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German Pages 752 Year 2016
Ulrike Sbresny Sammlungen des Adels
Edition Kulturwissenschaft | Band 118
Ulrike Sbresny, geb. 1978, betreut die Sammlungen der Richard Borek Stiftung und leitet zeitweise das Schlossmuseum in Braunschweig. Die Kunstwissenschaftlerin forscht auf dem Gebiet der Sammlungsgeschichte und ist als Kuratorin tätig.
Ulrike Sbresny
Sammlungen des Adels Bedeutung, Kulturgüterschutz und die Entwicklung der Welfensammlung nach 1918
Genehmigte Dissertation an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig zur Erlangung des Grades einer Doktorin der Philosophie unter dem Titel »Die Sammlungen der Welfen nach 1918. Die Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz«. Erstreferentin: Prof. Dr. Victoria von Flemming Zweitreferentin: Prof. Dr. Bénédicte Savoy Tag der mündlichen Prüfung: 11. November 2015 Die Forschungsarbeit wurde gefördert durch die Richard Borek Stiftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Richard Borek Stiftung, Braunschweig, 2007 Satz: Ulrike Sbresny Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3677-2 PDF-ISBN 978-3-8394-3677-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
Vorwort | 7 Einleitung | 9 Kapitel 1: Oktober 2005 – Auktion im Schloss Marienburg Meinungen und Reaktionen | 17
1.1 1.2 1.3
Presseinformationen des Auktionshauses | 18 Pressereaktionen und in der Presse wiedergegebene Meinungen | 20 Zusammenfassung und Auswertung | 25
Kapitel 2: Erbe und Verpflichtung – Der Umgang mit Kulturgut aus Adelsbesitz Das „kulturelle Erbe“ | 27
Kulturgüterschutz, Denkmalschutz und Denkmalpflege | 36 Rechtliche Situation – International | 40 Rechtliche Situation – National | 67 Rechtliche Situation – Niedersachsen | 80 Leitlinien | 94 Relevante Aspekte der historischen Entwicklung von Kulturgüter- und Denkmalschutz | 106 2.1.6 Kommentar zur rechtlichen Situation von Kulturgüterund Denkmalschutz | 114 2.2 Kulturgüter-/Denkmalschutz und Denkmalpflege vs. Eigentumsschutz – Die Problematik der Vereinbarkeit von privaten und öffentlichen Interessen in Bezug auf Kulturgüter | 123 2.2.1 Eigentümerinteressen und -rechte | 123 2.2.2 Öffentliche Interessen – Kulturelle Identität | 128 2.2.3 Wirtschaftliche Interessen | 137 2.3 Kulturgüterschutz durch das Erbverhalten des Adels | 144 2.3.1 Tradition und Erziehung | 146 2.3.2 Rechtliche Voraussetzungen für den Erhalt des Kulturerbes in Adelsbesitz | 172 2.4 Erbe und Verpflichtung – Ergebnis | 185
2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5
Kapitel 3: Die Bedeutung der Dinge – Sammlungen und Gründe des Sammelns Vom kulturellen Erbe zu Bedeutungsebenen der Objekte in Adelsbesitz | 191
3.1 3.1.1 3.1.2
Die Bedeutung der Dinge | 193 Die Biographie der Dinge | 204 Das Ding als Mittel sozialen Verhaltens | 213
3.1.3 Erinnerungskultur | 231 3.1.4 Die Besonderheit des Porträts | 246 3.1.5 Die Dinge des Wohnens | 264 3.1.6 Die Bedeutung der Dinge des Adels | 284 3.2 Sammeln und Sammlungen | 287 3.3 Öffentliche (institutionelle) und private Sammlungen – Grundzüge von Gemeinsamkeiten und Unterschieden | 298 3.3.1 Öffentliche (institutionelle) Sammlungen | 299 3.3.2 Private Sammlungen | 324 3.4 Sammlungen des Adels – Charakteristische Merkmale und Entwicklung im 20. Jahrhundert | 336 3.4.1 Sammlungen des Adels vor 1918 | 337 3.4.2 Sammlungen des Adels nach 1918 | 379 3.5 Sammlungen und Gründe des Sammelns – Die Bedeutung der Dinge – Ergebnis | 426 Kapitel 4: Objekte der Welfen – Biographien und Bedeutung Welfenbesitz nach 1918 | 435
4.1 Biographische Wendepunkte | 437 4.1.1 Entmachtung und Situation nach der Entmachtung | 459 4.1.2 Die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg und dem Braunschweigischen Staat – Voraussetzungen und Folgen | 467 4.1.3 Rückerhalt und endgültiger Verlust des Schlosses Blankenburg | 484 4.1.4 Die Verkäufe nach 1918 | 500 4.1.5 Biographische Wendepunkte – Zusammenfassende Bemerkungen | 591 4.2 Objektbiographien | 594 4.2.1 Das so genannte „Cumberland Service“ | 595 4.2.2 Das so genannte „Mantuanische Onyxgefäß“ | 607 4.2.3 Das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis | 617 4.2.4 Das so genannte „Braunschweig-Diadem“ | 627 4.2.5 Ein Stuhl nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe | 637 4.2.6 Objektbiographien – Zusammenfassende Bemerkungen | 649 4.3 Objekte der Welfen – Bewertung und Bedeutung | 651 Kapitel 5: Ergebnis und Ausblick Zusammenfassende Bemerkungen | 659
5.1
Erhaltungsmöglichkeiten von Adelssammlungen – Ausblick und Anregungen | 675
Quellen und Literatur | 691
Vorwort
Der Ausgangspunkt dieser Arbeit, nämlich die 2005 im Schloss Marienburg durchgeführte Auktion, war gleichzeitig Ausgangspunkt meiner Tätigkeit für die Richard Borek Stiftung in Braunschweig. Die Sichtung, Inventarisierung und folgende Betreuung zahlreicher in diesem Rahmen erworbener Objekte, die heute die Erforschung und Ausleihe an Museen ermöglicht, führten zur Idee einer Forschungsarbeit. Hintergrund war auch die Frage nach einer Möglichkeit, derartige Bestände – in diesem Fall für Braunschweig – zu erhalten. Danken möchte ich gleichermaßen Frau Prof. Dr. Victoria von Flemming (HBK Braunschweig), die mein Promotionsvorhaben betreute, und Herrn Richard sowie Frau Erika Borek, die den ersten Anstoss zum Verfassen dieser Dissertationsschrift gaben und die Durchführung förderten. Frau Prof. von Flemming hat es mir ermöglicht, durch Hinweise und Hilfestellungen im richtigen Moment, das scheinbar unendlich weite Thema in eine für mich spannende und handhabbare Richtung zu lenken. Für ihre immer aufmunternden Worte bin ich besonders dankbar. Herr und Frau Borek haben durch gleichzeitig geduldiges, aber auch konsequentes Interesse am Forschungsstand mein Durchhaltevermögen unterstützt und mir durch ihre Förderung Vertrauen entgegengebracht. Für die gleichzeitige Betreuung und Freiheit möchte ich herzlich danken. Für die Übernahme der Zweitprüfung dieser Arbeit und ihre inspirierende Art bin ich Frau Prof. Dr. Bénédicte Savoy sehr dankbar. Herzlich danken möchte ich außerdem meiner lieben Kollegin Andrea Naumann für Ihre Unterstützung. Dank gilt bei einer solchen Arbeit, die das Privatleben über Jahre hinweg nicht unbeeinflusst lassen kann, auch meiner Schwester Franziska, meinen Eltern Beate und Dr. med. Wilhelm Sbresny sowie meinen Freunden, vor allem aber meinem Mann Michael Kraft, der immer das richtige Maß an Verständnis und entschiedenem Einspruch gefunden hat.
Einleitung „We cannot form attachments, and we cannot sustain those we have, except where we think that doing so is worthwhile, that is, in the belief that there is value in having the attachments or in forming them.“1 J. RAZ
Als 2005 im Schloss Marienburg über 20.000 Objekte aus dem Besitz des Hauses Hannover veräußert wurden, war dies ein Medienereignis. Vor allem aber war es ein Wendepunkt in einer jahrhundertelangen Sammlungsgeschichte, die sich zwar – entgegen eines heute vorrangig von institutionellen Sammlungen geprägten statischen Sammlungsbegriffes – immer durch eine dynamische Sammeltätigkeit auszeichnete, die neben Anhäufen, Zeigen und Bewahren auch Entsammlungsmaßnahmen beinhaltete, jedoch in Folge der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1918 schrittweise an einen Endpunkt gelangt. Bestehend aus Kunsthandwerk, Möbeln, Gemälden und Hausrat unterschiedlichster künstlerischer Qualität fungierten Objekte aus Adelssammlungen über Jahrhunderte hinweg als Mittel sozialen Verhaltens, Träger von Erinnerungskultur, stellvertretende Porträts sowie als Dinge des Wohnens. Die derart auf mehreren Ebenen an der Herausbildung und Festigung der Identität des Adels beteiligten Objekte sind durch Überschneidungen des Gruppengedächtnisses adliger Familien und des allgemeinen historischen Gedächtnisses als Teil des kulturellen Erbes von Bedeutung, so dass ein gemeinsames Erhaltungsinteresse besteht. Der Erhalt dieser von enormer Heterogenität und Quantität geprägten Teile unseres kulturellen Erbes kann jedoch weder allein dem Kulturgüterschutz und der Denkmalpflege übertragen noch durch die Museen als institutionelle Schutzorte geleistet werden. Die Untersuchung von Adelssammlungen zeigt jedoch, dass Nutzung und Funktion Grundlage der Erhaltung sein können. Damit wird heutigen Bewahrungskonzepten ein gegensätzliches, von Dynamik geprägtes Modell gegenübergestellt. Würde es gelingen, ebendiese charakteristische Sammeltätigkeit des Adels zu bewahren oder zu reaktivieren, könnten im Sinne der Idee des kulturellen Erbes große Objektbestände nicht nur bewahrt, sondern auch öffentlich zugänglich gemacht und in einem traditionellen Kontext erhalten werden.
1
Raz, Joseph: Value, Respect and Attachment, Cambridge 2001, S. 17.
10 | S AMMLUNGEN DES A DELS Die vorliegende Arbeit untersucht den Besitz des Hochadels in den Grundzügen seiner Entwicklung nach der Entmachtung der deutschen Fürsten 1918 vor dem Hintergrund einer derartigen Bewahrung erhaltener Bestände als kulturelles Erbe. Ausgangspunkt ist die 2005 für das Haus Hannover durchgeführte Hausauktion im Schloss Marienburg, in deren Folge für heutigen Adelsbesitz ungeklärte Fragen nach Maßnahmen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes, nach einer Bedeutung der Dinge sowie Sammlungsentwicklungen in der Presse angedeutet, jedoch weder durch diese noch durch die Forschung bisher beantwortet wurden. Da im Folgenden alle genannten Bereiche (nämlich des Kulturgüter- und Denkmalschutzes, der Bedeutung der Dinge sowie der Sammlungen) in Hinblick auf die Entwicklung von Adelsbesitz untersucht werden, um daraufhin die gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf den Besitz der Welfen beispielhaft zu verdeutlichen, kann diese Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Stattdessen soll sie als Ausgangspunkt einer möglichen Diskussion verstanden werden, welche über die bisher in diesem Zusammenhang öffentlich gewordenen unvereinbaren Positionen hinausgeht. Bisher beziehen sich diese Positionen ausschließlich auf die Verkäufe aus Adelsbesitz, die entweder aus Sicht der Verkäufer positiv als notwendig oder aus Sicht von Vertretern institutioneller Sammlungen negativ als Bruch mit der Idee des kulturellen Erbes bewertet werden. Diese gegensätzlichen Perspektiven werden auf ihre Hintergründe untersucht und um eine breiter gefächerte Sicht auf die Problematik ergänzt. Aufgrund der zu diesem Zweck eingenommenen sehr unterschiedlichen Perspektiven war es nötig, aus der Vielzahl der Publikationen des jeweiligen Forschungsschwerpunktes diejenigen herauszufiltern, die für ihre Anwendung auf Adelsbesitz am besten geeignet waren. Dabei werden sowohl wissenschaftliche Publikationen als auch Memoiren von Vertretern des Adels sowie Presseartikel herangezogen. Auch in diesem Punkt soll die Arbeit dazu einladen, ausgewählte Aspekte tiefergehend zu bearbeiten, als es im vorliegenden Rahmen möglich war. Dies gilt gleichermaßen für den Bereich des Quellenmaterials, der vor allem in Bezug auf teilweise schwer zugängliche Adelsarchive zu weiteren Erkenntnissen führen könnte. Die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes erfordert eine Vorgehensweise, die bisherige Forschungen der Sammlungsgeschichte, der Rechtswissenschaft, der Heritage Studies und der Provenienzforschung sowie politische Fragestellungen berücksichtigt und zusammenführt. Dieser interdisziplinäre Ansatz, der über eine rein kunstwissenschaftliche/historische Untersuchung hinausgeht, macht – ebenso wie die als beispielhaft zu verstehenden Betrachtungen einzelner Objekte/Objektgruppen – deutlich, dass das Thema der Adelssammlungen in sämtlichen Fachrichtungen vor allem für die Zeit nach 1918, bisher wenig Beachtung gefunden hat. Begründet liegt dies unter anderem in einem weitgehenden Desinteresse der Forschung am Adel im 20. Jahrhundert. Eine seit den letzten Jahren des 20. Jahrhunderts festzustellende Öffnung der Wissenschaft für diesen Forschungsbereich führte zu einer Reihe von Publikationen, zunächst durch Vertreter des Adels selbst, wie beispielweise die Untersuchung zum Adel in der Weimarer Republik von Iris Freifrau von HoyningenHuene2, schließlich im Rahmen einer kritischen Geschichtswissenschaft. Zu nennen 2
Hoyningen-Huene, Iris Freifrau von: Adel in der Weimarer Republik. Die rechtlich-soziale Situation des reichsdeutschen Adels 1918-1933, Aus dem Deutschen Adelsarchiv. Im Auf-
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sind die Arbeiten von Heinz Reif sowie Günther Schulz/Markus A. Denzel zum Adel im 19. und 20. Jahrhundert3 sowie die noch stärker auf das 20. Jahrhundert fokussierenden Forschungen von Monika Wienfort und Eckart Conze4, die jedoch nicht entscheidend über die Zeit nach 1945 hinausgehen. Hervorzuheben aufgrund der Auswertung umfangreichen Quellenmaterials und der daraus folgenden Detailgenauigkeit der Untersuchung ist die Arbeit Stephan Malinowskis5, die jedoch ebenfalls auf die Zeit bis 1945 fokussiert. Stärker thematisch als chronologisch wird das Thema durch Thomas Biskup/Martin Kohlrausch6 behandelt. Adelsgeschichte wird jedoch häufig als von einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung abgetrenntes Phänomen betrachtet, was allerdings die Auswirkungen der Höfe sowohl im soziokulturellen als auch im kunsthistorischen Bereich (auch nach 1918) verkennt7 und darüber hinaus nicht selten von einer neutralen wissenschaftlichen Betrachtung abweicht, wie es in der Arbeit Lothar Machtans zur Abdankung der Monarchen 19188 der Fall ist. Im Feld der Kunstwissenschaft entwickelt sich dagegen seit Kurzem ein vorher nicht zu beobachtendes Interesse an einzelnen Fragestellungen zu Sammlungen und Objekten aus Adelsbesitz, insbesondere in Bezug auf die historische Entwicklung von Sammlungen und ihre Bedeutung für die Entstehung von Museen, wobei in Bezug auf die vorliegende Arbeit die Publikation des Herzog Anton Ulrich-Museums in
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trage des Deutschen Adels-Archivs e.V., herausgegeben von Klaus Freiherr von AndrianWerburg, Band 10 der Schriftenreihe, Limburg 1992. Reif, Heinz: Adel im 19. und 20. Jahrhundert, Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Band 55, herausgegeben von Lothar Gall, München, Oldenbourg 1999; Schulz, Günther/Denzel, Markus A. (Hrsg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert, Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2002 und 2003, Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Band 26, herausgegeben von Günther Schulz und Markus A. Denzel, St. Katharinen 2004. Wienfort, Monika: Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006; Conze, Eckart/Wienfort, Monika (Hrsg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2004. Malinowski, Stephan: Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Elitenwandel in der Moderne, herausgegeben von Heinz Reif, Band 4, Berlin 2003. Biskup, Thomas/Kohlrausch, Martin (Hrsg.): Das Erbe der Monarchie. Nachwirkungen einer deutschen Institution seit 1918, Frankfurt, New York 2008. Der Aussage Biskup/Kohlrauschs „Es kann nicht darum gehen, das weitere Leben der abgesetzten Monarchen in ihren Schlössern zu verfolgen.“, Biskup, Thomas/Kohlrausch, Martin: Das Erbe der Monarchie: Nachwirkungen einer deutschen Institution, in: Biskup/Kohlrausch, S. 34, ist damit zu widersprechen, da historische Forschung Wendepunkte der Geschichte nicht als Anlass nehmen sollte, ebendiesen Forschungsauftrag nicht mehr verfolgen zu müssen. Machtan, Lothar: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008; beispielsweise ist die abwertende Bezeichnung von Objekten aus Adelsbesitz als „Nippes“, welche sich in der Presse häufig findet, in der Publikation eines Universitätsprofessors für Geschichte fehl am Platz und trägt zur Vernachlässigung der Erforschung dieses Themenfeldes bei, Machtan, S. 297.
12 | S AMMLUNGEN DES A DELS Braunschweig zu seinem 250-jährigen Bestehen9 ebenso zu erwähnen ist wie die von Andreas Grote herausgegebene Publikation zu Sammlungen der Frühen Neuzeit10. Forschungen, die Objekt-/Architekturgeschichte und das Sozialverhalten des Adels in Bezug zueinander setzen, sind ein weiterer Schritt zur Erfassung der Bedeutung von Adelssammlungen. Als eine der früheren Arbeiten ist diesbezüglich Annegret Kotzureks Untersuchung zum württembergischen Hof im 18. Jahrhundert11 zu nennen. Grundlagenforschungen, vor allem im Bereich der höfischen Ausstattung, aber auch zu Künstlern, welche an den Höfen beschäftigt wurden, fehlen jedoch vielfach noch immer. Beispielsweise ist die einzige umfassende Biographie mit Oeuvrekatalog zu einem Porträtisten am Hof in Braunschweig diejenige von Karin Schrader zu Johann Georg Ziesenis12. Kataloge zur ehemaligen Ausstattung von Schlössern, wie derjenige zur Ausstattung des Residenzschlosses Braunschweig von Bernd Wedemeyer/Eva-Maria Willemsen13, sind ebenso selten wie wichtig. Derartige Grundlagenarbeiten sind die Basis für eine sammlungsgeschichtliche Untersuchung der Bestände im Besitz des Adels auch nach 1918. Untersuchungen zur Entwicklung von Adelssammlungen nach 1918 fehlen bisher, mit Ausnahme einer eher knappen Zusammenfassung der Entwicklung Schloss Ludwigslusts und seiner Ausstattung von Sabine Bock14. Die vorliegende Arbeit möchte unter Berücksichtigung der verschiedenen Perspektiven der Adelsforschung mit Hilfe von Forschungsergebnissen relevanter weiterer Disziplinen den Blick auf die Besonderheiten von Adelsammlungen und auf noch immer bestehende, nicht institutionell verwahrte Objektgefüge richten, welche einer Entwicklung unterliegen, die zu ihrer mittlerweile absehbaren Auflösung beiträgt. Auch in Hinblick auf mögliche Erhaltungskonzepte soll diese Arbeit Diskussionsgrundlage und Mittel zur Kommunikation der Vertreter oben genannter gegensätzlicher Positionen sein. Nach einem medienkritisch bearbeiteten Einstieg am Beispiel der oben genannten Auktion gliedert sich die Arbeit zu diesem Zweck in folgende drei Schwerpunkte: Erbe und Verpflichtung – Der Umgang mit Kulturgut aus Adels9
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Ausstellungskatalog Braunschweig 2004: 250 Jahre Museum. Von den fürstlichen Sammlungen zum Museum der Aufklärung, Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Kunstmuseum des Landes Niedersachsen. Ausstellung in der Burg Dankwarderode, 29. April - 22. August 2004, Braunschweig, München 2004. Grote, Andreas (Hrsg.): Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800, Opladen 1994. Kotzurek, Annegret: „Von den Zimmern bey Hof“. Funktion, Disposition, Gestaltung und Ausstattung der herzoglich-württembergischen Schlösser zur Regierungszeit Carl Eugens (1737-1793), Berlin 2001. Schrader, Karin: Der Bildnismaler Johann Georg Ziesenis (1716-1776). Leben und Werk mit kritischem Oeuvrekatalog, Göttinger Beiträge zur Kunstgeschichte, herausgegeben von Karl Arndt, Band 3, 1995 (zugleich Dissertation Universität Göttingen). Wedemeyer, Bernd/Willemsen, Eva-Maria: Braunschweiger Hofkultur 1830-1918. Ausstattung und Fragmente des ehemaligen Residenzschlosses, Osterwieck 2000. Bock, Sabine: Großherzogliche Kunst im Schloss Ludwigslust. Fürstenabfindung, Enteignung und Restitution, Schwerin 2014.
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besitz, Die Bedeutung der Dinge – Sammlungen und Gründe des Sammelns sowie Objekte der Welfen – Biographien und Bedeutung. Den Abschluss bilden Ergebnis und Ausblick. Anhand der Presseberichterstattung zur oben genannten Verauktionierung großer Bestände aus dem Besitz der Welfen 2005 wird in Kapitel 1 zunächst die IstSituation in Bezug auf den Gegenstand und die gegensätzlichen Positionen in der Diskussion um Adelssammlungen vorgestellt. Die Diskussion wirft grundsätzliche Fragen nach Inhalt und Konsequenzen der Idee eines kulturellen Erbes auf und bringt die Forderung, der Adel solle als Kulturbewahrer agieren, zum Ausdruck. Ausgehend von ebendiesen Fragen nach Erbe und Verpflichtung bildet in Kapitel 2 die Idee des kulturellen Erbes mitsamt den aus dieser abzuleitenden Handlungsanweisungen den Hintergrund einer ausführlichen Untersuchung der Gesetzeslage zum Kulturgüter- und Denkmalschutz auf internationaler und nationaler Ebene. Diese Untersuchung berücksichtigt die aktuellen Gesetzestexte ebenso wie Leitlinien und historische Quellen. Sie wird ergänzt durch eine kurze Erläuterung der verschiedenen Interessen in Bezug auf das kulturelle Erbe, da sich die Interessen der Eigentümer von einem öffentlichen Interesse sowie wirtschaftlichen Interessen (insbesondere von Kunsthandel und Tourismusbranche) unterscheiden. Mit Hilfe der bisher vorliegenden Forschungen zum Adel nach 1918 und beispielhafter Memoiren wird das Selbstbild des Adels explizit auf die ihm zugeschriebene Rolle als Kulturbewahrer hin untersucht. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang das Erbverhalten des Adels unter Berücksichtigung der Rechtsinstitute Fideikommiss und Hausgut, dessen Untersuchung sich anschließt. Diesbezüglich leistet über die Quellenlage hinaus die ausführliche Untersuchung der Fideikommisse und ihrer Entwicklung von Jörn Eckert15 wichtige Erkenntnisse. Die Idee des kulturellen Erbes, der juristische Rahmen, die verschiedenen Interessenslagen und das Selbstbild des Adels sind nicht miteinander gleichzusetzen. Sie bilden sowohl in ihrem Inhalt als auch in der Feststellung der Unterschiede den Hintergrund der weiteren Untersuchung. In Kapitel 3 wird einerseits die Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz untersucht, andererseits werden die Begriffe der Sammlung und des Sammelns mit deren heute vorrangig an institutionellen Sammlungen orientierten Definitionen in den Blick genommen, um die Sammlungen des Adels in diesen Zusammenhang zu stellen. Eine Analyse der Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz ist nötig, da diesen in der Diskussion um Verkäufe eine in den Rechtsmitteln des Kulturgüter- und Denkmalschutzes geforderte „besondere Bedeutung“ in der Regel abgesprochen wird. Ein Perspektivwechsel vom Menschen zum Ding, der mit Hilfe der methodisch eingesetzten Vorstellung einer Biographie der Dinge gelingt, ermöglicht unter Berücksichtigung von Forschungsergebnissen aus der Anthropologie (insbesondere von Arjun Appadurai16), den Sozialwissenschaften (wie beispielsweise der Untersuchung
15 Eckert, Jörn: Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum Absterben eines Rechtsinstitutes, Rechtshistorische Reihe, Bd. 104, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1992. 16 Appadurai, Arjun (Hrsg.): The social life of things. Commodities in cultural perspective, Cambridge 2003 (Originalausgabe: 1986).
14 | S AMMLUNGEN DES A DELS von Mihaly Csikszentmihalyi/Eugene Rochberg-Halton17), der Archäologie (zu nennen ist die Arbeit Yvonne Marshalls und Chris Gosdens18), der Philosophie (besonders zu erwähnen ist die Publikation von Joseph Raz19) und der Kunstwissenschaft (wobei die Forschung Nadezda Shevchenkos20 hervorzuheben ist) die Feststellung mehrerer Bedeutungsebenen sowie deren Entwicklung nach 1918. Für den Hochadel waren und sind Objekte als Mittel sozialen Verhaltens sowohl Statussymbole als auch Kommunikationsmittel. Auf Objekte der Erinnerung sind das persönliche sowie das kollektive Gedächtnis angewiesen. In Adelsfamilien treten seit 1918 bis heute autobiographische Erinnerungen gegenüber dem Gruppengedächtnis in den Vordergrund. Zu jeder Zeit adliger Herrschaft entstanden Porträts in jeweils zeitgemäßen Medien als Manifestationen politischer Macht und sozialer Stellung und bis heute erfüllen diese Aufgaben der Identitätssicherung. Vor 1918 wurden die Hierarchien des Hoflebens maßgeblich durch Dinge des Wohnens verdeutlicht, was nach 1918 eine Einschränkung erfahren musste. Dennoch tragen Wohnobjekte noch heute zum Erhalt traditioneller Lebensweisen des Adels bei. Heterogenität und Quantität der Objektbestände waren Hintergrund und Absicherung dieser Bedeutungsebenen, stehen heute aber der gängigen von Statik geprägten Definition von Sammlungen entgegen. Ein Vergleich der Eigenschaften institutioneller Sammlungen mit denjenigen von Privatsammlungen (für den auf ein breites Spektrum wissenschaftlicher Literatur sowie Medienberichte und konkrete Beispiele zurückgegriffen werden kann) zeigt, dass diese enge Definition nur auf öffentliche Sammlungen anwendbar ist. Die alleinige Umsetzung der Handlungsanweisungen, die sich aus der Idee des kulturellen Erbes ergeben, können diese jedoch nicht erfüllen. Die von stärkerer Dynamik geprägten privaten Sammlungen, zu welchen rechtlich auch diejenigen Adelssammlungen gehören, die sich noch immer im Eigentum der Familien befinden, werden auch in Zukunft unverzichtbar für den Erhalt von Kulturgut bleiben. Die Untersuchung von Eigenschaften der Sammlungen des Adels vor und nach 1918 weist die für eine dynamische Sammlungsdefinition wesentlichen Aspekte des Anhäufens, Zeigens, Bewahrens und Entsammelns sowie der Formung von Bindungen anhand von Beispielen nach. Entscheidende Veränderungen im Sammelverhalten des Adels nach 1918 machen jedoch die absehbare Auflösung dieser Bestände deutlich. Unter Berücksichtigung des von Krzysztof Pomian geprägten Verständnisses von Objekten und Objektgruppen als „Semiophoren“21 und der Forschungen von
17 Csikszentmihalyi, Mihaly/Rochberg-Halton, Eugene: Der Sinn der Dinge. Das Selbst und die Symbole des Wohnbereichs, München/Weinheim 1989 (Originalausgabe: The meaning of things. Domestic symbols and the self, Cambridge 1981). 18 Vgl. Marshall, Yvonne/Gosden, Chris: The cultural biography of objects, in: World Archaeology, Volume 31, No. 2, October 1999, London 1999, S. 169-178. 19 Raz. 20 Shevchenko, Nadezda: Eine historische Anthropologie des Buches. Bücher in der preußischen Herzogsfamilie zur Zeit der Reformation, Göttingen 2007. 21 Pomian, Krzysztof: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln, Berlin 1998 (Originalausgabe: Paris 1987).
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Aleida Assmann zu Formen der Erinnerung22 sind die Sammlungen des Adels und die aus diesen noch heute erhaltenen Bestände insbesondere in ihrer Heterogenität und Quantität als unersetzliche, jedoch nicht unendliche, Speicher unseres historischen Gedächtnisses zu verstehen. Die Ergebnisse der Kapitel 2 und 3 bilden den Hintergrund der in Kapitel 4 anschließenden Untersuchung der Objekte der Welfen nach 1918, die nicht das Erstellen eines Kataloges von Einzelobjekten zum Ziel hat, sondern nach einer Entwicklung fragt, die zum Ausgangspunkt der Arbeit – der Auktion 2005 – geführt hat und auch für weitere Adelssammlungen Erkenntnisse liefern kann. Mit Ausnahme von relevanten (teils Überblicks-)Arbeiten zur Familie der Welfen, wie derjenigen von Mijndert Bertram zum Königreich Hannover23, dem Sammelband über Georg (V.) König von Hannover Herzog von Cumberland und Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland24 von Gudrun Keindorf/Thomas Moritz25 sowie der Arbeit von Peter Steckhahn zu den Herzögen zu Braunschweig und Lüneburg26, liegen neben Ausstellungskatalogen (hervorzuheben ist derjenige des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig zur Ausstellung „Welfenschätze. Gesammelt, verkauft, durch Museen bewahrt”27) vorrangig Medienberichte, Auktionskataloge und historische Quellen vor, die berücksichtigt wurden. Zum Verständnis der Sammlungen der Welfen nach 1918 ist zunächst ein Rückblick auf den Verlust des Königreichs Hannover 1866 und auf die Braunschweigische Thronfolgefrage nach 1884 nötig. Anschließend werden chronologisch von der Entmachtung über die gerichtliche Auseinandersetzung zwischem dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg und dem Braunschweigischen Staat bis zum 22 Assmann, Aleida: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 3. Auflage, München 2006 (Originalausgabe: München 1999). 23 Bertram, Mijndert: Das Königreich Hannover. Kleine Geschichte eines vergangenen deutschen Staates, Hannover 2004, 2. Auflage (Originalausgabe: 2003). 24 Grundsätzlich werden in dieser Arbeit die Titel adliger Personen bei Erstnennung vollständig genannt (jedoch ohne sämtliche Vornamen), ab der zweiten Nennung werden Kurzformen der Namen verwendet. Verheiratete Frauen werden in der Kurzform mit ihrem durch die Heirat erworbenen Namen genannt, was familiäre Zuordnungen erleichtert. Bei Autoren adliger Herkunft erfolgt die Erstnennung mit Namen, Vornamen, Titel und Namenszusatz (Beispiel: Hannover, Heinrich Prinz von) und folgend mit Namenszusatz und Nachnamen (Beispiel: von Hannover). Abweichende Schreibweisen finden sich z.T. in Zitaten und wurden (ebenso wie veraltete Rechtschreibung) nicht korrigiert. 25 Keindorf, Gudrun/Moritz, Thomas (Hrsg.): „Größer noch als Heinrich der Löwe“. König Georg V. von Hannover als Bauherr und Identitätsstifter, Ausstellung in der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Paulinerkirche, Begleitband und Reiseführer, im Auftrag des Vereins „Freunde der Burg Plesse“, Duderstadt 2003. 26 Steckhahn, Peter: Welfenbericht. 150 Jahre Familiengeschichte der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg dokumentiert in Photographie und Film, Göttingen 2008 (der Band erschien aus Anlass der Ausstellung „Vergessene Welfen – verlorene Vergangenheit im Braunschweigischen Landesmuseum). 27 Ausstellungskatalog Braunschweig 2007: Welfenschätze. Gesammelt, verkauft, durch Museen bewahrt, 7. Juni - 2. September 2007, Burg Dankwarderode Braunschweig, herausgegeben von Gisela Bungarten und Jochen Luckhardt, Petersberg 2007.
16 | S AMMLUNGEN DES A DELS Rückerhalt und dem endgültigen Verlust des Schlosses Blankenburg Ereignisse auf ihre Bedeutung für die Biographie sowohl der Familie als auch der Sammlungen in ihrem Besitz untersucht. Die Verkäufe aus diesem Besitz nach 1918 werden vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung vorgestellt und mit den in Kapitel 2 ausgewerteten Gesetzen zum Kulturgüter- und Denkmalschutz in Zusammenhang gebracht, so dass diese aus dem Blickwinkel sowohl der Akteure (Verkäufer und politische Vertreter), als auch der Objekte und ihrer Bedeutungsebenen betrachtet werden können. Fünf ausgewählte Objektbiographien, nämlich diejenigen des so genannten „Cumberland Services”, des so genannten „Mantuanischen Onyxgefäßes”, des „Porträts Friedrichs des Großen” von Johann Georg Ziesenis und eines Stuhles nach dem Entwurf von Peter Joseph Krahe, machen einerseits sich wandelnde Wertungen, Nutzungs- und Bedeutungsebenen von Objekten aus Adelssammlungen anschaulich und zeigen andererseits die in dieser Wandelbarkeit feststellbaren Gemeinsamkeiten der Biographien sehr unterschiedlicher Objektarten. Abschließend formuliert eine Zusammenführung der in dieser Arbeit eingenommenen unterschiedlichen Perspektiven die Notwendigeit einer bewussten Entscheidung für oder gegen den Erhalt derartiger Adelssammlungen. Gleichzeitig bildet die Zusammenfassung den Hintergrund für im Folgenden kurz vorgestellte erste Anregungen als Diskussionsgrundlage zu Erhaltungsmöglichkeiten. Die Arbeit bezieht sich nahezu ausschließlich auf die Sammlungen des deutschen Hochadels, nimmt jedoch durch Berücksichtigung ausgewählter Forschungsarbeiten stellenweise Bezug auf Entwicklungen in Großbritannien und Frankreich. In diesem Zusammenhang ist für Großbritannien beispielhaft der Aufsatz Peter Mandlers zur Entwicklung der britischen Aristokratie28 zu nennen, für Frankreich die ausführliche Studie zum Adel von Monique de Saint Martin29. Walter Demel hat eine Untersuchung zur gesamthistorischen Entwicklung des europäischen Adels veröffentlicht30. Bereits in den gering gehaltenen Hinweisen auf den Adel anderer Länder werden sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede deutlich, die darauf hinweisen, dass eine Anwendung der in dieser Arbeit geleisteten Untersuchungen für den Adel über Deutschland hinaus lohnenswert wäre, an dieser Stelle aber nicht geleistet werden kann.
28 Mandler, Peter: The Fall and Rise of the British Aristocracy, in: Conze/Wienfort, S. 41-58. 29 Saint Martin, Monique de: Der Adel. Soziologie eines Standes, édition discours, Klassische zeitgenössische Texte der französischsprachigen Humanwissenschaften, herausgegeben von Franz Schultheis und Louis Pinto, Band 8, Konstanz 2003 (Originalausgabe: L’Espace de la Noblesse, Paris 1993). 30 Demel, Walter: Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005.
Kapitel 1: Oktober 2005 – Auktion im Schloss Marienburg „Schlösser und Sammlungen, die von Kunstsinn und den internationalen Verbindungen der einstigen Herrscher zeugen, müssen für kommende Generationen bewahrt werden. Daher ist man, was den Erhalt von Adelssitzen angeht, auf die tätige Mithilfe der Erben angewiesen. Allerdings ist das sehr kostspielig. Viele Adelshäuser müssen ihre Kunstschätze heute zu Geld machen.“1 A. ROSENHOLM
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UND
R EAKTIONEN
Eine Auktion an zehn Tagen mit 4.740 Losen (sowie 500 bis 600 so genannten „Kellerlosen“), aufgeteilt in die Kategorien Gemälde Alte Meister, Waffen und Rüstungen, Keramik und Glas, Silber und Vitrinenobjekte, Uhren, Skulpturen und Kunsthandwerk, Möbel und Dekorationen, Gemälde des 19. Jahrhunderts, Orientalisches Kunsthandwerk, Militaria, Textilien, Tafeltücher und Livreen sowie Druckgraphik: Dies sind die Fakten, die der dreibändige Katalog zur Sotheby’s Hausauktion im Schloss Marienburg im Überblick zusammenfasst2. Seit der Ankündigung dieser Auktion durch eine Pressekonferenz und den zugehörigen Pressetext des Auktionshauses Sotheby’s sowie des vom Welfenhaus (insbesondere von Ernst August (VI.) Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, Sohn des Chefs des Hauses, als Einlieferer) hinzugezogenen Kunstberaters Dr. Christoph Graf Douglas im April 2005 wurde über das Ereignis in der regionalen und überregionalen Presse berichtet.
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Rosenholm, Adrian: Adelsfamilien und Schlösser. Wie Fürsten, Grafen und Prinzessinnen leben – Einblicke in Geschichte und Gegenwart des europäischen Adels, München 2008, S. 139. Auktionskatalog Sotheby’s 2005: The Royal House of Hanover/Das Königliche Haus von Hannover. Schloss Marienburg, 5.-15. Oktober 2005, Band I-III, jeweils S. 12-13.
18 | S AMMLUNGEN DES A DELS 1.1
P RESSEINFORMATIONEN
DES
A UKTIONSHAUSES
„In dieser bedeutenden Auktion, in der Objekte der Kurfürsten und Könige von Hannover sowie der Könige von England offeriert werden, kommen [...] mehr als 20.000 Objekte, in rund 5.000 Losnummern, zum Aufruf. Diese Kunstgegenstände, die über einige Jahrzehnte in den Räumen von Schloss Marienburg eingelagert worden sind, stammen aus verschied[e]nen deutschen und österreichischen Häusern des Welfenhauses [...].“3 SOTHEBY’S PRESSETEXT
Der Sotheby’s Pressetext informierte über Umfang und Bandbreite der zu versteigernden Objekte aus allen wichtigen Sammelgebieten. Während die Provenienz als bedeutende Käuferinformation betont wird, galt die erwähnte „Einlagerung“ der Objekte als Hauptargument für den Verkauf. Das neogotische Inventar des Schlosses Marienburg solle jedoch nicht angetastet werden, wurde betont. Als Ziel des Einlieferers Ernst August (VI.) von Hannover wird die Gründung einer Familienstiftung zum Erhalt des deutschen Welfen-Besitzes genannt. Schloss Marienburg stehe selbst nicht zum Verkauf und bleibe, wie das Fürstenhaus Herrenhausen, weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich. Es handele sich um „prachtvolle Kunstobjekte“ und „schöne und seltene Objekte“ aus dem Königreich Hannover, aus der Zeit der Welfen auf dem englischen Königsthron und aus dem Herzogtum Braunschweig. Sie seien ausschließlich im Besitz der Familie und noch nie auf dem Kunstmarkt gewesen. Ein Erlös von über 12 Mio. Euro werde erwartet. Das Auktionshaus erwähnte die Tradition von Verkäufen aus Adelsbesitz seit der Auktion für das Haus Thurn und Taxis 1993, gefolgt von derjenigen für das Haus Baden 1995 und einem Verkauf von Objekten verschiedener Adelshäuser im Schloss Monrepos in Ludwigsburg 2000. Die Bedeutung des Angebots fasste Dr. Philipp Herzog von Württemberg (Geschäftsführer von Sotheby’s Deutschland) zusammen: „Die Kunstgegenstände aus dem Besitz des Hauses Hannover bieten einen Einblick in die Wohn- und Lebensweise der vergangenen historisch bedeutenden Generationen und dokumentieren die Familiengeschichte auf wunderbare Weise. Wir [...] sind glücklich, eine junge Generation dabei zu unterstützen, ihr kulturelles und familiäres Erbe zu erhalten und zu bewahren.“4
Graf Douglas stehe in Kontakt zum Kultusministerium Niedersachsens [Ministerium f. Wissenschaft u. Kultur, Anm. U.S.], wodurch gewährleistet bleibe, dass keine Objekte zum Verkauf kämen, die auf der Liste national wertvoller Kulturgüter stehen.
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Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005: Achttägige Schlossauktion auf dem Areal von Schloss Marienburg bei Nordstemmen 29. September bis 8. Oktober 2005 (mit Ausnahme vom 2. & 3. Oktober). Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005.
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Ein beigefügter Pressetext über Graf Douglas mit der Überschrift „Kunst und Kultur mit Verantwortung vermitteln und bewahren“5 berichtet, der mit dem Haus Hannover seit langem bekannte Kunstvermittler habe mit den Prinzen Ernst August (VI.) von Hannover und Christian Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland beschlossen, dass zur Umsetzung eines neuen Konzeptes für das Schloss Marienburg der Verkauf überschüssiger Bestände nötig sei. Die Zusammenarbeit mit Sotheby’s6 wurde wegen des internationalen Publikums und des Bezugs zu Großbritannien gewählt. Er engagiere sich jedoch auch für den Erhalt von Kunstwerken in der jeweiligen Region und habe mehrfach bei Verkäufen zwischen Adelshäusern und regionalen Sammlungen vermittelt. Die im Pressetext genannten Gründe für den Verkauf wurden durch Aussagen der Beteiligten ergänzt. Es wurde auf den Verkauf als Bestandteil des Verwaltens und Bewahrens hingewiesen. Ernst August (VI.) von Hannover erwähnte den Unterhaltungsaufwand: „Die Gemälde und anderen wertvollen Gegenstände stehen im Keller herum, den Großteil bekommt die Öffentlichkeit nicht zu sehen, aber wir müssen sie verwalten.“7 Sein Bruder ergänzte: „Wir haben eine Familienstiftung gegründet, um die Kultur des Hauses zu wahren.“ Und Philipp von Württemberg betonte die finanzielle Seite des Besitzes: „Wir, der junge Adel, brauchen eben Geld, um unsere alten Schlösser zu erhalten. Allein ein neues Dach verschlingt doch Unsummen.“8 Abbildung 1: Verauktionierte Objekte im Schloss Marienburg, 2005
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig 5 6 7 8
Dr. Christoph Graf Douglas – Kunstberatung Pressetext 2005: Kunst und Kultur mit Verantwortung vermitteln und bewahren. Der Kunstberater war für das Auktionshaus selbst tätig gewesen und hatte die Auktionen der Häuser Thurn und Taxis sowie Baden geleitet. Ernst August (VI.) von Hannover, in: Bunte, Nr. 19/2005: Opel, I. von/Waldburg, M.: Zwei Prinzen und ihr [...Titel nicht vollständig]. Philipp von Württemberg, in: Spiegel 38/2005, 17. September 2005: Knöfel, Ulrike: Das große Ausmisten; finanzielle Gründe nannte auch Welt online, 25. September 2005: Dittmar, Peter: Königliche Hoheit lassen versilbern.
20 | S AMMLUNGEN DES A DELS 1.2
P RESSEREAKTIONEN UND IN DER P RESSE M EINUNGEN
WIEDERGEGEBENE
„Seltener ist der Inhalt von Speichern und Kellern glanzvoller zum Verkauf angepriesen worden als bei den Auktions-Festspielen auf Schloss Marienburg.“9 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ)
Die Presse griff die Argumente aus den Pressemitteilungen auf. Nahezu durchgängig wurden die Pläne der Prinzen, eine Familienstiftung zu gründen und Schloss Marienburg zu einer Touristenattraktion zu machen, erwähnt, wobei von einer „Aufwertung“10 gesprochen wurde. Diese Meinung findet sich auch in einem Rückblick der Braunschweiger Zeitung über den Zustand des Schlosses vor dem Verkauf, der aber auch die Vielfalt und Qualität der gezeigten Objekte betont: „Und wie eine Abstellkammer wirkte Schloss Marienburg [...]: In der riesigen Treppenhalle hingen Fahnen der Welfen und des Königshauses, Schilde, Waffen, Ritterrüstungen standen Spalier. Und es folgten Räume mit Gemälden, die die Welfen zeigen oder Schlachten, Offiziere, Minister, Manöver, Truppenparaden, Familienangehörige. Und fantastisch gearbeitetes Mobiliar. Die ursprüngliche Bestimmung der Räume war nicht mehr zu erkennen.“11
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete von der Wiederherstellung der originalen Ausstattung des Schlosses12. Häufig war zu lesen, dass allein Lagerbestände13 sowie minderwertige Objekte zum Verkauf kamen und geringe Einstiegspreise ein breites Publikum anzogen. Von „Ballast, der andere erfreuen kann“ und einer „Umverteilung zwischen Adel und Bürgertum“ sprach die FAZ14, von einem „modernen Märchen“ die Welt15. Aufgegriffen wurde auch Graf Douglas’ Argumentation mit dem Alter des Einlieferers: „So ist die neue Generation. Horten ist nicht mehr angesagt. Es ist zeitgemäß, sich von Dingen zu trennen, um Platz zu schaffen.“16
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FAZ, 15. Oktober 2005: Auktionspassion: Fast 40 Millionen für die Welfen. Welt online, 19. April 2005: Welfen wollen Antiquitäten für 12 Millionen versteigern. Braunschweiger Zeitung, 6. November 2007: Thomas Parr: Schloss Marienburg. FAZ, 2. Oktober 2005: Welfen-Schatz kommt unter den Hammer; FAZ, 6. Oktober 2005: Auktion der Welfenschätze. Schätzpreis 40.000, Hammerpreis 540.000. Beispielsweise Inventar aus enteigneten Schlössern, das man nicht mehr brauche, Welt online, 5. Oktober 2005: Griese, Inga: Brüderstreit bei den Welfen; Welt online, 17. Oktober 2005: Auktion füllt Kassen der Welfen. FAZ, 19. April 2005: Gropp, Rose-Maria: Der Hammer fällt auf Marienburg. Von königlicher Herkunft. Die Welfen versteigern Teile ihres privaten Besitzes. „Das moderne Märchen könnte also gut ausgehen: Das Volk ersteigert brav die Adelsschätze und die jungen Prinzen halten mit dem Geld ihre Schlösser schön instand, damit sich das Volk wiederum daran erfreuen kann.“, Welt online, 2. Oktober 2005: Bianka Kopsch: Königlicher Ausverkauf. Graf Douglas, in: Bunte 19/2005.
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Parallel zu den positiven oder neutralen Bewertungen der Auktion berichtete die Presse von „Fachleuten“, „Kunsthistorikern“ und „Museumschefs“, die sich gegen den Verkauf aussprachen. Namentlich erwähnt wurden die beiden Braunschweiger Museumsdirektoren Prof. Dr. Luckhardt (Herzog Anton Ulrich-Museum) und Prof. Dr. Biegel (damals Braunschweigisches Landesmuseum) sowie der damalige Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum in Berlin Prof. Dr. Ottomeyer. Zudem griff die Presse mit den Aussagen Heinrichs Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland (Bruder des Chefs des Hauses Hannover) eine ablehnende Haltung aus dem Welfenhaus auf. Besonders im Vorfeld der Auktion, aber auch noch Jahre später, sahen/sehen die Vertreter kultureller Einrichtungen in der Auktion einen „Ausverkauf des kulturellen Erbes“17, den „Verkauf der Geschichte Niedersachsens“18 und „wertvoller landesgeschichtlicher Objekte“19. Über den „Ausverkauf der Landesgeschichte“20 berichteten regionale und überregionale Zeitungen auch zum Ende der Auktion im Oktober. Ottomeyer sprach von „Geschichtsvernichtung“21 und kritisierte den Ankauf historischer Objekte durch Privatpersonen, die nur kauften, um ein königliches Stück zu besitzen22, ohne Möglichkeiten der sachgemäßen Aufbewahrung bieten zu können. In der Presse war die Rede davon, dass „die Kunstobjekte [...] auf Privattoiletten ihren Geschichtswert zu verlieren [drohen]“23. Diese Meinung steht derjenigen des oben genannten FAZ-Artikels konträr gegenüber und hinterfragt auch das Neukonzept des Schlosses Marienburg kritisch: „Die Auktion [...] ruft unterdessen weiter scharfe Kritik hervor. Als Konsequenz sind mehrere Objekte aus der Versteigerung wieder herausgenommen worden – bei ihnen wird vermutet, dass sie von den Architekten der Marienburg, Conrad Wilhelm Hase und Edwin Oppler, für das Schloss geschaffen wurden.“24 Auch die Braunschweiger Zeitung berichtete von Befürchtungen einer „Zerschlagung des Gesamtkunstwerks Marienburg“25, nachdem sie schon im Mai 2005 17 Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007: Teschner, Katrin: Welfenschätze aus der Auktion. Teil eins der neuen Serie – Rund zwei Jahre nach der spektakulären Versteigerung sind wertvolle Stücke in Braunschweig zu sehen. 18 Luckhardt und Heinrich von Hannover, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005: Böhm, Ekkehard: Der Streit um die Welfenschätze. 19 Luckhardt und Biegel, in: Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005: Berger, Andreas: „Ernst August will sich ein schönes Leben machen“. Heinrich Prinz von Hannover sieht in der Auktion von Marienburg-Gütern einen Skandal – Auch braunschweigische Kunstschätze betroffen. 20 Braunschweiger Zeitung, 15. Oktober 2005: Auktion von Kunstschätzen füllt Kasse der Welfen – auch Kritik; Spiegel online, 15. Oktober 2005: Welfen-Auktion. Sotheby’s jubelt, Prinz Heinrich schimpft. 21 Ottomeyer, in: Stern.de, 7. Oktober 2005: Wendel, Monika: Welfen-Auktion. Da sitzt der Geldbeutel locker. 22 Stern.de, 7. Oktober 2005. 23 Stern.de, 7. Oktober 2005. 24 Stern.de, 7. Oktober 2005. 25 Braunschweiger Zeitung, 5. Oktober 2005: Welfen lassen Kunstschätze auf Schloss Marienburg versteigern.
22 | S AMMLUNGEN DES A DELS Luckhardt zu Wort kommen ließ, der darauf hinwies, dass es sich auch bei den Objekten, die nicht zur Ausstattung des Schlosses Marienburg gehörten, zum Teil um regionales Schlossinventar handelte, nämlich aus den Schlössern Braunschweig und Blankenburg26. Biegel betonte diese Gegenstände seien „[...] historische Quellen, die der öffentlichen Obacht und Forschung entzogen sind“27. Die Braunschweiger Zeitung erwähnte zudem im Rückblick den Aspekt einer „über Jahrhunderte gewachsenen Bildersammlung“28 und deren Bedeutung für die Region, welche in der Meinung Heinrichs von Hannover deutlich wird: „Er fürchtete, dass ein Großteil des kulturellen Gedächtnisses seiner Familie und des welfischen Erbes für die Identität Niedersachsens damit verloren ging.“29 In seiner Kritik war außerdem die Rede vom „Totalausverkauf“30 und dem Verkauf der Familientradition 31: „Jetzt wird kulturelles Erbe in Bares umgesetzt“32. Die Auktion sei ein Beispiel dafür „wie man mit Kultur nicht umgehen darf“33, zitierte ihn der Spiegel. Auch Experten betrachteten nicht allein den Verkauf an sich, sondern auch den Umgang mit den zu veräußernden Objekten skeptisch. Schon im Mai 2005 stellte ein Artikel auf der Internetseite Artnet das Vorgehen der Einlieferer in Frage: „Denn natürlich drängt sich die Frage auf, nach welchen Kriterien zwei dem internationalen Jungjetset angehörende Prinzen, die Geschichte und Politik bzw. Geschichte und Betriebswirtschaft in New York studieren, Erhaltenswertes von nicht Erhaltenswertem für das Haus Hannover unterscheiden möchten. Dass ihre Berater dabei mehr oder weniger diejenigen sind, die Glas und Gemälde, Möbel, Porzellan, Rüstungen, Silber, Textilien sowie Uhren vom 16. bis 19. Jahrhundert im Herbst unter das gemeine Volk bringen möchten, vereinfacht die Sache nicht unbedingt.“34
Es wurde befürchtet, der Profitgedanke habe zu großen Einfluss auf die Abwicklung des Verkaufs. Die Zeit sei zu knapp gewesen für das Erstellen eines fachlich richtigen Kataloges35, bemängelte Luckhardt ebenso wie das „Herunterspielen“ der Qualität, um höhere Preise zu erreichen36. Auch Ottomeyer sprach von „fiktiven Preisen,
26 Luckhardt, in: Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 27 Biegel, in: Braunschweiger Zeitung, 21. Oktober 2006: Berger, Andreas: Proteste retteten Braunschweigs Vermeer. Museums- und Bibliotheksleiter wenden sich gegen den Verkauf ihrer Schätze – Präzedenzfall 1929. 28 Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007. 29 Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007. 30 Heinrich von Hannover, in: Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 31 Heinrich von Hannover, in: Welt online, 8. Oktober 2005: Rekorderlös bei Versteigerung der Welfenschätze auf Schloss Marienburg. 32 Heinrich von Hannover, in: Spiegel online, 5. Oktober 2005: Mega-Auktion. Welfen entrümpeln ihr Schloss. 33 Spiegel online, 5. Oktober 2005. 34 Artnet, 4. Mai 2005: Spessardt, Henrike von: Auktion aus dem Besitz des Königshauses Hannover auf Schloss Marienburg. Ausverkauf im Königshaus. 35 Luckhardt, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005. 36 Luckhardt, in: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005.
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um diese in die Höhe zu treiben“37 und Welt online kam knapp zwei Jahre nach der Auktion im Zusammenhang mit einer Ausstellung des Herzog Anton UlrichMuseums38 zu folgendem Schluss: „So deutet die Braunschweiger Auswahl nicht nur an, welche Sisyphos-Arbeit es ist, national Bedeutendes zu sammeln und zu erhalten. Sie erzählt zugleich von Glanz und Elend eines hochadligen Hauses, das Ererbtes nicht als verpflichtendes Erbe sondern nur als materiellen Wert betrachtet.“39 Die Zeitschrift Der Spiegel warf die Frage auf: „Viel interessanter wäre es zu erfahren, was die Welfen noch so in Kellern und auf Dachböden horten – oder was in der Vergangenheit bereits unter Ausschluss der Öffentlichkeit veräußert worden ist.“40 Damit wurde auf einen Mitbestimmungsanspruch der Öffentlichkeit bezüglich dieser Kulturgüter hingewiesen. Gleichzeitig merkte die Zeitung Welt im Vorfeld an, dass die Auktion nicht nur die größte dieser Art, sondern „wohl auch die letzte“41 sein werde, was auf schwindende Ressourcen von Kulturgut in Adelsbesitz hindeutet. Neben Pressekritik am Haus Hannover als Einlieferer wurde das Auktionshaus Sotheby’s als „rücksichtslos und geschickt“ 42 bezeichnet. Heinrich von Hannover schloss zudem auch den Kunstberater Graf Douglas in seine Kritik mit ein43. Die Zweifel der Museumsdirektoren betrafen des Weiteren die Niedersächsische Landesregierung. Sie bedauerten, dass das Land Niedersachsen keine Ankäufe in großem Umfang plante44 und Ottomeyer war der Meinung, das Land „hätte eingreifen müssen“45. Geteilt wurde seine Ansicht von Christina Bührmann (SPD): „Die Vorsitzende des niedersächsischem Kulturausschusses [...] kritisierte das Kultusministerium, das sich ‚als kleiner David von einem Riesen über den Tisch hat ziehen lassen‘“46. Doch die Niedersächsische Regierung hatte bereits frühzeitig angekündigt, aus Geldmangel keine Ankäufe tätigen zu können47, und gleichzeitig mitgeteilt, dass der Verkauf legal sei, da sich keines der angebotenen Objekte auf der Liste für schützenswertes Kulturgut befinde48. In der Aussage des damaligen Niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kultur, Lutz Stratmann, dass man den bei der Auktion angebotenen Objekten keine herausragende Bedeutung zuschreibe49, wurde diese 37 Ottomeyer, in: Stern.de, 7. Oktober 2005; Welt online, 8. Oktober 2005. 38 Ausstellung Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig: Welfenschätze. Gesammelt, verkauft, durch Museen bewahrt. 7. Juli - 2. September 2007, Burg Dankwarderode Braunschweig. 39 Welt online, 28. August 2007: Dittmar, Peter: Ausverkauf der Welfenschätze. 40 Spiegel 38/2005, 17. September 2005. 41 Welt online, 30. Juli 2005: Rump, Gerhard Charles: Schloss Marienburg: Größte deutsche Inventar-Auktion. 42 Welt online, 12. Oktober 2005: Stürmer, Michael: Bezahlt wird ohne hinzuschauen. 43 Heinrich von Hannover, in: Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 44 Biegel und Luckhardt, in: Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 45 Ottomeyer auf Spiegel online, 15. Oktober 2005 und Stern.de, 7. Oktober 2005. 46 Sueddeutsche.de, 16. Oktober 2005. 47 Sprecherin des Kulturministeriums [Ministeriums für Wissenschaft und Kultur, Anm. U.S.] laut Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 48 Finanzministerium laut Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 49 Stratmann laut FAZ, 5. Oktober 2005: Welfen-Auktion beginnt mit hohen Erlösen; Stratmann laut Spiegel online, 5. Oktober 2005.
24 | S AMMLUNGEN DES A DELS Haltung bestätigt. Graf Douglas unterstützte die Meinung der Landesregierung, nur weniger wichtige Sammlungsbestände seien betroffen, durch seine Aussage, dass sich „von keinem anderen königlichen Haus [...] so viele Objekte auf dem Gesamtverzeichnis national wertvollen Kulturgutes [finden]“50. Laut FAZ trage der Verkauf dazu bei, die vorhandenen Kulturgüter zu bewahren51, was suggeriert, dass es sich bei den veräußerten Objekten nicht um Kulturgüter handelte. Die Kritik der Museumsdirektoren wurde durch den Hinweis auf ein Vorkaufsrecht zurückgewiesen52. Die Museen besäßen aber vergleichbare Objekte53, ihr Interesse sei gering gewesen54. Insgesamt fällt bei der Betrachtung der Pressereaktionen vor allem eine häufig unangemessene Ausdrucksweise auf, die aus der Welt der Boulevardpresse übernommen zu sein scheint und häufig bei Berichten über Adelshäuser verwendet wird. Nicht selten standen Geld und Profit im Vordergrund. Hintergründe wurden verharmlost oder verfälscht wiedergegeben wie im Spiegel-Artikel mit dem Titel „Das große Ausmisten, Schnäppchenwoche beim Adel...“55: „Der Prinz hat beachtliche Teile seines Besitzes an seine Söhne aus erster Ehe übertragen, und die haben gleich angekündigt, eine Auswahl der ererbten Güter unters Volk zu bringen, gegen möglichst viel Geld natürlich. Es handelt sich um 20000 Objekte, jede Menge Kanonen, Rüstungen, Teetassen und auch Kunst ... Kulturgüter allerersten Ranges dürfen übrigens gar nicht veräußert werden – da würde der Denkmalschutz protestieren.“56
Kritiker aus der Familie, die von „Ausverkauf“ sprachen, wurden schlicht als Nörgler bezeichnet.57 Die FAZ berichtete über den Erlös: „Fast 40 Millionen für die Welfen. Die Versteigerung [...] übertrifft alle Erwartungen: Mit einem Gesamtumsatz von 39,4 Millionen Euro brutto hatte Sotheby’s bereits am vergangenen Donnerstag das Dreifache der geschätzten Gesamtsumme erzielt.“58 Welt online wählte den Superlativ, als von der „größten Auktion dieser Art in Deutschland“59 berichtet wurde, ohne auf die Auktionen der Häuser Thurn und Taxis und Baden hinzuweisen und äußerte die Vermutung, dies sei „wohl auch die letzte“ dieser Versteigerungen gewesen60. Eine Aussage der FAZ, das Haus Hannover habe noch immer Unterhaltungskosten der Schlösser Blankenburg und Cumberland zu tragen61, ist schlicht falsch62. 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62
Graf Douglas, in: Die Zeit 40/2005: Herstatt, Claudia: Ausverkauf bei Königs. FAZ, 6. Oktober 2005. FAZ, 5. Oktober 2005: Welfen-Auktion beginnt mit hohen Erlösen. Welt online, 30. Juli 2005. Graf Douglas laut Welt online, 16. Oktober 2005: Vowinkel, Heike: Alles muss raus – Endspurt bei Welfen-Auktion auf Schloss Marienburg. Spiegel 38/2005, 17. September 2005. Spiegel 38/2005, 17. September 2005. Spiegel 38/2005, 17. September 2005. FAZ, 15. Oktober 2005. Welt online, 30. Juli 2005. Welt online, 30. Juli 2005. FAZ, 6. Oktober 2005. Schloss Blankenburg ist seit 1945 nicht mehr im Besitz des Hauses Hannover, Schloss Cumberland ging nach dem 2. Weltkrieg in den Besitz der Tochter des damaligen Chefs
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1.3
Z USAMMENFASSUNG
UND
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A USWERTUNG „Die beiden Söhne Ernst Augusts von Hannover ließen vor der Presse immer wieder verlauten, dass der Erlös der Versteigerung in eine Stiftung einfließe, die der Instandhaltung und Restaurierung der Marienburg vorbehalten sei. Es war die Rede davon, ein ‚Neuschwanstein des Nordens‘ zu kreieren. Für diese Idee wurde der mit Abstand größte mobile Ausstattungskomplex innerhalb der noch existierenden Welfenschlösser unwiderruflich aufgegeben.63 G. BUNGARTEN
Bei einer kritischen Betrachtung dokumentiert die Presse in ihren Berichten über die Sotheby’s Auktion im Schloss Marienburg eine Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern dieses Verkaufs und zeigt verschiedene Perspektiven auf Verkäufe von Kunstbesitz durch Adelshäuser auf. Das Beispiel eignet sich als Einstieg in die Kontroverse um den Erhalt von „Kulturgut“ aus Adelsbesitz, wenn gleichzeitig die Problematik dieser Thematik herausgefiltert wird. Die Standpunkte von Befürwortern und Kritikern der Verkäufe können wie folgt zusammengefasst werden: Argumente der Befürworter (die Prinzen Ernst August (VI.) und Christian von Hannover, Vertreter des Auktionshauses Sotheby’s und der Kunstberater Graf Douglas): • • •
Notwendigkeit der Beschaffung von Finanzmitteln zur Deckung der hohen Unterhaltungskosten eines Schlosses und dessen Inventar „Straffung“ der Sammlung und deren Profilierung durch Verkauf von Depotbeständen Umsetzung eines modernen und wirtschaftlichen Konzepts zur Nutzung eines Schlosses als Touristenattraktion.
Argumente der Gegner (hier vor allem die Museumsdirektoren Biegel und Luckhardt sowie Ottomeyer sowie Heinrich von Hannover als Verwandter der Befürworter): • •
der Erhalt von kulturellen Gütern der Region ist notwendig zur Herausbildung einer regionalen Identität Bedeutung der Objekte als Quellen zur Erforschung der Landesgeschichte
des Hauses, Friederike Prinzessin von Hannover Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Königin von Griechenland, über, wurde jedoch nicht mehr durch die Familie genutzt und 1979 vom Österreichischen Staat angekauft. 63 Bungarten, Gisela: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 22.
26 | S AMMLUNGEN DES A DELS •
•
nicht weiter definierter Anspruch der Allgemeinheit auf Objekte, die in Bezug zur Landesgeschichte stehen und die daraus resultierende Notwendigkeit, diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen Beurteilung von Kulturgut als „Erbe“, welchem die „Verpflichtung zu dessen Erhaltung“ innewohnt.
Die Kritik der Gegner richtete sich dabei nicht nur an die Verkäufer der Objekte und den ausführenden Kunsthandel, sondern auch an die Regierung, der damit eine „Aufsichtspflicht“ zugeschrieben wurde. Den Verkäufern fällt dieser Meinung nach die Aufgabe eines „Bewahrers“ aus „Tradition“ und einer „Verpflichtung zur Erhaltung des Erbes“ zu, der ein Verkauf mit Profitgedanken entgegenspricht. Diese hier bewusst vorsichtig verwendeten Begriffe deuten auf die Hauptproblematik des Themas hin, welche auch in der Presse erkennbar wurde – weder die Rollen der Agierenden noch das Streitgut sind klar definiert und die Diskussion wirft zunächst eine Reihe an Fragen auf: •
•
•
Welcher Art von Kulturgut kommt eine Bedeutung zu, die einen Eingriff in das Recht auf Eigentum (und dessen Veräußerung) erlauben könnte oder sogar nötig werden lässt? Welche Einschränkungen gelten diesbezüglich für den Adel und haben dazu geführt, dass bis heute Bestände erhalten geblieben sind, deren Verkäufe nun die hier vorgestellte Diskussion entfachen (in diesen Zusammenhang fällt die Frage nach der „Tradition“ als Motivation und der Aufgabe des „Bewahrers“ für den Adel)? Haben Politik und öffentliche Einrichtungen eine „Aufsichtspflicht“ bezüglich des Erhalts von bedeutendem Kulturgut und wie kann diese ausgeführt werden?
Zusammengefasst werden kann dies in folgender Fragestellung: •
Was genau beinhaltet die Vorstellung der „Verpflichtung zum Erhalt des (kulturellen) Erbes“ in Hinblick auf ihren Gegenstand sowie notwendige Maßnahmen und wen betrifft sie?
Das folgende Kapitel soll sich mit der Beantwortung dieser Fragen in Bezug auf Kulturgüterschutz und Denkmalpflege befassen, um die Ergebnisse später im Kontext des Umgangs mit dem Kunstbesitz der Welfen anwenden zu können. Eine genauere Betrachtung der Definition/en von Sammlungen wird für diese Untersuchung weitere Aufschlüsse über die Wertigkeit von „Kulturgut“ in Adelsbesitz und dessen kulturelle Bedeutung geben.
Kapitel 2: Erbe und Verpflichtung – Der Umgang mit Kulturgut aus Adelsbesitz „Es ist der unabänderliche Zyklus des Lebens, dass die Menschengenerationen aufeinander folgen, und dass jede Generation eine unvergängliche Spur ihres Geistes und ihrer Schaffenskraft hinterlässt, die sich in wissenschaftlichen Erkenntnissen und Ergebnissen, aber auch Denkmälern, Bauten und Artefakten verkörpert.“1 M. PESENDORFER
D AS „ KULTURELLE E RBE “ Die in Kapitel 1 vorgestellte Diskussion hat deutlich werden lassen, dass die Kritik am Verkauf von Adelsbesitz indirekt einen Anspruch auf Mitbestimmung über das Schicksal dieser Gegenstände formuliert. Damit wird dem rechtlichen Eigentumsbegriff, der für die Verkäufer in materiellem Wert greifbar wird, durch die zusätzliche Ebene eines ideellen Wertes für eine unbestimmte Gruppe von Personen ein öffentliches Interesse gegenüber gestellt. Weder der Mitbestimmung fordernde Personenkreis noch das Objekt2, auf das sich die Forderungen beziehen, sind genau zu erfassen. Auch der ideelle Wert bleibt in der vorgestellten Kritik abstrakt. Der Hintergrund des Anspruchs wird jedoch deutlich und ist in der Idee des „gemeinsamen kulturellen Erbes“ zu finden. 1
2
Pesendorfer, Michael Dr.: Umfassender Kulturgüterschutz – Eine Aufgabe für die EU?, in: Sladek, Gerhard (Hrsg.): Kulturelles Erbe – Vermächtnis und Auftrag, Internationales Symposium Klagenfurt (26.-28.9.2007), Schriftenreihe Österreichische Gesellschaft für Kulturgüterschutz Nr. 9, Wien, 2008, S. 118. Das Objekt wird hier im Sinne des Objekts der Untersuchung verwendet, da das „kulturelle Erbe“ sowohl materielle als auch immaterielle Güter beinhalten kann. Bei Fragen der Begrifflichkeit des „kulturellen Erbes“ sollte dies also immer mitgedacht werden, während für die Untersuchung der Sammlungen des Welfenhauses immaterielle Güter nur im Zusammenhang mit materiellen Gütern eine Rolle spielen (z.B. adlige Traditionen, Verhaltensweisen, die anhand von Gegenständen deutlich werden können). Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Begriff des Objektes im Sinne eines Gegenstandes verwendet, welcher zur Auswahl als Kulturgut in Frage kommt.
28 | S AMMLUNGEN DES A DELS Inhalt und Konsequenzen dieser Idee werden gegenwärtig sowohl in Europa als auch in den USA und in Australien diskutiert. Die Schwerpunkte der Diskussion unterscheiden sich jedoch stark: Im deutschsprachigen Raum stehen die Konsequenzen im Vordergrund, wobei diese in Deutschland vor allem in Form der Einflussnahme des Gesetzgebers rechtswissenschaftlich betrachtet werden3 und in Österreich auf deren praktische Anwendung fokussiert wird4. In den USA und Australien werden die Überlegungen zum Inhalt im direkten Zusammenhang mit den sich ergebenden Konsequenzen diskutiert und erweitert durch die Frage nach der Behandlung der Kultur nordamerikanischer und australischer Ureinwohner5. Am differenziertesten entwickelt ist die Forschungslage in Großbritannien, die sowohl Inhalt als auch Konsequenzen betrachtet und an konkreten Beispielen – von den prähistorischen Kulturstätten über die Wohnsitze des Adels und den Kulturimport der Kolonialzeit bis zu den Auswirkungen des Massentourismus – vorstellt sowie in einen internationalen Kontext einordnet6. Sowohl im deutschsprachigen als auch im englischsprachigen Raum ist das verwendete Vokabular nicht eindeutig und wird dominiert von den Begriffen „Kulturgut“ sowie „Cultural Property“. Im Deutschen ist dies zurückzuführen auf die weitgehend rechtswissenschaftliche Literatur, die den Begriff des „Kulturguts“ aus den entsprechenden Rechtsvorschriften entnimmt. Autoren aus dem Bereich der Denkmalpflege beschränken sich auf die gesetzlichen Vorlagen ihres Fachs, indem sie die Bezeichnungen „Denkmalbestand“ als Oberbegriff sowie „Denkmale“7 für den Gegenstand der Untersuchung verwenden. Rückgreifend auf ältere Literatur (vor allem 3
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Vgl. stellvertretend: Bernsdorff, Norbert/Kleine-Tebbe, Andreas: Kulturgutschutz in Deutschland – Ein Kommentar, Köln u.a. 1996; Hipp, Anette: Schutz von Kulturgütern in Deutschland, Schriften zum Kulturgüterschutz, Berlin, New York 2000 (zugleich Dissertation Universität Heidelberg); Rietschel, Solveig: Internationale Vorgaben zum Kulturgüterschutz und ihre Umsetzung in Deutschland. Das KGÜAG – Meilenstein oder fauler Kompromiss in der Geschichte des deutschen Kulturgüterschutzes? Schriften zum Kulturgüterschutz, Berlin 2009; Streinz, Rudolf: Internationaler Schutz von Museumsgut, Handbuch des Museumsrechts 4, Berliner Schriften zur Museumskunde, Opladen 1998; vgl. die Reihe „Schriften zum Kulturgüterschutz“ des de Gruyter Verlags. Vgl. stellvertretend: Hajós, Géza: Denkmalschutz und Öffentlichkeit. Zwischen Kunst, Kultur und Natur. Ausgewählte Schriften zur Denkmaltheorie und Kulturgeschichte 19812002, Frankfurt am Main 2005; Sladek. Vgl. stellvertretend: Merryman, John Henry: Two ways of thinking about cultural property, in: American journal of international law, Vol. 80, 1986, S. 831-853; Prott, Lyndel/ O’Keefe, Patrick: „Cultural Heritage“ or „Cultural Property“?, in: International Journal of Cultural Property 02/1992, S. 307-320; Fragen zum Erbe der Ureinwohner Nordamerikas und Australiens in diversen Aufsätzen in: International Journal of Cultural Property, eine Zeitschrift der Cambridge Journals. Vgl. stellvertretend: Gillman, Derek: The idea of cultural heritage, Cambridge 2010 (Originalausgabe: 2006); Waterton, Emma/Watson, Steve (Hrsg.): Culture, Heritage and Representation: Perspectives on Visuality and the Past, Farnham, Burlington 2010; vgl. die Reihe „Heritage, culture and identity“ des Ashgate Verlags; vgl. International Journal of Cultural Property, eine Zeitschrift der Cambridge Journals. Synonym Denkmäler, Kulturdenkmale, Kulturdenkmäler.
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der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts) ist in aktuellerer kunst- und kulturwissenschaftlicher Literatur vom „kulturellen Erbe“ die Rede. Die direkte Auseinandersetzung mit der Begriffsfindung im Englischen von Prott und O’Keefe durch den Vergleich von „Cultural Property“ und „Cultural Heritage“8 ist auch für die deutsche Sprache richtungsweisend. Während „Kulturgut“ und „Denkmal“ auf den Wert des Objekts (das kulturelle Gut) beziehungsweise auf dessen Eigenschaft als Erinnerungsobjekt (ein Mal, im Sinne von Bezugspunkt, das zum Denken an etwas anregt)9 abzielen, können aus der Formulierung „kulturelles Erbe“ Handlungsweisen abgeleitet werden: „[The term Cultural, Anm. U.S.] Heritage creates a perception of something handed down; something to be cared for and cherished. These cultural manifestations have come down to us from the past; they are our legacy from our ancestors. There is today a broad acceptance of a duty to pass them on to our successors, augmented by the creations of the present.“10
Bedeutend ist hier, dass der Wert des Objekts nicht in diesem selbst begründet sein muss, sondern durch den Akt des Annehmens oder Erkennens als Erbe manifestiert wird. Die Annahme des Erbes und dessen Vergrößerung durch Güter unserer Zeit, ist zugleich die Übernahme der Verantwortung für das Schicksal desselben und die Verpflichtung, es an zukünftige Generationen weiterzugeben 11. Es handelt sich hier um einen bewussten Vorgang, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander in Verbindung bringt. Die dem „kulturellen Erbe“ zugehörigen „Kulturgüter“ und „Denkmale“ werden aus dem Status der reinen Zugehörigkeit zur Vergangenheit herausgenommen, um sie in die Obhut der Gegenwart zur Verwahrung für die Zukunft zu überführen12. Gleichzeitig ermöglichen sie heute die Diskussion über die Vergangenheit13, welche wiederum Rückwirkungen auf gegenwärtiges und zukünftiges Leben haben kann.
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Prott/O’Keefe, S. 307-320. Zum Begriff des Denkmals vgl. Beseler, Hartwig: Denkmalpflege als Herausforderung (Vortrag in Ulm 1968), in: Beseler, Hartwig: Denkmalpflege als Herausforderung. Aufsätze und Vorträge zu Architektur und Denkmalpflege, als Festgabe zum 80. Geburtstag am 20. März 2000, herausgegeben von Dirk Jonkanski, Deert Lafrenz, Heiko K. L. Schulze, Kiel 2000, S. 27-48. Prott/O’Keefe, S. 311. Vgl. auch Sladek, Gerhard: Thematische Einführung in die Veranstaltung, in: Sladek, S. 12. Dies fasst Beseler treffend zusammen, in dem er darauf hinweist, dass „Kulturdenkmale [...], recht verstanden, weniger als Erbe der Vergangenheit denn als Mitgift für die Zukunft von Bedeutung [sind].“, Beseler, Hartwig: Denkmalpflege – eine politische Aufgabe (Vortrag in Sankelmark 1973), in: Beseler, S. 80; Sladek spricht von einer „Verpflichtung sowohl gegenüber unseren Vorfahren als auch gegenüber unseren Nachfahren, [Kulturgüterschutz] ist somit Vermächtnis und Auftrag zugleich.“, Sladek, S. 12. Pomian, Krzysztof: Museum und kulturelles Erbe, in: Korff, Gottfried/Roth, Martin (Hrsg.): Das historische Museum. Labor, Schaubühne, Identitätsfabrik, Frankfurt, New York, Paris 1990, S. 42.
