen teilhaben, so bleibt kaum Verbindendes und sie verschwinden aus der Wahrnehmung der Gruppe.

B ODY & P ERFORMANCE In den verschiedenen Freestyle-Bewegungspraxen bildet das ausgesprochen riskante Aufs-Spiel-Setzen des Körpers im Kontext der Bewältigung von Tricks und das damit verbundene intensive körperbezogene Erleben den Kern der Generierung einer als authentisch wahrgenommenen personalen Identität. Oftmals bedarf es monatelanger mühevoller, mit Schmerzen verbundener und von permanenten Misslingenserlebnissen gekennzeichneter Einübensprozesse, bevor ein Trick gelingt. Dieser außergewöhnliche Moment des Gelingens des in einem Trick gestellten komplizierten Bewegungsproblems, das glückende EinsWerdens des eigenen Leibs mit dem Bewegungsgerät, wird von kaum beschreibbaren intensiven Euphoriegefühlen begleitet. In den Worten eines Skaters: »Zum Beispiel liebe ich den Moment, an dem man – wenn man zum Beispiel ein Gap hinunterspringt – weiß: ‚Jetzt stehe ich den Trick‘, also die Phase zwischen dem unter den Füßen ‚gecatchten‘ Board und der Landung selbst. Das ist so geil. Nicht mit Worten beschreibbar.« (Fischer, 2013, S. 76) Andererseits scheinen auch misslingende Tricks, das Hinfallen bis hin zu zum Teil schmerzhaften Stürzen, als unvermeidlicher Bestandteil der Bewegungspraxis selbstverständlich akzeptiert zu werden. Verletzungen gehören für die Akteure einfach dazu. Sie sind ärgerlich, werden aber zugunsten des in Aussicht stehenden intensiven Gelingensgefühls toleriert und werden geradezu mit einer besonderen Erlebensqualität identitätsvergegenwärtigender Authentizität verbunden: »Verschwitzt im Dreck zu liegen hat was Archaisches – das gefällt mir. Man spürt den Untergrund und spürt sich selber, wenn man unfreiwillig den Untergrund zu spüren bekommt. Es fühlt sich irgendwie echt an.« (Fischer, 2013, S. 85) Letztlich spüren die Akteure bei jedem Sturz, wie riskant, damit aber auch erlebnisintensitätssteigernd ihr Tun ist. Aber gerade dieser erregende Thrill, diese Angstlust, macht für die Akteure die Attraktion aus. In den Worten

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eines Freerunners: »Zu wissen, wenn man es schafft, ist es gut, wenn nicht, ist es ganz schlecht, weil man sich verletzen kann. … Dieser Nervenkitzel törnt mich voll an, jede Überwindung vor einem Trick. Das gehört einfach dazu. Ohne Risiko macht das Leben einfach keinen Spaß.« (Auer, 2010, S. 96) Akteure berichten, dass das intensive Gefühl einer gelungenen Session im Nachhinein noch längere Zeit erhalten bleibt. Besondere Sprünge und Moves tauchen dann wie Blitzlichter immer wieder auf und lassen die verbundenen Emotionen nachklingen. Die Akteure sind sich durchaus bewusst, dass ihre Bewegungspraxis mit dem andauernden Herunterspringen, Stürzen und Wiederaufstehen riskant ist und sie permanent Gefahr laufen, sich so schwer zu verletzen, dass sie nicht weitermachen können oder dass sie ihren Körper dauerhaft und irreparabel schädigen. Es wird häufig berichtet, dass die Teilnahme an den Bewegungsaktivitäten auf Grund von Verletzungen über Monate unterbrochen werden muss. Allerdings scheint man diese Gefahr in Kauf zu nehmen, sogar schlichtweg zu ignorieren. Ein Skater hat diese Gleichgültigkeit gegenüber der Verwundbarkeit des eigenen Körpers auf den Punkt gebracht, als er auf die Frage, ob er befürchtet, dass er irgendwann Probleme mit seinen Gelenken haben wird, antwortete: »Ja schon, aber es ist mir wurscht.« (Fischer, 2013, S. 82) Freestyle-Aktivitäten haben einen deutlich performativen Charakter. Es kann zwar vorkommen, dass die Akteure allein unterwegs sind, aber in der Regel werden Spots gemeinsam angegangen und man beobachtet sich gegenseitig bei den Tricks. Man will bei seinen Tricks gesehen werden, sonst erscheinen sie praktisch wertlos. Dabei existiert untereinander ein gemeinsamer Wertemaßstab, auf dessen Basis gute und schlechte Ausführungen von Tricks klar beurteilt werden können. Durch die Rückmeldungen entwickelt sich ein persönliches Gefühl für die Qualität der eigenen Praxis und man erfährt eine immense Selbstbestätigung, wenn ein Beobachter begeistert rückmeldet: »Bist du deppat, der war fett.« (Fischer, 2013, S. 96) Zudem erfolgt durch die Beobachtung der anderen und ihr motivierendes Feedback zusätzlich ein Push beim Wagen riskanter Tricks. Massive Erweiterung erfährt die Selbst-Präsentation durch den Einsatz digitaler Medien. Es gilt der Grundsatz: »Wenn man nicht auf YouTube ist, existiert man nicht.« (Auer, 2010, S. 58) Viele Akteure haben immer eine Kamera in einem Rucksack dabei, mit der gemeinsame Sessions, aufsehenerregende Tricks, gewagte Sprünge sowie dramatische Stürze aufgenommen werden, die im Nachhinein mit Hilfe von Videoschnittprogrammen am Computer zu kunstvoll strukturierten Videos mit perfekt passender Musik arrangiert werden. Thematisiert werden vor allem das Cruisen durch die Stadt, Reiseunternehmungen, schnelle Moves, halsbrecherische Sprünge, Emotionsausbrüche nach Stürzen, blutende

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Verletzungen und anderes mehr, und dies alles geschnitten im Takt der begleitenden Musik. So werden die Selbstpräsentationen der Freestyle-Künste der Akteure auf Dauer gestellt und im Internet einer größeren Szene vorgeführt.

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UND

M ÄNNLICHKEIT

Auffallend ist, dass an den Freestyle-Bewegungsszenen fast nur männliche Jugendliche oder junge Männer teilhaben. In einer Studie mit semiprofessionellen Freestyle-Snowboarderinnen zeigte sich, dass diese Frauen sich als stark und unabhängig wahrnehmen und stolz darauf sind, sich Anerkennung in der Szene erarbeitet zu haben, die sie bis an die Grenzen der Professionalität geführt hat. In eigenen Worten: »I denk scho, dass es ein positives Bild ist und wir als starke Frauen rüberkommen, was wir natürlich oft sind, weil du a Durchsetzungsfähigkeit brauchst.« (Unterrainer, 2010, S. 73) Gleichzeitig treffen die selbstbewussten jungen Frauen in der Szene allerdings auf typische abwertende Urteile der männlichen Akteure, die zeigen, dass auch in den Freestyle-Szenen ein Bild männlicher Dominanz vorherrschend ist und ähnlich wie im traditionellen Sport genderspezifische Vorurteilsstrukturen dominieren. Dies bezieht sich zum einen auf die durch das intensive Üben veränderte athletische Körpererscheinung wie auf die Unterstellung mangelnder Leistungsfähigkeit. »Also im Snowboarden ist krass, wie Burschen teilweise über Frauen im Snowboarden reden, das ist echt unglaublich, also i find das ziemlich schlimm manchmal. Da fällt einem manchmal gar nix mehr ein, weil die das voll belächeln.« (Unterrainer, 2010, S. 72) In ähnlicher Weise beschreibt Kidder (2013) Parkour als eine Bewegungspraxis, in der der städtische Raum transformiert und als Feld für risikoreiche Bewegungsformen genutzt wird, in dem junge Männer ihre Maskulinität durch spezifische raumerobernde Bewegungspraxen öffentlich und gegenseitig demonstrieren können und so ihre männlichkeitsfokussierte Identität formen. »The city is a structural ressource used within the performance of gender. Through Parkour, men co-construct an embodied masculinity characterized by risk-taking and controlling physical space.« (Kidder, 2013, S. 6) Die öffentliche Präsentation im Parkour ist danach im Kern »a spectacle of males, asserting that they are men« (Kidder, 2013, S. 15), in dem der städtische Raum in ein Demonstrationsfeld risikobereiter, harter, physischer Männlichkeit verwandelt wird. Offensichtlich werden in den Freestyle-Bewegungskulturen die geschlechtsspezifischen Vorurteilsstrukturen und Ungleichheiten, die auch im organisierten Sport vielfach beobachtet und beschrieben worden sind, weiter tradiert.

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F REESTYLE -B EWEGUNGSBIOGRAPHIEN Die Frage ist, welche bewegungsbiographischen Verläufe Personen zeigen, die an Freestyle-Bewegungspraxen teilhaben. Betrachtet man die Ergebnisse aus den oben angesprochenen Studien, so zeigen sich gewisse Grundmuster, deren Verallgemeinerbarkeit allerdings aufgrund der geringen Zahl an befragten Personen stark eingeschränkt ist. Im Freestyle-Snowboard und Freestyle-Windsurfen findet man vielfach eine früh beginnende, von der Familie, insbesondere den Vätern, aktiv unterstützte Bewegungssozialisation. In Kindheit und Jugend wird gesurft oder Ski gefahren, teilweise auf hohem Niveau und mit guten Wettkampferfolgen, für die es einer intensiven finanziellen Unterstützung durch die Familien bedarf. Bei den Mädchen findet man eine als unkonventionell beschriebene intensive Bewegungssozialisation, die von der Einbindung in Jungengruppen gekennzeichnet ist. »Ja, Mädels, so was Wildes, wilde Sportarten machen Mädels nicht. Mädchen lernen Geige und Klavierspielen. Aber i kann das jetzt für mi nit sagen, i war immer wild und hab mit den Burschen herumtobt.« (Unterrainer, 2010, S. 52) Im Verlauf der Pubertät kommt es im Kontext des Ablöseprozesses vom Elternhaus zu einer Abwendung von der traditionellen Sportsozialisation und zur Zuwendung zu den als rebellisch erlebten Freestyle-Varianten. »Ich meine, wir sind halt nur hin- und hergefahren. … Und da gibt es einen, so einen Langzottigen, der ganz cool rüberkommt, der fährt irgendwie wie ein Gott, und der macht Sachen, von denen du nur träumst, dass du das auch einmal machen kannst. … Alle sind weg vom Slalom und einfach jeder ist herum gehüpft.« (Botros, 2007, S. 130, 133)

Im Rückblick wird in den Interviews vor allem der mit dem Freestyle verbundene coole und subversive Lifestyle-Charakter betont, der große Anziehungskraft ausgeübt hat und an dem viele unbedingt teilhaben wollten. Bei den Freerunnern fällt auf, dass deren Kindheit von intensiven eigenständigen Spiel- und Bewegungsaktivitäten im Freien geprägt war. In Sportvereinen wurden zeitweise vor allem Individualsportarten wie Gerätturnen und Klettern sowie Kampfsportarten wie Judo, Taekwondo oder Capoeira erprobt. Allerdings zeigt sich früh eine Inkompatibilität bzw. Unzufriedenheit mit der streng reglementierten Trainingsgestaltung im Verein und die Vereinssport-Biographie werde teilweise nach mehreren Versuchen schon innerhalb kurzer Zeit abgebrochen. Die Faszination für Freerunning entstand vor allem durch Dokumentationen, Videos im Internet und Martial-Arts-Filme, in denen eine unmittelbare Übereinstimmung mit den eigenen Interessen und Vorlieben entdeckt wurde.

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»Schon seit Kindheit habe ich das Gefühl, dies zu machen, da ich auch früher schon immer herum gekraxelt bin. Das inspiriert mich einfach so viel, da man bei Freerunning alles macht. Springen, Saltos, eigentlich wollte ich immer schon so etwas lernen, weil, das habe ich bei einem Jackie Chan-Film gesehen.« (Auer, 2011, S. 82, 83)

Auffällig ist jedenfalls, dass bei einer ganzen Anzahl der Freerunner schon früh erkennbar ist, dass sie sich ungern auf (Bewegungs-)Situationen einlassen, in denen sie sich an extern vorgegebene Regeln anpassen müssen und ihr Bewegen nicht in eigener Regie gestalten können.

Z USAMMENFASSUNG In den oben genannten Studien entsteht ein Bild der Freestyle-Bewegungskulturen, das durch typische Bewegungscodes, personale Orientierungen, Handlungsmuster und Wahl-Vergemeinschaftungen gekennzeichnet ist, die in den ganz unterschiedlichen Freestyle-Praxen sicherlich differente Ausprägungen zeigen. Allerdings können bei aller Vorläufigkeit einige Kernkennzeichen identifiziert werden, die allerdings zukünftig durch weitere Studien über die verschiedenen Freestyle-Bewegungspraxen breiter bestätigt werden müssen. Freestyle-Bewegungskulturen sind für die Akteure Erprobungsfelder für Neuartiges, Noch-nie-Dagewesenes und Unkonventionelles, die ihre Attraktivität in vieler Hinsicht aus der ablehnenden Abgrenzung zu organisierten Formen traditionellen Sports gewinnen. Sie bilden Spielräume expressiver Individualität, gemeinschaftlicher Felder des Bruchs gängiger Bewegungsnormen und spielerisch-kreativer Bewegungs-Neuinszenierungen. Gleichzeitig bieten sie einen Rahmen für die Umnutzung des öffentlichen Raums, von Raumobjekten und Bewegungsgeräten sowie für analoge und digitale mediale Selbstinszenierungen. Von diesem Reiz eines Freestyle-Gegenentwurfs zum Alltäglichen, Althergebrachten, der Freiräume für eigenständige Gestaltungen bietet, wird eine ganze Anzahl von Jugendlichen angezogen. In den Worten eines Freestylers: »Sich irgendwie keinen Regeln unterwerfen, das hat mich fasziniert. Eigentlich hast du das Gefühl, ja, du hast etwas Cooles, Neues gemacht.« (Botros, 2007, S. 156) Besonders geschätzt wird die gebotene Entscheidungsfreiheit, das Erleben einer als grenzenlos erlebten Erweiterung des eigenen Bewegungskönnens, das in eigener Regie in der Gruppe in Try-and-error-Form autonom angeeignet bzw. erarbeitet wird. »Freestyle heißt schauen, was man noch darüber hinaus machen kann. … Es gibt irgendwie nie ein Limit nach oben und du machst irgendetwas und du kannst gleich am nächsten Tag weitermachen.« (Botros, 2007, S. 155)

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Diese im Freestyle gebotene Offenheit der Entwicklungsperspektive für eigene Gestaltungen, die Möglichkeiten der Teilhabe an der Kreierung neuer innovativer Tricks bis hin zur Gewinnung individueller Einzigartigkeit eines eigenen Styles auf Basis außergewöhnlichen persönlichen Könnens scheinen mit einer ausgeprägten Individualitäts- und Nonkonformitätsorientierung bei den meist männlichen Jugendlichen zu korrespondieren. Ein Freestyler bringt es auf den Punkt: »Jeder Freestyler ist so ein Individualist und man kennt jeden heraus. Jeder hat so eine persönliche Note. … Ja und der Style ist für mich der Ausdruck von Persönlichkeit, so wie jeder Typ einen unterschiedlichen Charakter hat, so gibt er sich halt am Wasser.« (Botros, 2007, S. 169) Die Teilhaben an einer Freestyle-Bewegungskultur ist für die Akteure mehr als nur das Betreiben einer als cool etikettierten Bewegungspraxis, sondern stellt den Kernbestand ihrer personalen Identität dar. Fragt man Akteure, wer sie sind, so antworten sie wie selbstverständlich Skater, Surfer, Snowboarder oder Ähnliches. Für Skater ist Skaten etwas, bei dem sie sich lebendig fühlen, das ihr Leben im Kern bestimmt und ausmacht, ihre Existenz ganz durchdringt. Oder wie es eine Snowboarderin auf den Punkt bringt: »It’s my life. Also wirklich, du lebst es, ja, es macht einfach die Gedanken frei.« (Unterrainer, 2010, S. 70) Die Freestyle-Szenen sind geprägt vom beschriebenen Habitus des außergewöhnlich Neuen, Lässigen, Kreativen und Freiheitlichen. Sie stellen in paradoxer Weise posttraditionale Gemeinschaften ausgeprägt individualistischer, eigenwilliger Personen dar, die nicht bereit sind, sich an Gruppennormen anzupassen. Entsprechend diffizil gestalten sich die Prozesse der Abstimmung der Aktivitäten in den informellen Gruppen. Die Tricks, Kern der Freestyle-Bewegungspraxen, sind durch einen besonderen, häufig risikoreichen, Wagnischarakter und ein intensives Spannungsmoment gekennzeichnet, da ihr Gelingen recht unsicher und das Scheitern gefahrvoll ist. Die sichere Balance wird für einen kurzen Moment waghalsigen Springens, Fliegens oder Schwebens aufs Spiel gesetzt, das in einen Sturz oder Verlust der Kontrolle über ein Objekt münden kann oder eben in ein von intensiven Euphoriegefühlen begleitetes Wiedererlangen der Kontrolle. Die lässig wirkenden Bewegungen herausragender Freestyler, ihre anstrengungslos erscheinende Beherrschung schwieriger Tricks setzen allerdings langwierige selbstgesteuerte motorische Lernprozesse nach dem Alles-oder-NichtsPrinzip einer sofortigen Rückmeldung über Gelingen oder teilweise schmerzhaftes Scheitern der Bewegungen voraus. Nur Akteure, für die die Attraktion der Tricks so groß ist, dass sie sich mit intensiver Hingabe auf langwierige Lernprozesse einlassen, haben Aussicht auf Erwerb einer von persönlichem Style geprägten virtuosen Meisterschaft, die den Respekt der Szenemitglieder sichert.

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Der performative Grundzug der Freestyle-Bewegungskulturen, die öffentliche Demonstration eigenen Könnens, setzt sich in den medialen Selbstinszenierungen der Akteure fort. Videokameras sind beständiges Requisit bei den Sessions. Spektakuläre Tricks und Sprünge werden permanent aufgenommen, nachfolgend mit dem Ziel einer dramatischen Selbstinszenierung geschnitten und über das Internet, vor allem über YouTube, verbreitet. Über derartige Selbstmediatisierungen entsteht eine digitale Sozialität, in der die Akteure sich vor einer beträchtlichen Öffentlichkeit präsentieren, mit anderen Akteuren in Austausch treten und nicht zuletzt einen Vergleich auch in medialen Präsentationen suchen. An dieser Stelle können keine weiterreichenden soziologischen Analysen darüber erfolgen, wie sich in den Freestyle-Bewegungskulturen die Entwicklung hin zu posttraditionalen Gesellschaften widerspiegelt (vgl. Gebauer et al., 2004; Schwier, 1998). An ihrem Beispiel zeigt sich jedenfalls erneut, dass die in konkreten historischen Situationen und in bestimmten Gesellschaften entstehenden bewegungskulturellen Praxen frühzeitige sensible Seismografen im Sinne von »Verkörperungen des Sozialen« (Gugutzer, 2012) darstellen, dass und wie tiefer liegende gesellschaftliche Normen und Wertmaßstäbe sich wandeln. Ihr innovativer Grundzug prädestiniert sie gleichzeitig in avantgardistischer Manier Vorreiter von Entwicklungen in gesellschaftlichen Feldern wie Musik, Mode, Grafik, Kino und selbstverständlich Internet zu werden.

L ITERATUR Auer, A. (2010). Freerunning – als jugendkulturelle Bewegungsform. Unveröff. Bakk.-Arbeit, Universität Wien. Auer, A. (2011). Urban Freestyle – Beweggründe jugendlicher Freerunner. Unveröff. Mag.-Arbeit, Universität Wien. Bindel, T., Balz, E. & Frohn, J. (2010). Zur symbiotischen Handlungsstruktur informellen Sportengagements. Sportwissenschaft, 40 (4), 254-261. Botros, D. (2007). Freestyle. Eine qualitative Annäherung an ein bewegungskulturelles Phänomen unserer Zeit. Unveröff. Mag.-Arbeit, Universität Wien. Fischer, P. (2013). Räume, Riten, Rebellen – eine Milieustudie in der Wiener Skateboardszene. Unveröff. Mag.-Arbeit, Universität Wien. Gebauer, G., Alkemeyer, T., Boschert, B., Flick, U. & Schmidt, R. (2004). Treue zum Stil. Die aufgeführte Gesellschaft. Bielefeld: transcript. Griggs, G. (2012). Why have alternative sports grown in popularity in the UK? Annals of Leisure Research, 15 (2), 180-187.

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Gugutzer, R. (2012). Verkörperungen des Sozialen. Neophänomenologische Grundlagen und soziologische Analysen. Bielefeld: transcript. Honea, C. (2013). Beyond the Alternative vs. Mainstream Dichotomy: Olympic BMX and the Future of Action Sports. The Journal of Popular Culture, 46 (6), 1253-1275. Kidder, J. L. (2013). Parkour, Masculinity, and the City. Sociology of Sport Journal, 30, 1-23. Peters, C. (2013). Skateboarding als soziale Praxis. Eine Ethnographie. Diss., Deutsche Sporthochschule Köln. Schweer, S. (2014). Skateboarding. Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf. Bielefeld: transcript. Schwier, J. (1998). Spiele des Körpers. Jugendsport zwischen Cyberspace und Streetstyle (TrendSportWissenschaft, 2). Hamburg: Czwalina. Schwier, J. (2003). Trendsportarten und ihre mediale Inszenierung. In Schmidt, W., Hartmann-Tews, I. & Brettschneider, W.-D. (Hrsg.), Erster Deutscher Kinder- und Jugendsportbericht (S. 189-209). Schorndorf: Hofmann. Stern, M. (2010). Stil-Kulturen. Performative Konstellationen von Technik, Spiel und Risiko in neuen Sportpraktiken. Bielefeld: transcript. Unterrainer, S. (2010). Die Situation von Frauen im Snowboard Freestyle – eine biografische Analyse. Unveröff. Mag.-Arbeit, Universität Wien.

Neue Diskurse – alte Geschlechterpraxis? Verfestigung dualer Geschlechterbilder in der frühkindlichen Bewegungspraxis I NA H UNGER

Z UR E INFÜHRUNG Die Bedeutung von Bewegung in der frühen Kindheit ist in sportpädagogischen Diskursen und in elementarpädagogischen Kontexten unumstritten: Kinder setzen sich in Bewegung mit der Welt auseinander, über Bewegung lernen sie sich und andere kennen, Bewegungserfahrungen in der sozialen Welt prägen nachhaltig das kindliche Selbstkonzept (vgl. Schmidt, 1998; Zimmer, 2004; Fischer, 2010). Betrachtet man die sportpädagogische Literatur zur frühen Kindheit in Bewegung, so gewinnt man leicht den Eindruck, dass die Frage nach dem Geschlecht des Kindes in diesem Alter keine Rolle spielt. Stets ist geschlechtsneutral vom Kind bzw. von Kindern die Rede; welches Geschlecht die Kinder haben, scheint unerheblich zu sein. Die Geschlechtsunabhängigkeit trifft sicherlich für die anthropologischen und entwicklungspsychologischen Annahmen zu, die zugrunde gelegt werden, wenn es um die Beschreibung der Wechselwirkung zwischen Bewegung und Entwicklung geht. Die suggerierte Geschlechtsneutralität trifft jedoch sicherlich nicht für die soziale Welt zu, in der sich Kinder bewegen. Die soziale Welt, in der sich Kinder bewegen, ist zweigeschlechtlich vorstrukturiert (vgl. Hagemann-White, 1984; Bilden, 1991; Vogel, 2005): Sie hält explizite und subtile Vorstellungen über männlich sein und weiblich sein vor, bietet auf das Geschlecht bezogene einschlägige Identifikations- und Inszenierungsmöglichkeiten, sie begrenzt, ermutigt oder entmutigt entsprechend der verinnerlichten geschlechtsbezogenen Erwartungen und Zuschreibungen männliche

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und weibliche Personen in ihrem alltäglichen Verhalten unterschiedlich u.v.m. In diesem Sinne ist es naheliegend, dass Jungen und Mädchen auch im Kontext ihres Bewegungshandelns mit am Geschlecht orientierten Rückmeldungen, Offerten, Vorbildern konfrontiert werden und die Kinder selbst einschlägige geschlechtsbezogene (Selbst-)Zuschreibungen bezogen auf den Bewegungskontext verinnerlichen etc. Welche Qualität die an Bewegung gebundenen Erfahrungsund Lernmöglichkeiten für Jungen und Mädchen haben, ist empirisch jedoch weitgehend unklar.

G RUNDANNAHMEN S OZIALISATION

ZUR GESCHLECHTERSPEZIFISCHEN

Kinder werden – biologisch in der Regel für alle sichtbar – als Jungen oder als Mädchen geboren. Was sie jedoch später jeweils damit verbinden, ein Junge oder ein Mädchen zu sein, welche Erwartungen sie mit »männlich sein« und »weiblich sein« verknüpfen oder welche geschlechtstypischen Verhaltens- und Bewegungsmuster sie ausbilden, ist nicht naturgegeben. Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit, ihre Symbolisierung und Verkörperung sind vielmehr sozial bedingt (vgl. Bilden, 1991, S. 282 ff.); sie entwickeln sich in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und durch die Übernahme von sozial Vorgegebenem und Typischem. Die geschlechtsbezogenen Vorstellungen, Verkörperungen und Symbolisierungen gelten in diesem Sinne als Konsequenz der Verarbeitung sozialer Realität (vgl. Berger & Luckmann, 1993; siehe auch Kelle & Breidenstein, 1996; Alldred, 1998; Lippitz, 1999). Die geschlechtsspezifische Sozialisation hat im Kindergartenalter besondere Bedeutung. Die auf das Geschlecht bezogenen Erwartungen, Rückmeldungen, kommunizierten Verhaltensinterpretationen etc. der Umwelt nehmen in diesem Alter deutlich zu, da das Kind nun zunehmend aktiv an sozialen Praktiken teilnimmt (Kindergarten, Besuche, Einkauf etc.). Gleichzeitig nimmt das Kind – aufgrund seiner kognitiven Entwicklung – seine Umwelt auch unter dem geschlechtsspezifischen Aspekt zunehmend differenzierter wahr und interpretiert sie. Quasi unbemerkt filtert es tagtäglich Informationen über Männlichkeit – Weiblichkeit, die unmittelbar in die Praxis eingebunden sind, aus seiner Umwelt heraus. Auf der Basis dieser unbemerkten Informationsfilterung bilden sich sukzessive übergeordnete geschlechtsbezogene Zuordnungen: Das Kind entwickelt mit zunehmendem Alter ein Raster bezüglich dessen, was bei dem jeweiligen Geschlecht als typisch oder untypisch gilt, als normal oder abweichend angesehen

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wird (vgl. Berger & Luckmann, 1993, S. 23ff.). Durch die Deutung und Verarbeitung ihrer Lebenswelt bzw. durch die Teilhabe an den sozialen Praktiken bildet sich somit ein vorreflexives Geschlechterwissen heraus (vgl. Wetterer, 2008a, S. 19ff.), das wiederum die Wahrnehmungen strukturiert und handlungsorientierende Funktion übernehmen kann (vgl. Blumer, 1973, S. 81). Stellt das geschlechtsbezogene Wissen einerseits ein unbeachtetes Bezugsraster im Alltagsleben dar, das dem Individuum nicht immer und vollständig bewusst ist und spontan eingesetzt wird (vgl. Matthes & Schütze, 1973, S. 17), so können definitorische Wissensmuster auf der anderen Seite auch gezielt aktualisiert werden.

D IE S TUDIE : G ESCHLECHTERBEZOGENE B EWEGUNGSSOZIALISATION IN DER FRÜHEN K INDHEIT Im Rahmen der vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur von 2009 bis 2014 geförderten Studie »Geschlechtsbezogene Körper- und Bewegungssozialisation in der frühen Kindheit« wurde angestrebt, das bislang kaum erschlossene Themenfeld »Frühe Kindheit, Bewegung und Geschlecht« empirisch anzureichern. Ziel des Forschungsprojektes war es, unter der Perspektive Körper und Bewegung empirischen Aufschluss über das geschlechtsbezogene Wissen und Handeln von Kindern im (späten) Kindergartenalter zu erhalten. Konkret ging es hierbei um die Rekonstruktion der geschlechtsbezogenen Vorstellungen von Jungen und Mädchen in Bezug auf Körper und Bewegung sowie um die Identifikation und Interpretation von Bewegungssituationen, in denen ein geschlechtsspezifisches symbolisches Repertoire eine besondere Rolle spielt. Ferner war es Ziel zu explorieren, welche geschlechtsbezogenen Vorstellungen Erzieherinnen und Erzieher sowie Eltern hinsichtlich der Körper- und Bewegungssozialisation der Kinder haben und inwiefern sie selbst (bewusst oder unbewusst) die Jungen und Mädchen im Bereich Körper und Bewegung geschlechtsspezifisch erziehen und sozialisieren. Die Untersuchung war qualitativ angelegt und orientierte sich an dem konzeptionellen Rahmen der Grounded Theory (vgl. Glaser & Strauss, 1993; Breuer, 2009). Insofern sie an verschiedenen Gegenstandsbereichen ansetzte (kindliche [kognitive] Präsentationen, beobachtbare Bewegungs- und Verhaltensmuster der Kinder, Alltagsbewusstsein der Eltern und Erzieherinnen und Erzieher) war das Untersuchungsdesign entsprechend multimethodal ausgerichtet. Die einzelnen Untersuchungsbereiche wurden zunächst als jeweils eigenständige Studien konzipiert und am Ende der Untersuchung in ihrer Ergebnisstruktur aufeinander bezogen.

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Die Rekonstruktion der Perspektive von Eltern und Erzieherinnen und Erziehern erfolgte auf der Basis von Leitfaden-Interviews (vgl. Witzel 1989), die Annäherung an die Perspektive der Kinder auf der Basis von selbst entwickelten »Impuls-Interviews« (Hunger, 2011) in Spielsettings (unter anderem PlaymobilBewegungslandschaft innerhalb derer die Kinder zu den Bewegungsaktivitäten der Figuren und im Hinblick auf das denen zugeschriebene Geschlecht im Spiel befragt wurden). Die Auswertung der Daten hatte das Ziel – auf der Basis einer abduktiven Haltung – aus den Daten theoretische Konzepte zu generieren (vgl. Glaser & Strauss, 1993, S. 108). Der Erkenntnisweg erfolgte dabei von der Analyse von Einzelfällen zu Verallgemeinerungen. Die Interpretation der Aussagen vollzog sich unter der Rahmung der Grounded Theory und in Anlehnung an die Sequenzanalyse (vgl. u. a. Soeffner, 1989; Soeffner & Hitzler, 1994; Lüders & Meuser, 1997). Mithilfe von teilnehmenden Beobachtungen wurden ritualisierte Abläufe des Kindergartenalltags, vor allem aber freie und angeleitete Bewegungssituationen im Gruppen- und Bewegungsraum sowie im Außenbereich der Kindertagesstätten dokumentiert. Darüber hinaus kamen videogestützte Beobachtungen zum Tragen, um eine Reproduzierbarkeit von Beobachtungsdaten und damit feinanalytische Auswertungsschritte zu ermöglichen. Die Analyse der Beobachtungsdaten erfolgte unter anderem im Rückgriff auf Bohnsack (2009) sowie Rosenthal und Witte (2007). Im Folgenden wird ausschnitthaft und zugleich überblicksartig auf zwei Untersuchungsbereiche fokussiert, nämlich auf die Teilstudie Eltern und die Teilstudie Kinder. Um die auffälligen Gemeinsamkeiten zu betonen, werden in der Ergebnisdarstellung Umschreibungen wie die Eltern, die Mädchen oder die Erklärungsmuster gewählt. Diese Umschreibungen sollen selbstverständlich nicht Homogenität oder Universalität der untersuchten Zielgruppen oder explorierten Konzepte suggerieren. Selbstverständlich wurden auch Daten erhoben, die von den hier dargestellten analysierten Strukturen abweichen. Die Rhetorik ist aus Gründen der Lesbarkeit gewählt bzw. um immerwährende Ausdifferenzierungen bzw. Verweise auf Abweichungen zu vermeiden. Untersuchungsbereich Eltern Insgesamt wurden im Rahmen der Untersuchung knapp siebzig Elternteile interviewt. Es versteht sich von selbst, dass jede Familie sich individuell von der anderen unterscheidet. Allerdings konnten bei näherer Betrachtung der Daten auch deutliche Übereinstimmungen im Bereich der Bewegungssozialisation (und -erziehung) ausgemacht werden bzw. auf einer höheren Abstraktionsebene ho-

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mologe Strukturen herausgearbeitet werden. Diese stehen im Folgenden im Zentrum. Die geschlechtsbezogene Bewegungssozialisation und -erziehung ist in einem engen Zusammenhang mit den Kriterien Bildungsnähe bzw. Bildungsferne der Herkunftsfamilie, Einfluss der Mutter bzw. des Vaters, Sportivität des Elternhauses und Migrationshintergrund oder Herkunftsdeutsch zu sehen. Die genannten Kriterien sind untereinander verwoben und bilden damit jeweils unterschiedliche Konstellationen und Typiken. Im Folgenden wird jedoch auf die Untersuchungsergebnisse fokussiert, die sich als fallübergreifend für die Eltern1 erwiesen haben. Auf die für qualitative Forschung übliche Ausdifferenzierung von Mustern wird also an dieser Stelle zugunsten der Darstellung einiger weniger (im Sinne von Glaser & Strauss, 1993) »gesättigter« Befunde bewusst verzichtet. Auch wenn sich individuelle Unterschiede selbstredend bei allen Elternteilen zeigen und milieuspezifische Ausprägungen bzgl. der erzieherischen Umgangsweisen deutlich werden, zeigen sich im Kern im Hinblick der im Folgenden beschriebenen Muster klare Übereinstimmungen. Normativer Diskurs versus Handlungspraxis Gleichberechtigung der Geschlechter und Individualisierung stehen in dem elterlichen Diskurs über Erziehungsvorstellungen tendenziell hoch im Kurs. Auch wenn sich bildungsferne und bildungsnahe Eltern vielfach in der Ausrichtung und Ausdifferenzierung ihrer Erziehungsperspektiven unterscheiden, wird milieuübergreifend das Anliegen verdeutlicht, die Kinder unabhängig von ihrem Geschlecht in ihrer Persönlichkeitsentwicklung individuell fördern zu wollen. In Abhängigkeit von der elterlichen Sportivität wird Bewegung dabei ein besonderer Stellenwert zugesprochen. Die auf Egalität und Gleichbehandlung abzielenden Aussagen erweisen sich im Gesamtkontext jedoch eher als Rhetorik. So fällt bei den untersuchten Eltern ins Auge, dass sie rein äußerlich die Mädchen und Jungen (ab ca. vier Jahren) auf generalisierte Zuschreibungen hin klar typisierend ausstatten. Die zweigeschlechtliche Polarisierung zeigt sich im Rahmen der Ausstattung der Kinderzimmer, der Kleidung und der Spielsachen; sie erweist sich aber vor allem als dominant im Rahmen von geschlechtsspezifischen Applikationen, die das Kin-

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Im Kern gelten die herausgearbeiteten Muster auch für die untersuchten Erzieherinnen und Erzieher. Auch bei dieser Untersuchungsgruppe zeigte sich eine ähnliche Diskrepanz zwischen normativen Überzeugungen und Handlungspraktiken im Kontext Bewegung. Zudem zeichneten sich in Bezug auf natürliche Bewegungsbedürfnisse ähnlich duale Konstruktionen ab.

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dergartenkind auf Hausschuhen, Kindergartentaschen, Brotdosen, Getränkeflaschen u.v.m. tagtäglich begleiten und die genannten Utensilien damit als die von Jungen oder Mädchen ausweisen. Diese allgegenwärtige Symbolik ist für die Untersuchung einerseits von Bedeutung, insofern sie polarisierende körperliche Verhaltenserwartungen bei den Kindern aufruft bzw. Identifikationsangebote nahelegt. Bei Jungen sind dies derzeit – neben klassischen Motiven wie Fußball, Feuerwehr etc. – die als Markenzeichen geschützten und unter Lizenz auf zahlreichen (erschwinglichen) Produkten vertriebenen Figuren, wie Lightning McQueen (erfolgreicher Rennwagen) und Spider-Man (Actionheld), sowie Motive aus StarWars (Heldenepos), die jeweils Actionbereitschaft und Stärke, Raumexploration und Wettbewerbsbereitschaft, Technik und Angriff symbolisieren. Bei Mädchen dominieren im späten Kindergartenalter derzeit abgebildete Motive, wie Prinzessin Lillyfee (kleine Blütenfee), Hello Kitty (backende Katze), Filly (königliche, elfenartige Pferdchen bzw. Einhörner) etc., die in ihren prägenden Eigenschaften jeweils Harmonie, Ästhetik und Phantasie verkörpern. Über die Ausrichtung der geschlechtspolarisierenden Identitätsangebote hinaus ist die Symbolik für die Forschungsthematik andererseits relevant, insofern vor allem die Jungen im Kontext ihres Bewegungsverhaltens immer wieder darauf Bezug nehmen (vgl. Hunger, 2012, S. 159 ff.). Ferner hat sich auf der Basis der Interviewdaten und flankierenden Beobachtungen herauskristallisiert, dass die Eltern, die sich auf der Diskursebene der Gleichbehandlung verschreiben, bei alltäglichen Bewegungsaktivitäten den Kindern einschlägige Erfahrungsräume geschlechtsgebunden eröffnen. Insbesondere die Jungen, so haben die Daten gezeigt, werden über die Väter im Rahmen alltäglicher Bewegungssituationen (z. B. Bewegungsspiele im Freien, körperbezogene Interaktion zu Hause, Schwimmbadbesuche) mehr oder weniger subtil dazu ermuntert, Action zu machen, Räume zu erobern, Wettkämpfe auszutragen, Risiken einzugehen, Grenzen auszutesten u. Ä. Mit Mädchen wird zwar in ähnlichen Bewegungskontexten agiert, die mit ihnen gestalteten Bewegungssituationen haben jedoch in der Tendenz andere bzw. weitere sinnhafte bzw. qualitative Ausrichtungen. Von den Eltern beschriebene als auch im Forschungsprozess beobachtete Bewegungsaktivitäten deuten vielmehr darauf hin, dass Eltern auf die Bewegungsideen der Mädchen eingehen, indem sie sich beispielsweise auf ihr Bewegungstempo einlassen, sie ermuntern, ihre Bewegungsideen zu variieren, ohne jedoch den Anreiz zur Überbietung, zum Risiko oder der Bewegungsintensivierung explizit zu geben.

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Naturalisierung der Jungen versus Individualisierung der Mädchen Der Rhetorik der Gleichbehandlung und der Idee der Individualität steht also eine Praxis der Differenzierung der Geschlechter gegenüber, in der traditionelle geschlechts- und körperbezogene Vorstellungen noch weitgehend eingelagert sind (vgl. Wetterer, 2008b, S. 46). Als Widerspruch oder logische Inkonsistenz wird dieses von den Eltern jedoch nicht wahrgenommen. Im Gegenteil: Bei der Erläuterung oder Reflexion der Handlungspraxis werden die in den alltäglichen – auf Bewegung bezogenen – Handlungsroutinen eingelagerten alten Geschlechterbilder legitimiert und damit geradezu gefestigt. So wird darauf verwiesen, dass die Kinder diese Form der Bewegungsinszenierung selbst wollen oder entsprechende geschlechtspolarisierende Produkte wünschen bzw. einfordern (»Man muss das auch … ernst nehmen. … Die möchte das ja auch. Das muss man auch akzeptieren, wenn das Kind ...«2). Was zunächst als eine erzieherische Wertschätzung individueller kindlicher Ausdrucksformen bzw. Wünsche anmutet, erweist sich bei näherer Betrachtung als latente Überzeugung von der Dualität der Geschlechter: »Die [Jungen] müssen sich ja auch auspowern […] die wollen sich vergleichen […] müssen ihre Kräfte messen.« – »Jungs sind einfach so, das muss man einfach auch akzeptieren. Und es bringt auch nichts, alles gleich machen zu wollen.«

Genau an diesem Punkt zeigt sich eine subtile, kaum diskursfähige Form der Geschlechterunterscheidung. Jungen werden in Bezug auf ihre körperlichen Bewegungsbedürfnisse im Kern als biologisch determiniert wahrgenommen und in diesem Sinne als tendenziell raumgreifend, actionfreudig und kompetitiv konstruiert. Verhaltensmuster, die mit dem einschlägigen Bewegungsverhalten einhergehen (Dominanzstreben, Kräftevergleich etc.), werden damit gleichsam als natürlich männliches Verhalten deklariert. Alles in allem herrscht also im Rahmen der (eingangs erwähnten) familienbezogenen Kategorien eine klare Konturierung dessen, was von einem fünf- bis sechsjährigen Jungen im Bereich Bewegung erwartet wird, vor. Widerspricht ein Junge in diesem Alter dem gängigen Normenspektrum und wird sein Bewegungsverhalten eher den weiblich konnotierten Bewegungsmustern zugeordnet, so erfährt dieses andere Verhalten der Jungen besondere Aufmerksamkeit und vielfach eine durchaus defizitäre Schattierung. Zum einen antizipieren Eltern in

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Die in diesem Beitrag zur Illustration der Befunde verwendeten Zitate entstammen den Interviews mit den Eltern, Erzieherinnen oder Kindern.

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Folge des interpretierten normabweichenden Bewegungsverhaltens ihres Sohnes eine Stigmatisierung des Kindes durch seine Peers (spätestens in der Schule). Teilweise zeigt sich an dieser Stelle auch eine Sexualisierung der Körperlichkeit des Jungen, der gleichsam eine Heteronormativität eingelagert ist, sofern Eltern (vor allem die Väter) ihre Assoziation mit Homosexualität andeuten. Zum anderen wird das Verhalten dieser Jungen oftmals als zeitlich begrenzt deklariert, argumentativ relativiert und zum Objekt pädagogischer Interventions- und Fördermaßnahmen gemacht. Die Sorge um die richtige Entwicklung im Bereich Bewegung verweist dabei auf normative Vorstellungen von der Entwicklung des männlichen Geschlechts. Mädchen dagegen werden, so zeigte die Analyse der tiefer liegenden Sinn- und Bedeutungsschichten der Aussagen, im Bereich Bewegung als eher unspezifisch – quasi biologisch offen – ausgelegt. Dort, wo Jungen Hormone, Triebe, Anlagen etc. unterstellt werden, bleibt bei der Beschreibung der Mädchen eine Leerstelle bzw. wird eine biologische Offenheit angenommen. Mädchen haben – anders als Jungen – aus Sicht der untersuchten Erwachsenen also keine besonderen an das Geschlecht gebundenen biologischen Bedürfnisse bzw. Anlagen. Es existiert zwar auch für das (Bewegungs-)Verhalten von Mädchen eine verinnerlichte Typik, an der Abweichungen festgemacht werden, alles in allem zeigt sich für die Eltern anhand des beobachteten Bewegungsverhaltens ihrer Tochter jedoch jeweils ihre ganz individuelle Persönlichkeit bzw. ihr eigener Typ. »Ich war auch nicht so’n Mädchen […] Also die klettert total gern, die würd’ auch auf jeden Baum gehen, die spielt aber auch mit Puppen, die macht alles eigentlich. Die kannste nicht in ´ne Schublade stecken.«

Bewegungsverhalten, das als wild oder draufgängerisch (und vielfach vom Typischen abweichend) interpretiert wird, erfährt dabei in der Regel durch die Eltern positive Konnotierung, unter anderem da es mit der Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts in Verbindung gebracht wird. Auch bewegungsunsicheres oder ängstliches Verhalten wird bei Mädchen weitgehend akzeptiert, ohne dass explizit ein Entwicklungsdefizit assoziiert wird. Insofern Mädchen als biologisch unspezifisch deklariert werden, ist eine entsprechende Bandbreite an beobachtbarem Bewegungsverhalten also prinzipiell normal. Untersuchungsbereich Kinder Im Rahmen der (bisherigen) Beobachtungsverfahren konnten bei Jungen und Mädchen bis zum Alter von ca. vier Jahren kaum gravierende Unterschiede im Bewegungsverhalten von Jungen und Mädchen herausgearbeitet werden. Mäd-

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chen und Jungen spielen weitgehend gemischtgeschlechtlich und beziehen sich im Bewegungsspiel auf ein ähnliches symbolisches Repertoire. Ab einem Alter von ca. vier Jahren vollzieht sich jedoch eine Änderung in der Bewegungsinszenierung von Jungen und Mädchen. Bei Jungen findet vielfach eine Dynamisierung ihrer geschlechtsbezogenen Inszenierung statt, die mit Raumexploration, Lautstärke, kämpferischen Elementen sowie mit Gesten des körperlich imponieren und dominieren Wollens einhergeht. Auffällig erscheint im Bewegungsverhalten der Jungen der regelmäßige, mehr oder weniger explizite Bezug zu der weiter oben angesprochenen geschlechtsspezifischen Symbolik. Das heißt, in einschlägigen Bewegungsspielen nehmen die Jungen mehr oder weniger explizit Bezug auf die in ihrem Lebensalltag präsenten Figuren: Sie springen (vermeintlich) wie Spiderman, sie versuchen schnell und actionbereit zu sein wie Polizei oder Feuerwehr, inszenieren sich in dominierenden Posen von Piraten oder anderen virtuellen Angreifern und üben gleichsam die entsprechenden Bewegungsmuster ein. Mädchen nehmen sich dagegen – nach unseren Beobachtungen im Kindergarten – vielfach und zunehmend im intensiven Bewegungsverhalten zurück: Das im vierten Lebensjahr noch zu beobachtende wilde Toben in gemischtgeschlechtlichen Gruppen nimmt ab und geht vielfach zu einem kommunikativ abgestimmten Bewegen in (vorwiegend geschlechtshomogenen) Zweier- oder Dreiergruppen über. Im Kindergarten ziehen sich die älteren Mädchen zur Ausübung oder Einübung von Bewegungsverhalten vielfach in Nischen zurück, während die älteren Jungen zunehmend die offiziellen (Bewegungs-)Plätze einnehmen. Auf ihre Symbolik nehmen die Mädchen in Bewegungssituationen vergleichsweise wenig Rekurs, was m. E. auf die geringe Bewegungsintensität, die ihre Bezugssymbolik ausstrahlt, zurückzuführen ist. Das heißt, insofern Hello Kitty keine Raubkatze ist, sondern als harmonisierendes Kätzchen gilt, Prinzessinnen oder Fillys keine Actionfiguren darstellen, sind diese im Bewegungsspiel der Mädchen wenig präsent.

Z UR H ANDLUNGSORIENTIERUNG DER DUALEN P OLARISIERUNG IM K ONTEXT B EWEGUNG Anhand der Interviewdaten lässt sich zudem rekonstruieren, dass sich bei Jungen und Mädchen mit zunehmendem Alter ein Wandel ihrer verinnerlichten sozialen Anerkennungshierarchie vollzieht. Existiert bei beiden Geschlechtern bis zu einem bestimmten Lebensjahr (ca. vier Jahre) eine Anerkennungshierarchie, die sich am höheren Lebensalter der anderen Kinder orientiert (nach dem Motto‚ die

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Jüngeren bewundern die Älteren wegen ihres allgemeinen Könnens), so verändert sich diese Anerkennungshierarchie (zu einem bestimmten Zeitpunkt und für Außenstehende mehr oder weniger plötzlich) zu einer hierarchischen Wertschätzung der Geschlechtsunterschiede zugunsten der Jungen im Bereich Motorik. Die (älteren) Jungen verweisen nun mit Nachdruck darauf, dass sie im Gegensatz zum weiblichen Geschlecht viel stärker, schneller und mutiger seien, dass sie besser kämpfen, weiter springen etc. können. Die Mädchen rufen dieses einschlägige Paradigma, in dem Jungen – qua Geschlecht – in weiten Teilen höhere Bewegungsqualitäten zugewiesen werden als ihnen selbst, in ähnlicher Form auf (»Das können wir Mädchen nicht so gut. Das können eher die Jungen«). Auch wenn sowohl Jungen als auch Mädchen diverse Ausnahmen von diesem als typisch Interpretierten benennen können (»der Malte ist nicht so mutig«; »Ich kann schneller laufen als die Jungen«), gilt die zweigeschlechtliche Polarisierung für die Kinder offensichtlich als orientierende Struktur. Selbst wenn Mädchen, wie beobachtet wurde, ein weitaus höheres Bewegungskönnen zeigen als die gleichaltrigen Jungen ihrer Gruppe, ordnen sich diese Mädchen vielfach der verinnerlichten Hierarchie unter bzw. deklarieren sich als Ausnahme von der Regel. Die verinnerlichten Zuschreibungen, was typisch Junge und typisch Mädchen ist, haben für die Kinder in dem untersuchten Handlungsfeld gleichsam bewegungsorientierende Wirkung. Es zeigt sich, dass ausgewählte Bewegungsmuster auf der Basis einer geschlechtsbezogenen freiwilligen Selbstbeschränkung bzw. in Übereinstimmung mit ihrer Geschlechtsidentität (»Ich darf ja nicht kloppen. … Weil Mädchen kloppen sich nicht!«; »Tanzen ist doch nur was für Mädchen.«) oder auch im Rekurs auf antizipierte geschlechtsbezogene mangelnde Fähigkeiten (»Den Baumstamm können nur die großen Jungen schleppen!«) vielfach nicht ausgeübt werden. Mit zunehmender Bewusstheit über die eigene soziale Geschlechtszugehörigkeit suchen sich die Kinder also (auch) zu ihrem Geschlecht sozial passende Bewegungsaktivitäten, schulen damit ausgewählte Verhaltensmerkmale (z. B. Durchsetzungsfähigkeit, Kreativität), motorische Fähigkeiten etc. und üben sich in spezifischen körperbezogenen Interaktionsstilen.

F AZIT Während der normative Diskurs über kindliche Individualität offensichtlich breiten Konsens unter Eltern gefunden hat, stabilisiert sich auf der Handlungsebene im Bereich der frühkindlichen Bewegung unbemerkt eine elterliche Praxis, in

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der traditionelle Geschlechterbilder noch weitgehend eingebunden sind. Diskursfähig sind diese Geschlechterbilder, diese inkorporierten Wissensmuster, jedoch vielfach nicht. Sie stellen vielmehr ein unbeachtetes Bezugsraster in der Alltagspraxis dar und werden überdeckt durch die geläufige Rede über die Gleichbehandlung der Geschlechter. Geraten entsprechende Teile dieses Wissens dennoch kurzfristig in den Bereich bewusster Reflexion, so stehen sie weniger zur Disposition, sondern werden durch tendenziell naturalistische Überlegungen bzw. Überzeugungen geradezu legitimiert. Alles in allem verweisen die Ergebnisse klar darauf, dass Mädchen und Jungen bereits in früher Kindheit im Bereich Bewegung unterschiedliche Lern- und Erfahrungsgelegenheiten geschlechtsgebunden eröffnet werden und die Kinder die Angebote und Erlebnisse einschlägig in ihrem geschlechtsbezogenen Selbstverständnis bilanzieren. Die öffentlichen geschlechtsstereotypen Bewegungsinszenierungen der Kinder bestärken wiederum das erzieherische Umfeld in der Annahme, dass sich im Kontext von Bewegung Mädchen und Jungen jeweils unterschiedlich entwickeln. Es kommt also in dieser Altersphase zu einer gegenseitigen Stabilisierung der geschlechtsbezogenen Verhaltenserwartungen. Zwar machen die Daten insgesamt milieuspezifische Ausprägungen hinsichtlich der erzieherischen Umgangsweisen deutlich. Unter dem Strich erweisen sich die Bereiche Körper und Bewegung jedoch als milieuübergreifender Anker für die Verfestigung geschlechtsbezogener Ungleichheiten.

F ORSCHUNGSAUSBLICK Um die vorliegenden Erkenntnisse weiter auszudifferenzieren, startet 2015 – am Institut für Sportwissenschaften Göttingen angesiedelt – eine vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur geförderte Verbundforschung (Förderprogramm: »Geschlecht – Macht – Wissen«). Die Verbundforschung setzt an der geschlechtsbezogenen Körper- und Bewegungssozialisation von Kindern im Grundschulalter an und hat zum Ziel, die bei Kindern und Eltern verinnerlichten geschlechtsbezogenen Normalitätsvorstellungen im Kontext von Bewegung und Körper zu explorieren und die sozialen Praktiken zu analysieren, im Rahmen derer typischerweise körper- und bewegungsbezogene Differenzen vorstrukturiert, ausdifferenziert oder gefestigt werden. Sie berücksichtigt dabei systematisch ausgewählte soziale Subjektpositionen, wie die soziale Herkunft und den ethnisch-kulturellen Hintergrund, und nimmt die zum Teil komplexen Interdependenzen, die zwischen diesen Merkmalen und dem Geschlecht bestehen, auf der Basis qualitativ und quantitativ messender Verfahren in den Blick. Die Teilprojekte fokussieren explizit auf Familien bzw. Kinder mit verschiede-

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nen sozialen und ethnisch-kulturellen Hintergründen und eröffnen damit Möglichkeiten, die Verflechtung der verschiedenen Differenz- bzw. Diversitätskategorien und die damit einhergehende Reproduktion von Hierarchien, Benachteiligungen und Machtunterschieden zu rekonstruieren.

L ITERATUR Alldred, P. (1998). Ethnography and Discourse Analysis. Dilemmas in Representing the Voices of Children. In Ribbens, J. & Edwards, R. (Hrsg.), Feminist Dilemmas in Qualitative Research. Public Knowledge and Private Lives (S. 147-170). London: Sage. Berger, L.B. & Luckmann, T. (1993). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt a. M.: Fischer. Bilden, H. (1991). Geschlechtsspezifische Sozialisation. In Hurrelmann, K. & Ulich, D. (Hrsg.), Neues Handbuch der Sozialisationsforschung (S. 279301). Weinheim: Beltz. Blumer, H. (1973). Der methodologische Standort des symbolischen Interaktionismus. In Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. 1. Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie (S. 80-146). Reinbek: Rowohlt. Bohnsack, R. (2009). Qualitative Bild- und Videointerpretation. Opladen: Barbara Budrich. Breuer, F. (2009). Reflexive Grounded Theory. Eine Einführung für die Forschungspraxis. Wiesbaden: VS Verlag. Fischer, K. (2010). Die Bedeutung der Bewegung für die Bildung und Entwicklung im (frühen) Kindesalter. In Schäfer, G.E. Staege, R. & Meiners, K. (Hrsg.), Kinderwelten – Bildungswelten. Unterwegs zur Frühpädagogik (S. 117-131). Berlin: Cornelsen Scriptor. Gieß-Stüber, P. (1999). Kinder als Subjekte in einer zweigeschlechtlich strukturierten Lebenswelt. Brennpunkte der Sportwissenschaft, 20, 167-182. Glaser, B.G. & Strauss, A.L. (1993). Die Entdeckung gegenstandsbezogener Theorie. Eine Grundstrategie qualitativer Sozialforschung. In Hopf, C. & Weingarten, E. (Hrsg.), Qualitative Sozialforschung (S. 91-111). Stuttgart: Klett-Cotta. Hagemann-White, C. (1984). Sozialisation: Weiblich – männlich? Opladen: Leske + Budrich. Hunger, I. (2011). Empirische Annäherung an die frühkindliche Bewegungswelt unter dem Aspekt »Gender«. In Bindel, T. (Hrsg.), Feldforschung und eth-

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nographische Zugänge in der Sportpädagogik. Forum Sportpädagogik. Band 2 (S. 89-103). Aachen: Shaker. Hunger, I. (2012). Bewegungssozialisation von Jungen und Mädchen in der frühen Kindheit. In Hunger, I. & Zimmer, R. (Hrsg.), Frühe Kindheit in Bewegung. Entwicklungspotenziale nutzen (S. 149-164). Schorndorf: Hofmann. Kelle, H. & Breidenstein, G. (1996). Kinder als Akteure. Ethnographische Ansätze in der Kindheitsforschung. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation,16 (1), 47-67. Lippitz, W. (1999). Aspekte einer phänomenologisch orientierten pädagogischanthropologischen Erforschung von Kindern. Anmerkungen zur aktuellen These der Kindheitsforschung: Das Kind als sozialer Akteur. Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Pädagogik,75 (2), 238-247. Lüders, C. & Meuser, M. (1997). Deutungsmusteranalyse. In Hitzler, R. & Honer, A. (Hrsg.), Sozialwissenschaftliche Hermeneutik. Eine Einführung (S.57-79). Opladen: Leske + Budrich. Matthes, J. & Schütze, F. (1973). Zur Einführung: Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. In Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit. Bd. 1. Symbolischer Interaktionismus und Ethnomethodologie (S. 11-53). Reinbek: Rowohlt. Rosenthal, G. & Witte, N. (2007). Biographische Fallrekonstruktionen und Sequenzanalysen videographierter Interaktionen. Zur Verknüpfung von Daten und Methoden. Sozialer Sinn, 8 (1), 3-24. Schmidt, W. (1998). Sportpädagogik des Kindesalters. Hamburg: Czwalina Verlag. Soeffner, H.-G. (1989). Auslegung des Alltags – Der Alltag der Auslegung. Zur wissenssoziologischen Konzeption einer sozialwissenschaftlichen Hermeneutik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Soeffner, H.-G. & Hitzler, R. (1994). Qualitatives Vorgehen – »Interpretation«. In Herrmann, T. & Tack, W.H. (Hrsg.), Methodologische Grundlagen der Psychologie (S. 98-136). Göttingen: Hogrefe. Vogel, U. (2005). Was ist weiblich – was ist männlich? Aktuelles zur Geschlechterforschung in den Sozialwissenschaften. Bielefeld: Kleine. Wetterer, A. (2008a). Geschlechterwissen: Zur Geschichte eines neuen Begriffs. In Wetterer, A. (Hrsg.), Geschlechterwissen und soziale Praxis. Theoretische Zugänge – empirische Erträge (S. 13-36). Königstein/Taunus: Ulrike Helmer Verlag. Wetterer, A. (2008b). Geschlechterwissen und soziale Praxis: Grundzüge einer wissenssoziologischen Typologie des Geschlechterwissens. In Wetterer, A.

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ErlebnisRAUMerfahrung Räume mit Bewegung, Spiel und Sport erschließen C LEMENS T ÖPFER , S EBASTIAN L IEBL & R ALF S YGUSCH

S PORT : B ÜNDNISSE ! B EWEGUNG – B ILDUNG – T EILHABE Gemäß dem 14. Kinder- und Jugendbericht stellt »die Befähigung junger Menschen zur gesellschaftlichen Teilhabe durch die Förderung ihrer Entwicklung zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten« ein zentrales Bildungsziel zur Eröffnung individueller Lebenschancen für junge Menschen dar (BMFSFJ, 2013, S. 77). Die Chancengleichheit zur gesellschaftlichen Teilhabe ist jedoch für verschiedene Bevölkerungsgruppen nicht gewährleistet (ebd.). Kinder und Jugendliche gelten unter anderem dann als bildungsbenachteiligt, wenn sie sich beispielsweise aus unterschiedlichsten Gründen bestimmte Orte und Sozialräume der Gesellschaft nicht erschließen können. Vor diesem Hintergrund wurde das übergreifende BMBF-Förderprogramm »Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung« initiiert. In diesem Rahmen wird das Programm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« der Deutschen Sportjugend unterstützt. Zentrales Anliegen des Programms ist es, Kindern und Jugendlichen individuelle und strukturelle Möglichkeiten von Bildung und Teilhabe in der Gesellschaft zu eröffnen. In erster Linie geht es darum, bildungsbenachteiligte junge Menschen (im Alter von drei bis 18 Jahren) in ihrer Teilhabe am kulturellen, öffentlichen, sozialen und sportlichen Leben zu unterstützen und partizipative und stärkenorientierte Bildungschancen zu schaffen. Bewegung, Spiel und Sport können hier u.a. als Medium der Raumaneignung von Nutzen sein. »Durch das Medium Sport sollen junge Menschen dazu angeregt werden, sich mit ihrem sozialen Umfeld und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auseinanderzusetzen und sich am kulturellen und gesellschaftlichen Leben stärker zu beteiligen.« (BMBF, 2015)

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Wie können Bewegung, Spiel und Sport konkret zur sozialen und sportlichen Teilhabe sowie zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen? Das Förderprogramm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« der Deutschen Sportjugend unterteilt sich in zwei Module: (1) Sport.ART – Kinder- und Jugendsportshow und (2) ErlebnisRAUMerfahrung. Bei dem Modul Sport.ART – Kinder- und Jugendsportshow geht es um die Entwicklung und Umsetzung sportartübergreifender Aufführungsprojekte. Im Modul ErlebnisRAUMerfahrung können Kinder und Jugendliche unterschiedliche Lebensräume über verschiedenste Formen von Bewegung, Spiel und Sport erschließen und gestalten. Um ein Sport: Bündnis! zu bilden, müssen sich drei lokale Akteure (z. B. ein Sportverein, eine Einrichtung der Jugendsozialarbeit und eine Schule) als Partner zusammenfinden. Gemeinsam organisieren sie eine Maßnahme, die im Wochenend-, Ferienfreizeitoder Kursformat konzipiert sein kann. Im vorliegenden Beitrag wird ein Rahmenkonzept zur ErlebnisRAUMerfahrung erläutert (Töpfer, Liebl & Sygusch, i. Dr.). Hierfür werden im ersten Teil die theoretischen Ausgangspunkte des Konzepts umrissen, um anschließend im zweiten Teil das Konzept mit seinen Kernzielen und methodischen Gestaltungsmöglichkeiten zu vermitteln.

E RLEBNIS RAUM ERFAHRUNG – THEORETISCHE AUSGANGSPUNKTE Bei ErlebnisRAUMerfahrung geht es darum, mit Bewegung, Spiel und Sport das Lebensumfeld und Lebensräume zu erkunden. Dabei wird davon ausgegangen, dass Bewegungsabenteuer in der Stadt, in der Natur oder in den Sportstätten aktivierende Impulse auslösen können, um das eigene Leben in die Hand zu nehmen und bewusster zu erfahren. Sie können die Augen öffnen für das eigene Wohnumfeld, den eigenen Stadtteil und für neue Sozialräume. Mit Bewegung, Spiel und Sport den Raum zu erkunden kann heißen: Orte einzubinden, an denen ich noch nie war, an denen ich schon immer vorbeigelaufen bin oder die ich selbstverständlich (aber vielleicht unbewusst) nutze. Die Aneignung von Räumen kann demnach sehr vielfältig stattfinden.

E RLEBNISRAUM ERFAHRUNG

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Das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung hat zum Ziel, über die Förderung sportund bewegungsbezogener sowie alltagsbezogener Raumaneignung zur sozialen Teilhabe bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher beizutragen. Im Mittelpunkt steht dabei die Stärkung von psychosozialen Ressourcen, die zum einen in der Raumaneignung entwickelt werden und zum anderen zur weiteren Raumaneignung erforderlich sind. Zur Umsetzung des oben genannten Hauptziels werden für ErlebnisRAUMerfahrung die folgenden konzeptionellen Ausgangspunkte genutzt: (1) Erlebnis und Erfahrung, (2) Räume und Raumaneignung und (3) das Rahmenkonzept »Persönlichkeits- und Teamentwicklung im Kinder- und Jugendsport« (Abb. 1) (dsj, 2005; Sygusch, 2007). Abb. 1: Theoretische Zugänge und Konzepte für ErlebnisRAUMerfahrung

Erlebnis und Erfahrung »Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor physische, psychische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.« (Michl, 2009, S. 11)

Ein Erlebnis ist etwas Unerwartetes und häufig die Alltäglichkeit Durchbrechendes. »Erlebnisse werden gleichzeitig mit verschiedenen Sinnen wahrgenommen. Absichtsvoll eingesetzt und reflektiert kann das Erlebnis in pädagogischen Programmen als Grund- und Ausgangslage für Lernen genutzt werden.« (Senninger, 2000, S. 8) Inwiefern ein Ereignis als Erlebnis wahrgenommen wird, hängt maßgeblich von den individuellen Vorerfahrungen der Teilnehmenden ab. Die Begriffe Ereignis, Erlebnis, Erfahrung und Erkenntnis sind kausal miteinander ver-

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knüpft (Michl, 2009). Mit Hilfe der sogenannten E-Kette kann dies veranschaulicht werden. Ereignisse und Erlebnisse sind häufig eng verbunden mit motorischen, psychischen und sozialen Herausforderungen. Durch die Auseinandersetzung mit herausfordernden Aufgaben (zum Beispiel das Abseilen von einem Fels) können Lernprozesse angestoßen werden. Damit aus Erlebnissen bildungsrelevante Erfahrungen werden, ist es wichtig, das Erlebte aufzugreifen und zu thematisieren. Selbst- und sozialbezogene Erfahrungen im Handeln dienen dabei als Quelle einerseits zum Aufbau von Erkenntnissen über das eigene Handeln und andererseits zur Stärkung eigener psychischer und sozialer Ressourcen. Maßnahmen werden insgesamt erst dann als erlebnispädagogisch verstanden, »wenn nachhaltig versucht wird, die Erlebnisse durch Reflexion und Transfer pädagogisch nutzbar zu machen. Klettern, Schlauchbootfahren oder Segeln sind Natursportarten, die viel Freude und Sinn vermitteln. Sie bleiben aber lediglich eine Freizeitbeschäftigung, wenn sie um ihrer selbst willen durchgeführt werden.« (Michl, 2009, S. 10) Unter welchen Umständen Lernprozesse, wie sie in der E-Kette skizziert sind, ermöglicht werden, kann mit Hilfe des sogenannten Lernzonenmodells verdeutlicht werden (Luckner & Nadler, 1997; Michl, 2009; Scholz, 2005). Das Modell wird an dieser Stelle aufgeführt, da es sich in der erlebnispädagogischen Theorie und Praxis als hilfreiches Instrument zur Verbildlichung des Lernens in Wagnis- und Abenteuersituationen anhand von drei Zonen erwiesen hat. •





Die innere Zone, die Komfortzone, steht für das Alltägliche, worin das Individuum keinen außergewöhnlichen Herausforderungen ausgesetzt ist. Sie kennzeichnet sich durch Sicherheit, Geborgenheit, Ordnung, Bequemlichkeit, Entspannung, Genuss. Lernen findet nicht statt. Die mittlere Zone, die Lernzone (auch Wachstumszone), ist durch Herausforderungen gekennzeichnet, die sich vom Alltäglichen abheben. Diese Zone charakterisiert sich durch Abenteuer, Unbekanntes, Unsicherheit, Probleme, Herausforderungen und Risiko. Durch Aufgabenstellungen mit der Nähe zum Grenzerleben und eine adäquate Begleitung werden Lernprozesse angestoßen. Bestehendes wird in Frage gestellt, erweitert oder modifiziert. Die äußere Zone, die Panikzone, kennzeichnet sich durch Überforderung, die eine Blockade beim Lernenden auslöst. Das Individuum empfindet die Situation als Notfall; es droht die subjektive und objektive Gefahr von Unfall und Verletzung. Die Angst in der Panikzone macht Lernen unmöglich.

