Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Heft VI) [4 ed.] 9783428560004, 9783428176519, 9783428160006

Im vorliegenden Werk beleuchtet Georg Jellinek die Geschichte der Menschenrechte. Er stellt u.a. fest, dass das Vorbild

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German Pages 105 [108] Year 1927

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Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte: (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Heft VI) [4 ed.]
 9783428560004, 9783428176519, 9783428160006

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Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Von Georg Jellinek

Vierte Auflage, in dritter Auflage bearbeitet von Walter Jellinek

Duncker & Humblot reprints

Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte VI

Georg Jellinek

Die Erklärung der Menschen- u n d Bürgerrechte

der Menschen- u n d Bürgerrechte VON

GEORG JELLINEK weiland o. Professor des öffentlichen Rechts an der Universität Heidelberg

VIERTE AUFLAGE IN DRITTER

AUFLAGE BEARBEITET VON

WALTER JELLINEK o.Professor des öffentlichen Rechts an der Universität Kiel

M Ü N C H E N V E R L A G

V O N

U N D

L E I P Z I G

D U N C K E R

&

/

1927

H U M B L O T

V o r w o r t zur vierten Auflage A uf Wunsch der Verlagsbuchhandlung ist vorliegende Auflage ein unveränderter Abdruck der dritten von 1919. Es war daher nicht möglich, auf die inzwischen erschienenen Schriften, so die verdienstlichen Abhandlungen von H. K n u s t , Montesquieu und die Verfassungen der Vereinigten Staaten von Amerika (1922), und von G. A. S a l a n d e r , Vom Werden der Menschenrechte. Ein Beitrag zur modernen Verfassungsgeschichte unter Zugrundelegung der virginischen Erklärung der Rechte vom 12. Juni 1776 (Heft 19 der Leipziger rechtswissenschaftlichen Studien, 1926), kritisch einzugehen. Knusts Schrift lag augenscheinlich Salander nicht vor, er würde sonst der Ernennung der virginischen Richter „during good behaviour" nicht den Sinn einer Schwächung der richterlichen Gewalt gegeben haben (S. 45). Der Ausdruck „during good behaviour" bedeutet vielmehr so viel wie unser „auf Lebenszeit" (vgl. H a t s c h e k , Englisches Staatsrecht, 1,1905, S.541). Die beiden ersten Auflagen erschienen als Heft I, 3 der von G. Jellinek und G. Meyer, dann von G. Jellinek und G. Anschütz herausgegebenen staats- und völkerrechtlichen Abhandlungen. K i e l , im Juli 1927.

W a l t e r Jellinek

Vorwort zur dritten Auflage. Mein Vater wollte die dritte Auflage vorliegender Schrift mit umfangreichen Zusätzen noch im Jahre 1909 i n Druck geben. Vor Abschluß der Vorarbeiten erkrankte er schwer, bald darauf, am 12. Januar 1911, starb er. Den Bedürfnissen des Buchhandels half i m Jahre 1913 ein anastatischer Neudruck der zweiten Auflage ab. Durch den Krieg verzögert, erscheint die dritte Auflage erst heute. I m Nachlaß fand sich ein Handexemplar der zweiten Auflage mit zahlreichen kleineren Zusätzen und Änderungen, vielfach mit genauer Angabe des Einschalteorts. Zusätze, bei denen diese genaue Angabe fehlte, wurden von mir an der passenden Stelle der Seite eingefügt, auf der sie standen. I m Nachlaß fanden sich außerdem neun lose Blätter mit größeren Zusätzen ohne Angabe des Einschalteorts und ohne Bezifferung. Sie betreffen den Gedanken einer Erklärung der Pflichten im Zusammenhang mit der Erklärung der Rechte (S. 14f.), Anerkennung des Recht, auf Arbeit als eines unveräußerlichen Menschenrechts i n Frankreich (S. 15 f.), Kampf um die Religionsfreiheit in der französischen Nationalversammlung (S. 30 f.), Verwandlung der Bürgerrechte i n Menschenrechte (S. 42), Roger Williams geschichtliche Stellung (S. 47 f.), Entwicklung des Toleranzgedankens in Maryland (S. 51 f.), Duldsamkeit und Unduldsamkeit in Amerika (S. 54f.), Geschichte des Naturrechts (S. 57 ff.), Zusammenhang der Preß-, Vereins- und

I

Vorwort zur dritten Auflage.

Versammlungsfreiheit mit der Religionsfreiheit (S. 61 f.). Auch hier ließen sich passende Stellen für die Einschaltung finden. I m übrigen hatte ich die meist ohne Belegstellen niedergeschriebenen Zusätze mit Anmerkungen zu versehen und die neuerschienenen Schriften, soweit sie mir zugänglich waren, innerhalb der durch die Knappheit der Schrift gebotenen Grenzen nachzutragen. Der Text der französischen Rechteerklärung (S. 20 ff.) wurde mit den Archives parlementaires, die Texte der amerikanischen Erklärungen (S. 20 ff., 81 ff.) mit der Sammlung von P o o r e verglichen und in Einklang gebracht. Ein Verzeichnis der Abweichungen am Schlüsse der Schrift (S. 84 f.) gibt Rechenschaft über die Veränderung dieser Auflage gegenüber der vorigen. Das Verzeichnis ist notwendig mit Rücksicht auf die Kampfstellung, die diese Schrift einnimmt. Nur stilistische oder sonstwie unbedeutende Änderungen sind nicht vermerkt worden. Denn umkämpft ist diese kleine Schrift meines Vaters nach wie vor. Seit Erscheinen der zweiten Auflage hat sie wiederum hohes L o b 1 , aber auch herben Tadel erfahren 2 . I n Deutschland sind kurz hintereinander drei Einzeldarstellungen über den gleichen Gegenstand, alle drei erweiterte geschichtliche Doktorarbeiten, erschienen, eine von H ä g e r m a n n über die amerikanischen Erklärungen 1 E . v. M e i e r nennt sie „eine jener seltenen Schriften von geringem Umfang bei sehr reichem Inhalt". Franzosische Einflüsse I , 1907, S. 88, N. 1. 2 „Somit ist der Jellinekschen These . . . das Fundament entzogen und ihre gänzliche Ulihaltbarkeit dargetan. Für den unbefangenen Beobachter aber bietet die Kontroverse über den Ursprung der ,Menschenund Bürgerrechte 4 — außer ihrem wissenschaftlichen Interesse — nebenbei noch einen interessanten und lehrreichen Beitrag zum Kapitel von der ,Voraussetzungslosigkeit 4. W i r werden uns ihrer erinnern, wenn die ,Voraussetzungslosen4 wieder einmal Sturm laufen gegen die ,gebundene4 Wissenschaft. Religions- und Oberlehrer E e u m o n t in der Kölnischen Volkszeitung vom 6. Juni 1912, auf Grund der Schriften von Hägermann und Redslob und eines falsch wiedergegebenen Artikels 10 der französischen Rechteerklärung (vgl. unten S. V, N. 1; S. V I I I , N. 15).

Vorwort zur dritten Auflage.

der Menschen- und Bürgerrechte 1 und zwei, auf genauer Prüfung der in Paris vorhandenen Quellen beruhende, von K l ö v e k o r n und R e e s 2 . Schon 1904 hatte auf Anregung von Max Lenz der Amerikaner S c h e r g e r die Entstehungsgeschichte der Rechteerklärung eingehend untersucht 8 . Über den Inhalt französischer Schriften berichtet Egon Z w e i g 4 . Der verhältnismäßig beste Gesamtüberblick über den Stand der Frage wird von R e e s gegeben 5 . Die Angriffe auf meinen Vater sind teils politischer, teils rein wissenschaftlicher Art. Mehrfach ist von den Gegnern der Z w e c k der Schrift meines Vaters mißverstanden worden. Weder wollte er den Protestantismus auf Kosten des Katholizismus preisen, noch den germanischen Geist auf Kosten des romanischen; er wollte feststellen, nicht werten. Religionspolitisch wurde der Streit durch das Eingreifen der Theologen. Der protestantische Pfarrer Erich F o e r s t e r lobte an der Schrift, daß sie „ein neues Licht darauf" 1 G. H ä g e r m a n n , Die Erklärungen der Menschen- und Börgerrechte in den ersten amerikanischen Staatsverfassungen (Eberings Historische Studien 78) 1910. E i n mit Randbemerkungen meines Vaters versehenes Exemplar der Dissertation befindet sich in dessen Nachlaß. Bei den Angriffen auf meinen Vater hat Hägermann die Vorlagen augenscheinlich nur flüchtig gelesen. So behauptet er S. 12 u. 23 Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Auflage von meines Vaters Schrift, die nicht bestehen; da er S. 8 u. 11 die erste Auflage im Jahre 1898 erschienen sein läßt (statt 1895), kennt er die erste Auflage wohl gar nicht. Mein Vater ist denn auch vielfach gegen Hägermann in Schutz genommen worden: A. W a h l , Hiflt. Ztschr. Bd. 106 (1911), S. 447 f.; E . T r o e l t s c h , Die Soziallehren der christlichen Kirchen, 1912, S. 764, N o t e ; E . E c k h a r d t , Die Grundrechte vom Wiener Kongreß bis zur Gegenwart, 1913, S. 12, N. 3 ; K. W o l z e n d o r f f , Staatsrecht und Naturrecht, 1916, S. 370, N. 1, S. 376, N. 4, S. 378, N. 3. Vgl. auch unten S. 67, N. 2 a. E. 8 F. K l ö v e k o r n , Die Entstehung der Erklärung der Meiischenund Bürgerrechte (Eberings Historische Stadien 90) 1911; W . R e e s , Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 (Lamprechts Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte 17) 1912. 8 G. L. S c h e r g e r , The evolution of modern liberty, New York 1904. 4 E . Z w e i g , Studien und Kritiken, 1907, S. 140ff. (Berichte über Saltet, Doumergue, Larnaude, Boutmy, Tchernoff, Mealy, Walch, Marcaggi). Über Saltet und M6aly vgl. auch G. J e l l i n e k , Allg. Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 415, Note. B A. a. O. S. Xlff., I f f .