30 | S AMMLUNGEN DES A DELS Geprägt wurde der Begriff des „kulturellen Erbes“ im Zusammenhang mit der Forderung nach dessen Erhaltung von Henri Grégoire (1750-1831). Als Gelehrter und Mitglied der französischen Revolutionsregierung beschäftigte er sich unter anderem mit der Frage nach dem Umgang mit den Kunstobjekten des überwundenen feudalen Systems und verfasste diesbezüglich drei grundlegende Berichte zur Vorlage in der Nationalversammlung, welche Verantwortungspflichten des Staates an dem ihm zugefallenen Kunstbesitz formulierten14. Die Brisanz des Themas zur Zeit Grégoires und die Radikalität seiner Forderungen werden von Sax wie folgt auf den Punkt gebracht: „Why, especially in a republic that was beginning radically anew, should monuments redolent of the values of the old regime be respected?“15 Eine Frage, die zudem auch an späterer Stelle für die Betrachtung des Umgangs mit Adelsbesitz in der Folge der Revolution von 1918 zu stellen ist. Während zu Zeiten Grégoires die Zerstörung adligen Kunstbesitzes immer stärker um sich griff, verknüpfte er die Notwendigkeit der Erhaltung dieser Güter mit den Ideen der Freiheit sowie dem Respekt vor individuellen Schaffensprozessen und löste sie von ästhetischen Vorlieben und früheren Verwendungszwecken: „The question he posed was not why is art or history important, but rather what does the spirit of liberty require? And to this question he offered three answers. First, that liberty is only realized where the talent and creative energies of the individual flourish. Second, that only where tolerance for difference and respect for creativity exist can that flourishing occur. And third, that the pursuit of knowledge and repudiation of ignorance are essential to a process where talent and creativity will blossom.“16
Diese Denkweise, die vor allem die Vielfalt von Kunst positiv hervorhebt, ist erstaunlich modern und findet in heutiger Zeit breite Akzeptanz17. In allen Punkten ging Grégoire damit weit über frühere Argumente für den Erhalt von Kunst vergan-
14 Sax, Joseph: Heritage Preservation as a Public Duty: The Abbé Grégoire and the origins of an idea, in: Michigan law review 1990 (88), S. 1144. 15 Sax 1990, S. 1144. 16 Sax 1990, S. 1155. 17 Sowohl die Loslösung von ästhetischen Werten, die Akzeptanz von Kulturgütern jeglicher Art und Herkunft sowie die Anerkennung des kulturellen Wertes auch von Objekten und Orten mit negativem Erinnerungswert (wie z.B. Konzentrationslager des Nationalsozialismus) haben sich in neuerer Forschung wieder durchgesetzt; „Statt, wie es viel zu sehr geschieht, den Denkmalbestand nach unseren Wünschen und nach den Sehnsüchten bestimmter Geschichtsbilder zu handhaben, müssen wir vorbehaltloser bereit sein, unser Geschichtsbild durch die Denkmäler aufklären zu lassen. Zu solch aufgeklärter Denkmalpflege, die zur Aufklärung der Öffentlichkeit beitragen will, gehört die selbstverständliche Einsicht, dass das Kulturgut, das wir schützen, das bien culturel, il bene culturale oft erst für die denkmalpflegende Öffentlichkeit, also z.B. für uns heute, ein Einsicht spendendes Gut ist, nicht jedoch zwangsläufig in seiner Entstehungszeit schon gut und schön war.“, Mörsch, Georg: Aufgeklärter Widerstand. Das Denkmal als Frage und Aufgabe, Basel, Boston, Berlin 1989, S. 14.
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gener Epochen hinaus18. Von größter Relevanz für den heutigen Stand der Diskussion ist jedoch die Idee, kulturelle Objekte vom Moment ihres materiellen Entstehens an als öffentlichen Besitz zu betrachten und dieses „héritage commun“, das bisher durch die Herrschaft des Adels vereinnahmt worden war, mit der Überwindung dieses Systems für die eigentlichen Besitzer – also die Allgemeinheit – öffentlich zugänglich zu machen19. Erneut ist der Begriff des „kulturellen Erbes“ wertvoll, um Hintergründe und Auswirkungen dieser Idee der staatlichen Verantwortung im Dienst der Allgemeinheit zu verdeutlichen. Das gemeinsame Erbe bindet die Erbnehmer aneinander. Wird es angenommen, so werden gemeinsame Werte festgeschrieben, die wiederum Auswirkungen auf den Umgang miteinander haben. Das Erbe wirkt also nicht nur als Bindeglied zwischen Vorfahren, Erben und nachkommenden Generationen, sondern durch die Stärkung der Herausbildung von Gruppenidentitäten auch als Bindeglied innerhalb einer Generation20. Während diese Bedeutung für die Identitätsbildung von Personengruppen in der Literatur generell vorausgesetzt wird, ohne auf diesen Aspekt genauer einzugehen21, verdeutlicht Mörsch in diesem Zusammenhang das öffentliche Interesse am „kulturellen Erbe“: „Wüssten wir nicht durch ein Axiom, eine nicht mehr beweisbedürftige Grundwahrheit, dass zum Menschen die Fähigkeit zum Erinnern gehört, so könnten uns auch unzählige Einzelfakten beweisen, dass die Begegnung mit Vergangenheit so elementar notwendig ist, dass wir von einem Grundbedürfnis nach Geschichte sprechen dürfen, dem ein Grundrecht auf Geschichte entspricht. Dieses Grundbedürfnis, das zur Identitätsfindung von einzelnen und Gruppen unentbehrlich ist, äußert sich in vielen Bereichen, zum Beispiel in Sprache, Sitte, Recht, mündlicher und schriftlicher Überlieferung und seit Menschengedenken besonders machtvoll im Anspruch auf eine ablesbare, geschichtliche bauliche Umwelt.“22
Die Vielfalt der „Kulturgüter“, wie sie auch Grégoire bereits beschrieb, findet sich in dieser Forderung ebenso wieder wie die Bedeutung eines Einblicks in die gesamte Vergangenheit. Der Erblasser ist mit allen früheren Generationen der Menschheit gleichzusetzen, der Erbnehmer mit allen zukünftigen Generationen sowie der gegenwärtigen. Das Erbe selbst besteht aus allen Gütern – materiell sowie immateriell –, die aus früheren Generationen auf die jeweils nächste übergegangen sind. Es ist 18 Bestrebungen, die Zerstörung von antiken Objekten zu verbieten, gab es beispielsweise vermehrt zur Zeit der Renaissance, vgl. Sax 1990, S. 1149f; auch Alois Riegl geht bereits auf diese Entwicklung ein, betont aber ebenso deren Weiterentwicklung Ende des 18. Jahrhunderts, vgl. Riegl, Alois: Der Moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung, Wien, Leipzig 1903, S. 12 und S. 17. 19 Vgl. Gillman, S. 82; vgl. Sax 1990, S. 1158. 20 „Obviously there is some very strong attraction to the idea of a common heritage: a people and a community bound together in some shared enterprise with shared values.“, Sax 1990, S. 1142. 21 Vgl. Gillman, S. 30; vgl. Sladek, S. 9; vgl. Horn, Dominik: Der ethische Kontext des Kulturgüterschutzes bei internationalen militärischen Einsätzen, in: Sladek, S. 75; vgl. Hipp, S. 19. 22 Mörsch, S. 31.
32 | S AMMLUNGEN DES A DELS nötig, sich die Tragweite dessen vor Augen zu führen, um zu begreifen, dass eine für alle Zeit festgeschriebene Auswahl dessen, was bewahrt werden soll, nicht möglich ist. Jede Generation muss für sich sowohl diese Auswahl treffen sowie geeignete Maßnahmen zur Bewahrung der Güter ergreifen23. Es ist in diesem Zusammenhang irrelevant, welche Gründe dazu geführt haben, die jeweiligen Teile des „kulturellen Erbes“ bis heute zu erhalten. Relevant ist dagegen die Notwendigkeit zum Handeln zu begreifen, denn das „kulturelle Erbe“ ist ein „[...] Erbe, das unser Volk ewig neu erwerben muss, um es zu besitzen [...]“24. Die daraus resultierende Flexibilität der Auslegung des Begriffs „kulturelles Erbe“ von Generation zu Generation ist heute ebenso unbestritten25 wie die Umsetzung der Bewahrungspflichten durch die Öffentlichkeit. Der Formulierung von Sax ist für den heutigen Stand der Forschung daher absolut zuzustimmen: „Public responsibility for the conservation of artifacts of historic or aesthtic value is now acknowledged everywhere.“26 Während also allgemeiner Konsens darüber besteht, dass unser „kulturelles Erbe“ erhalten werden soll, wird die Frage nach der Auswahl des Erhaltenswerten gerade in der aktuellen Diskussion wieder bedeutender. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verlief die Entwicklung zu einer sehr weit gefassten Vorstellung von schützenswertem „Kulturgut“ weitgehend geradlinig. Nach den Zerstörungen unzähliger „Kulturgüter“ durch den Krieg, hatte die Radikalität des Erneuerungswillens in der Nachkriegszeit weitere Opfer gefordert. Gleichzeitig wurden die Bedeutung der Vergangenheit und der Wunsch nach einer sichtbaren Verbindung zu dieser so deutlich, dass schließlich der Schritt von einer reinen Denkmalpflege über den Schutz von „Kulturgütern“ bis hin zum hier beschriebenen Verständnis des „kulturellen Erbes“ eingeleitet werden konnte. Die Feststellung des damaligen Präsidenten des Österreichischen Bundesdenkmalamtes aus dem Jahr 1963 spiegelt eine wichtige Erkenntnis dieser Entwicklung wider: „Nationale Selbstachtung, Kulturbewusstsein, Rücksicht auf Bildung und Erziehung der Jugend und schließlich wohlverstandene wirtschaftliche Interessen müssen es jedem Staat, der mit seiner Vergangenheit, seiner Geschichte nicht ganz zerfallen ist, nahe legen, für die überlebenden, greifbaren Zeugen dieser Geschichte zu sorgen. Wenn solche Zeugen noch dazu ästhetische Werte repräsentieren, dann wird die Sorge um die Erhaltung solcher Werke – für die wir in den europäischen Sprachen nur das laue und missverständliche Wort ‚Denkmal‘, ‚monument‘, haben – zur Verpflichtung.“27
23 Vgl. Beseler 1968, S. 32. 24 Stratil-Sauer, G. Dr.: Vorwort, in: Notring-Jahrbuch 1963: Kunst in Österreich. Erbe und Verpflichtung, Wien 1963, S. 6. 25 Vgl. Rohr, Alheidis von: Kulturgut – Erfassen, Erschließen, Erhalten. Bestandsaufnahme zu Archiven, Bibliotheken, wissenschaftlichen Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland, Schriftenreihe der Stiftung Volkswagenwerk, Band 17, Göttingen 1977, S. 13. 26 Sax 1990, S. 1142. 27 Demus, Otto: Einführung, in: Notring-Jahrbuch 1963, S. 8.
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Die Erkenntnis, Objekte als „Zeugen der Geschichte“ zu betrachten, musste eine Erweiterung des damaligen Denkmalbegriffs zur Folge haben und der Denkmalpflege die neue Disziplin des Kulturgüterschutzes zur Seite stellen: „Ziel konnte nicht länger nur der Schutz des Außergewöhnlichen sein – auch das scheinbar Profane musste jetzt erfasst werden.“28 In der Folgezeit dieses neuen Verständnisses wurden den Objektgruppen der Kunst und Architektur die der Archäologie, des Designs, der Literatur und so fort zur Seite gestellt, so dass möglichst umfassend nach diesen gegenständlichen Zeugen geforscht werden konnte. Die Feststellung, dass auch immateriellen Gütern ein Zeugniswert zukommt, muss Endpunkt dieser Entwicklung sein und die Diskussion um Möglichkeiten und Begrenzungen des Bewahrens dieses unerschöpflichen Erbes in den Vordergrund stellen, welche sogar das Nachdenken über eine mögliche Endlichkeit von Objekten einschließt29. Selbst die entferntesten Standpunkte dieser Diskussion haben ihre Berechtigung. So birgt nur der größtmögliche erhaltene Bestand auch die größtmöglichen Einsichten der zukünftigen Generationen in ihre Vergangenheit und jede Reduktion reduziert auch den Blick auf diese30. Doch die Gefahr der Vereinnahmung und Manipulation der Schutzmaßnahmen für eigennützige Interessen einzelner Personen und Körperschaften ist bei einem enorm weit gefassten Kulturgutbegriff ebenfalls nicht von der Hand zu weisen31. Schließlich bleibt die Erkenntnis, dass ohnehin eine umfassende Erhaltung aller Objekte praktisch nicht möglich ist, weshalb Hinweise auf eine Vorgehensweise zur Auswahl von größerem Wert für die Diskussion sind als radikale Standpunkte ohne Handlungsmotivation. Beseler bereichert die Forschung um einen solchen Hinweis, der nicht nur für die Denkmalpflege, sondern für den Umgang mit dem „kulturellen Erbe“ in seinem gesamten Bestand von Bedeutung ist: 28 Backhaus, Michael: Denkmalrecht in Niedersachsen, Frankfurt/Main u.a. 1988, S. 13; beispielsweise spricht Sayn-Wittgenstein-Sayn von „Zeugen der Vergangenheit“ und weist auch darauf hin, dass der zunehmende wirtschaftliche Wohlstand zu einem größeren Erhaltungswillen von Kulturgütern führt, Sayn-Wittgenstein-Sayn, Alexander Fürst zu: Vorwort, in: Die deutschen Burgen und Schlösser. Burgen, Schlösser, Festungsanlagen, Herrenhäuser und Adelspalais in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), Frankfurt am Main 1987, S. 11. 29 „Da andererseits die Zahl der Objekte, die einen künstlerischen oder historischen Status für sich reklamieren können, exponentiell wächst, nicht aber das Ausmaß der Ressourcen, die für ihre Erhaltung zur Verfügung stehen; und da ferner das spezifische Interesse, das jeder der Prätendenten geltend machen kann, einer großen Variationsbreite unterliegt (je nach Gegenstand, Betrachter, Zeit, Ort und Umständen) und zahlreiche andere Interessen unterschiedlichster Art ihm in die Quere kommen, muss es notwendigerweise auch Beseitigungen geben – und es gibt sie.“, Gamboni, Dario: Zerstörte Kunst. Bildersturm und Vandalismus im 20. Jahrhundert, Köln 1998 (Originalausgabe: The Destruction of Art, London 1997), S. 346. 30 Vgl. Mörsch, S. 42. 31 „All of us – as individuals, as nations, as ethnic and other entities adapt the past to our presumed advantage. Such acts undeniably deform history for heritage aims; and heritage is further corrupted by being popularized, commoditized, and politicized.“, Lowenthal, David: The Heritage Crusade and the Spoils of History, Cambridge 2003 (Originalausgabe: Possessed by the past, New York 1996), S. 87.
34 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Kein Zweifel: jedes Überbleibsel der Vergangenheit – die ja erst gestern endet – ist ein Beweisstück, ein Dokument für eine bestimmte Situation, hat also für den, der zu fragen vermag, einen Wert, einen Aussagewert (und sei es nur ein statistischer). Der Denkmalpfleger hat aber nicht nach dem Dokument (dem Beleg) zu fragen, er ist ja kein Registrator, sondern nach dem Monument, dem Denkmal, (also dem für ein kollektives Erinnern bedeutsamen Zeichen).“32
Neben die oben erwähnte Beeinflussung der Herausbildung von Gruppenidentitäten tritt demnach die Fähigkeit des „Kulturerbes“, ein „kollektives Erinnern“ heutiger und zukünftiger Generationen zu ermöglichen. Kontrovers diskutiert wird in diesem Zusammenhang, ob diese beiden Faktoren in einem untrennbaren gemeinsamen Kontext betrachtet werden müssen, so dass nur diejenige Gruppe, deren Identitätsbildung von einem bestimmten Objekt beeinflusst wird, auch die Möglichkeit hat, durch dieses einen Erinnerungsprozess in Gang zu setzen. Die gegenteilige Meinung geht davon aus, dass „Kulturerbe“ grundsätzlich in einem globalen Zusammenhang gesehen werden muss und seine Bedeutung unabhängig vom jeweiligen Aufbewahrungsort entfalten kann. Diese Diskussion ist von elementarer Bedeutung für die Anwendung jeglicher Form des Kulturgüterschutzes. Hervorzuheben ist hier Merrymans Aufsatz „Two ways of thinking about cultural property“33, welcher einen internationalistischen und einen nationalistischen Ansatz vorstellt und deren Gegensätze aufzeigt. Während Merryman zu den Vertretern der Internationalisten gehört, die von einem gemeinsamen „Kulturerbe“ der gesamten Menschheit ausgehen, geht der nationalistische Ansatz davon aus, dass „Kulturgüter“ für gewisse Gruppen eine größere Bedeutung haben können als für andere34, wobei die Einteilung dieser Gruppen hier nach geographischen Gesichtspunkten und/oder ethnischen Aspekten durchgeführt wird. Die Konsequenz dieses zweiten Ansatzes ist die geographische Bindung der entsprechenden Kulturgüter. Aufgrund der aus einer solchen Bindung resultierenden Notwendigkeit, Handelsbeschränkungen in Kauf zu nehmen, steht die Frage nach einer nationalen Zugehörigkeit von „Kulturgut“ im Vordergrund dieser Diskussion, die einerseits von wirtschaftlichen Interessen geprägt ist und andererseits rechtswissenschaftlich geführt wird. Das „kulturelle Erbe“ ist in diesem Zusammenhang Objekt dreier Interessensschwerpunkte, die sich zum Teil ergänzen, aber auch konträr zueinander verhalten können: Zunächst ist festzustellen, dass sich ein erheblicher Teil dieses „Kulturerbes“ in privater Hand befindet und dem Eigentumsschutz, zumindest in allen westlichen Staaten, größtmögliche Bedeutung zukommt. Diese Bedeutung wird weitgehend gleichgesetzt mit einem materiellen Wert, der wiederum auch dazu geführt hat, dass sich der Kunstmarkt zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickeln konnte. Als dritter Interessent am materiellen Wert des „Kulturerbes“ ist die Tourismusund Freizeitbranche zu nennen, welche die Vermarktung von Kunst als „Event“ in den letzten Jahrzehnten stetig weiterentwickelt hat. Alle drei Interessen spiegeln sich in der aktuellen Gesetzeslage des Kulturgüterschutzes wider. 32 Beseler, Hartwig: Denkmalpflege: Auftrag, Realität, Perspektiven, veröffentlicht 1983, in: Beseler, S. 228-229. 33 Vgl. Merryman. 34 Vgl. Gillman, der zahlreiche Beispiele aufführt, anhand derer er diese Frage vorstellt und diskutiert.
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Untersuchungen, die sich auf das Objekt selbst konzentrieren, um aus diesem heraus dessen Bedeutungsebenen im regionalen, nationalen und internationalen Kontext herauszuarbeiten, bleiben angesichts der Übermacht der wirtschaftlichen Interessen selten. Weitgehend unbeachtet bleiben in diesem Zusammenhang zudem die Wechselwirkungen zwischen Objekt und Umgebung, da ein möglicher Einfluss des Aufbewahrungsortes auf das Objekt zugunsten der häufig gestellten Frage nach dem Einfluss des Objektes auf die es betrachtenden/erlebenden Menschen völlig vernachlässigt wird35. Gerade dieser Aspekt ist jedoch im Zusammenhang mit „Kulturgut“ in Adelsbesitz von großer Bedeutung, haben wir es doch hier mit großen Mengen von Objekten zu tun, die noch immer in ihrem herkömmlichen Kontext betrachtet werden könnten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der heutige Stand der Diskussion über das „kulturelle Erbe“ ein sehr weit gefasstes Verständnis dieses Begriffes akzeptiert und damit jeder Generation ein flexibles Auswählen aus demselben zur Weitergabe an die nächste ermöglicht. Die Auseinandersetzungen zum Umgang mit diesem Erbe nehmen großen Raum ein und können in vier Ebenen gegliedert werden, die jeweils Handlungsanweisungen zur Folge haben: 1. Ebene = Erhaltung der Objekte Eine Erhaltung der Objekte, die als „kulturelles Erbe“ verstanden werden, ist unbestritten. Daraus resultieren die Forderungen nach sachgemäßem Umgang, Pflege und Schutz vor Zerstörung. 2. Ebene = Erreichbarkeit der Objekte Die Erreichbarkeit der Kulturgüter ist zunächst die Voraussetzung dafür, dass sie als Teile des „kulturellen Erbes“ erkannt werden, und ist daher unbestritten. Der daraus resultierende Wunsch nach einer öffentlichen Zugänglichkeit (welche Voraussetzung dafür wäre, dass alle Erbberechtigten die Möglichkeit zur Nutzung ihres Erbes hätten) wird dagegen wenig betrachtet. 3. Ebene = räumliche Nähe der Objekte Stark diskutiert wird dagegen, ob Teile des „kulturellen Erbes“ für einen bestimmten Personenkreis größere Bedeutung haben als für einen anderen. Somit ist umstritten, ob eine Notwendigkeit besteht, Objekte geographisch zu binden, was eine Regulierung der Ausfuhr aus diesem Gebiet zur Folge hat. 4. Ebene = Erhaltung des Kontextes Bisher wenig beachtet ist die Frage danach, welche Bedeutung dem Kontext von Objekten zukommt, sofern dieser als solcher erkannt werden kann. Die Forderung einer Erhaltung bestehender Zusammenhänge hat die Bindung mehrerer Objekte aneinander oder an einen bestimmten Ort zur Folge. 35 Gestellt wurde diese Frage jedoch bereits zur Entstehungszeit der Idee des „kulturellen Erbes“ (zu Zeiten Grégoires), indem man eine Minderung der Ausdruckskraft von Objekten feststellte, wenn diese zur Ausstellung in Napoleon Bonapartes (Kaiser von Frankreich) Nationalmuseum aus ihrem originalen Kontext entfernt wurden, vgl. Gillman, S. 55.
36 | S AMMLUNGEN DES A DELS Um die Forderungen dieser vier Ebenen umsetzen zu können, wurden in der Vergangenheit zahlreiche Rechtsvorschriften formuliert. Des Weiteren bemühen sich verschiedene Institutionen um Richtlinien und Problemlösungen. Vorrangig geprägt sind alle diese praktischen Anwendungen zum Erhalt des „kulturellen Erbes“ von den gegensätzlichen Interessen der Öffentlichkeit und des Eigentumsschutzes. Beide Seiten sind, vor allem in den westlichen Staaten, von großer Bedeutung. In Deutschland sind beide im Grundgesetz verankert. Ziel dieses Kapitels ist es, einen Überblick über die Bemühungen von Kulturgüterschutz und Denkmalschutz zu geben und diese in Hinblick auf ihre Bedeutung für den deutschen Adelsbesitz zu betrachten. Die aktuelle Gesetzeslage soll ebenso untersucht werden wie entscheidende historische Entwicklungen und die Frage nach alternativen Schutzmaßnahmen durch spezifische Verhaltensweisen des Adels. Die bisher zum Verweis auf ihren unterschiedlichen Gebrauch in Anführungszeichen verwendeten Begriffe sollen für diese Arbeit ab sofort im hier beschriebenen Sinn verwendet werden.
2.1
K ULTURGÜTERSCHUTZ , D ENKMALSCHUTZ
UND
D ENKMALPFLEGE
„Denkmale [bzw. Kulturgüter, Anm. U.S.] sind – ungeachtet der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse – ideeller Gemeinbesitz. Daraus folgt zwingend Gemeinverantwortung.“36 H. BESELER
Der Wunsch nach Erhaltung des kulturellen Erbes führt dazu, dass zahlreiche Institutionen sowie Vertreter verschiedener Disziplinen sich mit den Möglichkeiten und Notwendigkeiten dieser Bewahrung auseinandersetzen. Eine Fülle von Vorschriften und Leitlinien auf internationaler, nationaler und Landesebene soll dem Schutz dieses Erbes dienen. Unterschieden werden kann dabei zwischen Kulturgüterschutz und Denkmalschutz (welchem die Denkmalpflege zuzurechnen ist), wobei die Übergänge zwischen beiden Schutzbereichen fließend sind. Die grundlegende Basis – und gleichzeitig eine problematische Aufgabe – ist das Formulieren einer Definition desjenigen Kulturgutes, das geschützt werden soll. In ähnlichen Formulierungen wurden diesbezüglich für die heute gültigen Gesetze und Leitlinien möglichst weite Auslegungen gewählt37, da (wie im Zusammenhang mit dem Begriff des kulturellen Erbes bereits deutlich wurde) weitgehender Konsens darüber besteht, dass eine solche Definition flexibel bleiben muss38. Kulturgut können sowohl bewegliche als auch unbewegliche Objekte sowie immaterielle Güter
36 Beseler, Hartwig: Reformüberlegungen zur Denkmalpflege, vorgelegt in Konstanz 1972, in: Beseler, S. 71. 37 Für einen Vergleich der Definitionen der wichtigsten für Deutschland gültigen Gesetzesvorschriften siehe Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 11ff. 38 Vgl. Streinz, S. 28.
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sein. Kulturgüter können sich an ihrem ursprünglichen Platz befinden als auch von ihrem Entstehungsort entfernt worden sein. Sie können noch in Gebrauch sein, ihre herkömmliche oder veränderte Funktion ausüben oder von jeder Nutzung gelöst sein. Die Zugehörigkeit zu öffentlichem oder privatem Besitz ist für die Zuordnung zum Kulturgut unerheblich39. Kulturgut wird in einer möglichst offenen Definition als „körperlicher Ausdruck des vom Menschen Geschaffenen [und] als Zeugnis seiner geistigen und künstlerischen Leistungen“40 betrachtet. Von Rohr verweist darauf, dass „[d]en musealisierten, archivierten oder inventarisierten Beständen [...] aus religiösen, wissenschaftlichen, kulturgeschichtlichen, ästhetischen, merkantilen oder politischen Gründen bereits eine gewisse Symbolbedeutung zugesprochen [wurde], die sie als ein kulturelles Gut erscheinen lassen.“41 Dies schließt jedoch nicht aus, dass noch nicht institutionell erfasste Objekte eine ebensolche Bedeutung haben können. Diese kann, muss aber (noch) nicht, bewusst erfasst worden sein. Gerade dieser Vorgang ist aber nötig, um das Kulturgut in seiner Funktion als solches nutzen zu können, wobei ein Nutzen beispielsweise in Bildung und Erbauung42, in einer gestärkten Verbindung zwischen Vorfahren und Erben und der damit zusammenhängenden Herausbildung von Identität43 sowie dem Ausleben von Traditionen liegen kann. Derartige Bedeutungsschichten können sich überlappen und ergänzen. Bedeutung und Nutzung von Kulturgut variieren von Zeit zu Zeit und können von verschiedenen Personen(gruppen) unterschiedlich wahrgenommen werden44. Die Bestrebung des Kulturgüterschutzes ist also zunächst die Erfassung und Erschließung des Schutzobjektes. Bereits hier beginnt eine Auswahl, die von Fachgruppen als Vertretern der Allgemeinheit getroffen wird, damit abhängig von deren Ausbildung sowie den bereitgestellten Mitteln der Regierenden ist und so immer auch zeitbedingten Vorlieben und Bedürfnissen unterworfen bleibt45. In diesem ersten Schritt findet bereits eine Bindung des Kulturgutes an eine bestimmte Personengruppe statt und „[d]iese besondere Bedeutung [...] des Kulturgutes als offenbares Zeugnis und als Traditionsgegenstand führt zum einen dazu, dass die Staaten [bzw. diese Personengruppen, Anm. U.S.] bestrebt sind, ihr Kulturgut zu bewahren und vor Zerstörung und auch vor Abwanderung zu schützen.“46 Damit sind die beiden maßgeblichen Ziele des Kulturgüterschutzes genannt, nämlich Bestandsschutz und Abwanderungsschutz, was der 1. und der 3. der oben genannten Ebenen zur Erhaltung des kulturellen Erbes entspricht. Für die entsprechenden Rechtsvorschriften reicht jedoch die oben genannte offene Definition des Kulturgutes nicht aus: „Was genau gilt es zu schützen? Was versteht man unter dem doch bemerkenswert offenen Terminus des Kulturgutes? Diese Frage ist von herausragender Bedeutung, da ein erfolgreicher
39 40 41 42 43 44 45 46
Vgl. von Rohr 1977, S. 13; vgl. Streinz, S. 28. Hipp, S. 1. Von Rohr 1977, S. 13. Vgl. Hipp, S. 1. Vgl. Gillman, S. 30. Vgl. Gillman, S. 120. Vgl. von Rohr 1977, S. 14. Streinz, S. 20.
38 | S AMMLUNGEN DES A DELS Kulturgüterschutz voraussetzt, dass der Inhalt dessen, was geschützt werden soll, klar bestimmt ist.“47
Auch wenn diese Feststellung Rietschels Offensichtliches wiedergibt, ist es nötig, sich der daraus folgenden Konsequenz bewusst zu werden: ist nämlich der Schutzgegenstand nicht klar bestimmt, besteht die Möglichkeit, dass der beabsichtigte Schutz nicht greift. Während es also aus kulturwissenschaftlicher Sicht erstrebenswert ist, das kulturelle Erbe möglichst umfassend zu definieren, muss die Rechtswissenschaft Einschränkungen vornehmen. Verwendete Definitionsmethoden sind sowohl die Enumeration (also das Erfassen von Objekten auf einer Liste oder in einem Verzeichnis) als auch die Klassifikation (nämlich die Festlegung eines Katalogs derjenigen Kriterien, welche vom zu schützenden Objekt erfüllt werden müssen). In Form der Kategorisierung bleibt die Klassifikation flexibler, womit jedoch auch eine größere Rechtsunsicherheit einhergeht48. Jedes Gesetz beinhaltet die vorherige Entscheidung, welche Kulturgüter (kunstwissenschaftlich betrachtet, daher auch: welcher Teil des kulturellen Erbes) im Sinne dieses jeweiligen Gesetzes als Kulturgut angesehen werden49. Dies kann eine Unterscheidung in materielle und immaterielle sowie bewegliche und unbewegliche Güter nötig werden lassen und ist der Hintergrund von Einschränkungen bezüglich des materiellen Wertes und des Alters von Objekten50. Es wird deutlich, dass der Kulturgüterschutz zunächst durch das wissenschaftliche Erfassen sowie aus Gründen der Wirksamkeit von Schutzbestimmungen die im vorherigen Kapitel als elementar herausgestellte Aufgabe übernimmt, unser kulturelles Erbe für die zukünftigen Generationen auszuwählen. Die Chancen auf Erhaltung desjenigen Teils des kulturellen Erbes, der nicht durch Bestimmungen des Kulturgüterschutzes erfasst wird, sind angesichts der zahllosen Beeinträchtigungen durch Benutzung, Umwelteinflüsse und einem menschlichen Bedürfnis nach Veränderung und Erneuerung als gering einzustufen. Umso entscheidender scheint die Wirksamkeit der gesetzlichen Bestimmungen zu sein. Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege sind als Bestandteile des Kulturgüterschutzes zu betrachten. Während der Kulturgüterschutz sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte, datiert man den Beginn des modernen Denkmalschutzes in Deutschland auf den Anfang des 19. Jahrhunderts. Der Denkmalschutz und die Denkmalpflege sind stärker in regionalen Bezügen verwurzelt als der Kulturgüterschutz und gehören zum Verantwortungsbereich der Länder. Die Begriffsdifferenzierung hat ihre Ursache im zweigeteilten Aufgabenbereich: einerseits umfassen dieSchutzmaßnahmen auf Landesebene das Festlegen der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie der zugehörigen Entscheidungen und Anordnungen durch öffentlichen
47 Rietschel, S. 6. 48 Vgl. Rietschel, S. 7f. 49 Das Vermeiden derartiger Begriffsverwirrungen ist ein weiteres Argument für die bevorzugte Verwendung des Begriffs „kulturelles Erbe“, wenn nicht eine genau definierte, begrenzte Gruppe einzelner Kulturgüter gemeint ist, die als „Kulturgut“ bezeichnet wird. 50 Vgl. Rietschel, S. 9-11.
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Stellen (Denkmalschutz) und andererseits die ausführenden Handlungen, die nicht zwingend nur durch die Behörden durchgeführt werden (Denkmalpflege)51. Obwohl bewegliche Denkmäler immer schon Bestandteil von Denkmalschutz und Denkmalpflege waren, wurden seit dem Zweiten Weltkrieg in weit größerem Umfang Baudenkmäler sowie weitere Bestandteile von Kunst im öffentlichen Raum (vor allem Denkmäler in eingeschränkterer Wortbedeutung wie Mahnmale, Darstellungen erinnerungswürdiger Personen oder Ereignisse) von deren Schutzmaßnahmen erfasst. Noch heute ist in der Literatur zum Teil die weitgehende Gleichsetzung von Denkmalschutz und Baudenkmalschutz zu finden, die zwar keine Begründung in den entsprechenden Rechtsvorschriften hat, jedoch auch in der Praxis weit verbreitet ist. Aus den Zuständigkeitsbereichen von Kulturgüterschutz (Bund und Staatengemeinschaften) sowie Denkmalschutz und Denkmalpflege (Länder) ergeben sich unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte. Während der Schutz vor Abwanderung ins Ausland ein Hauptziel des Kulturgüterschutzes ist, steht bei Denkmalschutz und Denkmalpflege der Bestandsschutz im Vordergrund. Damit bilden die letztgenannten (mit dem Fokus auf dem Erreichen der 1. Ebene) den Kern zum Erhalt des kulturellen Erbes und die Voraussetzung zum Erreichen jeder weiteren Ebene. Im Folgenden soll in einem Überblick die in Deutschland momentan gültige Rechtslage des Kulturgüter- und Denkmalschutzes vorgestellt werden. Die Rechtsvorschriften werden auf ihre Bedeutung für den Umgang mit dem Besitz des Adels hin untersucht werden und in diesem Zusammenhang ergänzt durch relevante Leitlinien beteiligter Institutionen sowie Aspekte der historischen Entwicklung des Kulturgüter- und Denkmalschutzes52. Eine Bewertung erfolgt im abschließenden Kommentar. 51 „Unter Denkmalschutz versteht man die hoheitlichen Maßnahmen (Verwaltungsakte) der öffentlichen Hände, die die Erhaltung von Denkmälern zum Ziel haben, also z.B. Genehmigungen und ihre Versagung, Anordnungen und Verfügungen mit Eingriffscharakter. Zuständig für solche Maßnahmen sind größtenteils nicht die Denkmalämter, sondern die Denkmalschutz-, die Bauaufsichts- und andere Verwaltungsbehörden. Zur Denkmalpflege gehören alle Handlungen und Maßnahmen nichthoheitlicher Art, die die Erhaltung von Denkmälern zum Ziel haben, also z.B. die unmittelbar der Pflege und Instandsetzung eines Denkmals dienenden Handlungen, die Beratung und Unterstützung der Denkmaleigentümer usw. Denkmalpflegerische Handlungen werden nicht nur von den Behörden ausgeführt, auch die Maßnahmen der Eigentümer fallen im Grunde unter den Begriff Denkmalpflege.“, Kleeberg, Rudolf Dr./Eberl, Wolfgang Dr.: Kulturgüter in Privatbesitz. Handbuch für das Denkmal- und Steuerrecht, Heidelberg 2001 (2. vollständig neu bearbeitete Auflage), S. 43; vgl. Grosse-Suchsdorf, Ulrich/Schmaltz, Hans Karsten/Wiechert, Reinald: Kommentar: Niedersächsische Bauordnung/Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz, Hannover 1992, (5. Auflage), S. 905. 52 Aufgrund von Umfang und Schwerpunkt dieser Arbeit hat dieser Überblick nicht den Anspruch, die Rechtslage rechtswissenschaftlich umfassend zu betrachten und könnte dies auch nicht leisten. Stattdessen sollen Möglichkeiten und Grenzen des Kulturgüterschutzes im Zusammenhang mit dem Kulturerbe in Adelsbesitz aufgezeigt werden sowie auf wichtige Aspekte im Zusammenhang mit dem Stellenwert des kulturellen Erbes auf politischer Ebene hingewiesen werden. Die Frage nach einer möglichen Umsetzung dieser Rechtsvorschriften soll nur für die Objekte der Welfen in Kapitel 4 erneut aufgegriffen werden.
40 | S AMMLUNGEN DES A DELS 2.1.1 Rechtliche Situation – International Geltendes Recht weltweit – Von Deutschland unterzeichnete Abkommen UNESCO Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten (Haager Konvention), 14. Mai 1954 (von Deutschland ratifiziert am 11. August 1967)53. Ergänzt durch das erste Protokoll vom 14. Mai 1954 (von Deutschland ratifiziert am 14. Mai 1954)54 und das zweite Protokoll vom 26. März 1999 (von Deutschland ratifiziert am 26. März 1999)55 Im Zuge der Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges war die UNESCO Konvention von 1954 (folgend Haager Konvention) ein Schritt von doppelter Bedeutung: Zum einen ist sie ein Dokument der Annäherung und Zusammenarbeit der Staaten, zum anderen ein Meilenstein für den Kulturgüterschutz im Sinne der 1. Ebene, also des Bestandsschutzes. Beides vereint findet sich in folgenden Sätzen der Präambel wieder, die bedeutend für jede weitere Beschäftigung mit dem Kulturgüterschutz sind: „Being convinced that damage to cultural property belonging to any people whatsoever means damage to the cultural heritage of all mankind, since each people makes its contribution to the culture of the world; Considering that the preservation of the cultural heritage is of great importance for all peoples of the world and that it is important that this heritage should receive international protection“56.
Dieses Anerkennen des Kulturerbes als Erbe der gesamten Menschheit ist zunächst ein Zeichen des Respekts für andere Völker und ein Zeichen der Akzeptanz kultureller Vielfalt. Respekt und Akzeptanz sind notwendige Voraussetzungen für die Bereitschaft, das Kulturgut anderer Staaten im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zu erhalten und im Falle einer Besatzung die Verantwortung für dieses zu übernehmen57. Die Formulierung schafft also die Voraussetzung für die Umsetzung 53 UNESCO Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict with Regulations for the Execution of the Convention, Den Haag, 14. Mai 1954, online abrufbar: http://portal.unesco.org/en/ev.phpURL_ID=13637&URL_DO=DO_TOPIC& URL_SECTION=201.html, folgend: Haager Konvention. 54 Protocol to the Convention for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed conflict, Den Haag, 14. Mai 1954, online abrufbar: http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL _ID=15391&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html, folgend: Haager Konvention, Erstes Protokoll. 55 Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Den Haag, 26. März 1999, online abrufbar: http://portal. unesco.org/en/ev.php-URL_ID=15207&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201. html, folgend: Haager Konvention, Zweites Protokoll. 56 Präambel, Haager Konvention. 57 Diese Bereitschaft fand sich bereits in früheren Vereinbarungen, wobei die Wertschätzung von Kulturgut durch die Entscheidung unterstrichen wird, Personen der eigenen Streitkräfte auch für Vergehen an Kulturgut des Feindes zu bestrafen. Die Haager Konvention ist jedoch die erste globale Vereinbarung, die sich in diesem Zusammenhang ausschließlich mit dem Schutz von Kulturgut befasst. Frühere Vereinbarungen umfassten zudem einen geo-
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der Konvention und verdeutlicht, dass die globale Wertigkeit des Kulturerbes bereits dann bestehen kann, wenn sie von einem einzelnen Staat als solche wahrgenommen wird. Es ist daher durchaus möglich, dass Kulturgut für ein Volk eine höhere Bedeutung hat als für ein anderes58. Die Formulierung einer Bedeutung des Kulturerbes für die gesamte Menschheit wird heute als Argument für einen möglichst regen internationalen Austausch von Kulturgütern betrachtet und in diesem Zusammenhang auch als Argument gegen Einschränkungen des Kunsthandels angeführt. Dies kann zwar aus der Idee eines Kulturerbes der gesamten Menschheit hervorgehen59, die Haager Konvention selbst beinhaltet diesen Aspekt jedoch nicht. Allerdings – und das ist nicht hoch genug einzuschätzen – beinhaltet sie das gemeinsame internationale Verständnis für die Notwendigkeit des Kulturgüterschutzes selbst in Kriegszeiten. Damit erlangt das kulturelle Erbe einen Stellenwert, der stärker gewichtet wird als die Zerstörung von Kulturwerten als Bestandteil militärischer Auseinandersetzungen60. Allerdings wird der Schutz für Fälle unvermeidlicher militärischer Notwendigkeiten aufgehoben61, was in der praktischen Umsetzung vermutlich zu einer starken Minderung des Schutzes führt62.
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graphisch viel enger gegriffenen Raum wie beispielsweise 1935 amerikanische Staaten und 1939 Belgien, Spanien, die USA, Griechenland sowie die Niederlande unter Mitwirkung des Völkerbundes, vgl. Merryman, S. 835f; vgl. auch Hipp, S. 124; vgl. Merryman auch für weitere Informationen zu Vorläufern und Hintergründen der Entstehung dieser Konvention, Merryman, S. 833ff. „Die Konvention anerkennt vielmehr durchaus, dass das Kulturgut seiner Natur gemäß vielfach primär raum- und volksbezogen sein kann, seinen Wert vor allem im engeren Bereich seiner Provenienz hat. Der entscheidende Entschluss der Vertragsparteien besteht darin, die Kulturschöpfungen der einzelnen Völker und Nationen als Bausteine der Kultur der Welt anzusehen.“, Engstler, Ludwig: Die Sicherung des kulturellen Erbes als völkerrechtliche Verpflichtung nach der Haager Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 26. Jahrgang 1968, S. 106. „The quoted language, which has been echoed in later international instruments, is a charter for cultural internationalism, with profound implications for law and policy concerning the international trade in and repatriation of cultural property.“, Merryman, S. 837. Vgl. Merryman, S. 841f; vgl. Streinz, S. 20, der zudem darauf hinweist, dass zur rechtlichen Würdigung dieses Stellenwertes das Verständnis von einem gemeinsamen Erbe völkerrechtliche Voraussetzung ist, vgl. Streinz, S. 20. „The obligations mentioned in paragraph 1 of the present Article may be waived only in cases where military necessity imperatively requires such a waiver.“, Artikel 4, Absatz 2, Haager Konvention; „Apart from the case provided for in paragraph 1 of the present Article, immunity shall be withdrawn from cultural property under special protection only in exceptional cases of unavoidable military necessity, and only for such time as that necessity continues. Such necessity can be established only by the officer commanding a force the equivalent of a division in size or larger. Whenever circumstances permit, the opposing Party shall be notified, a reasonable time in advance, of the decision to withdraw immunity.“, Artikel 11, Absatz 2, Haager Konvention. Vgl. Merryman, S. 838.
42 | S AMMLUNGEN DES A DELS Die Konvention sieht vor, dass das zu schützende Kulturgut schon in Friedenszeiten durch den Staat, auf dessen Territorium es sich befindet, für den Fall eines bewaffneten Konflikts vorbereitet und gesichert werden soll63. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zum Respekt gegenüber Kulturgut sowohl auf ihrem eigenen Territorium als auch, im Falle eines bewaffneten Konflikts, auf demjenigen des Gegners64. Somit beinhaltet die Konvention rechtswirksame Gebote für Friedenszeiten sowie Verbote für Kriegszeiten65. Des Weiteren soll vermieden werden, dass Kulturgut Beschädigungen ausgesetzt wird oder im Zusammenhang mit Vandalismus, Diebstahl, Plünderungen oder Repressalien missbraucht wird66. Dies gilt auch, wenn der betroffene Staat den Sicherungsvorkehrungen in Friedenszeiten nicht nachgekommen ist67. Im Falle einer Besatzung übernimmt die Besatzungsmacht insofern auch für das vorgefundene Kulturgut Verantwortung, als dass sie die zuständigen Stellen des besetzten Staates bei Sicherungs- und Rettungsmaßnahmen unterstützt68. Darüber hinaus sieht die Konvention Markierungen von Kulturgut 69, die nötigen Ausbildungsmaßnahmen innerhalb der militärischen Truppen70, den Schutz von Kulturguttransporten71 sowie die Einrichtung und den Schutz von Bergungsorten für bewegliches Kulturgut vor72. Hipp sieht in der Konvention die Begründung einer „Art Treuhandschaft der Staaten für das in ihrem Staatsgebiet belegene kulturelle Erbe der gesamten Menschheit, unabhängig von dessen Herkunft“73 und einen maßgeblichen Impuls auch für den Kulturgüterschutz in Friedenszeiten74. Als zu schützendes Kulturgut im Sinne der Konvention gilt „movable or immovable property of great importance to the cultural heritage of every people“75. Hier 63 Artikel 3, Haager Konvention; dabei ist es nicht von Bedeutung, ob es sich um inländisches oder ausländisches Kulturgut handelt, ausschlaggebend ist allein der Belegenheitsort; des Weiteren ist die Sicherungsverpflichtung auch unabhängig davon, ob sich das Kulturgut in privatem oder öffentlichem Eigentum befindet, vgl. Engstler, S. 107. 64 Artikel 4, Absatz 1, Haager Konvention. 65 Vgl. Engstler, S. 102. 66 Artikel 4, Absätze 1, 3, 4, Haager Konvention. 67 Artikel 4, Absatz 5, Haager Konvention. 68 Artikel 5, Haager Konvention. 69 Artikel 6, Haager Konvention. 70 Artikel 7, Haager Konvention. 71 Artikel 12-13, Haager Konvention. 72 Artikel 8-11, Haager Konvention. 73 Hipp, S. 126. 74 Hipp, S. 137. 75 Artikel 1, Haager Konvention; die Irrelevanz von Herkunft und Eigentumsverhältnissen ergibt sich auch aus dem in der Präambel deutlich gemachten Verständnis von einem gemeinsamen kulturellen Erbe. Die Konvention schützt des Weiteren „(b) buildings whose main and effective purpose is to preserve or exhibit the movable cultural property defined in sub-paragraph (a) such as museums, large libraries and depositories of archives, and refuges intended to shelter, in the event of armed conflict, the movable cultural property defined in sub-paragraph (a); (c) centers containing a large amount of cultural property as defined in sub-paragraphs (a) and (b), to be known as ‚centers containing monuments‘.“, Artikel 1, Satz b) und c), Haager Konvention.
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kann es sich also nur um Objekte handeln, deren Bedeutungsebenen und Erinnerungsfunktionen weltweit anerkannt und verstanden werden (selbst wenn die Bedeutung nur von einem Einzelstaat als solche postuliert wird, ist dies die Voraussetzung zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen). In Anbetracht der Bedeutung des Adels für die Geschichte Deutschlands seit dem Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert kann man davon ausgehen, dass Objekte, die als Symbol für die Adelsherrschaft im Allgemeinen oder historisch bedeutende Ereignisse in diesem Zusammenhang gelten, Teil des Kulturerbes dieser Definition sein können. Ausgehend von den in der Konvention genannten beispielhaften Erläuterungen könnten dies einzelne Schlösser oder Schlossanlagen mit mehreren Bauwerken sein, die entweder von kunsthistorisch herausragender Bedeutung sind oder Schauplatz eines oder mehrerer historischer Ereignisse waren76. Auch bedeutende Herrschaftsinsignien (wie beispielsweise die Reichskrone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation77), Schriftquellen adliger Herrscher, die bedeutende historische Ereignisse zum Inhalt haben, oder Beispiele der Buchkunst, die auf die Macht des Adels verweisen (wie das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“78) entsprechen dieser Definition des Kulturerbes. Schließlich könnten Bibliotheken und Archive in Adelsbesitz79 je nach deren inhaltlicher Bedeutung ebenfalls im Sinne der Konvention als Kulturgut definiert werden. Die Aussage Engstlers, dass im Sinne der Konvention durchaus Kulturgüter geschützt werden können, welche „zunächst für einen zeitgebundenen Gebrauchszweck bestimmt waren, dann aber zu Zeugen ihrer Zeit, zu Bekundern gewisser historischer Tatsachen oder Erscheinungen wurden“80, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass auch, wenn auf eine „herausragende“ Bedeutung abgezielt wird, diese nicht seit der Entstehung des jeweiligen Objekts bestanden haben muss und zudem diese nicht in dessen materiellem oder kunsthistorischem Wert zu finden sein muss81.
76 „[...] such as monuments of architecture, art or history, whether religious or secular; [...] groups of buildings which, as a whole, are of historical or artistic interest“, Artikel 1, Satz a), Haager Konvention. 77 „[...] such as [...] works of art“, Artikel 1, Satz a), Haager Konvention; welche zudem ein gutes Beispiel für das Verständnis von Kulturgut im Sinne der Konvention ist, da sie einem Gebiet zugehörig ist, das in seiner Form nicht mehr als Staat existiert und aufgrund seiner ehemaligen Ausdehnung für mehrere Nationen Bedeutung hat. Aufbewahrt wird sie in Wien. Ihre Bedeutug beispielsweise auch für den heutigen deutschen Staat ist nicht zu bestreiten. 78 „[...] such as [...] manuscripts, books and other objects of artistic, historical or archaeological interest“, Artikel 1, Satz a), Haager Konvention. 79 „[...] such as [...] important collections of books or archives [...]“, Artikel 1, Satz a), Haager Konvention. 80 Engstler, S. 104. 81 Ein Schluss, den Engstler trotz seines Hinweises jedoch so nicht zieht und beispielsweise die Aufnahme jeglicher kunstgewerblicher Objekte negativ beurteilt, vgl. Engstler, S. 105.
44 | S AMMLUNGEN DES A DELS UNESCO Übereinkommen über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, 14. November 1970 (in Kraft seit dem 24. April 1972, von Deutschland ratifiziert am 30.November 2007)82 Zwischen dem Beschluss des UNESCO Übereinkommens von 1970 und der Ratifizierung durch Deutschland vergingen 37 Jahre. Diese Zeitspanne steht stellvertretend für eine kritische Haltung sowohl von Politikern (nicht nur in Deutschland, sondern verschiedener Staaten) als auch von Kunsthandel und Sammlern. In der Diskussion um das kulturelle Erbe wird die Konvention häufig als Instrument eines nationalen Ansatzes kritisiert, der im Gegensatz zur Betonung des gemeinsamen internationalen Erbes der Haager Konvention stehe und sogar als Rückschritt dieser Entwicklung empfunden wird83. Die Konvention von 1970 ist jedoch sehr vielschichtig und kann nicht ohne Weiteres auf diesen Kritikpunkt reduziert werden. Es ist von großer Bedeutung, die Grundintention der Konvention nicht aus dem Auge zu verlieren, die bereits den wesentlichen Unterschied zur Haager Konvention begründet: Während diese den Bestandsschutz (im Sinne der 1. Ebene) zum Ziel hat, setzt sich nämlich die Konvention von 1970 mit dem Abwanderungsschutz (im Sinne der 3. Ebene) auseinander. Allerdings – und dies ist ebenfalls maßgeblich für die Auseinandersetzung mit diesem Übereinkommen – steht kein allgemeiner Abwanderungsschutz im Vordergrund, sondern der Versuch, auf internationaler Ebene gegen die illegale Abwanderung von Kulturgut vorzugehen. Die Präambel greift daher die Zusammenarbeit der Nationen auf und betont „that the interchange of cultural property among nations for scientific, cultural and educational purposes increases the knowledge of the civilization of Man, enriches the cultural life of all peoples and inspires mutual respect and appreciation among nations“84. Damit wird deutlich, dass die Intention des Übereinkommens nicht die Einschränkung des legalen Austauschs von Kulturgut ist, und entsprechende Objekte, in Form von Leihgaben oder anderweitig institutionell gebunden, als Botschafter der Nationen fungieren können. Allerdings wird damit zwar auf einen gemeinsamen Nutzen hingewiesen, nicht aber eine Verbundenheit durch das gemeinsame Erbe aller Völker formuliert wie es in der Haager Konvention der Fall ist. Stattdessen stellt die Konvention fest „that cultural property constitutes one of the basic elements of civilization and national culture, and that its true value can be appreciated only in relation to the fullest possible information regarding i[t]s origin, history and traditional setting“85. Hier wird also die Funktion von Kulturgut in Bezug auf die Herausbildung kultureller Identität in einen nationalen Kontext gestellt. Darüber hinaus wird erneut auf den Informationswert beziehungsweise den Bildungswert von Kulturgut hingewiesen und diesbezüglich eine Bedeutungssteigerung durch Kontextbezogenheit festgestellt (womit auf die 4. Ebene abgezielt wird).
82 Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property, Paris, 14. November 1970, online abrufbar: http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=13039&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECT ION=201.html, folgend: UNESCO Konvention 1970. 83 Vgl. Merryman. 84 Präambel, UNESCO Konvention 1970. 85 Präambel, UNESCO Konvention 1970.
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Im Folgenden erinnert die Präambel des Übereinkommens daran, dass es den einzelnen Staaten obliegt, ihr Kulturgut gegen Diebstahl und illegalen Export zu schützen, und betont in diesem Zusammenhang erneut, dass die Annahme einer moralischen Verpflichtung gegenüber Kulturgut im Allgemeinen durch sämtliche Völker und deren zugehörige Institutionen Voraussetzung für die Umsetzung dieser Aufgabe ist86. Ein gemeinsames Vorgehen ist die einzige Möglichkeit, dem Problem effektiv begegnen zu können, da nationale Rechtsvorschriften im Ausland keine Gültigkeit haben und somit gleichzeitig mit der Grenzüberschreitung eines Objekts jegliche Möglichkeiten der Einflussnahme des Landes, aus welchem es ausgeführt wurde, erloschen sind87. Der illegale Transfer von Kulturgut von einem Staat in einen anderen wird als „one of the main causes of the impoverishment of the cultural heritage of the countries of origin of such property“88 bezeichnet, wobei indirekt erneut die hohe Bedeutung von Kulturgut für die Identität eines Volkes angesprochen wird. Entscheidend für die Beurteilung dieser Formulierung ist meines Erachtens, dass nicht etwa von der „Verarmung“ des kulturellen Erbes desjenigen Landes die Sprache ist, aus welchem die Objekte ausgeführt wurden, sondern des Herkunftslandes dieser Objekte89. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, sowohl dieser Problematik und deren Ursachen entgegen zu wirken, als auch zu notwendigen Entschädigungen bei Verstößen90. Was genau als illegal in Bezug auf die Ausfuhr von Kulturgut angesehen wird, obliegt den jeweiligen Staaten91. Nach der Unterzeichnung ist es nötig, im jeweiligen Unterzeichnerstaat dementsprechende Gesetze zur Umsetzung der Konvention zu erlassen, da diese selbst kein sofort gültiges Recht ist92. Zur Ausführung der Konvention sollen in jedem Staat Dienststellen eingerichtet werden, deren fachlich angemessen geschultes Personal sowohl mit der Ausarbeitung von Gesetzesentwürfen betraut wird93, als auch – und dies ist von großer Bedeutung – ein entsprechendes Verzeichnis zu erstellen sowie zu führen hat über Kulturgut in öffentlicher oder privater Hand „whose export would constitute an appreciable impoverishment of the national cultural heritage“94. Die Dienststellen sollen des Weiteren Institutionen wie Museen und Archive errichten und unterstützen95, archäologische Grabungen beaufsichtigen96, Bildungsmaßnahmen zur Förderung der Idee des
86 Präambel, UNESCO Konvention 1970. 87 Wie richtig in der Präambel formuliert wird: „Considering that the protection of cultural heritage can be effective only if organized both nationally and internationally among States working in close co-operation“, Präambel, UNESCO Konvention 1970; vgl. Hipp, S. 140; vgl. Streinz, S. 34. 88 Artikel 2, Absatz 1, UNESCO Konvention 1970. 89 Diese müssen nicht zwingend identisch sein, die oben angesprochene Verantwortung aller Staaten für sämtliches Kulturgut bekommt durch die Unterscheidung größere Bedeutung. 90 Artikel 2, Absatz 2, UNESCO Konvention 1970. 91 Artikel 3, UNESCO Konvention 1970. 92 Vgl. Rietschel, S. 24. 93 Artikel 5, Satz a), UNESCO Konvention 1970. 94 Artikel 5, Satz b), UNESCO Konvention 1970. 95 Artikel 5, Satz c), UNESCO Konvention 1970. 96 Artikel 5, Satz d), UNESCO Konvention 1970.
46 | S AMMLUNGEN DES A DELS kulturellen Erbes initiieren97 sowie diesbezüglich Öffentlichkeitsarbeit betreiben98. Beteiligte Personenkreise wie Kuratoren, Sammler und Mitarbeiter des Kunsthandels sollen durch Vorschriften auf Basis der ethischen Prinzipien der Konvention an diese gebunden werden99. Als Instrument gegen illegalen Transfer sollen Exportzertifikate genutzt werden100 und es soll gezielt gegen den Ankauf illegal von ihrem Herkunftsort entfernter Objekte durch Museen sowie gegen den Import gestohlener Objekte aus solchen vorgegangen werden101 . Von Bedeutung ist hier auch die Rückführung dieser Objekte102 und die strafrechtliche Ahndung bei Missachtung103. Folgend geht die Konvention detailliert auf verschiedene Fälle des illegalen Kulturgütertransfers ein sowie auf die große Bedeutung von Aufklärung und Bildungsmaßnahmen in diesem Zusammenhang104. Vom Kunsthandel wird nachdrücklich die Erstellung und Weitergabe von ausführlichen Informationen zu den verkauften Objekten gefordert105 . In weiteren Artikeln wird erneut in verschiedenen Formulierungen die Bedeutung des Vorgehens gegen den illegalen Kulturgütertransfer sowie der dazu nötigen Schritte betont106 und dabei auch Bezug genommen auf unterschiedliche Formen der Staatenbeziehungen107. In regelmäßigen Berichten soll die UNESCO über Maßnahmen im Zusammenhang dieser Konvention unterrichtet werden108 . Sie kann zudem technische Hilfen gewähren, Forschungsvorhaben im Zusammenhang mit illegalem Kulturgütertransfer durchführen sowie durch Vorschläge auf die Maßnahmen der Unterzeichnerstaaten einwirken oder zwischen Parteien vermitteln109. Vor allem die uneinheitliche Struktur des Übereinkommens110 und deren vielfältige Auswirkungen sind Ursachen der bereits erwähnten Kritik. Die geforderten Maßnahmen greifen direkt in die Arbeit von Kunsthandel und Museen ein und werden als zu weitreichend empfunden. Das größte Problem liegt jedoch darin, dass ei97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107
Artikel 5, Satz f), UNESCO Konvention 1970. Artikel 5, Satz g), UNESCO Konvention 1970. Artikel 5, Satz e), UNESCO Konvention 1970. Artikel 6, UNESCO Konvention 1970. Artikel 7, UNESCO Konvention 1970. Artikel 7, Satz b) ii), UNESCO Konvention 1970. Artikel 8, UNESCO Konvention 1970. Artikel 9 und 10, UNESCO Konvention 1970. Artikel 10, Satz a), UNESCO Konvention 1970. Artikel 13-14, UNESCO Konvention 1970. Als solche werden genannt: Besatzung, Territorien für welche internationale Beziehungen wahrgenommen werden, weitere Abkommen zwischen Staaten, Artikel 11, 12 und 15, UNESCO Konvention 1970. 108 Artikel 16, UNESCO Konvention 1970. 109 Artikel 17, UNESCO Konvention 1970. 110 Die auch in der langen (bis ins Jahr 1933 zurückreichenden) Entstehungsgeschichte der Konvention begründet liegt, als der Entwurf einer „Convention on the repatriation of objects of artistic, historical or scientific interest, which have been lost, stolen or unlawfully alienated or exported.“ vom Office International des Musées (OIM) dem Völkerbund vorgelegt wurde. 1964 griff die UNESCO in einer Empfehlung die Thematik wieder auf. Zur Vorgeschichte der Konvention vgl. Rietschel, S. 19ff; vgl. Merryman, S. 842.
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nige Staaten auf Basis des Artikels 3 der Konvention den Schutz ihres nationalen Kulturguts so weit ausgedehnt haben, dass keinerlei Kulturgütertransfer mehr stattfinden kann. Merryman sieht darin die eigentliche Absicht der Konvention und gleichzeitig die Begründung für die Zurückhaltung der Industrienationen in Bezug auf deren Ratifikation: „The reason for this disparity lies in the Convention’s purpose: to restrain the flow of cultural property from source nations by limiting its importation by market nations.“111 Es wird deutlich, dass die Konvention durch ihre Unklarheit verschiedenste Interpretationsmöglichkeiten bietet und damit den internationalen Anspruch sowie die Zusammenarbeit der Staaten, welche in der Präambel betont werden, selbst einschränkt. Während zwar aus der hervorgehobenen Bedeutung von Kulturgut für jeden einzelnen Staat, eine Verpflichtung ebendieser Einzelstaaten zum Schutz ihres – wie auch immer definierten – „eigenen“ Kulturgutes abgeleitet werden kann, nutzen vor allem die finanziell ärmeren Staaten die ihnen gegebenen Möglichkeiten, um Kulturgut zurückhalten zu können, ohne jedoch daraus eine weitergehende Verpflichtung im Umgang mit diesem abzuleiten112 . Auch wenn der Bestandsschutz (1. Ebene) eine logische Voraussetzung für jeden weiteren Umgang mit dem kulturellen Erbe ist, zeigt sich an diesem Beispiel, dass es trotzdem nötig ist, diesen ausdrücklich rechtlich zu verankern. Stattdessen ist die untrennbare Verknüpfung von Bestandsschutz und Abwanderungsschutz nur eine Interpretationsmöglichkeit der Ziele dieser Konvention. Je nach Auslegung werden andere Schlüsse gezogen wie derjenige der Notwendigkeit weitreichender Rückforderungen: „The premises of the repatriation movement are a logical extension of those that underlie UNESCO 1970: cultural property belongs in the source country; works that now reside abroad in museums and collections are wrongfully there (the result of plunder, removal by colonial powers, theft, illegal export or exploitation) and should be ‚repatriated‘.“113
Wenn auch eine solche Haltung nicht allein in der Konvention von 1970 begründet liegt, betont auch Hipp deren Bedeutung für diese Diskussion: „Trotz allem spielt die UNESCO Konvention von 1970 für den Kulturgüterverkehr eine bedeutende Rolle. Dies hat weniger mit ihrer unmittelbar verbindlichen Regelungskraft als mit ihrer Indizwirkung zu tun.“114 So hat diese „Indizwirkung“ bereits vor der Unterzeichnung 111 Merryman, S. 843; „Yet the UNESCO Convention and national retentive laws prevent the market from working in this way. They impede or directly oppose the market and thus endanger cultural property.“, Merryman, S. 849; diese Meinung, die Konvention sei sogar schädigend für Kulturgut, da sie den legalen Handel zu stark einschränke, wäre kontrovers zu diskutieren. Die Problematik ist jedoch vor allem im Zusammenhang mit dem gesamten nationalen Kulturgut ärmerer Staaten zu sehen. Für die Frage nach Kulturgut in Adelsbesitz wäre eine solche Diskussion dann interessant, wenn Schutzmaßnahmen dieses als Besitz der Adelsfamilien in deren Obhut zwangsweise belassen würden, ohne durch entsprechende (auch finanzielle) Hilfestellung deren Bestandsschutz zu gewährleisten. Dies ist jedoch in dieser radikalen Form nicht der Fall. 112 Vgl. Merryman, S. 843. 113 Merryman, S. 845. 114 Rietschel, S. 41.
48 | S AMMLUNGEN DES A DELS Deutschlands zur Formulierung eines Verhaltenskodex für deutsche Museen und zur Berücksichtigung in der Rechtssprechung geführt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang beispielsweise, dass die Konvention keine Verjährung des illegalen Kulturgutexports vorsieht115. Sowohl die Deutsche UNESCO Kommission116 als auch das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz117 haben sich im Vorfeld der Ratifizierung der Konvention durch Deutschland für eine solche ausgesprochen. Die UNESCO Kommission betonte die Bedeutung der Mithilfe durch Sammler, Händler und Auktionshäuser118 . Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz wies auf die Notwendigkeit internationaler Vorschriften hin: „In Deutschland gruppiert sich der zentrale Normenbestand um den Denkmalschutz der Länder und das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung sowie das Kulturgüterrückgabegesetz des Bundes. Im internationalen Bereich fehlt es – abgesehen von Vorschriften der EG, die aber nur für diese Staatengruppe gelten – weitgehend an durchsetzungsfähigen, rechtsförmigen Regeln, die Kulturgut vor Plünderung, Zerstörung, illegalem Verbringen und Handel schützen.“119
Wie die gesamte Konvention ist die Definition von Kulturgut, auf welches sie anzuwenden ist, sehr komplex. Bereits einleitend wird darauf hingewiesen, dass sowohl weltliche als auch religiöse Motive Hintergrund der Bedeutung des ausgewählten Kulturguts aus den Bereichen der Archäologie, Frühgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft für die jeweiligen Staaten sein können120. Es folgt eine detaillierte und vielfältig anwendbare Auflistung relevanter Kategorien, die in einigen Punkten auch auf deutschen Adelsbesitz anwendbar sind. So kann dieser eine 115 Vgl. Rietschel, S. 32; allerdings weist Rietschel in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Frage des gutgläubigen Erwerbs nicht zufriedenstellend geklärt ist, S. 36. 116 Resolution der 63. Hauptversammlung der Deutschen UNESCO Kommission, Hamburg, 10. und 11. Juli 2003, online abrufbar: http://www.unesco.de/reshv63-1.html, folgend: Deutsche UNESCO Kommission Resolution 2003. 117 Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Resolution: Umsetzung des UNESCOÜbereinkommens über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (1970) in deutsches Recht, Bremen, 21. November 2005, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 366, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz Resolution 2005. 118 Deutsche UNESCO Kommission Resolution 2003. 119 Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz Resolution 2005; gleichzeitig ist die Wirkung der Konvention von der Unterzeichnung möglichst vieler Staaten abhängig: „Die Konvention ist auf den Erlass nationaler Export- und Importverbote angelegt und bedarf daher entsprechender nationaler Durchführungsakte. Ihre Effektivität hängt ferner von der Teilnahme der wichtigsten in den Kunsthandel involvierten Staaten ab, und zwar wegen der Angewiesenheit der Exportverbote auf reziproke Importverbote auch der großen Importnationen von Kulturgut.“, Streinz, S. 89. 120 Artikel 1, UNESCO Konvention 1970; ein weiterer Versuch der Konvention, umfassend auf nationale Eigenheiten und kulturelle Voraussetzungen in diesen einzugehen.
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Verbindung zur Geschichte im Allgemeinen oder zum Leben nationaler Führungspersönlichkeiten oder zu historischen Begebenheiten im Speziellen aufweisen121. Elemente baulicher Innenausstattung oder Fassaden von Burgen und Schlössern können Teile auseinandergerissener künstlerischer oder historischer Monumente122 sein, und in ehemaligen Wohnsitzen des Adels können zahlreiche Kunstwerke und Beispiele der Buchkunst beziehungsweise Bücher und historisch bedeutende Dokumente123 sowie Möbel und Musikinstrumente, die älter als 100 Jahre alt sind124, vorhanden sein. Etwas unklar erscheint die Formulierung „antiquities more than one hundred years old, such as inscriptions, coins and engraved seals“125 , doch sind Adelssammlungen hier betroffen, da Münzen und Siegel in diesen häufig zu finden sind und auch Wappen verschiedener Machart unter diese Beschreibung fallen können. Um das Kriterium der besonderen Bedeutung zu erfüllen, können diese Objekte entweder eine herausragende kunsthistorische Bedeutung aufweisen oder durch ihren Bezug zu einem der führenden Adelshäuser historisch besonders wichtig sein. Ein Grund für das lange Zögern Deutschlands vor der Unterzeichnung der Konvention war diese sehr weitreichende Definition126, zudem „können [die ratifizierenden Staaten] autonom nach eigenen Kriterien entscheiden, welche Güter sie als Kulturgüter schützen wollen“127 , was eine nahezu unendliche Ausdehnung des Schutzbereiches bedeuten kann. Diesbezüglich ist Artikel 4 von besonderer Relevanz, da er sich damit beschäftigt, was als nationales Kulturgut eines bestimmten Unterzeichnerstaates gelten kann128. In dieser Hinsicht finden sich in Adelsbesitz sowohl Werke von deutschen Künstlern als auch von Ausländern in Deutschland geschaffene Werke. Ebenso wurden zu Zeiten der Adelsherrschaft zahlreiche Objekte zwischen Staaten frei ausgetauscht oder als Geschenk sowie durch Kauf erworben129 . Schwierig ist es allerdings, die Zugehörigkeit zu belegen, sollten mehrere Staaten eine solche für das gleiche Objekt beanspruchen. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn das Gemälde eines deutschen Künstlers für einen englischen König angefertigt wurde130. Des Weiteren weist Rietschel darauf hin, dass die Definition in Artikel 1 durch Artikel 7 dahingehend eingeschränkt wird, dass nur Objekte aus Sammlungen (die 121 122 123 124 125 126 127
Artikel 1, Absatz b), UNESCO Konvention 1970. Artikel 1, Absatz d), UNESCO Konvention 1970. Artikel 1, Absatz g), UNESCO Konvention 1970. Artikel 1, Absatz k), UNESCO Konvention 1970. Artikel 1, Absatz e), UNESCO Konvention 1970. Welche insgesamt als zu umfangreich kritisiert wird, vgl. Streinz, S. 84 und S. 92. Vgl. Rietschel, S. 27; laut Hipp ist v.a. ein Widerspruch des Artikels 7, Absatz b) ii) zur deutschen Privatrechtsordnung Hintergrund des deutschen Zögerns, vgl. Hipp, S. 142. 128 Artikel 4, UNESCO Konvention 1970. 129 Artikel 4, UNESCO Konvention 1970. 130 Beispielsweise stammt das „Porträt der Christina Prinzessin von Dänemark Herzogin von Mailand Herzogin von Lothringen“ von Hans Holbein d.J. von einem deutschen Künstler, wurde für Heinrich (VIII.) König von England und Irland angefertigt und zeigt eine dänische Prinzessin, die wiederum in erster Ehe mit einem italienischen Herzog und in zweiter Ehe mit dem Herzog von Lothringen (das wiederum heute zu Frankreich gehört) verheiratet war. Somit könnten fünf-sechs Nationen das Gemälde als nationales Kulturgut beanspruchen. Es befindet sich in der National Gallery in London.
50 | S AMMLUNGEN DES A DELS als solche definiert sind) rückgabepflichtig sind131 . Damit verleiht die Betrachtung dieser Konvention der Frage danach, inwieweit im Zusammenhang mit heutigem Adelsbesitz von Sammlungen gesprochen werden kann, wesentliche Bedeutung. UNESCO Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt, 16. November 1972 (in Kraft seit dem 17. Dezember 1975, von Deutschland ratifiziert am 9. Oktober 1976)132 Das UNESCO Übereinkommen von 1972 bleibt allgemeiner als die beiden vorherigen und wirkt zudem vereinheitlichend. In der Präambel wird, wie bereits in der Haager Konvention, betont, dass eine Verringerung des Kulturgutes133 als Schaden am Kulturgut aller Völker verstanden werden muss134. Des Weiteren werden als Hintergrund dieser Schäden eine Reihe von Gründen formuliert: „Noting that the cultural heritage and the natural heritage are increasingly threatened with destruction not only by the traditional causes of decay, but also by changing social and economic conditions which aggravate the situation with even more formidable phenomena of damage or destruction“135 .
Es wird außerdem darauf verwiesen, dass nicht jeder Staat in der Lage ist, diesen Problemen ausreichend entgegen zu treten: „Considering that protection of this heritage at the national level often remains incomplete because of the scale of the resources which it requires and of the insufficient economic, scientific and technical resources of the country where the property to be protected is situated“136 .
Die Bedeutung internationaler Abkommen auf diesem Gebiet wird hervorgehoben137 sowie ausdrücklich auf die Notwendigkeit der Bewahrung des kulturellen Erbes für
131 Artikel 1 und 7, UNESCO Konvention 1970; vgl. Rietschel, S. 28. 132 Convention concerning the Protection of the World Cultural and Natural Heritage, Paris, 16. November 1972, online abrufbar: http://portal.unesco.org/en/ev.phpURL_ID=13055 &URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html, folgend: UNESCO Konvention 1972. 133 Die Bedeutung des Naturerbes kann hier mitgedacht werden, ist jedoch für die vorliegende Untersuchung nicht relevant. 134 „Considering that deterioration or disappearance of any item of the cultural or natural heritage constitutes a harmful impoverishment of the heritage of all the nations of the world“, Präambel, UNESCO Konvention 1972; Hipp zählt damit die Konvention zu den Beispielen des kulturellen Internationalismus, vgl. Hipp, S. 143. 135 Präambel, UNESCO Konvention 1972. 136 Präambel, UNESCO Konvention 1972. 137 „Recalling that the Constitution of the Organization provides that it will maintain, increase and diffuse knowledge, by assuring the conservation and protection of the world’s heritage, and recommending to the nations concerned the necessary international conventions, Considering that the existing international conventions, recommendations and resolutions concerning cultural and natural property demonstrate the importance, for all the
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die gesamte Menschheit hingewiesen138. Damit wird deutlich, dass dieses Übereinkommen den Bestandsschutz (1. Ebene) zum Inhalt hat. Es stellt dem Schutz des Kulturgutes vor den Folgen bewaffneter Auseinandersetzungen (wie in der Haager Konvention formuliert) den Schutz vor Gefahren in Friedenszeiten zur Seite. Dabei wird es als Aufgabe aller unterzeichnenden Staaten betrachtet, die einzelnen Länder bei der Umsetzung dieser Aufgabe zu unterstützen139 . Im Sinne der Idee des kulturellen Erbes wird die Weitergabe der Kulturgüter an kommende Generationen als Ziel angesehen, für dessen Erreichen konkrete Handlungsvorgaben (Identifikation, Schutz, Konservation und Präsentation) gemacht werden140, für welche wiederum die rechtlichen, wissenschaftlichen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen werden sollen141. Indem die Präsentation hier bewusst zum Erreichen dieser Ziele genannt wird, nimmt die Konvention neben der 1. Ebene zum Erhalt des kulturellen Erbes auch Bezug auf die 2. Ebene der öffentlichen Erreichbarkeit und sieht diese als Teil der von den Unterzeichnerstaaten übernommenen Verantwortung an. Die Konvention bemüht sich, internationale Zusammenarbeit zu fördern und die Idee des gemeinsamen Erbes zu betonen, ohne jedoch direkt in nationale Rechte und Vorstellungen einzugreifen142 . Die Umsetzung dieses Anspruches soll durch die Gründung eines „Intergovernmental Committee for the Protection of the World Cultural and Natural Heritage“ innerhalb der UNESCO gewährleistet werden143 . Neben diesem Komitee kommt es im Zuge der Konvention zur Bildung des „World Heritage Fund“, welchem sowohl regelmäßige als auch unregelmäßige Zahlungen der Mitgliedstaaten sowie weiterer Staaten oder geldgebender Institutionen zufließen144. Komitee und Fonds sollen ermöglichen, den Staaten auf Antrag Hilfen zu gewähren145, welche sowohl wissenschaftlicher, technischer, personeller oder finanzieller Art sein können146 , allerdings nie vollständig einzelne Projekte übernehmen sollen,
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peoples of the world, of safeguarding this unique and irreplaceable property, to whatever people it may belong“, Präambel, UNESCO Konvention 1972. „Considering that parts of the cultural or natural heritage are of outstanding interest and therefore need to be preserved as part of the world heritage of mankind as a whole“, Präambel, UNESCO Konvention 1972. „Considering that, in view of the magnitude and gravity of the new dangers threatening them, it is incumbent on the international community as a whole to participate in the protection of the cultural and natural heritage of outstanding universal value, by the granting of collective assistance which, although not taking the place of action by the State concerned, will serve as an effective complement thereto“, Präambel, UNESCO Konvention 1972. Artikel 4, UNESCO Konvention 1972. Artikel 5, UNESCO Konvention 1972. Artikel 6-7, UNESCO Konvention 1972; trotzdem führt die Konvention als solche zu einer völkerrechtlichen Bindung, vgl. Streinz, S. 75. Artikel 8, UNESCO Konvention 1972; Artikel 8, 9 und 10 geben weitere Informationen zum Komitee und dessen Zusammensetzung, Artikel 8-10, UNESCO Konvention 1972. Artikel 15ff, UNESCO Konvention 1972. Artikel 19ff, UNESCO Konvention 1972. Artikel 22, UNESCO Konvention 1972; und Artikel 24, UNESCO Konvention 1972.