Das Lernzonenmodell bietet Hinweise zur methodischen Gestaltung von Aufgaben zur sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung. Zum einen

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verdeutlicht es bildlich den Prozess von Raumaneignung. Erst wenn Kinder und Jugendliche ihre Komfortzone – also vertraute Räume – verlassen oder in ihrem bekannten Umfeld auf neue Weise gefordert werden, kann Raumaneignung geschehen (Lernzone). Diese kann zum Verschieben von Grenzen beitragen und auf diese Weise zur Ausweitung der Komfortzone führen. Zum anderen hebt das Modell das Prinzip der optimalen Passung hervor. Aktionsformen müssen für die Gruppe und für das Individuum so ausgewählt und gestaltet sein, dass diese einerseits herausfordernd (Lernzone), aber andererseits nicht überfordernd (Panikzone) gestaltet sind. Räume und Raumaneignung Räume und Raumaneignung sind vielfältig: Zum einen geht es um das Erkunden von bekannten Orten aus neuer Perspektive (beispielsweise im Le Parkour in der Fußgängerzone) und von unbekannten Orten (zum Beispiel ein Fußballspiel in einem fremden Stadtteil). Zum anderen geht es in der Aneignung von Räumen um das Gestalten von Räumen, indem zum Beispiel ein Skatepark erbaut wird. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist das zugrundeliegende Verständnis von Sozialraum. Als Sozialraum werden »der gesellschaftliche Raum und der menschliche Handlungsraum bezeichnet, das heißt, der von den handelnden Akteuren (Subjekten) konstituierte Raum und nicht nur der verdinglichte Ort (Objekte)« (Kessl & Reutlinger, 2013, S. 23). (Sozial-)Räume sind also nicht nur absolute, dreidimensionale Behälter oder Räume im Sinne von Orten wie Schulen, Sport- oder Spielplätzen. Räume werden vielmehr vom Subjekt erlebt, interpretiert, ausgedacht und gestaltet. Ein und derselbe Ort, zum Beispiel der Schulhof, kann subjektiv betrachtet, bei Kindern und Jugendlichen ganz unterschiedliche Bedeutungen tragen und Emotionen hervorrufen. Raumaneignung geschieht in der eigentätigen Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt. Die von der Umwelt vorgegebenen Situationen und Arrangements werden dabei verändert, erweiterte Verhaltensrepertoires und erworbene Fähigkeiten werden in neuen Situationen erprobt (vgl. Deinet, 2013). Raumaneignung bedeutet, dass Kinder und Jugendliche selbst Räume gestalten und den individuellen Handlungsspielraum ausweiten. In diesem Sinne geht es auch um das Schaffen von Räumen – das sogenannte Spacing (vgl. Löw, 2001). »Wer sich bewegt, braucht nicht nur Raum; indem er sich bewegt, schafft er sich Raum. Der einmal vom Menschen durch Bewegung angeeignete und erschlossene Raum gewinnt eine spezifische Struktur, die auf die Bewegung zurückwirkt.« (Dietrich, 1992, S. 17 zit. nach Derecik, 2011, S. 48)

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Mit der Aneignung und Erschließung eines Raumes kann dieser gleichzeitig zur Quelle und zum Gegenstand eigenen Handelns werden (vgl. Bilstein, 2013). Die handelnde Auseinandersetzung des Individuums mit dem Raum und die Reflexion darüber machen den Raum neben Übungsleiterinnen und Übungsleitern und Gruppe zum »dritten Pädagogen« (Kahl, 2009; vgl. Bilstein, 2013). Räume, die Kindern und Jugendlichen bekannt und vertraut sind, geben ihnen das Gefühl sozial eingebunden zu sein. In ihnen erleben sie ihr Handeln als wirksam. Solche Räume können beispielsweise der Fußballverein, der »Hausfels« des Kletterers oder auch das vertraute Stadtviertel sein. Die Diskussion um Raumaneignung und Sozialräume weist dabei vielfältige Bezüge zur Abenteuer- und Erlebnispädagogik auf (vgl. Schirp, 2013). Erlebnispädagogisch konzipierte »körperbetonte auf Wagnis und Risiko bezogene Projekte bieten bewusst und gezielt Räume, die Erfahrungen möglich machen, die in dieser Weise in anderen Lebensbereichen nur schwer zugänglich sind. Hier entwickeln erlebnispädagogische Projekte ein besonderes Curriculum nicht-schulischer Lernprozesse.« (Deinet, 2005, S. 62)

Erlebnispädagogische Ansätze erscheinen insofern passend, als dass sie eine Brücke zwischen pädagogisch inszenierten Räumen und der alterstypischen Wagnis- und Risikobereitschaft schlagen und auf diese Weise Bildungsmöglichkeiten eröffnen, die von den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen ausgehen. Ähnliches gilt für sportliche Bildungsangebote in der offenen Jugendsozialarbeit. Hier wird seit Langem die intensive Verknüpfung von Sport und Raum genutzt (zum Beispiel bei Straßenfußballturnieren oder Projekten mit Skateparks) (vgl. Barde, 2013; Deinet, 2004). Raumaneignung kann offenbar nicht nur auf unterschiedliche Weise, d.h. bewegungsbezogen, sportbezogen und alltagsbezogen stattfinden, sondern sich auch auf verschiedene Räume konzentrieren. Um die vorhandenen Räume gemäß ihrer speziellen Merkmale zu strukturieren, kann eine Unterscheidung in naturnahe Räume, stadtnahe Räume und Sportstätten vorgenommen werden: Naturnahe Räume umfassen nicht nur nahezu ursprüngliche Formen der Natur (z. B. Urwälder), sondern auch Orte wie ein Stadtpark oder Stadtwald, die nahe der Zivilisation gelegen sind und von ihr geprägt werden. Die Natur gilt als prototypischer Raum für erlebnispädagogische Maßnahmen. Der Wirkungsansatz basiert auf der Annahme: »The Mountains speak for themselves« – »Die Berge sprechen für sich selbst«. Seit den Ursprüngen der pädagogischen Nutzung von naturnahen Räumen sind die Natursportarten weitgehend dieselben ge-

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blieben. In dem Aufbruch junger Menschen in das eigenverantwortliche Leben1, klettern Kinder und Jugendliche auf Berge und Felsen, gehen Wandern, fahren Kanu, segeln auf Booten oder unternehmen Skitouren. Gemeinsam ist all diesen Natursportarten, dass der Mensch eine Herausforderung zu bewältigen sucht oder/und in der Natur Abstand zur Stadt findet. Es wird davon ausgegangen, dass der »Weg in die Natur und die Wälder immer auch ein Weg ins eigene Selbst« ist (Michl, 2009, S. 23). Stadtnahe Räume umfassen jegliche Formen sowohl städtischer als auch dörflich bebauter, zivilisierter Räume. Stadtnahe Räume sind wesentliche Betätigungsfelder der sozialen Arbeit im Umgang mit Kindern und Jugendlichen. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich auch die Erlebnispädagogik zunehmend jener stadtnahen Räume zugewandt. Während ursprünglich eine Stadtflucht und gleichzeitige Naturnähe erstrebenswert war, entwickelte sich in den 1980er Jahren der sogenannte City-Bound-Ansatz (vgl. Deubzer & Feige, 2004). Ähnlich wie Outward Bound folgt auch City Bound einem handlungs- und erfahrungsorientiertem Ansatz – mit dem Unterschied, dass im City Bound das Lernfeld der Kinder und Jugendlichen meist auch deren Lebenswelt entspricht. Mit dieser Alltagsnähe kann unmittelbar an der eigentlichen Erfahrungswelt angeknüpft werden. Im Erleben sollen Kinder und Jugendliche ihre Lebenswelten, sowohl territorial als auch sozial, neu entdecken und erweitern. Über die Bewältigung unterschiedlicher Aufgaben im stadtnahen Umfeld soll dieser Ansatz einen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen leisten (vgl. Deubzer & Feige, 2004; Heckmair & Michl, 2012). Sportstätten nehmen mit Blick auf eine sport- und bewegungsbezogene Teilhabe eine besondere Rolle ein. Zum einen stehen Sportstätten in der Regel für einen mehr oder weniger abgeschlossenen und isolierten Raum (zum Beispiel Turnhalle oder Sportplatz). Zum anderen ist jede dieser Sportstätten gewissermaßen gleichzeitig entweder im stadt- oder naturnahen Raum verortet. Schaut man zunächst auf den organisierten Sport, so findet der Großteil aller Sportarten an verhältnismäßig normierten Sportstätten statt, welche wiederum eingebunden sind in städtische Räume. Am Beispiel Fußball wird jedoch gleichermaßen deutlich, dass das sportliche Handeln von Kindern und Jugendlichen nicht auf Sportstätten beschränkt ist, sondern auch auf der Wiese vor der Haustür stattfindet. Es wird erkennbar, dass bestimmte Sportarten zwar zunächst bestimmten Sportstätten zugeordnet werden können (z. B. das Golfspielen auf dem Golfplatz), jedoch

1

Der »Aufbruch junger Menschen in das eigenverantwortliche Leben« wurde in der Erlebnispädagogik durch den Begriff Outward Bound geprägt (aus der Sprache des Segelns): Aufbruch aus dem Hafen in die offene See.

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nicht – wie das Beispiel Crossgolf zeigt – auf diese Sportstätte festgelegt sind. Ähnliches gilt für Erlebnissportarten. Sie sind in der Regel originär naturräumliche Sportarten, welchen im Gegensatz zu den großen Spielsportarten, keine normierten Sportstätten zugrunde liegen. Eine solch klare Zuordnung von Sportarten (wie z. B. Klettern) zum naturnahen Raum lässt sich jedoch nicht mehr so einfach vornehmen. Klettern beispielweise ist längst ein urbaner Erlebnissport geworden, der nicht nur in Kletterhallen, sondern beispielsweise auch an Brückenpfeilern oder in alten Industriebrachen ausgeübt wird. Die Grenzen zwischen Sportstätten sowie stadt- und naturnahen Räumen sind scheinbar fließend. Persönlichkeits- und Teamentwicklung in Sport und Bewegung Neben den bereits vorgestellten Ausgangspunkten orientiert sich ErlebnisRAUMerfahrung auch am Rahmenkonzept Persönlichkeits- und Teamentwicklung im Kinder- und Jugendsport (dsj, 2005; vgl. auch Sygusch, 2007). Dieses Rahmenkonzept geht von folgender Grundidee aus: Bewegung, Spiel und Sport stellen Anforderungen, zu deren Bewältigung neben motorischen auch psychosoziale Fähigkeiten notwendig sind: Kooperationsfähigkeit beim Üben und Wettkämpfen, mannschaftliche Geschlossenheit, das Gefühl dazu zu gehören, sportliches Selbstbewusstsein, der Glaube an die eigene Leistung usw. Diese sowie weitere sportnahe psychosoziale Ressourcen gelten als Faktor sportlicher Handlungsfähigkeit. Auf diese Weise leistet die Förderung psychosozialer Ressourcen einen Beitrag zur Entwicklung sportlicher Handlungsfähigkeit (Bildung im Sport). Die Entwicklung übersportlicher genereller Ressourcen – also allgemeine Persönlichkeitsentwicklung – erschließt sich über die Vernetzung mit anderen bereichsspezifischen Ressourcen (z. B. in der Musik, in der Schule). In diesem Sinne leistet Kinder- und Jugendsport mit einer gezielten Förderung sportnaher Ressourcen auch einen Beitrag zur allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung (Bildung durch Sport). Zusammengefasst: Eine systematische Persönlichkeitsentwicklung – die Förderung psychosozialer Ressourcen in und durch Bewegung, Spiel und Sport – setzt an sportnahen Ressourcen an, die zur Bewältigung der jeweiligen Anforderungen in Bewegung, Spiel und Sport bedeutsam sind. Angelehnt an diese Grundidee werden im Rahmenkonzept (vgl. dsj, 2005) psychosoziale Ressourcen ausgewählt (WAS soll gefördert werden?), Kernziele (WOHIN soll gefördert werden?) begründet und Methoden (WIE soll gefördert werden?) abgeleitet.

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WAS soll gefördert werden? – Auswahl psychosozialer Ressourcen: Die Auswahl erfolgt aus drei Perspektiven: Aus sportwissenschaftlicher Sicht (u. a. Kinder- und Jugendforschung), aus Sicht verschiedener Anspruchsgruppen (u. a. im Sport Handelnde) und aus Sicht der jeweiligen sportlichen Handlungsfelder (z. B. Sportarten oder ErlebnisRAUMerfahrung). Im Überschneidungsbereich dieser drei Perspektiven liegen fünf Ressourcen: Selbstkonzept, Selbstwirksamkeit, Gruppenzusammenhalt, Sozialer Rückhalt und Soziale Kompetenzen (vgl. Sygusch, 2007, S. 49) Diese ausgewählten Ressourcen werden als Basisressourcen – in Abgrenzung zu »Erfolgsressourcen« (z. B. Leistungsmotivation) oder »Krisenressourcen« (z. B. Stressbewältigung) – aufgefasst, um grundlegende Anforderungen von Bewegung, Spiel und Sport zu bewältigen. Je nach Handlungsfeld sind Schwerpunktsetzungen und Ergänzungen vorzunehmen. WOHIN soll gefördert werden? – Kernziele zur Förderung psychosozialer Ressourcen: Das Konzept zur Förderung von »Persönlichkeits- und Teamentwicklung« begründet – angelehnt an theoretische Modelle der ausgewählten Ressourcen – sechs Kernziele, die sich auf sportnahe Aspekte der jeweiligen Ressourcen beziehen (vgl. Sygusch, 2007). Beim Üben, Trainieren und Wettkämpfen werden • • •

die sportliche Selbstwirksamkeit (K1) und das körperlich-sportliche Selbstkonzept (K2) des einzelnen Sportlers gestärkt; die kollektive Selbstwirksamkeit (K3) und der Aufgabenzusammenhalt (K4) der Gruppe gestärkt; die Aufgabenzugehörigkeit (K5) und die Kooperationsfähigkeit (K6) des einzelnen Sportlers gestärkt!

Für das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung gilt es herauszustellen, welche Ressourcen zur Bewältigung spezifischer Anforderungen bei der Erschließung von Bewegungsräumen von Bedeutung sind (WAS?), um auf dieser Basis Kernziele festzulegen (WOHIN?). WIE soll gefördert werden? – Methoden zur Förderung psychosozialer Ressourcen: Die methodische Gestaltung orientiert sich u. a. an Ansätzen zur Entwicklung von ausgewählten Ressourcen (im Überblick Sygusch, 2007; Filipp, 1984; Schwarzer & Jerusalem, 2002), zum sozialen Lernen (u. a. Balz, 2003; Pühse, 2004) und zum Führungsverhalten im Sport (vgl. Chelladurai, 1990). Auf dieser Basis wurden methodische Rahmenbedingungen und Maßnahmen abgeleitet, die

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auch unabhängig von der expliziten Förderung psychosozialer Ressourcen als grundlegende Prinzipien im Kinder- und Jugendsport gelten sollten. Die methodischen Rahmenbedingungen zielen auf die Übungsleiterinnen und Übungsleiter in ihrer Funktion als Entwicklungsförderer und Vorbilder sowie die Gruppen mit ihrer Bedeutung für eine angstfreie Lernatmosphäre. Kern der methodischen Gestaltung sind die eigentliche Lernsituation in Bewegung, Spiel und Sport, oder – im Hinblick auf das u. s. Konzept – die Erschließung von Bewegungsräumen. Dahinter steht die Grundidee, dass sich die Entwicklung psychosozialer Ressourcen am ehesten in handelnder Auseinandersetzung mit realen Anforderungssituationen vollzieht, zu deren Lösung die Sportler befähigt werden sollen (u. a. Pühse, 2004). Übungsleiterinnen und Übungsleiter haben hier die Aufgabe, psychosoziale Lernsituationen aufzugreifen, zu inszenieren und zu thematisieren. (vgl. Sygusch, 2007, S. 107) Für das vorliegende Konzept gilt es zu begründen, welche Anforderungssituationen bei der Erschließung von Räumen gegeben sind und wie diese in Lernsituationen aufgegriffen, inszeniert und thematisiert werden (WIE?).

D AS K ONZEPT E RLEBNIS RAUM ERFAHRUNG Das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung hat zum Ziel, über die Förderung sportund bewegungsbezogener sowie alltagsbezogener Raumaneignung zur sozialen Teilhabe bildungsbenachteiligter Kinder und Jugendlicher beizutragen. Im Mittelpunkt steht dabei die Stärkung von psychosozialen Ressourcen, die zum einen in der Raumaneignung entwickelt werden und zum anderen zur weiteren Raumaneignung erforderlich sind. Das Rahmenkonzept »Persönlichkeits- und Teamentwicklung in Sport und Bewegung« bietet die konzeptionelle Grundstruktur. Für die inhaltliche und methodische Ausgestaltung von ErlebnisRAUMerfahrung fließen Ansätze der Erlebnispädagogik und von Raumaneignung ein. Vor diesem Hintergrund wird zunächst gefragt, welche Ressourcen zur Aneignung von Räumen beitragen können (WAS?) und welche Kernziele daraus abgeleitet werden können (WOHIN?). Darauf aufbauend wird die methodische Gestaltung von ErlebnisRAUMerfahrung skizziert (WIE?). Ressourcen und Kernziele Welche Ressourcen sind zur Bewältigung spezifischer Anforderungen bei der Raumaneignung von Bedeutung (WAS)? Ausgehend vom Rahmenkonzept Persönlichkeits- und Teamentwicklung sowie den darin verankerten psychosozialen

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Ressourcen stellt sich die Frage, welche Rolle Ressourcen in Konzepten der Erlebnispädagogik und der Raumaneignung spielen. In erlebnispädagogisch ausgerichteten Konzepten werden die allgemeine Persönlichkeitsentwicklung (u. a. Selbstkonzept) und die Entwicklung sozialer Kompetenzen häufig in den Vordergrund gestellt (vgl. Schirp, 2013). Es wird davon ausgegangen, dass die Auseinandersetzung mit und Bewältigung von Erlebnis- und Abenteuersituationen auf der Individuumsebene zur Steigerung eines positiven Selbstkonzepts und zu der Entwicklung von Selbstwirksamkeit führen kann (vgl. Fengler, 2007; Schempp, 2000). Auf der sozialen Ebene stehen zunächst Aspekte wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit im Vordergrund (vgl. Amesberger, 2003; Reiners, 1995). Des Weiteren geht es um die Entwicklung von Teamarbeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft und sozialer Verantwortung (vgl. Fengler, 2007). In Konzepten der Sozialraumorientierung und Raumaneignung wird immer wieder darauf verwiesen, welche bedeutsame Rolle psychosozialen Ressourcen in diesem Kontext eingeräumt werden (vgl. Kessl & Reutlinger, 2013). Es wird davon ausgegangen, dass Kinder und Jugendliche über ein gewisses Maß an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein verfügen müssen, damit sie in der Lage sind, unbekannte Situationen zu bewältigen und neue Räume zu schaffen. Des Weiteren erscheint es plausibel, dass Kinder und Jugendliche in der Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt in der Lage sein müssen, mit ihren Mitmenschen zu kommunizieren, sie zu verstehen, mit ihnen zu kooperieren und für sie in bestimmten Situationen Verantwortung zu übernehmen. Welche Kernziele werden in der sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung angesteuert (WOHIN)? Es zeigt sich, dass bestimmte psychosoziale Ressourcen (z. B. Selbstkonzept oder soziale Kompetenzen) sowohl in der erlebnispädagogischen als auch der raumbezogenen Diskussion Beachtung finden. Auf dieser Basis können im Folgenden konkrete Kernziele für das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung formuliert werden, welche sich zum einen von dem übergreifenden Ziel der sozialen Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ableiten, zum anderen sich aus den Anforderungen der Raumaneignung begründen. Kernziele auf der Ebene des Individuums sind Selbstbewusstsein [SB] (psychische Ressourcen) und Kooperationsfähigkeit [KF] (soziale Ressourcen). Kernziele auf der Ebene der Gruppe sind Kollektives Selbstbewusstsein [KS] (psychische Ressourcen) und Gruppenzusammenhalt [GZ] (soziale Ressourcen) (Abb. 2). Im Folgenden werden die genannten Kernziele mit ihren Teilfacetten und ausgewählten Beispielen vorgestellt:

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In und durch ErlebnisRAUMerfahrung soll … •







die Kooperationsfähigkeit des/der Einzelnen gestärkt werden. Das Kernziel Kooperationsfähigkeit umfasst die Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, der Kommunikationsfähigkeit (z. B. zur Bewältigung von Situationen der Raumaneignung im Kontakt mit fremden Menschen im Alltag) und die Entwicklung der Bereitschaft zur sozialen Verantwortung (z. B. im Übernehmen von Verantwortung für die Sicherheit von Kletterpartnerinnen und Kletterpartnern). das Selbstbewusstsein des/der Einzelnen gestärkt werden. Das Kernziel Selbstbewusstsein umfasst zum einen die Stärkung des sozialen und körperlich-sportlichen Selbstbilds (z. B. wenn eine Person ihre sozialen Fähigkeiten, die in Situationen der sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung notwendig sind, realistisch einschätzen kann). Zum anderen beinhaltet das Kernziel die Stärkung der sozialen und körperlich-sportlichen Selbstwirksamkeit (z. B. die positiv-realistische Überzeugung einer Person, mit ihren kommunikativen Fähigkeiten alltagsbezogene sowie sport- und bewegungsbezogene Situationen der Raumaneignung bewältigen zu können). der Gruppenzusammenhalt gestärkt werden. Das Kernziel Gruppenzusammenhalt umfasst den Aufgabenzusammenhalt einer Gruppe (z. B. die gegenseitige Unterstützung im Erreichen gemeinsamer Ziele im Kontext von Raumaneignung), den Beziehungszusammenhalt der Gruppe, die Aufgabenzugehörigkeit des/der Einzelnen sowie die soziale Zugehörigkeit des/der Einzelnen in der Gruppe (z. B. sich als Einzelne oder Einzelner als wichtiger Bestandteil der Gruppe integriert fühlen). das Kollektive Selbstbewusstsein gestärkt werden. Das Kernziel Kollektives Selbstbewusstsein umfasst die Stärkung der Selbstwirksamkeit der Gruppe hinsichtlich der sozialen und körperlichmotorischen Fähigkeiten (z. B. die Überzeugung, dass die Gruppe mit den körperlich-motorischen Fähigkeiten aller Gruppenmitglieder unbekannte bewegungsbezogene Räume erschließen kann) sowie die Stärkung des Gruppenzusammenhaltes.

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Abb. 2: Einordnung der Kernziele von ErlebnisRAUMerfahrung

Methodische Gestaltung WIE können psychosoziale Erfahrungen in der sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung systematisch gestaltet werden? Das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung greift die Unterscheidung zwischen methodischen Rahmenbedingungen (Übungs- bzw. Gruppenleiterinnen, Gruppenleiter, Gruppe) und konkreten methodischen Maßnahmen in Lernsituationen (ErlebnisRAUM) auf. Wesentlicher Unterschied zum Rahmenkonzept (s. o.) ist die grundlegend andere Lernsituation. ErlebnisRAUMerfahrung beschäftigt sich nicht mit Wettkampf und Training, sondern mit Situationen der sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung! Methodische Rahmenbedingungen: Übungsleiterinnen bzw. Übungsleiter verstehen sich als Entwicklungsförderer. In diesem Sinne schaffen sie Rahmenbedingungen, Anregungen und Lernsituationen, die Kinder und Jugendliche zu selbstständigem Handeln in der Raumaneignung sowie zur Bewältigung von Anforderungen und Belastungen befähigen. Übungsleiterinnen bzw. Übungsleiter werden in der Regel als Vorbilder wahrgenommen. Dies macht eine bewusste Wahrnehmung und gezielte Gestaltung der Vorbildrolle notwendig. Bedingung dafür ist es, die erwünschten (psychosozialen und raumbezogenen) Lernziele mit dem eigenen Handeln als Übungsleiterin oder Übungsleiter in Übereinstimmung zu bringen. Gruppen bieten ein angstfreies Lernklima. Lernen in Gruppen verlangt nach Möglichkeiten, Fehler zu machen, Fragen zu stellen und sich in Raumaneignungsprozessen in die Gruppe einbringen zu können, ohne Angst zu haben, dass

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vermeintliche Schwächen unmittelbar zu Nachteilen führen. Wir nennen das «angstfreies Lernklima». Hierzu können Übungsleiterinnen und Übungsleiter beitragen, indem sie ein vertrauensvolles Verhältnis zur gesamten Gruppe und bei den Gruppenmitgliedern untereinander aufbauen. Methodische Maßnahmen: Die methodische Gestaltung von Lernsituationen der Raumaneignung umfasst die drei Prinzipien Aufgreifen, Thematisieren und Inszenieren. Im vorliegenden Beitrag steht das Inszenieren von Lernsituationen im Vordergrund2. Um das Konzept ErlebnisRAUMerfahrung methodisch besser nachvollziehen zu können, wird im Folgenden kurz skizziert, was unter dem Aufgreifen und Thematisieren von Lernsituationen zu verstehen ist. Sie spielen eine wesentliche Rolle, wenn es darum geht, Lernprozesse im Sinne der E-Kette zu begleiten. Lernsituationen im ErlebnisRAUM aufgreifen Mit Aufgreifen ist gemeint, vorliegende Situationen der Raumaneignung zu nutzen, um psychosoziale Lernprozesse gezielt anzuregen. Vorliegende alltägliche Situationen werden unterschieden in aktuelle Erfahrungen sowie Gelegenheiten der Mitverantwortung im ErlebnisRAUM. Das Aufgreifen von Gelegenheiten der Mitverantwortung bedeutet beispielweise, dass Rollen und Aufgaben, die in der Regel von Übungsleiterinnen und Übungsleiter ausgeführt werden, auch auf Kinder und Jugendliche übertragen werden sollten: selbstständiges Einteilen von Gruppen oder Materialverantwortlichkeit (etwa beim Klettern). Mitverantwortung tragen Kinder und Jugendliche auch dann, wenn sie soziale und organisatorische Regeln (Gesprächsregeln, Umgang mit Verspätungen, Auf- und Abbauorganisation etc.) zunehmend selbstständig vereinbaren und kontrollieren. Bei der Gestaltung von ErlebnisRAUMerfahrung sollten Übungsleiterinnen und Übungsleiter bewusst Kindern und Jugendlichen auch Freiräume für inhaltliche und methodische Entscheidungen bieten. In dem Maße, in dem Kinder und Jugendliche Mitverantwortung übernehmen, treten die Übungsleiterinnen und Übungsleiter in den Hintergrund und übernehmen die Funktion eines Beraters (z. B. bei Sicherheitsfragen) und Moderators (z. B. in Konfliktsituationen) (u. a. Balz, 2003).

2

Weiterführende Beschreibungen zur methodischen Gestaltung und zu Aktionsformen befinden sich in der dsj-Handreichung »ErlebnisRAUMerfahrung« (Töpfer, Liebl & Sygusch, i. Dr.).

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Lernsituationen im ErlebnisRAUM thematisieren Eine sprachliche Begleitung und Nachbereitung von Raumaneignung unter motorischer und psychosozialer Perspektive ist notwendig, um Erlebnisse und Erfahrungen bewusst zu machen, zu verstehen und für zukünftiges Handeln »aufzubereiten«. Dabei geht es um Rückmeldungen zu motorischem und psychosozialem Handeln sowie um die Reflexion psychosozialer Erfahrungen und Erfahrungen der Raumaneignung (vgl. E-Kette; Aebli, 1997; Jerusalem & KleinHeßling, 2002; Michl, 2009; Pühse, 2004). Das Reflektieren von Erfahrungen der Raumaneignung ist eng geknüpft an die Reflexion von psychosozialen Erfahrungen. Dieser Zusammenhang erschließt sich daraus, dass Räume nicht nur Objekte sind, sondern in erster Linie von Menschen in ihrem Handeln erschlossen, interpretiert und ausgestaltet werden. Um Kindern und Jugendlichen ihr Handeln im Sozialraum sowie ihre individuellen Sichtweisen auf Räume bewusst zu machen, kann es hilfreich sein, den Raum als Thema immer wieder in Lernprozesse einzubinden. Dabei kann es darum gehen, wie ein Raum subjektiv wahrgenommen wird, wie er sich von bekannten Räumen unterscheidet und warum man sich in einem Raum wohl oder unwohl fühlt (vgl. auch Deinets »Methodenkoffer«; Deinet, 2013). Lernsituationen im ErlebnisRAUM inszenieren In diesem Kapitel werden fünf Gestaltungsebenen zur Inszenierung psychosozialer und räumlicher Erfahrungen vorgestellt: ErlebnisRAUM S bis ErlebnisRAUM XXL. Inszenieren meint die Gestaltung von bewegungs-, spiel- und sportbezogenen Lernsituationen, in denen psychosoziale und raumbezogene Anforderungssituationen gezielt hergestellt werden. Ereignisse werden inszeniert, um Lernprozesse im Sinne der E-Kette anzustoßen. Ausgehend vom Kernthema »Raumaneignung« liegt das Prinzip der fünf Gestaltungsebenen in einer Reihung von Lernsituationen von bekannten und vertrauten Räumen (ErlebnisRAUM S) bis zu unbekannten und nicht vertrauten Räumen (ErlebnisRAUM XXL). Aus methodischer Sicht zielt ErlebnisRAUMerfahrung darauf ab, Kindern und Jugendlichen herausfordernde Aufgaben zu geben. Auf jeder Ebene (ErlebnisRÄUME S-XXL) werden Kinder und Jugendliche somit über ausgewählte Aktionsformen immer wieder herausgefordert, ihre Komfortzone zu verlassen und sich in der Lernzone zu bewegen. In der Grenzerfahrung wird den Kindern und Jugendlichen zum einen bewusst, was sie können bzw. über welche Ressourcen sie verfügen. Zum anderen erweitern sie auf diese Weise ihre individuelle Komfortzone im Sinne einer Stärkung ihrer Ressourcen. Die Gestaltungsebenen ErlebnisRÄUME S bis XXL lassen sich insbesondere durch die zwei Merkmale Räume und Aktivitäten beschreiben (Abb. 3).

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Abb. 3: Einordnung der Gestaltungsebenen ErlebnisRÄUME S bis XXL

Räume: Der Grad der Raumaneignung variiert von ErlebnisRAUM S bis XXL, indem sich die Kinder und Jugendlichen zunehmend unbekannte Räume aneignen (»von bekannten zu unbekannten RÄUMEN«). Während die Räume auf den unteren Gestaltungsebenen unspezifisch und/oder bekannt, vertraut und geschützt sind, zeichnen sich die oberen Gestaltungsebenen durch Räume aus, die unbekannt, unvertraut und ungeschützt sind. Aktivitäten: Die Art der Aktivitäten der Raumaneignung verändert sich von ErlebnisRAUM S bis XXL. • •

Die Aktivitäten in ErlebnisRAUM S sind zwar bewegungsbezogen, aber ohne spezifischen Bezug zu bestimmten Sportarten. Über die ErlebnisRÄUME M, L und XL werden die Aktivitäten zunehmend sportartspezifisch. Sportarten unterscheiden sich darin, welche Rolle Raum in der sportartimmanenten Aufgabenstellung einnimmt und welche Anforderungen damit an die Sportlerinnen und Sportler verbunden sind. In diesem Sinne können wir von unterschiedlichen Typen von »ErlebnisRAUMSportarten« sprechen. ErlebnisRAUM-Sportarten A sind zumeist Sportarten, die in stadt- oder naturnahen Räumen stattfinden (z. B. Felsklettern, Kanufahren, Mountainbiken, Le Parkour). Kernaufgabe in diesen Sportarten ist es, Räume zu erschließen, zu erkunden und zum Teil unbekannte Strecken zu bewältigen. Raumaneignung ist ein immanenter Bestandteil dieser Sportarten. ErlebnisRAUM-Sportarten B sind zumeist Sportarten, die in genormten Sportstätten stattfinden (z. B. Fußball, Basketball, Judo). Raumaneignung kann in diesen Sportarten im Rahmen taktischer Maßnahmen der »Raumero-

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berung« verstanden werden. ErlebnisRAUM-Sportarten C sind zumeist Sportarten, die in genormten Sportstätten stattfinden (z. B. Schwimmen, Gerätturnen, Leichtathletik). Raumaneignung kann in diesen Sportarten dann angemessen gestaltet werden, wenn Normen aufgebrochen und standardisierte Räume verfremdet werden (z. B. Team-Hindernis-Parkour). ErlebnisRAUM XXL zielt auf den Transfer auf den Alltag. Aktivitäten auf dieser Ebene sind in der Regel Alltagsbewegungen (z. B. die Fortbewegung zu Fuß oder mit dem Bus). Aktivitäten der Ebene XXL können auch alltagsbezogen sein, indem Kinder und Jugendliche (über die Gruppe hinaus) in Kommunikation mit fremden Menschen treten.

Die Gestaltungsebenen ErlebnisRAUM S bis XXL sehen gewissermaßen eine methodische Steigerung der psychosozialen und raumbezogenen Herausforderungen vor. Diese Reihung muss im Rahmen einer Maßnahme nicht im Einzelnen durchlaufen werden. Es erscheint jedoch sinnvoll, dass Aktionsformen der Ebenen ErlebnisRAUM S, M und L zur Vorbereitung auf die ErlebnisRÄUME XL und XXL vorgenommen werden. ErlebnisRAUM S: Anregen in bekannten und vertrauten ErlebnisRÄUMEN Die Gestaltungsebene ErlebnisRAUM S zielt darauf ab, in allgemeinen Bewegungsaufgaben ein Bewusstsein für die Bedeutung psychosozialer Ressourcen im »Schutz vertrauter Räume« anzuregen. Die Grundidee liegt darin, dass die Gruppenmitglieder offene (sportunspezifische) Bewegungsaufgaben erhalten. Dies wird im »Schutz vertrauter Räume« inszeniert, indem sich die Gruppenmitglieder in ihrer Sporthalle, ihrem Sportplatz oder ihrer Wiese – also bekannten und vertrauten Räumen – bewegen. Dabei wird der Raum auf oftmals ungewöhnliche Weise angeeignet. Das ist beispielsweise bei Vertrauensübungen (etwa »Grubenfall«) oder Kooperationsaufgaben (wie »Plane wenden«) der Fall, wenn die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbstständig, mit Partnerin, Partner oder im Team Lösungen entwickeln und umsetzen. Auf diese Weise werden gemäß den Kernzielen psychosoziale Ressourcen gefördert, die zur Raumaneignung hilfreich sind (»anregen«). Im ErlebnisRAUM S gibt es keinen spezifischen Bezug zu typischen ErlebnisRAUMSportarten beziehungsweise Bewegungsfeldern (Kap. 2.1.2).

78 | CLEMENS T ÖPFER, S EBASTIAN L IEBL & R ALF S YGUSCH Beispiel »Grubenfall«: Ein Gruppenmitglied lässt sich von einem Kasten mit gestreckten Armen und hoher Körperspannung rückwärts/vorwärts in eine von den anderen Gruppenmitgliedern gebildete Gasse fallen. Diese fangen die Fallende bzw. den Fallenden mit vorgestreckten Armen auf. Beispiel »Plane wenden«: 10-20 Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmer stehen auf einer Plane. Die Gruppenstärke bzw. Fläche der Plane sollte so gewählt sein, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr eng stehen, aber dennoch den Boden außerhalb der Plane nicht berühren müssen. Aufgabe der Gruppe ist es, die Plane zu wenden, ohne dass eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer den Boden berührt.

ErlebnisRAUM M: Anregen und Festigen in bekannten ErlebnisRÄUMEN Die Gestaltungsebene ErlebnisRAUM M zielt darauf ab, psychosoziale Ressourcen über Bewegungsaufgaben in verschiedenen ErlebnisRAUM-Sportarten sowie in bekannten Räumen anzuregen und zu festigen. Die Grundidee besteht darin, dass sich Kinder und Jugendliche hier – in Erweiterung zu ErlebnisRAUM S – in typischen ErlebnisRAUM-Sportarten bzw. Bewegungsfeldern bewegen. In diesem Rahmen werden einfache und bekannte Anforderungssituationen zur Vermittlung der psychosozialen Kernziele (Kap. 3) genutzt, indem sie durch psychosoziale Zusatzaufgaben nuanciert werden. Beispielsweise werden sportartspezifische Übungsformen verfremdet (s. u. »Blind paddeln«) oder in Kooperationsaufgaben überführt (s. u. »Frühstücksei«). Im ErlebnisRAUM M werden die Bewegungsaufgaben – analog zu ErlebnisRAUM S – im »Schutz bekannter Räume« inszeniert. Hierbei handelt es sich in der Regel um Sportstätten (z. B. Kletterwände), die den Kindern und Jugendlichen zwar einigermaßen bekannt, jedoch nicht unbedingt vertraut sind. Auf diese Weise können die Sportlerinnen und Sportler Erfahrungen und Erkenntnisse sammeln, die für psychosoziale Anforderungen von ErlebnisRAUM-Sportarten sensibilisieren (anregen) sowie sozialkooperatives Handeln und Selbstbewusstsein weiter entwickeln und festigen. Beispiel »Blind Paddeln«: Mindestens zwei Personen sitzen in einem Boot. Eine Person paddelt mit Augenbinde. Die zweite Person sagt die Schläge an und versucht den Paddler durch einen abgesprochenen Parkour zu lotsen. Beispiel »Das Frühstücksei«: Je nachdem wie groß der Abschnitt an der Kletterwand ist, versucht die Gruppe die Kletterwand bzw. den Felsabschnitt so in Absprunghöhe zu besetzen, das ein Ei (oder Ähnliches) vom einen Ende an das andere Ende transportiert werden kann. Das Ziel ist, dass jedes Gruppenmitglied am Ende ein Frühstücksei essen kann.

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ErlebnisRAUM L: Festigen und Anwenden – bekannte ErlebnisRÄUME variieren und erweitern ErlebnisRAUM L zielt darauf ab, psychosoziale Ressourcen in typischen Lernsituationen von ErlebnisRAUM-Sportarten weiterzuentwickeln, zu festigen und im »geschützten Ernstfall« anzuwenden. Die Grundidee liegt darin, die Förderung psychosozialer Ressourcen gemeinsam mit solchen motorischen Anforderungen zu gestalten, die eine Sportart bzw. ein Bewegungsfeld zur Raumaneignung immanent beinhalten – also nicht künstlich hergestellt werden müssen. Dazu werden offene Bewegungsaufgaben gestellt, über die die Gruppenmitglieder Fähigkeiten und Fertigkeiten zur bewegungs- und sportbezogenen Raumaneignung selbstständig, mit Partnerin bzw. Partner oder im Team entwickeln, ausprobieren sowie ihr eigenes Können reflektieren. »Geschützter Ernstfall« meint hier, dass bekannte Räume erweitert werden, Variationen erfahren und neue Wege erschlossen werden. Mit anderen Worten: Wir wagen uns aus bekannten Räumen heraus! Ein geschützter Ernstfall in ErlebnisRAUM-Sportarten A (z. B. Felsklettern, Kanu) ist zum Beispiel die bekannte Kletterwand, an der Sportlerinnen und Sportler selbstständig oder im Team neue Routen erkunden und erproben – also »bekannte Räume erweitern«. Ein geschützter Ernstfall in ErlebnisRAUM-Sportarten B (z. B. Fußball) ist beispielsweise das genormte und damit überall gleiche bekannte Spielfeld, dessen Aufbau im Taktiktraining variiert wird (Tore verschieben im Fußball) und von den Teams erkundet und erobert wird – also »bekannte Räume variieren«. Auf diese Weise erfahren und erkennen die Kinder und Jugendlichen, dass sie mit ihren motorischen und psychosozialen Ressourcen selbstständig beziehungsweise im Team Herausforderungen bestehen (festigen), neue Wege gehen sowie erweiterte oder variierte Räume aneignen (anwenden) können. Beispiel »Boote bergen«: Kenterübungen sind ein wichtiger Bestandteil im Rahmen der Kanu-Ausbildung. Hierfür wird das gekenterte Boot im 90-Grad-Winkel zum Rettungsboot gelegt und im Anschluss durch die Rettungscrew aus dem Wasser gezogen. Danach wird das Boot gedreht und längsseits gelegt und die gekenterte Crew kann in das Boot zurücksteigen. Welches Team schafft es (am schnellsten), das gekenterte Boot samt Crew zu retten? Beispiel »Schlüsselstellen-Bouldern«: In jeder Kletterroute gibt es sogenannte Schlüsselstellen, die den Schwierigkeitsgrad einer Route bestimmen. Die Kletterer haben die Aufgabe, in Zweier-/Dreier-Teams unterschiedliche (min. drei) Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten, um ausgewählte Schlüsselstellen zu meistern.

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ErlebnisRAUM XL: Anwenden in unbekannten sportspezifischen ErlebnisRÄUMEN ErlebnisRAUM XL charakterisiert sich dadurch, dass Kinder und Jugendliche psychosoziale Ressourcen zur Aneignung neuer unbekannter Sporträume anwenden. Die Grundidee liegt darin, die Förderung psychosozialer Ressourcen in »Ernstfällen der RAUManeignung« zu inszenieren. Dazu verlassen die Kinder und Jugendlichen ihre bekannten Bewegungsräume und werden in unbekannten Räumen mit motorischen und psychosozialen Anforderungen konfrontiert. Beispielsweise müssen die Kinder und Jugendlichen unbekannte Sportstätten aufsuchen (z. B. »Auswärtsspiel«), Expeditionen organisieren und durchführen (z. B. »Tour«) oder unbekannte und untypische Räume mit ihren Sportarten bespielen (z. B. »Verfremdet: Crossgolf«). Auf diese Weise erfahren und erkennen Kinder und Jugendliche, dass sie mit erworbenen psychosozialen Ressourcen Herausforderungen der sport- und bewegungsbezogenen Raumaneignung selbstständig lösen können. Damit wird im ErlebnisRAUM XL die selbstständige und gemeinschaftliche Raumaneignung in Bewegung, Spiel und Sport zur zentralen Anforderung, zu deren Bewältigung bislang erworbene psychosoziale Ressourcen Anwendung erfahren. Beispiel »Auswärtsspiel«: Die Gruppe sucht sich in ihrer Stadt einen anderen Verein oder eine andere Gruppe (Schule etc.) und organisiert ein Freundschaftsspiel oder ein Turnier. Man einigt sich gemeinsam auf Aufgaben, die jede Teilnehmerin bzw. jeder Teilnehmer übernimmt (z. B. gegnerische Mannschaften finden/fragen, Ort organisieren). Zusammen mit den Spielpartnerinnen und Spielpartnern werden die Fußballregeln (z. B. Dauer, Spielfeldgröße, Anzahl) festgelegt, sodass ein faires Spiel zustande kommen kann. Beispiel »Tour«: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer planen gemeinsam eine Tour (in ein fremdes Gewässer), die ihren Anforderungen gerecht wird. Sie müssen sich zum Beispiel Gedanken machen über die Entfernung der Tour (was können wir leisten?), über die Verpflegung während der Tour und über eine sinnvolle Besetzung der Boote. Beispiel »Verfremdet: Crossgolf«: Die Gruppe sucht gemeinsam Räume auf, die vollkommen untypisch für die Sportart Golf sind (z. B. ein Acker, ein Wald, ein altes Fabrikgebäude). Die Gruppe hat die Aufgabe, auf Grundlage der vorhandenen Bedingungen Regeln zu entwickeln und festzulegen, mit denen ein faires Spiel an diesem Ort möglich wird.

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ErlebnisRAUM XXL: Anwenden im alltäglichen ErlebnisRAUM ErlebnisRAUM XXL charakterisiert sich dadurch, dass Kinder und Jugendliche in sportspezifischen Räumen erworbene psychosoziale Ressourcen zur Aneignung unbekannter alltäglicher ErlebnisRÄUME anwenden. Die Grundidee der Gestaltungsebene ErlebnisRAUM XXL liegt im Transfer der sportbezogenen Raumaneignung und der damit erworbenen Ressourcen auf den außersportlichen – den alltäglichen – ErlebnisRAUM. Die Aktionsformen haben dabei keinen systematischen Sportbezug. Bewegung ist zwar auch hier gegenwärtig, jedoch eher im Sinne von Alltagsbewegung zu verstehen. Kinder und Jugendliche werden in unbekannten ErlebnisRÄUMEN mit Aufgaben konfrontiert, in denen sie beispielsweise mit alltäglichen Fortbewegungsmitteln oder öffentlichen Verkehrsmitteln unbekannte Stadtteile erkunden (s. u. »Scotland Yard«). Eine Steigerung erfährt dieser Alltagsbezug, indem die Kinder und Jugendlichen überdies mit unbekannten Personen in Kontakt treten, zum Beispiel in unbekannten Einrichtungen (z. B. Kindergärten oder Pflegeheimen) für andere Menschen Aktionen organisieren und durchführen. Dies können durchaus auch sportliche Aktionen sein, in denen jedoch das eigene sportliche Handeln in den Hintergrund tritt und Bewegung, Spiel und Sport vielmehr zum Thema für andere gemacht wird (s. u. »Slackline-Fest«). Auf diese Weise erfahren und erkennen Kinder und Jugendliche, dass sie im Sport erworbene psychosoziale Ressourcen zur Bewältigung von Herausforderungen der alltäglichen Lebensraumaneignung anwenden können. Die Gestaltungsebene ErlebnisRAUM XXL ermöglicht damit einen systematischen Transfer von im Sport erworbenen Ressourcen (Bildung im Sport) für ihre Nutzung in außersportlichen alltäglichen ErlebnisRÄUMEN (Bildung durch Sport). Beispiel »Slackline-Fest«: Viele Städte verfügen über einen oder mehrere Parks. Die Sportart Slackline bietet sich an, um sich solche städtischen Naturräume mittels Bewegung anzueignen. Die Gruppe hat die Aufgabe, ein kleines Slackline-Fest für andere Menschen zu organisieren. Sie sind beispielsweise damit beauftragt, sich sinnvolle Angebote und Slackline-Aufbauten für jedermann zu überlegen, Werbung für die Veranstaltung zu machen und vielleicht auch Musik und Verpflegung zu organisieren. Beispiel »Scotland Yard«: Gemäß dem bekannten Brettspiel hält sich in einer Stadt der unbekannte Mr. X auf. Aufgabe der Gruppe ist es, in kleinen Teams (je 3-4 Personen) miteinander oder gegeneinander Mr. X zu schnappen. Sowohl Mr. X (kleines Team mit 2-3 Personen, gekennzeichnet) als auch die Detektive dürfen sich nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen.

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Bei den Aktionsformen von ErlebnisRAUM XXL ist eine Nachbereitung von großer Bedeutung, da auf dieser Gestaltungsebene der Transfer der bislang entwickelnden Ressourcen und Fähigkeiten auf die Alltagswelt der Kinder und Jugendliche stattfinden soll. Dabei geht es nicht nur darum, über kennengelernte bislang unbekannte Räume zu reflektieren, sondern vor allem auch die alten (vielleicht) neu entdeckten Räume genauer zu betrachten.

AUSBLICK : E RLEBNIS RAUM ERFAHRUNG Mit dem übergreifenden BMBF-Programm »Kultur macht stark« wurde ein finanzieller und inhaltlicher Rahmen geschaffen, um Kinder und Jugendliche in ihrer sozialen Teilhabe zu stärken. Das Modul ErlebnisRAUMerfahrung im Förderprogramm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« (dsj) bietet eine konzeptionelle Plattform für Maßnahmen im Kinder- und Jugendsport, welche einen Beitrag leisten können, um bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche in ihrer sport-, bewegungs- und alltagsbezogenen Raumaneignung zu fördern und in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Zentraler Ausgangspunkt hierfür ist die Stärkung psychosozialer Ressourcen in Bewegung, Spiel und Sport. Das seit 2013 laufende Förderprogramm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe« wurde nicht zuletzt aufgrund der (mittlerweile) großen Nachfrage seitens der lokalen Akteure bis 2017 vom BMBF verlängert. Aussagen darüber, ob und wie die aktuellen und zukünftigen Maßnahmen Wirkungen im Sinne der Zielsetzung des Förderprogramms zeigen, sind derzeit nur bedingt möglich. Prozessbegleitende Evaluationen anhand durchgeführter Maßnahmen liegen bislang nur wenige vor (u. a. Erhorn, i. d. B.). Darüber hinaus werden aktuell die Projektmaßnahmen der Verbände im Auftrag des BMBF mit Hilfe einer Fragebogenerhebung evaluiert.

L ITERATUR Aebli, H. (1997). Grundlagen des Lehrens: Eine allgemeine Didaktik auf psychologischer Grundlage (4. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Amesberger, G. (2003). Persönlichkeitsentwicklung durch Outdoor-Aktivitäten? Untersuchung zur Persönlichkeitsentwicklung und Realitätsbewältigung bei sozial Benachteiligten. Butzbach-Griedel: AFRA-Verlag.

E RLEBNISRAUM ERFAHRUNG

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Balz, E. (2003). Wie kann man soziales Lernen fördern? In Bielefelder Sportpädagogen (Hrsg.), Methoden im Sportunterricht. Ein Lehrbuch in 14 Lektionen (4. Aufl., S. 149-168). Schorndorf: Hofmann. Barde, H.-U. (2013). Sport in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit. In Deinet, U. & Sturzenhecker, B. (Hrsg.), Handbuch Offene Kinder- und Jugendarbeit (S. 181-183). Wiesbaden: Springer VS. Barth, B. & Baartz, R. (2004). Schwimmen – Modernes Nachwuchstraining. Aachen: Meyer & Meyer. Bilstein, J. (2013). Territorialität als pädagogische Denkform. In Müller, H.-R., Bohne, S. & Thole, W. (Hrsg.), Erziehungswissenschaftliche Grenzgänge: Markierungen und Vermessungen (S. 81-98). Opladen/Berlin/Toronto: Budrich. BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) (2015). Bündnisse für Bildung. Programmpartner: Verbände und Initiativen. http://www.buendnis se-fuer-bildung.de/de/programmpartner-verbaende-und-initiativen-137.php? KP=13 (Zugriff am 29.01.2015). BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) (2013). 14. Kinder- und Jugendbericht. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/pub likationen,did=196138.html (Zugriff am 29.01.2015). Boeger, A. & Schut, T. (2005). Erlebnispädagogik in der Schule – Methoden und Wirkungen. Berlin: Logos. Chelladurai, P. (1990). Leadership in sports: A review. International Journal of Sport Psychology, 21, 328-354. Deinet, U. (2004). Raumaneignung als Bildungspraxis in der Offenen Jugendarbeit. In Lindner, W. & Sturzenhecker, B. (Hrsg.), Vom Bildungsanspruch zur Bildungspraxis in der Kinder- und Jugendarbeit (S. 111-130). Weinheim und München: Juventa. Deinet, U. (2005). Aneignung und Raum – sozialräumliche Orientierungen von Kindern und Jugendlichen. In Deinet, U., Gilles, C. & Knopp, R. (Hrsg.), Neue Perspektiven in der Sozialraumorientierung. Dimensionen – Planung – Gestaltung (S. 44-63). Berlin: Frank & Timme. Deinet, U. (2013). Sozialraumorientierung und Raumaneignung. In Coelen, T. & Otto, H.-U. (Hrsg.), Grundbegriffe Ganztagsbildung (S. 724-731). Wiesbaden: Springer VS. Derecik, A. (2011): Der Schulhof als bewegungsorientierter Sozialraum. Eine sportpädagogische Untersuchung zum informellen Lernen in Ganztagsschulen. Aachen: Meyer & Meyer. Deubzer, B. & Feige, K. (2004). Praxishandbuch City Bound. Erlebnisorientiertes soziales Lernen in der Stadt. Augsburg: Ziel.

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Urbane Bewegungsräume mit Kindern erobern

Urbane Bewegungsräume mit Kindern erobern Theoretische Vorüberlegungen J AN E RHORN

E INLEITUNG Die Frage, ob und wie sich Kinder unter den »heutigen« Bedingungen insbesondere in städtischen Kontexten bewegen, ist nicht neu. Insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren rückte sie in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit und wurde auch zum Gegenstand der sportwissenschaftlichen Beschäftigung (vgl. u.a. Dietrich & Moegling, 2001; Funke-Wienecke, 2001; Funke-Wienecke & Klein, 2008). Dabei wurde eine »Vertreibung der Kinder aus dem Stadtbild« (Dietrich, 2001) beklagt und nach den »Chancen und Risiken modernisierter Kindheiten in städtischen Ballungsräumen« (Schmidt, 2000) gefragt. Im Kontext der diskutierten Veränderungen des Spiel- und Bewegungsverhaltens in der Stadt, wurde ein allgemeiner Bewegungsmangel postuliert (vgl. auch kritisch dazu Thiele, 1999), der sich in einem Rückgang sportmotorischer Fähigkeiten (vgl. u. a. Bös, 2003; kritisch Kretschmer, 2004 und Kretschmer & Wirszing, 2007) und/oder einem Verlust unmittelbarer Erfahrungen zeige (vgl. u. a. Hildebrandt, 1993). Die zum Teil hitzig geführte Debatte hat sich inzwischen deutlich beruhigt, was wohl auch in der verbesserten Datenlage begründet liegt. So kommt die repräsentative KIGGS-Studie (Manz et al., 2014) zu dem Ergebnis, dass immerhin 65,6% der Kinder zwischen drei und sechs Jahren Sport treiben und 50,9% dies sogar (auch) im Verein tun. Auffällig ist allerdings, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status keinen Sport treiben. Diese Tendenz ist bei dem vereinsgebundenen Sport und bei den Mädchen besonders ausgeprägt. Immerhin 51,5% der Kinder zwischen drei und sechs Jahren erfüllen laut KIGGS-Studie sogar die ambitionierte

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Empfehlung der WHO, jeden Tag mindestens 60 Minuten körperlich aktiv zu sein. Die ebenfalls repräsentative MoMo-Studie (Bös et al., 2009) liefert weitere Informationen über den Bewegungsalltag von Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren. Besonders interessant sind die Befunde, dass die vier- bis fünf-Jährigen im Durchschnitt an sechs Tagen in der Woche im Freien spielen, 52,1 % (Jungen 50%, Mädchen 54,5%) der vier- bis fünf-jährigen Kinder Mitglied in mindestens einem Sportverein und dabei im Durchschnitt für 86 Minuten pro Woche aktiv (Jungen 91 Minuten, Mädchen 82 Minuten) sind sowie 49,0 % der vier- bis fünfjährigen Kinder sich am nicht vereinsgebundenen Freizeitsport beteiligen und dabei durchschnittlich für 69 Minuten pro Woche aktiv sind (Jungen 78 Minuten, Mädchen 59 Minuten). Vor dem Hintergrund dieser Daten ergibt sich ein durchaus differenziertes Bild. Hinweise auf einen allgemeinen Bewegungsmangel liefern die Daten nicht. Offenbar haben Bewegung, Spiel und Sport heute im Alltag vieler Kinder eine bedeutende Rolle inne. Es gibt allerdings Hinweise darauf, dass ein Teil der Kinder von einem Mangel an Bewegung betroffen ist.1 Mindestens ebenso interessant wie die Frage nach der Quantität von Bewegung ist die Frage nach ihrer Qualität. Bereits Dietrich und Landau (1990) haben darauf hingewiesen, dass mit unterschiedlichen Inszenierungen bzw. Inszenierungsformen von Bewegung verschiedene Erfahrungspotenziale verbunden sind. Entsprechende Einblicke in den Bewegungsalltag von ausgewählten Kindern in der Stadt gewähren qualitative Einzelfallstudien (vgl. Breuer, 2002). Insbesondere ethnographische Studien erscheinen geeignet, Informationen über die unterschiedlichen Bewegungspraxen von Kindern im Grundschulalter zu liefern (Podlich, 2011; Erhorn, 2012, 2013). Wenn es bei der »Eroberung urbaner Bewegungsräume« nicht nur um ein einfaches »mehr Bewegung« gehen soll, muss eine theoretische Folie entwickelt werden, auf der sich besondere Handlungs- und Erfahrungspotenziale von Bewegung und Bewegungsräumen abbilden lassen (vgl. auch Töpfer, Liebl & Sygusch, 2015). In diesem Sinne soll im Rahmen dieses Beitrags eine theoretische Folie entfaltet werden, die geeignet ist das Phänomen Bewegung von Kindern in der Stadt angemessener zu figurieren und Maßnahmen der Bewegungsförderung für Kinder im Vorschulalter zu konzeptionieren.

1

In diesem Sinne konnte im Rahmen der Hamburger MoLe-Studie zwar keine deutliche Verschlechterung der motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern, wohl aber einer Verstärkung der Leistungsschere zwischen den Kindern festgestellt werden (vgl. Kretschmer & Wirszing, 2007, S. 139-141).

U RBANE B EWEGUNGSRÄUME

MIT

K INDERN

EROBERN

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B EWEGUNG ALS M EDIUM DER M ENSCH -W ELT -V ERMITTLUNG Für die Betrachtung des Phänomens Bewegung von Kindern in der Stadt greift eine Betrachtungsweise, die Bewegung allein auf Merkmale wie Intensität und Umfang verkürzt zu kurz. Sie ist nicht geeignet, den für die Betrachtung von Bewegung von Kindern in der Stadt konstitutiven Umweltbezug, die damit verbundenen Sinn- und Bedeutungsdimensionen sowie die mit Bewegung in spezifischen Umwelten verbundenen Potenziale für Erlebnisse und Erfahrungen zu erfassen. In diesem Sinne hat bereits Buytendijk (1956) eine funktionelle Betrachtungsweise vorgeschlagen, nach welcher Bewegungen, »...als wahrgenommene Erscheinungen in ihrem Bezogensein auf etwas [begriffen werden], das außerhalb des wahrgenommenen liegt und von wo aus sie als sinnvoll begriffen werden können« (S. 4). Diesem Verständnis folgend, konzeptualisieren neuere interaktionistische Bewegungskonzepte, wie das dialogische (u.a. Trebels, 1992), das ökologische (u.a. Dietrich & Landau, 1990) oder das relationale Bewegungskonzept (u.a. Tamboer, 1994), Bewegung als ein Medium der Vermittlung zwischen Mensch und Welt. Dabei wird die funktionelle Einheit von Wahrnehmung und Bewegung betont: Man bewegt sich auf der Basis von Wahrnehmungen, und durch Bewegung nimmt man wiederum wahr (vgl. auch v. Weizsäcker, 1997). Im Wechselspiel von Wahrnehmung und Bewegung können Kinder in einen Austauschprozess mit der »Welt« bzw. ihrer Umwelt eintreten. Verschiedene Autoren haben den Versuch unternommen, die sich im Medium der Bewegung vollziehende Mensch-Welt-Vermittlung näher zu bestimmen (vgl. u. a. Scherler, 1975, 1976, 1990; Dietrich & Landau, 1990; Dietrich, 2008; Funke-Wieneke, 2005). So unternimmt Scherler (1990) den Versuch, Bewegung semiotisch zu deuten. Bewegungen werden dabei aus einer semantischen und einer pragmatischen Perspektive betrachtet. Im Kontext von Bewegungssituationen differenziert Scherler (1990, S. 405) personale, materielle und soziale Bedeutungen von Bewegungen. Diesen Bedeutungen werden aus einer pragmatischen Perspektive wiederum Funktionen zugeordnet. Der personalen Bedeutung entsprechen demzufolge eine impressive und eine expressive Funktion; der materiellen Bedeutung eine explorative und eine produktive Funktion; der sozialen Bedeutung eine kooperative und komparative Funktion (ebd., S. 408-411; siehe Abb. 1). Damit liefert Scherler (1990) eine Systematik, mit welcher der MenschWelt-Bezug differenziert beschrieben werden kann.

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Abb. 1: Bewegung als Medium der Mensch-Welt-Vermittlung – Bedeutungen und Funktionen (nach Scherler, 1990)

Auch handlungsorientierte Entwicklungstheorien gehen von einer Wechselbeziehung von Mensch und Welt aus (vgl. Hurrelmann, 2001). Zentral für solche handlungsorientierten Entwicklungstheorien ist der Begriff der Erfahrung: »Action-based theories assert that experience ... constitutes the general mechanism of all behavioral change.« (Overton & Ennis, 2006, S. 162) Die handlungsorientierten Entwicklungstheorien erweisen sich als unmittelbar anschlussfähig an die beschriebenen interaktionistischen Bewegungskonzepte. Im Kontext dieser Mensch -Welt-Beziehung macht das Kind Erfahrungen, die für seine Persönlichkeitsentwicklung von Bedeutung sind (vgl. Dietrich, 2003, 2008; Zimmer, 2006, 2010; Arzberger & Erhorn, 2013): •



Materiale Erfahrung: Die Kinder lernen durch eine motorische Auseinandersetzung Gegenstände und andere Objekte kennen. Ihre verschiedenen Eigenschaften und ihr »Gebrauchswert« werden in Erfahrung gebracht. Dabei können sie sich, durch Beobachtung und Nachahmung, auch die kulturell tradierten Bedeutungen von Dingen und Gegenständen erschließen. In der weiteren Auseinandersetzung mit den Objekten können die Kinder den Umgang mit den Objekten erlernen und sie ggf. zum Gegenstand eines Spiels machen (vgl. Scherler, 1975). Soziale Erfahrung: Im Medium der Bewegung treten Kinder mit erwachsenen Bezugspersonen und mit anderen Kindern in Kontakt. Nachdem zunächst nur erste Blicke ausgetauscht werden, richten sich die Aufmerksamkeit und das Interesse bald auch auf eine gemeinsame Sache. Es kann zu einer gemeinsamen bzw. koordinierten Tätigkeit kommen. Dies geschieht zunächst nonverbal, bei komplexeren Bewegungsaktivitäten häufig durch eine verbale Verständigung. Dabei erkennen die Kinder die eigenen und die Inte-

U RBANE B EWEGUNGSRÄUME



MIT

K INDERN

EROBERN

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ressen Anderer und müssen lernen, sie miteinander abzustimmen. Die Bewegungsaktivitäten bieten vielfältige Gelegenheiten für soziale Erfahrungen (im Mit- und Gegeneinander, im Streiten und Vertragen, im Nachgeben und Durchsetzen etc.). Selbst-Erfahrung: In der motorischen Auseinandersetzung mit Objekten und anderen Personen macht das Kind Erfahrungen mit seinem Körper und mit sich selbst als Person. Bewegung und körperbezogene Kompetenzen stellen daher zunächst den primären Zugriff dar, um Selbstwirksamkeitserfahrungen zu machen, was zu einer positiven Veränderung des Selbstkonzeptes beiträgt. Die Selbstwirksamkeit »…beinhaltet die subjektive Überzeugung, selbst etwas bewirken und verändern zu können. Dazu gehört die Annahme, selbst Kontrolle über die jeweilige Situation zu haben, sich kompetent zu fühlen und durch die eigenen Handlungen Einfluss auf die materiale und soziale Umwelt nehmen zu können.« (Zimmer, 2006, S. 66) Den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen kommt eine hohe motivationale Bedeutung zu, da sie dazu führen, dass sie die Kinder vermehrt Neues und Unbekanntes zutrauen (vgl. Zimmer, 2006, S. 67).

Baacke (1999, S. 229) weist darauf hin, dass »[j]eder noch so kleine Entwicklungsschritt […] an materielle Substrate, an die Konkretionen einer fass- und beobachtbaren Umgebung (welcher Art auch immer) gebunden [ist]«. Für die Betrachtung des Phänomens Bewegung von Kindern in der Stadt ist daher eine weitere Präzisierung der Umwelt notwendig, mit der die Kinder interagieren und dabei spezifische Erfahrungen machen können.

B EWEGUNG

UND DIE RÄUMLICHE

U MWELT

In der Sportpädagogik haben insbesondere Dietrich und Landau (1990) auf den analytischen Wert der sozialökologischen Entwicklungstheorie (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Baacke, 1999) hingewiesen. Sie liefert wichtige Hinweise, wie die Umwelt, mit der sich die Kinder in Bewegung (potenziell) auseinandersetzen und dabei spezifische Erfahrungen machen, konzeptionell gefasst werden kann. Im Kontext der ökologischen Entwicklungstheorie wird Entwicklung als schrittweise Erschließung neuer Handlungsräume verstanden: »Menschliche Entwicklung ist der Prozess, durch den die sich entwickelnde Person erweiterte, differenziertere und verlässlichere Vorstellungen über ihre Umwelt erwirbt. Dabei wird sie zu Aktivitäten und Tätigkeiten motiviert und befähigt, die es ihr ermöglichen, die

94 | J AN ERHORN Eigenschaften ihrer Umwelt zu erkennen und zu erhalten oder auf nach Form und Inhalt ähnlich komplexem oder komplexerem Niveau umzubilden.« (Bronfenbrenner, 1989, S. 44)

Dem hier verfolgten Erkenntnisinteresse folgend, rücken die im Medium der Bewegung bzw. die im Kontext von Bewegung vollzogenen Aktivitäten und Tätigkeiten in den Fokus der Betrachtung. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt als »Aktionsformen der Bewegung« präzisiert (vgl. auch Erhorn, 2012; Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). An dieser Stelle werden zunächst Hinweise, wie die Umwelt näher konzeptioniert werden kann, herausgearbeitet. Bronfenbrenner (1989) entwirft die Umwelt systemtypologisch, als ein Konstrukt aus ineinander verschachtelten Systemen unterschiedlicher Ordnung. Im Rahmen dieser Ordnung kommt den verschiedenen Mikrosystemen, an denen die Individuen teilhaben, eine zentrale Bedeutung zu. Dabei werden Mikrosysteme als »…ein Muster von Tätigkeiten und Aktivitäten, Rollen und zwischenmenschlichen Beziehungen, die die in Entwicklung begriffene Person in einem gegebenen Lebensbereich mit den ihm eigentümlichen physischen und materiellen Merkmalen erlebt« (Bronfenbrenner, 1989, S. 38) definiert. Die menschliche Entwicklung ist in diesem Modell in hohem Maße dadurch geprägt, in wie vielen verschiedenen Mikrosystemen und auf jeweils welchem Niveau die Personen, in unserem Fall Kinder, in den Mikrosystemen Handlungsfähig sind. Eine hohe Bedeutung kommt daher den ökologischen Übergängen zu, in deren Kontext sich Personen neue Mikrosysteme erschließen oder ihre Rolle in einem Mikrosystem verändern, an dem sie bereits teilhaben (vgl. Bronfenbrenner, 1989, S. 43). Die ökologischen Übergänge sind deshalb so wichtig, weil die Kinder sich zum einen neue Mikrosysteme erschließen und zum anderen die neuen erschlossenen Mikrosysteme Rückwirkungen auf die anderen Mikrosysteme haben können, an denen die Kinder bereits partizipieren. Um dieses Phänomen analytisch zu erfassen, führt Bronfenbrenner (1989) das Mesosystem ein: »Ein Mesosystem umfasst die Wechselbeziehungen zwischen den Lebensbereichen, an denen die sich entwickelnde Person aktiv beteiligt ist.« (S. 41) Effekte auf der Ebene des Mesosystems sind insbesondere im Kontext pädagogischer Institutionen bzw. Interventionen von Bedeutung. Hier werden in der Regel systematische Wechselwirkungen mit anderen Mikrosystemen angestrebt (»Transfer«).2 Allerdings haben gerade bei Kindern auch Bereiche Einfluss auf die Mikrosysteme der Kinder, an

2

Dies konnte im Kontext der Wechselbeziehungen zwischen schulischen und außerschulischen Bewegungspraxen von Grundschulkindern auch empirisch rekonstruiert werden (vgl. Erhorn, 2012, 2014).