VI

Vorwort zur dritten Auflage.

werfe, „was die europäische Menschheit der Reformation verdankt" 1 , und T r o e l t s c h , damals Professor der protestantischen Theologie, nannte „Jellineks Darlegung eine wirklich einleuchtende Entdeckung" 2 . Dies veranlagte die Katholiken zur Gegenerklärung, die bei Nikolaus P a u l u s 3 sachlich und ruhig, bei R e u m o n t scharf und gereizt ausfiel 4 . Hinter den katholischen Schriften steht die Rede des Reichstagsabgeordneten G r ö b e r vom 8. Februar 1905 zum Toleranzantrag des Zentrums 5 . Sie war es wohl hauptsächlich, die meinen Vater bestimmte, den kurzen Hinweis der zweiten Auflage auf die Religionsfreiheit im katholischen Maryland durch längere Ausführungen zu ersetzen 6 ; sachlich geändert hat sich dadurch nichts. Die Unterstellung, als beabsichtige er den germanischen Geist über den romanischen zu erheben, hatte mein Vater bereits in der Antwort auf B o u t m y zurückgewiesen 7 . Während des Krieges konnte es nicht ausbleiben, daß der Vorwurf von französischer Seite wiederholt wurde, zugleich mit dem Bedauern, daß man der Schrift meines Vaters die Ehre einer Übersetzung ins Französische habe angedeihen lassen 8 . Auch über den I n h a l t der Schrift ist die Wissenschaft nicht zur Ruhe gekommen. Mein Vater stellt namentlich vier Behauptungen unter Beweis: 1. Unmittelbares Vorbild der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte sind die bills of rights der amerikanischen einzelstaatlichen Verfassungen von 1776 und der folgenden Jahre. 2. Rousseaus contrat 1

Christliche Welt X I X , 1905, S. 153. Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, Hist. Ztschr. Bd. 97 (1906), S. 39. Den Hinweis auf das Täufertum hat mein Vater im Zusatz 5 (S. 47) aufgenommen. 8 Protestantismus und Toleranz im 16* Jahrhundert, 1911, S. 350 ff. 4 Vgl. oben S. I V , N. 2. 5 Vgl. unten S. 52, N. 1. • Unten S. 51 f. (Zusatz 6). 7 Ausgewählte Schriften und Reden I I , 1911, S. 64 f. 8 J. B a r t h 6 1 e m y , La responsabilitÄ des Professeurs allemands de droit public (Bulletin de la soci£fc6 de legislation compare t. 45) 1916. 9

Vorwort zur dritten Auflage.

social kann nicht Vorbild der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte gewesen sein. 3. Die naturrechtliche Theorie allein hätte nie zu einem gesetzlichen Ausspruch der Menschen- und Bürgerrechte geführt. 4. Geschichtlich gehen die Erklärungen der Menschen- und Bürgerrechte zurück auf die Kämpfe um die Religionsfreiheit. Keiner von den vier Sätzen ist unbestritten geblieben. 1. Die Abhängigkeit der französischen Erklärung von den amerikanischen wird jetzt ziemlich allgemein anerkannt 1 ; selbst von französischer Seite 2 . Auf Grund bisher nicht benutzter Quellen wird die geschichtliche Abhängigkeit erneut nachgewiesen von K l ö v e k o r n 8 . Mit dem gleichen Quellenbestand kommt allerdings R e e s zum entgegengesetzten Schlüsse 4 , doch wohl nur kraft einer augenscheinlichen Voreingenommenheit 5 . Wo sonst die geschichtliche Abhängigkeit geleugnet wird, steht die Leugnung im Zusammenhang mit der Lehre von Rousseaus Einfluß auf die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte. 2. Nur vereinzelt begegnen noch heute in Unkenntnis der Streitfrage gemachte Bemerkungen über den Zusammen1 F. G i e s e , Die Grundrechte, 1905, S. 9 f . ; E . K a u f m a n n , Auswärtige Gewalt und Kolonialgewalt, 1908, S. 165; E . Z w e i g , Lehre vom Pouvoir Constituant, 1909, S. 241 f., N. 5 ; F. R o s i u , Gesetz und Verordnung nach badischem Staatsrecht, 1911, S. 25; K. v. B ö c k m a n n , Die Geltung der Reichsverfassung in den deutschen Kolonien, 1912, S. 44, Note; W o l z e n d o r f f , a. a. 0 . S. 365ff.; R. S c h m i d t , Prozeßrecht und Staatsrecht, 1904, S. 24, N. 1; Vorgeschichte der geschriebenen Verfassungen (Leipziger Festgabe für Otto Mayer) 1916, S. 84. Vgl. auch unten S. 13, N. 1 ( S c h e r g e r , M e n z e l ) . 2 D u g u i t , Manuel de droit constitutionnel, 1907 p. 480; Trait6 de droit constitutionnel I I , 1911 p. 8.

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A. a. O. S. 56ff., 73ff., 95 ff.

* A. a. O. S. 60, 101, 168, 269. * W . H as b a c h , Die moderne Demokratie, 1912, S. 66, N. 1: „Die Behauptungen der Gegner Jellineks findet der Leser zusammengestellt in W . R e e s , . . . welcher die Abhandlung Jellineks bekämpft. E r hat meines Erachtens den bündigsten Beweis fur dessen Auffassung beigebracht". Über Rees treffeide Bemerkungen auch bei W o l z e n d o r f f , a. a. O. S. 366 f., N. 1.

Vorwort zur dritten Auflage.

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hang zwischen Rousseau und der Rechteerklärung 1 . Sonst wird der Zusammenhang entweder ausdrücklich abgelehnt oder, seltener, ausdrücklich bejaht. Abgelehnt wird er z. B. von W o l z e n d o r f f 2 , S t i e r - S o m l o 8 , S c h e r g e r 4 , D u g u i t * , H a u r i o u 6 und, bei Besprechung einer die Vereinbarkeit bejahenden Schrift eines Italieners 7 , von v. G i e r k e 8 , W a h l 9 und R. B o n n a r d 1 0 . Auch die i n Wahls Beiträgen zur Parteiengeschichte von E p p e n s t e i n e r angestellte Untersuchung der vorrevolutionären Flugschriften zeigt, daß gerade in der Lehre von der Allgewalt des Staats Rousseau und die Flugschriften nicht übereinstimmen 11 . Nach R e e s ' vermittelnder Meinung widerspricht zwar Rousseaus Staatslehre einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte nicht; anderseits könne die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte auch nicht als die Formulierung von Rousseaus Staatslehre betrachtet werden 1 2 . Der Versuch Hägermanns, Rousseau als den Stammvater der amerikanischen Rechteerklärungen hinzustellen 1 8 , wird von W a h l zurückgewiesen 1 4 . Mit juristischen Mitteln unternimmt eine Rettung Rousseaus R e d s 1 o b 1 5 , Er meint, es bestünde ein 1

Tim K l e i n , Wieland und Rousseau, 1904, S, 61, 88. A. a. O. S. 360 ff. Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik 1917, S. 61 f. 4 A. a. O. p. 150 f. B Manuel a. a. O., Traits a. a. O. 6 Precipes de droit public 1910, p. 556 f. 7 Georgio d e l V e c c h i o , S u l a teoria del contratto sociale, Bologna 1906, p. 7 ff., 99 ff. 8 Johannes Althusius, 3. Aufl., 1913, S. 382. 9 Hist. Ztschr. Bd. 101 (1908), S. 410 ff. 10 Du pr&endu individualisme de J.-J. Rousseau, Revue du droit public, t. 24 (1907), p 784 ff. 11 F. E p p e n s t e i n e r , Rousseaus Einfluß auf die vorrevolutionären Flugschriften, 1914, S. 62. 18 R e e s , a. a. O. S. 262. 18 H ä g e r m a n n , a. a. O. S. 90 ff. 14 Hist. Ztschr. Bd. 106 (1911), S. 448. R. R e d s l o b , Die Staatstheorien der französischen Nationalversammlung, 1912, S. 92 ff.; hierzu auch W o l z e n d o r f f , a. a. O. S. 360 ff. 2

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Vorwort zur dritten Auflage.

wesentlicher Unterschied zwischen der französischen und den amerikanischen Erklärungen. Die amerikanischen enthielten v o r staatliche Rechte, die französische dagegen Rechte i m Staat, die jederzeit durch Gesetz eingeschränkt werden könnten. Ähnlich bestreitet O t t o M a y e r einen Abfall der französischen Rechte^rklärung von Rousseaus puissance souveraine des allgemeinen Willens. „Das Gesetz kann alles; alle Freiheitsrechte, Art. 4 bis Art. 11 der Erklärung, sind durch das Gesetz beschränkbar" 1 . Richtig ist , daß die Einschränkbarkeit durch Gesetz bei der französischen Erklärung häufiger ist als bei den amerikanischen. Allein weder fehlt die Einschränkbarkeit durch Gesetz bei den amerikanischen Erklärungen v ö l l i g 2 , noch ist das Gesetz nach der französischen Erklärung allen Freiheiten gegenüber allmächtig. Das Verbot der rückwirkenden Strafgesetze (Art. 8), die Gewährung zwar nicht der unbeschränkbaren Kultfreiheit, wohl aber der unantastbaren Bekenntnisfreiheit (Art. 10), das Gebot der vorgängigen Entschädigung bei Enteignungen (Art. 17) sind auch in Frankreich Schranken für den Gesetzgeber, nicht nur für die Verwaltung 3 . 3. Den Einfluß des Naturrechts auf die Ideengeschichte der Menschen- und Bürgerrechte hat mein Vater nie leugnen wollen 4 . I n die zweite Auflage dieser Schrift hat er über das Naturrecht ein besonderes Kapitel ( V I I I ) eingefügt, das i n vorliegender Auflage noch mehrfache Erweiterungen erfahren hat (S. 57 ff., 61 f., 63). Die Hervorhebung der Bedeutung des Naturrechts für die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in einigen Schriften 5 ist daher an sich keine Widerlegung meines Vaters. 1

Deutsches Verwaltungsrecht I , 2. Aufl., 1914, S. 71 f., N. 12. Virginien Art. 8, Massachusetts Art. 12 — Anklänge an die Magna Charta. Vgl. unten S. 82, 23 f. 8 Vgl. unten S. 24 f., 25 f., 28. 4 Vgl. Vorrede zur zweiten Auflage. 5 S c h e r g e r , a. a. O. p. V I I I u. 177, N. 1; R. S c h m i d t , Prozeßrecht und Staatsrecht, 1904, S. 24f., N. 1; H . v. V o l t e l i n i , Die natur2

Vorwort zur dritten Auflage.