52 | S AMMLUNGEN DES A DELS so dass die Verantwortung grundsätzlich beim jeweiligen Staat verbleibt147. Hervorgehoben wird des Weiteren die Bedeutung von Bildungs- und Informationsprogrammen148 . Diese sollen sowohl für Informationen über das Kulturgut selbst sorgen als auch Aufklärungsarbeit bezüglich drohender Gefahren leisten. Regelmäßige Berichte an die UNESCO gehören ebenfalls zu den Aufgaben der Unterzeichnerstaaten149 . Die Definition von Kulturgut150 ist knapp und in die folenden drei Kategorien untergliedert. Als „monument“ mit einem außerordentlichen Wert für Geschichte, Kunst oder Wissenschaft könnten im Sinne der Konvention und im Zusammenhang mit Adelsbesitz Schlösser, Porträts von Herrscherpersönlichkeiten und Historiendarstellungen sowohl in monumentaler Plastik als auch aus dem Bereich der Monumentalmalerei gelten. Des Weiteren Plastiken oder Gemälde von herausragenden Künstlerpersönlichkeiten, welche sich im Besitz von Adelshäusern befinden. Unter die Kategorie „groups of buildings“, welche durch ihre Architektur oder ihre landschaftliche Anordnung von herausragendem Wert für Geschichte, Kunst oder Wissenschaft sind, könnten ebenfalls Schlossanlagen Kulturgut im Sinne dieses Übereinkommens sein. Die dritte Kategorie der „sites“ ist in diesem Zusammenhang nicht anzuwenden. Es obliegt den Staaten, das entsprechende Kulturgut auszuwählen und zu erfassen 151, um das auf diesem Weg entstehende Inventar schließlich dem World Heritage Committee zu übermitteln152. Die Auswahl desjenigen Kulturgutes, welches daraufhin aus diesem Bestand in die World Heritage List aufgenommen wird, ist jedoch allein Aufgabe des Komitees, welches darüber hinaus auch eine Liste des bedrohten Kulturerbes führt153. Die Nicht-Aufnahme in eine dieser Listen soll sich jedoch keinesfalls wertmindernd auf das jeweilige Kulturgut auswirken154. Die Konvention ist, auch aufgrund ihrer klaren Struktur, unumstritten. Sie hat weltweit sehr große Akzeptanz auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Anträge zur Aufnahme in die Welterbe-Liste sind vor allem wegen der Auswirkungen auf den Tourismus zahlreich, die Auswahlkriterien und Auflagen des Komitees sind entsprechend streng155 . In Deutschland ist die ständige Konferenz der Kultusminister mit der Bearbeitung von Anträgen betraut, die Bundesländer senden je einen Delegierten als Vertreter ins Welterbekomitee156 .
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Artikel 25-26, UNESCO Konvention 1972. Artikel 27, UNESCO Konvention 1972. Artikel 29, UNESCO Konvention 1972. Artikel 1, UNESCO Konvention 1972. Artikel 3, UNESCO Konvention 1972. Artikel 11, UNESCO Konvention 1972. Artikel 11, UNESCO Konvention 1972. Artikel 12, UNESCO Konvention 1972. Vgl. Wrba, Ernst/Neumann-Adrian, Edda und Michael: Deutschlands Weltkulturerbe. Eine Reise zu allen UNESCO-Stätten, München 2007, S. 10. 156 Vgl. Wrba/Neumann-Adrian, S. 11.
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Geltendes Recht europaweit Verordnung 3911/92 des Rates über die Ausfuhr von Kulturgütern, 9. Dezember 1992157, ersetzt durch Verordnung 116/2009 des Rates über die Ausfuhr von Kulturgütern, 18. Dezember 2008158 Auf Basis des Gründungsvertrages der Europäischen Gemeinschaft regelt die Verordnung aus dem Jahr 2008 die Ausfuhr von Kulturgütern aus deren Gebiet. Sie basiert mit weitreichender Übernahme des Wortlautes auf der aus dem Jahr 1992 stammenden Verordnung, welche nötig wurde, um einen Abwanderungsschutz (3. Ebene) trotz des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt gewährleisten zu können. Hintergrund war der Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, welcher einerseits Kulturgut als Ware betrachtet und daher keine Regelungen zu dessen Schutz beinhaltet159, durch Artikel 36 jedoch die Einschränkung des freien Warenverkehrs durch nationale Bestimmungen zulässt160. Es ist an dieser Stelle aufgrund des jungen Datums der VO 116/2009 und in Hinblick auf die weiter unten vorgestellte Richtlinie des Jahres 1993 sinnvoll, diese gemeinsam mit der in der Literatur ausführlich behandelten Vorgängerverordnung161 vorzustellen und relevante Änderungen in diesem Zusammenhang deutlich zu machen. Die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) zielt darauf ab, die Kontrollen an den Außengrenzen der Gemeinschaft zu vereinheitlichen. Die Ausfuhr wird nur dann erlaubt, wenn für das jeweilige Kulturgut eine Ausfuhrgenehmigung desjenigen Mitgliedstaates vorliegt, in welchem es sich zum 1. Januar 1993 befunden hat oder in welchen es nach diesem Datum rechtmäßig verbracht wurde162. Die Genehmigung ist daher aus Gründen der Zuständigkeit abzulehnen, wenn bereits die Einfuhr in diesen Belegenheitsstaat illegal war163, denn erteilen müsste sie derjenige Staat, aus dem das Objekt unrechtmäßig ausgeführt wurde164. Die legale Ausfuhr aus der Gemeinschaft wird daher für innerhalb des Binnemarktes illegal gehandeltes Kulturgut unmöglich gemacht. Die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) regelt damit indirekt auch
157 Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates vom 9. Dezember 1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern, online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri= CELEX:31992R3911:DE:NOT, folgend: VO 3911/92. 158 Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifizierte Fassung), online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ /LexUriServ.do?uri=CELEX:32009R0116:DE:NOT, folgend: VO 116/2009. 159 Vgl. Hipp, S. 215. 160 Artikel 1, VO 3911/92; vgl. Hipp, S. 209; die VO 116/2009 verweist auf Artikel 30 des Gründungsvertrags der Europäischen Gemeinschaft, Artikel 1, VO 116/2009. 161 Da die VO 116/2009 bisher nicht in mir vorliegender Literatur besprochen wurde, beziehen sich die hier gemachten Angaben alle auf die VO 3911/92. Wenn nicht deutlich von mir kenntlich gemacht, ist der Wortlaut der hier relevanten Passagen beider Verordnungen jedoch identisch. 162 Artikel 2, Absatz 1-2, VO 116/2009 und VO 3911/92; Ausnahmen sind nur im Fall archäologischer Objekte möglich, Artikel 2, Absatz 2, VO 116/2009 und VO 3911/92. 163 Z.B. weil es durch nationale Rechtsvorschriften auch innerhalb der Gemeinschaft nicht gehandelt werden darf. 164 Vgl. Hipp, S. 271.
54 | S AMMLUNGEN DES A DELS den Umgang mit national geschütztem Kulturgut, doch ist dieses nicht grundsätzlich erfasst und es müssen verschiedene Fälle voneinander getrennt betrachtet werden: 1. Kulturgut laut Definition dieser Verordnung, welches nicht durch nationale Vorschriften geschützt ist, ist wie oben beschrieben für eine Ausfuhr aus der Gemeinschaft genehmigungspflichtig. Die Ausfuhrgenehmigung wird auch für eine kurzzeitige Ausfuhr, z.B. zu Ausstellungszwecken, fällig165 , ist jedoch in der Regel zu gewähren. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft darf dieses Kulturgut frei gehandelt werden166. 2. Kulturgut laut Definition dieser Verordnung, welches zudem durch nationale Vorschriften geschützt ist, ist zusätzlich zur nationalen Ausfuhrgenehmigung ebenfalls für eine Ausfuhr aus der Gemeinschaft genehmigungspflichtig. Diese Genehmigung kann, muss aber nicht, verweigert werden167. Zudem ermöglicht diese Regelung eine Kontrolle innerhalb der Gemeinschaft illegal gehandelter Kulturgüter, die zumindest nicht aus dieser legal in ein Drittland ausgeführt werden können. 3. Kulturgut, das durch nationale Vorschriften geschützt, jedoch kein Kulturgut laut Definition dieser Verordnung ist, ist für eine Ausfuhr aus der Gemeinschaft nicht genehmigungspflichtig. Dieser Fall ist vor allem für zeitgenössische Kunst von Bedeutung, da diese grundsätzlich nicht von der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) erfasst wird168. Der Schutz der innerstaatlichen Rechtsvorschriften bleibt zwar bestehen169 , eine Kontrolle dieses Kulturgutes wird jedoch weder an den Binnen-, noch an den Außengrenzen stattfinden170. Die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) hat direkte rechtliche Wirksamkeit und erlegt den Mitgliedstaaten neben der allgemeinen Vorschrift von Ausfuhrgenehmigungen auch die Festlegung der für diese zuständigen Behörden171 sowie die
165 Vgl. Hipp, S. 269. 166 Vgl. Hipp, S. 274. 167 „Die Ausfuhrgenehmigung kann im Hinblick auf die Ziele dieser Verordnung dann verweigert werden, wenn die betreffenden Kulturgüter unter eine Rechtsvorschrift zum Schutz nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert in dem betreffenden Mitgliedstaat fallen.“, Artikel 2, Absatz 2, VO 116/2009 und VO 3911/92. 168 Es gilt ein Mindestalter von 50 Jahren, zudem werden nur Kulturgüter geschützt, die nicht ihren Urhebern gehören, Anhang I, Endnote 1, VO 116/2009; entspricht Anhang, Endnote 1, VO 3911/92. 169 Artikel 2, Absatz 4, VO 116/2009 und VO 3911/92. 170 Mit Ausnahme der jeweils eigenen Außengrenzen, wo Kontrollen unabhängig von der Verordnung durchgeführt werden könnten, vgl. Hipp, S. 274. 171 Artikel 3, VO 116/2009 und VO 3911/92; Regelungen zu den Zollbehörden und deren Zusammenarbeit in Artikel 4-6, VO 116/2009 und VO 3911/92; in Deutschland sind die Länder zuständig für die Festlegung der entsprechenden Genehmigungsbehörden, in Niedersachsen nimmt das Landesmuseum Hannover diese Aufgabe wahr, vgl. Hipp, S. 342.
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Regelung der Ahndung von Verstößen gegen die Bestimmungen 172 auf. Die Wirksamkeit der VO 3911/92 wurde alle 3 Jahre durch den Rat überprüft173, was zu Änderungen und schließlich zum Erlass der VO 116/2009 führte174. Form und Inhalt der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) machen deutlich, dass es sich hier um vereinheitlichende Regelungen handelt, die dazu dienen sollen, die bereits bestehenden nationalen Kulturgutschutzgesetze mit dem freien Handel in der Europäischen Gemeinschaft in Einklang zu bringen. Auch die Definition von Kulturgut im Sinne der Verordnung, welche im Gegensatz zu den vorher besprochenen Konventionen auf den Anhang verlegt wird175 , ist von diesem Grundsatz geprägt, der bereits in der Präambel betont wird: „[...] den Mitgliedstaaten bleibt es jedoch unbenommen, festzulegen, welche Gegenstände als nationales Kulturgut im Sinne des Artikels 30 des [EG-]Vertrags einzustufen sind“176 . Die im Anhang aufgelisteten Kategorien sind sehr ausführlich177, beinhalten jedoch einschränkende Alters- und Wertgrenzen178 . In Bezug auf Adelsbesitz sind vor allem die Wertgrenzen von Bedeutung. Die Altersgrenze von mindestens 50 Jahren wird durchweg erfüllt, mit Ausnahme möglicher Bestandteile von Besitz, welcher nach 1918 erworben wurde. Auch die Altersgrenze von 100 Jahren wird in der Regel erfüllt, da nur ein geringer Teil der Objekte kurz vor den revolutionären Umwälzungen von 1918 entstanden sind. So können architektonische Elemente (aus dem Innenoder Außenbereich) von Schlössern als „Bestandteile von Kunst- und Baudenkmälern“179 gelten. Diese sowie „Wiegendrucke und Handschriften, einschließlich Land172 Artikel 9, VO 116/2009 und VO 3911/92; der Wortlaut wurde diesbezüglich in der VO 116/2009 zum Zweck einer stärkeren Wirksamkeit verschärft. 173 Artikel 10, VO 3911/92. 174 Präambel, VO 116/2009. 175 Artikel 1, VO 116/2009 und VO 3911/92. 176 Präambel, Absatz 7, VO 116/2009; die VO 3911/92 verweist auf Artikel 36 des EWGVertrags, Präambel, VO 3911/92. 177 „Allein in Deutschland dürften Millionen von Einzelobjekten von den beiden Anhängen [der VO 3911/92 und der Ri 93/7] erfasst werden. Für jedes dieser Objekte ist eine Ausfuhrgenehmigung erforderlich.“, Kleeberg/Eberl, S. 228. 178 Teil A des Anhangs I, VO 116/2009 (in der VO 3911/92 des gesamten Anhangs) legt die Kategorien und Altersgrenzen fest, Teil B, VO 116/2009 Wertgrenzen in Euro (in der VO 3911/92 in Ecu, wobei die Summen 1:1 übernommen wurden); Rietschel kritisiert diese Einführung von Alters- und Wertgrenzen und sieht darin vor allem dem Wunsch des Kunsthandels Rechnung getragen, unterhalb dieser Grenzen frei handeln zu können, vgl. Rietschel, S. 12. 179 Anhang I, Kategorie 2, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 2, VO 3911/92; Hipp merkt diesbezüglich an: „Unter dem Begriff ‚Bestandteile aus Denkmälern, die aus deren Aufteilung stammen‘ in Teil A Nr. 2 der Anhänge sind Objekte aus Palästen, Schlössern, Kirchen oder archäologischen Stätten zu verstehen. Für diese Kategorie wird die Festlegung eines maßgeblichen Aufteilungszeitpunktes vermisst. Dadurch fiele nahezu das gesamte Kulturgut aus der Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in den Schutzbereich der Maßnahmen, da der größte Teil der bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Kulturgütern [sic] aus Schlössern, Kirchen, Klöstern, Rathäusern und anderen Denkmälern stamme, deren Ausstattung irgendwann einmal aufgeteilt worden sei.“, Hipp, S. 265; dies legt den
56 | S AMMLUNGEN DES A DELS karten und Partituren, als Einzelstücke oder Sammlung“180, wie sie nicht selten in Bibliotheken von ehemals regierenden Häusern zu finden sind, unterliegen zudem keiner Wertbegrenzung. Zeichnungen181, graphische Arbeiten182 und mindestens 200 Jahre alte gedruckte Landkarten183 müssen einen Wert von 15.000 Euro aufweisen. Mindestens 50.000 Euro muss der Wert für Bildhauerwerke (oder Kopien derselben)184 oder für mindestens 100 Jahre alte Bücher185 betragen. „Aquarelle, Gouachen und Pastelle, auf jeglichem Träger vollständig von Hand hergestellt“186 , sowie „Bilder und Gemälde [...], aus jeglichem Material und auf jeglichem Träger, vollständig von Hand hergestellt“187 könnten in Adelsbesitz sowohl Porträts als auch reine Ausstattungsstücke dekorativen Inhalts sein, müssen jedoch, um von der Verordnung erfasst zu werden, einen Mindestwert von 30.000 Euro im Falle der Aquarelle, Gouachen und Pastelle sowie 150.000 Euro im Falle der Bilder und Gemälde haben. Aus dem Bereich der Sammlungen sind vor allem solche von historischem oder numismatischem Wert von Bedeutung188 , die mindestens 50.000 Euro wert sein müssen. Selbst Verkehrsmittel (älter als 75 Jahre und mindestens 50.000 Euro wert) könnten in Adelssammlungen zu finden sein189 . Schließlich werden 50 bis 100 Jahre alte sowie mindestens 50.000 Euro teure Objekte wie Spielzeug, Glas, Gold- und Silberschmiedearbeiten, Möbel und Einrichtungsgegenstände, Musikinstrumente, Uhren, Keramik, Tapisserien, Teppiche, Tapeten und Waffen190 erfasst, womit nahezu alles, das sich noch aus der Zeit vor 1918 im Besitz eines Adelshauses befindet, auf seinen Wert bestimmt werden muss, da es rein kategorisch als Kulturgut im Sinne dieser Verordnung gilt. Zu beachten ist die Fußnote (2), welche sich erklärend zum Begriff der Sammlung äußert und diesbezüglich ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zitiert: „Sammlungsstücke im Sinne der Tarifnummer 97.05 des GZT sind Gegenstände, die geeignet sind, in eine Sammlung aufgenommen zu werden, das heißt Gegenstände, die verhältnismäßig selten sind, normalerweise nicht ihrem ursprünglichen Verwen-
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188 189 190
Begriff des „Bestandteils“ meines Erachtens zu weit aus, der eher im Sinne des „Zubehörs“ der Denkmalschutzgesetze verstanden werden sollte. Hier wurde kein Änderungsbedarf festgestellt und die VO 116/2009 hat den Wortlaut der VO 3911/92 übernommen. Anhang I, Kategorie 9, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 8, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 5, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 4, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 6, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 5, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 11, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 10, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 7, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 6, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 10, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 9, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 4, VO 116/2009; diese Kategorie ist eine Ergänzung der VO 3911/92, in welcher sie fehlt. Anhang I, Kategorie 3, VO 116/2009; in der VO 3911/92 folgender Wortlaut: „Bilder und Gemälde, die vollständig von Hand auf und aus allen Stoffen hergestellt sind.“, Anhang, Kategorie 3, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 13 b), VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 12 b), VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 14, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 13, VO 3911/92. Anhang I, Kategorie 15, VO 116/2009 und Anhang, Kategorie 14, VO 3911/92 (hier ist allein von Goldschmiedearbeiten die Rede, „Gold- und Silberschmiedearbeiten“ ist eine Ergänzung der VO 116/2009).
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dungszweck gemäß benutzt werden, Gegenstand eines Spezialhandels außerhalb des üblichen Handels mit ähnlichen Gebrauchsgegenständen sind und einen hohen Wert haben.“191 Im Sinne der Verordnung liegt der Wert einer Sammlung daher nicht in der Masse zusammengefasster Objekte und dem Grund dieser Zusammenführung, sondern diese müssen bereits als Einzelobjekte von Wert sein. Für die Anwendung der VO 116/2009 ist es also unerheblich, dass es sich bei Objekten in Adelsbesitz um häufig quantitativ große Mengen an Gegenständen handelt, welche über einen langen Zeitraum zusammengetragen wurden beziehungsweise seit langer Zeit gemeinsam verwahrt werden. Diese unklare Verwendung des Begriffs der Sammlung ergänzt die Kritik an der Definition von Kulturgut im Sinne dieser Verordnung, welche insgesamt auf Ungenauigkeit, aber auch auf die Weite der Definition abzielt und darin eine Behinderung des freien Kunsthandels sieht192. Die Änderungen der VO 116/2009 gegenüber der VO 3911/92 gehen auf diese Punkte nicht ein, sondern erweitern die Kategorien der schützenswerten Objekte stattdessen geringfügig. Keine Änderung wurde in Bezug auf zeitgenössisches Kulturgut vorgenommen, dessen NichtBerücksichtigung ebenfalls kritisch angemerkt wird. Insgesamt muss bedacht werden, dass es sich bei dieser Verordnung sozusagen um „den kleinsten gemeinsamen Nenner“193 sämtlicher Mitgliedstaaten handelt, die jeweils umfangreiche eigene Gesetzeslagen vorweisen194. Hipp weist darauf hin, dass „[b]ei der Qualifikation von Gegenständen als Kulturgut im Sinne des Art. 36 EGV [später Artikel 30, Anm. U.S.] den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zugestanden [werde], weil es insoweit um den Schutz ihres kulturellen Erbes gehe. Der Kulturgutbegriff ist ein wertausfüllungsbedürftiger, unbestimmter Rechtsbegriff.“ 195 Somit geht der EG-Vertrag (wie vorher der EWG-Vertrag) – und damit die Verordnung – ausschließlich vom geographisch gebundenen Kulturerbe im Sinne der 3. Ebene aus, sofern dies von den Einzelstaaten als solches formuliert wird. Es sollen jedoch Massenwaren, durch deren Schutz der Handel behindert würde, von kulturell bedeutenden Gütern getrennt werden196. Es wird deutlich, dass die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) nicht den Schutz eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes oder auch nur eine gemeinsame Kulturgutdefinition entwickeln möchte, sondern allein auf den Wegfall der Binnengrenzen reagiert und Kontrollmöglichkeiten an den Außengrenzen schaffen möchte197. Es wäre für die Kontrollstellen, also die Zollbeamten, nicht möglich, sämtliche einzelstaatlichen Kulturgutschutzgesetze zu kennen, weshalb diese für die Umset191 Anhang I, Fußnote (2), VO 116/2009 und Anhang, Endnote (2), VO 3911/92. 192 Hipp gibt das Beispiel der unklaren Unterscheidung von Bild und Gemälde an sowie die Frage, ob beispielsweise auch alte Schulhefte als Handschriften gelten, vgl. Hipp, S. 265266; vgl. Rietschel, S. 90; vgl. Streinz, S. 127. 193 Hipp, S. 266. 194 Die beispielsweise auch das Urheberrecht betreffen, vgl. Hipp, S. 265. 195 Hipp, S. 227; zum Beurteilungsspielraum der Staaten bezüglich der ungenauen Definition von Kulturgut und der sich daraus ergebenden Problematik vgl. auch Streinz, S. 26. 196 Vgl. Hipp, S. 228. 197 Dies war vor allem von den südeuropäischen Ländern gewünscht und eine gemeinsame Regelung wurde trotz der Möglichkeiten, welche die UNESCO Konvention 1970 sowie das UNIDROIT-Abkommen bieten, vorgezogen, vgl. Rietschel, S. 87; vgl. Hipp. S. 251.
58 | S AMMLUNGEN DES A DELS zung der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) nicht maßgeblich sein können198. Dies ist wiederum ein Grund für die sehr offene Definition von Kulturgut im Sinne der Verordnung, da hier all jene Kulturgüter betroffen sind, welche in den Einzelstaaten als Kulturgut gelten könnten und daher geschützt werden müssen199 . In ihren innerstaatlichen Schutzvorschriften bleiben die Einzelstaaten weiterhin frei, so lange diese nicht der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) widersprechen200 . Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, 15. März 1993 201 und ihre Neufassung durch die Richtlinie 2014/60/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (Neufassung), 15. Mai 2014202 Die Richtlinie Ri 93/7 regelte ergänzend zur VO 116/2009 (wie vorher zur VO 3911/92) die Rückgabe derjenigen Kulturgüter – im Sinne dieser Richtlinie – , die ohne entsprechende Genehmigung aus einem Staat der Europäischen Gemeinschaft ausgeführt wurden. Sie wurde 2014 durch die Ri 2014/60 ersetzt. Aufgrund dieser noch jungen Änderung ist jedoch in Bezug auf die hier untersuchten Sammlungen der Welfen vorrangig die Ri 93/7 von Interesse und entscheidende Änderungen durch die Ri 2014/60 ergänzend vermerkt. Die Regelungen, welche durch die beiden Richtlinien getroffen werden sind von großer Bedeutung, da ein umfassender Abwanderungsschutz (3. Ebene) auch gewährleisten muss, dass man gegen Missachtungsfälle vorgehen kann. Entstehungshintergrund der Ri 93/7 war einerseits die Möglichkeit des nationalen Kulturgüter198 Vgl. Hipp, S. 260. 199 Vgl. Hipp, S. 267; vgl. Rietschel, die darauf hinweist, dass im Vordergrund die Schutzdefinitionen der einzelnen Staaten stehen, Rietschel, S. 91. 200 Vgl. Hipp, S. 337. 201 Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumd oc&lg=de&numdoc=31993L0007&model=guichett, folgend: Ri 93/7; geändert im Anhang durch Richtlinie 96/100/EG des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, 17. Februar 1997, online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/ LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31996L0100:DE:NOT, folgend: Ri 96/100 sowie Richtlinie 2001/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern, 5. Juni 2001, online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:32001L0038:DE:NOT, folgend: Ri 2001/38. 202 Richtlinie 2014/60/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (Neufassung), online abrufbar: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32014L0060, folgend: Ri 2014/60.
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schutzes nach Artikel 36 EWG-Vertrag [Artikel 30, EGV, Anm. U.S.]203 und andererseits die VO 3911/92, wobei in Bezug zu dieser eine wichtige Ausnahme gemacht wurde: „Diese Richtlinie sollte auch Kulturgüter erfassen, die als nationales Kulturgut eingestuft wurden und zu öffentlichen Sammlungen gehören oder im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt sind, jedoch nicht unter die gemeinsamen Kategorien von Kulturgütern fallen.“204
Die Ri 93/7 war ebenso wie nun die Ri 2014/60 ein Instrument der Europäischen Gemeinschaft zum Kulturgüterschutz, welches die einzelstaatlichen Gesetze um eine wichtige Durchsetzungsmöglichkeit bereichert. Dies wird als „erste[r] Schritt auf dem Wege zu einer Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Schutzes der Kulturgüter“205 angesehen. Im Gegensatz zur VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) sind jedoch die Ri 93/7 sowie die Ri 2014/60 kein sofort gültiges Recht, sondern müssen in den einzelnen Staaten durch Rechtsvorschriften umgesetzt werden206. Weitere Schritte zur Zusammenarbeit auf Verwaltungsebe werden empfohlen207 . Die Ri 93/7 fand im Gegensatz zur VO 116/2009 (wie vorher zur VO 3911/92) nur Anwendung auf Kulturgut, das von den Einzelstaaten „als ‚nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert‘ eingestuft wur203 „Um die Zusammenarbeit bei der Rückgabe zu erleichtern, sollte der Anwendungsbereich dieser Regelung auf Gegenstände beschränkt werden, die gemeinsamen Kategorien von Kulturgütern angehören. Der Anhang dieser Richtlinie bezweckt dementsprechend nicht, die Gegenstände zu definieren, die im Sinne von Artikel 36 des Vertrages [Art. 30, EGV, Anm. U.S.] als ‚nationales Kulturgut‘ anzusehen sind, sondern lediglich Kategorien von Gegenständen zu bestimmen, die als Kulturgüter eingestuft zu werden geeignet sind und somit Gegenstand eines Rückgabeverfahrens im Sinne dieser Richtlinie sein können.“, Präambel, Ri 93/7; „Mit der Richtlinie 93/7/EWG wurde eine Rückgaberegelung eingeführt, die es den Mitgliedstaaten ermöglicht, die Rückgabe von Kulturgütern in ihr Hoheitsgebiet zu erreichen, die im Sinne von Artikel 36 AEUV als nationales Kulturgut eingestuft sind, das unter die gemeinsamen Kategorien von Kulturgütern gemäß dem Anhang dieser Richtlinie fällt, und die in Verletzung der nationalen Vorschriften oder der Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates aus ihrem Hoheitsgebiet verbracht wurden. Diese Richtlinie erfasste auch Kulturgüter, die als nationales Kulturgut eingestuft wurden und zu öffentlichen Sammlungen gehören oder im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt sind und nicht unter diese gemeinsamen Kategorien fallen.“, Satz (4), Präambel, Ri 2014/60. 204 Präambel, Ri 93/7. 205 Präambel, Ri 93/7. 206 Die Problematik dieser Umsetzung wurde erkannt und festgestellt, dass dies „einen längeren Zeitraum“ in Anspruch nehmen könnte, Präambel, Ri 93/7, was Artikel 18 widerspricht, welcher eine Frist von 9-12 Monaten zur Umsetzung vorsieht, Artikel 18, Ri 93/7. Diese Frist wurde von Deutschland um mehrere Jahre überschritten, mittlerweile ist die Richtlinie jedoch in allen Staaten umgesetzt, vgl. Rietschel, S. 91. 207 Z.B. Übermittlung von Listen geschützten Kulturgutes an Interpol, Präambel, Ri 93/7.
60 | S AMMLUNGEN DES A DELS de“208 und zusätzlich als Kulturgut laut Definition dieser Richtlinie gilt 209. Der Geltungsbereich wurde durch die Ri 2014/60 „auf jedes Kulturgut ausgeweitet, das von einem Mitgliedstaat nach den nationalen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren im Sinne des Artikels AEUV als nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert eingestuft oder definiert wurde.“210 Es wird außerdem Kulturgut geschützt, welches „zu öffentlichen Sammlungen gehört, die im Bestandsverzeichnis von Museen, von Archiven oder von erhaltenswürdigen Beständen von Bibliotheken aufgeführt sind [oder] im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt ist“211 , wenn dieses unter nationale Schutzvorschriften fällt212. Die Objekte können durch den Staat, aus welchem sie entgegen der Kulturgüterschutzgesetze der Einzelstaaten oder entgegen der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92) ausgeführt wurden (oder nachdem eine befristete Ausfuhrgenehmigung abgelaufen ist), von demjenigen Staat, in welchem sie sich unrechtmäßig befinden, zurückgefordert werden213. Ziel ist die „materielle Rückkehr [...] in das Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates214 [...] nach den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren und Bedingungen“215. Die Ri 93/7 sowie die Ri 2014/60 geben Anleitung zur Umsetzung der Rückgabeforderung, wobei die Benennung zentraler Stellen216, Aufgaben der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei Nachforschungen, Informationsaustausch und Vermittlungstätigkeiten217 und die Möglichkeit der Erhebung einer Rückgabeklage218 im Vordergrund stehen. Die Zusammenarbeit betrifft auch „Maß-
208 Artikel 1, Absatz 1, Ri 93/7; die Bedingung des nationalen Schutzes war trotz einer eigenen Definition nötig, da sonst Objekte hätten zurückgefordert werden können, die später legal wieder ausführbar gewesen wären, vgl. Hipp, S. 260. 209 Artikel 1, Absatz 1, Ri 93/7. 210 Satz (9), Präambel, Ri 2014/60. 211 Artikel 1, Absatz 1, Ri 93/7 sowie erläuternd: „Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten als ‚öffentliche Sammlungen‘ diejenigen Sammlungen, die im Eigentum eines Mitgliedstaats, einer lokalen oder einer regionalen Behörde innerhalb eines Mitgliedstaats oder einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelegenen Einrichtung stehen, die nach der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats als öffentlich gilt, wobei dieser Mitgliedstaat oder eine lokale oder regionale Behörde entweder Eigentümer dieser Einrichtung ist oder sie zu einem beträchtlichen Teil finanziert“, Artikel 1, Absatz 1, Ri 93/7. 212 Die Ri 2014/60 geht zwar auf diese Kulturgüter ein (Absatz 8, Artikel 2, Ri 2014/60 und Satz (1), Artikel 8, Ri 2014/60), nennt sie jedoch nicht explizit in der Anwendungserklärung in Artikel 1, Artikel 1, Ri 2014/60. 213 Artikel 1, Absatz 2-4, Ri 93/7; Stichtag der illegalen Ausfuhr ist der 1. Januar 1993, eine Ausdehnung der Rückgabeverpflichtung auf einen früheren Zeitraum obliegt jedem Einzelstaat, Artikel 13-14, Ri 93/7; Artikel 1, Ri 2104/60; Absatz 2-4, Artikel 2, Ri 2014/60; Artikel 3, Ri 2014/60. 214 Artikel 1, Absatz 5, Ri 93/7; „materielle Rückgabe“, Absatz 5, Artikel 2, Ri 2014/60. 215 Artikel 2, Ri 93/7. 216 Artikel 3, Ri 93/7; Artikel 4, Ri 2014/60. 217 Artikel 4, Ri 93/7; Artikel 5, Ri 2014/60. 218 Artikel 5, Ri 93/7; Artikel 6, Ri 2014/60.
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nahmen für die physische Erhaltung des Kulturguts“219 und bereichert die Richtlinie so um einen Aspekt des Bestandsschutzes (1. Ebene). Es ist eine Verjährungsfrist von insgesamt 30 Jahren vorgesehen, die jedoch laut Ri 93/7 in einigen Ausnahmefällen verlängert werden konnte220 und laut Ri 2014/60 für Kulturgut in öffentlichen und religiösen Einrichtungen auf 75 Jahre verlängert wurde221. Mit Kenntnis des Belegenheitsortes von illegal ausgeführtem Kulturgut erlsoch der Rückgabeanspruch laut Ri 93/7 bereits nach einem Jahr, was als zu kurz kritisiert wurde222 und in der Ri 2014/60 auf drei Jahre verlängert wurde223. Des Weiteren enthält die Ri 93/7 Regelungen zur Entschädigung bei gutgläubigem Erwerb224 sowie diesbezüglich entstehender Kosten225. Die Richtlinie geht allein von den Einzelstaaten und deren Interesse an ihrem Kulturgut aus und bezieht sich daher nur auf die illegale Ausfuhr, nicht auf Diebstahl226 oder die Frage danach, von wem das Kulturgut ausgeführt wurde. Daher überlässt sie auch die Klärung der Eigentumsfrage einzelstaatlichem Recht 227. Die Mitgliedstaaten sind zur Übermittlung von Berichten an die zuständige Kommission verpflichtet, welche Basis für Überprüfungen der Wirksamkeit der Richtlinie durch den Rat sind228. Die Definition von Kulturgut war in der Ri 93/7 auf den Anhang verlegt und entsprach weitgehend derjenigen der VO 3911/92229 (mit geringfügigen Änderungen durch die Ri 96/100230 sowie die Umstellung auf Euro durch die Ri 2001/38231 ), wodurch die gleichen Kritikpunkte auf sie angewendet werden können. Rietschel weist darauf hin, dass die Richtlinie den Staaten einen sehr großen Auslegungsspiel-
219 Artikel 4, Absatz 4, Ri 93/7; Absatz 4, Artikel 5, Ri 2014/60. 220 So z.B. im Fall von Kulturgut aus öffentlichen Sammlungen oder kirchlichem Kulturgut oder bei abweichenden Regelungen durch bilaterale Abkommen, Artikel 7, Ri 93/7. 221 Satz (1), Artikel 8, Ri 2014/60. 222 Vgl. Rietschel, S. 102. 223 Satz (1), Artikel 8, Ri 2014/60. 224 Artikel 9, Ri 93/7; Artikel 10, Ri 2014/60. 225 Artikel 10-11, Ri 93/7; Artikel 11-12, Ri 2014/60. 226 Vgl. Rietschel, S. 94. 227 Artikel 12, Ri 93/7. 228 Artikel 16, Ri 93/7; Artikel 17, Ri 2014/60. 229 Mit der Ausnahme des weniger ausführlich formulierten Punkt 14, der „Sonstige, nicht unter den Kategorien 1 bis 13 genannte Antiquitäten, die älter sind als 50 Jahre“, nicht weiter benennt, Anhang, Punkt 14, Ri 93/7. 230 Die Änderungen betreffen allein die Ergänzung um die Kategorie „3a. Aquarelle, Gouachen und Pastelle“, welche laut Anhang B einen Wert von 30.000 ECU haben müssen, Artikel 1, Ri 96/100; damit reagiert die Richtlinie auf eine abweichende Zuteilung dieser Objekte in den einzelnen Staaten entweder zu den Gemälden oder zu den Zeichnungen, des Weiteren nimmt die Richtlinie damit direkt Bezug auf den Kunstmarkt, da „Die für Aquarelle, Gouachen und Pastelle erzielten Preise [...] erfahrungsgemäß oberhalb des Preisbereichs für Zeichnungen und deutlich unterhalb der Preisklassen von Tempera- und Ölgemälden [liegen]“, Präambel, Ri 96/100. 231 Erläuternd regelt diese Richtlinie auch den Begriff der Wertkategorie „0“, welcher als „wertunabhängig“ zu verstehen ist, Artikel 1, Absatz 1, Ri 2001/38.
62 | S AMMLUNGEN DES A DELS raum zugestand232 und zudem keine Regelung zum Schutz des eigenen Kulturguts enthielt (was auch noch für die Ri 2014/60 gilt): „Jeder Staat hat [...] selbst für die Schaffung von adäquaten Verbringungsverboten zu sorgen. Eine Pflicht zum Schutz des nationalen Kulturerbes besteht nicht.“233 Sie kritisiert außerdem, dass kein Versuch unternommen wurde, eine gemeinsame Definition für nationales Kulturgut zu finden: „Eine Regelung, die versucht hätte, entscheidende Kunstwerke und Kulturgüter, die für die nationale Identität eines Mitgliedstaats von fundamentaler Bedeutung sind, im Lande zu halten oder die auf Erwägungen des Bestands- oder Denkmalschutzes gestützt worden wäre, wäre für alle klar verständlich und unproblematisch durch Art. 30 EGV [Art. 36, EWGV, Anm. U.S.] gedeckt gewesen.“234
In Hinblick auf die problematische Rezeption der UNESCO Konvention von 1970 sowie die zum Teil sehr schwierige und langwierige Umsetzung der Ri 93/7 in den Einzelstaaten, ist dies jedoch aus gutem Grund nicht deren Ziel gewesen235 . Die Ri 2014/60 stellt noch kürzer in Artikel 1 fest: „Diese Richtlinie findet Anwendung auf die Rückgabe von Kulturgütern, die von einem Mitgliedstaat als ‚nationales Kulturgut‘ im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 eingestuft oder definiert und unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verbracht wurden.“236 In Artikel 2 wird dies wie folgt ausgeführt: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck 1. ‚Kulturgut‘ einen Gegenstand, der vor oder nach der unrechtmäßigen Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nach den nationalen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren im Sinne des Artikels 36 AEUV von diesem Mitgliedstaat als ‚nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert‘ eingestuft oder definiert wurde“237.
Gemeinsam leisten die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) sowie die Ri 93/7 bzw. die Ri 2014/60 einen wichtigen Beitrag zur Anerkennung des Kulturgüterschutzes innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, indem zunächst versucht wird, die Bemühungen der Einzelstaaten auch international durchzusetzen. Dabei wird der 232 233 234 235
Vgl. Rietschel, S. 103. Rietschel, S. 88. Rietschel, S. 103. Darauf weist auch nachdrücklich Hipp hin: „Es war gerade nicht die Absicht der Europäischen Gemeinschaft, mit dem Erlass der VO 3911/92 und der Ri 93/7 die nationalen Kulturgüterschutzvorschriften der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Die Ri 93/7 regelt nur für einen ‚gemeinsam festgelegten harten Kern nationaler Kulturgüter‘ ein einheitliches Rückgabeverfahren im Binnenmarkt. Darüber hinaus überlässt sie es, wie der Präambel und Artikel 1 Nr. 1, 1. Spiegelstrich zu entnehmen ist, den Mitgliedstaaten, weiterhin aufgrund und im Rahmen von Artikel 36 E[W]GV [Art. 30, EGV, Anm. U.S.] ihre nationalen Kulturgüter zu bestimmen und die notwendigen Maßnahmen zu deren Schutz zu treffen.“, Hipp, S. 336. 236 Artikel 1, Ri 2014/60. 237 Absatz 1, Artikel 2, Ri 2014/60.
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Binnenhandel nicht zusätzlich eingeschränkt, jedoch ein besserer Schutz der Außengrenzen angestrebt und nach Möglichkeiten gesucht, auch innerhalb der Staatengemeinschaft durch Rückforderung den nationalen Abwanderungsschutz zu stärken. Übereinkommen europaweit Europäisches Kulturabkommen, 19. Dezember 1954 (in Kraft seit dem 5. Mai 1955, von Deutschland ratifiziert am 19. Dezember 1954)238 Als eines seiner Ziele sieht der Europarat die „Förderung des Bewusstseins um die kulturelle Identität und Vielfalt Europas und Unterstützung von deren Entwicklung“239 an. In diesem Zusammenhang war die Verabschiedung eines Abkommens zum Kulturgüterschutz bereits 1954 – und damit nur 9 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 5 Jahre nach Gründung des Europarates – ein wichtiger Schritt. Mittlerweile haben 50 Staaten dieses Abkommen ratifiziert. Das Abkommen geht von einem gemeinsamen Erbe der europäischen Staaten aus, möchte das Bewusstsein für dieses stärken und strebt ein gemeinsames Vorgehen „designed to safeguard and encourage the development of European culture“240 an, wobei sowohl „the study of the languages, history and civilisation of the others“241 als auch „of the civilisation which is common to them all“242 gefördert werden sollen. Das Kulturabkommen erkennt damit gleichsam Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Staaten an und betont darüber hinaus, dass Förderung, Bewahrung und Austausch von Kultur als gemeinsame Aufgabe zu einer festeren Bindung der Staaten untereinander führen. Wie auch die Haager Konvention aus dem gleichen Jahr steht hier also die Gemeinsamkeit im Vordergrund, wobei in diesem Abkommen jedoch zusätzlich eine nationale Komponente zum Tragen kommt, indem alle Unterzeichnerstaaten zu Schutz- und Entwicklungsmaßnahmen für „its national contribution to the common cultural heritage of Europe“243 verpflichtet werden. Damit gelingt es, nationale Eigenheiten der Staaten anzuerkennen und trotzdem in einen internationalen Kontext zu stellen, so dass Vielfalt und gemeinsame Verantwortung miteinander verbunden werden. Das Abkommen begreift das kulturelle Erbe als dynamische Zusammensetzung materieller und immaterieller Güter und stellt eine Verbindung dieses Erbes zu den gemeinsam erbenden Menschen Europas her, indem der Austausch und das Studium von Sprachen sowie Geschichte zu einem Ziel des Abkommens gemacht werden244. Diese bedeutende Verbindung von gemeinsamen Pflichten und Nutzen wird zusammengefasst, indem sowohl der Bestandsschutz (1. Ebene) als auch die öffentliche
238 European Cultural Convention, Paris, 19. Dezember 1954, online abrufbar: http://convent ions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/Html/018.htm, folgend: Europäisches Kulturabkommen. 239 Ehemals Kurzvorstellung des Europarates als Bestandteil der offiziellen Internetrepräsentanz, Europarat: http://www.coe.int/aboutCoe/index.asp?page=nosObjectifs&l=de [Seite in dieser Form nicht mehr online]. 240 Präambel, Europäisches Kulturabkommen. 241 Präambel, Europäisches Kulturabkommen. 242 Präambel, Europäisches Kulturabkommen. 243 Artikel 1, Europäisches Kulturabkommen. 244 Artikel 2-4, Europäisches Kulturabkommen.
64 | S AMMLUNGEN DES A DELS Zugänglichkeit von Kulturgütern (2. Ebene) als Aufgaben der Unterzeichnerstaaten formuliert werden: „Each Contracting Party shall regard the objects of European cultural value placed under its control as integral parts of the common cultural heritage of Europe, shall take appropriate measures to safeguard them and shall ensure reasonable access thereto.“ 245
Im Folgenden schafft das Europäische Kulturabkommen Möglichkeiten zur Zusammenarbeit der Staaten in kulturellen Fragen246 und betont die Anerkennung und Bedeutung weiterer bilateraler oder internationaler Übereinkommen247 . Das Abkommen wird in der Literatur wenig beachtet, wohl auch, weil es keine Definition davon enthält, was in dessen Sinne als Kulturgut zu betrachten ist. Diese Haltung verkennt jedoch die große Bedeutung des Übereinkommens, das die Bedeutung des kulturellen Erbes als Quelle der Verständigung zwischen den Völkern auch für die heutige Generation erkennt und aus dieser das gemeinsame Ziel248 der Nutzung und Bewahrung desselben herleitet. Dabei werden der Bestandsschutz (1. Ebene) und die Erreichbarkeit der Kulturgüter (2. Ebene) berücksichtigt, durch die Anerkennung nationaler Besonderheiten jedoch auch die Möglichkeit des Abwanderungsschutzes (3. Ebene) nicht ausgeschlossen. Dessen zu große Ausdehnung wäre jedoch durch die Betonung des gemeinsamen Erbes nicht im Sinne des Abkommens. In diesem Zusammenhang erscheinen die VO 116/2009 (wie vorher die VO 3911/92) sowie die Ri 93/7 als sinnvolle Ergänzung, da sie nationalen Kulturgüterschutz unterstützen, jedoch ebenso einen möglichst freien Austausch innerhalb Europas zulassen. Die Offenheit des Abkommens in Bezug auf die Bestandteile des kulturellen Erbes könnte als Chance begriffen werden, den Kulturgutbegriff weiter von Wertbezügen zu trennen und inhaltliche Schwerpunkte zu setzen. Gerade im Sinne eines europäischen Kulturerbes kommt der Geschichte des Adels – und damit Teilen aus dessen Besitz – eine hohe Bedeutung zu. Wenn es auch große Unterschiede in der Entwicklung des Adels einzelner Staaten gab, so war doch vor allem der europäische Hochadel eng miteinander verwandt. Bildende Kunst, Architektur, Sprachen, Literatur und Musik waren daher von einem regen Austausch geprägt, so dass ein Verständnis all dieser Bestandteile – unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten – als schützenswerte Teile des europäischen Kulturguts Berechtigung finden249.
245 246 247 248
Artikel 5, Europäisches Kulturabkommen. Artikel 6-7, Europäisches Kulturabkommen. Artikel 8, Europäisches Kulturabkommen. Das gemeinsame Ziel als Leitmotiv des Abkommens erwähnt auch Hipp, S. 146; die Bedeutung, ein Verständnis für ein gemeinsames europäisches Erbe zu entwickeln, erwähnt Streinz, S. 102. 249 Erneut kann das „Porträt der Christina von Dänemark“ von Hans Holbein d.J. als Beispiel herangezogen werden, welches als kulturelles Erbe Europas begriffen, unabhängig von seinem Aufbewahrungsort, zum Verständnis und Erleben der Geschichte verschiedener Nationen und deren Verknüpfungen beitragen kann.
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Übereinkommen zum Schutz des architektonischen Erbes Europas, 3. Oktober 1985 (in Kraft seit dem 1. Dezember 1987, von Deutschland ratifiziert am 17. August 1987)250 Ein weiteres Abkommen des Europarats mit dem Ziel der Bewahrung und Förderung des gemeinsamen kulturellen Erbes251 beschäftigt sich allein mit dem architektonischen Erbe. Mit der Feststellung, dass „the architectural heritage constitutes an irreplaceable expression of the richness and diversity of Europe‘s cultural heritage, bears inestimable witness to our past and is a common heritage of all Europeans“252 betont es – wie bereits das Europäische Kulturabkommen, auf welches es Bezug nimmt – sowohl die Vielfalt des Kulturerbes als auch dessen Bedeutung als lesbares Zeichen der Vergangenheit. Des Weiteren weist es explizit auch auf die Aufgabe der Übermittlung des Erbes an die nachkommenden Generationen und die Notwendigkeit der Erhaltung desselben hin253 und setzt damit die wichtigsten Aspekte der Idee des kulturellen Erbes um. Die Bedeutung für mehrere Generationen wird wie folgt betont: „Each Party undertakes [...] to develop public awareness of the value of conserving the architectural heritage, both as an element of cultural identity and as a source of inspiration and creativity for present and future generations“254 .
Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich zur Schaffung von Rechtsvorschrifften zum Schutz des architektonischen Erbes unter Berücksichtigung regionaler und nationaler Gegebenheiten255 und dazu, sowohl Maßnahmen zur Überwachung dieser Vorschriften zu treffen256 , als auch Verstöße gegen diese zu ahnden257. Des Weiteren werden detailliert Vorgaben zum Bestandsschutz (1. Ebene) des architektonischen Erbes aufgelistet, welche auch Bezug auf Umwelteinflüsse258 nehmen sowie Aspekte wie Umgebungs- und Ensembleschutz beinhalten259. Diese sowie die Verhinderung der Translozierung von Gebäuden260 setzen das jeweilige Kulturgut und dessen Wert in den Zusammenhang der originalen räumlichen Umgebung, so dass hier Maßnahmen zur Erhaltung des Kontextes (im Sinne der 4. Ebene) umgesetzt werden. Die Bedeutung, welche diesen Schutzmaßnahmen beigemessen wird, findet sich darin wieder, dass auch finanzielle Hilfen gewährleistet werden sollen und diesbezüglich explizit auch steuerliche Maßnahmen (neben der Mobilisierung privater Initiativen)
250 Convention for the Protection of the Architectural Heritage of Europe, Granada, 3. Oktober 1985, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/121.htm, folgend: Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 251 Präambel, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 252 Präambel, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 253 Präambel, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 254 Artikel 15, Absatz 1, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 255 Artikel 3, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 256 Artikel 4, Absatz 1, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 257 Artikel 9, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 258 Artikel 8, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 259 Artikel 4, Absatz 2, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 260 Artikel 5, Europäisches Architekturerbe-Abkommen.
66 | S AMMLUNGEN DES A DELS in Betracht gezogen werden261. Das Abkommen zielt auf die Zusammenwirkung von Städtebau262, Umweltschutz, Denkmalpflege und Kulturarbeit263 ab und verpflichtet auch zur Abwägung zwischen neuen Nutzungsmöglichkeiten264 sowie der öffentlichen Zugänglichkeit und der Gewährleistung des Bestandsschutzes265. Als wesentlicher Bestandteil der Schutzmaßnahmen wird zudem die Anfertigung von Inventaren angesehen und die Anfertigung von Dokumentationen bei drohender Gefahr266, was erneut den Stellenwert wissenschaftlicher Arbeit für dieses Abkommen betont. Die Zusammenarbeit von Institutionen267, Öffentlichkeitsarbeit und die Verdeutlichung interdisziplinärer Zusammenhänge268 werden ebenso gefordert wie die Förderung der mit dem architektonischen Erbe befassten (Handwerks-)Berufe269. Unter den Vertragsparteien sollen Informationen270, technische Erkenntnisse271 und wenn möglich auch Fachleute272 ausgetauscht werden. Als architektonisches Erbe im Sinne dieses Abkommens gilt ausschließlich unbewegliches Kulturgut. In Bezug auf Adelsbesitz könnten dies sowohl aus architektonischen als auch aus historischen Gründen273 Schlösser sein, wobei hier der Begriff des Zubehörs („including their fixtures and fittings“274 ) nicht eindeutig geklärt ist. Gruppen von Gebäuden könnten Schlossanlagen gleicher Bedeutung sein275. Wie auch das Europäische Kulturabkommen – dessen Konkretisierung es ist276 – wird das Europäische Architekturerbe-Abkommen in der Literatur wenig behandelt. Die Bedeutung für Adelsbesitz ist jedoch auch in diesem Fall gegeben. Besonders die Wertschätzung wissenschaftlichen Arbeitens, der Inventarisierung und der Dokumentation sowie der interdisziplinäre Zusammenhang und vor allem die Umsetzung der Idee des kulturellen Erbes geben wichtige Impulse für die Auseinandersetzung mit diesem Thema.
261 262 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273
Artikel 6, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 10, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 13, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 11, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 12, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 2, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 14, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 15, Absatz 2, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 16, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 17, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 18, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. Artikel 19, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. „[...] buildings and structures of conspicuous historical, [...], artistic, scientific, social [...] interest“, Artikel 1, Absatz 1, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 274 Artikel 1, Absatz 1, Europäisches Architekturerbe-Abkommen; in der amtlichen deutschen Übersetzung „einschließlich ihres Zubehörs und ihrer unbeweglichen Ausstattung“, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/121.htm. 275 Artikel 1, Absatz 2, Europäisches Architekturerbe-Abkommen. 276 Vgl. Hipp, S. 149.
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2.1.2 Rechtliche Situation – National Kulturgüterschutz national Gesetz zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, 6. August 1955277 Das bedeutendste deutsche Bundesgesetz zum Kulturgüterschutz ist das Gesetz des Jahres 1955, welches auf den Abwanderungsschutz (3. Ebene) abzielt und sich direkt auf die im Grundgesetz verankerten Gesetzgebungskompetenzen beruft278. Kulturgut wird mit der Notwendigkeit einer Ausfuhrgenehmigung belegt279 , wenn es in ein „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“280 eingetragen wurde. Zuständig für diese Eintragung sind die Länder281 , deren oberste Landesbehörde nach Anhörung eines Sachverständigen-Ausschusses darüber zu entscheiden hat, ob ein Objekt im Sinne dieses Gesetzes geschützt werden soll282. „Bei der Berufung der Sachverständigen sind die Kreise der Fachleute aus den öffentlichen Verwaltungen, der Hochschullehrer, der privaten Sammler, des Kunsthandels und Antiquariates zu berücksichtigen.“283 „Die Eintragung kann auf Antrag oder von Amts wegen erfolgen“284, das Antragsrecht wird durch die Landesregierungen geregelt285 .
277 Gesetz zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, 6. August 1955, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/kultgschg/BJNR005010955.html, folgend: KultgSchG. 278 Laut Artikel 75, Absatz 1, Punkt 6 des Deutschen Grundgesetzes hatte der Bund das Recht, „Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder zu erlassen über: 6. den Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland.“; dieser Artikel ist mittlerweile weggefallen, vgl. http://www.lexexakt.de/index.php/glossar?title=gg075af.php sowie die aktuelle Fassung des Grundgesetzes: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 23. Mai 1949, BGBl. S. 1, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 21. Juli 2010 BGBl. I S. 944, online abrufbar: http://www.bundestag.de/dokumente/rechtsgrund lagen/grundgesetz/gg_07.html, folgend: GG. 279 § 1, Absatz 4, KultgSchG; es wäre zu prüfen, inwieweit es sich hier tatsächlich um praktisch angewendetes Verbot mit Genehmigungsvorbehalt handelt, da Schütte darauf hinweist, dass in der Praxis diese Genehmigungen nicht erteilt werden. Er kommt zu dem Schluss: „Diese somit toten Buchstaben im Bundesgesetzblatt sollten durch eine Regelung ersetzt werden, die sowohl den kulturpolitischen Interessen der Nation als auch den wirtschaftlichen Interessen der privaten Eigentümer von national wertvollem Kulturgut entspricht. Das ist die gesetzgeberische Aufgabe.“, Schütte, Reiner: Wirksamerer Kulturgutschutz durch Verbesserung der gesetzlichen Rahmenbedingungen auf dem eigenen Kunstmarkt. Privates Patrimonium, in: Weltkunst, 53. Jahrgang, 1983, Nr. 24, S. 3564. 280 § 1, Absatz 1, KultgSchG. 281 § 1, Absatz 1, KultgSchG. 282 § 2, KultgSchG. 283 § 2, Absatz 2, KultgSchG. 284 § 3, Absatz 1, KultgSchG. 285 Vgl. Hipp, S. 83f; antragsberechtigt ist in jedem Fall der/die Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, § 3, Absatz 2, KultgSchG.
68 | S AMMLUNGEN DES A DELS Sobald die Eintragung eingeleitet wurde, ist die Ausfuhr des entsprechenden Kulturgutes untersagt286. Ist die Eintragung erfolgt, entscheidet nach Anhörung eines Sachverständigen-Ausschusses der/die Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien über die Ausfuhrgenehmigung287 . Diese/r führt zudem ein „Gesamtverzeichnis national wertvollen Kulturgutes“288. Bei wesentlicher Veränderung der Umstände kann der Eigentümer fünf Jahre nach der Eintragung deren Löschung beantragen289. Bei Verlust, Beschädigung oder Ortswechsel sind Besitzer und Eigentümer des Kulturgutes verpflichtet, die oberste Landesbehörde darüber in Kenntnis zu setzen290 . Bei dauerndem Verbleib in einem anderen Land wird das Kulturgut in dessen Verzeichnis übernommen291 . Problematisch gestaltet sich die Art der Eintragung, da diese zwar veröffentlicht werden muss, Ort und Eigentümer aus Schutzgründen nicht genannt werden können292 , möglichst umfangreiche Informationen zur Identifizierung des Objektes jedoch nötig sind und diesbezüglich zumindest eine Abbildung bedeutsam wäre293. Bei einer Eintragung von Kulturgut in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes kann der Eigentümer steuerliche Vergünstigungen in Anspruch nehmen294. Des Weiteren ist auf einen billigen Ausgleich unter Berücksichtigung von Steuervorteilen abzuzielen, wenn der Eigentümer durch eine wirtschaftliche Notlage zum Verkauf des Objektes gezwungen ist, aber aufgrund der Ablehnung einer Ausfuhrgenehmigung nur einen geringeren Preis erzielen kann295. Grundsätzlich wirkt sich das Gesetz auf einen Verkauf im Inland jedoch nicht aus296 . 286 § 4, Absatz 1, KultgSchG; dies gilt für jegliche Ausfuhr und damit auch für die Ausfuhr innerhalb der EU, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 231. 287 § 5, KultgSchG; der fünfköpfige Sachverständigenausschuss, der aus Vertretern verschiedener Bereiche des Kulturbetriebes zusammengesetzt ist, hat keine Entscheidungsbefugnis, dessen Meinung muss jedoch von der Behörde in die Entscheidungsfindung einbezogen werden, vgl. Hipp, S. 82f. 288 § 6, Absatz 2, KultgSchG; Datenbank national wertvollen Kulturgutes, online abrufbar: http://www.kulturgutschutz-deutschland.de/DE/3_Datenbank/3_datenbank_node.html. 289 § 7, KultgSchG. 290 § 9, Absatz 2, KultgSchG. 291 § 9, Absatz 3, KultgSchG. 292 § 6, Absatz 1, KultgSchG. 293 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 233; vgl. Hipp, die auch darauf hinweist, dass als Ganzes zu schützende Bibliotheken und Sammlungen durch die Aufnahme jedes einzelnen Bestandteils eingetragen werden müssen, Hipp, S. 85f . 294 § 1, Absatz 3, KultgSchG. 295 § 8, KultgSchG; dazu erläuternd Kleeberg/Eberl: „Verfassungskonform ausgelegt bedeutet die Bestimmung: Wenn die Veräußerung eines eingetragenen Kulturgutes durch Versagung der Ausfuhrgenehmigung unmöglich wird, haben Land und Bund zu einem unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls für alle Beteiligten und insbesondere für den Eigentümer zumutbaren Preis das Kulturgut abzukaufen. Ähnliches dürfte geboten sein, wenn der Eigentümer das Kulturgut zwar im Inland verkaufen kann, jedoch nur zu einem ganz unangemessen niedrigen Preis.“, Kleeberg/Eberl, S. 236; eine solche Regelung findet in der Praxis jedoch keine Anwendung. 296 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 235; vgl. Hipp, S. 81.
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Das Gesetz unterscheidet zwischen „Kunstwerken und anderem Kulturgut“ 297 sowie „Archivgut“298, wobei in die Entscheidungen bezüglich des Archivgutes auch das Bundesarchiv mit einbezogen wird299. Bereits bei „Verhandlungen über die Ausfuhr von geschütztem Archivgut“300 ist beispielsweise der/die Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien zu informieren. Der Bedeutung, welche man dem Verbleib des durch dieses Gesetz geschützten Kulturgutes beimisst, wird durch die Ahndung bei unerlaubter Ausfuhr mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Nachdruck verliehen301. Des Weiteren kann das betroffene Kulturgut „zugunsten des Landes, in dem [es] durch die Eintragung in das Verzeichnis geschützt ist“302 , eingezogen werden. Auf in öffentlichem Eigentum befindliches Kulturgut, „soweit zu dessen Veräußerung nur oberste Bundes- oder Landesbehörden befugt sind oder nach besonderen gesetzlichen Vorschriften die Genehmigung einer aufsichtführenden Stelle der öffentlichen Verwaltung erforderlich ist“303 , findet das Gesetz keine Anwendung304. Dies gilt auch für Kulturgut „im Eigentum der Kirchen oder einer anderen als Körperschaft des öffentlichen Rechtes anerkannten Religionsgesellschaft [...], soweit durch eigene öffentlich-rechtliche Vorschriften die Veräußerung“305 einer Genehmigung bedarf. Diese Körperschaften können jedoch Kulturgut zur Eintragung in die Landesverzeichnisse anmelden, worüber die oberste Landesbehörde entscheidet306. Von Bedeutung für den internationalen Austausch von Kulturgütern zu Ausstellungszwecken ist die Möglichkeit der obersten Landesbehörden, die Rückgabe ausländischen Kulturgutes, welches sich vorübergehend im Bundesgebiet befindet, rechtsverbindlich zuzusagen307. Im umgekehrten Fall einer geplanten Ausleihe ins Ausland oder bei der Ausfuhr zur Restaurierung ist eine Genehmigung einzuholen, über welche wiederum erst nach Anhörung eines Sachverständigenausschusses (in oben genannter Zusammensetzung) entschieden und welche gegebenenfalls an Auflagen geknüpft wird308 . Auf Kulturgut, welches nur zu Handelszwecken eingeführt wurde, wird das Gesetz nicht angewendet309 . 297 298 299 300 301 302 303 304
305 306 307 308 309
Erster Abschnitt, §§ 1-9, KultgSchG. Zweiter Abschnitt §§ 10-15, KultgSchG. §§ 11, 13, KultgSchG. § 14, KultgSchG. § 16, Absatz 1, KultgSchG; bereits der Versuch ist strafbar, § 16, Absatz 2, KultgSchG. § 16, Absatz 3, KultgSchG. § 18, Absatz 1, KultgSchG. § 18, Absatz 1, KultgSchG; laut Hipp sah der Gesetzgeber hier keine Abwanderungsgefahr, vgl. Hipp S. 97; das Gesetz findet nach § 18 auch keine Anwendung auf den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, da diese eine bundesunmittelbare Stiftung ist, § 18, KultgSchG; vgl. Hipp, S. 98; es besteht also kein Exportverbot für Kulturgut in öffentlichem Eigentum, d.h., wenn es ausgeführt wird, kann der Staat es nicht zurückfordern, vgl. Hipp, S. 186. § 19, Absatz 1, KultgSchG. § 19, Absatz 2, KultgSchG. § 20, KultgSchG. Vgl. Hipp, S. 88ff. Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 229.
70 | S AMMLUNGEN DES A DELS Die Zuordnung, was zum deutschen Kulturbesitz zu zählen ist, erscheint insgesamt kompliziert: Eine Definition im Sinne des Gesetzes gibt es nicht310, entscheidend ist lediglich, ob die Abwanderung des Kulturgutes „einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde“311. Kulturgut können „Kunstwerke und anderes Kulturgut – einschließlich Bibliotheksgut –“312 sein sowie „Archive, archivalische Sammlungen, Nachlässe und Briefsammlungen mit wesentlicher Bedeutung für die deutsche politische, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte“313. Es spielt für die Aufnahme in eines der Länderverzeichnisse keine Rolle, ob das Kulturgut aus Deutschland stammt oder wann es eingeführt wurde, so lange es sich dauerhaft in Deutschland befindet314. Laut Rietschel geht es um Kulturgüter, „die nach ihrer künstlerischen Eigenart, nach ihrem kulturellen Wert oder durch ihre Bedeutung für die kulturelle Entwicklung in Deutschland als dauernd besonders wertvoller Bestandteil deutschen Kulturbesitzes anzusehen sind“315. Häufig sind dies Objekte, die von Deutschen geschaffen wurden316 , aber auch dies ist nicht zwingende Voraussetzung317. 310 Laut Hipp „handelt [es] sich um unbestimmte, wertausfüllungsbedürftige Gesetzesbegriffe, deren Auslegung der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Die Verwaltungsbehörde hat bei ihrer Anwendung weder einen Beurteilungsspielraum noch eine Einschätzungsprärogative.“, Hipp, S. 71. 311 § 1, Absatz 1, KultgSchG. 312 § 1, Absatz 1, KultgSchG; allerdings ergibt sich aus der alleinigen Intention des Abwanderungsschutzes die Tatsache, dass das Gesetz nur bewegliche Kulturgüter schützt, vgl. Hipp, S. 73; zu der Problematik, dass daher meist auch nur diese mit dem Begriff „national wertvoll“ verbunden werden, vgl. Bornheim, Werner: Bewahren und Gestalten. Enge und Weite des modernen Denkmalbegriffs, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 24. Jahrgang, 1966, S. 10. 313 § 10, Absatz 1, KultgSchG. 314 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 229; vgl. Rietschel, S. 117; vgl. Hipp S. 77. 315 Rietschel, S. 117-118; „Dem deutschen ‚Kulturbesitz‘ zuzurechnen sind: wichtige Objekte von Künstlern, die internationalen Rang haben; wichtige Objekte von Künstlern, die für die deutsche Kunst und Kunstentwicklung von besonderer Bedeutung sind; Objekte, die für die deutsche Kunst, Kunst- und Kulturgeschichte von herausragender Bedeutung sind; Objekte, die für bestimmte Bereiche oder Zeitabschnitte der Landesgeschichte von herausragender Bedeutung sind.“, Hipp, S. 77-78. 316 Vgl. Hipp, S. 77. 317 Hipp erklärt, dass eine genaue Zuordnung jedoch auch für Rückgabeforderungen nach illegalem Export von großer Bedeutung ist: „Sowohl für gestohlenes als auch für illegal exportiertes Kulturgut wird vorgeschlagen, statt auf das Recht des Lagerortes auf das Recht des Herkunftslandes (lex origins, Heimatrecht) abzustellen. Die Bestimmung des Herkunftslandes erfordert eine nationale Zuordnung des Kulturgutes, die nach folgenden Kriterien erfolgen soll: (1) nach der Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt; (2) nach dem Ort, für den das Kunstwerk bestimmt ist, etwa bei Auftragsarbeiten oder bei Schenkungen oder Leihgaben des Eigentümers; (3) bei Gegenständen der religiösen Verehrung und Kultgegenständen nach dem Recht des Landes, in welchem der Gegenstand seine Funktion der Verehrung entfalten kann; (4) bei archäologischen Gegenständen nach dem Recht des
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Aus Adelsbesitz könnten dies all diejenigen Objekte sein, die direkt mit der deutschen Geschichte in Verbindung stehen, wie Herrschaftsinsignien, Porträts bedeutender Persönlichkeiten oder kunsthistorisch herausragende Objekte deutscher Künstler. Zu berücksichtigen sind dabei Beispiele, welche auch die Geschichte der einzelnen deutschen Königreiche und Herzogtümer betreffen. Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden, dass selbst Objekte von regionaler Bedeutung zum national wertvollen Kulturgut zählen können318 . Wie jedoch der Begriff des „wesentlichen Verlusts“ zu erklären ist, wird von der Literatur wenig untersucht. Ein Merkmal könnte die Häufigkeit des Vorhandenseins bestimmter Objekte in Deutschland oder in öffentlich zugänglichen Einrichtungen in Deutschland sein319 . Es erscheint nachvollziehbar, dass in diesem Sinne nicht eine große Menge von Objekten gleicher Art geschützt sein sollten, andererseits liegt beispielsweise bei Künstler-Serien gerade in dieser Quantität (und möglichen Dopplung) ihr Wert. Ebenso kann das wiederholte Vorhandensein immer gleicher Ausstattungsgegenstände in mehreren Schlössern Hinweise auf deren mögliche Bedeutung für den Adel geben. Daher kann dieses Merkmal bei allgemeiner Anwendung einen „wesentlichen Verlust“ für die Kultur(geschichte) Deutschlands nicht verhindern. In der Ungenauigkeit der Definition und der durch diese begünstigten uneinheitlichen Eintragungspraxis der einzelnen Länder320 liegt jedoch der Hauptkritikpunkt im Zusammenhang mit diesem Gesetz. Auch weisen Kleeberg/Eberl darauf hin, dass „alles Kultur- und Archivgut, das die [...] Voraussetzungen erfüllt, in eines der Verzeichnisse einzutragen“321 wäre. Die Zahl der eingetragenen Objekte ist jedoch verhältnismäßig gering322. Die Eintragung erscheint zuweilen auch willkürlich: „So hat ein Land Erinnerungsstücke an einen Trivialschriftsteller des 19./20. Jahrhunderts als national wertvoll angesehen, kostbarste Werke der Gold- und Silberschmiedekunst aus dem Besitz des früher regierenden Fürstenhauses aber ins Ausland abwandern lassen.“323 Auch Hipp merkt kritisch an:
318
319 320 321
322 323
Fundortes.“, Hipp, S. 197-198; aber selbst bei dieser Zuordnung könnten die Kriterien auf mehrere Staaten zutreffen. Punkt 3, Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 14. März 1986, online abrufbar: http://www.vd-bw.de/webvdbw/cd.nsf/.navigation?Openform&Database Synonym=vensa&navigation=.searchvensa&URL=showresultinframe.jsp|dbkey=venusv g.nsf&hrefID=DHAK-4U4M6Y&volltext=gericht%3AVGH+BadenW%Fcrttemberg+ suchdatum%3A%5B19860314+TO+19860314%5D+&index=all&subindex=vdbw_ve nsa&viewer=vdbwShowHighlight, folgend: Urteil BW VGH; vgl. Kleeberg/Eberl, S. 230. Vgl. Hipp, S. 78. Vgl. Rietschel, S. 117; vgl. Schütte, S. 3562. Kleeberg/Eberl, S. 231; auch Hipp greift diesen Punkt auf, in dem sie auf die Worte „werden eingetragen“ hinweist, die nicht auf das Ermessen der zuständigen Stellen abzielen, sondern diesen die Pflicht zur Eintragung auferlegen, vgl. Hipp, S. 79; allerdings liegt es wiederum im Ermessen der Behörden zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für eine Eintragung erfüllt sind, und nur nach dieser Entscheidung sind sie verpflichtet, das jeweilige Objekt auch in die Liste einzutragen. Vgl. Bornheim, S. 16ff; vgl. Schütte, S. 3563. Kleeberg/Eberl, S. 231, Fußnote 18.
72 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Es wäre die Aufgabe der für die Eintragung zuständigen obersten Landesbehörden, das Eintragungsverfahren für solches Kulturgut zu betreiben, an dessen Erhaltung in der Bundesrepublik Deutschland ein dringendes öffentliches Interesse besteht. Die Praxis sieht jedoch anders aus [...].“324
Das Gesetz wird in der Literatur zudem als im internationalen Vergleich zu locker kritisiert325. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob das Ziel des Gesetzes, einerseits einen weiten Kulturgüterbegriff zuzulassen, andererseits jedoch nur die bedeutendsten Kunstwerke zu schützen und mit der Eintragung auch einer durch finanzielle Probleme in Krisenzeiten verstärkten Abwanderung von Kulturgut vorzubeugen326, erreicht hat. Die Genehmigungspflicht zur Ausfuhr gilt auch für Objekte, welche in die Verzeichnisse der Verordnung der Reichsregierung vom 11. Dezember 1919 oder in nach dem 8. Mai 1945 erstellte Verzeichnisse der Länder eingetragen wurden, so lange bis über ihre Aufnahme in das aktuelle Verzeichnis entschieden wurde327. Das gleiche gilt für Kulturgut, welches nach dem Gesetz zum Schutz des Kulturgutes der Deutschen Demokratischen Republik vom 3. Juli 1980 geschützt ist328. Die in diese Verzeichnisse aufgenommenen Objekte aus Adelsbesitz müssen daher zunächst nicht den oben genannten Kriterien entsprechen, werden aber auf diese hin geprüft werden329. Das KultgSchG ist von großer Bedeutung auch im Zusammenhang mit der Umsetzung der VO 116/2009 (wie vorher der VO 3911/92), birgt jedoch in diesem Zusammenhang eine Zuständigkeitsproblematik: ist laut VO 116/2009 (wie vorher VO 3911/92) für Kulturgut eine Ausfuhrgenehmigung zu erteilen, dieses aber nach Meinung der für die Ausfuhrgenehmigung zuständigen Behörde national wertvolles Kulturgut, müsste entsprechend eine Eintragung beantragt werden. Beispielsweise sind jedoch in Niedersachsen die zuständigen Behörden für die Ausfuhrgenehmigung nach VO 116/2009 (wie vorher VO 3911/92) und für die Eintragung in das Verzeichnis im Rahmen des KultgSchG nicht identisch, und es besteht keine Meldepflicht der Genehmigungsbehörde an die Eintragungsbehörde, obwohl bereits durch die Einleitung des Eintragungsverfahrens eine Versagung der Ausfuhrgenehmigung möglich wäre330. 324 Hipp, S. 391. 325 Vgl. Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 7; vgl. Hipp, S. 182; in einigen anderen Staaten wird national wertvolles Kulturgut für unveräußerlich erklärt und dem privaten Eigentum z.T. entzogen, vgl. Hipp, S. 184. 326 Vgl. Hipp, S. 66. 327 § 22, Absatz 3-4, KultgSchG. 328 § 22, Absatz 5, KultgSchG. 329 Bornheim weist jedoch auf die Problematik hin, dass viele Objekte des Vorkriegsverzeichnisses zerstört oder ins Ausland verkauft wurden und der Verbleib der meisten eingetragenen Objekte daher schwer zu klären ist, vgl. Bornheim, S. 16. 330 Vgl. Hipp, S. 344; Hipp prüft ausführlich die Zusammenhänge des Gesetzes mit dem europäischen Recht, vor allem in Hinblick auf dessen Zulässigkeit gemäß Artikel 36 des EWG-Vertrages [Art. 30, EGV, Anm. U.S.], welche sie bestätigt, S. 234ff; gerade das funktionierende Ineinandergreifen dieser Rechtsvorschriften ist jedoch von großer Be-
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Mehrfach hat sich in den letzten Jahrzehnten die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder mit dem KultgSchG auseinandergesetzt und diesbezüglich Empfehlungen ausgesprochen. Diese Empfehlungen haben keine rechtliche Bindungswirkung, sie haben jedoch eine Vorbildfunktion und werden bei gerichtlichen Entscheidungen herangezogen331 . In der Empfehlung der Kultusministerkonferenz von 1976332 wird vor allem eine weitere Auslegung des Begriffs „national wertvollen Kulturgutes“ vorgeschlagen, was vermutlich als Reaktion auf die bis dahin geringen Eintragungen in die Länderlisten zu verstehen war. Die Kultusministerkonferenz sprach sich für die Aufnahme von Kulturgut aus, welches zwar nicht aus dem deutschen Kulturkreis stammt, aber durch geschichtliche und andere Verbindungen zum deutschen Kulturbesitz gehört333. 1983 wurde ein Kriterienkatalog der Kultusministerkonferenz334 formuliert, welcher einleitend die grundsätzliche Notwendigkeit der Eintragungen betont335 und in der Folge detailliert Hinweise auf eintragungsgeeignete Kulturgüter gibt. Folgende Kriterien sind für den Kunstbesitz des Adels relevant: „Alte und neue Kunst bis in die Gegenwart“336, „Auch Kulturgut, das nicht aus Deutschland kommt“337, „Auch Objekte in Privatbesitz“338, „Auch Sammlungen, zur Not Einzelteile aus Sammlungen“339, „alle Objekte, die für bestimmte Bereiche oder Zeitabschnitte der Landesgeschichte von herausragender Bedeutung sind“340 und „die wichtigsten Objekte, die für die regionale oder lokale Geschichte von besonderer
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deutung für die Umsetzung des KultgSchG, da es bei einer illegalen Ausfuhr eingetragenen Kulturgutes durch den Eigentümer oder durch Diebstahl darauf ankommt, ob auch in dem Staat, in den es verbracht wurde, der Tatbestand des illegalen Exports anerkannt wird, vgl. Hipp, S. 182. Vgl. Rietschel, S. 117. Empfehlung der Kultusministerkonferenz über die Ausdehnung des Gesamtverzeichnisses im Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, Beschluss vom 3. Dezember 1976, GMBl. 1977, 85, abgedruckt in: Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 144-145, folgend: Empfehlung der Kultusministerkonferenz 1976. Punkt 1, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 1976; des Weiteren sollten bevorzugt Objekte aus dem 19. und 20. Jahrhundert sowie Kulturgüter, die keine Kunstwerke sind, aufgenommen werden, Punkt 2 und 3, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 1976. Kriterienkatalog zum Vollzug des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20. Mai 1983, GMBl. 1983, 442, abgedruckt in: Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 145-146, folgend: Kriterienkatalog 1983. „Das Gesetz will die Abwanderung von Kulturgut verhindern, soweit diese einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde. Das bedingt, dass Kunstwerke und anderes Kulturgut in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen werden müssen [...]“, Kriterienkatalog 1983. Punkt 1, Kriterienkatalog 1983. Punkt 2, Kriterienkatalog 1983. Punkt 3, Kriterienkatalog 1983. Punkt 4, Kriterienkatalog 1983; laut Hipp können Sammlungen vor allem dann eingetragen werden, wenn in ihrer Zusammentragung der Wert liegt, d.h. wenn „die Sammlung eine eigene wissenschaftliche Leistung des Sammlers darstellt“, Hipp, S. 75. Kriterienkatalog 1983, Punkt 6 d), Kriterienkatalog 1983.