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denen sie selbst nicht beteiligt sind. Dies zu reflektieren ist für die Konzeptionierung von Interventionen von Bedeutung, da auch in diesem Bereich wichtige Effekte erzielt werden können. Bronfenbrenner (1989) führt diesbezüglich den Terminus des Exosystems ein: »Unter Exosystem verstehen wir einen Lebensbereich oder mehrere Lebensbereiche, an denen die sich entwickelnde Person nicht selbst beteiligt ist, in denen aber Ereignisse stattfinden, die beeinflussen, was in ihrem Lebensbereich geschieht, oder die davon beeinflusst werden« (S. 42). Bei Kindern im Vorschulalter handelt es sich insbesondere um Bereiche der Bezugspersonen (Eltern, Erzieherinnen und Erzieher), von denen sie ausgeschlossen sind, die bei der Rekonstruktion des kindlichen Alltags, aber gerade auch bei der Planung von Interventionen mitgedacht werden sollten. Obwohl die systemtypologische Ordnung von Bronfenbrenner (1989) wertvolle Perspektiven auf die Umwelt erschließt, bleibt sie jedoch recht abstrakt. Baacke (1999) schlägt daher vor, die systemtypologische Ordnung durch eine handlungskreistypologische Ordnung zu ergänzen (siehe Abb. 2). Abb. 2: Handlungskreistypologische Ordnung der Umwelt (nach Baacke, 1999)

Ökologische Peripherie

Ökologische Ausschnitte

Ökologischer Nahraum Ökologisches Zentrum

Die von Baacke (1999) konstruierte handlungskreistypologische Ordnung ist geeignet, unterschiedliche Mikrosysteme – und entsprechend auf sie bezogene Mesosysteme – voneinander zu differenzieren. Sie werden verschiedenen Zonen zugeordnet, die in der Regel strukturell verschiedene Handlungs- und Erfah-

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rungsräume darstellen und von den Kindern nach und nach durch verschiedene ökologische Übergänge erschlossen werden: »Diese handlungskreistypologische Ordnung erlaubt es uns, das räumliche Aufwachsen von Kindern insgesamt als eine Erweiterung von Kontexten aufzufassen: vom Sozialökologischen Zentrum über den Nahraum hinein an die in Zahl, Bedeutung und Komplexität zunehmenden Ausschnitte mit ständigen Durchbrechungen der sozialökologischen Ordnung an den Rand alltäglicher Routine in jenen ‚peripheren‘ Raum mit seinen nicht in den Alltag eingelassenen Abenteuern und Erfahrungen.« (Baacke, 1999, S. 239)

Dabei differenziert Baacke (1999) die kindliche Umwelt in vier Zonen: •







Ökologisches Zentrum: Das ökologische Zentrum beschränkt sich auf die elterliche Wohnung, mit ihren materiellen Bedingungen, den dort geltenden Regelungen und den vom Kind dort vollzogenen Aktivitäten. Ökologischer Nahraum: Der ökologische Nahraum umfasst das direkte Umfeld der elterlichen Wohnung – wie den Innenhof, den Bürgersteig vor der Haustür, aber auch Spielplätze, Sportplätze, Parks und andere Freiflächen im Quartier – und die dort vorherrschenden materiellen Bedingungen, Regelungen sowie die dort vollzogenen Aktivitäten der Kinder. Ökologische Ausschnitte: Die ökologischen Ausschnitte umfassen die institutionellen Kontexte, an denen das Kind teilhat – wie die Kindertagesstätte oder den Sportverein – und die dort vorherrschenden materiellen Bedingungen, Regelungen sowie die dort vollzogenen Aktivitäten der Kinder. Ökologische Peripherie: Mit der ökologischen Peripherie werden nicht alltägliche Orte – wie zum Beispiel der Strand oder der Freizeitpark – und die dort vorherrschenden materiellen Bedingungen, Regelungen sowie die dort vollzogenen Aktivitäten der Kinder bezeichnet.

Die Ordnung von Baacke (1999) erlaubt es, zeitgenössische Phänomene des Kinderalltags zur Darstellung zu bringen. So beklagt Baacke (1999, S. 248f.) das Phänomen, dass sich Kinder vorwiegend in betreuten Kontexten aufhalten, die er als »Kinderzonen« bezeichnet. Damit ist eine Entwertung des ökologischen Nahraums verbunden (vgl. Zeiher, 1995), welche als problematisch angesehen wird, weil sie die Kindern spezifischer Erfahrungspotenziale beraubt, die sich ihnen nur im unbeaufsichtigten Umgang mit Gleichaltrigen bieten (vgl. Ausubel zit. n. Baacke, 1999, S. 290). In diesem Sinne besitzen Mikrosysteme aus den verschiedenen Zonen jeweils spezifische, nicht oder nur schwer zu ersetzende Erfahrungspotenziale. Da sich (fehlende) Erfahrungen auf der Ebene des Mesosystems

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auch auf andere Mikrosysteme auswirken können, bleiben auch Transferpotenziale ungenutzt. Mit den beschriebenen Konzepten der ökologischen Entwicklungstheorie lässt sich die Umwelt des Kindes in der Stadt differenziert erfassen. Allerdings bleibt das Verhältnis von Umweltbedingungen, dem subjektiven Erleben der Umweltbedingungen und der spezifischen Form der Auseinandersetzung noch unscharf. Eine Präzisierung kann mit Hilfe eines relationalen Raumkonzeptes (vgl. u. a. Löw, 2001; Sturm, 2000) erfolgen. Die tradierten räumlichen Ordnungen (Bewegungsräume, Sporträume, Spielplätze etc.), bei denen es sich oft um vorgängige Raumkonstruktionen anderer Personen (Erzieher*innen, Architekt*innen etc.) handelt, stehen in einer ermöglichenden Beziehung zu den Bewegungshandlungen der Kinder, ohne sie allerdings zu determinieren (vgl. Löw, 2001, S. 191-192). So ermöglicht z. B. eine Sprossenwand das Klettern oder eine Schaukel das Schwingen, die Kinder können diese Artefakte aber auch gar nicht oder anders nutzen. Die spezifische Deutung und Art der Nutzung liegt letztlich in den Händen der Kinder, auch wenn sie sich dabei natürlich an Vorbildern orientieren oder Aufforderungen von außen folgen. Aber nicht nur auf der materiell-dinglichen Ebene, sondern auch auf der personalen Ebene finden sich ermöglichende Ordnungen des Raumes, wie beispielsweise andere Kinder, Erzieherinnen bzw. Erzieher, Eltern oder aber gerade ihre Abwesenheit. Neben ihrer Rolle als potenzielle Bewegungspartnerinnen und -partner, prägen sie die räumliche Ordnung auch durch eine von ihnen etablierte bzw. gewährleistete spezifische Regelstruktur (Verbote, Konventionen etc.) sowie in ihrer Rolle als Quelle von spezifischen Atmosphären (Sicherheit, Geborgenheit, Verunsicherung etc.). So zeichnen sich unterschiedliche Bewegungsräume in der Kindertagesstätte, Bewegungsräume des Wohnumfelds, Sporträume oder Naturräume in der Regel durch sehr spezifische Atmosphären, Anmutungsqualitäten und Ausdruckgehalte aus, welche für die spezifischen Bewegungshandlungen eher förderlich oder hinderlich sein können.3 Die beschriebenen räumlichen Ordnungen und ihre Wirkungen sind zwar durchaus intersubjektiv wahrnehmbar, jedoch müssen sie von den Akteuren auf der Grundlage ihrer spezifischen Wissensbestände entschlüsselt werden, was von Löw (2001, S. 196ff) als »Syntheseleistung« bezeichnet wird. Gerade bei Kindern werden Geräte und Materialien noch nicht in ihrer Eigenschaft als Bewe-

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Diese insbesondere im Rahmen phänomenologisch orientierter Raumkonzepte thematisierte Gestimmtheit des Raumes (Ströker, 1965; Bollnow, 2004; Kruse, 1974, 1990) steht zwar in keinem Kausalverhältnis zum Erleben, sie übt aber durchaus ihre Wirkung aus, indem er sich »mitteilt« bzw. »anspricht« (Ströker, 1965).

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gungsding und andere Personen noch nicht in ihrer Eigenschaft als Bewegungspartnerin und -partner erkannt. Diese Dinge müssen erst in Form von Erkundungen in Erfahrung gebracht werden. Auf der Grundlage einer spezifischen Synthese räumlicher Ordnungen an bestimmten Orten bringen die Kinder, ggf. gemeinsam mit ihren Erzieherinnen und Erziehern oder Eltern, durch ihre Handlungen bzw. Bewegungen Räume hervor, was Löw (2001) als »Spacing« bezeichnet. Die Kinder und erwachsenen Bezugspersonen bringen also im Wechselspiel von Wahrnehmung und Bewegung (vgl. v. Weizsäcker, 1997), auf der Grundlage einer bestehenden räumlichen Ordnung und einer spezifischen Syntheseleistung, ihre Bewegungsräume selbst hervor (siehe Abb. 3). Abb. 3: Relationales Bewegungsraumkonzept (nach Erhorn, 2010)

Syntheseleistung Wahrnehmung Mensch

Welt Raum-

RaumBewegung Spacing

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung handeln die Kinder auf der Grundlage der vorhandenen räumlichen Ordnung und bringen durch ihre Handlungen wiederum Bewegungsräume hervor. Dabei können sich spezifische Erlebnisse und Erfahrungen einstellen. Mit Hilfe der ökologischen Entwicklungstheorie und des relationalen Raumkonzeptes konnten die kindliche Bewegungsumwelt und der Prozess ihrer (Ko-) Konstruktion konzeptuell erfasst werden. In einem letzten Schritt werden nun die verschiedenen Bewegungsformen, mit deren Hilfe sich der Prozess der Auseinandersetzung ereignet, näher betrachtet.

B EWEGUNG

UND IHRE

E RSCHEINUNGSFORMEN

Für den produktiven Austauschprozess mit der den Kindern dargebotenen räumlichen Ordnung, in dessen Rahmen sie ihre individuellen Bewegungsräume hervorbringen, können verschiedene Aktionsformen differenziert werden (vgl. u. a. Ehni, 1985a; Dietrich, 1980). Für Kinder im Grundschulalter konnten im Rah-

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men einer ethnographischen Studie sechs Aktionsformen mit neun Sinnrichtungen rekonstruiert werden (vgl. Erhorn, 2012, 2013). Abb. 4: Aktionsformen und Sinnrichtungen der Bewegung von Kindern im Grundschulalter (nach Erhorn, 2012, 2013)

Die Aktionsformen Erkunden, Üben und Spielen sind auch für Kinder im Vorschulalter von zentraler Bedeutung (vgl. auch Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.) und werden daher nachfolgend erläutert. Mit der Aktionsform Erkunden bringen die Kinder unbekannte Gegebenheiten, wie Geräte und Materialien, Bewegungsaktivitäten oder Bewegungsorte, in Erfahrung. Bedingungen des Erkundens sind das Vorhandensein von Neuem in der Umgebung und ein gewisses Maß an Neugier auf Seiten der Kinder. Somit hängt das Erkunden in hohem Maße von den Gelegenheiten ab, welche die Umwelt den Kindern bietet (vgl. Sutton-Smith, 1978, S. 62). Allerdings sind gerade erkundete Gegenstände und Areale nicht immer gänzlich neu, z. T. werden auch an bekannten Dingen neue Eigenschaften oder Nutzungsmöglichkeiten gesucht. Fehlt allerdings die notwendige Neugier, bleibt das Erkunden aus. Der Neugier entgegen wirkt die Furcht vor dem Unbekannten (vgl. Keller & Schneider, 1991, S. 32f.). Erkundungen können nach den ihnen zugrunde liegenden Beweggründen und nach den verschiedenen Wegen der Erkundung differenziert werden. So führt Berlyne (1974) Erkundungen auf die Motive des Spannungsabbaus und Spannungsaufbaus zurück. Im Falle des Motivs des Spannungsabbaus hat ein

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unbekannter Gegenstand einen Spannungszustand ausgelöst, der durch Erkundung wieder auf ein normales Maß reduziert werden muss. Fällt das Spannungsmoment hingegen stark ab, d. h. kommt bei den Kindern »lange Weile« auf, so können Erkundungen auch unternommen werden, um Spannung zu steigern. Erkundungen können durch eine motorische Auseinandersetzung oder durch Beobachtung erfolgen. Während Geräte und Materialien verstärkt durch eine motorische Auseinandersetzung in Erfahrung gebracht werden, geschieht dies bei Bewegungsaktivitäten in hohem Maße durch Beobachtung. Die Erkundung von Bewegungsorten erfordert hingegen i. d. R. Beobachtungen und eine motorische Auseinandersetzung (vgl. Erhorn, 2012). Mit der Aktionsform Üben eignen sich die Kinder spezifische Fertigkeiten an bzw. verbessern ein spezifisches Können. Den Ausgangspunkt bildet i. d. R. der Entschluss, etwas können zu wollen, der aufgrund einer Diskrepanz zwischen dem, was man kann und dem, was man können will, getroffen wird (vgl. Bollnow, 1978). Die Beweggründe der Kinder können vielfältiger Natur sein. Da die Kinder spezifischen Fertigkeiten unterschiedlich hohe Bedeutungen beimessen, bestehen z. T. beachtliche Differenzen in der Motivation, ein bestimmtes Können erwerben zu wollen. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Bereitschaft, den dafür notwendigen und anstrengenden Übungsprozess auf sich zu nehmen. So müssen die entsprechenden Bewegungsabläufe häufig wiederholt werden, damit die Kinder das angestrebte Können tatsächlich erwerben können (vgl. Goeldel, 1964). Dabei sind die Wiederholungen nicht komplett identisch, da es sich um den stetigen Versuch einer immer besseren Lösung eines spezifischen Bewegungsproblems handelt (vgl. Ehni, 1985b). Dies verlangt nach einer ausdauernden Konzentration auf die Sache und nach der Disziplin, den anstrengenden Übungsprozess bis zur Erreichung des angestrebten Könnens durchzuhalten. Die Kinder stehen diesen Prozess i. d. R. nur durch, wenn sie ein hohes Maß an Motivation besitzen und genau wissen, wofür sie die Anstrengungen auf sich nehmen. Häufig spielt dabei die spätere Präsentation des erworbenen Könnens eine wichtige Rolle. Bei ihren Übungsbemühungen werden die Kinder häufig von erwachsenen Personen auf motivationaler, emotionaler, motorischer und/oder kognitiver Ebene unterstützt (vgl. Erhorn, 2012). Beim Spielen mit etwas beziehen sich die Kinder in ihrer Bewegung auf physische Gegenstände oder auf physikalische Phänomene (z. B. Schwerkraft, Fliehkraft, Beschleunigung). Dabei können sie spezifische Bewegungserlebnisse und Bewegungserfahrungen machen. Das Spielen mit etwas setzt allerdings die entsprechenden sozialen und materiellen Bedingungen, die Kenntnis von Spielgegenständen und von deren Nutzungsmöglichkeiten (siehe Erkunden) sowie das für die spezifische Nutzung notwendige Können (siehe Üben) voraus. Die ver-

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schiedenen Spiele mit etwas unterscheiden sich in ihren Voraussetzungen in erheblichem Maße. Auf der Grundlage der vorhandenen Bedingungen, dem Können und der eigenen Spielideen müssen die Kinder aus den gegebenen Spielgegenständen und ihren jeweiligen Nutzungsmöglichkeiten eine Auswahl treffen und durch eine spezifische Art und Weise der Nutzung in ein Spiel überführen, wobei zur Aufrechterhaltung der Spannung im Verlauf des Spiels häufig eine Variation der Nutzung unternommen wird (vgl. auch Sutton-Smith, 1978, S. 4652). Die Spiele mit etwas können durch unterschiedliche Sinnrichtungen gekennzeichnet sein. Sie können von den Kindern aufgrund des damit verbundenen Bewegungserlebnisses selbst, um das eigene Können und die eigene Geschicklichkeit zu erleben oder um etwas zu wagen und den eigenen Mut zu präsentieren unternommen werden. Zudem zeigen sich Differenzen im Grad der Kreativität und Selbsttätigkeit. Während es sich bei vielen Spielen mit etwas lediglich um die Nutzung fertiger, häufig professionell gestalteter Spielgegenstände im tradierten Sinne handelt4, erstellen die Kinder in anderen Spielen mit etwas ihre Spielgegenstände selbst (vgl. Erhorn, 2012). Im Spielen als etwas nehmen Kinder bestimmte Spielrollen ein. Diese stellen einen typischen Satz aus Eigenschaften und Verhaltensweisen dar, den sich die Kinder für die Dauer des Spiels versuchen zu eigen zu machen. Dafür wird ein gemeinsamer Spielrahmen geschaffen, der von den Kindern (ko-) konstruiert werden muss. Dabei orientieren sie sich häufig an Situationen aus dem Alltag (»Einkaufen beim Bäcker«, »Haare schneiden beim Friseur«, »Baby ins Bett bringen« etc.). Diese Spiele bieten vielfältige Anlässe für verbale und nonverbale Kommunikation. Im Rahmen dieser Spielrollen nehmen die Kinder Positionen ein und Eigenschaften an, die sie im Alltag in dieser Form (noch) nicht besitzen. Die sich im Rahmen dieser Spiele ergebende Spielhandlung ist häufig überzeichnet, da die Kinder ihre Wahrnehmung medialer oder alltagsweltlicher Erfahrungen zur Grundlage der Inszenierung machen. Die Spielrollen stehen mit der aus ihnen resultierenden Spielhandlung in enger Korrespondenz. Die Möglichkeiten der Kinder für die kreative Ausgestaltung der Spielrollen und der Spielhandlung variieren zwischen den verschiedenen Spielen als etwas stark. Während einige Spiele eine feste Regelstruktur und Rollendefinition aufweisen und somit den Handlungsspielraum der Kinder begrenzen, verfügen andere Spiele über keine bzw. keine expliziten Regeln und lediglich über noch zu entwickelnde Spielrollen und bieten ihnen daher einen großen Handlungsspielraum. Die Spielhandlung spielt sich wiederum im Rahmen spezifischer Spielräume ab,

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Allerdings können die Spielgegenstände zum Teil in einer von der tradierten Gebrauchsweise abweichenden Form genutzt werden.

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wobei deren materielle und soziale Ordnung die Spielhandlung zum einen ermöglichen muss, zum anderen aber auch von dieser Spielhandlung, in zum Teil sehr phantasievoller Art und Weise, überformt wird. Spiele als etwas können jedoch auch durch Regeln festgelegte Spielstruktur aufweisen, die den Handlungen der Kinder einen Rahmen setzt. Im Kontext der Spiele als etwas treten unterschiedliche Sinnrichtungen zu Tage. So wollen die Kinder im Spiel i. d. R. einem Vorbild nahe kommen, Spannung erzeugen (z. B. indem Situationen dramatisiert werden) oder einfach etwas gemeinsam mit anderen Kindern machen (vgl. Erhorn, 2012). In den Spielen um etwas vergleichen Kinder das Können, die Geschicklichkeit und die Leistungsfähigkeit miteinander. Für die konkrete Umsetzung in einem Spiel ist es notwendig, einen Vergleichsgegenstand und ein konkretes Spielziel festzulegen, Regelungen zu treffen und Spielrollen einzunehmen. Erst auf diese Weise können sich die Kinder auf der Basis gleichartiger, aber gegeneinander gerichteter Intentionen miteinander bewegen (Dietrich, 1980, S. 15). Der Verlauf des Spiels ist in hohem Maße durch das Bestreben, gewinnen zu wollen, gekennzeichnet. Da die Spiele um etwas am Ende Gewinner und Verlierer produzieren, erweist sich auch der häufig problematische Umgang mit Sieg und Niederlage als Kennzeichen. Spiele um etwas können in vielfältiger Form auftreten. So legen die Kinder die Vergleichsdimension, Spielziel und Spielregeln in einigen Spielen um etwas selbständig fest und sind selbst für die Organisation und Aufrechterhaltung der Spiele verantwortlich. In anderen Spielen um etwas bewegen sich die Kinder in einem von außen vorgegebenen Spielrahmen. Im Kontext der Spiele um etwas sind die Sinnrichtungen des sich Präsentierens und den Status in der Gruppe Dokumentierens sowie des Erlebens von Können und Selbstwirksamkeit in der Regel dominant. Allerdings können sie auch unter der Sinnrichtung Geselligkeit und Teilhabe unternommen werden (vgl. Erhorn, 2012).

F AZIT

UND

AUSBLICK

Die Untersuchung des Phänomens Bewegung von Kindern in der Stadt sowie die Konzeptionierung von Interventionen verlangen nach einer angemessenen Theoriefolie. Ein rein physiologisches Bewegungsverständnis greift an dieser Stelle zu kurz. Es ist nicht in der Lage, Bewegung in seinen Sinn- und Bedeutungsdimensionen und die mit ihr verbundenen Erlebnis- und Erfahrungspotenziale zu erfassen. Vor diesem Hintergrund wurde Bewegung als Medium der Vermittlung zwischen Mensch und Welt konzeptualisiert, mit dem das Kind materiale, soziale und Selbst-Erfahrungen machen kann. Die Umwelt und die mit der bewe-

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gungsvermittelten Auseinandersetzung verbundenen Handlungs- und Erfahrungspotenziale wurden mit Hilfe der ökologischen Entwicklungstheorie näher konzeptualisiert. Entwicklung wird dabei als ein Prozess begriffen, in dem ein Kind in immer mehr Kontexten ein höheres Maß an »Handlungsfähigkeit« gewinnt. Eine besondere Bedeutung kommt dabei ökologischen Übergängen zu. Mit ihnen werden neue Kontexte (Mikrosysteme) erschlossen und Wechselwirkungen zwischen diesen Kontexten möglich (Mesosystem). Seinen Ausgang nimmt dieser Prozess i. d. R. in der elterlichen Wohnung (ökologisches Zentrum), dehnt sich auf das nähere Wohnumfeld aus (ökologischer Nahraum), bevor das Kind in Kontakt mit unterschiedlichen Institutionen kommt (ökologische Ausschnitte). Zudem kommt das Kind vereinzelt mit nicht alltäglichen Kontexten in Kontakt (ökologische Peripherie). Diese Kontexte bieten für die Kinder besondere, nicht austauschbare Erfahrungspotenziale. Allerdings stellen sie für die Kinder jedoch nur spezifische Erfahrungspotenziale bereit (räumliche Ordnungen), die das Kind auf eine spezifische Art wahrnimmt (Syntheseleistung) und dabei spezifische Bewegungsräume konstruiert (Spacing). Dabei macht das Kind spezifische Erfahrungen. Auf der Grundlage dieses Prozesses bildet sich eine spezifische Form des Raumerlebens heraus. Die Art der bewegungsvermittelten Auseinandersetzung mit der so verstandenen Umwelt vollzieht sich i. d. R. im Rahmen der Aktionsformen (Erkunden, Üben, Spielen) und ist durch spezifische Sinnrichtungen geprägt. Auf der Basis dieser Bestimmungen können für Maßnahmen, die sich auf das Bewegungsverhalten von Kindern in der Stadt richten, folgende Zielrichtungen ausgegeben werden: • •





Die Bewegungsumwelt der Kinder sollte anregend gestaltet sein und den Kindern vielfältige Handlungs- und Erfahrungspotenziale bieten. Den Kindern sollte Gelegenheit gegeben werden, sich mehrere und möglichst vielfältige Bewegungsräume zu erschließen, indem ihnen ökologische Übergänge ermöglicht bzw. angebahnt werden. Die Kinder sollten sich nicht ausschließlich in »Kinderzonen« bewegen, sondern auch Gelegenheit bekommen sich in Kontexten zu bewegen, in denen sie keiner pädagogischen Aufsicht unterliegen. Bewegungsräume der Gleichaltrigenkultur sollten nicht pädagogisch überformt und damit ihrer spezifischen Erfahrungspotenziale beraubt werden.

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Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten Offene Bewegungsangebote inszenieren J AN E RHORN

E INLEITUNG Die Kindertagesstätte bildet für viele Kinder einen wichtigen Bereich ihres alltäglichen Lebens. So liegt die Betreuungsquote der Kinder im Alter zwischen drei und fünf Jahren im Jahre 2014 im Bundesdurchschnitt bei 93,4% und in Schleswig-Holstein bei 91,1%, wobei die Mehrzahl der Kinder eine Kindertageseinrichtung besucht (Deutsches Statistisches Bundesamt, 2014). Dementsprechend stellen Kinderbetreuungseinrichtungen einen wichtigen Kontext für Bewegungsaktivitäten der Kinder dar. Allerdings hängen der Umfang sowie der Erlebnis- und Erfahrungswert der Bewegungsaktivitäten in hohem Maße von der Raumgestaltung und dem Zugang zu den vorhandenen Räumen ab (vgl. Erhorn, 2015; Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Im Unterschied zu vielen anderen alltäglichen und nicht alltäglichen Bewegungsräumen, besteht im Kontext von Kinderbetreuungseinrichtungen die Möglichkeit, die Räume bewegungsförderlicher bzw. erlebnisreicher zu gestalten. Vor diesem Hintergrund wird in den Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt ein Sportbündnis mit dem Ziel gegründet, die Bewegungsräume von ausgewählten Kinderbetreuungseinrichtungen bewegungsfreundlicher und anregungsreicher zu gestalten. Das Bündnis besteht aus dem Familienhaus an der Bergmühle, der Kindertagesstätte Sol-Lie, dem Hamburger Forum Spielräume und der Europa-Universität Flensburg. Das Vorhaben wird im Kontext der Initiative »Kultur macht stark« durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und ist eingebettet

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in das Modul »ErlebnisRAUMerfahrung« der Deutschen Sportjugend (vgl. Töpfer, Liebl & Sygusch, 2015). Im Folgenden werden zunächst theoretische Vorüberlegungen angestellt und die durchgeführten Maßnahmen beschrieben sowie das methodische Vorgehen der Begleitforschung erläutert. Im Anschluss werden Ergebnisse der Begleitforschung dargestellt und in einem Fazit Empfehlungen für zukünftige Maßnahmen ausgesprochen.

T HEORETISCHE V ORÜBERLEGUNGEN Die Kinderbetreuungseinrichtung stellt ein Mikrosystem dar, welches in der Zone der ökologischen Ausschnitte verortet werden kann (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Baacke, 1999). Im Sinne von Baacke (1999) kann sie als eine »Kinderzone« betrachtet werden, in welcher die Kinder in hohem Maße der Aufsicht von erwachsenen Personen unterliegen, was auch ihre Verhaltensweisen gegenüber Gleichaltrigen überformt. Dennoch kann den Kindern in unterschiedlich hohem Maße Spielraum für Selbständigkeit und Selbsttätigkeit gewährt werden. Abb. 1: Verortung der Kinderbetreuungseinrichtung im sozialökologischen Zonenmodell (nach Baacke, 1999)

Ökologische Peripherie

Ökologische Ausschnitte »Kita«

Ökologischer Nahraum Ökologisches Zentrum

Die potenziellen Bewegungsräume der Kinderbetreuungseinrichtungen weisen eine jeweils spezifische räumliche Ordnung auf (vgl. Löw, 2001; Sturm, 2000;

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Kruse, 1990; Erhorn, 2015). Aufgrund ihrer materiellen Ordnung besitzen die Räume einen spezifischen Aufforderungscharakter. Durch spezifische Formen der Enge und Weite, durch Geländemodellierungen und -beschaffenheit sowie durch spezifische Geräte und Materialien laden die Räume zu bestimmten Tätigkeiten ein und schließen andere wiederum aus. Zudem besitzen die verschiedenen Räume eine spezifische Raumatmosphäre, die sich förderlich oder hinderlich auf den Aufforderungscharakter auswirken kann (vgl. Kruse, 1990). Ebenfalls von zentraler Bedeutung für den Aufforderungscharakter der Räume der Kinderbetreuungseinrichtung sind die dort anwesenden bzw. agierenden Personen und die dort vorherrschenden sozialen Regelungen (vgl. Löw, 2001; Erhorn, 2015). Bei den Personen handelt es sich sowohl um die anderen Kinder (Anzahl, Alter, Vorlieben und Einstellungen, Entwicklungsstand etc.) als auch um die erwachsenen Betreuungspersonen (Einstellungen zur Bewegung, Betreuungs- und Verbotsverhalten etc.). Mit den sozialen Regelungen sind insbesondere die Modalitäten des Zugangs zu Bewegungsräumen sowie die Konventionen gemeint, wo und in welcher Form Bewegung zugelassen, erlaubt oder erwünscht ist. Interventionen sollten die genannten Ebenen und Merkmale der räumlichen Ordnung reflektieren und nach Möglichkeit auch berücksichtigen. Sie stellen wichtige Ansatzpunkte für Interventionen in der Kinderbetreuungseinrichtung dar.

B ESCHREIBUNG

DER

M ASSNAHME

Die für die Intervention ausgewählten Kinderbetreuungseinrichtungen Sol-Lie und Familienhaus an der Bergmühle liegen in den Flensburger Quartieren Neustadt und Nordstadt. Diese Quartiere gelten in Flensburg als soziale Brennpunkte (vgl. Stadt Flensburg, 2014). Die Kinderbetreuungseinrichtungen haben zudem einen Schwerpunkt in den Bereichen Inklusion sowie heilpädagogischer und sprachlicher Förderung. Die an dem Projekt teilnehmenden Kinder halten sich an drei bis fünf Tagen in der Woche in der Einrichtung auf. Sie stellt somit einen bedeutsamen Bewegungsraum für die Kinder dar. Vor diesem Hintergrund verfolgt das »Sportbündnis« das Ziel, den Aufforderungscharakter der Innen- und Außenräume der Kindertagesstätten Sol-Lie und Familienhaus an der Bergmühle zu erhöhen, das Betreuungs- und Aufsichtsverhalten der Erzieherinnen und Erzieher bewegungsfreundlicher zu gestalten und auf diese Weise die Kinder zu erlebnis- und erfahrungsreicheren Bewegungsaktivitäten anzuregen. Um diesen Herausforderungen besser begegnen zu können, wird das Bündnis durch das Hamburger Forum Spielräume und seine Expertinnen und Experten erweitert.

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Die Zusammenarbeit im Rahmen des Bündnisses erstreckte sich über insgesamt drei Phasen: • • •

Ist-Stand-Analyse der Bewegungsräume der Kinderbetreuungseinrichtungen, Ermittlung von Verbesserungspotenzialen und Planung von Maßnahmen, Durchführung der Maßnahmen mit den Kindern und ihren Erzieherinnen und Erziehern.

Im Kontext der Ist-Stand-Analyse werden für die Kindertagesstätte Sol-Lie auf der Ebene der materiellen Ordnung die Gruppenräume, der Bewegungsraum sowie das Außengelände, für das Familienhaus an der Bergmühle, die viele Krippengruppen beherbergt, die großzügig angelegten Gruppenräume sowie das Außengelände als potenzielle Bewegungsräume ausgemacht. Auf der Ebene der sozialen Ordnung kommen insbesondere die Einstellungen der Erziehenden zu Bewegung, Spiel und Sport sowie ihre Kompetenzen im Bereich der Inszenierung offener Bewegungsangebote in den Blick. Auf der Grundlage dieser Ausgangslage werden die materiellen Ordnungen des Bewegungsraums und des Außengeländes der Kindertagesstätte Sol-Lie sowie die Gruppenräume des Familienhauses an der Bergmühle als besondere Verbesserungspotenziale der Einrichtungen ausgemacht. Auf der Ebene der sozialen Ordnung wurden die Einstellungen der Erzieherinnen und Erzieher und ihre Kompetenzen zur Inszenierung offener Bewegungsangebote als Verbesserungspotenzial herausgestellt. Vor diesem Hintergrund wurde mit den Leitungen der Kinderbetreuungseinrichtungen, unter Beteiligung der Erziehenden der Einrichtungen, beschlossen, in den Räumen der Einrichtungen mobile Geräte und Materialien der Bewegungsbaustellen einzurichten, um den Aufforderungscharakter der Räume zu erhöhen und eine selbsttätige Auseinandersetzung mit der Bewegungsumwelt zu befördern. Zudem sollten in den Einrichtungen mit diesen Geräten und Materialien offene Bewegungsangebote durchgeführt und die Erzieherinnen bzw. Erzieher der Einrichtung im Zuge dessen fortgebildet werden (vgl. Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Im Kontext der Zusammenarbeit im Sportbündnis werden den Erzieher*innen zunächst die Geräte und Materialien der Bewegungsbaustelle vorgestellt und ihnen die Gelegenheit gegeben, diese selbst zusammenzubauen und auszuprobieren. Danach werden die Bewegungsräume mit den Kindern aufgesucht, wobei der Experte des Hamburger Forums Spielräume ein anregendes Bewegungsarrangement zusammenstellt und die Nutzung durch die Kinder betreut. Dabei erläutert er den betreuenden Erzieherinnen und Erziehern der Gruppen sein Vorgehen, um sie in die Lage zu versetzen, das Angebot zukünftig selb-

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ständig zu betreuen. So weist Fischer (2010) explizit auf die hohe Bedeutung des betreuenden Pädagogen hin: »Entscheidend für den Erfolg einer Erfahrungssituation in einer Bewegungslandschaft oder einer Bewegungsbaustelle ist die methodische Erfahrung des Pädagogen, der gezielt eingreift oder im richtigen Augenblick Zurückhaltung übt« (ebd., S. 80).

M ETHODISCHES V ORGEHEN

DER

B EGLEITFORSCHUNG

Die Begleitforschung ist als eine formative Evaluation konzipiert, in deren Rahmen der Versuch unternommen wird, die Struktur der Interventionen besser zu verstehen sowie Stärken und Schwächen der Interventionen auszumachen, um zukünftige Maßnahmen zu optimieren (vgl. Bortz & Döring, 2009, S. 97). Dafür werden die Maßnahmen videographisch dokumentiert (vgl. Dinkelaker & Herrle, 2009). In Abhängigkeit von der Umgebung werden die Aufnahmen entweder mit einer Handkamera oder mit einer fest installierten Stativ-Kamera erstellt. Während sich die Aufnahmen mit der Handkamera eng an einzelnen handelnden Akteuren orientieren, wird mit der fest installierten Kamera in überschaubaren Handlungszusammenhängen zumeist eine Totale gefilmt. Die Aufnahmen zentrieren sich in der Regel auf den Experten, der während der Maßnahme zumeist mit einem Funkmikrofon ausgestattet wird, um eine optimale Tonqualität zu gewährleisten. Stehen die Kinder oder die Erzieher*innen im Fokus der Aufnahme, so wird ein Richtmikrofon eingesetzt. Die auf diese Weise erstellten Videodokumente werden in die Auswertungssoftware ATLAS.ti eingelesen und ausgewertet. Die Dokumente werden zunächst kodiert und einer ersten kategorialen Auswertung unterzogen. Im Zuge des Kodierens werden, auf der Folie alltagstheoretischer und wissenschaftlicher Konzepte, ausgewählten Szenen konzeptionelle Bezeichnungen zugeordnet. Dabei werden relevant erscheinende Szenen ausgewählt, verschriftlicht und einer sequenziellen Detailanalyse unterzogen. Im Wechselspiel von sequenzieller und kategorialer Auswertung entsteht ein Kategorienschema (vgl. Strauß & Corbin, 1996). Auf der Basis der Auswertung spezifischer Fälle können dabei, neben der Struktur des Angebotes, Verbesserungspotenziale herausgearbeitet werden.

E RGEBNISDARSTELLUNG Bei der Auswertung des Datenmaterials konnten Betreuungshandlungen des Experten bzw. der Erzieherinnen und Erzieher sowie Erkundungen und Raum-

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aneignung durch die Kinder differenziert werden. Es werden jeweils exemplarisch ausgewählte Fälle ausgewertet, die Hinweise zur Struktur und zu den Verbesserungspotenzialen des Angebots liefern. Offene Bewegungsangebote mit den Kindern inszenieren Im Kontext des Angebots traten mehrere typische Handlungsweisen der Betreuungspersonen auf, die im Folgenden exemplarisch anhand von Fallbeispielen illustriert werden. Potenziale erkunden und Bewegungsgelegenheiten arrangieren Als sich die Erziehenden der Kindertagesstätten mit Hilfe des Experten mit den neuen Geräten und Materialien vertraut gemacht haben, beginnen sie, das Außengelände der Kita Sol-Lie nach Möglichkeiten der Installation unterschiedlicher Elemente abzusuchen. Dabei werden sie von dem Experten unterstützt. Als besonderes Potenzial fallen ihnen die Hanglage des Außengeländes sowie der umfangreiche Baumbestand auf. In der Folge wird überlegt, mit Hilfe welcher Materialien diese besonderen Potenziale des Außengeländes nutzbar gemacht werden können und welche möglichen Elemente für die Kinder einen hohen Aufforderungscharakter besitzen und ihnen spannende Bewegungserlebnisse verschaffen könnten. Die Hanglage wird als Potenzial ausgemacht, um den Kindern die Erlebnisse von Beschleunigung und Geschwindigkeit sowie Rollen und Gleiten zu ermöglichen. Aus dem Materialbestand werden daher eine Rampe sowie ein Outdoor-Rollbrett ausgewählt und am Hang installiert. Die Bäume werden hingegen in ihrem Potenzial als Befestigungspunkte für die verschiedenen Materialien entdeckt. In der Folge wird ein stabiler Ast für die Befestigung einer Schaukel genutzt, zwischen zwei Bäumen eine Hängematte aufgehängt, um den Kindern Erlebnisse mit dem Schwingen zu ermöglichen, zwischen zwei anderen Bäumen eine Slackline zum Balancieren gespannt und ein großes Tuch zwischen vier Bäumen aufgehängt. Am nächsten Tag wird das so gestaltete Außengelände den Kindern der Kindertagesstätte zur Nutzung angeboten.(Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 14.5.2014) Die räumliche Ordnung, in deren Kontext sich die Kinder aufhalten, hat einen entscheidenden Einfluss auf ihre Bewegungsaktivitäten sowie die damit verbundenen Erlebnis- und Erfahrungspotenziale (vgl. Erhorn, 2015). Dies gilt auch für die materielle Ordnung der Kindertagesstätte, welche von den Erzieherinnen und Erziehern in einem gewissen Rahmen (um-) gestaltet werden kann. Auf diese Weise können diese indirekten Einfluss auf das Bewegungsverhalten der Kinder nehmen und bestimmte Bewegungsaktivitäten provozieren, ohne die Selbstän-

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digkeit und Selbsttätigkeit der Kinder zu untergraben (vgl. Kretschmer, 2000; Erhorn, 2012, 2014). Vor diesem Hintergrund erkunden die Erzieherinnen und Erzieher den Außenraum der Kindertagesstätte nach Potenzialen, wie mit Hilfe der neuen Geräte und Materialien neue Bewegungsgelegenheiten für die Kinder arrangiert werden können. Das Außengelänge rückt dabei in seinen Nutzungsqualitäten und seiner Funktion als anregungsreicher Bewegungsraum in den Fokus. Dabei werden, neben der Möglichkeit der Umsetzung, auch Sicherheitsaspekte, motivationale Aspekte sowie die Passung zwischen Anforderungsniveau und Können der Kinder bedacht. Durch die installierten Elemente werden den Kindern spezifische Nutzungsmöglichkeiten und damit verbundene Bewegungserlebnisse, wie das Schwingen, Schaukeln, Balancieren, Rutschen und Steigen, ermöglicht. An dieser Stelle wird die zentrale Rolle der Erziehungspersonen als Arrangeur von Bewegungsgelegenheiten verdeutlicht. Ihre Einstellung und ihr Engagement sind für die Gestaltung einer anregungsreichen und bewegungsfreundlichen Kindertagesstätte von zentraler Bedeutung. Soziale Ordnungen gestalten – In die Nutzungsregeln einführen Die Kinder einer Kita-Gruppe werden von ihren Betreuungspersonen in den Bewegungsraum begleitet und finden sich in einen Sitzkreis zusammen. Daraufhin beginnt der Experte, die Kinder in die Idee und die Nutzung der Bewegungsbaustelle einzuführen: »Wie ihr seht, habe ich Euch große Sachen zum Spielen mitgebracht. Das was hier so wild aussieht, das ist eine Baustelle, eine Bewegungsbaustelle, wir sind ja schließlich in einem Bewegungsraum. Und da hast du die besten Ideen. Da ist vielleicht eine Höhle [zeigt auf einen Kasten], aber das weiß ich alles nicht. Das kann alles Deine Idee sein. Auf alle Fälle können die Kästen so oder so liegen. Es gibt nichts Richtiges oder Falsches. Vielleicht können wir einen Kasten oben drauf tun, erste Etage. Das ist hier wie auf einer Baustelle […]. Wir Großen gucken ein bisschen zu und wenn es ganz schwer wird, wenn sich die Hölzer gar nicht bewegen lassen, dann kannst Du uns rufen oder Du fragst Deine Freunde, das geht auch. Die erste Sache die wir brauchen sind Barfüße, denn es ist auf dem Holz gleich super rutschig. Das machen wir als erstes [Kinder ziehen sich Schuhe und Socken aus]. Vielleicht noch zwei Regeln. Was Du Dir nimmst ist Deins. Also Du gehst mit Deinem Freund oder Deiner Freundin los und schiebst etwas zusammen und baust etwas und das ist dann Dein Haus. Das kann Dir niemand wegnehmen. Dann müssen die anderen fragen: »Darf ich mitspielen?«, »Darf ich das haben?«, »Brauchst Du das noch?«. Das ist die erste Regel: Was Du Dir nimmst ist Deins! Und die zweite Regel ist, lass Zeit und lass Platz. Wenn wir das gleich so haben [legt ein Brett über zwei

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Kästen], als Beispiel, dass das hier etwas zum Balancieren ist, dann heißt lass Zeit und lass Platz, Du krabbelst rüber und kannst das ganz alleine machen und wenn es Dir zu hoch ist, gehst Du wieder zurück und steigst ab. Du brauchst niemanden drängeln, schubsen, stoßen sowieso nicht. Die zweite Regel ist also: »Lass Zeit und lass Platz!« Und jetzt liegen die Sachen für Euch bereit. Wir Großen sind vielleicht Helfer, aber ihr könnt mal gucken, ob ihr alleine eine Idee habt. Dann los und baut zusammen. So lange, wie noch was da ist.« (Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 14.5.2014) Im Rahmen der Einführung ist zunächst auffällig, dass das Angebot in einer für die Kinder gewohnten Umgebung (Bewegungsraum) und in gewohnten sozialen Zusammenhängen (Gruppe, Betreuungspersonen sind anwesend) inszeniert wird. Dies vermittelt den Kindern ein Gefühl von Sicherheit, welches es ihnen erleichtert, sich den neuen Materialien zuzuwenden und die Bewegungsbaustelle und ihre vielfältigen Deutungs- und Nutzungsangebote zu erkunden. In seiner Ansprache ermutigt der Experte die Kinder, selbst kreativ zu werden und eigene Ideen im Bewegen, im Bauen und in der (Um-) Deutung der Materialien und Arrangements zu verfolgen (»Das ist hier wie auf einer Baustelle«). Um ihnen jedoch eine Vorstellung von den Möglichkeiten zu geben, deutet der Experte mögliche Deutungen an (»Da ist vielleicht eine Höhle«). Allerdings wird sofort darauf verwiesen, dass auch andere Deutungen und Nutzungen möglich sind (»Es gibt nichts Richtiges oder Falsches«) und die Ideen der Kinder im Vordergrund stehen (»Das kann alles Deine Idee sein«). An dieser Stelle versucht der Experte die zentralen Merkmale der Bewegungsbaustelle kindgerecht zu vermitteln. Fischer (2010, S. 77f) stellt heraus, dass es im Kontext der Bewegungsbaustelle darum geht, den Kindern die Möglichkeit zu geben »selbsttätig ihre Bewegungsumwelt mitzugestalten« und ihrem Entwicklungsalter entsprechend spezifische Anregungen der Umwelt wahrzunehmen und persönlich bedeutsame Handlungsangebote auszuwählen. Auch die Rolle der Erwachsenen wird den Kindern deutlich gemacht. Sie verhalten sich weitgehend passiv (»Wir Großen gucken ein bisschen zu«) und helfen nur, wenn die Kinder nicht in der Lage sind, das Problem selbst zu bewältigen. Dabei werden sie explizit auf die Möglichkeit hingewiesen, sich gegenseitig zu helfen. Im Rahmen des Angebots wird den Kindern ein großer Freiraum gewährt. Dieser wird lediglich durch die reine Anwesenheit der erwachsenen Personen, die Sicherheitsregeln (»Barfüsse«) und die beiden zentralen Verhaltensregeln eingeschränkt. Die erste Regel (»Was Du Dir nimmst ist Deins!«) zielt darauf ab, Nutzungskonflikte zwischen den Kindern zu reduzieren, die aus einer Konkurrenz um die Nutzung attraktiver Materialien und Arrangements hervorgeht. Ne-

B EWEGUNGSRÄUME IN DER K INDERTAGESSTÄTTE GESTALTEN | 117

ben den Konflikten an sich, ist damit auch eine Störung von sich entwickelnden Spielzusammenhängen verbunden und bedroht somit ein zentrales Moment des Angebots. Die zweite Regel (»Lass Zeit und lass Platz!«) soll dafür Sorge tragen, dass die Kinder in ihrer motorischen Auseinandersetzung mit Bewegungsproblemen und der Konstruktion von Spielräumen nicht physisch oder durch Zeitdruck behindert werden und sich zudem nicht gegenseitig in gefährliche Situationen bringen. Die Verhaltensregeln werden auf eindeutige, kindgerechte und knappe Formeln gebracht und den Kindern mit Hilfe von Beispielen in sehr anschaulicher Weise in den Horizont gebracht. Offene Bewegungsangebote betreuen Die Betreuung offener Bewegungsangebote stellt für viele Erzieherinnen und Erzieher eine Herausforderung dar (vgl. Fischer, 2010). Es sollte eine zu starke Lenkung der Kinder vermieden, aber im richtigen Moment Unterstützung gewährt werden. Die Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Form und in welchem Maße eingegriffen werden soll, muss stets situativ entschieden werden. Mit Hilfe der folgenden Fallbeispiele wird dies illustriert und typische Handlungssituationen exemplarisch ausgewertet. Die Kinder bewegen sich im Rahmen der Bewegungsbaustelle. Dabei steht ein großer Kasten im Abstand von etwa einem halben Meter von einem Bällebad entfernt, welches mit Turnmatten und einem Weichboden abgedeckt ist. Ein Junge klettert über die »Schlucht« und fragt den Betreuer: »Hast Du das gesehen?« Der Betreuer erwidert: »Ja, gut gemacht!« Vom etwas erhöhten Kasten aus springt er nun zurück auf den Weichboden. Nun stellt der Betreuer einen kleinen Kasten zwischen den großen Kasten und ein weiteres Gerätearrangement, so dass eine Verbindung zwischen beiden hergestellt ist, die von den Kindern leicht überwunden werden kann. Ein Mädchen entdeckt die Verbindung, klettert vom einen zum anderen Arrangement und springt vom Kasten über die »Schlucht« auf den Weichboden und rollt sich dabei spektakulär ab. Dies wird vom Betreuer beobachtet und mit den Worten »Guuut! Ein Sprung!« kommentiert. Im Anschluss ruft ein Junge: Junge: »Kann ein Großer mir mal helfen?« Betreuer: »Ja, ein großer kann helfen…! [Betreuer bewegt sich zu dem Jungen; kurze Pause] Was soll passieren?« Junge: »Das soll da ganz hinten, bei der großen Höhle dran.« Betreuer: »Aha!« Junge: »Neben die beiden da hinten dran!«

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Betreuer: »Vielleicht schaff ich es mit Dir zusammen durch die Tunnel durch…[Betreuer hebt den Kasten an und bewegt ihn etwas vorwärts] schieb mal selbst!« [Betreuer lässt den Kasten los und der Junge zieht ihn alleine hinter sich her. Währenddessen räumt der Betreuer Materialien, die im Weg liegen zur Seite. An dem zweiten Kasten angekommen, stellt er den Kasten auf und übergibt ihn an den Jungen]. Junge: »Danke!« [stellt einen Reifen in den Kasten] Betreuer: »In die Garage…« Junge: »Höhle!« [schiebt beide Kästen so zusammen, dass eine Höhle entsteht]. (Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 14.5.2014) Während die Kinder sich in der Bewegungsbaustelle bewegen, nimmt der Betreuer eine eher passive Rolle ein. Er überlässt den Kindern weitgehend die Initiative und reagiert lediglich auf ihre Bewegungen und Handlungen. Dies äußert sich zunächst in der verbalen Würdigung der Aktivitäten der Kinder (»Ja, gut gemacht!«), die sowohl auf Nachfrage der Kinder (»Hast Du das gesehen?«) oder aber auf eigene Initiative der Betreuungsperson erfolgen kann (»Guuut! Ein Sprung!«). Das Würdigen in Form von Lob oder bereits durch das Schenken von Aufmerksamkeit bildet ein wichtiges Mittel der positiven Verstärkung, unterstützt die Kinder emotional und schafft generell ein positives Klima. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist das aktive Beobachten der Kinder und der von ihnen vollzogenen Aktivitäten (vgl. Kretschmer, 2000; Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Der Beobachtung kommt auch für das sparsam eingesetzte Umarrangieren durch die Betreuungsperson eine hohe Bedeutung zu. So wird durch die Ergänzung eines Kastens ein direkter Übergang auf den größeren Kasten mit einem anschließenden Sprung möglich. Dabei bleibt die Initiative jedoch bei dem Kind, welches die dadurch eröffnete Gelegenheit erkennt und dem Aufforderungscharakter der Sprungstation folgt. Ein Umarrangieren kann den Spiel- und Bewegungswert von offenen Bewegungsangeboten erhöhen, indem neue Bewegungsmöglichkeiten und neue Deutungsmöglichkeiten geschaffen werden. Allerdings besteht dabei die Gefahr, bestehende Spiel- und Bewegungsaktivitäten zu stören und den Kindern die Zeit zu nehmen, auf der Grundlage der vorhandenen Bewegungsgelegenheiten eigene Bewegungsräume zu konstruieren (vgl. Erhorn, 2015). Als ein Kind für die Umsetzung seiner Spielidee eine größere »Höhle« konstruieren möchte, sich jedoch offenbar nicht in der Lage sieht, einen Kasten alleine zu transportieren, bittet es eine Betreuungsperson um Hilfe (»Kann ein Großer mir mal helfen?«). Die Betreuungsperson kommt dieser Bitte nach, ver-

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langt aber nach einer verbalen Beschreibung des Vorhabens (»Was soll passieren?«), die der Junge in der Folge auch leistet. Im weiteren Verlauf wird deutlich, dass der Betreuer bestrebt ist, nur so viel Unterstützung zu leisten, wie der Junge auch wirklich benötigt. So versucht er ihn zunächst zu beteiligen (»Vielleicht schaff ich es mit Dir zusammen…«). Als er feststellt, dass der Junge den Kasten auch alleine bewegen kann, beschränkt er seine Unterstützungsaktivität zunächst darauf, dem Jungen den Weg frei zu räumen. Erst später stellt er den Kasten für den Jungen auf, weil er vermutlich davon ausgeht, dass dies von ihm nicht alleine geleistet werden kann. Der Frage nach dem Maß und der Form der Unterstützung bzw. dem Helfen kommt im Kontext der Bewegungsbaustelle eine hohe Bedeutung zu. Nach Möglichkeit sollte vornehmlich auf Nachfrage der Kinder und nach dem Prinzip »so viel wie nötig, so wenig wie möglich« unterstützt werden sowie eine Hilfe zur Selbsthilfe gewährt werden (vgl. Kretschmer, 2000). Auch in der Nachfolgenden Situation, die sich im Rahmen eines offenen Bewegungsangebots auf dem Außengeländer der Kindertagesstätte ereignet hat, steht die Betreuungsperson vor der Herausforderung, über Zeitpunkt und Form der Intervention zu entscheiden. Die Kinder entdecken ein großes zwischen vier Bäumen aufgespanntes Schwungtuch und rennen sofort laut schreiend und begeistert hin und besteigen das Schwungtuch. Allerdings ist es mit insgesamt neun Kindern so überfüllt, dass kein Bewegungsspielraum mehr vorhanden ist. Daraufhin interveniert der Betreuer nach einer kurzen Zeit: »Ich kann ja vielleicht sagen, dass es gar nicht so viel Spaß macht, wenn alle gleichzeitig drin sind. Wir haben ja noch die Hängematte und ein Band zum Balancieren. Und dann wechseln wir halt mal. Wie können wir das machen? [kurze Pause]. Ok, wir machen das mal so. Es bleiben erst mal alle Mädchen hier und die Jungen gehen einmal rüber zu den anderen Sachen. Und etwas später wechseln wir dann einmal.« Ein Mädchen ruft daraufhin: »Genau, nur die Mädchen können hier rauf!« (Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 15.5.2014) Die auf dem Außengelände arrangierten Bewegungsgelegenheiten besitzen für die Kinder einen hohen Aufforderungscharakter, so dass viele Kinder gleichzeitig ihrem Nutzungswunsch nachgehen wollen. Dies führt zu dem Problem, dass die Nutzungsqualität des Arrangements stark eingeschränkt wird. Idealer Weise würden die Kinder dies selbst bemerken, das Problem zur Sprache bringen und selbständig nach einer Lösung des Problems suchen. Nachdem sie das Problem jedoch offenbar nicht bemerken bzw. dies für sie gar kein Problem darstellt, ent-

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schließt sich der Betreuer zu intervenieren. Hier zeigt sich ein Dilemma in der Betreuung von offenen Bewegungsangeboten, dem nur fallbezogen, in Abwägung der konkreten Situation, begegnet werden kann (vgl. dazu u. a. Lüsebrink, 2010). Die vom Betreuer gewählte vorsichtige, eher beratende Formulierung (»Ich kann ja vielleicht sagen, dass es gar nicht so viel Spaß macht, wenn alle gleichzeitig drin sind«) lässt darauf schließen, dass er sich der Problematik bewusst ist, dass er von außen ein Problem identifiziert und konstruiert, welches den Kindern nicht problematisch erscheint. Allerdings liefert der Betreuer die Lösung des Problems gleich mit: Es existieren andere Stationen und man kann einfach wechseln. Die nachfolgende Frage nach der Art und Weise der Umsetzung (»Wie können wir das machen?«) wird von den Kindern nicht beantwortet, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass ihnen auch jetzt keine Problematik sichtbar wird, für die es nach einer Lösung zu suchen lohnt. Somit beantwortet der Experte die Frage nach einer kurzen Zeit des Wartens selbst. Die von ihm festgelegte Lösung einer geschlechterdifferenzierten Nutzung ist jedoch nicht unproblematisch, da sie dazu geeignet ist das Geschlecht der Kinder zu dramatisieren, ohne dass diese Kategorie hier eine sichtbare Relevanz besitzen würde (vgl. Faulstich-Wieland, 2006). Die Form der Dramatisierung wird in der Folge von einem Mädchen übernommen und unnötigerweise eine Geschlechterdifferenz markiert (»Ein Mädchen ruft daraufhin: Genau, nur die Mädchen können hier rauf!«). Obwohl die Intervention des Betreuers durchaus nachvollziehbar erscheint, bleibt fraglich, ob die Problemkonstruktion von außen an dieser Stelle notwendig war und ob es richtig war, die Lösung vorzugeben. Die Differenzierung anhand des Merkmals Geschlecht kann hingegen als unangemessen beurteilt werden. Im Rahmen der Betreuung von offenen Bewegungsangeboten, stehen die Betreuerinnen und Betreuer vor einer Vielzahl von Entscheidungssituationen. Diese Situationen müssen von ihnen jedoch zunächst überhaupt wahrgenommen werden, was nach einem fundierten Wissen über die pädagogischen Zielsetzungen des Angebots und der damit verbunden Bedeutung von Selbständigkeit, Selbsttätigkeit und Erfahrungslernen sowie eine genauen Beobachtung verlangt (vgl. Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Dabei muss entschieden werden, ob überhaupt und wann agiert bzw. interveniert werden soll sowie in welcher Form dies geschehen soll. Die Eroberung neuer Bewegungsgelegenheiten durch die Kinder Die Kinder verlassen den Bewegungsraum und tragen die Materialien der Bewegungsbaustelle, die vor dem Raum aufgestellt worden sind, hinein. Schwere

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Gegenstände tragen die Kinder zu Zweit oder sogar zu Viert in den Raum hinein. Die Erziehungspersonen beschränken sich weitgehend auf unterstützende Hinweise. Nur im Notfall helfen sie den Kindern selbst beim Tragen. Nach kurzer Zeit sind auch die unterstützenden Hinweise nicht mehr notwendig. In etwa drei Minuten ist der Bewegungsraum mit einer Vielzahl von Kästen, Leitern, Brettern und Balancierstangen gefüllt und der Experte beginnt, den Kindern die zentralen Regeln der Nutzung zu erklären. Als er seine Ausführungen beendet hat, stürmen die Kinder auf die Materialien zu. So schnappen sich ein Junge und ein Mädchen sofort ein Brett und versuchen es in einen Kasten einzuhängen. Drei Jungen heben einen Kasten an und schieben ihn in die Nähe des zweiten Kastens. Daraufhin wird das Brett von den Kindern so befestigt, dass eine Brücke zwischen den beiden Kästen entsteht. Diese »Balancierstation« wird nun von vielen Kindern nacheinander durchlaufen: sie klettern auf den ersten Kasten hinauf, balancieren und steigen am zweiten Kasten wieder hinunter. Die kleinen Kinder bitten eine Erzieherin um Hilfe, die daraufhin ein jüngeres Mädchen beim Balancieren über die Brücke an der Hand hält. Unterdessen tragen einzelne Kinder Materialien, wie z. B. Bretter oder einen Reifen, durch den Bewegungsraum und versuchen diese zu größeren Aufbauten zusammenzufügen. Auf diese Weise entsteht an einem der Kästen eine Rampe zum Hinaufsteigen und am anderen Kasten eine »Rutsche« zum Hinunterrutschen. Kurz darauf beginnt ein Junge auf dem Brett zu springen und schnell von der einen zur anderen Seite zu rennen. Nachdem die größeren Kinder, die das Arrangement aufgebaut haben, sich anderen Dingen zuwenden, wird es von kleinen Kindern in Besitz genommen. Während einige Kinder über die »Brücke« krabbeln, lassen sich andere von einer Erziehungsperson hinüberhelfen. Ein größerer Junge versucht unterdessen das Hindernis mit einem Lastwagenschlauch, den er vor sich her rollt, zu überwinden, was ihm mehrfach misslingt. Nach etwa 20 Minuten werden die »Rampen« abgebaut und der äußere Kasten mit weiteren Kästen verbunden und zu einer Höhle umgedeutet, in die drei Kinder hineinkriechen. (Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 14.5.2014) Bereits bevor das eigentliche Angebot beginnt, werden die Kinder als Akteure und Mitgestalter ihrer Bewegungsräume ernst genommen, indem sie die Materialien weitgehend selbständig in den Bewegungsraum tragen und sich somit spezifische Handlungs- und Bewegungsmöglichkeiten schaffen (vgl. Fischer, 2010). Da die Materialien zum Teil schwer sind und die Betreuungspersonen es zumeist bewusst unterlassen ihnen die Arbeit abzunehmen, müssen die Kinder kooperieren, um das gewünschte Ziel zu erreichen. Nachdem die Kinder das Prinzip der Kooperation verstanden haben, können auch die unterstützenden

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Hinweise der Betreuungspersonen zurückgefahren werden. In ihrem Handeln konnten die Kinder den Sinn eines kooperativen Vorgehens erfahren und in der Folge als geeignete Handlungsstrategie selbständig an den Tag legen. Die Materialien besitzen für die Kinder einen hohen Aufforderungscharakter, was sich in dem stürmischen Andrang der Kinder dokumentiert. Nachdem die Materialien vorher nur in den Bewegungsraum getragen wurden, beginnen die Kinder nun umgehend mit der Konstruktion ihrer eigenen Bewegungsräume (vgl. Erhorn, 2015). Wie Fischer (2010) ausführt, handelt es sich dabei um ein zentrales Merkmal der Bewegungsbaustelle: »Diese Bauelemente fordern die Kinder zu Konstruktionen und Kombinationen heraus, zu gemeinsamem Handeln, Transportieren, gegenseitigem Helfen und Planen« (S. 77). Durch direkt oder indirekt aufeinander bezogene Handlungen der Kinder entsteht ein Bewegungsarrangement aus zwei Kästen und einem Brett, welches zunächst von den Konstrukteurinnen und Konstrukteuren selbst und in der Folge auch von weiteren Kindern als Kletter- und Balanciergelegenheit gedeutet und genutzt wird. Dabei stehen die Kinder vor motorischen Herausforderungen (Klettern, Balancieren) und emotionalen Herausforderungen (sich etwas zutrauen und sich ggf. überwinden). Als die Kinder die entsprechenden Bewegungserlebnisse bzw. damit verbundene Erfahrungen gemacht haben und der Aufforderungscharakter eines Bewegungsarrangements nachlässt, beginnen sie den Bewegungsraum zu variieren (vgl. Sutton-Smith, 1978). Dies kann durch die Erweiterung des Arrangements (Anbau von Rampe und Rutsche), durch eine veränderte Nutzung (springen, rennen, Hindernis mit Ballast überwinden) oder durch Umbauen (zur Höhle umbauen) erfolgen. Dabei wechseln die Kinder von einem Spiel mit etwas zu einem Spiel um etwas (vgl. Dietrich, 1980; Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Dabei wird deutlich, dass die Kinder sich, durch die Konstruktion spezifischer Arrangements oder durch Variation der Nutzung, selbst Herausforderungen suchen, die ihrem eigenen Könnensstand entsprechen (vgl. Fischer, 2010). Während die Kinder in dem beschriebenen Beispiel mit in hohem Maße deutungsoffenen Bewegungsgelegenheiten konfrontiert sind, werden sie im Folgenden Beispiel mit einem Artefakt konfrontiert, welches eine tradierte Nutzung nahe legt. Ein Mädchen kommt zu der Hängematte gelaufen, die zwischen zwei Bäumen auf dem Außengelände der Kita aufgespannt ist. Sie versucht hineinzukrabbeln, was ihr zunächst nicht gelingt, da sie sich zu einem Knäuel zusammenzieht und sich nicht ausbreiten lässt. Während sie mehrfach versucht in die Hängematte zu steigen, kommt ein Junge hinzu. Er versucht ebenfalls hinein zu steigen, indem er die Hängematte mit den Händen ausbreitet und versucht, Kopfüber hinein zu

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schlüpfen. Allerdings bleibt er beim Versuch, sein Bein nachzuziehen, mehrfach an der Hängematte hängen. Das Mädchen beschränkt sich währenddessen erst einmal auf das Beobachten der Versuche des Jungen. Nach mehreren Anläufen schafft dieser es, die Beine nachzuziehen und sitzt in der Hängematte. Nun startet auch das Mädchen einen neuen Versuch, in die Hängematte zu steigen. Da diese durch den Jungen fixiert ist und sich auch nicht mehr zusammenrollen kann, gelingt es ihr nach mehreren Versuchen. Als sie sich nun beide in ihr befinden, nimmt zunächst das Mädchen die Arme in die Hängematte, so dass sie sich über ihr fast schließt. Dies wird von einem Erzieher beobachtet, der daraufhin auch die Arme des Jungen in die Hängematte schiebt, so dass diese die beiden Kinder komplett in einer Art Höhle verschwinden. Nun gibt der Erzieher der Hängematte einen Stoß, so dass sie zu schwingen beginnt, was die Kinder zu einem Wonnegeschrei veranlasst […]. Kurze Zeit später sind zwei Jungen in der Hängematte, während vier Jungen Anschwung geben. Dabei steigern sie die Intensität, bis sie so heftig anstoßen, wie sie nur können und die Hängematte stark ausschwingt. Nach einer Weile beginnt einer der beiden Jungen, die sich in der Hängematte befinden, sich waghalsig aus der Hängematte heraus zu lehnen. Dies wird nun auch vom zweiten Jungen nachgemacht. Es scheint als wollten sie sich in ihrem waghalsigen Tun überbieten. Doch plötzlich fällt einer der beiden Jungen aus der Hängematte heraus und landet unsanft auf seinem Kopf. Die Frage eines Erziehers, ob alles in Ordnung sei, bejaht er zwar, jedoch zieht er scheine Schuhe an und verlässt die Station. (Bewegungsräume in der Kindertagesstätte gestalten, 15.5.2014) Die Hängematte besitzt für die Kinder offenbar einen hohen Aufforderungscharakter, erweist sich aber in ihrer Nutzung zunächst als wiederständig. Das Hineinsteigen wird für die Kinder zu einem Bewegungsproblem, welches von dem Mädchen trotz wiederholter Versuche nicht gelöst wird. Erst einem anderen Kind gelingt, nach einer mehrere Versuche umfassenden motorischen Auseinandersetzung, die Bewältigung des Problems (vgl. u. a. Trebels, 1992). Für das Mädchen besteht das Bewegungsproblem weiterhin, wenn auch in leicht modifizierter Form. Durch den Jungen, der in der Hängematte sitzt, haben sich ihre Eigenschaften verändert. Dementsprechend muss das Mädchen ihre Bewegungslösungen anpassen, was ihr nach einer kurzen motorischen Auseinandersetzung auch gelingt. Die Nutzungsmöglichkeiten der Hängematte werden in der Folge durch das Mädchen weiter ausgekundschaftet, während der Junge offenbar zunächst schon den Aufenthalt in der Hängematte als Ziel der Erkundung erlebt. So ermöglicht sie durch ihre Beschaffenheit die Bildung einer Höhle, was von dem Mädchen

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entdeckt wird. Allerdings ist die Bildung einer echten Höhle auf die Mitwirkung des Jungen angewiesen, der die Deutungs- und Nutzungsweise des Mädchens zunächst nicht erkennt. An dieser Stelle hätte das Mädchen durch nonverbale und/oder verbale Kommunikation den Jungen zur Mitwirkung auffordern können. Jedoch wird dies durch die schnelle Intervention des Erziehers, in welcher er die Deutung des Mädchens übernimmt, unterbunden bzw. unnötig gemacht. Im Anschluss versetzt der Erzieher die Hängematte ins Schwingen und verschafft den beiden Kindern damit ein freudvolles Bewegungserlebnis. Diese Nutzungsmöglichkeit wird in der Folge von anderen Kindern reproduziert. Allerdings wird die Intensität durch die Kinder deutlich gesteigert. Auf diese Weise können die Kinder, die den Anschwung geben sich körperlich anstrengen, den Effekt ihrer Anstrengung beobachten und den anderen Kindern gegenüber ihre körperliche Kraft präsentieren. Die Kinder, die sich in der Hängematte befinden, haben Gelegenheit intensive Bewegungserlebnisse zu machen und ihren eigenen Mut zu präsentieren (vgl. Erhorn, 2012). Dies wird von den Kindern in Form eines Wettstreits so lange forciert, bis eines der Kinder aus der Hängematte fällt und sich dabei weh tut. Dabei kann der Zusammenhang von Wagen und Verantworten erfahren werden, was für die Herausbildung eines angemessenen Risikoverhaltens von hoher Bedeutung ist. Hierbei zeigt sich auch, dass die Kinder die Bedingungen ihren Fähigkeiten entsprechend nutzen. In dieser Situation bestehen Bewegungsbeziehungen auf mehreren Ebenen (vgl. Weichert, 2008). Zunächst einmal eine kooperativ-komplementäre Beziehung, in deren Rahmen einige Kinder Anschwung geben und andere Kinder Schwingen. Hierbei sind eine Abstimmung von Handlungsplänen und ein verantwortlicher Umgang miteinander von zentraler Bedeutung. Dann eine koaktive Bewegungsbeziehung zwischen den Kindern, die den Anschwung geben, wobei sie ihre Bewegungen so koordinieren müssen, dass ein geeigneter Bewegungsimpuls generiert wird. Und letztlich eine kompetetive Bewegungsbeziehung zwischen den beiden Kindern in der Hängematte, die sich gegenseitig in ihren waghalsigen Bewegungen zu überbieten suchen. Im Kontext der Maßnahme werden die Kinder mit offenen Bewegungsangeboten konfrontiert, in deren Rahmen sie Geräte und Materialien erkunden, ihre Bewegungsarrangements selbst konstruieren oder aber Artefakte und tradierte Formen ihrer Nutzung aneignen. In beiden Fällen folgt nach einer ersten Phase des Erkundens in der Regel die Überführung in ein Spiel mit etwas. In einigen Fällen folgt jedoch zunächst eine Phase des Übens. Dies ist der Fall, wenn die Nutzung ein spezifisches Können verlangt, welches erst im Prozess des Übens erworben werden muss (vgl. Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). In der Folge schließen sich aber auch dabei Spiele mit etwas an, die dann variiert oder in

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Spiele höherer Ordnung, wie Spiele als etwas oder Spiele um etwas, überführt werden (vgl. Sutton-Smith, 1978; Erhorn, 2012; Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Dabei wird den Kindern ein hohes Maß an Selbständigkeit und Selbsttätigkeit abverlangt.