Der Satz dagegen, die naturrechtliche Theorie allein, unbefruchtet von geschichtlichen Ereignissen, hätte nie zu einer gesetzgeberischen Aufstellung von Menschen- und Bürgerrechten geführt, ist m. E. schwer bestreitbar. Sonst hätte es doch nahegelegen, ein Verzeichnis der Menschen- und Bürgerrechte i n das Allgemeine Landrecht, dieses vom Naturrecht stark beeinflußte Gesetzbuch aufzunehmen, zumal kurz vor seiner Fertigstellung ein besonderes Buch über die „Rechte der Menschheit" erschienen war1. Von Menschen- und Bürgerrechten ist aber im A . L. R. kaum die Rede. Allerdings findet sich vereinzelt wenigstens der Name „Rechte des Menschen", „Rechte der Menschheit" 2 . Indessen, selbst diese Ausdrücke scheinen, was an Hand der nicht veröffentlichten Material i e n 6 noch näher zu untersuchen wäre, erst nach der französischen Revolution Eingang in das Gesetz gefunden zu haben. Zuerst gebraucht werden sie im Allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen Staaten von 1791 4 . Der Entwurf von 1784 kennt nur „Rechte der Bürger" 5 . Dabei hätte inhaltlich das A. L. R. einem Verzeichnis von Menschen- und Bürgerrechten nicht widerstritten, wie eine private Zusammenstellung aus dem Jahre 1792 beweist 6 . 4. Die Ansicht

meines

Vaiers

von der

Religions-

rechtlichen Lehrp.n und die Reformen des 18. Jahrhunderts, Hist. Ztschr. Bd. 105 (1910), S. 80 ff.; v. G i e r k e , a. ä. O. S. 381. 1 Joh.. Aug. S c h l e t t w e i n , Die Rechte der Menschheit, 1. Aufl. 1784, 2. Aufl. 1787. 2 Einl. § 83: „Die allgemeinen Rechte des Menschen gründen sich auf die natürliche Freiheit, sein eigenes Wohl, ohne die Kränkung der Rechte eines andern, suchen und befördern zu können". § 10 I 1: „Die allgemeinen Rechte der Menschheit gebühren auch den noch ungeborenen Kindern, schon von der Zeit ihrer Empfängnis". * Namentlich der Revisio monitorum. Eine Andeutung in Kleins Annalen V I I I , 1791, S. X V I I I . * Einl. | 90 u. § 10 I 1. 6 Einl. § 88: „Alle Rechte der Bürger des Staates entspringen entweder unmittelbar aus dem Gesetze, oder sie sind Folgen, welche die Gesetze mit gewissen Handlungen verbinden". 6 B i e s t e r s Berlinische Monatsschrift X I X , 1792, S. 5ff., 11 ff. (Menschen- und Bürger-Freiheit), 21 ff. (Denk- und Gewissens-Freiheit).

Vorwort zur dritten Auflage.

freiheit als des geschichtlich ersten Menschenrechts hat mehrfach Anklang gefunden l . Sie wird nicht richtig wiedergegeben mit der Behauptung, mein Vater habe für die Reformation als solche das Verdienst der Religionsfreiheit i n Anspruch genommen 2 . Vielmehr rückt mein Vater nur die geschichtliche Stellung Roger Williams' in den Vordergrund und überläßt auch noch i n den Zusätzen zur dritten Auflage die nähere Erforschung des Ursprungs der von Roger Williams ausgesprochenen Gedanken den theologischen Fachgelehrten 8 . Die Ansicht meines Vaters wird aber auch bekämpft oder für einseitig erklärt 4 . Bei Besprechung der, übrigens von meinem Vater wenigstens mittelbar berücksichtigten 5 , Urkunde der Freiheiten von Massachusetts von 1641 gibt W a h l zwar den ursächlichen Zusammenhang zwischen Religion und Rechteerklärung zu, aber nicht in dem Sinne, daß gerade die Religionsfreiheit das ursprünglichste Menschenrecht gewesen sei 6 . Die Streitfrage wird nicht durch den Hinweis auf die in Amerika vielfach herrschend gewesene Unduldsamkeit erledigt. I m Gegenteil, gerade die Bedrückung ist meist die Mutter eines Freiheitsgedankens. Die Entscheidung ist aber in der Tat nicht einfach, wenn man die Schwierigkeit jeglicher ideengeschichtlicher Feststellung bedenkt. Wer kann z. B. mit Sicherheit die Entstehung der Theorie vom monarchischen Prinzip bis in ihren Ursprung ver1 G i e s e , a. a. O. S. 8; E . K a u f m a n n , a. a. O. S. 165; R o t h e n b ü c h e r , Trennung von Staat und Kirche, 1908, S. 74f.; W o l z e n d o r f f , a. a. O. S. 297. 2 So H ä g e r m a n n , a. a. O. S. 26 f. 8 Vgl. unten S. 47, N. 3. 4 S c h e r g e r , a. a. O.; R. S c h m i d t , Der Prozeß und die staatsbürgerlichen Rechte, 1910, S. 34 f.; Vorgeschichte der geschriebenen Verfassungen, 1916, S. 172f.; v. G i e r k e , a. a. O. S. 381 f.; E c k h a r d t , a. a. O. S. 11 f.; H a s b a c h , Ztschr. f. Sozialwissenschaft, N. F*., V 1914, S. 645 f. 6 2. Aufl., S. 50, N. 2 ; 3. Aufl., S. 64, N. 2. 6 Zur Geschichte der Menschenrechte, Hist. Ztschr. Bd. 103 (1909), S. 79 ff.

II

Vorwort zur dritten Auflage.

folgen 1 , wer die wirksame Entstehung des Völkerbundgedaixkens, des Gedankens eines Friedens ohne Entschädigungen und Annexionen? Für die Ansicht meines Vaters spricht namentlich dreierlei: der Gründungsvertrag von Providence von 1636, kraft dessen sich die Ansiedler den Gesetzen „nur i n weltlichen Dingen" unterwerfen 2 , die 1644 erschienene Schrift Roger Williams über die Verfolgung um des Gewissens w i l l e n 8 und das kurz darauf entstandene erste Agreement of the people von 1647 mit seiner feierlichen Erklärung von fünf der Parlamentsgesetzgebung entzogenen angeborenen Rechten, an deren Spitze die Religionsfreiheit genannt vHrd 4 . Denn was mein Vater suchte, war der Ursprung des verfassungsmäßigen Ausspruches auch vom Gesetz nicht antastbarer Urrechte. Das Agreement of the people war keine Verfassung, aber immerhin der Entwurf zu einer solchen. Wegen seiner Wichtigkeit und zur Unterscheidung von den späteren, der Religionsfreiheit weniger günstigen Entwürfen 6 ist es von mir im Anhang I wörtlich abgedruckt worden 6 . Weniger die Richtigkeit als die Neuheit „der These vom »religiösen Ursprung 4 der Idee unveräußerlicher Freiheitsrechte" bezweifelt W o l z e n d o r f f 7 unter Hinweis auf H e i n r i c h H e i n e , Englische Fragmente X I . „Erst zur Zeit der Reformation", heißt es bei Heine, „wurde der Kampf von allgemeiner und geistiger Art, und die Freiheit wurde verlangt, nicht als ein hergebrachtes sondern als ein ursprüngliches, nicht als ein erworbenes sondern als ein angeborenes Recht. Da wurden nicht mehr alte Perga1

Vgl. G. J e l l i n e k , Allg. Staatslehre, 3. Aufl., 1914, S. 470 f., N. 2. Unten S. 47. Unten S. 48. 4 Unten S. 44 f. 6 Vgl. A. O. M e y e r , Hist. Ztschr. Bd. 108 (1912), S. 282. Die Jahreszahl 1647 dort beruht auf einem Druckfehler, wie mir M. bestätigt; das dort genannte A. of the people ist nicht der Erstentwurf. 6 Unten S. 78 ff. 7 Vom deutschen Staat und seinem Recht, 1917, S. 54, N. 1. 2

8

Vorwort zur dritten Auflage.

mente, sondern Prinzipien Vorgebracht ; und der Bauer i n Deutschland und der Puritaner in England beriefen sich auf das Evangelium . . . Da stand deutlich ausgesprochen: daß die Menschen von gleich edler Geburt sind, daß hochmütiges Besserdünken verdammt werden muß, daß der Reichtum eine Sünde ist, und daß auch die Armen berufen sind zum Genüsse, in dem schönen Garten Gottes, des gemeinsamen Vaters". So sehr diese Stelle Beachtung verdient, so besteht doch nur ein loser Zusammenhang zwischen ihr und den Ausführungen meines Vaters. Denn Heine spricht hier in der Hauptsache Vom Drang nach wirtschaftlicher Gleichstellung und berührt mit keinem Worte den für meinen Vater doch ausschlaggebenden Gedanken der Religionsfreiheit. Eine andere Stelle aus Heine bringt O e s c h e y 1 i n Erinnerung. „Jene Erklärung der Menschenrechte, worauf unsere ganze Staats Wissenschaft basiert ist", sagt Heine in den Französischen Zuständen 2 , „stammt nicht aus Frankreich, wo sie freilich am glorreichsten proklamiert worden, nicht einmal aus Amerika, woher sie Lafayette geholt hat, sondern sie stammt aus dem Himmel, dem ewigen Vaterland der Vernunft". Heine streift hier wirklich in einem kurzen Satze drei von den jetzt viel umstrittenen Hauptfragen: Frankreich, Amerika, Naturrecht. I n diesem Zusammenhange sei endlich des Schweizers J. D u b s gedacht, der bereits 1877 i n seinem für das Volk dargestellten „Öffentlichen Recht der Schweizerischen Eidgenossenschaft" die geschichtliche Abhängigkeit der französischen Rechteerklärung von denjenigen der nordamerikanischen Einzelstaaten und ihre Unvereinbarkeit mit Rousseaus contrat social erkannt h a t 8 . •

1 Die bayerische Verfassungsurkunde vom 26. Mai 1818, 1914, S. 58, N. 2. 2 Vorrede zur Vorrede (vom November 1832). 3 I , S. 149ff. Auf Dubs macht W. H a s b a c h aufmerksam: Moderne Demokratie 1912, S. 66, N. 1.