74 | S AMMLUNGEN DES A DELS Bedeutung sind“341 . Auch von „Künstlern, die internationalen Rang haben“342 geschaffene Objekte sollten bevorzugt geschützt werden. Die diesbezüglich aktuellste Beschäftigung ist die Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010343, welche auf die Vereinheitlichung der Eintragungen in den Ländern abzielt und darauf hinweist, dass die internationalen Vorschriften keinen Einfluss auf die Definition des KultgSchG haben. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Empfehlung explizit auf eine Verantwortung der Wissenschaftsvertreter verweist: „Als Maßstab für das Kriterium „national wertvoll“ ist deshalb anzunehmen, dass es sich um solche Objekte handelt, deren drohende Abwanderung, wären sie nicht in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Intervention des Staates oder bedeutender, fachlich einschlägiger Institutionen zur Folge hätte oder haben müsste, um eine solche Abwanderung zu verhindern.“344 Des Weiteren werden erneut Kriterien aufgestellt, wobei der Begriff der Sammlung aufgegriffen345 und erneut auch die Zugehörigkeit zur Landes- oder Regionalgeschichte erwähnt wird346. Die finanzielle Förderung eines Ankaufs von Kulturgut in den Entscheidungsprozess einzubeziehen347, ist jedoch kritisch zu bewerten, da die Gefahr zu groß ist, im Umkehrschluss Kulturgut, welches keinen Förderer findet (beispielsweise aufgrund einer angespannten Haushaltslage), nicht als national bedeutend einzustufen. Ein neues Kulturgutschutzgesetz wird 2016 in Kraft treten, nachdem das Bundeskabinett dem Gesetzentwurf im November 2015 zugestimmt hat. Die Beweg-
341 Punkt 6 e), Kriterienkatalog 1983. 342 Punkt 6 a), Kriterienkatalog 1983; zu diesem Punkt merkt Schütte kritisch an: „Mit solch maßloser Ausweitung des Schutzes von Kulturgütern im falsch verstandenen Sinne des Gesetzes wäre in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl der auf Kunstversteigerungen, Kunstmessen und im Kunsthandel angebotenen Werke der staatlichen Arretierung ausgeliefert.“, Schütte, S. 3564. 343 Empfehlung der Kultusministerkonferenz für Eintragungen in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes und das Verzeichnis national wertvoller Archive nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 29. April 2010, KMK AL 156, September 2010, Sammlung der Beschlüsse der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder der Bundesrepublik Deutschland, folgend: Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010. 344 Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010, S. 2. 345 Dieser beinhaltet „ – eine Gesamtheit zielgerichtet unter einer Themenstellung zusammengeführter und systematisierter Gegenstände, – die aus künstlerischen, wissenschaftlichen oder ästhetischen Grundprinzipien zusammengetragen wurden und – die mehr als nur die Summe ihrer einzelnen Bestandteile darstellen und dadurch einen besonderen kulturellen Wert gewinnen. Nicht erforderlich ist, dass jedes einzelne Teil der Sammlung selbst Kulturgut darstellt.“, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010, S. 2; dies widerspricht der Definition des Begriffs Sammlung im Sinne der VO 106/2009. 346 Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010, S. 2. 347 „Ein Anhaltspunkt dafür, dass zumindest eines dieser Kriterien erfüllt ist, stellt die Förderung des Ankaufs von Kulturgut durch den Bund, die Länder oder die Kulturstiftung der Länder dar.“, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010, S. 3.
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gründe zur Novellierung des bestehenden Gesetzes beschreibt die Bundesregierung wie folgt: „Um den Schutz von Kulturgut umfassend zu stärken und besser gegen den illegalen Handel mit Kulturgut vorzugehen, wird die Bundesregierung die bisher bestehenden Gesetze im Bereich des Kulturgutschutzes in einem neuen, einheitlichen Gesetz zusammenführen und darin auch neues EU-Recht, die Rückgaberichtlinie von Mai 2014, umsetzen. Die Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 soll verbessert und deutsches Recht an internationale Standards angepasst werden. Ziel ist es, mit eindeutigen Ein- und Ausfuhrregelungen sowie mit klaren Sorgfaltspflichten beim Erwerb von Kulturgut auch den Kunsthandelsstandort Deutschland zu stärken.“348
Auch die Haager Konvention und das zugehörige Bundesgesetz (s.u.) werden einbezogen. Diese Zusammenführung der bisher unübersichtlichen Gesetzgebung zur Umsetzung internationalen/europäischen Rechts ist eine juristische Notwendigkeit, die inhaltlich nur wenige Auswirkungen hat, jedoch zu einer vereinfachten Anwendung führen kann. Im Zusammenhang der angestrebten inhaltlichen Änderungen sind vor allem die generelle Unterschutzstellung öffentlicher Sammlungen, die Möglichkeit der Unterschutzstellung zeitgenössischer Kunst sowie die Schaffung von Ein- und Ausfuhrkontrollen zu nennen349. Die Bundesregierung erkennt außerdem an, dass die Kenntnis des Belegenheitsortes grundlegend für die Wirkung des bisherigen Gesetzes ist, jedoch häufig nicht erfüllt werden kann. Des Weiteren soll der bisher nicht ausreichenden Nutzung des Abwanderungsschutzes begegnet und den Empfehlungen der Kultusministerkonferenzen der Länder stärker gefolgt werden. Es sollen weiterhin Verzeichnisse durch die Länder geführt werden, allerdings, wie in der europäischen Gesetzgebung, auch Wert- und Altersgrenzen für die Eintragung entscheidend sein350. Die grundsätzliche Problematik der Fragestellung nach einer Definition von „national wertvollem Kulturgut“ bleibt auch nach der Gesetzesänderung bestehen, der stärkere Bezug zum explizit deutschen kulturellen Erbe wird jedoch neben einen generellen „Verlust für den deutschen Kulturbesitz“ gestellt351. Wesentlich im Zu348 Bundesregierung Informationen zum Kulturgutschutzgesetz: http://www.bundesregier ung.de/Webs/Breg/DE/Bundesregierung/BeauftragtefuerKulturundMedien/kultur/kulturg utschutz/_node.html. 349 Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts, Deutscher Bundestag, 18. Wahlperiode, Drucksache 18/7456, online abrufbar: http://dipbt.bundestag.de/ doc/btd/18/074/1807456.pdf, folgend: KultgSchG2016; Kapitel 2, Abschnitt 1, § 7, KultgSchG2016. 350 Bundesregierung Informationen zum Kulturgutschutzgesetz. 351 „Kulturgut ist von der obersten Landesbehörde in ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes einzutragen, wenn 1. es besonders bedeutsam für das kulturelle Erbe Deutschlands, der Länder oder einer seiner historischen Regionen und damit identitätsstiftend für die Kultur Deutschlands ist und 2. seine Abwanderung einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde und deshalb sein Verbleib im Bundesgebiet im herausragenden kulturellen öffentlichen Interesse liegt.“, Kapitel 2, Abschnitt 1, § 7, KultgSchG2016.
76 | S AMMLUNGEN DES A DELS sammenhang mit Beständen aus Adelsbesitz ist die Behandlung von „Sachgesamtheiten“, deren Einzelbestandteile laut Gesetzestext nicht jedes für sich die Eintragungskriterien erfüllen müssen352. Von größter Bedeutung für den Erhalt des kulturellen Erbes ist die Aufnahme eines Beschädigungsverbotes und damit des Bestandsschutzes (1. Ebene) in dieses wichtigste deutsche Gesetz zum Kulturgüterschutz353. Das Gesetz ist mit 91 Paragraphen in 10 Kapiteln sehr umfangreich. Da es jedoch keinen rückwirkenden Einfluss auf die in dieser Arbeit beschriebenen Sachverhalte haben kann, wird es an dieser Stelle nicht ausführlicher behandelt. Gesetz zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht, 1. Juni 1980354 Die Bedeutung dieses Gesetzes im hier vorgestellten Zusammenhang liegt allein darin, dass es verdeutlicht, welcher Stellenwert dem Denkmalschutz rechtlich beigemessen wird. Es beschäftigt sich mit denjenigen Gesetzen, welche durch die Denkmalschutzgesetze der Länder eingeschränkt werden, so das Raumordnungsgesetz, das Bundesfernstraßengesetz, das Bundeswasserstraßengesetz, das Flurbereinigungsgesetz, das Bundesnaturschutzgesetz, das Telegraphenwegegesetz und das Bundesbahngesetz. Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz), 27. September 1994355 , enthält Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können356 Neben weiteren Privatpersonen verloren einige Fürstenhäuser, so auch das Haus Hannover, einen Teil ihres Besitzes oder nahezu sämtlichen Besitz durch die Maßnahmen der sowjetischen Besatzungsmacht oder die folgende Teilung Deutschlands. Die hier genannten Gesetze beschäftigen sich infolge der Wiedervereinigung mit der Regelung solcher Fälle und betreffen damit indirekt auch den Kulturgüterschutz. Die Rückgabe beweglicher Kulturgüter an Fürstenhäuser kann nach dem AusgLeistG wie
352 Kapitel 2, Abschnitt 1, § 7, KultgSchG2016. 353 Kapitel 2, Abschnitt 3, § 18, KultgSchG2016. 354 Gesetz zur Berücksichtigung des Denkmalschutzes im Bundesrecht, 1. Juni 1980, BGBl. Nr. 27, 7. Juni 1980, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, Bonn 1996, S. 146, folgend: Gesetz Berücksichtigung Denkmalschutz. 355 Gesetz über die Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage (Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz), 27. September 1994, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/ealg/ BJNR262400994.html, folgend: EALG. 356 Gesetz über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, 27. September 1994, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/ausglleistg/ BJNR262800994.html, folgend: AusgLeistG.
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folgt verzögert werden, wenn sie beispielsweise durch Museen verwahrt wurden und werden: „Zur Ausstellung für die Öffentlichkeit bestimmtes Kulturgut bleibt für die Dauer von 20 Jahren unentgeltlich den Zwecken der Nutzung seitens der Öffentlichkeit oder Forschung gewidmet (unentgeltlicher öffentlicher Nießbrauch). Der Nießbrauchsberechtigte kann die Fortsetzung des Nießbrauchs gegen angemessenes Entgelt verlangen. Gleiches gilt für wesentliche Teile der Ausstattung eines denkmalgeschützten, der Öffentlichkeit zugänglichen Gebäudes.“357
Rechtsvorschriften zur Umsetzung internationaler Vorschriften in nationales Recht Gesetz zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 11. April 1967358 Das Gesetz bestätigt die Zustimmung zu den Aussagen der Haager Konvention 359 und gibt deren Ausführung weitgehend an die Länder weiter360. Die folgende genaue Aufgabenverteilung an unterschiedlichste Behörden verdeutlicht durch deren Menge und Bandbreite die Schwierigkeiten der Umsetzung von Rechtsvorschriften des Kulturgüterschutzes. Neben den Ländern und dem Bundesminister des Inneren sind der Bundesminister des Auswärtigen, der Bundesminister der Verteidigung sowie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe361 beteiligt. Letzteres gibt eine Broschüre heraus, welche über die Aufgaben dieses Amtes zur Durchführung der Haager Konvention informiert und dabei sowohl einige der in der Konvention erfassten Pflichten der einzelnen Staaten aufgreift als auch Beispiele geschützter Objekte in allen Bundesländern nennt362 . Acht dieser sechzehn Beispiele weisen in ihrer Beschreibung auf eine Verbindung zu deutschen Fürsten hin363 .
357 § 5, Absatz 2, AusgLeistG. 358 Gesetz zu der Konvention vom 14. Mai 1954 zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten, 11. April 1967, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/kultgsch konvag/index.html, folgend: KultgSchKonvG. 359 Artikel 1, KultgSchKonvG. 360 Artikel 2, Absatz 1, KultgSchKonvG. 361 Artikel 2, Absatz 2-6, KultgSchKonvG. 362 Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Geschütztes Kulturgut in Deutschland. 16 ausgewählte Beispiele, Bonn 2010; zwar ist auf dem Deckblatt das Symbol der Haager Konvention zu sehen und im Vorwort wird auf diese verwiesen, der Titel stiftet aber durch seine allgemeine Aussage weitere Verwirrung im ohnehin kaum bekannten Gebiet des Kulturgüterschutzes, da er suggeriert, es handele sich um eine Broschüre, die umfassend über Kulturgüterschutzmaßnahmen in Deutschland informiert. 363 Karlsruher Schloss (Baden-Württemberg); Spitalkirche St. Johannes in Kelheim (Bayern); Goslar (Niedersachsen); Zitadelle Jülich (Nordrhein-Westfalen); Kaiserdom zu Speyer (Rheinland-Pfalz); Quedlinburg (Sachsen-Anhalt); Albrechtsburg Meißen (Sachsen); Citadelle Petersberg (Thüringen); Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, S. 16-19, S. 32-39, S. 42-43, S. 46-47.
78 | S AMMLUNGEN DES A DELS Das Gesetz enthält keine Kriterien zum Vorgehen bei der Auswahl der schützenswerten Kulturgüter, obwohl dies aufgrund der weiten Definition der Haager Konvention bedeutsam wäre364. Gesetz zur Ausführung des UNESCO Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (Kulturgüterrückgabegesetz KultGüRückG), 18. Mai 2007365, in Kraft seit dem 29. Februar 2008 Nach der Ratifizierung des UNESCO Abkommens von 1970 war dessen Umsetzung auf nationaler Ebene nötig. Der Gesetzgeber entschied, das Kulturgutsicherungsgesetz von 1998366, welches bereits die Umsetzung der Ri 93/7 zum Inhalt hatte, abzulösen und dieses mit dem neuen Gesetz zu verknüpfen367. 364 Hipp weist zudem darauf hin, dass vor der Auswahl der schützenswerten Objekte eine breit angelegte Inventarisation stehen muss, vgl. Hipp, S. 132; eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Behörden mit den Denkmalschutzbehörden wäre daher notwendig. 365 Gesetz zur Ausführung des UNESCO Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern (Kulturgüterrückgabegesetz KultGüRückG), 18. Mai 2007, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/kultgrckg2007/BJNR0757 10007 .html, folgend: KultGüRückG. 366 Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (Kulturgutsicherungsgesetz, 15. Oktober 1998, online abrufbar: http://www.bgbl. de/banzxaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B%40attr_id%3D'bgbl198s3162.pdf'%5 D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl198s3162.pdf%27%5D__14221073 68140, folgend: KultgutsiG; dieses wurde kritisch aufgenommen, allerdings war dessen schnelles Inkrafttreten nötig, da die Ri 93/7 bereits nach 12 Monaten ihres Inkraftretens hätte umgesetzt werden müssen und die Europäische Kommission Deutschland wegen Versäumnis dieser Verpflichtung bereits angeklagt hatte. Die Klage wurde mit Inkrafttreten des KultgutsiG fallengelassen, vgl. Hipp, S. 311; die Kulturgutdefinition des Gesetzes entspricht weitgehend derjenigen der Ri 93/7, allerdings können nicht wie bei dieser Kulturgüter auch nachträglich unter Schutz gestellt werden, was ein wesentlicher Bestandteil der Ri 93/7 ist, welcher so für den deutschen Kulturgüterschutz nicht genutzt wird, vgl. Rietschel, S. 124ff. 367 In der Literatur ist das KultGüRückG aufgrund seiner jüngeren Entstehung bisher kaum beachtet. Rietschel behandelt sowohl das Gesetz von 1998 als auch das von 2007, vgl. Rietschel, S. 122ff und 135ff; allerdings weist Prengel auf die Ablösung des einen durch das andere hin, vgl. Prengel, Timo: Bildzitate von Kunstwerken als Schranke des Urheberrechts und des Eigentums mit Bezügen zum Internationalen Privatrecht, Schriftenreihe zum Urheber- und Kunstrecht, Band 10, zgl. Dissertation Universität Heidelberg 2011, Frankfurt am Main 2011, S. 245, Fußnote 1125.
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Das Gesetz regelt die Möglichkeiten der Rückforderung illegal aus Deutschland ausgeführten Kulturgutes, für welche im Falle der Ausfuhr in einen EU-Mitgliedstaat die Länder im Benehmen mit der Zentralstelle des Bundes zuständig sind368. Bei einer Ausfuhr in einen Vertragsstaat gemäß der UNESCO Konvention von 1970 soll der Rückgabeanspruch dagegen auf diplomatischem Wege geltend gemacht werden369. Weitaus ausführlicher als mit Rückforderungsmöglichkeiten Deutschlands beschäftigt sich das Gesetz mit den Forderungen anderer Staaten, deren Kulturgut illegal nach Deutschland eingeführt wurde370. Es sieht eine Genehmigung vor für die Einfuhr von Kulturgut, welches in Vertragsstaaten gemäß der UNESCO Konvention von 1970 als national wertvolles Kulturgut geschützt ist371 . Sowohl für die Einfuhr von Kulturgut aus anderen Staaten nach Deutschland als auch für die Ausfuhr von Kulturgut gemäß den europäischen Rechtsvorschriften und/oder dem KultgSchG aus Deutschland in ein anderes Land kommt den Zollstellen eine wichtige Überwachungsfunktion zu372 : bei fehlenden Genehmigungen können die jeweiligen Objekte durch den Zoll in Verwahrung genommen oder beschlagnahmt werden373 . In diesem Zusammenhang wird eine „fachgerechte Aufbewahrung, Beförderung oder Rücksendung“374 durch die Zollstellen erwähnt. Des Weiteren werden Vorschriften zur Ahndung von Zuwiderhandlungen festgelegt375. Als solche gelten nicht nur die unerlaubte Ausfuhr oder Einfuhr376, sondern auch Beschädigung oder Zerstörung377 von durch die Zollstellen angehaltenem Kulturgut, so dass zumindest in diesem Spezialfall auf einen Bestandsschutz (1. Ebene) hingewiesen wird. Das Gesetz enthält keine eigene Definition von Kulturgut, sondern als dieses gilt, was in die Verzeichnisse national wertvollen Kulturgutes gemäß dem KultgSchG eingetragen ist. Im Zusammenhang mit den Bestimmungen der internationalen Vorschriften bezüglich der Aufzeichnungs- und Mitteilungspflichten des Kunsthandels, welche durch dieses Gesetz ebenfalls umgesetzt werden378, gilt als Kulturgut „ein Gegenstand im Wert von mindestens 1.000 Euro, 1. der zu einer der Kategorien gehört, die in Teil A des Anhangs zur [VO 3911/92] in der jeweils geltenden Fassung 368 § 3, KultGüRückG. 369 § 4, KultGüRückG. 370 §§ 6-13, KultGüRückG; diese sind für die vorliegende Arbeit nicht relevant und werden daher nicht detailliert aufgeführt. 371 § 14, Absatz 1, KultGüRückG; zu diesem Zweck wird vom/von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien ein Verzeichnis des von den Vertragsstaaten geschützten Kulturgutes erstellt und geführt, § 14, Absatz 2, KultGüRückG; Rietschel hält die Bestimmungen des § 14 sowohl aus praktischen Gründen als auch im Sinne der UNESCO Konvention von 1970, die jedem Staat eine freie Entscheidung über zu schützendes Kulturgut zugesteht, für problematisch, vgl. Rietschel, S. 143. 372 § 16, KultGüRückG; des Weiteren Möglichkeiten des aktiven Einschreitens in Verdachtsfällen, § 22, KultGüRückG. 373 § 17, KultGüRückG. 374 § 17, Absatz 3, KultGüRückG. 375 § 20, KultGüRückG. 376 Nach den §§ 8 und 14, KultGüRückG. 377 § 20, Absatz 1, KultGüRückG. 378 § 18, Absatz 1, KultGüRückG.
80 | S AMMLUNGEN DES A DELS aufgeführt sind, und 2. dessen Wert mindestens den in Teil B des Anhangs zu [dieser Verordnung] aufgeführten Wertgruppen entspricht.“379 Da für das Gesetz die Verzeichnisse gemäß dem KultgSchG maßgeblich sind, gilt für dieses die gleiche Kritik des im Vergleich zu anderen Ländern geringen Schutzes und Rietschel stellt fest: „Bei aller Begeisterung über das mit dem [KultGüRückG] Errungene, ist zu bedauern, dass die Bundesregierung mit dem neuen Gesetz von 2007 zunächst auch einen Schlussstrich unter den Kulturgüterschutz gezogen hat. Dies ist zu beklagen, da es in Deutschland noch an einigen Regelungen und Anpassungen fehlt, um einen wahrhaft effektiven Kulturgüterschutz zu gewährleisten.“380
Auf derartige Kritik an diesem Gesetz und seine geringe Wirksamkeit soll durch die Verabschiedung des neuen Kulturgutschutzgesetzes 2016 reagiert werden381 . Verordnung über das Verzeichnis wertvollen Kulturgutes nach dem Kulturgüterrückgabegesetz (Kulturgüterverzeichnis-Verordnung), 15. Oktober 2008382 Die Verordnung basiert auf § 14, Absatz 3 des KultGüRückG und behandelt die Erstellung eines Verzeichnisses der „Gegenstände, die von den Vertragsstaaten [der UNESCO Konvention 1970] als besonders bedeutsam bezeichnet worden sind“383. Bei der Aufnahme in das Verzeichnis müssen unter anderem Objektart, Bezeichnung, Name der Sammlung, der Bibliothek oder des Archivs, Herkunftsort, Datierung, Material, Technik, Maße und Stückzahl oder Umfang sowie ein Foto angegeben werden384. Die Vertragsstaaten gemäß der UNESCO Konvention beantragen die Eintragung bei der Zentralstelle des Bundes385. 2.1.3 Rechtliche Situation – Niedersachsen Verordnung über die Eintragung von national wertvollem Kulturgut, 27. Juli 1957386 Da das KultSchG das Führen der Verzeichnisse national wertvollen Kulturgutes als Länderaufgabe definiert, war es nötig, für diese entsprechende Vorschriften zu erlassen. Das Land Niedersachsen legt in dieser Verordnung fest, dass der Eigentümer
379 380 381 382
383 384 385 386
§ 18, Absatz 2, KultGüRückG. Rietschel, S. 163. Vgl. Bundesregierung Informationen zum Kulturgutschutzgesetz. Verordnung über das Verzeichnis wertvollen Kulturgutes nach dem Kulturgüterrückgabegesetz, (Kulturgüterverzeichnis-Verordnung), 15. Oktober 2008, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/kultgvv/BJNR200200008.html, folgend: KultgVV. § 1, Absatz 2, KultgVV. § 2, Absatz 2, KultgVV. § 4, Absatz 1, KultgVV. Verordnung über die Eintragung von national wertvollem Kulturgut, 27. Juli 1957, online abrufbar: http://www.nds-voris.de/jportal/portal/t/3wgr/page/bsvorisprod.psml?pid=Doku mentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofres ults=7&fromdoctodoc=yes&doc.id=jlr-NatKultVNDrahmen%3Ajuris-lr00&doc.part=X &doc.price=0.0&doc.hl=1#focuspoint, folgend: NatKultVND.
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selbst die Eintragung in ein solches Verzeichnis beantragen kann387, indem er einen entsprechenden Antrag an den Kultusminister richtet, welcher neben der Angabe des Aufbewahrungsortes und einer Objektbeschreibung auch die Begründung zur Notwendigkeit der Eintragung enthält388. Die Eintragung wird schließlich durch die oberste Landesbehörde eingeleitet389. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern sind in Niedersachsen leitende Vertreter aus Museen, Bibliotheken oder Archiven nicht antragsberechtigt390. Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz, 30. Mai 1978 und dessen letzte Änderung mit Wirkung zum 1. Oktober 2011391 Bereits einleitend erfasst das Gesetz die wesentlichen Aufgaben des Denkmalschutzes, welche sowohl den Bestandsschutz (1. Ebene) als auch – allerdings mit Einschränkung – die Erreichbarkeit des kulturellen Erbes (2. Ebene) beinhalten: „Kulturdenkmale sind zu schützen, zu pflegen und wissenschaftlich zu erforschen. Im Rahmen des Zumutbaren sollen sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.“392 Diese Aufgaben werden als „öffentliche Aufgaben“393 erkannt und als solche dem Land zugeschrieben, allerdings in Zusammenarbeit mit den Landkreisen und Gemeinden sowie Kommunalverbänden. In Zusammenhang mit den Bauaufsichtsbehörden bilden diese die unteren Denkmalschutzbehörden394, welche bis auf Ausnahmefälle zuständig sind395, während das Ministerium für Wissenschaft und Kultur oberste Denkmalschutzbehörde ist und die Fachaufsicht ausübt396 . Die fachliche Beratung – auch der Denkmalschutzbehörden397 – ist Aufgabe des Landesamtes für Denkmalpflege, das zudem für die wissenschaftliche Erfassung der Kulturdenkmale 387 388 389 390 391
392 393 394 395
396 397
§ 1, NatKultVND. § 2, NatKultVND. § 3, NatKultVND. Vgl. Hipp, S. 84. Niedersächsisches Denkmalschutzgesetz, 30. Mai 1978 (letzte berücksichtigte Änderung: § 22a eingefügt durch Gesetz vom 26. Mai 2011 – Nds. GVBl. S. 135), online abrufbar: http://www.ndsvoris.de/jportal/portal/t/3xl7/page/bsvorisprod.psml?pid=Dokumentanzei ge&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=7&numberofresults=68&fr omdoctodoc=yes&doc.id=jlr-DSchGNDrahmen%3Ajuris-lr00&doc.part=X&doc.price=0 .0&doc.hl=1#focuspoint, folgend: DSchG ND; da der Bereich der Bodenfunde für die vorliegende Arbeit nicht relevant ist, werden die zugehörigen Bestimmungen der §§ 1218 nicht genauer behandelt. Eine Ausnahme bildet das so genannte Schatzregal: „Bewegliche Denkmale, die herrenlos oder so lange verborgen gewesen sind, daß ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum des Landes Niedersachsen, wenn sie bei staatlichen Nachforschungen entdeckt werden.“, § 18, DSchG ND. § 1, DSchG ND. § 2, DSchG ND. § 19, Absatz 1, DSchG ND. § 20, DSchG ND; zu deren Unterstützung können durch die unteren Denkmalschutzbehörden im Einvernehmen mit dem Landesamt für Denkmalpflege ehrenamtlich tätige „Beauftragte für die Denkmalpflege“ bestellt werden, § 22, DSchG ND. § 19, Absatz 3, DSchG ND. § 26, DSchG ND.
82 | S AMMLUNGEN DES A DELS zuständig ist398. In Fällen mit besonderer Bedeutung ist es von den Denkmalschutzbehörden einzuschalten399. Museen unter privater Trägerschaft – was bei Schlossmuseen teilweise der Fall ist – unterstehen in Niedersachsen direkt dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur, welches allerdings nur beratend tätig werden kann400 . Einzelne bewegliche Denkmale oder das die Sammlung des Museums beherbergende Gebäude können jedoch zusätzlich zu dieser Beratung durch das Denkmalschutzgesetz geschützt sein401. Neben den Behörden obliegen die Aufgaben der Denkmalpflege den Eigentümern und Besitzern von Kulturdenkmalen402. Letztgenannten kommt die Pflicht zur Erhaltung zu, welche neben Instandhaltung auch Schutz sowie gegebenenfalls Instandsetzung beinhaltet403 . Für das Feststellen der Denkmaleigenschaft ist der Zustand des Objektes nicht von Bedeutung, so dass sich auch Instandsetzungspflichten ergeben können, die aus Beschädigungen früherer Zeiten hervorgehen404. Im Fall von Baudenkmalen soll auch durch eine angemessene Nutzung die Erhaltung gewährleistet werden405. Die Erhaltungspflicht beinhaltet neben dem Bestandsschutz zudem Aspekte des Abwanderungsschutzes (3. Ebene) beziehungsweise des Kontexterhaltes (4. Ebene), wobei der Gesetzestext hier allerdings sehr vage bleibt: „Kulturdenkmale dürfen nicht [...] so verändert oder von ihrem Platz entfernt werden, daß ihr Denkmalwert beeinträchtigt wird.“406 Eine Erklärung, wann eine solche Veränderung gleichzeitig als Beeinträchtigung des Denkmalwertes anzusehen ist, findet sich nicht. Neben den allgemeinen Bestimmungen wird der Kontexterhalt für Baudenkmale jedoch genauer ausgeführt und durch die Einschränkung verändernder Maßnahmen in der Umgebung festgelegt407 . Diese sind ebenso wie jede andere Veränderung an einem Kulturdenkmal genehmigungspflichtig408 und sind durch die Behörden zu ver398 § 21, DSchG ND. 399 § 26, DSchG ND. 400 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 240; in Bayern und im Saarland werden sie dagegen insgesamt vom Denkmalschutzgesetz erfasst, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 239. 401 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 240. 402 § 2, DSchG ND. 403 § 6, Absatz 1, DSchG ND. 404 Eine Trennung des Ist-Zustandes von der Einschätzung des Denkmalwertes ist vor allem von Bedeutung zur Vorbeugung einer bewussten Verwahrlosung, um dem Denkmalschutz zu entgehen, vgl. Backhaus, S. 91. 405 § 9, DSchG ND. 406 § 6, Absatz 2, DSchG ND. 407 § 8, DSchG ND. 408 § 10, DSchG ND, diesbezüglich ist auch die Nutzungsänderung an einem Baudenkmal genehmigungspflichtig, § 10, Absatz 1, Satz 3, DSchG ND; genehmigungsfrei sind dagegen Instandsetzungsmaßnahmen, die nur Teile eines Kulturdenkmals betreffen, welche nicht bedeutend für dessen Denkmalwert sind, § 10, Absatz 2, DSchG ND; ebenso genehmigungsfrei sind Maßnahmen an Kulturdenkmalen im Eigentum oder Besitz des Bundes oder des Landes, die vom Staatlichen Baumanagement Niedersachsen ausgeführt werden oder Maßnahmen an Kulturdenkmalen im Eigentum oder Besitz einer von der Klosterkammer Hannover verwalteten Stiftung, welche durch diese ausgeführt werden, DSchG ND § 10, Absatz 5, DSchG ND.
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sagen oder nur mit Auflagen zu genehmigen, wenn sie gegen die Inhalte des Gesetzes verstoßen409 . Infolge eines ungenehmigten Eingriffs in ein Kulturdenkmal oder dessen Umgebung kann die Denkmalschutzbehörde die Wiederherstellung des vorherigen Zustands verlangen410. Gefahren für ein Kulturdenkmal sind abzuwenden oder den Behörden zu melden411, und diese sind berechtigt, nach Ankündigung Grundstücke sowie Wohnungen „zur Abwehr einer dringenden Gefahr für ein Kulturdenkmal“412 zu betreten. Es ist ihnen erlaubt, Kulturdenkmale zu wissenschaftlichen Zwecken, wie beispielsweise der Inventarisation, zu besichtigen, und die Eigentümer und Besitzer sind diesbezüglich zur Erteilung von Auskünften verpflichtet413. In Ausnahmefällen sind enteignende Maßnahmen zulässig, wenn nur diese den Erhalt oder die wissenschaftliche Auswertung des Kulturdenkmals gewährleisten414. Während das Gebot für die Erhaltung eines Kulturdenkmals an den Eigentümer gerichtet ist, gilt das Veränderungsverbot für jedermann415. Eingriffe in Kulturdenkmale aus wissenschaftlichen Gründen – oder wenn dies im öffentlichen Interesse ist – müssen genehmigt werden416. Einer Überprüfung unterliegt ebenso die mögliche unzumutbare wirtschaftliche Belastung des Eigentümers durch die ihm auferlegten Verpflichtungen417 : „Unwirtschaftlich in dem hier gemeinten Sinne können beispielsweise [...] Denkmale sein, die ihren Zweck infolge geänderter Lebens- und Wirtschaftsformen verloren haben und für die sich keine andere geeignete Nutzung findet. Gleiches gilt [...], wenn mit der denkmalgerechten Erhaltung eines Gebäudes oder Gebäudeteils praktisch nur eine museale Nutzung vereinbar ist und (aber auch nur dann!) wenn deshalb die Erträge des Hauses nicht die Kosten decken. Zutreffen kann dies ferner für Schlösser, Villen und andere repräsentative Bauten mit aufwendi-
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§ 10, Absatz 3, DSchG ND. § 25, DSchG ND. § 11, Absatz 2, DSchG ND. § 27, Absatz 1, DSchG ND. § 27, Absatz 2, DSchG ND. §§ 30 und 31, DSchG ND. Vgl. Backhaus, S. 99f. § 7, Absatz 2, DSchG ND. § 7, Absatz 1, DSchG ND; die wirtschaftliche Belastung gilt als unzumutbar, wenn „die Kosten der Erhaltung und Bewirtschaftung nicht durch die Erträge oder den Gebrauchswert des Kulturdenkmals aufgewogen werden können.“, öffentliche Zuwendungen und Steuervorteile sind jedoch gegenzurechnen, § 7, Absatz 3, DSchG ND; zudem ist dem Eigentümer eine Entschädigung zu gewähren, wenn Auswirkungen dieses Gesetzes zu unzumutbaren Belastungen führen, § 29, DSchG ND; damit ist das niedersächsische Denkmalschutzgesetz präziser in der Formulierung der Unzumutbarkeit und damit eigentümerfreundlicher als andere Denkmalschutzgesetze, vgl. Backhaus, S. 41; vgl. auch Körner, Raimund Dr.: Denkmalschutz und Eigentumsschutz. Die Pflicht zur Erhaltung von Baudenkmälern im Lichte der grundgesetzlichen Eigentumsgewährleistung, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 614, Berlin 1992, S. 32 und detailliert zur denkmalrechtlichen Wirtschaftlichkeitsberechnung, Körner, S. 148ff.
84 | S AMMLUNGEN DES A DELS ger Architektur, übergroßem Bauvolumen oder Grundrissen, die heutigen Wohn- oder Arbeitsbedürfnissen nicht mehr entsprechen [...].“418
Um dem entgegenzuwirken, trägt das Land „zu den Kosten der Erhaltung und Instandsetzung von Kulturdenkmalen nach Maßgabe der im Haushaltsplan bereitgestellten Mittel bei“419 . Für Kulturdenkmale im Eigentum von Land, Gemeinden, Landkreisen und sonstigen Kommunalverbänden gelten die Einschränkungen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit nicht, allerdings gelten auch für sie die Verpflichtungen ausschließlich „im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit“420. Da das Gesetz keinen direkten Abwanderungsschutz enthält, sind Verkäufe beweglicher Denkmale zwar anzuzeigen, aber nicht eingeschränkt421. Das Vernachlässigen der Anzeigepflicht gilt als Ordnungswidrigkeit und kann durch Geldstrafen und Einzug von Kulturdenkmalen bestraft werden422 . Zerstörungen können mit Geldstrafen und Freiheitsentzug geahndet werden423. Die Definition eines Kulturdenkmals im Sinne des Gesetzes gliedert sich in vier Kategorien, nämlich Baudenkmale, bewegliche Denkmale sowie, für diese Arbeit weniger bedeutende, Bodendenkmale und Denkmale der Erdgeschichte424 , an deren Erhaltung „wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht.“425 Dabei können sich Baudenkmale auch aus mehreren baulichen Anlagen zusammensetzen426 und bewegliche Denkmale Sachgesamtheiten bilden427 . Im Falle der beweglichen Denkmale ist
418 Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 937. 419 § 32, DSchG ND; es ist kritisch zu hinterfragen, wie weit die in den §§ 2 und 19 formulierte Aufgabe des Landes reichen kann, wenn all diese Maßnahmen vom jeweiligen Haushaltsplan abhängig sind, da durch die Zumutbarkeitseinschränkung für den Eigentümer ein hoher finanzieller Aufwand vom Land getragen werden muss, vgl. Backhaus, S. 17 und 136; vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 1011. 420 § 7, Absatz 4, DSchG ND. 421 § 11, Absatz 1, DSchG ND. 422 § 35, DSchG ND. 423 § 34, DSchG ND. 424 § 3, Absatz 1, DSchG ND. 425 § 3, Absatz 2, DSchG ND; voraussetzendes Merkmal für Kulturdenkmale ist deren Erschaffung von Menschenhand, § 3, Absatz 4-5, DSchG ND, was laut Backhaus gewährleistet, dass nur geschützt wird, „was Dokument unserer kulturellen Entwicklung ist.“, Backhaus, S. 79. 426 § 3, Absatz 3, DSchG ND. 427 § 3, Absatz 5, DSchG ND; der Begriff „Sachgesamtheiten“ findet sich ebenfalls in Denkmalschutzgesetzen anderer Länder und ist mit dem Begriff der „Sammlung“ vergleichbar; Kleeberg/Eberl führen zur Erläuterung ein Urteil des VGH BW vom 24. März 1998 an, in welchem entschieden wurde, dass vor- und frühgeschichtliche Altertümer, die aus unterschiedlichen Epochen stammen und von verschiedenen Fundorten zusammengetragen wurden, keine Sachgesamtheit bilden, das Merkmal des „Lebenswerkes“ wurde nicht als sammlungsdefinierend anerkannt, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 191; wie bereits an anderer Stelle festgestellt, ist daher der Begriff der Sammlung im Zusammenhang mit
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die Schutzwirkung des Gesetzes nur anzuwenden, wenn sie in ein vom Landesamt für Denkmalpflege geführtes „Verzeichnis der Kulturdenkmale“ aufgenommen wurden, wozu eine „besondere Bedeutung“ Voraussetzung ist428. Die Eintragung stellt einen Verwaltungsakt dar und kann vom Eigentümer durch Widerspruch oder Klage angefochten werden429. Kulturdenkmale der beiden anderen Kategorien sind in jedem Fall in dieses Verzeichnis einzutragen und werden vom Gesetz geschützt430 . In Bezug auf Kulturgut aus dem Kunstbesitz des Adels können von diesem Gesetz sowohl Schlösser und Schlossanlagen geschützt werden als auch Kunst- und Ausstattungsgegenstände, wobei die besondere Bedeutung von Fall zu Fall zu entscheiden wäre, jedoch beispielsweise bei Porträts ehemaliger Regenten gegeben sein sollte. Auch kunsthistorisch qualitativ hochwertige Stücke, welche von geringerem historischem Interesse sind, könnten durch dieses Gesetz geschützt werden. Ebenfalls relevant für den Kunstbesitz des Adels ist so genanntes „Zubehör“ von Baudenkmalen. Dieses gilt als zum Bauwerk zugehörig „wenn [es] mit diesem eine Einheit bild[et]“431, auf welche wiederum das Kriterium einer Bedeutung für Geschichte, Wissenschaft oder Kunst anzuwenden ist. Hier ist daher die Einheit ausschlaggebend, nicht der Wert des Einzelobjektes432 , und es bleibt unklar, welche Objekte eine solche Einheit mit dem Baudenkmal bilden können433 . Bezöge man den
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dem Kulturgüterschutz unbestimmt, und es wird diesbezüglich nötig sein, sich stärker mit diesem auseinander zu setzen. § 4, Absatz 1 sowie § 5, DSchG ND. Vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 926. § 4-5, DSchG ND; die im Verzeichnis der Baudenkmale nach § 94 der Niedersächsischen Bauordnung sowie die in der Denkmalliste des Denkmalschutzgesetzes für das Großherzogtum Oldenburg eingetragenen Kulturgüter unterliegen dem Schutz dieses Gesetzes, § 40, DSchG ND. § 3, Absatz 3, DSchG ND; ähnliche Bestimmungen finden sich in den Denkmalschutzgesetzen der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 75; zum Begriff des „Zubehörs“ im DSchG ND, vgl. auch Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 910f. Vgl. Melchinger, Hansjörg: Das Inventar eines Kulturdenkmals – Schutz des Zubehörs gem. § 2 Abs. 2 Denkmalschutzgesetz, in: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, 1995/2, S. 49; dieser Aufsatz ist auch in Bezug auf das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz zu lesen; Kleeberg/Eberl präzisieren dies am Beispiel des Denkmalschutzgesetzes für Bayern: „In BY können (§ 1 Abs. 2 S. 2) bewegliche Sachen (nur dann) historische Ausstattungsstücke sein, wenn sie integrale Bestandteile einer historischen Raumkonzeption oder einer ihr gleichzusetzenden historisch abgeschlossenen Neuausstattung oder Umgestaltung sind. Dies entspricht mit anderen Worten etwa den Regelungen der anderen Länder.“ Und weiter: „Eine mangels passender Räumlichkeiten in einem Schloss abgestellte Bibliothek dürfte daher nicht als Ausstattung des Schlosses anzusehen sein.“, Kleeberg/Eberl, S. 75; diesbezüglich stellt sich jedoch unweigerlich die Frage, ob man auch über Jahrzehnte in einem Schloss untergebrachte Objekte als „abgestellt“ bezeichnen kann; vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 910. Laut Melchinger sind diezbezügliche Streitigkeiten von Eigentümern und Behörden häufig, was auch mit der Frage zusammenhängt, ob der Zubehör-Begriff der Denkmal-
86 | S AMMLUNGEN DES A DELS Begriff des Zubehörs nur auf Bauteile wie beispielsweise Treppen und Türen, wäre anzumerken, dass der Begriff aufgrund der Schutzmaßnahmen für Baudenkmale überflüssig wäre, da jeglicher Eingriff – auch in Bezug auf diese – ohnehin genehmigungspflichtig ist. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert weisen diesbezüglich darauf hin, dass der Begriff „Zubehör“ dem Begriff „Ausstattungsgegenstände“, der in den Entwürfen des Gesetzes zu finden war, vorgezogen wurde, um an den bürgerlichrechtlichen Zubehör-Begriff anknüpfen zu können434. Dieser bezeichnet im Gegensatz zu „Bestandteilen“ ausschließlich bewegliche Gegenstände, die nicht dauerhaft mit dem Baudenkmal in Verbindung stehen müssen435. Melchinger nennt explizit Mobiliar von Schlössern als Beispiel und fasst zusammen: „Deshalb umfasst der denkmalschutzrechtliche Begriff des Zubehörs in dem weiten Sinne von Ausstattung alle Sachen, die in ein Kulturdenkmal eingebracht wurden, damit das Bauwerk seine ursprüngliche oder auch später geänderte Aufgabe und Funktion in angemessener Weise erfüllen kann.“436
Wie auch für bewegliche Denkmale gilt für das Zubehör, dass eine Unterschutzstellung die Kenntnis über dessen Vorhandensein voraussetzt437 , was wiederum eine genaue Besichtigung und Inventarisation eines jeden Baudenkmals oder aber Sonderregelungen für bestimmte Gruppen von Baudenkmalen nötig machen würde. Eingrenzend gilt insgesamt, dass für jedes Kulturdenkmal ein „öffentliches Interesse“ an dessen Erhaltung bestehen muss438, wobei dieses nicht im materiellen oder ästhetischen Wert begründet liegen soll439. Aus diesem Grund ersetzt die Formulierung den Begriff der „besonderen Bedeutung“ früherer Gesetzgebungen440 , welcher allerdings in der internationalen Rechtslage noch häufige Verwendung findet. Gesondert zu erwähnen ist die Änderung des Denkmalschutzgesetzes mit Wirkung zum 1. Oktober 2011, welcher der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Nieder-
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schutzgesetze von dem des BGB zu trennen sei: „Mobiliar, nicht fest eingebaute Möbel, Beleuchtungsgeräte sowie sonstige Gegenstände, die ohne Beschädigung aus dem Gebäude entfernt werden können, wie Gemälde, Statuen o.ä., werden, da sie nicht der Hauptsache dienen oder sich i.d.R. zumindest nur vorübergehend bzw. über einen begrenzten Zeitraum in dem Gebäude befinden, in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung generell nicht als Zubehör i.S.d. § 97 BGB qualifiziert.“, Melchinger, S. 49. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 910. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 910. Melchinger, S. 50; Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert formulieren dies in ähnlicher Form: „Gedacht ist hier z.B. an Mobiliar, Altargerät usw., das seit langem zur Ausstattung des Baudenkmals gehört oder eigens für das Gebäude hergestellt oder gestiftet wurde und deshalb dazu beiträgt, die mit dem Bauwerk verbundene Geschichte lebendig zu machen, oder das mit ihm zusammen ein ‚Gesamtkunstwerk‘ bildet.“, GrosseSuchsdorf/Schmaltz /Wiechert, S. 910-911. Vgl. Melchinger, S. 52. § 3, Abatz 2, DSchG ND. Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 62. Vgl. Backhaus, S. 87f.
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sächsischen Denkmalschutzgesetzes vom 11. Januar 2011441 zugrunde liegt. Die Änderungen stehen vor allem im Zusammenhang mit der UNESCO Konvention 1972 und – wenn auch nicht gesondert genannt – dem Europäischen Übereinkommen zum Schutz des archäologischen Erbes von 1992442 und haben diesbezüglich bedeutende Aspekte umgesetzt443. Der Gesetzesentwurf und die auf diesem beruhenden Änderungen bemühen sich um einen stärkeren Austausch zwischen Eigentümern und Denkmalschutzbehörden: eine Anhörung des Eigentümers bereits vor der Eintragung eines Baudenkmals444 soll einerseits den Dialog fördern und andererseits zu einem frühen Zeitpunkt rechtliche Schritte gegen diese Eintragung ermöglichen. Im Falle von beweglichen Denkmalen bleiben die Änderungen hinter dem Gesetzesentwurf zurück. Dieser beinhaltete die Möglichkeit der Anordnung einer vorläufigen Unterschutzstellung, sofern die Denkmalschutzbehörden die Eintragung eines solchen Denkmals erwarten können445 . So sollte den unteren Behörden die Möglichkeit der Erfassung von Kulturdenkmalen gegeben werden, wenn beispielsweise durch Bekanntwerden einer geplanten Veräußerung davon ausgegangen werden kann, dass dies zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich sein wird. Hier nimmt der Gesetzesentwurf sowohl Bezug auf das KultgSchG446 als auch auf die Denkmalschutzgesetze in Baden-Württemberg, Bremen und Nordrhein-Westfalen447. Umgesetzt wurde jedoch die Regelung, dass das Landesamt für Denkmalpflege die untere Denkmalschutzbehörde über beabsichtigte Eintragungen von beweglichen Denkmalen unterrichtet448, so dass die vorläufige Eintragung an diese Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege gekoppelt wird. Zügige Reaktionen wer441 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes, Niedersächsischer Landtag − 16. Wahlperiode, Drucksache 16/3208, der Niedersächsische Ministerpräsident, Hannover, 11. Januar 2011, online abrufbar (von dieser Seite ausgehend): http://www.nilas.niedersachsen.de/starweb/NILAS/servlet.starweb?path=NI LAS/lisshfl.web&id=nilaswebfastlink&search=%28%28%28%28fastw%2cdarts%2c1des 2%2curhsup%2curpsup%2cdurpsup%3d%28%28%2216%22+and+%223208%22%29% 29+OR++%28FASTDAT%3d3208+16+00%29%29%29+NOT+TYP%3dPSEUDOVOR GANG%29+NOT+%281SPER%2cSPER%3d%3f%2a%29%29+AND+WP%3d16&for mat=WEBKURZFL. 442 European Convention on the Protection of the Archaeological Heritage (Revised), Valetta, 16. Januar 1992, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/1 43.htm, folgend: Archäologisches Erbe-Konvention; diese Konvention wird nicht einzeln aufgeführt und vorgestellt, da der Bezug zu heutigem Adelsbesitz nicht gegeben ist. 443 Artikel 1, Punkt 1, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 2, Absatz 3, DSchG ND; so z.B. die Erweiterung der Definition um „Denkmale der Erdgeschichte“, Artikel 1, Punkt 2, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 3, Absatz 1 und 6, DSchG ND. 444 Artikel 1, Punkt 3, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 4, Absatz 4, DSchG ND. 445 „Erwartet die Denkmalschutzbehörde, dass ein bewegliches Denkmal in das Verzeichnis der Kulturdenkmale eingetragen werden wird, so kann sie gegenüber dem Eigentümer anordnen, dass das Denkmal vorläufig als eingetragen gilt.“, Artikel 1, Punkt 3, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 5, Absatz 2 DSchG ND. 446 § 4, Absatz 1, KultgSchG. 447 Besonderer Teil, zu Artikel 1, zu § 5, Gesetzesentwurf DSchG ND. 448 § 4, Absatz 4, DSchG ND.
88 | S AMMLUNGEN DES A DELS den durch diese Koppelung und folgenden Wortlaut kaum möglich sein: „Ist die Denkmalschutzbehörde nach § 4 Abs. 4 Satz 5 über die beabsichtigte Eintragung eines beweglichen Denkmals in das Verzeichnis der Kulturdenkmale unterrichtet worden, so kann sie gegenüber dem Eigentümer anordnen, dass das Denkmal vorläufig als eingetragen gilt.“449 Es ist einerseits verständlich, dass das Einschreiten in diesen Fällen von den fachlich dazu besser geeigneten Landesbehörden ausgehen soll, allerdings stehen diese in keinem direkten Kontakt zu den privaten Eigentümern450. Zudem obliegt die Ausführung wiederum den unteren Denkmalschutzbehörden, so dass auch bei Kenntnis eines entsprechenden Falles die Landesbehörden nicht selbst schnell reagieren können. Umgesetzt wurde eine Präzisierung der Erhaltungspflichten. Das geänderte Gesetz fordert diesbezüglich eine „fachgerecht[e]“ Durchführung der Instandhaltungsund Pflegemaßnahmen451 und ergänzt Auflagen im Falle der Zerstörung eines Kulturdenkmals, welche auch Untersuchungen und Dokumentation beinhalten452. Ebenso wurden die Grenzen der Erhaltungspflicht präzisiert und um öffentliche Interessen in Bezug auf Umweltschutz sowie das Leben älterer Menschen ergänzt453 . Diese Neuerung, die sich vor allem auf Baudenkmale bezieht, ist eine weitere Maßnahme, die versucht, eine größere Akzeptanz des Gesetzes durch die Eigentümer zu erreichen. Bezüglich der beweglichen Denkmale werden einerseits die Auflagen verschärft, indem auch an diesen Veränderungsmaßnahmen genehmigungspflichtig werden454. Andererseits wurde eine drastische Änderung nicht umgesetzt. Der Gesetzesentwurf sah eine Streichung des Wortes „eingetragenes“ (bewegliches Denkmal) vor, womit sich die Formulierung „Wird ein bewegliches Denkmal veräußert, so haben der frühere und der neue Eigentümer den Eigentumswechsel unverzüglich der Denkmalschutzbehörde anzuzeigen.“455 ergeben hätte. Die Bedeutung dieser Änderung wäre enorm gewesen, da durch Veräußerung bedingte Standortwechsel jedes beweglichen Kulturdenkmals – und damit aller „bewegliche[n] Sachen und Sachgesamtheiten, die von Menschen geschaffen oder bearbeitet wurden oder Aufschluss über menschliches Leben in vergangener Zeit geben“456 und „an deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, wissenschaftlichen oder städtebaulichen Bedeutung ein öffentliches Interesse besteht“457 – anzeigepflichtig geworden wären. Diese Anzeigepflicht wäre damit von der Eintragung in ein Denkmalverzeichnis gelöst worden mit der Folge, dass die Denkmalschutzbehörden über nahezu jeden Verkauf eines Kunstobjektes hätten informiert werden müssen. Die Auswirkungen auf den Kunstmarkt sowie der enorme Verwaltungsaufwand wären kaum vorstellbar gewesen. Wenn 449 § 5, Absatz 2, DSchG ND. 450 Vgl. Neuorganisation der Denkmalpflege in Niedersachsen ab 1.1.2005, online abrufbar (von dieser Seite ausgehend): http://www.denkmalpflege.niedersachsen.de/live/live.php? navigation_id=12611&article_id=55646&_psmand=45. 451 Artikel 1, Punkt 4 a), Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 6, Absatz 1, DSchG ND. 452 Artikel 1, Punkt 4 b), Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 6, Absatz 3, DSchG ND. 453 Artikel 1, Punkt 5, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 7, Absatz 2, DSchG ND. 454 Artikel 1, Punkt 6 a), Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 10, Absatz 1, DSchG ND. 455 Artikel 1, Punkt 7, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 11, Absatz 1 DSchG ND. 456 § 3, Absatz 5, DSchG ND. 457 Artikel 1, Punkt 2 b), Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 3, Absatz 2, DSchG ND.
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auch der Hintergrund – die Erfassung von Kulturdenkmalen zu verstärken – verständlich erscheint, so hätte diese Auflage doch kaum im Verhältnis zum verursachten Aufwand gestanden. Vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, dass diese Kulturdenkmale keinem Bestandsschutz unterliegen – und auch durch die Änderung nicht unterlegen hätten – , da für diesen wiederum die Eintragung in das Verzeichnis der Kulturdenkmale Voraussetzung ist458. Als Versuch einer stärkeren wissenschaftlichen und dokumentarischen Ausprägung des praktischen Denkmalschutzes ist zu werten, dass die oberste Denkmalschutzbehörde durch die Gesetzesänderung beratende Kommissionen für die unterschiedlichen Denkmalbereiche einrichten kann459 . Diese Entwicklung muss als unbedingt notwendig angesehen werden, da – wie oben bereits deutlich wurde – in der Struktur und Zusammensetzung der Denkmalbehörden wesentliche Probleme der praktischen Ausführung des Denkmalschutzes begründet liegen. Die enge Verbindung der unteren Denkmalschutzbehörden mit den Bauaufsichtsbehörden führt zu der bereits im Gesetz angelegten stärkeren Beschäftigung mit Baudenkmalen (im Vergleich zu beweglichen Denkmalen)460. Diese Behörden sind in der Regel fachlich nicht dazu ausgebildet, gerade im Bereich der beweglichen Denkmale tätig zu werden, und doch liegen auch für diesen wichtige Entscheidungen in deren Ermessen461. Das Landesdenkmalamt, das fachlich darauf eingerichtet ist, steht dagegen wiederum in keinem direkten Kontakt zu den privaten Eigentümern, so dass dessen Einschreiten ebenso wenig gewährleiset ist462. Diese Problematik wirkt sich zudem auf die Erfassung der Denkmale aus, für welche in Niedersachsen das Landesdenkmalamt zuständig ist. Die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland wies 2005 darauf hin, wie bedeutungsvoll gerade dieses sehr zeitaufwändige Aufgabenfeld der Inventarisation ist: „Denkmalschutz und Denkmalpflege sind immer nur so gut, wie unsere Kenntnisse von den Denkmälern. Die Denkmalinventarisation weist die Objekte aus, die als Quellen und Zeugnisse menschlicher Geschichte unsere Kulturlandschaften prägen.“463 Die Inventarisation ist daher in allen Bundesländern in den Denkmalschutzgesetzen verankert und zu dieser gehört immer auch die Veröffentlichung, so dass mit dem Denkmalschutz gleichzeitig ein Bildungs- und Informationsauftrag verknüpft ist. Zudem kann eine Entscheidung über die Denkmaleigenschaft eines Objektes erst nach der Objekterfassung sowie der zu458 Artikel 1, Punkt 3, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 4, Absatz 1, DSchG ND sowie Artikel 1, Punkt 3, Gesetzesentwurf DSchG ND zu § 5, Absatz 1, DSchG ND. 459 Artikel 1, Punkt 16, Gesetzesentwurf DSchG ND zur Einfügung des § 22a, DSchG ND; damit wird das Denkmalrecht in Niedersachsen auch den Denkmalschutzgesetzen der anderen Länder angeglichen, welche alle ein ehrenamtliches Beratergremium vorsehen, vgl. Backhaus, S. 127. 460 Die Fokussierung auf den Baudenkmalschutz und die als marginal betrachtete Behandlung beweglicher Denkmale findet sich auch in der Fachliteratur, vgl. Körner, S. 18. 461 § 23, Absatz 1, DSchG ND. 462 Vgl. Neuorganisation der Denkmalpflege in Niedersachsen ab 1.1.2005. 463 Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler, November 2005, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o. O] 2007, S. 376.
90 | S AMMLUNGEN DES A DELS gehörigen Literatur- und Quellenrecherche erfolgen464. Eine enge Zusammenarbeit der Behörden ist also Voraussetzung für eine funktionierende Schutzarbeit. Die auf diesem Gebiet geringe Tätigkeit vor allem in Deutschland stellt aktuell auch Pozsgai fest, welcher die Inventarisation als „unverzichtbaren Forschungszweig“ bezeichnet, „der derzeit kaum Konjunktur hat und zudem von der Forschungsförderung sträflich vernachlässigt wird.“465 Bezeichnend ist auch, dass der Denkmalschutz und die Denkmalpflege, welchen – wie oben beschrieben – grundlegende Schutzmaßnahmen des kulturellen Erbes obliegen, bisher stärker als Disziplin des Bauwesens in Erscheinung treten denn als eine der Kulturwissenschaften. Besonders die Inventarisation wird darüber hinaus kaum als hochwertige wissenschaftliche Aufgabe dieser Disziplin angesehen466 . Die Einrichtung eines Masterstudiengangs „Denkmalpflege – Heritage Conservation“ an deutschen Hochschulen467 erscheint als Schritt in die richtige Richtung468 . Allerdings 464 Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler, S. 378. 465 Pozsgai, Martin: Rezension: Die letzte Großbaustelle des Sonnenkönigs: Abschließendes zur Schlosskapelle in Versailles. Alexandre Maral: La Chapelle royale de Versailles. Le dernier grand chantier de Louis XIV., Paris 2011, in: Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege, herausgegeben vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Mitteilungsblatt des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e.V., 66. Jahrgang/Heft 6, Juni 2013, S. 274; seiner Aussage „Eine Fortsetzung der Inventarisierung von Schlössern in Deutschland und Frankreich wäre wünschenswert.“, Pozsgai, S. 278, ist daher uneingeschränkt zuzustimmen; des Weiteren führt diese zu rechtzeitigen Maßnahmen der Unterschutzstellung, welche momentan in der Umsetzung Schwierigkeiten verursachen. Dazu beschreibt Graf das Beispiel einer Verauktionierung von Gemälden aus Schloss Ludwigslust, von welcher das Landesdenkmalamt (Mecklenburg-Vorpommern) erst am Tag der Auktion erfuhr, obwohl Museen der Region bereits vor Wochen den Katalog erhalten hatten, Graf, Klaus: Vom Winde verweht: Schlossausstattungen von Ludwigslust (Mecklenburg) und Niederstotzingen (Ostwürttemberg), in: Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege, 52. Jahrgang, November 1999, Heft 11, herausgegeben vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Mitteilungsblatt des Verbandes deutscher Kunsthistoriker e.V., S. 524. 466 „Jeder Wissenschaftler weiß zwar, dass die Erfassung von Beständen die Voraussetzung zu historischer Forschung ist; aber er weiß auch, dass die Erfassung bei großen Mengen von ähnlichem oder ungeordnetem Material oft langwierig ist und Ausdauer, System und Gewissenhaftigkeit verlangt. Deshalb neigen Wissenschaftler dazu, die Erfassungskampagnen als ‚niedere‘ Vorarbeiten anzusehen und sie, wenn möglich, zu delegieren. Dieses Selbstverständnis vieler Wissenschaftler kann bei einer Förderung von Erfassungsunternehmen hinderlich sein.“, von Rohr 1977, S. 156. 467 Zur Zeit des Verfassens dieser Arbeit sind mir folgende Hochschulen bekannt, welche diesen Studiengang anbieten: HS Anhalt in Kooperation mit der Universität HalleWittenberg, Universität Bamberg in Kooperation mit der HS Coburg, TU Berlin. 468 Bereits Beseler betonte die Notwendigkeit der umfassenden Ausbildung im Bereich der Denkmalpflege, um den vielfältigen Belangen der Eigentümer, Kirchen, Baubehörden, Restauratoren, Schlösserverwaltungen usw. gerecht zu werden, vgl. Beseler 1972, S. 69f.
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nur dann, wenn die Absolventen dieses Studienganges auch an den Stellen eingesetzt werden können, welche sich nicht nur mit Kulturgut in öffentlicher Hand, sondern auch in Privatbesitz beschäftigen. Zudem muss sich dieses Studium von den herkömmlichen Einschränkungen der Denkmalpflege lösen, was angesichts der Beschreibung des Studieninhaltes jedoch fraglich ist469. Zweifelsohne haben sich die Aufgaben der Denkmalschutzbehörden in den letzten Jahrzehnten verändert und wurden vielfältiger470 und gerade die Inventarisationsarbeit wächst stetig an471. Die Folgerung aus dieser Erkenntnis kann jedoch nicht die Weiterführung einer Vernachlässigung beweglicher Denkmale sein, sondern muss zu einer verbesserten Ausstattung der Behörden führen. Als fatale Fehleinschätzung ist in diesem Zusammenhang die Meinung Kleeberg/Eberls zu werten, dass „Objekte, die Gegenstand eines Sammlerinteresses sind, ohnehin meist pfleglich behandelt werden.“472 Die Denkmalschutzgesetze sind die einzigen umfangreichen Gesetze zum Bestandsschutz des kulturellen Erbes in Deutschland, ihre Bedeutung ist daher nicht hoch genug einzuschätzen. Von Rohr weist in diesem Zusammenhang auch auf die nötige Inventarisation von beweglichem Kulturgut in öffentlichem Besitz sowie im Besitz
469 Im Fall der HS Anhalt ist der Studiengang Denkmalpflege dem Fachbereich „Architektur, Facility Management und Geoinformation“ unterstellt, was darauf hinweist, dass hier die enge Verbindung zum Baudenkmalschutz sowie der Archäologie weitergeführt wird. Die Beschreibung der zugehörigen Internetseite bestätigt diesen Eindruck: „Die Ausbildung umfasst sämtliche kunsthistorische, archäologische und architektonische Aspekte von Kulturdenkmälern. Absolventen kennen die speziellen Besonderheiten dieser Gebäude. Sie erlernen die Zusammenhänge zwischen ausgegrabenen Baubefunden und existierenden Bauwerken. Ihr sicherer Umgang mit historischer Bausubstanz ist eine wertvolle – und bislang viel zu selten vorhandene – wissenschaftliche Zusatzqualifikation. Mit ihr stehen hoch interessante berufliche Möglichkeiten offen.“, http://www.hs-anhalt. de/nc/fachbereich/fb-3-architektur-facility-management-und-geoinformation/studiengaen ge/studiengang/denkmalpflege.html; auch das Studium der Universität Bamberg scheint hauptsächlich auf die Baudenkmalpflege und Archäologie abzuzielen: http://www.unibamberg.de/iadk/; das gleiche Bild ergibt sich bei der Betrachtung der Studienbeschreibung durch die TU Berlin: http://www.hbf-msd.tu-berlin.de/menue/masterstudium_ denkmalpflege/. 470 Vgl. von Rohr 1977, S. 94. 471 Vgl. von Rohr 1977, S. 97. 472 Kleeberg/Eberl, S. 193; diese Fehleinschätzung findet sich auch bei Grosse-Suchsdorf /Schmaltz/Wiechert: „Da bewegliche Denkmale meist einen hohen Marktwert haben und Situationen, in denen ein Interesse an ihrer Zerstörung besteht, kaum denkbar sind, werden die Besitzer sie im allgemeinen von sich aus erhalten und pflegen.“, S. 926; dagegen Sax: „While one might expect that owners could be depended on to protect precious artifacts, that is unfortunately not always the case. Important objects have always been at risk even from their owners, not only in the old days of spiritual or revolutionary iconoclasm, but in our times as well.“, Sax, Joseph: Playing Darts with a Rembrandt. Public and Private Rights in Cultural Treasures, Ann Arbor 1999, S. 7.
92 | S AMMLUNGEN DES A DELS der Kirchen hin473 und bringt die Problematik des enormen Aufgabengebietes der Denkmalschutzbehörden auf den Punkt: „Alle historischen Objekte und Dokumente, die nicht ‚unter dem Dach‘ einer Institution aufbewahrt werden, sei es Natur- oder Kulturgut, sind stark den Gefahren des Verfalls und der Vernichtung ausgesetzt. Die Denkmalpflegeämter sind mit den Aufgaben der Erfassung und Erhaltung von Bauten und mobilen Kulturgütern vollständig überlastet.“474
Gerade in diesem Zusammenhang wäre allerdings auch eine länderübergreifende Regelung von Bedeutung: das Gesetz gibt beispielsweise keine Angaben darüber, ob ein eingetragenes bewegliches Kulturgut nach seiner Veräußerung in ein anderes Land automatisch in dessen Schutz übergeht. Die Anzeigepflicht gäbe zwar die Möglichkeit zu einer direkten Übermittlung an die entsprechenden Stellen des neuen Belegenheitslandes, eine gesetzliche Vorschrift wurde daraus jedoch nicht abgeleitet. Zudem weisen die einzelnen Denkmalschutzgesetze selbst in Bezug auf die Definition Unterschiede auf, da ihnen kein gemeinsamer Entwurf zugrunde lag475. Der Versuch einer gemeinsamen Definition klingt daher zunächst sehr vage: „(Kultur-) Denkmale sind [...] Sachen, deren Erhaltung aus bestimmten Gründen im öffentlichen (oder Allgemein-) Interesse liegt“476, wobei zu den genannten „bestimmten Gründen“ in allen Denkmalschutzgesetzen geschichtliche, künstlerische und wissenschaftliche Gründe zählen. In einigen Ländern werden sie ergänzt durch städtebauliche, technik- oder heimatgeschichtliche und volkskundliche Gründe477. Der Begriff des „öffentlichen Interesses“ ist zudem von rechtlicher Bedeutung, um die Einschränkung der Eigentümerrechte zu begründen, und findet sich daher in jedem Denkmalschutzgesetz478. Ein großer Unterschied, der ebenfalls zum Tragen kommt, wenn Kulturgüter von einem Land in ein anderes veräußert werden, ist der Zeitpunkt, zu welchem die Schutzwirkung eintritt, da dies in einigen Ländern erst der Fall ist, wenn sie – wie in Niedersachsen die beweglichen Denkmale – in ein Verzeichnis
473 Vgl. von Rohr 1977, S. 111. 474 Von Rohr 1977, S. 113. 475 Beispielsweise weisen nicht alle Gesetze die Unterteilung in Bau-, Boden- und bewegliche Denkmale auf, vgl. Körner, S. 20. 476 Körner, S. 20. 477 Vgl. Körner, S. 21; vgl. Kleeberg/Eberl, S. 65f. 478 „Die Denkmalschutzgesetze beschränken sich nicht darauf, die Erhaltungsgründe in geschichtliche, künstlerische oder wissenschaftliche Dimensionen aufzufächern; aus diesen Erhaltungsgründen muss sich vielmehr ein öffentliches Erhaltungsinteresse ergeben. Auch dieses Merkmal ist im Lichte der grundrechtlichen Bedeutung von Maßnahmen aufgrund der Denkmalschutzgesetze auszulegen: Ein wie immer geartetes privates Interesse an der Erhaltung wäre nicht geeignet, Grundrechtseingriffe zu legitimieren. Das Grundgesetz verlangt für die Rechtfertigung eigentumsbeschränkender Maßnahmen einen Gemeinwohlzweck, den allein ein öffentliches (oder Allgemein-)Interesse an der Erhaltung zu begründen vermag.“, Körner, S. 22; vgl. auch Backhaus, S. 86; diese Problematik kann jedoch nicht allein aus rechtlicher Sicht betrachtet werden und soll deshalb in Kapitel 2.2 noch einmal aufgegriffen werden.
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eingetragen wurden479 . Eine sinnvolle und konsequente Verknüpfung von Bundesrecht und Länderrecht findet sich in Baden-Württemberg, wo als eines von mehreren Kriterien einer Eintragung beweglichen Kulturgutes auch herangezogen wird, ob dieses als national wertvolles Kulturgut eingestuft wurde480. In Niedersachsen werden in der Praxis nahezu ausschließlich diejenigen beweglichen Kulturgüter erfasst, die bereits nach dem KultgSchG geschützt werden481 , was wiederum eine zu eingeschränkte Auswahl darstellt. Alle Denkmalschutzgesetze enthalten vergleichbare Bestimmungen zum Bestandsschutz482 und in allen Bundesländern gibt es Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung zum Erhalt eines Kulturdenkmals483. Ein Vorkaufsrecht für Kulturdenkmale ist in Niedersachsen im Gegensatz zu sieben anderen Ländern nicht zu finden484. Im Zusammenhang mit den Rechtsvorschriften zum Kulturgüterschutz in Niedersachsen sind abschließend folgende Formulierungen der Niedersächsischen Verfassung485 zu nennen: „Die kulturellen und historischen Belange der ehemaligen Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe sind durch Gesetzgebung und Verwaltung zu wahren und zu fördern.“486 Ebenfalls Bestandteil der Verfassung ist folgende Formulierung: 479 Vgl. dazu ausführlich Körner, S. 23ff. 480 § 12, Absatz 2, Satz 3, Gesetz zum Schutz der Kulturdenkmale (Denkmalschutzgesetz – DschG), 6. Dezember 1983, online abrufbar: http://www.landesrecht-bw.de/jportal/?qu elle=jlink&query=DSchG+BW&psml=bsbawueprod.psml&max=true&aiz=true, folgend: DSchG BW. 481 Vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 923. 482 Vgl. Körner, S. 29ff; von Kleeberg/Eberl wie folgt zusammengefasst: „Der Eigentümer hat daher geschützte bewegliche Denkmäler mit besonderer Sorgfalt zu pflegen, sie gegen natürlichen Verfall zu sichern (z.B. durch Herstellung guter klimatischer Bedingungen), sie ggf. instandzusetzen (und zwar sachgerecht, d.h. erst nach Durchführung eines Genehmigungsverfahrens, an dem die Denkmalfachbehörde beteiligt wurde s. RdNr. 245, und durch geeignete Restauratoren) und sie vor Beschädigungen (auch durch Besucher) und Abhandenkommen zu schützen. Zusammengehörende Teile einer Sachgesamtheit (z.B. die einzelnen Figuren einer Figurengruppe) hat der Eigentümer beieinander zu lassen.“, Kleeberg/Eberl, S. 197. 483 Vgl. Kleeberg/Eberl, S. 144ff; zu steuerlichen Vorteilen für Eigentümer von Kulturgütern vgl. ausführlich Kleeberg/Eberl, S. 245ff. 484 Dieses findet sich in den Denkmalschutzgesetzen von Bayern, Berlin, MecklenburgVorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen; auch auf bewegliche Denkmale anwendbar ist es in Bayern (dort auch auf Ausstattungsstücke) und Sachsen, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 220. 485 Niedersächsische Verfassung, 19. Mai 1993, online abrufbar: http://www.nds-voris.de/j portal/portal/t/2v32/page/bsvorisprod.psml;jsessionid=D85476C8E0E1FCCBB499CAC1 627E9C0A.jp95?doc.hl=1&doc.id=jlrVerfNDrahmen%3Ajuris-lr00&documentnumber= 1&numberofresults=92&showdoccase=1&doc.part=X¶mfromHL=true#focuspoint, folgend: Niedersächsische Verfassung. 486 Artikel 72, Absatz 1, Niedersächsische Verfassung.
94 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Die überkommenen heimatgebundenen Einrichtungen dieser Länder sind weiterhin dem heimatlichen Interesse dienstbar zu machen und zu erhalten, soweit ihre Änderung oder Aufhebung nicht in Verfolg[ung] organisatorischer Maßnahmen, die sich auf das gesamte Land Niedersachsen erstrecken, notwendig wird.“487
2.1.4 Leitlinien Trotz des anerkannten Ziels, das kulturelle Erbe zu schützen, hat bereits der Überblick über die in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften gezeigt wie unterschiedlich deren Zielsetzung und Gewichtung einzelner Aspekte sein kann. Lange Entstehungszeiten, zögernde Entscheidungen zur Ratifizierung und Überarbeitungen sind Kennzeichen dieser Problematik. In einigen Fällen hat sich zudem die deutsche Regierung (bisher) gegen eine Unterzeichnung und Ratifizierung entschieden. Doch auch diese Abkommen können die Meinungen in Wissenschaft und Justiz beeinflussen und sollen zumindest kurz betrachtet werden488. Dies gilt ebenso für rechtlich unverbindliche Empfehlungen, weshalb im Folgenden einzelne Aspekte einer Auswahl solcher Leitlinien vorgestellt werden. Abkommen weltweit – Von Deutschland nicht unterzeichnet In direktem Zusammenhang mit den Problemen der UNESCO Konvention 1970489 entstand das UNIDROIT Übereinkommen über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter vom 24. Juni 1995490. Das Abkommen wurde mittlerweile von 31 Staaten ratifiziert und ist seit dem 1. Juli 1998 in Kraft. Es betont sowohl die Bedeutung des kulturellen Erbes für das menschliche Miteinander491 als auch die Schädigungen, sowohl an nationalem als auch eines weltweit gemeinsamen Kulturerbes,
487 Artikel 72, Absatz 2, Niedersächsische Verfassung. 488 Beispielsweise weist Streinz darauf hin, dass die UNESCO Konvention 1970 auch auf diejenigen Staaten, von welchen sie (noch) nicht ratifiziert wurde, Einfluss nehmen kann: „Zur Staatenpraxis kann festgestellt werden, dass die Gerichte einer Reihe von Staaten, die (noch) nicht an die UNESCO-Konvention von 1970 gebunden sind bzw. waren, diese Konvention berücksichtigt haben, um den Gesetzen anderer Staaten zum Schutz des jeweiligen ‚nationalen‘ Kulturguts zur Geltung zu verhelfen. Dies ist bemerkenswert, weil dadurch der traditionelle, aber zu Recht keineswegs unbestrittene Grundsatz der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts durchbrochen wird.“, Streinz, S. 112. 489 Das Institut für die Internationale Vereinheitlichung von Privatrecht (UNIDROIT) war diesbezüglich von der UNESCO zur Ausarbeitung einer solchen Konvention beauftragt worden, vgl. Hipp, S. 202; vgl. Rietschel, S. 48. 490 UNIDROIT Convention on stolen or illegally exported cultural objects, Rom, 24. Juni 1995, online abrufbar: http://www.unidroit.org/instruments/cultural-property/1995-conv ention, folgend: UNIDROIT Konvention. 491 „CONVINCED of the fundamental importance of the protection of cultural heritage and of cultural exchanges for promoting understanding between peoples, and the dissemination of culture for the well-being of humanity and the progress of civilisation“, Präambel, UNIDROIT Konvention.
