Die Entwicklung des deutschen »Religionsverfassungsrechts« nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern [1 ed.] 9783428511389, 9783428111381

Das Verhältnis von Staat und Kirchen (respektive Religionsgemeinschaften) wird in Deutschland traditionell als "Sta

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German Pages 325 Year 2004

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Die Entwicklung des deutschen »Religionsverfassungsrechts« nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern [1 ed.]
 9783428511389, 9783428111381

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 959

Die Entwicklung des deutschen „Religionsverfassungsrechts“ nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern

Von Arne Kupke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ARNE KUPKE

Die Entwicklung des deutschen „Religionsverfassungsrechts“ nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 959

Die Entwicklung des deutschen „Religionsverfassungsrechts“ nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den Neuen Bundesländern

Von

Arne Kupke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-11138-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Zusammenfassung (Abstract) Das Verhältnis von Staat und Kirchen (respektive Religionsgemeinschaften) wird in Deutschland traditionell als „Staatskirchenrecht“ bezeichnet. Seit längerer Zeit werden dazu Alternativen vorgeschlagen, von denen der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ in jüngerer Zeit eine besondere Verbreitung erfährt. Der 1. Teil der Arbeit stellt die Entwicklung der Begriffe sowohl in der juristischen Literatur als auch in beispielhaften anderen juristischen Kontexten in Deutschland, Österreich und der Schweiz dar. Das fremdsprachige Ausland wird exemplarisch mitbehandelt. Das deutsche Religionsverfassungsrecht ist im internationalen Vergleich der Rechtsordnungen ein seltenes Modell (Stichwort Brückenelemente). Der 2. Teil der Arbeit untersucht dessen jüngste Geschichte in Deutschland seit 1990. Dies erfolgt im Rahmen einer textlichen Bestandsaufnahme in den drei Abschnitten Bundesrecht, Landesrecht und Europarecht. Auffallend ist die hohe Regelungsdichte im Bereich des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften in den Neuen Bundesländern. Dieses Phänomen erkundend, liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Beitrag der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften im Entstehungsprozess der Regelungen. Damit setzt die vorliegende Arbeit auch die Untersuchung von Th. Boese, „Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR von 1945 bis 1989“ aus dem Jahr 1994 fort. Schließlich offeriert der 3. Teil der Arbeit eine Auswahl unterschiedlicher Bewertungen der zuvor geschilderten Entwicklung des Religionsverfassungsrechts. Es besteht auch nach Ansicht des Autors kein Grund zur Beruhigung, vielmehr Grund zur konsequenten Nutzung religionsverfassungsrechtlicher Brücken durch die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften. Im Dokumentenanhang findet sich eine Auswahl von teilweise bisher unveröffentlichten Texten, die exemplarisch die intensive Beteiligung der Kirchen an der Entstehung des Religionsverfassungsrechts in den Neuen Bundesländern nachweisen.

„Ob wir nach Westen oder Osten schauen, überall zeigt sich heute ein praktischer Materialismus, der das wirtschaftliche Fortkommen und den Lebensgenuß zum einzigen Lebensinhalt macht, weder nach Wahrheit noch nach Recht fragt, sich über die Herrenrechte Gottes und die Stimme des Gewissens hinwegsetzt und den heutigen Massenmenschen dazu verleitet, einfach darauf los zu leben und sich auszuleben.“ aus: Hirtenwort der Erzbischöfe und Bischöfe von Köln, Berlin, Paderborn, Trier, Osnabrück, Meißen, Hildesheim, Fulda, Aachen, Münster, Limburg und des Kapitelsvikars von Breslau, Die christliche Wahrheit und der gottlose Materialismus. 1. März 1950, in: Kirchliches Amtsblatt Osnabrück 1950–1951, S. 61 ff., S. 61.) „Die staatskirchenrechtlichen Regelungen sind nicht übrig geblieben, weil nichts besseres vorgebracht worden sei, sondern weil sie sich bewährt haben. . . . Das ist der Beitrag Deutschlands zum Tableau europäischer Verfassungen. Die anderen Regelungen sind sozusagen Standardware für einen freiheitlich demokratischen Staat. Hier aber findet sich etwas Besonderes.“ (aus: Axel von Campenhausen, Diskussionsbeitrag, in: Rainer Grote / Thilo Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht – Völker- und verfassungsrechtliche Perspektiven, 2001, S. 588.)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im Sommersemester 2002 als Dissertation angenommen. Dank sagen möchte ich in erster Linie meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. P. Häberle, dessen Engagement in der Lehre, insbesondere im ständigen Seminar, mein Studium begleitete, dessen Eintreten für das Fach „Staatskirchenrecht“ einen Horizont öffnete, der mein Leben prägte, dessen Anleitung die vorliegende Arbeit ermöglichte und mich für mein weiteres Berufsleben qualifizierte. Dank sagen möchte ich darüber hinaus allen anderen, die am Gelingen dieser Arbeit beteiligt waren, sei es durch Diskussionen und Fragen im Entstehungsprozess, namentlich PD Dr. Markus Kotzur, sei es durch technische Hilfe, namentlich den Herren cand. jur. Valentin Wasilew und André Wehner, sei es durch Korrekturlesen, namentlich Dr. Friederike Mußgnug. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Prof. Dr. Rudolf Streinz. Für einen Druckkostenzuschuss danke ich der Evangelischen Kirche von Westfalen. Dank sagen möchte ich schließlich meiner Frau, Jelka Lüders, die mich, abgesehen von praktischer Hilfe, in der Zeit der Niederschrift dieser Arbeit er- und getragen hat. Ich widme diese Arbeit denen, die mir ihre Geschichte und vieles mehr mitgaben: Meiner Familie in allen Teilen Deutschlands. Bielefeld, den 20. 10. 2003

Arne Kupke

Inhaltsübersicht Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Teil Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

21

A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

2. Teil Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Eine Bestandsaufnahme

155

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 C. Veränderungen im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211

3. Teil Zwischen Tradition und Innovation – Bewertung der Entwicklung

230

A. Veränderte gesellschaftliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Dokumentenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Teil Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

21

A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22

II. Bezeichnung eines Rechtsgebietes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Einordnung des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Herkunft und heutiger Gebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

2. Umfassendes Begriffsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

II. Veränderung der Disziplin – Veränderung des Begriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

1. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Das Grundgesetz von 1949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

I. Auf dem Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

II. „Religionsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

34

III. „Religionsverfassungsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

IV. Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

12

Inhaltsverzeichnis 1. Uneingeschränkte Verwendung von „Religionsrecht“ und / oder „Religionsverfassungsrecht“ in der juristischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

a) Die „Urheber“ der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

b) Den „Urhebern“ folgende Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

aa) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

bb) Begriffsdiskussion als Teil einer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

cc) Ohne eine Begriffsdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

2. Eingeschränkte Verwendung von „Religionsrecht“ und / oder „Religionsverfassungsrecht“ in der juristischen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

a) Synonyme Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

aa) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

bb) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

cc) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . .

55

dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

b) Alternative Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

aa) Im internationalen Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union . . . . . . . . . . . (3) Andere Staaten Mittel- und Osteuropas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 57 58 65

bb) Reduktion des Bedeutungsgehalts von „Staatskirchenrecht“ . . . . . .

66

c) Adjektivische Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

aa) Selbständige Historie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

bb) Verwendung von „religionsrechtlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

d) Sonstige Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

3. Andere Bezeichnungsmethoden in der juristischen Literatur . . . . . . . . . . . . . .

79

a) Prinzipielle Verwendung von „Staatskirchenrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

aa) Keine Nennung oder Erläuterung der neuen Begriffe . . . . . . . . . . . . . (1) Sammelliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einzelne Kommentierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79 79 80 83

bb) Mit einer Erläuterung oder Diskussion der neuen Begriffe . . . . . . . . (1) In einer Fußnote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83 83 85

Inhaltsverzeichnis

13

(3) Als Thema einer Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89 90

b) Weitere Alternativen zu „Staatskirchenrecht“ – diese bereits hier mit Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

aa) Umschreibende Formulierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

bb) „Staatliches Religionsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

cc) Aktuelle Alternativvorschläge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) „Religionsbezogenes Verfassungsrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) „Bekenntnisrecht“ / „Bekenntnisverfassungsrecht“ . . . . . . . . . . .

93 94 94

c) Exkurs I – Rundfunkrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

d) Exkurs II – Internationales Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

4. Sammelnachweise von Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

a) Schriftenreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

aa) Jus Ecclesiasticum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

bb) Staatskirchenrechtliche Abhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

cc) Adnotationes in Ius Canonicum und Schriften zum Staatskirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

b) Bibliographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 aa) Karlsruher Juristische Bibliographie (KJB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 bb) Fundheft für Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 cc) Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Verlagsprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 aa) Verlag C. H. Beck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Richard Boorberg Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 cc) Hermann Luchterhand Verlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 dd) Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 5. Staatliche Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Die Zuordnung der Disziplin zu zwei Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 aa) Unterschied je nach Konfession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Juristische Fakultäten als neue Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Lehrstuhlbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Katholisch-Theologische Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 bb) Juristische Fakultäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

14

Inhaltsverzeichnis 6. Tagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Assistenten der Fachrichtung Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) ZevKR-Mitarbeiter / Kirchenrechtliches Institut der EKD . . . . . . . . . . . . . . 116 d) Akademie Rottenburg-Stuttgart / Lehrstuhl für Kirchenrecht Tübingen 117 e) Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 f) Deutsche Richterakademie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 g) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 7. Staatliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Traditionelle Bezeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Neuere Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Geschäftsverteilungspläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 8. Ergebnis der Untersuchung Deutschlands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 a) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 b) Andere juristische Lebensbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. Allgemeine Gebräuchlichkeit in der Vergangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Frühe kritische Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Veränderungen seit 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Wegweisung im Jahr 1996 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 b) Universität Wien im Jahr 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 c) Eine Zeitschrift zum Thema seit 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Begriffsverwendung im Jahr 2000 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Lehrstuhlbezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Literaturschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

Inhaltsverzeichnis

15

IV. Fremdsprachiges Ausland – „Staatskirchenrecht“ ein Markenzeichen? . . . . . . . . 142 1. „ius ecclesiasticum“ als Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 2. „Staatskirchenrecht“ auf dem Weg zum internationalen Markenzeichen? . . 145 a) Amerikanisches Lehrbuch des deutschen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . 145 b) Übersetzungen eines Aufsatzes von G. Robbers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 c) „Table of Contents“ der KJB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 d) „Summary“ eines Aufsatzes von A. v. Campenhausen . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 e) Aufsatz des Österreichers P. Pernthaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 E. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 I. „Religionsverfassungsrecht“ anstelle von „Staatskirchenrecht“

150

1. Die allgemeine Gebräuchlichkeit von „Staatskirchenrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Die deutsche Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . 152 III. Die zeitliche Einordnung der Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 IV. Systematisierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

2. Teil Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Eine Bestandsaufnahme

155

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Änderungen im Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Vorschläge im Rahmen der Verfassungsreform 1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 b) Der Asylkompromiss von 1993 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 II. Verwaltungsrecht des Bundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Abschaffung des Buß- und Bettags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Militärseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

16

Inhaltsverzeichnis

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Die Religionsverfassung der fünf neuen Bundesländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Länderverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Gottesbezüge in den Präambeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Weltanschauliche Neutralität des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 d) Selbstbestimmungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Körperschaftsstatus und Kirchensteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 f) Staatsleistungen und Kirchenbaulasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 2. Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Religionsverfassungsrecht in Textentwürfen aus den fünf neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1. Entwurf des Runden Tischs vom 4. April 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Entwürfe für Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Entwürfe für Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Entwürfe für Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 5. Entwürfe für Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6. Entwürfe für Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Die Rolle der Kirchen im Prozess der Verfassunggebung in den fünf neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Kirchen und Verfassunggebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Die Kirchen in der Wendezeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 3. Beispiele aus den fünf neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Brandenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Sachsen-Anhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 e) Thüringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

Inhaltsverzeichnis

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4. Exkurs: Die Kirchen und die Grundgesetzreform von 1994 . . . . . . . . . . . . . . . 197 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 IV. Veränderungen im Religionsverfassungsrecht der alten Bundesländer . . . . . . . . . 198 1. Baden-Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 4. Bremen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5. Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6. Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 7. Niedersachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 8. Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 9. Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 10. Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 11. Schleswig-Holstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 C. Veränderungen im Europarecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 I. Die Anfänge der Diskussion um Eingriffsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Aktuelle Standpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 III. Schutz des deutschen Religionsverfassungsrechts vor Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Durch das Grundgesetz> (nationalstaatliche Ebene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Im europäischen Gemeinschaftsrecht (europäische Ebene) . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Die Erklärung der Union zu Religionsgemeinschaften (Nr. 11) . . . . . . . . 218 b) Unionsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 aa) Art. 6 Abs. 2 EUV i.V.m. Art. 9 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 bb) Testfall Art. 13 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 cc) Art. 10 EUGRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 c) „Nationale Identität“ (Art. 6 Abs. 3 EUV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 d) Weitere mögliche Schutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 2 Kupke

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Inhaltsverzeichnis 3. Teil Zwischen Tradition und Innovation – Bewertung der Entwicklung

230

A. Veränderte gesellschaftliche Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 I. Religionssoziologische Auffächerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Beispiel: Die Situation der Evangelischen Kirchen in Ostdeutschland . . . . . 230 2. Beispiel: Die Ausbreitung des Islam in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 II. Zunehmende Kritik am deutschen Modell in der juristischen Literatur . . . . . . . . 232 B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Dokumentenanhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

Einleitung Mit den religionspolitischen Bestimmungen der Weimarer Verfassung erhielten die Kirchen und Religionsgemeinschaften in Deutschland Freiheit vom Staat. Der Trennung gegenüber standen und stehen jedoch eine große Anzahl von Kooperationselementen. In vielleicht typisch deutscher Art wurde im Jahre 1919 keine Radikalkur verordnet. Die Sonderstellung und Privilegien der (Groß-)Kirchen als Religionsgemeinschaften blieben weitgehend geschont. Das traditionell in Deutschland sogenannte „Staatskirchenrecht“ ist ein seltenes Modell im Vergleich der Rechtsordnungen. Der umfassende Schutz des Grundrechts der Religionsfreiheit wird durch einige Brückenelemente ergänzt. Exemplarisch steht dafür das Institut der öffentlich-rechtlichen Körperschaft mit dem angehängten Privilegienbündel. Nur in Österreich und der Schweiz ist ein ähnliches Modell vorhanden. Die vorliegende Arbeit verfolgt seine jüngste Geschichte vor allem in Deutschland. In der Offenen Gesellschaft unter dem Grundgesetz1 kam es nach der friedlichen Revolution in der DDR in den Neuen (alten) Bundesländern zur Schaffung jeweils eigenständiger Teil-Rechtsordnungen. Dort wurden nicht nur neue Verfassungen erarbeitet, sondern auch eigenständige Gesetze verabschiedet. Dies ist besonders bemerkenswert für den Bereich des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften. Sind es doch die Länder, denen mit der föderalen Kulturhoheit im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung aus Art. 4 und 140 GG die Aufgabe der praktischen und rechtlichen Ausgestaltung dieses Verhältnisses zukommt. Neben den fünf neuen Verfassungen sind insgesamt dreizehn Religionsverträge und Konkordate sowie drei Verträge mit jüdischen Religionsgemeinschaften zu nennen. Auch in den alten Bundesländern hat sich im zu untersuchenden Zeitraum eine intensive Änderungstätigkeit entfaltet. Diese ist, vor dem Hintergrund der Verfassunggebung in den Neuen Bundesländern verständlicherweise, nicht besonders ins Blickfeld der bundesdeutschen Öffentlichkeit geraten, sondern erzeugte eine mehr regionale Öffentlichkeit2. Insgesamt ist damit das Spektrum der Möglichkeiten von Verfassunggebung und Verfassungsänderungen voll ausgeschöpft worden. 1 Der Begriff der „Offenen Gesellschaft“ entstammt dem kritischen Rationalismus von Popper, für die Rechtswissenschaft fruchtbar gemacht durch das Konzept einer „offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten“ von P. Häberle in seinem gleichnamigen Beitrag in der JZ von 1975. 2 M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der Länder, 1994, S. 26.

2*

20

Einleitung

Die vorliegende Arbeit untersucht diese Entwicklung auch im Anschluss an die Arbeit von Th. Boese, „Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR von 1945 bis 1989“3. Hier soll der Bogen gespannt werden von der Entstehung der neuen Regelungen über die Diskussion ihrer Inhalte bis hin zur Bewertung und Einordnung in den Rahmen der grundgesetzlichen Ordnung. Das Thema der Arbeit wird in drei Teilen dargestellt: Der 1. Teil verfolgt die Entwicklung der Diskussion in der Literatur um die Ersetzung des traditionellen Begriffs „Staatskirchenrecht“ als Bezeichnung der Fachdisziplin und untersucht die gegenwärtige Verbreitung der vorgeschlagenen Alternativen sowohl in der juristischen Literatur als auch in beispielhaften anderen juristischen Kontexten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das fremdsprachige Ausland wird exemplarisch mitbehandelt. Der 2. Teil analysiert die Entwicklung des Normenbestandes ab dem Jahr 1990, der für das Verhältnis von Staat und Religion, insbesondere Religionsgemeinschaften, in Deutschland relevant ist. Dies erfolgt im Rahmen einer textlichen Bestandsaufnahme. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Beitrag der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften in den neuen Bundesländern zum Zustandekommen der dort schließlich in Kraft gesetzten Regelungen. Schließlich liefert der 3. Teil der Arbeit den Theorierahmen für die Veränderungen und bewertet die gefundenen Ergebnisse. Im Anhang findet sich eine Auswahl von teilweise bisher unveröffentlichten Dokumenten zum Thema.

3

T. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR, 1994.

1. Teil

Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin Der Wirkung und Auswirkung der Bezeichnung einer wissenschaftlichen Disziplin oder Rechtsmaterie sind Grenzen gesetzt. Es kommt natürlich auf den Inhalt an. Wenn man beispielsweise das gesamte Hochschulrecht im Schulrecht ansiedelt, entsteht kein großer Schaden, aber Verwirrung. Damit ist der Kern des Nutzens einer Fachbezeichnung genannt, die Verschaffung von Ordnung und Übersicht. Der terminus technicus „Staatskirchenrecht“ ist insofern eine geeignete Bezeichnung mit klar umrissenem Inhalt. Jedoch ist nicht erst seit dem Siegeszug des Marketing bekannt, dass auch der Begriff, der Name ein Eigenleben führt: vom alten Denkspruch „nomen est omen“1 bis zum Streit um das Anrecht auf InternetDomains, welcher die deutschen Gerichte seit der sich verbreitenden Nutzung des Internet immer mehr beschäftigt. Sicher kann man auch ohne eine Bezeichnung der Disziplin arbeiten, welche die staatlichen Regelungen in Bezug auf Religionsgemeinschaften umfasst2. Jedoch erscheint es für Wissenschaft, Ausbildung und praktischen Alltag sinnvoll, eine prägnante und treffende Etikettierung für jede Rechtsmaterie einzuführen3. Die vorliegende Arbeit behandelt im ersten Teil ausführlich die Bezeichnung des Rechtsgebiets, welches das Verhältnis von Staat und Religion, insbesondere Religionsgemeinschaften umfasst. Nach einer kurzen allgemeinen Einführung zur juristischen Begriffsbildung (A) geht es konkret um die in der Literatur geführte Diskussion um die Ablösung des herkömmlichen Begriffs „Staatskirchenrecht“. Der Meinungsstreit soll dargestellt werden beginnend mit seiner Vorgeschichte (B), über seinen Ausgangspunkt in den Siebziger Jahren (C) bis hin zur detaillierten Schilderung der aktuellen Entwicklung in dem in dieser Arbeit zu behandelnden Zeitraum von 1990 bis zum Jahr 2000 (D). Der 1. Teil schließt mit einer 1 Diesen zitiert im Zusammenhang von „Religionsrecht“ und „Staatskirchenrecht“ H. Maier, Geschichtsblind und schulfremd, in: Maier (Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch. Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, 1996, S. 53. 2 So kommt O. Otting, Wenn der Muezzin ruft, Städte- und Gemeinderat 1997, in seiner Analyse der rechtlichen Einordnung des Rufs des Muezzin gänzlich ohne eine Fachbezeichnung aus. 3 Es kann auch mangels eines treffenden Begriffs angezeigt sein, auf eine Kurzbezeichnung bestimmter Rechtsstrukturen zu verzichten, so K. Bielitz, Kurzbegriffe zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Staat und Kirche, ZevKR 29 (1984), S. 111.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

eigenen Stellungnahme zu der verwendeten und den vorgeschlagenen Bezeichnungen (E).

A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung Zunächst soll allgemein der Sinn juristischer Begriffsbildung im Überblick erörtert werden (I). Sodann erfolgt eine spezielle Betrachtung der hier in Rede stehenden Begriffs-Kategorie, der Bezeichnung eines Rechtsgebiets (II).

I. Allgemein Dreh- und Angelpunkt der allgemeinen Notwendigkeit von Begriffen ist die bereits biologisch vorgegebene Notwendigkeit einer effektiven Informationsverarbeitung4. Diese ist die Grundlage für jede Art von Verhaltenssteuerung. Durch die Verwendung von Begriffen ist eine Konzentration bei der Repräsentation von Wissen möglich. Objekte werden nicht mehr nur als individuelle Einzelerscheinungen betrachtet, sondern als Beispiele für bereits bekannte Kategorien. Die Begrenztheit der Verarbeitungsmöglichkeiten setzt eine Selektion von Informationen voraus. Nur diejenigen Begriffe werden Teil der menschlichen Gedächtnisstruktur, die für die Realisierung eines motivgeleiteten Verhaltens tatsächlich benötigt werden5. Der Vorrat an Begriffen, der Grad ihrer Vernetzung untereinander spiegelt somit die Möglichkeiten einer geistigen Steuerung von Verhalten wider. Denn eine systematische Begriffsbildung ermöglicht eine differenzierte Analyse und Bewertung von Sachverhalten. Somit ist die Begriffsbildung auch praktische Grundlage jeder Wissenschaft. Fragt man nach dem Sinn juristischer Begriffsbildung, so ist die Antwort bestimmt durch das jeweils angenommene Endziel der Rechtswissenschaft an sich6. Als praktische Wissenschaft im Sinne von Philipp Heck dient sie als „dogmatische Rechtswissenschaft“ zunächst der Bildung von Rechtsidealen für die Gestaltung des Gemeinschaftslebens und dann deren Einwirkung auf das Leben, soweit notwendig vermittels der Anwendung von Rechtszwang7. Als höchstes Rechtsideal ist sicher die Gerechtigkeit zu nennen. Daneben sind grundlegend Rechtssicherheit und Zweckmäßigkeit8. 4 Vgl. J. Hoffmann, Die Welt der Begriffe. Psychologische Untersuchung zur Organisation des menschlichen Wissens, 1986, S. 11. 5 A. a. O., S. 157 ff. 6 R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 151. 7 P. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 17, 126 ff. Vgl. jüngst W. Brohm, Kurzlebigkeit und Langzeitwirkung der Rechtsdogmatik, in: FS Maurer, 2001. Beachte insbesondere die Entlastungsfunktion der Dogmatik, a. a. O., S. 1083, die sich auf den Nutzen abstrakter Begriffe übertragen lässt. 8 F. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1991, S. 317.

A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung

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Diesen Vorgaben hat die Methode zu folgen. Aus Merkmalen, die von den Gegenständen, bei denen sie auftreten, losgelöst, abstrahiert und dann verallgemeinert werden, erfolgt die Bildung sogenannter „abstrakter Begriffe“9. Durch die Ausscheidung einzelner Merkmale können Begriffe höherer Abstraktionsstufe herausgebildet werden, die einen Oberbegriff in einem System formen. Nach den anzuwendenden Gesetzen der Logik gibt es einen höchsten Oberbegriff, unter den die meisten anderen subsumiert werden können. Er hat den weitesten Anwendungsbereich, aber gleichzeitig den geringsten Inhalt. Die Ordnung der Begriffe hat ihre höchste Kunstform in der Begriffsjurisprudenz erfahren. Diese entfernte sich jedoch von dem Endziel einer praktischen Rechtswissenschaft, die auf Rechtsidealen basiert. Die Betrachtung von apriorisch vorgegebenen juristischen Begriffen gab diesen ein Eigenleben, welches die Wirklichkeit zunehmend ausschloss. Dies musste zur Gegenbewegung der Interessenjurisprudenz führen, die die Rückkoppelung an die hinter den Begriffen stehende Teleologie wieder herstellte10. Der jeweilige Normenbestand und seine ihm vom Gesetzgeber zugemessene und interpretativ weiterzuentwickelnde Funktion (Teleologie) bestimmen den Inhalt der Begriffe. Anstelle eines begriffsjuristischen „Begriffsrealismus“ kann man mit Ernst A. Kramer von einem juristischen „Begriffspragmatismus“ sprechen11. Eine weitere Folge dieser Einbindung der Begriffe in den Dienst der Rechtswissenschaft ist die Notwendigkeit einer Begriffsveränderung im Falle einer veränderten Wirklichkeit. Es kann sogar je nach dem Grad der Unangemessenheit schließlich erforderlich werden, „ein ganzes Begriffssystem über Bord zu werfen“12. Der Extremfall ist dabei sicher der Paradigmenwechsel. Im Rahmen eines revolutionären Umschwungs kann es zur Veränderung einer Obertheorie („Paradigma“) kommen, die sämtliche Begriffe in Frage stellt13. Will man die Wirklichkeit abbilden und die Verbindung zu ihr aufrecht erhalten, so ist darüber hinaus eine Rückkoppelung der Rechtssprache an den üblichen Sprachgebrauch vonnöten14. Ein Gegenbeispiel dazu bietet das pandektistische Meisterwerk des BGB. Dieses ist durch seine weitverzweigte abstrakte Systembildung und die daran angepasste Begriffswahl beinahe unverständlich für den juristischen Laien15. Dagegen ist die Gesetzessprache des Schweizerischen ZGB von 9 Auch zum Folgenden siehe K. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 439 ff. 10 Vgl. K. Larenz, a. a. O., S. 49 ff. 11 E. A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 119. 12 R. Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 49. 13 Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ist reich an derartigen Paradigmenwechseln, angefangen vom Kaiserreich, über die Weimarer Demokratie, die Zeit des Nationalsozialismus, die Bundesrepublik Deutschland und die DDR bis hin zur Wiedervereinigung. 14 Wank, a. a. O., S. 17 ff. 15 Vgl. M. Kaser, Der römische Anteil am deutschen bürgerlichen Recht, JuS 1967, S. 339 f.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

1907 „nach einhelligem, wohlbegründetem Urteil musterhaft klar, körnig und im guten Sinn gemeinverständlich.“16 Es verwundert daher nicht, dass die folgende Äußerung von einem Schweizer (Ernst A. Kramer) stammt: Gegen eine nominalistisch-nihilistische Auffassung von Rechtsbegriffen „spricht von vorneherein, daß die Rechtswissenschaft nicht als esoterische Kunst aufgefaßt werden darf, in der jede Bindung an Sprachkonventionen und den damit formulierten jeweiligen gesellschaftlichen Verständnishorizont wegfallen kann.“17

Damit sind einige Kriterien für die juristische Begriffsbildung innerhalb von Rechtsnormen genannt. In dieser Arbeit geht es jedoch um die Bezeichnung einer juristischen Disziplin, die nicht mit gesetzlicher Geltungskraft versehen ist. Fraglich ist, ob in diesem Fall die gleichen oder ähnliche Maßstäbe an die Begriffsbildung anzulegen sind.

II. Bezeichnung eines Rechtsgebietes Im Gegensatz zur Begriffs- und Systembildung innerhalb von Rechtsnormen ist die Bezeichnung eines Rechtsgebietes selten Gegenstand von Diskussionen18. Der Gedanke, das liege an der mangelnden praktischen Relevanz einer solchen Bezeichnung, die ohne zugrundeliegende Rechtsnorm kein juristischer Begriff im engeren Sinne ist, geht jedoch fehl. Tatsächlich hat bereits die Bezeichnung eines Rechtsgebietes enorme Auswirkungen. Einmal spielt die Bezeichnung bei der Rechtsanwendung durch den Rechtskundigen eine Rolle, insbesondere im Zusammenhang mit der systematischen Auslegung einer Rechtsnorm19. Bedacht sein will aber auch die Mehrheit der juristischen Laien. Diese kommen nur punktuell in Kontakt mit Rechtsvorschriften und sind demnach besonders angewiesen auf die Information, die der Titel eines Rechtsgebiets preisgibt. Drittens ist zu beachten, dass zunehmend auch ausländische Juristen in Kontakt mit deutschen Vorschriften kommen. Das Interesse an und die Notwendigkeit der Rechtsvergleichung wird entsprechend dem Fortschreiten der Europäisierung und Globalisierung steigen. Die Zukunft wird vom „Europäischen Juristen“ gestaltet20. Dieses Argument soll hier trotz des Einwurfs gegen den F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 1967, S. 492. E. A. Kramer, Zum Problem der Definition des Rechts. Vier Antworten auf eine Frage des Augustinus, ÖZÖR XXIII (1972), S. 116. 18 So C. Görisch, „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001, S. 885. 19 Mit einem Beispiel zum „Staatskirchenrecht“ C. Görisch, a. a. O., S. 886. Dieser behandelt jedoch in der Frage der Bedeutung der Bezeichnung eines Rechtsgebietes in der Praxis nicht die ebenso relevanten Auswirkungen auf den juristischen Laien. 20 Zu den Anforderungen an den „Europäischen Juristen“ vgl. P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 34 ff., 142 ff. 16 17

A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung

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„derzeit modische[n] Hinweis auf die europäische Dimension“ von Görisch aufgenommen werden21. Der Vergleich zur Mode hinkt. Deren Gesetze gelten nur eine Saison lang. Die Rechtsordnung der Europäische Union steht im Zusammenhang der seit Jahrzehnten zunehmenden Verrechtlichung der internationalen Beziehungen22. Fraglos wird der fachliche Laie ebenso wie der sprachlich und inhaltlich versierte Jurist aus dem Ausland nur den Inhalt in einem Rechtsgebiet vermuten, den ihm der Titel mitteilt. Das Verfassungsrecht handelt von der Verfassung, das Erbrecht vom Erben im doppelten Sinne das Baurecht von den Bauten und vom Bauen, das Familienrecht von der Familie. Selbstverständlich befasst sich das Kirchenrecht mit den Kirchen. Der entscheidende Begriff eines Rechtsgebiets prägt die Bezeichnung: das beherrschende Subjekt (die Kirche, die Familie, die Verfassung, der und das Erbe, der Bau), die Handlung (erben, bauen) oder gar der gemeinsame Wortstamm (erb. . . , bau. . . ). Der Laie kann aus seiner Lebenserfahrung heraus schnell die Bezeichnung des Rechtsgebietes ableiten sowie den Inhalt einer Bezeichnung verstehen. Diese Annahme ist im Bereich des Rechts besonders ausgeprägt, handelt es sich doch um eine praktische Wissenschaft mit Verständnisanspruch gegenüber jedermann. Folglich wird der entscheidende Erstkontakt mit einer Rechtsmaterie durch ihre Bezeichnung geprägt. Zur Einhaltung der soeben gefundenen notwendigen Kriterien für die juristische Sprache wie Rechtssicherheit und Systematisierbarkeit liegt es nahe, auf eine bewusst „politische“ Aussage zu verzichten und die Bezeichnung der Rechtsmaterie nüchtern dem aktuellen Gegenstand zu entnehmen. Jüngere Beispiele sind „Umweltrecht“, „Medienrecht“ und „Reisevertragsrecht“. Wo dies nicht geschieht, bedarf es einer besonderen Begründung, deren Tragfähigkeit stets aufs Neue zu prüfen ist. Gleiches gilt für den Fall eines Paradigmenwechsels im Fach. Die Bezeichnung ist dann in Frage zu stellen und die Beibehaltung der bisherigen Bezeichnung bedarf einer besonderen Begründung. Im Folgenden werden historische Veränderungen der tatsächlichen Voraussetzungen in dem Rechtsgebiet, in welchem sich der Staat mit Religion und Religionsgemeinschaften befasst im Überblick dargestellt. Dann wird die Erfüllung der soeben festgestellten allgemeinen Anforderungen durch die traditionelle Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ und andere in der Diskussion befindliche Alternativen untersucht.

C. Görisch, a. a. O., S. 887, Fn. 41. Siehe beispielhaft für das hier behandelte Rechtsgebiet im 2. Teil unter C. Veränderungen im Europarecht. 21 22

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“ Die Alternativ-Begriffe „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ sind eine junge Schöpfung, wenn man sie mit der langen Geschichte der Kirchen und der Staatskirchen vergleicht. Deren prägende historische Bedeutung in Deutschland darf hier nicht außer Betracht bleiben. Darum wird hier zunächst der traditionelle Begriff „Staatskirchenrecht“ behandelt. Nach einer Einordnung des Begriffs (I) wird die einschneidende Veränderung der Disziplin im Jahre 1919 beschrieben und untersucht, ob in diesem Zusammenhang auch die Bezeichnung der Disziplin in Frage gestellt wurde (II).

I. Einordnung des Begriffs 1. Herkunft und heutiger Gebrauch Anders als in der byzantinischen Tradition gab es in Mittel- und Westeuropa noch im Mittelalter keine Staatskirchen23. Stattdessen herrschte die Idee einer geistlich-weltlichen Einheit in der res publica christiana und der Universalität der Kirche verbunden mit der Suprematie des Papstes. Erst mit der Bildung der modernen Territorial- bzw. Nationalstaaten im 17. und 18. Jahrhundert und in Verbindung mit den Ergebnissen der Reformation kam es nach und nach zur Ausbildung von Staatskirchen24. Für die sich bildende Rechtsmaterie wurde der Begriff „Öffentliches Kirchenrecht“25, „Kirchenstaatsrecht“ 26 oder „Kirchen-Staats-Recht“ 27 verwandt. Die Staatskirchen blieben im Grundsatz bis 1919 erhalten, jedoch in einem Prozess der kontinuierlichen Lockerung der staatlichen Einflussnahme. Diese wurde in Bezug auf die Katholische Kirche ebenso verringert wie die Verselbständigung der evangelischen Landeskirchen vorangetrieben. So wird die Formulierung in § 147 der Paulskirchenverfassung von 1849 verständlich, wonach „fernerhin“ keine Staatskirche bestehe. W. Heun, Artikel Staatskirchenrecht, in: Evangelisches Staatslexikon, Band II, 1987. Siehe G. J. Ebers, Staat und Kirche im Neuen Deutschland, 1930, S. 2 ff.; A. v. Campenhausen, Staats-kirchenrecht, 1996, S. 18 ff.; C. Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 2000, S. 21 ff. 25 A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 16 – 18, 36. 26 .A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994. 27 C. Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 216; A. Hense, a. a. O., S. 18 f., 35. Dazu näher unter: D., I., 3., b), (1) Umschreibende Formulierungen. 23 24

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“

27

Traditionell verfestigt lautet in Deutschland ebenso wie in Österreich und teilweise in der Schweiz28 die Bezeichnung für den Bereich des staatlichen Rechts, der das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften regelt, „Staatskirchenrecht“. Dieser kam Mitte des 19. Jahrhunderts auf und wurde als Buchtitel erstmals 1868 verwendet29. Er setzte sich nach und nach mit der Emanzipation des Rechtsgebiets durch, bis er sich noch vor Ausbruch des 1. Weltkriegs endgültig etablierte30. Zunächst wurde „Staatskirchenrecht“, der Stellung der Kirchen vor 1919 entsprechend, vorherrschend im von heute aus gesehen engeren Sinne als „institutionelles Kirchenrecht“ verstanden31. Im Blickfeld standen die Kirchen als mit eigenen Rechtsvorschriften versehene Institutionen. Mit der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG, nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar geltendes Recht, kommt eine selbständige Rechtsstellung des Einzelnen allein oder in der Gruppe hinzu. Insofern kann man unter Zusammenfassung von institutioneller und individueller Sicht von „Staatskirchenrecht im weiteren Sinne“ sprechen32. Eine scharfe Grenzziehung zwischen institutioneller und grundrechtlicher Perspektive ist jedoch nicht sinnvoll, da schwer durchführbar. Sowohl Institutionen selbst sind grundrechtsberechtigt, als auch ihre Mitglieder. Die verschiedenen Sichtweisen sind im Rahmen „praktischer Konkordanz“ auf eine gemeinsame Aussage zu vereinen. Dem folgt die Literatur weitgehend, indem sie unter der Rubrik „Staatskirchenrecht„ individuelle und korporative Aspekte zusammen behandelt33. Dies bringt die Begriffserklärung von Pirson zu Beginn des Handbuchs des Staatskirchenrechts klar zum Ausdruck: „Staatskirchenrecht [ . . . ] ist nach einem weitgehend übereinstimmenden Sprachgebrauch eine Sammelbezeichnung für die Gesamtheit der vom Staat gesetzten oder verantworteten Rechtsnormen, deren Gegenstand die Rechtsstellung von Religionsgemeinschaften oder die Rechtsstellung der Einzelnen im Hinblick auf die Religion ist.“34

Siehe dazu unten bei: D., II. Österreich und III. Die Schweiz. Vgl. die begriffs- und problemgeschichtliche Arbeit von A. Hollerbach, a. a. O., S. 870 ff. und die daran anknüpfende detaillierte Untersuchung von A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 13 f., 20. 30 A. Hollerbach, a. a. O., S. 872 und A. Hense, a. a. O., S. 20, 35 f. 31 Vgl. z. B. G. Holstein, Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, 1928, S. 370 ff. 32 Vgl. auch zum Folgenden: A. Hollerbach, HdBStR VI, 1989, § 138, Rn. 2. 33 So sieht A. v. Campenhausen in seinem Standardwerk zum Staatskirchenrecht von 1996 als drittes wesentliches Element der Religionsfreiheit die „institutionellen staatskirchenrechtlichen Bestimmungen des Art. 140 GG. i. V. m. 137 II WRV.“, vgl. a. a. O., S. 61. 34 D. Pirson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 3 f. 28 29

28

1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

2. Umfassendes Begriffsschema „Staatskirchenrecht“ ist nicht nur im Namensteil verschwistert mit dem „Kirchenrecht“. Dieses umfasst im engeren Sinne die Normen mit Geltungskraft innerhalb einer Kirche oder Religionsgemeinschaft und wird üblicherweise als „evangelisches“35 oder „katholisches Kirchenrecht“ bzw. „ius canonicum“36 bezeichnet. Diese Regelungen bilden mit dem „Staatskirchenrecht“ das „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne37. Dieses wird insgesamt auch als „ius ecclesiasticum“ 38 bezeichnet, wobei verschiedene Begriffskonzepte nebeneinander stehen39. „Ius ecclesiasticum“ wird heute seltener verwendet40. An prominentester und fast einziger Stelle ist die im Mohr Siebeck Verlag erscheinende Reihe „Jus ecclesiasticum“ zu nennen41. Damit ist der Begriff heutzutage mehr Markenzeichen als Rechtsbegriff. Üblich ist noch die Worterweiterung „Ius Publicum Ecclesiasticum“ als Bezeichnung der kanonistischen Teildisziplin, die sich mit dem „Staatskirchenrecht“ aus35 Vgl. A. Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 1992, S. 5 f., der sich explizit auf das „innere Kirchenrecht“ beschränkt, indem er „Staatskirchenrecht“ und „Kirchenrechtsgeschichte“ auslässt. 36 Vgl. z. B. S. Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 65, wo die beiden Begriffe im Einleitungssatz und in der folgenden Überschrift benutzt werden. 37 Dieser Einteilung entspricht die Untergliederung des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte (hrsgg. von A. Erler und E. Kaufmann). Dort wird unter dem Begriff „Staatskirchenrecht“ auf „Kirchenrecht“ verwiesen. Dieser Oberbegriff wird dann in drei Teilen abgehandelt: „I. katholisches“, „II. evangelisches“ und „III. Staatskirchenrecht“, Handwörterbuch, Band II, 1978, Sp. 771. Im letzten Teil „Kirchenrecht (= Staatskirchenrecht)“, von C. Link verfasst, weist dieser darauf hin, dass das „Kirchenrecht“ ein Ergebnis der durch die Reformation ausgelösten allmählichen Sonderung von Staat und Kirche in der Neuzeit sei, a. a. O., Sp. 783 f. Dabei folgt er im Text, dem gerade gefundenen Ergebnis entsprechend, insgesamt dem modernen Sprachgebrauch und verwendet nur „Staatskirchenrecht“. Das „Kirchenrecht“ entscheidet jedoch in dem historisch orientierten Werk über die Einordnung und den Titel. 38 A. Hense stellt die Vermutung auf, der Begriff Staatskirchenrecht sei auf die Eindeutschung des konfessionsübergreifenden Konzeptes eines „Jus publicum ecclesiasticum“ zurückzuführen, a. a. O., S. 36. 39 Im Jahr 1949 stellten A. Königer und F. Giese noch fest, dass das „ius canonicum“ zusammen mit dem aus staatlicher Quelle fließenden „Staatskirchenrecht“ das „ius ecclesiasticum“ ergebe, A. M. Koeniger / F. Giese, Grundzüge des katholischen Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts, 1949, S. 213. Die Begriffe würden aber weder stets gleichbedeutend noch einheitlich gebraucht, a. a. O., S. 5. Eine andere Einteilung gebraucht z. B. A. Hollerbach. Dieser sieht im „Kirchenrecht“ nur „das von den Kirchen selbst gesetzte Recht (inneres Kirchenrecht)“ im Gegensatz zum „Staatskirchenrecht“. Das „Kirchenrecht im weiteren Sinne“ wird nicht erwähnt, vgl. A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStR VI, 1989, Rn. 1. 40 Siehe dazu unten bei: C. I., 4., b) Karlsruher Juristische Bibliographie, 5. Lehrstühle im deutschsprachigen Raum und 6., c) ZevKR-Mitarbeiter. Zum fremdsprachigen Ausland siehe unten bei: C. IV. I. „ius ecclesiasticum“ als Ursprung. 41 Dazu siehe unten bei: C., I., 4., a) Schriftenreihen.

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“

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einandersetzt42. Aus der Sicht der katholischen Kirchenrechtswissenschaft besteht ohnehin kein Unterschied zwischen „ius canonicum“ und „ius ecclesiasticum“. Das ist die systematische Konsequenz einer theologisch begründeten Rechtsordnung43. Im rechtswissenschaftlichen Gebrauch sind diese Bezeichnungen und andere traditionsreiche Begriffe wie „Glaube“, „Religionsausübung“ oder „Bekenntnis“ im Zuge der Entwicklung „zum Staatskirchenrecht des pluralistischen Staates [ . . . ] theologisch entleert“ worden44. Der säkulare Staat eliminiert damit nicht das Religiöse, sondern er garantiert die Freiheit und Gleichheit aller Religionen45. „Staatskirchenrecht“ handelt somit von der Beziehung zwischen dem Staat und allen Religionsgemeinschaften46. Insgesamt ergibt sich das folgende Begriffsschema:

Staatskirchenrecht (äußeres K. oder kath.: ius publicum ecclesiasticum)

Kirchenrecht (i.w.S.) (ius ecclesiasticum)

Kirchenrecht (i.e.S.) (inneres K. oder kath.: ius canonicum)

Das Lehrbuch „Kirchenrecht“ von A. Erler folgt diesem Schema von der ersten Auflage 1949 bis zur letzten Auflage 198347. Es verwundert daher nicht, wenn diese Kategorien auch heutzutage noch stellenweise Verwendung finden. In seinem 42 S. z. B. J. Listl, Kirche und Staat in der neueren katholischen Kirchenrechtswissenschaft, 1978, S. 44 f. und HdbKathKR, 1999, S. 10, Fn. 31, S. 21, 23 f., 1067, 1241 f., 1250. 43 Vgl. J. Listl, a. a. O., S. 11 und K. Walf, Kirchenrecht, in: Wohlmuth (Hrsg.), Katholische Theologie heute, 1995, S. 288. 44 M. Heckel, Zur Ordnungsproblematik des Staatskirchenrechts im säkularen Kultur- und Sozialstaat, JZ 1994, S. 429. 45 A. a. O., S. 430. 46 A. Hollerbach, a. a. O., Rn. 1. 47 Vgl. A. Erler, Kirchenrecht, 1949, Vorwort S. 9 und die Einleitung S. 13 ff., 14 bzw. A. Erler, Kirchenrecht. Ein Studienbuch, 1983, Vorwort, S. VII und die Einleitung, S. 1 ff., 2. Die mangelnde Fortsetzung auch dieses Lehrbuchs (neben dem im Anschluss dargestellten Grundriss von Kühn / Weier) mag ein Zeichen sowohl für die „Marginalisierung“ des juristischen Ausbildungsfaches „Kirchenrecht“ seit den Sechziger Jahren (so C. Link, Das Kirchenrecht in Erlangen, JuS 1993, S. 898) sowie die Schwierigkeit unter dem Titel „Kirchenrecht“ heutzutage noch das Verständnis des Fachs im weiteren Sinne hervorzurufen. Siehe zum erstgenannten Punkt auch unter: C., I., 5., a) Die Zuordnung des Fachs zu zwei Fakultäten; zum letztgenannten bei: D., II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Lehrbuch aus dem Jahr 2001 geht J. Winter grundsätzlich vom moderneren Begriffspaar „Kirchenrecht / Staatskirchenrecht“ aus, welches er inhaltlich definiert48. Er verweist aber mittelbar auf die bei Erler genannte ältere Begriffsordnung, wenn er das Recht, welches die Kirche in ihren eigenen Angelegenheiten selbst setzt, als „(inneres) Kirchenrecht“ bezeichnet49. Der Klammerzusatz verdeutlicht die verschiedenen Bedeutungsebenen. Auch der Band „Kirchenrecht“ des Autorenpaars von Rosen – von Hoewel / Kühn aus dem Jahr 1960 beachtet das vorgestellte Grundschema, wenn auch ohne die hier in Klammern gesetzten näheren Umschreibungen50. Als Ersatz für die Bezeichnung „Kirchenrecht“ im engeren Sinne dienen die Adjektive evangelisch und katholisch. Von besonderem Interesse ist der Titel. Dieser stammt bereits aus der Vorkriegsauflage von 1936. Als griffige Kurzform wurde er in der Neuauflage von 1949 beibehalten. Die Alternative einer korrekten Bezeichnung vermittels einer Aufzählung der Kapitelüberschriften als Grundriss des katholischen und evangelischen Kirchenrechts und des deutschen Staatskirchenrechts erscheint tatsächlich als zu umständlich. Es hätte jedoch auch die Variante „Kirchenrecht / Staatskirchenrecht“ zur Verfügung gestanden, die im Jahr 2001 von Winter genutzt wird. Von Rosen – von Hoewel / Kühn erläutern den Titel auch nicht im Text. Damit bleibt dem Leser ohne Vorkenntnisse die Kategorie des „Kirchenrechts“ im weiteren Sinne unbekannt. Durch eine Aussage des Ko-Autors Kühn wird sogar Verwirrung gestiftet. In der „Einleitung: Kirche und Kirchenrecht“ behauptet er, die Angelegenheiten von „Staat und Kirche gehören nicht zum Kirchenrecht“51. Diese Aussage widerspricht bereits der angesichts des Inhalts notwendigen Interpretation des Titels der Arbeit. Auch die neueste Auflage aus dem Jahr 1986 von Kühn und nunmehr J. Weier bezieht den Begriff „Staatskirchenrecht“ nicht in den Titel ein. Weiterhin nennt sich der Band einfach „Kirchenrecht“52. Diesmal fehlt die Aussage von Kühn zur Begrifflichkeit. Es handelt sich aber offenbar nicht um eine bewusste Streichung dieser Passage, denn die Einleitung wurde gänzlich gestrichen.

II. Veränderung der Disziplin – Veränderung des Begriffs? Wie oben dargestellt, bietet ein Paradigmenwechsel im Recht grundsätzlich den Anlass zur Diskussion von juristischen Begriffen53. In Frage kommen hier verfassungsrechtliche Veränderungen der Jahre 1919 und 1949. Zur Begriffsbildung bei Winter ausführlich unten bei: C., I., 3., a), (2), (b) Im Text. J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 9. 50 H. Rosen von Hoewel / O. Kühn, Kirchenrecht, 1960, Titel und Vorwort, S. 3, und S. 10, 163 ff., insb. S. 167. 51 A. a. O., S. 10. 52 Vgl. O. Kühn / J. Weier, Kirchenrecht, 1986. 53 Siehe oben bei: A. Vom Sinn juristischer Begriffsbildung. 48 49

B. Vorgeschichte – der Begriff „Staatskirchenrecht“

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1. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 In der 150-jährigen Geschichte des Begriffes „Staatskirchenrechts“ kommt es im Jahr 1919 zu einer Umgestaltung des dahinter stehenden Rechtsgebietes. In der Folge der Revolution von 1918 und dem Erlass der Weimarer Reichsverfassung ist das Recht der im demokratischen Bundesstaat gleichzubehandelnden Religionsgemeinschaften entstanden. Unter dem Buchtitel „Staat und Kirche im neuen Deutschland“ stellt G. J. Ebers im Jahre 1930 folgendes fest: „Dadurch, daß die Eigenschaft als Korporation des öffentlichen Rechts auch anderen Religionsgesellschaften [ . . . ] zugänglich gemacht ist, [ . . . ] ist die bisherige Monopolstellung der großen Kirchen gefallen. Der Staat will nicht mehr christlich-paritätisch, sondern religiös-neutral und allen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgruppen gegenüber paritätisch sein. Wie keine Staatskirche, so auch keine Staatsreligion mehr.“54

Die seit 1919 reichseinheitlich einschlägigen Artikel 136 – 141 WRV folgen dieser Veränderung bereits im Wortlaut55. Sie gebrauchen lediglich zweimal den Wortstamm „Kirche“ und dies nur in Abgrenzung zur Vergangenheit: Artikel 137 I WRV verkündet „Es besteht keine Staatskirche“ und Artikel 136 IV WRV ordnet an, dass niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit gezwungen werden darf. Ansonsten ist immer von „Religionsgesellschaften“ die Rede. Diese Veränderung des Inhalts des „Staatskirchenrechts“ ist kein Anlass, der Disziplin eine neue Bezeichnung zu geben56. Zu sehr beherrscht wohl noch die alte Ordnung das Bewusstsein der Wissenschaftler. Davon zeugt zum Beispiel der Streit um die (dann doch insgesamt abgelehnte) sog. Korrelatentheorie. Diese postuliert eine weiterhin bestehende engere Verbundenheit von Staat und „anerkannten Religionsgemeinschaften“ 57. Erst spät, in der Zeit des Nationalsozialismus, tritt der Begriff des „Religionsrechts“ auf58. Ganz bewusst wird der „Ausschuß für Religionsrecht“ der Akademie für Deutsches Recht gegründet59. Dies ist die Folge einer politischen Entscheidung des Reichsministers H. Frank60. Der im Reichskirchenministerium61 zuständige Ebers (1930), S. 123. Vgl. zur beschränkten Gesetzgebungsbefugnis des Deutschen Reichs Art. 4 der Verfassung von 1871. Bis Dezember 1873 war nicht einmal das Familienrecht enthalten. 56 Für die Zeit nach 1919 vgl. A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994, S. 873. Siehe auch G. Holstein, Die Grundlagen des evangelischen Kirchenrechts, 1928, S. 370 ff. 57 Dazu B. Jeand’Heur, Der Begriff „Staatskirche“ in seiner historischen Entwicklung, Der Staat 30 (1991), S. 460 ff. 58 A. Hollerbach, a. a. O., S. 875. Zur Verwendung bereits im 17. und 18. Jahrhundert vgl. A. Hense, a. a. O., S. 21 ff. 59 J. Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, 1979, S. 78, insb. Fn. 227. 60 Ebd. 61 Zur Bezeichnung des Ministeriums siehe A. Hense, a. a. O., S. 21 f. 54 55

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Ministerialrat J. Roth hatte einen „Ausschuß für Kirchenrecht bzw. Staatskirchenrecht“ vorgeschlagen62. Mit dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft endet zunächst auch die Verwendung des Begriffs63. 2. Das Grundgesetz von 1949 Im Jahr 1949 wird durch Art. 140 GG der Normenkomplex der Art. 136 bis 139 und 141 WRV in das Grundgesetz inkorporiert. Damit bildet trotz der Kulturhoheit der Länder der Großteil der bisherigen Regelung weiterhin den bundesrechtlichen Rahmen des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften. Die Fachleute diskutieren daraufhin kritisch über den Inhalt des damals gegenwärtigen „Staatskirchenrechts“. In diesem Zusammenhang kommt es lediglich zu Vorschlägen im Hinblick auf eine Neuinterpretation des Begriffs. Eine Debatte über seine Abschaffung und Ersetzung findet nicht statt: Auf der Staatsrechtslehrertagung in Marburg 1952 stellt der Berichterstatter W. Weber zum Thema „Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts“ fest, es werde „der Gebrauch des Wortes ,Staatskirchenrecht‘ für unser Problem fragwürdig“64. Ohne eine Alternative vorzuschlagen stellt er am Ende der kritischen Aussprache fest, „daß der Begriff ,Staatskirchenrecht‘ so stark mit der Staatskonzeption des 19. Jahrhunderts und mit dem Verhältnis von Staat und Kirche in dieser Zeit verbunden ist, daß wir, wenn wir diesen Begriff unkritisch fortschleppen, immer wieder in den Bann von Vorstellungen geraten, die ich allerdings für überwunden halte“. Damit wird jedoch nicht die Forderung nach einem Begriffswechsel aufgestellt, sondern nach einem Mentalitätswechsel. Wird der traditionelle Begriff in seinem Sinne verstanden, so ist es nach Weber gerechtfertigt, ihn weiterhin zu benutzen65. Im gleichen Jahr erläutert J. Heckel: „Die Sorge des absoluten Staates vor der Kirche als einem ,status in statu‘ ist vergessen. Ein Staatskirchenrecht braucht man nicht mehr. Es genügt ein staatliches Religionsrecht.“66 Dies wird von Hollerbach im textlichen Zusammenhang zu Recht als allein auf die grundrechtliche Ebene bezogen gesehen. Eine Änderung der Fachbezeichnung wird nicht angestrebt. Ähnlich äußert sich H. Quaritsch im Jahre 1962, als er den Begriff Staatskirchenrecht „hier trotz seiner Problematik im allgemeinen und seiner juristischen Ungenauigkeit im besonderen mit diesem Vorbehalt verwendet“67. Vgl. J. Winter, a. a. O., S. 79. A. Hollerbach, a. a. O., S. 876. 64 W. Weber, Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts, VVDStRL 11 (1954), S. 176. 65 W. Weber, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 11 (1954), S. 253 ff., 254. 66 J. Heckel, Kirchengut und Staatsgewalt. Ein Beitrag zur Geschichte und Ordnung des heutigen gesamtdeutschen Staatskirchenrechts, in: FS Smend, 1952, S. 107. Direkt dazu A. Hollerbach, a. a. O., S. 877, der darin keinen Beitrag zur Debatte um die Änderung der Terminologie sieht. 62 63

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren

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Typisch für diese Zeit erscheint eine Begriffsdiskussion in einer erst 1996 veröffentlichten Arbeit von E. Ruppel vom Ende der Fünfziger Jahre mit Änderungen bis Anfang der Siebziger. Dort wird nicht etwa der Begriff „Staatskirchenrecht“, sondern nur sein konkreter Inhalt in Frage gestellt. Mit dem Anspruch von Genauigkeit wird dieser jedoch ungenau definiert. Ruppel schreibt über das Kirchenvertragsrecht und will deshalb alle staatlichen und kirchlichen Normen hinzunehmen, durch die das Verhältnis von Staat und Kirche geregelt wird68. Dabei übersieht er die tatsächliche Gemeinsamkeit der Normen. Auch Kirchenvertragsrecht ist Öffentliches Recht, jedoch nicht vom Staat einseitig gesetztes, sondern vereinbartes69. Kirchenrechtliche Vorgaben in Bezug auf den Umgang mit staatlichen Institutionen fallen auch nach allgemeiner Meinung nicht in den Bereich des „Staatskirchenrechts“. Auffällig ist auch, dass nur die Kirchen genannt werden, was in einer Arbeit über Kirchenverträge verständlich, aber auch unpräzise ist. Einen ersten Anstoß zur Ersetzung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ findet man 1962 bei S. Grundmann und 1965 bei Hollerbach70. Beide schlagen „Staat-KircheRecht“ vor. Die daraufhin erfolgenden Reaktionen bewirken nach Hollerbachs eigener Aussage keine allgemeine Kritik am herkömmlichen Begriff „Staatskirchenrecht“. Im Gegenteil sei dem Begriff neuer Glanz verliehen worden71. Insoweit ist der bereits oben erwähnten Aussage von Kühn im Grundriss des Kirchenrechts von 1960 in Bezug auf die Begriffsverwendung zuzustimmen: „Staatliche Rechtssätze über kirchliche Angelegenheiten oder das Verhältnis von Staat und Kirche gehören nicht zum Kirchenrecht. Sie sind staatliches Recht und werden unter der Bezeichnung ,Staatskirchenrecht‘ zusammengefasst.“72.

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts Mit „Religionsrecht“ (II) und „Religionsverfassungsrecht“ (III) wurden in den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zwei Alternativbegriffe geprägt. Die unmittelbare Vorgeschichte wird zur genaueren Einordnung einleitend geschildert (I).

67 H. Quaritsch, Kirchen und Staat. Verfassungs- und staatstheoretische Probleme der staatskirchenrechtlichen Lehre der Gegenwart, Der Staat 1 (1962), S. 176. 68 Kaulitz / Schilberg (Hrsg.), E. Ruppel, Kirchenvertragsrecht, 1996, S. 1. 69 So die griffige Definition bei B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 1. 70 Siehe dazu A. Hollerbach, a. a. O., S. 878 f. 71 Ebd. 72 Kühn / Weier (1985), S. 10. Siehe dazu ausführlich oben bei 1., 2. Umfassendes Begriffsschema.

3 Kupke

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

I. Auf dem Weg Nach dem Vorschlag von Grundmann und Hollerbach kommt Anfang der Siebziger Jahre eine zweite wissenschaftliche Diskussionsrunde zur Fachbezeichnung in Gang. Eine Ursache könnten die gesellschaftlichen Bewusstseinsveränderungen im Gefolge der Ereignisse um 1968 sein. Es treten die soziologischen „Erosionen“ im Bereich von Gesellschaft und Kirchen zutage73. Im Jahr 1972 benutzt K. Schlaich in seiner Habilitationsschrift grundsätzlich den Begriff „Staatskirchenrecht“74. An einer Stelle bemerkt er jedoch, die originäre Bezeichnung „Kirchen-Staats-Recht“ sei genauer als der des Staatskirchenrechts. Es gehe nämlich in der Sache um „Staatsrecht in Bezug auf die Kirchen“75. Im folgenden Jahr greift dies P. Häberle in einer Besprechung der Arbeit von Schlaich als eine mögliche neue Variante des seiner Auffassung nach änderungsbedürftigen Begriffs „Staatskirchenrecht“ auf76. Häberle befürwortet „die ,Aufhebung‘ des Staatskirchenrechts im Kulturverfassungsrecht“. Sie erlaube eine Gesamtsicht der in Art. 4 und 140 GG angelegten individualrechtlichen und korporativ-institutionellen Seite grundrechtlicher Freiheit der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Das verhindere eine Fixierung auf den Staat und könne „auf lange Sicht dazu führen, dass man den missverständlichen Begriff ,Staatskirchenrecht‘ aufgibt, was um so angemessener wäre, als eben nicht nur ,Kirchen‘ in diesem Kulturverfassungsrecht leben.“ Häberle bleibt jedoch der einzige Autor, der auf die von Schlaich erwogenen Bezeichnungen „Kirchen-Staats-Recht“ und „Staatsrecht in Bezug auf die Kirchen“ reagiert. Dies könnte daran liegen, dass dieser zu lang und umständlich ist und jener durch den bloßen Reihungswechsel keine echte Alternative zu „Staatskirchenrecht“ bietet, für die sich ein allgemeiner Bezeichnungswechsel lohnte. Bereits der Vorschlag „Staat-Kirche-Recht“, von Grundmann und Hollerbach vertreten, hatte keine allgemeine Debatte auslösen können.

II. „Religionsrecht“ Noch im gleichen Jahr, 1973, findet P. Mikat in einer selbständigen Schrift eine neue, eigenständige Begriffsbildung77. Er reaktiviert den durch die ErstverwenSo P. Häberle, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 28 (1970), S. 117. Vgl. neben dem Titel besonders das 5. Kapitel: „Neutralität im Staatskirchenrecht“, K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 129 ff. 75 K. Schlaich, a. a. O., S. 136, Fn. 35. 76 Auch zum Folgenden: P. Häberle, Besprechung von: K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip vornehmlich im Kulturverfassungs- und Staatskirchenrecht, 1972, ZevKR 18 (1973), S. 428. 77 P. Mikat, Zur rechtlichen Bedeutung religiöser Interessen (1973), S. 306 ff. 73 74

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren

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dung im 3. Reich als Fachbezeichnung bisher desavouierten Begriff „Religionsrecht“. Dieser soll offenbar einen bisher nicht näher gekennzeichneten Bereich des staatlichen Rechts unter einem neuen Begriff zusammenfassen: „Hier und im folgenden verstehen wir unter dem Begriff ,staatliches Religionsrecht‘, dessen Problematik uns durchaus bewußt ist, nicht nur das Staatskirchenrecht im engeren Sinne, sondern die Gesamtheit der staatlichen Rechtsnormen, die den religiösen Interessen Rechnung tragen, z. B. [ . . . ] im Bereich des bürgerlichen Ehe- und Familienrechts, des Strafrechts [ . . . ] des Bildungswesens.“78

Mit einer fast wortgleichen Erklärung eröffnet er im darauf folgenden Jahr einen Aufsatz zum „deutschen Staatskirchenrecht“ 79. Diese Überschrift belegt den Willen, nicht eine Abschaffung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ einläuten zu wollen, sondern eher eine Reduktion auf den sog. „engeren Sinn“. Nur so ist es verständlich, dass Mikat in einem Vorwort von 1980 auf zwei Seiten zehnmal „Staatskirchenrecht“, aber keinmal „Religionsrecht“ nutzt80. Auch der umgekehrte Fall ist möglich, wie bereits die Überschrift seines Beitrags zur ersten Auflage des Handbuchs des Staatskirchenrechts zeigt81. Offenbar sah Mikat zuvor in seinen eigenen Arbeiten die Notwendigkeit eines neuen, weiteren Begriffs. Dies ist vor dem Hintergrund seines fächerübergreifenden Wirkens verständlich82. Ein wichtiges Gebiet ist dabei das Eherecht, welches gerade durch seine Geschichte eine besondere „Schnittmenge“ aus dem Recht der (hier christlichen) Religionsgemeinschaften und dem staatlichen Recht bildet. Leider findet keine Auseinandersetzung mit der bisher üblichen Systematik der Begriffe statt. Auch sind die oben genannten Erläuterungen denkbar knapp gehalten, gemessen daran, dass immerhin ein neuer Begriff oder, wie Hollerbach es erklärend ausdrückt83, eine neue Konzeption in die Wissenschaft eingeführt wird. Es geht, weiter nach Hollerbach, um die Erfassung des Phänomens „Religion“ in der pluralistischen Demokratie mit dem Ziel, einer Diskriminierung des Religiösen gegenüber anderen legitimen Interessen (z. B. im Bereich von Kultur und Wirtschaft) zu wehren84.

A. a. O., S. 306, Fn. 9. P. Mikat, Bemerkungen zur Ortsbestimmung und Aufgabenstellung des deutschen Staatskirchenrechts (1974), S. 413. 80 P. Mikat, Vorwort, in ders (Hrsg.), Kirche und Staat in der neueren Entwicklung, 1980, S. XII f. 81 P. Mikat, Die religionsrechtliche Ordnungsproblematik (1974), insb. S. 377 Fn. 1. 82 Mikat hatte an der Ruhr-Universität Bochum einen Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Kirchenrecht inne. Seine Arbeiten verbinden die Rechtswissenschaft, insb. die Rechtsgeschichte, mit der Theologie. Vgl. jeweils die Überschriften zweier Sammelbände: Einmal werden die beiden Hauptinteressen aus zwei Rechtsgebieten gebündelt (P. Mikat, Erster Halbband, 1974), ein andermal wird auf die Bandbreite an sich angespielt (So der Herausgeber G. Mertens in der Einleitung, von Spektrum. Aufsätze und Reden von Paul Mikat, 1995, S. VII). 83 A. Hollerbach, a. a. O., S. 882. 84 A. a. O., S. 883. 78 79

3*

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

III. „Religionsverfassungsrecht“ Den Ansatz von Mikat führt Häberle ein Jahr später in einer Besprechung eines Buches von Listl fort85. Er schlägt erstmals selbst einen Ersatzbegriff für „Staatskirchenrecht“ vor: „Verfassungskirchenrecht“86. Es gehe dabei weniger um den „Abbau des Staatskirchenrechts“ als um eine Verallgemeinerung seiner wichtigsten Prinzipien, wie zum Beispiel der Gewährung von Autonomie bei gleichzeitiger Förderung, zugunsten anderer „Pluralgruppen“ als der privilegierten Kirchen87. „Staatskirchenrecht“ assoziiere zu leicht den Begriff der verfassungswidrigen Staatskirche. Damit ist hier eine von Häberle insbesondere als Diskussionsbeitrag noch häufig wiederholte „Grundthese“88 gegen die Herrschaft des Begriffs „Staatskirchenrecht“ geboren89. Der verfassungsnormorientierte Hinweis auf Art. 137 I WRV i.V.m. 140 GG ist, wie A. Hense im Jahr 2002 feststellen wird, „mehr als ein origineller wissenschaftlicher Gag“90. Vielmehr zeige sich darin ein Ringen um eine adäquate wissenschaftliche Selbstbeschreibung91. In der genannten Besprechung äußert Häberle dann noch ein weiteres Argument gegen den traditionellen Begriff. Die Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften seien nicht dem „Staat“ zugeordnet, sondern Teil der Verfassung der offenen res publica. Der vorgeschlagene Begriff „Verfassungskirchenrecht“ wird jedoch von anderen Autoren weder angenommen noch diskutiert. Häberle selbst wird in der Zukunft konsequent einem zweiten Vorschlag folgen, den er zwei Jahre später, im Jahr 1976, in die Diskussion einbringt. Im Rahmen eines Besprechungsaufsatzes zu Mikats oben genanntem Sammelband von 1974 prägt Häberle den Begriff „Religionsverfassungsrecht“ 92. Schon der betont programmatische Titel folgt den Vorgaben von Mikat, wenn der in Anführungszeichen gesetzte traditionellen Begriff als „Religionsrecht der verfassten Gesellschaft“ apostrophiert wird. Eingehend erörtert Häberle verschiedene Aspekte des Begriffs „staatliches Religionsrecht“, welcher ein Koordinatensystem zur Lösung von aktuellen Einzelfragen im Rahmen des Kulturverfassungsrechts bereit85 P. Häberle, Besprechung von: J. Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte, 1971, ZevKR 19 (1974). 86 A. a. O., S. 212. 87 S. dazu bereits P. Häberle, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 28 (1970), S. 117 f. 88 So Häberle selbst im Nachtrag von 1978 zum wiederabgedruckten DÖV-Aufsatz von 1976 in: P. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Auflage 1998, S. 346 f., 347. 89 Zu weiteren Fundstellen siehe weiter unten bei: C., I. 1., a) Die „Urheber“ der Begriffe. 90 Auch zum Folgenden A. Hense, a. a. O., S. 10. Vgl. auch unten bei: D., I., 1., b), (1) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit. 91 Direkt Kritik an dieser von Hense übernommenen These Häberles übt C. Görisch, „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001, S. 886. Siehe dazu unten bei: D., I., 3., b), (1) Umschreibende Formulierungen. 92 P. Häberle, „Staatskirchenrecht“ als Religionsrecht der verfaßten Gesellschaft, DÖV 1976, S. 79 f.

C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren

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stelle93. Weiterhin sieht er „Staatskirchenrecht als ein Stück Verfassung der Gesellschaft, nicht nur als Verfassung Staat / Kirche“94. Folgerichtig betitelt er den letzten Abschnitt „Religionsverfassungsrecht (Ausblick)“95: Notwendig sei eine Verallgemeinerung des „Staatskirchenrechts“ im Hinblick auf andere Religionsgemeinschaften wie des Religiösen überhaupt durch den Austausch des inhaltlich zu engen Begriffteils „Kirche“. Ferner stehe die Verfassung, nicht der Staat, für das politische Gemeinwesen im Ganzen, insbesondere seine offene Gesellschaft. Dies berücksichtige das „Religionsverfassungsrecht“ als zukunftsorientierte Wissenschaft durch die Abkehr vom Begriffsteil „Staat“.

IV. Reaktionen Unmittelbare Reaktionen auf die zuletzt genannten Vorschläge „Religionsrecht“ bzw. „Religionsverfassungsrecht“ zeigen sich nur vereinzelt96. Zur Kritik von E.-W. Böckenförde sei auch hier auf die begriffshistorisch angelegte Arbeit von Hollerbach verwiesen97. Direkte Aufnahme finden die Begriffe aber in den Arbeiten zweier Schüler der Initiatoren. Einmal in einem Aufsatz zum Europäischen Gemeinschaftsrecht aus dem Jahr 1977 von I. Pernice, der weiter unten besprochen werden soll98. Dann ist die zwei Jahre danach erschienene Arbeit von J. Tröder zu nennen. Das erste Kapitel befasst sich im 1. Kapitel auf 48 Seiten mit der „Aufgabenstellung und terminologischen Vorbemerkungen“99. Dort werden die Beiträge von Mikat und Häberle intensiv erörtert. Dem gefundenen Ergebnis entsprechend wird danach der Sprachgebrauch Mikats übernommen100. A. a. O., S. 459 – 462. A. a. O., S. 468. 95 Auch zum Folgenden siehe a. a. O., S. 471 ff. Vorher erwägt Häberle in einer Fußnote auch den Begriff „Verfassungsreligionsrecht“, der aber terminologisch „unschön“ sei, a. a. O., S. 466. 96 Dies mag die Ursache dafür sein, dass C. Görisch in seinem allein der Begriffsfrage gewidmeten Aufsatz auf jeglichen Hinweis zur Begriffsprägung verzichtet. Mikat wird entweder nur als Zeuge für die Koordinationstheorie oder in einer Aufzählung von einigen Verwendern des Begriffes „staatliches Religionsrecht“ genannt, siehe ders., „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001, S. 886, Fn. 9 und S. 888, Fn. 42. Häberle wird als Verfechter von „Religionsverfassungsrecht“ „aus neuerer Zeit“ genannt, siehe a. a. O., S. 887, insb. Fn. 25. Dieser Fehler ist umso erstaunlicher, als Görisch die einschlägigen, auch historisch orientierten Arbeiten von Hollerbach und Hense zitiert, siehe a. a. O., S. 885, Fn. 2. 97 A. Hollerbach, a. a. O., S. 884 f. 98 I. Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977. Dazu weiter unten im Rahmen der Besprechung der Dissertation von M. Vachek bei: C. I. 2. a) Synonyme Verwendung. 99 J. Tröder, Staatskirchenrechtliche Gesamtstatusprobleme in der Verfassungsordnung, 1979, S. 1 ff. 100 Vgl. nur die Überschrift des dritten von fünf Kapiteln: „Die Ordnungsprinzipien staatlichen Religionsrechts zur Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche“, a. a. O., S. 54 ff. 93 94

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Auch ohne Aufgreifen der neuen Begriffe wird die Kritik an der Unvollständigkeit des herkömmlichen Begriffs in den folgenden Jahren fortgesetzt. So führen H. Heimerl und H. Pree in ihrem Lehrbuch zum Kirchenrecht, hier im engeren Sinne verwendet, die Missverständlichkeit des Begriffs „Staatskirchenrecht“ beinahe ebenso lang aus, wie sie ihn erläutern101.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990 Das Rechtsgebiet, welches die staatlichen Normen zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften umfasst, kennt nunmehr drei teilweise konkurrierende Bezeichnungen: „Staatskirchenrecht“, „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“. Im Folgenden soll ihre tatsächliche Verwendung in der juristischen Literatur und anderen Anwendungsbereichen für den juristischen Sprachgebrauch untersucht werden. Dies geschieht für Deutschland ausführlich (I). Es liegt nahe, zusätzlich noch Österreich (II) und die Schweiz (III) einzubeziehen, wenn man nach der Begriffsverwendung fragt. Die drei Länder arbeiten aus einer im europäischen Vergleich weitgehend übereinstimmenden Sprach- und Rechtstradition heraus mit dem Begriff „Staatskirchenrecht“. Damit wird der von Häberle vorgeschlagene Ansatz der „Rechtsvergleichung als fünfter Auslegungsmethode“102 in zweierlei Hinsicht fruchtbar gemacht. Nicht nur innerstaatlich durch den später folgenden Vergleich von Grundgesetz und Länderverfassungen im Rahmen der föderalistischen Ordnung, sondern auch im Vergleich selbständiger Rechtsordnungen, die doch durch eine gemeinsame Tradition und durch den gemeinsamen verfassungsstaatlichen Weg gekennzeichnet sind103. Hier erfolgt eine auf die Veränderungen konzentrierte Schilderung. Schließlich werden fremdsprachige Ansätze in Bezug auf die Bezeichnung der Disziplin behandelt (IV), jedoch nur exemplarisch, da eine umfassende sprachliche Analyse einer eigenständigen Arbeit vorbehalten bleiben soll. Der Zeitraum der Übersicht endet grundsätzlich mit dem Jahr 2000. Im Einzelfall werden aber auch Veröffentlichungen von 2001 und des 1. Quartals 2002 einbezogen.

H. Heimerl / H. Pree, Kirchenrecht. Allgemeine Normen und Eherecht, 1983, S. 21. Erstmals in: ders., Grundrechtsgeltung und Grundrechtsinterpretation im Verfassungsstaat. Zugleich zur Rechtsvergleichung als „fünfter“ Auslegungsmethode, JZ 1989, S. 913 ff. Vgl. auch P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Auflage 1998, insb. S. 165 ff. 103 Zum Typus Verfassungsstaat vgl. P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, insb. S. 703 ff. 101 102

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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I. Deutschland Im letzten Vierteljahrhundert hat sich in der Bundesrepublik ein beträchtlicher Wandel der Gesellschaft in ihrem Verhältnis zur Religion vollzogen. Es überrascht daher nicht, dass S. Muckel seine Habilitationsschrift mit dem Kapitel „Veränderungen des religiösen Lebens in Deutschland“ einleitet104. In den Zwanziger und Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts herrschte, zumindest im Westen, noch das Volkskirchentum vor105. Die Abwanderung aus den Großkirchen vollzog sich langsam, aber stetig. E. Stammler hält das Institut der Volkskirche nurmehr für eine Fiktion: „Das Volk hat längst begonnen, aus der Kirche auszuwandern und seine religiösen Erwartungen, sofern sie virulent sind, durch andere Angebote beantworten zu lassen.“106

Der vielleicht wichtigste Einschnitt in der Religionsgeschichte im Nachkriegsdeutschland betrifft jedoch den Ostteil. Beinahe vergleichbar mit den Veränderungen von 1918 / 19 sind die Folgen der Wiedervereinigung von 1990. Diese vergrößerte die Bundesrepublik um die in fünfzig Jahren DDR-Geschichte grundsätzlich antikirchlich geprägten Neuen Bundesländer107. Die besonderen Herausforderungen einer veränderten religionssoziologischen Ausgangslage sind bei der Diskussion um das Rechtsverhältnis von Staat und Religion bzw. Religionsgemeinschaften zu berücksichtigen. In dem im Jahr 2000 erschienenen Beitrag „Die Lage des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland“ sieht D. Ehlers „langfristige Herausforderungen“108. Es gebe zwei Trends, mit denen sich das Staatskirchenrecht auseinandersetzen müsse: Die Tendenz zur Säkularisierung einerseits und zur religiösen Pluralisierung andererseits. Tatsächlich erleben wir, dass die Entkirchlichung des Lebens eine neue Dimension erreicht109. Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte seit der ChristianisieVgl. S. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 1 ff. Zur paradoxen Formel „volkskirchliches Missionsland“ siehe A. Hollerbach, Entwicklungen im Verhältnis von Staat und Kirche, in: Schneider / Steinberg (Hrsg.), Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, 1990, S. 74 f. Diese von 1968 stammende Formulierung von Hollerbach und die der „entkirchlichten Religiosität“ greift F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: FS Hollerbach, 2001, S. 150 f. auf, wenn er die Veränderung des religionssoziologischen Umfelds in Deutschland schildert. 106 E. Stammler, Kirche ohne Volk. Christen am Ende des Jahrtausends, 1992, S. 179 f. 107 Vgl. dazu T. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR, 1994, S. 148 ff.; J. Listl, Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik (1995), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 361 f.; W. Rüfner, Staatskirchenrecht im pluralistischen Staat, in: FS Hollerbach, 2001, S. 692 f. Zu Folgen der „atheistischen Propaganda“ in der DDR siehe C. Link, „LER“, Religionsunterricht und das deutsche Staatskirchenrecht, in: FS Hollerbach, 2001, S. 747, 768 f. 108 Vgl. D. Ehlers, Die Lage des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 45 (2000), S. 213 ff. 104 105

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

rung sind in einem Drittel Deutschlands die Ungetauften gegenüber den Getauften in einer deutlichen Mehrheit110. Der Bischof von Berlin-Brandenburg W. Huber stellt im Jahr 1998 dazu fest: „Der rasante Prozeß der Entkirchlichung, der sich hier vollzogen hat, kennt in anderen Bereichen des Globus keine Parallele.“111.

Gleichzeitig können wir eine Etablierung unterschiedlicher Konfessionen von nunmehr seit Generationen hier lebenden Einwanderern feststellen. Ehlers konstatiert folgerichtig für das Staatskirchenrecht, es müsse sich immer häufiger mit bisher unbekannten Fallgestaltungen befassen, wie z. B. mit dem Ruf des Muezzin, dem Schächten von Tieren, dem Tragen von Kopftüchern und dem islamischen Religionsunterricht112. In seinem Diskussionsbeitrag auf der Staatsrechtslehrertagung 1999 in Heidelberg nennt Ehlers zusätzlich noch eine dritte Tendenz, nämlich die zur Internationalisierung113. Tatsächlich ist im Laufe der Zeit vor allem die (Rechts-)Dimension Europa immer wichtiger geworden und beeinflusst quasi von außen das deutsche Modell114. Diese Veränderung der religionssoziologischen Vorgaben könnte neben einer Diskussion der Inhalte des „Staatskirchenrechts“ auch Anlass einer Diskussion der Bezeichnung selbst sein. Noch im Jahr 1987 scheint jedoch eine Veränderung des Begriffs ebenso wenig diskutiert worden zu sein wie man eine Veränderung der Disziplin feststellte. Schlaich stellt für die Bundesrepublik fest, das „Staatskirchenrecht“ behandle im Kern das Verhältnis des Staates zu den beiden großen Kirchen und zu den öffentlich-rechtlich organisierten Religionsgemeinschaften 115. Auch sei „der Gebrauch des Begriffes Staatskirchenrecht heute unumstritten“116. Dagegen steht eine Aussage Hollerbachs aus dem Jahr 1994, nach der „man neuerdings häufiger sagt das staatliche Religionsrecht“117. 109 L. Renck, Bekenntnisrecht im wiedervereinigten Deutschland, ZRP 1999, S. 326 schreibt dazu u. a.: „Die neuen Bundesländer sind Heidenländer“. – Eine Arbeitsgruppe der ostdeutschen Landeskirchen reagierte 1996 mit dem Diskussionspapier: „Minderheit mit Zukunft“, im Auftrag des Kirchenamtes der EKD herausgegeben von H. Zeddies. 110 H. Maier, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen, in: HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 107. 111 W. Huber, Kirche in der Zeitenwende. Gesellschaftlicher Wandel und Erneuerung der Kirche, 1998, S. 223, siehe auch S. 51 ff. und S. 223 ff. 112 D. Ehlers, Die Lage des Staatskirchenrechts in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 45, S. 215 f. 113 D. Ehlers, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 349. 114 Zu Europa ausführlich im 2. Teil unter C., I., 4. Europarecht. 115 Auch zum Folgenden K. Schlaich, Artikel Staatskirchenrecht, in Evangelisches Staatslexikon, Band II, 1987, Sp. 3427 f. 116 Dem entspricht die lediglich auf das „Kirchenrecht“ i.e.S. eingehende Begriffsklärung bei K. Schlaich, Staatskirchenrecht, in: Grimm / Papier (Hrsg.), Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, S. 705.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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Die folgende Untersuchung prüft die Gültigkeit dieser Aussagen zur Begriffsverwendung für den Zeitraum von 1990 bis 2000. Dazu soll hier die weitere Entwicklung der Verwendung der Begriffe „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ und anderer Alternativen zu „Staatskirchenrecht“ seit dem Jahr 1990 als mögliche Reaktion auf die erneut geänderte gesamtgesellschaftliche Lage analysiert werden. Zur Entwicklung in der Zeit zwischen Prägung der Begriffe und dem Jahr 1990 sei hier auf die Untersuchung von Hollerbach verwiesen, insb. zur Aufnahme des Stichworts „Religionsrecht“ in das Staatslexikon „Recht. Wirtschaft. Gesellschaft“ der Görres-Gesellschaft118. Zunächst wird die juristische Literatur zum Thema untersucht. Es werden die Autoren genannt, die die ausschließliche Verwendung eines oder beider neuen Begriffe betreiben und / oder fordern (1). Dann werden Texte solcher Autoren untersucht, die die neuen Begriffe zumindest teilweise verwenden (2). Daraufhin folgt die Analyse der übrigen Literatur (3). Schriftenreihen und Bibliographien finden als besondere Gattungen eine selbständige Berücksichtigung (4). Nach der juristischen Literatur werden mehrere juristische Institutionen oder Lebensbereiche im Hinblick auf die Begriffsfrage durchleuchtet. Beginnend mit den Staatlichen Universitäten (5) über ausgewählte Tagungen (6) wird sodann die staatliche Rechtsprechung (7) Gegenstand der Untersuchung sein. Ein Ergebnis in Bezug auf Deutschland beschließt das Kapitel (8).

1. Uneingeschränkte Verwendung von „Religionsrecht“ und / oder „Religionsverfassungsrecht“ in der juristischen Literatur Hier werden zunächst die „Urheber“ der Begriffsdiskussion behandelt (a) und dann diejenigen Autoren, die Ihnen gefolgt sind (b).

a) Die „Urheber“ der Begriffe Im Falle von Mikat versteht sich die nur eingeschränkte Verwendungsfähigkeit des von ihm geprägten Begriffs „Religionsrecht“ von selbst, soll dieser doch eine weitere Kategorie für alle rechtlichen Regelungen in Bezug auf religiöse Interessen bilden (siehe oben). Auffallend ist jedoch, dass Mikat diese Unterscheidung eher beiläufig erwähnt und erklärt. Bereits im Titel eines der Beiträge von Mikat in der 1. Auflage des HdbStKirchR findet sich das Stichwort „religionsrechtlich“. Das Substantiv wird in der ersten Fußnote in zwei Sätzen erläutert und dann nicht mehr 117 A. Hollerbach, Trennung von Staat und Kirche. Internationale Aspekte und deutsche Erfahrungen, in: Carlen (Hrsg.), Trennung von Kirche und Staat, 1994, S. 21. 118 Vgl. A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994, S. 869, 883 (Fn. 69) und 885.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

verwendet119. Die dort an prominenter Stelle vorgetragene, damals erst zwei Jahre alte Innovation konnte ihre Stellung im Handbuch offenbar nicht verteidigen. In die 2. Auflage wurde dieser Beitrag von Mikat nicht aufgenommen120. Hingegen findet sich der Begriff in einer Fußnote eines Beitrags für das Handbuch des Staatsrechts121. Im Staatslexikon der Görres-Gesellschaft wird grundsätzlich das Wort „Staatskirchenrecht“ verwendet, nur einmal „Religionsrecht“, aber ohne eine Erläuterung122. Damit sind die wesentlichen Beiträge Mikats zum Begriff „Religionsrecht“ genannt. Hingegen findet sich im Vorwort des Herausgebers eines der Sammelbände der Schriften Mikats, in diesem Fall G. Mertens, mehrmals der Begriff „Religionsrecht“123. Mertens verwendet ihn offenbar bewusst, um die Bandbreite des Wirkens von Mikat anzudeuten. Der sowohl in der Anzahl der Beiträge wie auch im darin enthaltenen Umfang zurückhaltende Einsatz des neuen Begriffs verlangt nach einer Erklärung. Vor allem kommt hier die eher geringe juristische Relevanz des neu geprägten Begriffs „Religionsrecht“ in Betracht. Dieser bezieht lediglich die staatlichen Normen in das „Staatskirchenrecht“ ein, die in anderen Rechtsgebieten Bezug zur Sache Religion haben124. Eine derartige Querschnittsformel ist jedoch eher in allgemeineren und (rechts-) soziologischen Untersuchungen brauchbar als in der juristischen Spezial-Dogmatik, der die Mehrzahl der späteren Veröffentlichungen Mikats wie auch die anderer Juristen gewidmet sind. Anders ist die Sachlage im Falle des von Häberle vorgeschlagenen Begriffs „Religionsverfassungsrecht“. Dieser will die herkömmliche Bezeichnung vollständig ersetzen und darüber hinaus noch die neue Dimension Mikats einführen. Die Veränderung zeigt sich demzufolge in jeder schriftlichen Äußerung zum Thema. So ist es nicht verwunderlich, dass der Begriff in einer großen Anzahl der Arbeiten von Häberle auch nach 1990 noch Verwendung findet. Nicht selten wird die bereits oben genannte „Grundthese“ von der Verfassungswidrigkeit des Begriffs „Staatskirchenrecht“ in Hinblick auf Art. 137 Abs. 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG wiederholt125. Hinzugekommen ist das Argument „Europa“126: 119 P. Mikat, Die religionsrechtliche Ordnungsproblematik, in: HdbStKirchR, Band I, 1974, S. 108, Fn. 1. 120 Im Gegensatz zu: § 4 Das Verhältnis von Kirche und Staat nach der Lehre der katholischen Kirche. 121 P. Mikat, Staat, Kirchen und Religionsgemeinschaften (1984), S. 826, Fn. 2. 122 P. Mikat, Kirche und Staat (1987), S. 84 f. bzw. 110. 123 G. Mertens, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Spektrum. Aufsätze und Reden von Paul Mikat, 1995, S. IX, XII. 124 Zu einer möglichen Aufwertung des Begriffs innerhalb einer umfassenden Systematisierung vgl. unten bei: D. II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne. 125 Nachtrag von 1978 zum wiederabgedruckten DÖV-Aufsatz von 1976, in: P. Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 3. Auflage 1998, S. 346 f., 347; P. Häberle, Alexander

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Zu beachten sei einerseits die Multikulturalität bzw. Multireligiosität Europas. In manchen Ländern Europas sei der Islam „längst zweite oder dritte Religion127. Dann gelte es, den steigenden Einfluss der sich abzeichnenden europäischen Verfassungsgemeinschaft auf die deutsche Rechtsordnung zu beachten. Beide Entwicklungen erforderten jedenfalls heute eine Begriffsebene, die die christlichen Kirchen mit anderen Religionen verbinde. Dies könne nur der Oberbegriff „Religion“ leisten. Die Begriffsfrage kann und soll sicher nicht alle Arbeiten beherrschen. Daher wird der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ teilweise lediglich mit knappen bis zu rudimentären Hinweisen versehen wie z. B. „Religionsverfassungsrecht (,Staatskirchenrecht‘)“ 128. Nur in begründbaren Ausnahmefällen fehlt jeglicher Hinweis auf die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Staatskirchenrecht“, beispielsweise wenn die Auseinandersetzung in einem größeren Werk bereits einmal erfolgt ist129 oder wenn der Text in der Schweiz publiziert wird130. Damit ist Häberle ein konsequenter Anwender und Verteidiger seines Anfang bis Mitte der Siebziger Jahre gefundenen Ansatzes. Auch der von Mikat neu geprägte Begriff „Religionsrecht“ bleibt in Häberles Repertoire131. Hollerbach – 65 Jahre, KuR 1996, S. 117 = 980, S. 43; P. Häberle, Das Verhältnis von Staat und Kirchen im europäischen Einigungsprozeß, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 228; P. Häberle, Die „total“ revidierte Bundesverfassung der Schweiz von 1999 / 2000, in: FS Maurer, 2001, S. 944. 126 P. Häberle, Besprechung von: G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, AöR 121 (1996), S. 678; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Auflage 1998, S. 961; P. Häberle, Das Verhältnis von Staat und Kirchen im europäischen Einigungsprozeß, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, insb. S. 229; P. Häberle, Die „total“ revidierte Bundesverfassung der Schweiz von 1999 / 2000, in: FS Maurer, 2001, S. 944 f. 127 P. Häberle, Die „total“ revidierte Bundesverfassung der Schweiz von 1999 / 2000, in: FS Maurer, 2001, S. 945. 128 Vgl. im Sammelband von aus der Zeit von 1980 bis 1992 entstandenen Aufsätzen P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 24, 219 f., 227, 399, 734, 807; H. Goerlich, Zusammenfassung der Aussprache zum Thema Staat und Kirche, in: Schneider / Steinberg (Hrsg.), Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, 1990, S. 98 f.; P. Häberle, Verfassungsentwicklungen in Osteuropa, AöR 117 (1992), S. 169 ff., 181 ff.; P. Häberle, Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995), S. 382 f. Siehe auch P. Häberle, Einführung zur Dokumentation von Verfassungsentwürfen ehemals sozialistischer Staaten in (Süd)Osteuropa und Asien, JöR 43 (1995), S. 154; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Auflage 1998, S. 360, 684, 952, 961; P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 73 129 P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Auflage 1998, S. 959, 989. 130 P. Häberle, Die Verfassung „im Kontext“, in: Thürer / Aubert / Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 6, Rz. 18. Zur Begriffslage in der Schweiz siehe unten bei: III. Die Schweiz. 131 H. Goerlich, Zusammenfassung der Aussprache zum Thema Staat und Kirche, in: Schneider / Steinberg (Hrsg.), Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, 1990, S. 99; P. Häberle,

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

b) Den „Urhebern“ folgende Autoren Hier werden zuerst Arbeiten vorgestellt, die sich ausschließlich mit der Begriffsfrage beschäftigen, dann solche, die die Begriffe als Teil ihrer Arbeit diskutieren und schließlich diejenigen, die den Begriff ohne Diskussion nutzen.

aa) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit Insgesamt sind bisher fünf ausschließlich die Begriffsdiskussion behandelnde Stellungnahmen erschienen. Die aus dem Jahr 1994 bzw. 1997 stammende, vor allem historisch arbeitende Arbeit von Hollerbach kommt zu einem ablehnenden Ergebnis bei gleichzeitig geäußertem Verständnis für die neuen Begriffe. Der im Jahr 2001 erschienene Aufsatz von C. Görisch zeigt trotz aller Zweifel eine Tendenz hin zum Begriff „staatliches Religionsrecht“. Beide Arbeiten werden weiter unten im Zusammenhang ausführlich behandelt132. Die anderen drei Autoren schließen sich den vorgeschlagenen Begriffen an. Zunächst ist ein Aufsatz von G. Czermak aus dem Jahr 1999 zu nennen133. Dieser schildert nach einer Beschreibung der jüngsten gesellschaftlichen Veränderungen die Geschichte des Begriffs „Staatskirchenrecht“ und die Alternativvorschläge Mikats und Häberles im Überblick. Die Diskussion der Begriffe sei 1996 in Österreich zu Recht wieder aufgegriffen worden134. Für die Veränderung der Terminologie spräche, dass weder die Weimarer Reichsverfassung noch das Grundgesetz den Begriff „Kirche“ enthalten. Hinzu kämen die Überbewertung der institutionellen Seite und die schwindende Kraft der Volkskirchen135. Czermak entscheidet sich einmal für den Begriff „Religionsrecht“. Wolle man aber nicht sämtliche „religionsrechtliche Tatbestände“ in Betracht ziehen (nämlich auch solche im Zivilrecht, Verwaltungsrecht oder Strafrecht), so solle der einschränkende Begriff „Religionsverfassungsrecht“ bevorzugt werden. Ein Jahr später setzt Czermak diese Entscheidung nicht nur im Titel eines Aufsatzes zum Thema „Religionsverfassungsrecht im Wandel“ um136. Auch im Text wird grundsätzlich dieser Begriff verwendet. Verfassungsentwicklungen in Osteuropa, AöR 117 (1992), S. 169 ff., 182; P. Häberle, Besprechung von: G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, AöR 121 (1996), S. 677; P. Häberle, Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Auflage 1998, S. 961 ff. 132 Siehe zu Hollerbach unten bei: 3., a), (2), (c) Begriffserläuterung als Thema der Arbeit, zu Görisch unten bei: 3., b), (1) Umschreibende Formulierungen. 133 G. Czermak, „Religions(verfassungs)recht“ oder „Staatskirchenrecht“?, NVwZ 1999. In der gleichen Zeitschrift erscheint zwei Jahre später „zugleich als Stellungnahme“ zu Czermak der soeben genannte Aufsatz von Görisch. 134 Vgl. näher dazu unten bei: II. Österreich. 135 Auch zum Folgenden siehe a. a. O., S. 744. 136 G. Czermak, Religionsverfassungsrecht im Wandel, NVwZ 2000.