XI

Vorrede zur zweiten Auflage.

Außer der in nannten englischen eine russische von eine spanische von

der Vorrede zur zweiten Auflage geund französischen Übersetzung ist 1906 W o r m s i n dritter Auflage und 1908 Po s a d a erschienen.

K i e l , den 30. April 1919.

Walter Jellinek.

Vorrede zur zweiten Auflage. Die nachfolgende Abhandlung, die zuerst vor mehr als acht Jahren als eine Studie zu meiner allgemeinen Staatslehre erschien, hat viel größere Wirkung gehabt, als ich erwarten durfte. Sie hat in Deutschland Zustimmung und Anerkennung gefunden, die sich oft in ungewöhnlich warmen Worten äußerte. Sie hat Übersetzungen i n mehrere Sprachen erfahren. Zwei von ihnen sind von mir ausdrücklich bewilligt und durchgesehen worden. Zuerst die englische, die in Amerika veranstaltet wurde sodann die französische, der ein Professor der Pariser Rechtsfakultät Geleitworte vorangeschickt h a t 2 . Die französische Ausgabe jedoch hat alsbald das Mitglied des Instituts von Frankreich, Herrn Emil B o u t m y , zu einer ausführlichen Entgegnung veranlaßt, die trotz aller Höflichkeit der Form, die französische Polemik so vorteilhaft aus1 The Declaration of the Rights of Man and of Citizens. Authorized translation from the German by Max Farrand, Ph. D., Professor of history in Wesleyan University. Revised by the author. New York, Henry Holt and Company 1901. 2 L a declaration d^t droits de l'homme et. du citoyen. Traduit de l'allemand par Georges Fardis, Avocat. Edition fran^aise revue de l'Auteur et augmentee de nouvelles notes. Avec une Preface de M. F. L a r n a u d e , Professeur k Ja Faculty de droit de TUniversite de Paris. Paris, Albert Fontemoing, 1902.

Vorrede zur zweiten Auflage.

zeichnet, nicht anders als leidenschaftlich genannt werden kann1. B o u t m y fühlt sich in seinen nationalen Empfindungen verletzt, weil ich die Originalität der Franzosen bei der Schöpfung ihrer Erklärung der Rechte verneint habe. Diese sucht er zu verteidigen, indem er die neuesten Forschungen gänzlich ignoriert, die, auch von französischer Seite unternommen, die Richtigkeit meiner Behauptungen bestätigen. I n seiner Leidenschaft hat er meine Schrift nicht einmal richtig gelesen und daher nicht richtig verstanden. E r setzt an Stelle der Tatsachen seine Empfindungen und an Stelle des Beweises die geistreiche Deklamation. Die Stimme des angesehenen Mannes, der den Sieg französischen Esprits über deutsche Gelehrsamkeit verkündigen zu können glaubte, hat in Frankreich Eindruck gemacht. Ich habe mich daher veranlaßt gesehen, Herrn Boutmy i n Frankreich selbst entgegenzutreten 2 , indem ich nachwies, daß er mich in keinem einzigen Punkte widerlegt hat, zumal er den ganzen Zweck meiner Schrift mißverstanden hat, die nicht dem Triumph germanischen Geistes, sondern der Erkenntnis der geschichtlichen Wahrheit gewidmet ist. Auf meine Entgegnung hat Boutmy und mit ihm die gesamte französische Kritik bisher geschwiegen und ich glaube nicht, daß sie mir das letzte Wort gelassen hätten, wenn sie etwas zu erwidern imstande wären. Die Mißverständnisse, welchen meine Ausführungen i n Frankreich begegnet s ind, veranlassen mich aber, an dieser Stelle die Tendenz meiner Abhandlung nochmals nachdrücklich zu betonen, trotzdem sie dem aufmerksamen Leser ohne weiteres einleuchten mußte. Ich habe die Er1 E. B o u t m y , La declaration des droits de Vhomme et du citoyen et M. Jellinek. Annales des sciences politiques t. X V I I , 1902, p. 415—443. Abgedruckt in E. B o u t m y , Etudes politiques 1907, p. 119 ff. 2 La declaration des droits de Tbomme et du citoyen. R£ponse de M. Jellinek a M. Boutmy. Revue du droit public et de la science politique t. X V I I I , 1902, p. 385—400. Abgedruckt in den Ausgewählten Schriften und Reden I I , 1911, S. 64 ff.

XVI

Vorrede zur zweiten Auflage.

klärung der Konstituante nicht nach ihrem kulturhistorischen, philosophischen, sozialen Werte geprüft, sondern ausschließlich nach ihrer Bedeutung für die europäische Verfassungsgeschichte. Ich wollte ferner an einem wichtigen Beispiel den Weg verfolgen, auf dem abstrakte Forderungen an den Staat zu Gesetzen für den Staat erhoben werden. Wer mit der politischen Literatur vertraut i s t , der weiß, wie unendlich mannigfaltig die politischen Glaubenssätze sind, die Verwirklichung heischen. Da muß denn notwendig die Frage entstehen, welche Ursachen den einen Gedanken zum geltenden Recht erheben, den anderen die Bahn zur verfassungsmäßigen Anerkennung verschließen. W i r haben uns bisher fast ausschließlich mit dem literarischen Ursprung der politischen Ideen beschäftigt und die Frage nach den lebendigen geschichtlichen Kräften, welche die Ideen in g e l t e n d e s R e c h t umsetzen, vernachlässigt. Allein der Weg von einer philosophischen Forderung zu einer Tat des Gesetzgebers ist weit und verschlungen, und es galt daher den Beginn dieses Weges festzustellen und die Wandlungen zu erkennen, welche die Ideen auf ihrem langen Zuge durch die Geschichte der Institutionen durchmachen. Die Wiederholung des methodischen Grundgedankens des vorliegenden Werkchens an dieser Stelle scheint mir nicht nur angezeigt, um Irrtümern zu begegnen, die es i n Frankreich erfahren hat. Auch in Deutschland hat man nicht immer verstanden, es richtig zu lesen. I n der zweiten Auflage seines vortrefflichen Buches über Althusius erklärt G i e r k e meine Behauptung, daß das Urrecht der religiösen Freiheit überhaupt die eigentliche Quelle der Menschenrechte sei, für einseitig \ Ich habe aber derartiges nie behauptet: nicht etwa alle Menschenrechte, sondern deren g e s e t z l i c h e A u s s p r a c h e führen auf die Religionsfreiheit zurück, was doch wohl nunmehr außer allem Zweifel stehen dürfte. 1 G i e r k e , Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. 2. Aufl. 1902 (3. Aufl. 1913), S. 346, N. 49.

Vorrede zur zweiten Auflage.

Auch kann es als feststehend gelten, daß die Vorstellung angeborener und unveräußerlicher Menschenrechte zuerst in den politisch-religiösen Kämpfen innerhalb der reformierten Kirche und ihrer Sekten zu einer die Geister bestimmenden Macht heranwuchs \ I n einem bemerkenswerten Vortrag weist A. W a h l nach, daß die Remontrances des Pariser Parlamentes bereits i n der Zeit von 1752 bis 1766 von den allgemeinen Menschenrechten der Freiheit, des Eigentumes, der Sicherheit sprechen und meint deshalb, daß die Franzosen später ihre Menschenrechte von den Amerikanern nicht rein äußerlich übernommen hätten, die Schuld wäre mindestens eine gegenseitige 2 . Auf Grund der Ausführungen Wahls behauptet Richard S c h m i d t mir gegenüber, die französischen Menschenrechte seien nicht rein englisch-amerikanischen Ursprungs, sondern der konsequenteste Ausdruck des „westeuropäischenNaturrechtes" 8 . Daran ist soviel richtig, daß, wie man längst weiß, die angeführten, ganz färb- und inhaltlosen Rechte damals und schon lange vorher zu den naturrechtlichen Trivialitäten zählten; sind sie doch schon vor Locke ausgesprochen worden, lassen sich ihre Spuren doch bis zu Aristoteles zurückverfolgen. Sie und noch einige andere hätten Wahl und Schmidt überdies vor allen jenen französischen Dokumenten bei unserem biederen alten mitteleuropäischen Christian Wolff finden können, der, wie ebenfalls längst bekannt 4 , 1 Das ist auch von englischer Seite energisch betont worden. Vgl. D. G. R i t c h i e , Natural Rights, London 1895, p. 2 ff. Gegen R e h m , der, Allgemeine Staatslehre S. 247, den Zusammenhang zwischen der Religionsfreiheit in den amerikanischen Dokumenten des 17. Jahrhunderts und den Freiheitsrechten des folgenden vermöge juristischer Interpretation, die ja bei solchen Fragen versagt, verneinen zu können glaubt, vgl. meine ausführliche Widerlegung, Allgemeine Staatslehretj.374f. (3. Aufl., S.413 ff.;. 2 W a h l , Politische Ansichten des offiziellen Frankreichs im 18. Jahrhundert, 1903, S. 25. Vgl. auch oben S. V I I I , X I u. unten S. ö4. 3 R. S c h m i d t , Allgemeine Staatslehre I I 1 , 1903, S. 799, 804. Vgl. auch oben S. V I I , I X , X I u. unten S. 59. 4 Über den Einfluß Wolffs auf Frankreich vgl. z. B. H a s b a c h , Die allgemeinen philosophischen Grundlagen der von Francois Quesnay und Adam Smith gegründeten politischen Ökonomie 1890, S. 47.