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durch illegalen Handel mit Kulturgütern492. Die Konvention möchte, so wenig invasiv wie nötig und so effektiv wie möglich, Regeln gegen diesen illegalen Handel und für Rückgabemöglichkeiten illegal gehandelten Kulturgutes erstellen. Sie erkennt an, dass es weitere Regelungen in dieser Hinsicht geben muss, versteht sich jedoch als nötigen Schritt der Zusammenarbeit: „Conscious that this Convention will not by itself provide a solution to the problems raised by illicit trade, but that it initiates a process that will enhance international cultural co-operation and maintain a proper role for legal trading and inter-State agreements for cultural exchanges [...].“493
Die Konvention bezieht sich sowohl auf gestohlenes Kulturgut und dessen Rückgabe494 als auch auf rechtswidrig ausgeführtes Kulturgut und dessen Rückführung495. Als rechtswidrig ausgeführt gilt jedes Kulturgut, das nicht im Einvernehmen mit den jeweiligen nationalen Kulturgüterschutzbestimmungen ausgeführt wurde496 . Die Definition von Kulturgut bleibt zunächst sehr knapp und besagt, „cultural objects are those which, on religious or secular grounds, are of importance for archaeology, prehistory, history, literature, art or science [...]“497, wird jedoch eingeschränkt durch die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zu einer der im Anhang aufgelisteten Kategorien. Diese sind vergleichbar mit den in der UNESCO Konvention 1970 aufgeführten Kategorien und auch (allerdings in knapperer Form und ohne Wertangaben) mit denjenigen von VO 116/2009 (wie vorher VO 3911/92) und Ri 93/7498 . Wie auch diese 492 „DEEPLY CONCERNED by the illicit trade in cultural objects and the irreparable damage frequently caused by it, both to these objects themselves and to the cultural heritage of national, tribal, indigenous or other communities, and also to the heritage of all peoples, and in particular by the pillage of archaeological sites and the resulting loss of irreplaceable archaeological, historical and scientific information“, Präambel, UNIDROIT Konvention. 493 Präambel, UNIDROIT Konvention. 494 Artikel 3-4, UNIDROIT Konvention. 495 Artikel 5-6, UNIDROIT Konvention. 496 Artikel 1, UNIDROIT Konvention. 497 Artikel 2, UNIDROIT Konvention. 498 „(a) Rare collections and specimens of fauna, flora, minerals and anatomy, and objects of palaeontological interest; (b) property relating to history, including the history of science and technology and military and social history, to the life of national leaders, thinkers, scientists and artists and to events of national importance; (c) products of archaeological excavations (including regular and clandestine) or of archaeological discoveries; (d) elements of artistic or historical monuments or archaeological sites which have been dismembered; (e) antiquities more than one hundred years old, such as inscriptions, coins and engraved seals; (f) objects of ethnological interest; (g) property of artistic interest, such as: (i) pictures, paintings and drawings produced entirely by hand on any support and in any material (excluding industrial designs and manufactured articles decorated by hand); (ii) original works of statuary art and sculpture in any material; (iii) original engravings, prints and lithographs; (iv) original artistic assemblages and montages in any material; (h) rare manuscripts and incunabula, old books, documents and publications of
96 | S AMMLUNGEN DES A DELS wird die Kulturgutdefinition der UNIDROIT Konvention als zu offen kritisiert499. Insgesamt handelt es sich jedoch um ein rechtlich sehr präzises Abkommen500 , welches nationale Regelungen vereinheitlichen soll. Wichtige Punkte sind diesbezüglich der Einbezug auch von gestohlenem Kulturgut, die Unabhängigkeit vom Gutglaubenserwerb501 und die Möglichkeit von Rückgabeforderungen durch private Eigentümer502 . Die Konvention enthält zudem die Anweisung, Rückführungen von Kulturgut einzuleiten, wenn dessen Entfernung aus dem Herkunftsstaat mindestens einen der folgenden Punkte entscheidend beeinträchtigt: „the physical preservation of the object or of its context; [...] the integrity of a complex object; [...] the preservation of information of, for example, a scientific or historical character; [...] the traditional or ritual use of the object by a tribal or indigenous community; [...]“ oder von entscheidender kultureller Bedeutung für den jeweiligen Staat ist503. Damit wird dem vordergründig durch das Abkommen ausgeübten Abwanderungsschutz (3. Ebene) zumindest im Zusammenhang mit diesem auch ein Bestandsschutz (1. Ebene) sowie ein Kontexterhalt (4. Ebene) zur Seite gestellt. Der Versuch der Konvention, eine Annäherung von Export- und Importstaaten zu erreichen504 , gelang bisher nicht. Stattdessen zeigen sich die scheinbar unvereinbaren Positionen bereits in der Ratifizierungspraxis erneut: Die UNIDROIT Konvention wurde in der Vergangenheit vor allem von den Exportstaaten ratifiziert. Die großen Importstaaten wie die USA und Großbritannien sind dem Abkommen, ebenso wie Deutschland, dagegen bisher nicht beigetreten. Abkommen europaweit – Von Deutschland nicht unterzeichnet Als weitere Ergänzung zum Europäischen Kulturabkommen wurde das Europäische Übereinkommen über Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut505 verfasst, welches jedoch aufgrund mangelnder Ratifizierungen bisher nicht in Kraft getreten ist. Auch Deutschland hat das Abkommen nicht ratifiziert. Es soll jedoch an dieser Stelle erwähnt werden, da es einen weiteren Beitrag zum Verständnis der Bedeutung des kulturellen Erbes leistet, in dem es deutlich macht: „Believing that such unity [between the members of the Council of Europe] is founded to a considerable extent in the existence of a European cultural heritage“506 und sowohl den gesellschaftlichen
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special interest (historical, artistic, scientific, literary, etc.) singly or in collections; (i) postage, revenue and similar stamps, singly or in collections; (j) archives, including sound, photographic and cinematographic archives; (k) articles of furniture more than one hundred years old and old musical instruments.“, Anhang, UNIDROIT Konvention. Vgl. Rietschel, S. 54 und S. 85. Vgl. Rietschel, S. 85. Vgl. Hipp, S. 201; vgl. Rietschel, S. 43f. Vgl. Rietschel, S. 58. Artikel 5, Absatz 3, UNIDROIT Konvention. Vgl. Rietschel, S. 46. European Convention on Offences relating to Cultural Property, Delphi, 23. Juni 1985, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/119.htm, folgend: Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. Präambel, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen.
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als auch den wirtschaftlichen Wert von Kulturgut erkennt507. Es ist konsequent, dieser Bedeutung durch ein gemeinsames Abkommen zum Vorgehen gegen Straftaten im Zusammenhang mit Kulturgut Ausdruck zu verleihen. Das Abkommen listet im Anhang auf, was in dessen Sinne als Kulturgut gilt, und gibt darüber hinaus508 weitere Beispiele, welche von den Staaten außerdem als Kulturgut bezeichnet werden können. Problematisch ist die Möglichkeit, den Kulturgutbegriff auch darüber hinaus noch beliebig ausweiten zu können509, was bereits im Zusammenhang mit der UNESCO Konvention 1970 stark kritisiert wurde. Auch die betreffenden Straftaten, die in Anhang I aufgeführt sind, können ergänzt werden 510. Wie auch durch die anderen Abkommen des Europarates wird hier vor allem die Zusammenarbeit betont511. Dabei wird Restitutionen großes Gewicht beigemessen512, aber auch das Anerkennen der schwerwiegenden Bedeutung von Straftaten gegen Kulturgut als Aufgabe angesehen, weshalb diese zu angemessenen Sanktionen führen sollen513. Wie auch die Ri 93/7 versucht das Europäische KulturgüterschutzAbkommen dem präventiven Kulturgüterschutz strafrechtliche Aspekte beiseite zu stellen, was jedoch Schwierigkeiten in der Umsetzung bereitet514 . Aus diesem Grund sind die laut Abkommen obligatorisch zu ahndenden Straftaten auf Diebstahl, Aneignung durch Gewalt und Hehlerei beschränkt515 , und nur die fakultativ als Straftaten zu bewertenden Taten gehen sehr ausführlich auf verschiedene Problembereiche im Zusammenhang mit Kulturgütern ein. Diese beinhalten auch die unerlaubte Ausfuhr sowie Zerstörung von Kulturgütern516 . Bereits die Liste der im Sinne des Abkommens obligatorisch als solche zu bezeichnenden Kulturgüter ist ausführlich und wäre vielfältig auf Adelsbesitz anwendbar517. Die fakultativ als Kulturgüter zu bezeichnenden Objekte dehnen die Anwendbarkeit weiter aus518 . 507 Präambel, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 508 Artikel 2, Absatz 1-2, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen; Anhang II, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/ en/Treaties/Html/119-1.htm#ANX-1. 509 Artikel 2, Absatz 3, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 510 Artikel 3, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 511 Artikel 5, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 512 Artikel 6, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 513 Artikel 12, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 514 Vgl. Hipp, S. 149f. 515 Anhang III, Absatz 1, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 516 Anhang III, Absatz 2, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. 517 Z.B.: „b. elements of artistic or historical monuments or archaeological sites which have been dismembered; c. pictures, paintings and drawings produced entirely by hand on any support and in any material which are of great importance from an artistic, historical, [...] scientific or otherwise cultural point of view; d. original works of statuary art and sculpture in any material which are of great importance from an artistic, historical, [...] scientific or otherwise cultural point of view and items resulting from the dismemberment of such works; e. original engravings, prints, lithographs and photographs which are of great importance from an artistic, historical, [...], scientific or otherwise cultural point of view; f. [...] coins, seals, jewellery, weapons [...], more than one hundred years old; g. articles
98 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ein weiteres, nicht von Deutschland ratifiziertes, Abkommen des Europarates, die Rahmenkonvention des Europarates über den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft519, ist am 1. Juni 2011 in Kraft getreten. Die Konvention basiert auf der (bereits in den früheren Europarat-Abkommen verdeutlichten) Bedeutung einer interdisziplinären Idee des Kulturerbes und dessen „Nutzbarkeit“ für die lebende Generation520 sowie der Notwendigkeit kultureller Bildung und Aufklärung521. Ein internationaler Ansatz wird hier nicht nur in Bezug auf die Herkunft des Kulturerbes, sondern auch für die Identifikation mit diesem vertreten522. Das Verständnis eines gemeinsamen europäischen Kulturerbes soll anerkannt und gefördert werden und zur Identitätsbildung sowie der Stabilisierung einer friedlichen Gemeinschaft beitragen523. Dies erfordert die Übernahme von Verantwortung und Respekt gegenüber diesem Gut sowie die Beschränkung der Rechtsausübung auf diesem Gebiet auf die für das öffentliche Interesse einer demokratischen Gesellschaft nötigen Maßnahmen524 . Die Unterzeichner verpflichten sich zur umfassenden Förderung einer starken Beschäftigung mit dem Kulturerbe und dessen Bedeutung für die Gesellschaft525, wobei dessen Vielfalt sowie verschiedene Bedeutungsebenen anerkannt werden526. Die Einbindung des Kulturerbes in aktive ökonomische und gesellschaftliche Prozesse moderner Staaten und dessen nachhaltige Nutzung werden als öffentliche Aufgabe
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of furniture, tapestries, carpets and dress more than one hundred years old; h. musical instruments more than one hundred years old; i. rare manuscripts and incunabula, singly or in collections.“, Anhang II, Absatz 1, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. Z.B. „c. old books, documents and publications of special interest (historical, artistic, scientific, literary, etc.) singly or in collections; [...] e. property relating to history, including the history of science and technology and military and social history; f. property relating to life of national leaders, thinkers, scientists and artists; g. property relating to events of national importance; [...] p. rare property of numismatic interest (medals and coins); [...] r. monuments of architecture, art or history“, Anhang II, Absatz 2, Europäisches Kulturgüterschutz-Abkommen. Council of Europe Framework Convention on the Value of Cultural Heritage for Society, Faro, 27. Oktober 2005, online abrufbar: http://conventions.coe.int/Treaty/EN/Treaties/H tml/199.htm, folgend: Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. „Recognising the need to put people and human values at the centre of an enlarged and cross-disciplinary concept of cultural heritage; Emphasising the value and potential of cultural heritage wisely used as a resource for sustainable development and quality of life in a constantly evolving society“, Präambel, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. „Convinced of the need to involve everyone in society in the ongoing process of defining and managing cultural heritage; Convinced of the soundness of the principle of heritage policies and educational initiatives which treat all cultural heritages equitably and so promote dialogue among cultures and religions“, Präambel, Europäische KulturerbeRahmenkonvention. „Recognising that every person has a right to engage with the cultural heritage of their choice“, Präambel, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 3, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 4, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 5, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 7, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention.
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erkannt527. Dies hat zur Folge, dass eine breite Öffentlichkeit die Möglichkeit zur Teilhabe am kulturellen Erbe haben soll528 und damit Maßnahmen im Bildungsbereich529 und die Nutzung neuer Informationsformen530 in die Arbeit mit diesem einbezogen werden müssen. Das Kulturerbe wird definiert als: „group of resources inherited from the past which people identify, independently of ownership, as a reflection and expression of their constantly evolving values, beliefs, knowledge and traditions. It includes all aspects of the environment resulting from the interaction between people and places through time“531 .
Die Konvention vertritt damit eine dem Stand der Forschung angepasste Vorstellung vom kulturellen Erbe, welche zudem anerkennt, dass nur jeweils diejenigen Kulturgüter für kommende Generationen bewahrt werden, welchen durch eine Gruppe („a heritage community“) der aktuellen Generation entsprechende Werte zugeschrieben werden532 . Diese Erkenntnis ist für die Auseinandersetzung mit Adelsbesitz von grundlegender Bedeutung. Nicht verwirklichte Rechtsvorschriften – National Im Zusammenhang mit dem KultgSchG wurde immer wieder der nicht ausreichende Schutz für Kulturgüter in öffentlicher Hand kritisiert, der durch die Eintragungsmöglichkeit in die Verzeichnisse national wertvollen Kulturgutes erst seit 2007 verbessert wurde. Weitergehend als die durchgeführten Änderungen war ein Referentenentwurf aus dem Jahr 1998533, welcher außerdem eine neue Definition für „öffentliches Kulturgut“ einführen wollte: „Der RE 1998 erfasst [...] als öffentliches Kulturgut, unabhängig von der Rechtsform seines Trägers, solches Gut, das in Sammlungen oder auf vergleichbare Weise der Öffentlichkeit zugänglich ist. Maßgebliches Kriterium ist demnach die Möglichkeit der Nutzung durch die Allgemeinheit.“534 Dies hätte auch der Öffentlichkeit zugängliche Schlossmuseen in privater Trägerschaft mit einbezogen und deren Sammlungen zusammen mit den Sammlungen der staatlichen Museen einer Inventarisierung unterzogen, die wiederum in einer Datenbank veröffentlicht worden wäre535. Für Kulturgut im Besitz eines öffentlichen Trägers (auch für solches, das von einem privaten Eigentümer als Leihgabe an diesen übergeben worden ist) wäre, weder Ersitzung noch gutgläubiger Erwerb möglich gewesen. Eigentümeransprüche wären nicht verjährt, sofern dieses Kulturgut inventarisiert und als besonders 527 528 529 530 531 532
Artikel 8-11, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 12, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 13, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 14, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. Artikel 2, Absatz a, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. „[A] heritage community consists of people who value specific aspects of cultural heritage which they wish, within the framework of public action, to sustain and transmit to future generations.“, Artikel 2, Absatz b, Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention. 533 Referentenentwurf im Bundesinnenministerium 1988, vgl. Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 7; vgl. Hipp, S. 102f; folgend: RE 1998. 534 Hipp, S. 366. 535 Vgl. Hipp, S. 367.
100 | S AMMLUNGEN DES A DELS geschützt gekennzeichnet wäre536. Die Ausfuhr öffentlichen Kulturgutes wäre – außer beispielsweise zu Ausstellungszwecken mit gesicherter Rückkehr – grundsätzlich untersagt worden537. Auf privates Kulturgut ohne öffentlichen Zugang hätte die RE 1998 wenig Auswirkungen gehabt538 , was Hipp für ausreichend hält und damit ein erneutes Beispiel für eine diesbezügliche Fehleinschätzung der Rechtswissenschaft gibt: „Bei dem Kulturgut, das sich in privater Hand befindet, handelt es sich in der Regel gerade um solche weniger bedeutenden Stücke. Es sind zumeist reproduzierte Kunst- und Kulturgegenstände, kunsthandwerkliche oder archäologische Massenwaren. Der freie Handel mit solchen Objekten fördert auch die private Sammlertätigkeit, die letztlich im Interesse eines als Auftrag zur Volksbildung verstandenen Kulturgutschutzes liegt. Dagegen befinden sich die wirklich bedeutenden Stücke, die in der Bundesrepublik Deutschland zu erhalten sind, in der Regel in der Hand öffentlicher Träger, wo sie der Allgemeinheit zugänglich sind. Die Abwägung ergibt deshalb, dass am Listenprinzip für das private Kulturgut festzuhalten ist.“539
Auch sah der RE 1998 eine Verschärfung der Eintragungskriterien sowie den Wegfall von Steuervergünstigungen für Eigentümer vor540, was zweifellos eine noch stärkere Abneigung privater Sammler gegenüber dem Kulturgüterschutz zur Folge gehabt hätte. Dies gilt auch für eine – dem Denkmalschutz angeglichene – Berechtigung zur Ermittlung von eintragungspflichtigem Kulturgut in Privaträumen541. Diese Änderungen sowie die Ausdehnung des Gesetzes auch auf nicht in die Verzeichnisse eingetragenes Kulturgut, welches vor der Ausfuhr mit einer „Unbedenklichkeitsgenehmigung“ hätte versehen werden müssen, führten jedoch zum Scheitern des RE 1998 durch den Widerstand von Kunsthandel und Ausstellern542 . Von größter Bedeutung wäre allerdings die Erweiterung des nationalen Kulturgüterschutzes um Auflagen zum Bestandsschutz (1. Ebene) schon zu diesem Zeitpunkt gewesen, da der RE 1998 „dem Eigentümer und Besitzer von eingetragenem privatem Kulturgut die Pflicht zu dessen sorgfältiger Pflege und Sicherung und zur fachmännischen Behebung von Schäden auf[erlegt]“543 hätte. Ebenso hätte eine An-
536 Vgl. Hipp, S. 381. 537 Vgl. Hipp, S. 384. 538 Vgl. Hipp, S. 386; Streinz sah in dem Gesetzesentwurf jedoch einen umfangreichen Schutz sowohl für öffentliches als auch privates Kulturgut: „Dieses Gesetz dient nicht nur der Umsetzung der EG-Richtlinie und der Durchführung der zwar unmittelbar geltenden, aber in einigen Punkten durch nationales Recht ergänzungsbedürftigen EGVerordnung, sondern auch der Sicherung des Kulturgutbesitzes des Bundes und der Schaffung eines einheitlichen Rahmens für die Landesgesetzgebung zum Schutz des öffentlichen und des kirchlichen Kulturgutbesitzes, sowie zum Schutz des privaten Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland.“, Streinz, S. 130f. 539 Hipp, S. 388. 540 Vgl. Hipp, S. 392. 541 Vgl. Hipp, S. 397. 542 Vgl. Hipp, S. 424. 543 Hipp, S. 407; die Autorin kritisiert dies jedoch, da sie es als Länderaufgabe ansieht.
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kaufspflicht der Länder bei Ablehnung sowie ein Vorkaufsrecht bei Genehmigung der Ausfuhr eine positive Neuerung nach internationalem Vorbild sein können544 . Nicht rechtsverbindliche Empfehlungen – International Empfehlungen und Vereinbarungen sowie Resolutionen auf Tagungen zum Kulturgüterschutz sind zahlreich. Sie alle können jedoch – auch wenn sie rechtlich nicht verbindlich sind – zu neuen Auffassungen und bewussterem Umgang mit dem kulturellen Erbe auch auf internationaler Ebene führen. Ein frühes Beispiel ist die Charta von Venedig aus dem Jahr 1964545, welche voranstellt: „Als lebendige Zeugnisse jahrhundertealter Traditionen der Völker vermitteln die Denkmäler in der Gegenwart eine geistige Botschaft der Vergangenheit.“546 Es wird die Vorstellung des gemeinsamen Erbes und der Verpflichtung gegenüber den folgenden Generationen vertreten, welche beinhaltet, die Denkmäler möglichst authentisch zu bewahren. Um dies zu erreichen, werden grundlegende Aspekte des Kontexterhaltes (4. Ebene) in die Zielsetzung einbezogen; so beispielsweise die Bewahrung von Ausstattungsstücken eines Denkmals547. Hajós betont die Vorbildfunktion der Charta auch für den in den Denkmalschutzgesetzen aufgegriffenen Ensembleschutz548 , welcher, ebenso wie die Gültigkeit des Denkmalbegriffes auch für „bescheidene Werke“, ausdrücklich genannt wird549. Die Charta möchte auf internationaler Ebene Grundsätze für Konservierung und Restaurierung zusammentragen, was ein wichtiger Beitrag zum Bestandsschutz (1. Ebene) ist, wobei sowohl „die Erhaltung des Kunstwerks wie die Bewahrung des geschichtlichen Zeugnisses“550 angestrebt wird. Diese Formulierung führt dazu, dass sämtliche an einem Denkmal sichtbar werdende Einflüsse verschiedener Epochen gleich bewertet werden und entsprechend gleichwertig behandelt werden sollen551. Gerade diese gewachsenen Strukturen, die (teilweise schwer trennbar) verschiedene Zeitschichten nebeneinander aufweisen, bereiten der praktischen Denkmalpflege Probleme: nicht immer ist alles erhaltbar und für den Betrachter in seiner Gesamtheit verständlich. Mörsch erinnert deshalb an die Charta von Venedig und warnt vor einer Überbewertung des Erstzustandes, da ein historischer Wert nicht nur auf diesem beruhen kann552. Eine Aussa544 Vgl. Hipp, S. 69. 545 Charta von Venedig. Internationale Charta über die Erhaltung und Restaurierung von Kunstdenkmälern und Denkmalgebieten, Venedig, 25.-31. Mai 1964, II. Internationaler Kongress der Architekten und Techniker der Denkmalpflege, in ihrer in Chorin am 14. April 1989 verabschiedeten deutschen Übersetzung, abgedruckt in: Berichte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 02/2014, S. 83-84, folgend: Charta von Venedig. 546 Präambel, Charta von Venedig. 547 Artikel 8, Charta von Venedig. 548 Vgl. Hajós, S. 22. 549 Artikel 1, Charta von Venedig. 550 Artikel 3, Charta von Venedig. 551 Artikel 11, Charta von Venedig. 552 „Der Suche und Wiederherstellung der ersten künstlerischen Idee fallen trotz der damit verbundenen Verluste, die seit der ersten Hälfte des 19. Jh. immer wieder in ganz Europa beklagt werden, trotz der Mahnung der Charta von Venedig aus dem Jahre 1964, gerade
102 | S AMMLUNGEN DES A DELS ge, welche für Schlösser und ihre Ausstattung von enormer Bedeutung ist, da diese häufig Zeugnis verschiedener Epochen sind und unterschiedliche Ausstattungszustände widerspiegeln, welche nicht selten für eine öffentliche Zugänglichkeit gestrafft und vereinheitlicht werden. Europa Nostra beschäftigt sich in einer Denkschrift zum Schutz von historischen Gebäuden und Stätten in Europa aus dem Jahr 1971553 allein mit dem architektonischen Erbe und kann ebenfalls als wichtiger Impuls, sowohl für die Denkmalschutzgesetze als auch für das Europäische Architekturerbe-Abkommen, angesehen werden. Besonders erwähnenswert ist die Bedeutung, die man diesbezüglich Sachverständigenausschüssen beimisst554 , und die Forderung nach Inventarisation555. Die Europäische Denkmalschutzcharta aus dem Jahr 1975556 kann als weiteres wichtiges Beispiel der Arbeit des Europarates im Zusammenhang mit dem Verständnis des kulturellen Erbes angesehen werden. Sie betont die gemeinsame europäische Kultur, die gerade in der Architektur Vielfalt zeigt und doch als gemeinsames Erbe aller Völker zu betrachten ist557. Um den Menschen zukünftiger Generationen nicht einen „Teil der eigenen geschichtlichen Existenz“ vorzuenthalten, ist die möglichst unversehrte Weitergabe des architektonischen Erbes das Ziel558. Dieses Erbe sollte treuhänderisch verwaltet werden559, denn „[j]ede Generation legt die Vergangenheit anders aus und gewinnt aus ihr neue Erkenntnisse. Jede Minderung dieses Kapitals bedeutet Verarmung und das umso mehr, als auch die beste Neuschöpfung den Verlust überkommener Werte nicht ausgleichen kann.“560 Hier wird mit aller Deutlichkeit auf die Unwiderruflichkeit von Zerstörungen und Verlust am kulturellen Erbe hingewiesen, die in dieser klaren Form leider keinen Eingang in die rechtlichen Vorschriften gefunden hat.
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in den letzten Jahren wieder historische und kunsthistorische Zustände von hoher Denkmalbedeutung zum Opfer.“, Mörsch, S. 10. Europa Nostra: Europäischer Kulturschutz. Denkschrift zum Schutz von historischen Gebäuden und Stätten in Europa, September 1971, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, Bonn 1996, S. 78-80, folgend: Europa Nostra Denkschrift 1971. Punkt 3, Europa Nostra Denkschrift 1971. Punkt 10, Europa Nostra Denkschrift 1971. Europarat: Europäische Denkmalschutzcharta, Straßburg, 26. September 1975, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, Bonn 1996, S. 106108, folgend: Europäische Denkmalschutzcharta. Präambel, Europäische Denkmalschutzcharta. Punkt 2, Europäische Denkmalschutzcharta. Punkt 9, Europäische Denkmalschutzcharta. Punkt 3, Europäische Denkmalschutzcharta.
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Eine UNESCO Empfehlung zum Schutz von beweglichem Kulturgut aus dem Jahr 1978561 thematisiert den Zusammenhang zwischen dem großen Interesse (vor allem wirtschaftlicher Art) an kulturellen Gütern und deren Gefährdung, welcher häufig verkannt wird, da eine pflegliche Behandlung von Sammel- und Handelsgut (wie oben ausgeführt) vorausgesetzt wird. Auch in Hinblick auf die UNESCO Konventionen der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts wird hier das Verständnis von Kulturgut als gemeinsamem Erbe der Menscheit wiederholt und auf die Verantwortung der einzelnen Staaten auch in finanzieller Hinsicht hingewiesen562 . Die Übernahme dieser Verantwortung sollte zu Schutzmaßnahmen, sowohl im Sinne des Bestandsschutzes (1. Ebene) als auch des Abwanderungsschutzes (3. Ebene), in Friedens- und auch in Kriegszeiten führen563 . Wie auch die UNESCO Konvention 1970 und – klarer in ihrer Aussage – die Konventionen des Europarates, weist die Empfehlung auf unbedingt notwendige Informationsmaßnahmen hin, um „das allgemeine Bewusstsein für die Bedeutung von Kulturgut, für die Gefahren, denen es ausgesetzt ist, und für die Notwendigkeit, es zu schützen, zu wecken.“564 Erklärend wird festgestellt, dass nicht selten Wertminderungen durch Schäden eintreten und diese wiederum viel häufiger durch eine schlechte Lagerung, unsachgemäße Transporte und klimatische Schwankungen verursacht werden als durch zufällige Beschädigungen565 . Die Aufklärung, vor allem auch der privaten Eigentümer, und die direkte Verknüpfung von Bestandsschutz auch mit dem Erhalt eines materiellen Wertes könnte zwar dazu führen, dass bewusst nur für besonders wertvolle Objekte entsprechende Sicherungsmaßnahmen getroffen werden, vermutlich würde aber eine verstärkte Aufklärung diesbezüglich zu einem insgesamt verbesserten Umgang mit Kulturgütern führen 566. In diesem Zusammenhang werden auch Richtlinien für die Behandlung von Kulturgut in Museen empfohlen567 . Es sollen des Weiteren Maßnahmen getroffen werden, um gegen Diebstahl, Fälschungen und Hehlerei einzuschreiten568. Explizit geht die Empfehlung auch auf Sammlungen in privatem Eigentum ein und versucht sowohl deren Schutz zu verbessern als auch die damit zusammenhängenden Belastungen der Eigentümer abzumildern569. Als Grundvoraussetzung von Schutzmaßnahmen wird die Inventarisation angesehen sowie die Übermittlung der 561 UNESCO: Empfehlung zum Schutz von beweglichem Kulturgut, 20. Generalkonferenz, Paris, 24.-28. November 1978, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, Bonn 1996, S. 133-138, folgend: UNESCO Empfehlung 1978. 562 Präambel, UNESCO Empfehlung 1978. 563 Artikel 1 b), UNESCO Empfehlung 1978. 564 Artikel 5, UNESCO Empfehlung 1978; Hinweise auf die Notwendigkeit der Information auch in Artikel 17, in welchem zudem auf die Bedeutung von Kulturgut für die „Erhaltung [der] kulturellen Identität“ hingewiesen wird sowie auf nötige Beteiligungen auch auf regionaler und örtlicher Ebene, Artikel 17, UNESCO Empfehlung 1978. 565 Artikel 6, UNESCO Empfehlung 1978. 566 Zumal in Artikel 17 direkt darauf hingewiesen wird, dass der „rein kommerzielle Wert des Gutes“ nicht hervorgehoben werden soll, Artikel 17, UNESCO Empfehlung 1978. 567 Artikel 12, UNESCO Empfehlung 1978. 568 Artikel 18, UNESCO Empfehlung 1978. 569 Artikel 14, UNESCO Empfehlung 1978.
104 | S AMMLUNGEN DES A DELS Inventare an öffentliche Stellen und Begutachtungsmöglichkeiten durch deren Mitarbeiter. Diese sollten wiederum sowohl prüfend als auch beratend tätig werden. Konkrete Hilfestellung in konservatorischen Belangen sowie steuerliche Vergünstigungen sollen den Eigentümern angeboten werden570. Die Definition von beweglichem Kulturgut ist umfangreich und umfasst „alle beweglichen Gegenstände, die Ausdruck und Zeugnis der menschlichen Schöpfungsgabe oder der Entwicklung der Natur sind und die von archäologischem, historischem, künstlerischem, wissenschaftlichem oder technischem Wert und Belang sind“571, soweit diese den folgend aufgelisteten Kategorien zugeordnet werden können. Diese sind wiederum mit den in der UNESCO Konvention 1970 genannten Kategorien vergleichbar572 und vielfältig auf Adelsbesitz anwendbar. Die für die jeweiligen Mitgliedstaaten bedeutendsten Merkmale der Definition sollen von diesen erkannt und zur Festellung der schutzwürdigen Objekte genutzt werden573 . Die durch ihre enorme Konzentration von Kulturgütern an einem Ort bedingte Sonderstellung von Schlössern mit ihrem Inventar war Thema der Tagung „Das Schloss und seine Ausstattung als denkmalpflegerische Aufgabe“, die zur Veröffentlichung der Wörlitzer Resolution von 1994574 führte. Diese Tagung beschäftigte sich leider 570 Artikel 14, UNESCO Empfehlung 1978. 571 Artikel 1 a), UNESCO Empfehlung 1978. 572 In Bezug auf Adelsbesitz können folgende Kategorien von Belang sein: „(ii) Antiquitäten wie Werkzeuge, Töpfereiwaren, Inschriften, Münzen, Siegel, Schmuck, Waffen und Überreste von Begräbnisstätten, einschließlich Mumien; (iii) Gegenstände, die sich aus der Abtragung historischer Denkmäler ergeben; [...] (v) Gegenstände, die sich auf die Geschichte einschließlich der Geschichte von Wissenschaft und Technik sowie der Militär- und Sozialgeschichte, das Leben der Völker und nationaler Führer, Denker, Wissenschaftler und Künstler und Ereignisse von nationaler Bedeutung beziehen; (vi) Gegenstände von künstlerischem Interesse wie Gemälde und Zeichnungen, die ausschließlich von Hand auf einem beliebigen Träger und aus einem beliebigen Material angefertigt sind (ausgenommen industrielle Entwürfe und handbemalte gewerbliche Erzeugnisse); Originaldrucke sowie Plakate und Fotografien als Ausdruck einer ursprünglichen schöpferischen Idee; - Kunstwerke, die aus unterschiedlichen Teilen beliebigen Materials als Einheit zusammengesetzt sind; - Werke der Bildhauerkunst und der Skulptur aus beliebigem Material; - Werke der angewandten Kunst aus Material wie Glas, Keramik, Metall, Holz usw.; (vii) Manuskripte und Inkunabeln, Kodizes, Bücher, Dokumente oder Publikationen von besonderem Interesse; (viii) Gegenstände von numismatischem (Medaillen und Münzen) und philatelistischem Interesse; (ix) Archive einschließlich Textaufzeichnungen, Landkarten und anderes kartographisches Material, Fotografien, Filme, Tonaufnahmen und maschinenlesbare Aufzeichnungen; (x) Möbelstücke, Wand- und andere Teppiche, Kostüme und Musikinstrumente; [...]“, Artikel 1 b), UNESCO Empfehlung 1978. 573 Artikel 2, UNESCO Empfehlung 1978. 574 Wörlitzer Resolution. Appell zur Erhaltung von Schlössern und ihrer Ausstattung, Wörlitz, 8. Oktober 1994, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, Bonn 1996, S. 260-261, folgend: ICOMOS Resolution 1994.
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hauptsächlich mit Schlössern in öffentlichem Besitz, kann jedoch in ihren Ergebnissen auch für Schlösser in privatem Besitz wegweisend sein. Sie bezeichnete diese als „historisch gewachsene Gesamtkunstwerke von unschätzbarem Wert“, welche sich aus dem Gebäude, der Ausstattung sowie der Umgebung zusammensetzen575. Vor diesem Hintergrund wird eine möglichst authentische Bewahrung gefordert, vor zu starker Vermarktung gewarnt und diesbezüglich ein „sanfter Tourismus“ gewünscht, wobei die Nutzung von Inventar als Ausstellungsstücke ohne Beschädigung desselben als möglich erachtet wird. Eine Nutzung von Schlössern in privater Hand als Familiensitz wird jedoch als sinnvoll, da ursprünglich, bewertet. Die Resolution erkennt, dass es sich bei Schlössern – auch solchen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind – um über das klassische Museum hinausgehende Besichtigungsorte handelt und ebenso, dass private Eigentümer in Fragen der Erhaltung zu unterstützen sind. Die Ergebnisse der Tagung sind daher für die Auseinandersetzung mit Kunst in Adelsbesitz von großer Bedeutung, vor allem auch durch das Anerkennen der Ausnahmestellung von Schlössern im Zusammenhang mit dem kulturellen Erbe: „Sie sind insbesondere – Denkmäler von nationaler und internationaler Bedeutung, – Fundamente der Identität jeden Landes, – Schatzkammern der Kunst seit Jahrhunderten, – einzigartige geschichtliche Zeugnisse und unerschöpfliche Quellen der Bildung, – Stätten der Besinnung und Erholung.“576
Die Deutsche UNESCO-Kommission erließ 2006 eine Resolution zum UNESCOWelterbe in Deutschland577, in deren Kern eine gemeinsame Verantwortung der Staatengemeinschaft für den Schutz des universellen Kulturerbes578 , aber auch die Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland (sowohl des Bundes als auch der Länder) speziell für ihr kulturelles Erbe579 hervorgehoben werden. Besonders in Bezug auf das Welterbe sei das kulturtouristische Potenzial zu nutzen, und auch hier wird auf die Notwendigkeit von Bildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Kulturerbe hingewiesen580. Die Welterbestätten seien „als erfahrbare Zeugnisse der Vielfalt und Würde vergangener und heutiger Kulturen“ zu verstehen sowie „als Orte, an denen über den Begriff des Welterbes eine nationale Verortung der kulturellen Identität zugunsten eines universellen, allgemeinen menschlichen und interkulturellen Verständnisses von Kultur- und Naturerbe erweitert wird [...].“581 Die Resolution greift damit die wesentlichen Aspekte der Idee des kulturellen Erbes auf und betont Verantwortlichkeiten. Für Sammlungen in Adelsbesitz ist diese nur in einem allgemeinen Zusammenhang interessant. 575 ICOMOS Resolution 1994. 576 ICOMOS Resolution 1994. 577 UNESCO-Welterbe in Deutschland, Resolution der 66. Hauptversammlung, Hildesheim, 28.-29. Juni 2006, online abrufbar: http://www.unesco.de/reshv66.html?&L=0, folgend: UNESCO Resolution 2006. 578 Artikel 2, UNESCO Resolution 2006. 579 Artikel 4 und 5, UNESCO Resolution 2006. 580 Artikel 7, UNESCO Resolution 2006. 581 UNESCO Resolution 2006.
106 | S AMMLUNGEN DES A DELS 2.1.5 Relevante Aspekte der historischen Entwicklung von Kulturgüter- und Denkmalschutz Wie eingangs erwähnt, führte die Auseinandersetzung mit Denkmalschutz und Denkmalpflege bereits im 19. Jahrhundert zur Formulierung von Rechtsvorschriften in den deutschen Staaten. Weitgehend verloren diese im Zuge der politischen Veränderungen von 1918 und 1945 ihre Gültigkeit, können jedoch – wie das Beispiel des KultgSchG gezeigt hat – noch immer Auswirkungen auf heutige Schutzvorschriften haben. Ein kurzer Blick auf Beispiele der historischen Entwicklung ermöglicht das bessere Verständnis von Problemen, aber auch der Errungenschaften des heutigen Kulturgüterschutzes. Als Ausgangspunkt der Entwicklung in Deutschland wird in der Regel das Jahr 1815 angesehen582 , gefolgt von der Einrichtung von Konservatorenposten mit der Aufgabe einer Erfassung der Kulturdenkmale583. Erst einige Jahrzehnte später, nach 1900, hatten sich diese Stellen zu Behörden weiterentwickelt, deren Arbeit durch rechtliche Vorschriften geregelt wurde. Die Trennung zwischen den für die Inventarisierung zuständigen Konservatoren und amtlichen Stellen für die Durchsetzung von Schutzmaßnahmen blieb jedoch bestehen584. Sie ist noch heute im System der Denkmalschutzbehörden zu finden und – wie oben erwähnt – Ursache für Durchführungsprobleme. Betrachtet man die Entwicklung des Denkmal- bzw. Kulturgutbegriffes seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, so scheint sich dieser stetig weiterentwickelt und ausgedehnt zu haben, und gerade diese Weitläufigkeit der Definitionen ist das Hauptargument zahlreicher Kritiker. Die Auswahl der erhaltenswerten Teile des kulturellen Erbes scheint daher eine der größten Aufgaben des heutigen Kulturgüterschutzes zu sein. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich Riegl in „Der Moderne Denkmalkultus“585 mit dieser Frage und gibt wichtige Hinweise zum Verständnis einer historischen Bedeutung von Kulturdenkmalen: „Historisch nennen wir alles, was einmal gewesen ist und heute nicht mehr ist; nach modernsten Begriffen verbinden wir damit noch die weitere Anschauung, dass das einmal Gewesene nie wieder sein kann und jedes einmal Gewesene das unersetzliche und unverrückbare Glied einer Entwicklungskette bildet, oder mit anderen Worten: dass alles darauf Gefolgte durch das erstere bedingt ist und nicht so hätte erfolgen können, wie es sich tatsächlich ereignet hat, wenn jenes frühere Glied nicht vorangegangen wäre.“586 582 Vgl. von Rohr 1977, S. 95; vgl. Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908, S. 1. 583 Beispielsweise 1843 Einstellung eines Konservators in Preußen und 1864 Einrichtung eines solchen Postens im Königreich Hannover, vgl. Backhaus, S. 121; vgl. von Rohr 1977, S. 96; vgl. Lezius, S. 36. 584 Vgl. Backhaus, S. 121. 585 Riegl. 586 Riegl, S. 2.
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Es zeigt sich bereits hier die Notwendigkeit, aktuelle Wertmaßstäbe – welche ästhetischer oder materieller Art sein können – hinter einen Dokumentationswert zurücktreten zu lassen, der wichtige Aussagen sowohl über die Vergangenheit als auch die Gegenwart enthält. Riegl spricht in diesem Zusammenhang von „ungewollten“ Denkmalen, in welchen die wesentlich kleinere Gruppe der bis dahin – und noch bis in die heutige Zeit häufig – vorrangig betrachteten „gewollten“ Denkmale aufgeht587. Am Beispiel der Renaissance macht er deutlich, dass vor allem ein Wissen um den historischen Wert zum Wunsch nach dauerhafter Erhaltung von Kulturgütern führt, da er auch die „gewollten“ Denkmäler aus der Abhängigkeit von Geschmacksurteilen und politischen oder ideologischen Werten löst588. „Der historische Wert ist ein um so höherer, in je ungetrübterem Maße sich der ursprüngliche geschlossene Zustand des Denkmals, den es unmittelbar nach seinem Werden besessen hat, offenbart; die Entstellungen und teilweisen Auflösungen sind für den historischen Wert eine störende, unwillkommene Zutat.“589
Indem er diesem historischen Wert weitere Werte wie Alterswert, gewollten Erinnerungswert590 sowie Gegenwartswert zur Seite591 stellt, verdeutlicht er die bis in die heutige Zeit gültigen Interessenskonflikte, mit denen sich der Kulturgüterschutz unweigerlich auseinandersetzen muss. Die Gegenwartswerte, nämlich Gebrauchswert, Kunstwert, Neuheitswert und relativer Kunstwert, treten häufig augenscheinlicher in Erscheinung, sind jedoch für die Definition als Denkmal oder Kulturgut nur von zweitrangiger Bedeutung592. Riegl nimmt mit seinen theoretischen Auseinandersetzungen Bezug auf die immer stärker werdende praktische Beschäftigung mit dem Kulturgüterschutz um 1900. Lezius fasst dagegen 1908 die rechtliche Situation in Preußen zusammen und stellt fest, dass „eine vollständige Organisation der Denkmalverwaltung geschaffen“ wur-
587 „Historische Denkmale sind nun im Gegensatz zu den gewollten ‚ungewollte‘; es ist aber von vornherein klar, dass alle gewollten Denkmale zugleich ungewollte sein können und nur einen kleinen Bruchteil der ungewollten darstellen.“, Riegl, S. 6. 588 Riegl, S. 12. 589 Riegl, S. 30. 590 „Während der Alterswert ausschließlich auf dem Vergehen begründet ist, der historische Wert zwar das gänzliche Vergehen von heute an aufhalten will, aber ohne das bis zum heutigen Tage stattgehabte Vergehen keine Existenzberechtigung hätte, erhebt der gewollte Erinnerungswert schlankweg den Anspruch auf Unvergänglichkeit, ewige Gegenwart, unaufhörlichen Werdezustand.“, Riegl, S. 39. 591 Riegl, S. 40ff. 592 Dies geht auch aus Riegls Erläuterungen zum Kunstwert hervor: „Gibt es keinen ewigen Kunstwert, sondern bloß einen relativen, modernen, so ist der Kunstwert eines Denkmals kein Erinnerungswert mehr, sondern ein Gegenwartswert. Die Denkmalpflege hat mit ihm zwar zu rechnen, der als ein gewissermaßen praktischer Tageswert gegenüber dem historischen Vergangenheits-Erinnerungswert des Denkmals nur um so dringender Berücksichtigung fordert; aber aus dem Begriffe des ‚Denkmals‘ ist er auszuscheiden.“, Riegl, S. 6.
108 | S AMMLUNGEN DES A DELS de593 . In einem halben Jahrhundert war also die zunächst vordergründige Aufgabe der Denkmalerfassung auf die Verwaltung des Bestandes ausgedehnt worden. Für Lezius werden „Mit dem Worte ‚Denkmalpflege‘ [...] die Bestrebungen zusammengefasst, welche darauf gerichtet sind, die Erzeugnisse vergangener Kulturepochen der Gegenwart und Zukunft zu erhalten.“594 Dabei stellen diese für ihn einen „nationalen Vermögensbesitz“595 dar und übernehmen erzieherische Funktionen596. Die Inventarisation sollte in möglichst umfassendem Umfang (beispielsweise mit Fotografien und Kartenmaterial) erfolgen, wobei schon damals die Besitzverhältnisse für die Aufnahme in ein Denkmalverzeichnis unerheblich waren597. Er stellt ebenfalls bereits fest, dass die über eine Erfassung hinausgehende Pflege von Kulturdenkmalen außerhalb von Museen eine stärkere Beobachtung erfordert und nimmt dabei auch Objekte in anderweitig genutzten staatlichen Gebäuden nicht aus598 . Im Gegensatz zur heutigen Erfassung allein der von Menschenhand gemachten Objekte schloss die damalige Auffassung von Kulturdenkmälern selbst Naturprodukte mit ein599 . Ein weiterer Unterschied ist im Aufgabenfeld der Denkmalpflege zu finden, welche konkret die Wiederherstellung600 von Kulturgütern forderte, die allerdings – in Hinblick auf die sich mehrenden Rekonstruktionen zerstörter Schlossbauten – heute wieder aufgegriffen zu werden scheint. Wenn Lezius von Kulturgütern als „stummen Zeugen ruhmvoller [Hervorhebung U.S.] Zeiten“601 spricht, wird deutlich wie stark bereits in den Anfängen des Kulturgüterschutzes die von Riegl als zweitrangig eingestuften Gegenwartswerte herangezogen wurden. Für Lezius war insgesamt die Dokumentation einer ruhmvollen Vergangenheit der Heimat von großer Bedeutung, was zu einem eingeschränkten Verständnis des kulturellen Erbes geführt haben muss. Doch erkennt er innerhalb dieser Aufgabe die Bedeutung der Kul-
593 Lezius, Vorwort, o.S.; Lezius fasst nicht weniger als 62 Vorschriften (Kabinett-Ordern, Erlasse, Verfügungen) zusammen, die allein in Preußen 1908 Bestand hatten, Lezius, Inhaltsverzeichnis, o.S.; ein Denkmalschutzgesetz gab es zu dieser Zeit in Preußen noch nicht, Lezius, S. 10. 594 Lezius, S. 1. 595 Lezius, S. 8. 596 „Nationales Empfinden, vaterländische Gesinnung, Liebe zur Heimat sollen an den stummen Zeugen ruhmvoller Zeiten geweckt, gebildet und zu begeisterter Huldigung für die Taten unserer Vorfahren geführt werden.“, Lezius, S. 3. 597 Lezius, S. 36ff; eines der frühen Beispiele rechtlicher Vorschriften, die auch bewegliche Kulturdenkmale erfassen, war „Das Hessische Gesetz, den Denkmalschutz betreffend, vom 16. Juli 1902“, bei diesem ist dagegen Privatbesitz noch ausgenommen, vgl. Hipp, S. 47. 598 Lezius, S. 16. 599 „Auch Objekte ohne jeglichen Kunstwert, welche lediglich an geschichtliche Vorgänge erinnern, Überreste vergangener Kulturepochen, Altertümer, vor- und frühgeschichtliche Fundstücke und schließlich auch reine Naturprodukte, die zugleich den Übergang zu dem speziellen Gebiete der Pflege der Naturdenkmäler bilden, gehören in den Kreis der für die Denkmalpflege wichtigen Sachen.“, Lezius, S. 2. 600 Lezius, S. 3. 601 Lezius, S. 3.
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turgüter als „Erinnerungswerte“, welche vor allem durch Kontexterhalt (4. Ebene) bestehen bleibt: „Hinsichtlich der beweglichen Denkmäler einschließlich der auch für sich ein selbständiges Ganzes bildenden Bestandteile von Bauwerken (wie z.B. Altäre, Taufsteine etc.) müssen jedoch die Bemühungen auch darauf gerichtet sein, alle Gegenstände an demjenigen Orte zu belassen, mit welchem sie infolge ihrer ursprünglichen Aufstellung gleichsam historisch verbunden sind. Denn nur da, wo sie als Erinnerungszeichen des künstlerischen, religiösen oder patriotischen Sinnes der Vorfahren dienen können, erfüllen sie den von der Denkmalpflege erstrebten Zweck der Stärkung vaterländischer Liebe zur Heimat in vollem Maße.“602
Hajós weist auf den Beginn der Verknüpfung von nationalem Identitätsgedanken und Kulturgütern sowie die Bedeutung der Heimatverbundenheit in dieser Zeit hin, welche durch ihre Politisierung in der Zeit des Nationalsozialismus für den Denkmalschutz nach 1945 abgelehnt wird603. Auf dem Gebiet des Baudenkmalschutzes waren zwei frühe preußische Gesetze wegweisend, auch in Hinblick auf den Schutz von Denkmalen in privater Hand. Das Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Juni 1902604 enthielt erstmals eine Möglichkeit, die Anbringung von Reklameschildern und ähnlichen Einwirkungen auf Baudenkmale zu verbieten. Das Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907605 ging darüber hinaus und ermöglichte das generelle Verbot von Veränderungen an bestimmten Bauten und deren Umgebung606 . Das früheste Beispiel eines umfassenden Denkmalschutzgesetzes auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens ist das Denkmalschutzgesetz für das Großherzogtum
602 Lezius, S. 4. 603 Dies hat wiederum zu einer teilweisen „Verwissenschaftlichung“ des Denkmalschutzes geführt und damit zu weniger Akzeptanz in der öffentlichen Wahrnehmung, vgl. Hajós, S. 30ff. 604 Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Juni 1902, Gesetzessammlung, S. 159, abgedruckt in Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908, S. X, folgend: Gesetz gegen Verunstaltung 1902. 605 Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907, Gesetzessammlung, S. 260, abgedruckt in Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908, S. X, folgend: Gesetz gegen Verunstaltung 1907. 606 § 2, Gesetz gegen Verunstaltung 1907.
110 | S AMMLUNGEN DES A DELS Oldenburg vom 18. Mai 1911607. Das von Friedrich August (August II.) Großherzog von Oldenburg in Zustimmung mit dem Landtag erlassene Gesetz gibt als Grund der Schutzmaßnahmen das öffentliche Interesse an der Erhaltung der genannten Kulturdenkmale an608. Voraussetzung für die Schutzmaßnahmen war der Eintrag in eine Denkmalliste, welche von den Behörden geführt wurde 609. Denkmalpfleger sollten gegenüber den Behörden beratend tätig werden, ein zusätzliches Beratergremium wurde durch einen Denkmalrat eingerichtet610. Gegenüber den Denkmalpflegern und Behörden bestand eine Auskunftspflicht für Eigentümer sowie die Verpflichtung, den Fachkräften Zutritt zu den Denkmalen zu gewähren611. Auf staatliche Denkmäler konnte das Gesetz nicht angewendet werden612 . Das Gesetz umfasste sowohl Maßnahmen zum Bestands- als auch zum Abwanderungsschutz (1. und 3. Ebene): Sowohl für Baudenkmale als auch für bewegliche Denkmale galt die Genehmigungspflicht für Zerstörung, Veränderung, einschneidende Instandsetzungsmaßnahmen sowie Verkauf, wobei bei Baudenkmalen die Umgebung in den Schutzbereich einbezogen wurde und bei beweglichen Denkmalen auch die Ausfuhr aus dem Großherzogtum genehmigungspflichtig war613. Diese durfte jedoch „nicht versagt werden, wenn das Denkmal durch Erbgang an einen außerhalb des Großherzogtums Wohnenden gefallen ist oder, wenn es sich um ein Denkmal handelt, das schon seit längerer Zeit sich im Besitz des Verfügungsberechtigten oder dessen Familie befindet, und der Verfügungsberechtigte seinen Wohnsitz im Großherzogtum aufgibt.“614
Zur Wahrung des Gesamteindruckes waren auch Gemeinden und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts verpflichtet, vor der Ausstattung eines Baudenkmals mit Mobiliar und anderen Gegenständen eine Genehmigung einzuholen615. Sämtliche Genehmigungen konnten mit Auflagen erteilt werden616, und Privatpersonen hatten das Recht, für entstandenen Schaden Entschädigungen zu verlangen oder
607 Denkmalschutzgesetz für das Großherzogtum Oldenburg, 18. Mai 1911, Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg, XXXVII. Band, ausgegeben den 27. Mai 1911, S. 959-970, No. 153, folgend: Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 608 § 1, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 609 §§ 1, 5, Denkmalschutzgesetz Oldenburg; zuständige Behörden waren im Herzogtum das Innenministerium, in den Fürstentümern die Regierungen, § 2, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 610 §§ 3, 4, Denkmalschutzgesetz Oldenburg; zu den Beratungstätigkeiten gehörte die Anfertigung von Gutachten zur Entscheidung über die Eintragung in eine Denkmalliste durch die Behörden, § 6, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 611 § 25, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 612 § 28, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 613 §§ 9,10, 13, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 614 § 13, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 615 § 20, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. 616 § 14, Denkmalschutzgesetz Oldenburg.
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den Staat zur käuflichen Übernahme des Baudenkmals oder beweglichen Denkmals zu verpflichten617. Als Denkmale im Sinne des Gesetzes galten: „Bauwerke, deren Erhaltung wegen ihrer kunstgeschichtlichen oder sonst geschichtlichen Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt“618, deren Umgebung619 und bewegliche Gegenstände (auch Urkunden), deren Erhaltung wegen ihrer Bedeutung für die Geschichte, insbesondere auch die Kunst-, Kultur- und Naturgeschichte des Großherzogtums im öffentlichen Interesse liegt.“620 Des Weiteren sollten auch frühgeschichtliche Objekte und Naturdenkmale geschützt werden621 . In der dem Gesetz zugehörigen Denkmalliste waren zum Zeitpunkt der Übernahme durch das Denkmalschutzgesetz des Landes Niedersachsen 225 Baudenkmale und 175 bewegliche Denkmale erfasst622 , welche in das aktuelle Verzeichnis übertragen wurden, sofern sie mit Inkrafttreten des Gesetzes noch auffindbar waren. Mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919623 wurde der Kulturgüterschutz als Aufgabe der neuen Republik verankert: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates. Es ist Sache des Reichs, die Abwanderung deutschen Kunstbesitzes in das Ausland zu verhüten.“624 Damit wurden Bestandsschutz (1. Ebene) und Abwanderungsschutz (3. Ebene) als Verfassungsauftrag festgelegt625. Infolgedessen wurden noch im selben Jahr die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken626 mitsamt den zugehörigen Ausführungsbestimmungen627 erlassen. Die Verordnung enthielt bereits den wesentlichen Kern des heute gültigen KultgSchG:
617 618 619 620 621 622 623
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627
§ 17, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. § 1, Absatz 1, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. § 1, Absatz 3, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. § 1, Absatz 5, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. § 1, Absatz 4, Denkmalschutzgesetz Oldenburg. Vgl. Backhaus, S. 13f. Die Verfassung des Deutschen Reichs, 11. August 1919, RGBl. 1919, S. 1383ff, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19190004 &zoom=2&seite=00001383&ues=0&x=19&y=10, folgend: Weimarer Reichsverfassung. Artikel 150, Weimarer Reichsverfassung; des Weiteren ist Artikel 142 zu nennen: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“, Artikel 142, Weimarer Reichsverfassung. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie beispielsweise Bayern (Abwanderungsschutz in Artikel 141, Abs. 2) hat Niedersachsen diesen Auftrag nicht in die Länderverfassung übernommen, vgl. Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 7. Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, 11. Dezember 1919, RGBl. 1919, S. 1961-1962, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra &datum=19190004&seite=00001961&zoom=2, folgend: Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. Ausführungsbestimmungen zur Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, 11. Dezember 1919, RGBl. 1919, S. 1962-1963, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-conte
112 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Die Ausfuhr eines Kunstwerkes bedarf der Genehmigung, sobald es in das Verzeichnis der Werke eingetragen ist, deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz bedeuten würde.“628
Das zugehörige Verzeichnis wurde vom Reichsminister des Innern geführt und „[d]ie Eintragung muss[te] erfolgen, wenn eine Landeszentralbehörde sie verlangt.“629 Eine Ausfuhrgenehmigung für eingetragene Kunstwerke durfte nur erteilt werden, nachdem ein beratender Ausschuss der Ausfuhr zugestimmt hatte, was wiederum nur erlaubt war, „wenn der materielle Gewinn des Reichs den Verlust des Kunstwerks rechtfertigt.“630 Im Gegensatz zu heute wurde damit eine Ausfuhr nicht grundsätzlich negativ bewertet, sondern in einen wirtschaftlichen Kontext gestellt. Die Ausführungsbestimmungen enthielten zudem noch die Meldepflicht für Eigentümer bei Veräußerung, Ortswechsel oder Verlust631. Zunächst war die Geltungsdauer der Verordnung beschränkt auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1925, wurde allerdings mehrfach verlängert und schließlich unbefristet gültig. Durch die Übernahme des früheren Reichsrechts in Bundesrecht blieb sie bis zum Erlass des KultgSchG 1955 in Kraft632. Eine Veröffentlichung des zugehörigen Verzeichnisses der national wertvollen Kunstwerke von 1927633 enthielt in Tabellenform zu jedem Kunstwerk eine laufende Nummer, den Künstler sowie eine Bezeichnung, den Eigentümer und eine Ortsangabe zum Standort des Kunstwerkes. Das insgesamt 705 Positionen umfassende Verzeichnis unterteilte die Objekte in folgende Kategorien: Gemälde, Handzeichnungen, Handschriften und illustrierte Bücher, Plastik, Medaillen, Kunstgewerbe, Gold
628 629 630 631 632
633
nt/alex?aid=dra&datum=1919&page=2140&size=45, folgend: Ausführungsbestimmungen 1919. § 1, Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. § 2, Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. § 3, Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. § 3, Ausführungsbestimmungen 1919. Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken vom 21. Dezember 1925, RGBl. 1925, S. 470, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1925&page=522 &size=45, folgend: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1925; Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken vom 21. Dezember 1927, RGBl. 1927, S. 485, online abrufbar: http:// alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1927&page=537&size=45, folgend: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1927; Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken, 24. Dezember 1929, RGBl. 1929, S. 244, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/al ex?aid=dra&datum=1929&page=294&size=45, folgend: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1929; Verordnung des Reichspräsidenten über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 20. Dezember 1932, RGBl. 1932, S. 572, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at /cgi-content/alex?aid=dra&datum=1932&page=646&size=45, folgend: Verordnung über Ausfuhr von Kunstwerken 1932; vgl. Hipp S. 51. Der Reichsminister des Innern: Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke, Berlin 1927; mit der Entwicklung des Verzeichnisses der national wertvollen Kunstwerke beschäftigt sich ausführlich Maria Obenaus, vgl. Obenaus, Maria: Für die Nation gesichert? Das „Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke“: Entstehung, Etablierung und Instrumentalisierung 1919-1945, Veröffentlichung für Sommer 2016 geplant.
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und Silber, Bronze, Email, Mittelalterliches Kirchengerät, Glas, Porzellan, Elfenbein, Glasmalereien, Rüstungen und Schmiedeeisen, Holzschnitzereien, Hausrat, Uhren sowie Bildteppiche. Schließlich wurden als Kategorie „Privatsammlungen“ ganze Schlösser und Archive erfasst. Etwa 68% der erfassten Kulturgüter befand sich zu diesem Zeitpunkt im Besitz adliger Familien634. Das Verzeichnis wurde noch im Verlauf des Zweiten Weltkrieges fortgeführt und umfasste zu Beginn des Krieges etwa 1.100 Objekte, von welchen mehr als 1/3 Gemälde waren635 . Sofern über eine Aufnahme dieser Objekte in die heute gültigen Länderverzeichnisse national wertvollen Kulturgutes noch nicht negativ entschieden wurde, ist ihre Ausfuhr noch immer genehmigungspflichtig. Die Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken vom 8. Mai 1920636 bestimmte zusätzlich die Genehmigungspflicht für die Ausfuhr, aber auch die Veräußerung, Verpfändung oder wesentliche Veränderung „bewegliche[r] Gegenstände, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen, oder künstlerischen Wert haben“637 und sich im Besitz von „Körperschaften, Anstalten und Stifungen des öffentlichen Rechts“638 befanden oder zu „Familienfideikommissen, Lehen, Stammgütern und Hausvermögen“639 gehörten. Bei Zuwiderhandlung konnte der jeweilige Gegenstand eingezogen werden640 . Die Gültigkeit dieser in Bezug auf Adelssammlungen wichtigen Verordnung des Abwanderungsschutzes (3. Ebene) war befristet auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1925 und wurde nicht verlängert641. Auch um Bestandsschutzmaßnahmen (1. Ebene) bemühte man sich nach 1945 lange vor der Verabschiedung der heute gültigen Denkmalschutzgesetze. Diese Maßnahmen konnten beispielsweise Teil von Heimatschutzgesetzen sein. Die Anordnung zum Schutze und zur Pflege von Kulturdenkmalen vom 19. Januar 1945642 soll dies-
634 Laut Obenaus betrug dieser Anteil im Verzeichnis von 1922 37,5% und wurde im Verzeichnis von 1924 deutlich erhöht. Sie stellt außerdem fest, dass es trotz dieser hohen Anzahl von Eintragungen aus dem Besitz adliger Familien nicht das Ziel der Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919 war, ganze Sammlungen, sondern ausschließlich ausgewählte Kunstwerke zu bewahren, Obenaus, S. 118ff. 635 Bornheim weist darauf hin, dass die Auswahl der Objekte willkürlich erscheint, was angesichts der fehlenden Definition von Kulturgut nicht verwunderlich ist und sich bis heute nicht geändert hat, Bornheim, S. 4. 636 Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken, 8. Mai 1920, RGBl. 1920, S. 913, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dr a&datum=19200004&zoom=2&seite=00000913&ues=0&x=10&y=7, folgend: Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken 1920. 637 § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken. 638 § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken. 639 § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken. 640 § 4, Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken. 641 Vgl. Hipp, S. 51. 642 Anordnung zum Schutze und zur Pflege von Kulturdenkmalen, 19. Januar 1945, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, Stück 1, ausgegeben zu Braun-
114 | S AMMLUNGEN DES A DELS bezüglich stellvertretend erwähnt werden. Sie übertrug dem Amt für Denkmalpflege des Braunschweigischen Landes-Kulturverbandes643 die Aufgabe der Schutzmaßnahmen. Als Kulturdenkmale galten „bewegliche und unbewegliche Gegenstände, die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert haben. Darunter fallen auch die Gegenstände des privaten Eigentums“644. Zur Eintragung in entsprechende Listen, zur Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen sowie zur Genehmigung von Veränderungen hatte der zuständige Minister für Volksbildung das entsprechende Amt des Kulturverbandes zu hören645, wodurch diesem im Wesentlichen die Verantwortung für die Durchführung von Bestands- und Abwanderungsschutzmaßnahmen übertragen wurde. 2.1.6 Kommentar zur rechtlichen Situation von Kulturgüter- und Denkmalschutz International Die wissenschaftliche Betrachtung des internationalen Kulturgüterschutzes wird dominiert von der Gegenüberstellung der Haager Konvention sowie der UNESCO Konvention von 1970. Merryman fasst die Gegensätze zusamen: „These different emphases – one cosmopolitan, the other nationalist; one protective, the other retentive – characterize two ways of thinking about cultural property. I refer to them as ‚cultural internationalism‘ and ‚cultural nationalism‘. At this writing, cultural nationalism dominates the field; it provides the reigning assumptions and terms of discourse in UNESCO and other international organizations, in national forums and in the literature on cultural property.“646
Tatsächlich dominiert der Abwanderungsschutz gegenüber internationalem Bestandsschutz in Anzahl und Umfang der internationalen Rechtsvorschriften. Der Grund für die starke Beschäftigung mit diesem Thema ist vor allem in der Problematik der Umsetzung internationaler Abkommen im Kontext nationaler Vorschriften zu finden: es hat sich gezeigt, dass umfassende Ausfuhrkontrollen nicht möglich sind und der illegale Kunsthandel angewachsen ist647. In Europa wurden außerdem aufgrund des durch die Staatengemeinschaft bedingten Wegfalls der Grenzen gemeinsame rechtliche Vorschriften zum Kulturgüterschutz unbedingt nötig. Nur durch diese – und damit durch die Möglichkeit der Rückforderung illegal ausgeführten Kulturgutes – können die Einzelstaaten ihren nationalen Rechtsvorschriften auf diesem Gebiet noch gerecht werden. Eine zu weite Ausdehnung dieser nationalen Schutzmaßnahmen ist der eigentliche Grund für zu starke Kunsthandelsbeschränkungen und
643 644 645 646 647
schweig am 12. Februar 1945, S. 1, folgend: Anordnung Schutz von Kulturdenkmalen Braunschweig. § 1, Satz 1, Anordnung Schutz von Kulturdenkmalen Braunschweig. § 2, Satz 1, Anordnung Schutz von Kulturdenkmalen Braunschweig. § 3, Satz 1, Anordnung Schutz von Kulturdenkmalen Braunschweig. Merryman, S. 846. Merryman ist dagegen der Meinung, durch die Einschränkung des Handels werde der Schwarzmarkt vergrößert, vgl. Merryman, S. 848.
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häufig gewordene Restitutionen648. In der Literatur werden jedoch neben diesen Restitutionsforderungen die internationalen Abkommen kritisiert, welche deren Umsetzung ermöglichen. Die Idee des Kulturerbes der gesamten Menschheit wird dazu benutzt, den Abwanderungsschutz zu kritisieren, um die Ausfuhr von Kulturgut aus ärmeren Staaten zu ermöglichen. Denn diese – so wird argumentiert – seien nicht in der Lage, ausreichende Maßnahmen zum Bestandsschutz durchzuführen, was zur Schädigung des gemeinsamen Kulturerbes führe649 . Die finanzstärkeren Staaten, welchen ein ohnehin größeres Interesse am kulturellen Wert dieser Güter zugeschrieben wird, sollten die Möglichkeit bekommen dieses zu übernehmen650. In Hinblick auf die Schwierigkeit, selbst in den Industrienationen den Erhalt von Kulturgut in Zeiten von Arbeitslosigkeit und sinkenden Sozialleistungen (um nur zwei häufig verwendete Beispiele zu nennen) politisch durchzusetzen, wird jedoch deutlich, dass die Idee der Übernahme des Kulturgutes ärmerer Länder durch wohlhabendere zu einer rein materiellen Sicht auf dieses in den Ursprungsstaaten führen würde651 . Die Diskussion ist das scheinbare Gegenteil der Diskussion um Adelsbesitz. Während in der globalen Auseinandersetzung trotz hoher Instandhaltungskosten Kulturgüter im herkömmlichen Umfeld bleiben sollen und Internationalisten dies kritisieren, möchten die Verkäufer von Adelsbesitz aufgrund der kostspieligen Bestandspflege Kulturgüter aus ihrem Umfeld entfernen, was Kritik auslöst. In beiden Fällen steht der Abwanderungsschutz (3. Ebene) im Vordergrund. Da jedoch für die Idee des gemeinsamen Erbes der Menschheit der Bestandsschutz (1. Ebene) bedeutender ist652, erscheinen die Bemühungen um eine diesbezügliche verbesserte internationale Zusammenarbeit und dessen Finanzierung hilfreicher zu sein. Die UNESCO Konvention von 1972 mit der Liste des Welterbes und dem 648 „Die staatlichen Exportgesetze und die internationalen Schutzabkommen sind Ausdruck des oben beschriebenen Kulturnationalismus. Demgegenüber entspricht die Position derjenigen, die für einen freien Kunsthandel eintreten, dem kulturellen Internationalismus. Beide stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander. Einerseits darf es nicht zu einem völligen Ausverkauf der nationalen Kulturgüter eines Landes kommen, andererseits soll der internationale Austausch von Kulturgütern so wenig wie möglich eingeschränkt werden. Die Staaten können zu einer Auflösung des Spannungsverhältnisses beitragen, indem sie ihre Exportgesetze weder zu liberal noch zu restriktiv gestalten und nur die für ihr jeweiliges kulturelles Erbe wirklich bedeutenden Güter unter Schutz stellen.“ Hipp, S. 25; zu den bedeutendsten Fällen von Restitutionsforderungen vgl. Gillman; vgl. Merryman; vgl. Lowenthal. 649 Vgl. Merryman, S. 847. 650 Vgl. Merryman, S. 846; Gillman führt außerdem das Beispiel einer Schweizer Organisation an, welche Kunstwerke aus Afghanistan ausführen wollte, um sie vor der Zerstörung durch die Taliban zu retten, dieser Versuch scheiterte u.a. an Abwanderungsschutzbestimmungen im Sinne der UNESCO Konvention 1970; vgl. Gillman. S. 12; vgl. auch Rietschel, S. 170. 651 Noch dazu ist zu fragen, wie groß der Anteil desjenigen Kulturgutes wäre, welches nach diesem Transfer öffentlich zugänglich gemacht würde, da vermutlich die Kaufkraft privater Sammler die öffentlicher Institutionen auch in wohlhabenden Ländern deutlich übersteigt. 652 Vgl. Hipp, S. 16.
116 | S AMMLUNGEN DES A DELS Welterbefonds hat zumindest die Sicherung der markantesten kulturellen Stätten gesichert. Die Vorstellung einer Treuhänderschaft der Einzelstaaten über das in diesen zu findende Kulturgut653 , konnte so ergänzt werden um eine weltweite Treuhänderschaft, welche auch die Kosten gemeinsam trägt. Dass weltweite Kooperationen und Lösungsversuche grundsätzlich mit Problemen unterschiedlicher Interessen behaftet sind, liegt auf der Hand. Umso bedeutender sind die Versuche des Europarates, auf der Ebene der Europäischen Union gemeinsame Wege zu finden. Die stark von Verwaltungsfragen geprägte europäische Kulturgüterschutzgesetzgebung wird derart ergänzt durch Abkommen, welche den Bestandsschutz zum Inhalt haben oder diesen zumindest fördern möchten. Diese betonen zudem gleichermaßen die gemeinsamen Wurzeln sowie die nationalen Eigenheiten des kulturellen Erbes654. Wesentlich für diese Abkommen ist jedoch auch die Bedeutung, die Bildungsauftrag, Forschung und Zusammenarbeit (auch durch kulturellen Austausch655) beigemessen wird. In Hinblick auf die Geschichte Europas kommt dem Kulturgut aus Adelsbesitz diesbezüglich eine wichtige Bedeutung zu. Es ist festzuhalten, dass sowohl der Bestandsschutz (1. Ebene) als auch der Abwanderungsschutz (3. Ebene) – wenn auch nicht gleichwertig – im internationalen Recht berücksichtigt werden. Die Fragen der öffentlichen Zugänglichkeit (2. Ebene) und des Kontexterhalts (4. Ebene) werden dagegen nahezu völlig missachtet656 . Dies spiegelt sich auch in der Literatur wider, welche eine starke Polarisierung (Handel und Erhalt einerseits sowie nationale Bedeutung von Kulturgut andererseits) vornimmt, die aber zu kurz greift, wie an folgender Aussage Merrymans deutlich wird: „In the contemporary world, both ways of thinking about cultural property have their legitimate places. Both have something important to contribute to the formation of policy, locally, nationally and internationally, concerning pieces of humanity’s material culture. But where choices have to be made between the two ways of thinking, then the values of cultural internationalism 653 „Da eine Zuordnung an die Menschheit als Völkerrechtssubjekt nicht möglich ist, soll der Gedanke vom gemeinsamen Erbe der Menschheit im Bereich des Kulturgutschutzes eine Art Treuhandschaft der Staaten über das in ihrem Territorium belegene Kulturgut für die gesamte Menschheit beinhalten, mit der Aufgabe, es in internationaler Zusammenarbeit zu schützen und für die Nachwelt zu bewahren.“, Hipp, S. 18. 654 „Im Laufe dieser Arbeit wird bedauerlicherweise auffallen, dass kaum ein Regelungswerk auf der kulturellen Identität oder Erwägungen des Denkmalschutzes basiert. Es wäre sehr wünschenswert, diesen Faktoren mehr Bedeutung zuzumessen, denn eigentlich sind sie es, die den Kern aller Kulturgüterschutzgedanken verkörpern und nicht der Wert eines Kulturgutes, der meist als ausschlaggebender Faktor für dessen Rückgabe herangezogen wird.“, Rietschel, S. 16; dieser Aussage Rietschels ist daher nur mit dem Hinweis zuzustimmen, dass sie – wie sämtliche Autoren rechtswissenschaftlicher Literatur zum Kulturgüterschutz – die Abkommen des Europarates kaum oder gar nicht behandelt. 655 Dies sind auch die Punkte, die Rietschel für bedeutsam hält, umso erstaunlicher ist es, dass auch sie die Abkommen des Europarates nicht behandelt, vgl. Rietschel, S. 172. 656 „Als Grundlage der Regulierung des Kulturgütertransfers sollten Überlegungen wie Ensembleschutz, Kontextarchäologie und Zugänglichkeit dienen. Auf internationaler Ebene spielen diese Kriterien in den Kulturgüterschutzbestimmungen jedoch [...] kaum eine Rolle.“, Rietschel. S. 170.