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Nur in Bezug auf die herrschende Lehre spricht er vom „traditionellen ,Staatskirchenrecht‘ “137. Die Anführungszeichen zeugen von der Distanz zum Begriff. Diesen Vorgaben entsprechen auch andere Arbeiten von Czermak. Bereits im Jahr 1998 verwendet er „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“. Letzteres sei zur Bezeichnung der dahinter stehenden Materie geeigneter, da passender als das zumeist verwandte „Staatskirchenrecht“ 138. Erstaunlich ist die mangelnde Erwähnung der neuen Begriffe im Sachverzeichnis des Sammelbandes, während der Begriff „Staatskirchenrecht“ auch aus Buchtiteln in Fußnoten von Czermak belegt wird139. Dies ist sicher der begrenzten Möglichkeiten eines Sachverzeichnisses zuzuschreiben. Es erschwert jedoch die Kenntnisnahme von Wortlaut und Umfang der Verwendung von neuen Begriffen. Dabei findet sich im Sammelband noch ein weiterer Autor, der „Religionsrecht“ verwendet140. In einem Beitrag aus dem folgenden Jahr verfährt Czermak ähnlich, aber nicht so konsequent. Er arbeitet hier mit allen drei Begriffen, offenbar auch, weil er sich intensiv mit der „klassischen“ Literatur auseinandersetzt, die mehrheitlich „Staatskirchenrecht“ verwendet141. Der zweite umfassende Diskussionsbeitrag stammt aus dem Jahr 2001 und gibt einen Vortrag wieder, den der Autor C. Walter auf einer Tagung im April 2000 aus Anlass des 75-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht gehalten hat142. Bereits der Titel des Aufsatzes „Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?“ weist auf die Begriffsproblematik hin. In einem ersten Teil stellt Walter dann tatsächlich die „bisherige Diskussion um die Begriffe“ dar143. Nach einem kurzen Überblick über die Begriffsgeschichte werden die Arbeiten von Mikat und Häberle besprochen. Mit „Religionsverfassungsrecht“ werde im Gegensatz zu einem institutionellen Verständnis von Recht dem von Hesse geprägten Verständnis der Verfassung gefolgt, nach der diese eine Staat und Gesellschaft umfassende Grundordnung sei. Diese Unterscheidung stehe im Kern der begrifflichen Debatte. Die Anhänger von „Staatskirchenrecht“ befürchteten die Verdrängung der spezifischen gemischten Lösung des Grundgesetzes in Art. 4 und 140 durch eine Heraushebung der Religionsfreiheit. Dieses Argument will Walter A. a. O., S. 897 und passim. G. Czermak, Zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule, in: Brugger / Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998, S. 16 Fn. 9 bzw. 17 ff. bzw. 18 Fn. 15. 139 Vgl. Sachverzeichnis und G. Czermak, in: a. a. O., S. 297 ff., 304 bzw. S. 14, Fn. 4. 140 Dies ist H. Lübbe, Zivilreligion und der „Kruzifix-Bschluß“, in: Brugger / Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998. Vgl. dazu weiter unten bei: (2) Begriffsdiskussion als Teil einer Arbeit. 141 G. Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), z. B. S. 70. 142 C. Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001. Zur Tagung selbst siehe unten bei: 6., e) Max-Planck-Institut für ausl. öff. Recht und Völkerrecht. 143 Auch zum Folgenden vgl. a. a. O., S. 215 – 218. 137 138

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

im Folgenden widerlegen, indem er die als Kontrastbild genannten Systeme in Frankreich und den USA schildert. Tatsächlich gebe es hier eine Tendenz zur Durchbrechung von Trennungs- und Neutralitätsprinzip durch zunehmende Freiheits- und Gleichheitserwägungen144. Eine grundrechtliche Orientierung könne auch in Deutschland neue Gestaltungskraft für die Zukunft freisetzen145. Die aktuellen Fragen führten zu einer Zeitenwende, der man sich im Blick zurück und im Blick nach vorn stellen müsse. Walter beschließt den Aufsatz schließlich mit der Feststellung: „Ganz in diesem Sinne bleibt sich das Religionsverfassungsrecht seiner staatskirchenrechtlichen Wurzeln bewußt“146.

Die Reihe der eigenständigen Auseinandersetzungen mit den Begriffen wird durch die Arbeit von A. Hense aus dem Jahr 2001 geschlossen147. Der Aufsatz ist die schriftliche Fassung eines auf der Assistententagung für Öffentliches Recht im März des gleichen Jahres in Potsdam gehaltenen Vortrags148. Auf der Untersuchung von Hollerbach aufbauend, wird mit eigenständigen Akzenten die Begriffsgeschichte nachvollzogen149. Sodann wird unter der Überschrift „Metamorphose des Staatskirchenrechts in ein modernes Religionsverfassungsrecht?“ die funktionale Adäquanz der Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ in der heutigen Zeit geprüft150. Hense stellt drei Aspekte der Veränderung heraus. Einmal verlören die Kirchen Mitglieder und Aktive, dann ändere sich die religiös-konfessionelle Zusammensetzung der Bundesrepublik nachhaltig und schließlich werde die nationale Ebene zusehends von der europäischen beeinflusst. Dies verstärke den Ruf nach einem „gemeineuropäischen Religionsverfassungsrecht“. An diese Problemfixierung schließt Hense ein „Plädoyer für die Umschreibung als Religions(verfassungs)recht“ an151. Es bestehe erstens ein heuristischer Nutzen durch die ErweiteA. a. O., S. 232 ff., 236. Auch zum Folgenden vgl. die Schlußbemerkung, a. a. O., S. 239 ff. 146 Es sei noch angemerkt, dass C. Walter unter dem gleichen Titel im Jahr 2000 unter der Betreuung von Prof. J. A. Frowein ein Habilitationsvorhaben am genannten Institut betrieben hat, vgl. Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg (Hrsg.), Tätigkeitsbericht für das Jahr 2000, Heidelberg 2001, VII., A., 1., a) Laufende Habilitationsvorhaben. 147 A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001. 148 Dort wegen der Allgemeinheit der Fragestellung systematisch korrekt als erster von neun Vorträgen gehalten. Vgl. die Untersuchung der Tagung unten bei: 6., b) Assistenten der Fachrichtung Öffentliches Recht. 149 Z. B. neue Schwerpunkte Henses wie den historisch-wissenschaftsgeschichtlichen Kontext mit Ausdifferenzierung eines evangelischen und eines katholischen Verständnisses vom „Kirchenrecht“ im Staat, a. a. O., S. 27 ff. und kenntnisreiche Zitate wie das aus einer Encyclopädie des Jahres 1867: „Es ist lächerlich von einem Kirchenrecht der Juden [ . . . ] zu sprechen“, a. a. O., S. 35, Fn. 130 (dazu unten bei: E., I., 2. Die deutsche Geschichte). 150 Auch zum Folgenden siehe a. a. O., S. 36 ff. 151 Auch zum Folgenden siehe a. a. O., S. 39 ff. 144 145

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rung des Sichtwinkels. Zweitens erziele man eine Bündelungsfunktion, was auch im Verhältnis zur europäischen Ebene von Vorteil sei. Drittens gebe es eine Anknüpfungsmöglichkeit an den früheren Sprachgebrauch bereits vor 1933, der zum größten Teil nicht einheitlich gewesen sei. Schließlich werde, wie bereits oben erwähnt, die Ausrichtung auf den Rechtsvergleich durch eine Vergleichsfunktion des Begriffes erleichtert. Dabei bleibt sich Hense, wie vor ihm Hollerbach152, der nur eingeschränkten Relevanz der Frage der wissenschaftlichen Selbstbezeichnung bewusst153. Eine Ideologie dürfe aus der Etiketten-Frage nicht gemacht werden. Es gehe aber um ein Symbol für die Offenheit, die kulturintegrierende Kraft der Verfassung sowie das Interpretationsethos. Insofern sei es dann doch mehr als ein Streit um Begriffe. bb) Begriffsdiskussion als Teil einer Arbeit Im Rahmen seiner 1998 erschienenen rechtsvergleichenden Dissertation zur korporativen Religionsfreiheit in Europa befasst sich H.-T. Conring mit den Begriffen154. Bereits in der Einleitung schreibt er, dass sich „das traditionell christlichabendländische Staatskirchenrecht“ mit seiner Aufgeschlossenheit gegenüber nicht-christlichen Religionen „als Religionsverfassungsrecht bewähren“ müsse155. Die eigentliche Arbeit beginnt Conring mit einem Abschnitt „Terminologie und Begriffsarbeit“. Dieser besteht aus zwei Teilen. Bevor er auf „Religionsfreiheit“ und „Religion“ eingeht, behandelt er die Frage „Staatskirchenrecht oder Religions(verfassungs)recht?“156. An die Vorarbeit von Hollerbach anknüpfend, erörtert Conring sowohl die Geschichte, als auch den aktuellen Stand der Diskussion um die Begriffe. Er entscheidet sich schließlich für die Bezeichnung „Religionsverfassungsrecht“, die er fortan grundsätzlich verwendet157. Als Begründung führt er an, der Bezeichnungswechsel allein löse keine Sachfragen. Es könnte aber „gegenüber staatskirchenrechtlichen Laien . . . der unrichtige Eindruck einer willkürlichen Privilegierung der Kirchen bekämpft werden“158. Weiterhin zerfalle die Materie bis152 Hollerbach spricht von der letztlich entscheidenden offenen und unverkrampften Diskussion der Sachfragen jenseits von „Staatskirchenrecht“ oder „Religionsrecht“, A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994, S. 887. 153 Vgl. A. Hense, a. a. O., S. 39 und 47. 154 H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa. Eine rechtsvergleichende Betrachtung, 1998. 155 A. a. O., S. 1 ff., 2. 156 A. a. O., S. 9 ff. 157 Vgl. nur die Überschrift des (größten) zweiten Teils und der Schlußbetrachtung, a. a. O., S. 87, 387. Ein Rückgriff auf „Staatskirchenrecht“ findet z. B. statt, wenn Conring auf bestimmte Lehren zum Thema eingeht, z. B. auf den Ansatz, von „staatskirchenrechtlichen Modellen“ auszugehen, a. a. O., S. 293 ff. 158 A. a. O., S. 12 f.

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her in zwei Stichworte, namentlich das Grundrecht auf „Religionsfreiheit“ und das „Staatskirchenrecht“. Der dahinter stehende individuelle und der institutionelle Bereich überschnitten sich jedoch sachlich weitgehend. Als übergreifender Begriff biete sich daher „Religionsverfassungsrecht“ an159. Ähnlich verfährt eine zwei Jahre später erscheinende Dissertation zum „Religionsrecht der Europäischen Union [ . . . ]“160. M. Vachek diskutiert und definiert für seine Arbeit in einem Teil „Begriffsbestimmungen“ nicht nur die Begriffe des Europarechts, sondern auch „Staatskirchenrecht“, „Religionsrecht“ und „Kirchenrecht“161. Deren Nutzen widmet Vachek eine ausführliche Diskussion der in der Literatur vertretenen Ansichten, insb. des Votums von Hollerbach von 1990162. Es sei nicht nur auf EU-Ebene von „Religionsrecht“ zu sprechen. Dort müsse den unterschiedlichen Systemen durch einen allgemeinen Begriff Rechnung getragen werden. Vielmehr wäre dies, Mikat folgend, auch für das staatliche deutsche Recht angebracht163. Vachek geht auch auf Conring ein, verwirft aber den Begriff des „Religionsverfassungsrechts“ mit einer unklaren Begründung innerhalb einer Fußnote164: Der Begriff sei im Rahmen der Rechtsvergleichung angebracht, nicht jedoch auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts, da es sich bei den Gründungsverträgen des EGV und EUV um Verfassungsrecht i.e.S. handele. Es bleibt offen, warum nicht gerade dieses vom genannten Begriff mit umfasst ist. Von besonderem Interesse ist für die vorliegende Arbeit das folgende Argument: Der Begriff „Religionsrecht“ erfahre „von der neueren europäischen Literatur zu diesem Thema eine zunehmende Präferenz“165. In diesem Zusammenhang weißt Vachek zu Recht darauf hin, dass Pernice bereits vor über 20 Jahren den Begriff mit großer Selbstverständlichkeit benutzt habe166. Unter Hinweis auf Mikat verwendet H. Lübbe „staatliches Religionsrecht“, wenn er Einflüsse „kirchenrechtlicher Art“ bei Verpflichtungen aus staatlichen Gesetzen vom Arbeitsrecht bis zum Tierschutz ausschließt167. Der Begriff wird bereits im Text kurz erläutert und dann in einer Fußnote auf den „Urheber“ zurückgeführt. Diesem folgend gebraucht Lübbe weiterhin für das konkrete RechtsverA. a. O., S. 8. M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreserven und Art. 9 EMRK, 2000. 161 A. a. O., S. 13 ff. 162 A. a. O., S. 15, Fn. 73, S. 16, Fn. 82 (der Verweis bezieht sich tatsächlich nicht auf den Aufsatz in der ZevKR, sondern auf den Nachtrag in der KuR), S. 18, Fn. 87 f. 163 A. a. O., S. 15 f. 164 A. a. O., S. 16. 165 A. a. O., S. 17. 166 Vgl. in der bereits oben unter B. angesprochenen Arbeit neben dem Titel insb. auch I. Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977, S. 781. 167 H. Lübbe, Zivilreligion und der „Kruzifix-Bschluß“, in: Brugger / Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998, S. 242 f., insbesondere bei Fn. 20. 159 160

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hältnis von Staat und Religionsgemeinschaften den traditionellen Begriff „Staatskirchenrecht“168. In einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 verwendet der Autor der hier vorliegenden Arbeit ausschließlich den Begriff „Religionsverfassungsrecht“169. Neben dieser offensichtlichen Bevorzugung eines der fraglichen Fachbegriffe wird in einer umfangreichen Fußnote nurmehr eine implizite Erklärung zum Begriffsstreit abgegeben170. Dort sind ohne eigene Wertung die grundlegenden Arbeiten von Häberle und Hollerbach genannt, die zum Verständnis des Anliegens der Begriffserneuerer notwendig sind. Anschließend findet sich ein Verweis auf die damals aktuellsten Aussagen zur Begriffsfrage im Lehrbuch von Jeand’Heur / Korioth und von Heinig.

cc) Ohne eine Begriffsdiskussion Ohne eine Diskussion der Begriffe wird in einer ausführlichen Handreichung des Rats der EKD aus dem Jahr 2000 ausschließlich der Begriff „Religionsrecht“ verwendet. Im Dritten Teil, „Rechtliche Rahmenbedingungen des Islam in Deutschland“, ist das Erste Kapitel mit „Religionsrecht des Grundgesetzes“ überschrieben171. Darunter wird sowohl die individuelle als auch die korporative Religionsfreiheit verstanden. Zweimal taucht der Begriff aus dem Titel im Text auf, einmal als „das geltende Religionsrecht der Bundesrepublik Deutschland“, dann in der Zusammenfassung des Dritten Teils als „Das deutsche Religionsrecht“172. Teilweise im Wortlaut wird Art. 137 Abs. 1 WRV zitiert, nach dem es keine Staatskirche mehr gibt173. Von „Staatskirchenrecht“ ist aber nie die Rede. Die Motive für diesen Begriffsgebrauch der Verfasser, Mitglieder von zwei Kommissionen des Rats der EKD, werden nicht direkt genannt. Dies widerspräche wohl dem Ansatz der Handreichung, die Klärung einer bestimmten Frage allgemein verständlich herbeizuführen. Dafür spricht auch die spärliche Verwendung von Fußnoten. Diesem Ziel hat aber wohl auch die Verwendung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ widersprochen. Die Handreichung will zur Begegnung ermutigen, das Gespräch fördern und der Verständigung von Christen und Muslimen dienen174. Die neueren Begriffe erscheinen geeigneter, Nichtjuristen unter diesem Titel einen präzisen, aber A. a. O., S. 243 f., 248. A. Kupke, Die abstrakte staatliche Anerkennung als privatrechtliche Religionsgemeinschaft in Österreich als Modell für Deutschland?, KuR 2000, S. 159, 161, 163 = 220, S. 13, 15, 17. 170 A. a. O., S. 13, Fn. 20. 171 Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland, 2000, S. 46 ff. 172 A. a. O., S. 49, 71. 173 A. a. O., S. 49. 174 So im Vorwort Präses M. Kock, a. a. O., S. 9. 168 169

4 Kupke

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knappen Überblick über das Fach zu geben. Die Wahl der Autoren fiel offenbar bewusst gegen den traditionellen Begriff aus. Es wäre ein Leichtes gewesen, aus dem einzigen zum Thema zitierten und damit herausgehobenen literarischen Beitrag, dem klassischen Lehrbuch von v. Campenhausen, den Titel wie die dort stets durchgehaltene Begriffswahl zu übernehmen175. Bei der einmaligen Nutzung eines Fachbegriffs findet sich bei M. H. Müller als Alleinautor176 in einem Aufsatz von 1994 der Begriff „ ,Religionsverfassungsrecht‘ (Häberle)“ mit einer Fußnote, die ohne weitere Erklärungen lediglich den „Urheber“ dieses Begriffs zitiert177.

2. Eingeschränkte Verwendung von „Religionsrecht“ und / oder „Religionsverfassungsrecht“ in der juristischen Literatur Im Folgenden werden verschiedene Arten einer eingeschränkten Verwendung von mindestens zwei der drei Begriffe unterschieden: zunächst die Verwendung mit einem synonymen (a) oder alternativen (b) Bedeutungsgehalt, dann die Verwendung in adjektivischer Form (c) und schließlich sonstige Fälle (d), worunter auch solche aufgeführt werden, deren begriffliche Systematik unklar bleibt.

a) Synonyme Verwendung Drei verschiedene Modelle einer synonymen Verwendung der hier diskutierten Begriffe sind denkbar:

aa) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ Eine eindeutige Stellungnahme enthält der von R. Puza und A. P. Kustermann herausgegebene Sammelband mit dem Titel „Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich“178. In einer ausführlichen Einleitung definieren die Herausgeber „Religionsrecht“ in dem „– vor allem auf Anregung von Mikat – üblich gewordenen Sinn“ als Zusammenfassung der Fragen von kollektiver und individuel175 Vgl. a. a. O., S. 53 Fn. 21. Zur Begriffsverwendung durch v. Campenhausen siehe unten bei: 3., (1), a) Sammelliste und b) Einzelne Kommentierungen. 176 Als Ko-Autor findet er sich wieder unten bei: 2., a.), „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“. 177 M. H. Müller, Der Gottesbezug in der Präambel der Verfassung des Freistaats Thüringen, ThürVBl. 1994, S. 180 bei Fn. 61. 178 Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993.

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ler Religionsfreiheit179. „Staatskirchenrecht“ wird lediglich in Anführungszeichen erwähnt, teilweise noch mit Klammern versehen, oder die Begriffe werden, was seltener vorkommt, mit „bzw.“ verbunden180. Eine Ausnahme bildet lediglich die zweimalige bloße Verwendung von „Staatskirchenrecht“ zu Beginn. Diese resultiert jedoch aus der Einordnung in die bisher übliche Bezeichnung der Disziplin und wird sogleich durch die genannte Definition relativiert181. Der Band ist in der bereits im Titel offenen Reihe der „Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat“ erschienen182. Zu weiteren Texten dieser beiden Autoren siehe unten183. Durch den Ausdruck „religionsrechtliche Freiheitsgarantien“ kennzeichnet H. Goerlich ausgerechnet den Kernbereich der Regelungen in Bezug auf das Rechtsverhältnis Staat und Religion: die Artikel 4 I, II GG, 140 GG, 137 II und III WRV184. Er bezieht sich dort aber auch auf die gegenwärtige „staatskirchenrechtliche“ Diskussion zu diesem Thema, ohne den Begriff in Anführungszeichen zu setzen185. Eine Erklärung der Begriffe findet nicht statt. Goerlich scheint damit den mehrmals verwendeten Begriff „Religionsrecht“ persönlich zu bevorzugen, spricht aber im Hinblick auf andere Autoren vom Rechtsgebiet „Staatskirchenrecht“. Dahinter liegt wohl keine inhaltliche Abgrenzung, er gebraucht lediglich den bekannten Terminus als die von den diskutierten Autoren selbst verwendete Bezeichnung. Somit ist bei Goerlich eine synonyme Verwendung der Begriffe erkennbar.

bb) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“ In der schriftlichen Fassung eines Seminarvortrags aus einer gemeinsamen Veranstaltung der Professoren Goerlich und Link im Jahr 2000 von F. Sucker werden alle drei hier behandelten Fachbezeichnungen nebeneinander verwendet186. Wie der Titel „Europäisches Staatskirchenrecht“ andeutet, liegt das Hauptgewicht auf der traditionellen Bezeichnung. Geht es jedoch um Zukunftsperspektiven, so schreibt die Autorin über ein „angestrebtes europäisches Religionsrecht“187. Im 179 A. P. Kustermann / R. Puza, Europa und das nationalstaatliche Religionsrecht. Einleitung, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 9. 180 A. a. O., S. 8 f., 16 bzw. S. 11 181 A. a. O., S. 1. 182 Zur Nachfolgereihe der „Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht“ siehe unter: III. Die Schweiz. 183 Siehe unten bei: 6., d) Akademie Rottenburg-Stuttgart / Lehrstuhl Kirchenrecht Tübingen. 184 H. Goerlich, Glaubenswerbung, Kommerz und Karitas, NVwZ 1991, S. 751 f. 185 A. a. O., S. 752. 186 F. Sucker, Europäisches Staatskirchenrecht, 2001. 187 A. a. O., S. 10, 44.

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rechtsvergleichenden Abschnitt der Arbeit verwendet Sucker ausschließlich „Religionsverfassungsrecht“188. Offenbar sind ihr alle drei Begriffe derart geläufig, dass sie auf eine Auseinandersetzung verzichtet. Dies könnte eine unbewusste Reaktion auf die den neuen Begriffen gegenüber aufgeschlossene Literatur zum Recht der Europäischen Gemeinschaften / Europäischen Union sein, die Sucker zitiert189. Die gemischte Verwendung der drei Begriffe spricht bei einem Aufsatz von B. Th. Drößler aus dem Jahr 1998 auch ohne eigene Erklärung für eine synonyme Verwendung190. Dieser Befund wird bestätigt, wenn man den Inhalt der Begriffe näher betrachtet. Während die Überschrift „Religionsrechtliche Bemerkungen“ ein Problem des Personenstandsrechts ankündigt, findet sich gleich in der Problemstellung der Hinweis darauf, dass „im geltenden Personenstandsrecht staatskirchenrechtliche Fragen eine wesentliche Rolle“ spielten. Ohne Entscheidung für einen der drei hier behandelten Begriffe werden diese in einem ständigen Wechsel auch bei M. Morlok / M. Heinig verwendet191. Lediglich „Religionsverfassungsrecht“ wird mit einer Fußnote versehen, die auf den teilweise grundlegenden Aufsatz von Häberle von 1976 verweist192. Zwei Jahre später verwenden die Autoren in einem Aufsatz zum Sonntagsschutz lediglich einmal „staatliches Religionsrecht“193. Diese Art der vermischten Nutzung zeugt einmal von der Bekanntheit des Meinungsstreits zur Begriffsfrage. Zusätzlich ist sie ein typisches Beispiel für die Verwendung der Begriffe in Übergangszeiten. Eine begriffliche Systematik findet sich jedoch in allein von Heinig verantworteten Beiträgen194. Von besonderer Eigenart ist die Begriffswahl von K.-H. Kästner. Knapp vor Beginn des hier relevanten Berichtszeitraums, nämlich im Jahr 1989, veröffentlichte er eine Arbeit unter dem Titel “ ,Säkulare‘ Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung [ . . . ]“. Dieser deutet bereits an, dass hier der Begriffsprägung von Mikat gefolgt wird195. Tatsächlich taucht der Begriff „Religionsrecht“ häufig im Text auf196. Er kennzeichnet verschiedene staatliche Rechtsnormen mit Bezug auf das

A. a. O., S. 14. Siehe dazu unten bei: b), (1), (b) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union. 190 B. T. Drößler, Religionsrechtliche Bemerkungen zur Stellung ausländischer Religionsgesellschaften im deutschen Personenstandrecht, StAZ 1998: „Religionsrecht“, Titel u. S. 39; „Staatskirchenrecht“, S. 33, 35 f., 40; „Religionsverfassungsrecht“; S. 34. 191 M. Morlok / M. Heinig, Parität im Leistungsstaat – Körperschaftsqualität nur bei Staatsloyalität?, NVwZ 1999, S. 697 f., 700, 705 f. 192 A. a. O., S. 697, Fn. 3. 193 M. Heinig / M. Morlok, Der vertragliche Sonn- und Feiertagsschutz als subjektives Recht der Kirchen, NVwZ 2001, S. 14. 194 Siehe unten bei: b), (1), (b) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union. 195 K.-H. Kästner, „Säkulare Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 34 (1989). 196 A. a. O., S. 264, 267, 271, 273, 275, 278, 284. 188 189

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Handlungsfeld Religion. Der Terminus erlebt jedoch keine Definition. Nur bei Gelegenheit wird er vom „einfachen Religionsrecht“ unterschieden, welches auf den Vorgaben des Grundgesetzes beruhe197. Damit wird hier die Notwendigkeit deutlich, für die nicht durch die Verfassung selbst festgelegten rechtlichen Vorgaben einen eigenständigen Begriff bereitzustellen. Die durch die Verfassung konstituierten Regelungen werden von Kästner wahlweise als „Religionsverfassungsrecht“ (als erster Begriff im Text198) oder als „Staatskirchenrecht“ (als erster Begriff in den Fußnoten199) bezeichnet. Dabei ist festzustellen, dass dieser Begriff vor allem an Stellen mit einer Bezugnahme auf die gegenwärtige Lehre verwendet wird200. Jener findet sich dagegen vermehrt in Passagen mit eigenständigem Gedankengang201. Dies könnte auf eine Präferenz für „Religionsverfassungsrecht“ hindeuten. Eigenständig ist die Begriffserweiterung hin zum „Religions- und Weltanschauungsrechts“202. Dazu weiter unten203. Die soeben vermutete Präferenz wird jedoch durch die zeitnah erstellte Habilitationsschrift Kästners in Frage gestellt204. Die Durchsicht des Inhaltsverzeichnisses erzeugt einen Eindruck, den die Arbeit bestätigt. Zwar werden alle drei Begriffe gebraucht, jedoch genießt eindeutig das „Staatskirchenrecht“ den Vorrang205. Dieses taucht auch gleich auf der ersten Seite der Arbeit kursiv gedruckt als Bezeichnung des zu untersuchenden Bereichs auf206. „Religionsrecht“207 und „Religionsverfassungsrecht“208 werden vor allem adjektivisch verwandt. Eine Erläuterung der Begriffe fehlt auch in dieser Arbeit, obwohl die Arbeit sich gleich anfangs ausführlich mit den Begriffen „Religionsgemeinschaft“ und “-gesellschaft“ bzw. „Kirchen“ und „sonstige Religionsgemeinschaften“ auseinandersetzt209. So kann nur im Einzelfall das Verhältnis der drei hier untersuchten Begriffe geklärt werden. Es gibt m. E. hinreichendes Material, das auch hier die Vermutung eines synonymen Gebrauchs der beiden miteinander konkurrierenden Begriffe nährt. Hingegen lässt sich eine eindeutige EinordA. a. O., S. 281. A. a. O., S. 262. 199 A. a. O., S. 260 Fn. 1. 200 A. a. O., S. 260 Fn. 1, 267, 284. Ein Ausnahme findet sich a. a. O., S. 263. 201 A. a. O., S. 262, 272, 276 202 A. a. O., S. 271. 203 Siehe unten bei: 3., b), (2) Aktuelle Alternativvorschläge, insb. in Bezug auf Weltanschauungsgemeinschaften. 204 K.-H. Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, 1991. Es handelt sich dabei um die Veröffentlichung der überarbeiteten Fassung der im Wintersemester 1989 / 1990 angenommenen Habilitationsschrift. So a. a. O., S.VII. 205 Dieser Begriff wird zehnmal, „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ je zweimal verwendet. Die Fundstellen sind im folgenden genannt. 206 A. a. O., S. 3. 207 Adjektivisch: z. B. S. 7, 32 f., 36 f., 39, 52, 57. Als Substantiv: z. B. 7, 50. 208 Adjektivisch: z. B. S. 58. Als Substantiv lediglich „Religionsverfassung“, z. B. S. 60, 145. 209 A. a. O., S. 3, Fn. 1. 197 198

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nung des Begriffs „Religionsrecht“ nicht vornehmen. Teilweise wird er im Sinne von Mikat als Oberbegriff verstanden, teilweise synonym für die anderen beiden verwendet. Vier Beispiele sollen hier genannt werden: – An einer Stelle schreibt Kästner darüber, dass „die religionsrechtliche Judikatur nach 1945 [ . . . ] ein Spiegelbild [ . . . ] des Staatskirchenrechts geboten“ habe. Es sei zu merkbaren religionssoziologischen Veränderungen gekommen. „Das Religionsrecht blieb in der Theorie und insbesondere in der gerichtlichen Praxis hiervon nicht unbeeinflusst.“210 Damit umfasst der letztgenannte Begriff alle rechtlichen Normen in Bezug auf religiöse Sachverhalte. – Dann wird von der Möglichkeit „religionsrechtlicher Verfassungsbeschwerden“ gesprochen211. Deren Prüfungsmaßstab können jedoch nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nur Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte sein. Verfassungsbeschwerden mit Bezug zu einem religiösen Sachverhalt werden aber typischerweise die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG betreffen und damit den zweiten Kernbereich des „Staatskirchenrechts“ / „Religionsverfassungsrechts“. – In einer Überschrift wird die Frage der gerichtlichen Kompetenzen als „Paradigma der religionsverfassungsrechtlichen Grundfragen“ angesprochen. Im Folgenden stellt Kästner fest, dass die Frage nach den Grenzen der staatlichen Gerichtsbarkeit einen „Prüfungs- und Anwendungsfall allgemeiner staatskirchenrechtlicher Grundsatzfragen“ darstelle212. Auch dieses Beispiel zeugt von einer synonymen Verwendung der Begriffe. – Im Sachregister wird unter dem Stichwort „Religionsverfassung“ zwar auf die „Staatskirchenverfassung des GG“ verwiesen. Jedoch sind dort auch die Stellen aufgelistet, die lediglich „Religionsverfassungsrecht“ enthalten213.

Zwei weitere Arbeiten Kästners aus dem Jahr 1998 zum hier behandelten Thema bestätigen dieses Ergebnis214. Beide Male wird einleitend von „Staatskirchenrecht“ gesprochen, dann jedoch nicht mehr215. Dabei findet einmal auch hier die Diskussion eines anderen Begriffs statt216. Das andere Mal wird „Schulverfassungsrecht“ in direktem Zusammenhang mit „Staatskirchenrecht“ verwendet, obwohl gerade dort der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ nahe gelegen hätte217. A. a. O., S. 7. A. a. O., S. 57. 212 A. a. O., S. 58 bzw. 61. 213 A. a. O., S. 315 und 317 bzw. 145 und 251. 214 Keine Fachbezeichnung enthält K.-H. Kästner, Die „zweiten“ Feiertage als politische Manovriermasse?, NVwZ 1993. 215 K.-H. Kästner, Religiöse Erziehung in der öffentlichen Schule, Essener Gespräche 32 (1998), S. 64 f. 216 K.-H. Kästner, Das Grundrecht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit in der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung, AöR 123 (1998), S. 408 Fn. 105. 217 K.-H. Kästner, Religiöse Erziehung in der öffentlichen Schule, Essener Gespräche 32 (1998), S. 64. 210 211

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Demzufolge kann festgestellt werden, dass Kästner den Begriff Mikats ohne eine klare Einordnung verwendet. Den von Häberle Vorgeschlagenen zieht er offenbar in den Fällen dem ansonsten verwendeten „Staatskirchenrecht“ vor, wenn er ihm geeigneter erscheint. Im Jahr 2002 verwendet Kästner in einer Buchbesprechung ausschließlich „Religionsverfassungsrecht“218. Da es sich dabei um einen sehr kurzen Text handelt, lassen sich daraus keine weiteren Schlüsse auf eine eventuell eingetretene Präferenz ziehen. Erwähnenswert bleibt die alleinige Verwendung des neueren Begriffs dennoch.

cc) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“ Nicht eindeutig feststellen, aber immerhin vermuten lässt sich eine synonyme Verwendung von Fachbegriffen in einem Aufsatz von M. Morlok / M. H. Müller. Während im Text zweimal „Staatskirchenrecht“ Verwendung findet219, taucht „Religionsverfassungsrecht“ einmal in einer Fußnote auf220. Die Begriffe „Staatskirchenrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ werden ohne Diskussion hinsichtlich ihres Inhalts oder ihrer Herkunft von Sailer benutzt221. Dies geschieht offenbar auch ohne eine inhaltliche Unterscheidung, wie sich an der Formulierung „die Vertreter eines kirchenfreundlichen Religionsverfassungsrechts“ erkennen lässt222. Andernfalls hätte der das gegenwärtige System tadelnde Sailer leicht eine Unterscheidung zwischen dem herkömmlichen „Staatskirchenrecht“ (und dessen staatskirchenrechtlichen Vertretern) und einem anders gearteten, erst einzuführenden „Religionsverfassungsrecht“ treffen können. Die bereits im Vorwort erwähnte Dissertation von T. Boese aus dem Jahr 1994 verwendet die Begriffe „Religionsverfassungsrecht“ und „Staatskirchenrecht“ synonym223. Letzterer wird aber bevorzugt, wie es bereits der Titel „Die Entwicklung des Staatskirchenrechts [ . . . ]“ andeutet224. In der Einleitung erläutert Boese jedoch, es handle sich um eine Untersuchung „der Entwicklung des Religionsverfassungsrechts in der SBZ und DDR“225. Innerhalb der Einleitung und der ZusamK.-H. Kästner, Besprechung von: FS Maurer, 2001, VB.BW 2002. M. Morlok / M. H. Müller, Keine Theologie ohne die Kirche / keine Theologie gegen die Kirche, JZ 1997, S. 549, 555. 220 A. a. O., S. 551, Fn. 21. 221 C. Sailer, Die staatliche Finanzierung der Kirchen und das Grundgesetz, ZRP (2001), S. 84 – 86. 222 A. a. O., S. 86. 223 Zum Beispiel T. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR, 1994, S. 108 f., 166 (bei Fn. 613), 189 oder die von der Betitelung des Gliederungspunktes B.II.2. abweichende Beschreibung des Inhalts in der Einleitung, S. 20 f. 224 Vgl. nur die Überschriften, a. a. O., S. 22, 92, 121, 130, 174, 192, 224, 260. 225 A. a. O., S. 16. 218 219

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menfassungen dominiert dieser Begriff226. Unter Bezugnahme auf Häberle erklärt Boese diese Vorgehensweise. Der neue Begriff bringe die zugrundeliegende Fragestellung, ob und inwieweit Religion und Kirche Gegenstand der Verfassung seien, deutlicher zum Ausdruck227. Die beiden Begriffe werden, mit „oder“ verbunden, auch in der Dissertation von S. J. Iwers gebraucht. Dieser weist jeweils in einer Fußnote die Erläuterung des traditionellen Begriffs durch Hollerbach bzw. die Prägung des Begriffs durch Häberle nach228. Iwers entscheidet sich jedoch nicht für einen der Begriffe, sondern schreibt im nächsten Absatz erneut vom „Staatskirchen- oder Religionsverfassungsrecht“229.

dd) Ergebnis Die genannten Dissertationen von Boese und Iwers sind ein weiteres Beispiel für das allmähliche Eindringen des neuen Ausdrucks in wissenschaftliche Arbeiten. Freilich bleiben die neuen Begriffe zumeist noch auf den Text beschränkt. Im Titel finden sie nur bei Aufsätzen Erwähnung. Dies ist auch ein Hinweis auf die von den Autoren und / oder Verlagen angenommene Dominanz des Begriffs „Staatskirchenrecht“. Ein einheitlicher Begriffsgebrauch ist selbstverständlich vorteilhaft, wenn in Bibliotheken nach Fachgebieten sortiert oder gesucht wird230.

b) Alternative Verwendung Eine systematisch selbständige, von den „Urhebern“ der neueren Begriffe nur mittelbar beeinflusste Variante der Nutzung der Fachbegriffe stellt die alternative Verwendung dar. Sie findet sich in zwei Formen. Einmal in einem sachlichen Zusammenhang, dem internationalen. Dort ist sie relativ weit verbreitet, basiert aber auf unterschiedlichen inhaltlichen Konzepten (aa). Einem einheitlichen Konzept folgt die zweite hier dargestellte alternative Verwendung der Begriffe. Durch Reduktion des Bedeutungsgehalts von „Staatskirchenrecht“ entsteht die Möglichkeit, trotz Einführung der neueren Begriffe die traditionelle Fachbezeichnung mit eigenständigem Profil weiter zu verwenden (bb).

A. a. O., S. 16 ff. bzw. S. 166 f., 189 ff. A. a. O., S. 20 f., insb. Fn. 24. 228 S. J. Iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg, 1998, S. 559 Fn. 337 bzw. 338. 229 A. a. O., S. 559 unten. 230 Dazu näher unten bei: 4. Schriftenreihen und Bibliographien. 226 227

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aa) Im internationalen Zusammenhang Die Begriffe „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ werden selbst von Anhängern der herkömmlichen Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ verwendet, jedoch reduziert auf den internationalen Zusammenhang. Dies wird hier zunächst allgemein erfasst (1), dann für die aktuelle Problematik des Einflusses der europäischen Ebene näher untersucht (2) und schließlich für die deutsche Literatur zu den übrigen, ehemals kommunistisch geführten Staaten vornehmlich Mittel- und Osteuropas nachgewiesen (3). (1) Allgemein Der deutsche Begriff „Staatskirchenrecht“ wurzelt nach einer Aussage von H. Böttcher aus dem Jahr 1994 in der besonderen Geschichte der gleichzeitig vorhandenen Beziehungen des Staates zu den drei christlichen (Haupt-)Konfessionen231. Im einem weiteren und letzten Satz zur Begriffsfrage präsentiert Böttcher den inhaltlich passenderen Begriff: „In anderen Ländern oder Rechtssystemen wird dieser Rechtsbereich häufig als Religionsrecht [Hervorhebung im Original] bezeichnet.“232 Die inhaltlich forcierte Aussage zur Begriffsverwendung im Ausland233 ist in einem Lehrbuch zum Kirchenrecht in Bayern auffällig. Der Hinweis scheint vor allem eine didaktische Funktion zu haben. Offenbar sieht Böttcher die Notwendigkeit, dem Leser den Inhalt von „Staatskirchenrecht“ mit einem für sich selbst sprechenden Begriff zu erläutern. Er verweist in einer Fußnote lediglich auf Hollerbach, dessen Argumente für die fortgesetzte Nutzung von „Staatskirchenrecht“ er damit jedenfalls mittelbar präsentiert. Unklar bleibt, ob Böttcher diese Argumente auch übernimmt. Die prinzipielle Verwendung von „Staatskirchenrecht“ als Fachbezeichnung könnte auch der allgemeinen Verbreitung dieses Begriffs und der Schwierigkeit, davon in einem Lehrbuch abzuweichen geschuldet sein. Bemerkenswert bleibt trotz dieser vermittels des vorliegenden Textes nicht lösbaren Frage der auch noch besonders hervorgehobene Hinweis auf „Religionsrecht“. Ähnlich gebraucht H. Maier im Jahr 1996 die beiden soeben genannten Begriffe234. Im Rückblick auf die deutsche Geschichte stellt er fest, dass „das Religionsrecht“ durch Jahrhunderte ein wichtiger Bestandteil der staatlichen Ordnung gewesen sei235. Er folgert daraus: „Nur in Deutschland gibt es – nomen est omen – ein 231 Vgl. H. Böttcher, Das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Grethlein / Böttcher / Hofmann u. a. (Hrsg.), Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, 1994, S. 64. 232 Ebd. 233 Siehe dazu unten bei: IV. Fremdsprachiges Ausland – „Staatskirchenrecht“ ein Markenzeichen? 234 H. Maier, Geschichtsblind und schulfremd, in: Maier (Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch. Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts, 1996. 235 H. Maier, a. a. O., S. 53.

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,Staatskirchenrecht‘ “236. Damit hält Maier für Deutschland am traditionellen Begriff fest. Seine Argumentation unterfüttert das zwar nicht von ihm, aber ansonsten häufiger genannte historische Argument zur Beibehaltung von „Staatskirchenrecht“ als Fachbezeichnung. Der Begriff findet aber nach Maier nur für Deutschland Anwendung, wie der Name einer Spezies. Die allgemeine Gattungsbezeichnung „Religionsrecht“ wird einem der diskutierten Vorschläge entlehnt, die damit zum Teil aufgegriffen werden. (2) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union Einige Autoren verwenden den oder die neueren Begriffe alternativ zur Bezeichnung von verschiedenen Rechtsebenen im Europa der Europäischen Union / Europäischen Gemeinschaften. Mit eigenständiger Begriffsbildung behandelt de Wall ein „ ,Religionsverfassungsrecht‘ der Europäischen Union“237. Dies ist kein Versuch den Begriff „Staatskirchenrecht“ zu ersetzen. Es ist der Etikettierungsvorschlag für eine bisher nicht vorhandene Rechtsmaterie: Der neue Begriff beschreibe nur eine die Grundlagen fixierende Rechtsmaterie auf überstaatlicher Ebene. Die Details der Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirchen im Staatsrecht der Mitgliedsländer seien weiterhin „Staatskirchenrecht“ 238. Bereits in der Einleitung kritisiert de Wall den verwendeten Titel seiner Arbeit („Europäisches Staatskirchenrecht“) und verwendet im Folgenden den eigenen Vorschlag. Dies mag dem Anlass des Aufsatzes Rechnung tragen239. Oder es ist ein Hinweis darauf, dass nach de Walls Ansicht der Begriff „Europäisches Staatskirchenrecht“ dem Leser eine eindeutige Einordnung ermöglicht. Letztere Variante wird nicht umfassend belegt, aber gestützt durch den Verweis auf ein Buch von A. Bleckmann mit dem Untertitel „Ansätze zu einem ,Europäischen Staatskirchenrecht‘ “240. Dort findet sich der traditionelle Begriff durchgängig, auch in Bezug auf das „Staatskirchenrecht aller Mitgliedstaaten der EMRK“241. De Wall kommt es aber letztlich darauf an, ein „europäisches Staatskirchenrecht“ materiell abzulehnen. Es handele sich nur um eine bruchstückhafte Rahmenordnung242. Ebd. H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 165 ff. 238 Siehe auch die Infragestellung des Begriffes „Europäisches Staatskirchenrecht“ in der Einleitung des Aufsatzes, S. 157. 239 Der Aufsatz gibt ein Referat auf einem internationalen Symposion wieder, dessen Titel wohl von der Leitung vorgeschrieben war, vgl. a. a. O., S. 157, 1. Zeile. 240 A. Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Ansätze zu einem „Europäischen Staatskirchenrecht“, 1995. 241 Vgl. a. a. O., S. 44 und die Überschriften des rechtsvergleichenden zweiten Teils, die jeweils von Grundzügen des Staatskirchenrechts in Land XY der EG handeln, a. a. O., S. VII f. 242 Eine an anderem Ort erfolgte, knappe, aber direkte Aussage von de Wall zur Begriffsfrage wird weiter unten behandelt bei: 3., a), (2), (b) Im Text. 236 237

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Auf dieser Linie, jedoch in anderer Diktion, liegen auch Beiträge zum Thema Europa und die Religion von A. Hollerbach, S. Mückl, M. Triebel, L. Turowski. Der Letztgenannte spricht von der Möglichkeit und Notwendigkeit eines EG / EU-Rechts „nach Art des Staatskirchenrechts“ als „religionsrechtliches Rahmenwerk“243. Er verwendet die Begriffe „EG-Kirchen-Recht“ und „EG-Religionsrecht“ nebeneinander, führt aber keine Begriffsdiskussion244. Den Begriff des „Staatskirchenrechts“ setzt er in diesem Zusammenhang im Gegensatz zu dem des „Religionsrechts“ in Anführungszeichen245. Dies lässt darauf schließen, dass Turowski in Bezug auf die europäische Ebene den Begriff „Religionsrecht“ bevorzugt. Dem entspricht auch die Verwendung eines Fragezeichens im Aufsatztitel „Staatskirchenrecht der Europäischen Union?“. Eine der von Turowski ähnliche Terminologie verwendet Triebel, ebenfalls ohne Problematisierung derselben. Triebel schreibt mehrmals von den „nationalen staatskirchenrechtlichen Systemen“ oder „Modellen“ einerseits und von einem noch zu entwickelnden „europäischen Religionsrecht“ andererseits246. In einer späteren Arbeit zu Europa werden diese Begriffe auch von Hollerbach verwendet, dessen grundlegende Arbeit zur Begriffsgeschichte weiter unten untersucht wird247. Hollerbach vergleicht mit der von Triebel verwendeten Terminologie das „deutsche Staatskirchenrecht“ und das „sich anbahnende europäische Religionsrecht“248. Dieser Begriff wird in Hollerbachs wegweisender Arbeit zum Thema aus dem Jahr 1990 noch nicht verwendet. Dort dreht es sich neben „Staatskirchenrecht“ in den Mitgliedstaaten um „das Verhältnis von Staat und Kirche“ oder „Staat-Kirche-Fragen“ in Bezug auf Europa249. Wahrscheinlich wurde Hollerbach durch die seitdem erheblich fortgeschrittene Integration zur Aufnahme des neuen Begriffs für die europäische Ebene veranlasst. Auch eine Arbeit von S. Mückl aus dem Jahr 2001 liegt inhaltlich auf der Linie von de Wall, hält jedoch im Unterschied zu diesem durch die Verwendung von „Europäisches Staatskirchenrecht“ begrifflich an der traditionellen Bezeichnung auch auf der europäischen Ebene fest250. Dies verwundert nicht, denn Mückl ver243

L. Turowski, Staatskirchenrecht der Europäischen Union?, KuR 1995, S. 26 = 140,

S. 26. 244 245 246

A. a. O., S. 2 und 7. A. a. O., S. 2. M. Triebel, Europa und die Kirchen, 1999, Rz. 5 – 7, 9, 13, vor 19, 21, 22, 24, 25, 31,

32. Siehe unten bei: 3., a), (2), (c) Als Thema einer Arbeit. A. Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat. Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext, 1998, S. 28, 30. 249 A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 254, 255, 258, 268, 273, 279, 281. 250 S. Mückl, Die Religionsfreiheit im Europäischen Unionsrecht, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 187 f., 191, 193, 196, 206 f., 210 f. 247 248

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

wendet in seinen Arbeiten generell die in Deutschland traditionelle Bezeichnung „Staatskirchenrecht“. Zur Kennzeichnung der gleichen Rechtsmaterie auf europäischer Ebene wird also nicht etwa eine der vorgeschlagenen Alternativbezeichnungen verwendet, sondern der klassischen Bezeichnung ein determinierendes Adjektiv vorangestellt. Damit ist jedoch die Notwendigkeit verbunden, stets die Ebene zu bezeichnen, die Gegenstand eines Textes ist. Dieser gehorcht Mückl, wenn er vom „deutschen“, „jeweiligen“ oder „nationalstaatlichen Staatskirchenrecht“ spricht251. Das bisher gefundene Ergebnis rechtfertigte allein noch nicht die Aufnahme dieses Textes von Mückl in das vorliegende Kapitel. Tatsächlich findet sich aber auch der Begriff „Religionsrecht“ insgesamt viermal, davon zweimal in Überschriften und sogar noch vor „Staatskirchenrecht“ 252. Offenbar sieht Mückl einen spezifischen Nutzwert von „Religionsrecht“ als Bezeichnung des Rechts, welches die „Materien Religion, Weltanschauung und Staatskirchenrecht“ umfasst253. Letzteres steht “- wie schon der Begriff nahe legt – für das Staatskirchenrecht als institutionelles Recht“254. Eine direkte Äußerung zur Begriffsfrage findet sich bei Mückl jedoch nicht (abgesehen von der mündlichen Äußerung auf der Tagung, auf der der Vortrag gehalten wurde255). Anregung zur Verwendung des Begriffs mag eine von Mückl an entscheidender, da seiner Begriffsprägung unmittelbar vorausgehenden Stelle zitierte Äußerung von G. Robbers gewesen sein: ein „clandestines europäisches Religionsrecht“ finde sich nicht, sondern „vielmehr eine diffuse Religions- und Weltanschauungsfreiheit“ 256. Fünf Arbeiten von Robbers, davon zwei schriftliche Fassungen von Vorträgen, zeigen eine eigenständige Entwicklung im Gebrauch des Begriffs „Religionsrecht“. In der frühesten aus dem Jahr 1993 wird grundsätzlich und häufig „Staatskirchenrecht“ verwendet, auch im Zusammenhang mit bestimmten Entscheidungen des EuGH257. Einmal, in der Zusammenfassung, werden aber gerade diese Entscheidungen als in Bezug auf „religionsrechtliche Fragen“ ergangene erwähnt. Damit werden die Begriffe offenbar synonym verwendet. Sieben Jahre später schreibt Robbers in Bezug auf Europa nur noch von „europäischem Religionsrecht“258. In Bezug auf Deutschland hält er in einem anderen Aufsatz aus dem gleichen Jahr jedoch weiterhin am Begriff „Staatskirchenrecht“ fest259. In einem Beitrag aus dem Jahr 2001 prüft Robbers dem Titel „Religionsrechtliche Gehalte S. Mückl, a. a. O., S. 187 f., 193, 211. S. Mückl, a. a. O., S. 183 (!), 190. 253 S. Mückl, a. a. O., S. 190 unten, S. 191, 3. Absatz, 1. Satz. 254 S. Mückl, a. a. O., S. 191 oben. 255 Siehe dazu unten bei: 7., b) Assistenten der Fachrichtung Öffentliches Recht. 256 S. Mückl, a. a. O., S. 190. 257 G. Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Essener Gespräche 27 (1993), S. 82 ff. 258 G. Robbers, Religionsfreiheit in Europa, in: FS Listl, 1999. Vgl. nur S. 201 – 203. 259 Abgesehen vom Titel wird „das staatskirchenrechtliche System der gestuften Parität“ (nicht etwa die eingebürgerte Bezeichnung als religionsrechtliche Parität) und „im staatskir251 252

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der Europäischen Grundrechtscharta“ entsprechend „nicht staatskirchenrechtlich im engeren Sinne, wohl aber religionsrechtlich“ bedeutsame Regelungen260. Dem Begriff „Staatskirchenrecht“ entsagt er jedoch vollständig in seinem im Jahr 2001 veröffentlichten Vortrag vor der Deutschen Staatsrechtslehrervereinigung261. Zum einen verwendet er nur noch den Begriff „Religionsrecht“. Zum anderen spricht er von der schwindenden Ordnungskraft der herkömmlichen Kategorien und einer neuen Entwicklung der Konvergenz, welche durch diesen Begriff leichter aufgenommen werden. Damit dient ihm der Begriff als Ersatz für „Staatskirchenrecht“. Das belegt auch eine Fußnote, in der Robbers auf die Prägung des Begriffs „Religionsrecht“ durch Mikat hinweist, die aber nur die „ursprüngliche“ Bedeutung als erweiterte Kategorie und nicht als Ersatz für „Staatskirchenrecht“ betreffe262. Diese denkbar knappe Diskussion der Begriffe nennt als einziges Argument für den Begriff „Staatskirchenrecht“, dass er „immerhin der eingebürgerte“ sei. Insgesamt hat damit Robbers Stück für Stück und zuletzt vor prominentem Forum die Hinwendung zum Begriff „Religionsrecht“ vollzogen. Anlass ist offenbar die eingehende Beschäftigung mit der europäischen Ebene. Der bereits oben erwähnte Heinig gebraucht in zwei von ihm allein veröffentlichten Arbeiten aus den Jahren 1999 und 2001 den Begriff „Religionsverfassungsrecht“ in bewusster Abgrenzung zu „Staatskirchenrecht“ 263. Der Untertitel des zuletzt genannten Vortrags deutet es an („Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht“), der Titel des erstgenannten Beitrags sagt es klar aus („[ . . . ] Perspektiven eines Europäischen Religions(verfassungs)rechts“). Im Text wird dann genau beschrieben, wie sich „das deutsche Staatskirchenrecht insgesamt sukzessive in ein Gesamtgefüge europäischen Religions(verfassungs)rechts transformiert.“264. Das bislang in Deutschland existente „Staatskirchenrecht“ erfahre eine „religionsverfassungsrechtliche Fortschreibung“. Grundlage für diese Feststellung ist seine Prämisse: „Religionsrecht als Mehrebenenrecht“265. Zusammen mit „Religionsrecht“ werden die Fachbezeichnungen abwechselnd verwendet, zumeist alternativ266, aber auch synochenrechtlichen Schrifttum“ verwendet, siehe G. Robbers, Sinn und Zweck des Körperschaftsstatus im Staatskirchenrecht, in: FS Heckel, 1999, S. 411. 260 G. Robbers, Religionsrechtliche Gehalte der Europäischen Grundrechte-Charta, FS Maurer, 2001, S. 431. 261 G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000). 262 A. a. O., S. 232 Fn. 1. Vgl. oben bei: C. Begriffsprägungen in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. 263 M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999) und H. M. Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001. 264 Heinig von 2001, a. a. O., S. 242. 265 Heinig von 2001, a. a. O., S. 244. 266 Heinig von 1999, a. a. O., Titel und S. 294 – 298, 307.

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nym267. Heinig berichtet auch über die laufende Begriffsdiskussion, ohne sich jedoch ausdrücklich einer Seite anzuschließen268. Wie jedoch bereits die Titel anzeigen, sieht Heinig die (begriffliche) Zukunft des Fachs im „Religionsverfassungsrecht“. Andere Arbeiten von Heinig zeichnen sich durch eine synonyme Verwendung der Begriffe aus269. Diese Doppelung erscheint in sich widersprüchlich, denn entweder ist eine Begriffsverwendung als synonym oder als alternativ einzustufen. Jedoch ist hier zum Einen zu berücksichtigen, dass die Frage der Bezeichnung des Verhältnisses von Staat und Kirche im Fluss ist. Von daher sind unterschiedliche Begriffsverwendungen bei einem Autor möglich, wenn nicht gar zur Herstellung einer allgemeinen Verständlichkeit nötig. Wohl deshalb verwenden immer wieder auch Anhänger der neuen Begriffe den traditionellen. Zum Anderen tritt hier Heinig als Alleinautor auf. Die soeben vorgestellten Arbeiten spiegeln seine persönliche Sichtweise wider, während es sich bei der oben genannten Fundstelle offenbar um einen Gebrauch im Kompromiss mit dem Ko-Autor Morlok handelt. Ein dritter von Heinig allein verfasster Aufsatz aus dem Jahr 2001 nutzt alle drei Begriffe270. Dort fehlt jedoch eine direkte Auseinandersetzung mit der Frage der Begrifflichkeiten. Freilich wird auf die beiden eigenen früheren Aufsätze verwiesen271. Insofern wird eine Erläuterung angeboten. Diese Vorgehensweise erscheint sinnvoll, da nicht jeder Aufsatz mit der Grundsatzfrage der Begrifflichkeiten belastet werden muss. Ein knapper, aber direkter Hinweis auf den Ort, an dem diese Frage behandelt wird, erscheint jedoch bei einer derart ausdifferenzierten Verwendung der Begriffe, wie Heinig sie betreibt, angebracht. In seinem Vortrag „Die Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht“ bei den Essener Gesprächen 1996 beginnt der Europarechtler R. Streinz nach einer Einleitung mit Begriffsbestimmungen272. Dabei setzt er sich intensiv mit dem Inhalt von „Europarecht“ auseinander. In Bezug auf „Staatskirchenrecht“ will er „in diesem Kreise“ bewusst auf eine Definition verzichten, benennt aber unter Verweis auf drei Arbeiten Häberles die von Art. 137 I WRV ausgehende Kritik an diesem Begriff273. Zwei weitergehende Aspekte in Bezug auf Europa werden dennoch angemerkt. Einmal verweist Streinz mit umfangreicher Stellenangabe auf die sich von schematischer Parität abkehrenden Formulierungen in den Verfassungen nach 1945, die die Kirchen meist selbständig vor den anderen ReliA. a. O., S. 305. A. a. O., S. 296 bei Fn. 14 f. 269 Siehe oben bei: a), aa) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“. 270 H. M. Heinig, Die Religion, die Kirchen und die europäische Grundrechtecharta, ZevKR 46 (2001): deutsches oder nationales „Staatskirchenrecht“, S. 440 f., 449, 454 f., 461; „Religionsrecht“, S. 450 f.; „europäisches Religionsverfassungsrecht“, S. 441, 447, 450 ff., 460. 271 H. M. Heinig, a. a. O., S. 440 Fn. 3. 272 R. Streinz, Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, Essener Gespräche 31 (1997), S. 58 ff. 273 A. a. O., S. 58. 267 268

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gionsgemeinschaften nennen. Dies werfe die Frage auf, wie dies gemeinschaftsrechtlich zu bewerten sei. Damit ist noch kein Argument für oder gegen einen Begriff genannt. Sodann will Streinz ein Argument gegen den Begriff „Staatskirchenrecht“ entkräften. Die Europäisierung zwinge nicht zum Begriffswechsel. Denn es entwickle sich zwar auf europäischer Ebene ein eigenständiges „Religionsrecht“, dieses dürfe jedoch die gewachsenen Strukturen in diesem Bereich nicht einer Rechtsangleichung opfern274. Nachdem Streinz die Begriffsdiskussion aufgreift, sich aber bewusst seiner Stimme enthält, wäre der durchgängige Gebrauch von „Staatskirchenrecht“ nicht verwunderlich und dieser Autor wäre weiter unten im Rahmen der prinzipiellen Verwender dieses Begriffs einzuordnen275. Jedoch findet sich am Ende dieser Ausführungen die nunmehr grundsätzlich im Gegensatz zum (deutschen) „Staatskirchenrecht“ 276 in Bezug auf alle Modelle / Ordnungen verwendete Begriffskombination „Religionsverfassungs- bzw. Staatskirchenrechte“277. Damit folgt Streinz implizit der Auffassung, die im herkömmlichen Begriff ein Markenzeichen der speziell geprägten deutschen Rechtsmaterie im internationalen Zusammenhang sieht278. Immerhin sei der Begriff aber „gegebenenfalls“ zu erörtern279. Die Gefahr von Missverständnissen, die diese Bezeichnung im Ausland hervorrufen könnte, wird demnach nicht verkannt. Ähnlich geht J. Müller-Volbehr im Jahr 1999 vor. Das Rechtsverhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften auf europäischer Ebene wird von ihm nicht mit einem Begriff belegt280. In Bezug auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften / Union verwendet er „deutsches Staatskirchenrecht“ oder „das Religionsverfassungsrecht in seiner jeweiligen nationalen Ausprägung“281, jedoch im Rahmen der Erörterung der (inner)deutschen Rechtsmaterie durchwegs „Staatskirchenrecht“ ohne Landesangabe282. Demnach ist dieser Begriff auch hier Markenzeichen für das „deutsche Modell“. In der Dissertation von G. Müller-Volbehr wird grundsätzlich entweder vom „Staatskirchenrecht“ 283, „staatskirchenrechtlichen Modellen“, „Ordnungen“ oder „Systemen“284 oder dem „Staat-Kirche-Verhältnis“285 gesprochen. Zweimal findet A. a. O. , S. 59 f. Siehe unten bei: 3., a), (2) Mit einer Erläuterung oder Diskussion der neuen Begriffe. 276 A. a. O., S. 63 f., 66, 70 – 73, 77, 79, 81, 83 f. 277 A. a. O., S. 60. Weitere Beispiele in unterschiedlicher Reihung finden sich a. a. O., S. 62, 73, 79, 81, 83 f. 278 Siehe zu diesem Argument unten bei: IV. Fremdsprachiges Ausland. 279 A. a. O., S. 60. 280 J. Müller-Volbehr, Staatskirchenrecht an der Jahrhundertwende, ZevKR 44 (1999). 281 A. a. O., S. 409 f. 282 Z. B. a. a. O., S. 385 – 387, 390, 392 – 394, 400, 405, 411 f. 283 G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, 1999. 284 A. a. O., S. 71 ff., 96. 285 A. a. O., S. 15, 17, 85, 95, 130. 274 275

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sich jedoch ohne Erläuterung das „Staatskirchenrecht bzw. Religionsverfassungsrecht“286. Der Kontext erklärt die plötzliche Verwendung. Der Autor leitet den Schutz des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auf europäischer Ebene aus Art. F Abs. 2 EUV (nunmehr Artikel 6) als Ausdruck der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten her287. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sollen nach G. Müller-Volbehr Teil eines gemeinsamen kulturellen Erbes288 sein. Dies ist offenbar durch den neuen Begriff klarer und internationaler feststellbar. Die mangelnde Erläuterung der plötzlichen Begriffsverwendung kann als Ausdruck von dessen Geläufigkeit verstanden werden. Den Anlass hat wohl der bereits zitierte Beitrag von Streinz geliefert. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang schon hier das Lehrbuch von B. Jeand’Heur und S. Korioth, welches grundsätzlich den Begriff „Staatskirchenrecht“ verwendet289. In Bezug auf die europäische Ebene wird aber zum Beispiel von drei „religionsrechtlich“ bedeutsamen europäischen Rechtskreisen gesprochen290. In einem ganzseitigen Artikel von Bischof W. Huber in der Süddeutschen Zeitung, der auf einem Vortrag in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin beruht, wird das Rechtsverhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften nur einmal begrifflich gekennzeichnet, und zwar im europäischen Zusammenhang. Der Autor wendet sich gegen den Zwang, „das Religionsverfassungsrecht für ganz Europa laizistisch umzugestalten.“ 291. Damit wird diesem Begriff mindestens in Bezug auf Europa der Vorrang eingeräumt, sei es aufgrund seiner besseren Verständlichkeit, sei es aufgrund seiner treffenderen Inhaltsumschreibung. Der Titel eines Aufsatzes von M. Heintzen aus dem Jahr 1999, „Die Kirchen im Recht der Europäischen Union“, ist wörtlich zu nehmen292. Tatsächlich wird nur das Verhältnis der Kirchen, nicht auch anderer Religionsgemeinschaften zur Europäischen Union behandelt293. Dementsprechend wird in Bezug auf die Regelungen in den Verfassungen aller EU-Staaten der Terminus „Staatskirchenrecht“ verwendet294, mit Ausnahme der Niederlande. Da deren Verfassung keine wörtliche Nennung der Kirchen enthalte, handele es sich dabei nur um „religionsverfassungsrechtliche Regelungen“295. Damit folgt Heintzen einer eigenständigen BegriffsA. a. O., S. 91. A. a. O., S. 74 ff. 288 Zu „kulturellen Erbes-Klauseln“ siehe Häberle 2. Auflage (1998), S. 98 ff. und passim. 289 B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000. Die Darstellung des Gesamtbands erfolgt unter d) Sonstige Verwendung. 290 A. a. O., Rz. 369. 291 W. Huber, Der Traum von den „schönen glänzenden Zeiten“. Europa ist mehr als eine politische und ökonomische Idee, SZ v. 12. / 13. 04. 2001. 292 M. Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS Listl, 1999. 293 Bereits a. a. O., S. 29 294 A. a. O., S. 30, 32, 35 – 40, 44, 46 f. 286 287

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definition. Die Verwendung von zwei der drei hier in Rede stehenden Begriffe macht er abhängig von der wörtlichen Erwähnung der Kirchen in der Verfassung. Schließlich sei hier noch ein Besprechungsaufsatz von J. E. Christoph zu der oben genannten Dissertation von Conring296 angeführt, welcher sich bewusst für „Religionsverfassungsrecht“ entschieden hatte. Die Übernahme der Diktion eines zu besprechenden Aufsatzes kann der Verdeutlichung der sprachlichen Eigenart einer Arbeit dienen. Ein Rückschluss auf die eigene Ansicht des Rezensenten ist grundsätzlich unzulässig. Im vorliegenden Fall ist jedoch die zwölfmalige Verwendung von „Religionsverfassungsrecht“ durch Christoph, teils in Direktzitaten, teils in eigenen Anmerkungen, beachtlich297. „Staatskirchenrecht“ wird dagegen nur viermal genannt298. Der daraus resultierende Eindruck einer wohlwollenden Behandlung des Begriffs „Religionsverfassungsrecht“ wird durch den Umfang der Besprechung verstärkt, der an einigen Stellen Platz für durchaus kritische Bemerkungen bietet. Einmal setzt sich Christoph sogar mit der Terminologie der Dissertation auseinander299. Darin fehlt eine Stellungnahme zum Begriff „Religionsverfassungsrecht“ auf europäischer Ebene. Dies könnte auf einem Versehen beruhen oder wurde, eher wahrscheinlich, bewusst unterlassen. (3) Andere Staaten Mittel- und Osteuropas Zunächst soll hier exemplarisch für die Begriffswahl aus der Zeit der sozialistischen Zwangsherrschaft in Osteuropa ein Sammelband genannt sein, den E. Voss im Jahr 1984 herausgegeben hat. Nach eigener Aussage handelt es sich um eine „umfangreiche Sammlung einschlägiger Gesetzestexte aus dem Religionsrecht der einzelnen osteuropäischen Länder“300. Diese werden unter dem Abschnittstitel „Texte zum Religionsrecht“ aufgelistet301. Der genannte Fachbegriff wird nicht reflektiert, sondern einfach vorausgesetzt. Mitte der Achtziger Jahre erscheint er als Bezeichnung für das staatliche Recht in sozialistischen Staaten mit Bezug zur Religion eingebürgert. Zu weit entfernt ist die traditionelle deutsche Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“ von den damaligen Verhältnissen in diesen Ländern. Zudem erscheint eine im Sinne Mikats an religiösen Sachverhalten orientierte Textauswahl aus Verfassungen, besonderen Gesetzen zu Religionsgemeinschaften, Familienrecht und Strafrecht besonders bei der Untersuchung von totalitären Staaten ange295 Vgl. die Formulierung im vorletzten Satz, a. a. O., S. 47, die sich auf das auf S. 39 gefundene Ergebnis bezieht. 296 Siehe oben bei: 1., b), (2) Begriffsdiskussion als Teil einer Arbeit. 297 J. E. Christoph, Besprechung von: Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, ZevKR 46 (2001), S. 364 f., 367 f. 298 A. a. O., S. 363 f., 367 f. 299 A. a. O., S. 368. 300 E. Voss (Hrsg.), Die Religionsfreiheit in Osteuropa, 1984, Umschlagstext. 301 A. a. O., S. 55 f.

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zeigt, da dort häufig praktische Schwierigkeiten für denjenigen auftreten, der den Vorschriften einer Religion folgen will. Einen „weitgespannten Überblick über die Lage der Kirchen und Religionsgemeinschaften in Ostmittel- und Südosteuropa“ gibt O. Luchterhandt im Jahr 1995 unter dem Titel „Religionsrechtliche Rahmenbedingungen [ . . . ]“302. Er schildert zunächst die „staatskirchenrechtlichen Verhältnisse“ vor der kommunistischen Machtergreifung303. Dann, begriffsneutral, die „staatsrechtliche und realpolitische Lage der Religionsgemeinschaften im kommunistischen Herrschaftssystem“304. Später beschreibt Luchterhandt „die Neuordnung des Religionsrechts auf der Verfassungsebene“. Damit vermeidet er für die jüngere Geschichte weitgehend den Begriff „Staatskirchenrecht“ 305.

bb) Reduktion des Bedeutungsgehalts von „Staatskirchenrecht“ Wie bereits oben bei der Einordnung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ erwähnt, kann man von diesem inhaltlich in einem engeren und in einem weiteren Sinne sprechen306. Dadurch bietet sich die Möglichkeit einer Verwendung der neu diskutierten Begriffe allein als Ersatz für „Staatskirchenrecht“ im weiteren Sinne. Der traditionelle Begriff handelt dann nurmehr vom institutionellen Verhältnis des Staates zu den Religionsgemeinschaften. Zu dieser Reduktion wird auf die nicht als solche kenntlich gemachte, aber tatsächlich eher selten vertretene Ansicht Baduras verwiesen307. Mit der Reduktionsmethode führt K. E. Schlief im Jahr 2001 eine alternative Verwendung von „Staatskirchenrecht“ und „Religionsrecht“ ein. In einem Aufsatz zur Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den neuen Bundesländern schreibt Schlief zu Beginn vom „Religionsrecht in Deutschland“, in der Mitte und am Ende über „das gesamte verfassungsrechtliche Religions- und Staatskirchenrecht auch in den neuen Bundesländern“308. Der Oberbegriff ist bei Schlief 302 O. Luchterhandt, Religionsrechtliche Rahmenbedingungen für eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den Ländern Mittel- und Osteuropas, Essener Gespräche 29 (1995), S. 64. 303 A. a. O., S. 11 ff. 304 A. a. O., S. 16 ff. Im Text wird gelegentlich „Staatskirchenrecht“ verwendet, S. 16 und 18. 305 „Religionsrecht“, welches nicht auf Verfassungsebene angesiedelt ist, bezeichnet O. Luchterhandt als „Religionsgesetze“, vgl. ders., a. a. O., S. 33 ff., 37. 306 Freilich wird diese Unterscheidung selten zum Anlass der Aufgliederung des Fachgebietes genommen, sondern erklärt eher die Befassung auch mit der individuellen Religionsfreiheit unter dem Thema „Staatskirchenrecht“. Siehe oben bei: B., I., 1. Herkunft und heutiger Gebrauch. 307 Zu dieser Reduktion wird auf die nicht als solche kenntlich gemachte, aber tatsächlich eher selten vertretene Ansicht Baduras verwiesen. Siehe dazu unten bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen.

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das „Religionsrecht“ 309. Unklar bleibt, ob dies im weiten Sinne Mikats gebraucht wird oder, mit geringerem Bedeutungsumfang, als Ersatz für „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne. Eine zur Lösung dieser Frage notwendige Begriffsdiskussion findet im Text nur in Bezug auf „Konkordat“ bzw. „Vertrag“ statt. Erklärende Fußnoten sind nicht vorhanden, was sich auf den hier vorliegenden Abdruck eines Vortrags zurückführen lässt310. Ähnlich verfährt R. Tillmanns in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997311. Dort gibt die Reduktion des Bedeutungsgehalts von „Staatskirchenrecht“ den Weg frei zur Bezeichnung aller staatlichen Normen mit Bezug zur Religion durch einen Alternativbegriff312. Tillmanns verwendet diesen jedoch nur adjektivisch313. Der alternative Bedeutungsgehalt lässt sich nur implizit dem Text entnehmen. Gegenstand der Untersuchung Tillmanns ist in erster Linie die besondere Ausgestaltung des kollektiven Elements der Religionsfreiheit, das „Miteinander von Staat und Kirchen“314. Sollen auch andere Aspekte des Verhältnisses von Staat und Kirche erfasst werden, so spricht Tillmanns von „religionsrechtlichen“ „Bestimmungen“ und „Gewährleistungen“315. Deutlich wird es auch an der Zuspitzung zum „gesamten religionsrechtlich relevanten Normenbestand des Grundgesetzes“316. Die lediglich adjektivische Verwendung von „Religionsrecht“ mag Zufall sein oder auf einer bewussten Ablehnung des Substantivs beruhen. Tillmanns definiert nur „Kirchenrecht“ und „Staatskirchenrecht“ 317. Er stellt zwar in einer Fußnote mit knappem Hinweis den Begriff „staatliches Religionsrecht“ vor. Das Zitat soll aber nur die in neuerer Zeit vermehrte Verwendung dieses Begriffs nachweisen. In dieser knappen Information erschöpft sich auch die Aussagekraft des in der Fußnote genannten Textes von Hollerbach in Bezug auf die Begriffsfrage318. Der in der vorhergehenden Fußnote zitierte Beitrag des gleichen Autors im Handbuch des Staatsrechts hätte darüber hinaus zu einer Begriffsklärung führen können. Der 308 K.-E. Schlief, Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den neuen Bundesländern, KuR 2001, S. 1, 4, 8 = 120, S. 55, 58, 62. 309 A. a. O., S. 58 bei Punkt VI. 1. und 2. 310 A. a. O., S. 59 bzw. 55 Sternfußnote. 311 R. Tillmanns, Grundzüge des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern, in: Neumann / Tillmanns (Hrsg.), Konstituierung der neuen Bundesländer, 1997. 312 Deshalb wird ausnahmsweise eine adjektivische Verwendung an dieser Stelle behandelt und nicht im Anschluss unter: c), (2) Verwendung von „religionsrechtlich“. 313 A. a. O., S. 161, 173 f., 197. 314 A. a. O., S. 161 unten. Siehe auch: S. 163, Überschriften; S. 173, Überschriften; S. 175 Überschrift; S. 178, Überschrift; S. 189, Einleitungssatz; S. 194, bei Fn. 194; S. 247, Überschrift; S. 249, Einleitungssatz. 315 A. a. O., S. 161 bzw. 173 f. 316 A. a. O., S. 197. 317 Auch zum Folgenden: a. a. O., S. 182 f., insb. Fn. 116 und 117. 318 A. Hollerbach, Trennung von Staat und Kirche. Internationale Aspekte und deutsche Erfahrungen, in: Carlen (Hrsg.), Trennung von Kirche und Staat, 1994, S. 21. Zu Hollerbachs Texten siehe unten bei: 3., a), (2), (b) Im Text und (c) Als Thema einer Arbeit.

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stattdessen anschließend eingefügte Hinweis auf die Kritik von Preuß bleibt folgenlos, da dieser keine Alternativen aufzeigt319. „Staatliches Religionsrecht“ wird jedoch von Tillmanns ohnehin nur in den selteneren Fällen verwendet, wenn es um „Staatskirchenrecht“ im weiteren Sinne geht. Hingegen wird das Adjektiv „religionsrechtlich“ auch über diese beschränkte Bedeutung hinaus genutzt. Möglicherweise sind es gerade die Veränderungen durch die Wiedervereinigung, die manche Autoren zur Übernahme der neu geprägten Begriffe veranlassen. Auch ein Beitrag von H.-P. Schneider aus dem Jahr 1994 steht im Rahmen dieser Fragestellung320. Dort dominieren die Begriffe „Religionsverfassung“ und „Religionsverfassungsrecht“ nicht nur im Titel321. Nichtsdestotrotz wird das Paar „Staatskirchenverfassung“ bzw. „Staatskirchenverfassungsrecht“ dreimal verwendet, und zwar dann, wenn es um die korporative Seite der Religionsfreiheit geht, die in den durch Art. 140 GG übernommenen Artikeln der Weimarer Reichsverfassung ausgeführt wird322. Damit schließt sich Schneider grundsätzlich dem neueren Begriff als Ersatz für die Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“ an. Diese verwendet er jedoch in heute eher unüblicher inhaltlicher Reduktion323 weiterhin als Alternativbegriff. Eine Erörterung der Begriffsfrage findet aber nicht statt. Ihr Fehlen erklärt sich leicht aus dem generellen Mangel an Fußnoten. Es handelt sich bei diesem Text um den Abdruck eines Vortrags. Der Anlass für die Verwendung des neueren Begriffs erklärt sich jedoch mittelbar aus dem Text. An zwei verschiedenen Stellen setzt sich Schneider mit als solchen gekennzeichneten Aussagen Häberles auseinander324. Damit folgt Schneider dessen oben dargelegten Sprachgebrauch325 mit einer eigenen Modifikation, die den Begriff „Staatskirchenrecht“ nicht ersetzt, sondern durch einen alternativen Gebrauch eng begrenzt. Nicht im Zusammenhang mit den neuen Bundesländern, sondern in einer Grundlagenarbeit zur „Glaubens-, Bekenntnis- und Kirchenfreiheit“ im Handbuch des Staatskirchenrechts verwendet J. Listl häufig „Religionsrecht“ 326. Dies mag im historischen Zusammenhang nicht überraschen, wenn die Rede ist vom „Religionsrecht des alten Deutschen Reichs“327, Preußischen Allgemeinen Landrecht328 oder „Religions- und Staatskirchenrecht der Weimarer Reichsverfassung“329. Der DopZu diesem Autor siehe bei: 3., a), (2), (b) Im Text. H.-P. Schneider, Muß ein zukünftiges Religionsverfassungsrecht auf „Gottestexte“ verzichten?, in: Greive (Hrsg.), „Gott im Grundgesetz?“, 1994. 321 A. a. O., S. 10, 14 – 17, 19. 322 A. a. O., S. 12, 15, 18. 323 Siehe dazu näher unten bei: 3. a), (1), (b) Einzelne Kommentierungen. 324 A. a. O., S. 12, 16 f. 325 Vgl. oben bei: 1., a) Die „Urheber“ der Begriffe. 326 J. Listl, Glaubens-, Bekenntnis-, und Kirchenfreiheit, in HdbStKirchR, Band I, 1994. 327 A. a. O., S. 455, 457 – 460. 328 A. a. O., S. 464. 329 A. a. O., S. 448. 319 320

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pelbegriff „Religions- und Staatskirchenrecht“ deutet jedoch an, dass Listl den traditionellen Begriff auf die institutionellen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung beschränkt. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn es heißt, „daß in das Grundgesetz auf dem Gebiete des Religions- und Staatskirchenrechts nicht Vorstellungen eines laizistischen Trennungsmodells hineingetragen werden dürfen.“330. Indirekt wird der Begriff „Religionsrecht“ definiert, indem „eine zweite verfassungsrechtliche Determinante der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Religionsrecht“ an eine erste anknüpft331. Dort wird von der Rechtsprechung des Gerichts zum „Grundrecht der individuellen und der korporativ-institutionellen Religionsfreiheit“ gesprochen. Damit umfasst „Religionsrecht“ lediglich den grundrechtlichen Bereich. Fraglich bleibt, ob „Religionsrecht“ auch als Oberbegriff, dann quasi im weiteren Sinne, für alle staatlichen Rechtsnormen zum Verhältnis von Staat und Religion gesehen wird. Dies deutet zumindest die verwendete Kombination „des deutschen Staats- und Religionsrechts“ an332. Eine zweifelsfreie Klärung der Begriffseinteilung durch Listl ist mangels einer direkten Auseinandersetzung mit dieser Frage nicht möglich. Als Ergebnis kann Folgendes festgestellt werden: Manche Autoren nutzen die neu geprägten Begriffe zur Präzisierung von „Staatskirchenrecht“ im Rahmen einer Aufteilung von individueller und korporativer Sphäre. Damit entsteht, soweit es aus einem Text mittelbar oder durch Erklärungen direkt verständlich ist, eine neue, konsistente Begriffsordnung. Sie schlägt bei der Entscheidung der Begriffsfrage gleichsam einen Mittelweg ein. Unter Bewahrung des traditionellen Begriffs erfolgt gleichzeitig eine Hinwendung zu einer allgemein adäquaten Bezeichnung der gesamten Materie. Problematisch erschiene aber eine einfache, keine Alternativen anbietende Reduktion von „Staatskirchenrecht“. Diese ist hier im Rahmen der „Prinzipiellen Verwendung von ,Staatskirchenrecht‘ “ zu behandeln333.

c) Adjektivische Verwendung Teilweise wird neben einer prinzipiellen Verwendung des Substantivs „Staatskirchenrecht“ einer der zwei neueren Begriffe, namentlich „Religionsrecht“, adjektivisch gebraucht. aa) Selbständige Historie Zunächst sei hier ein kurzer Blick in die oben nicht behandelte Geschichte der adjektivischen Verwendung von „Religionsrecht“ eingefügt. Bereits im Jahr 1969 330 331 332 333

A. a. O., S. 442. A. a. O., S. 441. A. a. O., S. 449. Siehe unten bei: 3., a), (1), (b) Einzelne Kommentierungen.

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findet man diese in einer Schrift von E. G. Mahrenholz334. Dieser nutzt gelegentlich eine beschreibende Formulierung wie „die Stellung der Kirchen im staatlichen Recht“335, noch seltener spricht er von „Staatskirchenrecht“ 336. Dieser Begriff findet sich dementsprechend ebenso wenig wie eine andere Fachbezeichnung im Sachregister337. Auch eine Erläuterung des Begriffes findet nicht statt. Die später im Anhang abgedruckten Normen der Paulskirchenverfassung zum Thema Staat und Religion werden aber als „religionsrechtliche Artikel“ bezeichnet338. Die dort ebenfalls im Wortlaut wiedergegebenen Artikel von 1919 bzw. 1949 nennt Mahrenholz das „religionspolitische System der Weimarer Verfassung“ bzw. des „Grundgesetzes“339. Zwei Sätze weiter wird dies zum „staatskirchenrechtlichen System“. Die adjektivische Verwendung ist demnach älter als der Vorschlag von Mikat zur Einführung einer darauf aufbauenden, weiteren Fachbezeichnung. Offenbar gab es ein Interesse, den Normenkomplex nicht auf „staatskirchenrechtlich“ oder „kirchenrechtlich“ zu reduzieren, sondern ihn mit einem ganz neuen Oberbegriff einzuführen.

bb) Verwendung von „religionsrechtlich“ Das genannte Interesse bewegt wohl auch Autoren im Berichtszeitraum, entgegen ihrem sonstigen Sprachgebrauch die adjektivische Form zu verwenden. In einem Aufsatz von 1991 gebraucht M. Winkelmann ohne eine Auseinandersetzung mit den Begriffen die Adjektive „staatskirchenrechtlich“ und „religionsrechtlich“ nebeneinander und insgesamt sehr häufig340. Als Substantiv findet sich jedoch nur das erstgenannte Adjektiv341. Eine etwa damit verknüpfte inhaltliche Unterscheidung ist nicht erkennbar342. Wahrscheinlich hält Winkelmann die Bezeichnung „religionsrechtlich“ für praktischer, da kürzer und präziser. Eine völlige E. G. Mahrenholz, Die Kirchen in der Gesellschaft der Bundesrepublik, 1969. Siehe zu diesem und anderen Beispielen a. a. O., S. 100 und 32, 104, 135. 336 Zum Beispiel a. a. O., S. 21, 37 f., 104. 337 Vgl. a. a. O., S. 192 f. 338 Siehe a. a. O., S. 20 und 176 f. 339 Siehe auch zum Folgenden a. a. O., S. 23. Der Textabdruck findet sich ab S. 178. – Weiter hinten wird einmal der „kirchenpolitische Raum“ angesprochen. Dies zielt jedoch nicht auf die rechtliche Ordnung, sondern die politische Nutzung der Vorgaben ab, vgl. a. a. O. S. 33. 340 Vgl. nur das Kapitel „Konsequenzen“ bei M. Winkelmann, Das Verhältnis der religionsrechtlichen Bestimmungen der nordrhein-westfälischen Landesverfassung zu den Regelungen des Grundgesetzes, DVBl. 1991, S. 797 f. 341 A. a. O., S. 792 (Fn. 2), 794, 796 – 798. 342 Z. B. findet sich direkt nach der Überschrift „Die religionsrechtlichen Bedingungen der nordrhein-westfälischen Verfassung und ihre Geltung“ der Hinweis, die „Regelungen der nordrhein-westfälischen Landesverfassung mit staatskirchenrechtlichem Charakter finden sich . . .“, a. a. O., S. 793. 334 335

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Abwendung von „Staatskirchenrecht“ findet jedoch wohl aufgrund der Dominanz dieses Begriffs nicht statt. Erstaunlich ist in jedem Fall die Selbstverständlichkeit, mit der Winkelmann Anfang der Neunziger die neue Bezeichnung synonym verwendet. Ebenfalls ohne eine Erläuterung des Begriffs verwendet S. Korta im Jahr 2001 in einem Kapitel seiner Dissertation häufiger das Adjektiv „religionsrechtlich“ 343. Auch hier erfolgt dies wohl synonym zu „staatskirchenrechtlich“. Zum Beispiel betrachtet Korta in einem Abschnitt „die religionsrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung“. Später untersucht er auch Normen, die „aus staatskirchenrechtlicher Sicht“ zu berücksichtigen seien344. Dies sind Art. 10 WRV (Gesetzgebungskompetenz in Sachen Religionsgemeinschaften) und Art. 149 WRV (Religionsunterricht), die, wie vorher Art. 135 bis 141 WRV, ohne weiteres auch als „religionsrechtlich“ bezeichnet werden können. Weiter hinten nimmt Korta „begriffliche Klärungen“ vor345. Diese befassen sich jedoch mit der Frage der Bezeichnung der Staatsverträge zwischen Staat und katholischer Kirche als Konkordat oder katholischer Kirchenvertrag346. Eine Erklärung für die mangelnde Auseinandersetzung mit der besonderen Bedeutung von „religionsrechtlich“ wäre die von Korta angenommene Geläufigkeit der synonymen Variante, verbunden mit der von ihm gesehenen größeren Anschaulichkeit. Zu bedenken ist die Befassung mit dem Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR. In diesem Zusammenhang liegt eine Scheu vor der Verwendung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ nahe347. Jedoch wird „religionsrechtlich“ auch bereits zu Beginn des Kapitels in Bezug auf die Weimarer Reichsverfassung verwendet348. Noch 1992 verwendet H. Kremser durchgehend den Begriff „Staatskirchenrecht“349. In einem Beitrag von 1998 findet sich keine direkte Fachbezeichnung350. Lediglich zweimal spricht Kremser unter Bezugnahme auf M. Heckels gleichnamigen Beitrag im HdbStKirchR vom „religionsrechtlichen Paritätsgrundsatz“351. Heckel wiederum verwendet in diesem Beitrag von 1984 wie in der weitaus umfassenderen Vorauflage von 1974 „Religionsrecht“ lediglich einmal adjektivisch, ansonsten prinzipiell „Staatskirchenrecht“, sogar „staatskirchenrechtliche PariS. Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 17 ff. A. a. O., S. 17 bzw. 19. 345 A. a. O., S. 77 ff. 346 Siehe dazu im 2. Teil unter C., 3. Religionsverträge. 347 Siehe dazu auch gegen Ende von: d) Sonstige Verwendung. 348 A. a. O., S. 17. 349 H. Kremser, Der Weg der Kirchen / Religionsgemeinschaften von der sozialistischen DDR in das vereinte Deutschland, JöR 40 (1991 / 1992). 350 H. Kremser, Der Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und Mecklenburg-Vorpommern, LKV 1998. 351 A. a. O., S. 302 f. 343 344

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tät“352. Eine Begriffsklärung findet, wie schon 1974, nicht statt. Es stellt sich die Frage, warum angesichts dieses Befundes der von Mikat geprägte Begriff Eingang in den Titel der Arbeit gefunden hat. Eine mögliche Antwort kann dem Text selbst entnommen werden. Heckel sieht das „Staatskirchenrecht“ nunmehr als säkulares Rahmenrecht; die Begriffe, Institute und Leitprinzipien des Staatskirchenrechts hätten sich theologisch vollständig entleert353. Die säkularen Leitprinzipien seien nunmehr die Grundsätze der weltanschaulich-religiösen Neutralität, der Nichtidentifikation, der Toleranz, des Pluralismus, der Säkularisierung und des Laizismus. Zur Veranschaulichung dieser Grundlagen könnte Heckel bewusst den allgemeineren Begriff „religionsrechtlich“ gewählt haben354. Diese These wird gestützt durch eine Aussage Heckels von 1999: Das deutsche Staatskirchenrecht sei 1919 „abschließend in ein allgemeines Religionsrecht überführt worden“355. Ähnliches verkündet ein anderer Beitrag aus dem gleichen Jahr, wo Heckel schreibt, „die religionsrechtlichen Begriffe der freiheitlich-pluralistischen Verfassung sind offene weltliche Rahmenbegriffe“356. Damit verwendet er gezielt in besonderen Fällen diesen Alternativbegriff zu „Staatskirchenrecht“, zum Beispiel wenn er die soeben genannte Parität als nicht (staats)kirchlich geprägt herausstellen will oder wenn vom historischen Entwicklungsgang des „Religionsrechts des Staates“ die Rede ist357. Die Parität besteht nämlich nach v. Campenhausen aus der rechtlichen Gleichstellung der Staatsbürger unter politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und insbesondere religiösen Aspekten (Staatsbürgerliche Parität) und der Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften (Staatskirchenrechtliche Parität)358. Bezeichnenderweise spricht v. Campenhausen, ein prinzipieller Nutzer von „Staatskirchenrecht“359, trotz der Verarbeitung des Beitrags von Heckel lediglich von „Parität“ und „gestufter Parität“. Dies steht im Gegensatz zu dem hier kurz zuvor angesprochenen Autor Muckel, der beide zitiert, aber wie Heckel auch die „religionsrechtliche Parität“ behandelt360.

Vgl. M. Heckel, Die religionsrechtliche Parität, in: HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 590. Auch zum Folgenden, a. a. O., S. 606 f. 354 Siehe auch die Verwendung „zum Verweisungs- und Bezugnahmecharakter religionsrechtlicher Begriffe“ in M. Heckel, Das Bekenntnis – ein Vexierbild des Staatskirchenrechts?, in: FS Hollerbach, 2001, S. 658 Fn. 3. 355 M. Heckel, Religionsunterricht für Muslime?, JZ 1999, S. 741. 356 Siehe auch eine weitere Verwendung von „religionsrechtlich“ auf der gleichen Seite bei M. Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne, ZevKR 44 (1999), S. 360. 357 M. Heckel, Das Bekenntnis – ein Vexierbild des Staatskirchenrechts?, in: FS Hollerbach, 2001, S. 658. 358 A. v. Campenhausen, Kommentierung von Art. 140 und 141 GG, in: Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Band 3, 2001, Art. 140, Rz. 26. 359 Siehe dazu weiter unten bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 360 S. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 82. 352 353

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d) Sonstige Verwendung Eine gelegentliche Verwendung von mindestens einem der beiden vorgeschlagenen Begriffe soll hier ebenso erwähnt werden wie eine nur durch einen Autor vertretene oder eine unklare Verwendungsmethode dieser Begriffe. Damit werden Zeugnisse gesammelt für deren Bekanntheit und gegebenenfalls sogar Nützlichkeit. Umgekehrt zeugen diese Autoren ebenso für die Kritik an den Schwachstellen des Begriffs „Staatskirchenrecht“. Gleich zu Beginn ihres Lehrbuches361 erläutern B. Jeand‘Heur und S. Korioth anhand der Frage, was Staatskirchenrecht sei, den Begriff. Sie folgen explizit der Ansicht Häberles, nach der Staatskirchenrecht im Sinne von Religions(verfassungs)recht zu verstehen sei362. Der bisher geläufige Begriff sei unpräzise. Es gehe nicht um eine gemeinsame Rechtsgestaltung durch Staat und Kirche. Die Bezeichnung „Kirchenstaatsrecht“ sei passender. Trotzdem verwenden sie im Titel und grundsätzlich auch im Text „Staatskirchenrecht“. Eine Ausnahme ist die bereits o.g. Erwähnung im internationalen Zusammenhang363. Dies erscheint widersprüchlich. Mangels einer geäußerten Entscheidung für die Verwendung des herkömmlichen Begriffs kann über die Gründe nur spekuliert werden. Vermutlich beugen sich Jeand’Heur und Korioth seiner Geläufigkeit. Diese macht es gerade einem Lehrbuch schwer, einem neueren Ansatz auch begrifflich zu folgen. Einmal soll natürlich die herrschende Ansicht im Vordergrund stehen, dann treten sicher auch verkaufstechnische Schwierigkeiten bei der Nutzung einer unüblichen Etikettierung auf. Ein ähnliches Ergebnis bringt die Auswertung eines früheren Aufsatzes, der von Korioth allein verfasst wurde364. Dieser stellt nach durchgehender Verwendung des herkömmlichen Begriffs im Fazit eine, wenn auch zögernde Entwicklung des „Staatskirchenrechts“ hin zum „Religionsrecht“ fest365. Der neue Begriff wird mit einem ausführlichen wörtlichen Zitat aus dem o.g. Beitrag von Hollerbach von 1994 erläutert. Diesem ablehnenden Votum will Korioth „allerdings hinzuzufügen, dass die geschichtliche Prägung die Offenheit für neue Problemstellungen nicht verstellen darf“366. Damit befürwortet der Autor die Nutzung des neuen Begriffs. Wenn er diesen noch nicht im vorhergehenden Text verwendet, so trägt er damit den Gewohnheiten des Lesers Rechnung und nutzt die Möglichkeit einer Pointierung seiner Aussage im Fazit. Vermutlich erfolgt die Verwendung der Begriffe „Staatskirchenrecht“ und „Religionsrecht“ durch R. Abel in der NJW im Jahr 2001 alternativ, was jedoch wegen 361 362 363 364 365 366

B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 1. Auch zum Folgenden: ebd. S. oben unter b). S. Korioth, Islamischer Religionsunterricht und Art. 7 III GG, NVwZ 1997. A. a. O., S. 1049. Ebd.

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seiner mangelnden Auseinandersetzung mit den Begriffen an sich nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann. Abel spricht von einer Debatte im Bereich des „Staatskirchenrechts“ über Legitimationszwänge des „überkommenen religionsrechtlichen Status quo“ der christlichen Kirchen367. Die zweite Nennung der Begriffe geschieht in einem nicht wörtlichen, aber inhaltsgleichen Zitat der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Zeugen Jehovas, wenn „Grundprinzipien des deutschen Religions- und Staatskirchenrechts“ erwähnt werden368. Die anreihende Konjunktion „und“ spricht für verschiedene Bedeutungsgehalte, die aber aus der knappen Formulierung nicht eindeutig erkennbar sind. Einen Hinweis auf die persönliche Präferenz des Autors bietet ein in der gleichen Zeitschrift , jedoch vier Jahre zuvor erschienener Aufsatz369. Dort schreibt Abel über „die zukünftige Entwicklung des deutschen Staatskirchenrechts – man sollte mittlerweile wohl richtiger sagen: Religionsrechts“370. Eine Fußnote erklärt den Anlass, sich zu dieser Frage zu äußern. Genannt ist die auch im Jahr 1997 in der Zeitschrift KuR erschienene knappe Erweiterung371 des grundlegenden Aufsatzes von Hollerbach. Das Herzstück war 1994 in der offenbar nicht so weit verbreiteten Festschrift für Heribert Schmitz veröffentlicht worden372. Hier lässt sich erneut feststellen, dass die grundlegende begriffshistorische Arbeit von Hollerbach die Diskussion um die Begriffe neu entfacht hat und wohl auch wegen ihrer sorgsamen Abwägung von Für und Wider trotz ihres Votum für „Staatskirchenrecht“ auch neue Anhänger für die Alternativbegriffe gewonnen oder auch nur die alten Anhänger neu zur Angabe und Umsetzung ihres Standpunktes veranlasst hat. Anders als 2001 verwendet Abel 1997 jedoch noch weiterhin „Staatskirchenrecht“ 373 Der oben bereits erwähnte J. Müller-Volbehr verwendet in einem anderen Teil seines Aufsatzes einmal mittelbar „Religionsrecht“, wenn er von einem „Gesamtgeflecht der religionsrechtlichen Verfassungsbestimmungen“ spricht374. Eine Diskussion der Begriffe findet nicht statt. Es lässt sich aber vermuten, dass der Begriff hier synonym zu dem von Müller-Volbehr häufig benutzten „Staatskirchenrecht“375 verwendet wird, denn die Begriffserweiterung im Sinne von Mikat wäre durch die Konzentration auf das Grundgesetz überflüssig. Es bleibt bemerkenswert, dass Müller-Volbehr den neueren Begriff überhaupt verwendet, was ein Indiz für seine Bekanntheit und Brauchbarkeit ist. 367 R. B. Abel, Die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung zu neueren Glaubens- und Weltanschauungsge-meinschaften, NJW 2001, S. 410. 368 A. a. O., S. 412. 369 R. B. Abel, Zeugen Jehovas keine Körperschaft des öffentlichen Rechts, NJW 1997. 370 A. a. O., S. 2370 bei Fn. 3. 371 A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?, KuR 1997. 372 A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?, in: FS Schmitz, 1994. 373 R. B. Abel, .a. O., S. 2371. 374 J. Müller-Volbehr, Staatskirchenrecht an der Jahrhundertwende, ZevKR 44 (1999), S. 402. 375 A. a. O., S. 385 – 387, 390, 392 – 394, 400, 405, 411 f.