6 . J e l l i n e k , Menschen- u n d Bürgerrechte.

4. Aull.

II

XVIII

Vorrede zur zweiten Auflage.

im Verein mit Locke auf den Geist des 18. Jahrhunderts energisch gewirkt hat. Menschenrechte waren dem 18. Jahrhundert lange vor den großen Revolutionen der neuen und der alten Welt geläufig, aber ihre gesetzliche und daher den Staatsbau bestimmende Aussprache stammt nicht allein aus der naturrechtlichen Theorie, namentlich aber nicht die Aufstellung eines Kataloges spezialisierter Freiheitsrechte neben den allgemeinen Rechten der Naturrechtslehre. Jeder Kenner der neueren Verfassungsgeschichte weiß, daß nicht diese, sondern jene Rechte von bleibender Bedeutung geworden sind. Obwohl ich den Einfluß des Naturrechts auf die Formulierung der amerikanischen und französischen Sätze bereits früher mit größter Deutlichkeit hervorgehoben hatte, ist nunmehr diesem Gegenstand ein besonderes kurzes Kapitel gewidmet. Die Erweiterungen, Änderungen und Zusätze, welche diese zweite Auflage außerdem erfahren hat, sind hauptsächlich durch die in den letzten Jahren erschienene einschlägige Literatur veranlaßt worden. Hinzugefügt wurde zum Schlüsse der Abdruck der epochemachenden Deklaration der Rechte von Virginien, da sie in Deutschland noch sehr wenig bekannt ist. Sonst aber ist Grundriß und Aufbau der Darstellung unverändert geblieben. Auch die Knappheit der Sprache ist beibehalten, da ich es für unangemessen erachte, viele Worte zu machen, wenn man mit wenigen auskommen kann. Weitere Irrtümer wird diese Kürze in Zukunft hoffentlich nicht mehr verschulden. Sollten sie wider Erwarten dennoch hervortreten, so ist es wohl auch mir gestattet, zu erklären: Je ne sais pas Tart d'etre clair pour qui ne veut pas etre attentif. H e i d e l b e r g , den 3. Dezember 1903.

Georg Jellinek.

Inhaltsverzeichnis. Seit© Vorwort zur dritten Aurlage III Vorrede zur zweiten Auflage XIV I . Die französische Erklärung der Rechte vom 26. August 1789 und ihre Bedeutung 1 I I . Der contrat social Rousseaus ist nicht die Quelle dieser Erklärung 5 III. IV. V. VI. VII.

VIII. IX. X.

Ihr Vorbild sind die bills of rights der Einzelstaaten der nordamerikanischen Union Die Erklärung Virginiens und der anderen nordamerikanischen Staaten Vergleichung der französischen und der amerikanischen Deklarationen Der Gegensatz zwischen den amerikanischen und den englischen Erklärungen der Rechte Die Religionsfreiheit in den anglo-amerikanischen Kolonien als Ursprung der Idee, ein allgemeines Menschenrecht durch Gesetz festzustellen Die Naturrechtslehre allein hat das System der Menschen- und Bürgerrechte nicht geschaffen Die Schöpfung des Systems der Menschen- und Bürgerrechte während der amerikanischen Revolution Die Menschenrechte und die germanische Rechtsanschauung. Anhang I . Das erste Agreement of the People vom 28. Oktober 1647 Anhang I I . Die Virginische Erklärung der Rechte vom 12. Juni 1776 Verzeichnis der Abweichungen

8 17 20 29

42 57 64 72 78 81 84

I. D i e Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers durch die französische Konstituante vom 26. August 1789 ist eines der bedeutsamsten Ereignisse der französischen Revolution. Sie hat von verschiedenen Standpunkten aus gegensätzliche Beurteilung erfahren. Politiker und Historiker haben sie eingehend gewürdigt und sind vielfach zu dem Resultate gekommen, daß sie einen nicht geringen Anteil an der Anarchie habe, von der Frankreich bald nach dem Sturm auf die Bastille heimgesucht wurde. Ihre abstrakten Formeln werden als vieldeutig und darum gefährlich nachgewiesen, als jeder politischen Realität und praktischen staatsmännischen Erkenntnis bar. Ihr hohles Pathos habe die Köpfe verwirrt, das ruhige Urteil getrübt, die Leidenschaften entzündet, das Pflichtgefühl — von Pflichten sei in ihr nicht die Rede — erstickt 1 . Andere hingegen, namentlich Franzosen, haben sie als weltgeschichtliche Offenbarung gepriesen, als Katechismus der „Prinzipien von 1789 a , die die ewige Grundlage der staatlichen Ordnung bilden, als das kostbarste Geschenk, das Frankreich der Menschheit gegeben. Weniger beachtet als die historische und politische ist die rechtsgeschichtliche Bedeutung dieses Dokumentes, die 1 Zuerst bekanntlich B u r k e und B e n t h a m , zuletzt T a i n e , Les origines de la France contemporaine. L a revolution I , p. 273 ff-; O n c k e n , Das Zeitalter der Revolution, des Kaiserreiches und der Befreiungskriege I , p. 229 ff. u. W e i ß , Geschichte der französischen Revolution I, 1888, p. 263.

G. J e l l i n e k , Menschen- u. Bürgerrechte.

4. Aufl.

1

2 bis auf den heutigen Tag fortdauert. Welches auch immer der Wert oder Unwert seiner allgemeinen Sätze sein mag, unter seinem Einflüsse hat sich im positiven Rechte der Staaten des europäischen Kontinents die Vorstellung von dem subjektiven öffentlichen Rechte des Individuums entwickelt. Die staatsrechtliche Literatur kennt bis dahin Rechte der Staatshäupter, Privilegien der Stände, Vorrechte einzelner oder bestimmter Korporationen, die allgemeinen Untertanenrechte erscheinen aber wesentlich nur in der Form von Pflichten des Staates, nicht von ausgeprägten rechtlichen Ansprüchen der einzelnen. Erst jene Erklärung der Menschenrechte hat den bis dahin nur dem Naturrecht bekannten Begriff des subjektiven Rechtes des Staatsgliedes gegenüber dem Staatsganzen i n vollem Umfang im positiven Recht entstehen lassen. Das hat zunächst die erste französische Verfassungsurkunde vom 3. September 1791 gezeigt, die auf Grund der ihr vorangestellten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte eine Reihe von droits naturels et civils als durch die Konstitution garantierte Rechte aufstellt I m Verein mit dem Wahlrechte haben diese „droits garantis par la constitution", die zuletzt in der Verfassung vom 4. November 1848 aufgezählt worden s i n d 2 , fast bis zur Gegenwart die einzige Grundlage der französischen Theorie und Praxis hinsichtlich der subjektiven öffentlichen Rechte des Individuums gebildet 8 . Unter dem Einflüsse der ersten französischen Deklaration sind aber auch fast in alle Verfassungsurkunden der übrigen kontinentalen Staaten ähnliche Kataloge von Rechten aufgenommen worden, deren einzelne Sätze und Formulierungen i n verschiedenem Maße den individuellen Verhältnissen der be1 Titre premier: Dispositions fondamentales garanties par la constitution. 2 H 6 1 i e , Les constitutions de la France p. 1X03 ff. 8 Vgl. J e l l i n e k , System der subjektiven Öffentlichen Rechte S. 3 N. 1. Unter dem Einfluß der deutschen Lehre hat sich das in der letzten Zeit geändert, vgl. B a r t h 6 1 e m y , Essai d'une thäorie des droits subjectifs des administr^s dans le droit administratif fran^ais. Paris 1899.

3 treffenden Staaten angepaßt sind und daher inhaltlich fiäufig weitgehende Unterschiede aufweisen. Während die drei ersten französischen Verfassungen die Menschen- und Bürgerrechte erklären, kennt die Charte constitutionnelle vom 4. Juni 1814 nur öffentliche Rechte der Franzosen, und von da angefangen pflegen nur allgemeine Rechte der Staatsangehörigen in den Verfassungsurkunden festgesetzt zu werden, obwohl manche ihrer Sätze überall mit territorialer Rechtskraft ausgestattet sind und sich daher auf alle innerhalb des staatlichen Herrschaftsbereichs Weilenden beziehen I n Deutschland hatten bereits die meisten Verfassungsurkunden aus der Epoche vor 1848 einen Abschnitt über die Rechte der Untertanen. Namentlich die belgische Verfassung vom 7. Februar 1831 hat auf die Formulierungen späterer Verfassungsurkunden großen Einfluß gehabt. I m Jahre 1848 hat die konstituierende Nationalversammlung zu Frankfurt die Grundrechte des deutschen Volkes beschlossen, die am 27. Dezember 1848 als Reichsgesetz publiziert wurden. Trotzdem der Bundesbeschluß vom 23. August 1851 sie für nichtig erklärte, haben sie nichtsdestoweniger bleibende Bedeutung, da viele ihrer Bestimmungen heute fast wörtlich in das geltende Reichsrecht aufgenommen worden sind 2 . I n den europäischen Verfassungen der Epoche nach 1848 kehren jene Kataloge von Rechten i n größerer Ausdehnung wieder^ so vor allem in der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 und dem österreichischen Staatsgrundgesetze über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21. Dezember 1867. Sie sind zuletzt in den Konstitutionen der jungen Staaten auf der Balkanhalbinsel normiert worden. Eine bemerkenswerte Ausnahme allerdings bilden die Verfassungen des Norddeutschen Bundes vom 17. April 1

Vgl. Belg. Verf. Art. 128. B i n d i n g , Der Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche. Leipzig 1892, S. 23. 2