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– preservation, integrity and distribution/access – seem carry greater weight. The firm, insistent presentation of those values in discussions about trade in and repatriation of cultural property will in the longer run serve the interests of all mankind.“657
Als gegensätzliche Pole abzuwägen wären stattdessen: Der Idealfall, welcher den Bestandsschutz (1. Ebene) im Zusammenhang mit dem bestmöglichen Erhalt des Kontextes (4. Ebene) sowie einer öffentlichen Zugänglichkeit (2. Ebene) gewährleistet, was unweigerlich eine geographische Bindung des Kulturgutes (3. Ebene) zur Folge hätte. Wogegen im schlimmsten Fall Kulturgut zunächst aus seinem Kontext entfernt und aus dem Herkunftsland ausgeführt wird, da der Bestandsschutz in einem finanziell stärkeren Staat als wahrscheinlicher angenommen wird. Doch weder dieser, noch die öffentliche Zugänglichkeit sind bei einem Verkauf in eine Privatsammlung gewährleistet. Es scheint hilfreich, diese Pole in sämtliche Überlegungen zum Kulturgüterschutz – also auch die Frage nach dem Umgang mit Sammlungen in Adelsbesitz – einzubeziehen658. National In Deutschland bezieht sich der Kulturgüterschutz auf Bundesebene ausschließlich auf Maßnahmen zum Abwanderungsschutz von so genanntem „national wertvollen Kulturgut“. Ebenso wie in internationalen Abkommen ist dieser Begriff hier nicht klar bestimmt. Durch die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz wird jedoch die Belegenheit stärker gewichtet als Merkmale der Entstehung eines Objektes659. Die häufig vertretene Praxis, vor allem Werke international bekannter Künstler oder hochpreisige kunstgewerbliche Objekte als national bedeutsam einzustufen, muss gerade vor dem Hintergrund einer wachsenden Bedeutung des gemeinsamen Kulturerbes aller Völker kritisch betrachtet werden660 und könnte außerdem zu Unklarheiten führen, da mehrere Staaten Ansprüche auf ein solches Werk erheben könnten: 657 Merryman, S. 853. 658 Nimmt man diese beiden Pole als Grundlage der Zielsetzung von Kulturgüterschutz und ordnet man den Ebenen eine unterschiedliche Wertigkeit zu (was auch Merryman in seiner hier zitierten Aussage tut), ergibt sich folgendes Vorgehenschema für Objekte in öffentlichem Besitz: Ziel = Erreichen der Ebenen 1-4, ist der Erhalt des Kontexts nicht möglich = Erreichen der Ebenen 1-3, sind der Bestandsschutz und die öffentliche Zugänglichkeit im Herkunftsland nicht möglich = Erreichen der Ebenen 1-2. Für Objekte in Privatbesitz: Ziel = Erreichen der Ebenen 1-4, ist der Erhalt des Kontexts nicht möglich = Erreichen der Ebenen 1-3, ist die öffentliche Zugänglichkeit nicht möglich = Erreichen der Ebenen 1 und 3 durch nationale Vorschriften. 659 Vgl. Hipp, S. 15; Graf geht so weit, das Verzeichnis als „aus wissenschaftlicher Sicht eher als hanebüchen zu bezeichnen“, Graf, Klaus: Sammlungen. Schatzhäuser des Adels in Gefahr, in: Kunstchronik. Monatsschrift für Kunstwissenschaft, Museumswesen und Denkmalpflege, 58. Jahrgang, April 2005, Heft 4, herausgegeben vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Mitteilungsblatt des Verbandes deutscher Kunsthistoriker e.V., S. 183. 660 Schütte weist eindringlich auf diese Problematik hin: „Nur exzeptionelle, für den deutschen Kulturbesitz unverzichtbare, d.h. unser nationales Erbe verkörpernde, als Zeugnis unserer nationalen Identität und unseres geschichtlichen Selbstverständnisses unersetzli-
118 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Probleme entstehen, wenn ein Kulturgut mehrere Kategorien erfüllt, die auf unterschiedliche Zuordnungen verweisen. So kann der Belegenheitsort eines Kulturgutes wechseln, die Nationalität eines Künstlers von seinem Schaffensort abweichen oder ein Künstler für einen anderen Staat eine Auftragsarbeit ausführen. In diesen Fällen soll jeweils das Kriterium ausschlaggebend sein, das die engste Verbindung des Kulturgutes zu einer Nation aufweist. Diese im Einzelfall festzustellen, bereitet allerdings Schwierigkeiten.“661
Die Betonung der Bedeutung für das kulturelle Erbe Deutschlands in der Neufassung des KultgSchG2016 ist diesbezüglich für die Zukunft als wertvolle Neuerung zu betrachten. Vor dieser Neufassung ist das KultgSchG trotz einiger Bemühungen in seinem Kern nicht grundlegend verändert worden. Ein Blick auf entsprechende Regelungen anderer Staaten zeigt jedoch, dass es durchaus umsetzbare Vorbilder gegeben hat und noch immer gibt. Beispielsweise hat Australien – angelehnt an den Weltkulturerbefonds – einen nationalen Kulturgüterfonds eingerichtet662 und einige Staaten sehen ein staatliches Vorkaufsrecht für ausgewählte Kulturgüter vor663. Dieses führt in Großbritannien zu einem Ausfuhrverbot für zwei bis drei Monate, um der öffentlichen Hand die Möglichkeit zu geben, dem Verkäufer ein angemessenes Angebot zu unterbreiten und die nötigen Kosten durch Stiftungsförderungen und das Aufstocken von Museumsetats aufzubringen. Nach den so genannten „Waverley Kriterien“ werden folgende Fragen herangezogen, um die nationale Bedeutung von Kulturgütern zu bestimmen: „Is [the object] so closely connected with our history and national life that its departure would be a misfortune? Is it of outstanding aesthetic importance? Is it of outstanding significance for the study of some particular branch of art, learning or history?“664
Ein ähnliches Verfahren in Deutschland hätte zur Folge, dass Kulturgut, dessen Abwanderung akut durch Verkaufsabsichten des Eigentümers droht, ohne starken Eingriff in den Kunstmarkt für die deutsche Öffentlichkeit erhalten werden könnte. Dies
661 662
663 664
che Werke gehören auf die Liste. Es muss sich um unser Patrimonium handeln, nicht um bloß wünschenswerte Bestandsergänzungen der Museen oder um wichtiges Material für die wissenschaftliche Forschung.“, Schütte, S. 3564. Hipp, S. 16. Protection of Movable Cultural Heritage Act 1986, Act No. 11 of 1986, online abrufbar: http://www.comlaw.gov.au/Details/C2011C00238, folgend: Movable Cultural Heritage Act. Beide Maßnahmen hält auch Schütte für unbedingt nachahmenswert, vgl. Schütte, S. 3565. The Waverley criteria, online abrufbar: http://old.culture.gov.uk/what_we_do/cultural_ property /4140.aspx, folgend: Waverley Kriterien; vgl. auch Gillman, S. 198; nicht berücksichtigt werden durch diese Kriterien Sammlungen in ihrem Gesamtbestand, was dazu führte, dass nach dem „Holkham Sale“ 1990 bedeutende Zeichnungen nicht zusammengehalten werden konnten und in der Folge über ein weiteres Kriterium nachgedacht wurde, welches den Schutz solcher Sammlungen, die ihren Wert nur durch die Gesamtheit erhalten und deren Einzelteile nicht von schützenswertem Wert sind, ermöglichen könnte; dies ist jedoch bisher nicht geschehen, vgl. Gillman, S. 143ff.
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könnte zu zwei wesentlichen Verbesserungen gegenüber der heutigen Situation führen: Die Unterschutzstellung wäre nicht bereits im Vorfeld abschreckend für den Eigentümer und dieser müsste nicht auf eine angemessene Verkaufssumme verzichten. Des Weiteren würden solche bedeutenden Objekte nicht nur im Sinne der 3. Ebene in Deutschland gehalten, sondern zudem im Sinne der 2. Ebene auch in die öffentliche Hand überführt, damit der Forschung sowie einem interessierten Publikum zugänglich gemacht und zusätzlich durch diese Überführung auch im Sinne der 1. Ebene im grundsätzlichen Bestand geschützt. Der kurze historische Überblick hat gezeigt, dass das KultgSchG von 1955 im Grunde kaum Neuerungen gegenüber dem Vorgängergesetz von 1919 geboten hat. Wenn auch der Kulturgüterbegriff den des Kunstwerkes ersetzt hat, blieben die Maßnahmen doch prinzipiell die gleichen. Damit hat es die Gefahr einer „völligen Liberalisierung“665 der Kulturgüterausfuhr in der Bundesrepublik (und bereits seit der Weimarer Republik) tatsächlich nie gegeben. Ein Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes, wie es momentan besteht, muss allerdings dazu führen, einzelne Objekte (die zudem vor allem durch die unterschiedliche Eintragungspraxis der Länder teilweise willkürlich gewählt scheinen) über anderes Kulturgut zu stellen und erweckt damit den Eindruck des Versuchs, einen feststehenden Kanon hochrangiger Güter zu erstellen. Da jedoch der tatsächliche Kulturgüterbestand in einem Staat mit Sammeltradition wie Deutschland eine unbekannte Größe ist und bleiben wird666, müssen bei einer solchen Liste diejenigen Objekte, die nicht in ihr enthalten sind, immer mit bedacht werden. Von Bedeutung wäre es daher, sich der Objekte, die tatsächlich in Bestand oder Belegenheit bedroht sind, anzunehmen. Zweifellos würde eine solche Lösung den Einbezug der Fachwelt in einem höheren Maße nötig machen als dies bisher der Fall ist. Es ist des Weiteren zu fragen, ob der Bund auch im Bestandsschutz, den er an die Länder abgegeben hat, eine vereinheitlichende Rolle einnehmen sollte. Mutwillige und vor allem durch Unkenntnis oder fehlende Mittel entstandene Zerstörungen bedeuten, auch in Hinsicht auf die Ideen eines europäischen und weltweiten Kulturerbes, eine größere Gefahr als die Abwanderung667. Der Bestandsschutz bleibt daher die bedeutendste Aufgabe des Kulturgüterschutzes und sollte auch rechtlich und gesellschaftlich als solche erkannt werden. Dies ist unabhängig davon, ob der Einzelne dem jeweiligen Kulturgut Werte zuschreibt oder nicht und davon, ob dieses in privatem oder öffentlichem Besitz ist668. Die Aufnahme eines Zerstörungsverbotes in das KultgSchG2016 ist als positives Zeichen in diesem Zu665 „So war die Bundesrepublik mit der Einführung des Gesamtverzeichnisses im Grunde gut beraten, wenn schon niemand eine völlige Liberalisierung befürworten mochte, die in der Schweiz und den USA jedes Gesetzesvorhaben zum Zwecke einer Kulturgutarretierung von vornherein ausgeschlossen hat.“, Schütte, S. 3562. 666 „Die Geschichte des deutschen privaten Kunstbesitzes ist noch nicht geschrieben. Sie könnte auch nur mit großen Einschränkungen geschrieben werden, u.a. dank der Respektierung bestimmter privater, intimer Sphären.“, Bornheim, S. 14. 667 Vgl. Gillman, der darauf hinweist, dass die Zerstörung von Kunstwerken sowohl aus wirtschaftlicher Sicht verhindert werden sollte als auch aus Gründen der Bedeutung, welche Kulturgut nicht nur für den Eigentümer, sondern ebenso für andere Menschen haben kann, Gillman, S. 71. 668 Vgl. Gillman, S. 172.
120 | S AMMLUNGEN DES A DELS sammenhang zu bewerten, wurde bisher jedoch im Rahmen der ausführlichen Debatte um dieses Gesetz nicht beachtet. Das Argument, das Ansehen Deutschlands könne leiden, wenn keine hochwertigen Objekte mehr ausgeführt würden sowie Bornheims Gegenargument, dass dieses stärker leide, wenn man zu viel Kunstbesitz weggebe669, scheinen in der Frage der Verhältnismäßigkeit eines nationalen Kulturgüterschutzes noch immer aktuell zu sein. Gerade die Behandlung der Sammlungen von Adelshäusern ist diesbezüglich prekär: durch die Größe der Bestände, die internationale Herkunft der Objekte (auch durch die internationalen Beziehungen der ehemals regierenden Häuser untereinander) sowie die wirtschaftliche Attraktivität, welche bereits durch die Provenienz begründet wird, sind Verkäufe aus Adelsbesitz mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil des internationalen Kunstmarktes. Neben der Tatsache, dass es sich bei diesen Objekten in vielen Fällen nicht um herausragende und hochbedeutende Kunstwerke handelt, scheint dies ein Grund dafür zu sein, warum der Schutz durch das KultgSchG nicht auf die Gesamtbestände (oder größere Teile aus diesen) angewendet werden kann. Die Frage nach dem „wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz“670 sowie die Empfehlung der Kultusministerkonferenz, auch regional bedeutende Kulturgüter zu erfassen671, scheinen diesbezüglich deutlich zu wenig Beachtung zu finden. Auch in diesem Zusammenhang könnte eine Verbesserung durch das KultgSchG2016 erreicht werden. Niedersachsen Die Bedeutung der Denkmalschutzgesetze der Länder ist nicht hoch genug einzuschätzen. Das Beispiel des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes hat gezeigt, dass in diesem rechtlich nahezu alle Punkte eines modernen Kulturgüterschutzes angelegt sind: eine erweiterte Kulturgutdefinition672, die Bedeutung sowohl des authentischen Materials als auch der historischen Funktion und einer möglichen Nutzung für die Gegenwart673, Bestandsschutz, Ansätze des Kontexterhaltes sowie (durch die Anzeigepflicht von Veräußerungen für bewegliches Kulturgut) auch Möglichkeiten des Abwanderungsschutzes674. Trotz dieser großen Schutzmöglichkeiten, welche die
669 Vgl. Bornheim, S. 18. 670 § 1, Absatz 1, KultgSchG; auf diese entscheidende Formulierung macht auch Schütte – wenn auch in anderem Zusammenhang – aufmerksam: „Man kann darüber streiten, ob die Abwanderung eines Gemäldes von Pablo Picasso, ‚Maler und Modell‘, angesichts des großen Oeuvre dieses [...] Künstlers und seiner Repräsentanz in öffentlichen und privaten Sammlungen der Bundesrepublik „einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde“, Schütte, S. 3563. 671 Punkt 6 e), Kriterienkatalog 1983. 672 „[I]m Sinne einer interdisziplinären Kulturwissenschaft“, wie sie Hajós fordert, vgl. Hajós, S. 23. 673 Vgl. Hajós, S. 24f. 674 Im Zusammenhang von Kontexterhalt und Abwanderungsschutz besteht jedoch die Gefahr, den Begriff des „Zubehörs“ als Möglichkeit des Abwanderungsschutzes zu nutzen, was nicht im Sinne des Gesetzes ist und den ohnehin schwierigen Begriff von „Zubehör“ oder „Inventar“ sowie die Grenzfälle zwischen unbeweglichem Kulturgut und dessen
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Denkmalschutzgesetze bieten, scheint der Stellenwert des Denkmalschutzes in Fachkreisen und der Öffentlichkeit – und vor allem auf politischer Ebene – viel zu gering zu sein. Dies führt zu einer eingeschränkten Tätigkeit, die sich hauptsächlich auf Baudenkmalschutz bezieht und in der öffentlichen Wahrnehmung geprägt ist von Kontrollen und Einschränkungen des privaten Eigentümers in seiner Lebensumwelt. Um die Möglichkeiten des Gesetzes zum Vorteil von Eigentümern, Öffentlichkeit und Wissenschaft nutzen zu können, scheinen ein grundlegendes Umdenken sowie das Überdenken von Strukturen und ein damit verbundener „Imagewechsel“ nötig zu sein. Auch sollten personelle Ressourcen darauf ausgerichtet sein, durch enge Zusammenarbeit mit privaten Eigentümern größerer Kulturgüterbestände – wie es bei einigen Adelshäusern noch immer der Fall ist –, deren Erfassung und Bewahrung zu gewährleisten sowie die Möglichkeiten einer Öffnung für (Fach-)Publikum gemeinsam zu durchdenken675. Nicht zuletzt sollte eine Lösung gefunden werden, um einen modernen Kulturgüterschutz und den mit der Idee des kulturellen Erbes eng verbundenen Bildungsauftrag nicht wie im bisherigen Maße durch die Haushaltslage der Länder auszubremsen. Die bereits vor Jahrzehnten von Engstler gewählten Worte haben weiterhin Bestand und sollen daher an dieser Stelle ausführlich wiedergegeben werden: „Immerhin muss in diesem Zusammenhang nachdrücklich betont werden, dass Staaten mit sehr reichem Kulturerbe wie [dem] der Bundesrepublik auch gesteigerte Erhaltungspflichten im Interesse der gesamten Menschheit, der lebenden wie zukünftigen Generationen, auferlegt sind, deren Nichterfüllung sich von einer gewissen Grenze ab nicht mehr mit dem bloßen Hinweis auf die angespannte Haushaltslage entschuldigen lässt. Sicherlich trifft es zu, dass den Maßnahmen zum Schutze des Menschenlebens der Vorrang gebührt. Gleichwohl handelt es sich hierbei nicht um eine Alternative. Die Annahme einer solchen würde den Menschen zum bloß körperlichen Wesen erniedrigen und verkennen, dass das kulturelle Erbe ein für die Befriedigung der menschlichen Lebensbedürfnisse besonders unentbehrliches Gut darstellt.“676
Leitlinien Es bleibt der Rechtswissenschaft überlassen, juristische Sachverhalte, wie sie im Unterschied zwischen der UNESCO Konvention von 1970 und dem UNIDROIT Abkommen zu finden sind, hervorzuheben und abzuwägen. Aus kulturwissenschaftlicher Sicht scheint die Frage nach sinnvollem Bestands- und Abwanderungsschutz vor der Frage nach den Möglichkeiten der Rückführungen illegal ausgeführten Kulbeweglichen oder abgetrennten Bestandteilen weiter verkompliziert, vgl. Hipp, S. 13f; vgl. Rietschel, S. 12f. 675 Dies ist laut von Rohr eines der Ziele der Denkmalschutzgesetze gewesen, sie vermutet zudem, dass viele Eigentümer den Wert ihrer Kulturgüter noch nicht erkannt haben: „Alle kulturhistorischen Objekte, die sich nicht im Schutz einer öffentlichen Einrichtung befinden, sind gefährdet, durch Verkauf oder Weitergabe zerstreut zu werden (z.B. wurde vor einigen Jahren die Rokoko-Einrichtung von Schloss Seehof bei Bamberg stückweise verkauft); oder sie werden aus Unkenntnis oder Absicht vernachlässigt, verfallen deshalb oder werden vernichtet. Die neuen Denkmalschutzgesetze sollen diese Tendenzen im Interesse der Öffentlichkeit einschränken.“, von Rohr 1977, S. 17 und 18. 676 Engstler, S. 112.
122 | S AMMLUNGEN DES A DELS turgutes zu stehen. Diesbezüglich sind erneut die Bemühungen des Europarates hervorzuheben, den Wert des kulturellen Erbes sowohl für eine Staatengemeinschaft als auch für die jeweiligen Einzelstaaten zu betonen. Aus diesem Wert heraus ergeben sich die gesellschaftlichen sowie politischen Verpflichtungen, welchen auf internationaler und auch nationaler Ebene nachgekommen werden sollte. Kultur wird hier als Bindeglied verstanden, das zur Verständigung der Nationen beitragen kann. Frühe Leitlinien wie die Charta von Venedig und die Europäische Denkmalschutzcharta haben wegweisende Funktionen übernommen. Sie haben gezeigt, dass auch nicht-rechtsverbindliche Abkommen von großer Bedeutung sein können und gerade durch die größere Unabhängigkeit von juristischen Fragestellungen den Notwendigkeiten des Kulturgüterschutzes gerecht werden, um als Vorbilder für weiterführende Maßnahmen zu dienen. Sie haben noch immer Gültigkeit, doch sollten ihnen neue folgen, um die Bedeutung des Themas in der kulturwissenschaftlichen Diskussion lebendig zu halten. Diese wissenschaftlichen Auseinandersetzungen können Fragestellungen des Kulturgüterschutzes – wie die nach einem Schutz des Kulturerbes aus Adelsbesitz – konkreter behandeln als Rechtsvorschriften. Die Wörlitzer Resolution ist diesbezüglich ein Schritt, dem weitere folgen sollten. Historie Die Betrachtung der historischen Entwicklung von Kulturgüter- und Denkmalschutz hat gezeigt, dass deren Aufgaben bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt worden waren. Die damalige wissenschaftliche und rechtliche Auseinandersetzung mit dieser Thematik kann noch immer erkenntnisreich sein, wenn man Mörschs Anmerkung, die Geschichte des Denkmalschutzes sei gleichzeitig die Geschichte der nicht mehr rückgängig zu machenden fehlerhaften Eingriffe677, als Warnung begreift und als Hinweis darauf, dass jedes Gesetz nur so gut ist wie dessen Ausführung. Kulturgüter- und Denkmalschutz wurden durch die beiden Weltkriege mit ihren Folgen grundlegend erschüttert, in ihrer Entwicklung zurückgeworfen und vor neue Aufgaben gestellt. So wie die Annahme dieser Aufgaben zu neuen Wegen – vor allem der internationalen Zusammenarbeit, aber auch der Kulturgutdefinition – geführt hat, so sollten die heute durch gesellschaftliche und politische Änderungen hervorgerufenen Aufgaben erkannt werden. Diese Aufgaben können aus den von Hipp beschriebenen Problemkreisen wie Krieg, Vandalismus, Umweltschäden, Massentourismus, illegalem Kunsthandel, Restitutionsansprüchen und Raubgrabungen abgeleitet werden, deren Vielfalt unweigerlich die Forderung nach einer stärker interdisziplinären Arbeit hervorbringen muss678. Ergänzt werden diese durch weniger deutliche Problemfelder, die durch Veränderungen gesellschaftlicher Gruppen – wie der des Adels – hervorgerufen werden. Der hier beschriebene rechtliche Hintergrund darf nicht allein verantwortlich sein. Die Umsetzung sowie kritische Betrachtung durch die Fachwissenschaften (Kunstwissenschaft, Archäologie, Geschichte) ist ebenso zwingend nötig 677 Vgl. Mörsch, S. 9; des Weiteren: „Dass jedes Werkzeug, sei es noch so spezialisiert oder auf andere Weise vorzüglich, Nutzen nur in der Hand des verantwortungsbewussten und kompetenten Anwenders stiftet, mag jedoch noch so sehr eine Binsenweisheit sein – für die Denkmalpflege ist sie kaum thematisiert, geschweige denn systematisch in Handlungsstrategien umgesetzt worden.“, Mörsch, S. 9. 678 Vgl. Hipp, S. 21.
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wie die Aufkärungsarbeit zum Thema des kulturellen Erbes für die Öffentlichkeit. Nur durch den Einsatz von Forschung und Wissenschaft kann zudem auf inhaltliche Fragen wie den Umgang mit Kulturgütern aus Adelsbesitz eingegangen werden. Die rechtliche Auseinandersetzung mit dem Kulturgüterschutz beschäftigt sich mit solchen Fragen nicht. Gleichzeitig bieten die weiten Definitionen der rechtlichen Vorschriften jedoch Möglichkeiten zum Schutz dieser Gruppe von Kulturgütern, wobei allerdings durch die häufig große Konzentration von Objekten in der Hand eines privaten Eigentümers die Abwägung von Eigentumsschutz und öffentlichem Interesse noch stärker als ohnehin thematisiert werden muss.
2.2
K ULTURGÜTER -/D ENKMALSCHUTZ UND D ENKMALPFLEGE VS . E IGENTUMSSCHUTZ – D IE P ROBLEMATIK DER V EREINBARKEIT VON PRIVATEN UND ÖFFENTLICHEN I NTERESSEN IN
B EZUG
AUF
K ULTURGÜTER „Calling on the ‚heritage of all mankind‘ is certainly useful if we want to stop destruction, looting, decay or benign neglect, and where we want to signal to the agents of such change that they should think about values other than their own. But although claims to preserve important cultural things on behalf of all mankind may be noble and worthy of our support in principle, they frequently conflict with two other potentially competing social facts: that many things are claimed by particular cultures, and that many things are privately owned.“679 D. GILLMAN
Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie Denkmalpflege sind geprägt von den häufig widersprüchlichen Interessen der privaten Eigentümer und einem öffentlichen Interesse. Beide beanspruchen Rechte auf Kulturgüter, wobei das Interesse der Eigentümer meist auf Verfügbarkeit und Nutzen des materiellen Wertes fokussiert, das Interesse der öffentlichen Hand auf ein Mitbestimmungsrecht. Beeinflusst werden beide Positionen in immer stärkerem Maße durch wirtschaftliche Interessen wie die des Kunstmarktes und der Tourismusbranche. Im Folgenden sollen die Positionen dieses Konfliktes vorgestellt werden. 2.2.1 Eigentümerinteressen und -rechte Das Recht auf Eigentum ist im deutschen Rechtssystem fest verankert und von großer Bedeutung. Die wichtigste Rechtsquelle ist diesbezüglich Artikel 14 des Grundgesetzes, welcher neben der Gewährleistung des Eigentums auch dessen mögliche 679 Gillman, S. 15.
124 | S AMMLUNGEN DES A DELS Einschränkung durch die Gesetze, die Verpflichtung zu dessen Gebrauch im Sinne des Allgemeinwohls sowie die Möglichkeit der Enteignung gegen Entschädigung enthält680. Es handelt sich hier um eines der Grundrechte des Menschen, welche nicht vom Staat gewährt werden, sondern unabänderlich jedem Menschen zustehen681 . Des Weiteren beschäftigt sich das Bürgerliche Gesetzbuch in über dreihundert Paragraphen direkt und indirekt mit Eigentumsfragen682 . Diese ausführliche Beschäftigung ist Ausdruck der großen Bedeutung des Eigentums, sowohl für den Einzelnen als auch für das Gemeinwesen, welche eng verknüpft ist mit den Begriffen der Sicherheit683 und der Freiheit684. Die Möglichkeit der freien Verfügung über das Eigentum, die eine Entscheidung über die Nutzung beinhaltet, wird dem Persönlichkeitsrecht zugeordnet685. „Über Eigentum kann man sich und seinen Status definieren, sich von anderen abgrenzen oder sich zuordnen. Eigentlich ist Eigentum überhaupt nur denkbar innerhalb einer sozialen Kategorie, letztlich in Abgrenzung zu anderen.“686 Das heißt, dass sich Eigentum nach diesem Verständnis immer auf die Personen des Eigentümers und des Nichteigentümers bezieht und nur durch diese sowie ihr Verhältnis zueinander definiert wird687 . Ein besonders deutliches Zeichen der Zugehörigkeit oder Abgrenzung war und ist das Wohneigen-
680 „(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. (2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. (3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“, Artikel 14, GG; vgl. auch Papier, Hans-Jürgen: Die Eigentumsgarantie des Grundgesetzes, in: Kultur des Eigentums, herausgegeben von der Schwäbisch Hall-Stiftung, Berlin, Heidelberg 2006, S. 171-177. 681 Vgl. Barbier, Hans D.: Wenn das Eigentum fällt, so muss der Bürger nach, in: Kultur des Eigentums, S. 3; „Das Eigentum, das Privateigentum an Immobilien und beweglichen Gegenständen gehört zu den fundamentalen Grundentscheidungen unserer Verfassungsordnung.“, Schneider, Oscar: Kultur des Eigentums, in: Kultur des Eigentums, S. 104. 682 §§ 903-1296, Bügerliches Gesetzbuch, 18. August 1896, in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002, BGBl. I, S. 42, 2909/2003 I, S. 738, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Juli 2011, BGBl. I, S. 1600, online abrufbar: http://bu ndesrecht.juris.de/bgb/BJNR001950896.html, folgend: BGB; vgl. Würth, Reinhold: Ohne Eigentum ist alles nichts, in: Kultur des Eigentums, S. 129; die Quelle des Eigentumsrechts im BGB geht zurück auf das römische Recht, welches bereits umfangreichen Eigentumsschutz vorsah, vgl. Schneider, S. 104. 683 Vgl. Würth, S. 131; vgl. Schneider, S. 108. 684 Vgl. Bausinger, Hermann: Dies Haus ist mein... Perspektiven volkskundlicher Hausforschung, in: Kultur des Eigentums, S. 69; vgl. Schneider, S. 108. 685 Vgl. Körner, S. 69. 686 Scheel, Christine: Eigentum – was geht den Staat das an?, in: Kultur des Eigentums, S. 179. 687 Vgl. Prott/O’Keefe, S. 314.
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tum688. In der Geschichte des Eigentums allgemein – und des Wohneigentums im Besonderen – nahm der Adel eine hervorgehobene Position ein und konnte sich durch repräsentative Schlossbauten, Landgüter oder Stadtpalais sowohl von anderen Gesellschaftsschichten als auch innerhalb des Adels voneinander absetzen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Erwerb von Landbesitz oder einem Eigenheim seit jeher als erstrebenswert galt689 . Der mit diesem verbundene Wunsch nach optimaler Nutzung und Bewirtschaftung wurde zur noch heute bedeutenden Aufgabe690: „Eigentum verpflichtet, zwingt zur Selbstverantwortung. [...] Die Kultur des Eigentums ist somit eine Kultur der selbstverantwortlichen Freiheit.“691 Die Haltung, die dem Eigentum entgegengebracht wird, ist prägend für das gesellschaftliche Miteinander und kann daher nicht als unveränderbare Größe betrachtet werden, sondern als ein flexibler Bestandteil wandelbarer Gesellschaften: während die Weitergabe in der Familie und der stetige Ausbau von Wohneigentum lange Zeit einen hohen Stellenwert einnahmen, zählen heute vor allem die Möglichkeiten zur Veräußerung und zur individuellen Gestaltung692 . Privates Eigentum wird in Deutschland gesellschaftlich, politisch und rechtlich positiv bewertet, es unterliegt keiner Obergrenze und wird geschützt693. Staatliche Einwirkungen auf dieses haben gemeinschaftliche Aufgaben zum Hintergrund, zu welchen auch der Schutz des kulturellen Erbes gehört. Wie im vorigen Kapitel deutlich wurde, wirken sich die Rechtsvorschriften zum Kulturgüterschutz einschränkend auf die Nutzung von Kulturgut durch private Eigentümer aus. Besonders in der praktischen Anwendung der Denkmalschutzgesetze, aber auch in der ablehnenden Haltung der Eigentümer gegenüber dem KultgSchG694 wird deutlich, dass der Schutz des kulturellen Erbes nicht gern als gemeinschaftliche Aufgabe mit Verpflichtungen jedes Einzelnen angesehen wird. Dagegen wird die Tatsache, dass die rechtlichen Vorschriften zum Kulturgüterschutz in Deutschland auch insofern begrenzt sind, als dass ein Eigentümer kein Recht auf das Eingreifen der Behörden zum Schutz seiner oder anderer Kulturgüter
688 Vgl. Schulz, Günther: Zur Sozialgeschichte des Wohneigentums, in: Kultur des Eigentums, S. 369-376. 689 „Der Wunsch im eigenen Haus zu wohnen, erscheint als Konstante der Menschheitsgeschichte. Er zieht sich durch alle seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert durchgeführten Erhebungen. Wohneigentum war mit fortschreitender Teilhabe der breiten Bevölkerung an Politik und gesellschaftlichem Reichtum verbunden, damit zugleich eine Form der Demokratisierung.“, Schulz, S. 370. 690 Vgl. Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Haus und Hof – die Gefährdung, in: Kultur des Eigentums, S. 9. 691 Schneider, S. 103. 692 Vgl. Böckenförde, S. 9f; vgl. Schwarz, Hans-Peter: Katastrophe und Renaissance der deutschen Eigentumsgesellschaft (1914-2006), in: Kultur des Eigentums, S. 109. 693 Vgl. Scheel, S. 179ff. 694 In Bezug auf den Adel spricht Rogasch vom Gefühl der „kalten Enteignung“ und der Angst, keine geeigneten Käufer in Deutschland zu finden, vgl. Rogasch, Wilfried: Schatzhäuser Deutschlands. Kunst in adligem Privatbesitz, München, Berlin, London, New York 2004 (gleichzeitig: Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Haus der Kunst München, 19. November 2004 - 13. Februar 2005), S. 45f.
126 | S AMMLUNGEN DES A DELS hat695 , nicht als negativ empfunden. Die Rechtswissenschaft hat sich im Zusammenhang mit dem Kulturgüterschutz auch mit der Frage auseinandergesetzt, ob die diesbezüglichen Gesetze mit den Grundrechten, und damit auch Artikel 14 des Grundgesetzes, vereinbar sind, was positiv zu beantworten ist696. Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz beschäftigte sich bereits 1992 mit dem Thema Das Denkmal und sein Eigentümer – das Denkmal in privater Hand697 sowie den Möglichkeiten, das Vertrauen zwischen Denkmalbehörden und Eigentümern zu stärken. Ziel sei es, das Interesse des Eigentümers für sein Denkmal zu wecken, da „Tradition und emotionale Bindung [diesen] zum besten Hüter und Kenner seines Baudenkmals [machen].“698 Zusammenarbeit und Beteiligung der Eigentümer auch an fachspezifischen Fragen wurden gewünscht. In Bezug auf das KultgSchG fassen Bernsdorff/Kleine-Tebbe wie folgt zusammen: „Die Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck des KgSchG reicht. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Privateigentums [...] die Erhaltung der Substanz des Kulturgutes. Durch eine Versagung der Ausfuhrgenehmigung darf die Nutzung des Kulturguts nicht schlechthin unmöglich gemacht und das Eigentumsrecht nicht völlig entwertet werden.“699
Auch die Denkmalschutzgesetze belasten den Eigentümer durch Nutzungs- sowie Änderungsbeschränkungen sowohl des Boden-, als auch des Baubestandes, was zu wirtschaftlichen Belastungen führen kann700. Das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz „[...] normiert [daher] explizit die wirtschaftliche Zumutbarkeit als Voraussetzung der Erhaltungspflicht; sowohl Veränderungsverbote als auch Instandhaltungsund Instandsetzungsgebote sowie Nutzungsanforderungen stehen damit unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit.“701 Auch diejenigen Gesetze, welche die Grenze der wirtschaftlichen Zumutbarkeit nicht beinhalten, sehen Entschädigungen, Steuervorteile und den Klageweg702 für den Eigentümer vor. Es bleibt jedoch in 695 Vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 906. 696 Vgl. Körner; vgl. Backhaus, S. 35ff; vgl. Hipp, S. 81ff; vgl. Kleeberg-Eberl, S. 41. 697 Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Das Denkmal und sein Eigentümer – das Denkmal in privater Hand, Fulda 18.-19. Mai 1992, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, 1996, S. 238-239, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 1992. 698 Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 1992. 699 Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. 6; „Die eigentumsspezifische Grenze der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers liegt in der verfassungsrechtlichen Erhaltung der Substanz des Eigentums, in der Wahrung seines rechtlichen Gehalts der Privatnützigkeit und grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand.“, Körner, S. 69. 700 Vgl. Körner, S. 44ff. 701 Körner, S. 51; dabei dürfen die durch die Denkmaleigenschaft entstehenden Kosten die Erträge nicht übersteigen, vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 937. 702 Anfechtungsklage gegen Instandhaltungsmaßnahmen, Verpflichtungsklage zum Erhalten von Genehmigungen, vgl. Körner, S. 52; auch für Eigentümer von national wertvollem
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allen Fällen schwierig zu entscheiden, wie stark die Eigentümerrechte durch den Kulturgüterschutz eingeschränkt werden dürfen und – denn diese Frage wird selten direkt gestellt, ist dadurch jedoch nicht weniger relevant – inwieweit diese eingeschränkt werden müssen, um einen effektiven Schutz des gemeinsamen kulturellen Erbes erreichen zu können703. Prott und O’Keefe machen in ihren Überlegungen zu den Begriffen „cultural property“ und „cultural heritage“ deutlich, dass dem Eigentumsbegriff in unserer westlichen Kultur nicht per se Erhaltungs- oder Schutzverpflichtungen des Eigentümers innewohnen, sondern dass das Ausleben persönlicher Interessen, in welcher Form auch immer, von größter Bedeutung ist704. Ebendiese Interessen allein werden durch das Eigentumsrecht geschützt und könnten im schlimmsten Falle zu einer bewussten Zerstörung von Kulturgut führen: „If this policy is carried to its logical conclusion then the owner can be buried with a painting that he purchased for millions of dollars but which represents a peak achievement of human culture.“705 Der Begriff des Kulturerbes hilft durch seine mehrere Generationen umfassende Bedeutung, einen Wert zu beschreiben, der über die Bedeutung von Eigentum für den Einzelnen hinausgeht. Für die Vorstellung, mit Eigentum nicht nur Privilegien, sondern auch Pflichten zu verknüpfen, kann die Betrachtung von Kulturen hilfreich sein, die beispielsweise auch gegenüber dem Land in und auf dem sie leben, eine eher dankbare als fordernde Haltung einnehmen706 . Es handelt sich in diesen Fällen um Kulturkreise, in welchen Traditionen eine große Rolle im gesellschaftlichen Le-
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Kulturgut gemäß des KultgSchG sollen Steuervergünstigungen als Ausgleich dienen, vgl. Hipp, S. 93; die Bedeutung der Steuervorteile wurde wiederholt durch das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz hervorgehoben, vgl. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Resolution: Denkmalgerechte Steuerpolitik – Zur Beibehaltung steuerlicher Anreize für die Denkmalerhaltung, Berlin 18. November 2002, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 319-320, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz Resolution 2002. Laut Gillman steht die Einschränkung der Eigentümerrechte in ihrer Notwendigkeit außer Frage, doch die Frage, in welcher Form und mit welcher Berechtigung dies geschieht, führt auf Seiten von Wissenschaftlern, Kulturpolitikern, Sammlern und Anwälten zur Diskussion um das kulturelle Erbe der gesamten Menschheit und bei Philosophen und Politikern zur Frage, ob der Einzelne oder die Gemeinschaft bedeutsamer seien, vgl. Gillman, S. I. „Our argument in brief is first, that the existing legal concept of ‚property‘ does not, and should not try to, cover all that evidence of human life that we are trying to preserve: those things and traditions which express the way of life and thought of a particular society; which are evidence of its intellectual and spiritual achievements. On the other hand, they can be encompassed by the term ‚heritage‘ which also embodies the notion of inheritance and handing on. This is central to our second objection to the existing legal concept of property; that ‚property‘ does not incorporate concepts of duty to preserve and protect.“, Prott/O’Keefe, S. 307; vgl. auch Prott/O’Keefe, S. 310. Prott/O’Keefe, S. 309. Prott/O’Keefe führen als Beispiel die Aboriginies an, vgl. Prott/O’Keefe, S. 310; die Haltung ist auch bei anderen Bevölkerungsgruppen (vor allem Nomadenvölkern) zu finden.
128 | S AMMLUNGEN DES A DELS ben einnehmen707 , wobei materielle Güter ihren Wert häufig durch den Einsatz beim aktiven Erleben dieser Traditionen erhalten und weniger durch ihren Marktwert. Auch in westlichen Gesellschaften kann beobachtet werden, dass durch das Erkennen einer über den materiellen Wert hinausgehenden Bedeutungsebene, beispielsweise im zeremoniellen Gebrauch zur Ausübung einer Religion, die Bereitschaft des Einzelnen zur Einschränkung seiner Eigentümerrechte ansteigt. Dies deutet darauf hin, dass ein Umdenken, wie es Prott/O’Keefe für die Rechtswissenschaft in Bezug auf den Kulturgüterschutz fordern708, möglich wird durch die Verbindung immaterieller Bedeutungsebenen mit dem kulturellen Erbe und einer Verankerung derselben im gesellschaftlichen Bewusstsein. Eine solche Verankerung – ein Verständnis zur freiwilligen Bewahrung des gemeinsamen Erbes – ist unbedingte Voraussetzung für effektiven Kulturgüterschutz, da die rechtlichen Vorschriften immer durch die Eigentumsrechte begrenzt sein werden, was auch Sax deutlich macht: „Though it is customary to say that no one has a right to destroy those things comprising our heritage, many such items, especially works of art, are held and enjoyed as ordinary private goods without public access or regulation of any kind.“709
2.2.2 Öffentliche Interessen – Kulturelle Identität Die Gesetze zu Kulturgüter- und Denkmalschutz begründen die Einschränkung der Eigentumsrechte mit einem öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Kulturgüter710. Laut Backhaus ist die Voraussetzung des öffentlichen Interesses bereits durch die öffentliche Aufgabe der Kulturpflege erfüllt711, welche allerdings in der Niedersächsischen Verfassung nicht explizit in Bezug auf den Denkmalschutz formuliert ist712 . Im Grundgesetz fehlt die Verankerung des Kulturgüterschutzes nach dem Wegfall des Artikels 75 völlig und bezog sich auch vorher nur auf den Abwanderungsschutz. Daher muss das öffentliche Interesse an Abwanderungs- und Bestandsschutz für jedes einzelne Objekt nachgewiesen werden, um es den rechtlichen Vorschriften zu unterstellen713. Dies gestaltet sich jedoch ebenso schwierig wie die Definition von Kulturgut selbst und ist als ebenso dynamisch sowie zeitabhängig wie diese anzusehen714. Zudem ist neben der Betrachtung des Einzelobjektes dessen Einbin707 708 709 710 711 712
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Vgl. Prott/O’Keefe, S. 312. Vgl. Prott/O’Keefe, S. 318. Vgl. Sax 1990, S. 1142. Im KultgSchG durch die Formulierung des „wesentlichen Verlustes“ eines Objektes bei Abwanderung, §1, Absatz 1, KultgSchG; § 3, DSchG ND. Backhaus, S. 39; formuliert in §1, DSchG ND. Diesbezügliche Formulierungen sind: „Das Land, die Gemeinden und die Landkreise schützen und fördern Kunst, Kultur und Sport.“, Artikel 6, Niedersächsische Verfassung; „Die kulturellen und historischen Belange der ehemaligen Länder Hannover, Oldenburg, Braunschweig und Schaumburg-Lippe sind durch Gesetzgebung und Verwaltung zu wahren und zu fördern.“, Art. 72, Absatz 1, Niedersächsische Verfassung. Vgl. Körner, S. 20. „Denn ein gesetzlicher Schutz der Denkmale gilt nur so viel, wie ihm die jeweilige Generation zubilligt. Jede Schutzformel bedarf der individuellen Auslegung, jedes Gutachten
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dung in einen Gesamtzusammenhang von großer Bedeutung, da nicht nur das einzelne Erinnerungszeichen oder Geschichtsdokument gesehen werden muss, sondern gerade die Zusammenwirkung mehrerer Kulturgüter zu wissenschaftlichen Erkenntnissen oder einem ästhetisch stimmigen Gesamtbild führt. Scheinbar selbstverständlich wird das öffentliche Interesse an Kulturgut mit der Herausbildung kultureller Identität in Verbindung gebracht715. Je nach Autor und Themenschwerpunkt ist die Rede von regionaler oder nationaler Identität, welche durch die Erhaltung von Kulturgütern entstehen könne, gesteigert werde oder erhalten bleibe. Erklärungen zu diesem Aspekt fehlen jedoch bedauerlicherweise, da gerade diese nicht sichtbare Auswirkung des kulturellen Erbes auf das Leben jedes Einzelnen helfen könnte, ein größeres Verständnis für den Kulturgüter- und Denkmalschutz, auch bei den Eigentümern, herbeizuführen. Die rechtliche Voraussetzung für die mit dem Grundgesetz zu vereinbarende Einschränkung der Eigentümerinteressen liegt in genau diesem allgemeinen Verständnis: Das heißt, dass nicht nur einzelne Personen oder Fachkreise eine Erhaltung von Objekten aus geschichtlichem, künstlerischem oder wissenschaftlichem Grund fordern können, sondern diese Forderung für die Allgemeinheit zumindest nachvollziehbar sein muss. Körner spricht davon, dass die „Denkmalwürdigkeit [...] in das Bewusstsein der Bevölkerung oder mindestens eines breiten Kreises von Sachverständigen eingegangen“716 sein sollte. Es wird offensichtund jeder Hoheitsakt der Konservatoren als der ‚Träger öffentlicher Belange‘ [...] ist richterlich überprüfbar. Im Bereich der Kultur zumal kann der Gesetzgeber nur das Verfahren regeln, entscheidend ist, ob die Öffentlichkeit sich bereitfindet, sich für sie zu engagieren. Dieser sich von Generation zu Generation wandelnden Öffentlichkeit eine überzeugte Stellungnahme zugunsten der durch die Jahrhunderte sich im Kerne gleich bleibenden Denkmale abzuringen, wird das immer erneute Bemühen der von eben dieser Öffentlichkeit berufenen Konservatoren sein müssen.“, Beseler 1968, S. 32; vgl. Backhaus, S. 35. 715 Vgl. Elitz, Ernst: Erbe verpflichtet, in: arsprototo – das Magazin der Kulturstiftung der Länder 2/2008, S. 8; vgl. Gillman, S. 30; vgl. Hipp, S. 1; vgl. Mörsch, S. 31 und S. 38; vgl. Rietschel, S. 12, S. 16, S. 105 und S. 169; vgl. Schütte, S. 3654; vgl. Sladek, S. 9; vgl. Bazil, Christoph: Kulturgüter in Österreich – Bedrohung und Schutz, in: Sladek, S. 19; vgl. Horn, S. 75; vgl. Streinz, S. 19 und S. 30; vgl. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Denkmalschutz in Deutschland ist eine nationale und internationale Verpflichtung, Bonn 8. Dezember 2003, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 339-340, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 2003; vgl. Deutsche Stiftung Denkmalschutz: Dresdner Erklärung 2005 – 10 Thesen zur Denkmalpflege der Gegenwart, 8. November 2005, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 383-384, folgend: Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2005. 716 Körner, S. 22; Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert vertreten eine abweichende Meinung und sehen die vollziehenden Stellen dazu berechtigt, zu entscheiden, ob ein öffentliches Interesse angenommen werden kann, Grosse-Suchsdorf/Schmaltz /Wiechert, S. 915; ebenso forderte die Vereinigung der Landesdenkmalpfleger 1990, Eintragungen in
130 | S AMMLUNGEN DES A DELS lich, von welcher grundlegenden Bedeutung die pädagogische Aufgabe von Wissenschaft und Forschung ist717, denn Bildungsaufgaben, wie beispielsweise in den Konventionen des Europarates gefordert, sind Voraussetzung dafür, dass sich ein solches öffentliches Bewusstsein überhaupt erst herausbilden kann, welches wiederum zur Berechtigung der Schutzmaßnahmen führt. Dies steht im Gegensatz zur weit verbreiteten Auffassung einer rein dokumentarischen Aufgabe der wissenschaftlichen Arbeit, welche beschreibend bleiben soll, da sie nie den Wert des kulturellen Erbes gleichwertig wie dieses selbst vermitteln kann718 . Zweifellos ist die unmittelbare Erfahrung des originalen Objektes nicht durch wissenschaftliche Aufbereitung zu ersetzen – aus diesem Grund ist dem Bestandsschutz oberste Priorität beizumessen – doch hat die Betrachtung der rechtlichen Vorschriften gezeigt, dass diese Bedeutung von einer möglichst großen Gruppe von Menschen erkannt werden muss, bevor die Schutzmechanismen greifen können, was wiederum durch Vermittlung erreicht werden kann. Je größer der interessierte Personenkreis ist, desto wahrscheinlicher ist die Erhaltung: was als Erbe der gesamten Menschheit angesehen wird, genießt den Schutz weltweiter Konventionen und finanzieller Hilfen. Der Dokumentationswert der bekanntesten Kulturstätten wird von der Allgemeinheit nicht in Frage gestellt 719 und wird ergänzt durch einen psychologischen Wert der Identifikation720 . Kulturelle Identität hat ihren Ursprung – wie jede Gruppenidentität – jedoch häufig im direkten Lebensumfeld der beteiligten Personen. Kollektive Identitäten entstehen durch soziale Interaktionen, durch gemeinsame Tätigkeiten, welche einen Personenkreis von anderen abgrenzen721 . Gemeinsame Interessen, Ziele und Erfahrungen
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die Denkmalbücher „allein nach fachlich-wissenschaftlichen Kriterien“, Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Thesen der Landesdenkmalpflege, Wartburg, 2. März 1990, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Band 52, Bonn 1996, S. 209-210, folgend: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger 1990; auch Beseler betont die Problematik zwischen Fachwelt und Öffentlichkeit: „[...] so darf nicht übersehen werden, dass der Erkenntnisstand der Fachwelt nicht identisch ist mit dem Bewusstseinsstand unserer Gesellschaft, der ebenso von den Verwaltungsgerichten, wie den Parlamenten, wie dem Mann auf der Straße eingenommen wird. Hier gibt es Phasenverschiebungen bis zu zwei Generationen, um die das allgemeine Bewusstsein – auf dem ja das öffentliche Interesse basiert, in dessen Namen Denkmalschutz und Denkmalpflege betrieben werden – hinter der wissenschaftlichen Erkenntnis herhinkt.“, Beseler 1973, S. 84-85; laut Kleeberg/Eberl ist die Meinung der Rechtssprechung häufig, dass die Allgemeinheit die Erhaltungsgründe erkennen muss, während die Autoren die Meinung der Fachwelt für ausschlaggebend halten, vgl. Kleeberg/Eberl, S. 127. Dies erkennt auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2005. Vgl. Körner, S. 131. Vgl. Körner, S. 156. „Anschauungs- und Identifikationsmaterial der Vergangenheit für die Allgemeinheit“, Backhaus, S. 81; am deutlichsten ist dies an weltweit bekannten Wahrzeichen wie beispielsweise dem Eiffelturm zu beobachten. Dies gilt insgesamt für die Herausbildung von Identität, welche immer darauf beruht, festzustellen, was man ist und was man nicht ist: „Identity is perhaps best understood as a limited and temporary fixing for the individual of a particular mode of subjectivity as ap-
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erzeugen ein „Wir-Gefühl“, welches stark genug ist, die Identität des Individuums um eine gemeinsame Identität zu ergänzen. In diesem Zusammenhang sind die durch gemeinsames Erleben erzeugten Emotionen von großer Bedeutung, da diese in ihrer Summe Zugehörigkeits- und Abgrenzungsempfindungen bewusst werden lassen und damit grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung von Gruppenidentitäten sind722. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe ermöglicht die Bereitschaft, für diese Pflichten zu übernehmen sowie die Möglichkeit, positive Gefühle wie Stolz und Freude für Gruppenleistungen zu empfinden723. Häufig wird erst durch einen äußeren Anlass das Gefühl von gemeinsamer Identität bewusst, während es im Allgemeinen zwar latent vorhanden ist, aber nicht deutlich zum Tragen kommt 724. Kulturelle Identität entsteht somit immer durch das Zusammenspiel von Gemeinsamkeit innerhalb einer Gruppe und Abgrenzung zu anderen Gruppen oder einem nicht weiter definierten Rest der Menschheit. Dies ist in Bezug auf immaterielle Kulturgüter, wie Sprache und Traditionen, leicht nachvollziehbar und auch für Kulturgüter mit religiösem Hintergrund gut verständlich725 . In diesen Fällen werden Zeichen von den Mitgliedern einer Gruppe verstanden und zur Kommunikation untereinander genutzt, wodurch wiederum die Abgrenzung zu Außenstehenden erfahrbar wird. Werden diese immateriellen Kulturgüter entzogen oder unterbunden, ist dies für die Gruppe sofort negativ erfahrbar und beeinflusst in der Regel auch die individuelle Identität des Einzelnen726. Die Bedeutung materieller Kulturgüter für die Herausbildung von Gruppenidentitäten ist weniger deutlich erkennbar. Breidenbach und Zukrigl sehen beispielsweise im Konsum ausgewählter Waren Möglichkeiten zur Identitätsbildung, wobei das
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parently what one is. One of the key ideological roles of identity is to curtail the plural possibilities of subjectivity inherent in the wider discursive field and to give individuals a singular sense of who they are and where they belong. This process involves recruiting subjects to the specific meanings and values constituted within a particular discourse and encouraging identification.“, Weedon, Chris: Identity and Culture. Narratives of Difference and Belonging. Issues in Cultural and Media Studies, Maidenhead, New York 2004, S. 19. Vgl. Lawler, Edward J.: Interaction, Emotion and Collective Identities, in: Burke, Peter J./Owens, Timothy J./Serpe, Richard T./Thoits, Peggy A. (Hrsg.): Advances in Identity. Theory and Research, New York, Boston, Dordrecht, London, Moskau 2003, S. 135-149; vgl. auch Raz, S. 33ff. Vgl. Poole, Ross: National Identity and Citizenship, in: Martín-Alcoff, Linda/Mendieta, Eduardo (Hrsg.): Identities. Race, Class, Gender and Nationality, Malden, Oxford, Melbourne, Berlin 2003, S. 273. Vgl. Poole, S. 276. Allerdings zeigt Gillman am Beispiel eines als Figur einer Gottheit verehrten PlastikCowboys, dass auch in diesem Fall Bedeutungen nicht an das Objekt gebunden sind, sondern in Kombination mit demjenigen gesehen werden müssen, der das Objekt betrachtet oder benutzt, vgl. Gillman, S. 99; trotzdem scheinen gerade durch die Globalisierung religiöse und kulturelle Identitäten im Gegensatz zu nationalen Identitäten an Bedeutung zu gewinnen, vgl. Martín-Alcoff, Linda: Introduction. Identities: Modern and Postmodern, in: Martín-Alcoff/Mendieta, S. 6. Vgl. Gillman, S. 192.
132 | S AMMLUNGEN DES A DELS Sammeln von oder das Interesse für eine(r) bestimmte(n) Kunstrichtung als Beispiel angeführt werden727 . In Hinblick auf das kulturelle Erbe ist dies nur eingeschränkt hilfreich, da es sich beim hier beschriebenen konsumorientierten Sammeln um einen scheinbar zufälligen und austauschbaren Umgang mit Kunst (als Ware oder Hobby) handelt, der jedoch möglicherweise für die Auswahl von Kulturgütern die zukünftigen Generationen beschäftigen wird. Auch kann nicht allein die Herkunft eines Objektes ausschlaggebend für die Entwicklung von Zugehörigkeit oder Abgrenzung sein728, wie bereits in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zur Anwendung des KultgSchG deutlich wurde729. Vielmehr ist zu hinterfragen, inwieweit Kulturgüter unabhängig von ihrer Herkunft und einem rein ästhetischen oder materiellen Wert Emotionen erzeugen können 730, welche dazu führen, dass es zur Herausbildung einer Gruppenidentität kommt. Gillman betont diesbezüglich eine Symbolwirkung, die durch gemeinschaftliche Erinnerungen, Erzählungen und Werte entstehen kann und durch Kulturgüter transportiert wird731. Damit erfüllt das kulturelle Erbe eine soziale Aufgabe, welche nicht nur den Eigentümer betrifft, sondern eine unbestimmte Gruppe (oder mehrere Gruppen) von Menschen732. Vor diesem Hintergrund ist offensichtlich, dass die Wirkung von Kulturgütern am deutlichsten in deren unmittelbarer Umgebung spürbar wird, jedoch auch ein Allgemeinbezug möglich ist, der sich überregional auswirkt733 . So kann das Schloss 727 Breidenbach, Joana/Zukrigl, Ina: Tanz der Kulturen. Kulturelle Identität in einer globalisierten Welt, Reinbek bei Hamburg 2000 (Originalausgabe: München 1998), S. 173f. 728 Breidenbach/Zukrigl weisen auf Austausch und Beeinflussung kultureller Leistungen und die Problematik von Authentizität in dieser Beziehung hin, Breidenbach/Zukrigl, S. 183ff. 729 Punkt 1, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 1976. 730 Das Erwecken von Emotionen betont auch von Rohr 1977, S. 94; die Deutsche Stiftung Denkmalschutz spricht von „Gefühlswerten“, Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2005. 731 Vgl. Gillman, S. 39. 732 Körner spricht vom „Angewiesensein“ der Nichteigentümer auf das Kulturgut als Erhaltungsvoraussetzung, Körner, S. 128; der soziale Gehalt für jeden Einzelnen ist laut Körner zwar nur vergleichbar mit einer Freizeitbeschäftigung (da er nicht existenziell nachweisbar ist), aber für die Allgemeinheit weitaus bedeutender, Körner, S. 133-134; eine ähnliche Meinung vertritt das Nationalkomitee für Denkmalschutz: „Wie Umweltschutz, Gesundheitspflege und Bildung gehört die Denkmalpflege zu den unverzichtbaren Aufgaben der Daseinsvorsorge. Die Sicherung und Erhaltung unseres architektonischen und archäologischen [hier wäre der Begriff des ‚kulturellen‘ angemessener, Anm. U.S.] Erbes liegen im öffentlichen Interesse.“, Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Verantwortungsbewusst handeln, das kulturelle Erbe schützen und erhalten, Hamburg 25. November 1996, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 253, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 1996. 733 „Schutz und Pflege von Kulturdenkmalen haben einen evident lokalen Bezug: die überwiegende Zahl der Objekte ist unbeweglich, berührt also vorrangig die Belange jener Bürger, die bei oder gar in ihnen wohnen; sie ermöglichen den Gemeindeeinwohnern unmittelbare Identifikation, sind Teil von deren Umwelt.“, Backhaus, S. 68f.
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eines ehemals regierenden Hauses für die Region Wahrzeichen, Touristenmagnet und ästhetische Aufwertung der Lebensumwelt sein, national gesehen Ort bedeutender historischer Ereignisse und global das Meisterwerk eines Vertreters einer kunsthistorisch bedeutenden Epoche. Die Gruppe derer, welche die Existenz dieses Schlosses emotional wahrnehmen, kann also in dessen örtlicher Umgebung unmittelbarer Gemeinsamkeiten erfahren als sich auf nationaler oder weltweiter Ebene bildende Gruppen. Die „positiven Wirkungen von historisch gewachsenen, intakten Dorf- und Stadtstrukturen“734 können ebenfalls von den Bewohnern dieser Gegenden am deutlichsten erfahren werden. Die Vermittlung von Regional- und Heimatgeschichte, die in den meisten Denkmalschutzgesetzen als Erhaltungsgrund gilt735, ist daher eng verbunden mit der Herausbildung einer regionalen Identität. Die alltägliche Lebensumwelt ist nach wie vor intensiver erfahrbar als weltweite Entwicklungen736, die zudem nur durch den Filter des eigenen Umfeldes wahrgenommen werden können. Scheel bewertet daher international herauszubildende Identitäten kritisch: „Nun ist die Vorstellung, wir würden uns alle als Weltbürger fühlen und verhalten sicher ein schönes Ziel, aber es erscheint zweifelhaft, dass sich eine kritische Masse von Menschen [...] wirklich mit der Menschheit als Ganzer identifiziert.“737 Doch selbst wenn der Aussage im Kern zuzustimmen ist, kann der internationale Einfluss auch auf regionales Leben nicht bestritten werden. Eine Tendenz, die „eigenen Besonderheiten“ gerade durch die Vereinheitlichung globaler Einflüsse bewusster wahrzunehmen738, ist zwar vorhanden, allerdings geht diese häufig mit einer Überbewertung regionaler „Besonderheiten“ einher, während das Kulturerbe jedoch auch Elemente beinhaltet, die nicht zwangsläufig allein in einer Region zu finden sind. Gerade solche Gemeinsamkeiten sind zur Herausarbeitung und Veranschaulichung historischer Sachverhalte bedeutsam. Kulturelle Identität basiert auf Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen, jedoch nicht auf Einzigartigkeit und Wettbewerb, der auch in Bezug auf Kulturgüter vielfältig entstanden ist. Eine solche Haltung wird in folgender Aussage deutlich: „Was es also nachzuweisen, zu behaupten, zu konstruieren oder zu pflegen gilt, ist die kulturelle regionale Identität einer Bevölkerung, die sich von anderen Identitäten so klar abgrenzt, dass Integration der Bürger und Abgrenzung von Wahlräumen auf diese Identität gegründet werden können, die sich aber gleichzeitig selbst gegenüber regionalen Nachbarn so deutlich als besser darstellen lässt, dass die Konkurrenz um Wirtschaftswachstum auf diese Identität gestützt werden kann. Und darum geht es hier: Es genügt durchaus nicht, einfach nur kulturell anders zu
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Scheel, S. 183. Vgl. Grosse-Suchsdorf/Schmaltz/Wiechert, S. 909ff. Vgl. Poole, S. 271. Breidenbach, Joana: Global, regional, lokal – Neue Identitäten im globalen Zeitalter, in: Hanika, Karin/Wagner, Bernd (Hrsg.): Kulturelle Globalisierung und regionale Identität. Beiträge zum kulturpolitischen Diskurs. Dokumentation des kulturpolitischen Kongresses, Ludwigsburg 5.-7. September 2002, Texte zur Kulturpolitik, Band 17, Essen 2004, S. 56. 738 Vgl. Breidenbach, S. 58.
134 | S AMMLUNGEN DES A DELS sein. In der Konkurrenz muss eine Kultur, eine Identität einer anderen überlegen sein, soll sie als Wachstumsfaktor in der Konkurrenz erfolgreich werden.“739
Der Kulturgüterschutz auf nationaler Ebene zeigt diese Tendenz durch die Bevorzugung international bekannter Künstler, und auch auf regionaler Ebene scheint es vielversprechend, das öffentliche Interesse für die Erhaltung des „Schönen“ und „Besonderen“ nachzuweisen oder sogar zu fördern. Dies kann jedoch dazu führen, dass die gewachsenen Identitäten – national und regional – mehr und mehr an Bedeutung verlieren, da sie nicht mehr im Alltag abrufbar sind740 . In Bezug auf Kulturgut aus Adelsbesitz sind regionale Begebenheiten besonders zu berücksichtigen, jedoch gehört dieses ebenfalls momentan selten zu den „Gewinnern“ im Wettbewerb. Die jeweiligen Herrscher prägten die Kunst- und Kulturentwicklung ihres Einflussbereiches nachhaltig741, was daher noch bis heute Auswirkungen auf die kulturelle Identität der einzelnen Regionen und Länder haben kann. Die Prägung kann einerseits unbewusst, durch seit langem vermittelte Traditionen, Vorstellungen und Meinungen erfolgen, andererseits jedoch gezielt durch die Vermarktung und Vermittlung des Kulturerbes gesteuert werden742. Je vielfältiger die Einflüsse auf das Leben jedes Einzelnen durch Massenmedien und Globalisierung werden, desto bewusster muss diese Vermittlung erfolgen, wobei die Verantwortung sowohl bei der Politik als auch bei der Wissenschaft liegt: Die Flexibilität, welche der Idee des kulturellen Erbes innewohnt und welche die Hervorhebung bestimmter Teile aus diesem ermöglicht, führt dazu, dass bewusst kulturelle Identität konstruiert werden kann, welche auf dem Kulturerbe basiert, dieses aber nicht zwangsläufig korrekt und vollständig berücksichtigen muss743. Erneut wird deutlich, dass die Verantwortung nicht nur dahingehend besteht, dass überhaupt eine Möglichkeit zum Erleben des kulturellen Erbes hergestellt wird, sondern zudem ein möglichst authentisches identitätsstiftendes Kulturerbe für die Öffentlichkeit begreifbar und erlebbar gemacht wird. Dafür wäre es zudem nötig, die Idee des kulturellen Erbes auch auf einer Ebene des Alltagslebens zuzulassen und nicht allein auf herausragende Beispiele der Geschichte und Kunst zu beschränken, wie es gerade durch die Gesetze zum 739 Göschel, Albrecht: Region zwischen Universalismus und Identität – oder: Ist die Region die Stadt?, in: Hanika/Wagner, S. 94; vgl. auch Breidenbach, S. 59. 740 Vgl. Poole, S. 277; in diesem Zusammenhang ist zudem das Streben nach „Highlights“ sowohl im Museumswesen als auch im Kulturgüterschutz kritisch zu hinterfragen: wäre jedes Kunstmuseum europäischer Hauptstädte bestrebt, möglichst umfassend das Werk von, beispielsweise, Monet zu sammeln, hieße dies nicht nur, dass die Franzosen um einen Vertreter „ihrer“ Kunst beraubt würden, sondern auch, dass andere Nationalitäten nicht die Möglichkeit hätten, eigene Ausprägungen des Impressionismus kennen zu lernen und „ihrer“ Kultur zuzuordnen. Und nur dann wiederum haben alle gemeinsam die Möglichkeit, eine europäische Strömung mit unterschiedlichen Ausprägungen als gleichzeitig gemeinsames und regional-spezifisches Kulturerbe zu begreifen. 741 Darauf weist auch Elitz hin: „Jedes Herrschergeschlecht setzte andere regionale Akzente.“, Elitz, S. 6. 742 Vgl. Waterton, Emma: Branding the Past: The Visual Imagery of England’s Heritage, in: Waterton/Watson, S. 155. 743 Dies führt Waterton am Beispiel englischer „heritage sites“ aus, vgl. Waterton, S. 156.
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Kulturgüter- und Denkmalschutz häufig der Fall ist. Auch ein zu starker Bezug zur Vergangenheit ist nicht im Sinne der Idee eines lebendigen Erbes, welches Vergangenheit und Gegenwart verknüpft. Trotz der engen Verbindung von bedeutenden Orten mit dem Kulturerbe sollte dieses immer in seiner Gesamtheit der sichtbaren und erlebbaren Bestandteile vermittelt und vor allem durch Ergebnisse der Forschung untermauert werden744. Da in der deutschen Kulturlandschaft Museen als die dominierenden Bewahrer des kulturellen Erbes gelten, ist der Forschungsanteil diesbezüglich zwar groß, der unmittelbar erlebbare historische Kontext der einzelnen Objekte in der Regel aber weniger stark ausgeprägt. Schlossmuseen gehören zu den Vermittlern zwischen Forschung und Erleben des Kontextes. Allerdings besteht hier die Gefahr – welche zum Teil mit den wirtschaftlichen Notwendigkeiten privater Trägerschaft einhergeht, zum Teil in den Forderungen des Massentourismus begründet liegt – dass stärker die effektvolle Vermittlung als die historisch umfangreiche Betrachtung im Fordergrund steht, wie Poria am Beispiel so genannter „heritage sites“ darlegt: „Research on heritage tourism sites often focuses on the display or, in other words, the patent as opposed to latent heritage. This line of research generally highlights the concept of ‚power relations‘, emphasizing the stakeholders’ impact on the presentation and interpretation of certain events presented at heritage tourist attractions. Not surprisingly, such studies repeatedly find that the winner’s version of history is on display, while the loser’s account has essentially vanished (or has been archived far from the public eye).“745
In Bezug auf Kulturerbe im Besitz des Adels wird dies daran ablesbar, dass vor allem diejenigen Epochen hervorgehoben werden, in welchen das jeweilige Adelsgeschlecht am erfolgreichsten Einfluss auf die Geschichte genommen hat. Besondere Beachtung finden daher im Allgemeinen die Zeiten des Mittelalters sowie der absolutistischen Herrscher. In jedem Fall wird jedoch eine große Distanz zur Gegenwart – zumindest in Bezug auf den deutschen Adel – vermittelt. Der Erwartungshaltung des Besuchers, die durch in dessen Vorstellung verankerte Bilder eines Schlosses, dessen Ausstattung sowie historischer Rollenbilder (wie „König“, „Prinzessin“ oder „Ritter“) entsteht, wird zudem nicht selten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit entsprochen. Da sich der Adel seit jeher durch Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen definiert hat und als solche sehr geschlossen blieb, scheint gerade auf dieser Andersartigkeit der Fokus der Vermittlung des kulturellen Erbes zu liegen. Um dieses jedoch durch die Herausbildung kultureller Identität tatsächlich mit dem Leben 744 Vgl. Crouch, David: The Perpetual Performance and Emergence of Heritage, in: Waterton/Watson, S. 57-71; allerdings verwendet Crouch, wie einige der englischsprachigen Autoren, einen sehr weiten heritage-Begriff, der nicht mit dem Begriff des Kulturerbes identisch ist und diesbezüglich auf den unterschiedlichen Forschungsstand der angloamerikanischen sowie der deutschsprachigen Kulturwissenschaften hinweist. Heritage beinhaltet v.a. die öffentliche Seite der Kulturvermittlung (Themenparks, Nationalparks u.ä.). 745 Poria, Yaniv: The Story behind the Picture: Preferences for the Visual Display at Heritage Sites, in: Waterton/Watson, S. 217.
136 | S AMMLUNGEN DES A DELS der Gegenwart zu verknüpfen, wäre ebenso eine Vermittlung der Gemeinsamkeiten und der Einflussnahme des Adels auf die Entwicklung einer Region von Bedeutung. Das heißt, nicht nur die herausragenden Objekte und weltweit verständlichen Symbole adliger Herrschaft sind zu schützen, sondern ebenso Objekte des Alltags und möglicher Gemeinsamkeiten mit anderen Gesellschaftsschichten im Laufe der Geschichte. Dies können Beispiele und Vorbilder handwerklichen Könnens sein, allgemeinverständliche Objekte aus dem Bereich des Wohnens (wie auch Küchengeräte), welche sowohl an den Höfen als auch im heutigen Leben verwendet werden. Des Weiteren Mode und Textilien, welche beispielsweise heute wieder beliebte Muster zeigen, und vieles mehr. Die Problematik, die sich insgesamt für Kulturgüter- und Denkmalschutz ergibt, lässt sich wie folgt zusammenfassen: das öffentliche Interesse ist Voraussetzung für die zur Ausübung des Bestands- und Abwanderungsschutzes nötige Beschränkung der Eigentümerrechte. Ein solches Allgemeininteresse wird in den diesbezüglich relevanten Rechtsvorschriften (vor allem in den Denkmalschutzgesetzen) von wissenschaftlichen, historischen und künstlerischen Interessen abgetrennt. Diese Erhaltungsgründe, welche – im Gegensatz zu materiellen oder ästhetischen Gründen – an sich bereits im Dienste der Allgemeinheit stehen, müssen daher ergänzt werden durch eine weitere Ebene des öffentlichen Interesses, so dass es nahe liegt, diese Ebene auszufüllen mit einer möglichen Bedeutung des Kulturgutes für die Herausbildung einer kulturellen Identität (regional, landesweit, national). Da eine solche Gruppenidentität jedoch einerseits unterbewusst gebildet werden kann und andererseits vielschichtig, überlappend und flexibel ist746 , besteht die Möglichkeit einer bewussten Einflussnahme auf diese747 . Die stärkere Bewertung des öffentlichen Interesses gegenüber den – ebenso öffentlichen – Interessen von Wissenschaft, Geschichte und Kunst, beinhaltet somit die Gefahr, Kulturgüterschutz zugunsten einer Standortaufwertung für Politik und Wirtschaft zu instrumentalisieren748 oder das kulturelle Erbe durch unzureichende Wis746 „The constellation of practices, beliefs about identity, the lived experiences associated with various identities, and the legal or formal recognitions of identity not only undergo constant change but can produce truly new forms of identity.“, Martín-Alcoff, S. 3. 747 Die Bedeutung von Gruppenidentitäten wird von Politik und Wissenschaft heute allgemein anerkannt und beachtet, da viele globale Auseinandersetzungen auf diesen basieren, vgl. Martín-Alcoff, S. 1. 748 Vgl. Kramer, Dieter: Selbstbewusste Regionen in den Stürmen der Globalisierung, in: Hanika/Wagner, S. 106; Featherstone sieht die Gefahr der Zerstörung kultureller Identität z.B. in übertriebenen oder klischeebeladenen Tourismusmaßnahmen, vgl. Featherstone, Mike: Localism, Globalism and Cultural Identity, in: Martín-Alcoff/Mendieta, S. 355; zudem besteht die Gefahr, nur diejenigen Objekte zu erhalten, welche zwar prestigeträchtig, aber in ihrer Erhaltung nicht zu aufwändig für die öffentliche Hand sind, vgl. Mörsch, S. 54; vgl. Beseler 1973, S. 85; „Damit deutet sich aber auch schon ein möglicher Negativeffekt an: die Denkmale laufen Gefahr, als Repräsentationskulisse, als kostenloses Angebot der Tourismusindustrie oder als Versatzstücke für willkommene Milieuseligkeit verschlissen zu werden. Die breite Öffentlichkeit muss das keineswegs als Manko empfinden, für sie bedeutet der geschichtliche Zeugniswert wenig, der die Atmosphäre bestimmende Gestaltwert dagegen alles.“, Beseler 1983, S. 232.
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sensvermittlung nicht stark genug im Bewusstsein von Eigentümern und Behörden zu verankern, so dass die Bedeutung für die kulturelle Identität nicht sichtbar genug wird, um Schutzmaßnahmen in Gang zu setzen749. Nur im optimalen Fall ist das Verständnis für die Bedeutung des kulturellen Erbes so stark ausgeprägt, dass dessen Bedeutung für die Herausbildung einer Gruppenidentität dazu führt, es als Wert und als Eigentum (mit den oben beschriebenen Verpflichtungen eines Eigentümers) zu begreifen, wie Poole es am Beispiel nationaler Identität beschreibt: „Another aspect of the strength of a national identity lies in the richness of the cultural resources which are employed in forming the conception of national community. This identity provides us with a land in which we are at home, a history which is ours, and a privileged access to a vast heritage of culture and creativity. It not only provides us with the means to understand this heritage; it also assures us that it is ours.“750
2.2.3 Wirtschaftliche Interessen Das durch das Grundgesetz gewahrte, emotionale sowie materielle, Interesse eines Eigentümers an Kulturgütern, die er durch Kauf erworben, als Geschenk oder Erbe erhalten hat, wird in der Regel als größtes Hindernis des Kulturgüterschutzes angesehen751. Wie jedoch bezüglich des öffentlichen Interesses festgestellt wurde, können darüber hinaus mehrere Faktoren, wie beispielsweise wirtschaftliche Interessen, die Erhaltung des kulturellen Erbes beeinflussen. Die bedeutendsten Wirtschaftszweige sind diesbezüglich der Kunsthandel und die Tourismusbranche. Während der Kunsthandel nahezu ausschließlich bewegliche Kulturgüter betrifft (und damit in der Öffentlichkeit vor allem als Gegenpol des Abwanderungsschutzes wahrgenommen wird), kann die Tourismusbranche außerdem Einfluss auf die Erhaltung von Baudenkmalen und damit den Denkmalschutz nehmen. Beide Bereiche können zur Erhaltung des Kulturerbes beitragen, indem sie Interesse für dieses wecken, es gegebenenfalls in erhaltende Hände – wie beispielsweise Museen – überführen und damit auch den internationalen kulturellen Austausch fördern752 . Allerdings beruht diese Teilnahme am Bewahren vor allem auf materiellen Werten, womit die Gefahr besteht, dass Kulturgüter ausschließlich als Ware oder Werbeträger genutzt und Erhaltungsmaßnahmen nur dann gefördert werden, wenn der Gegenwert messbar ist. Mit seiner Feststellung, dass Kulturgüter ihren Wert immer im Zusammenhang
749 Göschel bringt das Beispiel des Chorwesens in Stuttgart, das zwar gut entwickelt, jedoch nicht als Besonderheit der Region wahrgenommen wird, vgl. Göschel, S. 95; vgl. auch Poole, S. 277; vgl. auch Beseler 1972, S. 67. 750 Poole, S. 272. 751 Diese Ansicht findet sich vor allem in Bezug auf den Denkmalschutz durchgängig in der Literatur. Beispielhaft soll hier Körner genannt werden: „Denkmalschutz ist in erster Linie Schutz des Denkmals vor dem Eigentümer: Dessen Befugnisse sollen beschränkt, ihre Ausübung der behördlichen Kontrolle unterworfen werden, um die Erhaltung des als erhaltenswert Angesehenen zu sichern.“, Körner, S. 17. 752 Dies wird von Hipp gleich zu Beginn ihrer Arbeit betont, jedoch mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit legalen Handelns, Hipp, S. 1.
138 | S AMMLUNGEN DES A DELS mit denjenigen Menschen entwickeln, welche von diesen profitieren können753 , weist Gillman gleichzeitig auf den Umkehrschluss hin: nämlich dass Vernichtung oder Verwahrlosung nahe liegen, sobald die Objekte nicht mehr profitabel sind. Der Kunsthandel Der Kunsthandel hat sich zu einer weltweit agierenden Wirtschaftsmacht entwickelt, die zahlreiche Berufsgruppen, vom privaten Händler über Angestellte von Auktionshäusern bis hin zu Kunstberatungen beinhaltet754. Preise können wie Börsenkurse in Schwindel erregende Höhen steigen, und ebenso besteht die Möglichkeit zu großen Verlusten. Dies führt dazu, dass Kunst zur Handelsware und zum Spekulationsobjekt wird und als Finanzanlage völlig losgelöst vom historischen oder wissenschaftlichen Wert betrachtet werden kann755. „Unternehmen und Freiberufler nutzen schon lange den steuerlichen Wert der Kunst. Neuerdings entdecken sie sie aber auch als Faktor ihrer Unternehmensphilosophie. Sie erwerben Kunstwerke zu Repräsentationszwecken und betreiben Kultursponsoring als Marketingstrategie.“756 Die hohen Preise scheinen, verglichen mit der geringen Bereitschaft, finanzielle Mittel zur Erhaltung von Kulturgütern einzusetzen, teils schwer verständlich, geben jedoch Hinweise auf den Grund für den geringen Stellenwert des Kontexterhaltes im Zusammenhang mit Kulturgüterschutz. Denn nur was losgelöst auf dem Kunstmarkt Bedeutung hat, scheint auch als Kulturgut angenommen zu werden757 . Während Sammelinteressen die Bewahrung von Kulturgut fördern können 758, steigern rein finanzielle Interessen möglicherweise den Wunsch nach hohen Gewinnen und somit den Nutzen von Diebstahl und Raubgrabungen759. Der Kunsthandel reagiert zunehmend auf diese Entwicklung, indem er sich zur Einhaltung von Verhaltensregeln verpflichtet. Sowohl der Deutsche Kunsthandelsverband e.V. als auch der 753 Gillman, S. 198. 754 Vgl. Hipp, S. 153. 755 „Art takes on the nature of a financial security; so much that in New York there is a proposal that such sales be regulated by the provisions of the law controlling deals in stocks, bonds and securities.“, Prott/O’Keefe, S. 311. 756 Hipp, S. 153. 757 Auch Mörsch erkennt die Problematik: „Schon vom kommerziellen Standpunkt aus muss dieses Vorgehen in einer Zeit, in der jeder rostige Schlüssel zur Antiquität und jeder bestoßene Tontopf zum Wertstück gemacht wird, schizophren anmuten. Warum werden Dinge, die losgelöst aus ihrem Verständniszusammenhang im Handel Unsummen kosten, in ihrem alten Verband nach solchem Wert überhaupt nicht befragt?“, Mörsch, S. 62. 758 Obwohl es durchaus Sammeltraditionen gibt, die sozusagen als „Liebhaberei“ zu sachgemäßem Umgang mit Kulturgut führen, bleibt die wiederholt in der Literatur vertretene Vorstellung, dass Dinge, welche teuer erstanden wurden, grundsätzlich gut gepflegt würden, in der Praxis nicht grundsätzlich nachvollziehbar: „The plausible assumption is that those who are prepared to pay the most are the most likely to do whatever is needed to protect their investment.“, Merryman, S. 894. 759 Vgl. Prott/O’Keefe, S. 311; Merryman ist dagegen der Meinung, dass gerade die strengen Abwanderungsschutzgesetze die illegale Kunstbeschaffung fördern, vgl. Merryman, S. 848f; unbestritten ist jedoch, dass die große Nachfrage und die Herauslösung von Objekten aus ihrem Kontext zu einem blühenden illegalen Kunsthandel führen.