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Der Begriff „Religionsrecht“ wird hingegen in einem Aufsatz von H. Weber aus dem Jahr 1994 zu einem „Staatskirchenvertrag“ einmal zielsicher eingesetzt, was aus dem Zusammenhang zu erkennen ist376: Insgesamt viermal wird vorher der herkömmliche Begriff „Staatskirchenrecht“ benutzt377. Der Aufsatz endet aber mit der Frage nach dem Sinn von Kirchenverträgen im Hinblick auf die Minderheitensituation der Kirchen im Gebiet der ehemaligen DDR. Es sei noch nicht beantwortet worden, ob diese Verträge „ein zukunftsträchtiges Modell für die Gestaltung des staatlichen Religionsrechts“ seien378. Die Distanz zum Thema wird hier durch die verallgemeinerte Wortwahl ausgedrückt, die auch nicht kirchlich organisierte Religionen einschließt. Somit hat der Begriff für Weber eine Geschichte wie Inhalt des „Staatskirchenrecht“-Begriffs relativierende Funktion. Die gleiche Frage wiederholt Weber in einem Aufsatz zu Verträgen mit der Katholischen Kirche aus dem Jahr 1999379. In Abgrenzung zu diesem das kollektive Element der Religionsfreiheit betonenden Begriff sieht Weber im Jahr 2000 die grundrechtlichen Aspekte „des (nationalen und internationalen) Religionsrechts“380. Dies ist dort offenbar der Oberbegriff für sämtliches staatliches Recht mit Bezug zu Religionsgemeinschaften. Damit reduziert Weber in diesem Fall den traditionellen Begriff auf das „institutionelle Staatskirchenrecht“ 381 und verwendet „Religionsrecht“ als Oberbegriff. Diese Passage wird fast wörtlich in einem Aufsatz von T. Anger übernommen, der sich damit offenbar der Frage anschließt, sie aber ebenfalls nicht beantwortet382. Auch Anger spricht ansonsten häufig und durchweg von „Staatskirchenrecht“383. Jedoch wird an einer Stelle „dieser religionsverfassungsrechtliche Minimalismus [ . . . ]“ konstatiert, der die Verfassung der DDR von 1968 auszeichnen soll384. Dies ist erneut ein Zitat, ebenfalls kenntlich gemacht. Diesmal stammt es aus Boeses hier in der Einleitung und später behandelten Arbeit. Damit zeigt sich Anger den neuen Begriffen gegenüber aufgeschlossen, auch wenn er sie nicht 376 H. Weber, Der Wittenberger Vertrag – Ein Loccum für die neuen Bundesländer?, NVwZ 1994, S. 766. In einem anderen Beitrag wird lediglich zweimal „Staatskirchenrecht“ verwendet, H. Weber, Theologische Fakultäten und Professuren im weltanschaulich neutralen Staat. Staatskirchenrechtliche und rechtspolitische Aspekte, NVwZ 2000, Untertitel und S. 849. 377 H. Weber, Der Wittenberger Vertrag, a. a. O., S. 759 f., 764, 766. 378 A. a. O., S. 766. 379 H. Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche, in: FS Heckel, 1999, S. 493. 380 H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000), S. 114. 381 A. a. O., S. 114 , 132 – 134, 147 – 150. 382 T. Anger, Die Einführung des Unterrichtsfaches „LER“ in Brandenburg – ein Paradigmenwechsel im Staatskirchenrecht?, 1997, Rn. 22. 383 A. a. O., im Titel und in Abschnittsüberschriften sowie in Rn. 1, 4 , 5 – 7, 14, 16 f., 19, 22, 66, 73. 384 A. a. O., Rn. 14.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

selbständig nutzt. Denn er hätte andernfalls die Begriffe entweder distanzierend in Anführungszeichen gesetzt, die Passagen wörtlich zitiert oder sie der bisherigen Wortwahl angepasst. Eine eindeutige Klärung der Begriffe nimmt Anger jedoch nicht vor. Dies ist insofern erstaunlich, als er an anderer Stelle den Aufsatz von Häberle zitiert, in dem der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ geprägt wurde385. Auch in einem Aufsatz zur Religionsfreiheit aus dem Jahr 2000 verwendet Weber nur einmal „Religionsrecht“ 386, diesmal jedoch an einer nicht aussagekräftigen Stelle, ansonsten „Staatskirchenrecht“ 387. Er erläutert seine Begriffsauswahl aber ausführlich in einem Beitrag aus dem Jahr 2001388. Diese Erläuterung bestätigt das im vorletzten Absatz gefundene Ergebnis: Zunächst definiert er den „nach wie vor“ üblichen Begriff „Staatskirchenrecht“ ausdrücklich als eine über das Verhältnis zu den Kirchen hinausgehende Rechtsmaterie. Jedoch entspreche „internationaler (auch in Deutschland zunehmend an Boden gewinnender) Terminologie“ die Verwendung von „Religionsrecht“. In einer Fußnote wird dabei auf die oben genannten einschlägigen Beiträge von Häberle, Hollerbach und Czermak verwiesen389. Weber will nichtsdestoweniger am traditionellen Begriff festhalten, diesen „aber durchweg im genannten allgemeinen Sinne als ,Religionsrecht‘ verstehen“. Dies macht er im Folgenden noch zweimal deutlich: einmal durch „das – in diesem Sinne weit verstandene – Staatskirchenrecht“, dann durch Kernpunkte des „Staatskirchenrechts (oder: Religionsrechts)“390. Trotzdem wird durch die Diskussion und Definition der Begriffe die Erklärungsbedürftigkeit der herkömmlichen Bezeichnung ebenso dingfest gemacht wie die inhaltliche Berechtigung der neuen bestätigt wird. Diesem Ansatz bleibt Weber selbst in einer doppelten Buchbesprechung des Lehrbuchs von Jeand’Heur und Korioth und des ersten Beitrags zur neuen Reihe „Schriften zum Staatskirchenrecht“ von Link treu391. Weber beginnt mit einem Hinweis auf die Begriffsdiskussion: „Das Staatskirchenrecht – oder wie eine neue Terminologie lieber formuliert, das Religions(verfassungs)recht bzw. staatliche Religionsrecht (vgl. Czermak, NVwZ 1999, 743) – ist [ . . . ]“392.

Unklar bleibt das Verhältnis der Begriffe zueinander, wenn C. Tetzel unter Hinweis auf v. Campenhausen feststellt, die praktische Konkordanz sei „vor allem ein A. a. O., Rn. 73, Fn. 243. H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000), S. 132. 387 A. a. O., S. 110 f., 114 f., 119, 132, 134. 388 H. Weber, Neuralgische Punkte in den Grundsatzfragen des Staatskirchenrechts, in: FS Maurer, 2001, S. 469. 389 A. a. O., S. 469, Fn. 3. 390 A. a. O., S. 469 f. 391 H. Weber, Besprechung von Jeand’Heur / Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, NJW (2001). 392 A. a. O., S. 1629. 385 386

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Begriff des Staatskirchen- oder Religionsrechts [ . . . ]“393. Eine zur Interpretation des „oder“ notwendige Begriffsklärung findet nicht statt. Festzuhalten bleibt, dass Tetzel sich offenbar bewusst für die Hinzufügung von „Religionsrecht“ entschieden hat, wenn auch aus unbekanntem Anlass. Die Zitierung eines anderen Autor ist hier ausnahmsweise einmal keine Erklärung für den „Einfall“ eines Begriffs in die Sprachwelt eines Verfassers, denn der hier zitierte v. Campenhausen gehört zu den prinzipiellen Verwendern von „Staatskirchenrecht“, fast ohne eine Diskussion der neuen Begriffe394. Ebenso sind wohl die von S. Muckel im Jahr 1999 angeführten „religionsrechtliche(n) Regelungen“ zu verstehen395. In einem anderen Aufsatz aus dem gleichen Jahr verwendet Muckel hingegen durchgängig den herkömmlichen Begriff ohne eine Diskussion396. Dabei wird gleich in der ersten Fußnote ein Aufsatz von Puza zitiert, der bereits im Titel „staatliches Religionsrecht“ enthält. Auch Muckels Habilitationsschrift enthält keine Klärung der Begriffsfrage. Nur am Rande und ohne klare Entscheidung wird lediglich das Verhältnis von „Staatskirchenrecht“ und „Kulturverfassungsrecht“ erwähnt397. In einem offenbar mündlich geführten Interview aus dem Jahr 1998 findet sich dagegen ein anderer Umgang mit den Bezeichnungen. Auf die Frage nach seinen Forschungsschwerpunkten nennt Muckel „das Religionsverfassungsrecht und Staatskirchenrecht sowie Verwaltungs- und Staatsrecht“398. In dieser Kombination bleibt die Differenzierung zwischen dem ersten und zweiten Begriff unklar. Möglicherweise soll der erste Begriff die diesbezüglichen Normen des Grundgesetzes und der Länderverfassungen beinhalten, der andere zusätzlich Normen aus anderen Rechtsquellen. Es bleibt aber festzuhalten, dass der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ in den Sprachgebrauch Muckels Einlass gefunden hat. So weit ist es im Fall eines Aufsatzes von J. Listl aus dem Jahr 1995 nicht gekommen. Soweit dort „Religionsverfassungsrecht“ Verwendung findet, handelt es sich bei näherem Hinsehen um ein versehentlich nicht klar gekennzeichnetes Direktzitat von Häberle399. Damit wird der Begriff jedoch auch mittelbar von Listl 393 C. Tetzel, Arbeitsrechtliches Diskriminierungsverbot und Haushaltsvorbehalt, NJW 1998, S. 2337 Fn. 10. 394 Dieses Ergebnis findet sich bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 395 S. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, in: FS Listl, 1999, S. 256. 396 S. Muckel, Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, Der Staat 38 (1999), S. 569, 571 – 573, 577 – 584, 586 f., 589 – 591, 593. 397 Unter Hinweis, aber ohne Auseinandersetzung mit der Arbeit von K. Schlaich von 1972, vgl. S. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997, S. 74. 398 Interview mit Prof. Dr. Muckel (Professur für Öffentliches Recht), ZRS-Info Ausgabe 1 / 1998, http://www.ruhr-uni-bochum.de/jura/zrs/zrsinfo/info198/info198.html, abgerufen am 02. 06. 2001. 399 J. Listl, Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik (1995), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 377.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

anerkannt. Dieser hätte ansonsten auch hier durch ein Teilzitat den von ihm grundsätzlich benutzten Begriff „Staatskirchenrecht“ in Stellung bringen können. Diese Art der Anerkennung sagt jedoch mangels einer eigenständigen Auseinandersetzung wenig Konkretes über die persönliche Haltung Listls zur Begriffsfrage aus. Es bleibt bemerkenswert, dass Listl den Terminus in seinem Text erscheinen lässt. Auf dieser Linie liegt die im gleichen Text enthaltene Passage, in der „staatskirchenrechtlich und religionsrechtlich relevante Bestimmungen, d. h. insbesondere die Art. 3, 4, 7, 33 Abs. 3, 140 (mit den Weimarer Kirchenartikeln) und 141 GG“ genannt werden400. Auch hier ist eine eindeutige Abgrenzung der Begriffe nicht möglich. Ebenso fehlt eine erklärende Auseinandersetzung mit den Begriffen. Insofern ist das Ergebnis nicht derart eindeutig wie im Falle des soeben behandelten Muckel. Immerhin sind die neuen Begriffe Listl nicht unbekannt und auch jeweils keine persona bzw. hier „nomina non grata“. Im Fall von „Religionsrecht“ gibt ein Aufsatz aus dem Jahr 1990 zwar keine Definition, aber eine indirekte Erklärung des Begriffs durch Listl wieder. Zu Beginn schildert er in einer Fußnote die Begriffshistorie von „Staatskirchenrecht“ 401. Dieses „besondere Rechtsgebiet“ wird als Regelung von „Beziehungen zwischen Staat und Kirche durch staatliche Normen im Rahmen des öffentlichen Rechts“ erklärt402. Fehlt ein derartiges Verhältnis, „kann von einem Staatskirchenrecht im eigentlichen und vollen Sinne nicht mehr die Rede sein“403. Dann spricht Listl von „Religionsrecht“. Dieser Begriff wird am Ende des Aufsatzes auf zwei Seiten fünf Mal verwendet, wenn es um die Rechtsprechung deutscher Gerichte, insb. des Bundesverfassungsgerichts „zum Religions- und Staatskirchenrecht“ geht404. Damit folgt Listl an dieser Stelle offenbar der Begriffsprägung durch Mikat. Eine für beide Erwähnungen passende Definition von „Religionsrecht“ leistet Listl jedoch nicht. Dies deutet darauf hin, dass Listl die Bekanntheit des Begriffs und seiner Bedeutung bei den Lesern voraussetzt. Nicht eindeutig, aber am ehesten alternativ gemeint ist die Verwendung von „Staatskirchen- und Religionsrecht“ bei R. Bartlsperger, der einen Nachruf auf K. Obermayer schreibt405. Neben der genannten Stelle ist einmal von „staatskirchenrechtlichen Schriften“, ein andermal von „religionsrechtlichen Fragen“ die Rede. Wahrscheinlich knüpft Bartlsperger damit an den weiteren Bedeutungsgehalt von „Religionsrecht“ bei Mikat an. Dieser Unterscheidung folgt zweifelsfrei D. Lorenz in einer Besprechung des „Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht“ 406. Dieses stelle sich durch die A. a. O., S. 363. J. Listl, Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik (1990), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 336 Fn. 1. 402 A. a. O., S. 341. 403 A. a. O., S. 342. 404 A. a. O., S. 353 f., insb. Fn. 56 und 58. 405 R. Bartlsperger, Klaus Obermayer +, NVwZ 1988, S. 1006 ff., 1006. 400 401

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konfessionsübergreifende Berücksichtigung von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht der Sache nach als „ein Lexikon des deutschen Religionsrechts“ dar407.

3. Andere Bezeichnungsmethoden in der juristischen Literatur Hier werden zunächst die Autoren versammelt, die den Begriff „Staatskirchenrecht“ prinzipiell verwenden (a). Sodann werden Alternativen zur Bezeichnung der Disziplin dargestellt (b). Es folgen schließlich zwei Exkurse, die der Frage der Bezeichnung religiöser Sachverhalte in anderen Rechtsgebieten nachgehen, und zwar im Rundfunkrecht (c) und im Internationalen Privatrecht (d). a) Prinzipielle Verwendung von „Staatskirchenrecht“ aa) Keine Nennung oder Erläuterung der neuen Begriffe Nach einer Liste aller Autoren, die ausnahmslos und ohne eine Auseinandersetzung mit anderen Begriffen „Staatskirchenrecht“ verwenden folgen einzelne Kommentierungen zu daraus ausgewählten Autoren. Der Teil schließt mit einem Ergebnis. (1) Sammelliste Die im Folgenden genannten Autoren verwenden prinzipiell „Staatskirchenrecht“ und diskutieren keinen der vorgeschlagenen Alternativbegriffe: H. U. Anke, P. Badura, A. Bleckmann, E. D. Bohl, H. v. Bose, A. v. Campenhausen, J. Depenbrock, D. Ehlers, C. Fuchs, J. Grefen, C. Halm, S. Heitmann, P. M. Huber, J. Isensee, G. Klostermann, A. Janssen, C. Link, C. Pagels, U. Rhode, R. Richardi, I. Riedel-Spangenberger, W. Rüfner, F. Schoch, N. Schultz-Süchting, E.-L. Solte, M. Stolleis, U. Suhrbier-Hahn, A. Vulpius, R. Weber, D. Zacharias. Die Liste bleibt auf die in dieser Arbeit behandelten Autoren und deren im Literaturverzeichnis genannte Arbeiten beschränkt und erhebt insofern keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die quantitative Beschränkung der Arbeit ist bei der Bewertung der Ergebnisse zu berücksichtigen. Die breite Anlage der Arbeit soll jedoch die Mehrzahl der Autoren abdecken, die sich im Berichtszeitraum mit dem Thema beschäftigt haben. Dadurch wird das Fehlen einer Gesamtschau aller Erscheinungen im Berichtszeitraum zum Verhältnis von Staat und Religion weitgehend ersetzt.

406 D. Lorenz, Buchanzeige von: Campenhausen / Riedel-Spangenberger / Seebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 1, A-F, 2000, NJW 2001. 407 Ebd.

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(2) Einzelne Kommentierungen Aus der genannten Liste sollen Autoren herausgegriffen werden, deren Verzicht auf eine Begriffsdiskussion aus dem einen oder anderen Grunde bemerkenswert erscheint. Die mit der Wiedervereinigung eingetretenen religionssoziologischen Veränderungen sind nicht für jeden Autor Anlass, sich an der Diskussion der Fachbezeichnung zu beteiligen. Selbst diejenigen Autoren, die sich konzentriert den neuen Bundesländern widmen, äußern sich zur Begriffsfrage teilweise gar nicht: – Eine umfassende aktuelle Analyse zum „Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer“ findet sich in der gleichnamigen Dissertation von C. Fuchs. Dieser sieht zwar „das Staatskirchenrecht in Bewegung“, nimmt aber von Anfang an den Begriff als gegeben hin408. – Ein weiteres Beispiel bildet der von R. Kier verfasste Handbuchbeitrag zur Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Brandenburger Verfassung409. – Ebenso kritiklos verwendet H. U. Anke den traditionellen Begriff in seiner Dissertation zum Vertragsrecht „in den neuen Ländern“410. Anke unterzieht jedoch den „weitgehend anerkannten“ Begriff „Staatskirchenvertrag“ in einer Fußnote der Kritik411: Es gebe Ansatzpunkte, die Bezeichnung für andere „vertragsschließende Religionsgemeinschaften zu öffnen und etwa von einem ,Religionsstaatsvertrag‘ zu sprechen.“

Auch in der 3. Auflage des grundlegenden Werks von A. v. Campenhausen412 fehlt eine direkte Auseinandersetzung mit dem Begriff413. Nach einem Diktum von Hollerbach wurde aber inhaltlich bereits in der ersten Auflage von 1973 „mit frischem Mut“ ein weites Verständnis von „Staatskirchenrecht“ zugrunde gelegt, ohne eine Problematisierung des Begriffs414. Nur in einer Veröffentlichung spricht v. Campenhausen Begrifflichkeiten an, wenn er die seines Erachtens nach politisch motivierte Wortwahl von L. Renck (u. a. „Bekenntnisverfassungsrecht“415) anC. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 3. R. Kier, Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Simon / Franke / Sachs (Hrsg.), Hanbbuch Verfassung Brandenburg, 1994, Rz. 1 – 4, 7 f., 10. 410 Siehe nur die Überschrift des 1. Teils und darin die gehäufte Verwendung des Begriffs durch H. U. Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, Tübingen 2000, S. 23 – 38. 411 A. a. O., S. 18, Fn. 17. 412 Siehe auch den Diskussionsbeitrag von Campenhausens auf einer Tagung bei: 7. e) Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht. 413 Mittelbar findet eine Erklärung durch die intensive Darstellung der geschichtlichen Grundlagen statt, vgl. A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 1 ff. 414 A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994, S. 882. 415 Siehe dazu unten bei: b) (2) Aktuelle Alternativvorschläge. 408 409

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greift, die zu einer textlich nicht gedeckten Neuinterpretation des Grundgesetzes missbraucht werde416. Der Begriff „Staatskirchenrecht“ wird von J. Grefen nur selten gebraucht, geradezu vermieden417. Insbesondere in den Überschriften findet sich dagegen die neutralere Bezeichnung „Verfassungsrecht“418. Dies kann auch nicht mit dem Untersuchungsgegenstand seiner Dissertation zusammenhängen. Das Kirchenasyl bildet gerade nach Grefens Ansicht einen Teil der besonderen Rechte, die den Religionsgemeinschaften nach Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 3 WRV zustehen419. In ihrer Dissertation verwendet E. D. Bohl ausschließlich den traditionellen Begriff, ohne eine Diskussion seines Inhalts oder von Alternativen420. Die Bezeichnung der durch Art. 140 GG inkorporierten Bestimmungen der WRV greift weiter zurück in die Begriffshistorie. Anstelle von „Staatskirchenrecht“ spricht Bohl hier über die „Kirchenrechtsartikel“421. Damit knüpft sie, wohl ohne diesen Begriffsgehalt bemerkt zu haben, an „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne an. Oder es handelt sich um eine versehentliche Erweiterung der Bezeichnung „Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung“ oder kürzer „Weimarer Kirchenartikel“422. Eine Auseinandersetzung mit der Bezeichnungsfrage hätte dies verhindern können. In einem Beitrag aus dem Jahr 2000 von N. Schultz-Süchting wird entgegen allgemeiner Definition der Begriff „Staatskirchenrecht“ in seiner ursprünglichen Variante verwandt423. Dieser ist nach Auffassung des Autors ausschließlich auf die kollektive Religionsfreiheit bezogen, welche sich aus den durch Art. 140 GG inkorporierten Artikeln der Weimarer Reichsverfassung speise. So lautet eine Kapitelüberschrift: „Art. 140 GG – Staatskirchenrecht“. Einzelne Personen fielen nicht unter diese Regelungen, denn sie „bilden keine Religionsgesellschaft. Gewähren Einzelne Asyl hat das mit dem Staatskirchenrecht nichts zu tun.“424 Diese einengende Betrachtungsweise gibt einen weder durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch durch die Lehre gedeckten formalistischen Ansatz wieder. Es sei heutzutage dagegen nach Jeand’Heur / Korioth „allgemein üblich“, 416 A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68. 417 J. Grefen, Kirchenasyl im Rechtsstaat, 2001, S. 204, 212, 217. 418 Vgl. nur den Untertitel sowie Überschrift und Inhalt des umfangreichen Teils „E. Verfassungsrechtliche Einordnung des Kirchenasyls“, a. a. O., S. 203. 419 Vgl. dazu im 2. Teil unter A., I. 1. b) Der Asylkompromiss von 1993. 420 Vgl. beispielhaft D. Bohl, Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften, 2001, S. 16, 142 (in einer Überschrift) und S. 177 f. (mehrmals im Fazit). 421 A. a. O., S. 21 f. 422 Zuletzt BVerfGE 102, 370, 386. Beide Varianten finden sich in BVerfGE 19, 206 ff., 218 f. 423 N. Schultz-Süchting, Kirchenasyl, 2000, S. 193 ff. 424 A. a. O., S. 193.

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unter „Staatskirchenrecht“ auch die individuellen Freiheitsrechte des Einzelnen zu behandeln425. Denn auch die Kirchen können sich auf ihre unverletzliche Glaubens- und Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG und die nach Art. 4 Abs. 2 GG geschützte Religionsausübung berufen426. Zu diesen Grundrechten tritt die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nötige Organisationsfreiheit durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 GG ergänzend hinzu427. Zwar enthalten die inkorporierten Artikel in der Hauptsache Spezialregelungen für Institutionen, aber beispielsweise Art. 136 WRV regelt die Frage der individuellen Religionsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht behandelt die Regelungen in Art. 4 GG und den nach Art. 140 GG inkorporierten Artikel der WRV als organisches Ganzes428. Es bleibt offen, welchem Rechtsgebiet Schultz-Süchting die Ausübung der individuellen Religionsfreiheit zuschreibt. Hollerbach hält es in diesem Zusammenhang allenfalls für möglich, von einem „Staatskirchenrecht im engeren und im weiteren Sinne“ zu sprechen429. Schultz-Süchting bleibt jedoch eine Auseinandersetzung mit den Begriffen schuldig, was zu einer unklaren Begriffslage führt. Denn er benennt keinen Alternativbegriff zur Bezeichnung der gesamten Materie, wie ihn andere Autoren verwenden430. Offenbar sieht auch P. Badura in seinem Beitrag zum HdbStKirchR dieses Rechtsgebiet als auf das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften beschränkt431. Er erläutert zu Beginn neben dem Inhalt auch kurz den Begriff des „Staatskirchenrechts“. Der Wortbestandteil „Kirche“ sei historisch begründet. Weiterhin stünden neben dem allgemein üblichen, persönlichkeitsbegründenden Grundrecht auf Religionsfreiheit eine Vielzahl „staatskirchenrechtlicher Systeme“. In Bezug auf die Erweiterung von „Staatskirchenrecht“ um das Grundrecht auf Religionsfreiheit wird damit die soeben genannte forsche Aussage von Jeand’Heur / Korioth („heute allgemein üblich“) auf eine elf Jahre ältere vorsichtige Formulierung von Hollerbach reduziert („richtige vorherrschende Tendenz“)432. Die mangelnde Auseinandersetzung Baduras mit dieser Frage verwundert, vor allem weil eine Auseinandersetzung mit dem Begriff stattfindet und dort in einer Fußnote auch Hollerbach zitiert wird433. Mit einem direkten Zitat der entsprechenden Stelle bei Badura schließt sich P. M. Huber dessen Begriffseinordnung an434. Die Religionsfreiheit aus Art. 4 GG B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 1. BVerfGE 53, 366, 401. 427 BVerfGE 72, 278, 289. 428 BVerfGE 19, 206, 219. 429 A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStR VI, 1989, Rz. 2. 430 Siehe dazu bereits oben bei: 2., b), (2) Reduktion von „Staatskircherecht“. 431 Auch zum Folgenden P. Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 211 f. 432 A. Hollerbach, a. a. O., Rz. 2. 433 A. a. O., S. 212 Fn. 1. 425 426

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spielt dort freilich eine untergeordnete Rolle435. So sei der „Kernsatz des Staatskirchenrechts [ . . . ] der – schneidend formulierte – Art. 137 Abs. 1 WRV: Es besteht keine Staatskirche.“436 Diese von den Kritikern der traditionellen Fachbezeichnung häufiger aufgegriffene Vorschrift437 nimmt Huber jedoch nicht zum Anlass einer Diskussion oder Vorstellung von alternativen Fachbegriffen. Diese genannte Unterscheidung vertritt Badura auch in seinem Diskussionsbeitrag auf der Staatsrechtslehrertagung 1999 in Heidelberg, wo er ausnahmsweise, sich offenbar dem Druck anderer Beiträge insofern beugend, den Begriff „Religionsrecht“ zur Abgrenzung verwendet438. (3) Ergebnis Die Untersuchung hat hier ergeben, dass eine nicht geringe Anzahl von Autoren die neu vorgeschlagenen Begriffe nicht verwendet und keinerlei Diskussionsbedarf in Bezug auf die Frage einer Ersetzung des herkömmlichen Begriffs „Staatskirchenrecht“ sieht. Dazu gehören auch im Bereich Staat und Religion spezialisierte Autoren.

bb) Mit einer Erläuterung oder Diskussion der neuen Begriffe Ein Aufgreifen der neuen Begriffe kann in ganz unterschiedlichem Ausmaß erfolgen. Die Spanne reicht von der Erwähnung in einer Fußnote (1) oder im Text (2) bis hin zum Verfassen einer Arbeit, die sich ausschließlich Begriffsfragen widmet (3). Diesem Steigerungsprinzip folgt die Sortierung der folgenden Beiträge. (1) In einer Fußnote In dem Grundwerk des Fachgebiets, dem Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, wird nicht nur im Titel der traditionelle Begriff uneingeschränkt verwendet439. Dies geschieht jedoch nicht ohne eine Auseinandersetzung mit der Herkunft, der Bedeutung und der Kritik an diesem Begriff. Dem widmet sich im ersten Beitrag D. Pirson gleich zweimal. Zunächst wird die 434 P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht. Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 1999. 435 A. a. O., S. 123, 135 ff. 436 A. a. O., S. 123 unten. 437 Siehe dazu oben bei B., II. Veränderung der Disziplin – Veränderung des Begriffs? und C., III. „Religionsverfassungsrecht“. 438 Siehe dazu unten bei: 6., a) Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. 439 Vgl. die ausführliche Verweisungen im Sachwortregister zu „Staatskirchenrecht“, „Staatskirchenrecht, verfassungsrechtliche Grundlagen“ und „Staatskirchenrecht als Gegenstand der einfachen Staatsgesetzgebung“, HdbStKirchR, Band II, 1995, S. 1223 – 1225.

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hinter „Staatskirchenrecht“ stehende Materie abgegrenzt. Die Bezeichnung folge „einem weitgehend übereinstimmenden Sprachgebrauch“440. In einer weiterführenden Fußnote erfolgt hier ein Hinweis auf die Begriffserläuterung im HStR durch Hollerbach441. Zur historischen Begriffsbildung nimmt Pirson vier Abschnitte weiter Stellung. In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass sich der Begriff im Verlauf des 19. Jahrhunderts durchgesetzt habe442. An diese Aussage schließt Pirson eine ausführliche Fußnote zur Begriffsfrage an. Der „teilweise“ vorgeschlagene Begriff „Religionsrecht“, zu dem nur Mikat genannt wird, sei abzulehnen. Die Begriffsbildung brauche sich nicht an verfassungsrechtlichen Postulaten wie dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu orientieren. Die Historie stelle einen durchaus sinnvollen Anknüpfungspunkt dar. Über den Begriffsrealismus sei man „im juristischen Denken ohnehin hinaus gekommen“. Pirson erwidert damit die Kritik am Begriff „Staatskirchenrecht“ mit eigenen Akzenten. Er fordert eine sachliche Diskussion, wenn er schließlich darauf hinweist, dass diese durch die Bezeichnung als „sogenanntes Staatskirchenrecht“ von Czermak nicht weitergebracht werde. Der Begriff „Religionsverfassungsrecht“ findet jedoch ebenso wenig Erwähnung wie bei dem von Pirson weiter oben zitierten Hollerbach, der erst im Jahr des Erscheinens des Handbuchs seine umfassende Begriffsstudie veröffentlicht443. In seiner Dissertation von 1998 verwendet G. Burger dem Titel „Staatskirchenrecht in Sachsen“ entsprechend durchgehend die traditionelle Fachbezeichnung444. Bereits in der ersten Fußnote erläutert Burger den Inhalt des Begriffs mit dem weiteren Hinweis auf die Erläuterungen von Hollerbach im Handbuch des Staatsrechts von 1989445. Anschließend stellt er fest, dass der Begriff „Religionsrecht“, der von Mikat und Häberle „bevorzugt“ werde, sich bislang nicht durchgesetzt habe. Schließlich führt er noch die Kritik am Begriff „Staatskirchenrecht“ im AlternativKommentar durch Preuß an. Diese ausführliche Auseinandersetzung mit Kritik und Alternativvorschlag zur herkömmlichen Fachbezeichnung zeugt von der Wiederbelebung der Begriffsdiskussion in den Neunziger Jahren. Ohne eigene Vorbehalte gegenüber „Staatskirchenrecht“ hätte Burger nicht einen derartigen begriffskritischen Teil eingeschoben. In der kurzen Einleitung zur von ihm herausgegebenen Textsammlung „Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern“ verzichtet Burger weitgehend auf Fußnoten446. Stattdessen findet eine knappe Einführung in die 440 D. Pirson, Die geschichtlichen Wurzeln des deutschen Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 3 f. 441 A. a. O., S. 3, Fn. 1. 442 A. a. O., S. 10 f., 11 bei Fn. 18. 443 Zu einer weiteren Begriffsbestimmung im Handbuch durch P. Badura siehe bereits oben bei: (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 444 G. Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998. 445 A. a. O., S. 21, Fn. 1. 446 G. Burger, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern. Textsammlung, 2000, S. 7 – 15.

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Rechtsmaterie statt. Deshalb verwundert es nicht, wenn in diesem Zusammenhang kein Hinweis auf die Begriffsdiskussion erfolgt. Die in der Reihe Jus Ecclesiasticum im Jahr 2000 erschienene Arbeit von U. Hildebrandt verwendet zwar grundsätzlich, aber selten „Staatskirchenrecht“ 447. Dennoch sieht die Autorin die Notwendigkeit, auf die begriffliche Alternative hinzuweisen. Im Zusammenhang mit der erstmaligen Verwendung eines Fachbegriffes nutzt sie eine Kombination, indem sie von „Verfassungsänderungen in diesem sensiblen Bereich des Staatskirchen- oder Religionsrechts“ spricht448. Die Begriffe sind gemeinsam mit einer Fußnote versehen, in der Hildebrandt „zu diesen unterschiedlichen Begrifflichkeiten“ auf den in der Zeitschrift KuR erschienenen Nachtrag von Hollerbach verweist. Das in einer Festschrift erschienene „Grundwerk“ von 1994 kann nur mühsam den gleichen Verbreitungsgrad erreichen. Damit hat das zweimalige Aufgreifen der Diskussion durch den letztgenannten Autor zu einer weiteren Verbreitung der Begriffsdiskussion geführt. Eine direkte Stellungnahme von Hildebrandt zu den Begrifflichkeiten findet sich jedoch in ihrer Arbeit nicht. Im Ergebnis scheint sie aber keinen der Begriffe wirklich zu bevorzugen. Andernfalls hätte sie den Begriffsstreit lediglich in der Fußnote angezeigt. Wenn sie weiterhin „Staatskirchenrecht“ verwendet, scheint sie dies vor allem wegen dessen Gebräuchlichkeit zu tun. Dieses Argument ist offenbar auch für W. Weiß entscheidend, der in einem Aufsatz aus dem Jahr 2000 stets den Begriff „Staatskirchenrecht“ verwendet. Die Vermutung wird durch seine Aussagen in der ersten Fußnote gespeist449. Der verwendete Begriff sei „juristisch ungenau“, da das Grundgesetz das Wort Kirche nur verneinend gebrauche. Mit einem Verweis auf einen Aufsatz von Renck erklärt Weiß: „mancher verwendet daher den Begriff des Bekenntnisverfassungsrechts.“ Obwohl Weiß diesem Begriff anscheinend wohlwollend gegenüber steht, „soll“ in dem Aufsatz ohne eine explizite Begründung „an dem üblichen Begriff festgehalten werden.“450 (2) Im Text In seiner Kommentierung von Art. 140 GG im Jahr 1989 spricht U. K. Preuß gleich zu Beginn die Begriffsfrage an451. Er hält die für den von ihm besprochenen Normenkomplex gebräuchliche Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ für unangemesU. Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht, 2000, S. 12 f., 54, 213. A. a. O., S. 13, bei Fn. 50. 449 W. Weiß, Gleichheit oder Privilegien? – Zur Stellung öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften, KritV 83 (2000), S. 104, Fn. 1. 450 Ebd. 451 Auch zum Weiteren siehe U. K. Preuß, Kommentierung von Art. 140 GG, in: Grundgesetz. Alternativkommentar, 1989, Rn. 1 f. Der Text ist wortgleich mit der Vorauflage von 1984. 447 448

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sen, da die inkorporierten Artikel der WRV keineswegs nur die Beziehungen zwischen Staat und Kirchen regelten. Vielmehr handele es sich um Grundzüge des „Interessenraums des religiösen und weltanschaulichen Verbandswesens“. Einen praktikablen Alternativbegriff schlägt Preuß jedoch nicht vor. Im Gegenteil bezeichnet er „Staatskirchenrechts“ als Begriff für ein Bündel von Sonderproblemen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ortsbestimmung gesellschaftlich relevanter Verbände als „akzeptabel“ 452. Dabei verweist er auf das häufiger genannte Argument einer „jahrhundertealten geschichtlichen Entwicklung“. Damit liefert Preuß einen eigenständigen Beitrag zur Begriffsdiskussion. Es verwundert jedoch, dass er weder weitere in der Literatur genannte Kritik am Begriff „Staatskirchenrecht“ aufgreift noch vorgeschlagene Alternativen zitiert. Dies mag darauf hinweisen, dass zu Beginn des Berichtszeitraums die allgemeine Begriffsdiskussion zum Erliegen gekommen ist. Dagegen spricht jedoch bereits die im Handbuch des Staatsrechts im gleichen Jahr immerhin über fünf Randnummern reichende ausführliche Auseinandersetzung allein mit dem „Begriff ,Staatskirchenrecht‘ “453. Diese soll erst später behandelt werden, denn der Autor Hollerbach wird seine Argumente, noch erheblich mit Material angereichert, sechs Jahre später zu einem eigenen Aufsatz zur Begriffsfrage formen454. Auf eine schriftlich fixierte Zusammenfassung einer mündlichen Erwiderung Hollerbachs auf Häberle von 1990455 und auf eine kurze Stelle in einem Vortrag von 1994456 sei deshalb nur hingewiesen. Im Jahr 2001 ist der entsprechende Band des Handbuchs erneut aufgelegt worden. Da es sich aber dabei um einen unveränderten Neudruck handelt, bedarf dieser keiner eigenen Untersuchung. An dieser Stelle ausführlicher zu untersuchen ist eine Besprechung von Hollerbach zum dritten Band des von H. Dreier herausgegebenen Grundgesetzkommentars aus dem Jahr 2001457. Darin befass sich Hollerbach ausführlich mit der Kommentierung von Art. 140 GG durch Morlok. Im Rahmen einer Besprechung kann verständlicherweise grundsätzlich keine Auseinandersetzung mit der Begriffsfrage erfolgen. Auffällig ist aber die Wortwahl Hollerbachs. So wird der traditionelle Begriff neben einer einmaligen adjektivischen Nutzung auf „das sog. Staatskirchenrecht“ reduziert. Hingegen finden die neueren Begriffe jeweils einmal uneingeschränkte substantivische Verwendung. Hollerbach schreibt einmal im ZusamA. a. O., Rn. 2. A. Hollerbach, Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStR VI, 1989, Rn. 1 – 5. 454 S. dazu unten bei: (c) Begriffserläuterung als Thema einer Arbeit. Siehe zu Hollerbach aber auch oben bei: 2. b) Alternative Verwendung im internationalen Zusammenhang. 455 H. Goerlich, Zusammenfassung der Aussprache zum Thema Staat und Kirche, in: Schneider / Steinberg (Hrsg.), Konrad Hesse zum 70. Geburtstag, 1990, S. 101. 456 Hollerbach, (1994) Trennung, S. 21. 457 A. Hollerbach, Besprechung von H. Dreier, Grundgesetz. Kommentar, Bd. III, 2000, JZ 2001, S. 1083. 452 453

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menhang von Art. 140 GG von „der Grundnorm des Religionsverfassungsrechts“ und ein andermal: „so würde es mir schwer fallen, von grundrechtlicher ,Aufladung‘ der Normen des organisatorischen Religionsrechts zu sprechen.“ Damit übernimmt er einmal Häberles Begriff ohne Anführungszeichen. Im zweiten Fall zitiert er in seiner ablehnenden Stellungnahme nicht etwa auch den Begriff „Religionsrecht“, sondern beschränkt sein Zitat auf die „Aufladung“. Damit übernimmt Hollerbach, der den neuen Begriffen stets aufgeschlossen, aber – wie unten noch darzulegen ist – auch insgesamt ablehnend gegenübersteht, in dieser Besprechung den Sprachgebrauch des Autors Morlok. Ursache könnte einerseits der Respekt vor Morloks Begriffswahl sein, wobei freilich die Kenntlichmachung als Zitat bereits einen respektvollen Umgang dargestellt hätte. Oder Hollerbach öffnet im Jahr 2001 unausgesprochen seine Haltung und ist demnach in Zukunft zu den Autoren mit synonymen Sprachgebrauch zu zählen. Letzteres erscheint jedoch eher unwahrscheinlich, da er bereits mehrfach klar Stellung zur Begriffsfrage genommen hat. Klärung kann in dieser Frage nur eine weitere Verfolgung von Hollerbachs Texten bringen, insbesondere die Untersuchung der Begriffswahl in einer umfangreicheren Arbeit. In seiner Dissertation aus dem Jahr 1998 setzt sich G. Mehrle in einem eigenen Abschnitt mit dem „Begriff ,Staatskirchenrecht‘ und (der) Beschränkung auf die Großkirchen“ auseinander458. Mit Häberle verlangt er eine Öffnung des politischen Gemeinwesens in Bezug auf kleinere Religionsgemeinschaften 459. Dem entspreche die traditionelle Bezeichnung zwar nicht, jedoch sei sie ein Markenzeichen460, „ein Hinweis auf ein Stück deutsche Identität“. Er sei inhaltlich weit auszulegen und seit jeher nie als Begrenzung auf die beiden Großkirchen verstanden worden. Es komme letzten Endes nur auf die Sachfragen an, wie zum Beispiel die praktische Durchlässigkeit des Systems für alle Religionsgemeinschaften. In einem Aufsatz aus dem folgenden Jahr spricht Mehrle jedoch ohne Diskussion einmal von „der Gesamtheit der religionsverfassungsrechtlichen Normen“461. Damit zeigt sich einmal die durchaus vorhandene Bekanntheit des neuen Begriffs, dann aber auch seine der Wirklichkeit entsprechende Trennschärfe, die diesen zu einem passenden Instrument bei der Bezeichnung des Rechtsfaches macht. Andernfalls hätte Mehrle auch hier einfach von „staatskirchenrechtlichen Normen“ sprechen können. Von besonderer Bedeutung ist eine aktuelle Äußerung von Schlaich. Dessen Kritik aus dem Jahr 1972462 und dessen Aussage zur Begriffslage aus dem Jahr 458 G. Mehrle, Trennung vom Staat – Mitarbeit in staatlichen Institutionen. Militärseelsorge und Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, 1998, S. 20 ff. 459 Hier und im Folgenden a. a. O., S. 20 f. 460 Vgl. die Auseinandersetzung mit diesem Argument unter: IV. Fremdsprachiges Ausland. 461 G. Mehrle, Art. 141 GG in „neuem Licht“, NVwZ 1999, S. 741. 462 Siehe oben bei: B., I. Auf dem Weg.

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1987463 wurden bereits oben angeführt. Schlaich erläutert in einem Aufsatz aus dem Jahr 2001 den Begriff „Staatskirchenrecht“ und stellt dort einen neuen Befund fest. Der Begriff Staatskirchenrecht sei „in jüngster Zeit kritisch diskutiert worden“464. In einer Fußnote wird dann auf Hollerbach und zum jüngsten Stand auf Czermak verwiesen. Weiter im Text wird dann ohne Begründung postuliert, dass man aber am herkömmlichen Begriff festhalten solle. Damit revidiert Schlaich seinen Befund von 1987 auf und bringt, wenn auch denkbar knapp, einen eigenen Standpunkt in die Diskussion ein. Diesen geht auch das hier bereits im Rahmen der „Vorgeschichte“ behandelte Lehrbuch von J. Winter aus dem gleichen Jahr465. Direkt zu Beginn erfolgt die Erläuterung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ 466. Dieser sei die „nach wie vor übliche Bezeichnung“. Der Alternativ-Vorschlag „Religionsrecht“ habe sich „bisher nicht durchgesetzt“. An dieser Stelle werden beispielhaft „Urheber“ und Unterstützer von „Religionsrecht“ genannt467. Obwohl im Zitat der Arbeit des Letztgenannten von 1999 bereits im Titel auch von „Religionsverfassungsrecht“ die Rede ist, geht Winter darauf nicht ein. Mit einem direkten Zitat aus der im Folgenden besprochenen Arbeit von Hollerbach begründet Winter aber seine eigene Wahl auch inhaltlich. Damit nimmt nach dem Werk von Jeand’Heur / Korioth ein weiteres aktuelles Lehrbuch zu dem Begriffsstreit nicht nur am Rande Stellung. In seiner Vorlesung „Staatskirchenrecht“ an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen im Wintersemester 2000 / 2001 in Frankfurt a. M. verwendet U. Rhode ausschließlich die Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“. In der Einführung stellt er zur Erklärung des Begriffs jedoch fest: „Der Begriff ist nicht glücklich“468. Einmal habe das Fach nichts mit Staatskirchen zu tun, dann gehe es nicht nur um christliche Kirchen. Die trotzdem erfolgende Übernahme dieser Bezeichnung erklärt Rhode mehr lakonisch als enthusiastisch: „Aber es ist nun einmal der üblicherweise verwendete Begriff“. Damit gehört Rhode zwar zu den Verwendern, aber offenbar nicht zu den Verteidigern des traditionellen Begriffs „Staatskirchenrecht“. Die Aktualität der Begriffsdiskussion im Jahr 2002 zeigt ein knapper Hinweis in einem Text von de Wall, wenn er „die Bedeutung von Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“ für die juristische Ausbildung erläutert469. De Wall verwendet in Bezug 463 464

Siehe oben bei: C., I. Deutschland. Auch zum Folgenden vgl. K. Schlaich, Das Recht der Papstwahl, JuS 2001, S. 320 bei

Fn. 6. Siehe oben bei: A. I. 2. Umfassendes Begriffsschema. Vgl. auch zum Folgenden J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 9. 467 Zitiert werden die Aufsätze von Häberle von 1976 und von Czermak von 1999. 468 Auch zum Folgenden U. Rhode, Vorlesungsskript „Staatskirchenrecht“, 2001, § 1. 469 S. H. de Wall, Zur Reform der Juristenausbildung. Den Grundlagenfächern und dem Kirchenrecht eine Chance!, JuS 2002, S. 207 f. 465 466

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auf Deutschland, wie bereits oben dargelegt470, grundsätzlich diese traditionellen Begriffe. Erst wenn de Wall vom Testfall für die Fähigkeit des Staates spricht, Pluralität und Toleranz zu sichern, verwendet er einmalig „das Staatskirchenrecht oder Religions(verfassungs)recht“. Diese Begriffsdoppelung wird mit einer Fußnote folgenden Inhalts versehen: „Welcher Terminus zu bevorzugen ist, sei hier dahingestellt.“ Die fraglichen Begriffe werden genannt und ihre Diskussionswürdigkeit angezeigt. Auch wenn de Wall selbst grundsätzlich der traditionellen Bezeichnung folgt, sieht er offenbar eine gewisse Berechtigung zur Verwendung der neueren Begriffe. Noch im Jahr zuvor nutzt de Wall in einem Aufsatz in einer theologischen Zeitschrift häufig und ausschließlich „Staatskirchenrecht“ ohne jeden Hinweis auf die Begriffsfrage471. (3) Als Thema einer Arbeit In der Gruppe der die neuen Begriffe ablehnenden Schriften existiert neben dem weiter unten zu behandelnden Aufsatz von Görisch472 nur ein Beitrag, der sich ausschließlich mit der Frage der Fachbezeichnung befasst. Dabei handelt es sich um die Arbeit samt Nachtrag von Hollerbach aus den Jahren 1994 und 1997473, welche hier schon des öfteren zitiert wurde474. Diese stellt die zeitlich erste umfassende Auseinandersetzung mit den Begriffen nach deren Einführung bzw. Weiterführung durch die „Urheber“ dar. Wie schon gezeigt, hat dies eine neue Diskussionsrunde in Gang gebracht475. Dadurch erklärt sich die „große Freude“ von Häberle über diese Untersuchung, die doch ein von seiner Auffassung abweichendes Ergebnis enthält476. Bereits der Untertitel „Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen“ verweist auf die Historie der Terminologie, die auch mit reichlichen Belegen aus der Zeit seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgt wird. Geschildert wird die Erfolgsgeschichte des Begriffs „Staatskirchenrecht“, welcher im Jahr 1868 erstmals in einem Buchtitel Verwendung fand477. Hollerbach weist aber auch darauf hin, dass der Begriff „Religionsrecht“ auch vor der problematischen Verwendung im Dritten Reich zu finden sei. Bereits im Jahr 1894 werde in einem Lehrbuch von W. Kahl Siehe oben bei: 2., b), aa), (2) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union. H. de Wall, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, Theologische Literaturzeitung 126 (2001). 472 Siehe dazu unten bei: b), (1) Umschreibende Formulierungen. 473 A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht? Begriffs- und problemgeschichtliche Notizen, in: FS Schmitz, 1994 und A. Hollerbach, Staatskirchenrecht oder Religionsrecht?, KuR 1997. 474 Siehe dazu vor allem bei: A. Vorgeschichte und C., I., 1., b) Den „Urhebern“ folgende Autoren. 475 Siehe dazu oben bei: C., I., 1., b), (1) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit. 476 P. Häberle, Alexander Hollerbach – 65 Jahre, KuR 1996, S. 117 = 980 , S. 43. 477 A. Hollerbach, a. a. O., S. 871. 470 471

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das „Kirchenrecht“ vom „jüdischen Kultusrecht“ und vom „heidnischen Religionsrecht“ unterschieden. Zudem sei „Religionsrecht“ der Oberbegriff für „Religionsverfassungen“ aller Art478. Nach weiteren Erläuterungen zur Begriffsgeschichte in der Bundesrepublik mitsamt den hier untersuchten Vorschlägen und deren Resonanz fragt Hollerbach nach der letztlich angemessenen Bezeichnung479. Er sieht keine prinzipiellen Bedenken gegen die Einführung von „Religionsrecht“, sofern dieser Begriff nicht mit einer kämpferischen Note versehen sei. „Staatskirchenrecht“ habe aber „den großen Vorzug, die konkrete geschichtliche Herkunft dieser Rechtsmaterie bewusst zu machen und darauf hinzuweisen, dass nach wie vor das Verhältnis zu den Kirchen im Vordergrund steht“. Der Begriff pflege die Verbindung mit den Nachbarländern Österreich und der Schweiz480 und verdiene es angesichts der dahinter stehenden spezifischen Ausgleichslösung, in das europäische Konzert eingebracht zu werden. Insofern sei er ein Markenzeichen und ein Hinweis auf ein Stück deutscher Identität481. (4) Ergebnis Auch Anhänger der Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ bemängeln deren begriffslogische Defizite. Diese begründeten einen permanenten Erklärungsbedarf. Die neu belebte Begriffsdiskussion hat somit jedenfalls teilweise dazu geführt, sich der Inhalte und des Umfangs von „Staatskirchenrecht“ erneut bewusst zu werden, und den Wunsch genährt, nach außen Bewusstsein zu schaffen. Das zeigt die große Zahl junger wie „gestandener“ Autoren, die sich mit der Begriffsfrage beschäftigen. Eine radikale Ablehnung findet sich bei diesen Autoren nicht, eher eine ausgewogene Argumentation. Dabei werden die neuen Begriffe teilweise wohlwollend behandelt, teilweise „nur“ ins Gespräch gebracht. Das Standardargument für die Ablehnung eines Begriffswechsels bildet die besondere historische Prägung der deutschen Rechtslage, die der Begriff „Staatskirchenrecht“ bereits im Wortlaut anzeige482. Damit verknüpft ist auch das genannte Argument des Markenzeichens483.

A. a. O., S. 872. Auch zum weiterhin Folgenden, a. a. O., S. 886 f. 480 Bereits hier sei der Hinweis erlaubt, dass zwei der vier von Hollerbach in Fußnote 79 genannten Autoren dieser Länder mehr oder weniger aus praktischen Gründen für die Beibehaltung des Begriffs Staatskirchenrecht votieren und teilweise auch „Religions(verfassungs)recht“ verwenden. Siehe dazu ausführlich unten bei: II. Österreich und III. Die Schweiz. 481 Zu diesem Argument ausführlich unten bei: IV., 2. „Staatskirchenrecht auf dem Weg zum internationalen Markenzeichen? Siehe auch oben bei: 2. b) Alternative Verwendung im internationalen Zusammenhang . 482 Zu diesem Argument siehe unten bei D., I., 2. Die deutsche Geschichte. 483 Zu diesem Argument siehe unten bei IV., 2. „Staatskirchenrecht“ auf dem Weg zum internationalen Markenzeichen? 478 479

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b) Weitere Alternativen zu „Staatskirchenrecht“ – diese bereits hier mit Stellungnahme aa) Umschreibende Formulierungen Hier sollen schon früh verwandte, teilweise recht allgemeine Formulierungen genannt sein, die gelegentlich Verwendung finden. Das Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften wird auch bezeichnet als „Staat-KircheRecht“, „Staats-Kirchen-Recht“, „Staat-Kirche-Verhältnis“, „Staat-Kirche-Modell“ oder „Staat-Kirche-System“ 484. Beispielhaft seien hier neben dem Hinweis auf die unten behandelte, mehr gemischte schweizerische Literatur zwei Aufsätze von H. Marré und einer von H. Lecheler untersucht. Marré spricht zwar mehr als gelegentlich von „Staatskirchenrecht“ 485. Grundsätzlich nutzt er jedoch eine der alternativen Varianten. Diesen ist aber die Fixierung auf die Kirchen entgegenzuhalten. Im Zusammenhang mit dem Thema des Aufsatzes über die Kirchensteuer erscheint eine solche Beschränkung zwar verständlich. Sie ist aber dennoch wegen des Angebotscharakters für alle Religionsgemeinschaften zu eng gefasst. Ferner mangelt es den Varianten insgesamt an Klarheit. Das „Staat-Kirche-Verhältnis“ kann dem Wortlaut nach sehr weit gehen und ist nur aus dem jeweiligen Kontext heraus als Rechtsverhältnis erkennbar. Das entsprechende „Modell“ oder „System“ betrifft wohl hingegen stark eingeschränkt nur Prinzipien, wie das Kooperationsmodell. Alle Varianten sind demnach als allgemeine Fachbezeichnung untauglich. Dieses Ergebnis wird von Marré inhaltlich gestützt, wenn er „Religionsrecht“ nicht nur im Titel seines Aufsatzes gebraucht486. Eine vielleicht singuläre Verwendung einer umschreibenden Formulierung findet sich bei Lecheler487. Dieser „reformiert“ den Begriff „Staatskirchenrecht“ durch zwei eingefügte Gedankenstriche und die Großschreibung der beiden hinteren Wortbestandteile zum „Staats-Kirchen-Recht“ 488. Damit werden auch hier aus dem Wortteil „Staatskirche“ die eigentlich gemeinten Akteure herausgearbeitet. Von Nachteil sind jedoch die mangelnde Erkennbarkeit dieser Aufspaltung im mündlichen Sprachgebrauch und bei allen hier genannten Umschreibungen die sprachlich schwierige Umformung des Substantivs zum Adjektiv. Lecheler verVgl. auch die Angaben oben bei: A., I. Einordnung des Begriffs „Staatskirchenrecht“. H. Marré, Das Staat-Kirche-Verhältnis und die Kirchenfinanzierung, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Die Kirchen und die deutsche Einheit, 1991, S. 149 f.; H. Marré, Das staatliche Religionsrecht in Deutschland, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 99, 103, 105, 107 – 110. 486 H. Marré, Das staatliche Religionsrecht in Deutschland, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 99, 102, 104, 110 f. 487 H. Lecheler, Die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen als Herausforderung an das deutsche staats-kirchen-rechtliche System, in: FS Listl, 1999. 488 A. a. O., S. 143. 484 485

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wendet diese Variante sogar im Titel „[ . . . ] Herausforderung an das deutsche staats-kirchen-rechtliche System“ konsequent. Dies bereitet optische Schwierigkeiten489. Für die Konsequenz, mit der Lecheler vorgeht, steht das offenbar versehentlich seinem System angepasste und darum fehlerhafte Zitat in einer Fußnote, wo er auf das „Handbuch des Staat-Kirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland“ hinweist490. Lecheler nutzt die Urfassung des von ihm abgewandelten Begriffs nur einmal in einem Zitat, wenn er Art. 137 III Satz 1 WRV als „lex regia des Staatskirchenrechts“ bezeichnet 491. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass schon frühzeitig und auch heute noch vereinzelt umschreibende Formulierungen für die hier untersuchte Fachbezeichnung auftreten. Die Dominanz des Begriffs „Staatskirchenrecht“ in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird dadurch nicht gebrochen. Es gab und gibt jedoch immer wieder Autoren, die ihre offensichtliche Unzufriedenheit mit dem Begriff durch eine nur leicht abgewandelte, aber inhaltlich die „Staatskirche“ vermeidende Variante kundtun. Keine der Wortbildungen konnte sich bis heute eine eigene Anhängerschaft sichern, was nur ein Indiz für Mängel der Begriffe ist. Tatsächlich leiden die genannten Schöpfungen zumeist an einer additiven Beziehungslosigkeit der zusammengesetzten Wörter sowie an einer aus der Art der Zusammensetzung folgenden praktischen Unbrauchbarkeit. bb) „Staatliches Religionsrecht“ Einer selbständigen Untersuchung bedarf der Aufsatz von Görisch aus dem Jahr 2001, der, wie der Titel „ ,Staatskirchenrecht‘ am Ende?“ bereits andeutet, ausschließlich die Frage der Begrifflichkeiten behandelt492. Dieser Beitrag versteht sich zugleich als Stellungnahme zu dem bereits oben besprochenen von Czermak aus dem Jahr 1999493. Zwar nähert sich der Autor trotz aller Zweifel dem, wie er nachweist, „keineswegs neuen“ Begriffspaar „staatliches Religionsrecht“494 an. Er geht jedoch durch Ausblendung der Prägung von „Religionsrecht“ durch Mikat495 einen eigenständigen Weg. Zunächst untersucht Görisch den seiner Ansicht nach „zunächst in vielerlei Hinsicht missverständlich“ wirkenden Begriff „Staatskirchenrecht“ 496. Diese Missverständnisse seien zu einem Großteil durch eingehendere Betrachtung auszuräumen, was Görisch anhand von vier Beispielen aufzeigen will: 489 490 491 492 493 494 495 496

Vgl. auch die zweimalige adjektivische Verwendung a. a. O., S. 146. A. a. O., S. 143, Fn. 2. A. a. O., S. 144 bei Fn. 7. C. Görisch, „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001. S. a. a. O., S. 885, Sternfußnote. A. a. O., S. 888 bei Fn. 42. Vgl. dazu oben bei: B., IV. Reaktionen. Auch zum Folgenden a. a. O., S. 887 f.

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Einmal sei dem Begriff „Staatskirchenrecht“ keineswegs zwingend der Sinn „Recht der Staatskirche“ zu entnehmen. Die Wortverbindung könne genauso gut als Staat-Kirche-Recht aufgefasst werden. Die kategorische Feststellung in Art. 137 Abs. 1 WRV gebiete dieses Wortverständnis. Hier übersieht Görisch den prägenden Eindruck auf den unbefangenen Betrachter497. Dieser wird zunächst nur die erstgenannte Interpretation sehen können, denn der sprachliche Weg vom „Staatskirchenrecht“ zum „Staat-Kirche-Recht“ ist weit und erst nach inhaltlicher Aufklärung zu bewältigen. „Staatskirchenrecht“ bleibt eine in die Irre weisende Bezeichnung. Sodann untersucht Görisch die Überholtheit koordinationsrechtlicher Vorstellungen, die an den herkömmlichen Begriff anknüpfen, und die Einbeziehung der individualrechtlichen Komponente. Das erste der vier genannten Missverständnisse dürfte heute tatsächlich selten auftreten, setzt es doch besondere Kenntnisse einer heute nicht mehr vertretenen Theorie voraus. Kritischer ist das zweitgenannte zu sehen. Tatsächlich bezeichnet „Staatskirchenrecht“ lediglich die korporative Seite der Religionsfreiheit. Mit „Religions(verfassungs)recht“ ist bereits ohne den von Görisch genannten Umweg über Art. 19 Abs. 3 GG in der Bezeichnung selbst der diesem Rechtsgebiet zugrunde liegende Begriff genannt: Religion. Ähnlich verhält es sich mit dem letzten von Görisch als nicht gravierend eingestuften Missverständnis. „Staatskirchenrecht“ scheint nicht kirchlich verfasste Religionsgemeinschaften zu exkludieren. Zu diesem Argument soll später umfassend Stellung genommen werden498. Eine Ersetzung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ könnte nach Görisch nur durch das Begriffspaar „staatliches Religionsrecht“ erfolgen. „Religionsverfassungsrecht“ erzeuge tatsächlich zwei Missverständnisse. Einmal handele es sich nicht nur um Verfassungsrecht, womit die Gefahr der Verwechslung mit kirchlichem Verfassungsrecht bestünde. Dieses Argument erscheint nicht stichhaltig, da „Kirchenverfassungsrecht“ kein allgemein verwendeter Begriff ist und kirchliches Verfassungsrecht nur dem Fachkundigen bekannt ist. „Religionsverfassungsrecht“ deutet in seiner Allgemeinheit gar nicht auf die Kirchen hin. Die angeblich fehlende Trennschärfe von „Religionsverfassungsrecht“ in Bezug auf andere Rechtsgebiete sowie Vor- und Nachteile des Begriffspaars „staatliches Religionsrecht“ werden weiter unten diskutiert499. cc) Aktuelle Alternativvorschläge Hier werden zwei Vorschläge vorgestellt, die von Kritikern des gegenwärtigen Staat-Kirche Modells stammen. So verwundert es nicht, dass in diesen Fällen der Begriffswechsel einem Paradigmenwechsel nur vorausgehen soll. Dazu allgemein oben bei: A., II. Bezeichnung eines Rechtsgebiets. Vgl. dazu unten bei: E., I., 2. Die deutsche Geschichte. 499 Vgl. dazu unten bei: E. II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne bzw. IV. Systematisierungsvorschlag. 497 498

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(1) „Religionsbezogenes Verfassungsrecht“ In der vierten Auflage seiner Schrift „Trennung von Staat und Kirche“ von 1993 führt E. Fischer erstmals den Begriff „religionsbezogenes Verfassungsrecht“ ein500. Die bereits im neuen Titel „Volkskirche ade!“ angedeutete veränderte Konzeption habe ihn zu dem Begriffswechsel veranlasst. Zur Kritik an „Staatskirchenrecht“ verweist Fischer ohne Quellenangabe auf H. Quaritsch, der von dessen Problematik im Allgemeinen wie seiner juristischen Ungenauigkeit im besonderen gesprochen habe501. Der neue Begriff ähnelt stark dem des „Religionsverfassungsrechts“, enthält jedoch den m.E. hier überflüssigen Wortteil „bezogenes“. Dieser erschwert ohne Gewinn den Gebrauch der Fachbezeichnung. Einmal gerät sie besonders lang, zum anderen ist auch die Einordnung nach dem Anfangsbuchstaben in einem Verzeichnis unklar (unter R oder V). Auch „medienbezogenes Recht“ wird prägnanter als „Medienrecht“ bezeichnet. (2) „Bekenntnisrecht“ / „Bekenntnisverfassungsrecht“ In einem Beitrag von 1993 gebraucht L. Renck grundsätzlich die traditionelle Fachbezeichnung502. Nur einmal findet sich ohne nähere Erklärung „Religionsrecht“503. Noch ein Jahr später befasst er sich lediglich mit dem „Staatskirchenrecht“, der „staatskirchenrechtlichen Situation“ und „staatskirchenrechtlichen Vorstellungen“504. Wieder zwei Jahre später sieht er dieses Rechtsgebiet, mit dem er seinen Beitrag „Probleme des Thüringer Staatskirchenrechts“ betitelt, als „Ausschnitt des Religionsrechts“505. Damit folgt er nunmehr offensichtlich Mikat. Nochmals drei Jahre später werden ohne besondere Begründung oder Abgrenzung zwei neue Begriffe geprägt: „Bekenntnisrecht“ und „Bekenntnisverfassungsrecht“. Es bleibt unklar, ob diese Synonyme sind oder jeweils eigenständigen Inhalt haben506. Renck stellt fest, dass „das Bekenntnisrecht [ . . . ] über das Religionsrecht alten Stils, das klassische Staatskirchenrecht hinaus gewachsen“ sei507. Damit rückt er wieder von Mikats Einteilung ab. Als Begründung führt er in diesem ZuE. Fischer, Volkskirche ade! Trennung von Staat und Kirche, 1993, S. 14, 46, 98. Zum Quaritsch siehe oben bei: B., II., 2. Das Grundgesetz von 1949. 502 L. Renck, Bestandsschutz für kirchliche Feiertage, NVwZ 1993, S. 649 (viermal), 650 (einmal). 503 A. a. O., S. 648. 504 L. Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, DÖV 1994, S. 27, 28, 29. 505 L. Renck, Probleme des Thüringer Staatskirchenrechts, ThürVBl. 1996, S. 73. 506 Vgl. die unorthodoxe Verwendung in: L. Renck, Zum Stand des Bekenntnisverfassungsrechts in der Bundesrepublik, BayVBl. 1999, Titel und S. 70; L. Renck, Bekenntnisrecht im wiedervereinigten Deutschland, ZRP 1999, Titel und S. 323; L. Renck, Nochmals. Zum Stand des „Staatskirchenrechts“ in Deutschland, 2000, S. 744. 507 L. Renck, Nochmals. Zum Stand des „Staatskirchenrechts“ in Deutschland, 2000, S. 744. 500 501

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sammenhang nur an, dass „Staatskirchenrecht“ keine Vokabel des Grundgesetzes sei; wenn sie bei nachgewiesenem Bedarf zurechtgerückt werde, bedeute das nicht, an der Verfassung zu rütteln508. Tatsächlich kann sich Renck auf Art. 4 Abs. 1 a. E. und 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 7 WRV stützen, die das weltanschauliche Bekenntnis wie deren Gemeinschaft dem religiösen gleichsetzen509. Dies ist wohl auch der Hintergrund für Kästners einmaligen Hinweis auf die „religions- bzw. weltanschauungsrechtlichen Verfassungsbestimmungen“510. Zu Recht weist Görisch jedoch darauf hin, dass auch im Grundgesetz ein durchgängiger Gebrauch dieses Begriffs nicht vorkommt, sondern der genannte Artikel insoweit „nur“ eine Gleichstellungsklausel enthält511. Es ist darüber hinaus kein Bedarf ersichtlich, nach „Staatskirchenrecht“ zum allgemeinsten Begriff überzugehen. Bei den derzeit existierenden Weltanschauungsgemeinschaften handelt es sich einmal um kleinste Einheiten, die auch nicht merklich anwachsen512. Schließlich umfasst die weitergehende Religionsfreiheit immer auch die weltanschauliche Bekenntnisfreiheit. Wenn der Staat den Bezug zu einer transzendenten Größe freistellt, dann gilt dies im religiös neutralen Staat a maiore ad minus auch für eine „bloße“ Weltanschauung ohne eine solche. Die Gleichstellung soll nur vermeiden, dass staatliche Stellen ein Urteil darüber fällen, ob eine Vereinigung religiös ist oder nicht513. Demnach ist der Begriff „Bekenntnisrecht“ abzulehnen514. Ebd. So argumentiert Renck lediglich für die Einführung der Vokabel „Bekenntnisunterricht“ anstelle des angeblich zu engen „Religionsunterricht“, dies aber schon 1994, vgl. L. Renck, Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, DÖV 1994, S. 29. 510 K.-H. Kästner, „Säkulare Staatlichkeit und religionsrechtliche Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, ZevKR 34 (1989), S. 271. Zu diesem Autor siehe ansonsten unter: I., 1., b) Ihnen folgende Autoren. – Gegen die Einführung des Begriffs „Religions- und Weltanschauungsrecht“ bringt G. Czermak zu Recht Praktikabilitätsgründe vor, ders., „Religions(verfassungs)recht“ oder „Staatskirchenrecht“?, NVwZ 1999, S. 744. 511 C. Görisch, „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001, S. 888. 512 Einzig von gewisser Relevanz, insbesondere in Berlin, ist der Humanistische Verband Deutschlands. Dieser wurde 1993 gegründet, als verschiedene Freidenker- und freigeistige Verbände sich zu einer bundesweiten Interessenvertretung Konfessionsloser zusammenschlossen. Nach eigener Aussage ist er „parteipolitisch neutral. Seine Mitglieder eint eine selbstbestimmte, nicht-religiöse, ethisch begründete Lebensauffassung“ vgl.: http: //humanis mus.de/ unter „Wir über uns“, abgerufen am 08. 06. 2001. Ein Beispiel der praktischen Durchsetzung der rechtlichen Gleichstellung dieses Verbands mit Religionsgemeinschaften in der Verfassung findet sich im Urteil des BFH v. 23. 09.1999, BFHE 190, S. 278 ff. Dort wird der „religiöse Zweck“ aus § 10 b Abs. 1 Satz 1 Einkommensteuergesetz auch auf Weltanschauungsgemeinschaften angewandt, S. 284 f. 513 A. v. Campenhausen, Kommentierung von Art. 140 und 141 GG, in: Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Band 3, 2001, Art. 137 WRV, Rz. 299. 514 Dieser Auffassung ist auch G. Czermak, „Religions(verfassungs)recht“ oder „Staatskirchenrecht“?, NVwZ 1999, S. 744, insb. Fn. 13: Der Begriff habe keine Tradition, sondern umfasse heute lediglich einen Sonderfall der Meinungsfreiheit, das Verkünden einer religiösen Überzeugung. 508 509

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c) Exkurs I – Rundfunkrecht Als Exkurs soll noch auf eine bereits vollzogene Begriffsveränderung im Rundfunkrecht hingewiesen werden. Im Sinne einer pluralen Erweiterung ist nicht mehr von „Parteien- und Kirchensendungen“ die Rede. Diese Formulierung verwendet ausgerechnet der begriffskritische Autor Renck noch im Jahr 2000515. Entweder will dieser bewusst an die alte Bezeichnung erinnern oder die Veränderung in der Fachliteratur ist noch nicht von ihm erkannt worden. Allgemein verbreitet ist nach M. Stock nunmehr der neutrale Begriff der „Sendezeit für Dritte“, worunter auch die „religiösen Sendungen“ fallen516. Stock erscheint als glaubwürdiger Zeuge, denn er selbst nutzt die Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“, obwohl es sich in seinem auf die zunehmende Religionsvielfalt Bezug nehmenden Aufsatz angeboten hätte, einen anderen Begriff einzuführen517.

d) Exkurs II – Internationales Privatrecht Ein dem „Religionsrecht“ vergleichbarer Sachverhalt ist speziell im Internationalen Privat- wie Zivilprozessrecht üblicherweise mit der Bezeichnung „religiöses Recht“ angesprochen518. Dieses wird immer dann zum Problem, wenn der deutsche Staat als Forumsstaat nach den maßgeblichen deutschen Kollisionsnormen ausländisches Recht anzuwenden hat, welches selbst religiösen Inhalt hat519. „Religiöses Recht“ meint Normen aus unterschiedlichen Rechtsgebieten eines Staates, deren Geltung nicht primär aus der Rechtssetzungsmacht eines staatlichen Gesetzgebers, sondern aus Geboten und Verboten einer Religionsgemeinschaft hergeleitet wird520. Zu nennen ist vor allem das Ehe- und Familienrecht, z. B. in Indien, Israel oder islamischen Staaten521. Die Frage einer Ersetzung des hier üblichen Begriffs durch „Religionsrecht“ wird in der Stellungnahme erörtert522. 515 L. Renck, Bekenntnisverfassungsrecht und kirchliches Drittsendungsrecht, NVwZ 2000, passim. 516 M. Stock, Viele Religionen im Rundfunk? „Religiöse Sendungen“ – gestern, heute und morgen, ZevKR 45 (2000), S. 381. 517 Verwendung von „Staatskirchenrecht“, a. a. O., S. 385, 388, 392. 518 Selten auch außerhalb des Internationalen Privatrechts verwandt wie z. B. bei H. Lübbe, Zivilreligion und der „Kruzifix-Bschluß“, in: Brugger / Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998, S. 243. 519 BGH, NJW 1980, 1221 f.; C. A. Stumpf, Religiöse Normen im internationalen Privatund Zivilprozeßrecht, ZRP 1999, S. 205. Zum Beispiel die Anerkennung einer Privatscheidung nach jüdischem Recht in Deutschland: OLG Düsseldorf FamRZ 1974, S. 528 = KirchE 14, S. 68. 520 K. Wähler, Interreligiöses Kollisionsrecht im Bereich privatrechtlicher Rechtsbeziehungen, 1978, S. 4. 521 Vgl. die Analyse durch K. Wähler, a. a. O. 522 Siehe bei: 7. Rechtsprechung und D., II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne.

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4. Sammelnachweise von Literatur Für die Auswahl eines Buchtitels durch den Autor gibt es neben inhaltlichen auch praktische Gründe. Die Bezeichnung von Schriftenreihen durch Verlage (a) ist ebenso wie das Einordnungsschema von Bibliographien (b) ein Kriterium. Beide geben ein Schema vor, an dem sich Autoren gerne orientieren, denn es erleichtert das Auffinden ihres Werkes und erleichtert somit dessen Verbreitung in der (Fach-)Öffentlichkeit. Da diese Fundhilfen von Literatur selten Gegenstand von Untersuchungen, aber sehr ergiebig sind, wird hier ausnahmsweise der Zeitraum der Untersuchung auf den der Existenz der Bundesrepublik ausgeweitet. Zusätzlich sollen die Gliederungsebenen aktueller Verlagsprogramme von drei in diesem Themenbereich ausgewiesenen Verlagen nach den hier zu diskutierenden Begriffen durchforstet werden (c).

a) Schriftenreihen Noch im Jahr 1965 wird auf den Mangel eines Sachzusammenhangs bei der Veröffentlichung von Schriften zum hier behandelten Thema hingewiesen523. Wissenschaftliche Arbeiten seien von verschiedensten Stellen herausgegeben und in bunter Folge im Rahmen unterschiedlicher juristischer Fachgebiete erschienen. Selbst wertvolle Arbeiten blieben auch in Fachkreisen leicht unbeachtet524. Die Veröffentlichung in einer Schriftenreihe wird in der Regel zu größerer Publizität eines Werkes führen, nämlich einmal durch die vorgeschaltete Aufnahme durch den oder die (meist namhaften) Herausgeber als Gütesiegel, dann durch die interessierte Leserschaft selbst, die sicher häufig die aktuelle Entwicklung einer Schriftenreihe verfolgt525. Auch die Werbung der Verlage ist thematisch gebündelt sicher erfolgreicher als die Werbung für ein einzelnes Buch eines unbekannten Autors. Von besonderer Bedeutung für die angestrebte Außenwirkung ist neben den Herausgebern sicher der Titel einer Schriftenreihe. Im Folgenden werden drei Schriftenreihen zur Thematik Recht und Religion daraufhin untersucht, ob sie auf die neuen Begriffe reagiert haben.

523 Vgl. auch zum Folgenden die ausführliche Darlegung des Gründungszwecks der Reihe „Jus Ecclesiasticum“ im Vorwort der Herausgeber des ersten Bandes: S. Grundmann / M. Heckel / K. Obermayer / G.-A. Vischer / R. Weeber, Vorwort, in: D. Pirson, Universalität und Partikularität der Kirche, Jus Ecclesiasticum, Band I, 1965, S. 5 f. 524 Ebd. 525 Die soeben genannten Herausgeber schreiben dazu ebd.: „Erfahrungsgemäß tragen sich in einer solchen Reihe die einzelnen Bände auch gegenseitig, während sie als isolierte Einzelerscheinungen in der Flut des Schrifttums untergehen.“

7 Kupke

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aa) Jus Ecclesiasticum Begründet im Jahr 1965, erschienen die ersten 20 Bände der Reihe „Jus Ecclesiasticum“ mit Beiträgen „zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht“ im Claudius-Verlag. Im September 1974 wurde die Reihe von dem traditionsreichen juristischen und theologischen Wissenschaftsverlag J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) übernommen526. Unter der Herausgeberschaft namhafter Wissenschaftler und Kirchenjuristen527 sind bis zum Jahr 2000 insgesamt 64 Bände erschienen528. Der Titel der Reihe ist ebenso Zeugnis der damals vorhandenen Dominanz des Begriffs „Staatskirchenrecht“ wie ein Beleg für seine Funktion als „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne und für die Bekanntheit und Gebräuchlichkeit dieses Begriffs in den Sechziger Jahren. bb) Staatskirchenrechtliche Abhandlungen Sechs Jahre später beginnt im (West-)Berliner Verlag Duncker & Humblot die Herausgabe der Reihe der „Staatskirchenrechtlichen Abhandlungen“. Auch diese wird von namhaften Herausgebern betreut529. Seit dem ersten Band von 1971 sind bis zum Jahr 2001 insgesamt 35 Beiträge unterschiedlichster Art zum Thema versammelt worden. Auch hier zeugt die bis heute beibehaltene Begriffswahl im Titel von der Dominanz von „Staatskirchenrecht“. cc) Adnotationes in Ius Canonicum und Schriften zum Staatskirchenrecht Der erst seit 1971 bestehende Peter Lang Verlag in Frankfurt bringt seit 1995 eine Buchreihe mit Beiträgen zum kanonischen Recht heraus, die „Adnotationes in Ius Canonicum“530. Dieser Begriff wird offenbar sehr weit gefasst, denn unter den 22 bis zum Jahr 2000 erschienenen Bänden finden sich vier, die „staatskirchenrechtliche“ Themen behandeln531. Diese haben jedoch gemeinsam, dass sie sich 526 Äußerer Anlass war der Wechsel des Herausgebers Prof. Heckel nach Tübingen, so die Auskunft des Verlags Mohr Siebeck, Dr. F.-P. Gillig, auf die Anfrage des Verfassers vom 10. September 2001. 527 Die ursprünglichen Herausgeber wurden bereits oben genannt. Im Jahr 2000 sind es A. v. Campenhausen, M. Daur, M. Heckel, C. Link, K. Schlaich und G. Tröger. 528 Band 64 enthält die Dissertation von G. Klostermann, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, 2000. 529 Ursprünglich waren dies E. Friesenhahn, A. Hollerbach, H. Maier, P. Mikat, K. Mörsdorf und U. Scheuner. Im Jahr 2000 sind es nach den Angaben aus Band 35 nunmehr A. Hollerbach, J. Isensee, J. Listl, dessen Dissertation 1971 die Reihe eröffnete, W. Loschelder, H. Maier, P. Mikat und W. Rüfner. 530 Herausgeber sind E. Güthoff und K.-H. Selge. 531 Einer davon ist der im Jahr 2001 erschienene Band 18, welcher die oben bereits untersuchte Dissertation von S. Korta über den katholischen Kirchenvertrag in Sachsen beinhaltet. Die Bände 8 und 17 enthalten den Begriff bereits im Titel. Der Vierte im Bund ist Band 9.

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mit ihrem Thema aus der Sicht der Katholischen Kirche und unter ständiger Beachtung des katholischen Kirchenrechts befassen532. Ein direktes Pendant aus evangelischer Sicht bietet der Verlag nicht. Jedoch wird das Rechtsverhältnis von Religionsgemeinschaften und Staat seit dem Jahr 2000 in einer eigenen Schriftenreihe behandelt, den „Schriften zum Staatskirchenrecht“, herausgegeben von v. Campenhausen und Link533. Die Wahl des Titels der Reihe erstaunt nicht, wenn man bedenkt, dass die Herausgeber dabei mitentscheidend sind. Hier gehören beide, wie oben festgestellt, zu den ausschließlichen Verwendern von „Staatskirchenrecht“534. Bemerkenswert ist allerdings die Tatsache, dass kurz vor der Jahrhundertwende gleich zwei Reihen zum Thema Recht und Religion neu aufgelegt werden und Zuspruch finden. Offenbar besteht zur Zeit ein Bedürfnis zur Behandlung der Thematik wie nach einem geeigneten Veröffentlichungsrahmen für entstandene Arbeiten. Auch dies nährt die Annahme, dass die Problematik der Behandlung der Religionsgemeinschaften im Staat in Zukunft eher an Aktualität gewinnt als verliert. Die (Unter-)Titel der drei deutschen Schriftenreihen zum Rechtsverhältnis von Staat und Kirche verwenden alle den herkömmlichen Begriff „Staatskirchenrecht“. Dies ist nicht allein mit der Entstehungszeit zu begründen, da eine der drei erst im Jahr 2000 eingeführt wurde. Neben dem zu vermutenden Willen der (entscheidenden) Mehrheit der Herausgeber zur Beibehaltung dieser Bezeichnung ist auf eine weitere Schwierigkeit bei der Änderung der Bezeichnung einer Buchreihe hinzuweisen. Ein einzelner Autor kann seinen Sprachgebrauch relativ problemlos ändern, solange er im Titel eine bekannte und eindeutige Bezeichnung wählt. Eine Schriftenreihe hingegen wird abgesehen von den Auswahlkriterien besonders durch den Titel definiert. Dieser wird also tunlichst einem allgemeinen und dauerhaften Sprachgebrauch folgen. Sprachexperimente sind innerhalb, nicht mit einer Schriftenreihe möglich. Um so bemerkenswerter ist die Änderung des Titels je einer klassischen Schriftenreihe in Österreich und der Schweiz535.

532 Vgl. S. Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 63 ff. Hier werden getrennt die „staatskirchenrechtlichen“ und die „kirchenrechtlichen Grundlagen“ für Kirchenverträge behandelt. Vgl. auch die Einleitung zum Kommentarteil, a. a. O., S. 78. 533 Der Mitherausgeber Link ist gleichzeitig Autor des ersten Bandes, vgl. C. Link, Staat und Kirche in der neueren deutschen Geschichte, 2000. Bis zum Jahr 2001 sind vier Bände erschienen. 534 Siehe oben bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 535 Siehe dazu ausführlich unten bei: II., 2., c) Eine Zeitschrift zum Thema seit 1999 und III., 2. Literaturschau.

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b) Bibliographien aa) Karlsruher Juristische Bibliographie (KJB) Besonders schnelle, dafür auch sehr knappe Informationen über Neuerscheinungen liefert die im Verlag C. H. Beck seit 1965 erscheinende KJB536. Systematisch in 17 Sachgebiete537 unterteilt werden neu erschienene Bücher und Aufsätze durchnummeriert und monatlich in einem Heft veröffentlicht, dem nach Abschluss des Jahrgangs ein Gesamt-Verfasserregister sowie ein Jahres-Sachregister folgen538. Die KJB bietet zugleich die Grundlage für die Bücher- und Zeitschriftenschau der NJW. Die Herausgeber sind Bibliothekare am Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof, deren „weitgespannte Aufgabenbereiche“ die thematischen Schwerpunkte setzen539. Die Gliederung folgt denn auch nicht einem systematischen Zusammenhang (wie z. B. Verfassungsrecht / Verwaltungsrecht)540. Gänzlich an der (gerichtlichen wie anwaltlichen) Praxis orientiert, werden die Einheiten nach bestimmten Handlungsfeldern unterteilt, deren neuestes „Rechtsinformatik und juristische Informationswissenschaft“ (Nr. 17) umfasst. Eine Stelle davor wird seit 1965 gleichbleibend in fünf Abschnitten über das „Kirchenrecht“ berichtet. Nach dem üblichen ersten Punkt „1. Allgemeines“ folgen „2. Katholisches Kirchenrecht“, „3. Evangelisches Kirchenrecht“, „4. Andere Religionsgemeinschaften“ und „5. Kirche und Staat“. Der letztgenannte Punkt ersetzt offensichtlich bis heute „Staatskirchenrecht“, was angesichts der Dominanz dieses Begriffs im Jahre 1965, als die KJB begründet wurde, überrascht. Vielleicht bestanden und bestehen Zweifel darüber, ob die Leserschaft ohne hinreichende Vertrautheit mit diesem Spezialfach einen Überblick über dessen Gegenstand hat. Umgekehrt überrascht auch die Verwendung von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne als Gesamttitel. Diese Verwendungsart des Begriffs ist heutzutage in der Literatur beinahe ausgestorben541 und höchstwahrscheinlich auch in der Praxis nicht mehr gebräuchlich. Weder wird das von Mikat vorgeschlagene „Religionsrecht“ aufgegriffen, noch eine eigene Formulierung gewählt, die auch den nichtkirchlichen Religionsgemeinschaften Rechnung trägt. Insbesondere könnte man von einer an der Praxis orientierten Sammlung eine allgemeine Verständlichkeit sowie Aufnahme von aktuellen Themen erwarten. Die Zahl der Gerichtsverfahren, bei denen eine Partei eine nichtkirchliche Religions536 Zur noch heute gültigen Gesamtkonzeption die damaligen Herausgeber H. Kirchner / J. Mackert / F. Schneider, Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.), Karlsruher Juristische Bibliographie, 1965, S. V f. 537 Als Annex wird in einem 18. Teil über Veröffentlichungen zur Zeitgeschichte berichtet. Die aktuellen Angaben beziehen sich auf die KJB 2000. 538 Vgl. die Vorbemerkung in KJB 2000, S. VII. 539 Ebd. 540 Vgl. zum Folgenden die Gliederung in KJB 2000, S. XI f. 541 Siehe dazu oben bei: A., I. Einordnung des Begriffs „Staatskirchenrecht“.

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gemeinschaft ist, hat sich im letzten Jahrzehnt enorm erhöht542. Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass einer der Gründungsherausgeber, H Kirchner, weiterhin und in hervorgehobener Stellung tätig ist543 und der Gestaltung der Bibliographie seinen Stempel aufdrückt. Die offizielle englische Übersetzung der Gliederungseinheiten der KJB wird unten im Blick auf den fremdsprachlichen Begriffsgebrauch untersucht544.

bb) Fundheft für Öffentliches Recht Das Fundheft erscheint bereits seit 1946 und ist damit 19 Jahre älter als die KJB545. Beide stammen aus dem gleichen Verlagshaus und zu Beginn war es das Fundheft, das mit der NJW auch im Titel verknüpft war546. Die Bezeichnung als „Fundheft“ und der Untertitel deuten bereits an, dass die Sammlung inhaltlich mehr verarbeitet als eine Bibliographie. Tatsächlich werden im Jahr 2000 mehr als 100 Zeitschriften und Entscheidungssammlungen auch im Hinblick auf die Rechtsprechung ausgewertet547. Neben der Einordnung in eine selbst geprägte Systematik enthält das Fundheft hilfreiche Ergänzungen wie Autorenregister, Entscheidungsregister, Sachverzeichnis und die Hinweise auf erfolgte Besprechungen. Dies erklärt den gegenüber der KJB späten Erscheinungstermin in einem Gesamtband gegen Ende des auf den Berichtszeitraum folgenden Jahres. Die Erfassung des Phänomens Religion hat im Fundheft eine wechselvolle Geschichte erlebt. Bis zum Berichtsjahr 1951 enthielt der 1. (Grundlagen-)Teil keine Position, die explizit dieses Thema ansprach. In der Vorbemerkung des Bandes für das Jahr 1952 gibt der langjährige Alleinherausgeber O. Strößenreuther unter anderem die Einführung eines neuen Abschnitts „Recht der öffentlichen Körperschaften, Anstalten und Sondervermögen“ bekannt548. Dort findet sich neben dem „Bundesbahnrecht“ und dem „Bundespostrecht“ auch ein zunächst nicht weiter untergliederter Titel „Kirchenrecht“. Damit wird der Begriff offenbar im weiteren Siehe dazu unten bei der jeweiligen Thematik im 2. Teil. Die offizielle Bezeichnung in der KJB 2000 lautet: „Bearbeitet und herausgegeben von Hildebert Kirchner unter Mitarbeit von Gundula Kirchner, Dietrich Pannier, Hans Piesker, Volker Roth-Plettenberg“. 544 Siehe unten bei: IV., 1. „ius ecclesisasticum“ als Ursprung und 2., c) „Table of Contents“ der KJB. 545 Ein Rückblick auf die Geschichte des Fundhefts von W. Berg findet sich im Vorwort des „Jubiläumsbandes“, in: Berg / Wagener (Hrsg.), Fundheft für Öffentliches Recht, Band 50 (1999), S. V. 546 Bis Heft bzw. dann Band XII (1961) lautete der Titel: NJW-Fundhefte, 3. Abteilung, Öffentliches Recht. 547 Die aktuellen Angaben beziehen sich auf Band 50 (1999). 548 O. Strößenreuther, Vorbemerkung, in: ders. (Hrsg.), Fundheft. Systematischer Nachweis der Rechtsprechung, Zeitschriftenaufsätze und selbständigen Schriften, Heft 3 III. Öffentliches Recht (1952), München 1953, S. 1. 542 543

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Sinne gebraucht. Nicht kirchlich organisierte Religionsgemeinschaften werden davon ebenso wenig begrifflich erfasst wie solche, die nicht den Körperschaftsstatus nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV besitzen. Ab dem Berichtsjahr 1955 wird dieser Titel weiter untergliedert in „Allgemeines“, „Katholische Kirche“ und „Evangelisch-Lutherische Kirche“. Damit liegt keine Öffnung hin zu anderen Religionsgemeinschaften vor, sondern durch die Heraushebung eines bestimmten evangelischen Bekenntnisstands eine Begrenzung. Wahrscheinlich war der Verlag mit Sitz in München eben darum über das Schrifttum zur Lutherischen Kirche informierter als über das aus Landeskirchen mit anderer Bekenntnisgrundlage. Das Stichwort „Kirchenrecht“ ist zum Berichtsjahr 1965 innovativ in „Recht der Religionsgemeinschaften“ umbenannt worden. Die volle Emanzipation findet mit dem Weggang des Gründungsherausgebers zum Berichtsjahr 1986 statt, der bei der KJB noch bevorsteht. Das Fundheft wird nunmehr von W. Berg und J. M. Mössner übernommen, wobei der Erstgenannte mit wechselnden Mitherausgebern bis heute im Amt ist. Zu diesem Zeitpunkt kommt es zu einer grundlegenden Überarbeitung der Gliederung549. Der Block der Körperschaften wird aufgelöst, Eisenbahn- und Postrecht werden unter der Rubrik „Verkehrsgewerberecht“ in das „Besondere Verwaltungsrecht“ eingereiht, was der heute üblichen Systematik entspricht. Das „Recht der Religionsgemeinschaften“ verbleibt im zweiten Teil, erhält aber mit gleicher Überschrift einen eigenen Gliederungspunkt. Auch dies entspricht der Einordnung der Disziplin als besonderer Teil des Verfassungsrechts. Die Rubrik wird unterteilt in „Allgemeines“, „Einzelfragen“ wie „Kirchliches Arbeits-“ und „Steuerrecht“ und jeweils das „katholische“ und „evangelisch-lutherische Kirchenrecht“. Die Begrenzung auf ein evangelisches Bekenntnis fällt dann zwei Jahre später endgültig einem neuen, reduzierten Systematisierungsversuch zum Opfer550, der aber ansonsten schon im nächsten Band rückgängig gemacht wird551. Eine letzte Veränderung findet zum Berichtsjahr 1993 hin statt552. Der erste Gliederungspunkt „Allgemeines“ wird in „allgemeine Schriften“ und „Rechtsvergleichung“ weiter unterteilt. Damit reagieren die Herausgeber wahrscheinlich auf das durch die Herausbildung einer handlungsfähigen Europäischen Gemeinschaft / Union gewachsene Interesse am Thema Religion in anderen Ländern553. cc) Vergleich Im Vergleich der hier untersuchten Bibliographien ist festzustellen, dass das ältere, anfänglich stärker kirchenorientierte Fundheft frühzeitig die Wahl der Systematisierungsbegriffe auf alle Religionsgemeinschaften ausgedehnt hat und Stück 549 Dazu W. Berg, Vorwort, in: Berg / Wagener (Hrsg.), Fundheft für Öffentliches Recht, Band 37 (1986), S. V. 550 Band 39 (1988). 551 Zur Vereinfachung und Präzisierung seit Band 40 (1989), vgl. W. Berg, a. a. O. 552 Band 44 (1993). 553 Siehe dazu im 2. Teil unter A., I., 4. Europarecht.

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für Stück dem Wandel der tatsächlichen Verhältnisse angepasst hat. Im Gegensatz dazu folgt die KJB einem in der Literatur nur noch selten zu findenden Begriffsschema, das auch in der Praxis keine Bedeutung mehr haben dürfte. c) Verlagsprogramme Im Folgenden werden die Programme von Verlagen untersucht, die auf dem hier fraglichen Gebiet versiert sind und in einem gedruckten Gesamtverzeichnis eine systematische Untergliederung ihrer Veröffentlichungen anbieten554. aa) Verlag C. H. Beck Das Gesamtverzeichnis der Bücher von C. H. Beck ist im Verlagsprospekt von 0 bis 9 durchnummeriert555. Unter Nr. 2 findet sich das Öffentliche Recht, welches wiederum in Nr. 20 bis 29 unterteilt ist. Die Erscheinungen aus dem hier interessierenden Fachgebiet werden nicht etwa im Bereich „21. Staats- und Verfassungsrecht. Staatslehre“ aufgeführt, sondern in einem der speziell genannten Bereiche des Besonderen Verwaltungsrechts: „27. Schulrecht. Hochschulrecht. Kirchenrecht“ und dort bei „273. Kirchenrecht“. Dass ein Buch wie das Standardwerk „Staatskirchenrecht“ von v. Campenhausen in diese Rubrik fällt, lässt sich wohl nur mit verlagsinternen Kompetenzabgrenzungen erklären. Systematisch korrekt wäre für diese Querschnittsmaterie die Fassung unter einen eigenen Gliederungspunkt noch vor dem Allgemeinen Verwaltungsrecht oder ganz am Ende des Öffentlichen Rechts gewesen. Mit dem verwendeten Titel „Kirchenrecht“ nutzt der Verlag den Begriff in der in der Literatur nur noch sehr selten zu findenden Variante „im weiteren Sinne“. Damit bleibt er dem Oberbegriff in einer seiner Bibliographien, der KJB, treu. Eine weitere Untergliederung wird nicht vorgenommen, was angesichts der Anzahl von nur drei aufgeführten Buchtiteln sinnvoll erscheint556. bb) Richard Boorberg Verlag Der Verlagskatalog des Richard Boorberg Verlags ist in 15 Gebiete aufgeteilt, von denen als Nr. 3 das Öffentliche Recht weitere 16 Unterpunkte umfasst557. Hier 554 Dazu gehört nicht das Verlagsprogramm von Duncker & Humblot. Die Begriffswahl dieses Verlags war jedoch bereits oben Gegenstand der Untersuchung: a), (2) Staatskirchenrechtliche Abhandlungen. 555 Verlag C. H. Beck, Recht. Steuern. Wirtschaft. Herbst / Winter 2000 / 2001, A. Gesamtverzeichnis der Bücher, S. 7 – 247. 556 Neben dem genannten Kurzlehrbuch handelt es sich um die Rechtssammlung der Ev.Luth. Kirch von Bayern und den Band von R. Zippelius zur Geschichte des Verhältnisses von Staat und Kirche. 557 Richard Boorberg Verlag, Verlagsprogramm. 1. Halbjahr 2002, S. 1 f.