1*

4 1867 und die des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, in denen ein Abschnitt über Grundrechte gänzlich fehlt. Allein die Reichsverfassung konnte von der Aufstellung eines solchen Kataloges um so mehr absehen, als sie bereits i n den ineisten Verfassungen der einzelnen Bundesstaaten enthalten waren. Eine Reihe von Reichsgesetzen hat überdies, wie erwähnt, die wichtigsten Prinzipien der Frankfurter Grundrechte rezipiert. Ihnen eine besondere verfassungsmäßige Stellung einzuräumen, war außerdem bei den Bestimmungen der Reichsverfassung über Verfassungsänderungen unnötig, da der Reichstag, dem ja die Aufrechterhaltung der Grundrechte in erster Linie angelegen sein mußte, keine erschwerenden Formen bei Verfassungsänderungen zu beobachten hatte 1 . I n Wahrheit ist aber im Deutschen Reiche das Maß öffentlicher Rechte des Individuums viel größer als i n manchen Staaten mit verfassungsmäßig katalogisierten Grundrechten. Das lehrt z. B. ein Blick auf die Gesetzgebung, die richterliche und Verwaltungspraxis in Österreich. Wie immer man aber auch heute über die Formulierung abstrakter, erst durch detaillierte gesetzgeberische Durchbildung lebensfähiger Prinzipien für die Rechtsstellung des Individuums im Staate denken möge, die Tatsache, daß die Erkenntnis solcher Prinzipien mit jener ersten Erklärung der Rechte geschichtlich zusammenhängt, läßt es als eine wichtige Aufgabe der Verfassungsgeschichte erscheinen, die Entstehung der französischen Erklärung der Rechte von 1789 festzustellen. Durch diese verfassungsgeschichtliche Wirkung allein unterscheidet sich die Deklaration von einem der zahlreichen historischen Ereignisse aus der Zeit der Revolution, die eine innere Angelegenheit Frankreichs geblieben sind. Darum ist die bisher ganz vernachlässigte rechtsgeschichtliche Untersuchung dieses Ereignisses von 1 Bei Beratung der Verfassung hat der Reichstag alle auf die Einführung von Grundrechten zielenden Anträge abgelehnt. Vgl. B e z o l d , Materialien der deutschen Reichsverfassung I I I , S. 896—1010.

5 dem höchsten Interesse. Die Lösung dieses Problems ist auch von großer Bedeutung sowohl für das Verständnis der Entwicklung des modernen Staates als auch der Stellung, die er dem Individuum gewährt. Bisher sind in staatsrechtlichen Werken verschiedene Vorläufer der Erklärung der Konstituante von der Magna Charta bis zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung aufgezählt und aneinander gereiht worden, jede tiefere Untersuchung aber über die Quellen, aus denen die Franzosen geschöpft haben, mangelte völlig. Die herrschende Ansicht ging bis zum erstmaligen Erscheinen dieser Schrift dahin, daß die Lehren des contrat social den Anstoß zur Deklaration gegeben haben, und daß die Unabhängigkeitserklärung der dreizehn Vereinigten Staaten von Nordamerika ihr Vorbild gewesen sei. Prüfen wir zunächst die Richtigkeit dieser Behauptungen. II. I n seiner Geschichte der politischen Wissenschaft, dem umfassendsten Werke dieser A r t , das Frankreich besitzt, erörtert Paul Janet nach eingehender Darstellung des contrat social den Einfluß, den dieses Werk Rousseaus auf die Revolution geübt hat. Auf die Sätze Rousseaus sei die Idee der Erklärung der Rechte zurückzuführen. Was sei die Erklärung selbst anderes als die Formulierung des Staatsvertrages gemäß den Ideen Rousseaus und die einzelnen Rechte als die Klauseln und Bedingungen jenes Vertrages *? Es ist schwer verständlich, wie ein Kenner des contrat social eine solche mit der landläufigen Anschauung übereinstimmende Behauptung aufstellen konnte. 1 Est-il necessaire de prouver qu'un tel acte ne vient point de Montesquieu, mais de J.-J. Rousseau? Mais l'acte meine de la declaration est-il autre chose que le contrat pass6 entre tous les membres de la communaute, selon les idees de Rousseau? N'est-ce pas l'enonciation des clauses et des conditions de ce contrat? Histoire de la science politique. 3. ed. I I , p. 457, 458.

6 Der contrat social hat nur eine einzige Klausel, nämlich die volle Entäußerung aller Rechte des Individuums an die Gesellschaft 1 . Das Individuum behält kein Atom Recht für sich, sobald es in den Staat e i n t r i t t 2 . Alles, was es an Rechten erhält, bekommt es von der volonte generale, die allein über ihre Grenzen entscheidet und von keiner Macht rechtlich beschränkt werden darf und kann. Sogar das Eigentum steht dem einzelnen nur kraft staatlicher Konzession zu, der Gesellschafts vertrag macht den Staat zum Herrn aller Güter seiner Glieder 3 , die nur als Depositare des öffentlichen Gutes zu besitzen fortfahren 4 . Die bürgerliche Freiheit besteht einfach in dem, was dem Individuum nach Abzug seiner bürgerlichen Pflichten übrigbleibt 5 . Diese Pflichten können nur durch Gesetz auferlegt werden, die Gesetze müssen gemäß dem contrat social für alle Bürger gleich sein, das ist die einzige Schranke für die souveräne Gewalt 6 , die aber aus ihrer eigenen Natur folgt und ihre Gewähr i n sich selbst trägt 7 . Die Vorstellung eines ursprünglichen Rechtes, das der Mensch in die Gesellschaft hinübernimmt und das als rechtliche Grenze des Souveräns auftritt, wird von Rousseau aus-

1 Ces clauses, bien entendues, se reduisent toutes ä une seule: savoir, Taliänation totale de chaque associe avec tous ses droits ä toute la communaut£. D u contrat social I , 6. 2 De plus, l'alienation se faisant sans reserve, l'union est aussi parfaite qu'elle peut Tetre, et nul associä n'a plus rien ä r^clamer. I , 6. 8 Car TEtat, a l'egard de ses membres, est maitre de tous leurs biens par le contrat social. I , 9. 4 . . . les possesseurs etant c6nsid6r£s comme depositaires du bien public. I , 9. 5 On convient que tout ce que chacun ali^ne, par le pacte social, de sa puissance, de ses biens, de sa liberty, c'est seulement la partie de tout cela dont l'usage importe & la communaut6; mais il faut convenir aussi que le souverain seul est juge de cette importance, ib. I I , 4. 6 Ainsi, par la nature du pacte, tout acte de souverainet6, c'est-ädire toute acte authentique de la volonte g6n6rale, oblige ou favorise 6galement tous les citoyens. I I , 4. 7 L a puissance souveraine n'a nul besoin de garant envers les sujets. I , 7.

7 drücklich verworfen 1 . Es gibt kein Grundgesetz, das für die Gesamtheit bindend sein könnte, nicht einmal der contrat social selbst 2 . Aber auch einzelne wichtige Freiheitsrechte werden von Rousseau geradezu für staatswidrig erklärt. Vor allem die Religionsfreiheit. Wer nicht die bürgerliche Religion bekennt, deren Artikel vom Souverän festgesetzt werden, kann verbannt werden 8 . Und wer sie bekannt hat und sich so beträgt, wie wenn er sie nicht bekennte, soll mit dem Tode bestraft werden. Wer es wagt zu sagen, außerhalb der Kirche kein H e i l , soll aus dem Staate fortgejagt werden 4 . Sodann das Vereinsrecht. Politische Vereine, die das Volk spalten, hindern den wahren Ausdruck des Gemeinwillens und sind daher nicht zu begünstigen 5 . Diese Beispiele sollten genügen, um ein für allemal den Gedanken zurückzuweisen, daß Rousseau der Freiheit des einzelnen ein unantastbares Gebiet mit unverrückbaren Grenzen zu gewähren gewillt i s t 6 . Die Freiheit im Sinne 1 . . . ce que l'homme perd par le contrat social, c'est sa liberty naturelle et un, droit illimitä a tout ce qui le tente et qu'il peut atteindre; «e qu'il gagne, c'est la liberty civile et la propri6t6 de tout ce qu'il poss&de. I , 8. 2 . . . il est contre la nature du corps politique que le souverain s'impose une loi qu'il ne puisse enfreindre il n ' y a ni ne peut y avoir nulle espäce de loi fondament&le obligatoire pour le corps du peuple, pas meme le contrat social. I , 7. 3 I I y a done une profession de foi purement civile dont il appartient au souverain de fixer les articles, non pas präcisäment comme dogmes de religion, mais comme sentimens de sociability Sans pouvoir obliger personne k les croire, il peut bannir de l'ICtat quiconque ne les croit pas. I V , 8. 4 Que si quelqu'un, apr&s avoir reconnu publiquement ces memes dogmes, se conduit comme ne les croyant pas> qu'il soit puni de mort quiconque ose dire: Hors de VJEglise point de aalut, doit etre chasse de l'Etat. I V , 8. 6 I I importe done, pour avoir bien l'6nqnc6 de la volonte g£n£rale, qu'il n'y ait pas de societe partielle dans l'Etat, et que chaque citoyen n'opine que d'apr&s lui. I I , 3. 6 Wenn B o u t m y , a. a. O. p. 417ff. (122ff.) trotzdem Rousseau als den Ahnherrn der Freibeitsrechte preist, so schwebt ihm nicht der contrat social vor, wie ihn Rousseau geschrieben hat, sondern wie ihn Boutmy geschrieben haben würde.