F AZIT Im Kontext der Maßnahme wurde mit dem ökologischen Ausschnitt Kindertagesstätte eine Kinderzone, mit ihren Potenzialen für die bewegungsvermittelte Auseinandersetzung mit der Umwelt, fokussiert. Dafür wurden zwei Einrichtungen ausgewählt, die sich in den sozial benachteiligten Flensburger Quartieren Neustadt und Nordstadt befinden. Die Maßnahme wurde von der EuropaUniversität Flensburg mit den Bündnispartnern Kita Sol-Lie, Familienhaus an der Bergmühle und Hamburger Forum Spielräume entwickelt. Im Rahmen der Maßnahme sollten die Kindertageseinrichtungen anregungsreicher und bewegungsfreundlicher gestaltet, die Erzieherinnen und Erzieher der Einrichtungen weitergebildet werden und die Kinder der Einrichtungen Erlebnisse und Erfahrungen im Rahmen offener Bewegungsangebote, insbesondere der Bewegungsbaustelle, machen können. Obwohl keine summative Evaluation durchgeführt worden ist, so ergeben sich doch im Rahmen der formativen Evaluation Hinweise darauf, dass die Struktur der Maßnahme geeignet ist, die genannten Zielsetzungen zu erreichen: • • • • •

Die Erzieherinnen und Erzieher wurden für die Bedeutung von Bewegung bzw. offener Bewegungsangebote sensibilisiert; Den Erzieherinnen und Erziehern wurden Geräte und Materialien, die zu Bewegung einladen, präsentiert; Innen- und Außenräume der Einrichtungen wurden mit den Erzieherinnen bzw. den Erziehern anregungsreicher und bewegungsfreundlicher gestaltet; Offene Bewegungsangebote wurden gemeinsam mit den Erziehungspersonen der Einrichtungen durchgeführt; Die Kinder konnten sich im Rahmen der offenen Bewegungsangebote bewegen und spezifische Erlebnisse und Erfahrungen machen.

Durch die konsequente Beteiligung der Erzieherinnen und Erzieher sowie durch den Verbleib der Geräte und Materialien über den gesamten Projektzeitraum, konnten gute Bedingungen für eine nachhaltige Entwicklung geschaffen werden.

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Verbesserungspotenziale zeigen sich insbesondere in der Vorbereitung der Erzieherinnen bzw. Erzieher auf typische Entscheidungssituationen im Kontext der Betreuung offener Bewegungsangebote. Dies könnte durch ein breiteres Hintergrundwissen zu den Zielen und zur Handlungsstruktur offener Angebote sowie durch eine Auseinandersetzung mit lehrreichen Fallbeispielen erfolgen (vgl. Scherler, 2004; Wolters, 2013). Zudem könnten weitere Bereiche der Kindertageseinrichtungen in die Maßnahme einbezogen werden und die genutzten Geräte und Materialien dauerhaft in der Einrichtung verbleiben.

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Bewegungsräume im Quartier mit Kindern erkunden Spiel und Bewegung im Wohnumfeld fördern J AN E RHORN

E INLEITUNG Die Kinder verbringen einen großen Teil ihres Alltags in institutionalisierten Kontexten, weshalb im Rahmen der Kindheitsforschung auch von einer institutionalisierten Kindheit oder einer Terminplankindheit gesprochen wird (vgl. Kretschmer & Wirszing, 2007). Aufgrund dieser Entwicklung werden die Gefahren gesehen, dass die Spielräume der Kinder für autonomes, selbsttätiges Handeln sowie die freie Zeitgestaltung und damit verbundene Erfahrungspotenziale eingeschränkt werden (vgl. Zeiher, 1995; Baacke, 1999). Diese Tendenzen werden auch im Rahmen der Sportpädagogik thematisiert, wobei auch das Verschwinden des Kinderspiels aus dem Stadtbild beklagt wird (vgl. Dietrich & Moegling, 2001). Auch wenn Einzelfallstudien nahe legen, dass im urbanen Wohnumfeld der Kinder nach wie vor durchaus Kinderspielkulturen existieren (vgl. Erhorn, 2012) und repräsentative Surveystudien zeigen können, dass der informell betriebene Sport bei Kindern einen hohen Stellenwert einnimmt, haben jedoch nicht alle Kinder einen Zugang zu diesen Bewegungspraxen und den mit ihnen verbundenen Erfahrungspotenzialen (vgl. Bös et al., 2009; Manz et al., 2014). Vor diesem Hintergrund wird in den sozial benachteiligten Flensburger Quartieren Neustadt und Nordstadt ein Sportbündnis aus den lokalen Bildungsakteuren der Kindertagesstätte Sol-Lie und dem Familienhaus an der Bergmühle sowie der Europa-Universität Flensburg gegründet, um Maßnahmen der Belebung von Bewegung, Spiel und Sport im Wohnumfeld der Kinder zu planen, durchzuführen und zu evaluieren. Die Maßnahmen werden durch das Bundesmi-

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nisterium für Bildung und Forschung (BMBF) im Kontext der Initiative »Kultur macht stark«, als Teil des Moduls »ErlebnisRAUMerfahrung« der Deutschen Sportjugend (DSJ), gefördert (vgl. Töpfer, Liebl & Sygusch, 2015). Im Folgenden werden theoretische Vorüberlegungen angestellt, die Maßnahmen beschrieben und das methodische Vorgehen der Begleitforschung erläutert. Im Anschluss werden die Ergebnisse vorgestellt und die Maßnahmen in einem Fazit bewertet.

T HEORETISCHE V ORÜBERLEGUNGEN Bei den Bewegungsräumen im Quartier handelt es sich um Mikrosysteme, die der Zone des ökologischen Nahraumes zugeordnet werden können (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Baacke, 1999). Der ökologische Nahraum ist insbesondere durch sein Potenzial gekennzeichnet, Aktivitäten und Beziehungen unter Gleichaltrigen jenseits pädagogischer Kontrolle zu ermöglichen und in diesem Sinne keine institutionalisierte »Kinderzone« zu sein (vgl. Baacke, 1999). Damit sind für das Kind spezifische Erfahrungspotenziale verbunden: »[D]as Kind [wird] schnell erfahren, dass es zwar mit Anderen zu tun hat, die ihm in Alter und/oder Geschlecht ähnlich sind, aber im Gegensatz zu der Beziehung mit den Eltern, die es als gegeben und vorbestimmt erlebt, muss erst im Aushandeln mit den anderen seine Rolle (als Freund, Führer, beliebtes Kind, manchmal auch Außenseiter) und damit sein Status erworben werden« (Baacke, 1999, S. 290). In diesem Kontext kann das Kind »anerkannte Methoden der Sozialität, der Selbstbehauptung, der Zusammenarbeit und des Wettbewerbs [erwerben] und entwickelt Sensibilität für die Anzeichen der Erwartungen, Kritik und Zustimmung in der Gruppe« (Ausubel nach Baacke, 1999, S. 291). Allerdings unterscheiden sich die verschiedenen Bewegungsräume im Quartier in ihrer räumlichen Ordnung zum Teil ganz erheblich. Dabei können zunächst grob die Bewegungsräume Spielplatz, Bolzplatz, Park und vor der Haustür unterschieden werden (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1: Verortung der Bewegungsräume im Quartier im sozialökologischen Zonenmodell (nach Baacke, 1999)

Ökologische Peripherie

Ökologische Ausschnitte Spielplatz Vor der Haustür

Park

Ökologischer Nahraum Ökologisches Zentrum

Bolzplatz

Für die Konzeptionierung von Maßnahmen ist es zunächst hilfreich, sich die spezifische räumliche Ordnung der vier genannten Raumtypen vor Augen zu führen (vgl. Erhorn, 2015; Löw, 2001). Bewegungsräume vor der Haustür sind zunächst einmal durch die unmittelbare Nähe zur elterlichen Wohnung, die immer auch einen potenziellen Zufluchtsort darstellt, gekennzeichnet. Die Kinder verspüren dort zumeist ein erhöhtes Maß an Sicherheit. Auch Kinder, mit denen potenziell gemeinsame Aktivitäten unternommen werden, sind in der Regel »Nachbarskinder« und daher gut bekannt. Dementsprechend existiert oft bereits eine gemeinsame Bewegungspraxis. In ihrer materiellen Ordnung können sich die Bewegungsräume vor der Haustür durchaus unterscheiden. Sie sind durch Rasenflächen (Abstandsgrün), gepflasterten Flächen (Bürgersteig) oder asphaltierten Flächen (Spielstraße), die für sich genommen nur einen geringen Aufforderungscharakter für spezifische Bewegungsaktivitäten und Spiele besitzen, gekennzeichnet. Die Konstruktion von Bewegungsräumen wird nur schwach durch die materielle Ordnung vorgegeben, so dass die Bewegungsräume in hohem Maße selbsttätig durch die Kinder kreiert werden müssen (vgl. Erhorn, 2012). Der Bewegungsraum Spielplatz kann sich weiter entfernt von der elterlichen Wohnung befinden, wobei gerade in städtischen Wohnquartieren auch kleine wohnungsnahe Spielplätze existieren. Dabei macht es für die räumliche Ordnung

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einen großen Unterschied, ob die Spielplätze von den Kindern alleine oder mit ihren Eltern aufgesucht werden. Sind die Eltern anwesend, können sie den Kindern emotionale Sicherheit vermitteln und für die Einhaltung bzw. für die Durchsetzung sozialer Konventionen sorgen. Somit stellt bereits das selbständige Aufsuchen eines Spielplatzes durch das Kind einen ökologischen Übergang dar (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Erhorn, 2015). Die materielle Ordnung des Bewegungsraums Spielplatz ist durch spezifische Geräte (Schaukel, Rutsche etc.) geprägt. Sie verweisen auf tradierte Nutzungsweisen, die durch die Kinder in einer Syntheseleistung entschlüsselt werden müssen (vgl. Löw, 2001). Obwohl die Bewegungsräume auf diese Weise stärker vorstrukturiert sind, bleibt den Kindern dennoch ein »Spielraum« (vgl. Dietrich, 1998) für die Variation der Nutzung (vgl. Sutton-Smith, 1978) und die Konstruktion individueller Bewegungsräume, was mit Löw (2001) als Spacing bezeichnet werden kann. Der Bewegungsraum Bolzplatz befindet sich häufig nicht in direkter Nähe zur elterlichen Wohnung und wird von den Kindern ohne die Eltern besucht. Somit sind die Kinder in höherem Maße auf sich alleine gestellt. Die soziale Ordnung ist zumeist von älteren Kindern geprägt, die das Spiel organisieren und die Abläufe regeln (vgl. Erhorn, 2012). Die soziale Ordnung wird zudem durch die spezifische Regel- und Handlungsstruktur des Sportspiels geprägt, auch wenn die Spielformen von den Kindern an spezifischen Bedingungen (individuelle Voraussetzungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Spielgeräte, Spielfeld etc.) anpassen (vgl. Erhorn, 2012; bereits Dietrich & Landau, 1968). Die materielle Ordnung von Bolzplätzen lässt zwar viele Nutzungen zu, verweist aber auf eine tradierte Nutzungsweise, welche sich die Kinder aneignen müssen, wenn sie an der Bewegungspraxis teilhaben wollen (vgl. Erhorn, 2012). Im Kontext des Bolzplatzes werden die Bewegungsräume der Kinder in hohem Maße vorstrukturiert. Der Park wird von den Kindern in der Regel nicht selbständig, sondern gemeinsam mit den Eltern aufgesucht, was eine Atmosphäre der emotionalen Sicherheit befördert. Da die meisten Parks über zum Teil aufwändig gestaltete Spielplatz-Areale verfügen, zeigen sich gewisse Parallelen zum Bewegungsraum Spielplatz. Allerdings verfügen die meisten Parks über großzügige Rasenflächen, die vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, wie z. B. Fangspiele, Ballspiele oder Drachensteigen, eröffnen. Da die Kinder die Parks oft mit ihren Eltern aufsuchen, ergibt sich die Gelegenheit für gemeinsame Spiel- und Bewegungsaktivitäten, womit besondere Erfahrungsqualitäten verbunden sind. Insgesamt werden die Bewegungsräume der Kinder im Kontext des Parks eher schwach vorstrukturiert und müssen kreativ konstruiert werden (vgl. Löw, 2001).

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B ESCHREIBUNG

DER

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M ASSNAHME

Vor dem Hintergrund der theoretischen Vorüberlegungen ist es das Ziel der Maßnahmen, den Kindern potenzielle Bewegungsräume im Quartier zu zeigen, sie mit ihnen gemeinsam als Bewegungsräume zu deuten und mit ihnen vor Ort gemeinsam Bewegungsräume zu konstruieren (vgl. auch Dietrich, 2005, 2008). Auf diese Weise soll ein Übergang in den ökologischen Nahraum angebahnt werden (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Baacke, 1999; Erhorn, 2015). Um auch Kinder zu erreichen, die sich normalerweise nicht im Wohnumfeld aufhalten, wird darauf verzichtet, offene Spiel- und Bewegungsangebote im Quartier anzubieten. Schließlich müssten auch diese von den Kindern selbständig oder mit ihren Eltern besucht werden. Alternativ wird versucht, die Kinder über das Setting der Kinderbetreuungseinrichtung zu erreichen. Dort halten sich auch diejenigen Kinder auf, deren Eltern sie nicht ermutigen oder ihnen nicht erlauben »Draußen zu spielen« und die entsprechend nicht an den Spiel- und Bewegungspraxen unter Gleichaltrigen im ökologischen Nahraum, mit den damit verbundenen besonderen Erfahrungspotenzialen, partizipieren. Diesen Kindern sind die potenziellen Bewegungsräume und die dort möglichen Bewegungsaktivitäten möglicherweise noch nicht einmal bekannt. Für die Intervention konnten die Kindertagesstätte Sol-Lie und das Familienhaus an der Bergmühle, die sich in den sozial benachteiligten Quartieren Neustadt und Nordstadt in Flensburg befinden (vgl. Stadt Flensburg, 2014), als Partner gewonnen werden. Allerdings ist es nicht unproblematisch, ausgerechnet Kindertageseinrichtungen als Ausgangspunkt für die geplante Intervention auszuwählen. So stellt Baacke (1999) heraus, dass es die besondere Erfahrungsqualität des ökologischen Nahraumes ausmacht, dass sich die Kinder dort unter Gleichaltrigen oder zumindest ohne Aufsicht durch Eltern oder Pädagogen aufhalten können. Sie müssen ihre sozialen Beziehungen in höherem Maße selbst ausgestalten und können sich nicht oder nur in abgeschwächter Form in pädagogischen Kinderzonen gültigen Konventionen zurückziehen, welche erwachsene Bezugspersonen im Zweifel für sie durchsetzen. Vor diesem Hintergrund stellt das Vorhaben, gerade diese Bereiche zum Gegenstand einer pädagogischen Intervention zu machen, die ihren Ausgangspunkt zudem in Kindertageseinrichtungen hat, eine Gradwanderung dar. So sollte im Rahmen der Maßnahme vermieden werden, den ökologischen Nahraum nachhaltig pädagogisch zu überformen. Interventionen sollten sich daher darauf beschränken, einen ökologischen Übergang für die Kinder anzubahnen. Es ist geradezu zwingend erforderlich, sich umgehend wieder aus den Bewegungsräumen des ökologischen Nahraumes zurückzuziehen, um sie nicht

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nachhaltig zu »Verpädagogisieren« und sie somit ihrer besonderen Erfahrungsqualitäten zu berauben. Daher werden die einzelnen Bewegungsräume im Rahmen einer Maßnahme lediglich einmal aufgesucht. Im Vorfeld der Maßnahme werden zunächst die Bewegungsräume des Quartiers gesichtet und analysiert. Auf dieser Grundlage wird eine exemplarische Auswahl von Bewegungsräumen getroffen, an die im Rahmen einer Maßnahme fünf Ausflüge unternommen werden. Die Ausflüge werden von zwei Honorarkräften und dem pädagogischen Personal der Kindertagesstätten durchgeführt und in einigen Fällen von weiteren ehrenamtlichen Helfer*innen begleitet. Die Ausflüge sollen durch das pädagogische Personal der Kita mit den Kindern vorund nachbereitet werden. Die Orte werden mit den Kindern zu Fuß aufgesucht, so dass nicht nur die Orte, sondern auch der Weg dorthin erkundet werden kann. Die Kinder bekommen auf diese Weise die Gelegenheit, die Lage der Räume im Quartier kennenzulernen und sie ggf. sogar selbständig bzw. in Begleitung ihrer Eltern aufzusuchen. Vor Ort sollen die Kinder die Möglichkeit bekommen, sich selbständig mit der sozialen und materiellen Ordnung der Orte auseinander zu setzen. Die Begleitpersonen sollen eher eine betreuende Haltung einnehmen und die Kinder nur in Fällen, in denen der Aufforderungscharakter der Umgebung nicht wirkt, anleitend tätig werden. Im Rahmen einer Reflexion sollen die Kinder den Handlungs- und Erlebniswert der Orte bewerten und überlegen, wann und mit wem die Orte aufgesucht werden könnten.

M ETHODISCHES V ORGEHEN Gegenstand der Begleitforschung sind die Ausflüge in das Quartier sowie deren Vor- und Nachbereitung in der Kindertagesstätte. Ziel ist es, im Sinne der Erkenntnisfunktion von Evaluationsforschung, Wissen über die Struktur des Angebots sowie, im Sinne der Verbesserungsfunktion von Evaluationsforschung, Hinweise für die Optimierung des Angebots zu gewinnen (vgl. Bortz & Döring, 2009). Dafür werden die Ausflüge sowie deren Vor- und Nachbereitung videographisch dokumentiert. Für die Aufnahmen wird die leitende Honorarkraft mit einem Funkmikrofon ausgestattet und ihre Ansagen bzw. Interaktionen mit den Kindern gefilmt. Häufig kam eine zweite Handkamera zum Einsatz, welche die Bewegungsaktivitäten der Kinder fokussiert. Der so erstellte Datenkorpus umfasst ca. 15 Stunden. Die Daten werden in die Auswertungssoftware ATLAS.ti eingelesen und auf der Folie der theoretischen Vorüberlegungen, der Maßnahmenziele sowie einer allgemeinen theoretischen Sensibilität in den Bereichen der Sportpädagogik und

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Sportdidaktik in relevante Situationen eingeteilt, denen wiederum im Zuge des Kodierens konzeptionelle Bezeichnungen zugeordnet werden (vgl. Strauss & Corbin, 1996). Die Situationen werden sequenziell ausgewertet und die Kodes sukzessiv zu Kategorien verdichtet. Auf diese Weise entsteht ein Schema, welches die Struktur des Angebots beschreibt. In der Auswertung der einzelnen Fälle treten zudem Verbesserungspotenziale zu Tage.

E RGEBNISSE Im Folgenden werden exemplarisch ausgewählte Situationen beschrieben, die zum einen Aufschluss über die Struktur des Angebots geben und zum anderen Hinweise liefern, an welchen Punkten Verbesserungspotenziale bestehen und was bereits als gute Praxis angesehen werden kann. Alltägliche Räume als Bewegungsräume deuten – Streifzüge durch das Quartier Die Kinder werden von den Expertinnen1 in der Kita abgeholt und gebeten, sich vor der Kita in einem Stehkreis zu versammeln. Dort stellen sich die Expertinnen der Gruppe vor, beschreiben das Vorhaben und geben organisatorische und sicherheitsrelevante Hinweise. In der Folge werden die Kinder aufgefordert, sich paarweise zusammenzufinden, an den Händen anzufassen und eine Reihe zu bilden. Auf ein Kommando setzt sich die Gruppe in Bewegung und verlässt das Areal der Kita. Am Kopf der Gruppe gehen die Expertinnen voraus, am Ende der Gruppe gehen die Erzieherinnen und Erzieher der Gruppen. […] An der Straße angekommen ruft eine Expertin die Kinder zusammen und weist sie auf die halbhohe Absperrung hin, welche den Fußweg von der Straße abgrenzt. Sie fordert die Kinder auf, auf das Geländer zu klettern und sich an ihm entlang zu hangeln. In der Folge beginnen die Kinder nacheinander das Geländer zu beklettern und sich vorsichtig nach vorne zu bewegen. Die Kinder sind sehr konzentriert bei der Sache und es ist auffällig ruhig. Am Ende des ersten Abschnitts angekommen, steigen die Kinder wieder vom Geländer herab. Ein Junge ruft dabei seiner Erzieherin zu »Yeah, geschafft!«. Als die Kinder fragen, ob sie noch einmal klettern dürfen, schlägt die Expertin vor, dass die Kinder einfach am nächsten Geländer weiterklettern, was sie auch sofort machen. Auch die nachfolgenden Kinder folgen ihrem Beispiel, so dass alle Kinder insgesamt 15 Minuten konzentriert und

1

Als Expertinnen werden im Folgenden die beiden Honorarkräfte bezeichnet, die das Angebot mit den Kindern durchführen.

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freudig über das Geländer balancieren. Im Anschluss finden sich die Kinder erneut zu zweit zusammen, bilden eine Schlange und gehen die Straße weiter entlang, bis sie einen stark abschüssigen, etwa 200 Meter langen Fußgängerweg erreichen. Dort angekommen versammeln sich die Kinder im Kreis und werden von den Expertinnen aufgefordert zu gucken, was man an diesem Ort alles machen kann. Die Kinder machen sich sofort auf den Weg und erkunden den Ort in Kleingruppen. Während einige Kinder beginnen den abfallenden Weg hinab zu laufen, beklettern andere Kinder die Bänke, die sich am Rande des Weges befinden oder beginnen sich am Zaun entlang zu hangeln. (Streifzug durch das Wohnquartier, 19.6.2014) Die Erkundung des Wohnumfeldes mit Kindern stellt an die Betreuungspersonen organisatorische Herausforderungen. So überblicken noch nicht alle Kinder die Gefahren des Straßenverkehrs, insbesondere wenn ihre Aufmerksamkeit durch andere Kinder abgelenkt ist. Zudem müssen die Betreuerinnen und Betreuer sicherstellen, dass kein Kind auf dem zurückgelegten Weg verloren geht. Vor diesem Hintergrund werden die Kinder in Verhaltensregeln eingeführt und bestehende Rituale, wie das paarweise Zusammenfinden oder der Stehkreis, aufgegriffen. Die hohe Anzahl der Betreuungspersonen ermöglicht es dabei die Kindergruppe nach vorne und hinten abzusichern. Auf dem Weg durch das Quartier begegnet die Gruppe Objekten, die zwar nicht zum Zweck von Spiel und Bewegung hergestellt worden sind, diese aber ermöglichen. Um sie allerdings für Spiel und Bewegung nutzen zu können, müssen diese Objekte im Zuge einer spezifischen Syntheseleistung zunächst als Bewegungsgelegenheiten wahrgenommen und gedeutet werden. Erst auf dieser Grundlage kann im Zuge des Spacing ein Bewegungsraum konstruiert werden (vgl. Löw, 2001; Erhorn, 2015). Vor diesem Hintergrund wählt die Expertin exemplarisch ein halbhohes Geländer aus, welches den Fußweg von der Straße abgrenzt, deutet es als Bewegungsgelegenheit und fordert die Kinder auf, ihrer Deutung zu folgen. Die Kinder vollziehen die vorgegebene Deutung mit und konstruieren in der Folge einen Bewegungsraum. Die Kinder sind in die Bewegungsaktivität verwickelt, die für sie offensichtlich eine motorische Herausforderung darstellt und ihre volle Konzentration verlangt. Die Bewältigung der Bewegungsaufgabe stellt für die Kinder offenbar ein Erfolgserlebnis dar und bereitet den Kindern Freude. So wird die Aktivität auf Wunsch der Kinder fortgesetzt und der konstruierte Bewegungsraum über den Zeitraum von 15 Minuten aufrechterhalten. Nachdem die Kinder das Prinzip der Umdeutung von Alltagsobjekten als Bewegungsgelegenheiten mit vollzogen haben, bekommen sie am Beispiel eines

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abschüssigen Fußgängerweges die Möglichkeit, es selbständig umzusetzen. Während einige Kinder sich eng an dem Vorbild der Expertinnen orientieren und sich am Zaun entlang hangeln, wenden andere Kinder das Prinzip in kreativerer Form an und deuten den abschüssigen Weg als Lauf- bzw. Rennstrecke oder die Bänke als Klettergelegenheiten. Auffällig und im Sinne des Zieles einer Belebung des ökologischen Nahraumes erfreulich, ist die Konstruktion von Bewegungsräumen in Kleingruppen. Dabei müssen sich die Kinder auf gemeinsame Deutungen verständigen und schaffen die Voraussetzung für die Überführung der Spiele mit etwas in soziale Spiele als etwas. Im Kontext dieser Intervention wird den Kindern das Prinzip der Umdeutung von Alltagsobjekten in Bewegungsobjekte gezeigt und kann von ihnen im Handlungsvollzug positiv erlebt werden. Sie werden zudem darin bestärkt, diesem Prinzip folgend, selbständig Bewegungsräume zu konstruieren. Damit soll auch der Tendenz begegnet werden, den Kindern die kreative Konstruktion von Bewegungsräumen zu untersagen und damit ihre Phantasie abzuwürgen und ihren Bewegungsdrang zu unterdrücken. Wohnungsnahe Freiflächen erobern – Nutzungsmöglichkeiten erkunden An den Grünflächen zwischen den Wohnhäusern angekommen, werden die Kinder aufgefordert, sich in einem Kreis zusammenzufinden. In diesem Stehkreis werden die Kinder gebeten zu erkunden, welche Aktivitäten auf dem Areal möglich sind. Die Kinder stürmen sofort auf die Geräte des kleinen Spielplatzes zu, der sich auf dem Areal befindet. Die Geräte sind den Kindern offenbar bereits bekannt, besitzen für sie aber offensichtlich einen hohen Aufforderungscharakter. Bei den Spielen handelt es sich vorwiegend um Spiele mit etwas. Die Kinder wechseln sich bei der Nutzung der Geräte ab, gucken sich gegenseitig zu und betten das Tun in kommunikative Zusammenhänge ein. Nutzungskonflikte sind selten zu beobachten. Nach etwa 20 Minuten pfeift eine Expertin auf ihrer Trillerpfeife und fordert die Kinder auf, sich in einem Stehkreis zusammenzufinden. Dort kündigt sie an, dass sie nun etwas gemeinsam machen wollen und bittet die Kinder sich in einer Schlange aufzustellen. Sie fragt, ob die Kinder schon einmal Slalom gelaufen sind. Als die Kinder dies verneinen, kündigt sie an, dass sie nun gemeinsam Slalom laufen werden. Sie stellt sich an die Spitze der Schlange und läuft los. Gemeinsam mit den Kindern um kurvt die Expertin mehrere Hindernisse auf der Rasenfläche, wie Geländer, Wäscheständer und Laternen. (Ausflug in ein dicht besiedeltes Wohngebiet, 17.5.2014)

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Bei dem Besuch der wohnungsnahen Freifläche in einem dicht besiedelten Wohngebiet handelt es sich offensichtlich um eine pädagogische Inszenierung, was sich in dem Ritual des Stehkreises und dem Erkundungsauftrag an die Kinder dokumentiert, in deren Rahmen den Kindern ein hohes Maß an Freiraum gewährt wird. So dürfen die Kinder ihre Aktivitäten zunächst frei wählen. Interessanterweise zeigt sich, dass die Geräte eines kleinen Spielplatzes für die Kinder einen besonders hohen Aufforderungscharakter besitzen. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass die Kinder im Rahmen einer spezifischen Syntheseleistung gerade diese Geräte als Spiel- und Bewegungsgelegenheiten erkennen, entsprechend deuten und nutzen (vgl. Löw, 2001; Erhorn, 2015). In diesem Sinne inszenieren die Kinder ihre alltäglichen Bewegungspraxen am anderen Ort, was sich unter anderem in der Reibungslosigkeit eines offensichtlich routinierten Ablaufes zeigt (vgl. Erhorn, 2012, 2013). Die Erkundung beschränkt sich also im Wesentlichen auf das Entdecken von Bekanntem. Auch die folgenden Aktivitäten bleiben auf der Ebene wenig komplexer Spiele mit etwas. Jedoch ist es immerhin gelungen, diese Aktivitäten zumindest für den Moment auf die wohnungsnahen Freiflächen zu übertragen. Die Praxis der Kinder wird erst durch die Expertin durchbrochen, die mit den Kindern neue Bewegungsaktivitäten auf der Rasenfläche inszeniert. Auf diese Weise wird auch dieser Bereich mit den Kindern als potenzieller Bewegungsraum definiert. Dabei wird den Kindern eine Bewegungsidee bzw. eine spezifische Weise der Konstruktion eines Bewegungsraums vermittelt (vgl. Löw, 2001; Erhorn, 2015). Allerdings erscheint die gewählte Form nicht unproblematisch. So stellt die Bildung einer Schlange, in der Slalom gelaufen werden soll, eine pädagogische Inszenierung dar, die in dieser Form vermutlich nicht von den Kindern reproduziert werden wird. Zudem handelt es sich um ein wenig komplexes Spiel mit etwas, welches für die Kinder nur in geringem Maße förderliche Erlebnisse und Erfahrungen verspricht. Es wäre sinnvoller gewesen, mit den Kindern komplexere Spiele mit etwas, zum Beispiel Spiele mit dem Ball oder dem Seil, oder leichte Spiele als etwas, zum Beispiel Fangspiele, zu inszenieren. Sie besitzen ein höheres Erlebnis- und Erfahrungspotenzial und könnten die Spiel- und Bewegungspraxis der Kinder bereichern. In diesem Sinne werden den Kindern im Kontext eines Ausflugs zu einer wohnungsnahen Spielstraße komplexere Nutzungsmöglichkeiten gezeigt. An der Spielstraße angekommen, finden die Kinder mehrere von den Expertinnen vorbereitete aufgemalte »Spielfelder« vor. Sie bitten die Kinder an der ersten »Station« zusammen zu kommen und fragen sie, ob sie das Spiel schon kennen würden. Als die Kinder antworten, dass sie das Spiel nicht kennen, macht

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eine der Expertinnen eine mögliche Nutzung vor, indem sie nacheinander in die Felder hüpft, eine Drehung vornimmt und die Felder wieder zurück hüpft. Im Anschluss bittet sie die Kinder, sich in einer Reihe aufzustellen und das Spielfeld nacheinander zu durchlaufen. Dabei werden die Kinder von ihr gelobt, ermutigt und angespornt. Während einzelne Kinder das Spielfeld ohne größere Probleme bewältigen, haben andere Kinder sichtbare Mühe und benötigen selbst für die Bewältigung mit Fehlern viel Zeit, so dass für die nachfolgenden Kinder nicht unerhebliche Wartezeiten entstehen. Nachdem alle Kinder die Aufgabe bewältigt haben, wechselt die Gruppe zur zweiten Station, an der eine Schnecke auf dem Boden aufgemalt ist. Analog zur ersten Station wird von einer Expertin zunächst eine Nutzungsmöglichkeit vorgemacht, die von den Kindern der Reihe nach nachvollzogen wird. Dieses Procedere wird noch an zwei weiteren Stationen durchgeführt, bevor die Kinder in einem Stehkreis zusammen gerufen werden. Dort erklärt eine Expertin den Kindern, dass sie nun selbst ein Stück Kreide bekommen und sich Spiele ausdenken sollen. Nachdem alle Kinder ein Stück Kreide bekommen haben, finden sie sich in Kleingruppen zusammen, verteilen sich auf der Straße und denken sich unterschiedliche Aktivitäten aus. Während einige Kinder sich auf den Boden legen und ihre Umrisse mit der Kreide abmalen, malen andere Kinder unterschiedliche Spielfelder auf den Asphalt und denken sich spezifische Formen der Nutzung aus. Die Expertinnen halten sich weitgehend zurück und beobachten die Kinder bei ihrem Tun. Nachdem sich die Kinder ausgiebig ihren Spielen gewidmet haben, werden sie von der Expertin an einer Station, die sich die Kinder ausgedacht haben, zusammengerufen. Sie bittet die Kinder, das von ihnen ausgedachte Spiel allen Kindern vorzumachen. Im Anschluss bilden die Kinder eine Schlange und probieren nacheinander die Spielidee aus. (Ausflug zu einer Spielstraße, 4.6.2014) Die Spielstraße wurde von den Expertinnen im Vorfeld als ein potenzieller Bewegungsraum ausgemacht, der mit den Kindern in exemplarischer Weise erschlossen werden soll. Dabei soll das besondere Potenzial der Spielstraßen für Hüpfspiele herausgestellt werden, was sich in den vorbereiteten Spielfeldern dokumentiert. Die Möglichkeit, auf diese Weise Bewegungsräume auf der Spielstraße zu konstruieren, wird den Kindern mit Hilfe einer spezifischen pädagogischen Inszenierung in den Horizont gebracht. In Form von unterschiedlichen Stationen, die nacheinander gemeinsam aufgesucht werden, werden den Kindern verschiedene Hüpfspiele vermittelt. Da die Spiele den Kindern an keiner der Stationen bereits bekannt sind, werden sie von den Expertinnen für die Kinder demonstriert. Auf diese Weise bekommen die Kinder die Gelegenheit, am Modell der Expertinnen zu lernen. Allerdings verlangt die Expertin den Kindern die Ei-

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genrealisation der Spiele ab, indem die Kinder aufgefordert werden, das Spielfeld der Reihe nach zu durchlaufen. Die Nutzung der Spielfelder erweist sich für einige Kinder als eine motorische Herausforderung. Die Expertin unterstützt die Kinder durch positiven Zuspruch und verstärkt ihr Verhalten durch Lob positiv. Allerdings werden die Kinder durch die Art der Inszenierung zu einer Präsentation ihres Könnens gezwungen, ohne dass sie zuvor Gelegenheit bekommen hätten die Bewegung in einem geschützten Rahmen einzuüben (vgl. Erhorn, 2012, 2015). Für einige Kinder bedeutet dies daher die Präsentation des nichtKönnens. Zudem entstehen für die Kinder auf diese Weise lange Wartezeiten. Möglicherweise wäre die freiwillige Nutzung an dieser Stelle die bessere Alternative gewesen. In der Folge hätten die Kinder sich eine Station auswählen können, an der sie die Bewegungen einüben. Dafür wird den Kindern jedoch keine Zeit eingeräumt. Im Anschluss bekommen die Kinder die Gelegenheit, die Idee, mit Kreide auf der Straße Spielfelder zu konstruieren und diese auf eine spezifische Art zu nutzen, selbständig umzusetzen. Diese Form des Spacing verlangt von den Kindern ein hohes Maß an Kreativität (vgl. Löw, 2001), wird von ihnen allerdings bewältigt. Die Möglichkeit in dieser Form selbständig Bewegungsräume zu kreieren, wird von den Kindern mit Engagement verfolgt und stellt für die Kinder ein besonderes Erfahrungspotential dar. Durch die Möglichkeit, die ausgedachten Spiele den anderen Kindern zu präsentieren, wird die Leistung der Kinder gewürdigt und auf diese Weise eine positive Verstärkung bewirkt. Die Kinder können sich als kompetent erleben, eine Selbst-Erfahrung, die für die Herausbildung eines positiven, aber realistischen Selbstkonzeptes von Bedeutung ist (vgl. u. a. Zimmer, 2006). Auf die beschriebene Art und Weise werden Spielstraßen mit den Kindern als Bewegungsraum definiert. Dabei wird den Kindern neue Nutzungsweise von asphaltierten Flächen gezeigt und kann von ihnen im Handlungsvollzug erlebt werden. Die Kinder erleben sich als Schöpfer von Bewegungsgelegenheiten bzw. Bewegungsräumen. Anregungsreiche Spielplätze aufsuchen und erobern Nach wenigen Minuten und der Überquerung einer Straße erreichen die Kinder das weitläufige Areal des Spielplatzes, welches über große Rasenflächen, Gebüsche, Klein- und Großgeräte sowie einen Fußball- und einen Basketballplatz verfügt. Eine Expertin bittet die Kinder im Kreis zusammen zu kommen und erklärt ihnen, dass sie sich auf dem Gelände frei bewegen können, aber nur bis zur Straße und bis zu den Gebüschen gehen dürfen. Danach fordert sie die Kinder auf, zu gucken, was man an diesem Ort alles machen kann. Daraufhin stürmen

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die Kinder auf die verschiedenen Bereiche des Areals zu. Zwei Mädchen rennen direkt zu einem Gerät, welches eine Rampe mit einem Tau und eine Kletterwand zum Aufstieg und eine Feuerwehrleiter und eine Rutsche aus zwei parallelen Eisenstangen zum Abstieg bietet. Sie steigen über die Rampe hinauf und eines der Mädchen rutscht über die Feuerwehrleiter wieder hinunter, während das andere Mädchen oben bleibt und sich offenbar nicht traut hinunter zu rutschen. Dabei werden sie von einer Expertin beobachtet, die sich zu ihnen bewegt. Sie schlägt dem ängstlichen Kind vor, einfach über die Rampe wieder hinunter zu steigen, was dieses in der Folge auch macht. Auch drei weitere Kinder haben die Mädchen bei ihrem Tun beobachtet und laufen zu dem Gerät. Während ein Junge direkt zu der Rampe läuft und zielgerichtet mit dem Aufstieg beginnt, bleiben die anderen beiden Kinder vor dem Gerät stehen, halten kurz inne und bewegen sich erst dann zu der Rampe. Oben angekommen begibt sich der Junge zur Feuerwehrleiter und es entwickelt sich ein kurzer Dialog zwischen der Expertin und dem Jungen: Junge: »Ich geh hier runter!« Expertin: »Na los…« Junge: »Ich kann das nicht aber!« Expertin: »Na klar, einfach beide Hände und beide Beine um die Stange, komm!« Junge: [Er folgt den Hinweisen, bleibt dabei jedoch auf dem Gerät sitzen und berührt die Stange lediglich mit Händen und Füßen] »Ich bin zu weit weg…« Expertin: »Häng dich an die Stange!« Junge: [nimmt Hände und Füße von der Stange und fasst sie wieder an] Expertin: »Nein…musst Du so ranhüpfen!« Junge: [Hüpft an die Stange und gleitet langsam hinunter] »Jaaaa! Ich hab es geschafft!« Expertin: »Ja, super! Siehst Du« Junge: [Hüpft freudig am Boden auf der Stelle] »Ich bin ein Feuerwehrmann!« Expertin: [Ein etwas älterer Junge ist inzwischen hinzugekommen und besteigt das Gerät über die Kletterwand] »Guck mal, über die Wand kannst Du auch noch hochgehen.« Kurz darauf laufen zwei Kinder zu einer Balancierstation, die aus vier Plateaus besteht, die mit drei unterschiedlich beschaffenen Seilen verbunden sind. Das erste Kind steigt auf das Plateau, setzt sich hin, tastet sich mit den Füßen vorsichtig auf das Seil vor, steht auf und balanciert über das Seil. Derweil ist eine Betreuerin hinzugekommen, lässt das Mädchen aber alleine Balancieren und lobt es, nachdem es das zweite Plateau erreicht hat. Daraufhin pfeift die Betreuerin auf ihrer Pfeife, ein Signal, dass alle Kinder sich bei ihr versammeln sollen.

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Allerdings finden sich viele Kinder nur wiederwillig, nach mehrmaliger Aufforderung an der Balancierstation ein. Als sich ungefähr die Hälfte der Kinder an der Station eingefunden hat, beginnt sie mit ihrer Ansage: »Wir fangen einfach schon mal an. Guckt mal, seht ihr diese Seile? Was kann man da machen? Ich hab das schon bei ganz vielen Kindern gesehen.« Als einige Kinder einwerfen, dass man dort balancieren kann fährt sie fort: »Genau, hier kann man balancieren. Ich möchte jetzt, dass ihr das alle mal versucht, von diesem Punkt bis zu dem anderen zu kommen, ohne den Boden zu berühren. Dabei helfen wir Euch auch.« In der Folge balancieren alle Kinder nacheinander über die Seile und werden dabei, falls notwendig, von den Betreuungspersonen unterstützt. (Ausflug zu einem großen Spielplatz, 24.05.2014) Die meisten städtischen Wohnquartiere verfügen über mindestens einen zentralen und großzügig angelegten Spielplatz. So auch die Quartiere Neustadt/Nordstadt. Dieser Spielplatz wird zum Gegenstand einer Erkundungstour gemacht. Dementsprechend bekommen die Kinder die Gelegenheit, die Bewegungspotenziale des Raumes zu erkunden. Dabei werden sie nicht in ihren Aktivitäten eingeschränkt, sondern lediglich das zu erkundende Areal durch die Expertinnen begrenzt.2 Dementsprechend verteilen sich die Kinder über die verschiedenen Areale des Spielplatzes. Für eine Gruppe von Kindern besitzt ein großes Gerät, welches verschiedene Möglichkeiten für den Auf- und Abstieg bietet, einen hohen Aufforderungscharakter. Während die Nutzung des Gerätes für einige Kinder, die möglicherweise schon Vorerfahrungen besitzen, keine große Herausforderung darstellt, erweist sie sich für andere Kinder als durchaus widerständig. So stellt der Abstieg über die Feuerwehrleiter oder die Rutsche aus zwei parallelen Eisenstangen für eines der Kinder ein so großes Wagnis dar, dass sie sich nicht traut hinunterzurutschen. Die Expertin beobachtet das Geschehen und respektiert die individuellen Grenzen des Kindes, was sich in dem Vorschlag dokumentiert, wieder über die Rampe hinabzusteigen, über die das Kind hinaufgestiegen ist. Auch bei den neu hinzugekommenen Kindern zeigt sich wiederum ein unterschiedlicher Zugang zum Gerät. Während ein Kind sofort mit dem Aufstieg beginnt, halten die anderen Kinder zunächst inne und verschaffen sich einen näheren Überblick über das Geschehen. Allerdings sucht es oben angekommen den Kontakt zur Expertin, der es seinen Wagemut präsentieren möchte (»Ich geh hier runter!«). Jedoch

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Diese Begrenzung des Handlungsraumes erscheint nicht unproblematisch. Gerade die Gebüsche hätten einen förderlichen Kontext für komplexere Spiele mit etwas und Spiele als etwas geboten.

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steht sein Wunsch in einem Spannungsverhältnis zu seinem aktuellen Können. Die Expertin versucht ihm zu helfen, diese Diskrepanz zu überwinden, indem sie ihn mit Ausführungshinweisen und gutem Zureden unterstützt. Nach mehreren Versuchen gelingt es dem Jungen, die Feuerwehrleiter hinunterzurutschen, was bei ihm offensichtliche Freude auslöst. Dies wird von der Expertin durch Lob gewürdigt. Auffällig ist an dieser Stelle die Rolle der Expertin, welche die Kinder selbständig eine Bewegungsabsicht fassen lässt und sie nur bei Bedarf bei der Realisierung dieser Absicht unterstützt (vgl. Funke-Wieneke, 1995).3 Die Absichtsbildung wird lediglich durch beiläufige Hinweise unterstützt (»Guck mal, über die Wand kannst Du auch noch hochgehen.«). Auf diese Weise haben die Kinder Erfolgserlebnisse und werden in ihrem Tun bestärkt. Dabei handelt es sich um für die Entwicklung eines stabilen und positiven Selbstkonzeptes bedeutsame Erfahrungen (vgl. Zimmer, 2006; Erhorn, 2015). Zwei andere Kinder fühlen sich von einer Balancierstation angezogen, mit der sie sich selbständig motorisch auseinandersetzen. In einem »Bewegungsdialog« stimmen die Mädchen ihre Bewegungen vorsichtig mit den materialen Eigenschaften der Balancierstation ab und bewältigen die Herausforderung schließlich (vgl. Trebels, 1992). Dies wird von einer Betreuerin beobachtet, die sich jedoch zurückhält und die Kinder lediglich für die gelungene Bewältigung lobt. Das an dieser Stelle sichtbare bewusste Unterlassen, stellt im Kontext offener Bewegungsangebote Handlungsweisen von Betreuungspersonen dar (vgl. Kretschmer, 2000). Dabei wird die Bewegungsaktivität der Kinder von der Betreuerin offenbar als so Nachahmenswert für alle Kinder empfunden, dass sie versucht alle Kinder an der Station zu versammeln. In der Folge wird das Gerät zum Gegenstand einer Stationsarbeit gemacht. Alle Kinder sollen die Station nacheinander durchlaufen und werden dabei von den Betreuungspersonen unterstützt. Dies nimmt einige Zeit in Anspruch und einige Kinder verweigern ihr die Aufmerksamkeit. Offenbar sind sie in Aktivitäten verstrickt, die von ihnen als bedeutsamer wahrgenommen werden. Zwar kann die Handlungsweise der Expertin durchaus angemessen sein, wenn es sich um besonders förderliche Aktivitäten oder Aktivitäten mit einem besonderen Erlebnisgehalt handelt. Jedoch bleibt es fraglich, ob es gerechtfertigt ist, die Kinder an dieser Stelle aus ihren Spiel- und Bewegungszusammenhängen herauszureißen. Die Station verspricht für die Kinder auch keine besondere Erlebnis- und Erfahrungsqualität, so dass es sinnvoller gewesen wäre nur einzelne Kinder, die nicht in sinnvoll erlebte Hand-

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In dieser Situation werden die Kinder in ihrer motorischen Auseinandersetzung mit dem Gerät sogar unterstützt, ohne dass die Expertin physisch eingreift.

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lungszusammenhänge verstrickt sind, in der Absichtsbildung zu unterstützen (vgl. Funke-Wieneke, 1995) und zur Nutzung der Station anzuregen. An den Beispielen lässt sich zeigen, dass die Betreuung einer Spielplatzerkundung an die Betreuungspersonen eine hohe Anforderung stellt. In vielen Fällen besitzen die Areale einen hohen Aufforderungscharakter, so dass sich die Betreuerinnen und Betreuer auf ängstliche und wenig bewegungsfreudige Kinder konzentrieren können. Diese sollten angeregt und motiviert sowie in ihren Aneignungsbemühungen, durch Ermutigung, Hinweise und Lob, unterstützt werden (vgl. auch Erhorn, Hampel & Schwier, i. Dr.). Die Selbsttätigkeit der Kinder sollte nur unterbunden werden, wenn nicht verantwortbare Gefahren sichtbar werden oder aber besonders förderliche und/oder erlebnisintensive Aktivitäten angeregt werden sollen.

F AZIT Vor dem Hintergrund der zunehmenden »Verpädagogisierung« des Kinderalltags wird die Notwendigkeit gesehen, Übergänge in den ökologischen Nahraum anzubahnen (vgl. Baacke, 1999). Um auch die Kinder zu erreichen, die das Wohnumfeld bisher nicht aufsuchen, werden die Kinder von zwei Einrichtungen der Kinderbetreuung als Interventionsgruppe ausgewählt. Nach einer Analyse der (potenziellen) Bewegungsräume des Quartiers, wurden mit den Kindern im Rahmen einer Maßnahme fünf Ausflüge in das Wohnumfeld unternommen. Bei der Auswertung der videographischen Daten konnten exemplarisch drei unterschiedliche Ausflugsformate unterschieden werden. Der Streifzug durch das Quartier, die Eroberung und Nutzung wohnungsnaher Freiflächen sowie die Erkundung und Nutzung von anregungsreichen Spielplätzen. In der Auswertung von Situationen, die im Rahmen dieser Ausflugsformate aufgetreten sind, konnten Strukturmerkmale des Angebots rekonstruiert und Verbesserungspotenziale aufgetan werden: •

Im Kontext der Streifzüge werden Gegenstände des Alltags mit den Kindern gemeinsam als Bewegungsgelegenheiten gedeutet und mit ihnen entsprechende Bewegungsräume konstruiert. Das Prinzip wird von den Expertinnen zunächst demonstriert und von den Kindern mit vollzogen. In der Folge wird es von den Kindern auf andere Orte und Objekte übertragen. Die Vermittlungshandlungen der Expertinnen sind zunächst vorgebend und werden nachfolgend geöffnet. Die Kinder werden in ihren Aktivitäten angespornt und durch Lob in ihrem Tun bestärkt.

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Im Rahmen der Ausflüge zu wohnungsnahen Freiflächen werden die Räume mit den Kindern als Bewegungsräume definiert, Nutzungsmöglichkeiten von den Kindern erkundet und ihnen weitere Nutzungsmöglichkeiten durch die Expertinnen demonstriert. Die demonstrierten Nutzungsmöglichkeiten werden wiederum von den Kindern mit vollzogen und von ihnen in der Folge variiert und erweitert. Dabei regt die Expertin die Kinder an und würdigt ihre Ideen. Verbesserungspotenziale zeigen sich insbesondere bei der Auswahl der demonstrierten Aktivitäten. Sie sollten stärker danach ausgewählt werden, ob sie von den Kindern selbständig reproduziert werden können und/ oder ein Potenzial besitzen, die Kinder in ihrer Entwicklung zu fördern. Bei den Ausflügen zu anregungsreichen Spielplätzen, finden die Kinder einen Kontext vor, der zum Zweck von Spiel und Bewegung gestaltet worden ist und dessen Geräte eine spezifische Nutzungsweise nahe legen. So können die Betreuungspersonen ihre Aktivitäten auf die Anregung und Unterstützung derjenigen Kinder konzentrieren, die keine Aktivitäten aufnehmen oder diese nicht selbständig, aber mit leichter Unterstützung bewältigen können. Verbesserungspotenziale zeigen sich bei der Entscheidung über gemeinsam zu bewältigende Stationen. Die Stationsarbeit steht in einen Spannungsverhältnis zur Struktur ökologischen Nahraumes und bedarf daher triftiger Begründungen. Diese lagen jedoch nur in wenigen Fällen vor. Eine Betreuung, die konsequent den Auswahlentscheidungen der Kinder Priorität einräumt, scheint vor dem Hintergrund des hohen Aufforderungscharakters des Spielplatzes und der hohen Bedeutung der Selbsttätigkeit der Kinder geeigneter zu sein.

Insgesamt kann die Maßnahme »Bewegungsräume im Quartier mit Kindern erkunden und nutzen« als gute Praxis angesehen werden, die aber unter Berücksichtigung der genannten Verbesserungspotenziale noch optimiert werden kann. Darüber hinaus sollte in nachfolgenden Interventionen ein verstärktes Augenmerk auf Effekte auf der Ebene des Exosystems (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Erhorn, 2015), insbesondere die Einstellungen und das damit verbundene Anregungs- oder Verbotsverhalten der Eltern, gelegt werden. Dies könnte zum Beispiel durch Gespräche mit den Eltern bei der Abholung ihrer Kinder oder durch ein gemeinsames Spiel- und Bewegungsfest im Quartier zum Auftakt und/oder Abschluss der Maßnahme geschehen.

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L ITERATUR Baacke, D. (1999). Die 0- bis 5jährigen. Einführung in die Probleme der frühen Kindheit. Weinheim: Beltz. Bortz, J. & Döring, N. (2009). Forschungsmethoden und Evaluation für Humanund Sozialwissenschaftler (4. überarb. Aufl.). Heidelberg: Springer. Bös, K., Worth, A., Opper, E., Oberger, J. & Woll, A. (2009). Motorik-Modul: Eine Studie zur motorischen Leistungsfähigkeit und körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Baden-Baden: Nomos Verlag. Bronfenbrenner, U. (1989). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Frankfurt a. M.: Fischer. Dietrich, K. & Landau, G. (1968). Handballspielen, Fußballspielen und Turnen im freien Bewegungsleben von Kindern und Jugendlichen. Vier Filmteile. Göttingen: Institut für den Wissenschaftlichen Film. Dietrich, K. & Moegling, K. (2001). Spiel- und Bewegungsräume im Leben der Stadt. Sozial- und Erziehungswissenschaftliche Untersuchungen und Projekte. Butzbach-Griedel: Afra. Dietrich, K. (1998). Spielräume zum Aufwachsen. sportpädagogik, 22 (6), 1425. Dietrich, K. (2005). Moving Kids. Bewegungsförderung in gestaltbaren Umwelten. Abschlussbericht. BMGS. Dietrich, K. (2008). Bewegungsförderung in gestaltbaren Umwelten. In FunkeWieneke, J. & Klein, G. (Hrsg.), Bewegungsraum und Stadtkultur. Sozialund kulturwissenschaftliche Perspektiven (S. 99-126). Bielefeld: transcript. Erhorn, J. (2012). Dem »Bewegungsmangel« auf der Spur. Zu den schulischen und außerschulischen Bewegungspraxen von Grundschulkindern. Eine pädagogische Ethnographie. Bielefeld: transcript. Erhorn, J. (2013). Practices of movement of primary school children. International Sports Studies, 35 (1), 19-34. Erhorn, J. (2015). Bewegungsräume mit Kindern erobern. Theoretische Vorüberlegungen. In Erhorn, J. & Schwier, J. (Hrsg.), Die Eroberung urbaner Bewegungsräume (S. 81-99). Bielefeld: transcript. Erhorn, J., Hampel, P. & Schwier, J. (i. Dr.). Bewegung, Gesundheit, Prävention. Studienbuch für Leitungskräfte frühkindlicher Bildungseinrichtungen. Wolters & Kluwer. Funke-Wieneke, J. (1995). Vermitteln – Schritte zu einem »ökologischen« Unterrichtskonzept. sportpädagogik, 19 (5), 10-17.

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Bewegungsräume des Vereinssports mit Kindern erkunden Institutionalisierte Formen von Sport und Bewegung erleben J AN E RHORN

E INLEITUNG Die Sportvereine erfreuen sich gerade bei Kindern nach wie vor einer hohen Beliebtheit. So kommt die repräsentative KIGGS-Studie zu dem Ergebnis, dass mit 50,9% mehr als die Hälfte der Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren Sport in einem Verein betreibt (Manz et al., 2014, S. 843). Angesichts dieser beeindruckenden Zahlen ist die kritische Nachfrage durchaus berechtigt, ob in diesem Feld überhaupt ein Anlass für eine Intervention besteht. Bei genauer Betrachtung der Daten fällt jedoch auf, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status keinen Sport im Verein treiben. Diese Tendenz ist bei Mädchen besonders ausgeprägt (Manz et al., 2014, S. 843). So wird gerade die hohe Beteiligung am Vereinssport, bei gleichzeitigem Ausschluss spezifischer Gruppen, zum Problem. Hier werden in überzufälliger Weise Kinder aus sozial benachteiligten Verhältnissen – insbesondere Mädchen – aus Handlungs- und Erfahrungsräumen ausgeschlossen, die der breiten Masse der Kinder zugänglich sind. Somit liegt ein Fall von sozialer Benachteiligung vor, dem im Rahmen der geplanten Intervention entgegen gewirkt werden soll. Dafür wird in den sozial benachteiligten Flensburger Quartieren Neustadt und Nordstadt ein Sportbündnis aus den lokalen Bildungsakteuren der Kindertagesstätte Sol-Lie und dem Familienhaus an der Bergmühle, dem Sportverein TSB Flensburg sowie der Europa-Universität Flensburg gegründet. Die Maßnahmen des Bündnisses werden, als Teil des Moduls »ErlebnisRAUMerfahrung« der Deutschen Sportjugend (DSJ), durch das Bundesministe-

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rium für Bildung und Forschung (BMBF), im Kontext der Initiative »Kultur macht stark«, gefördert (vgl. Töpfer, Liebl & Sygusch, 2015). Im Folgenden werden, nach kurz gehaltenen theoretischen Vorüberlegungen, die Maßnahmen beschrieben und das methodische Vorgehen der Begleitforschung erläutert. Im Anschluss werden die Ergebnisse vorgestellt und die Maßnahmen in einem Fazit bewertet.

T HEORETISCHE V ORÜBERLEGUNGEN Der Sportverein bildet mit seinen institutionalisierten Angeboten für Kinder einen ökologischen Ausschnitt und stellt zudem eine speziell für Kinder eingerichtete Kinderzone dar (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Baacke, 1999). Abb. 1: Verortung des Sportvereins im sozialökologischen Zonenmodell (nach Baacke, 1999)

Ökologische Peripherie

Ökologische Ausschnitte Sportverein

Ökologischer Nahraum Ökologisches Zentrum

Dabei weist der Sportverein eine spezifische räumliche Ordnung auf (vgl. Löw, 2001), welche die Bewegungsaktivitäten der Kinder in hohem Maße vorstrukturiert. Auffällig ist zunächst die Atmosphäre im Rahmen der Angebote. Zwar werden Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren häufig von ihren Eltern begleitet, jedoch halten sie sich auch in diesen Fällen eher am Rande auf und überlassen der Übungsleitung das Feld. Vor diesem Hintergrund ist die Atmosphäre zunächst durch eine gewisse Fremdheit geprägt, die sich erst nach einer Phase des

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Kennenlernens verflüchtigt. Dabei kommt der Anwesenheit von nahen Bezugspersonen, als Quelle der emotionalen Sicherheit, eine hohe Bedeutung zu. Die soziale Ordnung ist zunächst einmal durch die besondere Form des Zugangs gekennzeichnet. An der Praxis partizipieren nur die Kinder, die Mitglied im Sportverein sind. Über die Mitgliedschaft bestimmen die Kinder jedoch nicht selbständig. Sie sind darauf angewiesen, dass sie von den Eltern in dem Verein angemeldet werden, was wiederum mit Kosten für die Eltern verbunden ist. Die Zeiten und der Ablauf sind festgelegt und in der Regel nur in geringem Maße durch die Kinder beeinflussbar. Der Ablauf wird in hohem Maße durch die Übungsleitung vorgegeben, die Kinder müssen sich in diese Ordnung einfügen, wenn sie Teil der Praxis werden möchten und werden ansonsten vom Geschehen ausgeschlossen. Die materielle Ordnung ist in hohem Maße durch das spezifische Angebot definiert. Es handelt sich um Funktionsräume, die für eine besondere Form der Nutzung, die dem Angebot entspricht, ausgelegt sind. Insofern werden die Bewegungen der Kinder auch durch die materielle Ordnung des Raumes in hohem Maße vorstrukturiert (vgl. Erhorn, 2012). Vor diesem Hintergrund werden den Kindern im Kontext des Sportvereins, durch die besondere räumliche Ordnung, spezifische Bewegungsformen vorgegeben, die sich jedoch in Abhängigkeit von Bewegungsfeld bzw. Sportart (vgl. Bräutigam, 2003), dem verfolgten Sinn (vgl. Kurz, 1977; Ehni, 1977) und in der spezifischen Form der Inszenierung (vgl. Dietrich & Landau, 1990) stark unterscheiden können. Somit stellt der ökologische Ausschnitt Sportverein für die Kinder vielfältige Erlebnis- und Erfahrungspotenziale bereit.

B ESCHREIBUNG

DER

M ASSNAHME

Ziel der Maßnahme ist es, für Kinder, die in sozial benachteiligten Verhältnissen leben, Erlebnisse und Erfahrungen mit institutionalisierten Formen von Sport und Bewegung zu ermöglichen und ihnen einen ökologischen Übergang in den ökologischen Ausschnitt des Sportvereins zu erleichtern. Um einen Zugang zu diesen Kindern herzustellen, wird eine Kooperation mit der Kindertagesstätte Sol-Lie und dem Familienhaus an der Bergmühle aus den sozial benachteiligten Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt eingegangen (vgl. Stadt Flensburg, 2014). Zudem wird Kontakt zu dem lokalen Sportverein TSB Flensburg aufgenommen und ein Sportbündnis, bestehend aus den beiden Kindertageseinrichtungen, dem Sportverein und der Europa-Universität Flensburg, gebildet. Die Kinder sollen Gelegenheit bekommen, einen Einblick in den ökologischen Ausschnitt Sportverein und seine verschiedenen Angebote für Kinder zu erhalten. Daher werden von dem Sportverein für die Kinder Schnupperangebote

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in den Bereichen Ballgewöhnung, tänzerische Früherziehung, Klettern sowie einer Bewegungslandschaft konzipiert und angeboten. Die Kinder werden im Anschluss an die Kindertagesbetreuung mit den Bussen der Kindertagesstätte SolLie oder des TSB Flensburg abgeholt und in eine Sporthalle gefahren, in welcher die Angebote durchgeführt wurden. Als Fahrerinnen und Fahrer werden Studierende der Europa-Universität Flensburg als ehrenamtliche Helferinnen und Helfer eingesetzt. Die Angebote werden von den Übungsleiterinnen und Übungsleitern bzw. Trainerinnen und Trainern des TSB Flensburg durchgeführt, die auch die regulären Angebote in den entsprechenden Sportarten bzw. Bewegungsfeldern durchführen. Um dem Fremdheitserleben der Kinder im unbekannten Kontext des Sportvereins zu begegnen, werden die Kinder von Erzieherinnen und Erziehern der Kindertageseinrichtungen zu den Angeboten begleitet und bei Bedarf während der Angebote betreut bzw. emotional unterstützt. Im Anschluss werden die Kinder zurück zu ihren Betreuungseinrichtungen gefahren, wo sie in der Regel von ihren Eltern abgeholt werden.

M ETHODISCHES V ORGEHEN DER FORMATIVEN E VALUATION Die Schnupperangebote des Sportvereins werden zum Gegenstand einer formativen Evaluation gemacht. Dabei sollen die Struktur des Angebots rekonstruiert und durch die Auswertung der praktischen Durchführung der Angebote Verbesserungspotenziale für zukünftige Maßnahmen herausgearbeitet werden (vgl. Bortz & Döring, 2009). Dafür werden die Schnupperangebote für die Kinder von Studierenden der Europa-Universität Flensburg videografiert (vgl. Dinkelaker & Herrle, 2009). Die Aufnahmen werden jeweils mit zwei Kameras durchgeführt. Die erste Kamera fokussiert die Übungsleitung, da angenommen werden kann, dass sich das Angebot verstärkt um die Übungsleitung zentriert. Um ihre Anweisungen und ihre verbale Interaktion mit den Kindern optimal zu dokumentieren, ohne das Angebot durch Aufnahmen aus unmittelbarer Nähe zu stören, wird die Übungsleitung mit einem Funkmikrofon ausgestattet. Mit der zweiten Kamera wird das Gesamtgeschehen in der Sporthalle aufgezeichnet. Dafür wird sie auf ein großes Stativ montiert und in erhöhter Position an der Hallenwand platziert.1

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Aufgrund organisatorischer Probleme liegen für das Schnupperangebot der Bewegungslandschaft keine videografischen Daten vor, so dass es nicht zum Gegenstand der Evaluation gemacht werden kann.