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finden sich unter „3.1 Staats- und Verfassungsrecht“ nur zwei Bände zum Thema558. Angesichts dieser Anzahl überrascht es nicht, dass eine weitere Unterteilung nicht stattfindet. cc) Hermann Luchterhand Verlag Das Verlagsprogramm „Recht. Wirtschaft. Steuern“ des Hermann Luchterhand Verlags ist in 25 Gebiete aufgeteilt559. Zwischen „15. Recht und Verwaltung des Bildungswesens“ und „17. Jugendrecht / Sozialhilferecht“ findet sich als Nr. 16 die selbständige Abteilung „Kirchenrecht / Staatskirchenrecht“, die wiederum in „16.1 Staatskirchenrecht“, „16.2 Evangelisches“ und „16.3 Katholisches Kirchenrecht“ mit jeweils mehreren Buch- und Zeitschriftentiteln zerfällt. Damit folgt dieser Verlag der in der Literatur üblichen Verwendung von „Kirchenrecht“ im engeren Sinne und „Staatskirchenrecht“. Eine Gesamtbezeichnung wird ebenso wie die neueren Begriffe vermieden. dd) Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Im Gesamtkatalog des Verlags J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) wird „Recht“ als eines von vier Grundthemen in zehn Bereiche aufgegliedert560. An vierter Stelle findet sich das „Verfassungs- und Verwaltungsrecht, Staatslehre, Staatskirchenrecht“561. Neben den originär „staatskirchenrechtlichen“ Werken wie der Übersicht von D. Kraus oder C. Fuchs562 und gemischten Bänden wie dem Sammelband mit Texten von H. Maurer563 enthält dieser Teil auch ausschließlich kirchenrechtlich ausgerichtete Arbeiten wie die von T. Barth564. Die letztgenannten Arbeiten passen nicht in den gewählten Abschnittstitel, denn „Kirchenrecht“ im engeren Sinne wird nicht eigens erwähnt, lässt sich aber auch nicht unter „Staatskirchenrecht“ subsumieren. Wahrscheinlich liegt dieser unzureichenden Überschrift eine erfolgte Modernisierung des an die Buchreihe „Jus Ecclesiasticum“ angelehnten Titels „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne zu Grunde. Dann wäre der altmodische Titel in 558 A. a. O., S. 20 f. Dies sind der Band zur 41. Assistententagung 2001 in Potsdam und das Lehrbuch von Jeand’Heur / Korioth. 559 Hermann Luchterhand Verlag, Gesamtverzeichnis 2001 / 2002. Recht. Wirtschaft. Steuern, S. 3 – 7. 560 Mohr Siebeck, Gesamtkatalog 1999 / 2000. Theologie. Philosophie. Recht. Wirtschaft, S. 1. 561 A. a. O. S. 119 – 125. 562 D. Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht, 1993; C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999. 563 H. Maurer, Abhandlungen zum Kirchen- und Staatskirchenrecht. Jus Ecclesiasticum 59, Tübingen 1998. 564 T. Barth, Elemente und Typen landeskirchlicher Leitung. Jus Ecclesiasticum 53,Tübingen 1995

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„Staatskirchenrecht“ abgeändert worden, was jedoch das „Kirchenrecht“ im engeren Sinne entfallen ließ. Die korrekte Übersetzung von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne als „Kirchenrecht / Staatskirchenrecht“ (oder umgekehrt) wurde nicht gewählt, vielleicht weil sie als zu umständlich erschien.

ee) Ergebnis Wie im Falle der anderen untersuchten Sammelnachweise von Literatur findet sich auch hier eine äußerst konservative Bezeichnungsart. Die in der Literatur bereits traditionelle Variante, wie sie der Luchterhand Verlag verwendet, ist im Verlagsbereich offenbar bereits als die moderne anzusehen. Die neu geprägten Begriffe spielen hier wie bei den anderen Sammelnachweisen keine Rolle. Die oben geschilderte Ordnungsfunktion der Sammelnachweise verlangt tatsächlich eine eindeutige und gleichförmige Bezeichnung, erforderte jedoch auch kein Einfrieren der Begriffe. Angebracht ist im Verlagsbereich wohl eine mit Mäßigung erfolgende Anpassung an die Begriffswirklichkeit in der Literatur. Insofern kann zumindest die mangelnde Aufnahme von „Religionsrecht“ und / oder „Religionsverfassungsrecht“ hier nicht verwundern.

5. Staatliche Universitäten Die Untersuchung beschränkt sich hier auf die Universitäten des religionsneutralen Staates. Die zu Recht eigenständige Begriffsbildung bei kirchlichen Einrichtungen, auch Universitäten, wird aus Platzgründen grundsätzlich nicht behandelt565. Zuerst wird hier die Aufteilung der Disziplin in zwei Fakultäten in Deutschland erläutert (a). Sodann folgt eine eingehende Untersuchung der Lehrstuhlbezeichnungen im Hinblick auf die Verwendung der hier zur Diskussion stehenden Begriffe (b). Ein Ergebnis schließt diese Rubrik ab (c).

a) Die Zuordnung der Disziplin zu zwei Fakultäten Das „Kirchenrecht“ ist eine theologische Disziplin, die mit juristischen Methoden arbeitet566. Dies ermöglicht die in Deutschland gegebene Zuordnung der Disziplin zu zwei Fakultäten, sowohl der theologischen als auch der juristischen. 565 Weitgehend wird dort wohl der Begriff „Kirchenrecht“ verwendet, wie z. B. bei der „Professur für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte“ von Prof. A. Weiß an der Katholischen Universität Eichstätt. Dies scheint bei einer kirchlichen Trägerschaft selbstverständlich. Vgl. genauer zu einer ähnlichen Sachlage unten bei: 6., c) ZevKR-Mitarbeiter / Kirchenrechtliches Institut der EKD. 566 So K. Walf, Kirchenrecht, in: Wohlmuth (Hrsg.), Katholische Theologie heute, 1995, S. 295.

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aa) Unterschied je nach Konfession Konfessionsgebunden ist das „Kirchenrecht“ in Deutschland traditionellerweise nur in den seit 1978 zwölf katholisch-theologischen Fakultäten vertreten567, entweder als systematisches oder als praktisches Fach568. Im Fächerkanon der evangelischen Theologie hat das „Kirchenrecht“ nach einem Diktum von A. Stein „keinen gesicherten Ort gefunden“569. Es sei nur immer wieder „durchgebrochen“, so insb. in der Praktischen und der Systematischen Theologie570. Man kann sogar von einer Verdrängung oder Marginalisierung der Disziplinen „evangelisches Kirchenrecht“ und „Staatskirchenrecht“ sprechen571. Deren sichtbares Zeichen sind neben der Streichung oder Umwidmung der letzten Lehrstühle für evangelisches Kirchenrecht an den Ev.-theologischen Fakultäten572 die Reduzierung der Prüfungsrelevanz dieser Fächer auf Null. Theologen brauchen, wenn überhaupt, dann lediglich den selbst im Studienbuch eingetragenen Nachweis, eine „kirchenrechtliche Veranstaltung“ gehört zu haben573. Dabei darf nach Stein das „Kirchenrecht“ einen Platz auch im System der evangelischen Theologie beanspruchen, was der Wiener Lehrbetrieb vorbildlich leiste574. Wenn der Begriff „Kirchenrecht“ überhaupt in der evangelischen Theologie verwendet wird, dann im weiteren Sinne575 oder als „evangelisches Kirchenrecht“576.

567 A. Hollerbach, Theologische Fakultäten und staatliche Pädagogische Hochschulen, in: HdbStKirchR, Band II, 1995, S. 599. Zur rechtlichen Ausbildung katholischer Theologen eingehend F. Sanders, Theologie + Rechtswissenschaft = Kirchenrecht?, in: Katholische Theologie studieren, 2000. 568 Zur Frage der Einordnung im katholischen Kirchenrecht K. Walf, a. a. O., S. 293 569 A. Stein, Evangelisches Kirchenrecht, 1992, S. 4 f. 570 Einen genauen Überblick über die Einteilung der Fachgebiete an den verschiedenen Fakultäten mit den Besonderheiten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD in Göttingen (Prof. A. v. Campenhausen) und der Abteilung Kirchenordnung der Ev.-Theologischen Fakultät in Tübingen (Lehrstuhl z. Zt. nicht besetzt) gibt: Studium der Evangelischen Theologie zur Vorbereitung auf den Pfarrerberuf, EKD Texte 28, Stand Wintersemester 98 / 99. 571 A. v. Campenhausen, Bemerkungen zum Kirchenrechtlichen Institut der EKD, in: FS Listl, 1999, S. 1090 f. bzw. C. Link, Das Kirchenrecht in Erlangen, JuS 1993, S. 898. 572 Auch zum Folgenden A. v. Campenhausen, a. a. O., S. 1090. 573 Für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern vgl. § 5 Abs. 1, Nr. 1 l) TheolAufnPO vom 26. 4. 1999: „der Nachweis über die Belegung einer kirchenrechtlichen Veranstaltung“. 574 A. Stein, a. a. O., S. 5. 575 Siehe grundsätzlich dazu oben bei: A., I. Einordnung des Begriffs „Staatskirchenrecht“. 576 Vgl. A. v. Campenhausen, Kirchenrecht, in: ders. / Wießner (Hrsg.), Grundkurs Theologie, 1994, S. 7 f., 51.

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bb) Juristische Fakultäten als neue Heimat Die nach dem jeweiligen Bekenntnis gespaltene Situation des Fachs „Kirchenrecht“ an theologischen Fakultäten lässt sich nur aus einer dahin gehenden wissenschaftsgeschichtlichen Tradition erklären. Es wird die Ordnung aus der Zeit vor dem Jahr 1919 beibehalten. Staatliche Ministerien nahmen insbesondere evangelisch-kirchliche Aufgaben, so auch die Ausbildung der Theologen wahr und siedelten das Fach „Kirchenrecht“ in der die Methode stiftenden Rechtswissenschaft an577. Dort ist es noch heute „zweitbeheimatet“, wenn auch in stark abnehmender Tendenz. Bis vor wenigen Jahren gehörten Kirchen- und Staatskirchenrecht noch zu den Pflichtmaterien von juristischer Ausbildung und Prüfungspraxis578. Heute können Juristen nur noch in Baden-Württemberg flächendeckend „Kirchen- und Staatskirchenrecht“ als Wahlfach belegen579, in Hessen nur fakultätsabhängig 580, in Sachsen-Anhalt gibt es derartige Überlegungen581. Auch Ressentiments gegenüber dem „Kirchenrecht“ speziell innerhalb der Evangelischen Kirche haben die Entfremdung der evangelischen Theologie vom Kirchenrecht begleitet und wohl verstärkt582.

b) Lehrstuhlbezeichnungen Die Bezeichnungen von Lehrstühlen der Katholisch-Theologischen sowie der Juristischen Fakultäten deutscher Universitäten werden im Hinblick auf die hier diskutierten Begriffe für das Jahr 2001 untersucht.

577 A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 252 f. Zur Frage der wissenschaftslogischen Einordnung von „Kirchenrecht“ zwischen Theologie und Rechtswissenschaft vgl. F. Sanders, a. a. O., S. 394. 578 D. Lorenz, Buchanzeige von: Campenhausen / Riedel-Spangenberger / Seebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 1, A-F, 2000, NJW 2001. 579 JAPrO in der Fassung vom 7. 05. 1993 (GBl. S. 673), zuletzt geändert am 25. 09. 2000 (GBl. S. 665), § 5, Abs. 4, Nr. 1 d) Kirchenrecht und Staatskirchenrecht. 580 JAO vom 6. 10. 1975 (GVBl. I S. 223), in der Fassung vom 8. 08. 1994 (GVBl. I S. 334), Anlage zu § 1, III: „Wahlfächer können nach Maßgabe des Studienplans des jeweiligen juristischen Fachbereichs sein: [ . . . ] 5. Kirchen- und Staatskirchenrecht [ . . . ] .“ 581 Vgl. H. de Wall, Zur Reform der Juristenausbildung. Den Grundlagenfächern und dem Kirchenrecht eine Chance!, JuS 2002, S. 207 582 Von den in der Kanonistik erkennbaren „Schattenseiten“ einer zu starken Verrechtlichung schreibt H. Schröer, Praktische Theologie, 1982, S. 159. Des öfteren wird erklärend auf Luthers Verbrennung des CIC am 10. 12. 1520 und die Kritik von R. Sohm verwiesen, vgl.: H. Schröer, a. a. O., S. 159; A. Stein, a. a. O., S. 4; F. Sanders, a. a. O., S. 391; A. v. Campenhausen, Kirchenrecht, in: ders. / Wießner (Hrsg.), Grundkurs Theologie, 1994, S. 7 f., welcher eine gewisse Rechtsfeindlichkeit bei evangelischen Pfarrern als traditionell bezeichnet. Die letztgenannte Aussage wird bilderreich bestätigt von M. Weinrich der in die eigene Biographie blickt, vgl. ders., Wie sieht ein Theologe den Kirchenrechtler?, in: Ehnes zum 60. Geburtstag, 1997, S. 153 f.

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aa) Katholisch-Theologische Fakultäten Die Bezeichnung der entsprechenden Lehrstühle an Katholisch-Theologischen Fakultäten lautet durchgängig mit oder ohne nähere Präzisierung „im Fach“ oder „für Kirchenrecht“. In der Mehrzahl der Fälle wird dies nicht näher ausgeführt583. Den Themen der Vorlesungen und den Forschungsschwerpunkten ist jedoch zu entnehmen, dass damit „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne gemeint ist, da auch das Rechtsverhältnis zum Staat, insbesondere der Religionsunterricht behandelt wird584. Nur an drei von zwölf Fakultäten wird dem „Kirchenrecht“ eine Erklärung bzw. Erweiterung hinzugefügt. Die notwendige Abgrenzung der drei Lehrstühle der Professoren W. Aymans, K.-T. Geringerer und S. Haering am Kanonistischen Institut der Universität München erfolgt durch die Aufzählung von „insbesondere“ behandelten Gebieten. Zu denen zählt der Lehrstuhl von Geringer auch das „Staatskirchenrecht“. Dieser Begriff wird weiterhin lediglich im Falle des Lehrstuhls von Prof. I. Riedel-Spangenberger an der Universität Mainz verwendet: „Kirchenrecht, Kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht“. Damit liegt dort der einzige Fall vor, in dem „Kirchenrecht“ im engeren Sinne verwandt wird. Die „Geschichte des Kirchenrechts“ ist offenbar bei den anderen Lehrstuhlbezeichnungen mitgedacht. Nur in der als dritte zu nennenden Fakultät der Freiburger Universität wird am Lehrstuhl von Prof. H. Zapp die „kirchliche Rechtsgeschichte“ zusätzlich erwähnt. Dies geschieht aber weniger, weil dies kein Teilgebiet des angesprochenen „Kirchenrechts im weiteren Sinne“ sein soll, als vielmehr zur Bezeichnung eines Schwerpunkts. Besonderer Erwähnung bedarf der „Lehrstuhl für Kirchenrecht“ von Prof. R. Puza an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Auf dem vom Lehrstuhl betriebenen Internetforum „NomoK@non“585 werden die Fachgebiete anders eingeteilt. Es wird unterschieden zwischen „Theologie“, „Rechtsgeschichte“, „geltendes Kirchenrecht“ und auch „Staatskirchenrecht / Reli583 So an den Universitäten Augsburg, Bamberg, Bochum, Bonn, Freiburg, Mainz, Passau, Tübingen und Würzburg. 584 Vgl. z. B. die Vorlesung Nr. 1006 „Kirchenrecht VI: Das rechtliche Verhältnis von Staat und Kirche“, die von Prof. Dr . N. Lüdecke im SS 2001 an der Universität Bonn gehalten wurde, übrigens als Pflichtveranstaltung für Studierende, die sich auf die Diplomprüfung vorbereiten bzw. Pflichtwahlveranstaltung für Studierende im Lehramtsstudiengang Sek. II. Vgl. auch die Vorlesung Nr. 11206 von Prof. Dr. S. Demel „Ein unmoralisches Verhältnis? Das Miteinander von Kirche und Staat in Deutschland“ im SS 2001 an der Universität Regensburg von einem in der Systematischen Theologie angesiedelten Lehrstuhl im Fach Praktische Theologie gehalten. Vgl. weiterhin die Zielgruppenbeschreibung von Prof. H. Pree in Bezug auf die Vorlesungen und Seminare aus den Bereichen „Staatskirchenrecht“ und „geltendes Kirchenrecht“, die sich auch an Studierende der Juristischen Fakultät wendeten, so bei: http://www.ktf.uni-passau.de/institutionen/pree/mitprof.htm, abgerufen am 28. 08. 2001. 585 http://www.uni-tuebingen.de/kirchenrecht/nomokanon/, abgerufen am 06. 06. 2001. Herausgeber ist Prof. R. Puza, auf den Seiten findet sich jeweils unten ein Hinweis auf das Copyright „by Lehrstuhl für Kirchenrecht“.

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gionsrecht“ oder „Staatskirchen- / Religionsrecht“586. Diese verkettete Verwendung bringt einerseits die Unterstützung des Begriffs „Religionsrecht“ zum Ausdruck, andererseits erkennt sie die weitgehende Verbreitung des traditionellen Begriffs an. Unter „Kirchenrecht“ wird offenbar lediglich dasjenige im engeren Sinne verstanden. Dies entspricht dem in der Literatur üblichen Sprachgebrauch. Der Untertitel des Forums lautet „(Staats-)Kirchenrecht im Web“. Auch damit wird nicht der Lehrstuhlbezeichnung gefolgt, sondern ein erklärender Zusatz vorangestellt. Hintergrund ist wahrscheinlich die Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, dass „Kirchenrecht“ auch das sog. „Staatskirchenrecht“ enthält. Das Beispiel dieses Lehrstuhls zeigt, dass – auch bei konservativer Begriffslage in der offiziellen Bezeichnung – im Geschäftsalltag eine andere, an von sich aus verständlichen Begriffen orientierte Begriffswahl stattfindet. bb) Juristische Fakultäten Den zwölf soeben genannten Katholisch-Theologischen Fakultäten stehen ebenso viele Juristische mit Lehrstühlen für „Kirchenrecht“ gegenüber587. Damit ist jedoch noch kein endgültiges Urteil über die Zahl der Lehrstühle mit einer inneren Verbindung zum „Kirchenrecht“ gesprochen. Zum Beispiel sind der Lehrstuhl für „Öffentliches Recht, insbesondere Wirtschaftsverwaltungsrecht“ von Prof. D. Ehlers und der Lehrstuhl für „Öffentliches Recht“ an der Universität Bonn von Prof. J. Isensee mit prominenten „Kirchenrechtlern“ besetzt588. Dies sind Indizien dafür, dass die Materie grundsätzlich im Öffentlichen Recht angesiedelt wird. Die Annahme wird durch die Einleitung von Erler zu seinem Kirchenrechtslehrbuch von 1949 bestätigt: „Wie bei allem öffentlichen Recht ist auch beim Kirchenrecht [ . . . ]“589. Diese Einordnung der Disziplin wird verständlich durch die Herkunft der das Verhältnis von Staat und Kirche bestimmenden verfassungsrechtlichen Normen (Art. 4 und 140 GG) und der langen Geschichte der staatlichen Einfluss586 http://www.uni-tuebingen.de/kirchenrecht/nomokanon/rezensionen/index.html, bzw. /index3.html, abgerufen am 06. 06. 2001. 587 Vgl. die hilfreiche Übersicht über die Kirchenrechtslehrstühle bei kirchenrechtonline.de unter http://www.kirchenrecht-online.de/institute/lehrstuehle2.htm, abgerufen am 08. 06. 2001. 588 Vgl. nur die hier im Literaturverzeichnis aufgelisteten Arbeiten von Isensee und Ehlers. Dieser gibt als Forschungsschwerpunkt u. a. „Staatskirchenrecht und Kirchenrecht“ an, vgl. http://www.jura.uni-muenster.de/staff/ehlersdirk.html. 589 A. Erler, Kirchenrecht, 1949, S. 7. Vgl. auch J. Listl, Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik (1990), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 337. Dieses Ergebnis wird durch eine Formulierung von Heckel gestützt, die dieser im Zusammenhang mit den Auswirkungen der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ und der Einführung des Unterrichtsfachs „LER“ auf das staatliche und kirchliche Recht tätigt. „Der Staatsrechtslehre und der Kirchenrechtswissenschaft“ seien im neuen Kontext alte Grundfragen aufgegeben, M. Heckel, Das Bekenntnis – ein Vexierbild des Staatskirchenrechts?, in: FS Hollerbach, 2001, S. 658. Das im Folgenden auch in diesem Wortlaut behandelte „Staatskirchenrecht“ ist offenbar Sache der Öffentlichrechtlichen Lehrstühle.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

nahme auch in die inneren Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften, von denen die beiden größten noch heute öffentlich-rechtlich organisiert sind590. Es erscheint praktisch sinnvoll, den gesamten Komplex einem Rechtsgebiet zuzuordnen, auch wenn einzelne Religionsgemeinschaften privatrechtlich organisiert sind oder modifiziertes Privatrecht (z. B. Arbeitsrecht) anwenden. Innerhalb der Gruppe der zwölf „Kirchenrechtslehrstühle“ bilden drei eine Ausnahme. Es sind die im Zivilrecht angesiedelten Rechtshistoriker, namentlich die Professoren P. Landau, H.-W. Strätz und D. Willoweit591. Ausschlaggebend ist hier sicher die historische Methode wie die entscheidende Stellung des kanonischen Rechts im Mittelalter. Die drei genannten Lehrstühle verwenden, der christlicheuropäischen Historie entsprechend, alle die einfache Bezeichnung „Kirchenrecht“ und gebrauchen dies damit im weiteren Sinne. Die inhaltliche Prägung zeigt sich besonders im Ausschreibungstext zur Besetzung des Lehrstuhls von Prof. Landau zum SS 2003. Unter Wegfall des Begriffs „Kirchenrecht“ wird dieser ausgeschrieben für „Gelehrtes Recht, Europäische Rechtsgeschichte und Bürgerliches Recht“592. Wird an einer Fakultät Verfassungsgeschichte gelehrt, so kann auch dort und damit im Öffentlichen Recht das „Kirchenrecht“ angesiedelt werden. Zu nennen sind hier die Lehrstühle der Professoren H. Goerlich und G. Robbers. Während der letztgenannte in Trier dem „Kirchenrecht“ insgesamt gewidmet ist, wird am erstgenannten in Leipzig lediglich das „Staatskirchenrecht“ gelehrt. Die Notwendigkeit zur Nutzung des im Vergleich zu „Kirchenrecht im weiteren Sinne“ jungen Begriffs erklärt sich wohl aus der gewollten Beschränkung auf das staatliche Recht. Es darf nicht vergessen werden, dass der Lehrstuhl in den neuen Bundesländern beheimatet ist. Nur dort findet sich ein weiteres Mal, diesmal jedoch im Zusammenhang von „Staatskirchen- und Kirchenrecht“, dieser Begriff, und zwar bei dem Lehrstuhl in Halle, den bis September 2001 Prof. H. de Wall innehatte. Dabei handelt es sich um den einzigen Fall einer Aufgliederung von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne in die konstituierenden Bestandteile. Wahrscheinlich wird damit der verbreiteten Unkenntnis über die Bedeutung der Lehrstuhlbezeichnung „Kirchenrecht“ Rechnung getragen. Die verbleibenden sechs Lehrstühle der Professoren C. Grabenwarter, P. Häberle, K.-H. Kästner, S. Korioth, S. Muckel und C. Link / H. de Wall593 enthalten im Titel „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne594. Vgl. J. Listl, a. a. O., S. 336 f. und P. Mikat, Kirche und Staat (1987), S. 85 f. Universitäten München, Konstanz und Würzburg. 592 Anzeige der Ludwig-Maximilians-Universität München, NJW 2001, Heft 39, S. CI 593 Universitäten Bonn, Bayreuth, Tübingen, München, Köln und Erlangen. 594 Die Verwendung von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne als Lehrstuhlbezeichnung zeigt z. B. C. Grabenwarters Vorlesung „Kirchenrecht“ im SS 2001. Diese gliedert sich in drei Teile: Staatskirchenrecht, Einblicke in das katholische Kirchenrecht und Einblicke in das evangelische Kirchenrecht. 590 591

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Auffällig ist, dass alle Lehrstuhlbezeichnungen der alten Bundesländer auch nach Neubesetzungen diese heute sehr seltene Variante des „Kirchenrechts“ im weiteren Sinne verwenden595. Dafür kann es teilweise auch spezifische organisationstechnische Gründe geben, wie z. B. die Einbindung in ein auch kirchlich gefördertes Institut in Erlangen596. Wahrscheinlich ist die Bezeichnung eines Lehrstuhls auch ein sensibler Bereich, in dem Veränderungen Kompetenzdiskussionen auslösen können. Schließlich sind auch angesichts der überschaubaren Anzahl und des daher seltenen Ereignisses der Neubesetzung der Lehrstühle sowie der Verleihung auf Lebenszeit keine Experimentierfelder zur Verwendung von Alternativbegriffen gegeben. Eine Sonderstellung nimmt die „Forschungsstelle für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“ an der Universität Freiburg i. Br. ein. Sie wurde erst zum Wintersemester 1999 / 2000 zur Fortführung der wissenschaftlichen Tradition des „Seminars für Rechtsphilosophie und Kirchenrecht“ gegründet. Ziel ist nach eigener Aussage „die akademische Pflege des Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts“597. Neben den Emeriti K. Hesse und A. Hollerbach wirken als Lehrbeauftragte J. Jurina und J. Winter unter der Geschäftsführung des an einem verwaltungsrechtlichen Lehrstuhl wirkenden Assistenten S. Mückl. Mit dem Formwechsel hat auch ein darüber hinausgehender Bezeichnungswechsel stattgefunden. Der im Jahr 1969 eingeführte Begriff „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne wurde durch die Nennung der beiden konstituierenden Teile erläuternd aufgespalten598. Dies stellt einen ersten Schritt der Anpassung der Kennzeichnung an die außerhalb der Lehrstuhlbezeichnungen gängigen Begriffe dar.

c) Ergebnis Die Bezeichnungen theologischer und juristischer Lehrstühle staatlicher Universitäten in Deutschland bilden ein Reservat für die Verwendung des Begriffs „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne599. Immerhin sind in den Neunziger Jahren durch 595 Vgl. die Aussage von J. Listl aus dem Jahr 1990: „das Fach ,Kirchenrecht‘, in aller Regel verstanden und betrieben als ,Staatskirchenrecht‘ “, ders., Das Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik (1990), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 337. Vgl. auch U. Rhode, Vorlesungsskript „Staatskirchenrecht“, 2001, § 1. 596 Siehe dazu C. Link, Das Kirchenrecht in Erlangen, JuS 1993. Zu vier weiteren Instituten bzw. Seminaren A. v. Campenhausen, Bemerkungen zum Kirchenrechtlichen Institut der EKD, in: FS Listl, 1999, S. 1090. 597 Siehe die als Domain nicht näher spezifizierte Homepage der Forschungsstelle bei: http://www.jura.uni-freiburg.de/, abgerufen am 19. 09. 2001. 598 Das Seminar folgte 1969 dem „Seminar für Rechtsphilosophie und evangelisches Kirchenrecht“, welches Erik Wolf im Jahr 1946 ins Leben rief. Vgl. dazu J. J. Winter, Die Wissenschaft vom Staatskirchenrecht im Dritten Reich, 1979, S. 245 und J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 43. 599 Zu Österreich und der Schweiz siehe unten bei: II. und III.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

zwei juristische Lehrstühle in Ostdeutschland Ausnahmen von dieser Regel entstanden, die sich jedoch nur auf die Einführung von „Staatskirchenrecht“ beziehen.

6. Tagungen Auch rechtswissenschaftlich orientierte Tagungen, die sich mit dem Verhältnis von Staat und Religion befassen, sollen hier in einer Auswahl auf die Verwendung der Begriffe in Titel und Inhalt hin untersucht werden.

a) Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer befasste sich im Jahr 1952 mit dem Thema: „Die Gegenwartslage des Staatskirchenrechts“ 600. Die Verwendung des herkömmlichen Begriffs entspricht seiner damals fast gänzlich unangefochtenen Stellung. Fünfzehn Jahre später, im Jahr 1967, lautete der Beratungsgegenstand „Die Kirchen unter dem Grundgesetz“. Dieses Thema schränkte die Materie in Bezug auf die Akteure wie auf die Rechtsnorm ein. Die Auswahl des Titels bedeutet trotz einer notwendigen Abwechslung innerhalb einer Tagungsreihe die mehr oder weniger bewusste Abkehr vom Begriff „Staatskirchenrecht“. Andernfalls hätte als Thema z. B. „die Kirchen“ oder „kooperative Religionsfreiheit im Staatskirchenrecht“ näher gelegen. Inhaltlich beschrieben die beiden Berichterstatter M. Heckel und A. Hollerbach jedoch die „Entwicklung des Staatskirchenrechts“ und „neuere Entscheidungen zum Staatskirchenrecht“ 601 bzw. „vier in Theorie und Praxis besonders neuralgische Punkte der gegenwärtigen staatskirchenrechtlichen Ordnung“602. Die Begriffswahl innerhalb der Vorträge spiegelt damit die Dominanz des Terminus „Staatskirchenrecht“ zu dieser Zeit wider. Im Jahr 1999 wurde das Thema „Staat und Religion“ gewählt. Diese Formulierung nimmt beide Beschränkungen von 1967 zurück und umgeht den Begriff „Staatskirchenrecht“. Dies könnte neben dem Hinweis auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung auch am Verständnis der Begriffe liegen. Der erste Berichterstatter, W. Fiedler, erörtert den internationalrechtlichen Zusammenhang in Bezug auf die EMRK603. An den Titel des Beratungsgegenstands anknüpfend, verwendet er grundsätzlich die Formulierung „das Verhältnis zwischen Staat und Kirche“, wenn er das Rechtsverhältnis, also das Religionsverfassungsrecht meint604. Der zweite 600 601 602 603

recht.

VVDStRL 11 (1954). M. Heckel, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 5. A. Hollerbach, Die Kirchen unter dem Grundgesetz, VVDStRL 26 (1968), S. 57. Siehe inhaltlich zu den genannten Beiträgen unten bei: C. Veränderungen im Europa-

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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Berichterstatter, G. Robbers, entscheidet sich zu Beginn seines Referates auch wegen der zu beachtenden „außernationalen Perspektive“ und der „religionsdemographischen Entwicklung“ für den Begriff „Religionsrecht“ und gegen „Staatskirchenrecht“, das aber immerhin der eingebürgerte Begriff sei605. Schließlich schildert der dritte Berichterstatter, M. Brenner, einen Koordinatenwandel im Verhältnis von Staat und „etablierten Religionen“606. Dabei vermeidet auch er den herkömmlichen Begriff und spricht wie Fiedler ohne eine Begriffsdiskussion grundsätzlich vom „Verhältnis Staat und Religion“607, jeweils einmal sogar vom „Religionsrecht“608 und „religionsrechtlichen Konzept des Grundgesetzes“609. Damit haben sich die Verhältnisse seit der letzten Tagung zum Thema umgekehrt. Alle Berichterstatter im Jahr 1999 verzichten auf den Begriff „Staatskirchenrecht“. Gleich im ersten Diskussionsbeitrag von M. Heckel, der ansonsten „Staatskirchenrecht“ verwendet, wird diese Argumentationskette noch um ein historisches Argument erweitert: Im Jahr 1919 sei das System eines christlichen Staates aufgegeben worden. Es existiere „im Grunde nur mehr ein allgemeines – pluralistisches – Religionsrecht“610. Zwei Diskussionsteilnehmer nutzen diesen Begriff in der Einleitung ihres Beitrag: Einmal D. Ehlers, der „Das Religionsrecht bzw. das Staatskirchenrecht“ verwendet611 Dann E. Schmidt-Aßmann mit seinem Einleitungssatz: „Die Referate haben treffsicher die Eckpunkte dessen bestimmt, was ein allgemeines Religionsrecht (sic!) ausmacht.“612. In dessen Zentrum sieht SchmidtAßmann freilich in Deutschland „das Staatskirchenrecht“. Im Anschluss verwendet er jedoch auch in Bezug auf die Gegenwart ausschließlich „Religionsrecht“ 613. Auch W. Mantl spricht von der „religionsrechtlichen Besonderheit des deutschsprachigen Raumes“614. M. Morlok nimmt die von ihm begrüßten Implikationen der zweimaligen Titelveränderung zum Anlass für seinen Diskussionsbeitrag615. Morlok prüft dann Robbers These „Religionsrecht ist symbolisches Recht“ und verwendet selbst nur noch diese Fachbezeichnung616. E.-W. Böckenförde dankt dem 604 Z. B. die „Frage, ob die Menschenrechte überhaupt geeignet seien, das Verhältnis von Staat und Religion zu bestimmen.“, Fiedler (2000), S. 204 f. Siehe auch a. a. O., S. 207, 225, 228. 605 G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 232. 606 M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 265. 607 A. a. O., S. 266, 277 f., 295. 608 A. a. O., S. 270, Fn. 21. 609 A. a. O., S. 281. 610 M. Heckel Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 304. 611 D. Ehlers, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 349. 612 Auch zum Folgenden: Schmidt-Aßmann, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 327. 613 A. a. O., S. 328. 614 W. Mantl, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 352. 615 M. Morlok, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 341. 616 A. a. O., S. 342.

8 Kupke

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Vorstand sogar explizit für die diesmalige Formulierung des Tagungstitels in Abgrenzung zum vorherigen617. Denn damit offenbare sich die Annahme, dass heute das Prinzip der Religionsfreiheit die tragende Grundnorm auch zur Sicherung der Stellung der christlichen Kirchen für die Zukunft sei. Die offene Formulierung des Tagungstitels mag die soeben untersuchte modernere Begriffsverwendung der Berichterstatter mitbestimmt haben und damit eine Voraussetzung für die auch von den neueren Begriffen geprägte Diskussion gewesen sein. Ein Beispiel dafür ist der Beitrag von Badura, der sich besonders der kollektiven Seite der Religionsfreiheit annimmt und formuliert: „Deswegen haben wir nicht nur Religionsfreiheit, sondern eben auch Staatskirchenrecht, nicht nur ,Religionsrecht, sondern auch Staatskirchenrecht“ 618. Dies ist erstaunlich, da Badura bisher zu den ausschließlichen Verwendern von „Staatskirchenrecht“ gehörte619. Die Wortwahl in seinem Redebeitrag wurde hier offenbar durch die bisherige Begriffswahl auf der Tagung beeinflusst. Ob die in der schriftlichen Fassung vorhandenen Anführungszeichen tatsächlich dem Wortlaut der gemachten Äußerungen entsprechen ist fraglich. Wahrscheinlicher scheint es, dass Badura Distanz zum Begriff „Religionsrecht“ anzeigen wollte, ohne in die Substanz seines Diskussionsbeitrags einzugreifen. Das Fazit sieht den Begriff „Staatskirchenrecht“ auf dem Rückzug. Eine absolute historische Dominanz ist unter den deutschen Staatsrechtslehrern und damit unter den Fachjuristen nicht mehr erkennbar.

b) Assistenten der Fachrichtung Öffentliches Recht Wohl durch die Thematik der zuletzt behandelten Staatsrechtslehrertagung angeregt, trafen sich die Teilnehmer der 41. Assistententagung Öffentliches Recht im März 2001 in Potsdam unter dem Titel „Religion und Weltanschauung im säkularen Staat“. Die doppelte Präzisierung gegenüber dem Titel der Staatsrechtslehrertagung von 1999 fällt auf. Erstens wird nicht nur von Religion (anstelle von Kirche oder Christentum) sondern auch von Weltanschauung gesprochen. Zweitens wird der Staat zusätzlich als säkular qualifiziert, was die demographischen Veränderung und / oder die Neutralitätspflicht betont. Insgesamt tritt damit die Änderung der äußeren Umstände hier noch deutlicher im Titel hervor als bei der Staatsrechtslehrertagung. Es kann nicht verwundern, wenn sich gleich das erste Referat von Hense mit der Grundsatzfrage der Bezeichnung der Disziplin in einer gewandelten Welt beschäftigt620. Die direkt anschließende Diskussion ergab neben der Äußerung von fun617 618 619

E.-W. Böckenförde, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 315. P. Badura, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 320. Siehe dazu oben bei: 3., a), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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diert angeführten Bedenken, insbesondere durch S. Mückl621, ein Votum zur Änderung der Fachbezeichnung622. Unter anderem wies C. Walter darauf hin, dass eine Vergleichbarkeit zur sinnvollen Veränderung der Rechtssprache im Zuge der Gleichberechtigung von Frauen bestünde623: Diese wollten zu Recht nicht in einer generellen Anweisung Männern gleichgesetzt werden, sondern auch selbst in den Texten benannt sein. Wahrscheinlich haben die Herausgeber auf diese Diskussion reagiert, wenn sie später im Vorwort des Sammelbands der Beiträge zur Tagung ohne eigene Stellungnahme von „Staatskirchenrecht respektive des Religionsverfassungsrechts“ sprechen624. Als Entscheidung könnte jedoch die später erfolgende alleinige Verwendung des traditionellen Begriffs gewertet werden. Von den sieben übrigen Referenten kommt einer ohne eine Fachbezeichnung aus625, einer verwendet ausschließlich „Religionsrecht“ 626, zwei nutzen je einmal „Staatskirchenrecht“ 627, zwei nutzen im europäischen Zusammenhang „Religionsrecht / Europäisches Staatskirchenrecht“ 628 bzw. „Europäisches Religions(verfassungsrecht)“629. Damit zeigt sich unter den Nachwuchswissenschaftlern im Bereich Öffentliches Recht eine durchmischte Begriffsverwendung. Diese äußert sich beispielhaft im Ausblick eines Berichts über die Tagung, welche „verschiedene Aspekte des Reli620 A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001. Ausführlich besprochen oben bei: 1. b), (1) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit. 621 Zu Mückls eigenem schriftlichen Beitrag siehe gleich im Anschluss und oben bei: 2., b), (1), (b) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union. 622 Vgl. A. Hahn / M. Kuxenko, 41. Assistententagung, LKV 2001, S. 310 und Wiederkehr (2001), S. 157. 623 Zu diesem Autor siehe unten bei: e) Max-Planck-Institut für ausl. öff. Recht und Völkerrecht. 624 Vgl. A. Haratsch, / N. Janz / S. Rademacher u. a., Vorwort der Herausgeber, in: dies. (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat. 41. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 5 f. 625 W. Wieshaider, Von Moscheenbau und Muezzinruf, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001 behandelt sein Thema nach eigener Aussage im Bereich des „Betriebsanlagerecht“ oder „Umweltrecht“, S. 179. 626 Siehe K. W. Sahlfeld, Der Islam als Herausforderung für die Rechtsordnung, in: 41. Tagung, 2001, S. 127. Eine Einordnung in die Begriffswelt der Schweiz findet statt unten bei: III., 2. Literaturschau. 627 S. H. Jochum, Islam in der staatlichen Schule, in: 41. Tagung, 2001, S. 111; H. M. Heimann, Materielle Anforderungen an Religionsgemeinschaften für die Erteilung schulischen Religionsunterrichts, in: 41. Tagung, 2001, S. 81. 628 S. Mückl, in: 41. Tagung, 2001. Siehe dazu oben bei: 2., b), (1), (b) Europäische Gemeinschaften / Europäische Union. 629 Diesen Begriff verwendet H. M. Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit, in: 41. Tagung, 2001 bereits im Untertitel seines Vortrags.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

gionsverfassungs- und Staatskirchenrechts beleuchtete“ 630. Die traditionelle Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ ist wohl noch vorherrschend. Mit teilweise engagiert vorgetragenen Argumenten werden aber bewusst auch die neueren Begriffe verwendet. c) ZevKR-Mitarbeiter / Kirchenrechtliches Institut der EKD Das Kirchenrechtliche Institut der EKD versammelt jährlich, zumeist in Heidelberg, „die akademischen Vertreter des Faches Kirchenrecht“ zu einer wissenschaftlichen Tagung631. Es handelt sich dabei um Theologen und Juristen, die auf dem Gebiet des Kirchenrechts und des Staatskirchenrechts wissenschaftlich arbeiten632. Weitere Teilnahmevoraussetzung ist die Lieferung von Beiträgen für die Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht (ZevKR). Als Ausdruck dieser Verbundenheit sind die meisten Teilnehmer der Tagung im Impressum der ZevKR als „Ständige Mitarbeiter“ verzeichnet. In dieser folgt dann jeweils ein Bericht über die gehaltenen Vorträge, welche zum großen Teil später im Wortlaut abgedruckt werden, und die Diskussionen633. Lediglich im Jahr 1999 fand anstelle der Tagung ein Kolloquium zu Ehren des langjährigen geschäftsführenden Herausgebers der ZevKR und bis heute nach R. Smend zweiten Leiters des Kirchenrechtlichen Instituts A. v. Campenhausen statt634. Der ansonsten von 1990 bis 2000 verwendete Berichtstitel lautete je fünfmal „Kirchenrechtlertagung“635 bzw. „Kirchenrechtslehrertagung“636. Diese Begriffe beinhalten lediglich eine kleine Akzentverschiebung. Der „Kirchenrechtler“ ist über den Lehrer dieses Fachs hinaus jeder in diesem Bereich Tätige, insbesondere der Praktiker. Inhaltlich geht es stets sowohl um Themen des „Kirchenrechts“ im engeren Sinne als auch um Themen des „Staatskirchenrechts“. Damit wird in der Begriffswahl des Titels stets an das „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne angeknüpft637, was heutzutage seltener der Fall ist638. Neben der Organisation der Mitarbeitertagung wird auch die redaktionelle Betreuung der ZevKR grundsätzlich vom Kirchenrechtlichen Institut der EKD überA. Hahn / M. Kuxenko, 41. Assistententagung, LKV 2001, S. 311. Näheres bei A. v. Campenhausen, Bemerkungen zum Kirchenrechtlichen Institut der EKD, in: FS Listl, 1999, S. 1091 f. 632 Auch zum Folgenden A. v. Campenhausen, Kirchenrechtlertagung, ZevKR 39 (1994), S. 189. 633 Seit 1990 verfasst von A. v. Campenhausen, bis auf je einmal von J. E. Christoph (1993) und Chr. Thiele (2000). 634 ZevKR 44 (1999), S. 313 ff. 635 In den Jahren 1990, 1992, 1993, 1994, 1996. 636 In den Jahren 1991, 1995, 1997, 1998, 2000. 637 Siehe oben bei: A., I. Einordnung des Begriffs „Staatskirchenrecht“. 638 Wie bereits dargelegt wird sie vor allem noch im Bereich der Sammelnachweise von Literatur und Universitäten verwendet, siehe dazu oben bei den gleichnamigen Abschnitten 4. bzw. 5. 630 631

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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nommen639. Dies ist bereits ein Hinweis darauf, dass im Namen des Instituts vom „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne ausgegangen wird. Die Ordnung belegt diese Vermutung durch den Auftrag zur Pflege des „Kirchen- und des Staatskirchenrechts“640. Damit ist die Nomenklatur in der Zeitschrift wie im Institut mit den bereits oben behandelten Lehrstuhlbezeichnungen an deutschsprachigen Universitäten vergleichbar. Hier erscheint die Verwendung von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne jedoch gerechtfertigt. Die ZevKR geht schon nach ihrem Titel vom rechtlichen Blickwinkel der Evangelischen Kirchen aus. Dieser fasst das für die Evangelischen Kirchen entscheidende Recht als „Kirchenrecht im weiteren Sinne“ auf. Auch das Institut gibt bereits im Titel seinen Träger an. Damit sind die Zeitschrift wie das Institut jeweils wissenschaftliches Organ bzw. Einrichtung im Dienste einer Religionsgemeinschaft. Die Ordnung des Kirchenrechtlichen Instituts offenbart dies in § 2: Das Kirchenrechtliche Institut erfüllt seine Aufgaben „in wissenschaftlicher Unabhängigkeit und in Bindung an den kirchlichen Auftrag“.

d) Akademie Rottenburg-Stuttgart / Lehrstuhl für Kirchenrecht Tübingen Die Katholische Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart führt in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Kirchenrecht am Katholisch-Theologischen Seminar der Universität Tübingen alljährlich eine „Kirchenrechtliche Tagung“ durch641. Die Themen umfassen zwar in erster Linie kirchenrechtliche Materien, aber auch Fragen zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften. Damit wird hier offenbar der Begriff „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne verwendet. Bei der Titelauswahl wie auch innerhalb der Tagungsbeiträge fällt die weitgehende Vermeidung von „Staatskirchenrecht“ zugunsten von „Religionsrecht“ auf. Für den Band zur Tagung von 1993 wurde dies bereits oben ausführlich dargestellt642. Im Band von 1991 ist noch zögerlicher vom „Regelungsgefüge des Kirche-StaatsRechts“ die Rede643. Folgerichtig behandelt der Aufsatz des Mitherausgebers Puza „Neue Rechtsfragen zwischen Kirche und Staat“644. Dagegen nutzt er im Band von 1996 über „Konkordatäre Vereinbarungen und staatliches Religionsrecht“ durchwegs diese Fachbezeichnung645. Damit wird die Linie von 1993 fortgesetzt. 639 Vgl. § 5 der Ordnung des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD vom 27. Mai 1994 (Abl. EKD, S. 252), auch abgedruckt in: A. v. Campenhausen, Bemerkungen zum Kirchenrechtlichen Institut der EKD, in: FS Listl, 1999, S. 1094 f. 640 Vgl. § 1 Abs. 1, 2 und 4 der genannten Ordnung. 641 Diese Formulierung findet sich auf der homepage des teilnehmenden Lehrstuhls: http://www.uni-tuebingen.de/kirchenrecht/aktuell/index.html, abgerufen am 28. 06. 2001. 642 Siehe dazu bei: 2., a) Synonyme Verwendung. 643 R. Puza / A. P. Kustermann, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Die Kirchen und die deutsche Einheit, 1991, S. 7. 644 A. a. O., S. 83 ff.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Der Begriffswahl im Rahmen der Tagungen entsprechen die Veranstalter auch in ihrem eigenen Tätigkeitsfeld. Als Referent, seit Juli 2001 als Direktor der Akademie betreut Kustermann Tagungen unter der Überschrift „Kirche, Staat und Recht“. In der persönlichen Vorstellung werden die von ihm behandelten Themen aufgelistet, u. a.: „Kirchenrecht-Staatskirchenrecht-Staatliches Religionsrecht; [ . . . ]“. Dies entspricht der Einteilung von Mikat. Offenbar macht es in einer kirchlichen Akademie Sinn, alle staatlichen Rechtsnormen mit Bezug zu den Kirchen zu behandeln, also an das Phänomen „Religion“ anzuknüpfen, im Gegensatz zur Befolgung einer logischen Einteilung von Rechtsgebieten. Die Begriffswahl des Tübinger Lehrstuhls von Prof. Puza wurde bereits oben behandelt646.

e) Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Aus Anlass des 75-jährigen Bestehens des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht fand im April 2000 in Heidelberg ein Symposium zum Thema „Religionsfreiheit und rechtliche Bindung“ statt647. Ziel sei es nach Aussage der Herausgeber des ausführlich die Vorträge und die Diskussion dokumentierenden Tagungsbandes, R. Grote und T. Marauhn, gewesen, die im fachwissenschaftlichen Diskurs zumeist vernachlässigten völkerrechtlichen und rechtsvergleichenden Aspekte zu betonen648. Diese seien „in ,offenen‘ multireligiösen Gesellschaften sowohl in analytischer wie in rechtspraktischer Hinsicht“ für die Problemlösung von zunehmender Bedeutung. Unter diesen Prämissen ist es nicht erstaunlich, dass einer der 13 Beiträge ausschließlich die Frage nach „Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?“ stellt. Dieser Vortrag von Walter wurde bereits oben ausführlich besprochen649. Die anderen hier weiter unten noch inhaltlich besprochenen Aufsätze gehen auf die Begriffsdiskussion nicht direkt ein, was angesichts des einen klärenden Beitrags nicht verwundert. In jeweils einem Fall wird entweder keine Fachbezeichnung650 oder „Staatskirchenrecht“651 verwendet. Zwei andere Autoren gebrauchen eine umschreibende Formulierung, die Sensibilität für die Begrifflichkeiten erkennen lässt652. 645 R. Puza, Konkordatäre Vereinbarungen und staatliches Religionsrecht, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Neue Verträge zwischen Kirche und Staat, 1996, S. 13 ff. 646 Vgl. oben bei: 5., b), Katholisch-Theologische Fakultäten. 647 So lautete nach Angaben der Herausgeber des Tagungsbandes der von dessen Titel abweichende Titel der Tagung selbst, siehe R. Grote / T. Marauhn, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Religionsfreiheit, S. V. 648 Ebd. 649 Siehe oben bei: 1., b), (1) Begriffsdiskussion als Thema einer Arbeit. 650 C. Benedict, Zur Bedeutung religiöser Gebote für die Anwendung staatlicher Normen, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001. 651 R. Bank, Kirchliches sanctuarium als rechtsfreier Raum?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 387.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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Aufschlussreich ist der Teil der Diskussion, der sich mit den fünf Vorträgen befasst, die unter dem Motto „Religiöse Selbstbestimmung und staatliche Rahmenordnung“ stehen. Von sieben Diskussionsbeiträgen betreffen die drei letzten die Lage in anderen Ländern, über die hier noch nicht berichtet wurde. Die ersten vier Redner nehmen alle nur zu dem zu diesem Teil gehörenden Referat von Walter Stellung, zwei davon tun dies explizit, zwei implizit:653 – Der Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg G. Ress verwendet in seinem Beitrag zwar durchgängig „Staatskirchenrecht“, sieht jedoch das „Religionsverfassungsrecht“ als in der Tat offener für verschiedene individualrechtliche Ausprägungen, die es neuen Religionsgemeinschaften leichter machen könne, sich in gewachsene Sonderstellungen einzuordnen654. – Direkt im Anschluss geht v. Campenhausen inhaltlich auf Walter ein, wenn er die international beachtliche deutsche Lösung ohne einseitig privilegierte Religionsgemeinschaft hervorhebt. Zur Kennzeichnungsfrage direkt bezieht er jedoch keine Stellung655. – In seinen beiden Äußerungen verwendet C. Starck insgesamt fünfmal ohne weitere Anmerkung „Religionsverfassungsrecht“ und übernimmt damit offenbar die auf dieser Tagung von Walter vorgestellte neuere Terminologie656. – S. Oeter schließlich vermag keine inhaltliche Frontstellung des „traditionellen ,Staatskirchenrechts‘ gegen Konzepte des ,Religionsverfassungsrechts‘“ zu erkennen657. Ein grundrechtsdogmatisch konzipiertes „Religionsverfassungsrecht“ laufe letztlich auf eine Ehrenrettung des „alten Staatskirchenrechts“ hinaus. Auch äußerlich behandelt Oeter beide Begriffe gleich. Zumeist sind sie in Anführungszeichen gesetzt, wenn nicht, wie zweimal, vom „traditionellen Staatskirchenrecht“ die Rede ist. Damit scheint Oeter grundsätzlich dem neuen Begriff gegenüber aufgeschlossen. Zur Begriffsfrage als solcher nimmt er jedoch nicht Stellung. 652 T. Marauhn, der von einem „institutionellen Staatskirchenrecht“ spricht, vgl. ders., Bedürfnis- und Bedeutungsadäquanz rechtlicher Organisationsformen von Religionsgemeinschaften in multireligiösen Gesellschaften, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, S. 413 ff., 453 ff. In einem rechtsvergleichenden Beitrag wird auf „das deutsche Modell des Staatskirchenrechts“ verwiesen durch J. A. Frowein, Religionsfreiheit und internationaler Menschenrechtsschutz, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 78. 653 Explizit: G. Ress und S. Oeter, Implizit: A. v. Campenhausen und C. Starck. 654 G. Ress, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 586. 655 A. v. Campenhausen, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 588 f. Vgl. zu diesem „klassischen“ Autor im hier zugrundeliegenden Fach auch das oben gefundene Ergebnis bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 656 C. Starck, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 589 (dreimal) und 598 f. (zweimal). 657 S. Oeter, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, insbesondere S. 592.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Die schriftliche Fassung der Tagungs- und Diskussionsbeiträge trägt einen abweichenden, näher erläuternden Titel, der nunmehr eine Fachbezeichnung enthält, nämlich „Staatskirchenrecht“ 658. Wie dieser zustande gekommen ist bleibt mangels einer Erklärung im Vorwort eine unbeantwortete Frage. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass der Titel in Abstimmung mit dem Verlag gewählt wurde. Dieser könnte eine Erweiterung gefordert haben zur Erleichterung der Unterscheidbarkeit des Bandes und Identifizierbarkeit seines Inhalts mit Hilfe der Verwendung eines Gattungsbegriffs659.

f) Deutsche Richterakademie Das Bayerische Staatsministerium der Justiz veranstaltete im Jahr 2000 in der Deutschen Richterakademie am Tagungsort Trier eine bundesweite Tagung erstmals660 zum Thema „Kirche-Staat-Recht“ 661. Die Tagung wollte „dem zunehmenden Individual- und Staatsatheismus eine Besinnung auf die theologischen Wurzeln im Recht und auf das Verhältnis von Staat und Kirche entgegensetzen“. Die Reduzierung auf die Kirchen hielten auch die Vorträge konsequent durch. So wird z. B. ein Vormittag dem Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen gewidmet, über den jeweils ein katholischer und ein evangelischer Experte referierten662. Der Islam wurde explizit nur im Ausland behandelt mit einem Referat zur Situation des Islam im Verhältnis zum Staat in den islamischen Ländern663. Diese Beschränkung auf die Kirchen mag im religiös neutralen Staat verwundern, gerade da nicht kirchlich organisierte Religionsgemeinschaften vermehrt Partei von aktuellen Rechtsstreitigkeiten sind. In Bezug auf die hier zu untersuchenden Begriffe fällt auf, dass weder im Titel noch bis auf eine Ausnahme in der Beschreibung der Tagung im Fortbildungprogramm des Ministeriums der Begriff „Staatskirchenrecht“ Verwendung findet664. Offenbar bieten sich selbst im Falle einer betont kirchlichen Sicht des Fachs Umschreibungen des Verhältnisses an, die den Teil „Staatskirche“ vermeiden.

658 Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht, 2001. 659 Zur konservativen Begriffsverwendung durch Verlage siehe bereits oben bei: 4. Sammelnachweise von Literatur. 660 Telefonische Auskunft des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz, Hr. Lüding, gegenüber dem Verfasser am 27. 06. 2001. 661 Deutsche Richterakademie, Tagung 38 b vom 11. bis 16. Dezember 2000 in Trier. 662 Veröffentlicht ist der Beitrag von C. Thiele, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen – aus evangelischer Sicht, ZevKR 46 (2001). 663 So die Einladung durch das Bayer. Staatsministerium der Justiz, Az. 2070 IV B – PA – 1149 / 99. 664 Vgl. Bay. Staatministerium der Justiz (Hrsg.), Fortbildung für Richter und Staatsanwälte. Programm 2000, München 1999.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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g) Ergebnis In Vorträgen und Diskussionsbeiträgen zeigt sich ein buntes Tableau der Bezeichnungsverwendung mit einem Schwerpunkt auf „Staatskirchenrecht“. Dieser ist wohl auch auf Tagungen der Begriff mit dem höchsten Verbreitungsgrad. Diese Stellung ist jedoch nicht mehr unangefochten. Im Titel von Tagungen wird der herkömmliche Begriff dagegen nur noch selten verwendet, nicht einmal in Untertiteln. Zumeist wird das Verhältnis von Staat und Religion inhaltlich beschrieben. Dies mag einerseits mit der Notwendigkeit immer neuer, eigenständiger Tagungsthemen zu erklären sein. Andererseits fällt auf, dass der klassische Begriff teilweise regelrecht gemieden wird. Möglicherweise ist er außerhalb der engen Kreise der Spezialisten mangels Verständnis des Inhalts nicht mehr ohne weiteres anwendbar. 7. Staatliche Rechtsprechung Schließlich sei die Verwendung der Fachbezeichnungen durch die deutschen Gerichte untersucht. Dies geschieht hier in zwei Schritten: Zunächst werden Entscheidungen, Urteile und Beschlüsse, ausgewertet (a), dann exemplarisch zwei Geschäftsverteilungspläne (b). a) Entscheidungen Nach der Schilderung der herkömmlichen Bezeichnungslage folgt die Darstellung einer neueren Entwicklung. aa) Traditionelle Bezeichnung Die deutschen Gerichte bedienen sich in ihren Urteilen und Beschlüssen, falls überhaupt eine Fachbezeichnung genannt ist, fast durchweg des Begriffs „Staatskirchenrecht“ 665. Damit folgen sie dem insbesondere auf einfachgesetzlicher Ebene vorherrschenden Sprachgebrauch, der traditionell auf die Kirchen abstellt, auch wenn im Einzelfall dadurch eine Fehlbezeichnung stattfindet. Vgl. z. B. die folgenden aktuellen Entscheidungen: BVerfGE 99, 100 ff., 122 (Beschluss v. 13. 10. 1998 – 2 BvR 1275 / 96 – St. Salvator). In dieser Entscheidung wird der Begriff nur als Adjektiv verwendet. Als Substantiv findet er sich jedoch in der dem Beschluss vorhergehenden einstweiligen Anordnung durch Beschluss v. 13. 2. 1997, ZevKR 42 von 1997, 423 ff., 430. BVerwGE 105, 117 ff., 119 (Urteil v. 26. 06. 1997 – 7 C 11 / 96); BGH NJW 2000, S. 1555 ff., 1556 = ZevKR 45 (2000), S. 650 ff., 652 (Urteil v. 11. 2. 2000 – V ZR 271 / 99); BGHSt 37, 191 ff., 192 (Urteil v. 09. 10. 1990 – 1 StR 538 / 89); BFHE 184, 237 ff., 240 (Urteil v. 11. 11. 1997 – VII E 6 / 97); BAGE 77, 52 ff., 61 (Urteil v. 01. 06. 1994 – 7 AZR 7 / 93); BSG SozR 3 – 1500 § 166 Nr. 6 (Urteil v. 19. 03. 1997 – 6 RKa 61 / 95). 665

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Ein eindrückliches Beispiel dazu liefert ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1992, welches eine Baugenehmigung für einen islamischen Betsaal und eine Koranschule zum Gegenstand hat. Die ausschlaggebenden Vorschriften finden sich in § 3 Abs. 3 Nr. 2 und §§ 4 bzw. 6 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO. Dort werden nur Anlagen „zu kirchlichen [ . . . ] Zwecken“ baunutzungsrechtlich eingestuft. Der amtliche Leitsatz stellt fest: „Der Grundstücksnachbar einer in einem Baugebiet allgemein zulässigen kirchlichen Anlage [sic!] hat die mit deren Benutzung üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen grundsätzlich hinzunehmen“666. Ein weiteres Beispiel findet sich in einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Naumburg aus dem Jahr 1997. Die herrschende Ansicht zur Abgrenzung der Gerichtsbarkeiten von Staat und Religionsgemeinschaften wird mit dem an der Praxis orientierten, üblichen Sprachgebrauch zitiert. So ist von „innerkirchlichen Angelegenheiten“ und „kirchlichen Gerichten“ die Rede667. In dem Verfahren wird jedoch eine Entscheidung des Schiedsgerichts beim Zentralrat der Juden überprüft. Die nicht kirchliche Religionsgemeinschaft findet in der Wortwahl in Bezug auf den Einzelfall keine Berücksichtigung. Das Oberlandesgericht stellt vielmehr fest, dass das Schiedsgericht „als innerkirchliches VG anzusehen“ sei668.

bb) Neuere Entwicklung Jedoch taucht insbesondere in neueren Entscheidungen auch der Begriff „Religionsrecht“ auf, wenn es um nicht kirchlich geprägte Religionsgemeinschaften geht. Ein Begriffswandel deutet sich zumindest in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung an669. Bereits im Jahr 1975 behandelt das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung aus dem Bereich des Internationalen Privatrechts eine „Privatscheidung nach jüdischem Religionsrecht“670. Dieses Urteil zeigt die Unmöglichkeit eines „jüdischen Kirchenrechts“ sowie die Umständlichkeit des Begriffs „religiöses Recht“ im Internationalen Privatrecht, der bereits oben in einem Exkurs behandelt worden ist671. Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Körperschaftsstatus der Zeugen Jehovas aus dem Jahr 2000 ändert dieses Gericht seine Begriffswahl. Zuvor wurde hier üblicherweise „Staatskirchenrecht“ verwendet672. Bereits in der 666 BVerwG, Urteil vom 27. 2. 1992 – 4 C 50 / 89, NJW 1992, S. 2170, ZevKR 38 (1993), S. 89 ff. 667 OLG Naumburg, Urteil v. 11. 09. 1997 – 7 U 1328 / 97, NJW 1998, S. 3060 ff., 3062. 668 Ebd. 669 So C. Görisch, „Staatskirchenrecht“ am Ende?, NVwZ 2001, S. 887. 670 KirchE 15, 122 ff., 122. 671 Siehe dazu oben bei: 3., d) Exkurs II – Internationales Privatrecht.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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Entscheidung zur Vereinsfreiheit der Bahá‘í aus dem Jahr 1991 findet der Begriff „Religionsrecht“ in seiner adjektivischen Variante fünfmal Erwähnung673. Gemeint ist hier jedoch nicht ein Ersatz für die traditionelle Fachbezeichnung. Es geht an der genannten Stelle vielmehr um das interne Recht der Bahá‘í674. Damit umgeht das Bundesverfassungsgericht bewusst die herkömmliche, durch das Verhältnis von Staat und Kirchen geprägte Bezeichnung „kirchenrechtlich“ durch eine Kurzform von „religionsgemeinschaftsrechtlich“. Die ordnungsgemäße Bezeichnung hätte aber „Bahá‘í-rechtlich“ lauten müssen675. In der angesprochenen Entscheidung von 2000 wird „Staatskirchenrecht“ fünfmal in der Kombination „Religionsund Staatskirchenrecht“ und sechsmal allein verwendet. Letzteres geschieht zweimal im Bericht über den Vortrag der Beschwerdeführerin bzw. eines Äußerungsberechtigten676 und dreimal im direkten Zusammenhang und offenbar zur Abgrenzung vom einmal verwendeten Terminus „Religionsverfassungsrecht“677. Dieser hat damit erstmals Eingang in eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gefunden. Gemeint ist offenbar die Gesamtheit der verfassungsrechtlichen Normen in Bezug auf das Phänomen Religion im Gegensatz zu den Normen in Bezug auf Religionsgemeinschaften, also insbesondere die inkorporierten Weimarer Artikel. Dafür spricht zum einen, dass an der genannten Stelle von „Religionsverfassungsrecht insgesamt“ im Gegensatz zum „Staatskirchenrecht“ die Rede ist. Dafür spricht zum anderen, dass in den selbständigen Äußerungen des Gerichts, auch in einem der Leitsätze, ansonsten stets die Kombination „Religions- und Staatskirchenrecht“ Verwendung findet678. In vier von sechs Fällen folgt die nähere Erklärung: „des Grundgesetzes“. In einem Fall ergibt sie sich aus dem Zusammenhang, in einem anderen wird „verfassungsrechtliches“ vorweg gestellt. Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine neue Fachbezeichnung eingeführt, die eine Verbindung von „Staatskirchenrecht“, „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ darstellt. Die Folgen dieser Änderung der Nomenklatur des in Fragen der Grundrechte letztentscheidenden Gerichts kann einen starken Einfluss auf die Sprache der Fachjuristen ausüben. Ein Beispiel dafür, wie die Wortwahl des Bundesverfassungsgerichts unmittelbar in einen juristischen Text Eingang findet, stellt ein Beitrag von K. Hertlein aus dem Jahr 2001 dar679. Im Rahmen der Prüfung einer möglichen Verleihung des Körperschaftsstatus an islamische Gemeinschaften Vgl. C. Görisch, a. a. O. BVerfGE 83, 341 (360 f.). 674 So auch C. Görisch, a. a. O., der jedoch daraus den Schluss zieht, dass der Begriff „Religionsrecht“ in seiner Mehrdeutigkeit keine Alternative zur traditionellen Bezeichnung sei. Dazu eingehend bereits oben bei: 3., b), (1), (b) „staatliches Religionsrecht“. 675 Siehe dazu unten bei: E., III. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne. 676 BVerfGE 102, 370, S. 380 f. 677 A. a. O., S. 393 f. 678 A. a. O., S. 370, 387, 392, 394 (2x), 396. 679 K. Hertlein, Der rechtliche Rahmen für Bestattungen nach islamischen Vorschriften, NVwZ 2001. 672 673

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

zitiert die Autorin direkt die entsprechende Stelle der Zeugen-Jehova-Entscheidung des Gerichts und übernimmt damit die Bezeichnung „des freiheitlichen Religionsrechts des Grundgesetzes“680. In einem Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg aus dem Jahr 2000 wird der Kläger als „Verfassungs- und Religionsrechtsexperte sowie Mitglied der Bonner Enquete-Kommission ,So genannte Sekten und Psychogruppen‘“ bezeichnet681. Die Bezeichnung als Religionsrechtsexperte beruht wahrscheinlich auf dem Vortrag des Klägers. Immerhin folgt das Gericht seiner Terminologie. Dies spricht zum einen für die Bekanntheit, zum anderen für die Sinnhaftigkeit dieses Ausdrucks, gerade im Zusammenhang von häufig nicht christlich / kirchlich orientierten Sekten und ähnlichen Gruppen. Das Verwaltungsgericht Berlin behauptet im gleichen Jahr die Geltung einer „religionsrechtlichen Regelung auch für den weltlichen Bereich“682. Da es sich um Normen von evangelischen Landeskirchen handelt, ist hier „Kirchenrecht“ der passendere, da spezifischere Begriff. Die Verwendung des weitaus umfassenderen „Religionsrecht“ anstelle eines „Religionsgemeinschaftsrechts“ erscheint nicht als Versehen, sondern als bewusster indirekter Hinweis auf die in Berlin nicht mehr gegebene volkskirchliche Prägung, denn das Verwaltungsgericht verweist an dieser Stelle auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welche von „innerkirchlichen Regelungen“, „Kirchensteuerrecht“ und „kirchlichem Mitgliedschaftsrecht“ spricht683.

b) Geschäftsverteilungspläne Das soeben gefundene Ergebnis wird gestützt durch die Bezeichnungen in den Geschäftsverteilungsplänen. Das Bundesverfassungsgericht unterteilt die Materie in das „Recht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit – Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG –“684 und das „Staatskirchenrecht einschließlich des Rechts der Dienstverhältnisse zu Religionsgesellschaften und des zugehörigen Disziplinarrechts“685. Es verwendet somit, der Aufgabenteilung zwischen Erstem und Zweiten Senat gerecht werdend, den heute eher unüblichen, eingeschränkten Begriff des „Staatskirchenrechts“ im engeren Sinne.

680 681

A. a. O., S. 890. OLG Hamburg, Beschluss v. 03. 03. 2000, Az. 7 U 69 / 99, NJW-RR 2000, 1292 ff.,

1292. VG Berlin, Urteil v. 14. 04. 1997, Az. 27 A 46 / 94, LKV 1998, S. 414 ff., 415. Ebd. 684 Geschäftsverteilung des Bundesverfassungsgerichts, Geschäftsjahr 2001, Beschlüsse des Ersten Senats vom 6. Dezember 2000: Teil A, BVR Hömig, I., 1. 685 Geschäftsverteilung des Bundesverfassungsgerichts, Geschäftsjahr 2001, Anlage zu den Beschlüssen des Zweiten Senats vom 7. und 15. Dezember 2000: BVR Hassemer, I., 1. 682 683

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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Das Bundesverwaltungsgericht, bei dem sämtliche Angelegenheiten in einem Senat behandelt werden, kennt nur das Gebiet „des Staatskirchenrechts“686.

8. Ergebnis der Untersuchung Deutschlands Zusammenfassend lässt sich für die Verbreitung der Begriffe „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ in Deutschland folgender Status quo festhal-ten.

a) Literatur In seiner für die hier untersuchte Problematik wegweisenden Arbeit aus dem Jahr 1994 hat Hollerbach festgestellt, dass „Staatskirchenrecht“ und „Religionsrecht“ nebeneinander verwendet werden. Auch inhaltlich seien bei einem weiten Begriffsverständnis von „Staatskirchenrecht“ keine nennenswerten Unterschiede mehr feststellbar687. Die vorliegende Arbeit kommt nach eingehender Analyse der wissenschaftlichen Literatur und einiger anderer praktischer Anwendungsfelder in Deutschland zum gleichen Ergebnis. Die von Mikat erdachte neue Begriffsebene hat sich nicht durchsetzen können. Die Begriffe „Religionsrecht“ und „Staatskirchenrecht“ werden zumeist synonym gebraucht. Auch der zweite hier verfolgte Begriff „Religionsverfassungsrecht“ von Häberle hat in letzter Zeit zunehmende Verbreitung gefunden. Beide Begriffe befriedigen offenbar ein Bedürfnis nach einer (kirchen)neutralen Bezeichnung. Dieser Befund verwundert nicht. Schließlich hat die Wiedervereinigung in den alten Bundesländern nach einem von den Volkskirchen geprägten halben Jahrhundert erstmals eine rapide Veränderung der religionssoziologischen Gegebenheiten herbeigeführt. In der sonstigen Literatur dominiert der Begriff „Staatskirchenrecht“. Jedoch kommt es nicht selten zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinem Inhalt und mit Alternativvorschlägen, nicht zuletzt in aktuellen Lehrbüchern zum „Staatskirchenrecht“. Die Diskussion des Begriffs ist in Gang gekommen. Bei Sammelnachweisen von Literatur fällt eine grundsätzlich streng konservative Begriffsverwendung auf. Hier hat das Begriffsfossil „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne sämtliche Reformansätze überlebt.

686 Geschäftsverteilungsplan des Bundesverwaltungsgerichts, Geschäftsjahr 2001: A., I., a), 7. R.-Senat, 3. 687 Hollberbach (1994), S. 885.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

b) Andere juristische Lebensbereiche Auch bei Lehrstuhlbezeichnungen findet sich weitgehend noch der Begriff „Kirchenrecht“ im heutzutage selten genutzten weiteren Sinne. Zwei Neubenennungen in den neuen Bundesländern könnten jedoch eine Trendwende ankündigen. Bei Entscheidungen staatlicher Gerichte findet sich im Gegensatz zu der Nomenklatur in den Geschäftsverteilungsplänen bereits eine Aufnahme der neuen Begriffe, besonders bemerkenswert im Falle des Bundesverfassungsgerichts. Bei Tagungen zeigt sich bereits eine spürbare Tendenz zur Nutzung der neuen Begriffe und ein Trend zur Vermeidung von „Staatskirchenrecht“.

II. Österreich Das erste Land, welches hier im rechtsvergleichenden Exkurs angesprochen wird ist Österreich. Dessen Sprach- und Rechtstradition ist besonders eng mit der deutschen verwandt. Dies rechtfertigt eine Untersuchung der Wahl der Fachbezeichnung im kursorischen Überblick der letzten fünfzig Jahre mit einem Schwerpunkt bei der jüngsten Entwicklung.

1. Allgemeine Gebräuchlichkeit in der Vergangenheit Einen Überblick über die Verwendung der Fachbezeichnung für die staatliche Rechtsmaterie mit Bezug zur Religion und den Religionsgemeinschaften gibt ein rechtshistorischer Beitrag von R. Hoke688. Diesem liegt ein Vortrag zum 50-jährigen Jubiläum der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrechtswissenschaft zugrunde, den der Verfasser im Januar 1999 gehalten hat. Hier findet sich ein repräsentativer zeitlicher Querschnitt von wissenschaftlichen Vortragstiteln aus 50 Jahren. Diese bezeichnen durchweg das Rechtsverhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften mit „Staatskirchenrecht“ 689. Dieser Begriff kann für sich das historische Argument der allgemeinen Gebräuchlichkeit in der Vergangenheit beanspruchen. Eine Erklärung für diese Parallele zur Lage in Deutschland bietet die Verwandtschaft mit der deutschen Rechtsordnung und Rechtssprache. Diese Verbindung wird durch den regen Austausch von Personal und Informationen zwischen Deutschland und Österreich gefestigt. Bereits im Vortrag von Hoke, der über eine rein österreichische Vereinigung spricht, ist die Präsenz namhafter deutscher „Staatskirchenrechtler“ unübersehbar690. 688 R. Hoke, Zu einem Jubiläum der Kirchenrechtswissenschaft in Wien in der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht, ÖARR 46 (1999). 689 A. a. O., S. 187 ff.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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2. Frühe kritische Äußerungen Die unumstrittene Herrschaft des Begriffs „Staatskirchenrecht“ wurde jedoch nicht kritiklos hingenommen. Beispielhaft seien hier zwei kritische Äußerungen genannt. Die Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ habe sich völlig eingelebt. Dies war bereits eines der drei Argumente, welche H. Klecatsky und H. Weiler im Jahr 1958 dazu veranlasst haben, ihre Sammlung und Kommentierung von Gesetzen und Verordnungen unter dem Titel „Österreichisches Staatskirchenrecht“ herauszugeben691. Die Autoren verhehlen jedoch nicht, vor der Entscheidung für diesen Titel gezögert zu haben. Die folgenden drei Argumente hätten gegen „Staatskirchenrecht“ gesprochen: Einmal sei der Begriff mit den kultuspolitischen Ideen des 19. Jahrhunderts belastet. Dann sei er unpräzise und schließlich fehlten ebenso die religiöse Sphäre des Einzelnen wie der Bezug zu nichtchristlichen Religionsgemeinschaften. Als Alternative böte sich jedoch nur der nicht minder belastete Ausdruck „Kultusrecht“. Mangels echter Alternative, wegen der Zurschaustellung der Polarität Religion / Staat und aus dem o.g. Grund entschieden sich die Autoren dennoch für „Staatskirchenrecht“. Daraus lässt sich einerseits die mit argen Bedenken verbundene Wahl des Begriffes ablesen, andererseits der Mangel eines geeigneten Bezeichnungsvorschlags in damaliger Zeit. Auch im Lehrbuch „Österreichisches Staatskirchenrecht“ aus dem Jahr 1984 teilt der Verfasser H. Pree ein typisches Dilemma mit692: „Der Begriff ,Staatskirchenrecht‘ ist aus mehreren Gründen missverständlich: Erstens, weil es sich dabei nicht um Kirchenrecht, d. h. um von kirchlichen Instanzen erlassenes Recht handelt; zweitens, weil es nicht nur Kirchen, sondern auch Religionsgemeinschaften und Individuen betrifft; drittens, weil der Begriff ,Staatskirchenrecht‘ nicht mit dem Modell der ,Staatskirche‘ bzw. des ,Staatskirchentums‘ zu tun hat. Dennoch soll der Begriff vor allem wegen seiner allgemeinen Gebräuchlichkeit beibehalten werden.“

Offenbar beugt sich Pree der herrschenden Begriffsmeinung vor allem aus praktischen Erwägungen, nicht weil er inhaltlich mit deren Entscheidung übereinstimmte.

3. Veränderungen seit 1996 Die allgemeine Gebräuchlichkeit der Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“ wird heute in Österreich durch zwei wesentliche Veränderungen im Jahr 1999 in Zum Beispiel U. Scheuner, A. v. Campenhausen und G. Robbers, a. a. O., S. 187 f. Vgl. auch zum Folgenden: H. Klecatsky / H. Weiler, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1958, S. XII. 692 H. Pree, Österreichisches Staatskirchenrecht, 1984, S. 1. 690 691

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Frage gestellt, die mit einer pointierten Wegweisung im Jahr 1996 quasi eingeläutet wurden.

a) Wegweisung im Jahr 1996 Die Wegweisung findet sich im Vorwort, das die Herausgeber H. Kalb, R. Potz und B. Schinkele der neuen Reihe „Religionsrechtliche Studien“ im ersten Band vorangestellt haben693. Zunächst erläutern die Herausgeber die „verzerrende, reduktionistische Sichtweise“ des traditionellen Begriffs „Staatskirchenrecht“. Sodann wird unter Hinweis auf Mikat eine privilegierende Modellvorstellung abgelehnt und der Begriff „Religionsrecht“ als die Gesamtheit der staatlichen Rechtsnormen definiert, die den religiösen Interessen Rechnung trügen. Der neue Begriff sei in einem freiheitlich-demokratischen Kultur- und Sozialstaat notwendig, der die pluralen Interessen seiner Bürger um deren Freiheit willen paritätisch zu fördern habe. Dies erfordere eine Dynamik des „Religionsrechts“, die der Pluralisierung des religiösen Lebens folge. Die „multikulturelle“ Gesellschaft sei auch „mulitkonfessionell“. Schließlich sei der nationale Blickwinkel aufzugeben und durch eine europäische Perspektive zu ersetzen. Es sei noch angemerkt, dass auch der zweite Band der Reihe unter der Überschrift „Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz“ aus dem Jahr 2001 diesen Ansatz weiterverfolgt. Nach Aussage der Herausgeber im Vorwort soll „entsprechend dem Programm der ,Religionsrechtlichen Studien‘“ das Thema ausgehend von religionsrechtlichen Normen in einer umfassenden Darstellung behandelt werden694. Religiöse Interessen im modernen Kultur- und Sozialstaat finden ebenso Berücksichtigung wie die spezielle Sicht aus der Praxis des Staates und zweier betroffener Religionsgemeinschaften. Die Bedeutung des Begriffs „Religionsrecht“ ergibt sich nurmehr aus dem Inhalt des Bandes. Offenbar handelt es sich dabei um eine Querschnittsmaterie. Auf eine begriffliche Abgrenzung oder Erwähnung von „Staatskirchenrecht“ wird nach der soeben geschilderten, umfassenden Auseinandersetzung im Vorwort des ersten Bandes der Reihe verzichtet.

b) Universität Wien im Jahr 1999 Eine der zwei wesentlichen Veränderungen von 1999 fand auf universitärer Ebene in Bezug auf eine Lehrstuhlbezeichnung an der Universität Wien statt. Die dort zugrundeliegende Rechts- und Begriffslage ist grundsätzlich mit der in Deutsch693 H. Kalb / R. Potz / B. Schinkele, Das Kreuz im Klassenzimmer und Gerichtssaal, Religionsrechtliche Studien, Band 1, 1996, S. V ff. 694 Siehe auch zum Folgenden: R. Potz / B. Schinkele / W. Wieshaider, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Schächten. Religionsfreiheit und Tierschutz, Religionsrechtliche Studien, Band 2, 2001.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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land vergleichbar695. An fünf Lehrstühlen an Katholisch-Theologischen Fakultäten wird in Österreich „Kirchenrecht“ 696 bzw. zweimal „Kanonisches Recht“697 gelehrt. Zwei von drei Lehrstühlen an Juristischen Fakultäten behandeln das „Kirchenrecht“ bzw. „Rechtsgeschichte und Kirchenrecht“698. Der dritte Lehrstuhl ist an der Universität Wien angesiedelt und wird von Prof. R. Potz bekleidet, der bisher dem „Institut für Kirchenrecht“ angehörte. Durch äußeren Anlass, aber dem Wunsch seiner Mitglieder entsprechend, wurde der Name in „Institut für Recht und Religion“ geändert699. Vielleicht hat die in Bezug auf das „Evangelische Kirchenrecht“ in Wien entspannte Lage diese Anpassung an einen modernen, präzisen Sprachgebrauch erleichtert. Wie bereits erwähnt, gibt es in Wien die Besonderheit eines Instituts für „Kirchenrecht“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät700. Hoke beschreibt in seinem Aufsatz, der einen kurz vor der Änderung gehaltenen Vortrag wiedergibt, zunächst die „Bandbreite der Forschungen zur Problematik der Begegnung von Recht und Religion“. Daran knüpft er eine positive Bewertung der Namensänderung an701: Staatskirchenrecht sei der überkommene, jedoch wohl überholte Begriff. Der neue Begriff korrespondiere dagegen durchaus mit dem aktuellen Forschungsbereich des Institutes. Gleichwohl hält er weiterhin für das Teilgebiet des Faches Kirchenrecht, welches Teil der staatlichen Rechtsordnung ist, am Begriff „Staatskirchenrecht“ fest702. Dies erscheint angesichts der vorher beschriebenen Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse und der Einführung eines „kirchenfreien“ Oberbegriffes „Religionsrecht“ widersprüchlich. Der geänderten Studienordnung angepasst wurden auch die angebotenen Veranstaltungen: Religionsrecht, Kulturrecht sowie Islam und Recht. Diese sind in einem „Wahlfachkorb Kultur- und Religionsrecht“ verbunden, der ein Angebot an die Studenten darstellt, ihre auf die hohe Zahl von 23 Semesterwochenstunden erhöhte Wahlfreiheit auf bestimmte Gebiete zu konzentrieren, sich also zu spezialisieren703. Das Wahlfach Kirchenrecht hat damit eine den religionssoziologischen Veränderungen angemessene und dem Grundsatz der staatlichen Neutralität entsprechende begriffliche wie inhaltliche Erweiterung erfahren.

Siehe dazu oben bei: I. 5. Universitäten. Universitäten Innsbruck (Prof. W. Rees), Linz (Prof. S. Lederhilger) und Salzburg (Prof. J. Paarhammer). 697 Universitäten Graz (Prof. J. Hirnsperger) und Wien (Prof. L. Müller). 698 Universität Linz (Prof. H. Kalb) und Salzburg (Prof. A. Rinnerthaler). 699 Vgl. R. Hoke, Zu einem Jubiläum der Kirchenrechtswissenschaft in Wien in der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht, ÖARR 46 (1999), S. 199 f. 700 Institutsvorstand ist Prof. G. Reingrabner. 701 Ebd. 702 R. Hoke, a. a. O., S. 201. 703 Studienplan für das Diplomstudium an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien i.d.F. v. 16. 6. 1999, §§ 9 – 12. 695 696

9 Kupke

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

c) Eine Zeitschrift zum Thema seit 1999 Die andere Veränderung im Jahr 1999 ist die Umbenennung des traditionsreichen, seit 1950 verlegten Österreichischen Archivs für Kirchenrecht, welches von der Österreichischen Gesellschaft für Kirchenrecht verlegt wird. Seit Erscheinen von Heft 1 des 46. Jahrgangs im Jahr 1999 trägt die Zeitschrift den Titel österreichisches Archiv für recht & religion. Der Verleger wechselte, jedoch nicht die Herausgeber. In ihrer Vorbemerkung teilen sie dem Leser mit, dass man mit dem Band ein Zeichen im Sinne der Neugestaltung setzen wolle704. Anlass war die Tagung „Europa und die Religion“, die im Hinblick auf ein sich abzeichnendes Religionsrecht auf europäischer Ebene abgehalten wurde. Vor dem Hintergrund eines allgemeinen staatlichen Kulturverfassungsrechts im freiheitlich-demokratischen Staat dürfe man nicht einem vornehmlich institutionell ausgerichteten Verständnis von Staat und Kirche verhaftet sein705. Die gewachsene, grundrechtlich abgesicherte Kirchenfreiheit erhalte dadurch eine neue systematische Begründung706. Damit lassen die Herausgeber ihrem Aufruf von 1996 auch in einer etablierten Reihe Taten folgen und erweitern in inhaltlicher wie begrifflicher Hinsicht den Horizont des Archivs. 4. Begriffsverwendung im Jahr 2000 Durch die genannten Namenswechsel könnte eine Veränderung der Begrifflichkeiten in Österreich in Gang gebracht worden sein. Deren exakten Umfang zu bestimmen muss einer eigenständigen Untersuchung vorbehalten sein. Hier soll beispielhaft ein Aufsatz von P. Pernthaler aus dem Jahr 2000 ausgewertet werden707. Das Rechtsgebiet, welches die staatlichen Rechtsvorschriften des Religionsrechts umfasst, wird eingangs als „Religionsverfassungsrecht (Staatskirchenrecht)“ vorgestellt708. Später spricht Pernthaler unter Hinweis auf Häberles Schriften vom „heutigen System des Religionsverfassungsrechts und des Staatskirchenrechts“, ohne dass er die Bedeutung der Begriffe voneinander abgrenzt709. Im weiteren werden beide sehr häufig und in stetem Wechsel verwendet710. Dies geschieht offenbar ohne inhaltliche Unterscheidung. Besonders auffällig ist dies beim Wechsel von Kapitel V. zu VI. Noch bei Kapitel IV., 6. ist nach der vorhergehenden ErörteH. Kalb / R. Potz / B. Schinkele, Vorbemerkung der Herausgeber, ÖARR 46 (1999). A. a. O., S. 3. 706 Ebd. 707 P. Pernthaler, Gott in der Verfassung, ÖARR 47 (2000). 708 A. a. O., S. 177. 709 A. a. O., S. 179. 710 „Staatskirchenrecht“: a. a. O., S. 183, 185, 188, 192, 196 – 198, 200 f.; „Religionsverfassungsrecht“: a. a. O., S. 178, 184, 186 f., 189 – 192. 704 705

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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rung der Geschichte des „österreichischen Religionsverfassungsrechts“ von der Entwicklung des „österreichischen Staatskirchenrechts“ die Rede. Im anschließenden V. Kapitel wird dann wieder „Religionsverfassungsrecht“ verwendet711. Die Begriffe an sich kennzeichnen auch keine besondere Ausrichtung, was eine Formulierung zeigt, in der „die beiden Extreme des europäisch-amerikanischen Staatskirchenrechtes“, also Trennungsprinzip und Verankerung einer Staatskirche, begrifflich zusammengefasst werden712. Nachdem gegen Ende einmal der Begriff „klassisches Staatskirchenrecht“ eingeführt worden ist713, bleibt es dabei. Selbst wenn im Schlussteil die europäische Ebene angesprochen wird, findet nicht etwa ein „europäisches Religionsverfassungsrecht“ Eingang in den Text, sondern die wohl einzigartige Formel der „europäischen Staatskirchenrechte“ 714. Pernthaler nimmt damit indirekt im Meinungsstreit um die Begriffe eine vermittelnde Position ein. Beide sind möglich und berechtigt715.

5. Ergebnis Insgesamt bleibt in Bezug auf die mit Deutschland vergleichbare Rechts- und Begriffslage in Österreich festzustellen, dass die Initialzündung im Jahr 1996 schon bald Wirkung zeigte und zu einer nicht unerheblichen Veränderung der Begriffsverwendung geführt hat. Zu Recht weist Hense kurz auf dieses Geschehen hin, wenn er von der Bedeutung einer Änderung des Wissenschaftsbegriffs für die Praxis spricht716.

III. Die Schweiz Für die Schweiz ist zunächst festzustellen, dass das Verhältnis von Staat und Kirche nicht wie in Deutschland durchwegs mit „Staatskirchenrecht“ bezeichnet wurde717. Das sich auf die großen christlichen Kirchen beziehende staatliche und kirchliche Recht wurde traditionellerweise als Kirchenrecht bezeichnet. So blieb z. B. auch das Begriffspaar „Äußeres“ und „Inneres Kirchenrecht“ ebenso geläuA. a. O., S. 188 f. A. a. O., S. 192. 713 A. a. O., S. 197 714 A. a. O. S. 201. 715 Vgl. in diesem Zusammenhang nochmals die Relativierung der „Etiketten-Frage“ durch A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 17. 716 A. Hense, a. a. O., S. 11. 717 So U. Friederich, Einführung in das schweizerische Staatskirchenrecht, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995, S. 19. Vgl. auch P. Häberle, Die „total“ revidierte Bundesverfassung der Schweiz von 1999 / 2000, in: FS Maurer, 2001, S. 944. 711 712

9*

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

fig718. Die somit nicht vorhandene absolute Vorherrschaft einer Fachbezeichnung mag erklären, warum in der Schweiz die Frage der Begriffe lange Zeit kein Anlass für literarische Äußerungen war719. Die Untersuchungsgegenstände seien auch hier als „begriffsvergleichender Exkurs“ auf die Lehrstuhlbezeichnungen (1) und eine exemplarische Auswahl von Literatur (2) innerhalb des Berichtszeitraums beschränkt. Diese beiden wichtigen Bereiche sollten genug Material bieten, um bereits ein Ergebnis (3) formulieren zu können.

1. Lehrstuhlbezeichnungen Nur an der Universität Freiburg i.Ue. ist „Kirchenrecht“ dem deutschen Modell720 entsprechend vertreten: in der Fakultät für katholische Theologie721 durch einen Lehrstuhl für „Kanonisches Recht / Droit canonique“ von Prof. P. V. Aimone Braida und an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät durch einen Lehrstuhl für „Kirchengeschichte und Kirchenrecht“ von Prof. R. Pahud de Mortanges. Dieser ist gleichzeitig Direktor des „Instituts für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“, welches nach seinem Selbstverständnis „die Entwicklung des Religionsrechts analysiert und dokumentiert“722. Damit wird in der Lehrstuhlbezeichnung das „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne vermieden und in der Institutsbeschreibung durch „Religionsrecht“ ersetzt. Die erstgenannte Aussage trifft auch für die Fakultät für römisch-katholische Theologie der Universität Luzern zu. Dort existiert neben einer Professur für „Kirchengeschichte“ auch eine für „Kirchenrecht und Staatskirchenrecht“ von Prof. A. Loretan. Die Rechtswissenschaftliche Fakultät befindet sich erst im Aufbau. Ein bereits berufener Professor für Öffentliches Recht mit einschlägiger Ausbildung im „Kirchenrecht“, F. Hafner, nennt als einen Forschungsschwerpunkt „Religionsrecht, insbesondere Kirchen- und Staatskirchenrecht“723. Entweder soll noch ein weiterer Lehrstuhl speziell dieses Thema bearbeiten, was angesichts der kleineren Universität eher unwahrscheinlich ist, oder die Bezeichnungsfrage wurde bewusst durch einen allgemeinen Lehrstuhltitel umgangen. Damit ist jedoch der Sache „Religion“ am wenigsten gedient. Dies mag 718 Vgl. P. Karlen, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, 1988, S. 62 ff., insb. Fn. 5. 719 Wiederkehr (2001), S. 157. 720 Siehe dazu oben bei: I. 5. 2. Lehrstuhlbezeichnungen. 721 Die Theologische Fakultät der Universität Freiburg ist die einzige katholisch-theologische Fakultät in der Schweiz, welche in eine staatliche Universität integriert ist. 722 Vgl. die Rubrik „Zweck und Tätigkeiten“ auf der Homepage des Instituts unter http://www.unifr.ch/kirchenrecht/de, abgerufen am 10. 06. 2001. Eingehend zum Institut und seiner Buchreihe „Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht“ siehe unten bei: III. Die Schweiz. 723 Vgl. bei http://www.unilu.ch/tf/kr/index.html, abgerufen am 29. 08. 2001.

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insbesondere bei einer Neugründung verwundern, da die Wahl der Bezeichnungen relativ frei erfolgen kann.

2. Literaturschau Der Stand der Begriffs-Diskussion in der Schweiz zu Beginn des Berichtszeitraums lässt sich anhand der Dissertation von P. Karlen aus dem Jahr 1988 nachvollziehen. Dieser versteht den Begriff „Religionsrecht“ als Gesamtheit der Normen, die sich auf religiöse Sachverhalte beziehen724. Dies sei im deutschen Sprachraum eine noch neue Verwendungsart und vor allem bei Mikat zu finden. Sie solle den auf die Kirchen bezogenen Begriff „Kirchenrecht“, gemeint ist er hier im weiteren Sinne, ablösen, da sonst der Religionsfreiheit nicht genügend Rechnung getragen werde. Das „Religionsrecht“ gliedere sich in zwei Teile: „Staatskirchenrecht“ und „Kirchenrecht im engeren Sinne“. Letzteres bedürfe „freilich im Rahmen des alle Bekenntnisse umfassenden ,Religionsrechts‘ der Ergänzung durch das interne Recht der übrigen – nicht christlichen – Religionsgemeinschaften.“ Es ließe sich dann allgemeiner vom „internen, nichtstaatlichen Religionsrecht“ sprechen. Auch der Begriff des „Staatskirchenrechts“ als „äußerem Kirchenrecht“ befriedige aus den von Pree genannten Gründen725 nicht. Im Gegensatz zu Pree will Karlen den Begriff aber nicht wegen seiner allgemeinen Gebräuchlichkeit beibehalten. Vielmehr sei es „nicht einfach, diesen Ausdruck durch einen treffenderen Begriff zu ersetzen.“ Denn der vorgeschlagene Begriff „staatliches Religionsrecht“ beinhalte auch das von ihm so genannte „übrige Religionsrecht“, z. B. im Zivil- und Strafrecht. Der Begriff des „Religionsverfassungsrechts“ wird in der Arbeit nicht erwähnt, obwohl von einer nicht „durchgeformten Religionsverfassung“ in der Schweiz gesprochen wird726. Erstaunlich ist aber eine Äußerung Karlens in einem Aufsatz von 1999727. Dort beachtet er grundsätzlich seine einmal festgelegte Begriffsbildung728. Im Ausblick spricht er davon abweichend über die „Entwicklung des traditionellen Staatskirchenrechts zum umfassenderen Religionsrecht [Hervorhebung im Original]“729. In seiner eigenen Systematik hätte Karlen die Ablösung des traditionellen „Kirchenrechts“, z. B. wie 1988 für die Lehrstuhlbezeichnungen der staatlichen Universitäten, fordern müssen730. Damit wird nunmehr nicht nur die Einführung von „ReliAuch zum Folgenden a. a. O., S. 62 ff. Vgl. oben bei: II., 2. Frühe kritische Äußerungen. 726 P. Karlen, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, 1988, S. 125 f. 727 P. Karlen, Jüngste Entwicklung der Rechtsprechung zum Staatskirchenrecht, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, Band 4 (1999). 728 Erkennbar am Wechsel des Themenbereichs mit „VII. Religionsrechtliche Fragen aus weiteren Bereichen“, a. a. O., S. 88. 729 A. a. O., S. 91. 730 P. Karlen, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz, S. 62 f. 724 725

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gionsrecht“ gefordert. Auch die Unzulänglichkeit des anderen, herkömmlichen Begriffs wird nochmals, jedoch schärfer konstatiert. Es erscheint nur ein kleiner Schritt hin zur Verwendung eines neuen, besser passenden Begriffs. Der von Karlen vertretenen Einteilung folgt auch U. Friederich in drei Veröffentlichungen aus den Jahren 1993, 1995 und 1999: In seiner zuerst erschienen umfangreichen Dissertation wird grundsätzlich der Begriff „Staatskirchenrecht“ verwendet731. Häufig wird aber auch in der einen oder anderen Variante vom „Staat-Kirche-Verhältnis“ gesprochen732. Auch wird gelegentlich der Terminus „Religionsrecht“ verwendet733. Es ist sogar von einer „Schweizer ,Religionsverfassung‘ “ die Rede734. Auch hier hätte eine Erwähnung von „Religionsverfassungsrecht“ oder eine Diskussion von „Religionsrecht“ nahe gelegen. Diese findet auch nicht in seinem Aufsatz zur neuen schweizerischen Religionsverfassung von 1999 statt, in dem nur öfter als vorher von „Religionsverfassung“ die Rede ist735. Die fehlende Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten ist um so erstaunlicher, als sich Friederich bereits 1993 mit den oben genannten grundlegenden Schriften von Mikat und Häberle auseinandersetzt736. Verarbeitet werden jedoch nur die den Inhalt, nicht die die Nomenklatur des „Religions(verfassungs)rechts“ betreffenden Teile. Friederich holt dies knapp in seinem Beitrag für einen Sammelband im Jahr 1995 nach, der ein Zeichen für eine Begriffsdiskussion setzt737. Zu nennen sind hier mehrere Autoren, die den Begriff „Staatskirchenrecht“ kritisieren, aber trotzdem generell verwenden: – Bereits im Vorwort geht der Herausgeber A. Loretan auf die neu gebildeten Begriffe „Religionsrecht“, „Religionsgesellschaftsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ ein738. Auch diese terminologischen Neuerungen seien ein Zeichen des großen Umbruchs im Verhältnis Staat-Kirche „nach den Völkerwanderungen des zwanzigsten Jahrhunderts“, welcher erst noch bevorstehe. Bisher hätten sich in der Schweiz diese Begriffe jedoch nur teilweise durchgesetzt. Diese Ansicht wird durch die Verwendung der Begriffe im Sammelband gestützt. Der herkömmliche Begriff steht grundsätzlich in Verbindung mit einer kritischen Diskussion seiner Reformbedürftigkeit. 731 U. Friederich, Kirchen und Glaubensgemeinschaften im pluralistischen Staat, 1993. Vgl. allein die Kapitelüberschriften des 2. (größeren) Teils der Arbeit, a. a. O., S. 185 ff. Exemplarisch ohnehin S. 185 mit sechsmaliger Nennung des Begriffs. 732 Z. B. a. a. O., Vorwort, S. VII und S. 185, 197, 202, 203, 291, 297. 733 A. a. O., S. 289. 734 A. a. O., S. 291 (bereits oben) ff. 735 U. Friederich, Zur neuen schweizerischen Religionsverfassung, Schweizerisches Jahrburch für Kirchenrecht, Band 4 (1999), Titel und z. B. S. 103. 736 A. a. O., S. 197 ff., insb. S. 202. 737 Loretan (1995). 738 Vgl. im Folgenden A. Loretan, a. a. O., S. 9.