8 Rousseaus besteht in der Teilnahme am Staate; sie steht im Gegensatz zur natürlichen Freiheit, der Freiheit vom Staate. Sie ist liberte civile, die unentziehbare Macht gewährt, aber kein unentziehbares natürliches Recht zusichert. Sie ist Freiheit im demokratischen, nicht im liberalen Sinne. Die Erklärung der Rechte w i l l aber die ewigen Scheidelinien zwischen Staat und Individuen ziehen, die sich der Gesetzgeber stets vor Augen halten soll als die Schranken, die ihm durch „die natürlichen, unveräußerlichen, geheiligten Rechte der Menschen" ein für allemal gesetzt sind 1 . Die Prinzipien des contrat social sind demnach einer jeden Erklärung der Rechte feindlich. Aus ihnen folgt nicht das Recht des einzelnen, sondern die Allmacht des rechtlich schrankenlosen Gemeinwillens. Besser als Janet hat Taine die Konsequenzen des contrat social begriffen 2 . Die Deklaration vom 26. August 1789 ist im Gegensatz zum contrat social entstanden. Gewiß hat dieses Werk mächtig auf die Entstehung und Erhöhung der revolutionären Stimmung Frankreichs gewirkt, daher ist es begreiflich, wenn der contrat social im Verein mit anderen damals durch die Literatur verbreiteten Lehren auf einige Formeln jener Erklärung einen gewissen Einfluß geübt hat. Der Gedanke der Erklärung selbst muß aber aus einer anderen Quelle stammen. III. Die Idee einer Erklärung der Rechte ist in Frankreich schon vor dem Zusammentreten der Reichsstände ausge1 Constitution du 3 septembre 1791, titre premier: Le Pouvoir legislatif ne pourra faire aucunes lois qui portent atteinte et mettent obstacle ä l'exercice des droits naturels et civils consignes dans le present titre, et garantis par la Constitution. 2 Vgl. T a i n e , a. a. O. L'ancien regime p. 321 ff. Folgte aus dem contrat social die Forderung einer Erklärung der Rechte, so hätte doch nicht mehr als ein Vierteljahrhundert seit seinem Erscheinen verfließen können, ehe sie erhoben wurde. Vor 1776 ist aber von einer derartigen Forderung in Frankreich nirgends die Rede.

9 sprochen worden. Sie war bereits in einer Anzahl von cahiers vorhanden. Auf diese Wünsche beruft sich Clermont-Tonnerre in seinem Bericht über den die Verfassung betreffenden Inhalt der Cahiers, den er am 27. Juli der Nationalversammlung erstattet. Besonders bemerkenswert ist das cahier der Bailliage von Nemours, das ein Kapitel mit der Überschrift: Von der Notwendigkeit einer Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, enthält 1 und einen Entwurf von dreißig Artikeln aufweist. Von anderen Entwürfen ist namentlich der im cahier des tiers etat der Stadt Paris von Interesse 2 . Sobald der dritte Stand sich zur Nationalversammlung erklärt und sich die Schaffung einer Verfassung vindiziert, taucht auch die Forderung einer Erklärung der Rechte als Einleitung der künftigen Verfassung auf. I n dem am 6. Juli 1789 eingesetzten Verfassungsausschuß setzt Mounier eingehend die Notwendigkeit einer feierlichen Deklaration der Rechte auseinander 3 . I n der Nationalversammlung war es dann Lafayette, der am 11. Juli 1789 den Antrag stellte, im Zusammenhang mit der Verfassung eine Erklärung der Rechte zu erlassen, und damit zugleich den Entwurf einer solchen Erklärung vorlegte 4 . Die bisher herrschende Ansicht ging nun dahin, daß Lafayette zu seinem Antrage durch die nordamerikanische Unabhängigkeitserklärung angeregt worden sei 5 . Diese wird auch sonst als das Vorbild erklärt, das der Konstituante bei ihrem Beschlüsse über eine solche Erklärung vorgeschwebt habe. Von manchen wird lobend die kurze, knappe A r t , sowie der reale Charakter des amerikanischen Doku1 De la necessite d'£tablir quels sont les droits de Thomme et des eitoyens, et d'en faire une declaration qu'ils puissent opposer k toutes les especes d'injustice. Archives parlementaires I. Serie, I V , p. 161 ff. * Archives pari. V, p. 281 ff. 8 E. W a l c h , L a declaration des droits de Thomme et du citoyen et TAssemble Constituante, Paris 1903, p. 38 ff. 4 Arch. pari. V I I I , p. 221, 222. 6 Vgl. z. B. H . v. S y b e l , Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1800. 4. Aufl. I , S. 73.

10 mentes gegenüber dem unklaren Wortschwall und dem Doktrinarismus der französischen Deklaration hervorgehoben Andere stellen ihr auch als besser geratenes Gegenstück die ersten Amendements der Unionsverfassung gegenüber 2 , oder denken sogar an deren Einwirkung auf die französische Erklärung, trotzdem sie erst lange nach dem 26. August 1789 zustande gekommen sind, ein Irrtum, der daraus entsprang, daß die Erklärung von 1789 wörtlich i n die Verfassung vom 3. September 1791 aufgenommen wurde, für den mit der französischen Verfassungsgeschichte nicht genau Bekannten, dem nur die Texte der Verfassungsurkunden selbst vorliegen, somit ein späteres Datum zu tragen scheint. Ausnahmslos aber wird von allen, die überhaupt hinter die französische Deklaration zurückgehen, behauptet, daß die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 4. Juli 1776 die erste Aufstellung einer Reihe von Menschenrechten enthalte 3 . Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung weist jedoch nur einen einzigen Satz auf, der einer Erklärung von Rechten ähnlich sieht. Er lautet folgendermaßen: „ W i r halten die nachfolgenden Wahrheiten für in sich überzeugend (to be self-evident), nämlich, daß alle Menschen 1 Vgl. H ä u ß e r , Geschichte der franz. Revolution. 3. Aufl. S. 169; H . S c h u l z e , Lehrbuch des deutschen Staatsrechts I, S. 368; S t a h l , Staatslehre. 4. Aufl. S. 523; T a i n e , a. a. O. L a revolution I , p. 274: Ici rien de semblable aux declarations precises de la Constitution am£ricaine. Dazu Note 1: Cf. la Declaration d'ind6pendance du 4 juillet 1776. W i e wenig begründet dieses Lob der Amerikaner auf Kosten der Franzosen ist, wird bald klar werden. 2 S t a h l , a. a. O. S. 524; T a i n e 1. c. E r hebt auch ausdrücklich i n der Note hervor, daß der Antrag Jeffersons, eine Erklärung der Rechte zu erlassen, abgelehnt wurde. 3 S t a h l S. 523 erwähnt nebenbei die Deklarationen der Einzelstaaten, gibt aber nicht genau an, aus welcher Zeit sie stammen, noch in welchem Verhältnis sie zur französischen Erklärung stehen, auch geht aus seiner Bemerkung hervor, daß er sie nicht näher kennt. J a n e t , a. a. O. t. I , p. X l l l f f . erkennt die Ähnlichkeit der amerikanischen Deklarationen mit der französischen, stellt aber das richtige Verhältnis beider nicht fest, da er ja Rousseau als die Quelle der französischen Erklärung betrachtet.

11 gleich geboren sind; daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; daß zu diesen Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit gehören, daß, um diese Rechte zu sichern, Regierungen unter den Menschen eingesetzt sind, die ihre gerechten Befugnisse von der Einwilligung der Regierten ableiten; daß, so oft eine Regierungsform gegen diese Ziele zerstörend wirkt, es das Recht des Volkes ist, sie zu ändern oder abzuschaffen, eine neue Regierung einzusetzen und sie auf solche Grundsätze zu bauen und deren Gewalten derart zu ordnen, wie es ihm zu seinem Glück und seiner Zweckmäßigkeit am sichersten erscheint." Dieser Satz ist so allgemein gehalten, daß aus ihm ein ganzes System von Rechten schwerlich herausgelesen und abgeleitet werden kann. Es ist daher von vornherein unwahrscheinlich, daß er das Vorbild für die französische Erklärung gewesen sei. Zur Gewißheit wird diese Vermutung durch Lafayette selbst. A n einer Stelle seiner Memoiren, die bisher völlig übersehen wurde, nennt er das Vorbild, das ihm bei seinem Antrag in der Konstituante vorgeschwebt h a t 1 . Treffend weist er darauf h i n , daß der Kongreß des neugebildeten Staatenbundes der nordamerikanischen Freistaaten damals gar nicht in der Lage war, Rechtsregeln für die einzelnen zu souveränen Staaten herangewachsenen Kolonien mit verbindlicher Kraft aufzustellen. Er führt aus, daß in der Unabhängigkeitserklärung nur das Prinzip der Volkssouveränität und das Recht der Änderung der Regierungsform ausgesprochen sei. Andere Rechte seien nur implicite i n der Aufzählung der Rechtsverletzungen enthalten, durch welche die Trennung von dem Mutterlande gerechtfertigt werden soll. Wohl aber waren den Verfassungen der einzelnen 1 M6moires, correspondances publies par sa famille I I , p. 46.