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Auf diese Weise wird ein Datenkorpus erstellt, der zunächst in die Auswertungssoftware ATLAS.ti eingelesen wird. Die Daten werden im Anschluss gesichtet und auf der Folie einer theoretischen Sensibilität, im Kern sportpädagogisches und sportdidaktisches Wissen, in relevante Situationen aufgebrochen. Diesen Situationen werden im Rahmen des Kodierens zunächst konzeptionelle Bezeichnungen zugeordnet. In der Folge werden die Situationen einer sequenziellen Auswertung unterzogen, die wiederum auf der Folie der theoretischen Sensibilität des Autors erfolgt (vgl. Strauss & Corbin, 1996). Abschließend werden Fälle konstruiert, welche zentrale Strukturmerkmale und Verbesserungspotenziale des Angebots aufzeigen.

E RGEBNISSE Auf der Grundlage der beschriebenen Forschungsmethodik, werden im Folgenden exemplarische Fallbeispiele aus den drei evaluierten Schnupperangeboten ausgewählt und ausgewertet. Auf diese Weise werden zentrale Merkmale der Angebote illustriert und Verbesserungspotenziale aufgezeigt. Ballgewöhnung Im Kontext des Schnupperangebots der Ballgewöhnung suchen die Kinder mit Erzieherinnen bzw. Erziehern ihrer Kindertageseinrichtung die Sporthalle des TSB Flensburg auf, wo sie von einem Trainerinnen- bzw. Trainerteam empfangen werden. Im Rahmen des Angebots werden mit den Kindern drei Spiele gespielt: Ein Sportspiel mit Pezzibällen auf zwei Tore, kleine Ballspiele mit einem Schwungtuch und ein abschließendes Fußballspiel. Nachfolgend wird exemplarisch ein Fallbeispiel aus dem Kontext des Sportspiels mit Pezzibällen auf zwei Tore ausgewertet. Die Kinder setzen sich gemeinsam mit den Erzieherinnen und Erziehern in den Sitzkreis und der Trainer übernimmt das Wort: »Sind alle wieder da? Gut. So, jetzt teilen wir euch mal auf in zwei Teams, ok?! Ich verteile eben die Leibchen und die zieht ihr bitte an.« Der Trainer verteilt die Leibchen, die Erzieherinnen und Erzieher helfen den Kindern die Leibchen anzuziehen. Danach fährt er fort: »So, alle die ein gelbes Leibchen anhaben gehen mal bitte auf die Seite:« Die Kinder verteilen sich mit ihren Erzieherinnen und Erziehern in ihren Teams auf dem Spielfeld. Nun übernimmt eine zweite Trainerin das Wort: »So, der Ball darf nur mit den Händen angefasst werden und er darf auch nicht geworfen werden, sondern er wird nur auf dem Boden gerollt, ok?!« Der zweite Trainer

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ergänzt: »Also das sind die beiden Tore ne…also ihr verteidigt natürlich das Tor und wir verteidigen das Tor…so jetzt gehen wir alle mal hier hinten auf die Linie…also ich gebe gleich ein Signal und dann dürft ihr starten. Also Los!« Die Kinder stürmen von beiden Seiten auf den Pezziball zu und schieben ihn von allen Seiten, so dass sich ein Pulk bildet. Da die Kinder eines Teams körperlich deutlich überlegen sind, greift eine Erzieherin auf Seiten des schwächeren Teams stark in das Geschehen ein, so dass sich der Ball nicht von der Stelle bewegt. Dabei fällt auf, dass sich einige Kinder engagiert am Geschehen beteiligen, während andere Kinder unbeteiligt im Spielfeld stehen. Die Situation wird erst aufgelöst als weitere Pezzibälle in das Spielfeld gegeben werden. Die Kinder stürmen auf die Bälle zu und versuchen sie möglichst lange in ihrem Besitz zu halten. Selbst wenn die Kinder unbedrängt sind, bewegen sie sich nicht mit dem Ball in Richtung Tor, erst wenn andere Kinder sich dem Ball nähern, wird der Ball verteidigt. Selbst Kinder aus demselben Team kämpfen um den Besitz des Balles. Nur die Erzieherinnen und Erzieher versuchen den Ball in Richtung der Tore zu bewegen. Erst nachdem diese mehrere Tore erzielt haben und dies durch Jubelgesten untermalen, beginnen einzelne ältere Kinder zunächst aktiv den Versuch zu unternehmen, Tore zu verhindern. Zum Abschluss des Spiels versuchen auch die ersten älteren Kinder selbst ein Tor zu erzielen, wenn sie in direkter Nähe des Tores den Ball erhalten. So entwickelt sich an wenigen Stellen ein Spiel zwischen einer erwachsenen Person, die ein Tor erzielen oder verhindern möchte und einem oder zwei Kindern, die entsprechend versuchen ein Tor zu verhindern bzw. zu erzielen. Kurz darauf wird das Spiel nach etwa sechs Minuten beendet. (Schnupperangebot Ballgewöhnung, 9.5.2014) Im Kontext des beschriebenen Falles zeigt sich eine besondere Form der Inszenierung von Bewegung. Der Gegenstand des Angebots erscheint nicht erklärungs- oder begründungsbedürftig, so dass die Trainerinnen und Trainer auf eine Einführung oder Hinführung zu dem Spiel verzichten. Es wird kein Bezug zu den Vorerfahrungen der Kinder hergestellt und auch nicht erläutert, welche Aktivitäten folgen werden und warum die Kinder dies machen sollen. Es handelt sich um keine dialogische Beziehung. Das Geschehen zentriert sich um die Trainerinnen und Trainer, deren Ansagen knapp bleiben und auch nicht weiter ausgeführt oder begründet werden. Es werden lediglich organisatorische Fragen geklärt (»Sind alle wieder da?«), die Abläufe geregelt (»So, jetzt teilen wir euch mal auf in zwei Teams, ok?!«) und regeln eingeführt (»So der Ball darf nur mit den Händen angefasst werden«). Auf diese Weise wird der Handlungsspielraum der Kinder eingeschränkt und ihre Aktivitäten stark gelenkt. Dabei handelt es sich um eine für den ökologischen Ausschnitt Sportverein durchaus typische so-

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ziale Ordnung, welche den Kindern auf diese Weise erlebbar gemacht werden kann. Bei dem ausgewählten Spiel handelt es sich um ein Sportspiel bzw. ein Spiel um etwas (vgl. Dietrich, 1980; Erhorn, 2015). Durch den Pezziball und die Vorgabe ihn mit den Händen zu spielen, wird die Komplexität des Spiels deutlich verringert. Fertigkeiten wie das Werfen, Fangen, Schießen oder Stoppen sind für die erfolgreiche Teilnahme am Spiel nicht notwendig. Auch die koordinativen Anforderungen sind deutlich reduziert. Durch diese Reduktion soll den Kindern offenbar der Grundgedanke des Sportspiels bzw. der Zielschussspiele vermittelt werden. So muss auch in dem hier gewählten Spiel mit einem Spielgerät um Raum gekämpft und das Spielgerät in ein Ziel befördert werden. Auffällig ist an dieser Stelle, dass die besondere Ordnung des Zielschussspiels für die Trainerinnen bzw. Trainer selbstverständlich zu sein scheint (»Also das sind die beiden Tore ne…also ihr verteidigt natürlich das Tor und wir verteidigen das Tor«). Für die Kinder ist dies hingegen nicht selbstverständlich, was sich im weiteren Verlauf des Spiels zeigt. So erscheint für die Kinder nicht das Erzielen eines Tores als Ziel des Spiels, sondern der möglichst lange Besitz des Spielgerätes und das Verteidigen des Spielgerätes gegen andere Personen. Offenbar überfordert die didaktische Inszenierung die Kinder. Eine Zergliederung in Grundsituationen des Spiels hätte Komplexität reduziert und den Kindern die Aneignung erleichtert (vgl. Dietrich, 1984). Die Teilnahme der Erzieherinnen und Erzieher stellt eine für den Kontext des Sportvereins untypische Besonderheit dieser Inszenierung dar. Gerade in fremden Kontexten können Bezugspersonen den Kindern wichtige emotionale Sicherheit bzw. Unterstützung gewähren. Im Hinblick auf das Projektziel ökologische Übergänge anzubahnen oder zumindest zu ermöglichen, ist diese Sicherheit von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In dem beschriebenen Fall stehen die Erzieherinnen und Erzieher jedoch nicht nur passiv-teilnehmend als Quelle emotionaler Sicherheit, sondern nehmen aktiv an dem Angebot teil. Damit stellen sie für die Kinder ein wichtiges Vorbild dar, da der Aktivität von wichtigen Bezugspersonen Bedeutung beigemessen wird und sie sich bei den geforderten Abläufen an ihnen orientieren können. Dies zeigt sich im Kontext des Spiels mit dem Pezziball. Erst am Beispiel der Erzieherinnen und Erzieher verstehen zumindest einige Kinder den von den Trainerinnen bzw. Trainern intendierten Sinn des Spiels. Allerdings wird die Inszenierung des Spiels durch die Erzieherinnen und Erzieher stark dominiert, was durchaus ambivalent beurteilt werden kann. Vor dem Hintergrund der Überforderung der Kinder tragen sie dazu bei, dass die Inszenierung nicht scheitert, allerdings wird der Kontext des Sportvereins dadurch ein wenig verfremdet.

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Insgesamt ist es im Kontext des Schnupperangebots gelungen, die Kinder mit verschiedenen Spielen mit dem Ball in Kontakt zu bringen. Allerdings zeigten sich Verbesserungspotenziale im Bereich der didaktischen Inszenierung. Tänzerische Früherziehung Für das Angebot zur tänzerischen Früherziehung suchen die Kinder wiederum mit Erzieherinnen bzw. Erziehern ihrer Einrichtungen die Sporthalle des TSB Flensburg auf. Im Kontext des Angebots werden die Kinder zunächst begrüßt, bewegen sich mit den Trainerinnen anschließend themenbezogen zu den Themen Pipi Langstrumpf und Tabaluga und werden in den Bauchtanz eingeführt. Abschließend wird mit ihnen ein Massage-Spiel durchgeführt. Der nachfolgend exemplarisch ausgewertete Fall stammt aus dem themenbezogenen Bewegen zur Tabaluga-Geschichte. Trainerin: »Genau. Alle zu mir. So, ich hab noch eine Geschichte für euch. Mal gucken, ob ihr die kennt. Ich habe ein kleines Rätsel. Ich bin grün, hab Flügel und kann Feuer speien.« Kind: »Oh.« Trainerin: »Wer kann denn Feuer speien? Wisst ihr das?« Kind: »Ich.« Trainerin: »Nein, das glaube ich nicht. Was für ein Tier kann denn Feuer speien?« Kind: »Ein Drache.« Trainerin: »Genau. Ein Drache. [Kind faucht wie ein Drache.] Genau, so hört sich das an, wenn der Feuer speit. Kennt ihr denn eine Geschichte mit einem hey, einmal Ruhe, sonst können die anderen gar nicht hören. Und bleibt mal ruhig sitzen, bitte. Einmal ruhig sitzen bleiben. Kennt ihr eine Geschichte mit einem Drachen?« Kinder: [rufen durcheinander]» Jaa!« Trainerin: »Kennt ihr vielleicht Tabaluga?« Kinder: [rufen durcheinander] »Nein! Jaa!« Trainerin: »Wer von euch kennt Tabaluga?« Kinder: [rufen durcheinander] »Ich jaa.« Trainerin: »Das ist ein Drache. Der kann fliegen und Feuer speien. Kennt ihr denn auch den Schneemann bei Tabaluga?« Kinder: »Jaaa!« Trainerin: »Ja. Ist der denn, ist der denn lieb oder böse, der Schneemann?« Kinder: »Bööööse.« Trainerin: »Böse, genau. Was macht der denn die ganze Zeit Böses? [Pause] Könnt ihr euch erinnern? [kurze Pause] Der wirft ganz viel mit Eis und Schnee

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umher, weil er mag kein Sommer und kein Frühling, weil da so viel die Sonne scheint. Was passiert denn, wenn auf einen Schneemann die Sonne scheint?« Kind: »Äh, schmilzt er.« Trainerin: »Genau, dann zerschmilzt er zu Eis.« Kind: »Ja.« Trainerin: »Deshalb hat Arktos, so heißt der Schneemann, einen Eimer [Trainerin formt mit ihren Armen einen Eimer] mit Schnee und Eis immer dabei. Und dann springt er immer ganz doll [Trainerin wippt auf und ab], so dass immer ganz viel Eis und Schnee daraus fällt. Aber Tabaluga, der macht was dagegen. Was kann denn Tabaluga? [Trainerin stellt Bewegungen des Feuerspuckens dar] Haben wir grad eben schon besprochen [Trainerin wiederholt die Bewegungen] Was kann der? Der kann Feuer speien! Und das macht er immer und die ganzen Eisberge, die Arktos verteilt hat, da speit er Feuer hin, um sie zum Schmelzen zu bringen.« Kind: »Ja.« Trainerin: »Nä. Und dann hat Arktos noch eine Freundin, die ist ganz alt und kann sich nur ganz langsam bewegen. Kennt ihr ein Tier, das ganz alt wird und sich ganz langsam bewegt?« Kind: »Ein Faultier.« Trainerin: »Ja, ein Faultier bewegt sich auch langsam. Kennt ihr noch andere Tiere, die ganz langsam sich bewegen? Na? [Pause] Eine Schildkröte ist das und die Schildkröte, die heißt Nessaja.« Kind: »Nessaja.« Trainerin: »Genau. Und woraus schlüpft denn ein Drache, wenn er geboren wird? Passt ihr auch bitte auf.« Kind: »Ei.« Trainerin: »Aus einem Ei. Genau. Wie liegt denn ein Drache wohl in einem kleinen Ei?« Kind: »Sooo.« [macht sich ganz klein] Trainerin: »Man muss sich ganz klein machen [Trainerin kniet sich hin und macht sich ganz klein, ebenso die Kinder] ganz klein, und dann muss er die Schale zerknacken, damit er raus kommt aus dem Ei. Genau so, macht euch alle mal ganz klein als würdet ihr in einem Ei liegen. Passt auf und dann wollen wir gleich mal aus dem Ei rausschlüpfen.« [Musik ertönt] Trainerin: »Noch sind wir ganz klein. Und jetzt versuchen wir mal ein bisschen uns zu bewegen und die Eierschale kaputt zu machen. [Trainerin bewegt sich hin und her] Und wir haben’s geschafft, die Eierschale ist kaputt. Und wir machen uns ein bisschen größer [Trainerinnen richten sich auf, ebenso die Kinder] und strecken uns mal [alle recken und strecken sich]. Uhha, so groß sind wir noch nicht und wir kommen mal hoch auf die Knie [alle richten sich weiter auf]. Und

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strecken uns ganz groß. [Musik wird etwas schneller] Und wir kommen hoch [alle stehen auf]. Und Tabaluga lernt fliegen [Trainerin macht Flugbewegungen mit den Armen vor]. Wir haben jetzt große Flügel und fliegen mal umher [Kinder laufen »fliegend« im Kreis herum hinter der Trainerin her]. Super. Hey, ihr könnt ja alle klasse fliegen.« [Musik wird langsamer] Trainerin: »Und wir sind eine Schildkröte psst ganz leise und ganz langsam [alle gehen langsam weiter im Kreis] ganz leise psst und ganz langsam [Pause] so leise wie ihr könnt.« [Musik wird lauter] Trainerin: »So und jetzt sind wir bei Arktos [Trainerinnen formen mit ihren Armen einen Eimer] wir haben einen großen Eimer mit Schnee und Eis und jetzt [Trainerinnen beginnen auf der Stelle zu hüpfen, die Kinder ebenfalls] springen wir, dass alles rausfällt. Ordentlich doll springen. Dass das ganze Eis und der ganze Schnee aus dem Eimer rausfallen. Macht die Arme mal schön rund. Genau und jetzt springen. Ja!« Trainerin: »Und kommt, Tabaluga macht die Eisberge jetzt wieder weg [Trainerin macht eine auffordernde Handbewegung und läuft gefolgt von den Kindern in eine Ecke der Halle]. Kommt mit, da vorne sind Eisberge. Und Achtung und Feuer speien schhh. Da vorne sind noch Eisberge, kommt mit. [Trainerin läuft gefolgt von den Kindern zu einer anderen Wand der Halle] Und Feuer speien schhh [dabei werden die Arme nach vorne gestreckt und die Finger bewegt]. Da vorne sind noch welche, kommt mit. Und nochmal Arme hoch und Feuer speien schhh. Oh. Geschafft. Und Tabaluga fliegt noch ne Runde. [Kinder laufen mit »Flugbewegungen« hinter Trainerin durch die Halle] Fliegen, mit ganz großen Flügeln.« Trainerin: »Und kommt wieder zu mir in den Kreis.« [Musik geht aus] (Schnupperangebot tänzerische Früherziehung, 16.5.2014) Im Kontext des Angebots bedienen sich die Trainerinnen systematisch des Rituals des Sitzkreises. Diese Organisationsform ist für die von ihnen mehrfach unternommenen Erzählungen und Gespräche mit den Kindern im Frage-AntwortMuster geeignet, wobei die Fragen ausschließlich von den Trainerinnen ausgehen. Dabei werden der Rahmen des Sitzkreises und das beschriebene Format der Kommunikation genutzt, um einen Bezug zur Lebens- und Erlebniswelt der Kinder herzustellen. Dies geschieht durch Fragen nach ihren Vorkenntnissen und zu Figuren aus ihrem (medialen) Alltag. Mit den Kindern wird auf dieser Grundlage in der Folge eine gemeinsame Phantasiewelt kreiert, in der die rhythmischen Bewegungen zur Musik mit spezifischen Bedeutungen verknüpft werden.

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Durch die Verknüpfung rhythmischer Bewegungen mit einer Geschichte können die Kinder das Prinzip, etwas im Medium der Bewegung zur Darstellung zu bringen, erleben. Als Mittel der Darstellung werden verschiedene Bewegungsformen gewählt: Langsame und schnelle Bewegungen, groß machen und klein machen, rhythmische Bewegungen der Arme, springen sowie Bewegungen durch den Raum. Die Vermittlung rhythmisch-tänzerischer Bewegungen erfolgt im Schwerpunkt über das Vorbild der Trainerinnen, welches die Kinder imitieren. Dabei handelt es sich nicht um ein zeitversetztes Vormachen und Nachmachen, sondern um den zeitgleichen Mitvollzug durch die Kinder. Die Bewegungsfiguren werden dabei von der Trainerin sprachlich benannt und begleitet, so dass die Kinder den Blick von ihr abwenden und sich voll auf ihre eigene Bewegung konzentrieren können. Erst bei einem Wechsel der verbalen Instruktion wird eine erneute Beobachtung der Trainerin notwendig. Dabei beginnt die Trainerin zunächst mit rhythmischen Bewegungen im Sitzkreis, die erst nach und nach in den erweiterten Raum der Sporthalle ausgedehnt werden. Während die rhythmisch-tänzerischen Bewegungen zunächst nur zur von der Trainerin erzählten Geschichte vollzogen werden, werden sie später auch zur Musik durchgeführt. Bei der beschriebenen Inszenierung folgt die Trainerin dem didaktischen Prinzip »vom Einfachen zum Komplexen« (vgl. u. a. Kretschmer, 2000). Die Kinder begegnen im Kontext des Angebots einer spezifischen sozialen Ordnung, die auch dadurch gekennzeichnet ist, dass den Kindern in kindgerechter Weise spezifische Bewegungsformen und Sinnperspektiven nahe gebracht bzw. erlebbar gemacht werden. Im Unterschied zum Schulsport werden diese in der Folge aber nicht mit dem Ziel der Selbstbestimmungsfähigkeit (vgl. Klafki, 1985; Prohl & Scheid, 2012) mit den Kindern reflektiert. Es geht vermutlich eher darum, die Kinder mit Hilfe einer kindgerechten Inszenierungsform für das Bewegungsfeld zu begeistern, was für den ökologischen Ausschnitt des Sportvereins durchaus als typisch angesehen werden kann. Insgesamt handelt es sich bei dem Schnupperangebot zur tänzerischen Früherziehung um ein gelungenes Format, in dessen Rahmen mit den Kindern in kindgerechter Art und Weise rhythmisch-tänzerische Bewegungsformen vollzogen und diese ihnen damit erleb- und erfahrbar gemacht werden. Dabei können die Kinder darüber hinaus eine für den Kontext Sportverein typische Form der Inszenierung von Bewegung erleben. Klettern Im Kontext des Schnupperangebots zum Klettern suchen die Kinder gemeinsam mit Erzieherinnen und Erziehern ihrer Einrichtung eine Sporthalle des TSB Flensburg auf, die über eine Kletterwand verfügt. Dort werden sie von zwei Klettertrainerinnen bzw. -trainer empfangen und im Sitzkreis begrüßt. In der

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Folge spielen sie zunächst Feuer-Wasser-Sturm und erkunden die Kletterwand. Im Anschluss wird ihnen das Klettergeschirr vorgestellt, was sie daraufhin anlegen und mit Unterstützung der Trainerinnen und Trainer Kletterversuche an der Kletterwand unternehmen. Die nachfolgend exemplarisch ausgewerteten Situationen haben sich in der Phase der Kletterversuche ereignet. Trainerin: »Ich mach dich mal fest, da kann gar nichts passieren. Pass auf, und das Seil kommt dazwischen. Wenn du nicht mehr kannst und ich dich runter lasse, dann hältst du dich hier an dem Knoten fest. Hast du verstanden? Genau, jetzt kannst du hoch. Ich zieh dich nicht hoch. Nee, du musst schon klettern. Pass auf, hier ist das einfacher.« Mädchen: »Und jetzt da?« Trainerin: »Genau.« Mädchen: »Da?« Trainerin: »Genau und jetzt den anderen Fuß hier oben hin. [Mädchen probiert einige Zeit ohne Erfolg] Ja, du musst dich mit den Füßen da unten drauf stellen, genau. Ja, du hast das super gemacht. [Trainerin nimmt den Arm des Mädchens an der Kletterwand] Da oben hin. [Trainerin unterstützt das Mädchen mit der Hand] Und jetzt drückst du dich hoch. Jetzt musst du mit den Fuß auf einen anderen gehen. Hier zum Beispiel. Genau. Super. Klasse. Super. Hey.« Mädchen: »Will.« Trainerin: »Willst du runter?« Mädchen: »Aber ich kann noch weiter hoch.« Trainerin: »Willst du denn runter?« Mädchen: »Da gibt‘s gar nichts.« Trainerin: »Pass auf, dann halt dich da drüben, versuch die Hand wo anders hin zu machen an dem roten zum Beispiel. Genau.« Mädchen: »Hab ich.« Trainerin: »Genau. Und jetzt mit dem Fuß musst du wo anders hin, damit du dich hochdrücken kannst. Genau, super. Genau, mit dem Fuß kannst du jetzt hier oben hoch, guck mal. Mit dem Fuß, da kannst du richtig gut stehen. Genau. Genau. Klasse.« Mädchen: »Will nicht mehr.« Trainerin: »Gut, okay. Dann pass auf, die Füße gehen gegen die Wand. Gegen die Wand. Genau richtig, gegen die Wand. Pass auf, ich lass dich jetzt runter. [Trainerin lässt das Mädchen runter] Okay, hey, super. So, jetzt musst du dich hinstellen, genau, super. [Trainerin löst das Mädchen aus der Sicherung] So, dann darf der nächste zu mir kommen.« (Schnupperangebot Klettern, 23.5.2014)

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Das Klettern stellt für die Kinder ein Wagnis dar und ist für die meisten Kinder zunächst mit Angstgefühlen verbunden. Vor diesem Hintergrund kommt den Trainerinnen bzw. Trainern und Betreuungspersonen eine besondere Bedeutung zu. Sie müssen die Kinder nicht nur sichern, sondern ihnen auch die Sicherheit vermittelt, die sie benötigen, um sich der Herausforderung zu stellen. So weist die Trainerin explizit auf die Sicherheitsvorkehrungen hin (»Ich mach dich mal fest, da kann gar nichts passieren«), antizipiert mögliche Ängste und Probleme des Kindes und weist es auf Lösungen hin (»Wenn du nicht mehr kannst und ich dich runter lasse, dann hältst du dich hier an dem Knoten fest«). Dabei wird dem Kind abverlangt, den Aufstieg selbständig zu bewältigen. Allerdings wird ihm die Bewältigung durch unterstützende Hinweise erleichtert, wobei es sich um verbale Hinweise (»Genau und jetzt den anderen Fuß hier oben hin«) oder physische Hilfen handelt (unterstützt das Mädchen mit der Hand), und die Erfolge durch Lob gewürdigt werden (»Ja du hast das super gemacht«). Zwischen der Betreuerin und dem Kind entwickelt sich auf der Basis des Bewegungsdialoges des Kindes mit der Kletterwand eine kommunikative Beziehung, in deren Rahmen die Initiative vom Kind ausgeht und die Trainerin eher responsiv agiert und das Kind in der Realisierung seiner Absicht unterstützt (vgl. Funke-Wieneke, 1995). Das Kind setzt sich in diesem Rahmen mit dem Bewegungsproblem beharrlich auseinander, obwohl seine Versuche zu Beginn nicht erfolgreich sind. Konsequenterweise bestimmt das Kind auch das Ende der Aktivität (»Will nicht mehr«). Allerdings setzen sich nicht alle Kinder im Rahmen des Angebots aus eigener Initiative mit dem Bewegungsproblem Klettern an der Kletterwand auseinander. In diesen Fällen versuchen die Trainerinnen und Trainer, wie in der nachfolgend beschriebenen Situation, die Kinder in der Absichtsbildung zu unterstützen bzw. sie zu einer Auseinandersetzung mit dem Bewegungsproblem zu animieren (vgl. ebd.). Kameramann: [Ein Junge steht neben einem Kameramann hinter einer zweiten, fest installierten Kamera, die eigentlich die »Totale« aufnehmen soll und filmt die anderen Kinder. Daraufhin spricht der Kameramann den Jungen an] »Möchtest du gar nicht klettern? [Der Junge reagiert nicht. Kurze Pause] Möchtest du gar nicht klettern?« Junge: »Da ist Jonas.« [zeigt auf eines der kletternden Kinder] Kameramann: »Warum möchtest du denn nicht klettern?« Junge: »Ich möchte des nicht.« Kameramann: »Wie bitte?« Junge: »Ich…möchte ich nicht.«

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Kameramann: »Hm.« Junge: »Ich möcht gucken.« [Pause] Junge: »Du auch sitzen.« Kameramann: »Wie bitte?« Junge: »Du sitzen.« Kameramann: »Sitzen? Willst du sitzen?« Junge: »Nein du.« [Zeigt dabei mit dem Finger auf den Kameramann] Kameramann: »Ich soll sitzen? Warum?« Junge: [Ruft einem Erzieher zu] »Jörg, Jörg, Jörg, ich seh dich aufn Kamera! Jörg!« Kameramann: »So.« Junge: »Hm.« Kameramann: »Jetzt‘s gut.« Junge: »Nein.« Kameramann: »Doch.« Junge: »Will alle sehen.« Kameramann: »Du sollst lieber mal Klettern jetzt.« Junge: »Nein, möchte ich gar nicht.« Kameramann: »Möchtest du gar nicht? Du hast ja noch gar nicht ausprobiert.« Junge: [geht von der Kamera weg] »Musst du bei mir gucken.« Kameramann: »Ja, ich kann dich sehen.« [Pause] Junge: [geht wieder hinter die Kamera] »Kann ich noch gucken?« Kameramann: »Eigentlich nicht.« Junge: »Doch.« Kameramann: »Nee, dann muss ich ja immer auf dich aufpassen.« Junge: »Da ich hab ihn! Da ist Sophie!« Kameramann: »Hm.« Junge: [Ruft einem Mädchen zu] »Sandra, Sandra, guck, ich kann dich da sehen!« [Ein Trainer kommt auf den Jungen zu und spricht ihn an] Trainer: »Willst du nicht klettern?« Junge: »Und dich auch.« Kameramann: »Er möchte nicht.« Trainer: »Willst du nicht klettern?« Kameramann: »Du kannst es ja wenigstens mal ausprobieren.« Junge: »Nee, gucken.«

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Kameramann: »Willst du nur gucken? Dann muss ich die leider abbauen, die Kamera.« Junge: »Nein.« Kameramann: »Doch.« Trainer: »Komm mal mit, versuch doch mal, ob du das kannst.« Junge: »Nee. Ich bin so.« [zeigt fünf Finger] Trainer: [Geht in die Hocke und zeigt ebenfalls fünf Finger] »Du bist so? Willst du nicht mal mitkommen, mal ausprobieren?« Junge: »Nee.« Trainer: »Nee?« Junge: »Nee.« Trainer: »Deswegen bist du doch extra hier oder nicht?« Junge: »Nein. Will gar nicht ausprobieren.« Kameramann: »Los, trau dich mal.« Erzieherin: [Ruft nach dem Jungen] Junge: »Nein, ich möcht nicht klettern.« Erzieherin: »Du möchtest nicht klettern?« Junge: »Nee, will gucken.« Erzieherin: »Deswegen sind wir doch aber da.« Junge: »Ich möchte gucken.« Erzieherin: »Probier mal.« Junge: [Schüttelt den Kopf] Erzieherin: »Da kannst du ja nachher noch gucken.« Kameramann: »Das nehm ich ja gerade auf, das kannst du dir nachher auch noch angucken, wenn du willst.« Trainer: »Komm mal mit, wir gucken da mal. Komm, wir schaun mal dort.« [Trainer und Junge gehen zur Kletterwand] Junge: »Das kann ich aber nicht.« Trainer: »Das weißt du doch gar nicht, ob du das kannst.« [Eine Erzieherin begleitet den Jungen zu einem Seil] Erzieherin: »So, guck mal. Kannst du mit Claudia wechseln.« [hakt den Jungen mit einem Karabinerhaken in das Seil ein] Junge: »Wie soll ich jetzt? Wir beide?« Erzieherin: »Nee, ich halte dich nur fest. Gucken wir mal. Ich kann so machen.« [zieht Marc ein Stück hoch, woraufhin dieser lacht] Trainer: »Das geht hoch. So, versuch mal dich fest zu halten.« Junge: [Hält sich mit den Händen an der Wand fest] »Und jetzt?« Trainer: »Jetzt musst du die Füße nachziehen.« Junge: [Probiert es kurz]

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Trainer: »Da genau.« Junge: [Steigt wieder ab] »Kann ich aber nicht. Kann ich nicht.« Trainer: »Mach noch mal.« Junge: »Nee.« Trainer: »Versuch noch einmal, los.« Junge: »Nein.« Trainer: »Kannst ja mal ausprobiern.« Junge: »Nein, möchte ab haben.« Trainer: »Hmm.« Junge: »Möchte ab haben.« Trainer: »Dreh dich mal zu mir.« [Junge dreht sich zu dem Betreuer] Trainer: »Wie heißt du noch, Michael?« Junge: »Möchte ab haben.« Trainer: »Willst du es nicht erstmal ausprobieren?« Junge: [Schüttelt mit dem Kopf] Trainer: »Nein, keine Lust? [Kurze Pause] Du musst hier einfach nur ziehn.« [Der Trainer hilft dem Jungen den Karabinerhaken wieder zu lösen] (Schnupperangebot Klettern, 23.5.2014) Ein Junge zieht sich aus dem Klettergeschehen zurück und sucht sich mit dem Filmen eine alternative Tätigkeit, wobei er sich an dem Vorbild des Kameramanns orientiert. Das Filmen stellt aus Sicht des Jungen offenbar eine ebenfalls legitime Beschäftigung dar, die das Fernbleiben vom Klettern nach außen hin rechtfertigt. Schließlich ist er im Rahmen der Gesamtinszenierung sinnvoll beschäftigt. So stellt die Eröffnung der Kommunikation durch den Kameramann mit einer eher rhetorischen Frage (»Möchtest du gar nicht klettern?«) für den Jungen eine Bedrohung seiner Rückzugsstrategie dar, weshalb er sie zunächst einmal überhört. Der Kameramann erkennt, dass der Junge auch weiterhin nicht klettern möchte und fragt nun explizit nach dem Grund (»Warum möchtest du denn nicht klettern?«). Da sich der Kameramann durch die gewählte Strategie und trotz mehrfachem Überhörens nicht abwimmeln lässt, reagiert der Junge und weist darauf hin, dass er nicht klettern möchte (»Ich möchte des nicht«), ohne jedoch einen Grund zu nennen. Auffällig ist jedoch, dass der Junge in der Folge versucht das Gespräch wieder auf das Filmen zu lenken, während der Kameramann weiterhin versucht, den Jungen zum Klettern zu bewegen. Offensichtlich möchte der Junge der Herausforderung des Kletterns aus dem Weg gehen. Als auch ein Trainer auf den Jungen aufmerksam wird, versuchen sie ihn gemeinsam zu überzeugen das Klettern auszuprobieren, wobei der Kameramann dem Jungen droht seine alternative Beschäftigung zu beenden (»Dann muss ich

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die leider abbauen, die Kamera«). An dieser Stelle wird ein durchaus beachtlicher Druck auf den Jungen ausgeübt, dem er sich durch den Verweis auf sein Alter zu entziehen sucht. Offenbar will der Junge damit suggerieren, dass er für das Klettern noch zu jung sei. Schließlich äußert der Junge seine Bedenken, dass er nicht klettern könne (»Das kann ich aber nicht«). Offenbar hat der Junge Angst sich auf das unbekannte Terrain zu begeben und dabei möglicherweise ein Scheitern zu erleben. Auffällig ist an dieser Stelle eine Dramatisierung des nochnicht-Könnens durch den Jungen, was offenbar nicht als Herausforderung, sondern als bedrohlicher Zustand angesehen wird. An dieser Stelle versäumen es die erwachsenen Bezugspersonen dem Jungen das »noch-nicht-Können« als einen normalen Zustand im Umgang mit neuen Anforderungen, der durch Übung veränderbar ist, nahe zu bringen (vgl. Bollnow, 1978; Erhorn, 2015). Stattdessen folgen sie der Logik des Jungen (»Das weißt du doch gar nicht, ob du das kannst«) und fordern ihn mehrfach zum Ausprobieren auf. In diesem Kontext erhält das Ausprobieren dann für den Jungen allerdings die Bedeutung einer Probe aufs Exempel, ob er klettern kann oder nicht. Als auch noch eine Erzieherin auf den Jungen einwirkt, lässt er sich auf die Herausforderung ein und lässt sich in das Sicherungsgeschirr einhaken. In diesem Moment zeigt der Junge das erste Mal eigenes Interesse am Klettern, indem er sich über den Ablauf informiert (»Wie soll ich jetzt? Wir beide?«) und sogar kurzzeitige Anzeichen von Freude, als die Betreuerin im mit dem Seil in die Höhe zieht. Vermutlich fällt an dieser Stelle kurzzeitig der Erwartungsdruck von dem Jungen ab. In der Folge lässt sich der Junge auf das Klettern ein und fragt sogar aktiv nach dem nächsten Schritt (»Und jetzt?«). Als es dem Jungen jedoch nicht auf Anhieb gelingt mit den Füßen halt an der Kletterwand zu finden, bricht er die Aktivität umgehend ab. Trotz weiterer Versuche gelingt es dem Trainer nicht, den Jungen von der Fortsetzung der Aktivität zu überzeugen, wobei er den Wunsch des Kindes respektiert und keinen Zwang auf ihn ausübt. Die Probe aufs Exempel ist negativ ausgefallen und der Junge erlebt den Versuch als gescheitert, mit möglicherweise negativen Folgen für sein Selbst-Konzept (vgl. Zimmer, 2006; Erhorn, 2015). Bei der Betrachtung der beiden Fallbeispiele wird deutlich, dass das Klettern für die Kinder eine motorische und emotionale Herausforderung darstellt, mit der sie unterschiedlich umgehen. Während sich einige Kinder ohne zu zögern auf das unbekannte Terrain begeben, auf Anhieb Erfolgserlebnisse verbuchen können und in der Folge versuchen ihr Können zu verbessern, versuchen sich andere Kinder der Herausforderung zu entziehen und nehmen das noch-nichtKönnen nicht als einen normalen und veränderbaren Zustand war. Dementsprechend weisen sie nur eine geringe Frustrationstoleranz auf und sind nicht bereit,

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einen Übungsprozess zu beginnen. Insbesondere der zweite Fall stellt für die erwachsenen Bezugspersonen eine Herausforderung dar. Sie müssen entscheiden, ob sie das Kind konfrontieren, wann sie es konfrontieren und in welcher Art und Weise sie dies tun. Es sollte vermieden werden, die Kinder unter Druck oder Zugzwang zu setzen sowie ihr nicht-Können oder ihre Ängste zu dramatisieren. Vielmehr sollte das noch-nicht-Können mit den Kindern als normaler und veränderbarer Zustand interpretiert werden. Zusätzlich sollten die Kinder durchaus durch Maßnahmen der Differenzierung unterstützt werden. So können im Schwierigkeitsgrad differenzierte Angebote auch den motorisch schwächeren und/oder ängstlicheren Kindern Erfolgserlebnisse ermöglichen. Dabei können Stationen angeboten werden, die von den Kindern spontan bewältigt werden und Stationen, an denen die Kinder den Übergang vom nicht-Können zum Können erfahren können. An anspruchsvolleren Stationen sollten ängstliche Kinder zunächst angeregt werden, andere Kinder bei ihren Aktivitäten zu beobachten. Damit können Schwellenängste abgebaut und Handlungsstrategien für die Lösung von spezifischen Bewegungsproblemen abgeguckt werden. Dabei können die Kinder durch spezifische Beobachtungsaufgaben unterstützt werden. Allerdings sollte auch der Wunsch eines Kindes, sich zurückzuziehen respektiert werden.

F AZIT Im Rahmen eines Sportbündnisses sollten die Kinder mit dem ökologischen Ausschnitt Sportverein in Kontakt gebracht werden, spezifische (Bewegungs-) Erlebnisse und Erfahrungen machen können und ihnen der Übergang in diesen Ausschnitt erleichtert werden. Dafür wurden für Kinder aus Kinderbetreuungseinrichtungen sozial benachteiligter Quartiere Schnupperangebote (tänzerische Früherziehung, Ballgewöhnung, Klettern, Bewegungslandschaft) des lokalen Sportvereins organisiert. Die Angebote tänzerische Früherziehung, Ballgewöhnung und Klettern wurden zum Gegenstand einer formativen Evaluation gemacht, wobei sich Hinweise auf die Struktur der Angebote und spezifische Optimierungspotenziale ergaben. So wiesen die Angebote eine für den ökologischen Ausschnitt Sportverein starke Zentrierung auf die Trainerinnen und Trainer bzw. Übungsleiterinnen und Übungsleiter auf, welche von den Kindern erlebt werden konnte. Ein wichtiges Element des Angebots stellt die Anwesenheit der Erzieherinnen und Erzieher dar, mit der den Kindern eine emotionale Sicherheit gewährt wird, die sonst in der Regel beim ersten Besuch eines Sportvereins durch die Eltern gegeben wird. Im Falle der aktiven Teilnahme führt dies zwar zu einer gewissen Verfremdung

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der typischen Inszenierung des Sportvereins, jedoch nahmen die Erzieher*innen dabei eine wichtige Vorbildfunktion ein. Im Bereich des methodisch-didaktischen Aufbaus zeigten sich in den Angeboten Stärken und Schwächen. Im Kontext des Kletterns werden zum Teil in vorbildlicher Form Unterstützungsmaßnahmen (verbale Hinweise, physische Hilfen, Lob) gewährt. Im Umgang mit ängstlichen und sich verweigernden Kindern zeigen sich Verbesserungspotenziale. Im Rahmen der tänzerischen Früherziehung wurde sehr gut an die Vorerfahrungen und den Könnensstand der Kinder angeschlossen und dem Prinzip »Vom Einfachen zum Komplexen« gefolgt. Im Rahmen der Angebote des Kletterns und der Ballgewöhnung traten Überforderungssituationen auf, denen durch eine Optimierung des didaktisch-methodischen Aufbaus der Angebote (Prinzip »Vom Einfachen zum Komplexen«, Maßnahmen der Differenzierung) begegnet werden sollte. Gerade in den Angeboten des Kletterns und der Ballgewöhnung zeigt sich die Schwierigkeit, im Rahmen von einmaligen Schnupperangeboten, die für sich den ökologischen Ausschnitt Sportverein typische beharrliche Beschäftigung mit einem Bewegungsfeld, in deren Kontext sich in der Regel ein mit Fleiß und Anstrengung verbundener Könnenserwerb vollzieht, zu repräsentieren. Insgesamt kann die Maßnahme aber als gelungen angesehen werden. Mit Hilfe der Schnupperangebote haben die Kinder einen Einblick in den ökologischen Ausschnitt Sportverein erhalten und sind mit unterschiedlichen Bewegungsformen und Inszenierungsformen von Bewegung in Kontakt gekommen. Durch Verbesserungen in den beschriebenen Bereichen kann die Qualität zukünftiger Angebote gesteigert werden. Mit Blick auf einen möglichen Übergang in den Ausschnitt Sportverein sollten zudem Strategien entwickelt werden, die Anmeldung ihrer Kinder im Sportverein noch niedrigschwelliger zu gestalten.

L ITERATUR Baacke, D. (1999). Die 0- bis 5jährigen. Einführung in die Probleme der frühen Kindheit. Weinheim: Beltz. Bollnow, O. F. (1978). Vom Geist des Übens. Eine Rückbesinnung auf elementare didaktische Erfahrungen. Freiburg, Basel, Wien: Herder. Bortz, J. & Döring, N. (2009). Forschungsmethoden und Evaluation für Humanund Sozialwissenschaftler (4. überarb. Aufl.). Heidelberg: Springer. Bräutigam, M. (2003). Sportdidaktik. Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Aachen: Meyer & Meyer. Bronfenbrenner, U. (1989). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Frankfurt a. M.: Fischer.

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Dietrich, K. & Landau, G. (1990). Sportpädagogik. Grundlagen, Positionen, Tendenzen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Dietrich, K. (1980). Spielen. sportpädagogik, 4 (1), 13-19. Dietrich, K. (1984). Fußball. Spielgemäß lernen – spielgemäß üben (6. unveränd. Aufl.). Schorndorf: Hofmann. Dinkelaker, J. & Herrle, M. (2009). Erziehungswissenschaftliche Videographie. Eine Einführung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Ehni, H.W. (1977). Sport und Schulsport. Didaktische Analysen und Beispiele aus der schulischen Praxis. Schorndorf: Hofmann. Erhorn, J. (2012). Dem »Bewegungsmangel« auf der Spur. Zu den schulischen und außerschulischen Bewegungspraxen von Grundschulkindern. Eine pädagogische Ethnographie. Bielefeld: transcript. Erhorn, J. (2015). Bewegungsräume mit Kindern erobern. Theoretische Vorüberlegungen. In Erhorn, J. & Schwier, J. (Hrsg.), Die Eroberung urbaner Bewegungsräume (S. 81-99). Bielefeld: transcript. Flensburger Sozialatlas, (2012). Funke-Wieneke, J. (1995). Vermitteln – Schritte zu einem »ökologischen« Unterrichtskonzept. sportpädagogik, 19 (5), 10-17. Klafki, W. (1985). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik. Weinheim: Beltz. Kretschmer, J. (2000). Betreuen und Unterweisen. In Wolters, P., Ehni, H., Kretschmer, J., Scherler, K. & Weichert, W. (Hrsg.), Didaktik des Schulsports (S. 121-143). Schorndorf: Hofmann. Kurz, D. (1977). Elemente des Schulsports. Grundlagen einer pragmatischen Fachdidaktik. Schorndorf: Hofmann. Löw, M. (2001). Raumsoziologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Manz, K., Schlack, R., Poethko-Müller, C., Mensink, G., Finger, J., Lampert, T. & KiGGS Study Group (2014). Körperlich-sportliche Aktivität und Nutzung elektronischer Medien im Kindes- und Jugendalter. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 57, 840-848. Prohl, R. & Scheid, V. (2012). Sportdidaktik. Grundlagen – Vermittlungsformen – Bewegungsfelder. Wiebelsheim: Limpert. Stadt Flensburg (2014). Sozialatlas 2014. https://akopol.wordpress.com/2014/ 11/11/sozialatlas-2014-fur-flensburg-liegt-vor-armut-in-der-stadt-nimmt-wei ter-zu/ (Zugriff am 20.03.2015) Strauss, A. & Corbin, J. (1996). Grounded Theory. Grundlagen qualitativer Sozialforschung. Weinheim: Beltz.

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Töpfer, C., Liebl, S. & Sygusch, R. (2015). ErlebnisRAUMerfahrung. Räume mit Bewegung, Spiel und Sport erschließen. In Erhorn, J. & Schwier, J. (Hrsg.), Die Eroberung urbaner Bewegungsräume (S. 57-80). Bielefeld: transcript. Zimmer, R. (2006). Handbuch der Psychomotorik (12. Aufl.). Freiburg: Herder.

Nicht alltägliche Bewegungsräume mit Kindern erkunden Ausflüge vorbereiten, begleiten und nachbereiten J AN E RHORN , A NNA G ROHMANN & L ISA S OPHIE L ÜTHJE

E INLEITUNG In ihrem Alltag halten sich Kinder in einer überschaubaren Anzahl von Räumen auf, die dem ökologischen Zentrum, dem ökologischen Nahraum oder den ökologischen Ausschnitten zugeordnet werden können (vgl. Baacke, 1999; Erhorn, 2015). Diese Räume werden von den Kindern im Rahmen einer Syntheseleistung auf eine spezifische Art und Weise gedeutet und im Prozess des Spacing spezielle Bewegungsräume konstruiert (vgl. Löw, 2001; Erhorn, 2015). Nicht alltägliche Räume verlangen den Kindern besondere Syntheseleistungen ab und ermöglichen die Konstruktion spezifischer Bewegungsräume, womit entsprechende Erlebnis- und Erfahrungspotenziale verbunden sind. Nicht alltägliche Räume können für die Kinder nicht nur besondere Erlebnis- und Erfahrungspotenziale bieten, sondern auch Rückwirkungen auf die Deutung und Nutzung der alltäglichen Räume durch die Kinder haben. In diesem Sinne können sie auch Impulse für ökologische Übergänge liefern (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Erhorn, 2015). Allerdings ist der Zugang zu nicht alltäglichen Räumen für Kinder in hohem Maße selektiv, da er eine besondere Initiative von erwachsenen Personen – in der Regel der Eltern – voraussetzt. Gerade Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen bleiben die mit dem Besuch nicht alltäglicher Räume verbundenen Erlebnis- und Erfahrungspotenziale, mit ihren möglichen Rückwirkungen auf die alltäglichen Räume, daher häufig verschlossen, womit eine doppelte Benachteiligung verbunden ist. Vor diesem Hintergrund wird in den als sozial benachteiligt geltenden Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt ein »Sportbündnis«

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zwischen der Kindertagesstätte Sol-Lie, dem Familienhaus an der Bergmühle sowie der Europa-Universität Flensburg gegründet, um insbesondere Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen nicht alltägliche Räume mit besonderen Erlebnis- und Erfahrungspotenzialen zugänglich zu machen. Die Maßnahmen des Bündnisses werden, als Teil des Moduls »ErlebnisRAUMerfahrung« der Deutschen Sportjugend (DSJ), durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), im Kontext der Initiative »Kultur macht stark«, gefördert (vgl. Töpfer, Liebl & Sygusch, 2015). Im Folgenden werden zunächst der theoretische Rahmen der Intervention skizziert und die Intervention beschrieben. Im Anschluss werden das methodische Vorgehen der formativen Evaluation erläutert, die Ergebnisse dargestellt und in einem Fazit Empfehlungen für zukünftige Maßnahmen ausgesprochen.

T HEORETISCHER R AHMEN Die nicht alltäglichen Bewegungsräume können im Kontext der handlungskreistypologischen Ordnung von Baacke (1999) der ökologischen Peripherie zugeordnet werden. Die ökologische Peripherie wird von Baacke (1999) als »…der Bereich eher gelegentlicher, oft zufälliger, meist zusätzlicher und nicht immer planbarer Begegnungen jenseits der Lebensroutine« definiert. In den verschiedenen Räumen der ökologischen Peripherie können die Kinder spezifische Erlebnisse und Erfahrungen machen, wodurch ihre Entwicklung gefördert werden kann (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Erhorn, 2015). Zudem können auf der Ebene des Mesosystems förderliche Rückwirkungen auf die alltäglichen Bewegungsräume des ökologischen Nahraums und der ökologischen Ausschnitte generiert werden (vgl. Bronfenbrenner, 1989; Erhorn, 2015). Im Kontext der geplanten Maßnahme werden der Wald, der Strand, der Erlebnispark, der Stadtpark und der Abenteuerspielplatz als besonders relevante nicht alltägliche Bewegungsräume ausgewählt (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1: Verortung der nicht alltäglichen Bewegungsräume im sozialökologischen Zonenmodell (nach Baacke, 1999) Strand Wald

Erlebnispark

Ökologische Peripherie

Ökologische Ausschnitte

Ökologischer Nahraum

Abenteuerspielplatz

Stadtpark

Ökologisches Zentrum

Diese nicht alltäglichen Räume weisen jeweils eine spezifische räumliche Ordnung auf und bieten für die Kinder damit besondere Erlebnis- und Erfahrungspotenziale. Erlebnisparks sind in der Regel so gestaltet, dass die Kinder besondere Erlebnisse machen können. Dies spiegelt sich insbesondere in der materiellen Ordnung, wobei je nach Schwerpunkt des Erlebnisparks unterschiedliche Arrangements angeboten werden. So ist die materielle Ordnung des Barfußparks durch besondere Bodenbeschaffenheiten (Steine, Sägespäne, Matsch) charakterisiert, während sich der Freizeitpark eher durch besondere Geräte (Wasserrutsche, Großtrampolin, Achterbahn, Autoskooter etc.) auszeichnet. Die soziale Ordnung wird durch spezifische Nutzungsregeln und die Aufsicht durch erwachsene Personen geprägt. Die Atmosphäre ist hingegen stark durch den Reiz des Neuen, dem mit der Nutzung der Geräte verbundenen Wagnis, den kinästhetischen Erlebnissen sowie dem nicht alltäglichen Charakter der Gesamtinszenierung gekennzeichnet. Auch beim Abenteuerspielplatz handelt es sich um eine intentionale Inszenierung von Erlebnissen bzw. erlebnisreichen Tätigkeiten. Die materielle Ordnung ist in der Regel durch die Darbietung von Holz und Werkzeugen sowie durch Hütten bzw. Hüttenarrangements gekennzeichnet. Oft verfügen diese Räume auch über eine Feuerstelle sowie Areale, in denen Kinder mit Wasser

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umgehen können. Die soziale Ordnung ist durch spezifische Nutzungsregeln sowie eine pädagogische Betreuung geprägt. Allerdings wird den Kindern so viel Spielraum im selbsttätigen Umgang mit den materiellen Gegebenheiten gewährt, wie es vor dem Hintergrund möglicher Gefahren vertretbar erscheint. Die Atmosphäre ist daher durch den hohen Aufforderungscharakter des Areals sowie die Möglichkeit zur Selbsttätigkeit geprägt. Der Strand ist ein Naturraum, dessen materielle Ordnung durch den Sand, das Wasser sowie durch Meerestiere und Meerespflanzen charakterisiert ist. Sie wird in der Regel durch weitere Geräte (Eimer, Schaufel, Schlauchboot, Luftmatratze etc.) oder weitere Gegenstände (Strandkorb, Badetuch, Stranddecke etc.) ergänzt. Zudem ist die materielle Ordnung durch die erwachsene Bezugspersonen und andere Kinder geprägt, die potenziell als Spielpartner gewonnen werden können. Die soziale Ordnung ist durch die Baderegeln und die für die Einhaltung zuständige Badeaufsicht sowie die Anwesenheit fremder Strandbesucher, die den Handlungsspielraum der Kinder einschränken können, gekennzeichnet. Die Raumatmosphäre ist in der Regel durch den hohen Aufforderungscharakter der räumlichen Ordnung sowie das Naturerlebnis positiv gefärbt. Auch beim Wald handelt es sich um einen Naturraum. Seine materielle Ordnung ist durch verschiedene Bäume und weitere Pflanzen, durch Tiere (Insekten, Vögel etc.), eine besondere Bodenbeschaffenheit (Erde, Wurzeln etc.) sowie weitere Materialien (Baumstümpfe, Baumstämme, Äste, Laub etc.) gekennzeichnet. Damit besitzt der Wald einen hohen Aufforderungscharakter für das Sammeln, Bauen und Bewegen. Die soziale Ordnung ist lediglich durch die begleitenden erwachsenen Personen sowie die Beziehung zu anderen Kindern geprägt. Durch seine besondere Vegetation und Tierwelt sowie die Abgeschiedenheit und den Schatten, besitzt der Wald trotz seines hohen Aufforderungscharakters eine beruhigende Atmosphäre. Bei zentralen städtischen Parkanlagen handelt es sich um naturnahe Erholungsgebiete, deren materielle Ordnung durch einen großen Baum- und Pflanzenbestand, zum Teil großzügige Rasenflächen und zum Teil aufwändig gestaltete Spielplatz-Areale geprägt ist. Zudem finden die Kinder dort viele andere Kinder vor, die ihnen als potenzielle Spielpartner zur Verfügung stehen. Da die Kinder die Parks oft mit ihren Eltern aufsuchen, ist die soziale Ordnung durch ihre Anwesenheit und die damit verbundene Aufsicht charakterisiert. Allerdings ergeben sich durch die Anwesenheit der Eltern auch die Gelegenheit für gemeinsame Spiel- und Bewegungsaktivitäten, womit besondere Erfahrungsqualitäten verbunden sind.

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Diese Räume, mit ihrer spezifischen räumlichen Ordnung und den damit verbundenen besonderen Erlebnis- und Erfahrungspotenzialen, gilt es mit den Kindern im Rahmen der Maßnahmen zu erschließen.

B ESCHREIBUNG

DER

M ASSNAHME

Ziel der Maßnahme ist es, Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen Erlebnisse und Erfahrungen mit nicht alltäglichen Bewegungsräumen zu ermöglichen. Dabei sollen diese Kinder nicht diskriminiert werden, selbst wenn es sich um eine »positive Diskriminierung« handelt. Deshalb werden die Kinder in bestehenden Gruppenkontexten der Kindertageseinrichtung angesprochen. Die Kindertageseinrichtung wird allerdings so ausgewählt, dass sie einen überdurchschnittlich hohen Anteil an sozial benachteiligten Kindern aufweist. Die Maßnahmen richten sich dann in der Folge an alle Kinder der Einrichtung. An der Maßnahme nehmen die Kindertagesstätte Sol-Lie und das Familienhaus an der Bergmühle aus den Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt teil. Die Quartiere Neustadt und Nordstadt gelten in Flensburg als soziale Brennpunkte. Wie der Sozialatlas 2014 der Stadt Flensburg (Stadt Flensburg, 2014) ausweist, lagen sie mit einer Arbeitslosenquote von 14,0 % (Neustadt) bzw. 13,8 % (Nordstadt) im Jahr 2011 deutlich über dem Flensburger Durchschnitt von 8,7 %. Auch der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund lag 2013 in der Neustadt (27,5 %) und der Nordstadt (30,1 %) über dem Flensburger Durchschnitt (20,2 %). Da beide Einrichtungen über ein inklusives Konzept verfügen, ist der Anteil von Kindern mit besonderem Förderbedarf überdurchschnittlich hoch. Im Kontext der Maßnahme erkunden die Kinder im Rahmen von zwei ganztägigen Ausflügen die Erlebnisparks Tolkschau und Barfußpark sowie an vier Ausflügen am Nachmittag den Stadtstrand Wassersleben, den Wald der Marienhölzung, den Abenteuerspielplatz in der Nordstadt und den Flensburger Volkspark. Die Ausflüge werden von den Kindertageseinrichtungen und der Abteilung Sportwissenschaften der Europa-Universität Flensburg geplant und von den Erzieherinnen und Erziehern der Einrichtungen, mit der Unterstützung von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, durchgeführt. Die Ausflüge werden mit den Kindern in der Einrichtung vorbereitet, indem die Kinder auf die Besonderheiten der Räume hingewiesen werden und mit ihnen gemeinsam überlegt wird, was man dort wohl machen kann und welche Dinge man ggf. mitnehmen könnte. Vor Ort sollen den Kindern die Erlebnis- und Erfahrungspotenziale des nicht alltäglichen Raums zugänglich gemacht und die Raumerkundung unterstützt werden. Die Kinder sollen dabei sowohl die tradierten Formen der Raumnutzung als auch

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individuelle und kreative Formen der Raumkonstruktion erfahren. Die Herausforderung für die Begleitpersonen besteht insbesondere darin, den Kindern systematisch eine Erkundung der Räume zu ermöglichen, sie dabei zu unterstützen, aber ihnen dennoch ausreichend Spielraum für die Selbsttätigkeit zu gewähren. Die gemachten Erlebnisse und Erfahrungen werden in der Kindertagesstätte mit den Kindern nachbereitet. Dafür werden die an den verschiedenen Räumen gemachten Erlebnisse im Rahmen des Morgenkreises besprochen. Auf diese Weise sollen mit den Kindern die spezifischen Bewegungs-, Erlebnis- und Erfahrungspotenziale der aufgesuchten Räume erschlossen werden.

M ETHODISCHES V ORGEHEN

DER

B EGLEITFORSCHUNG

Die Evaluationsforschung erfüllt nach Bortz und Döring (2009, S. 97) eine Erkenntnis-, Optimierungs-, Kontroll-, Entscheidungs- und Legitimationsfunktion. Im Kontext der Begleitforschung werden im Schwerpunkt die Ziele verfolgt, die Eigenschaften der Intervention besser zu verstehen sowie die Stärken und Schwächen der Intervention im Hinblick auf die Interventionsziele auszumachen. Die Begleitforschung erfolgt in Form einer prozessorientierten formativen Evaluation. Die Daten für die Evaluation werden in Form einer videographischen Dokumentation der Ausflüge erhoben. Der Vorteil gegenüber Beobachtungsprotokollen besteht in der Möglichkeit, die Praxis detailgenauer zu dokumentieren und sie bei der Auswertung wiederholt betrachten zu können (vgl. Dinkelaker & Herrle, 2009, S.17). Die videographischen Daten werden von Studierenden der Europa-Universität Flensburg erhoben. Jeder Ausflug wird von mindestens zwei Studierenden begleitet, so dass stets mindestens zwei unabhängige Aufnahmen von den Ausflügen vorliegen. In Abhängigkeit vom aufgesuchten Raum wird mit Handkameras, Stativkameras oder mit Handkamera und Stativkamera gearbeitet. Dabei werden die Kind-Kind-Interaktionen oder die Kind-ErwachsenenInteraktionen fokussiert und/oder eine Totale gefilmt. Um eine bessere Tonqualität zu gewährleisten werden die Kameras mit einem Richtmikrofon ausgestattet. Auf diese Weise wird ein umfangreicher Datenkorpus erstellt (Tab. 1).

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Tabelle 1: Datenkorpus Spezialraum Barfußpark Tolkschau Wassersleben Abenteuerspielplatz Marienhölzung Volkspark

Art der Dokumentation Stativkamera Handkamera Handkameras Stativkameras Stativkamera Handkamera Stativkamera Handkamera Stativkamera Handkamera

Umfang der Daten Ca. 75 Minuten Ca. 65 Minuten Ca. 80 Minuten Ca. 75 Minuten Ca. 45 Minuten Ca. 100 Minuten

Die Datenanalyse erfolgt in Form einer kategorialen und einer sequenziellen Auswertung, wobei spezielle Foki auf die Raumerkundung durch die Kinder und die pädagogischen Maßnahmen der Betreuungspersonen gelegt werden. Im Rahmen der kategorialen Auswertung werden, auf der Folie alltagstheoretischer und wissenschaftlicher Konzepte, ausgewählten Szenen konzeptionelle Bezeichnungen zugeordnet. Diese Szenen werden dann im Rahmen einer sequenziellen Auswertung einer Detailinterpretation unterzogen (vgl. Strauss & Corbin, 1996). Auf diese Weise entsteht eine Sammlung von »Fällen«, mit denen Informationen über die Struktur des Angebots und Verbesserungspotenziale generiert werden können.

E RGEBNISDARSTELLUNG Den Auswertungsschwerpunkten folgend, wird die Ergebnisdarstellung in einen Abschnitt zur Raumerkundung der Kinder sowie einen Abschnitt zu den pädagogischen Maßnahmen der Betreuungspersonen gegliedert. Dabei werden zentrale Merkmale der Maßnahme beschrieben und Verbesserungspotenziale herausgestellt. Raumerkundung der Kinder Im Kontext der Ausflüge zu den verschiedenen nicht-alltäglichen Bewegungsräumen richten sich die Erkundungen der Kinder auf unterschiedliche Gegenstände. Dabei kann zwischen Arealen, Geräten, Materialien, Personen und Tieren differenziert werden. Die Erkundungen erfolgen durch Beobachtung und/

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oder durch eine motorische Auseinandersetzung. Der Erkundungsprozess ist durch verschiedene Eigenschaften gekennzeichnet, wobei sich Differenzen in der Sozialform, in der Art der Zuwendung, dem Zugang und dem Grad an Unterstützung ausmachen lassen. Die Erkundungen gehen zum Teil fließend in Spiele mit etwas, Spiele als etwas oder Spiele um etwas über, wobei auch die verschiedenen Spiele erneute Erkundungen auslösen können (siehe Abb. 2). Abb. 2: Schematische Darstellung der Erkundungsaktivitäten der Kinder

Nachfolgend werden zentrale Merkmale der Maßnahme mit Hilfe exemplarisch ausgewählter Fallbeispiele illustriert und Verbesserungspotenziale herausgestellt. »Cool!« Die Kinder kommen gemeinsam mit ihren Betreuerinnen und Betreuern am Abenteuerspielplatz an und werden von einer Pädagogin und einem Pädagogen begrüßt. Die Kinder werden aufgefordert, sich in eine Liste einzutragen, bevor sie die unterschiedlichen Areale des Abenteuerspielplatzes betreten. In der Folge orientieren sich einige Kinder zu den Roll- und Fahrgeräten, während andere sich zum Sand- und Wasserbereich bewegen. Nach einer Weile verlässt ein Junge den Sand- und Wasserbereich und bewegt sich zu einer etwa einen Meter langen Leiter, die auf ein Ensemble von miteinander verbundenen Holzhütten führt.

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Er klettert die Leiter vorsichtig hinauf und verschafft sich einen ersten Überblick über das Arrangement. Als erstes entdeckt er eine »Kajüte«, die er über eine weitere Leiter erreicht und auf der sich ein Steuerrad befindet. Der Junge steigt vorsichtig hinauf, dreht am Steuerrad und guckt über den Rand der »Kajüte« auf die im Sand spielenden Kinder hinab und ruft »Cool!« Daraufhin werden die Kinder auf ihn und sein tun aufmerksam. Als der Junge rückwärts vorsichtig die Leiter wieder hinabsteigt, sich achtsam über eine Brücke zum nächsten Haus bewegt und hineingeht, besteigen vier weitere Kinder gemeinsam das Arrangement. Während das erste Mädchen die Leiter recht forsch besteigt, dreht sich der letzte Junge mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck um und steckt die Finger in den Mund. Als das zweite Kind oben angekommen ist, deutet der Junge mit der ausgestreckten Hand auf die weiteren, zum Teil sehr schmalen Brücken, die in ungefähr zwei Metern Höhe über die Sandflächen verlaufen und beginnt mit ausgestreckten Armen über eine schmale Brücke zum nächsten Hause zu balancieren, was er sicher angekommen mit den Ausruf »Cool!« untermalt. Inzwischen wagt sich auch das erste Mädchen auf die erste recht breite Brücke. Sie hält sich mit den Händen an der Hauswand fest und tastet sich rückwärts, zunächst mit einem Fuß, dann mit beiden Füßen, auf die Kante der Brücke vor. Die nachfolgenden drei Kinder beobachten sie aufmerksam. Sie steigt wieder von der Brücke herab und weist die anderen Kinder darauf hin, dass alle Holzhäuser miteinander verbunden sind. Inzwischen ist ein Betreuer auf das gegenüberliegende Haus gestiegen und winkt den Kindern zu. Nun tastet sich das zweite Mädchen auf allen Vieren an die Brücke heran und krabbelt langsam und vorsichtig hinüber. Dort angekommen springt sie auf und tänzelt freudig auf der Stelle. Nun folgen ihr die anderen drei Kinder nach, indem sie vorsichtig aber aufrecht über die Brücke balancieren. Auch über die zweite Brücke, an deren Ende der Betreuer auf sie wartet, krabbelt das erste Mädchen. Als die anderen Kinder zögern ruft der Betreuer »Macht einfach so weiter wie eben. Alles gut«. Daraufhin balancieren sie auch über die zweite Brücke, was der Betreuer mit den Worten »Prima! Ganz toll!« begleitet. (Ausflug zum Abenteuerspielplatz, 30.06.14) Der Abenteuerspielplatz ist ein Raum, der zwar während der Öffnungszeiten für alle Kinder zugänglich ist, für dessen Nutzung man sich jedoch mit einem Eintrag in eine Liste registrieren muss. Obwohl der Raum, unabhängig von den begleitenden Betreuerinnen bzw. Betreuern, von einem Pädagogen und einer Pädagogik betreut wird, wird den Kindern bei Nutzung des Raumes ein großer Spielraum gewährt. Sie können selbst bestimmen, welche Areale sie nutzen möchten.