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– Derart verfährt der zuvor behandelte Autor Friederich im zweiten Beitrag739. Dort werden die üblichen Argumente gegen die Angemessenheit des herkömmlichen Begriffes vorgetragen; dieser gebe „freilich in mehrfacher Hinsicht Anlass zu Missverständnissen“. Allerdings habe sich bis heute keine Alternative zur Bezeichnung „Staatskirchenrecht“ durchsetzen können. – Am weitesten geht W. Gut.740 Er verwendet bereits im Titel seiner Besprechung der Dissertation von D. Krauss ein Zitat, das die Arbeit nicht etwa prägt, sondern nur an einer Stelle genannt ist741: „Vom ,Staatskirchenrecht‘ zum ,Religionsverfassungsrecht‘ “. Im Text billigt er diese Beschreibung des aktuellen Untersuchungsgegenstands742. Diese Einsicht, die Häberle schon 1976 formuliert habe, liege auf der Linie der beiden neuesten umfangreichen Dissertationen zum Grundrecht der Religionsfreiheit in der Schweiz von P. Karlen und U. Friederich. – Schließlich wird auch im letzten Beitrag von L. Niederberger der Begriff des „staatlichen Religionsrechts“ als der für Europa passendere bezeichnet743. Es handelt sich um eine Besprechung des hier bereits erörterten Sammelbands von Puza / Kustermann, in dem der Begriff „Religionsrecht“ vorzugsweise Verwendung findet744. Dieser Ausdruck ist nach Niederberger „von den französischen ,droits des religions‘ übernommen“ worden745. Er sei aber „hierzulande“, also in der Schweiz, für den Leser deutscher Zunge wahrscheinlich verwirrend. Deshalb verwendet er fortan und auch im Titel seines Beitrags „Staatskirchenrecht“, wenn es um die Schweiz geht. In Bezug auf andere von ihm angesprochene europäische Staaten spricht er von deren „Religionsrechten“ 746. Offenbar hält Niederberger zu diesem Zeitpunkt die deutsche Form des moderneren Begriffs für weniger bekannt als die französische.

Insgesamt bleibt damit der Band grundsätzlich dem in Deutschland traditionellen Begriff treu. Dies geschieht aber nicht aus Überzeugung, sondern aus mehr oder weniger praktischen Gründen wie der scheinbar mangelnden Alternative oder der entgegenstehenden üblichen Bezeichnung in Deutschland.

739 U. Friederich, Einführung in das schweizerische Staatskirchenrecht, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995, S. 19. 740 W. Gut, Vom „Staatskirchenrecht“ zum „Religionsverfassungsrecht“, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995. 741 Die Dissertation selbst wird im Anschluss an den Sammelband untersucht. 742 Auch zum Folgenden W. Gut, Vom „Staatskirchenrecht“ zum „Religionsverfassungsrecht“, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995, S. 284 f. 743 L. Niederberger, Staatskirchenrecht in Europa, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995, S. 291. 744 Vgl. unten bei: I., 2., a) Synonyme Verwendung. 745 Siehe dazu unten bei: IV., 2., b) Sammelband in verschiedenen Sprachen. 746 L. Niederberger, .a. O., S. 299.

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Seine Dissertation aus dem Jahr 1993 benennt der bereits oben erwähnte Autor Kraus im Titel traditionell „Schweizerisches Staatskirchenrecht“ 747. Jedoch verwendet er schon im Vorwort lediglich den Begriff „Religionsverfassungsrecht“748. Diesen erläutert er im Anschluss an die ausführliche Beschreibung der historischen Prägung des schweizerischen Rechts im siebten Kapitel „Vom Kirchen-Staatsrecht zum Religionsverfassungsrecht“.749 Darin kommt er zu dem Schluss: „Auch kann Staatskirchenrecht nicht länger als Kirchenrecht in konfessionalistischer bzw. kirchenpolitischer Perspektive gesehen werden, sondern will das Fach heute als Religionsrecht in verfassungsrechtlicher Neutralität verstanden sein. In der Sache geht es für die Gegenwart mithin um die staatlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Normen, die sich mit Religion und Kirche befassen, d. h. um Religionsverfassungsrecht.“ Der Begriff wird in der insgesamt an Fußnoten reichen Arbeit ohne einen Hinweis auf seine Entstehung oder die ihn begleitende Diskussion gebraucht. Kraus scheint somit von der Geläufigkeit des Begriffes in der Schweiz auszugehen. Er verwendet dennoch später den Begriff „Staatskirchenrecht“, wenn es in erster Linie um das traditionellere Verhältnis von Staat und Kirche in den für die öffentlich-rechtliche Kirchenorganisation zuständigen Kantonen geht750. Insgesamt zeigen sich damit Parallelen zur Dissertation von Boese. Auch dieser hatte sich im Vorwort vehement für den neuen Begriff ausgesprochen und trotzdem später weitgehend den traditionellen verwendet751. Im darauf folgenden Jahr wird Kraus’ Dissertation von M. Walser ausführlich besprochen752. Dieser benutzt selbst den Begriff „Staatskirchen- bzw. Staatsreligionsrecht“753, zitiert aber zweimal „Religionsverfassungsrecht“ und erläutert dies. Wegen der paritätischen Darstellung der beiden großen Konfessionen wie anderer Religionsgemeinschaften der Schweiz, unter anderem der jüdischen, sei „der Begriff ,Staatskirchenrecht‘ (Titel des Buches) in der Bedeutung ,staatliches Religionsrecht‘ zu verstehen (vgl. auch S. 64: ,Religionsverfassungsrecht‘).“754 Damit folgt Walser in seiner Rezension Kraus nur inhaltlich. Anstelle der Einführung eines neuen Begriffs beschränkt sich jener aber offenbar auf die Neuinterpretation des herkömmlichen. Immerhin nimmt er die Begriffsfrage, die der Titel von Kraus nicht aufwarf, so ernst, dass er sie selbst in einer Rezension aufnimmt. Das im Jahr 1996 begründete Schweizerische Jahrbuch für Kirchenrecht (SJKR) behandelt in erster Linie das Recht der evangelisch-reformierten und der römisch747 748 749 750 751 752 753 754

D. Kraus, Schweizerisches Staatskirchenrecht, 1993. A. a. O., S. V. A. a. O., S. 64 f. So der Autor selbst, a. a. O., S. 65, Fn. 223. Siehe dazu oben bei: I., 2., a), aa) „Staatskirchenrecht“ / „Religionsverfassungsrecht“. Walser (1994). A. a. O., S. 661. A. a. O., S. 655.

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katholischen Kirche755. Planmäßig findet aber auch der „religionsrechtliche Aspekt“ des „Kirchenrechts“ im weiteren Sinne Berücksichtigung756. Damit wird zum einen dem aus kirchlicher Sicht verständlichen, aber heute nur noch selten verwendeten Gebrauch von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne eine Absage erteilt. Zum anderen wird nicht auf „Staatskirchenrecht“ zurückgegriffen, sondern einer der zwei hier vorgestellten Alternativbegriffe genutzt. Zwei in den Jahren 1999 bzw. 2000 unter dem Titel „Schweizerische Kirchenrechtsquellen“ erschienene Beihefte757 stehen exemplarisch für die Begriffsbildung der Herausgeber im gesamten Jahrbuch des Schweizerischen Kirchenrechts, insb. bei den Textdokumentationen758. Die Beihefte wurden von Kraus in der Entstehung erheblich gefördert759, weshalb es nicht verwundert, wenn sie die in seiner Dissertation vorgefundene Einteilung der Begriffe fortführen. In der Einführung des ersten Quellenbands zum kantonalen Recht verweist Kraus auf die Notwendigkeit, sich nicht nur auf das „Kirchen- und Staatskirchenrecht“ zu beschränken760. Die Verwobenheit der Rechtsgebiete lasse eine Unterscheidung wenig aussichtsreich erscheinen. Daher sollen alle religionsrechtlich bedeutsamen Normen aufgenommen werden. Im zweiten Quellenband zum Religionsrecht des Bundes wird, jetzt aus bundesstaatlicher Sicht, wieder die Begriffseinteilung von Kraus genutzt. Der erste Band habe das „Staatskirchenrecht der Kantone“ behandelt, während nunmehr das „Religionsrecht des Bundes“ vorgelegt werde761. Das „Religionsrecht“ wiederum sei aus dem „Staatskirchenrecht“ herausgewachsen. Hinzuzurechnen seien nun alle Bestimmungen, die religiöse Belange regelten762. An deren Spitze stehe das „Religionsverfassungsrecht“, welches die Grundlage des gesamten „staatlichen Religionsrechts“ von Bund und Kantonen sei763. Daraus lässt sich folgender Schluss ziehen: Die Begriffe werden nicht stringent verwendet. „Staatskirchenrecht“ kann sich neben seiner üblichen Bedeutung auch nur auf die Regelungen in den Kantonen beziehen. Dies erinnert an den heute in Deutschland unüblichen Gebrauch des Begriffs allein im Hinblick auf Art. 140 GG. Diese unnötige Zweideutigkeit könnte jedoch durch eine leicht festzulegende, klare Abgrenzung der Begriffe aufgehoben werden. D. Kraus, Editorial, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, Band 1 (1996), S. 9. Ebd. 757 Beiheft 2: Frey (Hrsg.), Schweizerische Kirchenrechtsquellen I, 1999; Beiheft 3: Frey / Karlen (Hrsg.), Schweizerische Kirchenrechtsquellen II, 2000. 758 Vgl. z. B. Band 4 (1999), 2000, S. 274 ff.: „Religionsrechtliche Bestimmungen der Bundesverfassung“. 759 Siehe jeweils das Vorwort des bzw. der Herausgeber der beiden Beihefte J. Frey, a. a. O., S. 5 f. bzw. J. Frey und P. Karlen, a. a. O., S. 5. 760 Auch zum Folgenden D. Kraus, Einführung, in: Frey (Hrsg.), Schweizerische Kirchenrechtsquellen I, 1999, S. 16 f. 761 Vorwort der Herausgeber J. Frey und P. Karlen, a. a. O., S. 5. 762 Einführung, a. a. O., S. 21. 763 A. a. O., Einführung, S. 22. 755 756

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Ein Aufsatz von R. Pahud de Mortanges aus dem Jahr 1998 stellt einen weiteren Schritt zur Einführung des Begriffs „Religionsverfassungsrecht“ dar. Dieser begegnet dem Leser im Titel und in der Einleitung764. Nach der anschließenden Schilderung der Geschichte des „Schweizerischen Staatskirchenrechts“ seit der Bundesverfassung von 1848 wechselt der Autor jedoch nicht mehr über in die moderne Terminologie765. Dies ist ein Zeichen für die Schwierigkeiten des Übergangs, die einmal in der mangelnden Gewöhnung liegen und dann in dem Problem, dass in historischen Abschnitten tatsächlich noch zu Recht die herkömmliche Bezeichnung verwendet wird. Fraglich ist, wo sich der Übergang vom alten zum neuen Begriff zeitlich verorten lässt766. Im Jahr 1998 ändert die traditionsreiche Reihe der Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiet von Kirche und Staat, die 1931 im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) begründet wurde, ihren Namen. Die Nachfolgereihe trägt den Titel Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht. Dieser Wechsel von einer neutralen, unvorbelasteten Bezeichnung hin zu einem spezifischen Begriff bedarf der Begründung. Diese liefert der damalige Dekan W. A. Stoffel im Geleitwort zu Band 1 der umbenannten Reihe767. Er weist darauf hin, dass „neben dem internen Kirchen- und Religionsrecht“ auch das „Staatskirchenrecht bzw. Religionsverfassungsrecht“ Gegenstand der Veröffentlichungen sei768. Man wolle die bisherigen Anstrengungen „auf dem Gebiete kirchen- und religionspolitischer Fragen“ weiterführen und in den aktuellen gesellschaftlichen Kontext stellen. Dieser verlange „eine Reflexion und Anpassung des Religionsverfassungsrechts“. Damit wird in bewusster Abkehr vom Begriff „Staatskirchenrecht“ ein äußeres Zeichen gesetzt, dass man den Wandel der Gesellschaft aktiv begleiten will („Neuausrichtung“). Dem folgt der Inhalt des Bandes, der eine Abhandlung über die religiösen Minderheiten in der Schweiz enthält. Dem folgt auch der Herausgeber in seinem Vorwort begrifflich, wenn er lediglich „Religionsverfassungsrecht“ und „Religionsrecht“ (offenbar synonym) verwendet769. Der konsequenteste Einsatz des Begriffs „Religionsverfassungsrecht“ findet sich bei C. Winzeler. Dies verwundert nicht, da er ein Mitglied des fünfköpfigen Herausgeberkreises des Schweizerischen Jahrbuchs für Kirchenrecht770 ist, welcher 764 R. Pahud de Mortanges, Fragen zur Integration der nichtchristlichen Religionsgemeinschaften in das schweizerische Religionsverfassungsrecht, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, Band 3 (1998), S. 89. 765 A. a. O., S. 90 ff. 766 Vgl. dazu unten bei: E., III. Die zeitliche Einordnung der Begriffe. 767 Zum Band 2 dieser Reihe von C. Winzeler siehe im Anschluss. 768 Auch zum Folgenden: W. A. Stoffel, Zum Geleit, in: Pahud de Mortanges (Hrsg.), Religiöse Minderheiten und Recht, Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht, Nachfolgereihe der „Freiburger Veröffentlichungen aus dem Gebiete von Kirche und Staat“, Band 1, 1998, S. 3. 769 R. Pahud de Mortanges, Vorwort, in: ders. (Hrsg.), a. a. O., S. 9

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nach der hier bereits erfolgten Untersuchung den neueren Begriffen gegenüber aufgeschlossen ist. Noch im Jahr der „Neugründung“ der Reihe Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht (1998) erscheint als zweiter Band die Habilitationsschrift Winzelers771. Diese behandelt nur einen kleinen Ausschnitt des „Religionsverfassungsrechts“ und nennt dieses daher zu Recht nicht im Titel „Bistumsverhältnisse im schweizerischen Bundesstaat 1848 – 1998“. Der Begriff wird jedoch in der Arbeit konsequent anstelle von „Staatskirchenrecht“ 772. verwandt. Auch im internationalen Zusammenhang wird die Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Österreich und den Vereinigten Staaten als Religionsverfassungsrecht vorgestellt773. Bei England, Griechenland und den Skandinavischen Ländern wird von (klassischem) Staatskirchentum bzw. bei Italien von einem Staatsbekenntnisland gesprochen und „Staatskirchenrecht“ vermieden774. Schon dies lässt auf eine ausreichende Verbreitung und Bekanntheit des Begriffs in der Schweiz schließen, zumal Winzeler sein Vorgehen zunächst nicht begründet. Die Erklärung erfolgt am Schluss der Arbeit, quasi nachträglich. Der Autor fordert unter Hinweis auf einige der hier bereits oben genannten Argumente eine Öffnung / Horizonterweiterung des herkömmlichen „Staatskirchenrechts“ zu einem modernen Religionsverfassungsrecht, das auch nichtchristlichen Religionen offen steht775. In einer Fußnote wird in Bezug auf den Begriff neben Häberle und Mikat auch auf die oben besprochene Dissertation von Kraus und deren Rezension von Gut hingewiesen. Als Kritiker wird Hollerbach zitiert, aber auch mit dem Hinweis, dass dieser den Begriff nicht rundheraus ablehne. Seinen begrifflichen Vorgaben bleibt Winzeler auch in vier folgenden Arbeiten treu. Zunächst in Titel und Text eines Aufsatzes in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht, hier jedoch mit verständlicherweise knappster Begründung776. Dann drei Jahre später, im Jahr 2000, in beachtenswerter Art und Weise in dem Beitrag zu einem Sammelband777. Dort verwendet Winzeler auf der zweiten Seite erstmals eine Fachbezeichnung, wenn er von einem „Schlüsselbegriff des Religionsverfassungsrechts“ spricht778. Direkt dazu, noch mitten im Satz, wird als Fußnote nicht etwa eine Begriffserklärung gesetzt, sondern eine lan770 Die anderen sind Jakob Frey, Dieter Kraus, Wolfgang Lienemann und René Pahud de Mortanges. 771 C. Winzeler, Strukturen von einer „anderen“ Welt“. Bistumsverhältnisse im schweizerischen Bundesstaat 1848 – 1998, 1998. 772 Vgl. vor allem a. a. O., S. 77 ff., wo auch, entgegen der Unterscheidung im Schweizerischen Jahrbuch für Kirchenrecht, vom Religionsverfassungsrecht der Kantone die Rede ist. 773 A. a. O., S. 269 ff., 272 f., 275 ff., 278 ff. 774 A. a. O., S. 271 f., S. 273 f., S. 277 f. bzw. S. 274 f. 775 A. a. O., S. 313 ff. 776 Vgl. C. Winzeler, Fremde Religionen in der Schweiz unter Gesichtspunkten der Religionsfreiheit und des Religionsverfassungsrechts, ZSR I 117 (1998), S. 240, 243 ff., insb. Fn. 24. 777 C. Winzeler, Kirchen in der staatlichen Rechtsordnung, in: Die Zukunft der öffentlichrechtlichen Anerkennung von Religionsgemeinschaften, 2000. 778 A. a. O., S. 78.

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ge Aufzählung der grundlegenden schweizerischen Literatur zu diesem Thema. Damit wird die oben festgestellte Übernahme des neuen Begriffs erneut belegt, aber auch ein Zeichen für die mittlerweile wohl vorhandene Bekanntheit dieses nun nicht mehr erklärungsbedürftigen Begriffs in der Schweiz gesetzt. Weitere Belege dieser These finden sich in zwei Buchbesprechungen aus dem Jahr 2001. Winzeler spricht entgegen der Nomenklatur der beiden besprochenen Autoren jeweils wie selbstverständlich nur vom (deutschen) „Religionsverfassungsrecht“779. Die fehlende Erklärung des Begriffs ist einmal der Kürze der Beiträge geschuldet, dann aber auch der Annahme, dass eine solche nicht mehr nötig ist. Denn eine Buchbesprechung wird stets versuchen, ihren Gegenstand mit allgemein verständlicher Begriffswahl dem Leser vorzustellen. Umgekehrt spricht G. A. Rutz im von Loretan herausgegebenen Sammelband von den Tücken des Begriffs „Staatskirchenrecht“. Rutz verwendet diesen trotzdem grundsätzlich780. Er sei jedoch mit den Arbeiten von Kraus und Winzeler auf Glaubensrichtungen aller Art und „religionsrechtliche Themenstellungen allgemeinerer Art“ zu erweitern781. Dementsprechend kann Rutz später kommentarlos einen Abschnitt mit „Religionsverfassungsrechtliche Grundordnung“ überschreiben. Auch dies zeugt für die Bekanntheit und Durchsetzung des neuen Begriffs. Auf der bereits oben erwähnten 41. Assistententagung im Jahr 2001 in Potsdam782 setzt sich K. W. Sahlfeld das Ziel, seinen deutschen, österreichischen und schweizerischen Kollegen „einen Einblick in das schweizerische Religionsrecht zu ermöglichen“783. Die alleinige Verwendung dieser Fachbezeichnung bezeugt, dass Sahlfeld sowohl von ihrer allgemeinen Bekanntheit, als auch von ihrer Vorzugswürdigkeit ausgeht. Die weitergetriebene Mischung der alten Bezeichnung und der neuen Begriffe ist anschaulich erkennbar in einem von Pahud de Mortanges herausgegebenen Sammelband. Dieser vereinigt 10 Beiträge einer Tagung im Jahr 2000 zum Thema „Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung. Le droit des religions dans la nouvelle Constitution fédérale“784: Lediglich U. J. Cavelti spricht von „Staatskir-

779 C. Winzeler, Besprechung von: Link, Staat und Kirche in der neueren Geschichte, 2000, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, Band 6 (2001); C. Winzeler, Besprechung von: Winter, Staatskirchenrecht, 2001, Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht, Band 6 (2001), S. 224 f. 780 Vgl. nur Einführung und Schlussbemerkung, G. Rutz, Die öffentlich-rechtliche Anerkennung in der Schweiz, in: Die Zukunft der Anerkennung von Religionsgemeinschaften, 2000, S. 5 und 75 f. 781 A. a. O., S. 6 f. 782 Siehe dazu oben bei: I., 7., b) Assistenten der Fachrichtung Öffentliches Recht. 783 K. W. Sahlfeld, Der Islam als Herausforderung für die Rechtsordnung, in: 41. Tagung, 2001, S. 127. 784 R. Pahud de Mortanges, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 1.

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chenrecht“785 und der Umschlagtext von „Anregungen und Ideen zur Weiterentwicklung des schweizerischen Staatskirchenrechts“ 786. Der Herausgeber aber verwendet die Begriffe „Religionsrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“787. Auch der Aufsatz von A. Kley nutzt die beiden modernen Termini nebeneinander788. Der katholische Bischof von Basel, K. Koch, verwendet ebenso wie der bereits oben erwähnte Karlen ausschließlich „Religionsrecht“ 789. Dagegen bevorzugt H. Inderkum bereits im Titel „Religionsverfassungsrecht“790. Dieser Band zeugt demnach insgesamt von einer Abwendung von „Staatskirchenrecht“. Die nie eindeutig geprägte Begriffslage in der Schweiz und die dargestellte Verbreitung des Begriffs „Religionsverfassungsrecht“ erklären, dass Häberle diesen in einer schweizerischen Publikation aus dem Jahr 2001 nutzt, ohne eine Erläuterung seines Inhalts vorzunehmen oder auf die Diskussion in Deutschland hinzuweisen791. 3. Ergebnis Im Ergebnis bleibt Folgendes festzuhalten: In der Schweiz gab es keine der deutschen Situation vergleichbare Dominanz des einen oder anderen Begriffs. Mittlerweile gehört zu den etablierten Bezeichnungen des Fachs auch „Religionsverfassungsrecht“.

785 U. J. Cavelti, Kultussteuern, Kultusbudgets, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 52. 786 Dort wird aber auch auf „die religionsrechtlichen Bestimmungen der Anfang 2000 in Kraft getretenen schweizerischen Bundesverfassung“ verwiesen. 787 R. Pahud de Mortanges, Einleitung, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 1 f.; C. R. Tappenbeck / R. Pahud de Mortanges, Ist der Bistumsartikel völkerrechtswidrig?, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001), S. 145, bzw. S. 137 (Religionsverfassungsrecht). 788 Vgl. allein den Titel des Beitrags und des ersten Kapitels, A. Kley, Das Religionsrecht der alten und neuen Bundesverfassung, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 9. 789 K. Koch, Religionsrecht der Schweiz im Licht der Religionsfreiheit, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 93, 102 f.; P. Karlen, Die korporative religiöse Freiheit in der Schweiz, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001, S. 33. 790 H. Inderkum, Politische Beurteilung der aktuellen Diskussion zum Religionsverfassungsrecht, in: Das Religionsrecht der neuen Bundesverfassung, 2001. 791 P. Häberle, Die Verfassung „im Kontext“, in: Thürer / Aubert / Müller (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz, 2001, § 6, Rz. 18. Siehe dazu bereits oben bei: I., 1., a) Die „Urheber“ der Begriffe.

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IV. Fremdsprachiges Ausland – „Staatskirchenrecht“ ein Markenzeichen? Nur ein Seitenblick soll auf die umfangreiche Problematik der Bezeichnung der Disziplin im fremdsprachigen Ausland gelenkt werden. Dazu bietet sich der von G. Robbers herausgegebene Sammelband Staat und Kirche in der Europäischen Union an792. Dieser entstand im Rahmen des Europäischen Consortiums für Staat – Kirche Forschung und ist in den Jahren 1995 bis 1997 in sechs Sprachen erschienen: Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Deutsch und Griechisch (das letztgenannte bleibt hier unberücksichtigt). Er versammelt Beiträge von 15 Fachleuten über das Verhältnis Staat und Kirche in den gegenwärtig 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Der Band soll in zwei Schritten untersucht werden: Einmal im Hinblick auf die Bezeichnung des Fachgebiets in den Aufsätzen über Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien in der Bandausgabe in der jeweiligen Landessprache. Dann unter der Fragestellung, ob es sich beim Begriff „Staatskirchenrecht“ tatsächlich um ein internationales Markenzeichen handelt. In beiden Teilen wird zusätzlich auch auf amerikanische Lehrbücher des Verfassungsrechts und die englische Übersetzung der Systematik der Karlsruher Juristischen Bibliographie793 eingegangen.

1. „ius ecclesiasticum“ als Ursprung Die christliche Prägung der Mutterländer der genannten Sprachen spätestens im Mittelalter erklärt den gemeinsamen Ursprungsbegriff „ius ecclesiasticum“ 794 für das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften. Der Bericht im Sammelband über Spanien spricht erwendet im Zusammenhang der Teile der spanischen Verfassung, die das Verhältnis Staat und Religion betreffen, von „Derecho eclesiástico“795, der Bericht über Italien von „diritto ecclesiastico italiano“796. Der französische Bericht verwendet den Ausdruck „le droit ecclésiastique en France“, zitiert aber zwei selbständige Schriften, die den Titel „Le droit des reli792 G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, besprochen von P. Häberle, in: AöR 121 (1996). 793 Zu den grundsätzlich verwendeten deutschen Bezeichnungen in der KJB siehe oben bei: 4., b) Schriftenreihen und Bibliographien. 794 Zur Herkunft des Begriffs Kirche (Kyriake) bzw. Ecclesia vgl. M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union, 2000, S. 13 f. 795 I. C. Ibán, Estado e Iglesia en España, in: G. Robbers (ed.), Estado e Iglesia en la Unión Europea, 1996, S. 93 ff., 97. 796 S. Ferrari, Stato e Chiesa in Italia, in: G. Robbers (ed.), Stato e Chiesa nell’Unione Europea, 1996, S. 181 ff., 183.

D. Die Bezeichnung der Disziplin seit 1990

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gions en France“ bzw. „Traité de droit français des religions“ tragen797. Auch unter Verweis darauf berichtet Hense von einer Entwicklung im französischen Rechtskreis hin zu einer neutralen Bezeichnung798. Diese Entwicklung konnte bereits in französischen Schriften in der Schweiz nachgewiesen werden799. Als Exkurs sei dazu der bereits oben erwähnte, von Puza / Kustermann herausgegebene Band erwähnt800: Der französische Originalbeitrag von F. Messner „Le Droit Français des Religions“ problematisiert die bisher übliche französische Bezeichnung des Fachs eingehend mit Hinweisen auf dessen Unzulänglichkeit, z. B. im Hinblick auf den in Frankreich noch stärker vertretenen Islam801. Auch die Herausgeber selbst berichten in ihrem oben genannten begriffskritischen Teil, dass „Religionsrecht“ im Sinne von Mikat „heute beispielsweise auch in Frankreich gebraucht (droit des religions)“ werde802. Im Aufsatz über das Vereinigte Königreich wird hingegen festgestellt, dass die Bezeichnung „ecclesiastical law“ lediglich das Recht der englischen und schottischen Staatskirche darstelle, welches auch das speziellere „canon law“ umfasse803. Eine allgemeinere Bezeichnung scheint nicht vorhanden zu sein. Dieses Ergebnis wird durch „Moore’s Introduction to English Canon Law“ gestützt. Aus kirchlicher Sicht ist von „canon law“ die Rede804, aus allgemein staatsrechtlicher Sicht von „ecclesiastical law“805. Dies spiegelt sicher auch die sich vom kontinentaleuropäischen Ansatz unterscheidende Rechtsquellenlage im anglo-amerikanischen Rechtskreis wider. Zur weiteren Verdeutlichung wird auf die Begrifflichkeiten in den Vereinigten Staaten von Amerika hingewiesen. Dort wird entsprechend der von Anfang an distanzierten Neutralität gegenüber Religionsgemeinschaften der Begriff „ecclesiastical law“ lediglich in Bezug auf das innere Kirchenrecht verwandt806. Die staatliche 797 B. Basdevant-Gaudemet, Etat et Eglises en France, in: G. Robbers (ed.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, 1997, S. 129 ff., 134, 157. 798 Vgl. A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 41: Der „Bezugspunkt Religion und die Verankerung auf die religions(verfassungs)rechtliche Ausrichtung“ erleichtere den Rechtsvergleich. 799 Siehe dazu oben bei: III., 2. Literaturschau. 800 Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993 801 F. Messner, Le droit français des religions, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 34 f. 802 A. P. Kustermann / R. Puza, Europa und das nationalstaatliche Religionsrecht. Einleitung, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 9. 803 D. McClean, State and Church in the United Kingdom, in: G. Robbers (ed.), State and Church in the European Union, 1996, S. 307 ff., 311 f. 804 T. Briden / B. Hanson, Introduction to English Canon Law, 1992, S. VII, 96, 149. 805 A. a. O., S. 4 ff., insb. 8. 806 L. H. Tribe, American Constitutional Law 1988, S. 1298 und dort Fn. 12.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Rechtsmaterie wird dagegen unter den zwei Schlagworten „freedom (free exercise) of religion“ und „no establishment of religion“ gefasst807. Diese entsprechen den „religious clauses“ des „first amendment“ aus der Bill of Rights von 1791808. Diesen Sprachgebrauch belegt auch G. Krings bereits im Untertitel seines Aufsatzes zum Thema. Folgerichtig schreibt er über das „deutsche Staatskirchenrecht“ einerseits, über das „US-amerikanische Staat-Kirchen-Verhältnis“ andererseits809. Später behandelt er im Kapitel „Die Religionsrechte als Gleichbehandlungsgarantien“ unter anderem die „amerikanische Religionsrechtsjudikatur“ 810. Dies ist auch ein Hinweis auf die bereits oben behandelte besondere Tauglichkeit des Begriffspaares Religions(verfassungs)recht im internationalen Zusammenhang. Damit bleibt als Ergebnis festzustellen, dass der anglo-amerikanische Rechtsraum völlig selbständig in der Begriffswahl vorgeht811. In den verbleibenden großen Sprachräumen Mittel- und Westeuropas wird die Bezeichnung des Rechtsfachs grundsätzlich durch das Verhältnis von Staat und Kirchen geprägt. Auch der Belgier L. De Fleurquin nutzt in seiner Bewertung des Bandes von Robbers diesen Begriff812. De Fleurquin selbst bevorzugt mit „Church and Religion“ eine allgemeinere Formulierung als „the classic title Church and State“813. Er erkennt aber an, dass bisher das Verhältnis zu den Kirchen für das Rechtsgebiet prägend sei. An dem gefundenen Ergebnis orientiert sich offenbar auch die deutsche KJB. Der historisch orientierte Oberbegriff „Kirchenrecht“ (gemeint ist der weitere Sinn) lautet in der offiziell ins Englische übersetzten Übersicht über die Systematik „ecclesiastical law“814. Dies ist jedoch nach den soeben gefundenen Ergebnissen in England missverständlich, in den Vereinigten Staaten irreführend. Durch die folgende Aufsplitterung dieser Einheit in fünf Untergruppen wird jedoch eine implizite Erklärung für den Begriff geliefert. Es gehören dazu neben einem allgemeinen Teil „Canon Law“, „Protestant Church Law“, „Other Religious Communities“ und 807 L. H. Tribe, a. a. O., S. 1154 f.; J. A. Barron / C. T. Dienes, Constitutional Law, 1995, S. 312. 808 Abgedruckt in: W. F. Swindler (ed.), Sources and documents of United States constitutions, 2nd series, London, Rome, New York 1982, Band 1, S. 415. 809 Z. B. Krings (2000), S. 506 bzw. 507. Weiterhin folgerichtig setzt er in einer beide Systeme vergleichenden Fußnote die „staatskirchenrechtlichen“ Wertentscheidungen der jeweils einschlägigen Verfassungs-bestimmungen wie hier in Anführungszeichen, a. a. O., S. 507., Fn. 9. 810 A. a. O., S. 533. 811 H. Grote, Religionsgemeinschaften und Europäische Union, MD 47 (1996), S. 33 geht sogar davon aus, dass es in den verschiedenen Arten laizistischer Staaten oft nicht einmal einen Begriff für das Rechtsverhältnis von Staat und Religion gebe. Dies wird von ihm jedoch weder belegt noch weiter ausgeführt. 812 L. De Fleurquin, Ecclesiastical law in the European Union in 1995. A cautious move from Church and State to State and Religion, European Journal for Church and State Research, Vol. 3 (1996). 813 Auch zum Folgenden: L. De Fleurquin, a. a. O., S. 140. 814 KJB 2000, S. XIV.

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der hier in seiner englischen Übersetzung im nächsten Abschnitt besprochene fünfte Teil „Kirche und Staat“. Insgesamt liegt in der gemeinsamen Wurzel der Fachbezeichnung ein Argument, und zwar ein historisches, für die Beibehaltung des Begriffs „Staatskirchenrecht“. 2. „Staatskirchenrecht“ auf dem Weg zum internationalen Markenzeichen? Andererseits könnte der Vergleich mit dem internationalen Sprachgebrauchs ein Argument für das Festhalten am Begriff „Staatskirchenrecht“ relativieren. Nach Aussage mehrerer Autoren ist der Begriff bereits ein Markenzeichen der spezifisch deutschen Lage oder biete sich als solcher in Europa an815. Die Voraussetzung eines Markenzeichens sollen hier analog zu den im Markengesetz (MarkG) für den Wirtschaftsverkehr festgelegten Kriterien überprüft werden. Die nach § 3 Abs. 1 MarkG verlangte Unterscheidbarkeit ist hier unproblematisch gegeben, und zwar sowohl durch den wie oben dargelegt klar zu definierenden Inhalts des Begriffs in Deutschland als auch durch seinen Charakter als fremdsprachiges Lehnwort im Ausland. Notwendig ist aber auch eine Verkehrsgeltung nach § 4 Nr. 2 MarkG, also die Bekanntheit innerhalb der beteiligten Verkehrskreise816. Fraglich ist hier, ob der Begriff „Staatskirchenrecht“ nach seiner langen Erfolgsgeschichte in Deutschland auch international bekannt geworden ist und Beachtung findet. Dies soll hier exemplarisch anhand von vier Veröffentlichungen geprüft werden. Hierzu wird ein amerikanisches Lehrbuch des deutschen Verfassungsrechts (a), dann wieder der oben genannte Sammelband über das Verhältnis von Staat und Kirche in Europa (b) untersucht. Einem Blick in die offizielle englische Übersetzung der Systematisierung der KJB (c) folgt schließlich der Hinweis auf eine englische Zusammenfassung eines Textes in einer deutschen Zeitschrift (d).

a) Amerikanisches Lehrbuch des deutschen Verfassungsrechts Einblick in die amerikanische Sicht des deutschen Verfassungsrecht gibt das Lehrbuch von D. P. Currie817. Es enthält eine umfangreiche Darstellung der Rechtsverhältnisse von Staat und Religionsgemeinschaften 818. Falls der Begriff „Staatskirchenrecht“ international gebräuchlich ist, sollte er dort erscheinen. Tat815 816 817 818

Vgl. oben: I., 3., a), (2), (b) Im Text und (c) Als Thema einer Arbeit. H. Hubmann / H. Götting, Gewerblicher Rechtsschutz, 1998, S. 310 f. D. P. Currie, The Constitution of the Federal Republic of Germany, 1994. A. a. O. S. 244 – 269: Chapter 5: Church and State.

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sächlich werden zwar Begriffe wie „Grundgesetz“, „Bundesverfassungsgericht“, „Ersatzdienst“, „Missbrauch“, „allgemeine Wertordnung“ und „Weltanschauung“ im deutschen Original in Klammern hinter einer englischen Übersetzung verwendet. Jedoch wird das Fach lediglich mit „relation between church and state“ bezeichnet. „Staatskirchenrecht“ taucht nur in den Fußnoten auf, wenn Currie deutsche Buchtitel zitiert. Offensichtlich sieht Currie keine Veranlassung, diesen Begriff zum Beispiel zur Erleichterung einer Suche nach weiterführender Literatur einzuführen. Der Leser mag annehmen, in Deutschland würden solche Themen unter dem Begriff des Verhältnisses von Staat und Kirche abgehandelt. b) Übersetzungen eines Aufsatzes von G. Robbers Untersuchungsgegenstand ist hier der Aufsatz über die Rechtslage in Deutschland von Robbers819. Dieser wurde original in Deutsch verfasst und dann in fünf weitere Sprachen übersetzt, in denen der Band erschienen ist. Wenn der Begriff „Staatskirchenrecht“ international gebräuchlich sein sollte, dann müsste er hier Verwendung finden. Zum Vergleich wird zusätzlich die Übersetzung der Begriffe „Bundesverfassungsgericht“, „Landeskirchen“, „Reichsdeputationshauptschluß“ und „landesrechtliche Bestimmungen“ verfolgt820. Im englischen Band werden Begriffe wie „Bundesverfassungsgericht“, „Landeskirchen“, „Reichsdeputationshauptschluß“ oder „Länder“ auffällig kursiv gesetzt und dann teilweise, nicht mehr kursiv und in Klammern gesetzt, in der Sprache des Bandes erklärt821. Die Bezeichnung „das deutsche Staatskirchenrecht“ wird jedoch ins Englische übertragen und mit „the German State-Church legal basis“ wiedergegeben822. Im französischen Band wird teilweise etwas ungenau zitiert, zum Beispiel „Reichdeputationhauptschluss“ und „Land“823. Die anderen drei Begriffe werden ins Französische übersetzt, z. B. in „le droit civil ecclesiastique allemand“824. Lediglich nach „La Cour constitutionelle fédérale“ wird in einem anschließenden Klammersatz das offensichtlich aussagekräftigere Ursprungswort angegeben825. Der italienische Band enthält „Bundesverfassungsgericht“, „Landeskirchen“, „Reichsdeputationshauptschluss“ und „Länder“ im deutschen Originalbegriff, nur 819 G. Robbers, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995. 820 A. a. O., S. 64, 65, 66, 72, 73. 821 G. Robbers, State and Church in Germany, in: G. Robbers (ed.), State and Church in the European Union, 1996, S. 61 f., 68. 822 A. a. O., S. 60. 823 G. Robbers, Etat et Eglises en République fédérale d’Allemagne, in: G. Robbers (ed.), Etat et Eglises dans l’Union européenne, 1997, S. 73. 824 A. a. O., S. 64. 825 A. a. O., S. 65.

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einmal mit in Klammern gesetzter italienischer Erläuterung826. Das „deutsche Staatskirchenrecht“ wird hingegen umständlich mit „la struttura giuridica del sistema tedesco di relazioni tra Stato e Chiesa“ übersetzt827. Im spanischen Band wird schließlich letzteres etwas griffiger mit „el sistema eclesiástico alemán“ übersetzt, aber auch ohne Hinweis auf ein „deutsches Staatskirchenrecht“828. Dann wird lediglich der Begriff „Reichsdeputationshauptschluss“ im Original verwendet, die anderen Begriffe in Übersetzung ohne Erklärung829. Demnach ist festzustellen, dass trotz unterschiedlicher Übernahme verschiedener deutscher Fachbegriffe der Terminus „Staatskirchenrecht“ in den Übersetzungen durchweg umschrieben wird. Es gibt nicht einmal in einem Klammerzusatz einen Nachschub des spezifisch deutschen Begriffs. Angesichts der deutschen Herausgeberschaft und des Erscheinens in einem deutschen Verlag, was eine direkte Einflussnahme auf die Übersetzungen möglich gemacht hätte, bleibt festzustellen, dass der Begriff „Staatskirchenrecht“ offenbar allein in Deutschland verwendet wird.

c) „Table of Contents“ der KJB Bereits die deutsche begriffliche Einteilung der Rechtsmaterie in der KJB berücksichtigt in historisch orientierter Nomenklatur nicht einmal die Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“, sondern wählt die Umschreibung „Kirche und Staat“830. In der englischen Übersetzung wird dies nicht nur wörtlich mit „Church and State“ vermerkt831. Es folgt zusätzlich die Erweiterung „State Law concerning Churches“. Offenbar ist der Herausgeber der Ansicht, dass nur die umschreibende, nicht in einem Begriff geprägte Erläuterung dem fremdsprachigen Leser nutzen kann. Wäre der Begriff „Staatskirchenrecht“ ein Markenzeichen, müsste dieser in Anführungszeichen oder Klammern in die Systematik eingebracht werden.

d) „Summary“ eines Aufsatzes von A. v. Campenhausen Es gibt nur wenige Beispiele für die Verwendung von „Staatskirchenrecht“ als Markenzeichen der deutschen Rechtslage im Ausland durch deutschsprachige Autoren. Die alleinige oder auch die alternative Verwendung dieses Begriffs in deut826 G. Robbers, Stato e Chiesa in Germania, in: G. Robbers (ed.), Stato e Chiesa nell’Unione Europea, 1996, S. 63, 64, 71. 827 A. a. O., S. 62. 828 G. Robbers, Estado e Iglesia en la República Federal de Alemania, in: G. Robbers (ed.), Estado e Iglesia en la Unión Europea, 1996, S. 59 829 A. a. O., S. 60, 61, 67, 68. 830 Siehe oben bei: 4., b), (1) Karlsruher Juristische Bibliographie. 831 Vgl. zum Folgenden den Table of Contents, in KJB 2000, S. VIII f.

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schen Veröffentlichungen macht die Verwendung in einer Fremdsprache möglich, aber nicht notwendig. Konsequent geht den Weg der Nutzung von „Staatskirchenrecht“ auch in einer Fremdsprache v. Campenhausen832 in einem Aufsatz aus dem Jahr 2000833. Die englische Zusammenfassung am Ende des Textes beginnt mit „German canon law with relation to the state (Staatskirchenrecht) enjoys [ . . . ]“834. Dies zeugt von der Verwendung des deutschen Begriffs als Markenzeichen. Unter der Rubrik in der besprochenen Festschrift für M. Heckel findet sich jedoch auch ein Aufsatz von W. Heun zur Trennung von Kirche und Staat in den Vereinigten Staaten von Amerika835. Die Herausgeber der Festschrift wenden damit „Staatskirchenrecht“ nicht auf Deutschland begrenzt an. Dagegen bleibt v. Campenhausen seiner Nomenklatur treu, wenn er die Kapitelüberschrift „Staatskirchenrecht“ in der „Summary“ unter Verzicht auf den Zusatz „German“ und den Hinweis auf die deutsche Überschrift „Staatskirchenrecht“ allein mit „Canon Law in Relation to the State“ wiedergibt. e) Aufsatz des Österreichers P. Pernthaler Die Etablierung eines Markenzeichens im Ausland setzt die Verwurzelung einer Begriffsdeutung im Ursprungsland voraus. Diese lässt sich für die beiden anderen Länder mit einem vergleichbaren Kooperationssystem, Österreich und die Schweiz, nicht nachweisen836. In diesem Land hat sich der Begriff „Staatskirchenrecht“ nie voll durchsetzen können. In jenem Land hat er ernsthafte Konkurrenz erhalten. Einen Hinweis auf die veränderte Begriffsverwendung in Österreich vermag ein Aufsatz von P. Pernthaler aus dem Jahr 2000 zu geben. Dort werden „Staatskirchenrecht“ und „Religionsverfassungsrecht“ in stetem Wechsel verwendet837. Die Möglichkeit zur Differenzierung nutzt der Autor jedoch nicht. Er verbindet zum Beispiel „die beiden Extreme des europäisch-amerikanischen Staatskirchenrechtes“ begrifflich. Eine besondere Ausrichtung verleiht nur ein entsprechendes Adjektiv, wie in der Aussage über die „bunte Fülle unterschiedlicher staatskirchlicher Systeme und ,neutraler‘ Religionsverfassungen“ in den Gliedstaaten der USA. 832 Zu diesem Autor siehe oben bei: 3., a), (1), (a) Sammelliste und (b) Einzelne Kommentierungen. 833 A. v. Campenhausen, Aktuelle Probleme des Staatskirchenrechts im Spiegel der FS Martin Heckel, Theologische Literaturzeitung 125 (2000), S. 602. 834 Vorzuziehen wäre nach dem oben gefundenen Ergebnis wohl der Begriff „ecclesiastical law“, vgl. oben bei: 1. „ius ecclesiasticum“ als Ursprung. 835 Vgl. a. a. O., S. 594. 836 Vgl. dazu oben bei: II. Österreich und III. Die Schweiz. 837 P. Pernthaler, Gott in der Verfassung, ÖARR 47 (2000), S. 183, 186 – 192, 196 – 198, 201.

E. Stellungnahme

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3. Ergebnis Tatsächlich wird die Bezeichnung des Rechtsverhältnisses zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in nicht anglo-amerikanischen Staaten grundsätzlich, abgesehen von neuesten anderslautenden Tendenzen in Frankreich, vom gemeinsamen Ursprung „ius ecclesiasticum“ abgeleitet. Der deutsche Begriff „Staatskirchenrecht“ ist jedoch kein internationales Markenzeichen. Dessen Voraussetzung ist die Bekanntheit im Ausland. Für die in Mittel- und Westeuropa und Nordamerika vorherrschenden Sprachen lässt sich diese nicht nachweisen. Böttcher sieht eine häufige Verwendung von „Religionsrecht“ in „anderen Ländern oder Rechtssystemen“838. Weber geht sogar davon aus, dass der Terminus „Religionsrecht“ internationaler Terminologie entspreche839. Damit wird ein Argument gegen die Einführung der Begriffe „Religions(verfassungs)recht“ entschärft. „Staatskirchenrecht“ wird lediglich in Deutschland und nur von einem Teil der Literatur als ein Markenzeichen für das deutsche Kooperationsmodell verwendet.

E. Stellungnahme Die vorangegangenen Untersuchungen haben ergeben, dass die Forderung nach einem Begriffswechsel weder neu ist noch selten vertreten wird. Im Gegenteil findet gerade in jüngster Zeit die Ansicht, dass der Begriff „Staatskirchenrecht“ einer Veränderung bedarf, insbesondere unter jüngeren Autoren zunehmend Beifall. Dieser jüngeren Ansicht ist zuzustimmen. Es erscheint an der Zeit, den geänderten Rahmenbedingungen eine geänderte Ausdrucksweise folgen zu lassen, so wie es in Bezug auf Religion im Rundfunkrecht bereits geschehen ist840. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass dies sowohl in Bezug auf „Religionsverfassungsrecht“ als Ersatz für „Staatskirchenrecht“ (I) als auch in Bezug auf „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“, im engeren wie im weiteren Sinne (II) gilt. Daraufhin wird die Problematik der zeitlichen Einordnung der Begriffe angesprochen (III). Die Stellungnahme schließt mit einem vollständigen Systematisierungsvorschlag für die Bezeichnung aller Rechtsnormen mit religiösem Bezug (IV).

838 H. Böttcher, Das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Grethlein / Böttcher / Hofmann u. a. (Hrsg.), Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, 1994, S. 64. 839 Vgl. H. Weber, Besprechung von Jeand’Heur / Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, NJW (2001). Dazu bereits oben bei: I. 2. d) Sonstige Verwendung. 840 Siehe oben bei: C., I., 3., c). Exkurs I – Rundfunkrecht.

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

I. „Religionsverfassungsrecht“ anstelle von „Staatskirchenrecht“ Von den vielen genannten Argumenten pro und contra „Staatskirchenrecht“ sollen hier nur zwei aufgegriffen werden. Einmal wird das Standardargument der allgemeinen Gebräuchlichkeit von „Staatskirchenrecht“ hinterfragt (1). Dann wird die besondere Geschichte einer Religionsgemeinschaft in Deutschland als Argument angeführt (2). 1. Die allgemeine Gebräuchlichkeit von „Staatskirchenrecht“ Die Beibehaltung des Begriffs „Staatskirchenrecht“ wird häufig mit seiner allgemeinen Gebräuchlichkeit in Wissenschaftskreisen begründet841. Diese ist auch nach den Ergebnissen dieser Untersuchung tatsächlich vorhanden. Eine solche Argumentation findet jedoch ihre Grenzen, wenn eine Begriffsbezeichnung nur noch aus der Historie einer Rechtsmaterie verständlich wird. In diesem Fall kann man nämlich nicht mehr von der allgemeinen Verständlichkeit der Bezeichnung ausgehen842. Es breitet sich eine tiefe Gleichgültigkeit und Unkenntnis gegenüber den staatlichen Regelungen für den Umgang des Gemeinwesens mit Religionen aus. Diese wird durch eine nur für Spezialisten mit historischen Kenntnissen verstehbare Bezeichnung dieser Rechtsmaterie durch die Spezialisten der Disziplin noch weiter erschwert. Selbst unter Volljuristen ist zu beobachten, dass teilweise keine Klarheit über den Inhalt des Begriffs besteht, teilweise dieser gar unbekannt ist. Dadurch kann das hervorragende deutsche Modell der Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften Schaden nehmen. Bezeichnend ist die in einer Leipziger Zeitschrift für Jura-Studenten beschriebene Situation in einem von drei Studenten durchgeführten Interview mit Prof. H. Goerlich (die „. . .“ entsprechen dem Originaltext): „Frage: ,Wie ist das mit dem Staatskirchenrecht . . .‘ (die beiden anderen Interviewpartner schauen sich befremdet an), Antwort Prof. Goerlich: ,Das sagt er so feierlich . . . wie wenn die Frage peinlich wäre . . .‘“843

Mit dem Begriff „Religionsverfassungsrecht“ in Titel und Text dieser Arbeit soll daher in die Zukunft eines ausdifferenzierten „Religionsverfassungsrechts“ der Bundesrepublik Deutschland gewiesen werden. Es geht nicht um eine einseitige 841 So z. B. H. Pree, siehe oben bei: C., II., 1. Allgemeine Gebräuchlichkeit in der Vergangenheit. 842 Auf den „staatskirchenrechtlichen Laien“ nimmt Rücksicht H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 12 f. Dazu bereits oben bei: I., 1., b) Ihnen folgende Autoren. 843 Vgl. K. Fröhlich, M. A. Wiegand, M. Wörner, Bei Herrn Goerlich zum Tee, in: Der kleine Advokat, Ausgabe Juni / Juli 1996, im Internet unter http://wwwstud.uni-leipzig.de/ ~advokat/96jun/goerl.htm, abgerufen am 27. 10. 2000.

E. Stellungnahme

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Verlagerung des Interesses auf Art. 4 Grundgesetz844. Die Anpassung des Begriffs könnte vielmehr eine Signalwirkung haben und die Vielfalt und das Miteinander der Religionen in Deutschland und Europa auch rechtlich kanalisieren. Dies dient nicht zuletzt den (Groß)Kirchen. Die Anpassung des Sprachgebrauchs an die veränderte Lebenswirklichkeit ermöglicht die Verdeutlichung der Wirklichkeit. Deutschland wird in Zukunft in religiöser Vielfalt ohne traditionelle Volkskirchen leben, die in absehbarer Zeit wohl Minderheitenkirchen werden845. Diese Erkenntnis kann einer Ermüdung oder „Selbstsäkularisierung“ der Kirchen durch allgemeinstes sozialgesellschaftliches Engagement vorbeugen und Kräfte in Verkündigungsfragen freisetzen846. 2. Die deutsche Geschichte Bereits im Jahr 1919, als die heute noch gültige rechtliche Ordnung eingeführt wurde, stand der deutlichen christlichen Mehrheit eine religiöse Minderheit mit ausgeprägtem Gemeindeleben gegenüber, die jüdische. Auch vor 1919 gab es neben religiösen Vereinen und Religionsgemeinschaften einige Körperschaften des öffentlichen Rechts jüdischer Gemeinden oder Verbände847. So verwundert es nicht, dass in einer Bemerkung aus dem Jahr 1867 entgegen der herrschenden Ansicht die Bezeichnung „Kirchenrecht der Juden“ als lächerlich empfunden wurde848. Nach 1919 kamen weitere Körperschaften hinzu, auch in Ländern, die vorher keine jüdische Religionsgemeinschaft anerkannt oder ihnen auch nur Rechtsfähigkeit zugebilligt hätten849. Die Einführung der Begriffe Religions(verfassungs)recht hätte der in der Weimarer Reichsverfassung vorgeschriebenen Gleichbehandlung von anderen, insbesondere nicht kirchlichen Religionsgemeinschaften nur Vorschub leisten können. Die „Sache Religion“ konnte 1935 von den geteilten Zuständigkeiten des „Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern sowie . . . Reichs- und Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“850 einem Reichsministerium für die kirchlichen, nicht etwa religiösen Ange844 Diese Tendenz sieht, „durch die unglückliche Stellung des Art. 140 GG im mißverständlichen Rahmen der Übergangs- und Schlußbestimmungen“ mitverursacht, mit Besorgnis A. v. Campenhausen, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 588. 845 So Müller-Volbehr in einer genauen Analyse der sich ändernden Verfassungswirklichkeit, ders., Staatskirchenrecht an der Jahrhundertwende, ZevKR 44 (1999), S. 388. 846 Zu öfters vorgetragenen kritischen Anfragen an die Kirchen, das geltende „Staatskirchenrecht“ mit Leben zu füllen vgl. stellvertretend J. Isensee, Verfassungsstaatliche Erwartungen an die Kirche, Essener Gespräche 25 (1991), insb. S. 135 ff. 847 G. J. Ebers, Staat und Kirche im Neuen Deutschland, 1930, S. 43 f. 848 C. F. Roßhirt, Äußere Encyclopädie des Kirchenrechts, 1867, zitiert nach: A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 35, Fn 130. 849 G. J. Ebers, a. a. O., S. 180 ff. 850 RGBl. 1935 I, S. 1029

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1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

legenheiten übertragen werden851. Dem entsprach der tendenziöse Ansatz, die Materie in „Das neue Reichskirchenrecht“ umzubenennen852. Die Gleichsetzung des christlichen Glaubens mit dem jüdischen hätte die Gefahr einer Gleichsetzung auf niedrigem Niveau erzeugt853. Immerhin hätte die Bekämpfung der vorherrschenden Religion eines größeren Aufwands bedurft als die Ausgrenzung einer religiösen Minderheit. Heute existieren wieder zahlreiche jüdische Körperschaften des Öffentlichen Rechts. Sie müssen bisher weiterhin die inhaltlich allen Religionsgemeinschaften gegenüber aufgeschlossene, aber fehlbezeichnete Rechtsmaterie „Staatskirchenrecht“ bemühen, wenn es um Bauwerke, die Mitwirkung in öffentlichen Gremien oder um Religionsunterricht geht. Unter dem Dach des „Religionsverfassungsrechts“ sind auch sie begrifflich aufgenommen.

II. „Religionsrecht“ anstelle von „Kirchenrecht“ im weiteren Sinne Auch der Begriff „Religionsrecht“ hat eine eigenständige Daseinsberechtigung zur Ablösung des traditionellen, aber nur noch seltener verwendeten Begriffs „Kirchenrecht im weiteren Sinne“. Er kann sämtliche öffentlich- und privatrechtlichen Normen umfassen, die in Bezug zum Phänomen Religion stehen. Dies geht insofern über die Begriffsprägung von Mikat hinaus, als dieser nur staatliche Normen unter dem Begriff versammeln wollte854. Diese Beschränkung erscheint wegen der gegenüber dem Religionsverfassungsrecht wenigen hinzukommenden Normen nicht sinnvoll. Eine Einschränkung ist grundsätzlich durch die Verwendung von „staatlich“ möglich. Die vorgeschlagene weitere Unterscheidung in „Religionsverwaltungs- und Religionsprivatrecht“ erscheint m.E. weder notwendig noch sinnvoll855. Zu viele 851 Zur Entstehungsgeschichte des Reichskirchenministeriums vgl.: H. Kreutzer, Das Reichskirchenministerium im Gefüge der national-sozialistischen Herrschaft, 2000, S. 75 ff. 852 E. R. Huber, Verfassungs des Großdeutschen Reiches, 2. Aufl. 1939, S. 490 ff., insb. 497. Die Kirchen im Reich entsprachen am ehesten dem sich nach diesem Ansatz auch gegen die Weimarer Reichsverfassung durchsetzenden Parteiprogrammpunkt 24: Bekenntnisfreiheit nur dann, wenn nicht „gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen“ wird. Unter dieser Ideologie folgerichtig werden im Abschnitt „Die einzelnen Religionsgemeinschaften“ nur die Katholische und die Evangelische Kirche Deutschlands behandelt, S. 503 ff. 853 Die nationalsozialistische Kirchenpolitik war grundsätzlich kirchenfeindlich orientiert, auch wenn es andere Kräfte innerhalb der Partei und eine moderate Anfangsphase gab. 854 So verwendet P.Mikat bei der substantivischen Verwendung von „Religionsrecht“ stets das Adjektiv „staatlich“, siehe dazu oben bei: B. II. „Religionsrecht“. 855 So A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 44.

E. Stellungnahme

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Untergliederungen verkomplizierten den Aufbau. Unter „Religionsrecht i.e.S.“ können diejenigen staatlichen Normen verstanden werden, die nicht als Teil der religionsverfassungsrechtlich vorgegebenen Ordnung Bezug zum Phänomen Religion haben, z. B. eine Bevorzugung im Steuerrecht, die nicht religionsvertraglich vereinbart ist. Die Zahl der möglichen Fälle ist hier begrenzt, die Aufnahme in ein Schema dient eher der logischen Vollständigkeit als der notwendigen Verbreitung in der Praxis. Insgesamt sollte unter „Religionsrecht“ ohne nähere Erläuterung stets der weitere Sinn verstanden werden. Die frühere Notwendigkeit eines eigenständigen Begriffs im Internationalen Privatrecht (religiöses Recht) fällt mit der Einführung von „Religionsrecht“ auch in diesem Rechtsgebiet weg856. Damit wird der Einheit der Rechtsordnung genüge getan durch eine in allen Bereichen einheitliche Etikettierung. Die christliche Kirche kann im Hinblick auf Südosteuropa, z. B. die Türkei, und die Verbreitung des Islam auch in Mitteleuropa, z. B. in Frankreich, in Europa nicht mehr als Modell für alle Religionsgemeinschaften stehen. Das Argument der jüdischen Gemeinschaften ist bereits genannt. Der allgemeinere Begriff der „Religion“ ermöglicht eine neutrale Bezeichnung aller Religionsgemeinschaften 857. Im internationalen Zusammenhang findet sich darum zu Recht schon heute in der deutschsprachigen Literatur die oben nachgewiesene, sehr weit verbreitete Nutzung von „Religionsrecht“. Der Begriff „Kirchenrecht“ sollte tatsächlich nur die von christlichen Kirchen gesetzten Normen bezeichnen, während andere Religionsgemeinschaften ihr jeweils eigenständiges Rechtsgebiet ausbilden können, wie z. B. Islamrecht. Die Gruppenbezeichnung lautete dann zutreffenderweise „Religionsgemeinschaftsrecht“858. Die vorgeschlagene Bezeichnung „internes, nichtstaatliches Religionsrecht“859 hat zwei Nachteile. Zum Einen erschweren zwei Adjektive den Gebrauch. Zum Anderen ist durch die erneute Wahl des Begriffs „Religionsrecht“ eine durch einen eigenständigen Begriff vermeidbare Verwechslungsgefahr gegeben.

III. Die zeitliche Einordnung der Begriffe Bereits oben wurde die Problematik angesprochen, wo die Schnittstelle liegt, an der von den alten zu den neuen Begriffen übergegangen werden kann860. In Siehe oben bei: C., I., 3., d) Exkurs II – Internationales Privatrecht. Zu den Inhalten eines europäischen Religionsverfassungsrechts vgl. im 2. Teil unter C. Veränderungen im Europarecht. 858 A. Hense zieht zwar den Begriff „Religionsgesellschaftsrecht“ vor, bemerkt jedoch, dass man auch an „Religionsgemeinschaftenrecht“ denken könne, a. a. O., S. 44, Fn. 167. 859 W. A. Stoffel, Zum Geleit, in: Freiburger Veröffentlichungen zum Religionsrecht, Band 1, 1998, S. 3. Vgl. dazu oben bei: III. Die Schweiz. 860 Siehe oben bei: III., 2. Literaturschau. 856 857

154

1. Teil: Die Entwicklung der Bezeichnung der Disziplin

Deutschland ist nach Kategorien der Rechtslogik mit Inkraftsetzung der Weimarer Reichsverfassung „Religionsverfassungsrecht“ anstelle des vorher geltenden „Staatskirchenrechts“ eingeführt worden. Denn zu diesem Zeitpunkt wurden die bis heute gültigen Grundlagen festgesetzt: Nach Art. 137 Abs. 1 WRV bestand keine Staatskirche mehr. Alle Religionsgemeinschaften wurden gleichberechtigt. Die Weiterführung der herkömmlichen Fachbezeichnung „Staatskirchenrecht“ nach 1919 und nach 1949 spricht nicht gegen diesen Zeitpunkt. Tatsächlich waren die Interpreten der Weimarer Reichsverfassung noch stark von der vorangegangenen Rechtslage dominiert (vgl. nur die Korrelatentheorie 861). Auch bildete die Dominanz der Volkskirchen ein gewichtiges Argument für die Beibehaltung der ursprünglichen Bezeichnung.

IV. Systematisierungsvorschlag Nach den soeben erarbeiteten Prämissen ergibt sich folgender Systematisierungsvorschlag: Religionsverfassungsrecht inklusive Religionsvertragsrecht862

Religionssrecht

Religionsrecht i.e.S. andere staatliche Vorschriften, die den religiösen Interessen Rechnung tragen

Recht der Religionsgemeinschaften Kirchenrecht, Islamrecht, Jüdisches Recht, Recht der Bahai, etc.

Darin nicht angezeigt, aber mitgedacht, ist die Einordnung des Religionsrechts selbst in ein umfassend zu denkendes Kulturverfassungsrecht. Heckel sieht die Ausstrahlungswirkung der Religionsfreiheit im Kulturverfassungsrecht863 und Häberle fasst das Religionsverfassungsrecht als „spezielles Kulturverfassungsrecht“ auf864.

A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 41 f. Gewählt in Abkehr vom bisher üblichen Begriff „Staatskirchenverträge“. Die Diskussion dieser Begriffe findet statt im Rahmen der Erörterung der Rechtsquelle Religionsvertrag im 2. Teil unter C., I., 3. Religionsverträge. 863 So die Überschrift des Schlusskapitels von M. Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne, ZevKR 44 (1999), S. 380 ff. 864 P. Häberle, Besprechung von: G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, AöR 121 (1996), S. 678. Ihm mit einem wörtlichen Zitat folgend, J. Winter, Das Verhältnis von Staat und Kirche als Ausdruck der kulturellen Identität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: FS Hollerbach, 2001, S. 893. 861 862

2. Teil

Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Eine Bestandsaufnahme Der Fall der Mauer im „annus mirabilis“1 1989 ist das prägende Ereignis für das Europa des letzten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts2 und mithin für den Berichtszeitraum der vorliegenden Arbeit von 1990 bis 2000. Die vorangegangenen und anschließenden Veränderungen in beinahe allen Staaten der früheren sowjetischen Einflusszone mündeten in eine „Weltstunde des Verfassungsstaates“3, vor allem sichtbar in Mittel- und Osteuropa. Es erscheint auch aus der Retrospektive angemessen von einem „wahren ,Verfassungszeitalter‘ wie 1789 ff. und 1848“4 zu sprechen. Neben einer Rückanknüpfung an „nationale“ Traditionen und dem verbreiteten Einsatz des neuen Konsensmittels „runder Tisch“ ist ein weiteres Spezifikum der Wiedergeburt verfassungsstaatlicher Strukturen in Osteuropa die besondere Rolle der Kirchen5. Diese konnten dank ihrer fördernden oder auch tragenden Rolle in der Zeit der meist friedlichen Revolutionen erst einmal gestärkt aus dem Einbruch des marxistisch-leninistischen Systems hervorgehen. Insofern liegt eine „Renaissance der Kirchen“ vor6. Eine Begründung findet sich in der besonderen Wirkung des Faktors Religion als spiritueller Kernbereich der Würde und Freiheit des Menschen7. Eine weitere Begründung liefert die Resistenz des Religiösen gegen den Integrations- und Absorbationswillen der geschlossenen ideologisch geprägten Herrschaftssysteme8. 1 P. Häberle, Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995), S. 621. 2 Vgl. K. Hesse, Die Vereinigung Deutschlands und die gesamtdeutsche Verfassung (1991), JöR 44 (1994), S. 4. 3 P. Häberle, Verfassungsentwicklungen in Osteuropa, AöR 117 (1992), S. 170. 4 P. Häberle, Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern mit Textanhang: Weitere Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 41 (1993), S. 71. 5 Vgl. P. Häberle, Verfassungsentwicklungen in Osteuropa, AöR 117 (1992), S. 172 f., 173 f. bzw. 181 ff. 6 Häberle, a. a. O., S. 181. 7 O. Luchterhandt, Religionsrechtliche Rahmenbedingungen für eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den Ländern Mittel- und Osteuropas, Essener Gespräche 29 (1995), S. 19. 8 Ebd.

156

2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Die neu oder wiedergewonnene Position der Sache Religion sollte sich auch in den entstandenen Verfassungstexten wiederfinden. Häberle sieht nach der genannten „Renaissance der Kirchen“ bei der Übersicht über die entstandenen Texte auch eine „Renaissance des Religionsverfassungsrechts“. Diese Aussage gilt es hier kritisch für den Berichtszeitraum zu überprüfen. Dazu werden die textlichen Veränderungen in Deutschland untersucht. Die Sondersituation der Teilung und der daran anknüpfenden Wiedervereinigung rechtfertigt eine selbständige Untersuchung der Vorgänge in diesem Land ohne weitere Ausführungen zu den Prozessen in den sogenannten Reformstaaten Mittel- und Osteuropas9. Die Bestandsaufnahme gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden Veränderungen in der Rahmenordnung des Bundes (A) offengelegt, dann in den verschiedenen Konkretisierungen durch die Bundesländer, mit einem Schwerpunkt bei den fünf neuen Bundesländern (B). Keine Rechtsmaterie in Deutschland bleibt heutzutage unbeeinflusst vom Recht der Europäischen Gemeinschaften. Daher folgt schließlich die Frage nach den Auswirkungen von Veränderungen im Europarecht auf das deutsche Religionsverfassungsrechts (C).

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes Zunächst werden hier Veränderungen des Grundgesetzes im Berichtszeitraum erörtert (I), dann solche im Verwaltungsrecht des Bundes (II).

I. Grundgesetz Auch ohne eine eigene Gesetzgebungskompetenz bestimmt der Bund seit Inkrafttreten des Grundgesetzes den religionsverfassungsrechtlichen Rahmen. Vor allem durch die Art. 4, 7 und 140 des Grundgesetzes werden grundlegende religionsverfassungspolitische Entscheidungen getroffen10. Den Ländern verbleibt nach Art. 30 und 70 Abs. 1 GG die den Rahmen ausfüllende Gesetzgebungs- und Vertragsschlusskompetenz11. 9 Zu diesen vgl. O. Luchterhandt, a. a. O., S. 29 ff., und allgemein, mit Hinweis auf das Verhältnis Staat und Kirchen, P. Häberle, Einführung zur Dokumentation von Verfassungsentwürfen ehemals sozialistischer Staaten in (Süd)Osteuropa und Asien, JöR 43 (1995), S. 133. 10 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, Rz. 467. 11 P. Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 249 ff.

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes

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Eine Veränderung dieser religionsverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den Ländern hat seit Erlass des Grundgesetzes bis heute nicht stattgefunden. Bei der Verfassungsreformdiskussion des Bundes nach der Wiedervereinigung ist dies auch nicht gefordert worden, im Gegensatz zur Rückverlagerung von anderen Gesetzgebungskompetenzen in die Länder12. Innerhalb dieser Vorgaben gibt es nur zwei gangbare Wege, die eine Veränderung dieser Grundsätze ermöglichen. Zum Einen können selbstverständlich auch im Grundgesetz textliche Änderungen vorgenommen werden (1), wenn auch nach den spezifischen Voraussetzungen13. Zum Anderen findet eine Konkretisierung von Bundesrecht durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts statt (2).

1. Änderungen im Text Das Religionsverfassungsrecht des Grundgesetzes ist seit 1949 unverändert in Kraft. Es stand auch zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Frage14. Der seit der Wiedervereinigung angewachsene, aber in Relation gesehen relativ kleine Kreis der Kritiker des deutschen Modells der moderaten Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften setzt den Hebel bei der Interpretation der Vorschriften an15. Der Standardvorwurf lautet, das Verbot der Staatskirche aus Art. 137 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG werde nicht ernst genommen. Die herrschende Auslegung aus dem Zusammenhang der die Religionsgemeinschaften betreffenden Regelungen sei verfassungswidrig, unter anderem deshalb, weil sie vom Normtext nicht mehr gedeckt sei16. Auffallend selten wird dagegen eine Änderung der textlichen Vorgaben gefordert. Diese könnten den bundesrechtlichen Rahmen lockern und den Ländern eine größere Bandbreite im Verhalten gegenüber Religionsgemeinschaften ermöglichen. Dies mag auch darin begründet sein, dass eine Neuinterpretation im Streitfall durch Entscheidungen der Gerichte, letztlich des Bundesverfassungsgerichts möglich ist. Die Änderung des Grundgesetzes setzt dagegen einen breiten Konsens zur Entprivilegierung von Religionsgemeinschaften im Parlament voraus, der zumindest zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht ersichtlich ist17. 12 Dazu kam es jedoch nicht, vgl. B.-O. Bryde, Verfassungsreform der Länder unter bundesverfassungsrecht-lichem Unitarisierungsdruck, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 435. 13 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, Rz. 700 ff. 14 P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht. Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 1999, S. 120 f. 15 Zur grundlegenden Kritik am deutschen Modell in der juristischen Literatur siehe im 3. Teil unter: A., II. Zunehmende Kritik am deutschen Modell in der juristischen Literatur. 16 So J. Wasmuth / G. Schiller, Verfassungsrechtliche Problematik der Kirchenlohnsteuer, NVwZ 2001, S. 855. 17 Vgl. P. M. Huber, a. a. O., S. 152 f.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

a) Vorschläge im Rahmen der Verfassungsreform 1994 Eine Bestätigung dieser These bildet die Diskussion um die vorgeschlagenen Textänderungen im Rahmen der Verfassungsreform des Jahres 1994. Diese war der zweite Schritt nach den unmittelbar beitrittsbedingten Änderungen im Einigungsvertrag18. Die Verfassungsreform kam nur nach einem Kompromiss zustande, der die Einsetzung einer partei- und gremienbestimmten Gemeinsamen Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat vorsah19. Innerhalb der Kommission wiederum galt die Verfahrensregel, nach der bereits Vorschläge einer 2 / 3-Mehrheit bedurften20. Immerhin kamen nahezu die Hälfte der Artikel der Grundgesetzes zur Sprache, ohne dass jedoch eine Änderung von der Mehrheit ernsthaft erwogen worden wäre. Nach der Durchsicht der Regelungen im Umfeld zu Art. 140 GG verzichtet die Verfassungskommission hier auf eine Empfehlung21. Eine grundsätzliche Neuordnung war immerhin in verschiedenen Anträgen einzelner Mitglieder vorgeschlagen worden, ebenso wie eine redaktionelle Überarbeitung im Sinne einer direkten Übernahme der bisher nur durch Art. 140 GG inkorporierten Artikel der WRV22. Es lohnt sich jedoch über diese Feststellung hinaus die Begründung zu betrachten. Die „ganz überwiegende Mehrheit“ hielt entweder das staatskirchenrechtliche System für bewährt oder war der Auffassung, dass „jedenfalls eine grundsätzliche Reform in diesem Sektor der Verfassung den Zeitrahmen der Gemeinsamen Verfassungskommission übersteige.“ Damit sind es nicht nur Befürworter dieser Regelung gewesen, die eine Änderung ablehnten. Die zahlenmäßige Aufgliederung der Kommissionsmitglieder in Bezug auf die Befürwortung des einen oder anderen Arguments wird nicht genannt. Immerhin sieht eine unbestimmte Anzahl der Mitglieder einen Reformbedarf. Die erörterte Alternative einer nur redaktionellen Änderung scheiterte aus einem beinahe spektakulären Grund. Die Mehrheit der Kommission, hier ist diese Angabe genannt, habe sich „die in Artikel 140 GG in Bezug genommenen Artikel der Weimarer Reichsverfassung nicht durch Inkorporation inhaltlich zu eigen machen“ wollen23. Wenn sich auch keine 2 / 3-Mehrheit für einen Änderungsvorschlag ergab, so ergab sich eine einfache Mehrheit der Distanzierten. Diese Zahl kann jedoch wiederum bis zu einem gewissen Grad relativiert werden. Die Änderungswünsche bezogen sich offenbar vor allem auf zwei Gegenstände. Die auch als solche genannten SPD-Mitglieder forderten die seit längerem Zu beiden , S. 9 ff. P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 242 ff. 20 Auch zum Folgenden U. Berlit, Die Reform des Grundgesetzes, JöR 44 (1996), S. 27 ff. 21 Bericht GemVerfKomm, BT-Drucks. 12 / 6000, S. 106 – 108. Als erneute Bestätigung des Grundgesetzes wertet dies A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68. 22 Vgl. den Bericht, a. a. O., S. 106. 23 A. a. O., S. 107. 18 19

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes

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von gewerkschaftlicher Seite vorgebrachte Beendigung der Freistellung der Kirchen von arbeits- und sozialrechtlichen Vorgaben24. Die Gewerkschaften waren tatsächlich einer der wenigen Verbände, die äußerlich aktiv im Reformprozess auftraten, nicht die Kirchen25. Auch die mehr als 4000 Eingaben der Bevölkerung waren offenbar in der Regel aus persönlicher Betroffenheit mit dem geltenden Recht eingereicht worden26. Denn die Bürger forderten vornehmlich selektiv die Abschaffung der Kirchensteuer, die lediglich ein Brückenelement des deutschen Religionsverfassungsrechts darstellt. Radikalere Schritte wurden offenbar nur höchst selten gefordert. Auch in der Frage einer Streichung der Bezugnahme auf Gott in der Präambel27 gab die Kommission keine Empfehlung ab28. Die umfassenden Änderungsanträge zu den religionsverfassungsrechtlichen Vorschriften von Bündnis 90 / Die Grünen und Linke Liste / PDS forderten die Streichung ebenso wie der allein darauf bezogene Antrag des evangelischen Theologen und Abgeordneten Ullmann29. Nur wenige Mitglieder befürworteten die Streichung30. Die FDP verfolgte ihre Änderungsvorschläge nur mit eingeschränktem Engagement, da sie keine große Debatte über die Religionsverfassung anzetteln wollte31. In der Literatur wurde dies überwiegend begrüßt32, wie auch die Einführung in Präambeln in den Verfassungen der neuen Bundesländer33.

24 Nur am Rande sei erwähnt, dass die SPD-Mitglieder tatsächlich eine Protokollerklärung verabschiedeten, die das Bundesverfassungsgericht zu einer Änderung seiner Rechtsprechung zu Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG aufforderte. 25 Zur Rolle der Kirchen siehe unten bei: B., III., 4. Exkurs: Die Kirchen und die Grundgesetzreform von 1994. 26 Vgl. den Bericht, a. a. O., S. 106. 27 Zur Entstehungsgeschichte und verfassungsrechtlichen Einordnung der Präambel des Grundgesetzes vgl. A. Papenheim, Präambeln in der deutschen Verfassungsgeschichte, S. 45 ff., 99 ff. 28 Bericht GemVerfKomm, BT-Drucks. 12 / 6000, S. 108 – 110. 29 Vgl. die Übersicht bei H. Hofmann, Das Grundgesetz ohne Gott – aber mit Mitmenschlichkeit?, ZRP 1994, S. 216 und die Schilderung der Diskussionen bei H. Kreß, Der Gottesbegriff in der Präambel von Verfassungen, MD 45 (1994), S. 45. Der Antrag von W. Ullmann ist dokumentiert in Greive (Hrsg.), „Gott im Grundgesetz?“, Loccumer Protokolle 14 / 1993, Loccum 1994, S. 275 – 277. 30 So bereits der Bericht, a. a. O., S. 109 und 110. 31 H.-P. Schneider, Muß ein zukünftiges Religionsverfassungsrecht auf „Gottestexte“ verzichten?, in: Greive (Hrsg.), „Gott im Grundgesetz?“, 1994, S. 18. 32 Vgl. H. Hofmann, a. a. O., S. 217; P. M. Huber, Kommentierung der Präambel, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 1999, Rz. 36; G. Essen, Der „Präambelgott“ – Verfassungsanker oder Verfassungsstörer, KuR 2001, S. 145; differenzierend: R.-O. Schwemer, Der Gottesbezug in Verfassungspräambeln, RuP 32 (1996), S. 15. 33 Dazu unten bei: B., I., 3. Gottesbezüge in den Präambeln und IV., 7. Niedersachsen.

160

2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

b) Der Asylkompromiss von 1993 Eine textliche Änderung des Grundgesetzes kam nach langer Diskussion der Problematik im Rahmen des Asylkompromisses vom Juni 1993 zustande. Das bis dahin in Art. 16 Abs. 2, Satz 2 GG vorbehaltlos gewährleistete Menschenrecht auf Asyl wurde mit umfangreichen Modifizierungen unter exponierter Kritik der Kirchen34 in einem Art. 16 a neu gefasst35. Dieser ist weiterhin ein Grundrecht politisch Verfolgter und richtet sich gegen den Staat. Ein Dritter ist nicht betroffen, da kein Verbot an andere enthalten ist, eine selbständige Prüfung von Fluchtgründen durchzuführen und insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 4 GG Grundrechte auszuüben36. Damit sind Religionsgemeinschaften nicht unmittelbar betroffen. Aber auch eine mittelbare Betroffenheit kann erhebliche Auswirkungen haben. Die Zahl der Fälle von „Kirchenasyl“ unter Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG37 ist seit dem Kompromiss ebenso gestiegen38 wie die Zahl der diesbezüglichen juristischen Publikationen. Winter sieht zu Recht in der letzten Zeit eine kontroverse Diskussion des „Kirchenasyls“39. Diese fußt jedoch nicht auf einer Änderung der rechtlichen Grundlagen, sondern auf der gestiegenen Verbreitung derartiger Fälle einerseits und auf dem härteren staatlichen Durchgriff in Ermessensfragen andererseits40. Es bleibt festzuhalten, dass eine Änderung des Rechts des „Kirchenasyls“ nicht stattgefunden hat.

2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts In einem System mit justitiabler Verfassung steht dem zuständigen Gericht die wichtige und häufig entscheidende Aufgabe der Konkretisierung der dogmatischen Vorprägungen zu41. Dies kann den Spielraum der Länder erheblich einengen und bis hin zu einer weitgehenden Bestimmung des Religionsverfassungsrechts führen. Anschaulich ist der Vergleich mit dem Rundfunkrecht, wo eine der Bundesgesetzgebung entzogene Materie entsprechend den Festlegungen des BundesverfassungsJ. Grefen, Kirchenasyl im Rechtsstaat, 2001, S. 114 ff. W. Berg, Staatsrecht, 2001, Rz. 525. 36 N. Schultz-Süchting, Kirchenasyl, 2000, S. 281 ff. 37 Dazu J. Grefen, Kirchenasyl im Rechtsstaat, 2001, S. 210 ff., insb. 263; C. Görisch, Kirchenasyl und staatliches Recht, 2000, S. 231 ff.; R. Bank, Kirchliches sanctuarium als rechtsfreier Raum?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 399 ff. 38 Vgl. die Graphiken bei Schultz-Süchting, a. a. O., S. 52 ff. 39 So J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 34. Von einem seit einigen Jahren mit großer Polemik geführten Streit spricht R. Bank, a. a. O., S. 385. 40 J. Grefen, Kirchenasyl im Rechtsstaat, 2001, S. 87 ff. 41 B.-O. Bryde, Verfassungsreform der Länder unter bundesverfassungsrechtlichem Unitarisierungsdruck, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 437. 34 35

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes

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rechts im Einzelnen ausgestaltet wurde und damit die Rechtspolitik der Länder in ihren Grundzügen vorherbestimmt42. Die grundrechtlichen Gewährleistungen im Religionsverfassungsrecht des Bundes gemäß Art. 4 GG und Art. 136 Abs. 1 WRV i. V. m. 140 GG Grundrechtsdogmatik werden nach herrschender Auffassung in einem „Gesamtgrundrecht“ zusammengefasst, welches einen einheitlichen Schutzbereich umfasse43. Die sich daran anschließende extensive Auslegung des Schutzbereichs erfährt in jüngerer Zeit zunehmend Kritik in der Literatur44. Zum Beispiel fordert Schoch angesichts der vermehrten Sonderfälle durch eine Änderung des religionssoziologischen Umfelds eine grundrechtsdogmatische Neukonzeption des Schutzbereichs im Rahmen einer Berücksichtigung der vom Grundgesetz selbst vorgegebenen Unterscheidungskriterien45. Vor allem eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stieß auf besonderen Widerstand. Zu klären war die Frage der prinzipiellen Anbringung von Kreuzen in den Klassenzimmern bayrischer Schulen, die sogenannte „Kruzifix-Entscheidung“. Hier sieht die große Zahl der Gegner eine übertriebene Berücksichtigung der Religionsfreiheit des Einzelnen gegen die Anschauung der Mehrheit46. Offensichtlich vermehrt sich tatsächlich die Zahl der Konfliktfälle durch die von Schoch ausgemachten religionssoziologischen Veränderungen. Eine Änderung der als liberal eingestuften Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit Bindungswirkung für das gesamte deutsche Religionsverfassungsgericht hat jedoch bis zum Jahr 2001 nicht stattgefunden.

II. Verwaltungsrecht des Bundes Jedwedes Bundesrecht geht nach Art. 31 GG Landesrecht vor, demnach auch das Verwaltungsrecht des Bundes47. Dieses kann jedoch mangels der Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Religionsverfassungsrecht, wie bereits geschildert, keine Vorentscheidungen für die Länder treffen. Für den Berichtszeitraum sind jedoch zwei besondere Vorkommnisse vorzustellen. Zum einen könnte eine mittelbare und daher möglicherweise rechtswidrige Beeinflussung der Länder seitens des Bundes vorliegen. Zum anderen ist eine breit vorgetragene Kritik an der 42 Vgl. P. Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 249 f. 43 BVerfGE 24, 236 (245 f.). 44 Vgl. F. Schoch, Die Grundrechtsdogmatik vor den Herausforderungen einer multikonfessionellen Gesellschaft, in: FS Hollerbach, 2001, S. 154 f. m. w. N. 45 A. a. O., S. 155 ff. 46 Vgl. zum Beispiel den Sammelband H. Maier (Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch. Der Kruzifixbeschluss des Bundesverfassungsgerichts in der Kontroverse, 1996. 47 W. Berg, Staatsrecht, 2001, Rz. 38.

11 Kupke

162

2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Inanspruchnahme von Leistungen des Bundes durch einen Anspruchsberechtigten, hier die Evangelische Kirche, zu erörtern. 1. Abschaffung des Buß- und Bettags Zum Ende des Jahre 1994 kam es zu einer fast vollständigen Abschaffung des Buß- und Bettags, die der Bund in besonderer Weise betrieben hatte. Nach Art. 139 WRV i. V. m. Art. 140 GG sind neben dem Sonntag auch die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt. Somit ist der Feiertag als Grundelement sozialen Zusammenlebens und staatlicher Ordnung institutionell garantiert48. Damit erschöpft sich die bindende Aussagekraft von Bundesrecht zu den Feiertagen. Am 26. Mai 1994 wurde aufgrund eines breiten gesellschaftlichen Konsenses das Pflege-Versicherungsgesetz als fünfte Säule der Sozialversicherung verkündet. Allein strittig war die Frage der Finanzierung49. Da bot sich der Ausweg an, die Mehrausgaben der Arbeitgeber durch die Streichung eines Feiertages auszugleichen. In § 58 Abs. 2 SGB XI wurde folgende Regelung geschaffen: „Zum Ausgleich der mit den Arbeitgeberbeiträgen verbundenen Belastungen der Wirtschaft werden die Länder einen gesetzlichen landesweiten Feiertag, der stets auf einen Werktag fällt, aufheben.“

Diese Formulierung deutet auf eine Verpflichtung der Länder hin. Diese kann jedoch nicht in einem Bundesgesetz in Bezug auf einen Gegenstand festgeschrieben werden, der in die alleinige Kompetenz der Länder fällt. Selbst wenn dieser Verpflichtung eine Wirkung inter partes zukäme, so blieben die Länder im Außenverhältnis nicht an einer anderweitigen Regelung gehindert. Diese rechtlichen Bedenken sah wohl auch der Bundesgesetzgeber und fügte als Abs. 3 eine politische Klausel ein50. Sollte bis zum 31. Dezember 1993 ein Land den genannten Anforderungen nicht nachgekommen sein, trügen die Beschäftigten die Beiträge in voller Höhe, also ohne Arbeitgeberanteil. Alle Länder bis auf Sachsen reagierten und hoben den Buß- und Bettag51 gegen die frühzeitige Kritik der Kirchen als gesetzlichen Feiertag auf52. Es stellt sich die Frage, ob diese mittelbare Beeinflussung des Religionsverfassungsrechts der Länder eine verfassungswidrige Maßnahme darstellt. In seinem 48 A. v. Campenhausen, Kommentierung von Art. 140 und 141 GG, in: Starck (Hrsg.), Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, Band 3, 2001, Art. 139 WRV, Rz. 11. 49 Vgl. die Schilderung bei K.-H. Kästner, Zur Verfassungsmäßigkeit feiertagsrechtlicher Konsequenzen der Einführung der Pflegeversicherung, ZevKR 41 (1996), S. 274 ff. 50 Vgl. A. v. Campenhausen, Stichwort Buß- und Bettag, in: ders. / Riedel-Spannenberger / Seebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 1, 2000, S. 320. 51 Zur Bedeutung des Buß- und Bettages siehe Campenhausen, a. a. O. 52 Kästner, a. a. O., S. 276 f.

A. Veränderungen im Rahmenrecht des Bundes

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umfangreichen Gutachten für die Ev. Kirche von Kurhessen-Waldeck bejaht Kästner, wohl zu Recht, diese Frage53. Der Bund hat nach Kästner keine Gesetzgebungskompetenz zum Erlass der in die Rechte der Länder eingreifenden Vorschrift des § 58 Abs. 2 SBG XI. Weiterhin verletze die in Abs. 3 aufgenommene Regelung die Entscheidungsfreiheit der Länder und verstoße damit gegen das Prinzip der Bundestreue. Die bundesrechtliche Anweisung zur Streichung des Buß- und Bettags in den Ländern wurde jedoch nicht in einem gerichtlichen Verfahren geprüft. Nur die Rechtswidrigkeit der Änderung eines landesrechtlichen Feiertagsgesetzes hätte unter Umständen ermöglicht, ein gerichtliches Prüfungsverfahren anzustrengen54. Bereits Kästner stellt in seinem Gutachten fest, dass die Änderung des hessischen Feiertagsgesetzes formell und materiell rechtmäßig war55. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin und des Bundesverfassungsgerichts. Beide Gerichte sahen keine Verletzung des Beschwerdeführers durch die jeweilige Gesetzesänderung in Berlin bzw. Niedersachsen56. Damit ist für den Berichtszeitraum ein Fall dokumentiert, in dem der Bund in einem öffentlichen politischen Verfahren das Religionsverfassungsrecht der Länder verletzt hat. Diese haben jedoch nicht nur ihren Verfassungsraum nicht verteidigt, sondern sogar an der Beschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit mitgewirkt. Insofern darf diese Einflussnahme nicht überbewertet werden. Es bleibt jedoch der bittere Nachgeschmack des offenen Ausverkaufs von Rechten auf Kosten der religiösen Ordnung in den Bundesländern. Es bleibt eine Aufgabe der Religionsgemeinschaften, den Schutz der Feiertage als Anwälte der Gesellschaft zu verteidigen, und zwar durch die ständige Erinnerung an den Hintergrund der Garantie aus Art. 139 WRV und durch praktische Ausfüllung der Regelung57.

2. Militärseelsorge Aus staatlicher Sicht kam es im Berichtszeitraum nicht zu einer Änderung der rechtlichen Grundlagen der zur Kompetenz des Bundes gehörenden Militärseelsorge. Vielmehr bestanden von Seiten eines möglichen Anspruchstellers Vorbehalte in Bezug auf die Nutzung des durch die Bundesverwaltung ausgesprochenen AngeKästner, a. a. O., S. 277 ff. Zur Frage der subjektiven Klagebefugnis von Religionsgemeinschaften siehe die Ausführungen zur sog. Bäderregelung in Mecklenburg-Vorpommern unten bei: B., I., 2. Verträge zwischen Staat und Religionsgemein-schaften. 55 Kästner, a. a. O., S. 301 ff. 56 Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluß v. 16. 9. 1995 – VerfGH 1 / 95, ZevKR 41 (1996), S. 98 ff.; BVerfG, Beschluß v. 18. 9. 1995 – 1 BvR 1456 / 95, ZevKR 41 (1996), S. 349 ff. 57 So auch J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 205. 53 54

11*

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

bots. Diese kamen aus den Reihen Evangelischen Kirchen in den neuen Bundesländern58. Eine 1996 als Übergangslösung getroffene Rahmenvereinbarung zwischen dem Bundesverteidigungsministerium und der EKD gab den ostdeutschen Bundeswehrpfarrern den Status von Kirchenbeamten59. Diese Regelung ist bis Ende 2003 befristet. Von 2004 an soll der Militärseelsorgevertrag für die gesamte EKD gelten. Diese strebt an, dass in begrenzter Zahl künftig neben Militärpfarrern als Staatsbeamte auch Pfarrer als staatliche Angestellte Seelsorge innerhalb der Streitkräfte betreiben60.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer Wesentlicher Bestandteil der Verfassungsautonomie der deutschen Bundesländer ist die Kulturhoheit. Sie ist „die ,Seele‘ des deutschen Föderalismus“61. Die selbstverantwortlichen Länder konkurrieren hier untereinander. Der Bund steht mit lediglich punktuellen Kulturkompetenzen grundsätzlich getrennt davon62. Die notwendige, aber freiwillige Zusammenarbeit der Länder im Rahmen des kooperativen Kulturföderalismus ist kein Hinweis auf eine Rechtfertigung für die Forderung nach Unitarisierung. Kultur ist stets mit Vielfalt verbunden. Diese garantiert das bundesrepublikanische Religionsverfassungsrecht durch eine besondere Regelung. Es sind hier nicht in erster Linie die Länder, die durch unterschiedliche Regelungen eine Vielfalt schüfen. Mit der Übernahme von Artikeln der Weimarer Reichsverfassung durch Art. 140 GG wurde neben der Einführung von Art. 4 und 7 GG eine zwingende religionsverfassungsrechtliche Rahmenordnung des Bundes erlassen. Diese ging auch den bereits zuvor erlassenen religionsverfassungsrechtlichen Vorschriften in Landesverfassungen vor. Das regelt Art. 31 GG prägnant: Bundesrecht bricht Landesrecht63. Darum nur bestand die Notwendigkeit einer Ausnahmevorschrift wie der durch das Brandenburger Unterrichtsfach LER allgemein be58 Vgl. die Beiträge verschiedener Theologen bei Bald / Martin (Hrsg.), Aufbruch nach der Wende. Militärseelsorge, Kultussteuer und das Staat-Kirche-Verhältnis, 1997. 59 B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 294 ff. 60 So im November 2001 auf der EKD-Synode in Amberg beschlossen, vgl. Gernot Facius, EKD pocht auf Religion als Unterrichtsfach in Brandenburg. Auch die Neuordnung der Seelsorge in der Bundeswehr war Thema, Die Welt v. 07. 11. 2001, S. 6. 61 Vgl. auch zum Folgenden P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 75 f. 62 Vgl. C. Pestalozza, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Verfassungen der deutschen Bundesländer, 2001, Rz. 179. 63 Zur Auslegung des Art. 31 GG im Zusammenhang mit der Verfassunggebung in den Ländern siehe in der gleichnamigen Schrift von S. Storr das Kapitel „3. Entgegenstehendes Bundesrecht als Rahmen für die Landesverfassunggeber – zur Auslegung des Art. 31 GG“, 1995, S. 200 ff.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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kannt gewordenen „Bremer Klausel“ (Art. 141 GG). Im Umkehrschluss gehen die anderen religionsverfassungsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes dem allgemeinen Grundsatz entsprechend sämtlichen landesrechtlichen Vorschriften vor, auch den Landesverfassungen64. Zur Ausgestaltung des Prinzips des kulturellen Trägerpluralismus in Sachen Religion fordert das Grundgesetz in erster Linie freie Träger auf, in concreto Religionsgemeinschaften. Die Länder können die grundlegenden Vorschriften für Religionsgemeinschaften lediglich konkretisieren65. Veränderungen sind nur dann möglich, wenn es sich um die Erweiterung von sog. Brückenelementen handelt66. Die Länder können den Kreis der kooperativen Aufgaben, wie zum Beispiel die Krankenhausseelsorge nach Art. 141 GG, nur erweitern, nicht begrenzen67. Eine Erklärung für die darüber hinausgehende Vielfalt der Verfassungstexte der Länder liegt in ihrer Entstehungszeit. Die religionsverfassungsrechtliche Ordnung in den deutschen Bundesländern stammt in der Mehrzahl der deutschen Bundesländern aus den Jahren 1946 bis 194768. Dazu gehörten zunächst auch die in der Sowjetischen Besatzungszone gelegenen Länder69. In den zwei Jahren wurden fünfzehn Verfassungen beraten und verabschiedet70. Erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 folgten Berlin, die Länder der britischen Besatzungszone und das vereinigte Baden-Württemberg nach71. Die in der DDR gelegenen Länder wurden jedoch bereits 1952 faktisch wieder aufgelöst, ihre Verfassungen außer Kraft gesetzt72. An ihre Stelle trat die Ordnung der DDR-Verfassungen von 1949 und später die von 196873.