et manuscrits du general Lafayette,

12 Staaten des Bundes Deklarationen der Rechte vorangeschickt, die verbindliche Kraft für deren Volksrepräsentanten hatten. Der erste Staat, der eine solche E r k l ä r u n g der Rechte in vollem S i n n e aufstellte, war V i r ginien \ Die Erklärung Virginiens und der anderen amerikanischen Einzelstaaten waren die Quelle für den Antrag Lafayettes. Sie haben aber nicht nur auf ihn, sondern auf alle, die eine Deklaration der Rechte herbeiführen wollten, eingewirkt. Schon die erwähnten cahiers stehen unter ihrem Einfluß. Die neuen Verfassungen der amerikanischen Einzelstaaten waren nämlich damals in Frankreich wohlbekannt. Bereits 1778 war in der Schweiz eine französische Übersetzung von ihnen, Franklin gewidmet, erschienen 2 . Eine andere wurde 1783 auf Anregung Benjamin Franklins selbst publiziert 8 . Ihre genaue Kenntnis hatte Mirabeau 1785 be1 Mais les constitutions que se donn&rent successivement les treize etats, furent pr6c£dees de declarations des droits, dont les principes «tevaient servir de r&gles aux representans du peuple, soit aux conventions, soit dans les autres exercises de leur pouvoirs. L a Virginie fut la premiere 4 produire une declaration des droits proprement dite. A. a. O. p. 47. Weitere Belegstellen bei W . R e e s , Erklärung der Menschenund Bürgerrechte 1912, S. 215ff. Auch C o n d o r c e t hatte (Oeuvres I X , p. 168) darauf hingewiesen, daß Virginien die erste wirkliche Erklärung der Rechte beschlossen hatte, und fügt hinzu „l'auteur de cet ouvrage a des droits k la reconnaissance eternelle du genre humain". 2 Recueil des loix constitutives des colonies angloises, confeder6es sous la denomination d'Etats-Unis de rAm6rique-Septentrionale. Dedie k M. le Docteur Franklin. En Suisse, chez les libraires associes. 8 Vgl. Ch. Bo r g e a u d , Etablissement et revision des constitutions en Amerique et en Europe. Paris 1893 p. 27. Über die zahlreichen Übersetzungen der amerikanischen Verfassungen und ihren Einfluß auf Frankreich vgl. nunmehr die Ausführungen von A. A u l a r d , Histoire politique de la Revolution fran^aise, Paris 1901, p. 19 ff., der auch ausdrücklich von der Deklaration von Virginien erklärt, sie sei „presque la future Declaration des Droits fran^ais", p. 21; ferner H . E . B o u r n e , American constitutional precedents in the French national assembly, American Historical Review V I I I , 1903, p. 466 ff. Auch die zeitgenössische Literatur beschäftigte sich eingehend mit den neuen amerikanischen Verfassungsdokumenten, namentlich das vierbändige Werk des aus Virginien als Agent der Vereinigten Staaten nach Frankreich gesendeten M a z z e i (eines geborenen Italieners), Recherches historiques et politiques sur les Etats-Unis 1788, machte großen Eindruck. Vgl. B o u r n e p. 467;

13 wiesen und 1788 nach deren Vorbild eine Erklärung der Rechte für die Holländer angeregt 1 . Der Einfluß der amerikanischen einzelstaatlichen Verfassungen auf die Verfassungsgesetzgebung der französischen Revolution ist bisher lange nicht genügend erkannt worden. Man kannte überhaupt bis in die neueste Zeit in Europa nur die Unionsverfassung, nicht die der Einzelstaaten, die in der modernen Verfassungsgeschichte eine ganz hervorragende Stellung einnehmen. Sie ist vor allem gekennzeichnet durch die selbst bedeutenden Historikern und Staatsrechtslehrern unbekannte Tatsache, daß die amerikanischen Einzelstaaten die ersten geschriebenen Verfassungen gehabt haben. I n England und Frankreich hat man bereits begonnen, die Bedeutung der amerikanischen Staatenverfassungen zu würdigen 2 , in Deutschland waren sie bisher fast unbeachtet geblieben. Allerdings waren lange Zeit hindurch die älteren Verfassungstexte in ihrer Gesamtheit in Europa schwer zugänglich. Durch die Ausgabe jedoch, die 1877 im Auftrage des Senates der Vereinigten Staaten von allen amerikanischen Verfassungsurkunden, von der ältesten Zeit angefangen, veranstaltet wurde 3 , ist man jetzt in die Lage gesetzt, sich leicht über diese außerordentlich wichtigen Dokumente zu orientieren. G. K o c h , Beiträge zur Geschichte der politischen Ideen I I , 1896, S. 208f.; K l ö v e k o r n , Entstehung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 1911, S. 56 ff., 73 ff. (Flugschriftenliteratur). 1 Vgl. G. L. S c h e r g e r , The evolution of modern liberty, New York 1904, p. 210 ff., 215; Ad. M e n z e l , Mirabeau und die Menschenrechte, Grünhuts Zeitschr., 34. Bd. (1907), S. 438 f.; E. Z w e i g , Lehre vom Pouvoir Constituant 1909, S. 241 f. N. 5. 2 Namentlich das ausgezeichnete Werk von James B r y c e , The American Commonwealth Vol. I , part I I : The State governments, und B o r g e a u d , a. a. O. p. 28ff. 3 The Federal and State Constitutions, colonial charters, and other organic laws of the United States. Compiled under an order of the United States Senate by Ben. Perley P o o re. Washington 1877. 2 Bde. mit fortlaufender Paginierung. Von den Dokumenten aus der Kolonialepoche sind nur die wichtigsten mitgeteilt. Vgl. auch G o u r d , Les Chartes coloniales et les Constitutions des Etats-Unis de l'Amerique du Nord. Paris 1885, 2 Bde.

14 Der Einfluß der amerikanischen Erklärungen auf Frankreich wird verständlich, wenn man die Verfassungsideen jener Zeit i n Betracht zieht. Die Franzosen fordern i n den cahiers eine geschriebene Verfassung, wie sie bis dahin Europa unbekannt war. Amerika war hierin der alten Welt vorangegangen, und die Franzosen bekamen zum erstenmal in diesen amerikanischen Dokumenten das Bild solcher Verfassungsurkunden; nichts natürlicher, als daß sie verlangen, ihre Forderungen an eine künftige Gestaltung des Staates in ähnliche Formen gekleidet zu sehen. Nun hatten die Amerikaner, an ihrer Spitze Virginien und Pennsylvanien, dem Texte ihrer Verfassung die Erklärung der Rechte vorangestellt, deshalb erschien auch den Franzosen eine ähnliche Einleitung der künftigen Konstitution äußerst wünschenswert. Das amerikanische Vorbild gibt auch den Schlüssel zu der Tatsache, daß nur eine Erklärung der Rechte, nicht der Pflichten beschlossen wird. I n der Konstituante erhebt sich ein tiefgehender Streit über diese Frage, eine sehr starke Minderheit, zu der namentlich der Klerus und Adel gehörte, w i l l eine Erklärung der Rechte und Pflichten beschließen. Sie wird abgelehnt 1 . Auch hier hat das amerikanische Vorbild mitgewirkt, das keine Erklärung der Pflichten kennt. Doch muß hervorgehoben werdön, daß es den Franzosen selbstverständlich erschien, daß Rechte und Pflichten miteinander verbunden waren. Die Gegner der Pflichtenerklärung wollten nur keine ausdrückliche Anerkennung dieses selbstverständlichen Grundsatzes. Daher finden w i r denn auch trotz Verwerfung des Prinzips in verschiedenen Vorschlägen einer Erklärung der Rechte einen ausdrücklichen Hinweis auf Pflichten, so vor allem in dem Ausschußbericht, den die Nationalversammlung ihren Beratungen zugrunde legte 2 . Dieser Verknüpfung von Recht und 1 2

Sitzung vom 4. August. Arch. pari. V I I I , p. 482.

15 Pflicht hat schließlich die Einleitung der Deklaration Ausdruck gegeben. Daß die Amerikaner keine Erklärung der Pflichten kannten, trotzdem solche einzelnen Sätzen ihrer Deklarationen zugrunde liegen, ist historisch leicht verständlich. Von den alten englischen Freiheitsbriefen abstammend, führen die Deklarationen auf den Gedanken der Anerkennung des Untertanenrechtes durch den Herrscher zurück. Das Treueverhältnis des Mannes zum Herrn und die daraus entspringenden Pflichten bilden die selbstverständliche Voraussetzung jener Rechte, die der König zusichert. Zu einer Erklärung der Pflichten lag daher für die Amerikaner nicht der geringste Anlaß vor. Man hat sich viel überflüssige Mühe gegeben, die i n der Deklaration enthaltenen freiheitlichen und demokratischen Ideen als schon früher i n Frankreich vorhanden nachzuweisen. Die Franzosen brauchten wahrlich nicht erst auf die Amerikaner zu warten, um Religions-, Gedanken-, Preßfreiheit, Schutz vor willkürlicher Verhaftung und grausamen Strafen zu verlangen, aber die Proklamierung und Kodifizierung dieser Rechte in einer für alle andern Völker gültigen Weise, die Erhebung des Naturrechts zum unabänderlichen Gesetzesrecht, ist vor 1776 i n Europa nirgends gefordert worden. I n diesem Jahre allerdings, noch vor der Erklärung Virginiens, erkennt ein französisches Gesetz ausdrücklich ein unveräußerliches Menschenrecht an. I n dem berühmten Edikt, welches die Zünfte aufhebt, legt Turgot dem jungen Ludwig X V I folgende Worte in den Mund: „Dieu en donnant ä l'homme des besoins, en l u i rendant necessaire la ressource du travail, a fait, du droit de travailler, la propriete de tout homine; et cette propriete est la premiere, la plus sacree et la plus imprescriptible de toutes. Nous regardons comme un des premiers devoirs de notre justice, et comme un des actes les plus dignes de notre bienfaisance, d'affranchir

16 nos sujets de toutes les atteintes portees ä ce droit inalienable de l'humanite 1 ." Gerade dieses Recht auf Arbeit aber wurde von der Konstituante nicht unter die Menschenrechte aufgenommen, und auch keiner der Entwürfe hatte es gefordert. Es war 1789 vergessen und taucht später in der revolutionären Gesetzgebung nur in der abgeschwächtesten Form als Ersatz der Armenunterstützung, eine Bürgerpflicht, kein Menschenrecht begründend, auf 2 . So ist denn gerade dieser originelle legislatorische Gedanke Frankreichs, der seinem gedanklichen Ursprung nach allerdings auch auf Locke 3 zurückweist, ohne jeden Einfluß geblieben. Man hat außer Rousseau Voltaire, die Physiokraten, die Freimaurer als Urheber der Deklaration nachzuweisen gesucht 4 . Gewiß haben alle diese Männer ihr Teil dazu beigetragen, von jener Athmosphäre zu erzeugen, welche die Franzosen für die aus Amerika stammenden legislatorischen Anregungen aufs äußerste empfänglich machte. Immerhin: die französische Erklärung der Rechte ist i m großen und ganzen den amerikanischen bills of rights oder declarations of rights nachgebildet worden 5 . Auch in der Konstituante war man sich dessen bewußt. I n dem Bericht, den der Erzbischof Champion de Cice am 27. Juli über die ersten Arbeiten des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung erstattete, weist er mit pathetischen 1 J o u r d a n - I s a m b e r t - D e c r u s y , Recueil general des anciennes iois fran