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Dabei erkunden die Kinder unterschiedliche Areale, wobei sich die Kinder zunächst zu den eindeutiger in ihrer Funktion bestimmten Arealen des Sand- und Wasserbereichs sowie der Roll- und Fahrgeräte hin orientieren. Diese sind zwar aufgrund ihrer guten Ausstattung für die Kinder nicht alltäglich und besonders attraktiv, ihnen aber grundsätzlich bekannt und somit leicht als Bewegungsraum zu deuten und zu nutzen. Das Ensemble der Holzhäuser ist in seiner Nutzungsstruktur für die Kinder weniger eindeutig und daher zunächst fremd. Nach Tücke (2007, S. 127) liegen optimale Bedingungen zum Erkunden vor, wenn die Situation weder zu bekannt, noch zu unbekannt ist. Ist die Situation zu unbekannt, flößt sie dem Kind Angst ein. Ist sie hingegen zu bekannt, wird dem Kind langweilig. Es verwundert daher nicht, dass sich diesem Areal erst etwas später Kinder zuwenden, als der Sand- und Wasserbereich hinreichend ausgekundschaftet worden ist. Die Initiative wird zunächst nur von einem Jungen ergriffen. Vorsichtig, aber ohne sichtbare Anzeichen von Ängstlichkeit wendet er sich dem unbekannten Arrangement zu. Hier wird wiederum deutlich, dass die Kinder ein unterschiedliches Maß an Ängstlichkeit bzw. Erkundungsdrang aufweisen (vgl. Fischer, 2008). Die Auseinandersetzung erfolgt zunächst in Form eines Bewegungsdialoges (vgl. Trebels, 1992), in dessen Zuge er den Auf- und Abstieg auf das Holzschiff bewältigt. Im Wechselspiel von Wahrnehmung und Bewegung (vgl. v. Weizsäcker, 1997) tritt er in einen Dialog mit seiner Umwelt und konstituiert dabei einen Bewegungsraum (vgl. Erhorn, 2015). Neben dem Ausdruck der Freude über die erfolgreiche Bewältigung des Bewegungsproblems, richtet sich sein Ausruf »Cool!« vermutlich auch an die anderen Kinder. Sie sollen bemerken, dass er das Bewegungsproblem bewältigt hat und darauf hingewiesen werden, dass er etwas Attraktives entdeckt hat und es sich lohnt den unbekannten Aufstieg auf sich zu nehmen. Während er seine Erkundungsaktivitäten fortsetzt, folgen vier Kinder seinem »Hinweis«. Die Kinder unterscheiden sich im Grad der Ängstlichkeit deutlich, sodass einzelne Kinder mutig vorangehen und andere eher zögerlich nachfolgen. Dabei zeigt ein Mädchen ein besonders oder vorsichtiges Verhalten, indem es sich bereits nur langsam dem Balancierweg nähert und dann auf alle Viere geht, um den Balancierweg im Krabbeln statt aufrecht im Gehen zu überwinden. Den Balancierweg gehend zu überwinden erfordert sowohl Balance als auch Selbstvertrauen, welches sich beides mit Erfahrung entwickelt. Die Situation am Balancierweg scheint dem Mädchen bekannt genug, um ihn überhaupt zu überwinden, aber zu unbekannt um ihn gehend zu überwinden. Sie stellt sich der Situation, tut dieses aber langsam und vorsichtig. Die Anwesenheit der Betreuungsperson vermittelt ihr ein zusätzliches Maß an Sicherheit, ohne dass die Betreuungsperson aktiv eingreifen muss.

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Dabei wird deutlich, dass in der Gruppe der Kinder eine bestimmte Beziehungsstruktur vorherrscht: Einige Kinder entdecken Dinge für die Gruppe, andere Kinder folgen mutig nach und andere halten sich eher ängstlich zurück. Gerade die ängstlicheren Kinder Erkunden die Situation zunächst durch Beobachtung der anderen Kinder. Nachdem die Situation nach Bewältigung durch die mutigeren Kinder an Unbekanntheit verloren hat, trauen sich auch die ängstlicheren Kinder die Bewältigung zu. Auf die Bewältigung einer unbekannten Situation reagieren die Kinder mit einem sichtbaren Ausdruck der Freude. In dieser Situation wird deutlich, dass die Kinder unbekannten Situationen begegnen, die sie herausfordern, zu Erkundungen anregen und den Umgang mit einem Wagnis abverlangen. Dabei wird deutlich, dass die Kinder die erkundete Umwelt unterschiedlich bewerten und in der Folge eine unterschiedlich große Bereitschaft zeigen, ein Wagnis einzugehen bzw. einen unterschiedlichen Grad an Vorsicht an den Tag legen (vgl. auch Fischer, 2008). In der Auseinandersetzung mit herausfordernden Situationen bekommen die Kinder die Gelegenheit, einen für sie selbst angemessenen und verantwortungsvollen Umgang mit Risiko und Wagnis zu erlernen. Bei erfolgreicher Bewältigung stellen sich für die Kinder zudem Erfolgserlebnisse mit positiven Folgen für ihr Selbstkonzept ein (vgl. Zimmer, 2006) Pädagogische Maßnahmen der Betreuungspersonen Die pädagogischen Maßnahmen der Betreuungspersonen im Kontext der Maßnahme können grob in die Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung differenziert werden. Allerdings liegen lediglich für den Bereich der Begleitung der Angebote empirische Daten vor. Es ergeben sich aber im Zuge der Auswertungen Hinweise auf Maßnahmen bzw. Mängel in der Vorbereitung und Anlässe zur Nachbereitung der Ausflüge (siehe Abb. 3).

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Abb. 3: Schematische Darstellung der pädagogischen Maßnahmen der Betreuungspersonen

Im Folgenden werden pädagogische Maßnahmen der Betreuungspersonen mit Hilfe exemplarisch ausgewählter Fallbeispiele illustriert und Verbesserungspotenziale herausgestellt. »Melanie, nicht ans Wasser gehen!« Bei der Ankunft am von der DLRG bewachten Strand in Wassersleben stürmen die Kinder sofort auf die verschiedenen Spielgeräte des Spielplatzes zu. Die vier Erzieherinnen lassen sich nach kurzer Zeit auf einer Wippe nieder. Nach ca. 15 Minuten geht Melanie ans Wasser. Daraufhin ruft eine Betreuerin aus der Ferne »Melanie, nicht ans Wasser gehen!«. Das Mädchen bleibt stehen, dreht sich kurz um und läuft weiter. Kurz vorm Uferrand dreht sie sich zwei weitere Male zu den Betreuerinnen um, bevor sie anfängt Steine zu sammeln und das Wasser zu beobachten, in dem sich viele Quallen befinden. Nach ca. zwei Minuten kommt ein Junge zu ihr ans Wasser gelaufen. Die Kinder beginnen sich mit den Quallen zu beschäftigen. Während sie am Uferrand weiter nach Quallen suchen, ruft eine Betreuerin aus der Ferne »Melanie, nicht weiter!«. Nach einiger Zeit gesellen sich drei weitere Kinder hinzu. Es folgt ein erneuter Zuruf: »Melanie, Melanie, [kurze Pause] Agnes, nicht weiter laufen!« Kurz darauf rennt Melanie zum Spielplatz zurück, wo die Betreuerinnen nach wie vor auf der Wippe sitzen und fragt, ob sie auch ihre Schuhe und Socken ausziehen darf. Nach Erlaubnis durch die Betreuerinnen legt sie Schuhe und Socken dort ab und läuft barfuß zurück zum Wasser. Während drei Betreuerinnen immer noch mit dem Rücken zum

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Wasser sitzen, hat sich eine Betreuerin nun frontal zur Förde ausgerichtet. Kurze Zeit später folgt sie den Kindern an den Uferrand und setzt sich dort (barfuß) in den Sand. […] Agnes und Melanie krempeln ihre Hosenbeine hoch und gehen ein kleines Stückchen ins Wasser, um weiter nach Quallen zu suchen. Die Jungen bleiben am Uferrand. Die Betreuerin ermahnt daraufhin Agnes: »Agnes, du hast keine Wechselklamotten mit!« Und kurz darauf: »Agnes, pass auf mit dem Hinsetzen da bitte, sonst kriegst du noch einen ganz nassen Po […] Agnes, komm raus aus dem Wasser, bitte.« Trotz wiederholter Aufforderungen bleiben die Kinder mit den Füßen im Wasser und untersuchen die Quallen. Als ein Mädchen zur Betreuerin läuft, um ihr mitzuteilen, dass ihre Hosenbeine immer runterrutschen, entgegnet diese: »Dann musst du dir die so krempeln so wie ich.« Als das Mädchen entgegnet, dass sie dies nicht selbst könne und immer wieder versucht ihre Hosenbeine hoch zu krempeln, reagiert die Betreuerin nicht. (Ausflug an den Stadtstrand, 20.6.14) Die Wahl des Sitzplatzes der Erzieherinnen auf einem der Spielgeräte des Spielplatzes bedingt zum einen, dass das Spielgerät von den Kindern nicht genutzt werden kann und zum anderen definiert er den Handlungsraum der Kinder. Dieser beschränkt sich, wie zu beobachten ist, für die erste Viertelstunde ausschließlich auf die Nutzung der Spielgeräte. Die von ihnen ins Zentrum gerückten Spielgeräte befinden sich auch auf herkömmlichen Spielplätzen und sind somit Teil des Bewegungsalltags der Kinder. Die Erkundung des Strandes und des Wassers – beides Charakteristika des nicht alltäglichen Raums »Strand« – werden von den Betreuerinnen zunächst sogar aktiv unterbunden (»Melanie, nicht ans Wasser gehen!«). In der Situation deutet sich an, dass die Betreuerinnen die Eigenschaften des nicht alltäglichen Raumes »Strand« und die mit ihm verbundenen Handlungs-, Erlebnis- und Erfahrungspotenziale im Vorfeld des Ausflugs nicht hinreichend analysiert haben. Eine solche Analyse erscheint aber unerlässlich, um den Erfolg des Ausflugs zu gewährleisten. Zwar ist der Aufforderungscharakter des Wassers so hoch, dass sich einzelne Kinder entgegen der Verbote und Ermahnungen dem Wasser zuwenden und eine Betreuerin den Erkundungswunsch durch die Kinder zumindest indirekt akzeptiert, jedoch lassen sich die Mängel in der Planung nicht mehr kompensieren. Es wurde mit den Kindern im Vorfeld offenbar nicht über den Strand und das Wasser gesprochen, es wurde kein Kontakt zur Wasseraufsicht der DLRG aufgenommen, welche die Schwimmaufsicht hätte übernehmen können, es wurden keine Stranddecken oder Badetücher, keine Badesachen und keine Wechselklamotten sowie keine strandtypischen Spielgeräte (Schaufeln, Eimer etc.) mitgeführt. Auf diese Weise blei-

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ben den Kindern wichtige Handlungs-, Erlebnis- und Erfahrungspotenziale verschlossen. Aber auch unter den gegebenen Voraussetzungen wäre es möglich gewesen, die Kinder in ihren Erkundungsaktivitäten zu unterstützen. Allerdings zeigt sich, dass die Betreuerinnen den Kindern nicht assistieren, sie nicht zu weiteren Erkundungen anregen oder die Aktivitäten der Kinder loben bzw. wertschätzen. Selbst auf Nachfrage erfahren die Kinder, z. B. beim Hochkrempeln der Hosenbeine, keine adäquate Unterstützung. Genauso wäre es eine wichtige Aufgabe der Betreuerinnen gewesen, die ängstlich erscheinenden Kinder zu unterstützen und zu bestärken, den Naturraum Wasser zu erkunden bzw. Neugier bei allen Kindern hierfür zu wecken (vgl. Kretschmer, 2000, S.136). In der beschriebenen Situation zeigt sich vielmehr, dass die Handlungsweisen der Betreuerinnen eher passiv beaufsichtigend sind: Es werden Verbote und darauf bezogene Ermahnungen ausgesprochen sowie Bedenken artikuliert. In der beschriebenen Situation wirken die Handlungsweisen der Erzieherinnen mit Blick auf das Ziel des Ausflugs zumeist wenig adäquat. Auch ergeben sich in der beschriebenen Situation spontane Lerngelegenheiten, die von den Betreuungspersonen nicht aufgegriffen werden. So entdecken die Kinder im Wasser eine Vielzahl unterschiedlicher Quallen, wobei sie selbst auf die Besonderheit von Feuerquallen hinweisen. Hierbei wäre es hilfreich gewesen, die Kinder »begleitend zum Nachforschen« anzuregen und sie über die Unterschiede der Quallen als auch die Gefahr, die von ihnen ausgehen kann, aufzuklären (Landau, 2003, S.57). Auch wenn eine spontane Thematisierung vor Ort eine große Herausforderung darstellt, so bietet sich doch zumindest die Gelegenheit die Thematik in der Kindertagesstätte im Zuge der Nachbereitung aufzugreifen und auf diese Weise einen Beitrag zur Umwelterziehung zu leisten. Insgesamt zeigen sich deutliche Mängel in der Vorbereitung, insbesondere in der Analyse des Bewegungsraumes, seiner pädagogischen Potenziale, der Mitführung von Geräten, Materialien und Kleidung, der Planung der pädagogischen Maßnahmen vor Ort sowie der Sicherstellung der Wasseraufsicht. Im Rahmen der Begleitung des Ausflugs halten sich die Betreuerinnen zumeist nur in weiter Entfernung von Strand und Wasser auf, leisten wenig Unterstützungsmaßnahmen, greifen keine Lernanlässe auf und stehen den Kindern kaum für Interaktionen zur Verfügung. »Da nehm ich Dich dann wieder in Empfang!« Die Betreuenden gehen mit den Kindern durch den Wald der Marienhölzung. Nach kurzer Zeit erreichen sie einen ungefähr 15 Meter langen umgekippten Baumstamm, der einen Durchmesser von ca. einem Meter hat und knapp über

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dem Waldboden eine Art »Brücke« aufspannt. Der Stamm liegt stabil auf und das Wetter ist sonnig und trocken, sodass der Stamm nicht rutschig ist. Ein Betreuer geht mit einem Jungen zu dem Baumstamm und hebt ihn herauf. Der Betreuer legt ihm die Hand auf die Schulter, deutet mit der anderen Hand auf das Ende des Baumstammes und sagt zu ihm »Da nehm ich Dich dann wieder in Empfang!«. Während der Junge vorsichtig aber flüssig über den Baumstamm balanciert geht der Betreuer zum Ende des Baumstammes und hebt ihn dort wieder herunter. Inzwischen haben die anderen Kinder vor dem Baumstamm eine Schlange gebildet. Ein zweiter Junge wird auf den Stamm gehoben und geht los. Zunächst berührt die Betreuerin ihn am Rücken. Als sie bemerkt, dass der Junge das Balancieren sicher beherrscht, lässt sie ihn nach zwei Metern alleine weiterbalancieren. Ein wartender Junge sagt: »Mal gucken ob der Baum schön dick ist…nicht so dünn, sonst Fall ich…bong!«. Derweil wird ein Mädchen auf den Baum gehoben. Es wird zunächst an der Hand gehalten, balanciert dann aber sehr sicher, so dass die Betreuerin sie alleine weitergehen lässt. Kurz darauf bleibt das Mädchen aber stehen und rudert ein wenig mit den Armen, so dass die Betreuerin ihr hinterhergeht. Als sie bemerkt, dass das Mädchen wieder sicher läuft, geht sie jedoch wieder zurück. Das nächste Kind ist sehr unsicher und wird von der Betreuerin an der Hand geführt. Sie balanciert in einer gebückten Körperhaltung und signalisiert der Betreuerin, dass sie abbrechen möchte, woraufhin diese sie vom Baumstamm herunterhebt. Auch das nächste Kind wird durchgängig an der Hand geführt. Die beiden darauf folgenden Kinder bewegen sich wiederum so sicher auf dem Baumstamm, dass die Betreuerinnen sie den Baumstamm ohne Hilfe überwinden lassen. (Ausflug in den Wald, 30.6.14) Im Wald begegnen die Kinder mit ihren Betreuerinnen und Betreuern einem natürlichen Hindernis, welches zwar nicht zum Balancieren gedacht ist, dieses jedoch in besonderem Maße ermöglicht. Dieses Bewegungspotenzial wird von einem Betreuer erkannt. Da die Überquerung des Hindernisses in den Augen des Betreuers, aufgrund der Art seiner Beschaffenheit, mit einem verantwortbaren Risiko für die Kinder verbunden ist, teilt er seine Raumdeutung als Balanciergelegenheit mit einem Jungen. Er hebt ihn auf den Baumstamm und vermittelt ihm gestisch und mimisch, dass er über den Baumstamm balancieren soll und auf der anderen Seite vom Betreuer wieder heruntergehoben wird (»Da nehm ich Dich dann wieder in Empfang!«). Es können hier also die Handlungsweisen des Anregens, Anleitens und Helfens ausgemacht werden (vgl. Kretschmer, 2000). Im Sinne von Funke-Wienecke (1995) kann auch von einer Unterstützung bei der Absichtsbildung und bei der Absichtsrealisierung gesprochen werden. Durch die direkte Zuwendung und den Körperkontakt vermittelt der Betreuer dem Jungen

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zudem ein Gefühl der Sicherheit. Die Deutung des Baumstammes als Balanciergelegenheit und die Praxis des Balancierens wird nachfolgend von den anderen Kindern und den anderen Betreuerinnen bzw. Betreuern durch Beobachtung erkundet und geteilt, so dass in der Folge alle Kinder über den Baumstamm balancieren. Im Rahmen der beschriebenen Situationen treten weitere Handlungsweisen der Betreuerinnen und Betreuern zu Tage. Zunächst wird von diesen ein spezifischer Ordnungsrahmen hergestellt, was sich in der Bildung einer Schlange dokumentiert. Dieser Ordnungsrahmen kann durchaus ambivalent beurteilt werden. Zum einen ermöglicht er einen reibungslosen Ablauf und vermittelt den Kindern und den Betreuenden ein Gefühl von Sicherheit. Zum anderen schränkt er den Spielraum für Kinder für eine selbständige Auswahl der Tätigkeit und die selbständige Auseinandersetzung mit dem Bewegungsproblem ein. Bei der Begleitung des Balancierens durch die Betreuenden zeigt sich das Bemühen den Kindern so viel Unterstützung wie nötig und so viel Freiraum wie möglich zu lassen. Die Betreuenden suchen zunächst den Kontakt zu den Kindern, um sie stützen oder halten zu können, sollten sie das Gleichgewicht verlieren. Sobald die Betreuenden jedoch zu der Einschätzung kommen, dass die Kinder das Bewegungsproblem selbständig lösen können, brechen sie die Begleitung ab und lassen die Kinder alleine balancieren. Ist dies nicht der Fall, werden die Kinder über die gesamte Länge des Baumstammes begleitet. Den Kindern steht es dabei zu jeder Zeit frei die Aktivität abzubrechen, wenn sie sich überfordert fühlen. In diesem Fall helfen die Betreuenden den Kindern bei dem vorzeitigen Abstieg. In dem Beispiel wird deutlich, dass die Betreuungspersonen im Rahmen der Ausflüge Bewegungsräume kreieren, die von den Kindern erkundet und bewältigt werden können. Auf diese Weise können den Kindern Deutungs- und Nutzungsmöglichkeiten gezeigt und Erlebnis- und Erfahrungspotenziale erschlossen werden. Bei der Bewältigung spezifischer Bewegungsprobleme werden die Kinder unterstützt, wobei die Kinder nur so viel Hilfe erhalten, wie sie wirklich benötigen. »Mark, du bist ja oben!« Auf dem Abenteuerspielplatz gibt es mehrere Holzhütten und -häuser, auf deren Dächern man in etwa 1,70m Höhe laufen kann. Die Dächer sind durch Balancierwege von ca. 30cm Breite und ca. 2m Länge oder durch Brücken mit Geländern miteinander verbunden. Auf einem der Dächer steht ein Giebeldach mit einer Gaube, durch die man hineingehen und auf die man klettern kann. Neben der Gaube ist eine Aufstiegshilfe, auf der man ebenfalls sitzen kann. Verschiedene Kinder spielen auf den Dächern und der Erzieher Mark sitzt auf der Aufstiegs-

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hilfe neben der Gaube. Ina sitzt auf der Gaube und Katrin klettert neben dem Betreuer Mark mit der Aufstiegshilfe auf die Gaube. Zwei weitere Kinder gehen in die Richtung von Mark. Mark unterhält sich mit Ina und Katrin. Nun klettert Mark zu den beiden Mädchen auf die Gaube. Jetzt sieht auch Hans, dass Mark auf die Gaube gestiegen ist und sagt: »Mark, du bist ja oben!« Mark sagt: »Warst du doch grade eben auch! Ist ein bisschen höher als da unten.« Darauf erwidert Hans »Öh!«, was Mark mit einem »Mhm« beantwortet. Ina gibt Mark ihren Hut zum festhalten und Mark setzt ihn auf. Sie sagt: »Meine Mütze!«. Hans geht währenddessen zu einer anderen Stelle und ruft: »Mark! Mark! Guck mal!« Mark würdigt: »Jaaawoll, uiiii!«. Daraufhin springt Hans vom Dach des Holzhauses auf den Boden. Ein anderes Mädchen fragt: »Tut das weh?« Ina ruft nach einer Erzieherin: »Monika, Monika!« Mark ruft: »Mooonika!« Ina ruft erneut: »Monika!« Mark ruft daraufhin: »Wir machen Urlaub. Aufm Dach!« Ein anderes Kind ruft: »Hier guck mal Monika, wir machen hier Urlaub!« Mark sagt zu einem anderen Kind: »Dich binden wir gleich an den Marterpfahl hinter dir!« Das Kind sagt: »Ja [lacht]« Mark: »Und dann kitzeln wir dich mit Federn.« Nun klettert Lea hoch in Richtung Gaube. Mark sagt: »Halt halt halt halt halt, das ist zu eng. Ich will erst runter. [Scheinbar verzweifelt] Halt, ich will erst runteeer!« Lea geht zurück und Mark verlässt die Gaube. Dann stellt er sich neben Hans, der nach unten zeigt, an die Kante. Dann geht Mark in die Hocke und springt runter. Kurz darauf rutschen Ina und Katrin in Richtung Gaubenrand und rufen: »Mark.« Lisa krabbelt über die Balancierbrücke und Mark tut von unten so als wenn er sie kitzeln oder schubsen will. Er sagt: »Haaa komm her!« Lea ruft: »Neeeiiin! Haha! [lacht]« und krabbelt weg und sagt weiter: »Nein, nein, nein…«. Ina und Katrin rufen: »Mark, ich komm hier nicht mehr runter!« Ein anderes Mädchen kommt und will ihnen helfen und zeigt ihnen den Weg über die Aufstiegshilfe. Sie sagt: »Erst da und dann da und dann da!« Ina und Katrin ignorieren das jedoch und Katrin ruft Mark zu: »Mark, lass mich bitte runter!« und etwas später nochmal »Mark ich komm nicht mehr runter!« Allerdings reagiert Mark nicht auf die Rufe der beiden Mädchen. (Ausflug zum Abenteuerspielplatz, 30.6.14) Einige Kinder haben die Holzhütten und Brücken bereits für ihre Aktivitäten entdeckt, während andere diese noch nicht nutzen. Durch seine Anwesenheit unterstreicht der Erzieher Mark die Definition des Arrangements als attraktiver und legitimer Handlungsraum und vermittelt auch den Kindern ein höheres Maß an Sicherheit, die sich bisher eine Nutzung nicht zugetraut haben. Dieser Effekt wird verstärkt, als Mark ebenfalls auf die Gaube hinaufsteigt und sich damit auf

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eine Stufe mit den Kindern begibt. Damit wird er für die Kinder zu einem potenziellen Mitspieler. Die Kinder suchen in der Folge den Kontakt zu bzw. die Interaktion mit Mark, worauf dieser zunächst auch einsteigt. So entwickelt sich zunächst ein kurzer Dialog zwischen Mark und einem Jungen (»Mark, du bist ja oben!«) und ein Mädchen gibt ihm seinen Hut, woraufhin er ihn sogar aufsetzt (»Meine Mütze!«). Die Bedeutung, die Mark als aktiver Beobachter und Begleiter für die Kinder hat, zeigt sich auch in der Aufforderung eines Jungen, seiner Aktivität beizuwohnen und diese zu würdigen (»Mark! Mark! Guck mal!«), der Mark auch nachkommt (»Jaaawoll, uiiii!«). Dies wird später durch den eigenen, sehr vorsichtigen Absprung von Mark noch einmal unterstrichen. Auf diese Art und Weise bestärkt Mark den Jungen in seinem Tun und bringt auch dem Jungen als Person seine Wertschätzung entgegen. Im weiteren Verlauf tritt eine weitere Handlungsweise von Mark zu Tage, als er versucht das Geschehen durch eine fantasievolle Deutung zu überformen (»Wir machen Urlaub. Aufm Dach!«). Diese Deutung wird mindestens von einem Kind geteilt und nach außen hin bestätigt (»Hier guck mal Monika, wir machen hier Urlaub!«). Vermutlich möchte Mark die Kinder zu komplexeren Rollenspielen anregen (»Dich binden wir gleich an den Marterpfahl hinter dir!«). Als jedoch weitere Kinder hinzukommen, zieht sich Mark aus der Situation zurück. Seine Aussage lässt darauf schließen, dass er den Kindern nicht ihren Spielraum blockieren möchte (»Halt halt halt halt halt, das ist zu eng…!«), möglicherweise möchte er das Spiel der Kinder aber auch nicht dominieren bzw. stören oder sich auch den anderen Kindern zuwenden. Letztere Lesart wird dadurch gestützt, dass er auf die offensichtlichen Versuche der Mädchen ihn wiederum in eine Interaktion zu verwickeln ignoriert. Stattdessen wendet sich Mark einem anderen Kind zu und macht ihm ein Spielangebot (»Haaa komm her!«). Das Kind versteht die Deutung der Situation von Mark und dessen Versuch über das Mittel der Dramatisierung Spannung zu erzeugen und steigt in das Spiel mit ein (»Neeeiiin! Haha!«). In dieser Stelle initiiert der Erzieher aktiv ein Spiel mit einem Kind. In dem Beispiel wird deutlich, dass den Erziehenden bei der Begleitung der Ausflüge ein breites Handlungsrepertoire zur Verfügung steht. Sie können durch Anwesenheit Sicherheit vermitteln, durch Zugucken und Lob positiv verstärken, die Fantasie der Kinder anregen oder Spiele initiieren. Der situationsadäquate Einsatz dieser Handlungsweisen stellt eine große Herausforderung dar und verlangt nach einem verstehenden Blick und einer aufmerksamen Beobachtung des Geschehens. So zeigt der Erzieher in dem Beispiel ein gekonntes Wechselspiel

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von aktiver und passiver Teilnahme, regt die Kinder an und würdigt ihre Aktivitäten und ihre Bewegungsideen.

F AZIT Im Rahmen der Maßnahme sollte auch Kindern aus sozial benachteiligten Verhältnissen ein Zugang zu nicht alltäglichen Bewegungsräumen gewährt werden. Auf diese Weise können sie spezifische Erlebnisse und Erfahrungen machen, die auch Rückwirkungen auf ihre alltäglichen Bewegungsräume haben können. Dafür wurden mit den Kindern der Kindertagesstätte Sol-Lie und dem Familienhaus an der Bergmühle aus den sozial benachteiligten Flensburger Stadtteilen Neustadt und Nordstadt sechs verschiedene nicht alltägliche Bewegungsräume aufgesucht: Ein Freizeitpark, ein Barfußpark, ein Strand, ein Wald, ein Abenteuerspielplatz sowie ein Stadtpark. Die Ausflüge wurden von Erzieherinnen und Erziehern der Einrichtungen vorbereitet, begleitet und nachbereitet. Dabei wurden sie von ehrenamtlichen Helfern unterstützt. Die Erkundungen der Kinder während der Ausflüge richten sich auf Areale, Geräte, Materialien, Personen und Tiere. Dabei griffen die Kinder auf Beobachtung und/oder eine motorische Auseinandersetzung zurück. Zudem kann der Erkundungsprozess nach Sozialform, in der Art der Zuwendung, dem Zugang und dem Grad an Unterstützung differenziert werden. Dabei begegnen die Kinder unbekannten Situationen, die sie herausfordern, anregen, den Umgang mit einem Wagnis abverlangen und ihnen spezifische materiale, soziale und selbstErfahrungen ermöglichen. Den Betreuungspersonen kommt im Kontext der Maßnahme die Aufgabe zu, die Bewegungsräume mit den Kindern aufzusuchen, sie bei ihren Erkundungsaktivitäten zu unterstützen und die gemachten Erlebnisse mit den Kindern nachzubereiten. In der Auswertung der Ausflüge ergaben sich zum Teil Hinweise auf Verbesserungspotenziale bei der Vorbereitung der Ausflüge. Nicht immer wurden die Erlebnis- und Erfahrungspotenziale der Räume hinreichend analysiert, die notwendigen Geräte und Materialien mitgeführt und adäquate Vermittlungshandlungen geplant. In der Begleitung der Ausflüge zeigte sich ein breites Spektrum an möglichen pädagogischen Maßnahmen: Beobachten, teilnehmen, unterstützen, Sicherheit vermitteln, positiv verstärken, moderieren, einschränken, erklären und Abläufe regeln. In dem Einsatz bzw. situationsadäquaten Einsatz dieser Handlungsweisen zeigten sich zwischen den Ausflügen und zwischen den Erziehenden deutliche Differenzen. An diesem Punkt existieren zum Teil große Verbesserungspotenziale. Diese bestehen auch

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im Bereich der Nachbereitung. Nicht immer wurden die Erlebnisse sowie Handlungsmöglichkeiten mit den Kindern reflektiert und Lernanlässe aufgegriffen. Insgesamt können die Maßnahmen allerdings als durchaus gelungen bezeichnet werden. Durch eine Professionalisierung insbesondere in den Bereichen der Vor- und Nachbereitung kann die Qualität zukünftiger Maßnahmen deutlich gesteigert werden. Die Begleitung der Maßnahmen erfolgte zumeist in zufriedenstellender Art und Weise, so dass in diesem Bereich nur kleinere Verbesserungspotenziale ausgemacht werden konnten.

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Urbane Bewegungsräume mit Jugendlichen erobern

Jugendarbeit und Medienpraxis im Feld des Trendsports J ÜRGEN S CHWIER & D IRK D ILLMANN

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Offene Jugendarbeit im Feld des Trendsports bleibt in gewisser Hinsicht immer eine Gratwanderung, die wohl nur dann ausbalanciert werden kann, wenn die jugendlichen Akteure umfassend an der Gestaltung der unterschiedlichen Angebote beteiligt werden sowie für deren Umsetzung und Weiterentwicklung mitverantwortlich sind. Kennzeichnend für die Praktiken des BMX, des Skateboardings oder des Parkour ist so eine antiinstitutionelle, subkultuelle, freiheitliche und hedonistische Grundhaltung, die die Unterschiede zum Mainstream des organisierten Sports betont. Auf den ersten Blick scheint also zwischen der pädagogischen Ausrichtung einer sportbezogenen Kinder- und Jugendarbeit und dem von den Szenen vertretenem Prinzip der Selbstorganisation sowie ihrem nonkonformistischen Habitus ein Widerspruch zu bestehen. Einen konkreten Ansatzpunkt für Jugendarbeit bildet allerdings der Umstand, dass bereits vorhandene Jugendareale häufig als Sammelpunkte der Szenen dienen und sich inzwischen Skateboard- bzw. BMX-Gruppierungen in zahlreichen deutschen Kommunen für die Schaffung eines eigenen Handlungorts einsetzen, da auf einem speziell für die Anforderungsstrukturen der jeweiligen Bewegungsform hergerichteten Areal schlicht bessere Lern- und Übungsbedingungen gegeben sind. Als ein solcher Ort des Lernens setzt der Flensburger BMX- und Skatepark an den Bildungspotenzialen des informellen (Bewegungs-)Lernens an und zielt mit seinen pädagogischen Angeboten gleichzeitig auf eine nachhaltige Verbin-

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dung von Sacherschließung und Persönlichkeitsentwicklung. Grundsätzlich bleibt dabei zu berücksichtigen, dass die Pluralisierung von Jugendszenen sowie die Auswirkungen sozialer Ungleichheiten auf die Lebensführung und Freizeitgestaltung von Heranwachsenden auch die bewegungsorientierte Kinder- und Jugendarbeit fortlaufend mit neuen Herausforderungen konfrontieren. Gegenwärtig sind so einerseits Spannung und Wagnis für zahlreiche Kinder und Jugendliche wichtige Motive sowohl ihres vereinsgebundenen als auch ihres informellen Sportengagements (z. B. BMXing, Parkour, Slacklining, Surfen, Skate- oder Snowboarding). Andererseits partizipieren weite Teile der heranwachsenden Generation kaum an solchen Sportgelegenheiten und/oder verlagern das Moment der Risikosuche in den Bereich virtueller Welten (Computerspiele) oder des jugendlichen Problemverhaltens (wie Delinquenz, Gewalt oder Drogenkonsum). In diesem Zusammenhang wird nicht selten auf den vorbeugenden und kompensatorischen Charakter der bewegungsorientierten Jugendarbeit hingewiesen. Die Sportjugend NRW (1999) unterstellt so beispielsweise, dass erlebnisorientierte Angebote die vermeintlich verloren gegangenen innerstädtischen Bewegungsumwelten ersetzen und den Heranwachsenden spannende Erprobungsräume offerieren sollten. Das Bereitstellen von Erlebnisnischen und die Aufwertung wagnissportlicher Aktivitäten erscheinen hierbei als Ausdruck der Bemühungen, einen fruchtbaren Bezug zu den Handlungsstilen und Sportmotiven, den eigensinnigen Bewegungspraktiken von Heranwachsenden zu gestalten und die Formen der juvenilen Erlebnissuche zum Ansatzpunkt pädagogischen Handelns zu machen (vgl. Schwier, 2006a). Die Flensburger Sportpiraten nutzen beispielsweise das sogenannte Sportmobil – einen Kleinbus mit diversen Sportgeräten bzw. -materialien – als Einstiegsmedium, um die Akteure für eine Teilhabe an weiteren Angeboten (Bewegungsorientierte Freizeiten, Fußballmitternachtsturniere, Beach- und Streetsoccer-Events sowie den BMX- und Skatepark) zu gewinnen. Die Sportpiraten gestalten in Flensburg stadtteilübergreifend bedarfsgerechte, mobile bewegungs- und sportbezogene Jugendarbeit, wobei ihre zentrale Aufgabe darin besteht, über ein möglichst breites und niederschwelliges Angebotsspektrum mit Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis 21 Jahren, Freizeitaktivitäten zu gestalten. Dabei zielen die vielfältigen und breit gefächerten Aktivitäten gerade auch auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund und auf sozial benachteiligte Heranwachsende, die keine Einrichtungen (Abenteuerspielplätze, Jugendzentren, Sportvereine usw.) besuchen, sondern sich vorwiegend im Freien aufhalten und spezifische Interessen verfolgen. Zu dieser mobilen Jugendarbeit gehören offene Sportangebote die saisonal stattfinden. Von den Herbstferien bis zu den Osterferien werden zum Beispiel

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wöchentlich Bewegungszeiten in unterschiedlichen Sporthallen Flensburgs vorgehalten. Die Jugendlichen können zu diesen festgelegten Terminen, die über die Website (www.sportpiraten.com), über das Social Web und persönliche Ansprache kommuniziert werden, dem Sport ihrer Wahl nachgehen, ohne dafür in einem Verein Mitglied zu sein. Beliebte Sportarten sind zurzeit Fußball, Basketball und Parkour. Jeden zweiten Samstag wird ein Mitternachtsturnier veranstaltet, bei dem die Jugendlichen sich in Gruppen zusammen finden und mit Unterstützung ein Fußballturnier durchführen. Am Ende bekommt das Gewinnerteam einen gestifteten Wanderpokal und ist verpflichtet, diesen zum nächsten Turnier wieder mitzubringen. Von Frühling bis Herbst gibt es keine Angebote in den Sporthallen. Die Sportpiraten sind in diesen Monaten jedoch draußen auf Stadtteil- und Hinterhoffesten unterwegs. Viele dieser Feste, wie z. B. das interkulturelle Kinderfest, sind besonders auf ihre Zielgruppe ausgerichtet. Mit dem schon erwähnten Sportmobil, in dem sich BMX-Räder, Inlineskates, Skateboards und Spielbälle befinden, werden hier Kinder und Jugendliche an Bewegungs- und Sportaktivitäten herangeführt. Auch die mobilen Fußballfelder der Sportpiraten, mit denen sie auf diversen Events und Stadtteilfesten Fußballturniere organisieren, werden von Heranwachsenden stark frequentiert. Durch die Kontaktaufnahme mit einigen Heranwachsenden an deren informellen Treffpunkten, entstand im Übrigen eines der erfolgreichsten Aufgabenfelder. Diese Jugendlichen äußerten seinerzeit, dass es keinen attraktiven Ort für BMX-Fahrer und Skateboarder in Flensburg geben würde. Unter Federführung der Sportpiraten entstand aus diesen zunächst losen Kontakten ein stabiles Netzwerk, dem es im Rahmen eines mehrjährigen Beteiligungsprojektes gelungen ist, ein entsprechendes Jugendareal für diese jugendlichen Bewegungskulturen zu schaffen. Die Stadt Flensburg hat den Sportpiraten den BMX- und Skatepark Schlachthof – inzwischen einer der größten BMX- und Skateparks Europas – als Liegenschaft überlassen, wobei die Nutzung und Instandhaltung der Fläche vertraglich abgesichert ist. Die Kinder- und Jugendarbeit der Sportpiraten folgt also durchgängig einem sport- und bewegungskulturellen Grundkonzept, dass geringe Zugangsbarrieren aufweist und das spielerische Element des Sports betont. Und hier bieten sich unter anderem BMXing und Skateboarding als Inhalte an, da beide urbanen Bewegungskulturen mit ihrer Orientierung an persönlichen Herausforderungen, an Könnens- und Gruppenerlebnissen sowie den Momenten der Improvisation und Ausgelassenheit dem Spiel (im Sinne von play) ohnehin näher zu stehen scheinen als dem Sport (im Sinne von game).

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Vor diesem Hintergrund widmet sich die Argumentation zunächst den zentralen Merkmalen jugendlicher Bewegungskulturen sowie der offenen Jugendarbeit am Flensburger BMX- und Skatepark. Daran anschließend werden die Wechselbeziehungen von Bewegungs- und Medienpraxis untersucht sowie das Modellprojekt eSportpark dargestellt.

J UGENDLICHE B EWEGUNGSKULTUREN ALS H ANDLUNGSFELDER UND N ETZWERKE Expressive Jugendlichkeit, Erlebnissuche und Hedonismus haben im Feld des Sports traditionell ihren festen Platz. Gerade die von Jugendlichen hervorgebrachten alternativen Bewegungsformen wie BMXing, Parkour, Surfen, Snowoder Skateboarding artikulieren in diesem Zusammenhang nicht nur ein für unterschiedliche Lesarten und Sinnzuschreibungen offenes Sportverständnis, sondern betonen mit ihren mehr oder weniger riskanten Formen der Körperthematisierung gleichzeitig den Wagnischarakter und die subkkulturell-hedonistische Aura der Aktivität. Solche Bewegungskulturen sind als »thematisch fokussierte soziale Netzwerke« (Hitzler & Niederbacher, 2010, S. 16) zwar global verbreitet, die jeweiligen lokalen bzw. regionalen Szenen legen jedoch die Codes, Handlungsmuster, Symbole oder Gesellungsformen eigenwillig aus, was unter

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anderem einen fortlaufenden Wettstreit um Stil und wilde Inszenierungen stimuliert. Der öffentliche Raum ist so in zahlreichen europäischen Städten spätestens mit dem Aufkommen von Trendsportarten wieder zu einem bevorzugten Bewegungsort von Kindern und Jugendlichen geworden, was in der Folge auf kommunaler Ebene gelegentlich auch zur Entwicklung entsprechender Anlagen für die Ausübung innovativer Bewegungsformen geführt hat. Trendsportarten entwerfen den Sport im städtischen Raum dabei immer auch als lebensstilprägende Bewegungskultur, die jeweils besondere Marken, Rituale, Sounds, ausgewählte »Orte, Locations und Settings« (Klein, 2008, S. 23) hervorbringt. In diesem Zusammenhang sind gegenwärtig Praktiken wie das Skateboarding oder das BMXing für einen Teil der Heranwachsenden besonders attraktiv, da sie den Akteuren eine selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit reizvollen Bewegungsaufgaben, Freude an der eigenen Leistung sowie Gemeinschaftserfahrungen versprechen. Mehrere Studien haben inzwischen beispielsweise die Bedeutung dieser Aspekte für die Skateboardkultur nachgezeichnet: »Many skaters commented on their attraction to a sport in which they were the ones who made the decisions about the activity. This was mainly represented by their statements about the absence of authority as an important aspect of their sport.« (Beal & Weidman, 2003, S. 338; vgl. auch Peters, 2011; Tappe, 2011)

Ein Engagement im Feld des Trendsports kann unter Umständen ferner für juvenile Prozesse der Selbstsozialisation sowie der Suche nach sozialer Anerkennung fruchtbar gemacht werden. Neben den beiden bereits genannten Aktivitäten gehören unter anderem das Crossgolfen oder Parkour zu jenen alternativen Praktiken, die nicht nur ein für unterschiedliche Lesarten offenes Sportverständnis artikulieren, sondern darüber hinaus mit ihren mehr oder weniger riskanten Mustern der Körperthematisierung gleichzeitig den Wagnischarakter und die damit einhergehenden Möglichkeiten des Rauscherlebens im Sport betonen (vgl. Schwier, 2013; Schwier & Danisch, 2010; Stern, 2010). Jugendliche Bewegungskulturen lassen sich aus einem solchen Blickwinkel als ein Experimentierfeld für neuartige oder unkonventionelle Formen des SichBewegens und des körperlichen Ausdrucks interpretieren, worauf ebenfalls ihr spielerisch-explorativer Umgang mit Räumen, Materialien, Medien, Objekten und Sozialformen verweist (vgl. auch Peters, 2011, S. 155). Raumerschließend wirken bei BMX-Fahrern, Crossgolfern, Skatern oder Traceuren deren sinnstiftenden und gelegentlich umdeutenden Handlungen, die beispielsweise eine Treppe, einen Mauervorsprung oder ein Geländer erst zu ei-

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ner Skate-Gelegenheit machen. Nicht zuletzt Borden (2001) hat detailliert nachgezeichnet, wie die geschätzten vierzig Millionen Skateboarder weltweit alternative Lesarten der Stadt herstellen und diese – jenseits ihrer herkömmlichen Funktion als Arbeits- und Konsumstätte – gleitend, rollend oder springend als Schauplatz des sportiven Vergnügens entwerfen. Vor allem die Bewegungsfreude, der Spaß am Tun machen aus der Perspektive der Akteure die starke Anziehungskraft dieser Bewegungskulturen aus. Die Beherrschung tempogeladener Trendsportarten setzt im Übrigen langwierige Prozesse des Bewegungslernens voraus, bei denen man sich auf Ungewohntes einlassen, Widerstände überwinden, individuelle Prüfungen bestehen und mit Verletzungsrisiken umgehen muss. Insgesamt unterstreicht der Wagnis-Aspekt die Notwendigkeit einer echten Hingabe an die Sache, für die genau jene Ressourcen zentral sind, über die Heranwachsende im Normalfall reichlich verfügen: Körperkapital, Vitalität und freie Zeit. Weiterhin fällt auf, dass etliche jugendkulturell geprägte Trendsportarten in gewisser Hinsicht mit der Schwerelosigkeit und dem Aufgeben von Sicherheiten (Kontakt zum Boden, sicherer Halt oder Stand usw.) spielen: »Ein allen gemeinsames Prinzip der Bewegungen und Bewegungsausrichtungen kann als Erprobung der Vertikalen als Spielraum gekennzeichnet werden. [...] Die Art dieser Bewegungen und ihre Ausrichtung sind zentral für das Verständnis der neuen Sportpraktiken. Mit den dominierenden Bewegungsformen des Gleitens, Fliegens, Schwebens und Springens weisen sie kaum mehr mimetische Anschlüsse an Alltagsmotoriken auf.« (Stern, 2010, S. 66; vgl. Loret, 1995)

Wenig überraschen kann daher, dass etliche Protagonisten bzw. Gruppierungen in den Bereichen BMXing, Crossgolfen, Parkour oder Skateboarding eine Tendenz zur Selbstmediatisierung ihres Tuns an den Tag legen und die eigenen Aktivitäten mit Digitalkamera sowie Internetauftritt inszenieren (vgl. Schwier, 2006b und 2008). Vor diesem Hintergrund verbindet das von den Sportpiraten und der Abteilung Sportwissenschaft der Europa-Universität Flensburg entfaltete Projekt eSportpark grundsätzlich zwei unterschiedliche Zielperspektiven. Es geht erstens um die Produktion und Evaluation von multimedialen Lernmaterialien für die Bewegungspraktiken des BMXing und des Skateboarding, die der außerschulische Lernort auf dem alten Flensburger Schlachthof dann zur Vertiefung und Ergänzung seines Kursangebots nutzen kann. Da gegenwärtig zahlreiche Kinder und Jugendliche über Workshops für Schulen oder Angebote der sportbezogenen Jugendarbeit auf dem Schlachthof-Gelände erste Erfahrungen mit dem BMXing

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bzw. Skateboarding machen, die Lernzeit im Rahmen dieser Einführungskurse aber sehr begrenzt bleibt, können internetgestützte Lernmaterialien hier zur weiteren eigenständigen Auseinandersetzung mit den Bewegungsformen anregen bzw. das selbstgesteuerte Aufsuchen des BMX- und Skateparks in der Freizeit multimedial begleiten. Wenn man unterstellt, dass sowohl Trendsportarten als auch neue Medien für heutige Heranwachsende eine hohe Attraktivität besitzen und als Plattformen für eigenwillige Bedeutungsprozesse dienen, liegt es zweitens nahe, die im BMXund Skatepark aktiven Jugendlichen verantwortlich an der Entwicklung der Mediendateien zu beteiligen. Auf diesem Weg soll die Kommunikations- und Medienkompetenz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sowie der reflektierte Umgang mit dem eigenen Tun bzw. der eigenen Szene gefördert werden. Die Produktion von Lern- und Übungsmaterialien wird damit in einen medienpädagogischen Prozess eingebettet.

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D ER BMX- UND S KATEPARK ALS EIN O RT DES L ERNENS

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Der Flensburger BMX- und Skatepark ist – wie schon eingangs erwähnt – das Ergebnis langjähriger Bemühungen der Szene und der Sportpiraten um einen eigenen Bewegungs- und Versammlungsraum. Im Verlauf des hartnäckigen bürgerschaftlichen Engagements konnte letztendlich die für die Verwirklichung des (Beteiligung-)Projekts notwendige Unterstützung von Stadt, Land und regionalen Wirtschaftsunternehmen gesichert werden. Aus Mitteln des zweiten Konjunkturpakets der Bundesregierung und selbst eingeworbener Spendengelder ist inzwischen eine Erweiterung der Parkfläche um 2000 Quadratmeter und der Bau eines Servicehauses (mit Toilettenanlagen, Teeküche, Aufenthalts- bzw. Seminarraum) erfolgt. Darüber hinaus liegen bereits konkrete Planungen für eine weitere Erweiterungsstufe (u. a. Multifunktionsfeld, Streetball- und Parkouranlage) vor. Dieser Ort des Lernens und der Freizeitgestaltung verzeichnet kontinuierlich ansteigende Nutzerzahlen und weitet schrittweise seine Angebotspalette aus. Den so genannten Dirt Park mit verschiedenen Untergründen, die Teerfläche mit Rampen und den Betonpool suchen bei guter Wetterlage täglich rund einhundert Kinder, Jugendliche und junge Erwachsende auf, die auf Rollen und Rädern ihr Können demonstrieren und ko-konstruktiv erweitern. Nicht zuletzt die Ausrichtung diverser Contests, Events und Workshops dürfte ferner maßgeblich dazu beigetragen haben, dass das Flensburger Jugendareal sich inzwischen in der BMX- und Skateboardszene bundesweiter Bekanntheit erfreut sowie vermehrt von Jugendlichen aus dem südlichen Dänemark als Aktionsraum wahrgenommen wird. Gefördert durch die Stadt Flensburg und durch weitere Innovationsmittel des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums ist auf einer ehemaligen Brache insgesamt ein Bewegungsraum entstanden, der maßgeblich durch die fortlaufenden Aushandlungsprozesse von BMX-Fahrern, Skateboardern und Traceuren ausgestaltet wurde und nun weitestgehend die – zum Teil konkurrierenden – Bedürfnisse dieser Gruppierungen befriedigt. Anzumerken bleibt, dass der BMX- und Skatepark neben den Trendsportlern ebenfalls andere Heranwachsende, Anwohner und Passanten anzieht, die den aufgrund landschaftsarchitektonischer Planung weitestgehend harmonisch in sein innerstädtisches Umfeld eingebetteten Bewegungsraum zum Verweilen, als Treffpunkt oder für unterschiedliche Formen der Freizeitgestaltung (z. B. Ballspielen) nutzen.

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Die Jugendarbeit im BMX- und Skatepark Schlachthof orientiert sich am Ansatz der Peer-Education (vgl. Heyer, 2010; Nörber, 2003) und ist grundsätzlich darauf ausgerichtet, die Heranwachsenden bei der Weiterentwicklung ihrer sportlichen und sozialen Handlungsfähigkeit zu unterstützen, ihnen unterschiedliche Wege der Mitgestaltung und gesellschaftlichen Teilhabe vor Ort aufzuzeigen sowie Bildungsprozesse zu fördern (vgl. auch Deinet & Derecik, 2013). Eine solche pädagogische Orientierung impliziert sicherlich zuallererst die aktive Beteiligung der Heranwachsenden an der Gestaltung und Nutzung des Bewegungsraums sowie an allen das Jugendareal betreffenden Fragen – von der Planung baulicher Maßnahmen über die Öffentlichkeitsarbeit und Sponsorenakquirierung bis zur Moderation von Abstimmungsgesprächen zwischen den Nutzergruppen und der Durchsetzung der Sicherheitsregeln auf dem Gelände. Sowohl die alltägliche freie Bewegungspraxis als auch die Vermittlungsprozesse am außerschulischen Lernort sollen ferner durch den harten Kern der Szene (mit-) organisiert werden. Ein Teil dieser rund zwanzig Trendsportlerinnen und Trendsportler im Alter von 14 bis 25 Jahren hat so bereits die von den Sportpiraten angebotenen Ausbildungsmodule (u. a. Kurse in Erster Hilfe, Team- bzw. Deeskalationstraining) absolviert und stellt sich seither mehr oder weniger regelmäßig als Peergroup Teamer zur Verfügung (vgl. hierzu Bertelsmann Stiftung, 2008). Die Teamerinnen und Teamer wirken mehr oder weniger selbstverständlich an der informellen Initiation und fahrpraktischen Ausbildung der nachwachsenden BMX- und Skateboard-Generation (Kinder ab sechs Jahre) mit, deren Mitgliederzahl sich seit Bestehen des Jugendareals deutlich erhöht hat. Der bewegte BMX- bzw. Skater-Lebenstil mitsamt seiner besonderen Erlebnismöglichkeiten, Verhaltens- und Sprachcodes wird so auf dem Gelände täglich (vor-) gelebt, wobei Muster einer Peergroup-Sozialisation zum Tragen kommen. Neben der trendsportlichen Bewegungspraxis engagieren sich die Teamer und der harte Kern der Szene von Anfang an in den Bereichen (a) Handwerk sowie (b) neue Medien. (a) Für die Ausgestaltung der genannten Asphaltsportarten sind handwerkliche Basiskompetenzen überaus hilfreich. In gewisser Hinsicht gehört der eigenständige Geländer-, Hindernis- und Rampenbau schlicht zur Ausübung des Skateboardens oder BMX-Fahrens, da man vielerorts nicht auf entsprechende Anlagen zurückgreifen kann. Aber auch wenn ein Park vorhanden ist, gibt es immer Elemente, die noch fehlen und dementsprechend selbst gezimmert werden müssen. Einen weiteren Bezugspunkt bildet die obligatorische Fahrrad- und Skateboardreparatur. Auf dem Gelände des Jugendareals kann man so nahezu täglich Heranwachsende bei gemeinsamen Instandsetzungsarbeiten an den Sportgeräten beobachten.

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(b) Jugendliche Trendsportszenen zeichnen sich durch eine offensichtliche Tendenz zur Selbstmediatisierung ihres Tuns aus, worauf nicht zuletzt die kaum noch überschaubare Menge der bei netzbasierten Multimedia-Plattformen (wie YouTube oder Vimeo) von den Akteuren eingestellten BMX-, Skateboard- oder Parkour-Clips verweist (vgl. Schwier, 2013, S. 133-134). Die Digitalkamera und der Internet-Auftritt gehören quasi zum Alltagsleben der Trendsportler und mit den Videos kann man das eigene Können darstellen, die Vitalität der lokalen Szene (online) abbilden sowie den Austausch mit den Gruppierungen in anderen Städten fördern. Darüber hinaus werden computerunterstützt Flyer und Plakate für eigene Veranstaltungen entworfen und hergestellt. Die eigene Medienpraxis wirkt dabei mehr oder selbstverständlich auch auf die Bewegungspraxis zurück: »So wird die Stilkompetenz der Sportler wesentlich auch durch die Bildpraxis ausgebildet. Stilkompetenz kann hier als eine zweifache Fähigkeit verstanden werden: einerseits den Bewegungsstil einer Sportpraktik […] zu erkennen bzw. bewerten zu können; und andererseits dem Stil in den eigenen Bewegungen gerecht zu werden.« (Stern, 2011, S. 139)

Mehr oder weniger folgerichtig finden auf dem Jugendareal am alten Schlachthof seit 2008 wiederkehrend Workshops statt, in deren Rahmen die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Sportpiraten eine eher beratende Funktion wahrnehmen, während die Teamerinnen und Teamer ihr Fachwissen in den Feldern der Fahrtechnik, der Reparatur von Sportgeräten und der Mediengestaltung an (zumeist jüngere) Dritte weitergeben. Als außerschulischer Lernort bietet das Jugendareal seit rund fünf Jahren auch Einführungskurse für Schulklassen aller Jahrgangsstufen an. Darüber hinaus bestehen Kooperationen mit einer Grundschule (BMX-Rabauken) und einer Gemeinschaftsschule (Skateboarding-AG) im Stadtteil. Die Schülerinnen und Schüler lernen in diesem Rahmen grundlegende Fahrtechniken bzw. -figuren beider Bewegungspraktiken kennen, wobei BMX-Räder, Skateboards, Helme und Protektoren vom Jugendareal zur Verfügung gestellt werden. Im Bereich BMX versucht die fahrpraktische Ausbildung dabei beispielsweise an den schon vorhandenen Erfahrungen der Heranwachsenden mit dem Fahrradfahren anzuknüpfen, über offene Aufgabenstellungen ein selbständiges Erkunden der Besonderheiten des Bicycle Moto Cross zu unterstützen sowie positive Bewegungserlebnisse beim Spielen mit der Schwerkraft, beim Springen mit dem 20-Zoll-Rad zu ermöglichen. Im Anschluss an die Phase der Material- und Raumerkundung werden in der Anfängerschulung grundsätzlich mehrere BMXTricks (z. B. Bunnyhop, Manual) nebeneinander erprobt. Diese Vorgehensweise soll sowohl ein selbstgesteuertes Lernen gewährleisten (über ein Bereitstellen

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von Wahlmöglichkeiten) als auch zur Aufrechterhaltung der Übungsmotivation beitragen. Während solcher Kurse lassen sich auf der Street-Fläche oder am Betonpool vorwiegend informelle Lernweisen beobachten, wofür sicherlich die besondere Strukturiertheit der Vermittlungsprozesse mitverantwortlich sein dürfte: Die Rolle der Lehrenden übernehmen im Wesentlichen jugendliche Peergroup Teamer, die ihre umfangreiche BMX-Expertise in die dialogischen Lehr-Lern-Prozesse einbringen und darüber hinaus den Materialpool des Parks verwalten. Der hauptamtliche Sportpädagoge des Jugendareals und die jeweiligen Sportlehrkräfte der Schulen halten sich eher im Hintergrund, beobachten das Geschehen und betreuen bzw. beraten gegebenenfalls einzelne Akteure.

Die Vermittlungsstrategien der Teamerinnen und Teamer orientieren sich – wenig überraschend – an der im Szenealltag bewährten Logik der Bewegungspraxis, akzentuieren also generell das Lernen am Modell und vor allem Formen eines »learning by doing«. Im Handlungsprozess spielen allerdings auch verbale Rückmeldungen und Gespräche eine wichtige Rolle, wobei sowohl das zielgerichtete Feedback als auch die gesamte Kommunikation der Gruppe auf den Wortschatz der Jugend- bzw. Szenesprache zurückgreift. Neben der Fahrpraxis gehört im Übrigen die Anbahnung handwerklicher Basiskompetenzen ebenfalls zum Kursprogramm. Unter Anleitung der Peergroup Teamer beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler so unter anderem mit der Reparatur von Rädern und Skateboards oder machen den Eigenbau von Hindernissen (Obstacles) zum Thema. An dieser Stelle stellt sich sicherlich die Frage nach den Besonderheiten der Lern- und Erfahrungsprozesse im BMX- und Skatepark. Aus unserer Sicht sind hierbei vor allem vier Aspekte zu nennen: Neben dem Umstand, dass das Springen mit dem Rad oder dem Board häufig ein subjektiv neuartiges Bewegungserlebnis darstellt, gewinnen die Jugendlichen zweitens dort Einblicke in die Welt des BMX-Freestyle bzw. Skateboardings, wo diese jugendkulturellen Praktiken gelebt werden. Die Moderation der Lernprozesse übernehmen drittens maßgeb-

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lich jugendliche Locals, die eine Aura des Authentischen umgibt, die den Lernenden – trotz ihres Expertenstatus – als Gleichgestellte begegnen sowie eine große Nähe zu deren Sprache und Handlungsinteressen zeigen. Damit einhergehend erfahren die BMX- bzw. Skateboard-Novizen viertens, dass man komplexe Bewegungen auch ohne Hilfestellung von Erwachsenen in der Gleichaltrigengruppe erlernen und dass man als Heranwachsender seinen Sport verantwortlich (mit-) gestalten kann. Mit Blickrichtung auf das individualisierte (Bewegungs-)Lernen dürfte in diesem Zusammenhang ferner der Umstand hilfreich sein, dass die Kinder und Jugendlichen immer von mehreren Peergroup Teamern begleitet werden, deren Vermittlungsstrategien und Kommunikationsstile sich zum Teil unterscheiden. BMX- oder Skateboardingkurse auf dem Jugendareal im Stadtteil stimulieren so zuallererst eine handelnde Aneignung der innerstädtischen Parklandschaft. Sie halten obendrein besondere Chancen zum selbstgesteuerten Lernen bereit, da die Jugendlichen Bewegungsaufgaben und Lernmethoden bei Bedarf eigenständig variieren oder Vereinfachungsstrategien anwenden können (vgl. Bund, 2005). Sie regen einen häufigen Wechsel der Sozialformen an, motivieren zum intensiven Üben, fördern und fordern schließlich die Bereitschaft für sich und andere Verantwortung zu übernehmen sowie eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit den ungewöhnlichen Bewegungsformen. Damit wird zugleich die Hoffnung verknüpft, dass Heranwachsende auf diesem Weg subjektiv neuartige und als lohnend empfundene Bewegungsaufgaben bzw. -orte entdecken, Räume im Tun erschließen, die Handlungspraxis jugendlicher Bewegungskulturen kennenlernen und diese gegebenenfalls auch für ihr zukünftiges Sportengagement fruchtbar machen. Dies beinhaltet ebenfalls eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Wagnischarakter der genannten Bewegungsformen und der nicht zuletzt durch das Jugendmarketing verstärkten Images der Praktiken. Nicht wenige der im Stadtteil wohnenden Heranwachsenden, die an solchen Einführungskursen oder Arbeitsgemeinschaften teilgenommen haben, suchen in der Folgezeit das Jugendareal sporadisch oder regelmäßig auf, leihen sich dort BMX-Räder aus und nehmen an den nachmittäglichen Bewegungsaktivitäten teil. Anzumerken bleibt, dass es wahrscheinlich gerade über die Interaktion mit den Peergroup Teamern zu einem Abbau eventuell bestehender Hemmschwellen oder Partizipationsbarrieren kommt. Vor diesem Hintergrund erscheint insgesamt die Annahme gerechtfertigt, dass im BMX- und Skatepark eine lokale Bewegungskultur von Jugendlichen für Jugendliche entstanden ist, die ausgesprochen altersheterogen (cirka 6 bis 21 Jahre) strukturiert ist und interessierten Heranwachsenden weitestgehend unab-

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hängig von ihrem aktuellen Könnensstand offen steht. Insgesamt sind allerdings nach wie vor überwiegend Jungen regelmäßig auf dem Areal aktiv.

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Die Bewegungsszenen des BMXing, Crossgolfens, Parkour oder Skateboardings gehen mit elektronischer Kommunikation auf eine Art und Weise um, die – pointiert formuliert – auf eine Wesensverwandschaft von Dirt Park und Social Web, auf eine Affinität des urbanen Laufens, Springens, Gleiten und Rollens zu Online-Bewegtbildern schließen lässt. Ähnlich wie bei den Trendsportarten treten Heranwachsende beim Umgang mit innovativer Informations- und Unterhaltungstechnologie häufig schlicht als medienhandwerkliche Pfadfinder auf, die der Generation ihrer Eltern immer einen Schritt voraus sind. Digitale Medienangebote werden eben von Kindern und Jugendlichen konsumiert, modelliert und teilweise auch produziert, wobei diese auf ihr an der Rampe oder im Betonpool erworbenes Expertenwissen zurückgreifen und ihre gesammelten Erfahrungsschätze mit der Szene-Community teilen wollen. Nur am Rande sei angemerkt, dass der Technologie im Feld des Trendsports ohnehin eine wichtige Rolle zukommt: Mit Ausnahme von Parkour erfordern die genannten Bewegungsszenen so technische Spielgeräte sowie entsprechendes Zubehör (Boards, Bikes, Helme usw.). Charakteristisch für die jugendlichen Bewegungspraktiken ist dabei die Schaffung eines eigenen Stils, dessen multimediale Inszenierungen die von den Eingeweihten geteilten Bedeutungen spiegeln, den Strömungen in der Szene aktiv nachspüren und gleichzeitig auf den »dramaturgischen Körper« (Gugutzer, 2004, S. 234) als Medium der Selbstdarstellung setzen. Und in gewisser Hinsicht lassen sich sowohl BMX-Räder und Skateboards als auch Multimediacomputer und Digitalkameras als Werkzeuge betrachten, die die individuellen Möglichkeitsspielräume der juvenilen Surfer erweitern, Interaktionserfahrungen stimulieren und eigenwillige Zugänge zur Welt begünstigen (vgl. Schwier, 2008 und 2011). Über die Selbstmediatisierung des eigenen Tuns auf dem Board oder dem Bike kann man zudem Aufmerksamkeit erregen, ein alternatives Sportverständnis propagieren und unter Umgehung der etablierten Medienkanäle kostengünstig eine Medienöffentlichkeit von unten herstellen. Derartige Freiräume zur ungefilterten Darstellung der eigenen Orientierungen und Handlungsformen nehmen grundsätzlich nahezu alle jugendkulturellen Szenen wahr:

208 | J ÜRGEN S CHWIER & D IRK D ILLMANN »In der internen Kommunikation von Szenen spielen neue Kommunikationsmedien eine herausragende Rolle. In jeder erfolgreichen, eine gewisse Zeitspanne überdauernden Szene bilden sich spezifische Szene-Medien heraus, die den Bestand und die Qualität einer kulturellen Szene absichern helfen. [...] In den Szene-Medien wird greifbar bzw. festgemacht, was ansonsten eben nur nebulös existiert: die Szene, die sich von Ereignis zu Ereignis immer wieder neu zu erschaffen vermag.« (Zinnecker & Barsch, 2009, S. 292)

Begünstigt wird die rege Multimediapraxis jugendlicher Trendsportler im Übrigen durch die inzwischen weit vorangeschrittene Miniaturisierung der Technologie und die im Vergleich zu früheren Jahren verringerten Anschaffungskosten: Bereits die handelsüblichen Mobiltelefone mittlerer Preisklassen besitzen so alle Computer- und Kamerafunktionen, die eine Produktion von Multimediadateien und deren Upload zu einem Videoportal im World Wide Web ermöglichen. In diesem Zusammenhang belegen zahlreiche Nutzerstudien die enorme Popularität von Videoportalen, Fotocommunities, Kurznachrichtendiensten und Sozialen Netzwerken unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen: Weitaus regelmäßiger und intensiver als andere Altersgruppen rufen die 12- bis 29-jährigen beispielsweise Informationen bei Multimedia-Plattformen wie You Tube und Vimeo ab, wobei jedoch die überwiegende Mehrheit vorwiegend als Rezipienten in Erscheinung tritt und nur eine kleine Minderheit selbst Inhalte für Social WebDienste bereitstellt (vgl. Schmidt, 2009, S. 30-37). Grundsätzlich kann also davon ausgegangen werden, dass inzwischen dem Internet und im Besonderen dem Web 2.0 eine bedeutsame Rolle im Alltagsleben von Heranwachsenden zukommt (vgl. hierzu Behrens et al., 2014; Boyd, 2014; Mikos, Hoffmann & Winter, 2009). Die Medialisierung des Sports und der jugendlichen Sportszenen findet – wenig überraschend – letztendlich ebenfalls im so genannten Mitmach-Web ihre logische Fortsetzung. Mit dem Stichwort des Web 2.0 wird häufig eine Weiterentwicklung des neuen Mediums in Richtung allgemeiner Teilhabe, Dezentralität oder Vernetzung gekennzeichnet. Dahinter steht unter anderem die Vorstellung, dass im Social Web (vgl. Zerfass, Welker & Schmidt, 2008) nahezu jeder Bürger seine Sicht der Dinge kundtun und sich mit anderen ungefiltert austauschen kann, was in der Folge sicherlich ebenfalls die Wechselbeziehungen zwischen Sportlern, Fans, Konsumenten, Sportsystem, Jugendmarketing und Massenmedien betrifft. Internet-Plattformen wie Facebook oder You Tube sind so längst zu wichtigen Arenen der Trendsportkommunikation geworden. Die gravierende Reduzierung der medialen Zugangsbarrieren begünstigt gleichzeitig einen schnelleren Informationsfluss sowie eine partielle Auflösung der Trennung von

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Medienmachern und -konsumenten. Dies hat auch erheblichen Einfluss auf die Mediennutzung von Heranwachsenden und ihr Verständnis von Öffentlichkeit: »Through their experimentation and challenges, today´s teens are showcasing some of the complex ways in which technology intersects with society. They don´t have all of the answers, but their path through this networked world provides valuable insight into how technology is being integrated into and shaping everyday life.« (Boyd, 2014, S. 212)

Die »gleitende Generation« (im Sinne von Loret, 1995) ist wohl längst auch zur »Generation Facebook« (Leistert & Röhle, 2011) geworden, wobei das gleitende Sich-Bewegen in urbanen Bewegungsräumen und die Online-Aktivitäten im Social Web zumindest zum Teil aufeinander verweisen. Mittels der Alltagshandlungen auf dem Jugendareal und im Social Web erschließen sich die Jugendlichen öffentlich Perspektiven und prüfen fortlaufend, welchen Sinn die jeweilige Trendsportpraxis für sie haben kann.