64 Zum Beispiel Art. 143 Abs. 2, Satz 2 a.E. BayVerf. Siehe die Auflistung bei A. Hollerbach, Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: HdbStKirchR, Band I, 1974, S. 249 f. 65 Am Beispiel der eigenständigen Regelungen in der Brandenburger Verfassung zeigt die Geltungsbeschrän-kung einer Landesverfassung F. Wittreck, Nachrangklauseln und „normative Selbstbescheidung“ der Landesverfassung. Konsequenz oder Umgehung des Art. 31 GG, DVBl. 2000, S. 1494 ff. 66 P. Häberle, Kulturhoheit im Bundesstaat, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent, 1999, S. 73 f. 67 B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 161. 68 Zur Entstehung der Länder und ihrer Verfassungen vgl. C. Pestalozza, a. a. O., Rz. 8 ff. 69 Dazu ausführlich T. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR, 1994, S. 65 ff. 70 Vgl. dazu B. Beutler, Die Stellung der Kirchen in den Länderverfassungen, in: Rauscher (Hrsg.), Kirche und Katholizismus, 1977, S. 27 f. 71 P. Badura, Das Staatskirchenrecht als Gegenstand des Verfassungsrechts, HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 247 f. 72 T. Boese, a. a. O., S. 130 bei Fn. 484. 73 Vgl. dazu: T. Boese, a. a. O., S. 114 ff. bzw. 168 ff. und R. Tillmanns, Grundzüge des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern, in: Neumann / Tillmanns (Hrsg.), Konstituierung der neuen Bundesländer, 1997, S. 163 ff. bzw. 173 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Die religionsverfassungsrechtlichen Regelungen der Landesverfassungen der westlichen Bundesländer wurden bis zum Beginn des Berichtszeitraums der vorliegenden Arbeit, dem Jahr 1990, nur selten in Frage gestellt74 und noch seltener verändert. Dies mag einmal an den bereits genannten weitgehenden Vorgaben des Grundgesetzes liegen. Eine weitere Erklärung der seltenen Veränderung der religionsrechtlichen Teile der Länderverfassungen liegt in dem besonderen Mittel, das zur Ausgestaltung der Rechtsmaterie Religionsverfassungsrecht zur Verfügung steht, dem Staatskirchenvertrag. Dieser hatte in den 50er und 60er Jahren eine „große Epoche“, in den 70er und 80er Jahren zwei „eher ruhige Jahrzehnte des Konsolidierung“75. Zu Veränderungen im Landesrecht im Berichtszeitraum hat nun in erster Linie der prägende Vorgang der Wiedervereinigung geführt. Durch das von der Volkskammer der DDR am 22. Juli 1990 beschlossene Ländereinführungsgesetz (LEG) entstanden am 3. Oktober 1990 wieder die neuen (alten) Bundesländer. Die ersten Landtage waren nach § 23 Abs. 2 LEG berufen, die Aufgabe von verfassunggebenden Landesversammlungen wahrzunehmen. Der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 ließ diese Regelungen ausdrücklich in Geltung76. Alle neuen Länder nahmen ihre Aufgabe an und gaben sich eine Verfassung. Das darin enthaltene Religionsverfassungsrecht wird zunächst geschildert (I). Dann wird der Entstehungsprozess dieser Ordnungen im Hinblick auf Textentwürfe (II) und die Rolle der Kirchen hin untersucht (III). Auch die alten Bundesländer haben in den Neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts vermehrt Änderungen ihrer Verfassungen vorgenommen. Wenn auch nur teilweise unmittelbar von der Wiedervereinigung veranlasst, wie im Falle der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung, so hat doch der Aufbruch nach der Wende insgesamt zu einer allgemeinen Verfassungsreformbewegung geführt77. Der Länder-Teil schließt daher mit einer Übersicht über religionsverfassungsrechtliche Änderungen in den alten Bundesländern (IV).

74 Das nahezu klassische Beispiel aus der Zeit bis zur Wiederbereinigung ist das sog. FDPKirchenpapier von 1973 / 74. Vgl. nur A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 104 Fn. 33, 143 f., 147, 157. 75 H. Weber, Neue Staatskirchenverträge mit der Katholischen Kirche, in: FS Heckel, 1999, S. 463. 76 Zur Frage der Zuordnung dieser Regelungen zum Landesrecht siehe C. Starck, Die Verfassungen der neuen Länder, in: HdbStR IX, 1997, Rz. 5. 77 Vgl. B.-O. Bryde, Verfassungsreform der Länder unter bundesverfassungsrechtlichem Unitarisierungsdruck, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 433 f.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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I. Die Religionsverfassung der fünf neuen Bundesländer Die alsbald nach dem annus mirabilis 198978 einsetzende Rückbesinnung auf die schon einmal gegründeten Bundesländer (mit ihren Verfassungen von 1947) in der ehemaligen DDR führte zu einem großen Verfassunggebungsprozess auf Landesebene. Die Bundesebene war durch die Anwendung des Beitrittsartikels 23 GG im Gegensatz zum durch das Grundgesetz für einen derartigen Fall vorgegebenen Weg79 nach Art. 146 a.F. GG, abgesehen von Änderungen im Detail80, ausgenommen. Die fünf „neuen“ Länder (abgesehen vom wiedervereinigten Berlin mit seiner sog. überarbeiteten Verfassung von 1995) haben sich ihre Verfassungen alle in dichter Zeitfolge in den Jahren 1992 und 1993 gegeben81. In einer Verfassung kann der Staat einseitig Grundregeln für den Umgang mit der Sache Religion formulieren. Nach einer allgemeinen Schilderung des Normenbestands im Jahr 2000 sollen hier exemplarisch grundlegende Regelungen vorgestellt werden. Hinzu kommt die religionsverfassungsrechtliche Besonderheit des Rechts der Verträge mit Religionsgemeinschaften. Hier können die Vertragspartner wechselseitige Berechtigungen und Verpflichtungen auf freiwilliger Basis vornehmen. Hier wird die Anzahl der Verträge ebenso wie deren rechtliche Relevanz hinterfragt. Die vorliegende Bestandsaufnahme beschränkt sich auf die Grundzüge des Religionsverfassungsrechts der neuen Bundesländer, da ein Überblick über das gesamte Religionsverfassungsrecht in Deutschland gegeben werden soll. In Bezug auf 78 P. Häberle, Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995), S. 621; J. Hempel sieht in der Wende ohne Blutvergießen ein „Wunder Gottes“, vgl. ders., Das „begrenzte politische Mandat“ der Kirche, in: K. Nowak / L. Siegele-Wenschkewitz, Zehn Jahre danach. Die Verantwortung von Theologie und Kirche in der Gesellschaft (1989 – 1999), Leipzig 2000. 79 Vgl. die eingehende Analyse des Vorgangs durch Häberle in ZfP (1992), S. 233 ff. 80 Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994, BGBl. I 3146, wurden zum Beispiel Art. 3 Abs. 2 S. 3 GG (Förderung der Gleichberechtigung), Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG (Benachteiligungsverbot Behinderter) und Art. 20a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen) 81 Einen fortlaufenden Überblick gibt P. Häberle: Das Problem des Kulturstaates im Prozeß der deutschen Einigung mit Textanhang: Weitere Verfassungen und Verfassungsentwürfe der neuen Bundesländer, JöR 40 (1991 / 1992), Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern mit Textanhang: Weitere Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 41 (1993), Die Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern 1991 – 1992 mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 42 (1994), Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995). Eine Kurzübersicht findet sich bei C. Deselaers, Der Prozeß der Verfassunggebung in den neuen Bundesländern, 1997.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

die Details zu den neuen Bundesländern sei bereits hier auf vorhandene Gesamtdarstellungen verwiesen82.

1. Länderverfassungen Die Länder der Bundesrepublik Deutschland konstituieren für ihren Geltungsbereich verfassungsrechtliche Ordnungen83. Diese werden nicht etwa durch Art. 28 Abs. 1 GG ermöglicht, sondern dort nur mit bestimmten Anforderungen versehen. Die entscheidende Frage der organrechtlichen Zuständigkeit für eine Landesverfassung wurde für die neuen Bundesländer durch Bundesgesetz einheitlich geregelt. Nach § 23 Abs. 2, Satz 1 des Ländereinführungsgesetzes in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 und 4 des Einigungsvertrags oblag dem erstgewählten Landtag zugleich die Aufgabe einer verfassunggebenden Landesversammlung. Mangels einer bis dahin existierenden landesstaatlichen Organisation stellte diese Vorentscheidung auch keinen Eingriff in die Kompetenz der Länder dar84. Alle Länderparlamente nahmen ihre Aufgabe als Verfassunggeber wahr und beschlossen in den Jahren 1992 und 1993 jeweils eine Verfassung. Die endgültige Entscheidung oblag in drei Fällen (Brandenburg / Mecklenburg-Vorpommern / Thüringen) im Rahmen eines Volksentscheids dem Staatsvolk85. So waren zum Ende des Jahres 1994 alle fünf Verfassungen in Kraft. Alle Verfassungen der neuen Bundesländer nehmen ihre Kulturhoheit ernst und enthalten grundlegende Regelungen zum Verhältnis Staat und Religion. Besonders umfangreich sind die Vorschriften in Brandenburg geraten86. Dies erstaunt nicht, wenn man bedenkt, dass alle anderen vier Verfassungen die Anwendbarkeit der vom Grundgesetz inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung auch für ihren Geltungsbereich erklären87. Umfangreich sind auch die Regelungen in der Sächsischen Verfassung88. Beide betonen die besondere Stellung der Religionsgemeinschaften durch eine von der Regelung des Grundrechts der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unabhängige Zusammenfassung der sie betreffenden Vorschrif82 R. Tillmanns, Grundzüge des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern, in: Neumann / Tillmanns (Hrsg.), Konstituierung der neuen Bundesländer, 1997; C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999; H. U. Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, Tübingen 2000; H. de Wall, Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern, Theologische Literaturzeitung 126 (2001). 83 Vgl. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, Rz. 89 ff. 84 S. Storr, Staats- und Verfassungsrecht, Reihe Thüringer Landesrecht, 1998, Rz. 92. 85 Vgl. C. Pestalozza, a. a. O., Rz. 28 ff. 86 Art. 13, 14, 36, 37, 38 BbgVerf . 87 Art. 9 Abs. 1 M-VVerf ; Art. 109 Abs. 4 SächsVerf; Art. 9 Abs. 1 VerfLSA; Art. 40 ThürVerf. 88 Art. 19, 109, 110, 111, 112 SächsVerf.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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ten in einem eigenen Abschnitt89. In Thüringen sind das Grundrecht und die Ausgestaltung der korporativen Religionsfreiheit in einem Abschnitt „Religion und Weltanschauung“ zusammengefasst90. Sachsen-Anhalt führt die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit unter den Grundrechten auf, dagegen die „Kirchen, Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften“ innerhalb der Einrichtungsgarantien 91. Im pauschal auf das Grundgesetz verweisenden Grundrechtsteil der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern sind die „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ immerhin in einem selbständigen Artikel genannt, der aber nur wenig mehr regelt als die bereits genannte Anwendbarkeit von Artikeln der Weimarer Reichsverfassung92. Von den bisher genannten stets getrennt, finden sich Regelungen zum Umgang mit Religion in der Schule und Hochschule stets im Zusammenhang der Bildung wieder. Alle Länder bis auf die bekannte Ausnahme Brandenburg gewährleisten den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an den Schulen93.

a) Gottesbezüge in den Präambeln Aus modernen Verfassungspräambeln lassen sich Elemente eines allgemeinen Präambeltypus gewinnen: Neben der üblichen Festtagssprache, der Einleitungsund der Brückenfunktion in der Zeit finden sich regelmäßig auch Aussagen zu Grundlegung und Bekenntnis der Gemeinschaft94. Charakteristisch sind die Formulierung von Werthaltungen, Idealen, Überzeugungen, der Motivationslage, kurz des Selbstverständnisses der Verfassunggeber95. Dieses Bekenntnishafte, der „Glaube“ (so ausdrücklich z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention), tritt neben oder gelegentlich an die Stelle von Erkenntnissen. Mitunter finden sich euphorische, fast hymnische Züge, die den Charakter einer Einstimmung vermitteln und Glanz ausstrahlen. Wo auf diese Weise letzte und erste Dinge verhandelt werden, stellt sich naturgemäß sehr rasch ein Hauch von Pathos ein. Die hohe Wertintensität von Präambeln zeigt sich auch darin, dass sie 89 BbgVerf: 2. Hauptteil, 7. Abschnitt. Kirchen und Religionsgemeinschaften; SächsVerf: 10. Abschnitt. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften. 90 Sechster Abschnitt der ThürVerf. 91 Art. 9 im Ersten Abschnitt. Grundrechte und Art. 32 im Zweiten Abschnitt. Einrichtungsgarantien der SächsVerf. 92 Art. 9 Abs. 2 und 3 M-VVerf. ermöglichen Verträge mit Religionsgemeinschaften und das Fortbestehen von theologischen Fakultäten. 93 Art. 105 SächsVerf; Art. 27 Abs. 3 VerfLSA; Art. 25 Abs. 1 ThürVerf. In Mecklenburg-Vorpommern bedarf es wegen der Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes keiner selbständigen Regelung. 94 Die Typologie stammt von P. Häberle, Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen (1982), in: ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992. 95 Auch zum Folgenden P. Häberle, a. a. O., S. 194 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

gerne auf Vorgegebenheiten wie Gott oder Christus verweisen bzw. sie anrufen96. Die fast heilige Selbstverpflichtung ihm gegenüber, gelegentliche Beschwörungen bzw. Anrufungen sind wiederkehrende formale und inhaltliche Elemente und Momente. Präambeln erweisen sich also in Teilen als Glaubenssätze eines politischen Gemeinwesens, und zwar nicht nur bei Bezugnahmen auf Gott und die Verantwortung vor ihm und den Menschen, sondern auch bei anderen Bekenntnisklauseln, die ausdrücklich ihren tiefen Glauben an diese Grundfreiheiten bekräftigen97. Das Bekenntnishafte, mitunter Fiktive führt in die Tiefenschichten eines verfassten und auch nach der Verfassunggebung immer neu sich verfassenden Volkes. Der demokratische Verfassungsstaat kann auf diese mehr gefühlsmäßigen Bindungen seiner Bürger an ihn sowie auf die Schaffung von Identifikationsmöglichkeiten nicht verzichten98. Sie liegen in der anthropologischen Prämisse begründet, dass der Mensch auch irrational strukturiert ist. Präambeln verweisen jedenfalls auf vorpositive Basis- und Glaubenswahrheiten eines politischen Gemeinwesens in konzentrierter Form, als Vorspruch. Präambeln suchen diese zu rationalisieren und zur Sprache zu bringen – teils in säkularisierter Form, teils in noch theologischer Gestalt. Erreicht wird ein Konzentrat, das alle Bürger oft vertragsähnlich gemeinsam verpflichtet99. Die Funktion der Präambel als allgemeine Leitlinie zeigt sich auch in den Verfassungsberatungen. Nach Schneider ist die Arbeit an der Präambel eine wichtige Funktion der Konsensbildung und Kompromissfindung zugekommen100. Wenn die Diskussion der Inhalte einer Verfassung wegen der gegensätzlichen Vorstellungen der Beteiligten zum Erliegen kommt, so finde man sich bei der Schaffung eines Präambeltexts wieder zusammen. Die Präambel habe somit auch eine Brückenfunktion in den verfassunggebenden Gremien101. Alle fünf Verfassungen enthalten relativ ausführliche Präambeln, die in einer besonderen Sprache mit Hinweis auf die Vergangenheit eine Einordnung des jeweiligen Landes in das System der Bundesrepublik Deutschland und Europas vornehmen. In den Präambeln von Sachsen-Anhalt und Thüringen findet sich die Formulierung „Verantwortung vor Gott“, während die anderen drei Bundesländer keinen ausdrücklichen Hinweis aufgenommen haben102. Diese wollten, teilweise Speziell dazu P. Häberle, „Gott“ im Verfassungsstaat?, in: FS Zeidler, 1987. Zur Präambel der Tiroler Landesordnnung von 1989, welche „die Treue zu Gott“ enthält, und den Umgang mit nicht-christlichen Religionen in Europa vgl. P. Pernthaler, Gott in der Verfassung, ÖARR 47 (2000), S. 181 ff., 196 ff. 98 C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 25. 99 Zur Bindungswirkung von Präambeln siehe P. M. Huber, Kommentierung der Präambel, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 1999, Rz. 11 ff. 100 Auch zum Folgenden H.-P. Schneider, Muß ein zukünftiges Religionsverfassungsrecht auf „Gottestexte“ verzichten?, in: Greive (Hrsg.), „Gott im Grundgesetz?“, 1994, S. 18 f. 101 Ebd. 102 Gegen die Aufnahme eines Gottesbezugs in neuen Verfassungen: O. Bachof, Besprechung von: FS Zeidler, AöR 115 (1990), S. 516. 96 97

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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von den Kirchen unterstützt, bewusst zurückhaltende Formulierungen wählen103. Bezüge zur christlichen Religion sind daher nur in Andeutungen enthalten wie in der Formulierung in Sachsen: „von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu dienen“.

b) Religionsfreiheit In Mecklenburg-Vorpommern gilt mit der Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes nach Art. 5 Abs. 3 M-VVerf auch die Religionsfreiheit des Art. 4 GG. Diesen Artikel haben auch die anderen vier Länder nach lediglich redaktionellen Änderungen übernommen104. Die einzige Ausnahme bildet hier der von Thüringen veränderte Absatz 2. Die Veränderungen im Wortlaut stellen jedoch keine Veränderungen der grundgesetzlichen Vorgaben dar. Vielmehr handelt es sich um eine Offenlegung der in dem Kurzsatz des Grundgesetzes enthalten unterschiedlichen Gewährleistungen105. Die geringe Variationsbreite im Falle der Religionsfreiheit überrascht nicht. Die grundlegende Vorschrift zum Thema enthält bereits das Grundgesetz Die schrankenlose Gewährleistung in Art. 4 GG stellt einen besonderen Schutz der Religionsfreiheit dar. Im Einzelfall muss die Religionsfreiheit mit den Grundrechten Anderer und den grundlegenden Verfassungswerten des Staates in praktische Konkordanz gebracht werden106. Viel mehr kann eine Landesverfassung textlich nicht leisten. Die konkrete Ausgestaltung sollte nicht in einen Verfassungstext aufgenommen werden, sondern obliegt im liberalen Rechtsstaat moderner Prägung den Verfassungsgerichten. Die Prägung durch das Bundesverfassungsgericht wurde bereits dargestellt107. Die Doppelung der Religionsfreiheit in Landesverfassungen und Grundgesetz ist nicht überflüssig. Durch die Einrichtung von Landesverfassungsgerichten werden die möglichen Rechtsbehelfe erweitert108. Es können zwei Verfassungsgerichte sogar parallel mit einer Sache befasst werden109. Die doppelte Bindung an Grundrechte des Grundgesetzes und der Landesverfassung kann einen verstärkten Grundrechtsschutz bewirken110. Die Landesverfassungsgerichte können dem PrinVgl. C. Fuchs, a. a. O., S. 28 f. Art. 13 Abs. 1, 2 BbgVerf; Art. 19 Abs. 1, 2 SächsVerf; Art. 9 Abs. 1, 2 VerfLSA; Art. 39 Abs. 1 ThürVerf. 105 Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 45 ff. 106 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 1999, Rz. 317 ff. 107 Siehe oben bei: A., I., 2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 108 Vgl. das Ziel des Verfassunggebers in Thüringen, zitiert bei S. Storr, Staats- und Verfassungsrecht, Reihe Thüringer Landesrecht, 1998, Rz. 341. 109 J. Dietlein, Die Rezeption von Bundesgrundrechten durch Landesverfassungsrecht, AöR 120 (1995), S. 26 ff. 110 S. Storr, Staats- und Verfassungsrecht, Reihe Thüringer Landesrecht, 1998, Rz. 85 ff. 103 104

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

zip der Werkstatt Bundesstaat entsprechend111 eigene Akzente, Innovationen und Mahnungen aussprechen112. Damit kommen die Landesverfassungen ihrer ureigenen Aufgabe nach, dem Wohle des Bürgers zu dienen113.

c) Weltanschauliche Neutralität des Staates Verbindet man die Religionsfreiheit mit dem Trennungsprinzip des Art. 137 Abs. 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG, so folgt daraus der Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates114. Die Verfassungen der neuen Länder übernehmen entweder den prägnanten Satz aus der Weimarer Reichsverfassung: „Es besteht keine Staatskirche.“115 Oder sie formulieren: „Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staat getrennt.“116 Diese Neuformulierung könnte eine Neuinterpretation des Neutralitätsgrundsatzes gebieten. Diese war jedoch nicht gewollt. Dies Bestimmungen sind wie die gleichlautende in Art. 59 Abs. 1 der Bremischen Landesverfassung deckungsgleich117. Damit kommt es auch in den neuen Bundesländern nicht zu einer Verdrängung von Religion aus dem staatlichen Bereich. Vielmehr resultiert gerade aus der umfassenden Gewährleistung der Religionsfreiheit der spezifisch verfassungsrechtliche Bedeutungsgehalt der religiös-weltanschaulichen Neutralität. Nebeneinander stehen die neutrale Respektierung und Berücksichtigung bis zur Förderung religiöser Belange und Besonderheiten118. Auch die Landesverfassungsgerichte der fünf neuen Bundesländer können vermittels der selbständigen Garantie der Religionsfreiheit in den Landesverfassungen einen Beitrag dazu leisten119. Die Ausgestaltung des Selbstbestimmungsrechts als einklagbares Grundrecht der Religionsgemeinschaften 120 hat in den Landesverfassungen eine freiheitsschützende Funktion.

111 Zur Frage, ob sich auch am Beispiel der Neuen Bundesländer die „Werkstatt“-These von Häberle bewahrheitete siehe im 3. Teil unter B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht?. 112 J. Dietlein, a. a. O., S. 28 f. 113 J. Isensee, Chancen und Grenzen der Landesverfassung im Bundesstaat, SächsVBl. 1994, S. 32. 114 Dazu P. Häberle, Exzessive Glaubenswerbung in Sonderstatusverhältnissen, 1969 / 1998, S. 591 ff. 115 Art. 36 Abs. 1 BbgVerf und die Inkorporation durch Art. 9 Abs. 1 M-VVerf bzw. Art. 40 ThürVerf. 116 Art. 109 Abs. 2, Satz 1 SächsVerf; Art. 32 Abs. 1 VerfLSA. 117 Mit ausführlicher Begründung C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 59 ff. 118 M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 271 f. 119 Siehe zur Aufgabe der Landesverfassungsgerichte in Bezug auf das Religionsverfassungsrecht bereits oben bei: b) Religionsfreiheit. 120 Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 71.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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d) Selbstbestimmungsrecht Die Grundnorm für das den Religionsgemeinschaften zugebilligte Recht auf weitgehende Selbstverwaltung stellt Art. 137 Abs. 3 WRV i. V. m. Art. 140 GG dar. Die Vorschrift wird deshalb auch als „lex regia des Staatskirchenrechts“ bezeichnet121. Der Beschluss der SPD-Abgeordneten in der Gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung des Grundgesetzes forderte eine Korrektur des weitgehenden Schutzes der internen Regelungen gegenüber staatlichem Recht122. Tatsächlich zeigen sich die Auswirkungen des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften für besonders viele Bürger als Arbeitnehmer im kirchlichen Bereich123. Die Materie ist derart selbständig, dass sie eines eigenen Lehrbuchs bedarf. Richardi zeigt darin arbeitsrechtliche Vorgaben „in der Kirche“124. Von besonderer Bedeutung ist im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV neben der Frage der „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“125 die Relevanz des Selbstverständnisses der Religionsgemeinschaften126. Nach Muckel ist eine staatliche Letztentscheidung geboten127. Vor allem die Fachgerichte legten zuviel Wert auf das religiöse Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften. Es gäbe objektive Schranken des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften aus Art. 137 III S. 1 WRV. Muckel stellt die Forderung nach abstrakt formulierten, falltypischen Entscheidungsmustern auf, die Einzelfallprüfungen ersetzen sollten. Die bundesrechtliche Vorschrift zum Selbstbestimmungsrecht ist nahezu wortgleich in vier Landesverfassungen aufgenommen worden. Auch die davon abweichende Regelung in Art. 109 Abs. 2, Satz 2 der Sächsischen Landesverfassung enthält kaum sachliche Änderungen, aber eine treffendere Umschreibung des Schutzbereichs128. Die „zutiefst private Sphäre der Religion endlich vom Staat zu trennen“ scheint eine Forderung von Sachs auf der Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahr 2000 zu sein129. Er formuliert diesen „Tabubruch“ offenbar mit großer Sympathie, aber mit Respekt vor der Mehrheit der Anwesenden als Frage. Klostermann widmet dagegen im Jahr 2000 den Grundlagen des Öffentlichkeitsauftrags der Kirchen 121 So M. Heckel im Jahr 1966 / 67, zitiert nach H. Lecheler, Die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen als Herausforderung, in: FS Listl, S. 144, Fn. 7. 122 Siehe oben bei: A., 1., a) Vorschläge im Rahmen der Verfassungsreform 1994. 123 Vgl. R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 2000, § 3, Rz. 8 ff. 124 Vgl. den Titel des Lehrbuchs von R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 2000. 125 Vgl. A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 114 ff. Zum möglichen „Einfallstor“ des Art. 92 GG in 137 III WRV vgl. H.-P. Lemmel, Kirchliche Gerichtsbarkeit, in: Ev. Akademie Bad Boll (Hrsg.), Rechtsschutz und Gewaltenteilung in den Kirchen, 1999, S. 33. 126 M. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, 1993. 127 S. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, 1997. 128 C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 76. 129 So offenbar M. Sachs, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000).

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

im kirchlichen und staatlichen Recht gar seine Dissertation130. Wenn es sich um eine Religion handelt, also um einen umfassenden Lebensentwurf mit transzendentalem Bezug, so wird dieser in aller Regel auch das öffentliche Leben des Einzelnen bestimmen. Die sogenannte Loccumer Formel, die erstmals den Öffentlichkeitsauftrag der Kirche in Worte fasste, kann als Zusammenfassung der verschiedenen zugrundeliegenden Verfassungsnormen betrachtet werden131. Den Religionsgemeinschaften kommt durch verschiedene bundesverfassungsrechtliche Verbürgungen ein Öffentlichkeitsauftrag zu. Zu nennen sind zum Beispiel der Religionsunterricht, die Theologischen Fakultäten und der Sonn- und Feiertagsschutz, aber auch die Meinungsfreiheit. Diese Themen habe breite Berücksichtigung in den Verfassungen der neuen Bundesländer gefunden, teilweise in den bekannten Formulierungen, teilweise mit neuen Ansätzen132. Von besonderer Bedeutung ist vor allem die nunmehr erstmalige wörtliche Anerkennung des „allgemeinen“ Öffentlichkeitsauftrags der Religionsgemeinschaften. Diese findet sich in Art. 36 Abs. 3, Satz 1 BbgVerf: „Das Land anerkennt den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen und Religionsgemeinschaften.“ Eine aus dem westdeutschen Landesverfassungsrecht bekannte Umschreibung133 findet sich in Art. 109 Abs. 1 SächsVerf: „Die Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften für die Bewahrung und Festigung der religiösen und sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens wird anerkannt.“ Von Seiten der Kirchen her gründet sich der Öffentlichkeitsauftrag auf dem vorrangigen Verkündigungsauftrag134. Die nach außen gerichtete Verantwortlichkeit auch gegenüber der Gesellschaft macht sich der Staat im deutschen Modell nutzbar. So kann die ethische Verarbeitung von gesellschaftlichen Anforderungen durch Förderung, aber ohne Beeinflussung des Staates vor sich gehen. Das Sonn- und Feiertagsrecht ist nur in Brandenburg abweichend von der bundesrechtlichen Regelung des Art. 139 WRV i. V. m. Art. 140 GG fixiert. Nach Art. 14 Abs. 1 BbgVerf schützt das Land die Sonntage und staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe. Abs. 2 stellt fest, dass die mit Sonn- und Feiertagen verbundenen Traditionen zu achten sind, während Abs. 3 die näheren Regelungen einem Gesetz vorbehält. Auch wenn teilweise die Ansicht vertreten wird, dass damit der landesverfassungsrechtliche Schutz hinter den Vorgaben des Grundgesetzes zurückbleibt, so ist wohl im Rahmen einer Gesamtbetrachtung kein inhaltlicher Unterschied festzustellen135. G. Klostermann, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen, 2000. G. Klostermann, a. a. O., S. 70. 132 Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 221 ff., 248 ff., 279 ff. 133 Art. 4 Abs. 2 BaWüVerf. 134 C. Thiele, Der Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen – aus evangelischer Sicht, ZevKR 46 (2001), S. 190. 135 Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 283. 130 131

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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e) Körperschaftsstatus und Kirchensteuer Ein augenfälliges Merkmal des deutschen religionsverfassungsrechtlichen Modells ist die Möglichkeit für Religionsgemeinschaften, nach Art. 137 Abs. 5 WRV i. V. m. Art. 140 GG den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten136. Dieses Privileg ist in den letzten Jahren vermehrt in die Kritik geraten. Trotzdem befürwortet eine große Mehrheit der Autoren diese Chance für Religionsgemeinschaften, durch eine besondere Ordnung eine besondere Wirkung zu erzielen137. Die genannte bundesrechtliche Vorgabe kann durch die Landesverfassungen lediglich ausgestaltet werden. Demnach konnte die teilweise vorgetragene Kritik an diesem Privileg für Religionsgemeinschaften keinen Niederschlag finden. Mit Ausnahme von Brandenburg haben alle neuen Länder Art. 137 WRV inkorporiert. Brandenburg hat diese Regelung modifiziert und erweitert. In Art. 36 Abs. 3, Satz 3 BbgVerf wurde anstelle von „Verfassung“ der Begriff „Satzung“ gebraucht und als weitere Voraussetzung für die Verleihung der Körperschaftsrechte der mangelnde Widerspruch zu den in Art. 2 Abs. 1 BbgVerf genannten Grundsätzen und den Grundrechten der Verfassung genannt. Die Beschränkung bundesrechtlichen Verleihungsanspruchs ist nicht möglich, wohl auch nicht in der neuen Regelung enthalten. Vielmehr handelt es sich um eine Aufnahme von in Literatur und Rechtsprechung mittlerweile als ungeschriebene Voraussetzung angesehenen Vorgaben. Damit behält die Brandenburger Regelung ihre Gültigkeit138. Die an den Körperschaftsstatus geknüpfte Möglichkeit zur Erhebung von Kirchensteuern ist mit diesem und darüber hinaus auch eigenständiger Kritik ausgesetzt139. Auch hier sieht jedoch die Mehrheit der Autoren die rechtspolitische Notwendigkeit der Beibehaltung dieses Privilegs. Die nur in Brandenburg vorhandene Regelung in Art. 36 Abs. 4 BbgVerf zum Privileg der Erhebung von Kirchensteuern durch die Religionsgemeinschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, ist ohne inhaltliche Änderung nur redaktionell in eine moderne Fassung gebracht worden. In den anderen Ländern ist die entsprechende Vorschrift des Grundgesetzes durch Inkorporation gleichlautender Bestandteil der Verfassung geworden.

136 Vgl. A. v. Campenhausen, Körperschaftsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ZevKR 46 (2001), S. 176 f. Die Verleihungsvoraussetzung, die v. Campenhausen schwerpunktmäßig behandelt, sind in jüngster Zeit vermehrt Gegenstand von Urteilen und Schriften, vgl. die Übersicht bei D. Bohl, Der öffentlich-rechtliche Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften, 2001, S. 15 ff. 137 Ohne das Institut in Frage zu stellen schreibt zur Umsetzung der Vorschriften de lege lata D. Bohl, a. a. O. 138 Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 123. 139 Eine „konservative Reform“ hin zu einer allgemeinen Kultursteuer fordert D. Bald, Kirchensteuer im Wandel, in Bald / Martin (Hrsg.), Aufbruch nach der Wende, 1997, S. 92 f.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

f) Staatsleistungen und Kirchenbaulasten Eine besondere Konstellation ist im Bereich der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften gegeben. Vier Ländern haben die bundesrechtlichen Vorgaben aus Art. 138 WRV i. V. m. Art. 140 GG durch Inkorporation übernommen140. Eines dieser Länder, Sachsen, hat jedoch zusätzlich eine eigene Garantie der Staatsverpflichtungen gegenüber den Kirchen aufgenommen. Nach Art. 112 Abs. 1 SächsVerf werden die „auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Leistungen des Landes an die Kirchen“ gewährleistet. Eine Ablösung ist nicht vorgesehen. Die selbständige Brandenburger Regelung sieht vor, dass Leistungen des Landes und der Kommunen „nur durch Vereinbarung abgelöst werden.“141 Damit gehen die Garantien der zuletzt genannten Länder weiter als die bundesrechtliche Regelung. Vergleichbare Regelungen finden sich auch in älteren Verfassungen der alten Bundesländer142. Im Falle einer bundesgesetzlichen Ablösungsvorgabe gemäß Art. 138 Abs. 1, Satz 2 WRV i. V. m. Art. 140 GG wäre die Position der Religionsgemeinschaften gegenüber diesen Ländern bereits verfassungsrechtlich gestärkt. Freilich sind die Religionsgemeinschaften in den anderen Ländern nicht rechtlos gestellt. Im Gegenteil sichern die abgeschlossenen Staatskirchenverträge in ganz erheblichem Umfang die vom Staat eingeräumten Rechtspositionen zugunsten der Religionsgemeinschaften ab143.

2. Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften Das Grundgesetz erwähnt Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften lediglich als historische Größe. Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden nach Artikel 138 WRV i. V. m. 140 GG durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Nach allgemeiner Meinung handelt es sich jedoch um ein verfassungsrechtlich zulässiges Mittel144. Die Verfassungen der fünf neuen Bundesländer sehen alle Verträge mit Religionsgemeinschaften vor. In drei Fällen wird eine Ermächtigung allgemein formuliert („Fragen von gemeinsamen Belangen“ oder Regelungen „im übrigen“)145. In 140 Art. 9 Abs. 1 M-VVerf; Art. 109 Abs. 4 SächsVerf; Art. 32 Abs. 5 VerfLSA; Art. 40 ThürVerf. 141 Art. 37 Abs. 2 BbgVerf. 142 Art. 39 der Verfassung des Saarlands lautet: „Die auf Gesetz, Vertrag oder sonstigen Rechtstiteln beruhenden Leistungen des Staates, der politischen Gemeinden an die Kirchen und sonstigen Religionsgemeinschaften sowie an ihre Anstalten, Stiftungen, Vermögensmassen und Vereinigungen bleiben erhalten.“ 143 H. U. Anke, Die Neubestimmung des Staat-Kirche-Verhältnisses in den neuen Ländern durch Staatskirchenverträge, Tübingen 2000, S. 68 ff., 216. 144 Vgl. H. U. Anke, a. a. O., S. 24 f. m. w. N.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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zwei Fällen sind Verträge nur in Bezug auf religionsverfassungsrechtliche Einzelfragen genannt, was aber den darüber hinausgehenden Einsatz nicht verhindern soll146. Der textlichen Aufnahme einer Ermächtigung zum Abschluss von Verträgen folgte in den nächsten Jahren eine Welle von konkreten Abschlüssen147. Wegen der Dichte des entstandenen Vertragsnetzes lohnt es sich nur die Fälle aufzuzählen, in denen Verträge bis zum Jahr 2000 noch nicht zustande gekommen sind. Im Land Brandenburg fehlt ein Konkordat mit der Katholischen Kirche148. Brandenburg hat wie Mecklenburg-Vorpommern auch noch keinen Vertrag mit der jüdischen Religionsgemeinschaft geschlossen. Neben dem Abschluss von Verträgen zur Abstimmung der Grundlagen im Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften war ein weiterer wichtiger Anwendungsfall des Religionsvertragsrechts die Neugliederung der katholischen Diözesanorganisation und -zirkumskription149. Auf dem Gebiet der DDR hatte die Katholische Kirche nach der Wiedervereinigung zunächst nur eine vorläufige Neustrukturierung vorgenommen. Im Jahr 1994 wurden die Diözesen Erfurt, Görlitz und Magdeburg durch Verträge errichtet, im Jahr darauf das Erzbistum und die Kirchenprovinz Hamburg150. Dabei war eine zu klärende Frage die Zuständigkeit des Bundes im Falle von Bistumsgrenzen aufgrund des fortgeltenden Reichskonkordats151. Die anfangs vom Bund angestrebte Führungsrolle in den Verhandlungen gab dieser später freiwillig ab. Wegen einer einvernehmlichen Einigung ist diese Frage bis heute ungeklärt152. Ein aktueller Konfliktsfall belegt die rechtliche Relevanz von Verträgen mit Religionsgemeinschaften. In Mecklenburg-Vorpommern erlaubte eine „Bäder- und Fremdenverkehrsregelung 1999 – 2003“ in einer großen Zahl von Ferienorten abweichend von § 3 Ladenschlussgesetz den Verkauf bestimmter Gegenstände samstags bis 20 Uhr und sonn- und feiertags von 11 bis 18.30 Uhr. Dagegen klagte nicht Art. 9 Abs. 2 M-VVerf, Art. 32 Abs. 4 VerfLSA, Art. 109 Abs. 2, Satz 3 SächsVerf. Art. 37 Abs. 2 BbgVerf; Art. 28 Abs. 2 ThürVerf. 147 Die Texte sind abgedruckt in G. Burger (Hrsg.), Staatskirchenrecht in den neuen Bundesländern. Textsammlung, 2000. Eine ausführliche Untersuchung aller bis dahin geschlossenen Verträge liefert H. U. Anke, a. a. O. Siehe auch A. Vulpius, Der evangelische Kirchenvertrag Sachsen-Anhalt, JöR 43 (1995). 148 Das Land Brandenburg ist aber bereits an zwei Zirkumskriptionsverträgen in Bezug auf die Bistümer Magdeburg und Görlitz beteiligt, vgl. Burger, a. a. O., S. 34 ff. 149 Siehe auch zum Folgenden J. Listl, Das Staatskirchenrecht in den neuen Ländern der Bundesrepublik (1995), in: Isensee / Rüfner (Hrsg.), Kirche im freiheitlichen Staat, 1996, S. 370 ff. 150 Dazu ausführlich C. Halm, Die Errichtung des Erzbistums und der Kirchenprovinz Hamburg, 2000. 151 J. Listl, a. a. O., S. 373. 152 Vgl. C. Halm, a. a. O., S. 99 f. der die Abschlusskompetenz allein bei den Ländern sieht. 145 146

12 Kupke

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

etwa die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs, sondern eine ihrer Kirchengemeinden. Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht gingen mit der Mehrheit der Literatur von der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung des Wirtschaftsministers aus153. Fraglich war die subjektive Klageberechtigung. Diese konnte nicht aus dem Ladenschlussgesetz hergeleitet werden154. Die verfassungsrechtliche Einräumung eines Klagerechts aus Art. 139 WRV i. V. m. Art. 140 GGT ist umstritten155. Das Instanzgericht nahm eine Berechtigung aus Art. 23 des Vertrags des Landes Mecklenburg-Vorpommern mit der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 20. 1. 1994 an. Im Eilverfahren wurde die „Bäderregelung“ außer Kraft gesetzt156. Die Regelung in Verträgen sind demnach geeignet, Religionsgemeinschaften im Konfliktfall ein subjektives Klagerecht zu geben, welches die Voraussetzung für eine gerichtliche Überprüfung darstellt, insbesondere wenn die rechtliche Selbstkontrolle des Staates aus politischen Gründen ausgeschaltet wird. Aus dem Vertragsschluss mit einem Bundesland können sich jedoch auch grundlegende Pflichten einer Religionsgemeinschaft herleiten. Die bereits geschilderte Verschärfung des Asylrechts im Jahr 1993 hat die Problematik des Kirchenasyls erneut ins Gespräch gebracht. Die Freiheit der Kirchen im Verhalten gegenüber dem Staat ist nach Baldus durch eine sich aus den Verträgen ergebende Loyalitätspflicht eingeschränkt157. Diese folge aus einem grundsätzlichen Interventionsverbot158. Sie seien auf andere ihnen garantierte Wege sozialen Handelns, insbesondere durch Diakonie und Caritas, verwiesen. Andererseits hätten die Kirchen gegenüber dem Staat auch einen Anspruch auf Information. Ein Ausgleich der Interessen sei in einem vertragskonformen Verfahren möglich, wie es bereits in Nordrhein-Westfalen praktiziert werde159.

II. Religionsverfassungsrecht in Textentwürfen aus den fünf neuen Bundesländern Zahlreiche Entwürfe von Verfassungstexten in den neuen Bundesländern gingen den Endfassungen voraus. Eine ausführliche Dokumentation findet sich im Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (JöR). Der langjährige Herausgeber, 153 Vgl. H. de Wall, Zum subjektiven Recht der Kirchen auf den Sonntagsschutz, NVwZ 2000, S. 858. 154 H. de Wall, a. a. O., S. 858 f. 155 Pro: M. Morlok / M. Heinig, Parität im Leistungsstaat – Körperschaftsqualität nur bei Staatsloyalität?, NVwZ 1999, S. 849 ff.; contra: H. de Wall, a. a. O., S. 859 f. 156 Zum Verfahren de Wall, a. a. O., S. 858. 157 M. Baldus, Kirchenasyl und Vertragskirchenrecht, NVwZ 1999, S. 720 f. 158 A. a. O., S. 718 f. 159 A. a. O., S. 719 ff.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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P. Häberle, hat mit einer selbständigen Rubrik innerhalb der Berichte zur Entwicklung des Verfassungsrechts im Europäischen Raum reagiert. Dort ist „der Aufbruch in Mittel- und Osteuropa sowie in Ostdeutschland“ von 1990 bis 1997 textlich festgehalten und von Häberle selbst kommentiert worden160. Hier sollen die Texte im Überblick nach Ländern in der Reihenfolge der Verabschiedung der Verfassungen durch die Landtage auf die Entwicklung der Aussagen in Bezug auf Religion und Religionsgemeinschaften hin untersucht werden161. Als überregionaler Auftakt sei der Verfassungsentwurf des Runden Tisches von 1990 untersucht.

1. Entwurf des Runden Tischs vom 4. April 1990 Auch in der DDR wurde das pluralistische Verständigungsmittel „Runder Tisch“ eingesetzt. Er repräsentiert das Aufbrechen von verkrusteten Macht- und Hierarchiestrukturen durch ein friedliches Kommunikationsorgan162. Er erscheint besonders geeignet in Zeiten des Übergangs. Auch wenn der Entwurf des zentralen Runden Tischs in der Volkskammer der DDR noch im April 1990 scheiterte, spiegelt er doch gerade diese Phase wider und ist insofern ein historisch bedeutsames Dokument163. Die relativ umfangreiche Präambel enthält keine Bezugnahme auf Gott, sondern einen Hinweis auf „humanistische Traditionen“. Dies ist bereits ein Hinweis auf das Verhältnis zum Thema Religion. Der aus 136 Artikeln bestehende Entwurf ist in fünf Kapitel unterteilt, von denen zwei wiederum in mehrere Abschnitte gegliedert sind. Das Religionsverfassungsrecht ist jedoch nicht in einem Abschnitt zusammengefasst, sondern einmal im ersten Kapitel „Menschen- und Bürgerrechte“ auf zwei Abschnitte verteilt:

160 Der Entwurf der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe der neuen ostdeutschen Bundesländer, JöR 39 (1990); Das Problem des Kulturstaates im Prozeß der deutschen Einigung mit Textanhang: Weitere Verfassungen und Verfassungsentwürfe der neuen Bundesländer, JöR 40 (1991 / 1992), Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern mit Textanhang: Weitere Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 41 (1993), Die Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern 1991 – 1992 mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 42 (1994), Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995). 161 Vgl. auch die Übersicht über das Beratungsmaterial, welches den Verfassungsausschüssen bzw. -kommissionen vorlag bei C. Starck, Die Verfassungen der neuen Länder, in: HdbStR IX, 1997, Rz. 11 ff. 162 Vgl. P. Häberle, Der Entwurf der Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ des Runden Tisches, JöR 39 (1990), S. 321 ff. 163 A. a. O., S. 326 f.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Im ersten Abschnitt „Würde, Gleichheit, Freiheit, Solidarität“ ist in Art. 18 die Religionsfreiheit geregelt. Hier wird einmal nicht der Text des Grundgesetzes wiederholt, sondern in gleicher Zielrichtung eine eigene, leicht verständliche Fassung gewählt. Jeder hat das Recht, sich zu einer Religion „zu bekennen und sie allein oder mit anderen öffentlich oder privat zu bekunden.“ Ebenso auf Verständlichkeit ausgerichtet ist die Vermeidung des Stichworts „öffentliche Anstalten“ zugunsten von ebensolchen Einrichtungen. In einem zweiten Absatz wird die besondere Stellung der Eltern in Bezug auf die religiöse Bildung der Kinder gewährleistet, wodurch wieder ein in den Regelungen des Grundgesetzes nur mittelbar enthaltenes Recht in Text gegossen wurde164. Im vierten Abschnitt „Gesellschaftliche Gruppen und Verbände“ findet sich, eingerahmt von den Vorschriften zu Parteien und Gewerkschaften, in Art. 38 die Regelung der Rechte von Religionsgemeinschaften. Diese Einordnung ist eine Akzentverschiebung gegenüber dem Religionsverfassungsrecht der alten Bundesländer und den Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung. Anknüpfend an die in der Präambel beschworene „humanistische Tradition“ sind die Religionsgemeinschaften nur eine gesellschaftliche Gruppe unter anderen165. Trotzdem werden Grundentscheidungen des deutschen Modells übernommen, zum Beispiel das Selbstverwaltungsrecht, der Körperschaftsstatus, die Möglichkeit zum Abschluss von Verträgen auch im Hinblick auf den Einzug von „Mitgliedsbeiträgen“. Die dafür verlangte „Erstattung von Verwaltungskosten“ bringt die übliche, aber in Verfassungstexten nicht genannte Bezahlung der Finanzämter einer breiteren Öffentlichkeit nahe. Die Forderung nach einem gleichwertigen sozialen Schutz kirchlicher Arbeitnehmer „mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht“ nimmt den Kirchen jedoch ebenso einen Freiraum wie das Fehlen von Vorschriften zum Religionsunterricht und zu Kirchengutsgarantien. Insgesamt stellt sich der Entwurf des Runden Tischs als Anpassung an die besondere Situation der Kirchen in den neuen Bundesländern dar. Die Mehrheit der Bevölkerung ist nicht Mitglied einer Kirche und daher ist die Möglichkeit eröffnet, von einer besonderen Eingruppierung der Kirchen abzusehen und sie in die Reihe der für die Bevölkerung nützlichen Verbände einzustufen166.

2. Entwürfe für Brandenburg In drei aufeinanderfolgenden Ausgaben des JöR finden sich insgesamt fünf Entwürfe für die Verfassung des Landes Brandenburg, die als erste Verfassung in den neuen Bundesländern am 14. Juni 1992 durch Volksabstimmung angenommen wurde, aber erst am 21. August in Kraft trat. 164 165 166

A. a. O., S. 341. Kritisch dazu Häberle, a. a. O., S. 341. Vgl. die im Ganzen positive Bewertung durch Häberle, a. a. O., S. 343 f.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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Ein Entwurf der Arbeitsgruppe Landesverfassung wurde am 22. April 1990 veröffentlicht167. Dieser folgt der üblichen Aufteilung in separater Regelung von Religionsfreiheit und dem Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften. Jene ist nur wortkarg in einem Satz zusammengefasst (Art. 8). Das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften ist dagegen in enger Anlehnung an die Weimarer Reichsverfassung in einem eigenen Abschnitt aufgenommen worden (Art. 31 bis 35). Einzig neu erscheint die Anerkennung der karitativen Arbeit der Religionsgemeinschaften als „gemeinnützig“, die sich in einer selbständigen Regelung findet (Art. 34). Damit ist den Religionsgemeinschaften im Landesrecht nahezu die gleiche Stellung eingeräumt worden, wie sie durch das Grundgesetz garantiert ist. Die große Ausnahme ist in diesem Entwurf, offenbar in Brandenburg schon frühzeitig ein Thema, der Bereich der Bildung. Die Religionsgemeinschaften sind zwar „als Bildungsträger anerkannt“ (Art. 26 Abs. 3). Es findet sich aber kein Hinweis auf Theologische Fakultäten. Der Religionsunterricht ist gar „getrennt von den öffentlichen Schulen durchzuführen“ (Art. 26 Abs. 4). Dagegen sieht der zweite Entwurf der Regierungsbevollmächtigten der Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam168 vom September 1990 die Einrichtung von Religionsunterricht ebenso vor wie die offenbar an keine grundrechtsbezogene Entscheidung anknüpfende Wahlmöglichkeit zwischen den Fächern Religion und Ethik (Art. 29 Abs. 3). Dies ist eine im Hinblick auf die sich 12 Jahre später abzeichnende Kompromisslösung offenbar sachgerechte Lösung der Problematik der Geltung von Art. 7 Abs. 3 GG in den neuen Bundesländern. In etwas umständlicher Formulierung ist die Religionsfreiheit im Grundrechtsteil geregelt (Art. 10), während die Religionsgemeinschaften in einem eigenen Abschnitt mit den grundgesetzlichen Gewährleistungen in etwas abgewandelter Form versehen sind (Art. 33 bis 37). Bemerkenswert ist die auch hier vorhandene Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Religionsgemeinschaften (Art. 36). Die dort zusätzlich vorgesehene Förderung wird jedoch wie die Anerkennung nur gewährleistet, „soweit sie dem Gemeinwohl dienen“. Dieser Vorbehalt reduziert die pauschal ausgesprochene Anerkennung insofern, als der Nutzen für die Gesellschaft stets speziell nachzuweisen ist. Immerhin ist damit indirekt die Begründung der Förderung von Religionsgemeinschaften genannt. Sie dienen dem Gemeinwohl. Im Entwurf des Verfassungsausschusses169 vom 31. Mai 1991 wird der Religionsunterricht gewährleistet (Art. 32). Dies geschieht verbunden mit einer verständlichen Einbeziehung der geltenden Rechtslage in Bezug auf die Entscheidung über die Teilnahme170. Die Regelung der Religionsfreiheit nimmt zwei nunmehr in JöR 39 (1990), S. 387 ff. Ein Ergänzungsblatt stammt vom 8. Mai 1990. JöR 40 (1991 / 1992), S. 366 ff. 169 JöR 41 (1993). S. 93 ff. 170 Art. 32, Abs. 2, Satz 2 und 3: „Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilname des Kindes zu entscheiden. Mit Vollendung des 14. Lebensjahres obliegt die Entscheidung den Kindern in eigener Verantwortung.“ 167 168

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Art. 13 Abs. 2 und 4 BbgVerf geregelte brandenburgische Besonderheiten vorweg171. In einem Fall geht es um ein spezielles Auskunftsverweigerungsrecht, im anderen Fall hat ein Bürger, wenn er aus Gewissensgründen Pflichten nicht zu erfüllen vermag, das Recht und die Pflicht zur Erfüllung von Alternativen. Abgesehen von der expliziten Anerkennung des Öffentlichkeitsauftrags der Kirchen finden sich im eigens vorgesehenen Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ keine besonderen Abweichungen von den grundgesetzlichen Regelungen (Art. 39 bis 41). Auch noch in dem gemeinsamen Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, der CDU, der PDS-LL, der F.D.P. und des Bündnis 90172 vom 13. Dezember 1991 wird der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach173 gewährleistet (Art. 31). Die Streichung dieser Vorschrift ist markant, da dieser Entwurf im Bereich des Religionsverfassungsrechts ansonsten weitgehend in die Verfassung eingegangen ist. Beispielhaft sei hier die Veränderung in Art. 13 Abs. 1 genannt. Die ungestörte Ausübung der Religionsfreiheit „ist“ nicht, sondern „wird“ gewährleistet.

3. Entwürfe für Sachsen Insgesamt sieben Entwürfe für eine Verfassung sind im Jahrbuch dokumentiert174. Der früheste Entwurf datiert vom 19. März 1990 und stammt von der parlamentarischen Arbeitsgruppe des Bezirkstags Dresden175. Nach einer knappen Regelung der Religionsfreiheit (Art. 11 Abs. 1) in einem ebenso knappen, aber doch mit eigenständigen Schwerpunkten versehenen Abschnitt „Grundrechte und Grundpflichten“ verwundert eine breite Regelung des Verhältnisses zu den Religionsgemeinschaften in einem eigenen Abschnitt (Art. 73 bis 76). Hier werden bereits einige Vorgaben des Grundgesetzes übernommen und ausgeführt. Auffällig sind lediglich zwei Regelungen. Zum einen das ausgesprochene Verbot, kirchliche Einrichtungen und Handlungen für politische Zwecke zu missbrauchen (Art. 73 Abs. 3), dessen konkretes Anliegen angesichts der Oppositionsrolle der Kirchen in der Diktatur der DDR nicht verständlich ist. Zum anderen wird dem Religionsunterricht eine Absage erteilt durch die Feststellung, dass „die religiöse Unterweisung“ Angelegenheit der Religionsgemeinschaften ist (Art. 74 Abs. 6). 171

Vgl. C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 48 f. bzw.

52 ff. JöR 41 (1993), S. 111 ff. Diese Formulierung findet sich nicht in den Textentwürfen, geht jedoch aus der Formulierung „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Kirchen und Religionsgemeinschaften“ hervor. Wenn die Religionsgemeinschaften den Unterricht selbst abhielten, die Schule also nur als Veranstaltungsort nutzten, so würde der Unterricht sich nicht nur nach ihren Grundsätzen, sondern insgesamt nach ihren Vorgaben richten. 174 Vgl. auch Stober (1993). 175 JöR 40 (1991 / 1992), S. 417 ff. 172 173

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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Der Hochschullehrerentwurf176 von 1990 übernimmt diesen Satz, gibt jedoch auch das „Recht auf Erteilung von Religionsunterricht“ (Art. 48 Abs. 1). Auch hier ist das Verhältnis zu „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ in einem eigenen Abschnitt geregelt (Art. 45 bis 48). Auffallend ist nur die Regelung des Kirchenaustritts (Art. 47 Abs. 5). Hier fehlt der Hinweis, dass vor dem Standesamt lediglich ein Austritt nach staatlichem Recht erklärt werden kann177. Dadurch entsteht der zu vermeidende Eindruck, der Staat könne den Religionsgemeinschaften eine Regelung des Austrittsrechts vorschreiben. Der Gohrische Entwurf178 vom 5. August 1990 enthält bereits die dann in Art. 19 SächsVerf geregelte Religionsfreiheit im Wortlaut. Abgesehen von kleineren Änderungen sind auch der Artikel zum Religions- bzw. Ethikunterricht sowie der Abschnitt zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften jeweils Vorlage für die endgültige Regelung gewesen179. Die Untersuchung der überarbeiteten Fassung des Gohrischen Entwurfs vom Oktober 1990 ergibt kein anderes Ergebnis, genau wie die des Entwurfs des Verfassungsausschusses180 vom Mai 1991. Die Religionsfreiheit ist wortgleich geregelt (Art. 18). Im Abschnitt zu den Religionsgemeinschaften finden sich lediglich punktuelle Unterschiede wie die Verschiebung des Adjektivs „religiös“ von Art. 110 Abs. 1 in Abs. 2. Informativ sind die im Parlament ausgesprochenen und im Jahrbuch vermerkten Dissense. Die Fraktionen der SPD und von Bündnis 90 – Die Grünen forderten hier lediglich zwei Änderungen. Die Regelung zu den religiösen Baudenkmälern (jeweils Art. 113 Abs. 3) sollte gestrichen werden und im Bereich der Förderung der sozialen Tätigkeit eine Maßgabe aufgenommen werden, nach der „freie Träger mit vergleichbarer Tätigkeit und vergleichbaren Leistungen“ den gleichen Anspruch auf angemessene Kostenerstattung haben sollten. Der letztgenannte Antrag wurde berücksichtigt (Art. 110 Abs. 2 SächsVerf). Die Fraktionen der Linken Liste – PDS und von Bündnis 90 – Die Grünen beantragten lediglich noch die Streichung der Vorschrift zum Religionsunterricht (Art. 106). Damit bleibt festzuhalten, dass ein weitestgehender Konsens von allen im Parlament vertretenen Parteien in Bezug auf das Religionsverfassungsrecht bestand. Schließlich ist hier noch auf den Entwurf der Dresdener „Gruppe der 20“181 einzugehen, der in zwei Fassungen mit geringen Unterschieden im Jahrbuch abgedruckt ist182. An hervorgehobener Stelle, gleich im zweiten Abschnitt nach den JöR 42 (1994), S. 253 ff. Vgl. Art. 2 Abs. 3, Satz 1 des bayerischen Kirchensteuergesetzes: „Der Austritt bedarf zur öffentlich-rechtlichen Wirkung [ . . . ]“. 178 JöR 39 (1990), S. 439 ff. 179 Vgl. zu Details die Bezugnahmen auf den Gohrischen Entwurf bei C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, z. B. S. 79, Fn. 279. 180 Beide in einer Synopse abgedruckt in: JöR, S. 137 ff. 181 Dazu E. Sobeslavsky, Die „Gruppe der 20“ in Dresden, in: Heydemann / Mai / Müller (Hrsg.), Revolution und Transformation in der DDR 1989 / 90, 1999. 176 177

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

„Lebensgrundlagen, Mensch und Staat“, wird nicht nur Art. 140 GG für anwendbar erklärt, sondern werden auch weiterhin den Religionsgemeinschaften besondere Rechte zugewiesen (Art. 14 bis 17). Bezeichnend ist die einleitende Regelung, die „Kirchen stehen unter staatlichem Schutz“. Die Bevorzugung der Kirchen erscheint angesichts der fortgesetzten Differenzierung in den weiteren Regelungen als gewollt183. Die besondere Aufmerksamkeit in Bezug auf die Kirchen zeigt sich auch in einer Regelung, wonach die Kirchen bei gegen ihr Eigentum gerichteten Maßnahmen seit dem 7. Oktober 1949 Ansprüche geltend machen können (Art. 17 Abs. 2). Dieser Entwurf zeugt insgesamt von der „Kirchenfreundlichkeit“ Sachsens, ist aber bereits aus bundesverfassungsrechtlichen Gründen zu Recht nicht in den Text der Verfassung übernommen worden.

4. Entwürfe für Sachsen-Anhalt Die sechs im Jahrbuch abgedruckten Entwürfe für Sachsen-Anhalt lassen sich in drei Gruppen unterteilen. Noch aus dem Jahr 1990 stammen zwei Entwürfe der Unterarbeitsgruppe Landesverfassung der Arbeitsgruppe Landtag184. Wortgleich gewährleisten beide die Religionsfreiheit (Art. 9) und den Religionsunterricht (Art. 37). Im Abschnitt zu den „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ finden sich nur geringe Veränderungen. Die bereits im 1. Entwurf umstrittene Anerkennung der „Bedeutung der Kirchen für die Bewahrung der sittlichen Grundlagen des menschlichen Lebens“ fällt weg (Art. 41 Abs. 2, 1. Entwurf). Hinzu kommt eine Regelung, die die Anwendbarkeit von bestimmten Vorschriften dieses Abschnitts für Weltanschauungsgemeinschaften ausspricht (Art. 49, 2. Entwurf). Die nächste Gruppe wird gebildet durch drei Fraktionsentwürfe aus dem Jahr 1991: Bündnis 90 / Grüne vom 9. Januar185, CDU und F.D.P. vom 27. Februar186 und SPD vom 12. März187. Nur der Entwurf von CDU und F.D.P. regelt das Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften nicht in einem eigenen Abschnitt, aber durch Verweisung auf Art. 140 GG. Diese Regelungstechnik wurde in die Verfassung übernommen. Jedoch enthält der Entwurf eine Beschränkung auf „die Kirchen und die anerkannten Religionsgemeinschaften“. Diese Begrenzung kann nur politisch verstanden werden, denn sie verstößt wie die Regelungen in der Bayerischen Verfassung gegen die Vorgaben des Grundgesetzes. Offenbar wünschten bei182 Version v. 26. März 1990, in: JöR 39 (1990), S. 427 ff. Version v. 23. März 1990, in: JöR 40 (1991 / 1992), S. 413 ff. 183 Vgl. z. B. Art. 15 Abs. 1 und Abs. 3. 184 1. Entwurf, in: JöR 39 (1990), S. 455 ff.; 2. Entwurf, in: JöR 40 (1991 / 1992), S. 441 ff. 185 JöR 41 (1993), S. 205 ff. 186 A. a. O., S. 219 ff. 187 A. a. O., S. 228 ff.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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de Fraktionen eine Beschränkung der privilegierten Religionsgemeinschaften. Dies erstaunt besonders, da mit der F.D.P. auch eine nach eigener Auffassung liberale Partei an dem Entwurf beteiligt war. Der Entwurf der SPD ist sowohl in Bezug auf den Kreis der Religionsgemeinschaften großzügiger als auch in der Gewährung von Rechten (Art. 20 bis 24). Der Entwurf von Bündnis 90 / Grüne bringt eine abgespeckte Version der Regelungen des Grundgesetzes (Art. 41 bis 43). Eine Besonderheit bringt hier im Rahmen der Religionsfreiheit das Verbot, durch die Bekundung einer Religion „die Würde anderer nicht [zu] verletzen“ (Art. 9 Abs. 1, Satz 2). Diese Vorschrift stellt jedoch im Hinblick auf die Garantie der Menschenwürde bereits in Art. 1 Abs. 1 GG keine neue Rechtslage her. Der Entwurf von CDU und F.D.P. rezipiert die Grundrechte des Grundgesetzes ebenso wie der SPD-Entwurf (jeweils Art. 3). Die letzte „Gruppe“ besteht aus dem Beschluss des Verfassungsausschusses vom 24. September 1991188. Dieser nimmt in Bezug auf die Religionsfreiheit die später erfolgte Regelung in Art. 9 VerfLSA vorweg (Art. 7). Auch die Regelung zum Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften ist bis auf redaktionelle Veränderungen189 in Art. 32 VerfLSA aufgenommen worden.

5. Entwürfe für Mecklenburg-Vorpommern Zwei von vier im Jahrbuch abgedruckten Entwürfen sind 1990 im Auftrag der Bezirksverwaltungsbehörden Schwerin, Rostock und Neubrandenburg entstanden. Der erste stammt vom Juli190, der zweite vom Oktober191. Während die Religionsfreiheit fast wortgleich geregelt ist (Art. 28 Entwurf 1 bzw. Art. 16 Entwurf 2), unterscheiden sich die Regelungen in Bezug auf Religionsgemeinschaften erheblich. Im ersten Entwurf wird noch vor den Grundrechten nach einer höchst seltenen Regelungstechnik im Rahmen von „Staatszielen und Aufgaben“ umfassend auf Förderung, Schutz und Rechte der Religionsgemeinschaften eingegangen (Art. 15 Entwurf 1). Hingegen beschränkt sich Entwurf 2 auf Essentialien und erklärt darüber hinaus Art. 140 GG für anwendbar. Auch Entwurf 2 bleibt trotzdem „kirchenfreundlich“, indem er die Regelung übernimmt, nach der die Förderung von Religionsgemeinschaften nicht nur im Hinblick auf ihre sozialen Tätigkeiten, sondern auch aufgrund ihrer Funktion „als Wahrer kulturellen Erbes“ ermöglicht wird (Art. 37 Abs. 2 Entwurf 2). Der erste Entwurf hatte sogar die Förderung „ihres kulturellen Erbes“ zugestanden (Art. 15 Abs. 1, Satz 1 Entwurf 1). Der aus dem Jahr 1991 stammende Entwurf des Landesministers für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten 192 ist als reines Organisationsstatut frei von reli188 189 190 191

JöR 41 (1993), S. 245 ff. Vgl. Art. 31 Abs. 2 und 5 des Entwurfs mit Art. 32 Abs. 2 und 5 VerfLSA. JöR 39 (1990), S. 399 ff. JöR 40 (1991 / 1992), S. 399 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

gionsrechtlichen Regelungen. Dieser extremen Lösung ist der Verfassunggeber nicht gefolgt, jedoch wurde auf die Formulierung von eigenen Grundrechten und Regelungen zum Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften weitgehend verzichtet. Die Verfassungskommission des Landtags nahm in ihrem Zwischenbericht193 vom 30. April 1992 fast ohne Änderungsantrag einer Fraktion ebenso die Grundrechte des Grundgesetzes auf (Art. 5 Abs. 3) wie die von Art. 140 GG inkorporierten Artikel der Weimarer Reichsverfassung (Art. 8). Der einzige Änderungsantrag stammt von der CDU in Bezug auf die Selbständigkeit von theologischen Fakultäten (Art. 8 Abs. 2). 6. Entwürfe für Thüringen Im Privatentwurf von G. Riege und seiner Arbeitsgruppe vom 19. Mai 1990 sind die religionsverfassungsrechtlichen Regelungen in drei Artikeln innerhalb des ersten Abschnitts „Grundrechte und Grundpflichten“ konzentriert (Art. 9 bis 11)194. Die Regelungen sind denen des Grundgesetzes ähnlich, jedoch zurückhaltender formuliert und mit Einschränkungen versehen. Zum Beispiel taucht hier bereits das Verbot auf, durch die im übrigen umfassend gewährte Religionsfreiheit die Würde anderer zu verletzen (Art. 9 Abs. 2, Satz 3). Auch ist die Unterstützung der Religionsgemeinschaften von einem „allgemeinen Interesse“ abhängig (Art. 11 Abs. 3). Unklar bleibt, ob die Unterscheidung von Religionsgemeinschaften und -gesellschaften dem Entwurfscharakter geschuldet ist oder eine rechtliche Relevanz haben soll195. Der Entwurf des Unterausschusses Verfassung des politisch-beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen196 vom 30. August 1990 übernimmt die Regelung der Religionsfreiheit des Privatentwurfs im Wortlaut (Art. 7). Dagegen sind in Bezug auf Religionsgemeinschaften in einem eigenen Abschnitt weitergehende Rechte fixiert (Art. 51 bis 55). Ein prägnantes Beispiel ist die Begründung des Sonn- und Feiertagsschutzes „als Tage der Arbeitsruhe, der Erholung und des Gottesdienstes“ (Art. 55). Neu ist auch die Einführung des Religionsunterrichts (Art. 30). Die Regelung zum Sonn- und Feiertagsschutz enthält auch der Entwurf des Justizministeriums von Rheinland-Pfalz197 vom Oktober 1990. Auch sonst sind Ähnlichkeiten mit dem Entwurf des Unterausschusses vorhanden. Insgesamt ist man jedoch zurückhaltender und setzt „im übrigen“ die Regelungen des Art. 140 GG in Kraft (Art. 34). 192 193 194 195 196 197

JöR 41 (1993), S. 130 ff. JöR 42 (1994), S. 218 ff. JöR 39 (1990), S. 468 ff. Vgl. z. B. Art. 10 Abs. 1 und 2. JöR 39 (1990), S. 480 ff. JöR 40 (1991 / 1992), S. 459 ff.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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Schließlich sind noch fünf Fraktionsentwürfe aus dem Jahr 1991 in ihrer Unterschiedlichkeit darzustellen: F.D.P. vom Frühjahr198, CDU vom 10. April199, SPD vom 9. Juli200, NF / GR / DJ vom 23. August201 und Linke Liste / PDS vom 9. September202. Die F.D.P. nimmt zwar Religionsfreiheit und Religionsunterricht auf und regelt das Verhältnis zu den „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ in einem selbständigen Abschnitt (Art. 7, 26, 30). Dieser ist jedoch auf eine minimale Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit und des Selbstverwaltungsrechts beschränkt. Die CDU übernimmt Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im Wortlaut und inkorporiert Art. 7 GG (Art. 10 bzw. 33 Abs. 2). Auch Art. 140 GG wird inkorporiert und zwar als Einleitung zum Abschnitt „Religion, Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ (Art. 39). Darauf folgt eine umfassende Regelung der Materie (Art. 40). Die aus dem CDU-Entwurf für Sachsen-Anhalt bekannte Abstufung vermittels der Kategorie der „anerkannten“ Religionsgemeinschaften findet auch hier statt. Dies führt zu Stilblüten wie: „Die Bedeutung der Kirchen und anerkannten Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften [ . . . ] wird anerkannt“ (Art. 40 Abs. 2. Vgl. auch Abs. 3). Auch der SPD-Entwurf übernimmt die Regelung der Religionsfreiheit wörtlich aus dem Grundgesetz (Art. 20). Eine reduzierte Wiedergabe der Weimarer Religionsartikel findet sich im selbständigen Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ (Art. 30 bis 32). Beispielhaft ist der Sonnund Feiertagsschutz zu nennen, der sich lediglich auf die Arbeitsruhe bezieht (Art. 32). Der Religionsunterricht ist garantiert (Art. 37). Auch der Entwurf von NF / GR / DJ garantiert, wenn auch in eigenwilliger Anordnung, die Religionsfreiheit (Vgl. die Regelung in Art. 10 Abs. 1 und 4) und in einem knappen Abschnitt die Grundlagen des Verhältnisses zu den Religionsgemeinschaften (Art. 28 f.). Diesen kennt auch der Entwurf der Linken Liste / PDS, wenn auch mit einer auffälligen Maßgabe: „Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Kirche, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften gilt das allgemeine Arbeitsund Sozialrecht“ (Art. 107, hier Abs. 1, Satz 3). Die Religionsfreiheit ist gewährleistet (Art. 11), jedoch der Religionsunterricht nur als Veranstaltung der Religionsgemeinschaften in der Schule, nicht als ordentliches Lehrfach. Dies ist der Formulierung des Art. 29 Abs. 3 nur mittelbar zu entnehmen.

7. Ergebnis Die Verfassungsentwürfe behandeln die Sache Religion noch umfassender als die Endfassungen. Im Rahmen der Verfassunggebung kam es zu Schrumpfungsprozessen203. Erstaunlich ist aber, dass lediglich Varianten des deutschen Modells 198 199 200 201 202

JöR 40 (1991 / 1992), S. 470 ff. JöR 40 (1991 / 1992), S. 481 ff. JöR 41 (1993), S. 260 ff. JöR 41 (1993), S. 272 ff. JöR 41 (1993), S. 287 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

vorgeschlagen werden und eine Abkehr eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Der nur selten vertretene „schärfste“ Vorschlag will den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach abschaffen und das staatliche Arbeitsrecht in die Kirche tragen. Mehr Veränderung soll es aber nicht geben. Damit wird offenbar von allen Entwürfen die besondere Rolle der Kirchen innerhalb der DDR und im Prozess der Wende gewürdigt.

III. Die Rolle der Kirchen im Prozess der Verfassunggebung in den fünf neuen Bundesländern Fragt man nach der Begründung für die weitgehende Übernahme der in den westlichen Bundesländern vorhandenen kooperativen Elemente im Verhältnis zu Religionsgemeinschaften in den neuen Bundesländern, so steht wohl im Zentrum der Antwort die Rolle der Kirchen innerhalb der DDR und innerhalb der Verfassunggebung in den fünf neuen Bundesländern.

1. Kirchen und Verfassunggebung Im Prozess der Landesverfassunggebung 1946 bis 1947 nahmen die Kirchen eine vergleichsweise starke Stellung ein204. Sie sahen ihre eigenen, teilweise sehr konkreten Vorstellungen jedoch in sehr unterschiedlichem Maße verwirklicht. Von zahlreichen gelungenen Einflußnahmen, z. B. in Württemberg-Baden, bis zu weniger erfolgreichen, z. B. in Hessen, reicht die Palette. Der Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ der Verfassung von Rheinland-Pfalz entspricht in Grundgedanken und Einzelformulierungen einem Entwurf des Bischöflichen Ordinariats Speyer205. Nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes wurden von 1949 bis 1952 drei Organisationsstatute in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg erlassen, die konsequent auf Religionsverfassungsrecht verzichten. Die Verfassung von Berlin von 1950 enthält lediglich eine Aussage zur Religionsfreiheit. Mit besonderen Regelungen und der Rezeption von Art. 140 GG haben Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg 1950 bzw. 1953 eine eigenständige Religionsverfassung geschaffen.

203 So P. Häberle, Die Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern 1991 – 1992 mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 42 (1994), S. 174. 204 Auch zum Folgenden B. Beutler, Die Stellung der Kirchen in den Länderverfassungen, in: Rauscher (Hrsg.), Kirche und Katholizismus, 1977, S. 30 ff. 205 G. Robbers, Kommentierung des IV. Abschnitts, in: Grimm / Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz. Kommentar, 2001, Art. 41, Rz. 1.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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Für die Fälle, in denen eine Religionsverfassung bestimmt wurde, ist nachgewiesen, dass Anträge, Stellungnahmen und Gutachten der Kirchen von erheblichem Einfluss für deren Umfang und Inhalt waren206. In Nordrhein-Westfalen spricht man gar von einem „legendären Einfluss“ den der Leiter des Katholischen Büros, Prälat Böhler, über die CDU und das Zentrum auf die Ausgestaltung der Verfassung ausübte207.

2. Die Kirchen in der Wendezeit Der Anteil der Kirchen am friedlichen Zusammenbruch des Totalitarismus und am dem geordneten Übergang zu Demokratie und Rechtsstaat ist insbesondere in Polen und in der DDR nicht hoch genug zu veranschlagen208. Der Faktor „Religion“ spielte als spiritueller Kernbereich der Würde und Freiheit des Menschen in den meisten kommunistisch beherrschten Staaten eine nachweisbare und wichtige Rolle209. Ein Grund ist die mangelnde Integration der Kirchen in das kommunistische Herrschaftssystem. Sie ermöglichten und repräsentierten eine Rest von Pluralismus. Daher ist es nicht erstaunlich, dass die ersten Parlamente in den neuen Bundesländern nach der Wende mit besonders vielen Theologen besetzt waren210. Die Evangelische und die Katholische Kirche haben mit ihrer Einladung zum Zentralen Runden Tisch211 im Dezember ihre konstruktive Mitarbeit an der Bewältigung des Umbruchs eingeläutet 212. Ohnehin moderierten sie als wichtigste oppositionelle Kraft weitgehend die „Runden Tische“, die sich überall in der ehemaligen DDR etabliert hatten213. Damit trat auch die Katholische Kirche in eine gesellschaftspolitische Rolle, die sie in der DDR nicht hatte und die die Aktivitäten der 206 Vgl. K.-E. Schlief, Das Verhältnis von Staat und Kirche im Grundgesetz, 1961, S. 65 ff., A. Hollerbach, Zur Entstehungsgeschichte der staatskirchenrechtlichen Artikel des Grundgesetzes, in: Blumenwitz / Gotto / Maier (Hrsg.), Konrad Adenauer und seine Zeit, 1976, S. 370 f. und B. v. Schewick, Die katholische Kirche und die Entstehung der Verfassungen in Westdeutschland 1945 – 1950, 1980, S. 44 f., 92 ff. und jeweils passim. 207 J.-D. Kühne, 45 Jahre Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1996, S. 328. 208 O. Luchterhandt, Religionsrechtliche Rahmenbedingungen für eine Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in den Ländern Mittel- und Osteuropas, Essener Gespräche 29 (1995), S. 19 ff. 209 Ebd. 210 Diese bildeten neben den Ingenieuren und Naturwissenschaftlern die dritte große Gruppe in den ostdeutschen Parlamenten, vgl. C. Hinds, Die neue Verfassung des Freistaates Sachsen – Berechtigte und unberechtigte Kritik an der Verfassungsgebung, ZRP 1993, S. 150. 211 Dazu C. Starck, Die Verfassungen der neuen Länder, in: HdbStR IX, 1997, Rz. 3. 212 K. Hesse sieht eine beträchtliche Bedeutung des Runden Tischs in dieser Phase, ders., Die Vereinigung Deutschlands und die gesamtdeutsche Verfassung (1991), JöR 44 (1994), S. 5. 213 S. Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, ZevKR 39 (1994), S. 404.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Evangelischen Kirche im Rahmen der Verfassunggebung beinahe noch übertreffen sollte214. Die in der DDR politisch aktivere Evangelische Kirche sah sich einer breiten Grundlagendiskussion von innen her ausgesetzt215. Hinzu kam die organisatorische Aufgabe einer Verschmelzung der getrennten Kirchenbünde216. In der Katholischen Kirche waren die Integration des ostdeutschen Episkopats in die Deutsche Bischofskonferenz ebenso wenig ein Problem wie „die Übernahme des westdeutschen Staatskirchenrechts“ 217. Die Rolle der Kirchen als einzige vom Staat geduldete selbständige Einheit in der DDR ist bereits umfassend untersucht worden218. Ebenso gibt es Studien über ihre historische Führungsrolle in der friedlichen Revolution von 1989219. Hier soll die Frage aufgeworfen werden, ob es auch im Rahmen der Verfassunggebung eine institutionelle Rolle der Kirchen gab.

3. Beispiele aus den fünf neuen Bundesländern Die Katholische und die Evangelische Kirche waren an der Vorbereitung der Verfassungen durch Vertreter in den unterschiedlichen Kommissionen beteiligt220. Dort konnten sie ihre Wünsche, Erfahrungen und Hinweise einbringen. Im Folgenden soll anhand vorhandener schriftlicher Zeugnisse die Einflussnahme auf den Prozess der Verfassunggebung untersucht werden. Auf eine allgemeine Schil214 Zu den Unterschieden zwischen dem Verhalten von evangelischer und katholischer Kirche in der DDR und dessen Erklärung (Historie der ev. Landeskirchen; Mitgliederzahl) vgl. S. Heitmann, a. a. O., S. 404 ff. 215 Vgl. H. Maier, Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. Die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen, in: HdbStKirchR, Band I, 1994, S. 104 ff. 216 Beispielhaft J. Rohde, Rechtsvereinheitlichung in der Evangelischen Kirche der Union, ZevKR (1995). 217 M. Spieker, Die Kirchen im postkommunistischen Transformationsprozeß, in: Hans Maier zum 65. Geburtstag, 1996, S. 642. 218 T. Boese, Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR, 1994. Als „einzige nicht gleichgeschaltete Organisation“ bezeichnet die Kirchen S. Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, ZevKR 39 (1994), S. 403. Nach H. Kremser war die evangelische Kirche während der gesamten Zeit der deutschen Teilung eine wesentliche Kontaktstelle, über die viele politische und auch humanitäre Aktionen liefen. Sie bildete über die Zeit ein einigendes Band zwischen den beiden deutschen Teilstaaten, vgl. ders., Der Weg der Kirchen / Religionsgemeinschaften von der sozialistischen DDR in das vereinte Deutschland, JöR 40 (1991 / 1992), S. 507 ff. Siehe auch bei G. Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 25 ff. 219 Allgemein bei H. Kremser, a. a. O., , S. 502 ff. Vgl. auch T. Boese, a. a. O., S. 260 ff., A. Noack, Die evangelische Kirche in der ehemaligen DDR und nach der deutschen Einheit, in: Religionsfreiheit, 1996, insb. das Zitat von L. de Maiziere auf S. 51 und G. Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 39 ff. Mehrere Beiträge zur örtlichen und überregionalen Rolle der Kirchen finden sich im Sammelband G. Heydemann / G. Mai / W. Müller (Hrsg.), Revolution und Transformation in der DDR 1989 / 90, 1999. 220 G. Wichmann, Diskussionsbeitrag, Essener Gespräche 26 (1992), S. 88 f.

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derung der Verfassunggebung in den neuen Bundesländern wird wegen bereits vorhandener einschlägiger Literatur verzichtet 221. Die Reihenfolge ist wiederum an der Chronologie der Verabschiedung der Verfassungen im jeweiligen Landtag orientiert. Bisher nicht veröffentlichte Texte sind im Dokumentenanhang wiedergegeben.

a) Brandenburg Bereits personell waren die Kirchen bei den Verfassungsberatungen vertreten. Die Hälfte, also fünfzehn Mitglieder des Verfassungsausschusses waren von den Fraktionen benannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die nicht dem Parlament angehören durften222. Der brandenburgische Verfassunggeber verfolgte erklärtermaßen das Ziel einer Berücksichtigung von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen innerhalb des Ausschusses223. Die Fraktionen trugen dem Rechnung. Die CDU berief zunächst Monsignore Dr. Ducke, der aber ablehnte und Dr. A. Faber vom Katholischen Büro in Berlin vorschlug. Dieser willigte ein und wurde damit Repräsentant der Kirchen im Ausschuss224. Trotz dieser formal wichtigen Position gelang den Kirchen in Brandenburg keine besondere Einflussnahme. Ein Grund dafür mag die nach außen hin nicht erkennbare Abstimmung der Kirchen gewesen sein225. Ein weiterer Grund liegt wohl in einem defensiven Auftreten der Kirchen. Dies lag jedoch bereits im Prozedere der nicht-öffentlichen Sitzungen des Verfassungsausschusses begründet, das äußere Einflussnahmen weitgehend ausschloss226. Erst nach der Veröffentlichung des ersten Verfassungsentwurfs mitsamt Alternativen konnten sich die Kirchen als Teil der gesamten Brandenburger Öffentlichkeit, die insgesamt nur wenig Anteil am Entwurf nahm, beteiligen227. Sie legten innerhalb der gesetzten Frist bis zum 221 Vgl. die im folgenden mit einbezogenen Arbeiten: C. Feddersen, Die Verfassunggebung in den neuen Ländern, DÖV 1992; T. Flint, Der Prozess der Verfassungsgebung in den ostdeutschen Bundesländern, KritV 76 (1993); C. Deselaers, Der Prozeß der Verfassunggebung in den neuen Bundesländern, 1997; H. v. Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer. Einführung und synoptische Darstellung, 1997, S. 25 ff. 222 T. Flint, Der Prozess der Verfassungsgebung in den ostdeutschen Bundesländern, KritV 76 (1993), S. 454. 223 Auch zum Folgenden M. Edinger, Verfassungsgebung in der ostdeutschen Transformation. Eine vergleichende Analyse zu Thüringen und Brandenburg, 2000, S. 115. 224 Zu seiner Arbeit vgl. die bei S. J. Iwers, Entstehung, Bindungen und Ziele der materiellen Bestimmungen der Landesverfassung Brandenburg, 1998 im Rahmen der Kommentierung der einzelnen Vorschriften genannten Anträge und Hinweise in Bezug auf Religion und Religionsgemeinschaften auf S. 362 und S. 554 ff., S. 568 ff. 225 M. Edinger, a. a. O., S. 348. 226 D. Franke / R. Kneifel-Haverkamp, Die brandenburgische Landesverfassung, JöR 42 (1994), S. 126. 227 Flint, a. a. O., S. 454 f.

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15. September 1991 eigene Änderungsvorschläge228 und extra in Auftrag gegebene Gutachten229 vor. Auch eine direkte Kontaktaufnahme zum Vorsitzenden des Verfassungsausschusses G. Just fand statt230. Die Reaktionen waren jedoch weitgehend ablehnend. Zum Beispiel weigerte sich der Unterausschuss I trotz Anregung durch die Landesregierung durch Vorlage eines Gutachtens von J. Wieland231 und trotz der Gutachten der Kirchen mit gegenteiliger Auffassung das Thema aufzugreifen232. Da in wichtigen Grundfragen wie dem Religionsunterricht233 keine Einigung erzielt werden konnte, war die Situation zweifellos schwieriger als in anderen Bundesländern234. Noch im zweiten Zwischenentwurf waren die Anliegen der Kirchen kaum berücksichtigt worden235. Erst in der turbulenten Schlussphase der Beratungen im Landtag wurden Änderungen vorgenommen236, wodurch aber nur zum Teil den Wünschen der Kirchen entsprochen wurde237. Gestrichen wurde zum Beispiel die Hinwirkungsklausel zur Gleichstellung des sozialen Schutzes kirchlicher Beschäftigter mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht238. Erweitert wurde zum Beispiel die vorgesehene Beschränkung der Anstaltsseelsorge. Die Evangelische Kirche hatte hier eine Fortführung der kirchenfeindlichen Tradition der DDR-Staatsführung moniert239. 228 Konsistorium der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg, Stellungnahme zum Entwurf der Verfassung v 15. August 1991, abgedruckt im Dokumentenanhang unter Nr. I, 1., S. 240 ff. 229 A. Hollerbach, Kurzgutachten zur Frage der Verbindlichkeit des Preußischen Konkordats für das Land Brandenburg v. 9. 9. 1991, abgedruckt im Dokumentenanhang, Nr. I., 2., S. 245 ff.; ders., Kurzgutachten zur Frage, ob das Land Brandenburg Artikel 141 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann v. 9. 9. 1991, abgedruckt im Dokumentenanhang, Nr. I., 3., S. 247 ff. 230 M. Edinger, a. a. O., S. 349, Fn. 1053. 231 Abgedruckt in: Verwaltung des Landtags Brandenburg (Hrsg.), Dokumentation Verfassung, Band V, Gutachten und Stellungnahmen, 1995, S. 106 ff. 232 S. J. Iwers, a. a. O., S. 567. 233 Vgl. U. Benstz / D. Franke, § 6 Schulische Bildung, Jugend und Sport, in: Simon / Franke / Sachs (Hrsg.), Handbuch der Verfassung Brandenburg, 1994, Rz. 37 ff., insb. 39. 234 Zu Besonderheiten der Brandenburger Verfassung in diesem Stadium vgl. die positive Stellungnahme des Ausschussmitglieds H. Simon, Wegweisendes Verfassungsmodell aus Brandenburg, Neue Justiz 1991. 235 Vgl. die Einleitungen der Schreiben der Evangelischen Kirchenleitung vom 3. Februar 1992, abgedruckt im Dokumentenanhang unter Nr. I., 4., S. 249 ff. und des Bistums Berlin vom 21. Februar 1992, abgedruckt im Dokumentenanhang unter Nr. I. 5., S. 251 ff. 236 Vgl. die Schilderung bei C. Deselaers, Der Prozeß der Verfassunggebung in den neuen Bundesländern, 1997, S. 42 ff., insb. 44. 237 M. Edinger, a. a. O., S. 349 und R. Kier, Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: Simon / Franke / Sachs (Hrsg.), Hanbbuch Verfassung Brandenburg, 1994, Rz. 4. 238 D. Franke / R. Kneifel-Haverkamp, Die brandenburgische Landesverfassung, JöR 42 (1994), S. 135. Weitere Beispiele finden sich in der detaillierten Übersicht bei S. J. Iwers, a. a. O., S. 362 ff., z. B. Fn. 505. 239 S. J. Iwers, a. a. O., S. 571. Vgl. auch im Dokumentenanhang unter Nr. I., 1. und Nr. I., 4.

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b) Sachsen In Sachsen gab es bereits vor der Befassung des Landtags mit diesem Thema mehrere Entwürfe für eine Verfassung240, von denen der Gohrische die schließlich eingeschlagene Richtung wies241. Nach den Landtagswahlen vom Oktober 1990 wurde der Verfassungs- und Rechtsausschuss mit der Erarbeitung eines gemeinsamen Entwurfs möglichst aller politischen Kräfte im Lande beauftragt242. Der Ausschuss tagte unter Ausschluss der Öffentlichkeit und unter Hinzuziehung von drei westdeutschen Juristen als Berater des ganzen Ausschusses243. Erst nach fünf Klausurtagungen wurde der mit Dissensen versehene, synoptisch gegliederte Zwischenstand244 nach außen getragen245. Die Öffentlichkeit wurde aufgefordert, sich durch Stellungnahmen und Anregungen an der Verfassungsdiskussion zu beteiligen. Nach sechs Monaten fanden dann weitere vier Klausurtagungen statt, die auf Konsensbildung angelegt waren. Im April beschloss der Ausschuss mit einer großen Mehrheit den endgültigen Entwurf, der ohne Änderungen vom Landtag angenommen wurde. In Bezug auf die Rolle der Kirchen sollen hier beispielhaft Aktivitäten der Katholischen Kirche geschildert werden. Formelles Einfallstor zur Darlegung der Ansichten und Vorschläge der Kirchen waren die der gesamten Öffentlichkeit gewidmeten sechs Monate ab Juni 1991. In dieser Zeit wurden auch Anhörungen von Sachverständigen und Verbänden durchgeführt. Das Bistum Dresden-Meissen formulierte bei einer Anhörung in Chemnitz246 am 20. Juli 1991 lediglich drei Änderungsvorschläge zum Zwischenbericht des Ausschusses. Der erste betraf Gleichstellung von Ethikunterricht und Religionsunterricht247, der zweite den Wunsch, als Voraussetzung für die Besetzung von Lehrstühlen an theologischen Fakultäten anstelle von „Benehmen“ besser ein „Einvernehmen“ zu fordern248 und der dritte 240 Vgl. H. v. Mangoldt, Entstehung und Grundgedanken der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1996, S. 11 ff. 241 J. Isensee, Chancen und Grenzen der Landesverfassung im Bundesstaat, SächsVBl. 1994, S. 31. 242 Zur Zusammensetzung der Kommission und daran geäußerter Kritik vgl. C. Hinds, Die neue Verfassung des Freistaates Sachsen – Berechtigte und unberechtigte Kritik an der Verfassungsgebung, ZRP 1993, S. 149 f. 243 A. Franke, Zur Verfassung des Freistaates Sachsen, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, 1992, S. 57. 244 Neben der oben genannten Fundstelle der Textanhänge von Häberle im JöR siehe auch die Entstehungsmaterialien bei Stober (1994). Der Zwischenbericht findet sich dort auf S. 265 ff. 245 Vgl. auch zum Folgenden H. v. Mangoldt, Entstehung und Grundgedanken der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1996, S. 20 ff. 246 Abgedruckt im Dokumentenanhang unter II., 1., S. 254 ff. 247 Vgl. G. Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 151 ff. 248 Zur Kritik an „Benehmen“ vgl. C. Degenhart, Die Kirchen und Religionsgemeinschaften, in: ders. / Meissner (Hrsg.), Handbuch der Verfassung Sachsen, 1997, Rz. 25.

13 Kupke

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schließlich die Abschaffung eines Vorbehalts für die Geltung von Verträgen zwischen Staat und Religionsgemeinschaften 249. Diese drei Forderungen wurden in einer schriftlichen Mitteilung an den Verfassungs- und Rechtsausschuss vom 5. August 1991 bekräftigt, mit Alternativen versehen und näher erläutert. Lediglich ein Teil der dritten Forderung wurde durch Streichung einer Aussage zur Fortgeltung bisheriger Verträge erfüllt250. Jedoch wird in dem besagten Schreiben auch mitgeteilt, dass der Ausschuss bereits „viele Anregungen der Kirchen in den vorliegenden Ausschussentwurf“ aufgenommen habe, wie zum Beispiel eine Ergänzung der Erziehungsziele, die Anerkennung der Bedeutung der Kirchen und die Berücksichtigung der besonderen Belange der Sorben251. Tatsächlich findet sich in den später veröffentlichten Protokollen der Sitzungen252 bereits innerhalb der Tagungen vor Abschluss des Zwischenberichts mindestens eine direkte Bezugnahme auf einen als solchen gekennzeichneten Wunsch der Katholischen Kirche253. In der zweiten Phase mit insgesamt vier Klausurtagungen von Januar bis April 1992 findet sich eine ganze Debatte über die Wünsche der Katholischen Kirche in Bezug auf die Verträge254. Darin ist vor allem die explizit geäußerte Übernahme eines Arguments des Bischöflichen Ordinariats durch den Abgeordneten der F.D.P. bemerkenswert255. Dieser hatte noch eine Tagung zuvor auf die „nicht besonders intensive Kirchennähe der F.D.P.-Mitglieder“ verwiesen256. Offenbar ist es der Katholischen Kirche gelungen, ihre Änderungsvorschläge im zuständigen Ausschuss präsent zu halten. Davon zeugt auch die Aussage des seit Januar 1992 zuständigen Leiters des Katholischen Büros Sachsens, Prälat D. Grande257. Dieser habe im Rahmen seiner Antrittsbesuche bei den Staatsministern und den Fraktionsvorsitzenden die Anliegen der Katholischen Kirchen „ausführlich“ vortragen können. Besonders hilfreich sei das Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der F.D.P. gewesen, dessen juristischer Sachverstand hilfreich gewesen sei, ihr Anliegen in den entsprechenden Ausschusssitzungen zu vertreten. Abschließend kann man feststellen, dass die Haltung der Katholischen Kirche in Bezug auf bestimmte Regelungen der Verfassung eine große Rolle spielte258. Dies ist um so bemerkenswerter als sie in Sachsen lediglich etwa 4% der Bevölkerung stellt259. A. a. O., Dokumentenanhang, S. 255 f. Vgl. Art. 109 Abs. 2, Satz 3 SächsVerf. Siehe dazu S. Heitmann, Die neue sächsische Verfassung, SächsVBl. 1993, S. 7. 251 Bistum Dresden-Meissen / Bischöfliches Ordinariat, Stellungnahme, abgedruckt im Dokumentenanhang, Nr. II., 2., S. 256 ff. 252 V. Schimpff / J. Rühmann (Hrsg.), Die Protokolle des Verfassungs- und Rechtsausschusses zur Entstehung der Verfassung des Freistaates Sachsen, 1997. Zur Diskussion des 10. Abschnitts vgl. S. 68 f. (2. Klausurtagung), 271 – 273 (5. Klausurtagung), 557 – 570 (8. Klausurtagung), 635 – 639 (9. Klausurtagung). 253 A.a.O, S. 68. 254 A. a. O., S. 637 f. 255 A. a. O., S. 638. 256 A. a. O., S. 562. 257 Diese Aussage liegt dem Verf. in brieflicher Form vor. 249 250

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c) Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt wurde der Entwurf vom 24. September 1991 von Ende Oktober bis Ende Januar 1992 der Öffentlichkeit zur Diskussion übergeben260. Unter den 986 Zuschriften sind 111 von Verbänden und Organisationen, darunter die Kirchen261. Im Rahmen der durchgeführten öffentlichen Anhörungen262 wurden auch die Kirchen einbezogen und mehrmals gehört263. Die Kirchen konnten sich mit manchem Anliegen durchsetzen264. Die von Bündnis 90 / Die Grünen geforderte Streichung der Artikel zum Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften stieß auf starken Widerspruch265. Die gerade von Vertretern der Evangelischen Kirche geübte Kritik an der Bezugnahme auf Gott in der Präambel gehörte aber nicht dazu266. d) Mecklenburg-Vorpommern Die im Vergleich zu den Verfassungen der eben besprochenen Bundesländer etwas längere Entstehungsgeschichte der Verfassung von Mecklenburg-Vorpommern ließ ausreichend Zeit für die Ermöglichung und Verarbeitung von Stellungnahmen, Anhörungen und öffentlichen Diskussionen267. Die Kirchen beteiligten sich daran rege und sogar einmal gemeinsam mit einem Entwurf, der noch an die Verfassungskommission gerichtet war268. Die Katholische Kirche hat sich auch bereits vor Gründung des Landes intensiv mit kursierenden Verfassungsentwürfen auseinandergesetzt und dazu auch schriftliche Stellungnahmen verfasst, die ein Dokument der Zeit der Wende sind269. Da sich der „Entwurf der Kirchen“, der in 258 Zum Zustandekommen des Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen vgl. S. Korta, Der katholische Kirchenvertrag Sachsen, 2001, S. 67 ff. und im zu diesem Vertrag erschienenen Sammelband D. Grande, Die Verhandlungen zum Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Sachsen, in: Tillmanns (Hrsg.), Staatskirchenverträge im Freistaat Sachsen, 2001. 259 B. Kunzmann / M. Haas / H. Baumann-Haaske, Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentierte Textausgabe, 1997, 10. Abschnitt: Die Kirchen und Religionsgemeinschaften, Rz. 11. 260 H. v. Bose, Der Stand der Verfassungsberatungen in Sachsen-Anhalt, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, 1992, S. 80. 261 Die Vorschläge der Kirchen zu Sachsen-Anhalt können hier nicht im Detail behandelt werden. 262 M. Kilian, Die neue Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt, LKV 1993, S. 78. 263 Vgl. H. v. Bose, a. a. O., S. 82. 264 A. a. O., S. 87 f. 265 Vgl. die Plenarprotokolle des Landtags unter: http://www.landtag.sachsen-anhalt.de/ ltpapier/gesltpap.htm. 266 Vgl. H. v. Bose, a. a. O., S. 88 und Sachsen-Anhalt (1994), Präambel, Rz. 3. 267 R. Prachtl, Die vorläufige Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, LKV 1994, S. 1 f. 268 Entwurf der Kirchen vom 16. Mai 1991, abgedruckt im Dokumentenanhang, Nr. III., 5., S. 267 ff.