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Bundesverband des Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels verfassten solche Verhaltensrichtlinien auf Basis des Code of Ethics der Confédération Internationale des Negociants en Oeuvres d’Art760. Die Richtlinien besagen im Wesentlichen, dass man vom Handel mit Objekten, deren legaler Besitz des Verkäufers zu bezweifeln ist, absieht und diesbezüglich auch Datenbanken gestohlener Kunstwerke heranzieht761. Im Rahmen der rechtlichen Vorschriften bemühen sich die Mitglieder der Kunsthandelsverbände um Rückführung nachweislich illegal aus ihrem Herkunftsland ausgeführter Kulturgüter, betonen aber auch die Notwendigkeit von Entschädigungen762. Die Formulierungen geben jedoch Anlass zum Zweifel, ob es sich bei diesen Verpflichtungen tatsächlich um einen „Ehrenkodex“ handelt763, da vorrangig ohnehin rechtsverbindliche Handlungsanweisungen beschrieben werden. Es drängt sich außerdem die Frage auf, ob die Einhaltung innerhalb der Verbände überprüft wird. Eine Unterstützung der Kulturgüterschutzgesetze kann daher nicht abgeleitet werden, denn bereits der erste Satz der Verhaltensrichtlinien des Deutschen Kunsthandelsverbandes e.V. macht deutlich: „Der Beruf des Kunsthandels, sowie das Sammeln von Kunst sind weiterhin ein Ausdruck von Individualismus und stellen einen wichtigen Teil unserer Kultur dar. Dieses sollte nicht durch Überregulierung und übermässige 760 Conféderation Internationale des Négociants en Oeuvres d’Art (CINOA): Code of Ethics, Florenz 1987, ergänzt Stockholm 26. Juni 1998 und New York 11. Mai 2005, online abrufbar: http://www.cinoa.org/index.pl?id=2273, folgend: CINOA Code of Ethics; Verhaltensrichtlinien des Deutschen Kunsthandelsverbandes e.V., 14. September 2001, online abrufbar: http://www.deutscherkunsthandel.org/ueber-uns/verhaltenskodex.html, folgend: Verhaltensrichtlinien Kunsthandelsverband; Bundesverband des Deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels: Verhaltenskodex, online abrufbar: http://www.bdka.de/de/id150. htm, folgend: Verhaltenskodex Bundesverband Kunst- und Antiquitätenhandel. 761 Beispielhaft sei hier die Internetseite der Koordinierungsstelle Magdeburg www.lostart. de genannt. 762 „Sollte ein Mitglied in den Besitz eines Objektes kommen, bei dem wider jeden berechtigten Zweifels nachgewiesen werden kann, dass dieses unrechtmässig aus seinem Herkunftsland exportiert wurde, wird das Mitglied, bei einem innerhalb eines angemessenen Zeitraumes durch das Herkunftsland gestellten Rückgabeverlangen, bei der Rückgabe dieses Gegenstandes an das Herkunftsland mitwirken, sofern das geltende Recht ihn dazu verpflichtet, dabei soll zwischen den Beteiligten eine ausreichende Entschädigung vereinbart werden.“, Verhaltensrichtlinien Kunsthandelsverband; „Im Rahmen der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten wird sich der deutsche Kunsthandel ferner für die Rückführung gestohlener oder illegal ausgeführter Gegenstände in ihr Ursprungsland einsetzen, sofern der Nachweis unrechtmäßiger Ausfuhr aus diesem Land erbracht worden ist, die Rückführung innerhalb angemessener Zeit verlangt und im Fall eines rechtmäßigen Erwerbs eine angemessene Entschädigung gewährt wird.“, Verhaltenskodex Bundesverband Kunst- und Antiquitätenhandel. 763 Hipp formuliert dies drastischer: „Ob das in der Praxis so ist, muss allerdings stark bezweifelt werden. Allzu leicht sind Händler und Museen bereit bei der Aussicht auf ein ‚gutes Geschäft‘ unqualifizierte Herkunftsnachweise oder zweifelhafte Exportpapiere zu akzeptieren bzw. nach solchen erst gar nicht zu fragen. Teilweise besteht sogar der Verdacht, dass anerkannte Händler und Auktionshäuser unter der Hand an illegalen Praktiken beteiligt sind.“, Hipp, S. 26.
140 | S AMMLUNGEN DES A DELS Verbote bedroht werden.“764 Etwas unklar in ihrer Aussage bleibt die Formulierung „Mitglieder sollen sich beim Import und Export von Kunstwerken an die im Lande gültigen Gesetze halten.“765 Die Einhaltung von Gesetzen ist ohnehin obligatorisch, die Aussage würde jedoch ein großes Zugeständnis bedeuten, wäre hier die Bereitschaft zur Einhaltung auch der Gesetze desjenigen Landes gemeint, aus welchem die Kulturgüter ausgeführt wurden. Doch auch dies ist mittlerweile durch die Unterzeichnung der UNESCO Konvention von 1970 rechtlich verbindlich geworden. Die Abwanderungsschutzgesetze werden weiterhin vom Kunsthandel kritisch betrachtet. Nach der Veröffentlichung des ersten Gesamtverzeichnisses national wertvollen Kulturgutes in Deutschland war folgendes in der Zeitschrift „Weltkunst“ zu lesen: „Beim ersten Durchblättern schon eine erfreuliche Feststellung! Das Verzeichnis ist unerwartet klein.“766 Es folgt die Feststellung, dass bei einer Liste mit insgesamt nur 128 Nummern „praktisch der Export von Kunstgut freigegeben ist.“767 Noch immer gilt das Verzeichnis als „Schreckgespenst“ für Eigentümer und Kunsthändler, doch die Einschränkungen des Marktes sind gering. Der Markt ist lebendig und flexibel und hat auch die weltwirtschaftlichen Tiefpunkte der letzten Jahre gut überstanden. Neue Käuferschichten aus Osteuropa sowie immer wieder neue Sammeltrends halten die Preise weitgehend hoch. Auch Kunst aus Adelsbesitz stößt seit einigen Jahren auf stabiles Interesse, da die Objekte in der Regel „marktfrisch“ sind oder nur selten den Besitzer wechselten und die Provenienz „Adelsbesitz“ als Kaufargument gilt. Seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts ermöglichen so genannte „Hausauktionen“ den Auktionshäusern die Möglichkeit, hochwertige Objekte mit Provenienz im entsprechenden Rahmen zu veräußern, was beim Publikum großen Anklang findet768. Als „Event“ organisiert wird eine breite Käuferschicht angesprochen769 . Rogasch fasst die verschiedenen Facetten dieses Trends passend zusammen, weshalb seine Aussage hier vollständig wiedergegeben werden soll: „Unabhängig von großen Auktionen einzelner Fürstenhäuser, [...] veranstalten beide Auktionshäuser [Sotheby’s und Christie’s, Anm. U.S.] alljährlich so genannte Schlossauktionen, in denen Kunstwerke unter den Hammer kommen, die sie vorher in deutschen Adelshäusern einge764 Verhaltensrichtlinien Kunsthandelsverband. 765 Verhaltensrichtlinien Kunsthandelsverband. 766 Weltkunst 10/1962: Keller, Johann: Schutz gegen die Abwanderung deutschen Kulturgutes, S. 11. 767 Weltkunst 10/1962, S. 11. 768 Piesker sieht darin eine für die damalige Kunstmarktsituation neue Möglichkeit, die Erfolge der 80er Jahre zu verlängern und das Renommee der Auktionshäuser zu verbessern, Piesker, Hennig (Hrsg.): „Wer bietet mehr?“. Die Jahrhundertversteigerung in BadenBaden 1995, Baden-Baden 1996, S. 14. 769 Piesker beschreibt die Auktion der Großherzöge von Baden als Event mit Bierzelt, Weinstand und Champagnerbar und bescheinigt der Auktion durch das Haus Thurn und Taxis „Züge eines urigen bayerischen Volksfestes“, Piesker, S. 37f und S. 14; auch Graf Spreti betont die Bedeutung des Eventcharakters für diese Auktionen, unveröffentlichtes Gespräch mit Heinrich Graf von Spreti (Präsident Sotheby’s Deutschland, Chef Sotheby’s München), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Graf Spreti.
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sammelt haben. [...] Während der Auktionskatalog kunsthistorische Qualität, historischen Wert und noble Herkunft der Kunstwerke hervorhebt, so gilt gegenüber besorgten Denkmalpflegern oder Museumsdirektoren, die fürchten, dass durch den alljährlichen Aderlass gewachsene Ensembles zerstört werden, die Devise, dass es sich bei diesen ‚attic sales‘ doch fast nur um Gerümpel vom Dachboden handelt. Die Wahrheit liegt in der Mitte: Tatsächlich können zweitrangige Kunstwerke adliger Provenienz in der Atmosphäre des Auktionssaales erstaunliche Preise erzielen. Doch jeder erfahrene Auktionator weiß, dass diese Atmosphäre nur entsteht, wenn auch hochkarätige Stücke aufgerufen werden, um die sich hitzige Bietgefechte entzünden, deren Funke dann auf die übrigen Lose überspringt.“770
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Interessen des Kunsthandels denjenigen des Kulturgüterschutzes trotz einiger Kooperationsmöglichkeiten widersprechen, da Einschränkungen zu Handhabung und Ausfuhr zwangsläufig Preisminderungen nach sich ziehen. Es kann daher nicht die Aufgabe dieses Wirtschaftszweiges sein, maßgeblich zum Erhalt von Kulturgut beizutragen, was jedoch wiederum die Verantwortung von Politik und Wissenschaft, aber auch von Sammlern und Käufern erhöht. Die Tourismusbranche Die Bedeutung des kulturellen Erbes für touristische Anliegen ist nicht hoch genug einzuschätzen. Die Bewerbungen zur Aufnahme in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes sind so zahlreich, dass die UNESCO dazu überging, vor allem Länder zu berücksichtigen, in welchen bisher noch keine Kulturstätte aufgenommen wurde. Die Auflagen sind streng und es erfolgt keine direkte finanzielle Unterstützung, doch die Auszeichnung „Weltkulturerbe“ fördert das touristische Interesse und damit verbundene Einnahmen771. Dies bleibt nicht ohne Einfluss auf die Kulturgüter selbst und ihr Umfeld: Durch die Sichtweise der Besucher entsteht ein Blick auf die jeweilige Region oder Nation, die wiederum zur Identitätsbildung beiträgt, so dass die touristisch geformte Nutzung des Kulturerbes kulturelle Identität konstruiert772 , nicht jedoch zwangsläufig Verständnis und Verantwortung für dieses. Waterton beschreibt die Mechanismen dieser nach touristischen Belangen geprägten Vorstellung von Kulturerbe am Beispiel der Werbung für so genannte „heritage sites“ in England und stellt fest, dass ein idealisiertes Bild entsteht: „[...] visual imagery does more than provide a pictorial ‚label‘ for heritage: it creates, promotes and preserves a particular vision of heritage as reality.“773 Die durch Wiederholungen und Betonungen zur Realität werdende Vorstellung eines Landes – wie beispielsweise von der englischen Tourismusbehörde suggeriert – voll von romantischen Ruinen, Herrenhäusern und Kirchen als Zeugen einer vor allem vom Mittelalter geprägten heroischen Vergangenheit lässt kaum regionale Identitätsbildung zu774 . Die Geschichte der stark von der Industriali770 Rogasch, S. 45. 771 Vgl. Eschig, Gabriele: Das Weltkulturerbe – Zwischen Erwartung und Verpflichtung, in: Sladek, S. 108. 772 Vgl. Breidenbach, S. 59. 773 Waterton, S. 156. 774 „From this we see a generalized and singular heritage that works to suppress any aspirations of local and regional identity. What becomes apparent is an understanding of heritage and identity that is firmly drawn along the lines of similarity, rather than difference,
142 | S AMMLUNGEN DES A DELS sierung des 19. Jahrhunderts geprägten Regionen Nordenglands wird dagegen nicht erzählt. In Deutschland war zwar die erfolgreiche Bewerbung des Ruhrgebiets als Kulturhauptstadt Europas 2010 ein positives Beispiel, die Wahrnehmung auch industriell geprägter Gegenden als Kulturregionen zu fördern, doch ist auch für die Betrachtung der deutschen Tourismusbranche die Untersuchung Watertons nicht uninteressant, da sie auch auf andere Themenbereiche übertragen werden kann. Die Tendenz, nicht die Tourismusarbeit an das Kulturerbe, sondern die Auswahl des zu fördernden Kulturerbes nach den Bedürfnissen des Tourismus zu gestalten, stellt auch Lowenthal fest. Er weist eindringlich auf die Unterscheidung von „history“ und „heritage“ hin, wobei er – wie häufig in der englischsprachigen Literatur – den Begriff „heritage“ weniger im Sinne von Kulturerbe verwendet, sondern im Sinne eines öffentlichen Blicks auf dieses und damit einmal mehr die Problematik des Allgemeininteresses verdeutlicht. Während Geschichte auf Fakten basiert, ist der Hintergrund des touristisch geprägten „heritage“ ein anderer: „It is not a testable or even a reasonably plausible account of some past, but a declaration of faith in that past. Critics castigate heritage as a travesty of history. But heritage is not history, even when it mimics history. It uses historical traces and tells historical tales, but these tales and traces are stitched into fables that are open neither to critical analysis nor to comparative scrutiny.“775
Die Tourismusbranche nutzt Aspekte der Vergangenheit, indem Geschichten vermittelt werden über Orte, die durch ihre Lage oder ihren ästhetischen Wert, vorrangig für Besucher, von Interesse sind. Die Bedeutung dieser Orte wird häufig ausschließlich als vom heutigen Leben abgespalten wahrgenommen, als einerseits der Vergangenheit zugehörig und andererseits von „Fremden“ – nämlich den Touristen – genutzt. Das Bild des Kulturerbes ist somit bereits durch dessen mediale Verbreitung festgelegt, eine eigene dynamische Erfahrung kaum mehr möglich776. Die touristische Vermarktung des Kulturerbes ist angewiesen auf kontrollierbare Emotionen der Besucher, weshalb eine Anpassung der „Attraktion“ an deren Bedürfnisse zur logischen Konsequenz wird777 . Gleichzeitig bietet sich so die Möglichkeit, kulturelle Identität nur auf die Basis der positiven Seiten der Geschichte zu stellen, um auf diese Weise regionalen oder nationalen Stolz entwickeln zu können: „People feel that their heritage is distinctive if often hard to define. They are proud of their past and also keen to capitalise on it, and thus tourist literature is full of references to the heritage of the nation, of the region, of the city.“778
775 776
777 778
allowing the unity of people considered in the management process to be defined specifically in terms of good, educational and conflict-free.“, Waterton, S. 163. Lowenthal, S. 121. Vgl. Crouch, S. 58; Beseler warnt vor dieser rein touristischen Nutzung der Denkmale und fordert den Einbezug in die aktuelle Lebensumwelt, vgl. Beseler 1972, S. 67; vgl. auch von Rohr, die gleichzeitig auf die gegenläufige Tendenz eines offeneren Bewusstseins für die Vergangenheit hinweist, welche jedoch zwar in der Denkmalpflege und in Fachkreisen, weniger aber in der Tourismusbranche zu finden ist, von Rohr 1977, S. 15. Vgl. Poria, S. 221. Gillman, S. I; vgl. auch Lowenthal, S. 132.
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Während die Problematik der touristisch geprägten Sichtweise auf die Vergangenheit und deren Zeugen durchaus erkennbar ist, kann jedoch in Deutschland eine zu starke Vereinheitlichung noch nicht festgestellt werden. Die regionalen Unterschiede sind vielfältig und spürbar, allerdings wird auch hier der kulturelle Wettbewerb stärker und die Vorstellung „Museumsdirektoren und Archivare müss[t]en lernen, Ereignisse zu schaffen und Aufmerksamkeit zu erregen“779 ist zwiespältig zu betrachten. Ist die Folge, dass Kulturgut öffentlich gezeigt wird und die Öffentlichkeit sich des Wertes auch für die heutige Zeit bewusst wird780 , dann ist dies sicher ein guter Ansatz. Die Gefahr, dass durch Konkurrenz vor allem die kulturellen „Highlights“ – oder was dafür gehalten wird und werden soll – gezeigt werden oder Baudenkmale zur Kulisse von Freizeitparks werden781 , ist jedoch groß. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fasste diese Problematik wie folgt zusammen: „Kultur darf im vereinigten Europa nicht zum reinen Standortfaktor und Anreiz des internationalen Tourismus herabsinken.“782 Und: „Langfristig reduziert die gegenwärtige Ausrichtung des Kulturbetriebs auf marktgängige und quotenorientierte Projekte die kulturelle Vielfalt eines Landes. Das Sperrige, Nicht-Ästhetisierbare, bleibt oft auf der Strecke. Das gilt auch für Baudenkmale. Die fortschreitende Kommerzialisierung geht einher mit einer Verflachung von Bildung und Wissen.“783
Im Gegensatz zum Kunsthandel kann im Zusammenhang mit der Tourismusbranche festgestellt werden, dass diese grundsätzlich im Einklang mit allen vier Ebenen des Kulturgüterschutzes stehen könnte, mit diesem sogar eine gemeinsame Basis hat. Denn nur was erhalten wird, kann auch touristisch erschlossen werden. Da der Tourismus zwar eine enorme Einnahmequelle darstellt, jedoch durch die öffentliche Hand steuerbar ist, trägt diese die Verantwortung zur Bewahrung authentischer Zusammenhänge des kulturellen Erbes und zum Schutz desselben vor Abnutzung und Umdeutung durch rein touristischen Gebrauch. Das kulturelle Erbe Deutschlands ist vielfältig und bietet zahlreiche Möglichkeiten, sowohl für die Bevölkerung unmanipulierter Identitätsstifter zu sein als auch für Besucher Anziehungspunkt und Erholungsort. Die noch immer große Anzahl von Bauwerken des Adels in privater Hand, die zum Teil noch bewohnt werden, bietet zudem den Einblick in eine gewachsene Geschichte bis in die heutige Zeit. Es ist zu vermuten, dass das öffentliche Interesse – im Sinne einer weit verbreiteten Meinung – die Notwendigkeit eines Ausfuhrverbots für das Gemälde eines international bedeutenden Künstlers höher schätzen wür779 Elitz, S. 8. 780 Vgl. Elitz, S. 8. 781 Der dem Familienbesitz Woburn Abbey angegliederte Safari Park im Besitz von Edward John Barrington Douglas-Scott-Montagu 3rd Baron/Lord Montagu of Beaulieu zieht beispielsweise deutlich mehr Besucher an als das historische Gebäude, ebenso vergleichbare Zusatzattraktionen weiterer englischer Herrenhäuser und Schlösser, vgl. Lord Montagu of Beaulieu, Edward J.: The Gilt and the Gingerbread or How to Live in a Stately Home and Make Money, London 1967, S. 27. 782 Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2005. 783 Deutsche Stiftung Denkmalschutz 2005.
144 | S AMMLUNGEN DES A DELS de als den Erhalt eines noch immer bewohnten adligen Landsitzes, der allein in dessen näherer Umgebung bekannt ist. Der Kunsthandel profitiert allerdings stark von den populären Schlossauktionen und betont die materielle Bedeutung des Besitzes784. Es ist daher die Aufgabe der Wissenschaft, den Wert gewachsenen kulturellen Erbes für einzelne Regionen und für Deutschland als Staat zu erkennen und zu verbreiten sowie die Aufgabe der Politik, Regelungen zu finden, die Eigentümerinteressen und staatliche Interessen (wie die touristische Aufwertung der jeweiligen Region) berücksichtigen.
2.3
K ULTURGÜTERSCHUTZ
DURCH DAS
E RBVERHALTEN
DES
A DELS
„Der im hohen Adel so stark ausgebildete Familiensinn, der Gedanke, in der Familie weniger die Summe von Blutsverwandten als die Zugehörigkeit zu einem Hause zu sehen, mussten zu dem Bestreben führen, ein Mittel zu finden, der Familie dauernd Glanz und Macht zu verschaffen. Dies geschah durch den engen Zusammenschluss der Familie, der dazu führte, aus dem Familienverband das ‚Haus‘ als allen gemeinsames, doch die Mitglieder überragendes und überdauerndes Rechtssubjekt herauszuheben.“785 W. RAKENIUS
Wie eingangs erwähnt, wurden bei der Auktion im Schloss Marienburg 2005 über 20.000 Objekte versteigert. Die Auktionsangebote der Familien Thurn und Taxis und Baden in den 1990er Jahren waren etwas weniger umfangreich, füllten jedoch ebenfalls mehrbändige Kataloge786. Die veräußerten Objekte waren vor den Verkäufen größtenteils nicht öffentlich zugänglich und die Verkäufe fanden im Einklang mit den Behörden des Kulturgüter- und Denkmalschutzes statt. Es handelte sich um Eigentum der jeweiligen Häuser, welches diesen infolge der politischen und rechtlichen Entwicklungen vom 19. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zugesprochen worden war. Das Haus Thurn und Taxis ist eine 1815 mediatisierte standesherrliche Familie.
784 Graf betont zudem die enge Verbindung des Adels zum Kunsthandel, da die Beschäftigung Adliger in diesem Bereich verhältnismäßig hoch ist, vgl. Graf 2005, S. 183; vgl. auch Rogasch, S. 45. 785 Rakenius, Wilhelm: Die Hausgüter des hohen Adels und die gewöhnlichen Familienfideicommisse. Eine vergleichende Studie, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Juristischen Facultät der Ruprechts-Karls-Universität zu Heidelberg, Heidelberg o.J. (1905), S. 12. 786 Auktionskatalog Sotheby’s 1993: Die Fürstliche Sammlung Thurn und Taxis, Regensburg 12.-15. Oktober 1993, Band I-V; Auktionskatalog Sotheby’s 1995: Die Sammlung der Markgrafen und Großherzöge von Baden, Baden-Baden 5.-21. Oktober 1995, Band IVI.
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Das Haus Baden verlor 1918 die Regentschaft des Großherzogtums Baden. Das Haus Hannover musste 1866 das Königreich Hannover und 1918 das Herzogtum Braunschweig und Lüneburg aufgeben. Die Eigentumsverhältnisse wurden für Baden bereits 1919787, für Hannover 1867788 und für Braunschweig 1925789 gesetzlich festgelegt. Das Haus Thurn und Taxis war als nicht regierendes Haus von den Ereignissen 1918 diesbezüglich nicht direkt betroffen790. Die Betrachtung der Eigentümerinteressen an Kulturgut hat gezeigt, dass diese stark von der Forderung nach freier Verwaltung geprägt sind, was auch einen möglichen Verkauf einschließt. Sammlerinteressen und materielle Werte sowie eine emotionale Bindung können für den privaten Eigentümer bedeutende Erhaltungsgründe sein, sind jedoch nicht uneingeschränkt vorauszusetzen. Betrachtet man noch einmal Argumente für und gegen Verkäufe aus Adelsbesitz, werden die enorm hohen Unterhaltungskosten als Argument für eine Veräußerung und die Tatsache, dass sich diese Kulturgüter bereits seit Jahrhunderten im Besitz der Familien befinden, als Gegenargument genannt. Der hohen Unterhaltungskosten war man sich jedoch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewusst: diese waren ein Grund für die Bereitschaft der neu gegründeten Staaten zur Rückgabe von Schlössern an die Fürstenhäuser791. Die Erhaltung von Kulturgütern – wie Schlossbauten mitsamt ihres Inventars – über Jahrhunderte hinweg muss auch im Zusammenhang mit Regierungspositionen der jeweiligen Häuser betrachtet werden. Ein großer Teil dieser Objekte hat daher mit dem Machtverlust der Fürsten ihre Nutzungsbestimmung verloren792. Es ist unweigerlich die Frage zu stellen, was dazu geführt hat, dass diese Kulturgüter, deren Nutzwert scheinbar seit 1918 stark verringert, deren materieller Wert jedoch immer bekannt war, noch bis in die heutige Zeit im Eigentum der Adelsfamilien verblieben.
787 Gesetz über die Auseinandersetzung bezüglich des Eigentums an dem Domänenvermögen, 25. März 1919, in: Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt, Nr. 21, Karlsruhe, 9. April 1919, S. 179-185, folgend: Auseinandersetzungsgesetz Baden. 788 Erst 1933 wurde die Frage der Eigentumsverhältnisse bezüglich des Königreichs Hannover jedoch endgültig geregelt, vgl. Kapitel 4.1. 789 Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staate und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause vom 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig, 26. Oktober 1925, S. 255-262 (enthält: Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig), folgend: Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig. 790 Zur Stellung der standesherrlichen Häuser innerhalb des Adels vgl. Reif 1999, S. 2; vgl. Reif, Heinz: Der Adel in der modernen Sozialgeschichte, in: Schieder, Wolfgang/Sellin, Volker (Hrsg.): Sozialgeschichte in Deutschland. Entwicklungen und Perspektiven im internationalen Zusammenhang, Band IV: Soziale Gruppen in der Geschichte, Göttingen 1987, S. 36; vgl. auch Urbach, Karina: Zwischen Aktion und Reaktion. Die süddeutschen Standesherren 1914-1919, in: Conze/Wienfort, S. 323-351. 791 Vgl. Günther, Theodor: Das Problem der Vermögensauseinandersetzung mit den ehemaligen Fürstenhäusern, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der staatswissenschaftlichen Doktorwürde der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig 1928, S. 85. 792 Dies wiederum wird als weiteres Argument für die Verkäufe angeführt, vgl. Kapitel 1.
146 | S AMMLUNGEN DES A DELS Für die Untersuchung des Verhältnisses hochadliger Familien zu ihrem Kulturbesitz werden relevante Aspekte der Adelsgeschichte des 20. Jahrhunderts beispielhaft herangezogen, wozu auch Aussagen von Vertretern des Adels als Quellen berücksichtigt werden. Auf den Adel als soziale Gruppe innerhalb der Gesellschaft, dessen Organisation – wie beispielsweise in Adelsverbänden – oder dessen Verhalten in politischen Fragen – wie beispielsweise während der Zeit des Nationalsozialismus – wird gegebenenfalls hingewiesen, ohne diese Aspekte jedoch genauer zu untersuchen. Das Thema von Kulturgut in Adelsbesitz wird in der Forschung bisher kaum diskutiert und es scheint, als rücke es grundsätzlich nur in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, wenn Verkäufe getätigt werden. Eine Ausnahme bildet England, wo privat geführte Adelssitze einen festen Bestandteil im kulturellen Angebot ausmachen. Dies ist nicht unkritisch zu betrachten793, führte jedoch dazu, dass die Adelshäuser selbst sich bereits Mitte des 20. Jahrhunderts stärker in der Öffentlichkeit zu Fragen des kulturellen Erbes äußerten794. Die Betrachtung des Forschungsstandes führt insgesamt zur Erkenntnis, dass es, trotz der enormen Heterogenität des Adels, Gemeinsamkeiten in Verhalten und Weltanschauung gibt, welche Rückschlüsse auf dessen Haltung gegenüber dem kulturellen Erbe zulassen: „Der Adel muss nach 1918 stärker als je zuvor in seiner langen Geschichte als ein Lebens- und Kulturmodell betrachtet werden, als eine um bestimmte Traditionen, Lebensweisen, Werthaltungen, um eine spezifische Selbstsicht, symbolische Abgrenzungen, soziale Praxis, kulturelle Codes und spezifische Erinnerungstechniken organisierte Gruppe von Menschen.“795
Die Stichworte „Tradition“ und „Erziehung“ haben einen hohen Stellenwert. Ebenso die Rechtsinstitute der Fideikommisse und Hausgüter, die in der Rechtswissenschaft seit dem 17. Jahrhundert bis heute Beachtung gefunden haben und für die Bewahrung von Kulturgut in Adelsbesitz von elementarer Bedeutung sind. 2.3.1 Tradition und Erziehung Trotz der durch Konfession, Region und Vermögen bedingten Heterogenität des Adels und trotz der auch innerhalb dieser Gruppe bedeutenden Hierarchien (die beispielsweise durch die komplizierten Hofrangordnungen deutlich wurden796), kann die 793 Vgl. die kurzen Anmerkungen in Kapitel 2.2.3. 794 Vgl. Lord Montagu of Beaulieu; Biographien deutscher Adliger, wie Malinowski sie für seine Arbeit heranzieht, bleiben allgemeiner und beschäftigen sich stärker mit der Vergangenheit als mit der Gegenwart, vgl. Malinowski 2003. 795 Malinowski 2003, S. 31; vgl. de Saint Martin, S. 16; die Untersuchung de Saint Martins bezieht sich vorrangig auf den französischen Adel, lässt aber Rückschlüsse und Vergleiche zum deutschen Adel zu. 796 Dazu ausführlich Möckl, Karl: Der deutsche Adel und die fürstlich-monarchischen Höfe, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hrsg.): Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1990, S. 96111; die weitreichende Hierarchisierung der Adelsgesellschaft, welche sich auch innerhalb der Familien fortsetzte, beschreibt auch de Saint Martin: „Derselbe Name ist um so wertvoller, je höher der Rang seines Trägers im Raum des Adels ist; dabei zählt ein
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Abgrenzung zu Nicht-Adligen als größte Gemeinsamkeit betrachtet werden, welche auch nach 1918 noch Bestand hatte797. Der Hochadel und der niedere Adel teilten die Problematik, sich in der neuen politischen und gesellschaftlichen Ordnung zurecht finden zu müssen, in deren Spitzenpositionen des Finanzwesens, der Industrie, Technik und Wissenschaft oder des Handels beide Gruppen keinen Platz fanden: „Der Adel hatte durch Jahrhunderte bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein ein bewußt antibürgerliches Verhältnis zu Arbeit, Geld, Beruf, Industrie und Wirtschaft kultiviert und vertreten. Diese Mentalität, die bis 1918 als ein Zeichen der Zugehörigkeit zum Adel gewertet wurde, war nach 1918 für einen Umstellungsprozeß hinderlich.“798
Der niedere Adel war jedoch finanziell darauf angewiesen, Eingang in diese Berufsfelder zu finden, und entfernte sich immer stärker vom Hochadel. Berührungspunkte gab es ohne die Tätigkeiten am Hof und beim Militär kaum noch 799. Eine grundlegende Veränderung für die meisten der ehemals regierenden Häuser war der dauerhafte Umzug von der Stadt aufs Land, zunächst durch Flucht aus Angst
Mann eher mehr als eine Frau, ein Erstgeborener mehr als ein Nachgeborener, eine mit einem Aristokraten aus großer Familie verheiratete Tochter mehr als eine mit einem Bürgerlichen verheiratete oder ledig gebliebene etc.“, de Saint Martin, S. 86. 797 Vgl. Malinowski 2003, S. 41. 798 Von Hoyningen-Huene, S. 404 und 412; seine finanzielle Stellung ermöglichte dem Hochadel diese zögerliche Berufswahl, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 380; nur durch Verarmung war man zum Ergreifen eines Berufes gezwungen, vgl. Johann, Ernst/Junker, Jörg: Illustrierte deutsche Kulturgeschichte der letzten hundert Jahre, München 1970, S. 36; zur Rolle des Adels in Bezug auf industrielle Berufsfelder vgl. von HoyningenHuene, S. 397 und S. 403; vgl. auch Malinowski 2003, S. 43. 799 Zudem kann bereits für die Zeit vor 1918 z.B. in Preußen eine zunehmende Entfernung des Kleinadels von der Kaiserfamilie festgestellt werden, da man durch die Nobilitierungspolitik des Kaisers um den eigenen Rang fürchtete und dessen Interesse an modernen Entwicklungen, die ihn in Kontakt zu wohlhabenden Industriellen sowie bürgerlichen Wissenschaftlern brachten, negativ bewertete; Malinowski geht, auch im Zusammenhang mit antisemitischen Haltungen im Adel, ausführlich auf diese Entwicklung ein: „Idealtypisch lassen sich die Elemente dieser Annäherung [von gehobenem Bürgertum und Hochadel] wie folgt beschreiben: Die reiche Bourgeoisie und ein Teil der Grandseigneurs waren ihre sozialen Bestandteile, die jüdische Hochfinanz ihr Katalysator, Wilhelm II. ihr Protektor, Berlin ihr topographisches Zentrum, der alte Mittelstand, ein Großteil des Adels und insbesondere der Kleinadel ihre erbitterten Feinde.“, Malinowski 2003, S. 122 sowie u.a. S. 126ff; vgl. auch Kohlrausch, Martin: Die Flucht des Kaisers – Doppeltes Scheitern adlig-bürgerlicher Monarchiekonzepte, in: Wehler, S. 72; Möckl weist darauf hin, dass ebendiese Öffnung zur Moderne für alle Fürsten schon vor 1900 von Bedeutung war, um weiter im Zentrum des öffentlichen Lebens zu stehen, der ihn umgebende Adel jedoch immer stärker auf seine Posten und Privilegien angewiesen war, um die soziale Stellung zu erhalten, vgl. Möckl: Der deutsche Adel und die fürstlichmonarchischen Höfe, S. 100; vgl. auch Dilcher, Gerhard: Der alteuropäische Adel – ein verfassungsgeschichtlicher Typus?, in: Wehler, S. 79.
148 | S AMMLUNGEN DES A DELS vor tätlichen Übergriffen800 und schließlich festgeschrieben durch die Auseinandersetzungsverträge801. Die Residenzschlösser gingen, mit wenigen Ausnahmen802, an den Staat, so dass eine stärkere geographische Trennung von den ehemaligen Untertanen zwangsläufig die Folge war. Die ländlich gelegenen Schlösser boten dem Hochadel zahlreiche Vorteile, allen voran häufig zugehörigen Land- und Forstbesitz, welcher noch stärker zur Lebensgrundlage wurde als dies bereits vor 1918 der Fall gewesen war: Durch den Erhalt von Landbesitz gelang es dem Hochadel während der Weimarer Republik, seine ökonomische Stellung (trotz der Verluste nach 1918) zu halten803. Bedeutend schien jedoch auch die Abgrenzung zu den nun völlig bürgerlich gewordenen Städten zu sein, so dass viele Stadtpalais des Adels bereits zu einem frühen Zeitpunkt verkauft wurden804. Dies bedeutete jedoch nicht, dass der Rückzug ins Private bewusst anerkannt und vollzogen wurde, denn der Adel gab seine Vorstellung, an der Spitze der Gesellschaft zu stehen, nicht völlig auf: „In seiner Sicht stand seine Teilnahme auch an der künftigen Elitenbildung nie zur Disposition. Die gutsituierten Adligen waren gefordert, ihr weiteres Obenbleiben zu sichern.“ 805 Je länger der Kaiser im niederländischen Exil lebte, desto stärker wurde jedoch die 800 Trotz des weitgehend friedlichen Machtwechsels gab es Informationen über tätliche Angriffe und, v.a. im süddeutschen Raum, Ermordungen von Adligen, welche diese Angst weiter schürten, vgl. Malinowski 2003, S. 203ff; auch hatten Ermordungen Adliger in den Jahrzehnten zuvor (wie der Mord an der österreichischen Kaiserin) Ängste geschürt, die man nun bestätigt sah, vgl. Sinclair, Andrew: Aristokraten im 20. Jahrhundert, Wien, Berlin 1969, S. 50; vgl. z.B. zur Flucht des bayerischen Königs Riehl, Hans: Als die deutschen Fürsten fielen, München 1979, S. 139ff; auch das Schicksal des russischen Zaren weckte Ängste, vgl. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Tochter des Kaisers. Mein Leben, München 1984, 15. Auflage (1. Auflage 1965), S. 217; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 106; es kam zu Überfällen, z.B. auf die Kaiserin, die man zur Herausgabe von Dokumenten drängte, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 222. 801 Vgl. die Aufstellung zur „Auseinandersetzung betr. Residenz-, Lust- und Jagdschlösser zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern“, Günther, S. 166ff. 802 Ausnahmen waren v.a. die ehemaligen Regenten der kleinen Fürstentümer wie das Fürstenhaus Sachsen-Meiningen, dem das Residenzschloss Meiningen zugesprochen wurde, das Fürstenhaus Anhalt erhielt das Residenzschloss Dessau, die jüngere Linie des Fürstenhauses Reuß erhielt das Residenzschloss Osterstein und das Fürstenhaus Schaumburg Lippe das Residenzschloss Bückeburg, vgl. Günther, S. 170-172; das Haus Baden erhielt mit dem Schloss Baden-Baden ein bedeutendes Stadtschloss, vgl. Günther S. 169. 803 Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 181; allerdings kam es in den östlich gelegenen Gebieten zwischen 1918 und 1925 zu ca. 30% Verlusten auf dem Gebiet des Landbesitzes für ehemals regierende Häuser sowie Standesherren, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 135; von Hoyningen-Huene widmet ein gesamtes Kapitel den „Institutionen zur Durchsetzung adeliger Agrarinteressen“, von Hoyningen-Huene, S. 165ff. 804 Vgl. Malinowski 2003, S. 72 und S. 133. 805 Reif, Heinz: Einleitung, in: Reif, Heinz (Hrsg.): Adel und Bürgertum in Deutschland II. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Bd. 2: Elitenwandel in der Moderne, Berlin 2001, S. 14; Malinowski untersucht verschiedenste Taktiken des „Obenbleibens“ – jedoch mit Schwerpunkt auf dem ostelbischen Kleinadel – ausführlich anhand der Gründung von Adelsorganisationen u.ä., vgl. Malinowski 2003.
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Gewissheit, dass eine Wiederherstellung der alten Ordnung nicht zu erwarten war. Eine Einsicht, die dadurch gestützt wurde, dass der Kronprinz als Nachfolger nicht geeignet zu sein schien806. Auf eine Zeit der privaten Neuorganisation807, häufig im Ausland, in welcher Familienkontakte von großer Bedeutung waren, folgten schließlich die an die neuen Regierungen gestellten Rückgabeforderungen von Vermögensteilen als bedeutendste Aufgabe der ehemals regierenden Häuser. Die Suche nach neuen Betätigungsfeldern war für den Adel durch den derart erlangten finanziellen Ausgleich zunächst nicht nötig. Der Verlust der Herrscheraufgabe war damit für den hohen Adel leichter zu verkraften als für den von Hof- und Militärämtern abhängigen niederen Adel. Nachdem also die Aussicht auf eine Erneuerung der Monarchie – und damit auf politische Einflussnahme – schwand808 , war es das Bestreben des Hochadels, die gewohnten Lebensbedingungen wie Wohnsituation, Umfeld und (nichtberufliche) Tätigkeiten möglichst beibehalten zu können. Der Aussage Wienforts, dass „[d]er politisch-mentale Abstieg von einer politisch bevorrechtigten Elite zu gewöhnlichen Staatsbürgern [...] zwar enorm [war], man [...] aber diese Verluste nicht umstandslos mit dem Ende der ökonomischen und gesellschaftlichen Rolle des Adels gleichsetzen [darf]“809, ist daher mit dem Hinweis zuzustimmen, dass der Adel, sofern es ihm möglich war, diese Rolle beibehielt, weil sich aus seiner Sicht
806 Vgl. Malinowski 2003, S. 245 und S. 258; zur Bedeutung des Exils (Friedrich) Wilhelms (II.) König von Preußen und Deutscher Kaiser für den Adel in Deutschland vgl. Kohlrausch, S. 65-101; insgesamt scheint die kaiserliche Familie mit dem Zusammenbruch der Monarchie auch im Privaten in eine starke Krise geraten zu sein, was sich in Affären, Scheidungen und Selbstmord äußerte, vgl. Kirschstein, Jörg: KaiserKinder. Die Familie Wilhelms II. in Fotografien, Göttingen 2011, S. 19ff. 807 „Im Hochadel und in anderen Familien reicher Grandseigneurs scheint die Einsicht, dass man dem Schicksal Ludwigs XVI. und der Zarenfamilie entgegen der ersten Befürchtungen entgehen würde, früher und nachhaltiger zu einer entspannten Haltung geführt zu haben. Eine Tendenz, die sich schlüssig erklären lässt, da die Revolution zwar auch für die Grandseigneurs überall zu massiven Einschränkungen führte, anders als im Kleinadel jedoch nur selten zur Zerstörung der bisherigen Lebenswege.“, Malinowski 2003, S. 211; dieser Feststellung ist weitgehend zuzustimmen, der Begriff „Lebenswege“ jedoch durch „Lebensgrundlage“ zu ersetzen, da sich gerade für die ehemals regierenden Häuser die „Lebenswege“ grundlegend änderten, wenn dies auch nicht zu materieller Not führte. 808 Hofmann bringt die Situation mit der Aussage auf den Punkt, dass zwar „die überzeugten Monarchisten des späten Kaiserreichs [...] im November 1918 nicht von einem auf den anderen Tag als Republikaner [aufwachten]“, der restaurative Monarchismus allerdings nie sehr stark war, Hofmann, Arne: Obsoleter Monarchismus als Erbe der Monarchie: Das Nachleben der Monarchie im Monarchismus nach 1918, in: Biskup/Kohlrausch, S. 241-242; Wienfort spricht von einem „symbolischen Monarchismus eher nostalgischer als politischer Natur.“, Wienfort 2006, S. 61; Rosenberg beschreibt die Situation ähnlich, Rosenberg, Arthur: Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1972, 14. Auflage (1. Auflage 1961), S. 5f und S. 9; für weitere Informationen zur gesellschaftlichen und politischen Situation während der Weimarer Republik vgl. auch Rosenberg. 809 Wienfort 2006, S. 47.
150 | S AMMLUNGEN DES A DELS deren Berechtigung nicht geändert hatte810. Dass sich jedoch die Fürsten „mit großen Vermögensabfindungen [...] in ein gesichertes Privatleben zurück[zogen]“811 , wie Johann/Junker feststellen, ist, gemessen an den – auch wirtschaftlichen – Veränderungen für die Adelsfamilien, jedoch eine zu stark vereinfachte Sichtweise. Das Selbstbild des Adels nach 1918 In seiner Untersuchung von Biographien und Erinnerungen Adliger hat Malinowski eine große Ähnlichkeit in der Beschreibung einzelner Merkmale des alltäglichen Lebens festgestellt. Diese weisen darauf hin, dass eine Kontinuität der Selbstwahrnehmung (als in ihrem Wesen unveränderte Gruppe) durch innerhalb des Adels sehr homogene Verhaltensweisen erreicht werden konnte. Solche Verhaltensweisen äußerten sich beispielsweise in einer bewussten Verbundenheit zur Natur (und zu bestimmten Tieren wie Hunden sowie Pferden)812, im engen Kontakt zur weitläufigen Familie813 sowie in den stark von Unterscheidung geprägten Kontakten zu NichtAdligen. Diese Aspekte finden sich, wie im Folgenden kurz dargestellt wird, auch in Erzählungen sehr unterschiedlicher Herkunft über das Leben des Hochadels: von einer Hofdame am kaiserlichen Hof in Berlin über die englische Aristokratie und die letzte Braunschweigische Herzogin bis hin zum Leben des deutschen Adels in heutiger Zeit814 . Sie werden zudem ergänzt durch die, ebenfalls wiederholt wiedergegebene, Beschreibung einer Wohnsituation, die von der Großzügigkeit der Räume und ei810 Titel und innerhalb des Adels bestehende Hierarchien beruhten auf einer seit Jahrhunderten bestehenden und sich entwickelnden Ordnung, welche für die in ihr verwurzelten Personen weiter Bestand hatte, wie an einer Beschreibung Mathilde Gräfin von Kellers beispielhaft veranschaulicht werden kann: „Sobald am unseligen 9. November die ersten Nachrichten über das entsetzliche Geschehen in Berlin eintrafen, kam die Kaiserin zu unserer Gräfin und ließ uns Hofdamen dorthin zusammenrufen. [...] Auch in diesem unsagbar traurigen Augenblick bewahrte sie ihre unnachahmliche Würde und Hoheit; sie war und blieb die Kaiserin.“, Keller, Mathilde Gräfin von: Vierzig Jahre im Dienst der Kaiserin. Ein Kulturbild aus den Jahren 1881-1921, Leipzig 1935, S. 334. 811 Johann/Junker, S. 112. 812 Vgl. Malinowski 2003, S. 62f; zur Beziehung des Adels zu Pferden/zur Jagd vgl. auch Bieberstein, Johannes Rogalla von (Hrsg.): Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland, 3. überarbeitete und wesentlich erweiterte Auflage, Aus dem Deutschen Adelsarchiv, Bd. 14, Limburg an der Lahn 1998, S. 221ff und S. 269. 813 Vgl. Malinowski 2003, S. 53. 814 Beispielhaft seien hier genannt: Mathilde Gräfin von Keller (Hofdame Auguste Viktorias Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg Königin von Preußen und Deutsche Kaiserin), Consuelo Vanderbildt Balsan Herzogin von Marlborough (eine aus den USA stammende Bürgerliche, welche in den englischen Adel einheiratete), Victoria Luise Prinzessin von Preußen Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg (deren Erinnerungen zwar von einem dazu beauftragten Autor verfasst wurden, allerdings auf historischen Fakten sowie Gesprächsaufzeichnungen mit ihr beruhen und aus diesen Gründen – wie Biographien allgemein – stark von persönlicher Meinung und Erinnerung geprägt sind, die sich nicht immer mit einer neutralen geschichtswissenschaftlichen Auffassung decken) und Christine Gräfin von Brühl (deren Erzählungen zum heutigen Leben des Adels 2009 veröffentlicht wurden).
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ner Fülle von Objekten mit Bezug zur Vergangenheit geprägt ist. Diese „typische Schlosssituation“ wird gerade nicht in ihrem materiellen Wert betont, sondern stattdessen als eine Art unbequeme und dennoch selbstverständliche Lebensumwelt dargestellt815 . Abbildung 2: Ernst August (III.) von Hannover und Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg mit ihren Hunden, 1930er Jahre
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Die Nähe zur Natur, zu Hunden und Pferden Wie bereits erwähnt, brachten die revolutionären Umwälzungen für die ehemals regierenden Häuser eine geographische Veränderung mit sich, indem die vorher für vorübergehende Aufenthalte genutzten Landsitze zu dauerhaften Wohnorten wurden. Die „betonte Distanzierung von den Großstädten“816 beruhte daher nicht auf einer freiwilligen Entscheidung, kann aber dennoch an Traditionen des Adels anknüpfen, wie es Sinclair etwas blumig veranschaulicht: „Die Aristokraten lieben die Jagd. Diese Liebe ist ihnen angeboren. Und solange sie die Jagd lieben, werden sie auch das Land lieben, dem sie ihre Adelstitel verdanken.“817 Tatsächlich setzt die Jagd, die über lange Zeit Privileg des Adels war – und als dieses hart verteidigt wurde – 818 , die Kenntnis der Natur voraus und war geschlechter-, generationen- und länderübergreifender Bestandteil im Leben des Adels. Während Gräfin Keller wiederholt von Jagd815 Dies wird bei Malinowski durch die stärkere Fokussierung auf den Kleinadel weniger stark betrachtet, er erwähnt zwar die Bedeutung von Gutshäusern und Schlössern für die Herausbildung eines adligen Lebensstiles, vgl. Malinowski 2003, S. 59, und erwähnt, dass vor allem für die Chefs der Adelshäuser noch immer das Leben in einem üppig ausgestatteten Schloss die Regel war, vgl. Malinowski 2003, S. 289, doch betont auch er in diesem Zusammenhang stärker den materiellen Wert dieser Güter. 816 Malinowski 2003, S. 61. 817 Sinclair, S. 309. 818 Vgl. Braun, Rudolf: Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben: Adel im 19. Jahrhundert, in: Wehler, S. 89.
152 | S AMMLUNGEN DES A DELS aufenthalten in Hubertusstock berichtet819 und begeistert auf die lange Tradition des Jagens seit dem Mittelalter hinweist820, betont Consuelo von Marlborough die lockere Atmosphäre der Jagdgesellschaften, aber auch die mit diesen verbundenen gesellschaftlichen Verpflichtungen vor allem in der Winterzeit821 . „Die Jagd hat den adeligen Lebensstil und Jahresrhythmus in einem Maß beeinflusst, das heute vielen nur schwer vorstellbar ist“822, jedoch an der weiten Verbreitung des Jagdthemas auf Gemälden und in kunsthandwerklichen Objekten ablesbar bleibt. Die Jagd zu Pferd ermöglichte in früheren Jahrhunderten eine räumliche Erhöhung gegenüber den als Treiber beschäftigten Untergebenen und führte, zusammen mit der Bedeutung des Reitens im Militär, zur engen Verbindung zwischen Adligen und ihren Pferden. Das Reiten gehörte zum Alltag und war gerade bei adligen Frauen nicht selten eine beliebte Beschäftigung. Consuelo von Marlborough beschreibt beispielsweise die Ausritte in der Natur in einer Form, die das Gefühl von Freiheit innerhalb eines ansonsten stark reglementierten Tagesablaufs suggeriert823. Pferde hatten, zumindest vor 1918, auch für Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg große Bedeutung824. In Bezug auf die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts berichtet sie über Naturerfahrungen am Beispiel ausgedehnter Wanderungen825, welche sie bis ins hohe Alter machte. Auch ihre Liebe zu Hunden behielt sie bei, was durch Fotos belegt ist. Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts fanden jährliche Jagdtreffen der Welfenfamilie im Jagdhaus Hubertihaus statt826. Gräfin Brühl erwähnt immerhin noch, dass Adlige in der Regel abseits auf dem Land leben827 und dass Reiten, und die Jagd (neben Tennis, Golf, Tanz und Segeln) zu den beliebten Sportarten des Adels gehören 828. Enger Kontakt zur weitläufigen Familie Ein reger Briefkontakt sowie Besuche bei Verwandten im In- und Ausland waren für den Hochadel ebenso selbstverständlich wie die Beschäftigung mit Familienforschung829. Die Buchveröffentlichung von Gräfin Keller basiert, neben Tagebucheinträgen, auf zahlreichen Briefen an ihre Familie, die derart trotz der räumlichen Trennung und der völligen Ausrichtung des eigenen Lebens auf das der Kaiserfamilie, wichtiger Bestandteil ihres Alltags blieb. Die Menge der Adressaten weist darauf hin, 819 Von Keller, S. 159. 820 Von Keller, S. 37. 821 Marlborough (Vanderbildt Balsan), Consuelo Herzogin von: Glanz und Gold. Aus dem Leben einer Herzogin, Düsseldorf 1955 (Originalausgabe: The Glitter and the Gold), S. 136 und S. 140ff. 822 Von Bieberstein, S. 273. 823 Vgl. von Marlborough, S. 105. 824 Sie beschreibt, dass sie ihrem zukünftigen Ehemann bei seinem ersten Besuch am Berliner Hof als erstes die Pferde zeigte, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 75; eine Anekdote, die auch von Keller erwähnt, von Keller, S. 232. 825 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 251. 826 Informationen des Marienburg-Kreises, Nr. 3, Januar 1959, S. 1. 827 Brühl, Christine Gräfin von: Noblesse oblige. Die Kunst ein adliges Leben zu führen, Frankfurt am Main 2009, S. 34. 828 Von Brühl, S. 48; dies war bereits vor 1918 der Fall, vgl. Johann/Junker, S. 37. 829 Vgl. Wienfort 2006, S. 120f.
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wie selbstverständlich weitläufige Verwandte als Familie definiert wurden. Dies wird auch durch die von ihr beschriebene zufällige Entdeckung familiärer Verbindungen zu einer Hofdame der Zarin verdeutlicht: „...letztere stellte sich mir als ‚Großnichte‘ und Urenkelin meiner Tante Bariatinski, der ältesten Schwester meines Vaters vor.“830 Consuelo von Marlborough erwähnt die Notwendigkeit, alle Zweige der verwandten Familien zu kennen, welche dazu führte, dass sie zu diesem Zweck den „Peerage“ auswendig lernen musste831. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg beschreibt die Reisen ihrer Kindheit zu Verwandten an verschiedene europäische Höfe832 und betont die Bedeutung von Jubiläen und familiären Gedenktagen833. Nach dem Tod ihres Mannes lebte sie zwar in Streit mit einigen ihrer Kinder, der Umfang ihrer schriftlichen Korrespondenz und der Kontakt zu nahen und entfernteren Angehörigen noch im hohen Alter834 zeugt jedoch vom hohen Stellenwert der Familie auch in ihrem Leben. Schließlich erwähnt auch Gräfin Brühl die Bedeutung eines solchen schriftlichen Austauschs, vor allem aber auch der zahlreichen Zusammenkünfte und der familiären Verständigung835 . Unterscheidung von Nicht-Adligen Dieser engen Verbundenheit zwischen Familienmitgliedern und der Betonung von Gemeinsamkeiten innerhalb des Adels werden in den Erzählungen immer wieder Situationen gegenübergestellt, die eine selbstverständliche Unterscheidung zu NichtAdligen unterstreichen. Eine distanzierte Nähe836, welche geprägt war vom Selbstbild eines Höherstehenden, der sich gern fürsorglich um Personen seines Umfeldes kümmert, auf diese Art jedoch seine herausragende Stellung betont837 , lässt sich für die Zeit vor 1918 uneingeschränkt beobachten. Nach 1918 ist diese Haltung noch immer feststellbar. Nachdem sie jedoch jegliche politische Grundlage verloren hatte, löste 830 Von Keller, S. 171. 831 Von Marlborough, S. 94; der „Peerage“ ist ein Nachschlagewerk mit Angaben zu adligen Familien, Verwandtschaftsbeziehungen und Ereignissen wie Hochzeit, Geburt und Tod. Das deutsche Äquivalent ist der „Gotha“, vgl. auch Genealogisches Handbuch des Adels, herausgegeben von der Stiftung Deutsches Adelsarchiv, bearbeitet unter Aufsicht des Deutschen Adelsrechtsausschusses, Limburg an der Lahn 2012-2014 (mehrere Bände). 832 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 22ff; „Die große europäische Fürstenfamilie war einen nicht geringen Teil des Jahres zu gegenseitigen Besuchen unterwegs. Nicht nur der deutsche Kaiser, der sich ja den Spitznamen eines Reisekaisers erwarb, spürte seit der Erfindung der Eisenbahn diesen Drang zu fortwährender Ortsveränderung; Thronbesteigungen, Hochzeiten, Prinzentaufen, Todesfälle, Regierungsjubiläen bildeten willkommene Anlässe.“, Dissow, Joachim von: Adel im Übergang. Ein kritischer Standesgenosse berichtet aus Residenzen und Gutshäusern, Stuttgart 1961, S. 17. 833 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 356; vgl. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Im Glanz der Krone. Erinnerungen, München 1975 (1. Auflage Göttingen 1967), S. 28. 834 Vgl. Unterlagen aus dem Nachlass Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, unveröffentlichter Privatbesitz. 835 Von Brühl, S. 20ff. 836 Vgl. Malinowski 2003, S. 111. 837 Vgl. Malinowski 2003, S. 113.
154 | S AMMLUNGEN DES A DELS sie sich darüber hinaus – wenn auch nicht völlig, so doch spürbar – von tatsächlichen materiellen Verhältnissen. Zahlreiche Begebenheiten, die Gräfin Keller in ihren Erzählungen zur Kaiserzeit schildert, stellen „das Volk“ der Kaiserfamilie gegenüber, wobei das Interesse und die Anteilnahme am Leben des Hofes von der Bevölkerung vorausgesetzt wurden, ein solches im umgekehrten Fall jedoch immer wieder als besondere Geste hervorgehoben wird838 . Die Überlegenheit wird durch Beschreibungen von Kleidung oder Wohnsituation unterstrichen, wie hier bei einer Beschreibung des „Ordensfestes“: „Es lag doch viel in dem allen – schon dass diese [die unteren Dienstgrade, Anm. U.S.] einmal Gelegenheit hatten, den Glanz des Hofes und an seiner Spitze- König und Königin in der ihrer hohen Stellung gebührenden Würde zu sehen – die Königin, wie das Volk sie sich dachte: mit der Krone und der Fülle herrlicher Edelsteine und fürstlicher Gewänder geschmückt, die Schleppe von den Pagen getragen, und dabei doch so freundlich mit ihnen sprechend, sich nach ihrer Familie, ihren Verhältnissen erkundigend, als rechte Landesmutter, das war doch unendlich eindrucksvoll.“839
Wiederholt in Adelsmemoiren geschilderte karitative Tätigkeiten werden ebenso von Consuelo von Marlborough aufgegriffen, welche die Abhängigkeit der Bevölkerung vom Herzog und die damit verbundene Verantwortung erwähnt840. Die Distanz zwischen Adelsangehörigen und Nicht-Adligen wird von ihr direkt thematisiert, da sie sich selbst ihrer Herkunft aus einer sehr wohlhabenden amerikanischen Familie, die jedoch nicht adlig war, immer bewusst blieb. Während diese Beispiele aus der Zeit direkter Machtausübung stammen, nimmt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg im Zusammenhang mit der Rückkehr nach Blankenburg (Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts) noch immer eine ähnliche Haltung ein, indem sie beschreibt, wie die Blankenburger mit ihren Sorgen und Nöten zu ihrem Mann, dem (ehemaligen) Herzog, kamen und sich bei ihm Rat holten841 . Ist diese Einstellung, welche sich die Kaisertochter bis zu ihrem Tod bewahrte, aufgrund ihrer Stellung zur Zeit der Monarchie zumindest verständlich, muten die Aussagen Gräfin Brühls, man habe gelernt, zu Bürgerlichen zwar nett zu sein, aber Distanz zu wahren, und man lebe in einer Parallelwelt842, für die heutige Zeit befremdlich an. Wie stark diese selbstverständliche Trennung der Lebenswelten im Verhalten des Adels verwurzelt war, wird auch in den Untersuchungen der Rolle des Adels zur Zeit des Nationalsozialismus thematisiert. Anfängliche Sympathien kühlten nicht selten
838 Im Zusammenhang mit einer Operation des damaligen Kronprinzen: „Rührend ist die allgemeine Teilnahme, besonders, wie sie sich auch in den unteren Schichten der Bevölkerung kundgibt [...]“, von Keller, S. 71; „Die Kaiserin fand es richtig, trotz der großen Toilette im offenen Wagen zu fahren, um dem Volk die Freude zu machen, sie ordentlich sehen zu können.“, von Keller, S. 90. 839 Von Keller, S. 98. 840 Von Marlborough, S. 59 und S. 107. 841 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 254. 842 Von Brühl, S. 14 und S. 18; Aussagen dieser Art und Gegenüberstellungen von Adligen und Bürgerlichen ziehen sich durch das gesamte Buch, vgl. von Brühl.
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durch eine mangelnde Bereitschaft zur Eingliederung in die nationalsozialistischen Organisationen auf unterer Ebene ab843 . Für Sinclair liegt diese Haltung insgesamt auch darin begründet, dass gemeinsame Aktivitäten zwischen regierendem Adel und dem Rest der Bevölkerung, wie beispielsweise der in England vereinende Sport, in Deutschland nie zugelassen worden waren844. De Saint Martin weist diesbezüglich auf die für den Adel prägende Erziehung hin, welche das dem Kollektiv untergeordnete Individuum betont, wodurch „das Gefühl der Überlegenheit oft mit dem Gefühl, Pflichten und Aufgaben zu haben, einher[gehe].“845 Von Hoyningen-Huene bezeichnet dieses so genannte „Standesbewusstsein“ als „Mittelpunkt der adeligen Mentalität“ auch nach 1918846. Wohnumfeld und Schloss-Ausstattung Die räumliche Distanz eines Schlossbewohners selbst zu den nächsten Nachbarn ist offensichtlich und hat Auswirkungen auf die oben beschriebene beständige Haltung des Adels in Bezug auf die Nähe zur Natur, die räumlichen Voraussetzungen für Familienbesuche und die Abgrenzung zu Nicht-Adligen. Es kann zudem eine Haltung gegenüber dem Inventar dieser Wohnsitze nachgewiesen werden, welche ebenso beständig blieb und damit Hinweise darauf gibt, warum in großem Umfang Kulturgüter in den Familien verblieben, ohne jedoch bewusst als solche bewahrt zu werden. Den Unterschied zwischen dem Inventar eines Schlosses und der Einrichtung des reichen Bürgertums verdeutlicht Gräfin Keller in der Beschreibung eines Besuchs im Haus der Familie Krupp: „Den Schluss der Rheinfahrt bildete ein mehrtägiger Besuch auf dem ‚Hügel‘ bei Herrn und Frau Krupp in ihrem mit allem modernen Komfort ausgestatteten prächtigen Hause, das trotz allem Reichtum doch nicht überladen ist, sondern einen weit einfacheren Eindruck macht, als ich angenommen hatte, besonders in der Einrichtung ... Auffallend war mir das Fehlen von Familienbildern außer denen der Eltern und Großeltern. So zierte das große Esszimmer nur ein enormes Ölbild von Li Hung Chang, dem chinesischen Staatsmann, das er Herrn Krupp nach seinem dortigen Besuch verehrt hatte. In den übrigen Räumen sah man meist moderne Bilder, Landschaften, Tierdarstellungen und dergleichen. Es fehlte eben alte Familiengeschichte, Tradition, und doch – wie war es imponierend, Blicke in diese Welt des ‚Selfmademan‘ zu tun [...]“847
Im Gegensatz dazu steht ein Eindruck der Fülle bei der Beschreibung des Schlosses Friedrichshof in Kronberg, welches Victoria Prinzessin von Großbritannien und Irland Königin von Preußen und Deutsche Kaiserin eingerichtet hatte:
843 Malinowski gibt das Beispiel eines Adligen, welcher aus dem Stahlhelm ausgeschlossen wurde, da es ihm unmöglich erschien, an einem Übungsmarsch gemeinsam mit Personen teilzunehmen, die für ihn von geringerem Stand waren, vgl. Malinowski 2003, S. 534f. 844 Sinclair, S. 22f. 845 De Saint Martin, S. 127. 846 Von Hoyningen-Huene, S. 75 und S. 76. 847 Von Keller, S. 232.
156 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Auch ich erhielt die Erlaubnis, alles ansehen zu dürfen, sogar die Privaträume der Kaiserin, ihr Schlafzimmer, den Salon, das Atelier und die entzückende, zu diesen Räumen gehörende Teeküche, die mit alten Messing- und Kupfergegenständen eingerichtet ist, darunter die originellen Schleswig-Holsteinischen Bettwärmer mit ihren langen Stielen, reich ornamentiert ... Man kann sich schwer einen Begriff von der Schönheit der baulichen Anordnung und der inneren Einrichtung machen. Ein Kunstwerk reiht sich an das andere, und mit welchem feinen künstlerischen Verständnis sind sie geordnet, sind die Farben abgestimmt! Besonders prägte sich mir ein Salon ein, in dem in großen Glasschränken eine sehr reichhaltige Sammlung von Erzeugnissen der Kleinkunst untergebracht ist, deren Anfang bis in die Kinderzeit der Kaiserin Friedrich zurückreicht und die bis jetzt durchgeführt wurde; Schnitzereien in Elfenbein, Miniaturen, kunstvolle Gläser, Medaillen usw.; zwischen ihnen sind kleine elektrische Beleuchtungskörper angebracht, um die Möglichkeit zu geben, sie ganz genau betrachten zu können, ohne sie herausnehmen zu müssen. Die Decken, die Wandbekleidungen, die Bezüge der Möbel, ja selbst die Blumen, die unter den herrlichen Gemälden großer Künstler der verschiedenen Schulen, Perlen aus der Zeit der italienischen Renaissance, stehen, sind in den Farben zueinander abgetönt. In allem sieht man ihre Hand, ihren Kunstsinn, und dann wieder in den Wirtschaftsräumen ihre außergewöhnliche Begabung für die praktischen Dinge.“848
Dem Schleswig-Holsteinischen Bettwärmer wird hier die gleiche Begeisterung entgegengebracht wie den Renaissance-Gemälden, denn im Gegensatz zur Villa Krupp liegt diese nicht in einem materiellem oder Sammler-Wert begründet, sondern in der Fülle, der Bandbreite vertretener Epochen und der Anordnung all dieser unterschiedlichen Gegenstände. Neben der Beschreibung einer bewussten Zusammenstellung von Kunstgegenständen fehlt nicht der Verweis auf die sinnvolle Ergänzung durch Wirtschaftsräume. Diese Verbindung von Wohnlichkeit und praktischem Nutzen trat spätestens seit der Wende zum 20. Jahrhundert als immer bedeutenderer Faktor neben das bisher vordergründige Repräsentationsbedürfnis. So finden sich sowohl bei Consuelo von Marlborough als auch bei Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg Hinweise darauf, dass die vorgefundenen Schlösser zwar sehr üppig ausgestattet, aber nicht wohnlich genug gewesen seien849. Bei Gräfin Brühl wird diese Einstellung erneut zugespitzt durch Bemerkungen darüber, wie praktikabel Handys in den kilometerlangen Gängen eines Schlosses seien850 oder wie ungewöhnlich einige bauliche Veränderungen: „Das Klo im Schrank zeigt die Selbstverständlichkeit, die bei allen möglichen architektonischen Absonderlichkeiten an den Tag gelegt wird. Zwar sind die Decken hoch und die Mauern in Schlössern und Burgen stehen vielfach viele Meter weit voneinander entfernt, zwar wirken 848 Von Keller, S. 156f. 849 „Seltsamerweise war in dem großen Haus nicht ein einziges wohnliches Zimmer vorhanden. Blenheim war mehr zur Repräsentation als zum Wohnen erbaut worden.“, von Marlborough, S. 104; „Da wir [das Braunschweiger Schloss] zuvor nicht hatten ansehen können, gingen wir zuerst einmal auf die Suche nach unseren Zimmern. Die Gemächer des Schlosses waren prunkvoll, doch schrecklich ungemütlich. Man merkte den räumlichen Anordnungen an, dass hier jahrzehntelang ein Junggeselle gewohnt hatte.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 120. 850 Von Brühl, S. 11.
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die Häuser von außen abweisend und undurchdringlich, aber innen bemüht man sich um einen möglichst unkomplizierten Umgang mit den örtlichen Gegebenheiten und Ungewohnlichkeiten [sic]. Man nimmt sie an und macht es sich darin gemütlich. Schließlich hat man sich den Ort nicht freiwillig ausgesucht.“851
Die Beispiele machen deutlich, dass die Gesamtheit des Inventars im Vordergrund der Betrachtungen stand, nicht jedoch ein den Objekten selbst innewohnender Kunstoder Luxuswert852. Missbilligend äußert sich Gräfin Keller beispielsweise über die Zunahme von Luxus in Privathäusern und betont: „Wir machen oft die Beobachtung, dass es bei Hof einfacher zugeht als in andern Kreisen.“853 Wenn Gräfin Keller wie oben zitiert die Ausstattung eines Schlosses wie Kronberg bewunderte, so war dies gleichzeitig die Haltung einer Untergebenen, die den Geschmack der Hausherrin, nicht aber die Qualität – geschweige denn den Preis – der einzelnen Werke verehrte. Dass andere Menschen den eigenen Wohnsitz besichtigen wollten, nahm Consuelo von Marlborough wie selbstverständlich hin, zog sich an den Tagen, die Blenheim für Touristen geöffnet wurde, jedoch lieber in den Garten zum Lesen zurück854. Besonders eindrucksvoll veranschaulicht sie zudem mit der folgenden Anekdote, dass der Wert der eigenen Kunstgegenstände nicht im Einzelobjekt oder in der künstlerischen Qualität wahrgenommen, sondern scheinbar als unerschöpfliche Ressource betrachtet wurde: „Die Treibhäuser an der Südseite des Hofes hatten früher einmal eine Tizian-Sammlung beherbergt. Da die Galerie von Damen nicht besichtigt werden durfte, war sie stets abgeschlossen worden. Eines Tages war sie dann einem Brand zum Opfer gefallen – zum Entzücken der Damen.“855 Auch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg war es gewohnt, dass vor allem Außenstehende Interesse an den Objekten zeigten, von welchen sie umgeben war. Beispielsweise wurden ihre Hochzeitsgeschenke im Kunstgewerbemuseum ausgestellt856 und die Verkäufe des so genannten „Welfenschatzes“857 und des Kronschmucks wurden zwar als „große Opfer“858 bezeichnet, trübten jedoch nicht die Erinnerung an „die schönste Zeit meines
851 Von Brühl, S. 39. 852 Von Hoyningen-Huene spricht von einer „Geringschätzung des Geldes und all dessen, was Geldwert besaß.“, von Hoyningen-Huene, S. 362. 853 Von Keller, S. 235. 854 Von Marlborough, S. 169. 855 Von Marlborough, S. 56. 856 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 96; „Tausende Neugierige besichtigten die kostbaren Preziosen [...]“, Kirschstein, S. 188; „Der Andrang war riesengroß [...]“, Former, Peter: Die Hochzeit von Victoria Luise von Preußen mit Ernst August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, in: Biegel, Gerd: Victoria Luise. Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin. Streiflichter aus ihrem Leben, Braunschweig 1992, S. 105. 857 Dieser ursprüngliche Kirchenschatz des Stiftes St. Blasius in Braunschweig erhielt den Namen „Welfenschatz“, da er sich über Jahrhunderte im Besitz der Welfenfamilie befand und durch diese stark vergrößert wurde, vgl. Bungarten, Gisela: Verkauf des Welfenschatzes, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 44. 858 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250.
158 | S AMMLUNGEN DES A DELS Lebens“859 in den Jahren nach 1918 in Gmunden. Man hatte sich mit Möbeln aus dem Braunschweiger und dem Gmundener Schloss eingerichtet860, was wichtiger zu sein scheint als der Besitz herausragender Einzelobjekte. Gräfin Brühl schreibt dazu über eine polnische Adelsfamilie: „Die Familie wohnte in einer winzigen Wohnung, vollgestopft mit alten wertvollen Möbeln, Bildern in Silberrahmen und dicken Büchern, von denen man nicht ein Stück würde weggeben wollen, obwohl die Wohnung viel zu klein war.“861 Der Verkauf von Kunstobjekten sei nicht gern gesehen, scheint aber schnell wieder vergessen: „Wer dennoch verkauft, muss das erklären und die Verwandtschaft früher oder später mit einem schönen Fest entschädigen.“862 Zusammengefasst kann man feststellen, dass diese Objekte ein Bestand waren, den man hatte, dessen Wert jedoch nicht betont wurde: „Niemals hätte ich erzählt, dass es dort so viele Zimmer, Gemälde, Wandteppiche und Tafelsilber gab, wie andere Menschen höchstens aus dem Museum kennen, oder aus dem Hotel.“863 Der gewonnene Eindruck einer in Bezug auf die Einrichtung größeren Bedeutung von Fülle gegenüber einer durchgängig hohen Qualität spiegelt sich im Angebot der Auktionen aus Adelsbesitz864 ebenso wider wie im Inventar öffentlich zugänglicher Schlösser in Privatbesitz. Rogasch beschreibt diese Bestände als Mischungen aus Ansammlung und Sammlung, deren Gemäldebestandteile in der Regel weniger hochwertig seien als in englischem oder italienischem Adelsbesitz und sich zu etwa 80% aus Porträts zusammensetzen865 . Möbel und Kunsthandwerk machen die größeren Teile der Bestände aus866 . Hüttl/Lessing weisen darauf hin, dass Funktion und Bequemlichkeit in den Privaträumen von Schlossbauten bereits seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts höher geschätzt wurden867, und die genannten Beispiele zeigen, dass mit dem Wegfall offizieller Repräsentationszwecke diese Entwicklung weitergeführt wurde, ohne aber eine Reduktion der Ausstattungsfülle zu erwirken. Hatte es jedoch zur Zeit der offiziellen Hofhaltung für die Reinigung und Pflege von Möbeln und Kunsthandwerk gesonderte Posten gegeben868, war dies nach 1918 nicht mehr der Fall und dieser Aufgabe wurde zwangsläufig weniger Beachtung geschenkt. Von Dissow veranschaulicht diese Entwicklung und weist dabei auf eine wichtige Funktion der Schlosseinrichtung hin:
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Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250. Von Brühl, S. 207. Von Brühl, S. 209. Von Brühl, S. 20. Vgl. Auktionskatalog Sotheby’s 1993; vgl. Auktionskatalog Sotheby’s 1995. Rogasch, S. 28. Rogasch, S. 26ff. Damals jedoch verbunden mit einer im Kontrast zu den Repräsentationsräumen stehenden „Schlichtheit“, vgl. Hüttl, Ludwig/Lessing, Erich: Deutsche Schlösser. Deutsche Fürsten, München 1986, S. 29; vgl. Kotzurek, S. 435. 868 Vgl. Hüttl/Lessing, S. 57; vgl. Kotzurek, S. 154; vgl. Newton, William Ritchey: Hinter den Fassaden von Versailles. Mätressen, Flöhe und Intrigen am Hof des Sonnenkönigs, Berlin 2010 (Originalausgabe: Derrière la façade, Paris 2008), S. 154ff.