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D AS M ODELLPROJEKT E S PORTPARK Gerade mit Blickrichtung auf die oft exponierten Handlungsräume im Trendsport – in diesem Fall: die innerstädtischen Freiflächen, Treppen, Parkplätze sowie das Gelände des Sportparks – eröffnen Web 2.0-Anwendungen wie Weblogs, Wikis oder das Podcasting neuartige Möglichkeiten für die Aufbereitung und Verfügbarkeit entsprechender Übungsmaterialien. So lassen sich beispielsweise Videos und Podcasts zu bestimmten BMX-Freestyletechniken – vom Abubaca über Backflip, Frontflip und Tabletop bis zum X-up – direkt beim Vermittlungsprozess einsetzen. Die jugendlichen BMX-Fahrer können an Rampe und Halfpipe unmittelbar vor bzw. nach der eigenen Realisierung einer Fahrfigur die idealtypischen Bewegungsabläufe und Schlüsselstellen noch einmal per iPod, Videoplayer, Tablet oder Smartphone studieren. Wenn es sich um Kurse für Schulen oder andere Bildungseinrichtungen handelt, eignen sich die Podcasts zudem zur Unterstützung des von den jeweiligen Gruppenleitern nach der Bewegungsausführung gegebenen sprachlichen Feedbacks und zur Aufrechterhaltung der Übungsmotivation. Auch für die Vor- und Nachbereitung des Sporttreibens sind solche multimedialen Angebote sinnvoll, da man sich beispielsweise ortsunabhängig und zu jeder Tageszeit mit einem noch nicht beherrschten Trick beschäftigen kann. Neben der Bereitstellung von Lernmaterialien soll des Weiteren die Einrichtung eines lokalen BMX- bzw. Skaterblogs erfolgen, in dem sich die interessierten Heranwachsenden über ihre entsprechenden Aktivitäten, Lernfortschritte und -schwierigkeiten austauschen können. Mit der sich seit einigen Jahren verändernden Ausrichtung des World Wide Webs verschmelzen insbesondere die Funktionen und Rollen bei der Erzeugung solcher netzbasierter Medienformen. Hierbei erhalten die früher eher passiven User durch Technologien wie das Podcasting weit reichende Möglichkeiten zur (Mit-)Gestaltung von Inhalten und Wissenszusammenhängen (vgl. Danisch, Schwier & Friedrich 2007). Eine didaktisch angemessene Integration in die Bildungsbereiche des Sports und der Jugendarbeit setzt also eine Förderung von selbstgesteuerten und kooperativen Lernformen voraus, bei denen die Pädagoginnen und Pädagogen vor allem die Multimedia-Werkzeuge bereitstellen, in deren Handhabung einführen, beraten und zur Reflexion des Produktionsprozesses anregen. Da für (Aus-)Bildungszwecke geeignete Podcasts, Online-Videos oder Weblogs zu den genannten Trendsportthemen bislang nur vereinzelt existieren, besteht eine grundlegende Aufgabe des Modellprojekts in der Produktion geeigneten Contents. Dabei ist unter anderem zu berücksichtigen, dass den Nutzern

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von Podcasts oder Online-Videos die relevanten Informationen über die Schlüsselstellen der jeweiligen Bewegungsformen und sportartspezifischen Inhalte in möglichst komprimierter Form zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus sollen die Lernmaterialien allgemeinverständlich sein (also kein besonderes Szenewissen voraussetzen), damit sie nicht nur für die Kurse des BMX- und Skaterparks einsetzbar sind, sondern – im Sinne eines Multiplikationsfaktors – ebenfalls anderen Institutionen (Schulen, Vereine, Verbände usw.) für Ausbildungszwecke dienen können. Eine weitere Aufgabe des in den ersten Jahren seiner Laufzeit (2009 bis 2011) vom Verein »Flensburg Innovativ!« finanziell geförderten Projekts wird – wie schon erwähnt – darin gesehen, die im Skatepark aktiven Heranwachsenden beim Aufbau einer umfassenden Medienkompetenz zu unterstützen, die sie zukünftig unter anderem zur eigenständigen Produktion entsprechender Web 2.0Anwendungen befähigt. Unter Anknüpfung an die vom Team der Sportpiraten im Skatepark bereits etablierten Formen medienpädagogischer Arbeit geht es insgesamt um einen Beitrag zur Ausbildung einer übergreifenden bewegungskulturellen »Sprachspielkompetenz« (Fromme, 1997), die die Heranwachsenden sukzessive in die Lage versetzt, die Texte, Werbebotschaften und moralischen Erzählungen des populären (Medien-) Sports zu entschlüsseln und aktiv anzueignen. Eine solche Kompetenz im Umgang mit den Sprachspielen der Sportund Bewegungskultur umfasst neben dem kritischen Deuten immer auch das kreative Spielen mit der Ikonographie des Sports und die Herstellung eigener Bilderwelten. Das Mitmachprojekt eSportpark versucht an die Interessenlage der auf dem Jugendareal aktiven Heranwachsenden anzuknüpfen und unter medienpädagogischer Begleitung Online-Medien zu szenerelevanten Themen in gemeinschaftlicher Autorenschaft herzustellen. Die konkrete Auseinandersetzung mit Multimedia-Formaten zielt gleichzeitig auf eine spielerische Aneignung der audiovisuellen Zeichensprache. Den selbstorganistierten Vermittlungsprozessen in der Gleichaltrigengruppierung und den dort anzutreffenden bewegungsgesteuerten Dialogen zu Fragen der Fahrtechnik oder des Stils wird dabei grundsätzlich in vergleichbarem Maße Intentionalität zugeschrieben wie den institutionalisierten, durchorganisierten Formen des Bewegungslernens (z. B. im Schulsport oder Sportverein). Offensichtlich überschreiten die in jugendkulturellen Szenen anzutreffenden Situationen des informellen Bewegungslernens klassische Vorstellungen vom Lehren und Lernen im Sport, weil die jeweiligen Akteursrollen nicht klar zu definieren sind, sich eher im Fluss befinden und durchgängig auf wechselseitige Einflussnahme ausgerichtet bleiben (vgl. auch Neuber, 2009; Neuber et al., 2010).

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Die für das BMXing oder Skateboarding typische Verbindung von sportlicher Handlungspraxis und digitalen Bewegtbildern verweist im Besonderen auf die Intentionalität informeller Lernarrangements: Die BMXer und Skateboarder produzieren ihre Bilderwelten in weiten Teilen nicht nur selbst, sondern setzen (Online-) Videos, Digitalkameras, Soft- und Hardware darüber hinaus fortlaufend für ko-konstruktive Vermittlungsprozesse in der Gruppe ein (vgl. Schwier, 2008; Stern, 2011). Solche Situationen eines Lernens mit Kopf, Körper, Herz und Multimedia sind nur selten im Vorhinein geplant, sondern ergeben sich während der gemeinsamen Aktivitäten mehr oder weniger spontan. Das Projekt ist zunächst auf zwei Jahre (2009 bis 2011) angelegt gewesen und hat dabei drei Phasen durchlaufen: Während der Vorbereitungsphase erfolgten die Einarbeitung der – als Honorarkräfte tätigen – Teamer sowie die Rekrutierung der teilnahmewilligen BMX-Fahrer und Skateboarder. Die Durchführungsphase beinhaltete die fortlaufende Konzeption, Produktion bzw. Publikation von Mediendateien zu den diversen Fahrtechniken, Events sowie Szenecodes. Dabei wurde jeweils eine Gruppe zu den Themen BMX und Skateboarding gebildet, die sich über den gesamten Projektzeitraum – durchgängig von zwei Peergroup Teamern betreut – regelmäßig getroffen hat. Den Gruppen standen zwei Notebooks (incl. Software), vier Camcorder sowie vier iPods dauerhaft zur Verfügung. Die Eigenproduktion von Videopodcasts folgte dabei idealtypisch dem folgenden Ablaufschema, das auch aktuell noch Anwendung findet: (a) Moderiert von den Peergroup Teamern legen die Jugendlichen gemeinsam fest, welche Tricks und Fahrfiguren zum Gegenstand des Podcastings werden sollen. Die BMXer und Skateboarder können hier ferner ihr Wissen über die jeweiligen Bewegungsformen einbringen, da die Beschreibung der Technik und der Schlüsselstellen der jeweiligen Fahrfigur unmittelbar in die Gestaltung des Storyboards eingeht. (b) Auf dieser Grundlage erfolgt dann die interne Aufgabenverteilung und mediale Umsetzung. Die Gruppe entscheidet, wie die einzelnen Sequenzen gefilmt, geschnitten und zu einem Videopodcast zusammengestellt werden. Des Weiteren muss zu den Bewegtbildern ein passender Kommentar formuliert sowie unter Umständen Musik ausgewählt werden. (c) Vor der Veröffentlichung im World Wide Web erfolgen eine Reflexion der miteinander ausgehandelten Arbeitsabläufe und eine Beurteilung der Qualität der fertigen Mediendateien: Bildet der Podcast die Fahrfigur sachlich angemessen, wirkungsvoll und adressatengerecht ab? Im Rahmen solcher Gesprächsrunden geht es unter anderem darum, sich über Sinn- und Informationsgehalte zu verständigen sowie eine distanzierte Perspektive zu den eigenen Podcasts einzu-

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nehmen (z. B. Hinterfragen der Rituale und der Bilderwelten der Bewegungsszenen). Die verschiedenen Arbeitsvorgänge des Verfassens von Drehbüchern, des Erstellens von Storyboards, des Filmens der Bewegungsformen, der Bearbeitung der Filmaufnahmen und deren Veröffentlichung als Podcast werden dabei mehrfach durchlaufen. Die Kompetenzen und der Erfahrungsschatz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Umgang mit Multimedia sollen sich im Sinne des learning by doing im Produktionsprozess selbst entwickeln, unterstützend werden allerdings bei Bedarf übergreifende Schulungen zur Kameraführung, zu Podcasting-Tools, zur Videobearbeitung und zum Webdesign angeboten (vgl. Schwier & Dillmann, 2011). Das Modellprojekt wird im Übrigen auch nach dem Ende der Förderperiode fortgeführt und gehört unter dem von den Akteuren der ersten Generation gewählten Namen »SchlachthofTV« – unter diesem Namen auch als Kanal auf YouTube vertreten – längst zu den festen Angeboten des Jugendareals. Auch dieses Angebot orientiert sich an den nicht nur in der Jugendarbeit anzutreffenden Kriterien der Niederschwelligkeit (leichter Zugang zur Technik und zur Videogruppe), des Empowerment (Aufbau und Förderung von Fähigkeiten im Bereich Mediengestaltung) und der Partizipation (Beteiligung der Jugendlichen an allen Schritten der Projektarbeit). So findet auf dem Gelände einmal pro Woche ein nachmittäglicher Workshop statt, in dem ein Teamer in die Basics der Mediengestaltung einführt. Besonders interessierte Nutzer können ferner einen Kurs zur Mediengestaltung im Sport (Umfang: 160 Stunden) absolvieren, in dessen Rahmen sowohl praktische Kenntnisse über den Einsatz von Multimediaanwendungen (von der Kameraführung über das Verfassen eines Drehbuchs bis zum Umgang mit dem Video- und Filmschnittprogamm Final Cut Pro) als auch elementare Vermittlungskompetenzen im Trendsportbereich thematisiert werden. Darüber hinaus produziert jede Teilnehmerin bzw. jeder Teilnehmer des Kurses eigenständig einen Videopodcast zu einer sportlichen Technik und veröffentlicht diesen auf einer netzbasierten Plattform. Insgesamt gelingt es bislang reibungslos, dass das jeweilige Team von »SchlachthofTV« interessierte Jugendliche integriert, die sich entsprechend im Verlauf der gemeinsamen Aktivitäten qualifizieren, an der digitalen Medienarbeit teilhaben und diese fortführen. Von den ersten Teilnehmern sind im Übrigen einige noch immer in diesem Medienprojekt aktiv. Mitverantwortlich für die Motivation zur zeitintensiven Mitwirkung bei »SchlachthofTV« dürfte sicherlich auch der Umstand sein, dass die selbstproduzierten Videos zum Teil hohe ClickZahlen auf den Videoplattformen und Aufmerksamkeit im Social Net erzielen

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sowie durchgängig positive Rückmeldungen aus der Szene nach sich ziehen. Im Zentrum der Medienaktivität steht aber sicherlich die (Tätigkeits-) Freude der Jugendlichen an der Videogestaltung und dem Podcasting sowie an ihrer selbstgewählten Rolle als digitale Chronisten des Szenelebens.

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J UGENDARBEIT

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Raumaneignung als informeller Lernprozess am Beispiel des Flensburger BMX- und Skateparks Schlachthof S ARA K ARSTENS

ANEIGNUNG UND K OMPETENZENTWICKLUNG – R AUMANEIGNUNG ALS INFORMELLER L ERNPROZESS Obwohl Bildung und Lernen immer noch vorrangig formellen Bildungsinstitutionen zugeordnet werden, wächst die Einsicht, dass auch außerhalb dieser ein hohes Maß an Bildungspotenzialen vorhanden ist (vgl. Düx & Rauschenbach, 2010). Außerhalb der Schule können bei der Auseinandersetzung mit der Umwelt informelle Lernprozesse stattfinden, bei denen sich Kinder und Jugendliche Basiskompetenzen aneignen, welche auch die »Fähigkeit für den Erwerb von Sprachkenntnissen und Bildungsabschlüssen« (Deinet, 2010, S. 79) mitprägen. Informelles Lernen beschreibt dabei das alltägliche Lernen, welches beispielsweise im Freundes- oder Familienkreis, auf der Arbeit oder in der Freizeit stattfindet. Es wird weder zertifiziert noch ist es zielgerichtet. Meistens verläuft das informelle Lernen beiläufig und unbewusst ab (vgl. Europäische Kommission, 2001, S. 33). Es wird davon ausgegangen, dass unsere Einstellungen und Kenntnisse zu etwa siebzig Prozent auf informelle Lernprozesse zurückzuführen sind (vgl. Overwien, 2010, S. 38). Aber nicht nur in der schulischen Entwicklung spielt das informelle Lernen eine große Bedeutung. Durch den Übergang von »einer nationalstaatlichen Industrie- zu einer globalisierten Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft« (BMFSFJ, 2005, S. 90) haben sich die Anforderungen in der Arbeitswelt verändert. Das in der Schule angeeignete Wissen, welches sich enorm verändert und ebenso schnell veraltet, reicht aufgrund seiner »Halbwertszeit« (Schleicher,

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2009, S. 16) nicht mehr aus. Um »rasch und reibungslos das wachsende Spezialwissen erschließen zu können« (Icking, 2004, S. 195), wird der Fokus auf den Erwerb von Kompetenzen gerichtet, die das Individuum dazu befähigen sollen, situationsgemessen zu handeln. Ziel ist es, Handlungskompetenzen wie Fachkompetenz, Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Personale Kompetenz zu entwickeln. Durch eine »Tendenz zur Selbstökonomisierung, das heißt der/die Einzelne übernimmt für die Herstellung und Vermarktung des Arbeitsvermögens mehr Verantwortung« (Icking, 2004, S. 196), erfährt der Kompetenzbegriff eine inhaltliche Erweiterung durch z. B. unternehmerische Kompetenzen, wie die Fähigkeit zur Selbstvermarktung (vgl. ebd.). »Während früher also die Ausbildung für einen Beruf meist ein Leben lang hilfreich und höchstens ergänzungsbedürftig war, hat sich aufgrund der fortlaufenden Neustrukturierung des Arbeitsmarktes, der interkulturellen Kommunikation und Veränderung der Alterspyramide der Bevölkerungsanteil vergrößert, dessen berufliche Ausbildung immer rascher verfällt.« (Schleicher, 2009, S. 53)

Aufgrund der ständigen Erneuerung von Wissen ist ein lebenslanges Lernen, welches zum Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit durch Weiterbildung auffordert, unvermeidlich (vgl. Bollweg, 2008, S. 20). Es findet also eine zunehmende zeitliche Entgrenzung des Lernens statt. Aber nicht nur zeitlich sondern auch räumlich ist eine Verwischung der Grenzen festzustellen. Lernen findet nicht ausschließlich in Institutionen statt, »sondern auch in anderen Lebensbereichen und anderen Organisationen [werden] lernförderliche Lernumgebungen geschaffen« (Hof, 2009, S. 66). Nicht nur Pädagogen lenken Lernprozesse, sondern auch fremde Menschen wie Moderatoren oder Reiseführer können dazu anregen (vgl. ebd.). Auch werden Inhalte, die in formalen Bildungsinstitutionen gelernt werden, in nichtformalen und informellen Lernfeldern vertieft, wie z. B. durch einen Auslandsaufenthalt, der zu einer Verbesserung der Sprachkenntnisse führt. »Das Konzept des lebenslangen Lernens verknüpft sich im Hinblick auf die entgrenzten Notwendigkeiten nicht mehr nur mit Schule, sondern verweist auch darauf, außerhalb davon zu lernen, weil Schule nicht (mehr) die Inhalte vermitteln kann, die für ein Überleben in der Wissensgesellschaft erforderlich sind.« (Bollweg, 2008, S. 21)

Festzuhalten bleibt, dass informelles Lernen in der heutigen Gesellschaft von großer Bedeutung ist. »Menschen lernen immer und überall« (Düx & Rauschenbach, 2010, S. 56) und müssen sich laufend neuen Situationen und Veränderungen in der Gesellschaft anpassen.

R AUMANEIGNUNG

ALS INFORMELLER

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Die geforderten Handlungskompetenzen können nicht mehr nur vermittelt werden, sondern müssen in der sozialen Umwelt bei der Bewältigung von alltäglichen Herausforderungen angeeignet werden. Lernprozesse vollziehen sich somit entlang biographischer Verläufe. Damit existiert ein Zusammenhang zwischen dem aktuellen Bildungsdiskurs und dem handlungsbezogenen Aneignungskonzept. Schlüsselqualifikationen wie personale Kompetenz z. B. Offenheit, Neugier und Risikoabschätzung und weitere Handlungskompetenzen, die auch für das schulische Lernen relevant sind, werden von Heranwachsenden gerade in ihren Lebensräumen und somit vor allem im Bereich der informellen Bildung erworben (vgl. Deinet, 2004, S. 177). »Lernen in Lebensweltbezügen ist immer auch räumlich zu sehen. Mit der aktiven Aneignung von Räumen erfährt man etwas über die gesellschaftlichen Verhältnisse, Regelugen, Macht und Herrschaftsverhältnisse, über dominierende Werthaltungen, die über Räume vermittelt werden. Wir halten uns immer in Räumen auf – und die Qualität der Erfahrungen, die man in ihnen machen kann, bestimmt persönliche und gesellschaftliche Entwicklung.« (Stoltenberg, 2007, S. 10)

In öffentlichen Räumen lernen Individuen mit fremden Situationen umzugehen, sie lernen sich im Raum zu positionieren, ihn zu begreifen und sich anzueignen. Dabei werden über den Raum immer auch gesellschaftliche Werte vermittelt, die sich bei der Aneignung entschlüsseln und das Verhalten der Heranwachsenden verändern bzw. beeinflussen. Aufgrund dessen ist Aneignung auch als »Bildungsprozess im Raum zu verstehen« (Deinet & Reutlinger, 2004, S. 8). Bei dem Konzept der Aneignung, d.h. bei der tätigen Auseinandersetzung mit der Umwelt, finden Entwicklungsprozesse statt, die dem informellen Lernen zugeordnet werden können. Raumaneignung begünstigt informelle Lernprozesse und den Erwerb von Kompetenzen. Die Möglichkeit bestimmte Kompetenzen zu entwickeln hängt zum einen von der Struktur der jeweiligen Lebensrealität ab, zum anderen von den Fähigkeiten der Einzelnen sich diese Lebenswelt anzueignen (vgl. Deinet, 2004, S. 177).

R AUMNUTZUNGSMUSTER VON K INDERN J UGENDLICHEN IN URBANEN R ÄUMEN

UND

Die meisten Menschen wohnen in urbanen Räumen. Städte sind weltweit Orte des Wohnens, des Arbeitens und der Freizeit, die sich laufend verwandeln (vgl. Reutlinger, 2001, S. 29). Die Stadt, beziehungsweise der Stadtteil, in dem Kinder

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und Jugendliche aufwachsen und sich entfalten, besitzt bei ihnen als Lebensraum einen großen Stellenwert. Analysiert man das Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen in urbanen Räumen, kann man feststellen, dass dieses sich je nach untersuchten Gruppen voneinander unterscheidet. So verbringen Mädchen z. B. mehr Zeit mit der Familie und Verwandten als Jungen. Dies legt zugleich nahe, »dass Mädchen stärker in die Aktivitäten des Elternhauses eingebunden werden bzw. eher Restriktionen hinsichtlich der Ausgestaltung ihrer Freizeit unterliegen« (Plöger & Stiewe, 2011, S. 3). Auch gehen Mädchen am Nachmittag eher Aktivitäten wie Lernen und Lesen nach, während Jungen mehr Sport treiben und sich im Freien aufhalten (vgl. ebd.). Bei beiden Gruppen ist der Medienkonsum, wie Fernsehen, Computeraktivitäten oder Musik hören, von immer größerer Bedeutung, wobei nachmittags mehr Jungen ihre Zeit damit verbringen, während abends beide Gruppen davon betroffen sind. Bewegung ist für Kinder und Jugendliche ein wichtiges Raumnutzungsmuster. Heranwachsende wechseln oft ihre Standorte und sind viel in (halb-) öffentlichen Räumen unterwegs. Eine Studie zu Lieblingsräume von Jugendlichen hat ergeben, dass die meisten Jugendlichen sich am liebsten in öffentlichen Räumen treffen, die ihnen verschiedene Nutzungsmöglichkeiten einräumen, da Aktivitäten oft nicht vorher geplant sind, sondern sich spontan ergeben und abhängig von unterschiedlichen Faktoren wie Wetter, Gruppenzusammensetzung und anderen Gegebenheiten sind. Als Grund, warum sie sich an diesen Orten treffen, wird oft das Motiv »Rumhängen« oder auch nur »zusammen sein« genannt (vgl. Schnurr, 2009). Mit öffentlichen Räumen sind Orte im Freien gemeint, zu denen z. B. grünbetonte Flächen, Bolz- und Spielplätze, Parkanlagen, brachliegende Flächen oder der Straßenraum zählen. »Keine Altersgruppe benutzt diesen gesellschaftlichen Raum so viel und so intensiv, wie dies die Sechs- bis Achtzehnjährigen tun; und was die Kinder und Jugendlichen an diesem Ort alles lernen, lässt sich in seiner Bedeutung durchaus den Lernorten ‚Schule‘ oder ‚Familie‘ gleichsetzen.« (Zinnecker, 1997, S. 93)

Diese Orte unterliegen keiner Kontrolle der Erwachsenen und werden als »Rückzugsorte« genutzt, in denen die Jugendlichen ihre Ruhe haben wollen (vgl. Schnurr, 2009). Des Weiteren zählen jedoch auch halböffentliche Räume, zu denen öffentlich zugängliche verhäuslichte Räume wie z. B. Bahnhöfe, Einkaufspassagen oder Kaufhäuser und institutionalisierte öffentliche Räume wie Vereine, Musikschulen, Sportanlagen etc. (vgl. Deinet, 2010) gehören, zu beliebten Plätzen von Jugendlichen. Dort werden Tätigkeiten wie Shoppen, Freunde treffen, Gastronomie, Unterhaltung, Sport und Musik ausgeübt. Oft wollen Heran-

R AUMANEIGNUNG

ALS INFORMELLER

L ERNPROZESS | 221

wachsende aber auch einfach nur an Orten sein, wo etwas »abgeht«, wo sie sich inszenieren können und unter Menschen sind. Diese Räume dienen als »Bühnenorte« (Schnurr, 2009, S. 7), in denen sie die ältere Generation kennen lernen, sich mit ihr vermischen oder sich von ihr abgrenzen können. Für Heranwachsende sind diese Räume nicht nur Spiel-, Aufenthalts- und Erlebnisräume sondern auch »Orte der Bewegung und der Begegnung sowie Orte des eigenständigen Lernens« (BMVBS, 2010, S. 3).

E INFLUSSFAKTOREN UND - ANEIGNUNG

DER

R AUMNUTZUNG

Inwieweit Kinder und Jugendliche diese (halb-)öffentlichen Räume nutzen und sich aneignen können, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Der Zugang zu den unterschiedlichen Räumen wird »sehr stark durch familiale Faktoren, wie ökonomische, soziale, kulturelle sowie zeitliche Ressourcen der Herkunftsfamilie determiniert« (Grunert, 2006, S. 29). Junge Menschen mit hohem Sozialstatus sind so öfter in Institutionen wie Vereinen, Sprach-, Musikschulen etc. aufzufinden, als solche mit niedrigem Sozialstatus, die ihre Freizeit eher im Freien oder im Kreise der Familie verbringen. Dies liegt größtenteils daran, dass in sozialschwachen Familien die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind. Es kann aber auch daran liegen, dass diesen Tätigkeiten keine große Bedeutung beigemessen wird. Das ökonomische Kapital wirkt sich aber auch auf die Raumaneignung von öffentlich zugänglich verhäuslichten Räumen, wie beispielsweise Einkaufspassagen aus. »Wer dies reichlich besitzt, kann damit einen Distinktionsgewinn erzielen und sich in diesen Räumen durchsetzen.« (Frey, 2004, S. 226) Ebenso spielen Finanzmittel eine Rolle bei der Wahl der Verkehrsmittel. »Um Zeit nutzen und Raum überwinden zu können, muss das Individuum Kapital einsetzen« (ebd.). Damit hat das Kapitalvolumen der Eltern großen Einfluss auf die Raumnutzungsmöglichkeiten ihrer Kinder. Ein Jugendlicher, der ein Fahrrad oder eine ÖPNV-Fahrkarte besitzt, ist mobiler als ein Jugendlicher, der sich nur zu Fuß bewegt. Er hat somit die Möglichkeit weiter entfernte Orte aufzusuchen. Andererseits spielt jedoch auch die Zeit der Eltern eine wichtige Rolle. Haben Eltern Zeit, ihre Kinder zu bestimmten Orten mit dem Auto zu fahren, ermöglichen sie ihnen somit, ihre Lebensräume auszudehnen. Kinder und Jugendliche, die auf dem Land wohnen, müssen stärker in ihrer Mobilität unterstützt werden, da hier größere Distanzen zu speziellen Orten zu überwinden sind und das Verkehrsnetz oft nur unzureichend ausgebaut ist.

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»Weiterhin werden vom Elternhaus Vorgaben und Restriktionen gemacht, bestimmte Lebensstilformen vorgelebt und Vorlieben vermittelt.« (Plöger & Stiewe, 2011, S. 7) So kann die Unterstützung der Familie die Cliquenorientierung von Kindern und Jugendlichen beeinflussen (vgl. Deinet & Icking, 2009, S. 71). Aber auch die Peergroups, die oft sozial homogen zusammengesetzt sind, beeinflussen die Raumnutzung und -aneignung von Heranwachsenden: »Über sie können Gruppenzwang ausgeübt, Moden und Präferenzen ausgelebt und Zugehörigkeiten definiert werden.« (Plöger & Stiewe, 2011, S. 7) Oft werden Orte zusammen mit der Peergroup aus- und aufgesucht und gemeinsam angeeignet. Die Zugehörigkeit zu Peergroups führt aber auch dazu, dass bestimmte Räume gemieden werden, da sie mit Konflikten oder sogar Ängsten verbunden sind. So meiden Jugendkulturen die Territorien anderer Gangs, um Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Diese Einflussfaktoren sind bei der Raumaneignung von Kindern und Jugendlichen von großer Bedeutung. Sie ermöglichen bzw. verhindern die Aneignung unterschiedlicher öffentlicher Räume. Aber nicht nur Familie und Peergroups beeinflussen das Raumnutzungsmuster von Heranwachsenden sondern auch die Beschaffenheit der öffentlichen Räume an sich. Je vielfältiger die unterschiedlichen Freiräume sind, desto größer ist der Anreiz sich draußen aufzuhalten. Freiräume sind eine »zentrale Grundbedingung für das gesunde Aufwachsen von jungen Menschen« (BMVBS, 2010, S. 9) und »bilden den Rahmen für die lebensweltliche Sozialisation von Kindern und Jugendlichen im Wohnumfeld, im Quartier und in der Stadt« (BMVBS, 2010, S. 3). Das Bild der Stadt wandelt sich jedoch stetig, sodass die Raumnutzungsmuster von Kindern und Jugendlichen sich den gegebenen Veränderungen anpassen müssen. Gerade in den letzten Jahrzehnten hat das Städtebild einen enormen Umschwung erfahren. Die Lebensrealitäten von Kindern und Jugendlichen sind mehr als je zuvor »epochalen Veränderungen« (Bauer, 2010, S. 16) ausgesetzt. Öffentlich zugängliche Plätze, die multifunktional nutzbar sind, gibt es nur noch wenige. Heutzutage werden Kinder und Jugendliche in Binnenräume, wie z. B. Spielplätze und Grünflächen gedrängt, die oft künstlich geschaffen und spezialisiert worden sind. Auch wurden vermehrt Institutionen geschaffen, um einerseits Räume für Kinder und Jugendliche zu schaffen, andererseits aber auch als »Entlastungsbedarf bei der Kinderbetreuung« (Zeiher & Zeiher, 1994, S. 21) zu dienen. Diese speziellen Orte liegen wie Inseln verstreut in der Stadt und es existieren immer weniger öffentliche Räume, die Heranwachsende selbst gestalten bzw. umgestalten können (vgl. Liegle, 2008; Madlener, 2004, S. 97).

R AUMANEIGNUNG

R OLLE

DER

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L ERNPROZESS | 223

J UGENDARBEIT

Die meisten Räume, die für Kinder und Jugendliche entwickelt werden, sind künstlich geschaffen und phantasielos (vgl. Fischer & Schwarz, 2005, S. 29). Sie bieten den Heranwachsenden keine Möglichkeit zur freien Entfaltung, sondern wirken eher wie »Reservate« für Kinder und Jugendliche, was dazu führt, dass diese die für sie gebauten Plätze nicht frequentieren. Statt sie vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihnen somit ein Gefühl von Machtlosigkeit zu geben, sollte man ihnen die Möglichkeit geben, an der Raum- und Stadtplanung teilzuhaben und so Räume für sich selber mit gestalten zu können. Räume entstehen durch die Handlungen von den Akteuren vor Ort, die in diesem Fall die Kinder und Jugendlichen sind, aber auch durch Handlungen von Raumplanern, welche diese Orte planen und gestalten. »Am allerwenigsten waren bisher die Kinder selbst diese GestalterInnen – es gibt aber auch Ausnahmen.« (Brunner, 2005, S. 23) Laut Stange (2001, S. 213) bringt die Partizipation von Kindern und Jugendlichen an der Stadtplanung erhebliche Vorteile. Kinder und Jugendliche haben eine realistische Einschätzung, sind geduldig und erwarten keineswegs eine Umsetzung ihrer Ideen, kennen sich oft besser in ihren Wohnumgebungen aus und empfinden den Verkehr als ein zu überwindendes Hindernis. »Die Beteiligung von Kindern an Planungsprozessen ist zwar aufwändig, »zahlt« sich anschließend aber doppelt aus: Nicht nur, dass eine bedürfnisgerechtere Gestaltung dabei herauskommt, die Kinder gehen anschließend beispielsweise anders mit »ihrem« Schulhof um.« (Stange, 2001, S. 213)

Der Raum bekommt für die beteiligten Kinder und Jugendliche eine andere Bedeutung. Für junge Menschen ist es wichtig, dass sie bei den Prozessen ernst genommen werden und ihnen Beachtung geschenkt wird, denn das ist heute oft nicht der Fall. Durch ihre Beteiligung können sich soziale, politische und kulturelle Kompetenzen deutlich ausprägen (vgl. Deinet, 2010, S. 94). Sie erkennen, dass sie Räume auch verändern können und diese nicht als unveränderbar hinnehmen müssen. »Kinder brauchen keine perfekt »durchgestylten« Freiräume und auch keine Jahrhundertbauwerke, sondern möglichst viele, unterschiedlich gestaltete, niemals »fertige« Freiflächen, die durch ein Netz sicherer Wege miteinander verbunden sind.« (Stange, 2001, S. 214)

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Laut Deinet & Krisch (2013) spielt hier die kommunale Jugendarbeit eine besondere Rolle. Diese hat unter anderem die Aufgabe, einen »sozialräumlichen Blick« zu entwickeln, mit dem sie die Qualitäten der Räume von Kindern und Jugendlichen zu verstehen versucht. So muss zunächst untersucht werden, in welchen Räumen Kinder und Jugendliche leben und wie sie diese wahrnehmen. Basierend auf den Bedürfnissen und Interessen der Heranwachsenden ist es dann die Aufgabe der sozialräumlichen Jugendarbeit, Angebote für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Zunächst kann die Jugendarbeit Aneignungsmöglichkeiten unterstützen, indem sie Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit gibt, ihre Orte, d.h. die Einrichtungen, zu gestalten und zu verändern. Die Heranwachsenden müssen bei dem Wunsch, einen Raum anders zu gestalten, miteinander kommunizieren, Ideen entwickeln und präsentieren, demokratisch abstimmen, Entscheidungen treffen und sich selbst organisieren können. Des Weiteren kann die Jugendarbeit durch intentionale Angebote Aneignungsprozesse im öffentlichen Raum herausfordern. Die Kinder- und Jugendarbeit hat hier das Ziel, die Heranwachsenden zu der Realisierung ihrer Pläne zu unterstützen. Dabei agiert sie oft »als Mediator zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen« (Deinet, 2009, S. 26), d.h. sie vermittelt zwischen der Erwachsenen- und der Jugendkultur, und übernimmt dadurch eine »Scharnierfunktion XII« (ebd.). Gerade weil Jugendliche in Planungen oft nicht berücksichtigt werden, ist es die Aufgabe der Jugendarbeit sich in Planungsprozesse einzumischen und für den Erhalt bzw. die Errichtung von Freiräumen für Kinder und Jugendliche zu kämpfen und eine Partizipation zu ermöglichen. Auch im Sozialgesetzbuch wird die Aufgabe der Jugendhilfe, die dazu beitragen soll, »positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen« (SGB, 2013, §1) und die Aufgabe der Jugendarbeit, Angebote zu schaffen, welche »an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen« (SGB, 2013, §11) formuliert. Damit fordert das Gesetz, dass auf die Interessen der Heranwachsenden eingegangen wird sowie ihre Rechte vertreten werden und dass ihre Fähigkeit zur Mitgestaltung unserer Gesellschaft gefördert wird (vgl. Sturzenhecker, 2009, S. 288). Aufgabe der Jugendarbeit ist es also neben einer Vielfalt von differenzierten Angeboten, die Bildungs- und Sozialisationsprozesse anregen können, auch die Erweiterung der Handlungsräume Jugendlicher zu unterstützen und sie in Partizipationsprozesse mit einzubeziehen. Die sozialräumliche Aneignung spielt eine große Bedeutung bei der Entwicklung und Sozialisation Heranwachsender. Bei

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der tätigen Auseinandersetzung mit der Umwelt finden Selbstbildungsprozesse statt und es entstehen spezifische Deutungsmuster, Nutzungsformen und Handlungsoptionen unter den Jugendlichen (vgl. Deinet & Krisch, 2013, S. 313). Damit kann die Raumaneignung als ein wesentliches Bildungskonzept der Jugendarbeit aufgefasst werden (vgl. Biewers, 2011, S. 45). Die Jugendarbeit lässt sich aufgrund ihrer sozialpädagogischen Ziele, die oft sozialen Bildungsprozessen gleichzusetzen sind, »als Ort informellen Lernens begreifen« (Deinet & Krisch, 2013, S. 322).

D ER BMX- UND S KATEPARK S CHLACHTHOF – F ORSCHUNGSERGEBNISSE Der ausgewählte Forschungsraum ist der BMX- und Skatepark Schlachthof in Flensburg, in dem die Raumaneignung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen untersucht werden soll. Um die Interaktionsmöglichkeiten der Heranwachsenden aufzudecken, wurde zunächst die Strategie der Ethnographie verwendet. Im Sinne der Grounded Theory, einem aus der amerikanischen Soziologie stammenden Forschungsstil, der auf Basis zahlreicher Daten versucht, Theorien zu einem konkreten Gegenstand zu entwickeln (vgl. Hülst, 2010), wurde auch hier eine offene Herangehensweise an den Forschungsraum gewählt, d.h. zunächst wurden zahlreiche Daten gesammelt. Die Wahl des induktiven Vorgangs ermöglichte es, aus einer Summe von Beobachtungen Theorien zu entwickeln, d.h. von den Einzelaussagen auf das Allgemeine zu schließen. Die entwickelten Theorien wurden einerseits durch weitere Beobachtungen bestätigt und andererseits durch halbstrukturierte Interviews ergänzt und analysiert. Merkmale der Nutzer Während der Beobachtungen am BMX- und Skatepark Schlachthof konnte festgestellt werden, dass sehr heterogene Altersgruppen den Park nutzen. Der jüngste BMX-Fahrer ist drei Jahre alt, wobei dieser noch kein eigenes BMX-Rad besitzt und auf den Verleih angewiesen ist. Der älteste, aktive Fahrer, der während der Ethnographie angetroffen wurde, ist ein 35-jähriger Skateboarder. Je nach Altersgruppe unterscheidet sich die Nutzerzeit. Studenten bzw. ältere Skateboarder und vereinzelt auch BMX-Fahrer suchen den Park des Öfteren morgens auf, da dieser während der Schulzeit kaum besucht wird. Nicht selten ist es auch der Fall, dass morgens trotz des guten Wetters niemand im Park ist. Nach der Schule kommen dann sechs- bis 18-jährige Nutzer in den Park. Die über 18-jährigen Fahrer, die meistens schon zur Arbeit gehen, erscheinen häufig nach Feierabend so gegen 17 bis 18 Uhr, wenn die jüngeren BMX-Fahrer bereits nach Hause fah-

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ren. In der Skateboard-Szene ist aufgefallen, dass die meisten Skateboarder schon älter zu sein scheinen und kaum welche unter 18 Jahre alt sind. Auch die Wohnorte der Parknutzer unterscheiden sich sehr voneinander. Wohnen einige in der Flensburger Neustadt und befinden sich nur einen Katzensprung von dem BMX- und Skatepark entfernt, leben andere in weiter entfernten Stadtteilen wie Mürwik oder Engelsby oder sie kommen sogar aus anderen Dörfern wie Husby, Handewitt, Großsolt oder Tarp. Einige fahren bis zu zehn Kilometer mit dem BMX-Rad, um in den Skatepark zu kommen. Ein zehnjähriger BMXer aus Husby fährt mit dem Zug nach Flensburg und wieder zurück, wenn seine Mutter ihn nicht bringen kann. Durch Ausrichtungen von Contests, Workshop-Angeboten und Events ist der BMX- und Skatepark bereits bundesweit bekannt. Das führt auch dazu, dass am Wochenende auch mal BMX-Fahrer aus Hamburg oder aber auch aus Dänemark im Park auftauchen. »In einem Gespräch mit einem siebzehnjährigen BMXer aus Hamburg hat sich herausgestellt, dass dieser seit ca. drei bis vier Jahren am Schlachthof ist und im Sommer fast jedes Wochenende kommt. Als Grund dafür gibt er an, dass in Hamburg alles für Skater ist und die Rampen schlecht behandelt werden.« (Auszug aus dem Forschungstagebuch 22.04.2013)

Der BMX- und Skatepark Schlachthof ist demnach eine »Insel«, die von den Heranwachsenden durch unterschiedliche Verkehrsmittel aufgesucht wird. Durch den Vergleich der Wohnorte, die teilweise auch kennzeichnend für den sozialen Status sind, ist festzustellen, dass bei den Kinder und Jugendlichen am Schlachthof eine soziale Vermischung stattfindet. Beobachtet wurde, dass weder bei den Skateboardern noch bei den BMXFahrern das weibliche Geschlecht stark vertreten ist. Während der gesamten Beobachtungsphase waren insgesamt zwei Mädchen, die Skateboard gefahren sind, und acht BMX-fahrende Mädchen vor Ort. Zwei der BMX-Fahrerinnen waren im Zusammenhang mit der schulischen BMX-Rabauken AG am Schlachthof und wurden auch nur zur Zeit der AG gesichtet. Zwei andere Mädchen unter zehn Jahren sind in der letzten Beobachtungswoche des Öfteren in den Park gekommen. Der Vater des einen Mädchens suchte gemeinsam mit seinem Sohn, seiner Tochter und deren Freundin fast täglich den Schlachthof auf. Die kleine Schwester eines zehnjährigen BMX-Fahrers ist auch zwei Mal im Park gesichtet worden, kommt meistens jedoch nur am Wochenende in Begleitung ihrer Mutter. Manchmal bringt sie eine Freundin mit. Zwei sechzehnjährige Mädchen sind durch ihre Freunde in den Park gekommen. Ein Pärchen fährt BMX, das andere Skateboard. Im Laufe der Beobachtungszeit wurden die beiden im Park zwar ein

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paar Mal gesehen, sind aber nie ohne ihre Freunde im Park gewesen. An einem Abend fuhr eine Erwachsene Skateboarderin mit den anderen Skateboardern im Park. Das einzige Mädchen, das den Park jedoch seit längerer Zeit wirklich regelmäßig aufsucht und aktiv fährt, ist die dreizehnjährige Lisa1, die über ihren großen Bruder zum Skatepark gekommen ist. Neben den Mädchen, die den Skatepark nutzen, gibt es jedoch auch noch Mädchen, die den Skatepark aufsuchen um zuzuschauen. An einem schönen Tag besuchen rund 100 Kinder und Jugendliche den Skatepark (vgl. auch Dillmann & Schwier, 2011). Nicht selten ist es jedoch der Fall, dass nur Lisa, die den Park so gut wie täglich aufsucht, als einziges Mädchen unter den Fahrern ist. Auch Skateboarder sind unter den Nutzern wenig vertreten. An einem schönen Tag frequentierten fünfzehn Skateboarder den Park. Eine Zahl, die während der gesamten Beobachtungsphase nicht übertroffen wurde. Ebenfalls wurden kaum Aggressiv Skater im Park gesehen. Bis auf einen, der regelmäßig erscheint, ist diese Szene nicht im Park vertreten. In den Interviews wurde als »Warm up« die Frage gestellt, wie der Interviewte zum Schlachthof gekommen ist. Die meisten der Befragten sind durch Freunde, Bekannte oder Verwandte auf den Skatepark aufmerksam gemacht worden. Es gibt aber auch einige, die im Vorbeigehen den Schlachthof entdeckt haben und seitdem zum Fahren herkommen. Wiederrum andere sind durch das Pfingstfest »72,5 hours Schlachthof«, welches von der BMX-Szene und den Sportpiraten jährlich organisiert wird, auf den Skatepark aufmerksam gemacht worden. Zwei der Interviewten haben sogar ihr erstes BMX-Rad bei der Verlosung während des Festes gewonnen. Aufenthaltsorte Auffällig war, dass die meisten Skateboarder einen bestimmten Teil des Skateparks bevorzugten und die anderen Bereiche kaum nutzten. So wurde oft beobachtet, wie die Skateboarder direkt in den neuen Streetbereich gegangen sind, ihre Sachen dort vor den Container oder auf die Rasenfläche gelegt haben, und dort gefahren sind. Selten hat ein Skater die alte Streetfläche oder den Poolbereich genutzt. Waren Skateboarder im Park, fiel auf, dass die älteren BMXer, sich eher in den alten Streetbereich zurückzogen, während die jüngeren BMXFahrer trotzdem noch den neueren Streetbereich nutzten, was manchmal zu gegenseitigen Behinderungen zwischen Skateboardern und den jüngeren BMXern führte. Auch gibt es Beschwerden seitens der Skateboarder, dass die BMXFahrer immer auf den Rampen stehen bleiben. »Ich versteh das selber nicht.

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Der Name wurde verändert.

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Dann stehen die da immer ewig rum. Dann kommt da noch einer und noch einer und dann ist das ein ganzer Haufen, dann kommt man von keiner Seite mehr ran.« (Interview 29-Skateboarder:15-16) Der Dirtpark wurde im Laufe der Beobachtungsphase nur ein Mal genutzt. Während drei ältere Jungs Dirts gesprungen sind, saßen fünf kleinere Jungs am Rand des Dirtparks und haben den Älteren zugeschaut. Die jüngeren BMXer lagerten ihre Rucksäcke auf dem Holzpodest oder der Tribüne, während die älteren BMXer, die Teamer sind, ihre Sachen in einem Regal im Verleihcontainer lagern können. Dementsprechend verteilten sich die BMX-Fahrer und Skateboarder auch in ihren eingelegten Pausen und verweilten dort, wo sie ihre Sachen abgelegt hatten. Die BMXer fahren meistens von einem bestimmten Ort aus los, an dem sie sich gesammelt haben. So stehen manchmal am Ende des Poolbereichs, von dem man in den Streetbereich hin zur alten Jump Box hineinfährt, oder auf der alten Jump Box mehrere BMXer. Beobachtet wurden einmal neun BMX-Fahrer auf der alten Jump Box, die an den Rändern dieser standen. Immer einer zurzeit fuhr von dort zur Flensburger Malz Rampe und wieder zurück zur Jump Box. Stehen sie am Ende des Poolbereichs, fahren sie von dort aus los über die alte Jump Box hin zur Flensburger Malz. Ist der Park nicht so voll, wird auch der komplette Park genutzt. Während die Größeren eher in einer Gruppe zusammenstehen und gemeinsam fahren, sind die kleineren BMXer im ganzen Park verteilt in kleineren Gruppen vorzufinden. In Flensburg und Umgebung gibt es neben dem Skatepark Schlachthof noch je einen Skatepark in Engelsby, in Weiche und in Harrislee. Viele Skateboarder haben in den Interviews angegeben, dass sie auch an anderen Orten, vor allem in Harrislee, skaten, da dort die Rampen besser geeignet und nicht so »heftig gebaut« sind und auch in einem besseren Winkelverhältnis zueinander stehen, als die am Schlachthof. »Mein Lieblingspark…Ich würde sagen in Harrislee, ja. Weil ich da einfach viel mehr Möglichkeiten habe, so einfach bunt durch die Gegend zu fahren.« (Interview 29-Skateboarder:1-2) Von den interviewten BMXern fahren mittlerweile nur noch wenige an anderen Orten und diejenigen, die es tun, fahren dort vor allem aus dem Grund, dass sie in der Nähe wohnen und dann aufgrund von Zeitproblemen eher den Park in Engelsby oder in Harrislee nutzen. Früher sind viele noch an anderen Orten gefahren. »Damals war das auch noch so, dass wir überall gefahren sind…Wir sind in Harrislee gefahren, in Weiche…Irgendwann hatten wir später bei [einem] auf dem Dorf auch eine eigene Scheune, wo wir ein paar Rampen hin gezimmert haben. Da sind wir dann ganz viel gefahren und teilweise die ganzen Nächte durch… und äh… Ja früher war das echt noch so, wir haben uns irgendwie getroffen und sind dann immer mit allen anderen BMXern…

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also die kamen ja überall her…haben uns dann am Schlachthof getroffen, sind wir dann nach Weiche, Harrislee, Kühlhaus damals noch, Glücksburg... Also, wir sind echt überall gefahren.« (Interview 18-BMXer:1-2)

Wenn man jetzt nachfragt, warum das nicht mehr der Fall ist, bekommt man folgende Antwort: »Guck mal raus« (Interview 34-BMXer:1-2). Vergleicht man die Angebote der anderen Skateparks mit dem Schlachthof, sticht dieser durch seine Größe und Vielfalt deutlich hervor. Viele der BMX-Fahrer haben angegeben, dass sie nicht mehr in anderen Orten in der Nähe von Flensburg aber dafür in anderen deutschen Städten oder sogar im Ausland fahren. Spiele Selten fahren BMXer alleine. Meist fahren sie zusammen in Gruppen und spielen dabei Spiele, wie Bike, Line oder Train. Bei dem Spiel Bike, geht es darum, dass einer einen Trick vorfährt und die anderen den nachmachen müssen. Wer den Trick nach drei Versuchen nicht schafft, scheidet aus. »Zwei BMXer scheinen ein Spiel zu spielen: Einer der beiden fährt und macht Tricks vor und der andere versucht diese zu imitieren.« (Auszug aus dem Forschungstagebuch 16.04.2013) Das Spiel Line ist ähnlich wie das Spiel Ich packe meinen Koffer: Einer macht einen Trick vor, der andere macht den Trick nach und einen neuen Trick vor etc. Bei dem Spiel Train geht es nicht darum, Tricks zu fahren sondern möglichst querfeldein und dicht hintereinander durch den Park zu fahren. Nicht selten wird bei diesen Spielen durch Ching Chang Chong entschieden, wer zuerst fahren darf. Ebenfalls wurde des Öfteren beobachtet, dass die Heranwachsenden ihre Sportgeräte austauschen. Dies geschieht nicht nur unter BMXern. Ein neunjähriger Skateboarder, der zurzeit kein BMX-Rad besitzt, versuchte mehrmals mit anderen zu tauschen. Allerdings waren diese Tauschaktionen nie von langer Dauer. Auch bei Skateboardern gibt es Spiele, wie in Interviews berichtet wurde. Es konnte allerdings nur beobachtet werden, wie einzelne Personen sehr ehrgeizig versuchten, ein Kunststück zu vollbringen. Einige BMXFahrer üben Tricks, die sie in Videos oder woanders aufgegriffen haben, für sich. Die meisten Fahrer im Park lernen die Tricks jedoch nicht alleine, sondern bringen sie sich gegenseitig bei oder üben miteinander. Dabei wurde des Öfteren beobachtet, wie sie sich gegenseitig motivieren und auch bejubeln. »Ein Junge springt über den kleinen Teil der mittleren Jump Box. »Wie schlecht! Weißt du wie das geht? Du musst dich dabei nach vorne lehnen.«, sagt ein anderer Junge zu ihm. »Wie?«, fragt der erste wieder. Daraufhin macht der andere den Trick vor und zeigt es ihm.« (Auszug aus dem Forschungstagebuch 24.05.2013)

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Dies geschieht nicht nur innerhalb der Fahrergruppen, die sich gebildet haben. Die kleineren BMX-Fahrer, die sich auch bei den besseren Fahrern ihre Tricks abgucken, kommen auch auf die Großen zu und bitten um Hilfe. »Es gibt immer Leute, die nach Tipps fragen.« (Interview 6-BMXer:13-14) Bei den Skateboardern wurde ähnliches beobachtet. Auch hier gab man sich gegenseitig Tipps und motivierte einander. Aber nicht nur innerhalb der Szenen, sondern auch szenenübergreifend wurden Formen von Motivationen beobachtet. »Eine BMXerin fährt dem Skateboarder mit Sonnenbrille ihren Sprung vor. »Guck mal«, ruft sie. »Wieder nur der Hinterreifen«, antwortet der Skateboarder. Daraufhin probiert sie es noch ein zweites Mal, guckt zum Skateboarder und bekommt von ihm einen hochgestreckten Daumen zu sehen. Sie freut sich.« (Auszug aus dem Forschungstagebuch 22.04.2013)

Regeln im Park Es gibt in der nicht öffentlichen Facebook-Gruppe »Teamerkommunikation« 35 Mitglieder. Teamer am Schlachthof kann jeder werden, der vierzehn Jahre alt ist, einen ersten Hilfekurs am Schlachthof mitgemacht hat und sich engagiert. Aufgabe der Teamer ist es, den Verleihcontainer zu besetzen und zu managen, falls nötig Erste Hilfe im Park zu leisten, Workshops anzuleiten und für Sauberkeit und Ordnung im Park zu sorgen. Viele der Regeln, die es im Park gibt, wurden nicht nur von der Stadt und der Jugendarbeit aufgesetzt, sondern mit den Teamern und manchmal auch zusammen mit anderen Nutzern vereinbart. Auf Teamer Meetings wird über das Geschehen im Park kommuniziert. Dabei werden Anregungen, Ideen und Wünsche genannt und über deren Umsetzung abgestimmt. Auch Regeln werden hier gemeinsam festgelegt. Obwohl viele dieser Regeln in Absprache mit den Teamern aufgesetzt wurden, gibt es auch einige von den Jugendarbeiten, wie z. B. das Verbot von Softhelmen seit dem schweren Sturz eines BMX-Fahrers. Bei dieser Regel ist es aber nicht so, dass Fahrer, die von außerhalb kommen und so einen Helm besitzen, nicht mehr fahren dürfen. Es geht eher darum, den »Locals« deutlich zu machen, dass Softhelme keine gute Schutzausrüstung sind. Die Regeln werden per Mail, persönlich im Park und bei Teamer-Treffen bekannt gegeben. Im Park hängen allerdings nur die Regeln der Stadt, von denen einige wie z. B. das Fahrverbot sonntags vor 15 Uhr nicht eingehalten werden, aus. Die Regeln der Sportpiraten hängen nicht im Park aus. Oft finden persönliche Ansprachen statt, oder die Nutzer im Park werden alle zusammengerufen, um ihnen neue Regeln mitzuteilen und alte, wenn nötig, in Erinnerung zu rufen. Die Teamer sind dafür zuständig, dass alle diese Regeln kennen und einhalten.

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Es können sich aber auch Nicht-Teamer an die Jugendarbeit wenden und über die Regeln diskutieren. So wurde z. B. mit den Skateboardern der Kompromiss gefunden, dass die über 18-jährigen Akteure im Streetbereich keine Helmpflicht haben. Nur im Poolbereich und in der Miniramp gilt auch für sie eine Helmpflicht. Dabei gibt es auch die Ausnahmeregelung, dass bei Filmaufnahmen die Helmpflicht aufgehoben ist. Neben den festgelegten Regeln gibt es ungeschriebene Regeln im Park, die man eigentlich durch das Fahren mitbekommt und lernt. Dazu gehören Regeln wie immer die Augen offen zu halten und Gefahrenzonen im Park zu kennen, in denen man sich nicht zu lange aufhalten sollte. So wird z. B. immer wieder darauf hingewiesen, dass das Fahren im Kreis gefährlich ist, da im Kreis fahrende Kinder leicht übersehen werden. Es wurde z. B. beobachtet, dass zwei Kinder frontal gegeneinander gefahren sind, weil der eine links um die mittlere Jump Box und der andere rechts herum gefahren ist. Es gibt auch die ungeschriebene Regel, dass man auf einer Rampe am Rand stehen bleibt und nicht den Weg versperrt. Viele Anfänger müssen erst noch lernen, das Tempo und die Fahrwege der anderen Fahrer einzuschätzen. Oft müssen die Großen abbremsen und den Jüngeren die Vorfahrt gewähren. Zwar sagen sie diesen, dass sie vorsichtig sein müssen, aber viele verstehen es danach wohl trotzdem nicht. Deswegen gab es in den Interviews einige ältere Fahrer, die zugegeben haben, dass sie auch mal bewusst, haarscharf an den kleineren BMXern vorbeifahren. »Ich hab halt auch schon ein Auge dafür und wenn ich über eine Rampe rüber springe sehe ich auch, oh da kommt jetzt gleich einer, aber mir ist es auch wichtig, dass der jetzt auch merkt, oh da kommt jetzt einer über die Ecke, deswegen versuch ich auch immer schön knapp daran vorbeizufahren, sodass sie es merken, oh das war jetzt knapp okay jetzt ist hier einer längsgefahren…So dass sie jetzt… nicht dass sie jetzt mit ihrer… keine Ahnung klingt jetzt doof, aber mit ihrer rosa roten Brille durch die Gegend fahren, so ja ... ich bin hier alleine und mir kann nichts passieren. Natürlich sprech ich sie dann auch immer drauf an« (Interview 18-BMXer:33-34)

Aufgrund des offiziellen Charakters der Jugendarbeit und des Teamerkonzeptes existiert schon eine gewisse Rangordnung im BMX- und Skatepark. An oberster Stelle steht die Jugendarbeit, welche durch zwei Pädagoginnen und Pädagogen vertreten ist. Danach folgen die Teamer, die in der Abwesenheit dieser dafür zu sorgen haben, dass die Regeln eingehalten werden. »Die älteren Teamer haben vielleicht mehr Erfahrungen, aber haben eigentlich nicht mehr zu sagen.« (Interview 4-Aggressive Skater:7-8)

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Eigentlich haben alle Teamer die gleichen Rechte. Jeder ist dafür zuständig, dass die Regeln im Park eingehalten werden und keiner der Teamer hat dabei eine besondere Rolle. Allerdings kommt es vor, dass jüngere Teamer nicht so ernstgenommen werden, wie die Älteren, die durch ihre Erfahrungen und ihr Alter autoritärer wirken. Ein Jung-Teamer konnte sich nicht durchsetzen und hat sich deswegen an die pädagogischen Mitarbeiter und die älteren Teamer gewendet. Werden die Regeln nicht eingehalten, kann ein Teamer ein Platzverbot gegen einen Nutzer des Parks aussprechen, was auch schon öfter vorgekommen ist. Gruppenbildung im Park Während der Beobachtung ist aufgefallen, dass die Skateboarder und die BMXFahrer zwar eher unter sich sind und so etwas wie Gruppen bilden, aber innerhalb der Szenen keine großen Abgrenzungen zu erkennen sind. Es haben sich zwar beim Fahren Altersgruppen gebildet, wobei es da auch eher um die Fähigkeiten geht. So fahren diejenigen, die in etwa auf einem Leistungslevel sind, miteinander. Das führt auch dazu, dass die Trennung nach Alter leicht verschwimmt. Ein zehnjähriger, für sein Alter sehr guter Fahrer, fährt z. B. eher mit den Jugendlichen, statt mit Kindern seiner Altersklasse. »Ja es ist jetzt nicht so, dass die Älteren zusammen fahren sondern es fahren halt die Guten und die Schlechteren, weil die Schlechteren bringen sich gegenseitig was bei und die Guten bringen sich gegenseitig was bei.« (Interview 16-BMXer: 4-5) Es kommt jedoch auch vor, dass Jüngere sich an die Älteren wenden (und in Einzelfällen sogar umgekehrt) und sie ansprechen und fragen, ob diese ihnen einen Trick zeigen können. Manchmal ist auch zu beobachten, dass jüngere BMXer zu Skateboardern fahren und sich mit denen unterhalten, sie fragen welche Tricks sie können und erzählen, was sie selber können. Es gibt keine strikte Trennung nach Können oder Alter. Gruppen bilden sich auch situationsabhängig. Sind nicht so viele Nutzer im Park, bilden sich auch mal altersheterogene Gruppen. Man kann jedoch sagen, dass aufgrund der Jugendarbeit sich am Schlachthof eine große Gruppe gebildet hat. Zu dieser Gruppe kann zwar jeder dazugehören aber die Voraussetzung von Engagement seitens der Gruppenmitglieder führt dazu, dass einige sich nicht integrieren wollen und den Raum teilweise meiden, weil sie dadurch nicht mehr vollständig dazugehören. Geschlechtsspezifische Raumaneignung am Schlachthof In diesem Abschnitt wird ein beobachtetes Phänomen, die geschlechtsspezifische Raumaneignung, vertieft dargestellt und diskutiert. Weitere durchaus interessante Schwerpunkte hätte der Konfliktherd Skateboarder und die Rolle der Jugend-

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arbeit, d. h. die institutionellen gegen die informelle Ebene sein können. Bei der Untersuchung wird versucht, die Raumaneignung aus der Subjektperspektive heraus zu betrachten. Dabei ist zu beachten, dass nicht wertfreie Räume angeeignet werden, sondern Räume immer gesellschaftlich definiert, funktionalisiert und besetzt sind. Deshalb werden nicht nur die Deutungen und Handlungen von Kindern und Jugendlichen in diesem Raum erforscht, sondern auch die in den Räumen eingelagerten gesellschaftlichen Strukturen (vgl. Derecik, 2009, S. 161). Wie bereits erwähnt sind am BMX- und Skatepark Schlachthof kaum Mädchen unter den Nutzern des Parks zu finden. Die meisten Tage, an denen beobachtet wurde, war unter all den BMX-Fahrern nur Lisa im Park. Somit ist der BMXund Skatepark eindeutig männlich dominiert. Um herauszufinden, warum dies so ist, wurden mehrere Interviews geführt. Im Laufe der Beobachtung sind ebenfalls einige Feldinterviews mit Müttern oder Zuschauerinnen entstanden. Unter den Interviewpartnern waren die beiden Mädchen, die über ihre Freunde an den Schlachthof gekommen sind, und Lisa als aktive Fahrerinnen sowie die 18jährige Schwester von einem BMX-Fahrer, die früher selbst gefahren ist. Auch wurden die drei Zuschauerinnen interviewt, die auf das Gruppeninterview bestanden. Des Weiteren sind die beiden pädagogischen Mitarbeiter der Sportpiraten und die anderen Interviewpartner zu dem Thema »Mädchen im Park« befragt worden, um ein vielfältiges Meinungsbild zu bekommen. Nicht nur mehrere männliche Interviewpartner, sondern auch die weiblichen haben als Grund genannt, dass dieser Sport ein »Jungensport« und ein Extremsport sei, der von Mädchen aufgrund von Angst und Verletzungsgefahr nicht ausgeführt wird. »Männersportart. Es ist einfach so, ja. Frauen haben Angst vor Geschwindigkeit und vor Höhe und das ist halt beides BMX.« (Interview 21BMXer:10-11) So gut wie alle durch Feldinterviews befragten Mädchen, die sich am Schlachthof aufhielten, aber nicht selber aktiv fuhren, erzählten, dass sie Angst und Respekt vor den hohen Rampen hätten. Des Weiteren wurde von kleineren Mädchen berichtet, dass sie aufgrund eines Sturzes mit dem BMX-Fahren aufgehört haben. Das heißt, auch die Verletzungsgefahr spielt eine größere Rolle. Als weiterer Grund wurde die Eitelkeit von Mädchen genannt. Mädchen scheinen mehr auf ihr äußeres Erscheinungsbild zu achten, in das angeschlagene Knie nicht hineinpassen. »Wenn man noch klein ist und anfängt, dann achtet man auf so Sachen wie Verletzungen und so noch nicht. Aber wenn man dann schon älter ist und ständig blaue Flecken überall hat, ist das ja nicht mehr so schick und dann denkt man sich so gut, okay dann bleiben wir doch beim Zuschauen.« (Interview 31-weiblich:1-2)

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Hier wird auf ein geschlechtstypisches Verhalten hingewiesen, welches sozial strukturiert ist. So wird das weibliche Geschlecht z. B. mit Charaktereigenschaften wie Empfindlichkeit, Sanftheit, Emotionalität, Einfühlvermögen oder Geduld verbunden (vgl. Madlener 2004). Auch zeigt sich, dass Extremsportarten eindeutig Sportarten sind, die mit dem männlichen Geschlecht verknüpft und diesem zugeschrieben werden. »Auffallend ist sicherlich, dass ästhetische, körperformende und weiche Sportpraktiken eher mit dem weiblichen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, während harte, risikoreiche und mit aggressivem Körperkontakt eingehende Disziplinen eher männliche Rollenmuster und Erwartungshorizonte ansprechen.« (Dillmann & Schwier, 2012, S. 48)

In (Bewegungs-)Handlungen werden immer schon bewusst oder unbewusst Geschlechterrollen assoziiert. Das Klettern oder Skaten ist eher »männlich«, während Gymnastik eindeutig mit »Weiblichkeit« verbunden wird. Obwohl wir in einer Gesellschaft leben, die die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern anstrebt, werden diese geschlechtsspezifischen Rollen den Heranwachsenden oft noch von Erwachsenen vermittelt. Mädchen wird gesagt, dass zum Beispiel Klettern nichts für sie ist. Mit dem Alter lernen die Mädchen zunehmend, wie sie sich aufgrund ihrer Geschlechterzugehörigkeit zu verhalten haben. Auch heutzutage finden sich Formen von geschlechtsspezifischen Rollenvermittlungen wieder (vgl. Madlener, 2004). So wurde neben der Aussage, dass BMX-Fahren und Skateboarden ein Jungensport sei, auch erwähnt, dass dieser Sport nicht zu Mädchen passt. »Er ist einfach nicht lady-like.« (Interview 7-Skateboarder:7-8) »Das passt einfach nicht so in das typische Mädchenbild.« (Interview 22BMXer:9-10) In unserer Gesellschaft wird den Geschlechtern also immer noch eine bestimmte Rolle zugeschrieben. Obwohl Mädchen mitterlweile auch so genannte Männersportarten betreiben und diese Sportarten eine steigende Anzahl an Teilnehmerinnen aufweisen, sind jugendliche Bewegungskulturen, wie das Skateboarden oder das BMX-Fahren meist männlich dominiert (vgl. Schwier, 2011). Denn gerade in diesen männlich dominanten Räumen können sich Kinder und Jugendliche »sowohl in Bewegung als auch sprachlich mit dem nach wie vor wirksamen polaren Modell der Geschlechterbeziehungen (aktiv/passiv, dominant/dominiert, riskant/sicher, stark/ schwach usw.) auseinandersetzen und derartige Polaritäten zelebrieren: Jungen gleiten virtuos auf dem Board oder kämpfen unter dem Korb um jeden Ball« (Schwier, 2011, S. 68).