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Art. 2 eine Totalrezeption der Grundrechte des Grundgesetzes vorsah, nicht durchsetzte, waren die Kirchen gezwungen, weitere Stellungnahmen zu Einzelfragen vorzunehmen. Bei diesen fehlte offenbar eine volle Übereinstimmung, so dass sie wieder getrennt erfolgten270. Die endgültige Präambel stellt jedoch einen bleibenden Erfolg der Zusammenarbeit der Kirchen dar. Bereits die Mitglieder der Verfassungskommission hatten dem Vorschlag mit geringfügigen Änderungen zugestimmt271. Die irrige Annahme von Isensee, dem Text der Präambel von Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere dem Fehlen des Wortes „Gott“ könne man eine „evangelische“ Herkunft entnehmen272, verkennt die pragmatische Handlungsweise der Katholischen Kirche in Mecklenburg-Vorpommern. Angesichts einer äußerst geringen Verbreitung von Katholiken ging es wohl in erster Linie in den Verfassungsberatungen um Sicherung einer christlichen, nicht unbedingt katholischen Substanz. Es ist später ausgerechnet die von Isensee verdächtigte Evangelische Kirche, die es „für eine angemessene Vertiefung und Präzisierung“ hielt, die Formulierung „Verantwortung vor Gott“ in die Präambel aufzunehmen. Die Katholische Kirche hingegen distanziert sich später von dem von ihr mitgetragenen Begriff der „natürlichen Grundlagen des Lebens“ und wünscht stattdessen die Aufnahme der „Bewahrung der Schöpfung“. Diese Beispiele sind ein Zeichen, dass auch innerhalb der Kirchen Verfassunggebung ein Prozess ist. Beide Änderungsanträge zum eigenen Text wurden nicht berücksichtigt273. e) Thüringen Die Bewertung274 des Einflusses der Kirchen reicht von „marginal“275 bis zu „bemerkenswerten Erfolgen“276. Angesichts der Nähe der Positionen der Kirchen zu denen der regierenden Christdemokraten mag eine genaue Erfolgsanalyse tatsächlich schwer fallen. Zum Beispiel gelangte die erst spät von den Kirchen277 269 Vgl. die im Dokumentenanhang abgedruckten Leitlinien, Stellungnahmen und Bemerkungen, Nr. III., 1. – 4. 270 Vgl. die Stellungnahme des Katholischen Büros Schwerin vom 30. September 1992 und die Stellungnahme der Pommerschen Evangelischen Kirche vom 30. April 1992, abgedruckt im Dokumentenanhang unter Nr. III., 6. und 7. 271 K. Wedemeyer, Das Verfahren der Verfassunggebung in Mecklenburg-Vorpommern, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Band III, 1992, S. 39. 272 J. Isensee, Diskussionsbeitrag, in: Stern (Hrsg.), Deutsche Wiedervereinigung, Band III, 1992, S. 51. 273 Vgl. die Präambel M-VVerf. 274 Ohne eine Bewertung U. Rommelfanger, Die Verfassung des Freistaats Thüringen des Jahres 1993, ThürVBl. 1993, S. 178 f. 275 S. Leunig, Verfassungsverhandlungen in Thüringen 1991 bis 1993, 1996, S. 18. 276 M. Edinger, Verfassungsgebung in der ostdeutschen Transformation. Eine vergleichende Analyse zu Thüringen und Brandenburg, 2000, S. 348. 277 Siehe Stellungnahme der Kirchen vom 18. / 19. Mai 1993, abgedruckt im Dokumentenanhang unter Nr. IV., 3., S. 40 ff.

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geforderte Bezugnahme auf Gott in der Präambel nur durch das konsequente Insistieren der CDU-Fraktion in die Verfassung278. Ein großer Teil der eingesandten ca. 1.100 Zuschriften widmete sich dieser Frage, welche von der Bevölkerung, nicht den Institutionen, ablehnend beantwortet wurde279. Zwei Dinge stehen jedoch fest. Das Resultat der Verfassunggebung ist eine an den Zielen der Kirche orientierte Version280. Und beide Kirchen haben in professioneller Art und Weise schriftlich281 und auf informellen Wegen282 stets ihre Anliegen vertreten. Das gemeinsame Auftreten von Anfang an „in einer ökumenischen Arbeitsgruppe“283 konnte ihre Position nur stärken. Ihre Einflussnahme erfolgte systematischer und kontinuierlicher als die der anderen Interessengruppen und Verbände284.

4. Exkurs: Die Kirchen und die Grundgesetzreform von 1994 Im Rahmen der Grundgesetzreform von 1994 verhielten sich die Kirchen übrigens relativ zurückhaltend285. Zum Einen wahrscheinlich weil sie, wie oben dargestellt286, nicht über die Gemeinsame Verfassungskommission hinaus in die Schusslinie der Reformer gerieten. Zum Anderen bildeten sie als Verband in dieser Angelegenheit ohnehin keine Ausnahme, sondern die Regel. Lediglich Gewerkschaften und Handwerks-, Industrie- und Handelskammern entwickelten koordinierte Kampagnen, und das nur in Bezug auf das Recht der beruflichen Bildung287. Damit blieb eine maßvolle „Kabinettsreform“ übrig, obwohl gerade Vorstellungen von einer breiten Verfassungsdebatte den Anstoß gegeben hatten288.

278 U. Rommelfanger, Ausarbeitung und Werdegang der Thüringer Landesverfassung, in: Schmitt (Hrsg.), Die Verfassung des Freistaats Thüringen, 1995, S. 66. Vgl. auch M. H. Müller, Der Gottesbezug in der Präambel der Verfassung des Freistaats Thüringen, ThürVBl. 1994, S. 176. 279 Vgl. die Aussagen des damaligen Beraters des thüringischen Verfassungsausschusses T. Würtenberger im Bericht von M. Niedobitek, in: Merten / Schreckenberger (Hrsg.), Kodifikation gestern und heute, 1995, S. 133. 280 Vgl. J. Hopfe, Kommentierung des Sechsten Abschnitts, in: Link / Jutzi / Hopfe (Hrsg.), Verfassung Thüringen, 1994, Rz. 16 ff. 281 Vgl. die drei im Dokumentenanhang, Nr. IV, 1. – 3., S. 274 ff. abgedruckten Stellungnahmen „der Kirchen“. 282 M. Edinger, a. a. O., S. 118 f., 347 f. 283 J. Wanke, Die katholische Kirche in der DDR und nach der Einheit, in: Religionsfreiheit, 1996, S. 49. 284 M. Edinger, ebd.; S. Leunig, Verfassungsverhandlungen in Thüringen 1991 bis 1993, 1996, S. 18. 285 U. Berlit, Die Reform des Grundgesetzes, JöR 44 (1996), S. 87 f. 286 Siehe oben bei: A., I., 1., a) Vorschläge im Rahmen der Verfassungsreform 1994. 287 U. Berlit, a. a. O. 288 Eine Analyse der Gründe findet sich bei H.-L. Batt, Die Grundgesetzreform nach der deutschen Einheit, 1996, S. 143 ff.

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5. Ergebnis Im März 1991 rief R. Scholz die Kirchen dazu auf, in partnerschaftlicher Kooperation mit dem staatlichen Gesetzgeber „die Einheit des Staatskirchenrechts“ herzustellen289. In diesem Kapitel konnte gezeigt werden, dass die Kirchen diese Anforderung erfüllt haben. Im Prozess der Verfassunggebung auf Landesebene spielten die Kirchen in den neuen Bundesländern trotz oder gerade wegen der DDR eine hervorragende Rolle.

IV. Veränderungen im Religionsverfassungsrecht der alten Bundesländer Die Mehrzahl der bis zum Beginn des Berichtszeitraums, dem Jahr 1990, vorgenommenen Änderungen galt der Anpassung an Bundesrecht sowie der punktuellen Reform der Landesorganisation, insbesondere zur Stärkung parlamentarischdemokratischer Elemente290. Eine Veränderung im Grundrechtsteil fand selten statt291. Das Religionsverfassungsrecht wurde nur punktuell in den Bereichen Religionsunterricht und Gemeinschafts- bzw. Bekenntnisschulen geändert292. Mit Inkrafttreten der Verfassungen der fünf neuen Bundesländer hat sich nicht nur die Anzahl der Landesverfassungen erhöht. Durch die Wiedervereinigung und den anschließenden Prozess der Verfassunggebung in Ostdeutschland bzw. der Verfassungsreform im Bund waren auch die alten Bundesländer herausgefordert, ihre Verfassungen nach fast fünfzig Jahren grundlegend zu überprüfen293. In diesem „Wettstreit“ zeigt sich der Charakter des Bundesstaats „als verfassungspolitische ,Werkstatt‘ und ,Experimentierbühne‘“ 294. In Anlehnung an den bekannten Titel von Savigny aus dem Jahr 1814 bezeichnen K. Lange / A. T. Jobs ihren Beitrag zum 50-jährigen Jubiläum der Hessischen Verfassung im Jahr 1997 im Untertitel: „Vom Beruf unserer Zeit zur Landesverfassungsgesetzgebung“295. Bereits im Jahr 289 R. Scholz, Der Auftrag der Kirchen im Prozeß der deutschen Einheit, Essener Gespräche 26 (1992), S. 27. 290 Ein Überblick über die Entwicklung in den alten Bundesländern bis zum Jahr 1990 findet sich bei S. v. Braunschweig, Verfassungsentwicklung in den westlichen Bundesländern, 1993. 291 A. a. O., S. 157. 292 A. a. O., S. S. 107 ff. 293 Vgl. das Kapitel „Die Bedeutung der ostdeutschen Verfassungen und Verfassungsentwürfe für das GG und die westdeutschen Länderverfassungen“ bei P. Häberle, Die Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern 1991 – 1992 mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 42 (1994), S. 195 ff. 294 A. a. O., S. 195. 295 K. Lange / A. T. Jobs, Brauchen wir eine Verfassungsreform? Vom Beruf unserer Zeit zur Landesverfassungsgesetzgebung, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997.

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1994 sieht J. Fuchs das „Landesverfassungsrecht im Umbruch“ und daran anknüpfend M. Niedobitek noch im gleichen Jahr das Landesverfassungsrecht in Bewegung296. Die üblichen Themen in den alten Bundesländern sind die Formulierung von Staatszielen und Reformen der Landesorganisation, insbesondere in Bezug auf die Arbeit des Landtags, auch im Hinblick auf Europa, die Rolle der Opposition und die politische Mitgestaltung der Bevölkerung297. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit sind jedoch lediglich Veränderungen im Religionsverfassungsrecht aufzuzeigen. 1. Baden-Württemberg Nach einer auf das Wahl- und Stimmrecht begrenzten Verfassungsänderung im Jahr 1991 kam es im Jahr 1995 zur bisher umfangreichsten Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg von 1953. Diese mag durch die damals amtierende Große Koalition von CDU und SPD in besonderer Weise ermöglicht worden sein298. Das von Landtagsvizepräsident A. Geisel vorgelegte Programm einer umfangreichen Verfassungsreform führte zu dessen Enttäuschung nur zu punktuellen Änderungen299. Diese betreffen die genannten Standardthemen mit einem Schwerpunkt bei der Definition der Rolle des Landes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft300. Die von Geisel geforderte Anpassung der in Art. 12 der Verfassung niedergelegten Erziehungsziele an eine veränderte Wirklichkeit, in der „sich traditionelle kirchliche Bindungen vielerorts lockern“, fand nicht statt301. Das nach Heckel „religionsfreundlich ausgebaute“ Bundesmodell302 der Art. 4 bis 10 der Verfassung Baden-Württembergs blieb bis zum Ende des Berichtszeitraums unverändert. Die 18. Verfassungsänderung im Jahr 2000 widmete sich in Art. 3 b und c den Tieren und der Förderungspflicht des kulturellen Lebens. Aus der letztgenannten Vorschrift könnten die Religionsgemeinschaften eine Erweiterung ihrer Rechtspositionen erfahren, wenn sie nicht bereits durch die folgenden Regelungen speziell privilegiert wären303. Vgl. M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der Länder, 1994, S. 7. Beispielhaft: K. Lange / A. T. Jobs, a. a. O., S. 459 ff. 298 Die Entstehungsgeschichte der Verfassungsänderung schildert K. Engelken, Änderung der Landesverfassung unter der Großen Koalition, VBlBW 1995, S. 218 ff. 299 A. Geisel, Überlegungen zur Änderung der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, BWVP 1995, S. 76. 300 Vgl. die auf die geänderten Artikel beschränkte Neukommentierung durch K. Engelken, Ergänzungsband zu Braun: Kommentar Verfassung Baden-Württemberg, 1997. 301 A. Geisel, a. a. O., S. 74. Siehe auch S. 75. 302 M. Heckel, Staatskirchenrecht, in: Maurer / Hendler (Hrsg.), Baden-Württembergisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1990, S. 582. 303 Vergleiche die Kommentierung des 2. Abschnitts „Religion und Religionsgemeinschaften“ der Verfassung bei K. Braun, Kommentar zur Verfassung Baden-Württemberg, 1984 und bei Heckel, a. a. O. 296 297

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2. Bayern Die umfangreichste Verfassung der alten Bundesländer, die des Freistaats Bayern, enthielt bereits im Jahr 1946 die allgemeine Abschnittsüberschrift „Religion und Religionsgemeinschaften“. Gleichwohl findet in der Sache eine Differenzierung statt. Zum Beispiel geht die Bayerische Verfassung in Art. 142 Abs. 2 und Art. 143 Abs. 2 noch von „Kirchen und anerkannten Religionsgemeinschaften“ aus304. Die Anerkennung zielt auf das religiöse Konzessionssystem im Religionsedikt von 1818 und soll nur noch eine rechtlich irrelevante Erinnerung daran sein305. Da hätte eine Anpassung des Verfassungstextes auch ohne inhaltliche Veränderungen nahe gelegen. Dazu kam es jedoch nicht. Vielleicht wollte man eine daran anknüpfende Diskussion der Grundsätze des Religionsverfassungsrechts vermeiden. Die besondere christliche Ausrichtung des Freistaats wurde im Jahr 1995 durch den Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und die daraufhin ergehende Gesetzesänderung erneut unter Beweis gestellt306. Vielleicht wollte man auch bewusst die vor dem Grundgesetz entstandenen Regelungen bewahren. Fest steht, dass die Bayerische Verfassung insgesamt sehr selten geändert wurde. Bis zur Verfassungsreform von 1998 kam es lediglich zu sechs im Umfang bescheidenen Änderungen. Neben der Reform von Landtag und Staatsregierung wurden im Grundrechtsbereich vor allem neue Gewährleistungen geschaffen. Das bereits zur Baden-Württemberger Kulturförderungsklausel Gesagte gilt auch hier307.

3. Berlin Im Gegensatz zur Verfassung Bayerns ist die Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 häufig und in größerem Umfang geändert worden308. Mit dem 22. Änderungsgesetz wurden im Jahr 1990 weit über das im Hinblick auf die Wiedervereinigung mit Ost-Berlin notwendige Maß Veränderungen vorgenommen309. Das Thema Religion spielte dabei jedoch keine Rolle310. In zwei Jahren folgten vier weitere Änderungen, um schließlich nach einer Vereinbarung der CDU / SPDVgl. dazu O. J. Voll, Handbuch des Bayerischen Staatskirchenrechts, 1984, S. 64. A. v. Campenhausen, Kommentierung von Art. 142, in: Schweiger / Knöpfle (Hrsg.), Verfassung Bayern, Stand Juli 2000, Rz. 17. 306 Siehe dazu die Ausführungen des langjährigen bayerischen Kultusministers H. Maier, Geschichtsblind und schulfremd, in: Maier (Hrsg.), Das Kreuz im Widerspruch. Der Kruzifix-Beschluß des Bundesverfassungsge-richts, 1996. 307 Vgl. den neu eingefügten Art. 140 Abs. 3 der Verfassung. 308 M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der Länder, 1994, S. 9. 309 J. Fuchs, Die Genese einer Landesverfassung am Beispiel Berlin, in: ders. (Hrsg.), Landesverfassungsrecht im Umbruch, 1994, S. 22. 310 K. Finkelnburg, Verfassungsfragen des wiedervereinigten Berlin, LKV 1991, S. 8. 304 305

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Koalition einer gänzlich neuen Verfassung Platz zu machen. Auch zum Teil vehemente Widerstände311 konnten deren Inkrafttreten im Jahr 1995 nicht verhindern312. Obwohl eine neue Verfassung, knüpft diejenige von 1995 in weiten Teilen an ihre Vorgängerin von 1950 an. Bereits der Aufbau ist ähnlich. Auch inhaltlich sind einige Formulierungen beibehalten worden. Im Bereich des Religionsverfassungsrechts ist die alte magere Regelung der Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung in Art. 20 zu einer wörtlichen Übernahme von Art. 4 GG in Art. 29 angewachsen. Eine darüber hinausgehende Regelung in Bezug auf Religionsgemeinschaften ist nicht vorhanden313. Verträge, die dieses Manko ausfüllen könnten, sind nicht vorhanden. Die weit fortgeschrittenen Vertragsverhandlungen des Senats von Berlin mit der Evangelischen und der Katholischen Kirche waren bis zum Ende der Großen Koalition wegen der vom Bundesverfassungsgericht bis dahin noch nicht geklärten Frage des Religionsunterrichts in Brandenburg zurückgestellt worden314. Eine temporäre Besonderheit der zu der Zeit noch geteilten Stadt bildete die Verfassung von Berlin vom 23. Juli 1990315. Sie galt für fast sechs Monate in OstBerlin. Die im Mai 1990 im Rahmen der Kommunalwahlen in der DDR gewählte Stadtverordnetenversammlung hatte sofort eine Verfassung ausgearbeitet, um sich und den übrigen Handlungsorganen bis zur Vereinigung mit West-Berlin eine selbständige Rechts- und Handlungsgrundlage zu schaffen316. Eine Bezugnahme auf „Gott“ in der Präambel fehlte schon deshalb, weil man den Text der Verfassung von 1948 und von West-Berlin übernehmen wollte317. In Art. 14 finden sich neben einer umfassenden Garantie der Religionsfreiheit in Abs. 1 auch einige Vorschriften für die Beziehung des Staates zu den Religionsgemeinschaften. Hier finden sich die von Art. 140 GG in das Grundgesetz übernommenen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung in teils eigener, teils übernommener Formulierung wie311 Vgl. den Aufrauf von C. Pestalozza zur Enthaltung in der Volksabstimmung über dieses „Flickwerk“: „Ich kenne keine mißlungenere deutsche Verfassung“, ders., Die überarbeitete Verfassung von Berlin, LKV 1995, S. 353. 312 Vgl. die Schilderung der Abstimmung bei R. Will, Die neue Berliner Verfassung, Neue Justiz 1995, S. 626. 313 Vgl. K.-J. Stöhr, Kommentierung von Artikel 6 – 37, in Pfennig / Neumann (Hrsg.), Verfassung von Berlin. Kommentar, 2000, Art. 29, Rz. 3 f. 314 Der Verfasser war im Jahr 1999 in seiner Eigenschaft als Referendar in der Abteilung Kirchen und Religionsgemeinschaften der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft und Kultur mit der Erstellung des Protokolls der Staatsvertragsverhandlungen mit der Katholischen Kirche betraut. 315 Gesetz, Verordnungs- und Amtsblatt vom 25. Juli 1990, hrsgg. vom Magistrat von Berlin, S. 1 bis 11. Auch abgedruckt in M. Finkelnburg, Die Ostberliner Verfassung vom 23. Juli 1990, 1997, S. 193 – 203. 316 Vgl. M. Finkelnburg, a. a. O., S. 23. 317 A. a. O., S. 94.

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der318. Das Verbot der Staatskirche ist beispielsweise moderner gefasst: „Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vom Staat getrennt“ (Art. 14 Abs. 3, Satz 1). Damit waren die Religionsgemeinschaften ausgerechnet im Ostteil der Stadt für fast sechs Monate in einer rechtlich bevorzugten Lage gegenüber dem Westteil. Eine Erklärung dieser Situation vermag nur die Entstehungsgeschichte der Verfassung von Ost-Berlin zu geben. Die Regelungen in Art. 14 Abs. 4 bis 7 waren in keinem Vor-Entwurf zur Verfassung enthalten. Das Abgeordnetenhaus leitete nach der Ersten Lesung den Verfassungsentwurf an den EinheitsausschussOst weiter. Erst dieser fügte die genannten Absätze auf Vorschlag von Vertretern der Evangelischen und der Katholischen Kirche ein319. Die Verfassung und damit auch das ihn ihr enthaltene Religionsverfassungsrecht verloren ihre Gültigkeit mit der Übernahme der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 durch das Gesamtberliner Abgeordnetenhaus in seiner konstituierenden Sitzung am 11. Januar 1991.

4. Bremen Die Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen von 1947 erfuhrt bis 1994 nur geringfügige Änderungen320. Der im Dezember 1991 eingesetzte Ausschuss „Reform der Landesverfassung“ beschränkte sich entgegen seines umfassenden Auftrags auf den dritten Hauptteil der Verfassung „Aufbau und Aufgaben des Staates“321. Die 1994 beschlossene erste umfangreiche Verfassungsänderung befasste sich denn auch nur mit Veränderungen in diesem Teil. Nach einer punktuellen Änderung im Jahr 1996 wurden 1997 Konkretisierungen im Bereich der Grundrechte und Staatsziele vorgenommen. Auch in Bremen wurde einerseits nicht in die Religionsverfassung eingegriffen, andererseits eine allgemeine Klausel der Förderung des kulturellen Lebens eingebracht322. Damit blieb die Regelung der Religionsfreiheit in Art. 4 Satz 1 und 2, die inhaltlich Art. 4 Abs. 1 und 2 GG entspricht323, ebenso erhalten wie zum großen Teil mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Regelungen im 4. Abschnitt des 2. Hauptteils324. Drei weitere Änderungen bis zum Jahr 2000 lagen im Bereich der Staatsorganisation.

A. a. O., S. 124 f. A. a. O., S. 125. 320 Dies hebt im Vergleich zum Grundgesetz lobend hervor P. Häberle, Die Zukunft der Landesverfassung der Freien und Hansestadt Bremen, in: Bremische Bürgerschaft (Hrsg.), 50 Jahre Landesverfassung, 1997, S. 26 f. 321 M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der Länder, 1994, S. 14. 322 Art. 11 Abs. 3 der Verfassung. 323 Vgl. H. Neumann, Die Verfassung der Freien Hansestadt Bremen. Kommentar, 1996, Art. 4, Rz. 3. 324 Vgl. die Kommentierung von Art. 59 bis 63 von H. Neumann, a. a. O. 318 319

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Bemerkenswert ist vor allem, dass die Regelung in Art. 32 der Verfassung nicht geändert wurde, die den Anlass gab für die bekannte „Bremer Klausel“ des Grundgesetzes (Art. 142). Anstelle eines Religionsunterrichts wird ein Unterricht in „Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage“ abgehalten. Es könnte in naher Zukunft ein gerichtlicher Konfliktfall auftreten, wenn ein Moslem die Berücksichtigung des Korans einforderte. Zum Fach Biblischer Geschichtsunterricht gibt es lediglich eine einfachgesetzliche Veränderung zu bemerken. Das Fach Philosophie wurde als Pflichtalternative im Falle einer Berufung von Schülern auf ihre Religionsmündigkeit festgelegt325. 5. Hamburg Drei von den insgesamt lediglich acht Änderungen der Verfassung der Freien und Hansestadt Hamburg von 1952 stammen aus dem Jahr 1996. Sie wurden durch eine von der Bürgerschaft eingesetzte Enquete-Kommission „Parlamentsreform“ im Jahr 1992 vorbereitet326. Damit ist auch das verfolgte Reformziel genannt. Anlass war der sogenannte Hamburger Diätenskandal327. Weitergehende Reformen fanden nicht statt, auch aus Furcht vor dem Scheitern einer tiefer angelegten Veränderung328. Damit ist die Hamburger Verfassung bis heute ein Organisationsstatut, welches nur punktuell politische Grundrechte enthält329. U. Karpen kann im Jahr 1998 zu Recht feststellen: „Staatskirchenrechtliches enthält die Verfassung nicht.“330 Demnach kann auch keine Veränderung von Religionsverfassungsrecht im Berichtszeitraum vorliegen. Als Randbemerkung sei noch auf das von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche angesichts der besonderen religionssoziologischen Situation in Hamburg initiierte Verfahren des „Religionsunterrichts für alle in evangelischer Verantwortung“ hingewiesen. Die staatliche Seite hat dieses verfassungsrechtlich schwer zu fassende Modell nicht nur akzeptiert, sondern ausdrücklich gewünscht und gefördert331. 325 Zur Vergleichbarkeit mit dem Fach Ethik H. Maier, Kurze Geschichte des Schulfachs Ethik, in FS Hollerbach, 2001, S. 743 f. 326 P. Unruh, Zum Stand der Verfassungsreform in Hamburg, DÖV 1995, S. 267 ff.; W. Stiebeler, Gedanken zur Hamburger Verfassungsreform von 1996, 1998, S. 544 f. 327 Dazu P. Unruh, a. a. O., S. 266. 328 W. Stiebeler, a. a. O., S. 546. 329 Zur Entstehungsgeschichte vgl. K. David, Verfassung Hamburg. Kommentar, 1994, Vorbemerkungen, Rz. 10 ff. Pestalozza bewertet diese Regelungen offenbar anders und sieht einen völligen Verzicht auf Grundrechte, vgl. C. Pestalozza, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Verfassungen der deutschen Bundesländer, 2001, Rz. 103. 330 U. Karpen, Verfassungsrecht, in: Hoffmann-Riem / Koch (Hrsg.), Hamburgisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1998, S. 24. 331 Vgl. das Rechtsgutachten von C. Link, Konfessioneller Religionsunterricht in einer gewandelten sozialen Wirklichkeit? Zur Verfassungskonformität des Hamburger Religionsunterrichts „für alle“, ZevKR 46 (2001), S. 259.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

6. Hessen Die Verfassung des Landes Hessen von 1946 zeichnet sich bis heute durch „Ruhe und Stabilität“ aus, wie es ein Gratulant zu ihrem fünfzigsten Geburtstag äußerte332. In nur vier Änderungsgesetzen wurden bis zum Jahr 2000 lediglich sieben Artikel geändert. Nur eine einzige Änderung bezieht sich nicht auf die Staatsorganisation. Mit Art. 26a wurde im Jahr 1991 das Staatsziel Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen. Das Verhältnis des Landes zu den Religionsgemeinschaften wurde 1946 in einem eigenen Abschnitt „Kirchen. Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften“ (Art. 48 bis 54) umfassend geregelt, wobei sich gegenüber dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung eine besondere Betonung der staatlichen Neutralität feststellen lässt333. Beispielhaft ist die Regelung in Art. 50 Abs. 2 der Verfassung, wonach sich sowohl die Religionsgemeinschaften als auch der Staat „jeder Einmischung in die Angelegenheiten des anderen Teils zu enthalten“ haben334. Wie bereits angedeutet, standen diese Vorschriften jedoch nie in Frage. Die Regelungen sind nicht einmal Gegenstand der von K. Lange und A. T. Jobs im Jahr 1997 geforderten Verfassungsreform. Diese Autoren nennen einige Änderungsvorschläge, beziehen die Sache Religion jedoch darin nicht ein335. In seiner Gesamtschau auf „50 Jahre Staat und Kirche in Hessen“ schildert H. Engelhardt unter anderem spektakuläre Einzelfälle von Meinungsverschiedenheiten336. So konnte der seit 1982 schwelende Streit zwischen der Katholischen Kirche und dem Land Hessen um die Einrichtung eines Diplomstudiengangs „Katholische Theologie“ an der Goethe-Universität in Frankfurt erst nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Jahr 1996 beigelegt werden337. Im Ganzen gesehen ist das Verhältnis von Staat und Kirchen nach Engelhardt jedoch ein gutes. Textliche Reformen werden von Engelhardt nicht angeregt. Es gelte nur, die Auslegung von Art. 50 Abs. 2 der Verfassung dem historischen Willen des Verfassunggebers anzupassen338. Dagegen nutzt M. Stolleis im Jahr 2000 „das Staatskirchenrecht“ als Hauptbeispiel zur Begründung der von ihm geforderten Verfassungsrevision339. Noch in der VorJ. Rückert, 50 Jahre Hessische Verfassung, KritV (1996). F. v. Zezschwitz, Die Hessische Verfassung zischen Weimarer Reichsverfassung und Grundgesetz, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 81 f. 334 Vgl. K. R. Hinkel, Verfassung des Landes Hessen. Kommentar, 1999, Art. 50 und allgemein, Art. 48, 2. 335 K. Lange / A. T. Jobs, Brauchen wir eine Verfassungsreform? Vom Beruf unserer Zeit zur Landesverfassungsgesetzgebung, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 459 – 475. 336 H. Engelhardt, 50 Jahre Staat und Kirche in Hessen, in: Eichel / Möller (Hrsg.), 50 Jahre Hessen, 1997, S. 211 ff. 337 Siehe dazu M. Morlok / M. H. Müller, Keine Theologie ohne die Kirche / keine Theologie gegen die Kirche, JZ 1997. 338 H. Engelhardt, a. a. O., S. 210. 332 333

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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auflage des „Hessischen Staats- und Verwaltungsrechts“ von 1986 hatte Stolleis in einem eigenen Kapitel diese Rechtsmaterie behandelt und dort keine besonderen Reformnöte aufgezeigt340. Dieses Kapitel konnte wegen der nicht erfolgten Veränderung der zugrundeliegenden Vorschriften in der Neuauflage im Jahr 2000 weggelassen werden. Stolleis steuert nunmehr nur noch ein Kapitel zur Entstehung des Landes und seiner Verfassung bei341. An dessen Ende findet sich der genannte Hinweis auf notwendige Reformen342. Die Umsetzung des „klassischen, an den herkömmlichen ,Volkskirchen‘ entwickelten Normbestandes“ bereite bereits im Hinblick auf die tiefgreifende Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit Schwierigkeiten. Beispielhaft führt er den Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen im Rundfunkrecht, Schulrecht und Sozialwesen an. Konkrete Änderungsvorschläge unterbreitet Stolleis jedoch nicht.

7. Niedersachsen Die Vorläufige Niedersächsische Verfassung von 1951 regelte ihrem Titel gemäß ihr Außerkrafttreten „ein Jahr nach Ablauf des Tages [ . . . ], an dem das Deutsche Volk in freier Entscheidung eine Verfassung beschließt“343. Durch den Beitritt der neuen Bundesländer nach Art. 23 a. F. GG wurde die ursprünglich festgelegte Vorgehensweise nach Art. 146 GG umgangen344. Damit entfiel auch die „Selbstauflösung“ der Vorläufigen Verfassung. Dennoch setzte der Landtag unmittelbar nach der Wiedervereinigung eine Verfassungsrevision mit dem Ziel einer endgültigen Verfassung in Gang345. Im Jahr 1993 kam es zur „ersten Neuregelung in den Alt-Bundesländern nach dem Beitritt der fünf östlichen Bundesländer“346. Die Zustimmung fast des gesamten Landtags ist nur mit einer Beschränkung auf organisationsrechtliche Kernfragen zu erklären347, die in der Tradition der vorläu339 M. Stolleis, Die Entstehung des Landes Hessen und seiner Verfassung, in: Meyer / Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 2000, S. 33 f. 340 Vgl. M. Stolleis, Staatskirchenrecht, in: Meyer / Stolleis (Hrsg.), Hessisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, S. 460 – 463 und 476 f. 341 M. Stolleis, Die Entstehung des Landes Hessen und seiner Verfassung, in: Meyer / Stolleis (Hrsg.), Staats- und Verwaltungsrecht für Hessen, 2000. 342 A. a. O., S. 33 f. 343 Art. 61 Abs. 2. 344 „Eine längst vergessene Regelung“ nannte Art. 23 GG E. Blanke, Niedersächsische Verfassung 1993, in: FS Remmers, 1995, S. 115. Häberle schlug eine echte „Paketlösung“ vor, vgl. P. Häberle, Verfassungspolitik für die Freiheit und Einheit Deutschlands (1990), in ders., Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 725 ff. 345 Das Verfahren schildert im Überblick C. Starck, Die neue Niedersächsische Verfassung von 1993, NdsVBl. 1994, S. 2 f. 346 So der Untertitel von E. Blanke, a. a. O. 347 Befürwortet von E. Blanke, a. a. O., S. 126. Die Regelungen sind im Überblick erläutert bei C. Starck, a. a. O., S. 3 ff.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

figen Verfassung lag. Aufgenommen wurde eine Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes in Art. 3 Abs. 2 der Verfassung348. Die pauschale Verweisung ohne die Möglichkeit für den Bürger, sich unmittelbar über die einzelnen Grundsätze zu informieren, verdient Kritik349. In Bezug auf die Sache Religion ist aber festzustellen, dass sich das Land uneingeschränkt mit den Vorentscheidungen des Grundgesetzes identifiziert. Es besteht nunmehr die Möglichkeit einer Normenkontrolle350. Nicht unbemerkt bleiben soll hier die wortgetreue Übernahme einer Vorschrift in Bezug auf überkommene Einrichtungen der ehemaligen Länder351. Zu diesen gehört auch die Klosterkammer Hannover352. Damit ist auch nach der Verfassungsrevision ein Stück Kirche unter staatlicher Rechtsaufsicht abgesichert353. Neben der Inkorporation der Grundrechte des Grundgesetzes regelt der nicht organisationsrechtliche Teil noch knapp die sich aus der Kulturhoheit der Länder ergebenden Aufgaben in Art. 4 bis 6 der Verfassung354. Hieran knüpft die zweite und bisher letzte Änderung der Verfassung von 1995 an. Zusätzlich zu einer punktuellen Änderung im Bereich der Kommunalverfassung wurden hier neben der Erwähnung des Sports auch andere Staatsziele eingefügt (Arbeit, Wohnen und Tierschutz). Der dritte Bestandteil der zweiten Änderung bringt auch erstmals das Stichwort „Glauben“ in den Verfassungstext durch Aufnahme einer Klausel mit speziellen Diskriminierungsverboten in Art. 3 Abs. 3. Spektakulär und auch mit direktem Bezug zur Sache Religion ist jedoch die erste Änderung der Verfassung bereits aus dem Jahr 1994. Als einziger der drei Verfassungsentwürfe der im Parlament vertretenen Parteien enthielt der von SPD und Grünen eine Präambel. Diese referierte ausführlich über die Geschichte und Grundlagen des Staates355. Der Sonderausschuss „Niedersächsische Verfassung“ sah einen knappen Text vor, der auf die Geschichte Niedersachsens und die Menschenrechte verwies356. Erst nach der ersten Parlamentsberatung Anfang 1993 stellte die CDU-Fraktion den Antrag, als drittes Element eine Klausel des Bewusst348 Als Folge sind nach wie vor bei der Beantwortung von religionsverfassungsrechtlichen Fragen allein die Vorschriften des Grundgesetzes maßgeblich. Dies zeigt sich beispielsweise in Bezug auf den Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften, vgl. D. Radtke, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften mit dem Status einer Körperschaft in Niedersachsen, NdsVBl. 1999, S. 32 f. (Rechtsgrundlagen). 349 Vgl. H. Neumann, Die Niedersächsische Verfassung. Handkommentar, 2000, Art. 3, Rz. 4. 350 A. a. O., Art. 3, Rz. 5. 351 Vgl. Art. 72 Abs. 2 der Verfassung, ehemals Art. 56 Abs. 2. 352 H. Neumann, a. a. O., Art. 73, Rz. 7. 353 Zu dieser Konstruktion vgl. A. v. Campenhausen, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Der Allgemeine Hannoversche Klosterfonds, 1999, S. 7 f. 354 Zur „zentralen Rolle im System der Kulturverfassung des Grundgesetzes“ vgl. L. Hagebölling, Niedersächsische Verfassung. Kommentar, 1996, Art. 6, 1. 355 Verfassungsentwurf der Fraktionen der SPD und der Grünen. Dieser ist mit den anderen zwei Entwürfen in einer Konkordanz abgedruck: Drs. 12 / 3350, S. 2. 356 Drs. 12 / 4650.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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seins der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ aufzunehmen357. Der Landtag entspreche damit einem Wunsch der Kirchen und trage dem Umstand Rechnung, dass immerhin 90 Prozent der Bevölkerung des Landes den Kirchen angehörten358. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt, die Verfassung als Kompromiss ohne eine Präambel verabschiedet. Daraufhin kam eine von christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften getragene Volksinitiative zur Novellierung der Verfassung in Gang359. Noch vor Durchführung des an die Initiative anschließenden Volksbegehrens kam es zur Änderung der Verfassung durch den Landtag selbst, der eine Präambel im Sinne des Vorschlags der CDU aufnahm360. Für Veränderungen, die im Berichtszeitraum außerhalb der Verfassung stattgefunden haben, seien hier drei Beispiele erwähnt: – Anstelle einer Ablösung von Staatsleistungen hatte das Land Niedersachsen in den Jahren 1994 / 95 in Gesprächen mit der Katholischen und der Evangelischen Kirche im Hinblick auf die geschlossenen Verträge deren Einverständnis in Bezug auf eine Verringerung oder ein Einfrieren der Staatsleistungen gesucht361. Die Kirchen verweigerten diese Maßnahmen mit Hinweis auf die geltende Rechtslage und die sich verschlechternde Entwicklung bei ihren eigenen Einnahmen362. – Auch in Niedersachsen stellt sich vermehrt die Frage des Umgangs mit Kopftuch und Schleiern in der Schule. Dazu bedarf es einer Änderung des niedersächsischen Schulgesetzes im Hinblick auf eine Einschränkung der Religionsfreiheit des Art. 4 GG363. Derartige Konkretisierungen der religionsverfassungsrechtlichen Vorgaben werden mit zunehmender Vielfalt im religiösen Leben in verschiedenen Bereichen notwendig. – Schließlich ist ein Fall an der Universität Göttingen zu nennen, wo ein evangelischer Theologe auch nach einer eindeutigen und öffentlichen Lossagung von der Kirche mit Billigung des niedersächsischen Wissenschaftsministeriums in einer Evangelisch-Theologischen Fakultät verbleiben konnte364. Damit ist die Problematik der Konfessionalität von Theologischen Fakultäten angesprochen, welche ebenso in Bezug auf andere Religionen wie auch auf ein Absinken des Bedarfs der Evangelischen wie der Katholischen Kirche relevant wird.

C. Starck, a. a. O., S. 9. Vgl. auch zum Folgenden den Bericht des Sonderausschusses „Niedersächsische Verfassung“, Drs. 12 / 5840, S. 2 f. 359 Zum Verlauf der Initiative vgl. die Beiträge im Sammelband GidV (1995). 360 C. Starck, ebd. 361 So D. Radtke, Zum Niedersächsischen Konkordat, NdsVBl. 1997, S. 56. 362 Ebd. 363 E. G. Mahrenholz, Darf die Schulverwaltung einer Schülerin das Tragen eines Schleiers in der Schule verbieten? RdJB 1998, S. 299 f. 364 Sollte (2001), S. 791 f., Fn. 2. 357 358

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

8. Nordrhein-Westfalen In einem Aufsatz aus dem Jahr 1991 kommt M. Winkelmann zu dem Schluss, dass sich die religionsrechtlichen Bestimmungen der nordrhein-westfälischen Landesverfassung zur Übernahme durch die neuen Bundesländer anböten365. Es seien nämlich gelungene Auslegungen und Konkretisierungen der Vorgaben des Grundgesetzes gefunden worden. Tatsächlich gehört die Verfassung von Nordrhein-Westfalen von 1950 zu den zwei Verfassungen, die nach Erlass des Grundgesetzes entstanden sind und trotzdem eine umfangreiche Regelung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften vorgenommen haben. Im Gegensatz jedoch zur Regelung der Materie in einem eigenen Abschnitt wie zum Beispiel in der Verfassung von BadenWürttemberg (Religion und Religionsgemeinschaften: Art. 4 bis 10) findet sich in Nordrhein-Westfalen ein umfassender Abschnitt „Schule, Kunst und Wissenschaft, Sport, Religion und Religionsgemeinschaften“. Dieser „gemischte Kulturteil“ ist eine Besonderheit im deutschen Landesverfassungsrecht. Ohne Beachtung der klassischen Einteilung von Grundrechten und Staatsorganisation wird die „Kulturverfassung“ unter der Prämisse des kulturellen Trägerpluralismus zusammengefasst366. Der Sport hat darin erst im Jahr 1992 durch Anfügung eines dritten Absatzes zu Art. 18 Eingang in den Verfassungstext gefunden. Die Neufassung dieses Artikels stellt die einzige Änderung der Verfassung in den Neunziger Jahren dar. Folglich blieb das Religionsverfassungsrecht unverändert. Dessen Besonderheit liegt in der selbständigen Regelung einzelner Themenkomplexe unter Prämisse, dass, anders als in Baden-Württemberg, nur „im übrigen“ die Regelungen des Grundgesetzes inkorporiert werden367. Die selbständigen Regelungen gehen konsequent im Detail über die Gewährleistungen des Grundgesetzes hinaus368. Freilich fehlt in Nordrhein-Westfalen bis heute abgesehen von den Kommunen369 die Möglichkeit zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde. Damit werden die Auswirkungen der doppelten Geltung von Grundrechten beschränkt370.

365 M. Winkelmann, Das Verhältnis der religionsrechtlichen Bestimmungen der nordrheinwestfälischen Landesverfassung zu den Regelungen des Grundgesetzes, DVBl. 1991, S. 798. 366 Mit Bezugnahme auf Häberles Ansatz von 1982 J.-D. Kühne, Kommentierung des Dritten Abschnitts, in: Geller-Kleinrahm, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 1994, Vorbem. Dritter Abschnitt, 1. a) und b), bb). Gegen die Bezeichnung als Kulturverfassung wendet sich ausdrücklich R. Grawert, Verfassung Nordrhein-Westfalen. Kommentar, 1998, Vorbem. Dritter Abschnitt. 367 Vgl. C. Dästner, Verfassung Nordrhein-Westfalen. Kommentar, 1996, Art. 22, Rz. 2 ff. 368 Vgl. die Auflistung bei K. Schlaich, Staatskirchenrecht, in: Grimm / Papier (Hrsg.), Nordrhein-Westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht, 1986, S. 710 f. und die Bewertung bei J.-D. Kühne, 45 Jahre Landesverfassung Nordrhein-Westfalen, NWVBl. 1996, S. 328. 369 Art. 75 Nr. 4 der Verfassung. 370 Dies räumt auch M. Winkelmann ein, a. a. O., S. 798.

B. Veränderungen im Recht der deutschen Bundesländer

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9. Rheinland-Pfalz Mit 34 Änderungen der Verfassung von 1947 hält Rheinland-Pfalz den Rekord unter den Landesverfassungen371. Diese betrafen jedoch nicht die Grundsubstanz, sondern waren vielmehr Bereinigungen von Verstößen gegen das Grundgesetz372 und punktuelle Nachbesserungen und Korrekturen von gefundenen Kompromissen373. Man kann in Rheinland-Pfalz insofern von einem Prinzip der „pragmatischen Anpassung“ sprechen374. Dieses wurde auch im Rahmen der Verfassungsreform beachtet, die wie in den meisten anderen westlichen Bundesländern auch dort in den Neunziger Jahren zustande gekommen ist375. Es dauerte jedoch in Rheinland-Pfalz bis zum Jahr 2000, bis nach mehreren Reformansätzen eine umfangreichere Änderung vorgenommen werden konnte376. Diese enthält den Reformen anderer Verfassungen entsprechende Änderungen im Bereich von Organisation und Grundrechten, insbesondere Staatszielen wie der Kulturförderung377. Eine textliche Veränderung des im 4. Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ geregelten Religionsverfassungsrechts ist weder beantragt378 noch vorgenommen worden. Einzige Ausnahme stellt die Richtigstellung eines Redaktionsversehens in Art. 44 dar, wo anstelle von „ihre Einrichtungen“ nunmehr von „ihren Einrichtungen“ die Rede ist379. In anderen Teilen der Verfassung wurde in Bezug auf das Thema Religion lediglich die Religionsmündigkeit an ohnehin einschlägige bundesrechtliche Vorgaben angepasst380. Außerhalb der Verfassung lässt sich gar eine Verbesserung der Stellung der Religionsgemeinschaften ausmachen. Die einfachgesetzlich erfolgte Einführung einer Verfassungsbeschwerde als Instrument der Grundrechtsverwirklichung stärkt den Schutz bei Inanspruchnahme der Religionsfreiheit381. 371 Vgl. die Aufzählung aller Änderungen von noch gültigen Länderverfassungen bei C. Pestalozza, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Verfassungen der deutschen Bundesländer, 2001, Rz. 33. 372 Vgl. den Ansatz der auch sogenannten Bereinigungskommission S. Jutzi, Bereinigung der Verfassung Rheinland-Pfalz, DÖV 1988. 373 So M. Schröder, Fünfzig Jahre Verfassungsentwicklung in Rheinland-Pfalz, DÖV 1997, S. 314. 374 C. Gusy / A. Müller, Die verfassungsrechtliche Entwicklung in Rheinland-Pfalz, JöR 45 (1997), S. 515. 375 M. Schröder, a. a. O., S. 315 f. 376 F. Edinger, Einführung. Die Reform der Verfassung für Rheinland-Pfalz, in: Der Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Verfassungsreform, 2000, S. 9 ff. 377 Neufassung von Art. 40 Abs. 1 der Verfassung. Vgl. insgesamt den Überblick von S. Jutzi, Verfassungsreform in Rheinland-Pfalz, NJW 2000, S. 1295 f. und 1296 f. 378 Vgl. den Änderungsantrag von Bündnis 90 / Die Grünen, Drucksache 13 / 5439, zum Gesetzentwurf von SPD, CDU und FDP, Drucksache 13 / 5066. 379 Vgl. G. Robbers, Kommentierung des IV. Abschnitts, in: Grimm / Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz. Kommentar, 2001, Art. 44, Entstehungsgeschichte. 380 Vgl. dazu die Ausführungen bei: 10. Saarland.

14 Kupke

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Die christlich geprägte kulturelle Tradition in Rheinland-Pfalz mit der darauf aufbauenden partnerschaftlichen Zusammenarbeit von Staat und Kirchen382 wird von staatlicher Seite nicht in Frage gestellt383. Allerdings fordert Ministerpräsident K. Beck im Jahr 1998, auf den gesellschaftlichen Wandel und die veränderten politischen Dimensionen einzugehen, was aber Aufgabe der Kirchen selbst sei384. Man könnte lediglich von einem Bedeutungswandel der Vorschriften durch Erfahrungen, neue Bedürfnisse und veränderte Umstände sprechen385. 10. Saarland Mit keiner der 21 Änderungen der Verfassung des Saarlands von 1947 wurde der 4. Abschnitt „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ angetastet386. Die vier in den Neunziger Jahren erfolgten Veränderungen griffen nur punktuell in den Text ein387. Eine Ausnahme ist die den bisher geschilderten Reformen ähnliche, aber im Umfang geringere Änderung von 1999. Von besonderem Interesse ist hier die zwanzigste Änderung von 1996. Hier wurde Art. 29 Abs. 1 geändert, der den Religionsunterricht zum ordentlichen Lehrfach erklärt. Der Text von Satz 1 wurde aber lediglich vereinfacht, da aus der Aufzählung von „öffentlichen Grund- und Hauptschulen (Volksschulen), Sonderschulen, Berufsschulen, Realschulen und Gymnasien“ nunmehr die „öffentlichen Schulen“ wurden. Nicht einmal die umstrittene und wohl verfassungswidrige Vorschrift in Abs. 2, Satz 3 wurde angetastet, nach der Jugendliche erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres die Teilnahme am Religionsunterricht selbständig ablehnen können388. 11. Schleswig-Holstein Auch in Schleswig-Holstein war wie in Hamburg ein Skandal, die Barschel-Affäre von 1997, äußerer Anlass für die Einsetzung einer Enquete-Kommission, die 381 Zur Verfassungsbeschwerde in Rheinland-Pfalz siehe C. Gusy / A. Müller, Die verfassungsrechtliche Ent-wicklung in Rheinland-Pfalz, JöR 45 (1997), S. 518. 382 Zum Hochschulbereich siehe I. Riedel-Spangenberger, Universität und Staatskirchenrecht, in: Nacke (Hrsg.), Kirche in Staat und Gesellschaft, Mainz 1998. 383 K. Beck, Staat und Kirche in Rheinland-Pfalz, in: Nacke (Hrsg.), Kirche in Staat und Gesellschaft, 1998, S. 125. 384 A. a. O., S. 130. 385 G. Robbers, Kommentierung des IV. Abschnitts, in: Grimm / Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz. Kommentar, 2001, Art. 42, Rz. 46. 386 Vgl. Verfassungen der deutschen Bundesländer, 7. Auflage, München 2001, S. 438 f. 387 Vgl. M. Niedobitek, Neuere Entwicklungen im Verfassungsrecht der Länder, 1994, S. 22. 388 Vgl. die aufgrund von Art. 137 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats vergleichbare Situation in Bayern, dazu: H. Böttcher, Das Verhältnis von Kirche und Staat, in: Grethlein / Böttcher / Hofmann u. a. (Hrsg.), Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, 1994, S. 145 ff.

C. Veränderungen im Europarecht

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aber hier umfassend mit der„Verfassungs- und Parlamentsreform“ betraut war389. Die Notwendigkeit zur Verfassungsreform lag bereits in dem vorläufigen Charakter begründet, den die Landessatzung für Schleswig-Holstein im Jahr 1950 erhalten hatte. Die Beschränkung auf ein Organisationsstatut wurde aber ebenso beibehalten wie einige andere ältere Regelungen. Redaktionell und sprachlich erschien jedoch die gesamte Verfassung in neuem Gewand und Titel390. Damit geriet Schleswig-Holstein zum Vorreiter der Verfassungsreform der Bundesländer in Fragen einer effektiven Durchsetzung des Demokratieprinzips in den Neunziger Jahren391. Das Stichwort „Religion“ sucht man jedoch vergebens. Die einzige Vorschrift, in der das „Bekenntnis“ genannt ist, handelt von der obligatorischen Gemeinschaftsschule392. Diese Regelung hat heutzutage ihren befriedenden Sinn verloren und hätte ohne weiteres gestrichen werden können. Als Reform im Bereich der kulturellen Grundrechte und Staatsziele ist lediglich eine Präzisierung der (in den alten Bundesländern danach beinahe obligatorischen) Kulturförderungsklausel in Art. 9 zu nennen393. Damit verzichtet Schleswig-Holstein fast ganz auf Grundrechte und bildet zusammen mit dem Totalverzicht Hamburgs die Ausnahme im Vergleich zu den anderen Bundesländern394. Ganz allein steht Schleswig-Holstein durch den Verzicht auf eine eigenständige Verfassungsgerichtsbarkeit da395.

C. Veränderungen im Europarecht Die nationalen Rechtsordnungen bilden mit ihren Verfassungen nicht mehr die nach dem klassischen Völkerrecht absolut souveränen Rechtssysteme. Vor allem in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts sind weltweit zunehmend völkervertragliche Bindungen entstanden, deren Geltung mehr oder weniger Einfluss auf die einzelstaatlichen Regelungen hat.

389 S. Rohn, Verfassungsreform in Schleswig-Holstein, NJW 1990, S. 2783. Die Affäre begünstigte offenbar das Reformwerk durch eine Bündelung des politischen Willens, so G. Börnsen, Die Verfassungs- und Parlamentsreform in Schleswig-Holstein, RuP 27 (1991), S. 77. 390 Vgl. die Schilderung der Einzelheiten bei S. Rohn, a. a. O., S. 2784 ff. 391 Die zurückhaltendere Vorhersage von G. Börnsen erfüllte sich, vgl. ders., a. a. O., S. 69. 392 Art. 8 Abs. 3, der abgesehen von der Erwähnung beider Geschlechter unverändert die Regelung in Art. 6 Abs. 3 der Landessatzung wiedergibt. Zum „christlichen Grundcharakter“ der Gemeinschaftsschulen vgl. A. v. Mutius, Kommentierung von Art. 8, in: ders. / Wuttke / Hübner (Hrsg.), Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Rz. 16. 393 Ehemals Art. 7 der Landessatzung. 394 C. Pestalozza, Einführung, in: ders. (Hrsg.), Verfassungen der deutschen Bundesländer, 2001, Rz. 103. 395 A. a. O., Rz. 183.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

In Europa hat sich zusätzlich eine lokal eigenständige Materie entwickelt, das Europarecht. Im weiteren Sinne gedacht, sieht dieses zwar keine Übertragung von Hoheitsrechten vor. Jedoch leistet z. B. der Europarat vor allem durch das gesamteuropäische Grundrechtsschutzsystem der EMRK auch rechtsvereinheitlichenden Tendenzen Vorschub396. Weitaus einschneidender sind Maßnahmen des vom Bundesverfassungsgericht sogenannten „Verfassungsverbundes“397 der Europäischen Union im Recht der Europäischen Gemeinschaften. Seit den neuesten Integrationsschritten handelt es sich nach Häberle bei den Verfassungen der EU-Staaten „thematisch und funktionell nur noch um Teil- bzw. Partialverfassungen im Verbund mit den übrigen Teilverfassungen Europas“398. Dem hat heutzutage jede juristische Untersuchung Rechnung zu tragen399. Die vorliegende Arbeit beschließt die Bestandsaufnahme daher mit einer Erörterung derjenigen Veränderungen im Europarecht, die Auswirkungen auf das deutsche Religionsverfassungsrecht haben oder haben können. Denn allein die Möglichkeit der Einflussnahme „von außen“ wäre bereits eine Veränderung des Religionsverfassungsrechts eines zuvor unbeschränkt souveränen Staates. Im Rahmen dieser Arbeit sind jedoch lediglich diejenigen Veränderungen im Europarecht zu erörtern, die geeignet erscheinen, auf das deutsche Religionsverfassungsrecht Einfluss zu nehmen. Von daher wird hier auch auf eine Darstellung außereuropäischer Menschenrechtspakte verzichtet400. In seiner als „Pionierleistung“401 gewürdigten Arbeit über den Einfluss des Europarechts auf das Staatskirchenrecht aus dem Jahr 1990 sieht Hollerbach das Wesentliche nicht in Europa an sich (z. B. der KSZE) und im Europa des Europarats402. Dies seien wichtige Einrichtungen, aber dank der weitreichenden Schutzregeln und Privilegien für Religionsgemeinschaften in Deutschland liege hier kein entscheidendes Problemfeld R. Streinz, Europarecht, 2001, Rn. 57 a und d, jeweils m. w. N. So im Maastricht-Urteil: BVerfGE 89, 155 ff., 181 ff., 185. 398 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 220 ff. 399 Vgl. den Dank an den Vorstand der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Bezug auf die Berücksichtigung von Rechtsvergleichung und internationaler Dimension des Themas Staat und Religion von E.-W. Böckenförde, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 315. 400 Vgl. dazu die Ausführungen von J. A. Frowein, Religionsfreiheit und internationaler Menschenrechtsschutz, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001. 401 So C. Link, „LER“, Religionsunterricht und das deutsche Staatskirchenrecht, in: FS Hollerbach, 2001, S. 748, Fn. 2. Häberle spricht bereits im Jahr 1996 von Hollerbach „als Pionier des Themas ,Europa und das Staatskirchenrecht‘“ und von dieser Arbeit als „disziplin- und themenbegründendem ,Startschuß‘“, P. Häberle, Alexander Hollerbach – 65 Jahre, KuR 1996, S. 118 = 980, S. 44. 402 A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 260. Zur möglichen Einflussnahme der beiden hier nicht behandelten Ebenen auf das deutsche Religionsverfassungsrecht siehe a. a. O., S. 256 ff. und bei J. A. Frowein, Religionsfreiheit und internationaler Menschenrechtsschutz, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 78 ff. 396 397

C. Veränderungen im Europarecht

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für das „Staatskirchenrecht“. Anders stände es hingegen mit dem sich zu einer umfassenderen Rechtsmaterie entwickelnden Recht der Europäischen Gemeinschaften. Dem folgend beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf den Einfluss des Europarechts im engeren Sinne auf das deutsche Religionsverfassungsrecht. Hier soll die Reichweite der Auswirkungen und Grenzen des Rechts der Europäischen Union bzw. der Europäischen Gemeinschaften403 grundsätzlich erörtert werden. Als Bestandteil des Grundrechtsschutzes der Europäischen Union wird insoweit auch die EMRK zum Gegenstand dieser Arbeit404. Die Untersuchung beginnt mit einem historischen Rückblick auf die spärlichen Anfänge der Diskussion der Problematik in Deutschland (I.). Es folgt die Darstellung der aktuellen Diskussion mit spezifischen Hinweisen auf die gefährdeten Bereiche (II). Sodann sollen umfassend Ansatzpunkte für einen Bestandsschutz des deutschen religionsverfassungsrechtlichen Modells untersucht werden (III). Das Ergebnis dieses Kapitels wird schließlich selbständig festgehalten (IV).

I. Die Anfänge der Diskussion um Eingriffsmöglichkeiten Die „Religionsfreiheit“ diente lange Zeit als Paradebeispiel dafür, dass es Freiheitsgrundrechte gibt, denen mangels wirtschaftlichen Bezugs jede Gemeinschaftsrelevanz abgeht.405. Dabei wurde mit dem Fall Vivien Prais / Rat406 bereits im Jahr 1976 eine grundlegende Entscheidung getroffen, die religiöse Fragen im Arbeitsrecht betraf. Im folgenden Jahr wies Pernice ausgehend von Mikats und Häberles theoretischen Ansatzpunkten auf die „religionsrechtlichen Perspektiven“ des Falles hin407. Die religiösen Interessen wüchsen zugleich mit der Gesellschaft vor dem Hintergrund der Dynamisierung des Integrationsprozesses über die Grenzen des Nationalstaatlichen hinaus. Pernice forderte dazu auf, die Konsequenzen im gesamten Bereich der gemeinschaftlichen Leistungstätigkeit und Sozialgestaltung zu beachten. 403 Im Folgenden sollen unter den Begriff der Europäischen Union aus Gründen der Vereinfachung auch die Regelungen zu den Europäischen Gemeinschaften fallen, da hier nur grundsätzliche Fragen behandelt werden. 404 Die Auswirkungen der EMRK als Instrument des Europarats im Bereich Staat und Religion stehen auch nach eigener Aussage im Zentrum von des Berichts von W. Fiedler, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 201. 405 So I. Pernice, Religionsrechtliche Aspekte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, JZ 1977, S. 777. 406 EuGH Rs. 130 / 75 (Prais) – Slg. 1976, 1589. 407 Auch zum Folgenden I. Pernice, a. a. O., S. 780 f. – Hollerbach bezeichnet die Entscheidung als erstes Signal, welches von Pernice in sehr grundsätzlicher Perspektive aufgenommen worden sei, A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 264.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Hintergrund des ansonsten indifferenten Umgangs mit der sich entwickelnden Materie Europarecht ist die damals wie heute fehlende religionsverfassungsrechtliche Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften wie der Union. Deren Rechtsetzung wird eingegrenzt durch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. I EGV und 5 EUV. Vorrangiges Ziel der Gemeinschaften ist die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daher sind sie insbesondere kompetent für den Erlass von Rechtsvorschriften, wenn es um die Grundfreiheiten des Gemeinsamen Binnenmarktes und die gemeinsame Handelspolitik geht408, die Europäische Union, wenn die Bereiche der Wirtschafts- und Währungspolitik, die Unionsbürgerschaft sowie die Gemeinsame Außen-, Sicherheits-, und Verteidigungspolitk betroffen sind409. Die Begriffe „Kirche“ und „Religion“ kommen aber weder im Unions- noch im EG-Vertrag vor. Der Bereich der Kultur insgesamt ist lediglich als Gegenstand von Hilfestellungen erwähnt. Art. 151 Abs. 5 EGV lässt lediglich Fördermaßnahmen und Empfehlungen zu. Eine Harmonisierung von Rechtsvorschriften ist dadurch ausgeschlossen, damit auch die Einführung eines einheitlichen europäischen Religionsverfassungsrechts für alle Staaten410. Umgekehrt muss die Gemeinschaft nach der „Kulturverträglichkeitsklausel“ in Abs. 4 den kulturellen Aspekten Rechnung tragen411. Daraus folgt für alle Politikbereiche der Gemeinschaft das Gebot der Rücksichtnahme auf die kulturellen Interessen / das kulturelle Erbe der Mitgliedstaaten sowie die Pflicht diese ggf. zu fördern. Diese beiden Aspekte sind seit dem Vertrag von Amsterdam durch einen Nachsatz auch in den Text aufgenommen worden („insbesondere zur Wahrung und Förderung der Vielfalt ihrer Kulturen“)412. Damit war und ist jede auf Europarecht gegründete Maßnahme rechtswidrig, welche zielgerichtet, aber nicht fördernd in den kulturellen Bereich, insb. in das Religionsverfassungsrecht eingreift. Ein „Frontalangriff Europas“ ist daher weder zu rechtfertigen noch zu erwarten413. Nicht zielgerichteten Maßnahmen hat eine Güterabwägung zwischen den kulturellen Interessen der Mitgliedstaaten und anderen, in der Regel wirtschaftlichen Zielen des Vertrags vorauszugehen414.

Vgl. R. Streinz, Europarecht, 2001, Rn. 617 ff. A. a. O., Rn. 39 ff. 410 Vgl. dazu P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht. Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 1999, S. 152. 411 H.-J. Blanke, Kommentierung von Art. 151 EG-Vertrag, in Calliess / Ruffert, Kommentar – EUV / EGV, 1999, Rn. 14 m. w. N. 412 Vgl. BGBl. 1998 II S. 386 ff. Damit ist die Berücksichtigung der Vielfalt der (National-)Kulturen bewusst hervorgehoben worden. Die bisher textlich zu ungenaue Kompetenzgrundlage wurde klargestellt, mit dem Ziel, sie auch möglichst eindeutig zu beschränken, so R. Streinz, a. a. O., Rn. 48. 413 So W. Rüfner, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zu Status und Finanzierung der Kirchen im vereinten Europa, in: FS 180 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1995, S. 488, 497. 414 H.-J. Blanke, a. a. O., Rn. 14. 408 409

C. Veränderungen im Europarecht

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Die fehlende direkte Kompetenz in religionsverfassungsrechtlicher Hinsicht nährte eine Auffassung, die der Gemeinschaft jede Kompetenz in dem hier interessierenden Bereich absprach415. Das macht die anfangs nur schwach ausgeprägte Aufmerksamkeit für das Europarecht im gesamten kulturellen Bereich, wie auch in dem des Sports, verständlich416.

II. Aktuelle Standpunkte Der ersten Phase folgte die der Besorgnis über den Bestand des speziellen deutschen Religionsverfassungsrechts in Europa, die eine heute noch andauernde Debatte über die Auswirkungen des Europarechts entfacht hat. Im Rückblick aus dem Jahr 1997 stellt Hollerbach fest, dass die Staatskirchenrechrechtslehre erst im Laufe der Achtziger Jahre ein Bewusstsein für die europäische Dimension entwickelt habe417. Mittlerweile gibt es, nicht zuletzt durch die konsequente Weiterentwicklung hin zur Europäischen Union, eine umfangreiche Literatur zum Thema allgemein wie auch zu Auswirkungen auf bestimmte religionsverfassungsrechtliche Teilgebiete418. Neben und schon vor der Wissenschaft nehmen auch die Betroffenen, vor allem die Katholische Kirche, aber auch die EKD, teilweise gemeinsam419, die Herausforderung durch eine neue Rechtsebene an420. Zum Beispiel haben sich die Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche dem Thema in den vier Jahren von 1992 bis 1996 gleich dreimal angenommen421. Hintergrund ist die Einsicht, dass es keine „gemeinschaftsrechtsfeste“ bzw. „gemeinschaftsrechtsfreien“ Regelungsbereiche gibt422. Vor dem EuGH vorgetragen, 415 G. Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Essener Gespräche 27 (1993), S. 82. 416 Die rechtlichen Auswirkungen auf das Staat-Kirche-Verhältnis seien vor 1990 „allgemein noch wenig im Blick gewesen“, so H. Böttcher, Kirche und Staat in Europa, ZevKR 42 (1997), S. 116. 417 A. Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat. Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext, 1998, S. 25. 418 Den Beginn dieser Entwicklung beschreiben A. P. Kustermann / R. Puza, Europa und das nationalstaatliche Religionsrecht. Einleitung, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 7 f. 419 Vgl. Kirchenamt der EKD / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Zum Verhältnis von Staat und Kirche im Blick auf die Europäische Union, Gemeinsame Stellungnahme, 1995. Die katholische Kirche hat bereits frühzeitig ein reges Interesse an der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften gezeigt, vgl. A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 260 f. 420 Vgl. zu den Aktivitäten der Kirchen in Bezug auf Europa die umfassende Darstellung bei A. Hollerbach, a. a. O., S. 253 ff., 260 ff. Aus heutiger Sicht siehe bei F. Leinemann, Kirchenlobby auf Brüsseler Parkett, Die Mitarbeitervertretung 2001, S. 2 f. 421 Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche: 27 und 32 direkt und 29 mittelbar (vgl. die in C. Verönderungen im Europarecht genannten Literaturhinweise).

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

ist dieser Ansatz regelmäßig gescheitert423. Nach ständiger Rechtsprechung genießt das Gemeinschaftsrecht einen absoluten Vorrang vor nationalem Recht. Hinzu kommen die Grundsätze der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) und der Rechtseinheit des Gemeinschaftsrechts424. Durch seine umfassenden und zunehmenden Regelungen in Wirtschafts- und Sozialfragen beeinflusst Europarecht mittelbar Sachbereiche, in denen auch, wenn nicht gar vorwiegend Religionsgemeinschaften tätig sind425. Es betrifft aber auch jedes „wirtschaftliche“ Handeln, wie den Basar einer Kirchengemeinde oder die Altkleidersammlung, wenn es einen Markt mit anderen Teilnehmern gibt, die durch die Vorzüge des deutschen Religionsverfassungsrechts z. B. im Steuerrecht „diskriminiert“ sein könnten. Konkret betroffene Bereiche sind Caritas und Diakonie426, Kirchensteuer427, Datenschutzrecht428, Vereins- und Gesellschaftsrecht429, der Sonn- und Feiertagsruhe430 und vor allem die relativ selbständige Ordnung der Arbeitsverhältnisse431. Dort finden sich auch ohne Regelungen, die gezielt in Bezug auf Religionsgemeinschaften getroffen werden, Eingriffe durch Europarecht. Turowski verdeutlicht dies mit dem Bild einer „selbsttätig wirkenden Mechanik“432. 422 Vgl. C. Link, Staat und Kirche im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses, ZevKR 42 (1997), S. 134 f. 423 Zu den ausdrücklich genannten Ausnahmen im Rahmen der öffentlichen Verwaltung vgl. R. Streinz, Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, Essener Gespräche 31 (1997), S. 69 ff. 424 L. Turowski, Staatskirchenrecht der Europäischen Union?, KuR 1995, S. 11 = 140, S. 11. 425 H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 160. 426 Zum Beispiel die Problematik der Beihilfenkontrolle durch nach Art. 87 f. EGV notwendige staatliche Vergabebedingungen. Siehe auch A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 412 ff., 413, C. Link, a. a. O., S. 137 f. und Evangelisch-Katholische Arbeitsgruppe, Der Dritte Sektor unter dem EU-Recht, KuR 2000. 427 Zu gelösten und ungelösten Problemen vgl. W. Rüfner, Staatskirchenrechtliche Überlegungen zu Status und Finanzierung der Kirchen im vereinten Europa, in: FS 180 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1995, S. 490 ff., C. Link, a. a. O., S. 148 ff. und auf letzteren Bezug nehmend B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 376 f. 428 Vgl. dazu und zu anderen praktischen Beispielen auch A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 412 ff., 417 und H. Ehnes, Zum Verhältnis der Kirchen zur Europäischen Union, KuR 1997. 429 Die Problematik einer geplanten Rechtsangleichung. 430 P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht. Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 1999, S. 142. 431 Siehe bei: A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 277 ff.; G. Robbers, a. a. O., S. 91 ff.; C. Link, a. a. O., S. 139 ff. (auch zu weiteren Gebieten wie Rundfunkrecht und Denkmalschutz) und der Dissertation zu diesem Thema von G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, 1999. Zur insofern vergleichbaren Lage in England I. Slaughter / D. McClean, Church and labour law in England, in: Churches and labour law in the EC-countries, 1993, S. 232 ff. 432 L. Turowski, Staatskirchenrecht der Europäischen Union?, KuR 1995, S. 13 = 140, S. 13.

C. Veränderungen im Europarecht

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Erst der Vertrag von Amsterdam von 1997 hat die Religion explizit als Thema für die Europäische Union erfasst. Zum einen durch eine Schutz-Erklärung (dazu weiter unten), zum anderen durch die Aufnahme von Art. 13 EGV433. Dieser Artikel gibt der Union die Befugnis zur Verhinderung einer Diskriminierung unter anderem aus Gründen „der Religion oder der Weltanschauung“. Die Befugnis gilt jedoch nur im Rahmen der durch den Vertrag auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten434. Damit besteht erstmals auf einem Teilgebiet die Möglichkeit eines direkten Eingriffs in die Freiheit von Religionsgemeinschaften, die nach innen üblicherweise aus Gründen der Religionszugehörigkeit „diskriminieren“, z. B. in Bezug auf das Pfarramt435.

III. Schutz des deutschen Religionsverfassungsrechts vor Eingriffen Die europarechtlichen Eingriffsmöglichkeiten in das deutsche Religionsverfassungsrecht sollen hier nicht im Detail untersucht werden. Hinter allen Eingriffen steht jedoch die grundsätzliche und hier zu klärende Frage nach einem möglichen Schutz des besonderen Modells einer Kooperation von Staat und Religionsgemeinschaften in Bezug auf das Recht der Europäischen Union. Es gilt dabei zu beachten, dass in der Europäischen Union auch das „Religionsrecht als Mehrebenenrecht“436 konzipiert ist. Diese Sichtweise trägt dem fortschreitenden Integrationsprozess Rechnung. Die „Europäische Verfassungsstaatlichkeit“437 lässt sich ansonsten mit den klassischen Begriffen der Staatstheorie wie Souveränität und Kompetenz-Kompetenz und mit der Vorstellung der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ nicht mehr vollständig erfassen. Demzufolge wird hier nach möglichen Schutznormen auf der deutschen (1) und der europäischen (2) Ebene unterschieden.

Eine umfassende, auch textkritische Untersuchung findet sich bei Heinig (2001). S. Mückl, Die Religionsfreiheit im Europäischen Unionsrecht, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 183 f., auch zur daraufhin erlassenen Richtlinie. 435 Vgl. M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 299 ff. und H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 162, 169 ff. 436 Vgl. dazu und zum Folgenden ausführlich Heinig (2001), S. 244 ff., insb. S. 251 f. Ähnliches meint die Bezeichnung des Unionsrechts als „Querschnittsmaterie“, dazu bei P. M. Huber, Das Staatskirchenrecht. Übergangsordnung oder Zukunftskonzept?, in: Eichenhofer (Hrsg.), 80 Jahre Weimarer Reichsverfassung, 1999, S. 144 f. 437 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 223 ff. 433 434

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

1. Durch das Grundgesetz (nationalstaatliche Ebene) Der bereits erwähnte, vom EuGH in ständiger Rechtsprechung postulierte absolute Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht bezieht sich auch auf das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten. Aus Sicht des Grundgesetzes setzen jedoch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 und Art. 79 Abs. 3 GG der Integrationsgewalt Schranken438. Nur ein tatsächlich vorliegender Verstoß gegen die in diesen Normen genannten Grundsätze machte das deutsche Vertragsgesetz nichtig439. Es ist jedoch fraglich, ob der spezifische Status der Religionsgemeinschaften überhaupt von diesen Schutznormen erfasst wird440. Erst im Falle der Evidenz des Verstoßes ist dieser nach Art. 27 i.V.m. Art. 46 der Wiener Vertragsrechtskonvention auch völkerrechtlich beachtlich. Ein evidenter Verstoß gegen die Essentialien des deutschen Religionsverfassungsrechts ist jedoch nach Ansicht von Streinz sehr schwer nachweisbar441. Eine weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit der soeben geprüften Schutzvorschriften ist ein fehlender Schutz bereits im europäischen Gemeinschaftsrecht.

2. Im europäischen Gemeinschaftsrecht (europäische Ebene) Hier soll der Schutz des deutschen Religionsverfassungsrechts im europäischen Gemeinschaftsrecht untersucht werden, und zwar zunächst im einzigen Text mit direktem Bezug zu Religionsgemeinschaften (a), dann durch die Unionsgrundrechte (b), durch die „nationale Identität“ (c), schließlich durch andere mögliche gemeinschaftsrechtliche Schutznormen (d).

a) Die Erklärung der Union zu Religionsgemeinschaften (Nr. 11) Ausgangspunkt soll hier die Äußerung der Europäischen Union zum Verhältnis zu Religionsgemeinschaften, die sog. „Kirchenerklärung“, sein. Diese wurde als

438 Vgl. R. Streinz, Auswirkungen des Europarechts auf das deutsche Staatskirchenrecht, Essener Gespräche 31 (1997), S. 79 ff. Siehe auch G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, 1999, S. 42 ff. und M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen mitgliedstaatlichen Kompetenzreserven und Art. 9 EMRK, 2000, S. 99 ff. Noch zur alten Rechtslage des „Integrationshebels“ Art. 24 Abs. 1 GG ausführlich A. Hollerbach, Europa und das Staatskirchenrecht, ZevKR 35 (1990), S. 266 ff. 439 M. Vachek, a. a. O., S. 119 f. 440 Verneinend P. M. Huber, a. a. O., S. 150. 441 Streinz sieht hier von erhebliche rechtliche und rechtspolitische Probleme bei der Konkretisierung dieser Integrationsschranke, a. a. O., S. 80. In Bezug auf das kirchliche Arbeitsrecht – unter Ausklammerung der rechtspolitischen Folgen – offenbar optimistischer MüllerVolbehr , Gerd (1999), S. 52 ff.

C. Veränderungen im Europarecht

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Erklärung Nr. 11 zur Schlussakte der Amsterdamer Konferenz am 2. Oktober 1997 in Kraft gesetzt442. Sie lautet im Wortlaut: „Die Union achtet die Rechtsstellung der in den Mitgliedstaaten anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften als Ausdruck mitgliedstaatlicher Identität und als Beitrag zum gemeinsamen Erbe.“443

Damit wurde erstmals das Verhältnis der Union zu den Religionsgemeinschaften aufgegriffen und ein Bewusstsein für die Rolle der Religionsgemeinschaften in Europa geschaffen444. Als formalen Anlass für die Schaffung dieser Erklärung macht Vachek einen Antrag des Bayerischen Senats aus dem Jahr 1989 aus445. Die vorgeschlagene Verortung innerhalb von Artikel 6 (ex-Art. F) EUV ließ sich nicht durchsetzen. Auch wenn der Wortlaut weiterhin Rechtswirksamkeit suggeriert, hat die Erklärung an sich keine Rechtsverbindlichkeit446. Ihrer Rechtsnatur nach ist die Erklärung „soft law“447. Die besondere Positionierung muss jedoch nicht als Mangel angesehen werden448. Starck weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die Aufteilung der Religionsfreiheit im Grundgesetz (Art. 4 und 140 GG) Tribut an historische Entwicklungslinien sei und nicht etwa eine Diskriminierung der korporativen Religionsfreiheit darstelle449. Im Gegensatz zur deutschen Regelung wurde jedoch kein Primärrecht geschaffen, sondern nur eine sog. „Auslegungsübereinkunft“ im Sinne von Art. 31 Abs. 2 lit. a der Wiener Vertragsrechtskonvention. Bei Fortentwicklung und Anwendung von Europarecht ist die Berücksichtigung des nationalen Religionsverfassungsrechts vorgeschrieben450. Dies kann bei ständiger Befolgung durch die Gemeinschafts442 Eine frühzeitige Stellungnahme zum Inhalt mit Bericht über die Entstehungsgeschichte findet sich bei H. Ehnes, Zum Verhältnis der Kirchen zur Europäischen Union, KuR 1997, S. 50 ff.. Eine spätere und umfassendere Auseinandersetzung bietet M. Vachek, a. a. O., S. 125 ff. 443 BGBl. II 1998, S. 438. Auch abgedruckt in der Sammlung von Rechtstexten zur Religionsfreiheit bei H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000), S. 151 ff., 156. 444 Vgl. F. Leinemann, Kirchenlobby auf Brüsseler Parkett, Die Mitarbeitervertretung 2001, S. 2. – G. Robbers, a. a. O. spricht noch von „schlichter Ignoranz gegenüber den Kirchen“, S. 82. 445 M. Vachek, a. a. O., S. 127. Vgl. auch R. Streinz, a. a. O., S. 83. 446 Vgl. M. Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS Listl, 1999, S. 31 f., der die Erklärung als „diplomatisches Trostpflaster“ ansieht. 447 P. Häberle, Das Verhältnis von Staat und Kirchen im europäischen Einigungsprozeß, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 231 f., C. Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungs-recht?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 238 f. 448 So in Bezug auf das Verhältnis von Art. 4 und 140 GG 449 C. Starck, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 589. Vgl. auch A. v. Campenhausen, Diskussionsbeitrag, in: a. a. O., S. 588.

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

organe und durch Einbeziehung in die Entscheidungen des EuGH tatsächlich Gemeinschaftsgewohnheitsrecht begründen. Dann erst wäre eine Vereinheitlichung der religionsrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten rechtswidrig. Direkter Schutz ist im allgemeinen Primärrecht zu suchen. Neben dieser reduzierten Verbindlichkeit bleibt aber festzustellen, dass nunmehr religionsrechtliche Termini Eingang in das Gemeinschaftsrecht gefunden haben, wenn auch in einem kritisierbaren Umfang451. Das noch im „Erkundungsstadium“ befindliche Grundrecht der korporativen Religionsfreiheit hat eine erhebliche Stärkung erfahren452. Wohl auch deshalb wird die Erklärung überwiegend als ein Erfolg gewertet453. b) Unionsgrundrechte Als Schutznorm im Bereich der Unionsgrundrechte kommt vor allem die korporative Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK in Betracht. Nach einer Darstellung des Anwendungsbereichs dieser Norm wird ein Testfall geschildert. Daran schließt sich die Frage einer möglichen Veränderung der bisher vorgefundenen Rechtslage durch die Verabschiedung der Europäischen Grundrechte-Charta an. aa) Art. 6 Abs. 2 EUV i.V.m. Art. 9 EMRK Die EMRK enthält in Art. 9 erkennbar einen kollektiven Aspekt der Religionsfreiheit454. Eine Dogmatik der Religionsfreiheit ist in der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 6 Abs. 2 EUV jedoch noch nicht entwickelt worden455. Nach Streinz braucht dies jedoch nicht zu beunruhigen, da der Gerichtshof als Streitentscheider erst im Konfliktfall Stellung bezieht456. Durch entsprechende Argumente sei eine Berücksichtigung der kollektiven Religionsfreiheit einzufordern457. Frowein geht 450 H. M. Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit, in: 41. Tagung, 2001, S. 245 f. 451 Die Regelung befindet als im Wortlaut zu eng, da nur auf historische Religionsgemeinschaften bezogen H. Grote, Religionsgemeinschaften und Europäische Union, MD 47 (1996), S. 33. Eine Interpretation, die z. B. jüdisches Religionsleben ausschließe, sei nun abzuwehren. 452 S. Mückl, Die Religionsfreiheit im Europäischen Unionsrecht, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 187 m. w. N. 453 F. Sucker, Europäisches Staatskirchenrecht, 2001, S. 10. 454 Mit umfangreicher, auch historischer Begründung H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 333 ff., insb., S. 362; C. Starck, a. a. O., S. 598. 455 Vgl. die Übersicht bei B. Beutler, Die Grundrechte, in: ders. / Bieber / Epiney u. a. (Hrsg.), Die Europäische Union, 2001, Rn. 638 ff., 660 f. Siehe auch H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000), S. 139 ff., 141. 456 R. Streinz, a. a. O., S. 82. 457 Ebd.

C. Veränderungen im Europarecht

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bereits jetzt davon aus, dass sich der EuGH in der Zukunft am Schutz der spezifischen Rolle der Religionsgemeinschaften in den verschiedenen Mitgliedsstaaten orientieren werde458. Den Hebel dazu sieht Bleckmann in einer wertenden Rechtsvergleichung459. Seinem Postulat folgend vergleicht er im zweiten (besonderen) Teil einer Untersuchung zwölf religionsverfassungsrechtliche Systeme in Europa miteinander460. Der Umfang des Selbstbestimmungsrechts nach Art. 9 I EMRK ergibt sich nach Bleckmann aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Staaten verbunden mit einer gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsmaximierung461. Dies kann nur durch Rechtsvergleichung erreicht werden. Deren integrative Funktion kann nach Robbers in Deutschland zur Destillation eines harmonierungsfähigen Religionsbegriffs führen462. Die befürchtete Nivellierung nach unten sei nicht zu erwarten. Robbers bietet dazu umfangreiches Datenmaterial. Im Schlussbericht des Sammelbands von 1995 zeigt er sich von „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen in weitem Umfang“ überzeugt463. Tatsächlich äußern sich die Verfassungen aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme der Niederlande zum Verhältnis von Staat und Religion464 Dabei zeigt sich nach De Fleurquin, dass die Religionsgemeinschaften „in these democratic states are becoming more and more equally treated“465. Dies sei das vorläufige Ende eines Prozesses von „fundamental changes“ seit den späten Siebziger Jahren466. Im Jahr 1997 stellt Robbers dann die unter anderem von Starck unterstützte These von der zunehmenden Konvergenz der unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Systeme in Europa auf467. Diese These belegt Robbers mit weiteren Nachweisen. So erkennt 458 J. A. Frowein, Die Bedeutung des Artikels 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention, Essener Gespräche 27 (1993), S. 57 ff. 459 A. Bleckmann, Von der individuellen Religionsfreiheit des Art. 9 EMRK zum Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Ansätze zu einem „Europäischen Staatskirchenrecht“, 1995, S. 51 ff. Vorsichtiger H. Ehnes, Zum Verhältnis der Kirchen zur Europäischen Union, KuR 1997, S. 218, der die Rechtsvergleichung in Europa fordert, „um voneinander zu lernen“. 460 A. Bleckmann, a. a. O., S. 73 ff. 461 A. Bleckmann, a. a. O., S. 47 ff. Kritisch dazu M. Vachek, a. a. O., 2000, S. 407 ff. 462 G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 234 f. 463 G. Robbers, Staat und Kirche in der Europäischen Union, in: ders. (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, S. 359. Zum Inhalt des Sammelbands siehe im 1. Teil bei IV., 1., „ius ecclesiasticum“ als Ursprung und 2. Übersetzungen eines Aufsatzes von G. Robbers. 464 M. Heintzen, Die Kirchen im Recht der Europäischen Union, in: FS Listl, 1999, S. 40 ff. 465 L. De Fleurquin, Ecclesiastical law in the European Union in 1995. A cautious move from Church and State to State and Religion, European Journal for Church and State Research, Vol. 3 (1996), S. 135, 139 f. 466 A. a. O., S. 135 f. 467 Vgl. A. Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat. Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext, 1998, S. 28; C. Starck, Staat und Religion, JZ 2000, S. 4 f.; C. Starck, Diskussionsbeitrag, in:

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

er beispielsweise nach einem Systemvergleich auch in den nach allgemeiner Meinung als äußerst konträr erachteten Modellen in Frankreich und England eine zunehmende Konvergenz468. Auch das Ergebnis einer rechtsvergleichenden Untersuchung von Walter stützt diese These. Dieser betrachtet nur die Entwicklung der angeblich idealtypisch laizistischen Trennungssysteme in Frankreich und den USA. Dort sei eine strikte Trennung nicht mehr zu finden469. Am Ende kann zum Beispiel Potsdam einmal näher bei Paris liegen als München470. Ein detailliertes gemeinschaftsrechtliches Religionsverfassungsrecht ist nicht erforderlich471. Im Gegenteil würde es die historische Religionsvielfalt in Europa beenden. Notwendig ist aber ein institutioneller gemeinschaftsrechtlicher Rahmen, der den unterschiedlichen gewachsenen Modellen eine schützende Rechtsposition vermittelt. Dies führt zu einem (gemein)europäischen Religionsverfassungsrecht472. Dieses kann unter ausdrücklicher Erhaltung der historischen religionsverfassungsrechtlichen Vielfalt den gemeinsamen Fundus formulieren und als europäisches Gut erkennbar machen, bewahren und entwickeln473. Grundlage des europäischen Religionsverfassungsrechts ist eine nach dem soeben gefundenen Ergebnis sachgerechte Verknüpfung von Art. 6 EUV und der Erklärung Nr. 11 zu den Religionsgemeinschaften. Daraus entsteht eine „europarechtliche Berücksichtigungspflicht“474 der unterschiedlichen religionsverfassungsrechtlichen Modelle. Daran anknüpfend fordert Streinz dazu auf, den EuGH im Konfliktfall durch entsprechende Argumente von einem weitgehenden Schutz der Religionsgemeinschaften zu überzeugen475.

Grote / Marauhn, Religionsfreiheit, 2001, S. 589. Die These findet in der Literatur zunehmend Unterstützung, vgl. z. B. P. Häberle, Besprechung von: G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, AöR 121 (1996), S. 678 f.; J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 212 f. 468 G. Robbers, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 238 ff.; 257 f. 469 C. Walter, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht?, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 236. 470 So B. Sauzay / R. v. Thadden, Vorwort, in: dies. (Hrsg.), Eine Welt ohne Gott?, 1999, S. 9. 471 H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 397 f. 472 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 512 ff.; A. Hense, Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht: mehr als ein Streit um Begriffe?, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 39. 473 So H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 399 unter Bezugnahme auf eine These von Häberle aus dem Jahr 1991 zum „konstitutionellen Gemeinschaftsrecht ,von unten‘ her“ (in: P. Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, S. 266), . 474 M. Heintzen, a. a. O., S. 46. Vgl. auch H. Weber, Die Religionsfreiheit im nationalen und internationalen Verständnis, ZevKR 45 (2000), S. 151. 475 R. Streinz, a. a. O., S. 82.

C. Veränderungen im Europarecht

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bb) Testfall Art. 13 EGV Eine Einschränkung von Religionsgemeinschaften kann auf einer Anti-Diskriminierungsmaßnahme der Gemeinschaft nach Art. 13 EGV beruhen. Die Religionsfreiheit kann jedoch hier, anders als bei einem Eingriff in Grundfreiheiten wie im Fall Bosman476, ihre volle grundrechtliche Wirkung entfalten477. In der Praxis wird auch in diesen Fällen den Urteilen des EuGH eine entscheidende Rolle bei der Klärung von Details zukommen478. Diese können durch einen entsprechenden Sachvortrag in Orientierung am gemeineuropäischen Religionsverfassungsrecht ergehen479. Als weiterer, verfahrensrechtlicher Schutzfaktor ist die von Art. 13 EGV vorausgesetzte Einstimmigkeit im Rat nicht zu vernachlässigen480.

cc) Art. 10 EUGRCh Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EUGRCh) aus dem Jahr 2000 bringt hier mit Art. 10 auch dann keine neue Wendung, wenn man ihr rechtliche Verbindlichkeit unterstellt481. Die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften forderten in vielstimmiger Beteiligung bei der Erarbeitung der Charta die explizite Regelung der korporativen Religionsfreiheit im Sinne einer „Kirchenfreiheit“ 482. Offenbar konnten sie sich nicht durchsetzen, denn eine derartige Regelung wurde nicht aufgenommen483. Gleichwohl kann man mit J. E. Christoph einen möglichen Schutz der Religionsgemeinschaften durch zwei Auslegungshilfen sehen: zum einen durch den Wortlaut („gemeinsam mit anderen öffentlich“), zum anderen über Art. 52 Abs. 3 und 53 EUGRCh i. V. m. der extensiv auslegenden Rechtsprechung des EGMR und der EuGH Rs. C-415 / 93 (Bosman) – Slg. 1995, I-4921. Vgl. H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 170. 478 M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 303. 479 Vgl. die Prüfung durch H. M. Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit, in: 41. Tagung, 2001. 480 Dieser Schutz ist nach Ansicht von M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 300 als gering einzustufen, da es Umgehungsmöglichkeiten gäbe. 481 Zur rechtlichen Wirkung der Charta vgl. B. Beutler, Die Grundrechte, in: ders. / Bieber / Epiney u. a. (Hrsg.), Die Europäische Union, 2001, Rn. 640 ff. und R. Streinz, Europarecht, 2001, Rn. 358a. 482 So F. Leinemann, Kirchenlobby auf Brüsseler Parkett, Die Mitarbeitervertretung 2001, S. 4. Eine genaue Schilderung des Entstehungsprozesses der Charta findet sich bei, S. 447 ff. 483 Siehe J. E. Christoph, Besprechung von: Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, ZevKR 46 (2001), S. 369. 476 477

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

anderen Straßburger Konventionsorgane zu Art. 9 EMRK. Auch ohne eine institutionelle Verbindung der beiden Gerichtshöfe EGMR und EuGH lässt sich die gemeinsame Zielsetzung eines identischen Grundrechtsschutzes feststellen484. Beide Gerichtshöfe könnten dann in einem Komplementärverhältnis kumulative, aber funktionsspezifische Grundrechtssicherung betreiben. Ist die kollektive Religionsfreiheit gewährleistet, so setzt Art. 52 Abs. 1 der Charta einem Eingriff Grenzen485. Nach Satz 1 muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. In Satz 2 ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit festgehalten. Insgesamt ist Art. 10 EUGRCh aber zu begrüßen als weiterer Text zum europäischen Religionsverfassungsrecht als Rahmenrecht der weitgehend selbständigen nationalen Systeme486.

c) „Nationale Identität“ (Art. 6 Abs. 3 EUV) Eine weitere mögliche Stütze der religionsverfassungsrechtlichen Systeme der Mitgliedstaaten ist die von Art. 6 Abs. 3 EUV geforderte Achtung ihrer nationalen Identität. Diese seit dem Vertrag von Amsterdam verselbständigte Regelung nimmt das in der Präambel ausgesprochene Postulat auf, Geschichte, Kultur und Tradition der Mitgliedstaaten zu achten487. Besonders aussagekräftig in Bezug auf die Eigenart einer Kultur ist deren Verhältnis zu den ihr begegnenden Religionsgemeinschaften488. Ein Beispiel ist das Angebot in Deutschland, sich als Körperschaft des Öffentlichen Rechts zu organisieren. Diese spezielle Gewährleistung wird nicht getragen von der Religionsfreiheit aus Art. 9 EMRK bzw. Art. 10 EUGRCh. Eine „gemeinsame Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten“ existiert insoweit nicht489. Gerade die durch Art. 140 GG übernommenen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung sind ein Stück deutscher nationaler Identität. Als solche sind sie geschützt490.

484 Auch zum Folgenden vgl. H. M. Heinig, Die Religion, die Kirchen und die europäische Grundrechtecharta, ZevKR 46 (2001), S. 460. 485 G. Robbers, Religionsrechtliche Gehalte der Europäischen Grundrechte-Charta, FS Maurer, 2001, S. 427 f. 486 P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 512 ff., 521. 487 So G. Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Essener Gespräche 27 (1993), S. 88. 488 F. Sucker, Europäisches Staatskirchenrecht, 2001, S. 16. 489 J. Winter, Das Verhältnis von Staat und Kirche als Ausdruck der kulturellen Identität der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in: FS Hollerbach, 2001, S. 900. 490 C. Starck, Staat und Religion, JZ 2000, S. 4 f. Noch vor Amsterdam C. Starck, Das Christentum und die Kirchen in ihrer Bedeutung für die Identität der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten, Essener Gespräche 31 (1997), S. 21 ff. Deutlich vorsichtiger

C. Veränderungen im Europarecht

225

Fraglich ist aber der Umfang der noch zur nationalen Identität gehörenden Regelungen im Einzelfall491. Für eine extensive Auslegung von Art. 6 Abs. 3 EUV wird als Argument die auch über Art. 79 Abs. 3 GG hinausgehende deutsche Verfassungsidentität genannt. Von Europa her hilft die Erklärung Nr. 11 als unmittelbarer Ausfluss von Art. 6 Abs. 3 EUV492. Fraglich sind auch die konkreten Rechtsfolgen eines Verstoßes der Union gegen Art. 6 Abs. 3 EUV. Im Bereich der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes wird man eine Kompetenzausübungsschranke annehmen können. Bei nicht derart weitgehenden Eingriffen wird vorgeschlagen, das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Schranken-Schranke des europarechtlichen Grundrechts auf kollektive Religionsfreiheit zu verstehen493. Grundsätzlich muss aber der Einwand der Beeinträchtigung nationaler Identität als Maßnahme mitgliedstaatlicher Selbsthilfe auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben494. Die praktische Bedeutung von Art. 6 Abs. 3 EUV bleibt jedoch nicht notwendigerweise gering. Die Vorschrift bildet im Vorfeld von europarechtlichen Maßnahmen eine über das „Notwehrrecht“ hinausgehende Argumentationshilfe, bei der insbesondere die Erklärung Nr. 11 beachtet werden muss495. Der Schutzumfang in Bezug auf die „Achtung“ der nationalen Identität wird angesichts der Weiterentwicklung der Europäischen Union wahrscheinlich bereits in der näheren Zukunft durch die behördliche und gerichtliche Praxis konkret bestimmt werden.

d) Weitere mögliche Schutznormen Die Erklärung zu den Religionsgemeinschaften bietet eine Auslegungshilfe auch für andere Normen des primären und sekundären Gemeinschaftsrechts. Diese sind nach ihren weiteren Schutzmöglichkeiten für das deutsche Modell zu befragen496. H. M. Heinig, Art. 13 EGV und die korporative Religionsfreiheit, in: 41. Tagung, 2001, S. 247, bei Fn. 113. 491 Zum Beispiel Evangelisch-Katholische Arbeitsgruppe, Der Dritte Sektor unter dem EU-Recht, KuR 2000, S. 66. 492 C. Starck, Diskussionsbeitrag, in: Grote / Marauhn (Hrsg.), Religionsfreiheit, 2001, S. 589. 493 G. Müller-Volbehr, Europa und das Arbeitsrecht der Kirchen, 1999, S. 92 ff., 101; R. Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, 2000, § 1 Rn. 32 ff. Dazu allgemein und in Bezug auf andere gemeinschaftsrechtliche Normen bereits oben bei: 1. Durch das Grundgesetz bzw. 2. b) Art. 6 Abs. 2 EUV. 494 Heinzten (1999), S. 36. Dieser sieht wie M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 305 in Art. 6 Abs. 3 EUV kein „substantielles“ Hindernis. 495 M. Triebel, Europa und die Kirchen, 1999, Rn. 7 hält die Erklärung für einen wichtigen Schritt hin zu einem „europäischen Religionsrecht“. Die informellen Möglichkeiten von „soft law“ verkennen M. Heinig und M. Heintzen, jeweils ebenda. 496 Eine Auswahl gibt P. Häberle, Das Verhältnis von Staat und Kirchen im europäischen Einigungsprozeß, in: ders., Europäische Verfassungslehre in Einzelstudien, 1999, S. 230 f. 15 Kupke

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Beispiele sind der bereits oben behandelte Art. 151 Abs. 4 EGV oder das den meisten hier relevanten Vorschriften zugrundeliegende Subsidiaritätsprinzip aus Art. 5 EGV. Dieses muss aber in der Anwendung zunächst hinter den speziellen „Rettungsankern“ zurücktreten und unterliegt ohnehin einem eher weiten Beurteilungsspielraum der Gemeinschaftsorgane497. Auch Art. 22 EUGRCh bietet einen gewissen Schutz: „Die Union achtet die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.“498. Diese drei Elemente sind damit auch bei der Auslegung und insbesondere der Abwägung von Grundrechten zu beachten. Nach dem Wortlaut ist dabei anscheinend nur der quantitative Aspekt zu berücksichtigen. Diese offenbar bewusst zurückhaltende Ausdrucksweise ist durch großzügige Interpretation der Gerichte zu erweitern, die ohnehin die noch nicht gegebene Rechtsverbindlichkeit ausgleichen müssen. Sinnvolles Entscheidungskriterium kann nicht nur eine gewisse Anzahl von Kulturen oder Religionen sein. Für die auch inhaltliche Berücksichtigung der korporativen Religionsfreiheit spricht auch der Verweis auf die Erklärung zu den Religionsgemeinschaften („Kirchenerklärung“) in der amtlichen Erläuterung zu dieser Bestimmung499.