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Da stellt sich die Frage, ob Mädchen es schwieriger haben, zu solchen jungendominierten Cliquen den Zugang zu finden und ob sie von diesen vielleicht weniger akzeptiert werden. Die meisten Mädchen, die das BMX-Fahren oder Skateboarden schon einmal ausprobiert haben, sind über ihre Freunde oder Bekannte an den Schlachthof gekommen. Für sie war es leicht, Zugang zu finden, da sie von ihren Bekannten in die Gruppe integriert wurden. »Dann hat [mein Bruder] gesagt, das ist meine Schwester und dann haben die mich halt alle irgendwie gemocht auf einmal.« (Interview 10-BMXerin:11-12) Wird man jedoch nicht durch die Unterstützung eines vor Ort akzeptierten Akteurs in die Gruppe integriert, muss man von sich aus die Initiative ergreifen und offen auf die Nutzer zugehen, sie ansprechen und den Kontakt zu ihnen aufnehmen. Bei dem Gruppeninterview mit den zuschauenden Mädchen stellte sich heraus, dass diese nicht nur aus Angst vor Verletzungen und dem Respekt vor den Rampen nicht fahren, sondern auch noch Angst vor der Blamage und der Ablehnung seitens der Jungen haben. »Angst von den Jungs ausgelacht zu werden. Ganz klar, würde ich jetzt mal behaupten.« (Interview 3-Gruppeninterview:3-4) Charakteristisch für von Jungen dominierte Cliquen ist vor allem, dass sie klar strukturiert und stilorientiert sind. Mädchen, denen hier ein Randgruppenstatus zukommt, werden oft abgewertet, tendenziell ausgeschlossen und vor allem nicht ernst genommen: »Wenn ein Mädchen den Versuch unternimmt zu skaten und es nicht von vornherein beherrscht (wie es anfangs bei allen Sportarten ist), dann ist sie in den Augen der Jungen »zu blöd« dazu. Sie ist ja »nur« ein Mädchen. Ein Junge hingegen, der es ebenfalls noch nicht so gut kann, wird akzeptiert« (Madlener, 2004, S. 81).

So gut wie alle Fahrer haben im Interview jedoch geäußert, dass Mädchen am Schlachthof sie nicht stören würden und sie offen dafür wären, wenn mehr Mädchen kämen. Auch die weiblichen Nutzer sind der Meinung, dass man Anschluss findet, wenn man die Initiative ergreift und offen auf andere zugehen kann. Lisa ist ein Beispiel dafür, dass auch Mädchen in die Gruppe integriert werden können. Während der Ethnographie konnte festgestellt werden, dass sie mit allen Jungs am Schlachthof klarkommt und in die Gemeinschaft vollständig integriert ist. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass primär aufgrund ihres Könnens von der Gruppe akzeptiert wurde. Dagegen spricht allerdings die Integration von zwei weiteren Mädchen, deren fahrerisches Können nicht besonders heraussticht. Fragwürdig bleibt jedoch, ob das bei den Mädchen, die keine Bekannten am Schlachthof haben, auch der Fall wäre. Eine erfahrene Teamerin

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ist allerdings der Meinung, dass auch unbekannte Mädchen sich in die Gruppe einfügen könnten. »Ich glaube, wenn du dich als Mädchen aufs Rad setzt, würde keiner irgendwas sagen, die würden dir eher noch helfen wollen. Ich hab bisher noch nie die Erfahrung gemacht, dass einer von den Jungs irgendwie schlecht auf Mädchen reagiert, eher positiv, […] Es sind ja auch alle super stolz auf [Lisa]. Eigentlich finden es alle ganz cool.« (Interview 31weiblich:4-5)

Andere Nutzer im Park sehen das jedoch anders. Sie glauben schon, dass eine Integration aufgrund der Überzahl an männlichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen problematisch sein könnte. »Ich glaub das hat einfach was … vielleicht mit dem Gefahrenpotenzial zu tun und weil die Szene einfach so dominant männlich ist. Ich glaube…das muss nicht sein […] Ich glaube der soziale Aspekt spielt da die größte Rolle. Also ich glaub das ist schwer für Mädchen sich hier einzufügen.« (Interview 35-Skateboarder:19-20)

Mädchen brauchen – ebenso wie Jungen – Anerkennung und Bestätigung. Misserfolgserlebnisse tragen sicherlich nicht zu ihrem Selbstwertgefühl bei. Sie führen eher dazu, dass die Mädchen den Ehrgeiz verlieren, aufgeben und die Rolle von Zuschauerinnen einnehmen (vgl. Madlener, 2004, S. 81). Mehrere Interviewpartner erwähnten, dass öfters Mädchen an den Schlachthof kommen, um BMX-fahren oder Skateboarden auszuprobieren, dies dann aber nach kurzer Zeit auch wieder sein lassen. Ob dies daran liegt, dass männliche Fahrer die Mädchen in ihrem Raum nicht dulden, konnte nicht beobachtet werden. Genauso gut kann das Aufhören mit den anderen bereits genannten Gründen, wie der Verletzungsgefahr, der Angst oder der Eitelkeit zu tun haben. »Aber auch unabhängig vom konkreten Verhalten männlicher Jugendlicher lassen allein schon die plakative Unverwüstlichkeit der Körperthematisierung und das machistische Image des Skateboardens, Streetballs oder Surfens diese Praktiken für zahlreiche Mädchen wenig attraktiv erscheinen« (Schwier 2011, S. 68).

Der Umstand, dass Mädchen in Extremsportarten immer noch ein Randgruppenstatus zukommt, wird teilweise auch ihrem Charakter zugeschrieben. Jungen sind eher dominanz- und stärkeorientert und weisen eher einen Wettstreitcharakter auf als Mädchen (vgl. Madlener 2004). Jungen beweisen sich gerne und prüfen, wer der Schnellere oder Stärkere ist. Bei allen fahrenden Mädchen hat sich

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entweder durch Interviews oder während der Beobachtungsphase gezeigt, dass sie vorsichtiger fahren und nicht so risikofreudig sind wie die Jungen. Auch in Gesprächen mit Eltern wurde ein Unterschied in den Fahrstilen beider Geschlechter festgestellt. Einflüsse von Peergroups und Alter auf die Raumaneignung von Mädchen Festzustellen ist, dass keine der aktiven Fahrerinnen ohne Begleitung zu dem Sport gekommen wäre, sondern alle angaben, durch ihre Bekannten mit in die Szenen reingebracht worden zu sein. Jugendliche verbringen viel Zeit in ihren Peergroups, die einen großen Einfluss auf ihre Raumnutzungsmuster haben. So entscheidet auch oft die Zugehörigkeit zur Peergroup, welche Hobbies angesagt sind und welche nicht. »Ich glaube, die trauen sich dann auch einfach nicht, auch wenn sie Lust haben [Und warum trauen sie sich nicht? Weil sie hinfallen könnten?] Einmal weil sie hinfallen könnten und weil die anderen denken könnten, die sind anders. Die sind anders, als alle anderen Mädchen…Nicht alle anderen, aber einige andere Mädchen und ich glaub das wollen die dann einfach vermeiden.« (Interview 22-BMXer:9-10)

Im Rahmen eines Projekts »Girls play (every day!)«, welches in Kooperation zwischen den Sportpiraten und der Abteilung Sportwissenschaft der Universität Flensburg stattfand, wurde versucht, Heranwachsende aus dem Einzugsgebiet Neustadt an unterschiedliche frei zugängliche Sportangebote heranzuführen (vgl. Dillmann & Schwier, 2012). Dieses Projekt wies eine geringe Anzahl an Nutzern auf, was teilweise auch mit dem Einfluss von Peergroups und der kulturellen Polarisierung zwischen den Geschlechtern begründet wird. Wird zunächst oft von Eltern gelehrt, was unangemessenes Verhalten ist, kann es später die Peergroup sein, die die Verhaltensweisen vorlebt. »Im Gespräch mit teilnehmenden Mädchen wurde zudem deutlich, dass ihr weiblicher Freundeskreis solche Bewegungsaktivitäten im öffentlichen Raum durchgängig eher negativ bewertet bzw. diesen zumindest mit Desinteresse begegnet. Derartige Aussagen illustrieren in gewisser Hinsicht die Befunde aktueller Studien, die nachzeichnen, wie Geschlecht am Ende der Kindheit unter dem massiven Einfluss der geschlechtshomogenen Gleichaltrigengruppierung verkörpert wird.« (Dillmann & Schwier, 2012, S. 52)

Die Erwachsenen können die Raumnutzung ihrer Kinder ebenfalls manipulieren. Gerade wenn Kinder noch jung sind, hat die Rolle der Erwachsenen noch eine

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große Bedeutung. Sie haben noch einen Einfluss auf die Hobbies der Kinder. Das BMX- und Skateboard-Fahren als Hobby wird selten ausgewählt, weil es gesellschaftlich immer noch mit dem männlichen Geschlecht in Verbindung gebracht wird. Aber auch die Angst davor, ihre Töchter in den öffentlichen Raum zu lassen, spielt eine Rolle. So ist die Angst vor sexueller Belästigung stets vorhanden, obwohl bereits bewiesen wurde, dass sexuelle Gewalt größtenteils im privaten Raum verübt wird (vgl. Madlener, 2004). Dennoch werden Töchtern gegenüber mehr Verbote ausgesprochen als Söhnen. Auch müssen Mädchen im Durchschnitt eine Dreiviertelstunde früher zu Hause sein als Jungen, was ihre Freizeit im öffentlichen Raum verkürzt und zu räumlichen Einschränkungen führt. Während Jungen öfters draußen spielen und sich in öffentlichen Räumen, wie z. B. Parks aufhalten, sind Mädchen eher in der Wohnnähe, wie z. B. im Garten aufzufinden (vgl. Madlener, 2004). Insgesamt ist ein Unterschied im Freizeitverhalten von Mädchen und Jungen festzustellen. All dies können Gründe für folgendes Phänomen sein: Während jüngere Mädchen den öffentlichen Raum ebenso nutzen wie die Jungen, ist mit dem Erreichen eines bestimmten Alters ein Unterschied in der Raumnutzung bemerkbar. »In einem gewissen Alter, also vor zehn Jahren, da ist es [das Skateboardfahren bei Mädchen] sehr attraktiv und dann nimmt das sehr schnell ab« (Interview 35-Skateboarder:19-20). Das Verschwinden von älteren Mädchen aus dem öffentlichen Raum wurde des Weiteren bereits in mehreren Studien beobachtet. »Die Nutzung des öffentlichen Freiraums nimmt bei Jungen zwischen dem 8. und 12. Lebensjahr zu. Bei Mädchen hingegen gilt das nur bis zum 11. Lebensjahr, danach nimmt die Zahl wieder ab.« (Nissen, 1992, S. 154 zit. nach Madlener, 2004, S. 75) Raumaneignung der Zuschauerinnen Die Mehrzahl der Mädchen, die während der Beobachtungszeit am Schlachthof gesehen wurden, nahm die Rolle der Zuschauerinnen ein, was die meisten Jungs, die in etwa in dem Alter der Mädchen waren, nicht abwerteten sondern eher gut fanden. Für einige der Jungs ist das die Möglichkeit, den öffentlichen Raum Schlachthof als Bühne zu verwenden und sich zu präsentieren. Sie werden dadurch angespornt und motiviert. »Ja…kleinen Fanclub. [Du hast einen kleinen Fanclub? Wie findest du das?] Ja, gut. Die pushen ein[en]…beim Fahren.« (Interview 6-BMXer:7-8) Mädchen nutzen den Schlachthof, um in Kontakt mit dem anderen Geschlecht zu kommen. Sitzen sie anfangs in der Nähe vom Ausgang, wagen sie sich mit der Zeit immer näher ran. Sie nutzen den Skatepark, um sich in der Öffentlichkeit zu zeigen und zu präsentieren. Während der Ethnographie wurde beobachtet, wie sie sich den Jungs immer weiter genähert haben. Die jüngeren

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Mädchen haben versucht, durch Zurufe Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, während die älteren Mädchen die Jungen nur beobachtet haben. Mit der Zeit entstanden unterschiedliche Formen der Interaktion. So kam es bei den älteren, 14jährigen Mädchen zu Wasserschlachten mit den Jungs, während die jüngeren Mädchen sich von einem Jungen jagen ließen. Die Versuche der Jugendarbeit Mädchen für den Schlachthof zu gewinnen Die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am BMX- und Skatepark Schlachthof bemühen sich schon länger, Mädchen für unterschiedliche Sportangebote zu gewinnen. Nicht nur durch das Projekt »Girls play (every day!)«, sondern auch durch ein offenes Sportangebot für weibliche Heranwachsende wurde versucht, gerade Mädchen aus der Neustadt zu erreichen. Diese wurden nicht nur in anderen Einrichtungen und in der Schule aufgesucht, sondern auch auf der Straße angesprochen oder über das soziale Netzwerk Facebook angeschrieben. Bisher sind diese Angebote jedoch noch weitgehend erfolglos geblieben. Es ist möglich, dass das Scheitern der Projekte damit zu tun hat, dass der Treffpunkt für die Angebote immer der BMX- und Skatepark Schlachthof war und obwohl dieser nicht immer der Durchführungsort gewesen ist, trotzdem als Barriere gesehen werden könnte, da dies einfach ein von Jungen dominierter Ort ist (vgl. Dillmann & Schwier, 2012). Trotzdem wird weiterhin versucht, weibliche Teilnehmer zu gewinnen. Für den Bereich des BMX-Fahrens gibt es in den Sommerferien beispielsweise Workshops nur für Mädchen, die von Lisa auf dem Jugendareal durchgeführt werden. »Zu den Mädchen kann ich immer nur sagen, die sind halt seltener… aktiv als die Jungs…Also ich finde hier sind…viele Mädchen, also viele Mädchen nutzen den Schlachthof als Treffpunkt und einfach so zum abhängen und um Jungs zu beobachten und sind sicherlich auch ein bisschen verknallt in den ein oder anderen und beobachten dann ganz gerne… ähm… aber aktiv…aktiv Rad fahren hier machen sie dann nur um das so auszuprobieren und die wenigsten bleiben dann auch wirklich so dabei.« (Interview 39pädagogischer Mitarbeiter:24-25)

Weltweit wurden Contests für Frauen eingeführt. Während bei den BMX Worlds 2013 in Köln die Männer jedoch in zwei Leistungsklassen, Amateure und Professionals, mit jeweils über 160 Teilnehmer starten, gibt es nur eine Leistungsklasse für Mädchen, in der zurzeit 18 weibliche Teilnehmer gemeldet sind (vgl. BMX Worlds, 2013). Auch hier sprechen die Zahlen eindeutig dafür, dass BMXFahren ein von Männern dominierter Sport ist.

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F AZIT Während der Raumaneignung werden diverse Kompetenzen erworben, die weitestgehend einen informellen Lernprozess aufweisen. Dazu zählen nicht nur motorische Kompetenzen, wie fahrtechnische Fähigkeiten, die bei der Bemächtigung des geographischen Raumes erworben werden, oder handwerkliche Fähigkeiten, welche bei Fahrradreparaturen oder den Camps zum Rampenbau und der Veränderung des Dirtparks angeeignet werden. Auch Sozialkompetenzen können vielfach bei der Raumaneignung errungen werden. So müssen die Heranwachsenden selbstständig Regeln kommunizieren, Konflikte lösen und teamfähig sein. Bei Planungstreffen müssen sie logisch argumentieren um ihre Ziele zu erreichen, aber auch Kompromisse eingehen können. Aufgrund der sozialen Mischung am BMX- und Skatepark Schlachthof treffen unterschiedliche Gruppen aufeinander, die den Umgang miteinander lernen müssen. Bei der Planung von Festen und Events ist die Organisationsfähigkeit der Nutzer gefragt. Auch lernen sie wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. In den Workshops übernehmen die Teamer eine Führungsposition und müssen sich dementsprechend Führungskompetenzen aneignen. Die Liste der Lernprozesse, die bei der Raumaneignung des BMX- und Skateparks Schlachthof stattfinden können, ist endlos. Ob all diese unterschiedlichen Lernprozesse wirklich stattfinden, kann jedoch nur durch eine längere Beobachtung ermittelt werden. Die vielen Möglichkeiten der Raumaneignung am Schlachthof wirken sich jedenfalls auf die informellen Lernprozesse der Heranwachsenden aus. Nutzer des Parks, die keine Teamer sind und sich nicht mit einbringen, entwickeln zwar motorische Kompetenzen wie die fahrtechnischen Fähigkeiten, werden jedoch keine handwerklichen Fähigkeiten im Raum erlernen, da sie sich nicht mit am Bau der Rampen und ähnlichen Aktivitäten beteiligen. Es gibt auch einige soziale Barrieren. Für Mädchen ist die Dominanz von männlichen BMX-Fahrern und die gesellschaftlich dem Sport eher männlich zugeschriebene Rolle eine Zugangsbarriere, die es verhindert, dass Mädchen die im Park zu erwerbenden Fähigkeiten nicht erlernen. Diese Hürden für Mädchen versucht die Jugendarbeit jedoch durch entsprechende Angebote zu überwinden und somit auch diese für ihr Projekt zu gewinnen.

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I NTERVIEWTABELLE Nr. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

Merkmal Pädagogischer Mitarbeiter BMXer Gruppeninterview Agressive Skater BMXer BMXer Skateboarder BMXer Skateboarder BMXerin BMXer BMXer BMXer BMXer Skateboarder BMXer BMXer BMXer BMXer BMXer BMXer BMXer BMXer BMXerin Skateboarderin Skateboarder BMXer BMXer Skateboarder Skateboarder Weiblich BMXer BMXer BMXer Skateboarder Skateboarder Pädagogischer Mitarbeiter Skateboarder Päd. M.

Alter 39 25 14 13 16 16 14 15 13 13 9 7 6 10 18 18 10 24 13 9 21 15 22 16 16 21 16 37 22 35 18 23 14 20 26 26 39 24 27

Datum 31.01.2013 20.02.2013 28.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 30.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 31.05.2013 03.06.2013 03.06.2013 03.06.2013 03.06.2013 03.06.2013 04.06.2013 04.06.2013 05.06.2013 05.06.2013 08.06.2013 09.06.2013 09.06.2013 09.06.2013 10.06.2013 10.06.2013 11.06.2013

Dauer 01:19:42 0:48:20 04:59 12:34 16:50 15:23 12:53 11:43 05:08 14:40 08:45 05:13 05:13 05:45 06:51 20:47 06:46 0:39:28 10:41 03:10 16:38 12:56 0:30:13 17:05 06:27 08:22 15:41 01:07:59 20:18 0:45:23 18:52 14:27 14:21 10:53 21:53 14:42 01:33:02 0:29:32 0:36:29

Sportbündnisse Vom BMX Girls Camp bis zur Rampenbau Schule J ÜRGEN S CHWIER

B EWEGUNGSRÄUME

MIT

J UGENDLICHEN

ERKUNDEN

UND GESTALTEN Die unterschiedlichen Formen des Sich-Bewegens und Sporttreibens sowie die dazugehörigen Bewegungsräume besitzen für zahlreiche Kinder und Jugendliche eine hohe Attraktivität, wobei soziale Ungleichheiten die Teilhabeoptionen an derartigen Freizeitaktivitäten sicherlich nach wie vor spürbar beeinflussen. Heranwachsende nutzen so in ihrer Freizeit sowohl die verschiedenen normierten Spiel- und Sportstätten als auch die urbanen und naturnahen Bewegungsräume oder bringen eine der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufende (Um-) Deutung von Flächen und Plätzen hervor. Das Interesse am Sport – am sportlichen Körper, an Fitness, am Mediensport, am traditionellen Wettkampfsport und an neuen Bewegungspraktiken – ist in der Lebensphase Jugend jedenfalls auf einem hohen Niveau angesiedelt (vgl. Braun, 2014; Harring, 2010, S. 29). Dies gilt sowohl für das aktive Engagement im Verein (vgl. Gerlach & Brettschneider, 2013) und das informelle Sporttreiben (vgl. Burrmann, 2008) als auch für die Beliebtheit des Schulsports. Mitverantwortlich hierfür ist sicherlich die eigenartige Strukturiertheit des Sports, die zugleich sozial konformes und eigenständiges Handeln notwendig macht, sich zwischen den Polen der Ordnung und Spontaneität bewegt, Emotionen freisetzt und Rollendistanz einfordert. Der Sport eröffnet in dieser Perspektive einen der raren gesellschaftlich akzeptierten Handlungsräume, in denen die Akteure alleine oder gemeinsam mit anderen moderates Erregungsverhalten und Expressivität öffentlich ausleben sowie daran Vergnügen finden können (vgl. Elias & Dunning, 2003, S. 136-137).

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An dieser Stelle deutet sich zugleich an, warum informelle Sportengagements und Bewegungskulturen für Jugendliche attraktiv sind. Sie können einerseits selbstgesteuert in Gleichaltrigengruppierungen ausgeübt werden, versprechen andererseits lustbetonte Möglichkeiten zur erlebnisintensiven Selbstdarstellung und zur temporären Eroberung von Räumen. Offensichtlich spielen innerstädtische Räume bei den informellen Sportengagements von Heranwachsenden eine prominente Rolle und werden auch von jugendlichen Bewegungskulturen als Orte der Selbstermächtigung, des lustvollen Auslebens von Körperlichkeit und Emotionen angeeignet (vgl. Bindel, 2008; Erhorn, 2012; Schwier, 2011, S. 175-177). Da jedoch nur einem Teil der Kinder und Jugendlichen in ihrer Freizeit derartige Erfahrungsfelder frei zugänglich sind, ungleiche Bedingungen im Rahmen der Sozialisation zum Sport des Weiteren unverändert wirksam sein dürften und die Aneignung von Raum zweifelsohne ein wichtiges Element der individuellen (Körper-) Sozialisation darstellt, hat die Abteilung Sportwissenschaft der Europa-Universität Flensburg gemeinsam mit den Sportpiraten Flensburg ein Projekt zur Erschließung, Nutzung sowie Gestaltung innerstädtischer Bewegungsräume entwickelt und im Jahr 2014 erstmals durchgeführt. Von grundlegender Bedeutung für die Umsetzung des Modellprojektes ist ferner die finanzielle Förderung durch das BMBF-Programm »Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung/Programm Sportbündnisse« gewesen. Die Zielgruppe der verschiedenen Projektbausteine sind Heranwachsende (10 bis 18 Jahre) aus dem Bereich der Flensburger Neustadt/Nordstadt. Diese beiden Quartiere sind traditionelle Arbeiterviertel und gelten heute in Flensburg als soziale Brennpunkte. Wie der Sozialatlas der Stadt Flensburg (2013) ausweist, lagen sie mit einer Arbeitslosenquote von 14,0 % (Neustadt) bzw. 13,2 % (Nordstadt) im Jahr 2012 deutlich über dem Flensburger Durchschnitt von 8,7 %. Auch der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund und die Wohngeldquote sind in der Neustadt und der Nordstadt deutlich höher als im Flensburger Durchschnitt. Die multiethnisch geprägte Neustadt ist ferner der Stadtteil mit dem »höchsten Anteil an Personen im Leistungsbezug nach SGB II, III und XII« (Stadt Flensburg, 2013, S. 54), wobei zahlreiche Heranwachsende in Familien mit SGB II-Bezug leben. Vor diesem Hintergrund haben sich in den letzten Jahren bereits Netzwerkstrukturen herausgebildet, die sich einer Kooperation im Bereich der sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verpflichtet sehen (vgl. auch Flensburger Norden e.V.). Das hier vorzustellende Sportbündnis baut auf den gewachsenen Strukturen auf und versucht der sich in diesen Stadtteilen anbahnenden vernetzten Bildungslandschaft weitere Bausteine hinzuzufügen. Ne-

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ben der Abteilung Sportwissenschaft der Universität und den Sportpiraten sind so unter anderem die im Flensburger Norden beheimatete Comenius-Schule (http://www.comenius.flensburg.de/newweb) sowie das Jugendzentrum AAK (http://www.aak-fl.de) an den Maßnahmen beteiligt. Die grundlegende Zielperspektive des Projekts besteht zunächst darin, Kindern und Jugendlichen aus der Neustadt/Nordstadt einen ersten (oder auch zweiten bzw. dritten) Zugang zu ausgewählten jugendlichen Bewegungskulturen zu ermöglichen sowie die spontanen Prozesse der Selbstsozialisation (im Sinne von Zinnecker, 2000) um planmäßige Angebote der Peer-Education zu erweitern. Dabei geht es unter anderem darum: • •



• • • •

die Erfahrung zu machen, dass man sich Bewegungsräume in der Peergroup erschließen und alternative Deutungen der Orte entfalten kann, »Sportgelegenheiten« (im Sinne von Bindel, Balz & Frohn, 2010, S. 256258) als solche zu erkennen und entsprechend der eigenen Motive, Interessen und Handlungsfähigkeiten (mit-)gestalten zu können, Sicherheiten vorübergehend aufzugeben und unter realistischer Einschätzung der eigenen Bewegungskompetenz sowie der Anforderungen der konkreten Situation selbstbestimmt Wagnisse einzugehen, Formen des informellen Bewegungslernens in der Gleichaltrigengruppierung kennenzulernen und zu erproben, die Aufmerksamkeit auf den Prozess des (Bewegungs-) Lernens zu lenken (vgl. Marsick, Volpe & Watkins, 1999, S. 91), Verständigung und Kooperation in einer Beziehungssituation unter (nahezu) »Gleichen« einzuüben, an der Ausformung und Bewertung der gemeinsamen Bewegungspraxis in der Peergroup aktiv mitzuwirken.

Die verschiedenen Kursangebote (BMX Girls Camp, Rampenbau Schule, TrendSport-Tage) kreisen um die Frage »nach den anderen Modalitäten des Lernens, also um die Wege der Kompetenzaneignung jenseits standardisierter Lernprozesse« (Rauschenbach, 2007, S. 445), orientieren sich – wie zuvor bereits erwähnt – am Konzept der Peer-Education (vgl. Heyer, 2010; Kästner, 2003) und stellen informelle Formen des Bewegungslernens in das Zentrum der Inszenierung (vgl. Bund, 2005; Neuber, 2009). Das informelle (Bewegungs-) Lernen erscheint in dieser Perspektive als ein freiwilliges Lernen im Rahmen von Freizeitaktivitäten, bei dem der Fokus auf neuartigen Erfahrungen im Umgang mit bestimmten Inhalten liegt. Solche selbstgewählten Aneignungsprozesse gehen mit materialen, sozialen, kulturellen und Selbst-Erfahrungen einher (vgl. Dietrich,

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2008, S. 105-113). Der Prozess des informellen Lernen kann ferner kaum eindeutig vorgezeichnet werden, da ihn die einzelnen Akteure gemäß ihrer Interessen, Neigungen und Fähigkeiten selbst steuern und er daher »vielfältig und bunt, häufig aber auch unstrukturiert, unsystematisch, zufällig und unübersichtlich« (Düx, 2006, S. 237) verläuft. Die Angebote werden so im Wesentlichen von Peergroup Teamern (im Alter von 14 bis 25 Jahren) durchgeführt und betreut, während die beiden – ebenfalls durchgängig anwesenden – hauptamtlichen Fachkräfte der Sportpiraten eine unterstützende und beratende Funktion wahrnehmen sowie im Vorfeld maßgeblich für die Organisation der Kurse verantwortlich sind.

URBANE BEWEGUNGSRÄUME ALS LERNORTE In diesem Zusammenhang wird davon ausgegangen, dass die Erkundung urbaner Bewegungsräume und die Erprobung von Trendsportarten ohnehin zumeist in Peergroups erfolgen. Nicht nur im Feld der Bewegungs- und Sportkultur halten Gleichaltrigengruppierungen vielfältige Gelegenheiten bereit, sich den Zwängen einer Pädagogisierung des Jugendalters (vom Elternhaus über die Schule und den Verein bis zu den alten und neuen Medien) zeitweilig zu entziehen und beispielsweise über eine Teilhabe an informellen Bewegungspraxen ein »spezifisches Wissen und Können« (Erhorn, 2012, S. 235) zu entfalten. Als urbaner Bewegungsraum stellt dabei gerade die Straße einen erfahrungsoffenen Lernort für Gleichaltrigengruppierungen dar und umfasst nahezu alle Formen des informellen Sporttreibens im Freien, die nicht in naturnahen Arealen stattfinden (vgl. Schwier, 2004). In einem weiten Verständnis ist die Straße – einschließlich öffentlicher und privatisierter Plätze, Fußgängerzonen, Einkaufspassagen und -zentren, Parkplätzen, Bürgersteigen, Baunischen sowie Frei- und Grünflächen – gewissermaßen ein »gegenpädagogisches Milieu, durch das man sich den Erziehungsmaßnahmen der Eltern entziehen und seine Andersartigkeit und Innovationsfähigkeit im bewussten Aufsuchen städtischer Bewegungsnischen zum Ausdruck bringen kann« (Wenzel, 1997, S. 188). Am Beispiel des Gehens in der Stadt hat Michel de Certeau (1988, S. 179208) die urbanen Praktiken der sich in Bewegung setzenden Akteure als eine von situativen Taktiken geprägte »Kunst des Handelns« charakterisiert. Die in das gewöhnliche Alltagshandeln im Hier und Jetzt eingelassenen Tricks, Taktiken und glücklichen Einfälle der sozialen Akteure bilden für ihn ein der Logik von Unordnung und Differenz folgendes Netz der Antidisziplin, dass sich in der kreativen Nutzung von Freiheitsspielräumen, Kontrolllöchern oder günstigen Gele-

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genheiten bewährt. Diese vielschichtigen alltäglichen (Raum-) Erkundungen und Eroberungen der Akteure machen für ihn letztendlich das städtische Leben aus: »Die wirkliche Ordnung der Dinge besteht genau in diesen populären Taktiken, die die Dinge zu ihren eigenen Zwecken umändern, ohne sich darüber Illusionen zu machen, dass sich in Kürze etwas ändern wird.« (De Certeau, 1988, S. 73)

Auch jugendliche Peergroups erzeugen in günstigen Augenblicken ihre eigenen Räume, in dem sie öffentliche und private Plätze oder Orte eigensinnig nutzen sowie mittels ihrer ko-konstruktiven Handlungen zeitweise in Besitz nehmen. Im Bereich der Flensburger Neustadt kann man so gelegentlich Kindergruppen beobachten, die die dortigen Filialen von »Aldi« oder »Lidl« aufsuchen, um sie kurzzeitig als Spielplatz umzudeuten und in den Gängen zwischen den Einkaufsregalen Verstecken zu spielen. Gerade die innerstädtischen Raumaneignungen der BMX-, Crossgolf-, Parkour-, Skateboard- oder Streetball-Szenen, das »Abhängen«, die Flashmobs, das Massenradeln der »Critical Mass«, das Breakdancen oder Musizieren auf öffentlichen Plätzen, die verbreitete Nutzung von Einkaufspassagen als Versammlungsorte oder das Graffiti-Spraying können diese Denkfigur des Weiteren exemplarisch illustrieren (vgl. Ehni, 1998; Hietzge, 2014; Schwier, 2011). Raumerschließend wirken dabei die sinnstiftenden Handlungen der Akteure, die unter anderem einen Mauervorsprung, eine Treppe oder ein Geländer erst zu einer Bewegungsgelegenheit machen. Gleichzeitig ist in der Sportpädagogik seit langem die Vorstellung verbreitet, dass die informellen Spiel- und Bewegungsaktivitäten der Heranwachsenden in den unter dem Sammelbegriff Straße subsumierten Räumen – quasi als »natürlichen Lernsituationen« (Dietrich & Landau, 1974, S. 68) – motorische und sozialkognitive Entwicklungsprozesse sowie die allgemeine Spielfähigkeit fördern. Die selbstgesteuerte Aneignung von Bewegungsräumen und Bewegungsformen im Verlauf der Interaktionen unter Gleichaltrigen kann dabei als eine Form der Selbstsozialisation verstanden werden, die die institutionalisierte Erziehung zum und durch den Sport strukturell ergänzt und mit Blick auf die Trendsportarten tendenziell sogar an deren Stelle tritt. Mit einer Orientierung am sozialpädagogischen Ansatz der Peer-Education sind zuallererst eine Anerkennung der Bedeutung sozialisatorischer Gleichaltrigenbeziehungen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung (vgl. Krappmann, 2010, S. 187-192) sowie der Respekt vor der Bewegungs- und Sportbiographie von Jugendlichen und ihrer Expertise in einer oder mehrerer Trendsportarten verbunden. Die Einführung von Heranwachsenden in ausgewählte trendsportliche Bewegungsformen durch (nahezu) Gleichaltrige geht ferner davon aus, dass

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die teilnehmenden Heranwachsenden die Peergroup Teamer als Orientierungspunkte, zum Teil als Rollenmodelle und als Experten für die jeweilige Bewegungspraxis wahrnehmen. Ihre Nähe zu den lebensweltlichen Kontexten und zu den Handlungspräferenzen der Lernenden schafft anscheinend günstige Voraussetzungen für den Vermittlungs- und Interaktionsprozess: »Jugendliche, die für Gleichaltrige als Lehrpersonen auftreten, haben einen größeren Lehrerfolg, da es Jugendlichen leichter fällt, Inhalte von Gleichaltrigen anzunehmen: sie erkennen eine stärkere Orientierung an der eigenen Lebenswelt. Gleichzeitig erfahren und erkennen die so lehrend tätigen Jugendlichen auch eigene Kompetenzen, bspw. auf pädagogischer Ebene.« (Heyer, 2010, S. 407-408; vgl. Nörber, 2003, S. 10)

Die Vermittlungsstrategien der Peergroup Teamer orientieren sich im konkreten Beispiel – wenig überraschend – an der im Szenealltag bewährten Logik der Bewegungspraxis, akzentuieren also generell das Lernen am Modell und das Lernen durch Handeln. Im (Aus-)Handlungsprozess spielen allerdings auch verbale Rückmeldungen und Gespräche eine wichtige Rolle, wobei sowohl das zielgerichtete Feedback als auch die gesamte Kommunikation der Gruppe auf den Wortschatz der Jugend- bzw. Szenesprache zurückgreift (vgl. Schwier, 2014). Der bewegte BMX-, Parkour- bzw. Skater-Stil mitsamt seiner besonderen Erlebnismöglichkeiten, Verhaltens- und Sprachcodes wird so im Verlauf der Kurse auf dem Gelände konkret erfahrbar. Die als Lehrpersonen agierenden jugendlichen Szenemitglieder umgibt mehr oder weniger eine Aura des Authentischen, sie begegnen den Lernenden durchgängig als Gleichgestellte und zeigen eine große Nähe zu deren Sprache. Damit einhergehend erfahren die BMX-, Parkour- oder Skateboard-Novizen, dass man komplexe Bewegungen auch ohne Hilfestellung von Erwachsenen in der Gleichaltrigengruppe erlernen und als Heranwachsender seinen Sport verantwortlich (mit-) gestalten kann. Es kommt im Kontext der Peer-Education Schritt für Schritt zum »Aufbau eines Angebots gegenseitiger Unterstützung und Hilfe – aber auch Beeinflussung und Anpassung – durch Gleichaltrige« (Nörber, 2013, S. 342). Mit Blickrichtung auf das informelle (Bewegungs-) Lernen dürfte in diesem Zusammenhang des Weiteren der Umstand hilfreich sein, dass die Kinder und Jugendlichen immer von mehreren Peergroup Teamern begleitet werden, deren Vermittlungsstrategien und Kommunikationsstile sich zum Teil unterscheiden. Im Rahmen des Projekts geht es der Peer-Education neben der Kompetenzvermittlung im Feld des Trendsports ebenfalls um eine Initiierung von Prozessen der Selbstermächtigung, um eine Stärkung des Selbstbewusstseins und der Am-

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biguitätstoleranz sowie nicht zuletzt um Gegenwartsorientierung und unmittelbare Tätigkeitsfreude. Kurz: Bewegungsräume mit Gleichaltrigen erkunden und nutzen soll Spaß machen. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass es über die Eigentätigkeit im Kursverlauf und die Interaktionen mit den Peergroup Teamern zu einem Abbau eventuell bestehender Hemmschwellen oder Barrieren beim Zugang zu (Trend-) Sportangeboten und außerschulischen Lernorten (wie dem Flensburger BMX- und Skatepark) kommt.

T EILPROJEKT »R AMPENBAU S CHULE « Rampen unterschiedlichster Größen selber zu bauen und diese anschließend in Stand zu halten oder umzubauen gehört zu den selbstverständlichen Elementen der Freestyle BMX-Kultur. Da der Rampenbau also in den lokalen Szenen einen hohen Stellenwert besitzt, versucht das Projekt »Rampenbau Schule« das hierzu notwendige planerische Denken sowie relevante handwerkliche Fähigkeiten anzubahnen, wobei sich die Maßnahme nicht nur an bereits aktive BMX-Fahrer wendet, sondern grundsätzlich allen interessierten Heranwachsenden aus den Stadtteilen Neustadt/Nordstadt zugänglich ist. Diese Offenheit hinsichtlich der Zielgruppe hat schon bei der ersten Durchführung des Kurses zu einer sehr altersheterogenen und weitestgehend geschlechtshomogenen Teilnehmerschaft geführt. Neben einem Mädchen haben sich so 19 Jungen und männliche Jugendliche im Alter von acht bis 17 Jahren (sowohl aus bildungsnahen als auch bildungsfernen Familien) an dem Kurs beteiligt, davon mehr als die Hälfte im Alter von 8 bis 11 Jahren. Die ursprüngliche Grundidee, dass zwei Peergroup Teamer mit hoher entsprechender Expertise mit den Kindern und Jugendlichen auf dem Gelände des Flensburger BMX- und Skateparks an vier Projektnachmittagen und einem kompletten Wochenende den Bau einer kleineren Rampe planen und diese in Teamarbeit herstellen, musste aufgrund des hohen Anteils von teilnehmenden Kindern kurzfristig modifiziert werden. Da neben den beiden Peergroup Teamern auch mehrere Ehrenamtliche verfügbar gewesen sind, konnte die Gruppe geteilt werden. Während die Jugendlichen sich unter Anleitung an der – unabhängig von diesem Workshop geplanten – Umgestaltung und Erweiterung einer großen Rampe beteiligt haben, stand für die jüngeren Kinder nun der Bau von MiniaturRampen für Fingerboards auf dem Programm. Im Anschluss an die Begrüßung, das Erstellen von Namensschildern und einer Sicherheitsbelehrung zum Arbeiten mit Holz präsentierten die Peergroup Teamer Musterexemplare von Fingerboard-Rampen und erläuterten die entsprechenden Baupläne.

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Unterbrochen durch Bewegungspausen (Basketball, Fußball, Skateboardund BMX-Fahren) sowie gemeinsame Mahlzeiten sind dann nacheinander drei Miniaturrampen – von einer »Palette« über eine »Bank« bis zur »Curb« – angefertigt worden. Auffallend hierbei waren unter anderem unterschiedliche Vorkenntnisse und Erfahrungen der Kinder beim Umgang mit Holz, Leim, Schleifpapier, Winkeln, Hammer und Nägeln. Grundsätzlich haben die Akteure vor, während und nach den Arbeitsphasen weitgehend harmonisch miteinander interagiert und immer wieder Momente wechselseitiger Unterstützung gezeigt. Der Umstand, dass zwei Jungen aufgrund ihres handwerklichen und sportlichen Geschicks gelegentlich eine Führungsrolle einnehmen wollten, hat die positive Grundstimmung und das Gruppengefühl nicht beinträchtigen können, wozu sicherlich die humorvollen Reaktionen der Peergroup Teamer auf solche »Chefanwandlungen« beigetragen haben. Spätestens ab dem Zeitpunkt als alle Teilnehmer den Arbeitsauftrag verstanden und sich ihrer konkreten Aufgabenstellung zugewandt hatten, wurde es in der Gruppe merklich ruhiger. Nach einer gewissen Zeit entstand allerdings an allen Kurstagen wiederkehrend Unruhe, da es einigen Kindern erkennbar schwer gefallen ist, die notwendige Ausdauer und Konzentration für die Herstellung ihrer eigenen Miniaturrampe aufzubringen. Zur Aufrechterhaltung der Motivation gingen die Peergroup Teamer daher öfters situativ in eine Eins zu Eins Betreuung über und versuchten zum richtigen Zeitpunkt kollektive Spiel- und Bewegungspausen einzulegen. Bereits bei den ersten Testfahrten mit dem Fingerboard überwog jedoch bei allen Kindern der Stolz auf das mit den eigenen Händen geschaffene Produkt. Bei den Bauprojekten ist ferner ein mobiler Werkzeug-Container der Sportpiraten – ein für diesen Zweck umgebauter und ausgestatteter Seefracht-Container – zum Einsatz gekommen. Die Jugendlichen konnten so im Verlauf der Mitwirkung am Umbau der großen Rampe ihre entsprechenden Kenntnisse erweitern und Erfahrungen im Umgang mit semiprofessionellem Werkzeug sammeln, während die Mehrzahl der Kinder erstmals mit den für kleinere Holzarbeiten notwendigen Gerätschaften in Kontakt gekommen sind und sich handelnd elementare Fertigkeiten des Werkzeuggebrauchs angeeignet haben. Da neben den Kursteilnehmern auch andere jüngere Nutzerinnen und Nutzer des Jugendareals von den fertigen Fingerboard-Rampen sehr angetan gewesen sind, wurde abschließend vereinbart, dass weitere halbtägige Workshops zu diesem Thema angeboten werden sollen.

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T EILPROJEKT »BMX G IRLS C AMP « Das Projekt »BMX Girls Camp« knüpft einerseits an Erfahrungen an, die die Sportpiraten und die Abteilung Sportwissenschaft der Europa-Universität Flensburg seit mehreren Jahren in den Quartieren Neustadt bzw. Nordstadt mit Ange-

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boten einer bewegungsorientierten Mädchenarbeit gemacht haben (vgl. Schwier & Dillmann, 2012 sowie den Beitrag von Karstens in diesem Band) und berücksichtigt andererseits den Umstand, dass das Bicycle Moto Cross schon seit seinen Anfängen als eine jugendliche Bewegungskultur gilt, in der männlichen Akteure auffallend überrepräsentiert sind. Mädchen und junge Frauen partizipieren so eher vereinzelt an den BMX-Szenen im deutschsprachigen Raum, wobei der Kontakt und die Hinwendung zu dieser Bewegungspraxis in der Regel durch männliche Familienangehörige oder Freunde angeregt werden.

Vor diesem Hintergrund bietet das »Girls Camp« für Mädchen aus den genannten Flensburger Stadtteilen einen Einsteigerkurs in das BMX-Fahren, an dessen Ende die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Contest nur für Mädchen besteht. Da das »Girls Camp« in weiten Teilen zeitgleich mit der bundesweit bekannten Flensburger BMX-Veranstaltung »Butcher Jam« stattgefunden hat, sind – neben den Peergroup Teamerinnen – ebenfalls einige semiprofessionelle Fahrerinnen vor Ort gewesen, die zumindest zeitweise das Camp begleitet und unter Umständen auch als Rollenmodelle fungiert haben. An dem Workshop beteiligten sich neunzehn Mädchen und Frauen im Alter von 11 bis 24 Jahren, darunter sechs erfahrene BMX-Fahrerinnen und acht reine Anfängerinnen. Diese gravierenden Unterschiede im Alter und in der BMX-Expertise sind allerdings für die Gestaltung des Camps unbedeutend gewesen, da sich quasi von Beginn an ein

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Klima des Miteinanders und der weiblichen Solidarität auf dem vorwiegend von Jungen genutzten Areal entfaltet hat. Dabei konnten zumindest in Ansätzen Prozesse der geschlechtsspezifischen Aneignung von Bewegungsräumen (vgl. Madlener, 2004) beobachtet werden. Alle Teilnehmerinnen haben das »BMX Girls Camp« als eine Gelegenheit wahrgenommen, zueinander zu finden, gemeinsam Freude und Ausgelassenheit zu erleben, voneinander zu lernen und an dem eigenen fahrerischen Können zu arbeiten. Der Übergang von den Bewegungsaktivitäten zum »Abhängen« war dabei in der Regel fließend: Manchmal begannen ein oder mehrere Mädchen auf dem Bike Faxen zu machen und das Gelächter der Gruppe mündete in einer gemeinsamen Pause, in der getrunken, gegessen, weiter geblödelt, spontan ein Spiel gespielt oder ein Gespräch begonnen wurde. Oder die Gruppe entschloss sich, eine Weile die Fahrfiguren der männlichen BMXer an der Miniramp zu verfolgen und zu kommentieren. Mit Blick auf die sportliche Praxis waren die Rollen klar verteilt: Neben der Anleitung durch die beiden Teamerinnen konnten die absoluten und fortgeschrittenen Anfängerinnen bei ihren Fahrversuchen mit dem 20-Zoll-Bike ebenfalls auf die Tipps, Rückmeldungen und Aufmunterungen der erfahrenen BMX-Rider vertrauen. Diese sechs Fahrerinnen haben des Weiteren in der Bowl und auf der Miniramp ihr Trickrepertoire präsentiert sowie phasenweise unter sich bestimmte anspruchsvolle Fahrfiguren (ein-) geübt, wobei ihnen die anderen Mädchen mitunter zugeschaut haben. Insgesamt sind die Trainingszeiten aber an allen Tagen von den Fahrerinnen intensiv genutzt worden, wobei in der Anfängerschulung neben verschiedenen Übungen zur Radkontrolle gleich mehrere Tricks (unter anderem Bunny Hop und Manual) nebeneinander erprobt worden sind. Mit dieser Vorgehensweise der Teamerinnen sollte sowohl ein selbstgesteuertes Lernen (über das Bereitstellen von Wahlmöglichkeiten) gewährleistet als auch die Übungsmotivation aufrechterhalten werden. Für den im Rahmen der Flensburger »Butcher Jam« erstmalig ausgetragenen BMXContest »Girls Class« haben sich dann acht Camp-Teilnehmerinnen und eine der Teamerinnen angemeldet, während sich die anderen Mädchen als Zuschauerinnen auf die lautstarke Anfeuerung ihrer Kolleginnen beschränkten. Die sportlichen Leistungen der BMX-Fahrerinnen im Verlauf dieses Wettbewerbs, die überaus positive Resonanz der lokalen Szene auf die »Girls Class« und die Selbstmediatisierung des Camp-Geschehens im sozialen Netzwerk Facebook haben – neben der eigenen Bewegungserfahrung mit dem 20-Zoll-Bike – sicherlich dazu beigetragen, dass einige Teilnehmerinnen seitdem sporadisch die BMX-Workshops für Mädchen auf dem Jugendareal nutzen und das Bicycle Moto Cross als eine für Mädchen frei zugängliche Bewegungskultur begreifen.

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T EILPROJEKT »T REND -S PORT -T AGE « In gewisser Hinsicht gehören Trendsportarten längst zur medial vermittelten Alltagskultur von Jugendlichen, die sich derartige Bewegungspraktiken sowohl als Aktive als auch als Konsumenten aneignen, sich von deren »Style« inspirieren lassen und ihnen Sinn zuweisen. Neben den Heranwachsenden, die beispielsweise aktiv BMX fahren, als Crossgolfer, Traceure oder Boarder unterwegs sind, spielen diese Bewegungspraktiken eben auch für die Freizeitgestaltung zahlreicher weiterer Akteure eine Rolle, die den »Locals« im Park zuschauen, Contests und Events besuchen, Kleidung von Trendsport-Labeln tragen und sich virtuell an Computer oder Konsole mit Trendsport-Simulationen beschäftigen. Die Zielgruppe dieses Projekts bilden in diesem Zusammenhang vorwiegend Kinder und Jugendliche aus den genannten Flensburger Stadtteilen,

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die bislang keinen Zugang zu solchen Bewegungskulturen gefunden haben. Als mehrtägiger Workshop sollen die »Trend-Sport-Tage« eine Einführung in elementare Bewegungsformen des BMX, des Parkour und des Skateboarding geben sowie zur Erschließung der entsprechenden urbanen Bewegungsräume beitragen. Mit Blick auf die Zielgruppe, das Zeitbudget und die im Stadtteil nutzbaren Bewegungsräume wurde bei der Kursdurchführung neben den zuvor genannten Trendsportarten auch noch Street Basketball als weiteres Thema integriert. Wie bei den anderen beiden Workshops haben die Peergroup Teamer auch bei den »Trend-Sport-Tagen« eine altersheterogene Teilnehmergruppe (8 bis 17 Jahre) vorgefunden, die sich aus acht Mädchen und 15 Jungen zusammensetzte. Schon an dieser Stelle sei angemerkt, dass die heterogene Gruppenzusammensetzung sich nicht negativ auf die kollektive Ausgestaltung der Bewegungsaktivitäten ausgewirkt hat. Die Kooperation zwischen älteren und jüngeren Akteuren sowie zwischen Mädchen und Jungen gestaltete sich von Anfang an weitestgehend unproblematisch. Es konnte vielmehr beobachtet werden, dass sich innerhalb der Gruppe rasch eine positive Grundstimmung und ein Klima der wechselseitigen Unterstützung – gerade gegenüber den jüngeren Kindern – entwickelt hat, wozu als Kommunikationsgelegenheiten sicherlich die gemeinsamen (Trink-)Pausen und Grill-Mahlzeiten beigetragen haben. Zu Beginn des Workshops konnten die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen selbst wählen, welche der jeweils parallel angebotenen zwei Bewegungsformen (im ersten Block Skateboarding und Parkour) sie zuerst kennenlernen bzw. praktizieren wollten. Im weiteren Kursverlauf absolvierten die so gebildeten zwei Gruppen dann nacheinander die anderen auf dem Jugendareal und dem benachbarten Galwik-Park vorbereiteten Trendsport-Stationen. Dabei galt die Vorgabe, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer die vier Bewegungsformen erproben und nicht ausschließlich bei einer von ihnen präferierten Aktivität verweilen. Da die Vermittlungsstrategien beim Bicycle Moto Cross und Skateboarding bereits thematisiert worden sind (vgl. den Beitrag von Schwier & Dillmann in diesem Band), konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die Handlungsverläufe beim Parkour und Street Basketball.

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Beim Street Basketball stand durchgängig die Perspektive der Handelnden im Mittelpunkt und die Vorgehensweise der Teamer stimmte in weiten Teilen intuitiv mit spielgemäßen Vermittlungskonzepten (vgl. Kolb, 2005, S. 73-74) überein. Es wurde schlicht so lange gespielt, bis der Spielfluss aufgrund eines von den Akteuren selbst wahrgenommenen Problems ins Stocken geriet. Die Unzufriedenheit zahlreicher Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit der Qualität ihrer Würfe hat beispielsweise zu der Einsicht geführt, dass eine entsprechende Übungseinheit absolviert werden sollte. In deren Verlauf präsentierten die Teamer verschiedene Wurfvarianten (über Vormachen und Bewegungserklärungen), diese wurden dann geübt und die Werfenden erhielten zwischen den Versuchen zeitnah Feedback. Als ein weiteres Problem kristallisierten sich rasch die ungleichen Spielanteile der einzelnen Akteure heraus. Damit alle Spielerinnen und Spieler häufiger in Ballbesitz gelangen, vereinbarte man zunächst eine Verkleinerung der Teams (drei gegen drei statt fünf gegen fünf). Obwohl die älteren Jugendlichen aus der Sicht des außenstehenden Beobachters ausgesprochen rücksichtsvoll agierten, gab es nach einiger Zeit aber erneut Beschwerden der jüngeren Teilnehmer, die sich bezüglich der Spielanteile benachteiligt fühlten. Die Gruppe kam nach kurzer Beratung überein, von nun an »Klein gegen Klein« und »Groß gegen Groß« (im Modus drei gegen drei) zu spielen, was letztendlich alle Beteiligten zufrie-

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denstellte. Im Verlauf der Street Basketballpraxis hat sich so die Körpergröße – und nicht etwa die Faktoren Alter oder Geschlecht – als zentrales Muster der Wettkampfgestaltung durchgesetzt. Insgesamt ist unter dem Korb durchgängig mit großem Engagement gespielt worden, wobei einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer bis an ihre konditionellen Grenzen gegangen sind. Die eigene Ballspielpraxis ist ferner fortlaufend ein zentrales – und zum Teil leidenschaftlich diskutiertes – Thema der Gespräche während der Pausen und beim Grillen gewesen. Ein vergleichbares Engagement bei hoher Belastungsintensität zeigte sich auch bei den Parkour-Einheiten. Nach der Vorstellung erläuterten die Teamer zentrale Aspekte der Praxis und gaben einen Überblick über den geplanten Ablauf der Einheit. Die anschließende Aufwärmphase orientierte sich an dem Anforderungsprofil der Trendsportart: Nach einer Joggingrunde im Quartier sollten auf dem Jugendareal noch Kräftigungsübungen (unter anderem Liegestütze) absolviert werden. Während rund Zweidrittel der Teilnehmerinnen und Teilnehmer diese Übungen scheinbar mühelos mitgemacht haben, waren andere Akteure schon nach dem Warmlaufen so erschöpft, dass sie pausieren mussten. Weitere Kinder und Jugendliche mussten dann spätestens bei den Liegestützen aufgeben. Das Aufwärmprogramm der Teamer ist so in gewissen Grenzen zu einem Ausscheidungswettkampf geworden. Da die Gruppe aber unmittelbar nach dem Aufwärmprogramm mit der Einstiegstechnik der Rolle (Roulade) in die Welt des Parkour eintauchen konnte, blieb die Motivation bei allen Akteuren erhalten und die Freude an der Bewegung war deutlich zu erkennen. Anschließend erprobten die Kinder und Jugendlichen auf einer Rasenfläche im Galwik-Park die Landung auf den Fußballen (Réception), Präzisionssprünge (Saut de précision), den »Animal walk« (eine Übung, bei der man auf allen Vieren eine Treppe herunter krabbelt, ohne dabei die Knie aufzusetzen) sowie eine Variante des Katzensprungs (als Bockspringen über einen Holztisch). Als weiteren Bewegungsablauf thematisierten die Peergroup Teamer auf Turnmatten den Rückwärtssalto, mit dem sich jedoch – wie auch mit dem Katzensprung – nur ein kleiner Teil der Gruppe handelnd auseinandersetzen wollte bzw. konnte. Nach dieser längeren und von zwei Pausen unterbrochenen Einführung in die Basiselemente des Parkour erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gelegenheit, sich ein Laufziel auf dem Gelände des Jugendareals/Galwik-Parks zu wählen und die Strecke unter Einsatz der neu erlernten Bewegungsabläufe auf möglichst direktem Weg zu bewältigen. Dieser Aufgabe stellten sich die Mitglieder der Gruppe durchgängig mit großem Eifer, da hier jede und jeder den für sich passenden Schwierigkeitsgrad des Hindernislaufes eigenständig festlegen

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konnte. Auf Salto und Katzensprung wurde so ausnahmslos verzichtet, stattdessen integrierten nicht wenige Nachwuchs-Traceure jedoch das Klettergerüst und weitere Geräte eines nahen Kinderspielplatzes in ihre Laufroute. Andere meisterten den Hindernislauf gleich als Zweier- oder Dreier-Team. Der Umstand, dass die Kinder und Jugendlichen die Spielplatzgeräte aus eigenem Antrieb in ihren Lauf eingebaut haben, verweist zumindest in Ansätzen auf eine grundlegende Zielperspektive des Parkour – nämlich das Motiv, die Gegenstände und Objekte im urbanen Kontext »mit anderen Augen zu sehen« (Bockrath, 2008, S. 163). In der körperlichen Auseinandersetzung mit den vorgefundenen Möglichkeiten des Galwik-Parks haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über ihr Bewegungshandeln den Spielplatz als flüchtige Parkour-Gelegenheit entdeckt.

Diese Anwendungs- und Bewährungssituation bildete nicht nur den Abschluss, sondern auch den Höhepunkt der Parkour-Einheit und ist wiederkehrend ein Gesprächsgegenstand der Heranwachsenden geblieben. Der Kurs hat ferner darauf aufmerksam gemacht, dass man auf dem Jugendareal nicht nur Skateboarden und BMX-Fahren kann. Einige ehemalige Kursteilnehmer nutzen seitdem relativ regelmäßig die Basketballanlage oder verabreden sich zu Parkour-Moves auf dem Gelände.

F AZIT Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass über das konzertierte Zusammenwirken der vier Flensburger Bündnispartner (Comenius-Schule, Jugendzentrum

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AAK, Sportpiraten, Abteilung Sportwissenschaft der Europa-Universität Flensburg) im Vorfeld eine adressatengerechte Information und Ansprache von Heranwachsenden in den Quartieren Neustadt/Nordstadt gewährleistet werden konnte. Die genutzten Bewegungsräume sowie die Themen der Workshops und Kurse sind für die Zielgruppe offensichtlich interessant gewesen, was auch durch entsprechend hohe Anmeldezahlen dokumentiert wird. Auffallend ist ferner der relativ große Anteil von Kindern (im Alter von 8 bis 11 Jahren) unter den Teilnehmerinnen bzw. Teilnehmern dieser Angebote, die sich eigentlich an Jugendlichen gerichtet haben und auch entsprechend öffentlich angekündigt worden sind. Es spricht jedoch einiges dafür, dass zumindest ein Teil der bewegungsfreudigen Kinder in den beiden Stadtteilen jede frei zugängliche, kostenlose Sport- und Bewegungsgelegenheit (in diesem Fall sogar inklusive Verpflegung) wahrzunehmen versucht, da für sie beim Zugang zu organisierten und/oder kommerziellen Sportangeboten objektive oder subjektiv wahrgenommene Barrieren bestehen. Die Heterogenität der (Zufalls-) Gruppen ist letztlich für die Durchführung der Kurse in keinem Fall nachteilig gewesen, da sowohl Mädchen und Jungen als auch (jüngere) Kinder und (ältere) Jugendliche selbstverständlich und reibungslos miteinander interagiert haben. Mitverantwortlich hierfür ist sicherlich die entspannte, ungezwungene und spielerische Atmosphäre auf dem BMX- und Skatepark Schlachthof, die auch in den Handlungsstilen der Peergroup Teamer zum Ausdruck kommt, die vor allem auf wechselseitigen Respekt, Kooperation, Verlässlichkeit und Freiwilligkeit setzen (vgl. hierzu auch den Beitrag von Karstens). In diesem Zusammenhang kommt gerade bei heterogenen Gruppenzusammensetzungen die Rolle der Peergroup Teamer als Orientierungspunkte, Lernbegleiter und Experten für die jeweilige Trendsportpraxis in besonderer Weise zum Tragen. Gleichzeitig sind bei ausgeprägt männlich dominierten und konnotierten Bewegungspraktiken wie dem Bicycle Moto Cross spezielle Angebote für Mädchen sinnvoll, worauf sowohl die hohe Akzeptanz als auch die erfolgreiche Ausrichtung des »BMX Girls Camp« verweisen. Für die sozialen Interaktionen, die zur Erschließung der BMX-Handlungsräume führen, ist die »Abwesenheit« von Jungen oft hilfreich und begünstigt eine Erprobung weiblicher Herangehensweisen an diese Bewegungspraxis. Neben den Prozessen der Materialerkundung und Raumaneignung unter Mädchen ist hierbei ebenfalls die Bedeutung der weiblichen Peergroup Teamer als Rollenmodelle hervorzuheben. Schließlich bleibt noch anzumerken, dass die Sportpiraten auf dem Jugendareal – im Sinne der Nachhaltigkeit der Sportbündnisse – weiterhin regelmäßig an den Wochenenden halbtägige Workshops (einschließlich BMX-Workshops für Mädchen) anbieten,

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an denen jede und jeder interessierte Heranwachsende ohne vorherige Anmeldung teilnehmen kann.

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Wenzel, S. (1997). Urban und utilitär. Straßensport in Jugendkulturen. In SPoKK (Hrsg.), Kursbuch Jugendkultur (S. 182-189). Mannheim: Bollmann. Zinnecker, J. (2000). Selbstsozialisation – Essay über ein aktuelles Konzept. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation, 20 (3), 272-290.

Autorinnen und Autoren

Derecik, Ahmet, Professor für Sport und Gesellschaft an der Universität Osnabrück. Forschungsschwerpunkte: Konzept der sozialräumlichen Aneignung, informelles Lernen, Schulfreiräume und Partizipation. Dillmann, Dirk, Erlebnis- und Sportpädagoge bei den Sportpiraten Flensburg, Rope-Course Trainer, Instruktor für künstliche Kletterwände, Deeskalationstrainer für Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe. Schwerpunkte: Bewegungsorientierte Jugendarbeit, BMX- und Skatepark Flensburg. Erhorn, Jan, Juniorprofessor für Sportwissenschaft an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: Schulsportforschung, Frühkindliche Bewegungserziehung, Bewegung, Spiel und Sport in der Stadt. Grohmann, Anna, Studentin des Studienganges Master of Education an der Europa-Universität Flensburg. Hunger, Ina, Professorin für Sport und Erziehung (Didaktik) an der GeorgAugust-Universität Göttingen. Forschungsschwerpunkte: geschlechtsbezogene Bewegungssozialisation in der Kindheit sowie das didaktische Alltagshandeln von Sportlehrkräften. Karstens, Sara, Master of Education für das Lehramt an Realschulen an der Europa-Universität Flensburg, zurzeit Referendarin an der Fritz-Reuter-Regionalschule in Eckernförde. Forschungsschwerpunkte: Raumaneignung von Jugendlichen, Außerschulische Lernorte. Kolb, Michael, Professor für Bewegungs- und Sportpädagogik am Institut für Sportwissenschaft der Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: bewegungs-

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und sportbezogene Jugendforschung, Freestyle-Bewegungskulturen, Bewegungsaktivitäten im höheren Erwachsenenalter, Health Enhancing Physical Activity, Entwicklung von Räumen für Bewegungsaktivitäten Liebl, Sebastian, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft und Sport an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) ErlangenNürnberg. Er begleitet als Geschäftsführer des Campus für Wissenstransfer und Evaluationsforschung – Bildung im Sport (WEBS) die Entwicklung und Umsetzung des Moduls »ErlebnisRAUMerfahrung« des dsj-Förderprogramms »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe«. Lüthje, Lisa Sophie, Studentin des Studienganges Master of Education an der Europa-Universität Flensburg. Schwier, Jürgen, Professor für Bewegungswissenschaft und Sport sowie Vizepräsident für Studium und Lehre an der Europa-Universität Flensburg. Forschungsschwerpunkte: bewegungs- und sportbezogene Jugendforschung, Schulsportforschung, Sportkommunikation. Sygusch, Ralf, Leiter des AB Bildung im Sport am Institut für Sportwissenschaft und Sport der FAU Erlangen-Nürnberg. Er verantwortet mit seinem Team das Modul »ErlebnisRAUMerfahrung« im dsj-Förderprogramms »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe«. Töpfer, Clemens, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sportwissenschaft und Sport der FAU Erlangen-Nürnberg und Promotionsstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er betreut die konzeptionelle Entwicklung und die Fortbildungen im Modul »ErlebnisRAUMerfahrung« (dsj-Förderprogramm »Sport: Bündnisse! Bewegung – Bildung – Teilhabe«).

Pädagogik Sarah Huch, Martin Lücke (Hg.) Sexuelle Vielfalt im Handlungsfeld Schule Konzepte aus Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik November 2015, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2961-3

Monika Jäckle, Bettina Wuttig, Christian Fuchs (Hg.) Handbuch TraumaPädagogik und Schule April 2016, ca. 400 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2594-3

Tobias Leonhard, Christine Schlickum (Hg.) Wie Lehrer_innen und Schüler_innen im Unterricht miteinander umgehen Wiederentdeckungen jenseits von Bildungsstandards und Kompetenzorientierung 2014, 208 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2909-5

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Pädagogik Christin Sager Das aufgeklärte Kind Zur Geschichte der bundesrepublikanischen Sexualaufklärung (1950-2010) Juni 2015, 348 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2950-7

Gregor Schwering, Elisabeth Kampmann Teaching Media Studies Medienwissenschaft für den Schulunterricht – Grundlagen, Beispiele, Perspektiven Dezember 2016, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3053-4

Juliette Wedl, Annette Bartsch (Hg.) Teaching Gender? Zum reflektierten Umgang mit Geschlecht im Schulunterricht und in der Lehramtsausbildung Juni 2015, 564 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2822-7

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Pädagogik Christine Baur Schule, Stadtteil, Bildungschancen Wie ethnische und soziale Segregation Schüler/-innen mit Migrationshintergrund benachteiligt

Barbara Lutz-Sterzenbach, Ansgar Schnurr, Ernst Wagner (Hg.) Bildwelten remixed Transkultur, Globalität, Diversity in kunstpädagogischen Feldern

2012, 244 Seiten, kart., zahlr. Abb., 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2237-9

2013, 382 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2388-8

Anselm Böhmer Diskrete Differenzen Experimente zur asubjektiven Bildungstheorie in einer selbstkritischen Moderne

Stefanie Marr Kunstpädagogik in der Praxis Wie ist wirksame Kunstvermittlung möglich? Eine Einladung zum Gespräch

2013, 288 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2571-4

2014, 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2768-8

Michael Geiss Der Pädagogenstaat Behördenkommunikation und Organisationspraxis in der badischen Unterrichtsverwaltung, 1860-1912

Carmen Schier, Elke Schwinger (Hg.) Interdisziplinarität und Transdisziplinarität als Herausforderung akademischer Bildung Innovative Konzepte für die Lehre an Hochschulen und Universitäten

2014, 290 Seiten, kart., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2853-1

Diemut König Die pädagogische Konstruktion von Elternautorität Eine Ethnographie der Familienhilfe

2014, 326 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2784-8

Peter Schlögl Ästhetik der Unabgeschlossenheit Das Subjekt des lebenslangen Lernens

2014, 228 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2925-5

2014, 236 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2643-8

Judith Krämer Lernen über Geschlecht Genderkompetenz zwischen (Queer-)Feminismus, Intersektionalität und Retraditionalisierung

Anja Tervooren, Nicolas Engel, Michael Göhlich, Ingrid Miethe, Sabine Reh (Hg.) Ethnographie und Differenz in pädagogischen Feldern Internationale Entwicklungen erziehungswissenschaftlicher Forschung

Juli 2015, 394 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3066-4

Christine Kupfer Bildung zum Weltmenschen Rabindranath Tagores Philosophie und Pädagogik

2014, 430 Seiten, kart., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-2245-4

2013, 430 Seiten, kart., 36,99 €, ISBN 978-3-8376-2544-8

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