IV. Ergebnis Die Erklärung zu den Religionsgemeinschaften („Kirchenerklärung“) hat die gewünschte unumschränkte Anerkennung der religionsverfassungsrechtlichen Modelle der Mitgliedstaaten als Bereichsausnahme nicht geschaffen. Die Erklärung ist jedoch ein großer Schritt in die Richtung einer Absicherung. Voraussetzung ist jedoch im weiteren europäischen Einigungsprozess in jedem Einzelfall der sicher manchmal mühsame Hinweis auf die jeweiligen Spezifika und deren Schutzwürdigkeit500. Das Gemeinschaftsrecht bietet eine Reihe von weiteren rechtlichen Anknüpfungspunkten. Eine umfassende Liste findet sich bei M. Vachek, Das Religionsrecht der Europäischen Union, 2000, S. 62 ff. 497 M. Vachek, a. a. O., S. 262 ff. – Das Subsidiaritätsprinzip wird im systematischen Aufbau von Robbers daher zu Recht zuerst genannt, vgl. G. Robbers, a. a. O., S. 85 f. 498 Vgl. eingehend S. Mückl, Die Religionsfreiheit im Europäischen Unionsrecht, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001, S. 187 f. m. w. N. 499 Erläuterung des Präsidiums des Konvents, in: Charta der Grundrechte der EU, Sonderbeilage zu NJW, EuZW, NVwZ und JuS, 2000, S. 10. 500 Vgl. dazu L. Turowski, Staatskirchenrecht der Europäischen Union?, KuR 1995, S. 25 = 140, S. 25.; M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 304; H. de Wall, Europäisches Staatskirchenrecht, ZevKR 45 (2000), S. 171 f.; J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 213. – Eine aktuelle Bestandsaufnahme zu den geschaffenen organisatorischen Voraussetzungen, S. 2 ff., mit Erfahrungsbericht, S. 4 f., findet sich bei F. Leinemann, Kirchenlobby auf Brüsseler Parkett, Die Mitarbeitervertretung 2001.

C. Veränderungen im Europarecht

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Es bedarf einmal der prätorischen Ausbildung eines Grundrechts der Religionsfreiheit, dessen Grundlage nur Art. 9 EMRK sein kann501. Im Falle der rechtlichen Wirksamkeit ist Art. 10 EUGRCh heranzuziehen502. Es kommt, mit Heinig gesprochen, darauf an, dass der bisherige „moderate religionspolitische Kurs der Union mit den Eckpfeilern Freiheit, Gleichheit und Öffentlichkeit sowie der Achtung mitgliedstaatlich ausdifferenzierter Vielfalt an Rechtsformen gehalten wird“503. Dazu müssen die „unbestimmten Rechtsbegriffe“ in anderen Vorschriften mit Material gefüllt werden. Hilfsmittel ist dabei die insbesondere von Robbers betriebene Rechtsvergleichung vor dem Hintergrund der Konvergenzthese504. Damit wird die von Häberle statuierte Notwendigkeit der Rechtsvergleichung als fünfter Auslegungsmethode505 hier im Zusammenhang der „Europäisierung der Rechtsquellen“506 einmal mehr belegt. Es bildet sich ein „Europäisches Religionsverfassungsrecht“507 als Teil des „Europäischen Kulturverfassungsrechts“508, welches die nationale Identität der Mitgliedstaaten nicht nivelliert, sondern schützt509. Die „Probleme und Chancen europäischen Staatskirchenrechts“ halten sich nach Robbers insgesamt die Waage510. Trotzdem kann die Frage nach möglicherweise eingetretenen Veränderungen des deutschen Religionsverfassungsrechts durch das Recht der Europäischen Gemeinschaften / Union nur bejaht werden. Selbst wenn es gelingen sollte, die jeweiligen europäischen Regelungen an die besonderen Verhältnisse des deutschen und anderer Modelle vollständig anzupassen, sind diese immerhin in Frage gestellt. Die nationalen Bestimmungen, an denen sich die H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 398 ff. Die Veränderungen im Falle der rechtlichen Wirksamkeit der EUGRCh werden von H. M. Heinig, Die Religion, die Kirchen und die europäische Grundrechtecharta, ZevKR 46 (2001) in einer „als ob“-Simulation ausgelotet und für praktisch gering befunden, S. 447 ff. 503 H. M. Heinig, Die Religion, die Kirchen und die europäische Grundrechtecharta, ZevKR 46 (2001), S. 461. 504 Siehe P. Häberle, Besprechung von: G. Robbers (Hrsg.), Staat und Kirche in der Europäischen Union, 1995, AöR 121 (1996), S. 678 f. 505 Siehe dazu bereits oben in der Einleitung zu D. Die Bezeichnung seit 1990. 506 Vgl. P. Häberle, Gemeineuropäisches Verfassungsrecht, EuGRZ 1991, S. 268 ff. 507 So die Überschrift des letzten Kapitels von H.-T. Conring, Korporative Religionsfreiheit in Europa, 1998, S. 387 ff. M. Triebel, Europa und die Kirchen, 1999, Rn. 6 f. sieht ein „Europäisches Religionsrecht“. 508 Beides sind auf die Begriffsbildung in früheren Schriften rekurrierende Überschriften je eines eigenen Kapitels bei P. Häberle, Europäische Verfassungslehre, 2001 / 2002, S. 487 ff., 512 ff. 509 Eine partielle Nivellierung wird anscheinend in Kauf genommen von M. Vachek, a. a. O., S. 431 ff. für die von ihm ausgemachten Vorteile eines einheitlichen Status für Religionsgemeinschaften auf EU-Ebene. 510 G. Robbers, a. a. O., S. 98. Darauf bezugnehmend M. Heinig, Zwischen Tradition und Transformation. Das deutsche Staatskirchenrecht auf der Schwelle zum Europäischen Religionsverfassungsrecht, Zeitschrift für Evangelische Ethik 43 (1999), S. 307. 501 502

15*

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2. Teil: Die Entwicklung der Rechtsmaterie – Bestandsaufnahme

Kirchen gerne festhalten wollen511, sind kein Ruhekissen mehr. Das deutsche Religionsverfassungsrecht steht vor einer Bewährungsprobe, die sich im Europarecht manifestiert. Nur wenige Autoren malen das Bild einer notwendigerweise düsteren Zukunft. Zum Beispiel sieht Mantl das Ende der „religionsrechtlichen Besonderheit des deutschsprachigen Raums“ kommen. Einerseits sei der Trend zur Privatisierung religiösen Verhaltens offensichtlich, andererseits führe eine Pluralisierung religiöser Assoziationen zu einer Minimierung des staatlichen Interesses an diesen, und zwar mangels der Möglichkeit einer effektiven Zusammenarbeit mit allen512. Diese Faktoren sind zu bedenken, aber ihnen kann begegnet werden. Das Bestehen dieser „postmodernen Bewährungsprobe“ setzt auch m. E. voraus, sie mit Robbers als „Chance für die Kirchen, nicht [als] eine Gefahr“ zu begreifen513. Auch nach Isensee „bedeutet die europäische wie die globale Öffnung der Staatsgrenzen für die Kirchen vornehmlich die Chance zu größerer Wirksamkeit“514. Es liegt an den Religionsgemeinschaften selbst, für eine glaubwürdige Ausfüllung des Rahmens des europäischen Religionsrechts zu sorgen. Hollerbach fordert für die Kirchen zu Recht die erneuerte biblische Orientierung an Matthäus 5, 13 bzw. Markus 9,50515. Andererseits braucht die Europäische Einigung die Religionsgemeinschaften. Diese vermitteln in besonderem Maße den Teilen, die eine Einheit werden sollen, die für eine Öffnung nach außen notwendige kulturelle Identität nach innen. Die Union ist in der Zukunft auf die stützende Begleitung der Religionsgemeinschaften angewiesen516. Dabei kann sich das deutsche Religionsverfassungsrecht im euro511 Vgl. J. Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: FS Listl, 1999, S. 73 f. 512 W. Mantl, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 352. 513 G. Robbers, Die Kirchen und das Europarecht, in: Puza / Kustermann, Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 177. 514 Unter Hinweis auf die früher gegebenen nationalstaatlichen Beschränkungen insb. der katholischen Kirche J. Isensee, a. a. O., S. 74. 515 A. Hollerbach, Religion und Kirche im freiheitlichen Verfassungsstaat. Bemerkungen zur Situation des deutschen Staatskirchenrechts im europäischen Kontext, 1998, S. 28. Matthäus 5, 13: „Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als daß man es wegschüttet und läßt es von den Leuten zertreten.“ Markus 9, 50: „Das Salz ist gut; wenn aber das Salz nicht mehr salzt, womit wird man’s würzen? Habt Salz bei euch und habt Frieden untereinander!“ (Revidierte Fassung der Bibelübersetzung Martin Luthers von 1984). 516 So G. Robbers, Die Fortentwicklung des Europarechts und seine Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Staat und Kirche, Essener Gespräche 27 (1993), S. 100. Ähnlich L. Niederberger, Staatskirchenrecht in Europa, in: Loretan (Hrsg.), Kirche – Staat im Umbruch, 1995, S. 296 f. und H. Böttcher, Kirche und Staat in Europa, ZevKR 42 (1997), S. 117. Unter Hinweis auf eine Formulierung von Pernice von 1977 (die Erkenntnis des gesellschaftlichöffentlichen Charakters der religiösen Interessen weise über die Grenzen des Nationalstaatlichen hinaus) fordern die Begleitung der „technokratischen Integration“ durch die Kirchen auch B. Jeand’Heur / S. Korioth, Grundzüge des Staatskirchenrechts, 2000, Rz. 380.

C. Veränderungen im Europarecht

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päischen Vergleich als modern und zukunftsträchtig erweisen, weil es einen Kompromiss darstellt, der nicht in ideologischer Verengung auf ein einziges Modell festgelegt ist517.

517

So J. Winter, Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland, 2001, S. 1.

3. Teil

Zwischen Tradition und Innovation – Bewertung der Entwicklung A. Veränderte gesellschaftliche Situation Einer Bewertung der Entwicklung eines Rechtsgebiets hat die Kenntnisnahme der Entwicklung der gesellschaftlichen Situation im gleichen Zeitraum voranzugehen. Im Rahmen des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften finden sich hier relevante Veränderungen in der religionssoziologischen Zusammensetzung der Bevölkerung und im Meinungsstand innerhalb der juristischen Literatur.

I. Religionssoziologische Auffächerung Die von der juristischen Literatur ausgemachten religionssoziologischen Trends am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts wurden bereits im Rahmen der Erörterung der Fachbezeichnung aufgezeigt. Zusammenfassend lässt sich zum einen von einem sanften, aber stetigen Verlust von Mitgliedern der beiden „Großkirchen“ sprechen (Säkularisierung). Der Beitritt der neuen Bundesländer mit ihren christlichen Minderheiten gegenüber einer nicht religiös gebundenen Mehrheit hat diesen Prozess beschleunigt. Die Bundesrepublik ist nicht mehr durchgehend volkskirchlich geprägt. Zum anderen findet eine religiöse Auffächerung durch die Zunahme der Anzahl von Religionsgemeinschaften und deren Mitgliedern statt (Pluralisierung).

1. Beispiel: Die Situation der Evangelischen Kirchen in Ostdeutschland Aus der Mitte der EKD entstand im Jahr 1995 ein Diskussionspapier dessen Titel diese neue Lage aufgreift: „Minderheit mit Zukunft. Zu Auftrag und Gestalt der ostdeutschen Kirchen in der pluralistischen Gesellschaft“1. Das volkskirchliche 1 Vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.), „Minderheit mit Zukunft“, im Auftrag des Kirchenamtes der EKD herausgegeben von H. Zeddies, 1996, S. 7.

A. Veränderte gesellschaftliche Situation

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Modell habe sich in der alten Bundesrepublik bewährt2. Deshalb sei man von einer spannungsfreien Wiederherstellung der deutschen Einheit unter diesem System ausgegangen. Jedoch hätten die Evangelischen Kirchen während der DDR-Zeit einen kirchensoziologischen Wandel durchgemacht. Man sei von einer „andauernden tiefgreifenden Minorisierung geprägt.“ Zusammen mit einer Marginalisierung innerhalb der Gesellschaft habe sich eine Minderheitenkirche in volkskirchlichen Strukturen gebildet. Die Nische sei nun weggefallen und auch die Kirche stünde auf dem Markt der pluralistischen Gesellschaft. Allein finanziell seien die ostdeutschen Landeskirchen heillos überfordert. Nach einer intensiven Diskussion dieses Papiers wurden 1998 „Leitlinien künftiger kirchlicher Arbeit in Ostdeutschland“ erstellt. Der Titel „Kirche mit Hoffnung“ zeugt von dem Willen, die Herausforderungen anzunehmen3. Eine „offene und gewinnende Kirche“ soll entstehen, die auch Konfessionslose und Distanzierte anspricht4. Weiterhin wird im Gegensatz zur volkskirchlichen Struktur eine Beteiligungskirche vorgeschlagen. Jedes Gemeindemitglied sei „Gottes Mitarbeiterin und Mitarbeiter“5. Insofern hat auch bei den „Groß-Kirchen“ eine aktive Auseinandersetzung mit den beschriebenen Phänomenen begonnen.

2. Beispiel: Die Ausbreitung des Islam in Deutschland Die größte nicht-christlich geprägte Gruppe bildet in Deutschland der Islam. Mittlerweile leben in Deutschland drei Millionen Muslime6. Obwohl die meisten von ihnen Ausländer sind, ist ein Absinken dieser Zahl nicht zu erwarten, da die Mehrheit auf Dauer in Deutschland bleiben wird7. Mit diesem Trend steht Deutschland in Europa nicht allein. Andere Staaten, insbesondere ehemalige Kolonialmächte wie Großbritannien und Frankreich erleben dieses Phänomen in noch höherem Ausmaß8. Damit ist mit Brenner eine Wagenburg-Mentalität ausgeschlossen9. Vielmehr steht, wie es der Untertitel eines Aufsatzes von Janz / Rademacher beschreibt „die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates auf dem Prüfstand“10. Das Kopftuch als religiöses Symbol11 findet ebenso zunehmende Auch zum Folgenden vgl. S. 31 ff. Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Kirche mit Hoffnung. Leitlinien künftiger Arbeit in Ostdeutschland, 1998. 4 A. a. O., S. 22 ff., 25 ff. 5 A. a. O., S. 28 ff. 6 M. Brenner, Staat und Religion, VVDStRL 59 (2000), S. 277. 7 Vgl. S. Muckel, Religionsfreiheit für Muslime in Deutschland, in: FS Listl, 1999, S. 239. 8 Zu Frankreich siehe A. Gromitsaris, Laizität und Neutralität in der Schule, AöR 121 (1996), S. 366 ff. 9 M. Brenner, a. a. O. 10 N. Janz / S. Rademacher, Islam und Religionsfreiheit. Die religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates auf dem Prüfstand, NVwZ 1999. 2 3

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3. Teil: Bewertung der Entwicklung

Verbreitung wie der Ruf des Muezzin12. In Kindergärten, Schulen, in der Militärseelsorge, im Bestattungswesen13 ist nach einer Handreichung des Rates der EKD das „Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland“ offen14 und ehrlich zu gestalten15. Der Fundamentalismus ist nur eine Variante des Islam und bedeutet daher keine Desavouierung der Glaubensgemeinschaft16.

II. Zunehmende Kritik am deutschen Modell in der juristischen Literatur Das deutsche religionsverfassungsrechtliche Modell wurde lange Jahre nach dem Erlass des Grundgesetzes von einem breiten Konsens getragen17. Das nahezu einzige und schon von daher klassische Beispiel aus der Zeit bis zur Wiedervereinigung ist das sog. FDP-Kirchenpapier von 1973 / 7418. In der Rechtswissenschaft wurde grundsätzlich um Details, nicht um Grundfragen gerungen. Eine der höchst seltenen Ausnahmen ist der Autor E. Fischer, dessen kritische Arbeit „Trennung von Staat und Kirche“ von 1964 im Jahr 1993 unter dem neuen, selbstverständlich programmatischen Titel „Volkskirche ade“ in 4. Auflage erschienen ist19.

11 R. Halfmann, Der Streit um die „Lehrerin mit Kopftuch“, NVwZ 2000; E.-W. Böckenförde, „Kopftuchstreit“ auf dem richtigen Weg?, NJW 2001; N. Janz / S. Rademacher, Das Kopftuch als religiöses Symbol oder profaner Bekleidungsgegenstand?, JuS 2001. 12 E. Sarcevic, Religionsfreiheit und der Streit um den Ruf des Muezzin, DVBl. 2000; W. Wieshaider, Von Moscheenbau und Muezzinruf, in: 41. Tagung „Öffentliches Recht“, 2001. Vgl. zur Parallel- und Vergleichsproblematik A. Hense, Glockenläuten und Uhrenschlag. Der Gebrauch von Kirchenglocken in der kirchlichen und staatlichen Rechtsordnung, 1998. 13 Dazu K. Hertlein, Der rechtliche Rahmen für Bestattungen nach islamischen Vorschriften, NVwZ 2001. 14 Hier kann die Lehre von der „offenen Gesellschaft“ fruchtbar gemacht werden, vgl. P. Häberle, Der Fundamentalismus als Herausforderung des Verfassungsstaates, in: Schmidt / Weyer (Hrsg.), Josef Esser zum 85. Geburtstag, 1995, S. 75. 15 So Inhalte und Überschrift einer Handreichung des Rates der EKD die sowohl rechtliche Rahmenbedingungen als auch praktische Vorgehensweisen umfasst, vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Zusammenleben mit Muslimen in Deutschland, 2000, S. 9, 55 ff., 66 ff., 70 ff. 16 Vgl. P. Häberle, a. a. O., 57 ff. 17 Dazu A. v. Campenhausen, Offene Fragen im Verhältnis von Staat und Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts, Essener Gespräche 34 (2000), S. 105 f. Vgl. auch zum Folgenden insgesamt den Überblick über die „Infragestellungen“ in der Politik, in der Lehre und in der Rechtsprechung, a. a. O., S. 107 ff. 18 Vgl. nur A. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 1996, S. 104 Fn. 33, 143 f., 147, 157. Siehe auch bei H. Marré, Das staatliche Religionsrecht in Deutschland, in: Puza / Kustermann (Hrsg.), Staatliches Religionsrecht im europäischen Vergleich, 1993, S. 101 f. 19 E. Fischer, Volkskirche ade! Trennung von Staat und Kirche, 1993.

A. Veränderte gesellschaftliche Situation

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In den Neunziger Jahren wird die Grundlagendiskussion vor allem durch zwei Bayerische Verwaltungsrichter belebt. L. Renck und G. Czermak haben bis zum Jahr 2001 eine Fülle von fundamentalkritischen Aufsätzen und ein Buch zu verschiedenen Themen des Religionsverfassungsrechts publiziert20. Darin verweisen beide stets auf die bereits in der Weimarer Reichsverfassung ausgesprochene Religionsfreiheit im Rahmen einer Trennung von Staat und Kirche21. Die anderen Vorschriften müssten als Ausnahmen zu diesem Grundsatz eng ausgelegt werden, sie erschienen als prinzipienwidriges Verfassungsrecht22. Diese Linie findet sich in zunehmender Häufigkeit bei Autoren, die eher gelegentlich zum Thema schreiben. Sie wird zum Beispiel im Jahr 1993 durch M. Kleine in einer bei dem früheren katholischen Kirchenrechtler J. Neumann angefertigten Dissertation ausgebaut23. Er sieht die im Grundgesetz normierten Kooperationsbereiche als „institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten“ an24. Die Autoren J. Wasmuth und G. Schiller sehen in einem gemeinsamen Aufsatz aus dem Jahr 2001 keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Inpflichtnahme von Arbeitnehmern und Arbeitgebern beim Einzug der Kirchensteuer25. C. Sailer sieht im gleichen Jahr die staatliche Finanzierung der Kirchen voller „Verfassungswidrigkeiten“26. Das Testkriterium Religionsfreiheit will H. Simon im Jahr 1997 zur Prüfung dessen einführen, was von den bestehenden Einzelregelungen noch zeitgemäß und 20 L. Renck: Bestandsschutz für kirchliche Feiertage, NVwZ 1993; Rechtsfragen des Religionsunterrichts im bekenntnisneutralen Staat, NVwZ 1994, Probleme des Thüringer Staatskirchenrechts, ThürVBl. 1996; Bekenntnisrecht im wiedervereinigten Deutschland, ZRP 1999; Zum Stand des Bekenntnisverfassungsrechts in der Bundesrepublik, BayVBl. 1999, Nochmals. Zum Stand des „Staatskirchenrechts“ in Deutschland, 2000; Bekenntnisverfassungsrecht und kirchliches Drittsendungsrecht, NVwZ 2000; G. Czermak: Zur Unzulässigkeit des Kreuzes in der Schule, in: Brugger / Huster (Hrsg.), Der Streit um das Kreuz in der Schule, 1998; „Religions(verfassungs)recht“ oder „Staatskirchenrecht“?, NVwZ 1999, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), Religionsverfassungsrecht im Wandel, NVwZ 2000. Vgl. auch die Übersicht bei A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68, Fn. 23. 21 Vgl. R. Tillmanns, Grundzüge des Staatskirchenrechts in den neuen Bundesländern, in: Neumann / Tillmanns (Hrsg.), Konstituierung der neuen Bundesländer, 1997, S. 196. 22 Zu Recht übt an dieser rechtspolitischen Korrektur Kritik A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68 ff. 23 M. Kleine, Institutionalisierte Verfassungswidrigkeiten im Verhältnis von Staat und Kirchen unter dem Grundgesetz. Ein Beitrag zur juristischen Methodenlehre im Staatskirchenrecht, 1993. 24 Vgl. A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68, Fn. 24 und R. Tillmanns, a. a. O., S. 191 ff. 25 J. Wasmuth / G. Schiller, Verfassungsrechtliche Problematik der Kirchenlohnsteuer, NVwZ 2001, S. 856 ff. 26 So die Überschrift des Bewertungsteils S. 82 bis 87 von C. Sailer, Die staatliche Finanzierung der Kirchen und das Grundgesetz, ZRP (2001).

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3. Teil: Bewertung der Entwicklung

auch für anders denkende Staatsbürger annehmbar ist27. Dazu gehören offenbar nicht die Militärseelsorge und das kirchliche Arbeitsrecht28. Die derzeit bestehende differenzierende Behandlung von Religionsgemeinschaften mit und ohne Körperschaftsstatus findet nach W. Weiß im Staatskirchenrecht „keine besondere Rechtfertigung“29. Anzuwenden sei der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der für alle Religionsgemeinschaften eine Gleichbehandlung fordere30. Mit der Wiedervereinigung sei die „recht pauschale Argumentation mit der besonderen Stellung der beiden großen Kirchen“ aus mehreren Gründen wie zum Beispiel der erheblich schwindenden Mitgliederzahl31 „zusehends weniger überzeugend“32. Die Kritik wird zumeist aus den alten Bundesländern geäußert. Nur selten sind Stimmen aus den neuen Bundesländern zu hören. Ein Beispiel aus Rostock bildet R. Weber in Bezug auf die aus städtischen Patronaten resultierenden Baulastverpflichtungen an kirchlichen Gebäuden in den neuen Bundesländern33. Die dortige Änderung der konfessionellen Zusammensetzung bedeute einen unvorhersehbaren und zugleich grundlegenden Wandel34. Dies führe zu einem „Wegfall der Geschäftsgrundlage“. Die Pflichten seien zwar nicht weitgehend entleert, jedoch mindestens weit zu reduzieren. Insgesamt lässt sich eine quantitative Steigerung der Fundamentalkritik am deutschen Modell feststellen, jedoch ausgehend von einem prozentual gesehen niedrigen Niveau. Auffallend ist die Herkunft der Autoren, die vorwiegend in den alten Bundesländern leben. Der Ansatzpunkt der Kritik ist stets eine neue restriktive Interpretation der religionsverfassungsrechtlichen Regelungen des Grundgesetzes. Eine textliche Änderung wird nicht vorgeschlagen.

27 H. Simon, Freie Kirche im demokratischen Staat, in: Bald / Martin (Hrsg.), Aufbruch nach der Wende. Militärseelsorge, Kultursteuer und das Staat-Kirche-Verhältnis, 1997, S. 61 ff. 28 A. a. O., S. 64 f. 29 W. Weiß, Gleichheit oder Privilegien? – Zur Stellung öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften, KritV 83 (2000), S. 128. 30 A. a. O., S. 128 ff. 31 A. a. O., S. 136. 32 A. a. O., S. 138. 33 R. Weber, Wegfall der Gechäftsgrundlage für die aus städtischen Patronaten resultierenden Baulastverpflichtungen an kirchlichen Gebäuden in den neuen Bundesländern, LKV 2001. 34 Auch zum Folgenden R. Weber, a. a. O., S. 54. Eine Ablösung der Kirchenbaulasten „in der Zukunft“ wird gutgeheißen von V. Knöppel / T. Köster, Kirchenbaulasten in Thüringen, ThürVBl. 2000, S. 11.

B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht?

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B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht? Nach fünfzig Jahren DDR-Prägung war die Regelung des Themas Staat und Religion in den fünf neuen Bundesländern ein Testfall für das deutsche Kooperationsmodell. Alle Verfassungen haben sich jedoch in das etablierte System integriert. Verträge mit den Religionsgemeinschaften haben diese Vorgaben ausgefüllt und abgesichert. Revolutionäre Ansätze sind vollständig unterblieben35. Textliche Neuerungen wie die Fixierung des Öffentlichkeitsauftrags der Religionsgemeinschaften und der Förderungswürdigkeit ihrer karitativen Arbeit zeugen mehr von der textlichen Aufnahme allgemein ausgeübter Grundsätze als von einem Willen zur Distanzierung. Allenfalls ist mit Häberle von einem Schrumpfungsprozess in Bezug auf die Themenvielfalt zu sprechen36. Die Länder regeln nur die ihnen wichtigen Teilaspekte37. Angesichts des fest vorgegebenen bundesrechtlichen Rahmens erscheint dies jedoch legitim. Immerhin haben die Länder ihre Rolle im deutschen Modell definiert und nicht dagegen rebelliert. Starck spricht in diesem Sinne von einer Befestigung der Stellung der Kirchen38. Diese Stellung wurde den Religionsgemeinschaften offenbar ganz bewusst eingeräumt. In mehreren Bereichen haben die Verfassungen der neuen Bundesländer Neuerungen erarbeitet und textlich eingebunden. Dies spiegelt sich in einem von Grunsky bildlich dargestellten und daher anschaulichen, aber wohl zu allgemeinen Raster wider. Dieses ist in die zwei Rubriken Innovation und Tradition eingeteilt und zeigt den Bereich „Kirchen und Religionsgemeinschaften“ auf der letztgenannten Seite39. Auf dieser Seite befinden sich weitere acht Regelungsbereiche, während auf der Seite der Innovation 15 Eintragungen zu finden sind. Eine Grundlinie der neuen Landesverfassungen ist nach Hesse die allgemeine Tendenz, neuen Problemlagen in grundrechtlichen oder grundrechtsähnlichen Bestimmungen Rechnung zu tragen40. Die These vom „Werkstattcharakter des Föderalismus“ (Häberle)41 hat sich in der Verfassunggebung in den neuen Bundesländern exemplarisch bewahrheitet42. 35 N. Grunsky, Konsens und Konkordanz. Die Entstehung der ostdeutschen Länderverfassungen im Kontrast zur Reform des Grundgesetzes, 1998, S. 75. 36 P. Häberle, Die Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern 1991 – 1992 mit Textanhang: Verfassungen und Verfassungsentwürfe, JöR 42 (1994), S. 174. 37 C. Fuchs, Das Staatskirchenrecht der neuen Bundesländer, 1999, S. 299. 38 C. Starck, Die Verfassungen der neuen Länder, in: HbStR IX, 1997, Rz. 68. 39 Vgl. N. Grunsky, Konsens und Konkordanz. Die Entstehung der ostdeutschen Länderverfassungen im Kontrast zur Reform des Grundgesetzes, 1998, S. 269 und die textliche Erläuterung auf S. 272. 40 K. Hesse, Der Beitrag der Verfassungen in den neuen Bundesländern zur Verfassungsentwicklung in Deutschland, KritV 76 (1993), S. 9. 41 P. Häberle, Die Schlußphase der Verfassungsbewegung in den neuen Bundesländern mit Textanhang: Verfassungen von Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, JöR 43 (1995), S. 357.

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3. Teil: Bewertung der Entwicklung

Auch die alten Bundesländer haben trotz teilweise weitgehender Veränderungen der Textfassungen ihrer Verfassungen im Rahmen von echten Reformen nur äußerst selten in das Religionsverfassungsrecht eingegriffen. An die neuen Texte und Konfliktlagen im Religionsverfassungsrecht knüpft eine große wissenschaftliche Aufmerksamkeit in Deutschland an43. Zwar vermehrt, aber insgesamt immer noch relativ selten wird eine Änderung der gegenwärtigen Ausgestaltung gefordert. Damit hat sich die These von der „Renaissance des Religionsverfassungsrechts“ (Häberle) bestätigt. Fragt man nach den Ursachen für die geringen Abweichungen von der in den westdeutschen Ländern üblichen Kooperationsbereitschaft, so ist auf die besondere Rolle der Kirchen innerhalb der DDR und im Prozess der Wende zu verweisen. Diese führte zu einer starken Position im demokratischen Neubeginn auch ohne volkskirchlichen Rückhalt. Auch der große Vorrat an Personen, die nicht durch ihre persönliche Lebensgeschichte vorbelastet waren, ist ein entscheidendes Kriterium für die herausragende Positionierung der Sache Religion nach der Wende im Vergleich zu vorher44. Die besonders ausführlichen und die Religionsgemeinschaften stark fördernden Regelungen in frühen Verfassungsentwürfen zeugen von den Prinzipien der an der friedlichen Revolution Beteiligten. Tatsächlich gibt es, so zu Recht von Campenhausen, keinen Anlass zu angestrengten Reformbemühungen, da sich die Situation nicht als beschwerlich und reformbedürftig erwiesen hat45. Verschiedene aktuelle Probleme bedürfen selbstverständlich der Einordnung und Entscheidung im geltenden Recht46. Dazu gehören zum Beispiel die Theologischen Fakultäten47, die Beteiligung am Rundfunk48, die 42 N. Grunsky, a. a. O., S. 278 f.; In Bezug auf die Auswirkungen auf das Grundgesetz vgl. U. Berlit, Die Reform des Grundgesetzes, JöR 44 (1996), S. 78 f. 43 Vgl. A. v. Campenhausen, Aktuelle Probleme des Staatskirchenrechts im Spiegel der FS Martin Heckel, Theologische Literaturzeitung 125 (2000), S. 592. 44 Vgl. G. Wichmann, Diskussionsbeitrag, Essener Gespräche 26 (1992), S. 90 und S. Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, ZevKR 39 (1994), S. 404. 45 A. v. Campenhausen, Zum Stand des Staatskirchenrechts in Deutschland, BayVBl. 1999, S. 68. 46 Vgl. die grundsätzliche Schilderung durch W. Bock, Die Religionsfreiheit zwischen Skylla und Charybdis, AöR 123 (1998). 47 Vgl. H. Grote, Nihil obstat. Staatskirchenrecht und Hochschullaufbahn, MD 46 (1995); A. Hollerbach, Theologische Fakultäten und staatliche Pädagogische Hochschulen, in: HdbStKirchR, 1995; M. Morlok / M. H. Müller, Keine Theologie ohne die Kirche / keine Theologie gegen die Kirche, JZ 1997; H. Kreß, Die evangelischen Staatskirchenverträge in den neuen Bundesländern, MD 48 (1997), S. 25 ff.; H. Lecheler, Die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen als Herausforderung an das deutsche staats-kirchen-rechtliche System, in: FS Listl, 1999, S. 148 ff.; H. Weber, Der Wittenberger Vertrag – Ein Loccum für die neuen Bundesländer?, NVwZ 1994. 48 Vgl. den Rechtsvergleich Deutschland / Österreich bei A. Leitner, Anspruch der Kirchen und Religionsgemeinschaften im öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Rundfunk, 2000.

B. Reaktionen im Religionsverfassungsrecht?

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Anstalts- und Militärseelsorge49 sowie der Religions- und Ethikunterricht50. Das Problem der Einführung eines Religionsunterrichts für Muslime kann nach einem begrüßenswerten Vorschlag von Robbers folgendermaßen aus dem deutschen Modell heraus gelöst werden51: Voraussetzung sei, dass „eine Gemeinschaft, ein Verein, eine Organisation von Moslems sich auf ein Curriculum einigen kann und genug Schüler zusammenbringt, die das hören wollen, vielleicht 12 in einer Schule, dann haben sie ein Recht auf islamischen Religionsunterricht nach diesem Curriculum. Einige weitere eher technische Fragen mögen dann noch zu klären sein.“

Es gibt jedoch auch Stimmen, die die Übernahme des bisherigen Modells insbesondere durch Verträge zwischen dem Staat und Religionsgemeinschaften kritisieren52. Ansatzpunkt ist die Feststellung, dass sich weder die weitgehende Entkirchlichung der Gesellschaft auf die Neuordnung des Religionsverfassungsrechts in den neuen Bundesländern ausgewirkt hat, aber auch die vor allem anfangs verbreitete Skepsis gegenüber dem Staat der alten Bundesrepublik und seinem Religionsrecht innerhalb der Evangelischen Kirche53. Die äußerliche Stabilität des Staatskirchenrechts bildet nach Isensee „für den, der es für erhaltenswürdig hält, auch keinen Grund zur Beruhigung“54. Denn „Windstille verheißt nicht Sicherheit 49 Vgl. S. Eick-Wildgans, Anstaltsseelsorge, 1993; G. Mehrle, Trennung vom Staat – Mitarbeit in staatlichen Institutionen. Militärseelsorge und Religionsunterricht in den neuen Bundesländern, 1998; V. Kruk, Militärseelsorge, KuR 2001. 50 T. Anger, Die Einführung des Unterrichtsfaches „LER“ in Brandenburg – ein Paradigmenwechsel im Staatskirchenrecht?, 1997; K.-H. Kästner, Religiöse Bildung und Erziehung in der öffentlichen Schule, Essener Gespräche 32 (1998); M. Heckel, Religionsunterricht für Muslime?, JZ 1999; U. Häußler, Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Errichtung islamischen Religionsunterrichts, ZAR 2000; B. T. Drößler, Stichwort Ethikunterricht, in: v. Campenhausen / Riedel-Spannenberger / Seebott (Hrsg.), Lexikon für Kirchenund Staatskirchenrecht, Band 1, 2000; U. Hildebrandt, Das Grundrecht auf Religionsunterricht, 2000. 51 G. Robbers, Diskussionsbeitrag, VVDStRL 59 (2000), S. 362. Ähnlich K. Wähler, Diskussionsbeitrag, Essener Gespräche 33 (1999); H. Jochum, Islam in der staatlichen Schule, in: 41. Tagung, 2001, S. 120 f.; H. Weber, Neuralgische Punkte in den Grundsatzfragen des Staatskirchenrechts, in: FS Maurer, 2001, S. 476. 52 H. Weber, Der Wittenberger Vertrag – Ein Loccum für die neuen Bundesländer?, NVwZ 1994, S. 766; W. Fleischmann-Bisten, Staatskirchenverträge des Vatikans mit den neuen Bundesländern, MD 49 (1998), S. 74; G. Czermak, Rechtsnatur und Legitimation der Verträge zwischen Staat und Religionsgemeinschaften, Der Staat 39 (2000), S. 84 f. Positiv dagegen: W. Rüfner, Geltung von Konkordat und Kirchenvertrag im Beitrittsgebiet, in: FS Thieme, 1993, S. 352; H. Kreß, a. a. O., S. 28; H. Lecheler, Die wissenschaftliche Vorbildung der Geistlichen als Herausforderung an das deutsche staats-kirchen-rechtliche System, in: FS Listl, 1999, S. 155; auch mit Hinweis auf „Suspendierung, Anpassung und Wegfall von Staatskirchenverträgen“: D. Ehlers, Problemstellungen des Vertragskirchenrechts, ZevKR 46 (2001), S. 316 ff. 53 Dieses Fazit findet sich ohne eine Prognose für die Zukunft G. Burger, Staatskirchenrecht in Sachsen, 1998, S. 187. 54 J. Isensee, Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Staatskirchenrechts, in: FS Listl, 1999, S. 90.

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3. Teil: Bewertung der Entwicklung

vor dem Unwetter“55. Dahinter steht die Frage, ob man das System „mit seinem Geist der Partnerschaft und Zusammenarbeit“ auf die in der Zeit der DDR geprägten Verhältnisse in den neuen Bundesländer übertragen kann56. Im Falle eines Scheiterns könnte sich die gegenwärtige Rechtslage als Pyrrhussieg erweisen. Der damalige sächsische Justizminister formulierte dies bereits im Jahr 1994 folgendermaßen57: „Wie der zu große Rock kann auch ein überdimensioniertes System peinlich und lächerlich wirken, ja zur Paralyse des Systems führen.“

Ein entscheidender Faktor für die Zukunft ist auch m. E. das Verhalten der Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften selbst. Durch eine konsequente Hinwendung zu den religiösen Wurzeln und durch die Verbreitung des religiösen Gedankenguts (in christlicher Terminologie: Verkündigung) müssen sie ständig neu die Legitimationsfundamente ihrer besonderen Stellung rechtfertigen. In der Welt der Postmoderne keine leichte Aufgabe58.

A. a. O., S. 68. W. Rüfner, Deutsche Einheit im Staatskirchenrecht, Essener Gespräche 26 (1992), S. 77. 57 S. Heitmann, Die Entwicklung von Staat und Kirche aus der Sicht der „neuen“ Länder, ZevKR 39 (1994), S. 410. 58 Vgl. Überschrift und Inhalt von M. Heckel, Kontinuität und Wandlung des deutschen Staatskirchenrechts unter den Herausforderungen der Moderne, ZevKR 44 (1999). Vgl. auch E. Stammler, Kirche ohne Volk. Christen am Ende des Jahrtausends, 1992, S. 179 f. Dieser fordert, sich bewusst jetzt schon auf eine Zukunft einzurichten, in der das Erbe früherer Macht hinfällig sein wird und die Allianz mit den herrschenden Mächten zu Ende geht. 55 56

Dokumentenanhang Die Dokumente belegen die Beteiligung der Kirchen im Prozess der Verfassunggebung in vier neuen Bundesländern. Offensichtliche Schreibfehler wurden behoben. Der Verfasser dankt für die Unterstützung bei der Sammlung folgenden Personen und Institutionen: Herrn Vizepräsident i. R. K. Bielitz, Kassel, Herrn Amtsleiter M. Crone, Schwerin, Herrn Prälat D. Grande, Dresden, Herrn Konsistorialpräsident i. R. H. Johnsen, Gauting, Herrn Professor Dr. C. Starck, Göttingen, Herrn Ordinariatsrat W. Weinrich, Erfurt, Herrn Geschäftsführer G. Wichmann, Berlin, Frau I. Stahlberg, Landeshauptarchiv des Landes Brandenburg. I. Brandenburg 1. Stellungnahme zum Entwurf der Verfassung (15. August 1991) 2. Kurzgutachten von A. Hollerbach zur Frage der Verbindlichkeit des Preußischen Konkordats für das Land Brandenburg (9. September 1991) 3. Kurzgutachten von A. Hollerbach zu der Frage, ob das Land Brandenburg Artikel 141 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann (9. September 1991) 4. Betr.: Verfassung des Landes Brandenburg (3. Februar 1992) 5. Anschreiben und Stellungnahme (21. Februar 1992) II. Sachsen 1. Anhörung in Chemnitz (20. Juli 1991) 2. Verfassungsentwurf (5. August 1991) III. Mecklenburg-Vorpommern 1. Leitlinien zur Diskussion des Verfassungsentwurfs (August 1990) 2. Pressemitteilung zum Entwurf einer Verfassung (4. September 1990) 3. Bemerkungen zum Entwurf einer Verfassung (20. September 1990) 4. Stellungnahme zu den bisherigen Verfassungsentwürfen (8. April 1991) 5. Entwurf der Kirchen (27. Mai 1991) 6. Stellungnahme der Kirchenleitung (30. April 1992) 7. Stellungnahme zum Entwurf einer Verfassung (30. September 1992) IV. Thüringen 1. Empfehlungen und Vorschläge für eine Verfassung vor Bekanntwerden der Vorschläge der einzelnen Parteien (ohne Datum)

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2. Vorläufige Stellungnahme der Kirchen (Sommer 1992) 3. Stellungnahme der Kirchen (18. / 19. Mai 1993)

I. Brandenburg 1. Schreiben des Konsistoriums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg (15. August 1991) EVANGELISCHE KIRCHE IN BERLIN-BRANDENBURG KONSISTORIUM Bachstraße 1 – 2 W-1000 Berlin 21 Berlin, den 15. Aug. 1991 An den Verfassungsausschuß des Landtages Brandenburg Herrn Landtagspräsident Dr. Herbert Knoblich Heinrich-Mann-Allee 107 0 – 1561 Potsdam Betr.: Stellungnahme zum Entwurf der Verfassung für das Land Brandenburg [Stempelvermerk: Verfassungsausschuß, Zuschriften III / 100, Antw. 5.9.] Sehr geehrter Herr Präsident! Namens der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg möchten wir zum Entwurf der Verfassung des Landes Brandenburg vom 31. 5. 1991 Stellung nehmen. Wir beschränken uns dabei auf jene Artikel, die für die Tätigkeit der Evangelischen Kirche von besonderer Bedeutung sein würden. Wir sehen in dem Entwurf das Bemühen, zu einer guten Regelung der Beziehungen zwischen dem Land Brandenburg und den Kirchen zu gelangen. Insbesondere begrüßen wir, daß die wesentlichen Aussagen der Weimarer Reichsverfassung zum Verhältnis von Staat und Kirche in der Verfassung des Landes Brandenburg rezipiert werden sollen. Auf folgende Mängel des Entwurfs möchten wir aber hinweisen und Änderungen erbitten: 1. Zu Artikel 14 Absatz 2: Der letzte Satz ist zu streichen. Begründung: Durch die Hinzufügung des letzten Satzes weicht Artikel 14 von Artikel 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Sätze 3 und 4 WRV ab. Das Recht der Behörden, nach der Religionszugehörigkeit zu fragen, würde weitgehend leer laufen, wenn jeder Betroffene sich einer Antwort durch ausdrückliche Befolgung des Hinweises entziehen könnte, daß er die Anfrage nicht zu beantworten brauche. Die Kirchen und die staatliche Finanzverwaltung sind, z. B. in der Frage der Kirchensteuer, aber darauf angewiesen, daß die Bürger gegenüber den zu einer entsprechenden Anfrage berechtigten Behörden wahrheitsgemäß antworten, ob sie einer Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören. Soll das Fragerecht der Behörden

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einen Sinn behalten, ist der letzte Satz in Übereinstimmung mit dem geltenden Bundesrecht zu streichen. 2. Zu Artikel 30: Der Text sollte beginnen: Erziehung und Bildung haben die Aufgabe, selbständiges Denken und Handeln, die Herausbildung der Persönlichkeit, Achtung vor der Würde . . . Begründung: Mit Ausnahme der Erziehungsziele „selbständiges Denken und Handeln“ beschreibt der Artikel in der jetzigen Fassung im wesentlichen Außenziele, nicht aber Ziele, die den Kern der Persönlichkeit betreffen. Zwar ist in Art. 11 bereits vom Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit die Rede. Im Zusammenhang von Erziehung und Bildung scheint uns der pädagogisch angemessenere Begriff der der Herausbildung der Persönlichkeit zu sein, der ein wesentliches, uns verfassungswürdig erscheinendes Erziehungsziel benennt. 3. Zu Artikel 31 Absatz 3: Eine Textänderung scheint uns nicht erforderlich. Wir möchten aber gesichert wissen, daß die Zusage der Schulgeld-, Lern- und Lehrmittelfreiheit nur für diejenigen Schulen Verfassungsgebot sein kann, deren Träger das Land oder die Kommunen sind. Für die in Absatz 4 garantierten Ersatzschulen in freier Trägerschaft kann dieses Gebot nicht gelten und auch durch das in Absatz 3 angekündigte Gesetz nicht verpflichtend gemacht werden, da die freien Träger auf finanzielle Beiträge der Eltern angewiesen sind, selbst wenn das Land einen Finanzierungszuschuß gewährleistet. Ersatzschulen erforderten selbst dann erhebliche finanzielle Anstrengungen der freien Träger, wenn das Land die gesamten Personalkosten trüge. 4. Zu Artikel 31 Absatz 4: Der letzte Satz sollte ergänzt werden und lauten: . . . Anspruch auf einen öffentlichen Finanzierungszuschuß, der mit der Förderung der Schulen des Landes oder der Träger kommunaler Selbstverwaltung vergleichbar ist. Begründung: Ersatzschulen sind für andere Träger nur finanzierbar, wenn angemessene Finanzierungszuschüsse des Landes bereitgestellt werden. Als angemessen können aber nicht Zuschüsse angesehen werden, die weit unter dem liegen, was für Schulen der öffentlichen Hand aufzubringen ist. Nur dann ist eine Chancengleichheit für Schulen in freier Trägerschaft gewährleistet und dem Eindruck gewehrt, als wolle der Staat auf einem Bildungsmonopol beharren. Dies aber würde die Funktion der Schulen in freier Trägerschaft als bereicherndes und für das Bildungswesen anregendes Element innerhalb der Schullandschaft unberücksichtigt lassen. 5. Zu Artikel 32 Absatz 2: a) Die Aussagen über weiterführende Schulen und Religionsunterricht sollten nicht in einem Artikel miteinander verbunden werden, da sich der Religionsunterricht nicht nur auf weiterführende Schulen bezieht. b) In Absatz 2 muß Satz 1 lauten: Das Recht auf Religionsunterricht in den Schulen, der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Kirchen und Religionsgemeinschaften als ordentliches Lehrfach zu erteilen ist, wird gewährleistet. 16 Kupke

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Begründung: Die Aussage im Verfassungsentwurf bleibt hinter Artikel 7 Absatz 3 GG zurück und macht aus dem ordentlichen Fach Religionsunterricht ein fakultatives Angebot. Uns ist überdies bekannt, daß das Bildungsministerium des Landes Brandenburg das im Entwurf enthaltene Grundrechtsgebot auch noch durch das Angebot eines Lehrfaches „Lebensgestaltung / Ethik / Religion“ unterlaufen will, indem es ein solches Fach als ordentliches Lehrfach in Konkurrenz zu einem fakultativen und zusätzlichen Angebot eines Religionsunterrichts sehen möchte. Dabei wäre es nicht vermeidbar, daß für ein Zusatzangebot nur ungünstige Eckstunden in Frage kämen. Das mit der höheren Verbindlichkeit angebotene Fach Lebensgestaltung / Ethik / Religion wäre also darauf angelegt, den Religionsunterricht als Konkurrenzangebot von den Schulen zu verdrängen. Wir bestreiten, daß Artikel 7 Absatz 3 GG für das Land Brandenburg nicht verbindlich ist, wovon der Verfassungsentwurf offenbar ausgeht. Zwar hat Artikel 141 GG beim Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 jenen Ländern ein Abweichen von Art. 7 Abs. 3 GG gestattet, in denen am 1. 1. 49 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Der Sinn dieser Bestimmung war aber eindeutig der, eine in einem Land bei Inkrafttreten der Verfassung bestehende, eingeübte Regelung der Vermittlung von Religion in den Schulen (als staatliche Aufgabe) nicht außer Kraft zu setzen. Eine solche eingeübte Regelung bestand beim Inkrafttreten des Grundgesetzes am 3. 10. 1990 im Land Brandenburg nicht. Es gab zwischen Schule und Religion bzw. der Vermittlung von Kenntnissen über Religion eine Nichtbeziehung, aber keine Regelung. Es steht zu der durch Artikel 141 GG angestrebten Rechtskontinuität im Widerspruch, wenn jetzt der Versuch unternommen werden sollte, an Artikel 66 der alten Brandenburger Verfassung und § 2 eines Schulgesetzes von 1946 anzuknüpfen, das beim Inkrafttreten des Grundgesetzes im Land Brandenburg seit über 30 Jahren nicht mehr galt und auch keine Nachfolgeregelung zur Frage des Religionsunterrichts hatte. Zur Frage der fehlenden Rechtskontinuität möchten wir auch auf den Kommentar von Mangoldt-Klein, 3. Auflage, zu Art. 141 Abschnitt E (Bedeutung des Art. 141 für Mitteldeutschland seit 1990) verweisen. Der Stichtag 1. 1. 49 in Artikel 141 macht jedenfalls Sinn nur im Zusammenhang mit dem seinerzeit unmittelbar bevorstehenden Inkrafttreten der Verfassung für solche Länder, in denen zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens von Art. 7 Abs. 3 eine andere staatliche Regelung für die Vermittlung von Kenntnissen über Religion bestand. Brandenburg hatte überdies auch keine Regelung, die Vermittlung von Kenntnissen über Religion als Aufgabe der Schule beschrieb, sondern duldete nur einen von der Kirche zu tragenden Religionsunterricht – eine subtile Form der Nichtregelung. Unseres Wissens wird demgegenüber auch in den Ländern, in denen Art. 141 gilt, nicht bestritten, daß die Sorge für eine sachgerechte Unterrichtung über Religion als Aufgabe der Schule anerkannt ist. Sollte im Land Brandenburg der Gedanke eines den Religionsunterricht chancenlos lassenden Lehrfachs Lebensgestaltung / Ethik / Religion weiterverfolgt werden, so möchten wir jedenfalls schon jetzt darauf hinweisen, daß die Unterrichtung in den staatlichen Schulen über Religion zwar eine staatliche Veranstaltung ist, es aber sowohl Art. 7 Abs. 3 als auch Art. 141 GG zuwiderliefe, wenn dieser Unterricht „staatlich geformt“ wäre und nicht „durch die Religionsgemeinschaften geformt“. (Vgl. Maunz – Dürig, ’Kommentar zum GG, Artikel 141 Rd.Nr. 15). 6. Zu Artikel 35 Absatz 3 letzter Satz: Die Formulierung „im Benehmen mit den Kirchen“ läßt eine weite Auslegung der Verfahrensweise zu. Wir meinen, daß die Konsultation der Kirchen und die Reaktion der zuständigen staatlichen Stellen auf etwaige Bedenken näherer Regelungen bedarf. Dies wird Gegenstand einer späteren vertraglichen Vereinbarung sein müssen. Im Ergebnis sollte eine Beru-

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fung nur bei einem „nihil obstat“ der Kirchen erfolgen, da sonst immer die latente Gefahr eines Rückzugs von Studenten der betroffenen Kirche bzw. einer Nichtanerkennung von Ausbildungsteilen durch die Kirche besteht. 7. Zu Artikel 36 Absatz 1: Satz 2 ist zu ergänzen durch die Worte: . . . ist gewährleistet und wird aus öffentlichen Mitteln gefördert. Begründung: Erwachsenenbildung in freier Trägerschaft ist ohne eine angemessene staatliche finanzielle Unterstützung nicht zu verwirklichen. Wenn freie Träger ein Angebot machen sollen, was unseres Erachtens unerläßlich ist, da sonst das von der Verfassung gerade nicht gewollte staatliche Monopol auf Erwachsenenbildung entsteht, dann bedarf es dazu auch einer verbrieften staatlichen Förderung. 8. Zu Artikel 40 Absatz 1: Wir bitten, die Formulierung stärker an Art. 138 Satz 3 WRV anzunähern. Begründung: a) Der Begriff der Einrichtung, der an Stelle von religiösen Vereinen, Anstalten und Stiftungen verwandt worden ist, scheint uns in der Rechtsordnung zu wenig eindeutig geprägt. Im kirchlichen Bereich bezeichnet er im allgemeinen die rechtlich von der Kirche getragenen, also rechtlich unselbständigen Aktivitäten kirchlicher Arbeit. Vereine, Anstalten und Stiftungen sind aber rechtlich selbständig. Ihre kirchliche Kennzeichnung ist in den Satzungen oder Statuten oft weniger deutlich beschrieben als bei rechtlicher Unselbständigkeit. Ihre Einbeziehung in den Schutz durch Art. 138 Satz 3 WRV ist aber zur Gewährleistung des Gesamtfeldes kirchlicher Arbeit unerläßlich. b) In Art. 138 WRV werden Eigentum, andere Rechte und sonstige Vermögen der Kirche unter Schutz gestellt. Wir sind uns bewußt, daß dieser Artikel nur eine Ergänzung zu Artikel 14 GG darstellt und den besonderen Schutz der für Kultus-, Bildungs- und Wohltätigkeitszwecke bestimmten kirchlichen Vermögen im Auge hat. Dennoch ist die Kürzung der drei Begriffe um den Begriff „sonstige Vermögen“ bedauerlich. Der Entwurfstext mag dem schwerer durchschaubaren Text der WRV sprachlich überlegen sein, in seiner jetzigen Stringenz läßt er aber den Schluß zu, nur das für Bildungs- und Wohltätigkeits- sowie Kultuszwecke bestimmte Vermögen sei geschützt, die Vermögenswerte, aus deren Erträgen kirchliche Arbeit mitfinanziert wird, wie z. B. das Pfarr- und Kirchenland aber nicht. 9. Zu Artikel 41: Wir sind uns bewußt, daß der Entwurfstext weitgehend Art. 141 WRV wiederholt. Im Entwurf ist allerdings nur noch ganz allgemein vom „Wirken der Kirchen und Religionsgemeinschaften“ die Rede, das zu ermöglichen sei. Artikel 141 WRV sprach von Gottesdienst, Seelsorge, religiösen Handlungen. Dementsprechend sollte es auch im Entwurfstext heißen: . . . sind den Kirchen und Religionsgemeinschaften Gottesdienste, Seelsorge und andere religiöse Handlungen zu ermöglichen . . . Begründung: Die Seelsorge in Krankenhäusern und Altersheimen hat in der DDR eine starke Einschränkung erfahren. Wie es auch der neue Entwurfstext nahelegt, machten es sich dabei die zuständigen Staatsorgane zunutze, daß das „Bedürfnis“ nach kirchlichen Handlungen 16*

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nicht subjektiv vom Betroffenen festgestellt werden könne, sondern nur objektiv durch den Anstaltsleiter. Durch Erlaß des Gesundheitsministers war klargestellt, daß in staatlichen Altersheimen objektiv ein Bedürfnis nur bestünde, wenn Christen nicht mehr in der Lage wären, zu Fuß die nächstgelegene Kirchengemeinde aufzusuchen, selbst wenn mehrere Christen den Wunsch nach kirchlichen Handlungen im Heim hatten. Auch wenn in einem Heim mehrere nicht mehr Gehfähige wohnten, wurden die Wirkungsmöglichkeiten eines Pfarrers inhaltlich in der Regel auf Einzelbesuche beschränkt. Es war nur in wenigen Heimen eine Andacht oder ein Gottesdienst möglich. Die Zimmer der Bewohner waren dafür zu klein. Ein Gruppenraum wurde aber meist nicht bereitgestellt. Angesichts dieser Wirkungsgeschichte wäre es schon eine Erleichterung, wenn sichergestellt würde, daß unter „Wirken der Kirche“, wie es jetzt im Entwurf heißt, nicht nur die Einzelseelsorge und das Einzelabendmahl zu verstehen sind, sondern eben auch Andachten, Gottesdienste und Gruppenabendmahlsfeiern sowie andere Formen religiöser Handlungen (Bibelstunden, Gesprächskreise u. a.). 10. Zum Sprachgebrauch . . .„ist gewährleistet“: In Artikel 14 Absatz 1 Satz 2 (anders: Art. 4 (2) GG) und Artikel 40 Absatz 1 (anders: Art. 138 WRV) ist sprachlich die thetische Form (ist- bzw. sind – gewährleistet) gewählt worden. Wir halten die Formulierung: „. . .wird (bzw. werden) gewährleistet“ für besser. Sie drückt aus, daß es ein ständiges Bemühen sein muß, die Verfassungsaussagen mit Leben zu erfüllen und beispielsweise auch in späteren Gesetzen immer wieder von neuem zu bedenken. Wo der Verfassungssatz zu aktivem, aktuellem Handeln herausfordert, wie z. B. bei der Störung einer religiösen Handlung, genügt auch nicht die Feststellung, daß die Religionsfreiheit geschützt ist, sie muß konkret geschützt werden. Zu weiterführenden Gesprächen mit den für die Überarbeitung des Entwurfs Verantwortlichen stehen wir gern bereit. Wir erlauben uns, eine Durchschrift unserer Stellungnahme auch dem Herrn Minister für Justiz zuzuleiten. Mit vorzüglicher Hochachtung [Unterschrift] Wildner Konsistorialpräsident

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2. Kurzgutachten von Prof. Dr. A. Hollerbach zur Frage der Verbindlichkeit des Preußischen Konkordats für das Land Brandenburg (9. September 1991) ALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITAT FREIBURG SEMINAR FÜR RECHTSPHILOSOPHIE UND KIRCHENRECHT POSTFACH D-7800 FREIBURG Direktor: Prof. Dr. Alexander Hollerbach [Stempelvermerk: Verfassungsausschuß, Zuschriften III / 328 b] Datum 9. 9. 1991 Auf Bitten des Generalvikars des Bischofs von Berlin erstatte ich zur Frage der Verbindlichkeit des Preußischen Konkordats für das Land Brandenburg folgendes Kurzgutachten 1. Die Fortgeltung des Vertrages des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhle vom 14. Juni 1929 (im folgenden: Preußisches Konkordat) im Bereich der „alten“ Bundesrepublik ist unbestritten anerkannt. Eine explizite Anerkennung spricht Art. 23 Abs. 1 der Landesverfassung von Nordrhein-Westfalen aus. Auch die Vertragsklausel des Art. 8 der Landesverfassung von Baden-Württemberg schließt das Preußische Konkordat ein. Insbesondere ist aber in mehreren neueren Verträgen, die mit der Katholischen Kirche abgeschlossen worden sind, die Fortgeltung des Preußischen Konkordats anerkannt worden, so im Niedersächsischen Konkordat vom 26. Februar 1965, im Vertrag zwischen Nordrhein-Westfalen und dem Heiligen Stuhl vom 26. März 1984 und in dem am 29. April 1969 mit dem Heiligen Stuhl abgeschlossenen Vertrag zur Ergänzung und Änderung der konkordatären Bestimmungen im Land Rheinland-Pfalz. Besonders bemerkenswert ist schließlich, daß auch in dem „Abschließenden Protokoll über Besprechungen zwischen Vertretern des Bischöflichen Ordinariats Berlin und des Senats von Berlin über die Regelung gemeinsam interessierender Fragen“ vom 2. Juli 1970 die Verbindlichkeit des Preußischen Konkordats vorausgesetzt wird (vgl. Abschnitt X). In allen Fällen ist man davon ausgegangen, daß die durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 verfügte Auflösung des Staates Preußen keinen Einfluß auf die Fortgeltung des Preußischen Konkordats hatte. In bezug auf die früher preußischen Territorien sind also die Länder im früheren Geltungsbereich des Grundgesetzes voll in die Rechts- und Pflichtenstellung eingetreten, die sich aus dem Preußischen Konkordat ergeben hat. Es hat sich in diesem Zusammenhang – auch hinsichtlich der evangelischen Staatskirchenverträge – überdies die prinzipielle Auffassung durchgesetzt, daß bei Gebietsveränderungen innerhalb eines bestehenden staatlichen Gesamtverbandes für staatlich-kirchliche Vertragsverhältnisse uneingeschränkt dasrPrinzip der vollen Rechtsnachfolge gilt: pro suo territorio tritt der neue gliedstaatliche Verband als Partner und materiell Berechtigter wie Verpflichteter in das Vertragsverhältnis ein (vgl. Hollerbach Grundlagen des Staatskirchenrechts, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsg. v. J. Isensee / B. Kirchhof, Bd. VI, Heidelberg 1989, Rd.Nr. 79). 2. Bei der Beantwortung der Frage, ob dies auch für das Gebiet der ehemaligen DDR, also das sog. Beitrittsgebiet gilt, muß das Reichskonkordat in die Betrachtung einbezogen werden:

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Das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933 ist nach herrschender, die Praxis bestimmender Auffassung, ein völkerrechtlicher Vertrag. Es fällt deshalb unter Art. 11 des Einigungsvertrages. Demgemäß hat das Reichskonkordat seine Gültigkeit behalten; die daraus folgenden Rechte und Verpflichtungen beziehen sich auch auf das Beitrittsgebiet. Als früherer Reichsvertrag gilt das Reichskonkordat als (einfaches) Bundesrecht fort. Soweit darin jedoch Materien geregelt sind, die nach dem Grundgesetz in die Zuständigkeit der Länder fallen, sind diese befugt, neue Verträge abzuschließen, wie übrigens auch durch die Formulierung in Art. 123 Abs. 2 GG klargestellt ist. Die Geltung des Reichskonkordats bedeutet nun aber auch zugleich die Geltung des Preußischen Konkordats. Nach Art. 2 Abs. 1 Reichskonkordat blieben nämlich die mit Bayern, Preußen und Baden abgeschlossenen Konkordate bestehen; die in ihnen anerkannten Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche blieben innerhalb der betreffenden Staatsgebiete unverändert gewahrt. Im Verhältnis zu diesen Verträgen schreibt sich das Reichskonkordat nur subsidiäre Geltung zu. Die reichs- bzw. bundesrechtliche Bestandsgarantie zu Gunsten der genannten Länderkonkordate und die Subsidiarität des Reichskonkordats prägen das bestehende Konkordatssystem so sehr, daß das eine ohne das andere Element nicht gedacht werden kann. Mit der Klarstellung, daß sich die Geltung des Reichskonkordats auf das Beitrittsgebiet erstreckt, ist also auch klargestellt, dass das Preußische Konkordat in den früher preußischen Gebietsteilen (fort-)gilt. Die förmliche Beseitigung Preußens ist mithin belanglos. Auch die Frage, ob sich die neuen Länder, soweit sie preußische Gebietsanteile besitzen, im Verhältnis zu Preußen ausdrücklich zu einer Rechts- und Pflichtennachfolge bekennen, spielt keine Rolle. Das Reichskonkordat mit seiner Garantie der Länderkonkordate der Weimarer Zeit zieht das Preußische Konkordat gewissermaßen mit, weil es sonst gar keine Basis hätte bzw. ein Rahmen ohne Inhalt wäre. Das Ergebnis ist mithin eindeutig: Das Preußische Konkordat ist für das Land Brandenburg verbindlich. Dieses unter Heranziehung von Art. 11 des Einigungsvertrages und des Reichskonkordats entwickelte Ergebnis wird durch eine andere Erwägung unterstützt: Der oben zu 1. formulierte allgemeine Grundsatz, wonach bei Gebietsveränderungen innerhalb eines bestehenden staatlichen Gesamtverbandes für staatlich-kirchliche Vertragsverhältnisse uneingeschränkt das Prinzip der vollen Rechts- und Pflichtennachfolge gilt, darf als Bestandteil des deutschen konkordatären Systems überhaupt angesehen werden. Mit der vollen Wiederherstellung des überkommenen konkordatären Systems im Beitrittsgebiet kann dieser Grundsatz also auch dort Geltung beanspruchen. Außerdem darf berücksichtigt werden, daß jedenfalls aus der Sicht der (alten) Bundesrepublik Deutschland der Zusammenhang mit der DDR unter dem „Dach“ des Reiches bestehen geblieben war. Vorgänge im Inneren dieses Rechtsraumes müssen deshalb prinzipiell gleich qualifiziert werden. Mit anderen Worten bedeutet dies: Nach dem Wegfall der Überlagerung durch den Einheitsstaat DDR ist das alte bundesstaatliche Gefüge wieder freigelegt worden, das Ost und West verbindet und an das jetzt wieder angeknüpft werden kann. 3. Nach alledem ist die Frage der Verbindlichkeit des Preußischen i Konkordats für das Land Brandenburg eindeutig mit „ja“ zu beantworten. Es ist deshalb an sich nicht erforderlich, in die neue Landesverfassung eine Vertragsklausel aufzunehmen, die dies bestätigt. Gleichwohl ist es empfehlenswert, so zu verfahren. Es würde damit nämlich über die im Interesse der Rechtssicherheit erfolgende Klarstellung der Rechtslage hinaus zum Ausdruck gebracht wer-

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den, daß auch für die Zukunft die Form des Vertrages das adäquate Regelungsinstrument in bezug auf das Verhältnis von Staat und Kirche darstellt. [Unterschrift]

3. Kurzgutachten von Prof. Dr. A. Hollerbach zu der Frage, ob das Land Brandenburg Artikel 141 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann (9. September 1991) ALBERT-LUDWIGS-UNIVERSITAT FREIBURG SEMINAR FÜR RECHTSPHILOSOPHIE UND KIRCHENRECHT POSTFACH D-7800 FREIBURG Direktor: Prof. Dr. Alexander Hollerbach [Stempelvermerk: Verfassungsausschuß, Zuschriften III / 328 c] Datum 9. 9. 1991 Auf Bitten des Generalvikars des Bischofs von Berlin erstatte ich zu der Frage, ob das Land Brandenburg Artikel 141 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen kann folgendes Kurzgutachten 1. Nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG ist der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Diese Bestimmung findet keine Anwendung in einem Lande, in dem am 1. Januar 1949 eine anders landesrechtliche Regelung bestand. So statuiert es Art. 141 GG. Diese Norm wird bekanntlich „Bremer Klausel“ genannt, weil sie bei der Entstehung des Grundgesetzes von der SPD vornehmlich deshalb verfochten worden ist, am die von dem üblichen Standard abweichende Rechtslage in Bremen aufrechtzuerhalten. Nach Art. 32 der Bremischen Landesverfassung vom 21. Oktober 1947 wird dort nämlich in den allgemeinbildenden öffentlichen Schulen ein „bekenntnismäßig nicht gebundener Unterricht in Biblischer Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage erteilt. Art. 141 hatte und hat aber auch Bedeutung für Berlin, wo nach Maßgabe des Schulgesetzes vom 26. April 1943 der Religionsunterricht nicht ein ordentliches Lehrfach, sondern ein Unterrichtsfach auf freiwilliger Grundlage mit besonderer Anmeldepflicht darstellt, auch wenn sich durch die spätere Entwicklung im organisatorischen Bereich und durch Beiträge zu den Personal- und Sachkosten eine gewisse Annäherung an den Standard des „ordentlichen Lehrfachs“ ergeben hat. 2. In den Ländern der damaligen Sowjetischen Besatzungszone entsprach die Rechtslage am 1. Januar 1949 durchweg nicht derjenigen in den westlichen Besatzungszonen. Die Rechtslage glich vielmehr derjenigen in Berlin. Die Verfassungen der damaligen Länder Mark Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gewährleisteten das Recht zur Erteilung eines kirchlichen Unterrichts durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften und zwar so, daß diese auch schulische Räume dafür in Anspruch nehmen konnten. So lautete Art. 66 der Verfassung für die Mark Brandenburg vom 31. Januar 1947: „Das Recht der Religionsgemeinschaften auf Erteilung von Religionsunterricht in den Räumen der Schule ist ge-

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währleistet. Der Religionsunterricht wird von den durch die Kirchen ausgewählten Kräften erteilt. Niemand darf gezwungen oder gehindert werden, Religionsunterricht zu erteilen. Über die Teilnahme am Religionsunterricht bestimmen die Erziehungsberechtigten“. War diese Lösung der Frage des Religionsunterrichts zunächst noch durch die DDR-Verfassung von 1949 bestätigt worden (Art. 40 u. 44), so haben die Umbildung der DDR zum Einheitsstaat (1952) und die faktische Mißachtung der verfassungsrechtlichen Gewährleistung die Rechts- und Tatsachenlage tiefgreifend verändert. Auch unter der Verfassung von 1968 / 74 ist es dabei geblieben, daß der Religionsunterricht keinen Ort mehr im staatlichen Recht hatte. 3. Im Einigungsvertrag findet sich weder in bezug auf Art. 7 Abs. 3 GG noch auf Art. 141 GG ein Vorbehalt oder eine anderweitige Regelung. Von der Erstreckung der Geltung des Grundgesetzes auf das Beitrittsgebiet wird also formaliter auch Art. 141 erfaßt. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, ob er der Sache nach eingreift. In seiner Kommentierung des Art. 141 hat Axel Frhr. von Campenhausen folgendes ausgeführt: „Es ist eine stillschweigende Voraussetzung des Art. 141, daß ein Land, dessen Recht Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG durchbrechen soll, in dem Zeitraum zwischen dem Erlaß der fraglichen Norm (also vor dem 1. 1. 1949) und dem Inkrafttreten des Grundgesetzes innerhalb seines Territoriums (also dem 3. 10. 1990) ununterbrochen als Rechtssubjekt existiert haben muß. Diese Voraussetzung erfüllen die mitteldeutschen Länder nicht. Sie sind durch die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik zum sozialistischen Zentralstaat und die damit verbundene Zerschlagung der Länderstrukturen nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich untergegangen. Deshalb mußten sie nach dem Untergang der alten DDR neu gegründet werden. Die neuen Länder können sich deshalb für die länderrechtliche Ausnahmeregelung des Art. 141 nicht auf die Landesverfassungen von 1946 und 1947 berufen“ (in: v. Mangoldt / Klein, Das Bonner Grundgesetz. Kommentar, 3. Aufl., Bd. 14, München 1991, S. 305). Dieser Auffassung kann man die Gefolgschaft nicht versagen. Sie ist übrigens meines Wissens auch in den Verhandlungen über den Einigungsvertrag von dem Repräsentanten der Bundesregierung, Innenminister Schäuble, vertreten worden. Es ist nicht ersichtlich, daß die Vertreter der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik dezidierte Wünsche geäußert hätten, Art. 7 nicht zu übernehmen bzw. klarzustellen, daß Art. 141 zum Zuge kommt. Das vorstehend wiedergegebene Ergebnis ist durch folgende Erwägung zu unterstützen: Art. 141 ist ganz offensichtlich eine Ausnahmebestimmung. Ausnahmebestimmungen sind aber im Prinzip eng zu interpretieren, weil sonst das vom Gesetz- bzw. Verfassunggeber politisch gewollte Regel-Ausnahmeverhältnis verändert, u.U. sogar auf den Kopf gestellt werden könnte. Diese Gefahr wäre im vorliegenden Sachzusammenhang in der Tat gegeben. Wollte man nämlich den Beitrittsländern die Möglichkeit einräumen, zum status quo ante 1. Januar 1949 zurückzukehren, so wäre damit die Ausnahme vom Prinzip des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach nicht mehr eindeutig begrenzt, sie würde vielmehr einen großen Teil des Geltungsbereichs des Grundgesetzes betreffen. Damit aber würde die verfassungspolitische Zielsetzung des Parlamentarischen Rates ebenso verfälscht wie diejenige der Regierungen und der gesetzgebenden Körperschaften, die dem Einigungsvertrag zugestimmt haben. Ich komme mithin zu dem Ergebnis, daß das Land Brandenburg die Ausnahmevorschrift des Art. 141 GG nicht für sich in Anspruch nehmen kann. Es ist vielmehr verpflichtet, nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 3 GG Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach einzurichten. 4. Für den Fall, daß man der hier dargelegten Rechtsauffassung nicht folgen sollte, ist vorsorglich auf einen Punkt aufmerksam zu machen, der sich mir bei der Durchsicht einiger Vor-

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Entwürfe zu den neuen mitteldeutschen Landesverfassungen aufgedrängt hat. Auf der einen Seite schränkt die Ausnahme von der grundgesetzlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach das verfassungsrechtliche Ermessen des betreffenden Landes, einen solchen Unterricht einzuführen, nicht ein (so mit Recht ausdrücklich von Campenhausen, a.a.0. S. 302). Auf der anderen Seite bedeutete aber die Inanspruchnahme des Art. 141 keinen Freibrief in die andere Richtung, d. h. konkret: Die Regelung, die am 1. Januar 1949 bestand, könnte nicht unterschritten werden, eine „reformatio in peius“ wäre nicht zulässig. [Unterschrift]

4. Schreiben der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg (3. Februar 1992) Die Evangelische Kirchenleitung Berlin – Brandenburg 1020 Berlin, den 3. Febr. 1992 Neue Grünstraße 19 – 22 Telefon: 278020 K. Ia Nr. 294 / 92 An den Präsidenten des Landtages Brandenburg Herrn Dr. Knoblich Heinrich-Mann-Allee 107 0 – 1561 Potsdam [Stempelvermerk: Landtag Brandenburg, Der Präsident, 11. Feb.. 1992 / 233 / Kl, Posteingang am:, Weiterleitung an: Verfassungsausschuß, Fraktionen] Sehr geehrter Herr Präsident! Betr.: Verfassung des Landes Brandenburg Mit Schreiben vom 15. 8. 1991 hat das Konsistorium der Evangelischen Kirche in BerlinBrandenburg im Auftrag der Kirchenleitung zum Vorentwurf der Verfassung vom 31. 5. 1991 Stellung genommen. Die dabei vorgetragenen kirchlichen Anliegen sind in dem jetzt zur Lesung im Landtag vorliegenden Entwurf kaum berücksichtigt. Wir sehen uns daher veranlaßt, die wichtigsten Bedenken der Evangelischen Kirche, die die Vorschriften über die Rechtsstellung der Christen und der Kirchen betreffen, nochmals darzulegen. 1. Zu Artikel 31 Absatz 1 In der Stellungnahme vom 15. 8. 1991 war bereits darauf hingewiesen worden, daß der Verfassungsentwurf (damals Art. 32 Abs. 2 Satz 1) hinter Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz zurückbleibt. Die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg hat auf ihrer letzten

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Tagung im November 1991 nochmals ihre Überzeugung ausgedrückt, daß Ausgangspunkt für die Gespräche über den Religionsunterricht im Land Brandenburg nur Artikel 7 Absatz 3 GG sein kann. Die Kirchenleitung hält es daher für unverzichtbar, daß der Anspruch der Christen auf Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in der Verfassung verankert und nicht der einfachen Gesetzgebung überlassen wird. Die sog. Bremer Klausel des Artikels 141 GG, die eine bei Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 in einem Bundesland vorhandne, rechtlich geordnete andere Praxis der Vermittlung religiöser Themen in den Schulen schützen wollte, kann in Brandenburg keine Anwendung finden, weil es zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes für das Land Brandenburg im Jahr 1990 keine solche rechtlich geregelte Praxis gab. Die Rückbeziehung auf eine 1949 im Bereich Brandenburgs bestehende Situation widerspricht dem Zweck des Artikels 141, eine vorhandene Regelung zu schützen. 2. Zu Artikel 37 Absatz 2 Satz 2 Die Kirchenleitung überrascht die beabsichtigte Einfügung des Staatsziels, „die Gleichstellung des sozialen Schutzes kirchlicher Beschäftigter mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht“ zu gewährleisten. Der Wortlaut ist geeignet, den Eindruck zu erwecken, als bleibe der soziale Schutz kirchlicher Beschäftigter gegenwärtig hinter dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht zurück. Dies trifft weder für die kirchlichen Arbeiter und Angestellten zu, für die das allgemeine Arbeits- und Sozialrecht direkt gilt, noch für Pfarrer und Kirchenbeamte Wenn unter „Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht“ nichts anderes verstanden werden soll als die Bindung der Kirche an die „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ gemäß Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 WRV, dann ist die beabsichtigte Bestimmung überflüssig und nicht präzisierend. Soll mit dieser Aussage aber angestrebt werden, in diesem Bereich das Selbstbestimmungsrecht der Kirche in einer stärkeren Weise einzuschränken, als sich dies aus der Schranke des für alle geltenden Gesetzes ergibt, so wäre eine solche Regelung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar und daher verfassungswidrig. So ist es auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung beispielsweise Sache der Kirche, ob sie ihr Arbeitsrecht tarifvertraglich regelt oder andere Formen partnerschaftlicher Gestaltung findet, daß sie das Streikrecht als dem Wesen kirchlichen Dienstes widersprechend ansieht und daß sie öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse begründet, die dem Arbeitsrecht nicht unterliegen. Die Hinzufügung zum Entwurf vom 31. 5. 1991 sollte daher gestrichen werden. 3. Zu Artikel 39’ Das Konsistorium hatte bereits darauf aufmerksam gemacht, welche Wirkungsgeschichte sich aufgrund der Verfügung des Gesundheitsministeriums der DDR vom 16. 5. 1978 (Verf. und Mitt. dis Gesundheitsministeriums vom 19. 50. 78 S. 32) mit dem jetzigen Wortlaut des Entwurfs verbindet. Wenn daher Artikel 39 nicht von Gottesdiensten, Seelsorge und religiösen Handlungen spricht, sondern nur noch ein nicht näher bezeichnetes „Wirken“ der Kirchen entsprechend dem von der Heim- oder Anstaltsleitung zu bestimmenden Bedürfnis ermöglicht, so bleibt er damit hinter der Bestimmung des Artikels 141 WRV als integralem Bestandteil des Grundgesetzes zurück. Er gerät in eine – vermutlich nicht bedachte – Nähe zu der mit der Verfügung vom 16. 5. 1978 verfolgten Praxis der DDR. Wir möchten daher als Text vorschlagen: In Heimen . . . sowie bei der Polizei sind Gottesdienste, Seelsorge und andere religiöse Handlungen nach Maßgabe der bestehenden Bedürfnisse zu ermöglichen. Artikel 13 Absatz 3 findet Anwendung.

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Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Präsident, die Bedenken der Kirchenleitung in geeigneter Weise den Abgeordneten zur Kenntnis zu bringen. Mit dem Ausdruck vorzüglicher Hochachtung [Unterschrift] Vorsitzender

5. Anschreiben und Stellungnahme des Bistums Berlin (21. Februar 1992) BISTUM BERLIN Der Generalvikar Bischöfliches Ordinariat W-1000 Berlin 19 Postfach 19 15 60 Telefon 030 / 32006 – 0 Durchwahl: 130 Datum 21.2. 1992 [Stempelvermerk: Landtag Brandenburg, Der Präsident, 24. Feb. 1992 / 295 / Kl, Posteingang am:, Weiterleitung an: Verfassungsausschuß] An den Präsidenten des Landtags Brandenburg Herrn Dr. Herbert Knoblich Am Havelblick 8 0 – 1560 Potsdam Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, als Anlage übersenden wir Ihnen die Stellungnahme des Bistums Berlin zum überarbeiteten Entwurf einer Verfassung des Landes Brandenburg (Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, PDS-LL, FDP und Bündnis 90 vom 13. Dezember 1991; Landtagsdrucksache 1 / 625) mit der Bitte um Weiterleitung an die zuständigen Ausschüsse. Wenn auch eine Beteiligung gesellschaftlich relevanter Gruppen in diesem Stadium der Verfassungsdiskussion grundsätzlich nicht vorgesehen ist, sehen wir uns aufgrund einiger bedenklicher Tendenzen im überarbeiteten Entwurf zu diesem Schritt veranlaßt. Eine Kopie unserer Stellungnahme haben wir der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg zugeleitet. Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen [Unterschrift] Dr. Johannes Tobei

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zum überarbeiteten Entwurf einer Verfassung des Landes Brandenburg aus der Sicht des Bistums Berlin I. Allgemeine Bemerkungen Diese Stellungnahme versteht sich als Ergänzung der Stellungnahme des Katholischen Büros Berlin an den Verfassungsausschuß des Landes Brandenburg vom 12. September 1991 zum Entwurf einer Verfassung für das Land Brandenburg (GVBl Brandenburg 1991, 96). Sie beschränkt sich daher auf aus kirchlicher Sicht unverzichtbare Monita bzw. auf Kritik an bedenklichen Verschlechterungen gegenüber dem vorhergehenden Entwurf. II. Vorschläge und Bemerkungen im einzelnen zu Art. 8 (Recht auf Leben) Gegen Abs. 2 Satz 2 bestehen nach wie vor schwerwiegende Bedenken. Die hier empfohlene Fristenlösung ist verfassungswidrig, davon geht auch der Entwurf aus. Er verkennt aber, daß diese Verfassungswidrigkeit auch in Zukunft durch bundesrechtliche Regelungen nicht beseitigt werden kann. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einer auch den Gesetzgeber bindenden Weise unmißverständlich klargestellt. Das in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgte Recht auf Leben in Verbindung mit dem in Art. 1 Abs. 1 GG anerkannten Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde verpflichtet den Staat, nicht nur das geborene, sondern das ungeborene Leben vor rechtswidrigen Angriffen zu schützen. Dies gilt auch gegenüber der Mutter. Der Schutz des ungeborenen Kindes hat während der gesamten Schwangerschaft Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren, er darf für keinen Zeitraum in Frage gestellt werden. Soweit es sich hier nicht nur um einen unerfüllbaren Auftrag zur Änderung einer bundesrechtlichen Verfassungslage, sondern auch um einen Aufruf an die landeseigenen Strafverfolgungsgrund Justizbehörden handeln sollte, strafrechtliche Maßnahmen verfassungswidrig zu unterlassen, läge darin zusätzlich ein schwerwiegender Verstoß gegen die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Pflicht des Landes zu bundesfreundlichem Verhalten. zu Art. 20 (Vereinigungsfreiheit) Wir sehen in Abs. 2 Satz 1 eine mögliche Kollision mit dem grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirche, soweit auch die innere Ordnung von kirchlichen Vereinigungen demokratischen Grundsätzen entsprechen soll, ohne näher zu sagen, was darunter zu verstehen ist. Nicht nur die organisierte Kirche und ihre rechtlich selbständigen Teile, sondern alle der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen sind nämlich ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform Objekte, bei deren Ordnung und Verwaltung die Kirche grundsätzlich frei ist. Die Kirche hat das grundgesetzlich garantierte Recht nach ihrem Selbstverständnis darüber zu befinden, welche Dienste und Ämter es in ihren Einrichtungen geben soll und in welcher Rechtsform sie wahrzunehmen sind. zu Art. 26 (Ehe, Familie und Lebensgemeinschaften) Ehe und Familie genießen gemäß Art. 6 GG den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Eine Gleichstellung mit anderen Lebensgemeinschaften, wie sie besonders durch die Überschrift suggeriert wird, ist damit unvereinbar. Aber auch angesichts der nicht unerheblichen

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praktischen Schwierigkeiten, auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften von anderen zu unterscheiden, dürfte sich eine solche Gleichstellung für das Zusammenleben in der Gesellschaft höchst nachteilig auswirken. Nach wie vor wird entsprechende Streichung begehrt. zu Art. 31 (Religionsunterricht) Abs. 1 Satz 1 bedeutet ein Zurückbleiben hinter den Bestimmungen des Grundgesetzes. Die völlig unzureichende Formulierung des Verfassungsentwurfes gewährleistet den Religionsunterricht gemäß Art. 141 GG nur als Veranstaltung der Kirche, jedoch nicht als ordentliches Lehrfach, wie es Art. 7 Abs. 3 GG entsprechen würde. Das im Auftrag des Landtags Brandenburg von Prof. Schlink zu dieser Thematik erstellte Gutachten vermag u. a. in den folgenden Punkten nicht zu überzeugen: Prof. Schlink erkennt zwar durchaus an, daß die Bremer Klausel ihre Entstehung einer Bremer Besonderheit verdankt, er vertritt aber gleichzeitig die Auffassung, ihre Regelung müsse allgemeine Geltung haben. Die angeführten einzelnen Bemerkungen zur Genese von Art. 141 GG im Parlamentarischen Rat belegen jedoch nicht, daß eine allgemeine Durchbrechung des Prinzips des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach beabsichtigt war. Schlink argumentiert weiter, der Parlamentarische Rat habe in seiner Diskussion um den Anwendungsbereich des späteren Art. 141 GG Berlin und die Ostzone mitbedacht. Die als Beleg herangezogenen Äußerungen von Jakob Kaiser (CDU) und Dr. Suhr (SPD) sind allerdings erst nach der Abstimmung über den besagten Artikel gefallen! Art. 37 (Rechtsstellung) Die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes sowie der Ämterautonomie wird in Abs. 2 mit einem höchst unverständlichen Zusatz versehen. Danach soll das Land darauf hinwirken, daß die Gleichstellung des sozialen Schutzes kirchlicher Beschäftigter mit den Garantien aus dem allgemeinen Arbeits- und Sozialrecht gewährleistet ist. Dieser politische Auftrag an die Landesregierung suggeriert dem unbefangenen Leser eine grundsätzliche Schlechterstellung kirchlicher Bediensteter, die nicht gegeben ist. Auch das kirchliche Dienst- und Arbeitsrecht ist am Sozialstaatsgebot ausgerichtet, wenn auch mit den verfassungsrechtlich anerkannten Besonderheiten. Ein solcher Auftrag bedeutet eine Diskreditierung des Arbeitnehmerschutzes im kirchlichen Dienst- und Arbeitsrecht. Der Zusatz sollte allein schon wegen dieser Irreführung ersatzlos gestrichen werden. Die vorliegende Formulierung stellt zudem einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen im Bereich der Ausgestaltung des kirchlichen Dienst- und Arbeitsrechts dar, welches entsprechend dem spezifischen Auftrag der Kirchen zu gestalten ist. zu Art. 52 (Koalitionsfreiheit, Streik und Aussperrungen) Die Formulierung in Abs. 2 Satz 2, wonach Gewerkschaften das Zutrittsrecht ausdrücklich auch im kirchlichen Bereich haben sollen, ruft entschiedenen Widerspruch hervor. Sie bedeutet eine Verletzung des grundgesetzlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen im Bereich des Dienst- und Ämterrechts (Entsprechendes, wenn auch in abgemilderter Form, gilt – da ohne Gesetzesvorbehalt – für das Mitbestimmungsrecht der Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften nach Art. 51, soweit hiervon auch kirchliche Einrichtungen und Dienststellen betroffen sein sollen). Zudem ist sehr zweifelhaft, ob ein derartiges Spezialgesetz überhaupt in die Verfassung Eingang finden kann, da Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3

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WRV für die Beschränkung der kirchlichen Autonomie die Schranken eines für alle geltenden Gesetzes voraussetzt.

II. Sachsen 1. Schriftsatz des Vertreters des Bischöflichen Ordinariates des Bistums Dresden-Meißen für die Anhörung in Chemnitz (20. Juli 1991) Zu Artikel 1061 Ziffer 1 (Ethik und Religionsunterricht) Antrag: Erstellung einer neuen Textfasung von Artikel 106 / Ziffer 1 Begründung: 1. Die Gleichstellung von Ethikunterricht und Religionsunterricht kommt zwar unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit entgegen, entspricht aber nicht den Vorgaben der Artikel 7 und 141 des Grundgesetzes und ist damit nicht verfassungskonform. 2. Die verwandte Begrifflichkeit bleibt unklar. Der Artikel 7 des Grundgesetzes spricht von „öffentlicher Schule“ und meint nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts damit die „christliche Gemeinschaftsschule“, im Gegensatz zur „bekenntnisfreien Schule“. Der Verfassungsentwurf dagegen spricht nur von „Schule“ und stellt die „bekenntnisfreie“ der „bekenntnisgebundenen“ Schule gegenüber. In welchen Schulen soll es Religions- und Ethikunterricht geben? In privaten und öffentlichen? In Volks- und Berufsschulen, in mittleren und höheren Lehranstalten (Vergleiche Verfassung des Freistaates Bayern)? 3. Die getroffene Ausnahmeregelung läßt Fragen offen. Warum soll in der „bekenntnisgebundenen Schule“ Religionsunterricht nicht ordentliches Lehrfach sein und der Ethikunterricht entfallen können? Warum soll in der „bekenntnisfreien Schule“ Ethikunterricht nicht ordentliches Lehrfach sein und der Religionsunterricht entfallen können? 4. Der bisherige Text enthält einen Widerspruch. Einerseits wird von zwei „ordentlichen Lehrfächern“ gesprochen, andererseits wird den Erziehungsberechtigten eine Wahlmöglichkeit eingeräumt und damit nur ein sogenanntes „Wahlpflichtfach“ eingeführt. Neuer Textvorschlag In Schulen freier wie öffentlicher Trägerschaft mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ist Religionsunterricht ordentliches Lehrfach. Bis zum Eintritt der Religionsmündigkeit entscheiden die Erziehungsberechtigten, später die Schüler selbst über die Teilnahme am Religionsunterricht. Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen oder an bekenntnisfreien Schulen, ist Ethikunterricht ordentliches Lehrfach. An bekenntnisgebunden Schulen kann auf Ethikunterricht verzichtet werden.

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Zu Artikel 112 / Ziffer 2 (kirchliche Lehranstalten / theologische und religionspädagogische Lehrstühle) Antrag: Wir bitten den Begriff „im Benehmen“ durch den Begriff „im Einvernehmen“ zu ersetzen. Begründung: 1. Der Begriff „Im Benehmen“ erfordert lediglich das Geben der Gelegenheit zur Stellungnahme, ohne daß eine Bindung an ein gegenseitiges Einverständnis besteht (Vergleiche Rechtswörterbuch C.H. Beck’ sche Verlagsbuchhandlung München 1990). 2. Es besteht ein Widerspruch zwischen Artikel 106 / Ziffer 2 und Artikel 112 / Ziffer z. Im Artikel 106 / Ziffer 2 wird festgelegt, daß die Lehrer zur Erteilung des Religionsunterrichtes der Bevollmächtigung durch die Kirchen und Religionsgemeinschaften bedürfen. Die Lehrer aber können nach formeller Anfrage bei der Kirche ohne die Erteilung der „missio canonica“ und der Erklärung eines „nihil obstat“ vom jeweiligen Träger der Einrichtung eingestellt werden. 3. Die ungerechtfertigte Praxis der letzten 40 Jahre wird damit fortgesetzt. In den vergangenen Jahrzehnten waren die Kirchen zur Heranbildung ihrer Amtsträger aus den öffentlichen Universitäten und Hochschulen in eigene Ausbildungseinrichtungen ausgewichen, weil sie nur unzureichend Einfluß auf die Auswahl des Lehrkörpers bzw. des Ausbildungsprogrammes hatten. Leidtragende sind meist die Studenten, deren Ausbildung an den Universitäten und Hochschulen von den Kirchen nicht anerkannt wird und sie sich einer zusätzlichen Ausbildung und Prüfung durch die Kirchen unterziehen müssen. zu Artikel 114 / Ziffer 1 (Kirchenverträge) Antrag: Der Nachsatz: „Soweit sie dieser Verfassung und dem Grundgesetz nicht widersprechen und ihre Fortgeltung vereinbart wird“, soll gestrichen werden. Begründung: 1. Der Vorrang der Landesverfassung vor den geltenden Kirchenverträgen, z. B. Reichskonkordat, stellt einen durch nichts begründeten Eingriff in die sonst üblichen rechtlichen Regelungen dar und ist nicht verfassungskonform. 2. Der Wortlaut des Artikels 114 / Ziffer 1 enthält einen Widerspruch. Im 1. Satz wird davon gesprochen, die Verträge mit den Kirchen gelten. Im Nachsatz heißt es aber, soweit ihre Fortgeltung vereinbart wird. 3. Da voraussichtlich solche Vereinbarungen längere Zeit in Anspruch nehmen dürften, entsteht für diese Zeit ein Rechtsvakuum. Eine solche Verfahrensweise widerspricht wichtigen juristischen Grundsätzen (Vergleiche Artikel 123 im Grundgesetz). Vorschlag: 1. Umstellung von Artikel 114 unmittelbar nach Artikel 110 (Dem einseitig vom Staat gesetzten Verfassungsrecht im Artikel 110 wird das Vertragsrecht gegenübergestellt. Beide sind die maßgebenden Säulen des modernen Staatskirchenrechts). 2. Umstellung der Ziffern 1 und 2 im Artikel 114. (Durch Ziffer 2 wird zum Ausdruck gebracht, daß die Beziehung des Landes zu den Kirchen durch Verträge geregelt wird. Ziffer 1 stellt dann nur fest, daß alte Verträge weitergelten, bis neue Verträge abgeschlossen werden.

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3. Im Artikel 114 / Ziffer 2 werden die Worte „im Übrigen“ gestrichen (durch Umstellung nicht mehr erforderlich). Neuer Textvorschlag: Die Beziehung des Landes zu den Kirchen und Religionsgemeinschaften wird durch Verträge geregelt. Verträge mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, die bei Auflösung des Freistaates oder des Landes Sachsen im Bereich oder in einem Teil seines heutigen Gebietes in Kraft waren, gelten weiter.

2. Schreiben des Bischöflichen Ordinariates des Bistums Dresden-Meißen zum Verfassungsentwurf (5. August 1991) BISTUM DRESDEN-MEISSEN BISCHÖFLICHES ORDINARIAT Käthe-Kollwitz-Ufer 84 Eingang Lothringer Weg Dresden