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„Es gab in Breitenburg Besucher, die eine systematische Konservierung und Pflege von Bildern und Möbeln vermissten und sich darüber wunderten, dass neben einem Holbein oder Gröger die Werke vollkommen obskurer Maler zu finden waren. Zu Unrecht meines Erachtens. Ein Schloss ist kein Museum. Es will nicht ästhetische Werke zeigen, sondern die persönlichen Erinnerungen der alten Familien bewahren. Gewiß wird man erwarten, dass die Besitzer von Bildern berühmter Meister diese kennen und würdigen. Es wirkt erstaunlich, [...] dass [...] Schlossherren nicht einsehen konnten, warum ihre oft achtlos auf dem Boden abgestellten Rayskis besser und wertvoller sein sollten als von irgendwelchen Dorfmalern verfertigte Ahnenbilder. Spuren des Alters, ja des Verfalls geben einem alten Besitz die Patina und den Charme; ein kunstgeschichtlich allzu vollendet restauriertes Schloss atmet nicht und hat etwas Totes und Steriles an sich.“869
Die vorherigen Aussagen in Bezug auf Wert und Bedeutung von Ausstattungsgegenständen werden damit durch von Dissow bestätigt und zusammengefasst: Ein Altersund Erinnerungswert wird von Vertretern des Hochadels bewusst – unterstrichen durch die mal mehr, mal weniger betonte Quantität – einem materiellen, kunsthistorischen und musealen Wert gegenübergestellt und diesem vorgezogen870. Bisher wurde in Untersuchungen zum Selbstbild des Adels im 20. Jahrhundert der materielle Besitz als Gesamtbestand wahrgenommen, der es den wohlhabenden Adelsfamilien ermöglichte, die oben genannten Aspekte einer traditionellen Lebensweise fortzuführen. Der Besitz von Kulturgütern wurde diesem materiellen Vermögen zugesprochen und diesbezüglich ausschließlich als eine von mehreren finanziellen Einnahmequellen betrachtet. Dies ist in Bezug auf ausgewählte kunsthistorisch wertvolle Objekte durchaus gerechtfertigt871, kann jedoch nicht auf die große Masse der Gebrauchs- und Einrichtungsgegenstände übertragen werden. Diese Kulturgüter in Adelsbesitz sind nicht finanzielle Voraussetzung für einen bestimmten Lebensstil, sondern das Leben in einer von Fülle und Vergangenheit geprägten Umgebung ist Teil desselben. Mehr denn je war der Hochadel nach 1918 daran interessiert, ebendiesen Lebensstil beizubehalten und die Erhaltung des Status Quo dominierte deutlich gegenüber dem Veränderungsstreben, welches die Integration in eine neu entstehende Gesellschaft ermöglicht hätte: „Für die Wahrnehmung als Adel wird adliges Selbstverständnis zunehmend zum zentralen Bestandteil.“872 869 Von Dissow, S. 156. 870 De Saint Martin beschreibt, dass Bürgerliche, die nach materiellen oder ästhetischen Werten von Objekten fragen oder auf diese besonders hinweisen, sich in der Welt des Adels als „Eindringlinge“ zu erkennen geben, de Saint Martin, S. 99f. 871 Und wird in den Kapiteln 3.4 und 4.1 genauer dargestellt werden. 872 Wienfort 2006, S. 9; auch Sinclair weist darauf hin, dass der deutsche Adel so lange wie möglich seine Gewohnheiten aufrechterhielt, Sinclair, S. 159; Rosenholm betont die Bedeutung einer disziplinierten Lebensweise in Bezug auf Erbe, Tradition und Ehen, Rosenholm, S. 142; Zollitsch spricht von einer Übergangssituation des landbesitzenden Adels, in welcher zunächst Veränderungen nicht so radikal waren, dass sie eine Veränderung des Denkens herbeigeführt hätten, Zollitsch, Wolfgang: Orientierungskrise und Zerfall des autoritären Konsenses: Adel und Bürgertum zwischen autoritärem Parlamentarismus, konservativer Revolution und nationalsozialistischem Führeradel 1928-1933, in: Reif: Adel und Bürgertum in Deutschland II, S. 229; es kann jedoch teilweise ein stärke-
160 | S AMMLUNGEN DES A DELS Den gerichtlichen Auseinandersetzungen ehemals regierender Häuser mit den neu gegründeten Staaten und deren Resultaten873 kommt in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu: Die Rückgabe von Land- und Forstvermögen an die Familien war die wirtschaftliche, die Rückgabe mindestens eines Schlosses als angemessene Wohnimmobilie die soziale Grundlage des beschriebenen Selbstverständnisses des Hochadels. Die Rückgabe von Teilen der Kunst- und Inventarausstattung aus den „verlorenen“ Wohnsitzen bildete dagegen einen praktischen Gebrauchswert und einen psychologischen Rückhalt, der es ermöglichte, sowohl das Leben in einer von der Vergangenheit geprägten Inneneinrichtung als auch ein Gefühl des „Wohnens im Überfluss“ beizubehalten. Dieses konnte völlig unabhängig von der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation entstehen, da die bewohnten Schlösser durch die zusätzlich dorthin verbrachten Objekte voller waren als je zuvor. Zudem kam den Ausstattungsstücken, welche vor 1918 noch immer in großem Maße an repräsentative Funktionen gebunden waren, nun vor allem ein privater Erinnerungswert zu: Staatsporträts waren gleichzeitig Darstellungen bedeutender Familienmitglieder, in deren Nachfolge man sich sah. Umfangreiche Services, welche vorher für Staatsempfänge genutzt worden waren, dienten nun immer noch zur Ausstattung großer Familienzusammenkünfte. Die Standesherren hatten dagegen bereits nach ihrer Mediatisierung Kompensationsstrategien bezüglich ihrer verlorenen Machtstellung entwickeln müssen, da die Mediatisierung – ebenso wie später die gesetzliche Abschaffung sämtlicher Adelsprivilegien – als „willkührlicher Gewaltakt“874 empfunden wurde875. Gleichzeitig konnten sie ihre finanzielle Situation – auch durch eine stärkere Öffnung gegenüber industriellem und wirtschaftlichem Engagement – festigen876. Während die Veränderungen nach 1918 diesem Teil des Adels (beispielsweise in Bezug auf Bereiche wie Erb- und Namensrecht) weitere Privilegien nahm, konnten die Familien durch den Erhalt ihrer Wohnsitze und die bereits vorweggenommene wirtschaftliche Umorientierung stärker auf die für die Identität des Adels wesentlichen Formen des Kapitals zurückgreifen als bis 1918 regierende Familien877 .
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rer Wille zur Veränderung in den jungen Generationen beobachtet werden, während dieser bei Älteren völlig fehlte, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 110; vgl. Malinowski 2003, S. 219. Für genaue Aufstellungen der Vermögensaufteilung vgl. Günther. Grillmeyer, Siegfried: Zur Symbiose von symbolischem und realem Kapital. Das Beispiel Thurn und Taxis zwischen 1800 und 1870, in: Schulz/Denzel, S. 219. Was jedoch nicht dazu führte, dass man sich mit der neuen Stellung zufrieden gab: „Die Degradierung zum Untertanen, wenn auch zum privilegierten, erschütterte wesentlich das Selbstverständnis der Fürsten von Thurn und Taxis. Die verlorene Position, als unabhängiges, gleichberechtigtes Mitglied der hochadligen Schicht zu zählen, galt es zurückzugewinnen.“, Grillmeyer, S. 223; dies war zwar nicht möglich, die Familie erhielt jedoch eine Sonderreglung, so dass ihr Besitz weiterhin nach den Regeln der Primogenitur vererbt werden durfte, vgl. Grillmeyer, S. 244. Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 360; auch im Bankwesen waren sie engagiert, vgl. von Hoyninen-Huene, S. 373; trotzdem weist Urbach darauf hin, dass die Umwälzungen 1918 auch für diese Familien ein „psychologisches Angstpotential“ schuf, Urbach, S. 345. „Uradlige Ursprünge, jahrhundertealte, lokale Herrschaftstraditionen, hohe Titel, enge, oft verwandtschaftliche Verbindungen zum nationalen und internationalen Hochadel, oft
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Beständigkeit und Anpassung Die Beständigkeit des Adels als soziale Gruppe sowie die Beständigkeit seiner Lebensweise und seines Selbstbildes speist sich aus der Vorstellung einer noch in der Gegenwart bedeutungsvollen Vergangenheit, welcher man sich nicht allein durch Erinnerung, sondern durch lebendiges Fortführen alter Traditionen verbunden fühlt878. Selbst in Familien, deren Wohnsitz nicht das familieneigene Schloss ist, bleibt die Umgebung, in welcher adlige Kinder aufwachsen, geprägt von der Vergangenheit. Porträts, Wappen, Erinnerungsgegenstände, der Familienname879 und Anekdoten gemeinsamer Erinnerungen unterstreichen die höhere Bedeutung der Familie vor dem Einzelnen880. Einzelne Persönlichkeiten können als Leitfiguren dienen881, werden jedoch nicht aufgrund ihrer individuellen Leistungen, sondern im Zusammenhang mit ihrer Rolle im Familienbund hervorgehoben882. Wiederholt weist die Adelsforschung auf das bildhafte Verständnis Adliger hin, das Glied einer langen Kette zu sein883, mit gleicher Verteilung der familiären Aufgaben auf eine Vielzahl von Personen. Die eigene Rolle unterscheidet sich nicht von derjenigen der Ahnen und wird ebenso unverändert von den Nachkommen weitergeführt werden: „Familie wird im Adel stets als Gemeinschaft der vergangenen, lebenden und kommenden Generationen verstanden.“884 Es ist in Anbetracht dieser Vorstellung offensichtlich, dass dem Erinnern und Bewahren ein großer Stellenwert im Leben einer adligen Familie zukommt. Das Kollektiv – der Hochadel insgesamt, die Familie, das Haus – agiert auch
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immenser Reichtum, ausgedehnter Land-, Immobilien- und Aktienbesitz, Beteiligung an gewerblichen, ggf. auch industriellen Unternehmen, Auslandserfahrungen, Kontakte zu den Höfen Europas, hohe Bildungsstandards und ein weitgehend geschlossener Heiratskreis, lassen die Gruppe der Standesherren auch im hier untersuchten Zeitraum [der Weimarer Republik] eindeutig als Sonderfall erscheinen.“, Malinowski 2003, S. 288. „Das Interesse, welches zur Bewahrung und Vermehrung dieses [symbolischen, Anm. U.S.] Kapitals veranlaßt – Ehre der Ahnenreihe und des Namens, Zugehörigkeit zu einem Korps, Ruf und Anerkennung – ist bei einer bedeutenden Gruppe von Nachfahren des Adels sehr groß und untrennbar mit der stillschweigenden Akzeptanz einer höheren Ordnung verbunden, die schon mit der frühkindlichen Erziehung vermittelt und permanent durch weitere Erfahrungen verstärkt wird und nach der die Ahnenreihe Vorrang über das Individuum oder die Familie besitzt [...]“, de Saint Martin, S. 28. Dessen herausragende Rolle aufgrund seiner Beständigkeit selbst beim Verlust von Erinnerungsorten und -zeichen betont de Saint Martin ebenso wie den Anspruch, diesem Namen gerecht zu werden, de Saint Martin, S. 65 und S. 67. Vgl. von Bieberstein, S. 174f; vgl. de Saint Martin, S. 116. Vgl. von Bieberstein, S. 176; S. 182. Dilcher betont die deutliche Abgrenzung zur Leistung als Legitimationsprinzip des Bürgertums: „Es ist bis in das heutige Selbstverständnis des Adels hinein entscheidend, dass der Adel die Legitimation seiner Stellung aus der geblütsmäßigen Abkunft und aus der Geschichte seiner Familie ableitet.“, Dilcher, S. 64; vgl. auch Wienfort 2006, S. 122. Vgl. Malinowski 2003, S. 50; vgl. de Saint Martin, S. 28 und S. 115; „Als sich in mir eine Vorstellung von dem Rang abzuzeichnen begann, den mein Vater in Staat und Gesellschaft innehatte, lernte ich damit auch zugleich, dass er nur ein Glied in einer langen Generationsfolge war.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 23. Malinowski 2003, S. 49; vgl. de Saint Martin, S. 29.
162 | S AMMLUNGEN DES A DELS in der aktuellen Generation als Ganzes und ermöglicht das Aufrechterhalten des Lebensstils des Hochadels. Das Kollektiv funktioniert nicht ohne den Beitrag des Einzelnen, der Einzelne funktioniert keinesfalls ohne das Kollektiv. „Die Nachfahren des Adels [...] neigen in der Tat dazu, sich heute noch so zu betragen, als ob sie einem Korps zugehörten, und dies um so mehr, als ihre symbolischen Interessen im Spiel sind. Wenn sie sich in ihrer Ehre angegriffen fühlen, ob es sich dabei nun um den Versuch handelt, ihren Namen für Werbe- und andere Zwecke zu benutzen, um den Verkauf des Stammschlosses durch einige Familienmitglieder oder um die Verbreitung einer Darstellung des Namens oder der Familie, die nicht mit der von ihnen für richtig gehaltenen und vertretbaren Darstellung vereinbar ist, neigen sie dazu, weniger als Individuen oder Familienmitglieder, sondern als Mitglieder eines Korps oder einer einen gewissen Zusammenhalt ausdrückenden Gemeinschaft mit eigenen Funktionsmechanismen, Spielregeln und Werten zu handeln...“ 885
Abbildung 3: Postkarte zur Hochzeit Louis Ferdinands Prinz von Preußen mit Kira Kirillowna Romanowa Großfürstin von Russland Prinzessin von Preußen, 1938
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Beispiel für diese Unterordnung des Einzelnen und gleichzeitig effektivstes Mittel zur Stabilisierung dieses Familienverständnisses ist die gezielte Eheschließung. Während zur Zeit der Monarchie die standesgemäße Heirat die Wahrung der Stellung in der Adelshierarchie garantierte, wurde dies im Verlauf des 20. Jahrhunderts mehr
885 De Saint Martin, S. 16-17; von Hoyningen-Huene spricht davon „überindividuell“ zu sein und einen „überpersönlichen Verband“ zu bilden, „der jedem Mitglied mit der Geburt auferlegte, [...] Traditionen der Familie auch unter Hintanstellung der eigenen Person und der Individualität zu bewahren und aufrecht zu erhalten.“, von HoyningenHuene, S. 77.
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und mehr abgelöst vom Wunsch nach endogamen Verbindungen als Voraussetzung, um die eigene Aufgabe in der Lebenswelt des Adels erfüllen zu können886 . „In vielen Adelsfamilien wird bis heute die ‚standesgemäße‘ Eheschließung mit Adligen gewünscht, wenn auch nicht länger gefordert. Dieses Abstammungsbewusstsein hat sich offenbar von den traditionellen Funktionen der Adelsfamilie, die in der Ausübung und Sicherung von Herrschaft lagen, abgelöst und als kulturell-soziale Praxis verselbständigt.“887
So lange die oben erwähnte Lebensweise der Abgrenzung aufrechterhalten werden konnte, blieb und heiratete der wohlhabende Adel unter sich888. Auch gingen – trotz einer hohen Zahl unverheirateter adliger Frauen889 – diese seltener Ehen mit NichtAdligen ein als Männer, da dies für sie den Verlust des Titels bedeutete. Dagegen konnten/können bürgerliche Frauen durch Heirat eines adligen Mannes besser in die Familie integriert werden890. Diese Integration ging jedoch zunächst einher mit einer Distanzierung zum vorherigen Umfeld891. Die Zugehörigkeit einer adligen Frau zu ihrer Herkunftsfamilie blieb dagegen im Falle einer standesgemäßen Heirat immer 886 „Für die Aristokratie war die Eheschließung, mehr als bei anderen dominanten Gruppen, nicht nur eine Angelegenheit der Familie, sondern auch der Gruppe.“, de Saint Martin, S. 207. 887 Wienfort 2006, S. 112. 888 Malinowski führt eine Studie zu bayerischen Adelsfamilien an, in welchen Mitte des 20. Jahrhunderts immerhin noch 42% aller Ehen rein adlig waren, vgl. Malinowski 2003, S. 47; de Saint Martin stellt fest: „Je bedeutender das symbolische Kapital ihrer Familie ist (das, unter anderem, am Namen, am Ehrgefühl, am Familiensinn und an der Stellung innerhalb der Ahnenreihe gemessen wird), desto öfter heiraten sie eine Frau, die ebenfalls aus einer Adelsfamilie stammt [...]“, de Saint Martin, S. 224. 889 Verstärkt durch die hohe Quote gefallener adliger Offiziere im 1. Weltkrieg, vgl. Malinowski 2003, S. 200. 890 Vgl. Wienfort 2006, S. 116; trotzdem konnte/kann die Ehe mit einer nicht standesgemäßen Frau auch für einen adligen Mann Einschränkungen bedeuten, beispielsweise wurde Christian Oskar Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland die Apanage gestrichen, als er in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts eine achtzehnjährige Bürgerliche heiratete und er erhielt eine Abfindung, vgl. Borek, Ingeborg: Meine Erinnerungen an die Tochter des Kaisers, Braunschweig 1999, S. 55; zu den Konsequenzen dieser Eheschließung vgl. auch Steckhahn, S. 192; Johann Leopold Erbprinz von Sachsen-Coburg und Gotha verzichtete 1932 aufgrund einer nicht ebenbürtigen Heirat für sich und seine Nachkommen auf die Zugehörigkeit zum Gesamt- und Spezialhaus und wurde abgefunden, vgl. Sandner, Harald: Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha. Eine Dokumentation zum 175-jährigen Jubiläum des Stammhauses in Wort und Bild (1826-2001), Coburg o.J. [2001], S. 219; der heutige Chef des Hauses Andreas Prinz von Sachsen-Coburg und Gotha heiratete dagegen 1971 eine Bürgerliche mit Zustimmung seines Vaters, vgl. Sandner, S. 254. 891 Während jedoch im englischen und französischen Adel im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Eheschließungen mit wohlhabenden Amerikanerinnen üblich wurden, findet man diese im deutschen Adel kaum, eine solche Ehe in England beschreibt von Marlborough, vgl. von Marlborough; zum französischen Adel vgl. de Saint Martin, S. 209.
164 | S AMMLUNGEN DES A DELS gewahrt. War diese beispielsweise wohlhabender als die ihres Ehemannes, so konnten Eheverträge dazu führen, dass eine verheiratete Frau von diesem Wohlstand durch eigene – vom Vermögen des Mannes völlig abgetrennte – Finanzmittel profitieren konnte892. Noch heute ermöglicht eine rein adlige – und möglichst standesgemäße – Ehe zudem die Erziehung der Kinder im Sinne der beschriebenen Lebenseinstellung. Allerdings muss diese ihre Grenzen erfahren, sobald der gemeinsame Schulbesuch mit Nicht-Adligen Kindern und Jugendlichen alternative Lebenskonzepte vorstellt893. Während im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts Hauslehrer sowie Ritterakademien oder Kadettenanstalten894 die Regel waren, wurde der Besuch von Schulen und Universitäten für Jungen und junge Männer aus Adelshäusern bereits vor dem Zweiten Weltkrieg immer üblicher895. Es gab nur wenige Privatschulen, wie beispielsweise die durch Max(imilian) Prinz von Baden gegründete Schule in Schloss Salem, welche bevorzugt für die Erziehung adliger Kinder ausgewählt wurden896, auch weil dort vom Adel geschätzte Eigenschaften wie Fairness, Gemeinschaftssinn und Verantwortungsgefühl verstärkt vermittelt wurden897. Für Mädchen wurden weiterhin vor allem hauswirtschaftliche – und in geringerem Maße fremdsprachliche – Kenntnisse als ausreichender Bildungshintergrund angesehen898 . Die Verschiebung weiblicher Tätigkeitsbereiche von rein häuslichen Aufgaben in ein berufliches Umfeld erfolgte für adlige Frauen später als für bürgerliche Frauen899. Möglicherweise sind die Zuwendung zu öffentlicher Schulbildung und der Erfolg der Salemer Schule Ergebnisse einer bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts vollzogenen Erkenntnis, dass der Familienbesitz nur durch die Ergänzung der „standesgemäße[n] Erziehung der nachfolgenden Generationen“ 900 durch bis dahin weni892 Vgl. Wienfort 2006, S. 115. 893 Darüber hinaus treten die Kinder in Konkurrenz zueinander, was in dieser leistungsorientierten Form nicht typisch für das Selbstbild des Adels ist, vgl. Braun, S. 91. 894 Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 85. 895 Vgl. Wienfort 2006, S. 125; vgl. Malinowski 2003, S. 78; de Saint Martin stellt für Frankreich diese Veränderung erst seit dem Zweiten Weltkrieg fest, de Saint Martin, S. 177 und S. 181. 896 Vgl. Rosenholm, S. 56; vgl. de Saint Martin, S. 199; Schloss Salem wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Georg Wilhelm Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland geleitet, vgl. Steckhahn, S. 188. 897 De Saint Martin stellt fest, dass der Schulbesuch maßgeblich das Verhalten des Einzelnen im System des Adels beeinflusst: je öffentlicher die Schule, desto weniger eng ist dieser an das System gebunden, während Privatschulen eine engere Bindung hervorrufen, de Saint Martin, S. 205. 898 Vgl. Wienfort 2006, S. 127f; die Erziehung der Söhne stand im Vordergrund, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 83. 899 Vgl. Wienfort 2006, S. 18; vgl. Malinowski 2003, S. 266; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 113f. 900 Goltz-Greifswald, [o. Vorname] von der: Lebenswege und Berufe für den Adel der Gegenwart, in: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung 77, Jahrgang, Nr. 100, 28. Februar 1925 (1. Beiblatt) und Nr. 101, 1. März 1925 (1. Beiblatt), abgedruckt in: Abelshauser, Wer-
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ger bedeutende Einzelleistungen erhalten werden konnte. Dass eine völlige Abschottung der nächsten Generationen aufgrund wirtschaftlicher Gründe nicht möglich war, wurde also früh erkannt, war zum Teil jedoch noch geprägt von der Vorstellung, auf diese Weise auch einflussreiche Stellen in Politik und Verwaltung wiedererlangen zu können. Dies verdeutlichen die im Folgenden wiedergegebenen Überlegungen aus dem Jahr 1925: „Schwieriger aber noch als die Sicherung des Familiengefühls ist heute die Rettung des Familienbesitzes, ob er nun in Grund und Boden oder in anderen Werten besteht. In unzähligen Fällen ist er bereits vernichtet. Wo er noch erhalten ist, sollte alles geschehen, um ihn für die Zukunft sicherzustellen. Auch der Staat hat ein Interesse daran. Daher ist nichts törichter, als das Erbe direkter Deszendenz zu belasten und das Kollektiveigentum aufeinanderfolgender Generationen derselben Familie zu zerstören. Dieser Entwicklung entgegenzuarbeiten, liegt nicht etwa nur im Interesse des Adels, sondern im Interesse des Gemeinwohles. Versagt einstweilen die moderne Republik, so muss die Selbsthilfe der alten Geschlechter an die Stelle treten, um alten Besitz zu schützen, um standesgemäße Erziehung der nachfolgenden Generationen nach Möglichkeit festzulegen. Natürlich muss jede solche Hilfe begleitet sein von den größtmöglichen Anstrengungen des einzelnen, sich selber im Lebensstrom zu halten und etwas wirklich Tüchtiges im Leben zu leisten. Das mühelose Erben eines alten Namens oder eines alten Besitzes hat gar keinen Wert mehr. Nur wo die ererbten sittlichen Kräfte eines Geschlechtes sich in der Gegenwart durch hervorragende Arbeit auswirken, bleibt auf die Dauer der Wert und Besitz einer Familie erhalten.“901
Im Sinne dieser Erkenntnis, neue Wege beschreiten zu müssen, wurden Berufsfelder vorgeschlagen, welche mit dem Selbstbild des Adels vereinbar waren. Die Anhäufung von Geld oder, über die Allgemeinbildung hinausgehende, Studien der Geisteswissenschaften galten als Widerspruch zur Tradition902. Jura und Staatswissenschaft, Land- und Forstwirtschaft konnten jedoch an diese anknüpfen903. Verhältnisner/Faust, Anselm/Pezina, Dietmar (Hrsg.): Deutsche Sozialgeschichte 1914-1945. Ein historisches Lesebuch, München 1985, S. 94; dieser neue Anspruch richtete sich vor allem an die nachgeborenen Söhne, welche weder den Familienbesitz verwalteten, noch auf eine ausreichende Versorgung aus diesem hoffen konnten, vgl. Malinowski 2003, S. 176; vgl. Reif 1999, S. 26. 901 Von der Goltz-Greifswald, S. 94. 902 „Einer modernen Wirtschaftsweise sowie kapitalistischem Gewinnstreben standen häufig eine wirtschaftlichen Erkenntnissen abgeneigte Einstellung zu Geld und Reichtum von seiten eines Großteils des deutschen Adels im Wege. Der Besitz von Geld und Reichtum war für viele durchaus immer eine lebenserhaltende Tatsache und Notwendigkeit gewesen, die aber niemals im Vordergrund des Interesses stand, weil der Grundbesitz letztlich genug Ertrag für den Lebensunterhalt abwarf.“, von Hoyningen-Huene, S. 361; vgl. auch von Hoyningen-Huene, S. 374ff; des Weiteren waren der Gelderwerb sowie wirtschaftliche Bemühungen vor allem seit dem 19. Jahrhundert eng mit dem aufstrebenden Bürgertum verknüpft, von welchem sich der Adel weiterhin absetzen wollte, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 360. 903 Von der Goltz-Greifswald, S. 95f; bis auf wenige Ausnahmen gab es keine Beteiligung des Adels in Industrie und Finanzwesen, vgl. Malinowski 2003, S. 142.
166 | S AMMLUNGEN DES A DELS mäßig stark vertreten blieb der Adel zudem im diplomatischen Dienst 904. Diese Tätigkeitsbereiche verdeutlichen den Kompromiss zwischen Beständigkeit und Anpassung, da sie einerseits auf Einflussgebiete des Adels vor 1918 Bezug nehmen, andererseits jedoch die Anerkennung veränderter ökonomischer und politischer Gegebenheiten akzeptieren905. „Die Zuspitzung der politischen und ökonomischen Krisen in der Endphase der Weimarer Republik konfrontierte die machtgewohnten Eliten mit Herausforderungen, die die überlieferten Mittel, mit denen sie ihre Führungsstellung legitimierten, zu untergraben drohten“906 und Veränderungen unumgänglich werden ließen. Diese gelangen, ohne sich jedoch dem Bürgertum dadurch stärker anzunähern907 . Der Parlamentarismus wurde als Regierungsform hingenommen, eine aktive Beteiligung an dieser erfolgte jedoch nicht908 und die Aussicht auf den Umsturz des Systems durch den Nationalsozialismus wurde von Teilen des Adels als letzte mögliche Beteiligungschance angesehen909 . Die ideologischen Gemeinsamkeiten – vor allem des Hochadels – mit dem Nationalsozialismus waren gering, „[b]edeutsamer ist aber zunächst, die Gründe für die Annäherung [...] zu betrachten. Die gemeinsamen Feinde, die Republik, die Demokratie, der Liberalismus, Kommunismus und Bolschewismus, die kulturelle Moderne, vielfach auch das Judentum, fallen sofort ins Auge. Dem entsprach vielfach die Präferenz für ein autoritäres Herrschaftssystem, denn das Führertum als politisches Modell gewann gerade auch im Adel an Popularität.“ 910 904 Vgl. Wienfort 2006, S. 105ff; vgl. Malinowski 2003, S. 286; vgl. Reif 1999, S. 22; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 227f. 905 Auch nach 1918 waren Adlige in der Verwaltung durchaus präsent, vgl. von HoyningenHuene, S. 204. 906 Zollitsch, S. 213. 907 Vgl. Malinowski 2003, S. 282; vgl. Zollitsch, S. 227. 908 Vgl. Hofmann, S. 241 und S. 242; während der Weimarer Republik hatte es für den Adel keine Alternative zum Parlamentarismus gegeben, auch wenn er diesen nicht unterstützte, vgl. Zollitsch, S. 213. 909 Der Nationalsozialismus war für den Adel damit nicht die einzig richtige Lösung, sondern eine der wenigen Möglichkeiten, die sich boten, worauf auch Sinclair hinweist, vgl. Sinclair 87; eine fehlende monarchistische Bewegung jedoch gemeinsam mit einer „fanatischen Ablehnung der monarchischen Vergangenheit“ durch die Massen und als „eines der stärksten politischen Argumente“ für den Nationalsozialismus zu bezeichnen wie Machtan, S. 16, stellt die Ereignisse aber vereinfacht dar. 910 Wienfort 2006, S. 54; dies spiegelt sich auch in den Beschreibungen Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg wider, die von Treffen mit Hitler, Himmler und Göring berichtet, als sei es selbstverständlich, als Teil der „alten Elite“ diese „neue Elite“ zu treffen und von dieser um Rat (bezüglich ihrer Kontakte nach England) gefragt zu werden. Gegensätzliche Haltungen verstärkten sich jedoch und gipfelten in der Entlassung adliger Offiziere aus der Wehrmacht wie auch der kurzfristigen Internierung ihres Sohnes durch die Gestapo 1944, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 267ff, S. 303f und S. 312ff; Malinowski beschreibt diesbezüglich einen Empfang, zu welchem Ernst August (III.) Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland sowie sein Sohn in SA- bzw. SS-Uniform erschienen seien:
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Je deutlicher wurde, dass ein erhofftes Wiedergewinnen der gesellschaftlichen Spitzenposition durch den Nationalsozialismus nicht unterstützt wurde, desto schwächer wurden die Sympathien des Adels gegenüber diesem911. Der Zusammenbruch 1945 markiert für den Adel in Deutschland das Ende einer Übergangszeit und die endgültige Eingliederung in ein neues gesellschaftliches System912 . Für zahlreiche Angehörige sowohl des niederen als auch des Hochadels bedeuteten der Einmarsch der Roten Armee und die anschließende sowjetische Verwaltung in Ostdeutschland den Verlust von Land mit seiner Bedeutung als vorwiegende ökonomische Grundlage sowie von Schlössern und ihrem Inventar als Basis einer kulturellen Identität913 . Nachdem der Adel bis 1918 vor allem als politische Gruppe von größter Bedeutung war, gelang es ihm bis 1945, weiterhin als gesellschaftliche Gruppe in Erscheinung zu treten. Nach 1945 ist er jedoch nur noch als eine kleine soziale Gruppe innerhalb der deutschen Gesellschaft zu bezeichnen. Seit diesem Zeitpunkt ist es weniger als zuvor möglich, von Haltungen und Verhalten einzelner Adliger Rückschlüsse auf die Lebensweise des Adels als Gruppe abzuleiten. Dies ist allerdings kein Beweis dafür, dass es eine solche grundsätzlich nicht mehr gibt. Der Aussage Reifs, „die Öffentlichkeit [nehme] kaum noch prominente adlige Funktions-
„[...] lassen zwar kaum Rückschlüsse darauf zu, wie viel innere Überzeugung hinter diesen symbolischen Gesten stand. Zweifellos jedoch waren es Gesten, die erhebliches Aufsehen erregten und im Adel vielfach als Leitsignale verstanden und befolgt wurden.“, Malinowski 2003, S. 568-569; Steckhahn erwähnt, dass Ernst August (III.) von Hannover offiziell die Welfenlegion in die SA überführt habe sowie das Interesse Hitlers am ehemaligen Braunschweigischen Herzogspaar aufgrund ihrer Verbindungen zu England, Steckhahn, S. 166ff. 911 Vgl. Zollitsch, S. 218f. 912 Wienfort sieht das Jahr 1945 als größten Bruch der deutschen Adelsgeschichte an und weist zudem darauf hin, dass nur sehr vereinzelt Adlige in der DDR blieben, was erheblichen Einfluss auf das weitere Leben dieser Familien hatte, Wienfort 2006, S. 84ff; Stickler stellt im Zusammenhang mit der Habsburger Dynastie fest, dass das Jahr 1945 einen Wendepunkt markierte, da man erst zu diesem Zeitpunkt eine Restauration völlig ausschloss und entsprechend neue Wege ging, Stickler, Matthias: Abgesetzte Dynastien. Strategien konservativer Beharrung und pragmatischer Anpassung ehemals regierender Häuser nach der Revolution von 1918 – Das Beispiel Habsburg, in: Schulz/Denzel, S. 438. 913 Am Beispiel der Kaiserfamilie werden die Veränderungen nach 1918 bis 1945 deutlich (auch wenn deren Sonderstellung sie auch in diesem Fall von anderen Familien abhebt): vor 1918 verfügte sie über 60 Schlösser und Villen, sämtlicher Besitz wurde 1918 beschlagnahmt, der Auseinandersetzungsvertrag von 1926 sprach der Familie 9 Schlösser sowie einige Palais zu, nach 1945 verfügte sie nur noch über 5% ihres ehemaligen Landund Immobilienbesitzes und die Burg Hohenzollern ist heute das einzige Schloss in deren Besitz, vgl. Philippi, Hans: Der Hof Kaiser Wilhelms II., in: Möckl, Karl (Hrsg.): Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 1985 und 1986, Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Band 18, Boppard am Rhein 1990, S. 366; vgl. Günther, S. 167; vgl. Kirschstein, S. 20f.
168 | S AMMLUNGEN DES A DELS träger in Staat und Gesellschaft als Angehörige eines Adelsstands wahr“914 , ist daher zwar zuzustimmen, seiner Folgerung daraus, dass „[e]in Jahrtausend Adelsgeschichte [...] endgültig abgeschlossen zu sein [scheint]“915, dagegen nicht. Die Notwendigkeit, sich in die neu entstehende Gesellschaftsform einzugliedern, führte zwangsläufig dazu, dass durch veränderte Lebenswege individuelle Persönlichkeiten stärker hervortreten konnten und sich das bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch homogenere Bild des Hochadels in der öffentlichen Wahrnehmung aufzulösen begann916. Vom Adel dominierte Einflussbereiche gibt es nicht mehr917, wenn auch nach wie vor überproportional viele Adlige in Führungspositionen zu finden sind und es Berufsgruppen gibt, welche einen deutlich höheren Adelsanteil aufweisen als andere918. Diejenigen Familien, welche nach 1945 noch in Besitz von ausreichend Land- und Forstwirtschaft waren, bauten diese zu Betrieben nach modernen Standards aus und erweiterten ihre Einnahmequellen, wenn dies finanziell möglich war, auf industriellem Gebiet919 . Heute treten daher die, oben an Beispielen verdeutlichten, Aspekte der Lebensweise des Adels nicht mehr offensichtlich in Erscheinung. Auch Rosenholm betont, dass die Vertreter der hochadligen Familien heute in erster Linie Unternehmer und nur in zweiter Linie Repräsentanten ihres Hauses sind920, was auch dazu beiträgt, dass sich Ihre Lebensweise weniger stark als vor 1945 vom gesamtgesellschaftlichen Verhalten abhebt921 . Wie im Folgenden kurz zusammengefasst wird, können die vorgestellten Aspekte jedoch noch immer – wenn auch abgeschwächt – nachgewiesen werden. Eine durch Jagd und die Liebe zum Pferd ausgedrückte Nähe zur Natur kann durch die Verbreitung des Jagens, Reitens und Wanderns als Hobbies nicht mehr gesondert mit dem Adel in Verbindung gebracht werden. Doch auch wenn diese Sportarten – ebenso 914 Reif 1987, S. 34. 915 Reif 1987, S. 34. 916 Vgl. Sinclair, S. 192; auch Wienfort stellt fest: „Im 20. Jahrhundert korrespondierte dem Bedeutungsverlust des Adels als Stand der Zugewinn an individuellen Handlungsmöglichkeiten. Ehe und Beruf markierten zunehmend unterschiedliche Optionen der Lebensführung, und damit glichen sich adlige und bürgerliche Entwürfe in einem zentralen Gesichtspunkt zunehmend an.“, Wienfort 2006, S. 129; dies führt zur teilweise stärkeren Selbst-Positionierung Einzelner in den Medien, ein Verhalten, welches damit aber keinesfalls auf den gesamten Adel übertragen werden kann. 917 Vgl. Sinclair, S. 191. 918 Vgl. Wienfort 2006, S. 10; vgl. Demel, S. 122. 919 Vgl. Wienfort 2006, S. 161. 920 Rosenholm, S. 29; vgl. Mandler, S. 55; dies verdeutlicht auch de Saint Martin, indem sie feststellt, dass trotz der nach eigenen Regeln funktionierenden Gemeinschaft des Adels, deren Verhalten in Beruf und Alltag durchaus unabhängig voneinander zu betrachten ist und damit anderen Regeln folgen kann, de Saint Martin, S. 17. 921 Dies wird in der öffentlichen Wahrnehmung als durchaus positiv bewertet: „Fürst Wolfgang-Ernst zu Ysenburg und Büdingen hat keine Karriere im politischen Raum vollzogen, aber die Ysenburgs sind ein durchaus typisches Beispiel für solche Angehörigen des Adels, die keineswegs vom Verzehr ihres Vermögens leben, sondern als Unternehmer erfolgreich sind [...]“, Schulz, Günther/Denzel, Markus A.: Einleitung, in: Schulz/Denzel, S. 13.
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wie Tennis und Fechten – nicht mehr vorrangig von Angehörigen des Adels ausgeübt werden, sind sie bei diesen noch immer beliebt922. Des Weiteren wählt beispielsweise Girtler das ungewöhnliche Hemd zum Jagdoutfit als Beispiel zur Beschreibung des Kleidungsstils des Adels und betont, dass der Adlige sich bewusst durch Kleidung vom Nicht-Adligen absetzt923. Ein enger Austausch mit Familienmitgliedern und die Bedeutung groß angelegter Familienfeste kann gerade in den letzten Jahrzehnten, durch die völlig veränderten Kommunikationsmethoden der Massenmedien sowie die durch wirtschaftlichen Wohlstand unendlich erscheinenden Möglichkeiten zum Reisen und zur Ausrichtung von Feierlichkeiten jeder Art, nicht mehr als Alleinstellungsmerkmal des Adels angesehen werden924. Doch gehört die Teilhabe an gesellschaftlichen Ereignissen noch immer zu den Verpflichtungen eines/einer Adligen925, Familienverbände und Familientage haben weiterhin identitätsstiftende Wirkung926 und standesgemäße Heiraten sind durchaus erwünscht927 . Die Pflege eines ausgedehnten Netzes familiärer und gesellschaftlicher Beziehungen dient noch immer als soziales Kapital, welches maßgeblich zur Weiterführung von Traditionen beiträgt928 . Eine im Alltagsleben deutlich zur Schau gestellte Abgrenzung von Nicht-Adligen ist in einem Staat, dessen Gleichheitsprinzip zu den bedeutendsten Grundrechten gehört, nicht mehr möglich. Dass sie subtilere Formen angenommen hat und selbst in jüngsten Kommunikationsmedien zu finden ist, verdeutlicht jedoch die Existenz einer Facebook-Gruppe „Schlossdeutsch-Deutsch“929. Darüber hinaus bleibt der zum 922 Vgl. de Saint Martin, S. 129; de Saint Martin widmet dem Thema „Hetzjagd, Reiten, Fechten“ ein gesondertes Kapitel, de Saint Martin, S. 132ff; aus dem Adel stammende Reiter fanden und finden sich noch immer in den professionellen Wettkämpfen, beispielsweise qualifizierte sich Georg Wilhelm von Hannover 1938 als Military-Reiter im Team für die Olympischen Spiele, vgl. Steckhahn, S. 188. 923 Vgl. Girtler, Roland: Adel zwischen Tradition und Anpassung, in: Lipp, Wolfgang (Hrsg.): Kulturtypen, Kulturcharaktere. Träger, Mittler und Stifter von Kultur, Schriften zur Kultursoziologie, Band 7, Berlin 1987, S. 194. 924 „Neue Formen der Repräsentation, wie die Hochzeiten mit Kutsche, die Ballonaufstiege, die Bälle bei Kerzenbeleuchtung, die Schauspiele oder Tänze mit den Dorfbewohnern sind alten Modellen nachempfunden, verbreiten sich bei der Aristokratie wie beim Bürgertum und tragen viel zum Erhalt des Glaubens an die Existenz einer besonderen, von den anderen verschiedenen Welt bei.“, de Saint Martin, S. 62. 925 Vgl. de Saint Martin, S. 45. 926 Vgl. von Bieberstein, S. 434; vgl. Girtler, S. 190; vgl. Demel, S. 123; vgl. Wienfort 2006, S. 154; vgl. de Saint Martin, S. 44. 927 Vgl. Girtler, S. 189. 928 Vgl. de Saint Martin, S. 63; vgl. Weiss, Dieter J.: „Kronprinz Rupprecht von Bayern – Thronprätendent in einer Republik, in: Schulz/Denzel, S. 454; der ebenfalls traditionelle Wechsel zwischen mehreren Wohnsitzen – welcher zudem mit gesellschaftlichen Ereignissen in Verbindung steht (z.B. Sommer auf dem Land, winterliche Ballsaison in der Stadt) ist zwar nicht mehr selbstverständlich, jedoch noch immer nicht ungewöhnlich, vgl. de Saint Martin, S. 97. 929 Facebook-Gruppe Schlossdeutsch-Deutsch: http://www.facebook.com/group.php?gid=15 2905538130&v=info.
170 | S AMMLUNGEN DES A DELS Namen gewordene Adelstitel wichtigstes Unterscheidungsmerkmal930, und der Gruppe des Adels gelingt es noch immer, in einigen – privaten – Belangen durch Ausschluss Nicht-Adliger als geschlossene Gruppe zu agieren931. Schließlich lässt sich Gräfin Brühl zur folgenden pathetischen Aussage hinreißen: „Das ist es letztlich, was den Adel auszeichnet. Er wird nie vergehen, es wird ihn immer geben, und seine Mitglieder, gleichgültig ob organisiert im Verein oder aus reiner Überzeugung, werden nicht von ihren Traditionen ablassen oder ihren Konventionen abschwören [...]. Wer mit dem Gefühl lebt, seine Familie sei schon ewig vorhanden und er sei nur ein Glied in einer langen Kette, wird dafür sorgen, dass nicht ausgerechnet er die Schwachstelle ist, an der die Kette zerreißt. Er wird darauf achten, dass alles beim Alten bleibt, er wird gar nicht anders können. [...] Degradierend empfand die formale Entadelung [...] eigentlich nur der Beamtenadel, weil seine Standeserhöhungen die vielfach ersehnte soziale Krönung für beamtete Adelswerber und deren Familien gewesen war. Die Mitglieder des Alten Adels konnten sie leicht verschmerzen. Sie verloren zwar formal ihre Titel und Privilegien, pflegen aber weiterhin ihre gesellschaftlichen Umgangsformen und behielten ihre Besitztümer.“932
Während also für den Adel wesentliche Verhaltensweisen als solche nicht mehr vorrangig in Erscheinung treten (ohne deshalb jedoch völlig verschwunden zu sein), wird nur dessen Haltung gegenüber dem familieneigenen Kunstbesitz öffentlich kommentiert. Einerseits findet kulturelles Engagement einzelner Vertreter des Adels Beachtung, andererseits werden Verkäufe als scheinbarer Gegensatz zu diesem kritisiert. Bereits der oben beschriebene Umgang mit Kunst- und Ausstattungsgegenständen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat jedoch verdeutlicht, dass diesen zwar ein Wert zugeschrieben wurde, daraus jedoch keine museale Erhaltungsverpflichtung hervorging. Des Weiteren ist erneut zu trennen zwischen der äußeren Repräsentation eines Adligen als Unternehmer und seinem Verständnis als Chef des Hauses: Kulturelles Engagement, die Arbeit im Kunstbetrieb und auch die Ermöglichung eines öffentlichen Zugangs zu Schlössern in Adelsbesitz sind nicht zwangsläufig Hinweise auf eine Haltung des gesamten Adels gegenüber seinem Kunstbesitz, welche museale Standards anstrebt, sondern in erster Linie unternehmerische Tätigkeiten. Von Biebersteins Folgerung, „[d]a der Adel seine Legitimation aus der Geschichte bezieht, liegt es nahe, dass sich Adelige in besonderer Weise um die Bewahrung des kulturellen und künstlerischen Erbes verdient gemacht haben“933, ist daher kritisch zu betrachten: Die Selbstlegitimation des Adels bezieht sich zwar auch auf die Vergangenheit, jedoch immer in Verbindung zur Gegenwart und Zukunft, und die oben genannten Beispiele haben gezeigt, dass der für eine Adelsfamilie geschätzte Alters- und Erinnerungswert von Kulturgut nicht mit der Idee des kulturellen Erbes gleichzusetzen ist. Keine der Aussagen gibt Hinweise darauf, dass ein allgemeines Erhaltungsinteresse Hintergrund für bewahrende Handlungen ist. Dieses bezieht 930 Vgl. de Saint Martin, S. 25; vgl. Wienfort 2006, S. 10. 931 Vgl. Sinclair, S. 8; er beschreibt zudem das „Gefühl, anders zu sein“ als wesentliches Merkmal des Adels, welches bereits durch frühe Erziehung gefördert wird, Sinclair, S. 225. 932 Von Brühl, S. 251f. 933 Von Bieberstein, S. 352.
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sich stattdessen allein auf die eigene Familie. Damit ist auch Wienforts folgender Schlussfolgerung zu widersprechen: „In Schlössern und Gutshäusern fanden kunsthistorische Vorträge, klassische Konzerte und andere öffentliche Veranstaltungen statt. In der Gegenwart entwirft sich vor allem der schlossbesitzende Adel – durchaus erfolgreich – als Hüter des nationalen kulturellen Erbes.“934. Die für den Adel wichtige Pflicht des Einzelnen zur Bewahrung des Familiengutes935 ist nicht gleichzusetzen mit einer Bewahrung von Kulturgütern für die nächsten Generationen der Menschheit oder auch nur der Nation. Stattdessen liegt diese, spätestens nach 1945, in erster Linie in der Sicherung einer Existenzgrundlage für die Familie und in zweiter Linie im Erhalt von Erinnerungswerten als Teil eines adligen Lebenskonzeptes begründet. Nach 1945 lag die Existenzgrundlage für viele Familien vor allem in Landbesitz, weshalb es zum Verkauf großer und teuer zu unterhaltender Schlossanlagen kam936. Andere wiederum bezogen ihre Sammlungen in die unternehmerischen Planungen mit ein937, was jedoch zwangsläufig eine Distanzierung zum Objekt beinhaltet und nicht selten eine rein wirtschaftliche Notwendigkeit war. Wienfort sieht in der „Präsentation künstlerischen Familienbesitzes“ einen Aspekt zur Kompensation des Verlustes von politischer Macht und Einfluss und vergleicht diese mit „Erinnerungsarbeit in Familiengeschichten“938. Während letzteres jedoch im Zusammenhang mit der enormen Bedeutung von Familie im Verband des Adels zu verorten ist, wird die Öffnung des familieneigenen Schlosses – welches noch dazu ab 1918 als Rückzugsort zur Wahrung von Distanz diente – als Notwendigkeit hingenommen939. Betrachtet man zudem die bei einem Gesamtbestand von ca. 25.000 Schlössern in Deutschland940 verhältnismäßig geringe Anzahl der Familien, welche ihren Besitz öffentlichkeitswirksam nutzen, ist Wienforts Einschätzung zu bezweifeln. Zudem sind von diesen Schlössern in Privatbesitz, welche zwar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, aber noch immer auch bewohnt werden, nur wenige überregional bekannt. Die Tatsache, dass „es den meist sehr traditionsbewussten Familien durch kluges Wirtschaften gelungen [ist], bis heute eine erstaunliche Fülle an Kunstwerken im Privatbesitz zu halten“941, hat insgesamt dazu geführt, dass dem Adel eine kulturelle Verantwortung zugeschrieben wird, welche jedoch nicht in dessen Selbstbild verankert ist. Die bisherigen Betrachtungen veranlassen zu der These, dass der traditionelle Wert des Kunstbesitzes für den Adel dem heutigen Verständnis des kulturellen Erbes (in der Form, in der er auch Eingang in die rechtlichen Vorschriften des Kulturgüterschutzes gefunden hat) nicht entspricht.
934 935 936 937
938 939 940 941
Vgl. Wienfort 2006, S. 29. Vgl. von Bieberstein, S. 174. Vgl. Wienfort 2006, S. 161. Als Beispiel gibt Rosenholm Schloss Bückeburg an, welches von Alexander Fürst zu Schaumburg-Lippe als Filmlocation vermietet wird oder als Kulisse für jahreszeitlich geprägte Märkte fungiert, vgl. Rosenholm, S. 30. Vgl. Wienfort 2006, S. 134. Vgl. von Marlborough, S. 169; vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 22; auch Rogasch sieht in den Schlossbesitzern keine „Vertreter des deutschen Kulturbetriebs.“, Rogasch, S. 21. Diese Zahl nennt Rosenholm, Rosenholm, S. 107. Rogasch, S. 22.
172 | S AMMLUNGEN DES A DELS Der kurze Überblick über das Selbstbild des Hochadels nach 1918 und über das Verhältnis von Beständigkeit und Anpassung hat deutlich gemacht, dass seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich unterschieden werden muss zwischen einem äußeren Bild des Hochadels sowie einer inneren Haltung942. Während ersteres stärker von Anpassung geprägt ist, bleiben Traditionen und Beständigkeit weiterhin wichtig. Allerdings wird ein Kompromiss zwischen Außenwirkung und traditioneller Haltung vor allem für die jüngeren Generationen merklich schwerer. „Will man Bilanz ziehen, so ist [...] nicht zu übersehen, dass viele deutsche Fürstenhäuser dabei sind, ihren Lebensstil zu verändern und sich wirtschaftlich und gesellschaftlich im 21. Jahrhundert neu zu positionieren.“943 Nicht zuletzt haben die beschriebenen Veränderungen, welche spätestens seit 1945 deutlich spürbar wurden, ihre Ursache im Wegfall rechtlicher Eigentumssicherungen des Adels, den Fideikommissen und Hausgütern. Die Hausgüter des Hohen Adels sind zudem ein weiterer Beleg für die beschriebene Haltung gegenüber Besitz, welcher zugunsten der Familie erhalten wurde. 2.3.2 Rechtliche Voraussetzungen für den Erhalt des Kulturerbes in Adelsbesitz Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, gibt es eine starke Tradition des Adels, den Besitz zugunsten der Familie zu bewahren. Neben dem nach 1918 wichtigeren Ziel der Existenzsicherung hatte dieser Besitzerhalt in der Vergangenheit zudem grundlegende Bedeutung für den Erhalt von Macht und Einfluss. Bereits seit dem Mittelalter wurde die Notwendigkeit offensichtlich, Landbesitz vor Zerstückelung durch Erbteilungen zu bewahren944. Diese hätten nicht nur dazu geführt, dass im schlimmsten Fall „auf jeden Untertan ein Regent gekommen wäre“945 , sondern auch zunehmend die kaiserliche Macht gegenüber den Fürsten anwachsen lassen946 . Es wurde erkannt, dass Vorrangstellungen einer Familie nur durch eine Bündelung des Wohlstandes gewahrt werden konnten, im Gegensatz zur Förderung des Reichtums Einzelner. Dies bildete den Hintergrund zur Anlage eines Sondervermögens, welches so gestaltet wurde, dass die Früchte aus diesem durch die Familie genutzt werden konnten, der Grundstock jedoch unteilbar, weitgehend unveräußerbar und unbelastbar war und damit auf unbestimmte Zeit eine angemessene Versorgung und damit auch den Glanz und das Ansehen des Hauses sicherstellte (splendor familiae et nominis). „Je höher die Stellung einer Familie war, um so eher 942 Beides kann stärker oder schwächer traditionelle Verhaltensweisen des Adels hervorheben, Adelstitel können beispielsweise beruflich zur Steigerung von Prestige eingesetzt werden oder stattdessen im beruflichen Leben nicht eingesetzt werden, obwohl im Privaten traditionelle Lebensweisen aufrechterhalten werden, vgl. Wienfort 2006, S. 134. 943 Rogasch, S. 46. 944 Eine Gefahr, welche durch den Einfluss des römischen Rechts, das den Einzelnen höher wertete als die Gemeinschaft, verstärkt wurde, vgl. Eckert, S. 59; vgl. Rakenius, S. 10. 945 Eckert, S. 47. 946 Vermögensbindungen waren auch Möglichkeiten, Eigentum dem Zugriff des Herrschers zu entziehen, vgl. Mayer, Mareike: Institute für eine langfristige Bindung des Privatvermögens in einer Familie durch Verfügung von Todes wegen in Deutschland, Frankreich und der Schweiz, Baden-Baden 2008 (zugleich Dissertation Universität Kiel), S. 42.
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war sie den Ideen des Familienglanzes und der Familienmacht zugänglich und bereit, dem einzelnen Familienmitglied im Interesse der Familie als Ganzer Opfer aufzuerlegen.“947 Möglichkeiten der Vermögensbindung Der hohe Adel konnte die Voraussetzung für eine solche Vermögensbindung durch seine rechtliche Souveränität in Form von Hausgesetzen umsetzen. Diese wurden im Familienverband beschlossen und waren im 14. Jahrhundert zunächst reine Unteilbarkeitsgesetze, entwickelten sich jedoch zu umfangreichen Vorschriften für sämtliche Lebensbereiche948 . Dies verdeutlicht Schulze Mitte des 19. Jahrhunderts, in dem er feststellt, dass „in den Hausgesetzen die Entscheidungsnorm für alle Successionsfragen, für alle Vormundschafts- und Regentschaftsangelegenheiten, für die Ehesachen und die Ebenbürtigkeitsverhältnisse der deutschen Fürstenhäuser“949 liegt. Die Hausgesetze wurden bei Bedarf ergänzt oder neu aufgelegt, wie beispielsweise in Hannover 1836. Alle diesem Gesetz entgegenstehenden früheren Regelungen wurden damit hinfällig, „[d]agegen werden ältere Hausgesetze nicht ganz abgeschafft und beseitigt, wie dies z.B. in Bayern geschah, sondern dieselben sind daneben noch so weit als gültig anzusehen, als sie mit den veränderten Staatsverhältnissen und diesem neuen Hausgesetze nicht im Widerspruche stehen [...]“950. Bevor Hausgesetze üblich wurden, waren bereits Erbverzichtserklärungen der Töchter weit verbreitet, die jedoch den Nachteil hatten, dass diese bei einem Aussterben des Mannesstammes wieder erbberechtigt gewesen wären, was schließlich zu einer Aufteilung des Erbes geführt hätte951 . Eine Lösung für dieses Problem war die Übertragung der Vorstellung eines über jedem Einzelnen stehenden Hauses auf eine rechtliche Ebene: 947 Eckert, S. 48. 948 Vgl. Eckert, S. 55f; wie umfangreich sich diese Hausgesetze weiterentwickelten wird am Beispiel der von Mizia vorgestellten Hausgesetze der Grafen und Herren von Giech deutlich, welche in 17 Kapiteln sämtliche Belange der Familie von der Erbfolge bis hin zur Ermahnung zur Wohltätigkeit regelten. Den thematisch weitaus größten Raum nehmen Vermögensregelungen ein, vgl. Mizia, Robert Martin: Der Rechtsbegriff der Autonomie und die Begründung des Privatfürstenrechts in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Rechtshistorische Reihe, Band 122, Frankfurt am Main, Berlin, New York, Paris, Wien 1995, S. 67; der „splendor familiae“ blieb jedoch Hintergrund und Schranke dieser Entwicklung, vgl. Mizia, S. 201. 949 Schulze, Hermann: Die Hausgesetze der regierenden Deutschen Fürstenhäuser. Erster Band, Jena 1862, S. V; er sieht in diesen „die wichtigste Quelle des Privatfürstenrechtes, welches in den deutsch-monarchischen Staaten tief in die öffentlich-rechtlichen Verhältnisse eingreift.“, Schulze, S. V. 950 Schulze, S. 411. 951 Vgl. Eckert, S. 51f; vgl. Rakenius, S. 12; in den Hausgesetzen wurde der Erbverzicht der Töchter ebenfalls gefordert, vgl. Viertes Capitel, § 6, Königliches Hausgesetz für das Königreich Hannover vom 19. November 1836, abgedruckt in: Schulze, Hermann: Die Hausgesetze der regierenden Deutschen Fürstenhäuser. Erster Band, Jena 1862, S. 490507, folgend: Hausgesetz Hannover 1836; weitere Erbregelungen verhinderten jedoch, dass diese durch Todesfälle wieder erbberechtigt werden konnten.
174 | S AMMLUNGEN DES A DELS „So zeigte sich über der Familie stehend und sie zusammenfassend, das ‚Haus‘ als selbständiges Rechtssubjekt, welches, die Interessen aller vereinigend, deren Gesamtheit zu einer korporativen Genossenschaft formte, deren Vermögensrecht als Gesamteigentum am Hausgute aufzufassen ist. Das Haus ist die Einheit, in der sich die Vielheit der Familienmitglieder und Interessen verkörpert, das die Einzelpersönlichkeiten in sich birgt und diese gänzlich vor der Gesamtpersönlichkeit zurücktreten lässt.“952
Komplexe Familienzweige konnten derart in einem Verband zusammengeschlossen und deren Angelegenheiten gemeinsam geregelt werden. Beispielsweise erklärte das Hausgesetz für das Königreich Hannover aus dem Jahr 1836 einleitend, dass „[u]nter dem Namen des Königlichen Hauses [...] diejenige Linie des Gesammthauses [sic] Braunschweig-Lüneburg verstanden [wird], welche gegenwärtig oder künftig die im Königreiche Hannover regierende ist.“953 Die Zugehörigkeit zum Gesamthaus wird im Zusammenhang mit Erbregelungen deutlich, da zum einen die Thronfolge beim Aussterben einer Linie auf die jeweils andere überging954 und zum anderen Besitztümer von einer Linie auf das Gesamthaus vererbt werden konnten955 . Hausgüter956 bildeten den Vermögensstock der Gesamtfamilie, dessen mit Rechten und Pflichten verbundene Verwaltung dem Chef des Hauses oblag. Da für ihn als Repräsentanten des Hauses eine standesgemäße Lebensführung von besonderer Bedeutung war, kam ihm das Recht der Nutzung zu. Zu den Pflichten gehörte die Versorgung der Angehörigen aus dem Vermögensstamm, entweder durch regelmäßige Geldzahlungen oder durch die Abspaltung eines Besitzteiles zur Verwaltung957. Dieser Besitzteil fiel jedoch nach dem Ableben des jeweiligen Angehörigen wieder in den Gesamtbestand zurück. In den Hausgesetzen wurde auch die Art dieser Zuteilung je nach Stellung des/der Familienangehörigen detailliert geregelt958. Der Stellenwert des möglichst ungeteilten Erhalts von Besitz innerhalb einer Familie – sowie gleichzeitig die Schwierigkeit, diesen durchzusetzen – wird durch die Tatsache verdeutlicht, dass entsprechende Testamente zusätzlich zu den bestehenden 952 953 954 955 956
Rakenius, S. 14. Erstes Capitel, § 1, Hausgesetz Hannover 1836. Viertes Capitel, § 3, Hausgesetz Hannover 1836. Zwölftes Capitel, Hausgesetz Hannover 1836. Das Hausgut wurde von der Forschung deutlich weniger betrachtet als das Fideikommiss und wird mit diesem häufig gleichgesetzt, obwohl die von Rakenius bereits 1905 herausgestellten Unterschiede wesentlich sind. 957 Als Apanagium wurden festgelegte Geldsummen aus den Gewinnen des Vermögens bezeichnet, als Paragium eine Abfindung an Land und Leuten, vgl. Rakenius, S. 18. 958 Das Hausgesetz des Königreichs Hannover von 1836 legte beispielsweise fest, dass Apanagen grundsätzlich nur in Geldleistungen gewährt wurden, Zehntes Capitel, Erster Abschnitt, § 3, Hausgesetz Hannover 1836; des Weiteren wurden Jahresgelder zugeteilt, welche für Prinzen wesentlich umfangreicher ausfielen als für Prinzessinnen, Zehntes Capitel, Zweiter Abschnitt, Hausgesetz Hannover 1836; auch die Zuteilungen für Witwen waren ein nicht unerheblicher Kostenaufwand, so erhielt eine königliche Witwe sowohl eine standesgemäße Residenz als auch jährlich 40.000 Goldtaler sowie 10.000 weitere Goldtaler zur Ausstattung, Zehntes Capitel, Fünfter Abschnitt, § 34, Hausgesetz Hannover 1836.
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Hausgesetzen entstanden. Das Testament Julius’ Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel aus dem Jahr 1582 gibt zudem darüber Auskunft wie vielfältig die zu erhaltenden Besitztümer waren: „Die Untheilbarkeit und das Recht der Erstgeburt soll sich auf die noch hinzukkommenden [sic] Lande erstrecken, eben so sollen auch alle Mobilien, Artillerie, Geschütz, Pulver, Munition, Credenz- und Silbergeschirr, Zierrath und Tapezereien, Hof- und Hausgeräthe u. s. w. dem Erstgeborenen gehören.“959
Da das Hausgut auf die Erhaltung des Hauses, der Familie und des Namens abzielte, ist die Erbfolge der Primogenitur vorrangig und das Vermögen Mittel zum Zweck960. Das heißt, in Notsituationen konnte mit Zustimmung des Familienverbandes Vermögen veräußert werden, wenn dies zum Erhalt der Familie nötig wurde961. Allerdings war es im Sinne des Familienverbandes, wenn die zu veräußernden Teile einzelnen Mitgliedern aus diesem zum Kauf angeboten wurden962 , so dass eine Abspaltung vom Hausgut nicht unbedingt einen Verlust für die Familie darstellen musste. Im Falle einer ungenehmigten Veräußerung konnten die Erbberechtigten auf Rückgabe klagen. Das Hausgut blieb, trotz einer Nutzung durch diesen, getrennt vom Privatvermögen des Chefs eines hochadligen Hauses und konnte aus mehreren Vermögensteilen zusammengestellt sein. Bestandteile dieser Art konnten beispielsweise so genannte Fideikommisse sein. Diese aus dem römischen Recht unter Einfluss des spanischen Majorats weiterentwickelten Rechtsinstitute gaben auch dem niederen Adel die Möglichkeit, seinen Familienbesitz in ähnlicher Form wie es dem hohen Adel durch die Hausgüter gelungen war, zu erhalten963. Sie waren kein ausdrückliches Vorrecht des
959 Schulze, S. 383; vorher war bereits in den Hausgesetzen von 1535 und 1582 die Unteilbarkeit sowie die Primogenitur geregelt gewesen, jedoch von der lüneburgischen Seite häufig ungeachtet geblieben, vgl. Schulze, S. 383. 960 Vgl. Rakenius, S. 16. 961 Vgl. Eckert, S. 42; vgl. Rakenius, S. 48. 962 Vgl. Rakenius, S. 48. 963 Auf die komplizierte rechtliche Entwicklung der Fideikommisse und deren regionale Unterschiede (andere Bezeichnungen waren Stammgut, Familienstammgut und Majorat) soll hier nicht eingegangen werden. Diese, ebenso wie die ausführliche Beschreibung der Auflösungsbestrebungen, sind bei Eckert umfangreich festgehalten, vgl. Eckert; zum besseren Verständnis sowohl von Bedeutung als auch Kritik an den höchst unterschiedlichen Ausformungen der Fideikommisse, die in ihrer Masse zu rechtlichen Unklarheiten führen mussten, hilft die Betrachtung einiger historischer Auseinandersetzungen zum Thema, vgl. Beyerle, Konrad: Ein Beitrag zum deutschen Fideikommissrecht, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Bd. 58 = 2. F. Bd. 22, 1911; vgl. Koehler, Karl Dr./Heinemann, Ernst Dr.: Das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen, Gesetze und Verordnungen des Reichs auf fideikommissrechtlichem Gebiete nebst einem Überblick über das Fideikommissrecht und Erläuterungen der reichsrechtlichen Vorschriften, Berlin 1940; vgl. Koch, Josef Dr. jur.: Zur Entstehung der hannoverschen Familienfideikommisse, Hannover 1912; vgl. Rakenius.
176 | S AMMLUNGEN DES A DELS Adels, wurden jedoch nur in weitaus geringerem Maße von anderen gesellschaftlichen Gruppen genutzt. Ein Fideikommiss wurde durch Stiftung gebildet, setzte also die private Willenserklärung eines Stifters voraus964. Jeder Erbnehmer trat als direkter Nachfolger des Stifters auf, welcher das Fideikommiss gegründet hatte 965, und konnte die Annahme dieses Erbes nicht ausschlagen966. Die Stiftungsurkunde enthielt sowohl Angaben zum materiellen Inhalt als auch Bestimmungen zur Erbfolge, welche nicht zwangsläufig der Erbfolge des Hauses folgen musste. In der Verwendung durch den niederen Adel war die Vererbung an den erstgeborenen Sohn vorherrschend. Diese Erbfolge war jedoch im Gegensatz zum Hausgut nicht das Ziel des Fideikommisses, sondern hier das Mittel zum Zweck, denn in diesem Fall stand die Unveräußerlichkeit des Vermögens im Vordergrund, die so am besten durchsetzbar war. Aus diesem Grund entwickelte sich im deutschen Recht eine zeitlich unbeschränkte Form der Fideikommisse, welche im römischen Recht auf wenige Generationen festgelegt waren. Aufgelöst wurden diese nur durch die ausdrückliche Willenserklärung des Stifters, das endgültige Aussterben der Erbberechtigten oder die Zerstörung des Inhaltes967. Insgesamt kann der Versuch einer möglichst weitgehenden Annäherung der Fideikommisse an das Hausgut beobachtet werden, welche den Bestand von Namen und Vermögen miteinander verknüpfte, aus diesem Grunde den Mannesstamm in der Erbfolge bevorzugte, allerdings eine weibliche Erbfolge für den Fall, dass diese nach dem Mannesstamm nicht mehr möglich war, auch nicht ausschloss968. Selbst eine Beerbung mehrerer Personen, bei welcher das Vermögen eine im Ganzen geschlossene Erbmasse bleibt, wäre durch das Fideikommiss möglich gewesen, wurde jedoch kaum praktiziert. Beim Wunsch, beispielsweise mehrere Kinder zu beerben, erschien die Gründung mehrerer einzelner Fideikommisse als bessere Lösung969. Allerdings waren zusätzliche Bedingungen wie standesgemäße Heirat oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Konfession Möglichkeiten, Einfluss auf die Zukunft der Familie zu nehmen970 . Alternative Erbfolgen für den Fall des Aussterbens der Familie sowie die Aufspaltung des Vermögens in einen Hauptfideikommiss sowie Nebenfideikommisse, welche an Nebenlinien vererbt wurden und bei deren Aussterben an die Hauptlinie zurückfielen, sind Beispiele für die Komplexität dieses Rechtsinstituts971. Eine ausdrückliche Unveräußerlichkeitserklärung findet sich in den Fideikommissurkunden selten, da diese dem Wesen des Fideikommiss’ innewohnt972. Auch 964 Vgl. Rakenius, S. 23. 965 Vgl. Eckert, S. 23; vgl. Rakenius, S. 35; vgl. Mayer, S. 40. 966 Selbst wenn er beispielsweise das Erbe des Privatvermögens des selben Erblassers ausschlug, vgl. Rakenius, S. 35. 967 Vgl. Eckert, S. 108; vgl. Mayer, S. 43. 968 Vgl. Koch, J., S. 5f. 969 Vgl. Koch, J., S. 15. 970 Vgl. Eckert, S. 105. 971 Vgl. Eckert, S. 107. 972 Vgl. Rakenius, S. 38; Koch vertritt dagegen die (rechtlich nicht nachvollziehbare) Meinung, dass die Unveräußerlichkeit allein auf die Erbansprüche bezogen werden kann und daher eine Folge der ewigen Vererbung sei und nicht umgekehrt, vgl. Koch, J., S. 13f;
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war gemeinrechtlich der Fideikommissbesitzer dessen Eigentümer – im Gegensatz zum Hausgut, dessen Eigentümer die Familie/das Haus als Rechtsperson war – , welcher jedoch in seiner Nutzung insofern beschränkt wurde, als er den Nachfolgern gegenüber zu einer unversehrten Weitergabe der Güter verpflichtet war973. Hatte er bezüglich des Fideikommissgutes als Eigentümer Verträge geschlossen, war sein Nachfolger an diese nicht gebunden974. Die Untersuchung Beyerles zum Isenburgischen Fideikommiss975 veranschaulicht den Unterschied zwischen Hausgut und Fideikommiss: Um das Vermögen seiner Tochter Karoline Gräfin von Parkstein Prinzessin zu Isenburg und Büdingen vor den Zugriffen ihres chronisch verschuldeten Ehemannes Friedrich Wilhelm Prinz zu Isenburg und Büdingen zu schützen und ihr Auskommen sowie das ihrer Kinder sicherstellen zu können, wurde dieser durch Karl Theodor Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz Herzog von Jülich-Berg Kurfürst von Bayern begründet. Dieser leistete mit der Gründung also keinesfalls einen Beitrag, der dem Wohlstand seines Hauses diente – Töchter waren nicht erbberechtigt – sondern seine Fideikommissgründung hatte allein den Zweck einer finanziellen Absicherung der Tochter und deren Nachkommen. Trotz der Unterschiede wurden beide Arten der Vermögensbindung ähnlich verwendet und waren bestimmend für die Entwicklung des Adels, so dass durch seine breite Verwendung das Fideikommiss als über Jahrhunderte hinweg bedeutendstes Rechtsinstitut angesehen werden kann976. „Hinzu kommt, dass das Familienfideikommiss wie kein anderes Rechtsinstitut aufs engste mit den jeweils herrschenden ordnungs- und rechtspolitischen Vorstellungen verknüpft war. Es diente der Stabilisierung der wirtschaftlichen und damit zugleich der politischen Vorrangstellung der adligen Familien und war daher unmittelbar vom Wechsel der politischen Macht und von den jeweiligen Machtansprüchen abhängig.“977
Ihre Zwecke konnten Fideikommisse (und auch Hausgüter) nur erreichen, wenn der Inhalt dieser gebundenen Vermögensmassen in Hinblick auf einen möglichst langfristigen und sicheren Ertrag ausgewählt wurde. Deren Grundstock bildeten daher
973 974 975 976
977
dies ist jedoch nur für die Hausgüter zutreffend, da die Fideikommisse in ihrem Ursprung durchaus einer zeitlichen Begrenzung unterliegen konnten, und verdeutlicht, wie häufig die komplexe Struktur dieser Rechtsinstitute zu Verwirrung geführt hat. Vgl. Eckert, S. 96f; vgl. Rakenius, S. 7. Vgl. Rakenius, S. 31. Vgl. Beyerle. Dilcher macht die Relevanz dieser rechtlichen Möglichkeiten für den Adel als Gruppe deutlich: „Die Fürstenhäuser, zusammen mit dem ‚hohen Adel‘ der Standesherren, deren verfassungsrechtliche Sonderstellung mit dem Konnubium [...] und dem Recht autonomer Hausgesetze zum ausdrücklichen Zweck der Erhaltung des ‚splendor familiae‘ festgeschrieben war, bildeten einen nicht unerheblichen, mit Besitz und sozialem Prestige, damit auch Ausstrahlungskraft in die Gesellschaft hinein ausgestatteten, aus der bürgerlichen Gesellschaft rechtlich herausgehobenen Personenkreis.“, Dilcher, S. 85; vgl. auch Braun, S. 94. Eckert, S. 19.
178 | S AMMLUNGEN DES A DELS bevorzugt bewirtschaftete Ländereien978 . Zu Repräsentationszwecken, und auch aus dem Wunsch Einzelner heraus, einen persönlichen Beitrag zum Ansehen der Familie geleistet zu haben, wurden diese häufig ergänzt durch Bibliotheken und Kunstsammlungen. Kritik und Auflösung979 Die Fideikommisse standen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend in der Kritik. Ihre Auflösung war Teil der napoleonischen Besatzungspolitik und wichtiger Diskussionspunkt der Nationalversammlung 1848. Zu den Hauptkritikpunkten zählten die als ungerecht erachtete Güterbindung und der Widerspruch zu den Gleichheitsgrundsätzen, vor allem auch innerhalb der Familien, durch Bevorzugung der männlichen Nachkommen im Allgemeinen und des Erstgeborenen im Besonderen980. Zu einer umfassenden und dauerhaften Auflösung kam es jedoch damals noch nicht. Stattdessen erfuhren die Fideikommisse im Verlauf des 19. Jahrhunderts eine weitere Verbreitung, so dass zunehmend mehr Land gebunden und dem wirtschaftlichen Verkehr entzogen wurde981 . Anfang des 20. Jahrhunderts zielte daher die Beschäftigung mit den Fideikommissen nicht nur auf deren Abschaffung ab, sondern ebenfalls auf Reformen982. Man war sich der enormen Bedeutung der rechtlichen Vermögensbindung für den Bestand des Adels bewusst983, so dass Maßnahmen gegen diese eine konsequente Folge der Entmachtungen von 1918 sein mussten. Artikel 155 der Weimarer Reichsverfassung bestimmte die Auflösung der Fideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen und legte die Durchführung in die Hände der Länder984 . Diesbezügliche Gesetze folgten, waren jedoch uneinheitlich. Ihre Umsetzung war langwierig, ob-
978 Vgl. Eckert, S. 93; vgl. Rakenius, S. 25. 979 Bezüglich der Auflösungsversuche der Fideikommisse vgl. Eckert; bezüglich der Kritik an den Hausgesetzen, welche jedoch nicht in vergleichbarer Form in ihrem grundsätzlichen Bestand bestritten wurden, vgl. Mizia. 980 Vgl. Eckert, S. 425ff. 981 Eckert gibt an, dass zwischen 1900 und 1913 1/10 aller Waldflächen im Deutschen Reich fideikommissarisch gebunden waren und diese Bindung ab Mitte des 19. Jahrhunderts weiter zunahm, vgl. Eckert, S. 111 und S. 114; nur etwa 2% der 1919 bestehenden Fideikommisse waren nicht in der Hand des Adels, so dass die Abschaffung gezielt gegen den gebundenen Landbesitz des Adels vorging, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 41. 982 Vgl. Eckert, S. 534. 983 Vgl. Eckert, S. 544. 984 Art. 155, Weimarer Reichsverfassung; vgl. auch Eckert, S. 699ff; Eckert geht zudem ausführlich auf die Auflösungsgesetzgebungen in der Weimarer Republik ein, welche nicht völlig erfolglos waren und bereits zu starken Veränderungen führten. Allerdings ist für die vorliegende Arbeit die genauere Betrachtung des Gesetzes von 1938 als Endpunkt dieser Entwicklung ausreichend.
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wohl sie neben den vorrangig kritischen Stimmen985 selbst innerhalb der Adelsfamilien im Verlauf der 1920er Jahre immer mehr Anhänger fanden986. In Preußen gab es im Zusammenhang mit der Auflösung Maßnahmen, um aus Wirtschaftlichkeitsgründen Waldbesitz in so genannten „Schutzforsten und Waldgütern“ zusammen zu fassen, die besondere Auflagen zu erfüllen hatten. Ebenso konnten Gebäude und Gegenstände von künstlerischem oder wissenschaftlichem Wert in Stiftungen weiterhin gebunden werden987. Die preußische Auflösungspolitik galt als vorbildlich988, doch auch dieser war es bis in die 1930er Jahre durch den Versuch des Adels, die Fidekommisse längstmöglich zu erhalten, nicht gelungen, sie vollständig zu beseitigen989. Erst durch die Gesetzgebung der Nationalsozialisten kam es zum endgültigen Ende der jahrhundertealten Vermögensschutzmaßnahmen des Adels990. 1935 wurde zunächst die Auflösung der gebundenen Vermögen vereinheitlichend den Oberlandesgerichten übertragen991 und war damit nicht mehr den Ländern, sondern dem Reichsjustizminister unterstellt. Des Weiteren bestimmte eine Verordnung, dass selbst für bereits frei gewordenes Vermögen eine Auskunftspflicht der Besitzer gegenüber dem zuständigen Gericht bestand, so dass sämtliche ehemals gebundenen 985 „Die Einstellung des Grundadels zur Aufhebung der Fideikommisse war einstimmig ablehnend. [...] Vor allem die ehemaligen Standesherren fühlten sich durch die Auflösung de[r] Fideikommisse um ihr ‚altes Recht‘ betrogen.“, von Hoyningen-Huene, S. 139. 986 Dies kann als verstärktes Streben einzelner Vertreter des Adels gewertet werden, durch die Auflösung des gebundenen Vermögens finanzielle Probleme (besonders im Kleinadel immer akuter), zu lösen, vgl. Eckert, S. 697; dies spiegelt auch die Vorstellung einer nun nötigen individuellen Leistung wider, die bezüglich der Schulbildung erwähnt wurde. 987 Vgl. Eckert, S. 709; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 47f. 988 Vgl. Verordnung über Familiengüter, 10. März 1919, Preußische Gesetzsammlung, Jahrgang 1919, Nr. 15, S. 39-44, http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet /finde/langDatensatz.php?urlID=1018&url_tabelle=tab_quelle, folgend: Verordnung Familiengüter 1919; vgl. Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen, 23. Juni 1920, Preußische Gesetzsammlung, Jahrgang 1920, Nr. 32, S. 367-382, online abrufbar: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/ que/normal/que4592.pdf, folgend: Gesetz Aufhebung Standesvorrechte 1920. 989 Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 141; vgl. Wienfort 2006, S. 72; zu den Auflösungsgesetzen der 20er Jahre vgl. Koehler/Heinemann ein, vgl. Koehler/Heinemann, S. 98ff. 990 „Damit konnte der deutsche Adel, insbesondere die Fideikommißbesitzer, die endgültige Fideikommißauflösung nur über die Jahre der Weimarer Republik hinauszögern. Sie besaßen nicht politische Kraft genug, die Durchführung der Anordnung der WRV vollständig zu verhindern.“, von Hoyningen-Huene, S. 143. 991 § 1, Gesetz zur Vereinheitlichung der Fideikommissauflösung, 26. Juni 1935, RGBl. Teil 1 1935, S. 785, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid= dra&datum=19350004&zoom=2&seite=00000785&ues=0&x=12&y=14, folgend: Gesetz Fideikommissauflösung 1935; ergänzt wurde das Gesetz Fideikommissauflösung 1935 durch die Verordnung über vorläufige Maßnahmen auf dem Gebiet der Fideikommissauflösung, 28. Juni 1938, RGBl., Teil 1 1938, S. 608, online abrufbar: http://alex. onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19380004&zoom=2&seite=00 000698&x=13&y=6, folgend: Verordnung Fideikommissauflösung 1938, welche diesbezügliche Ländergesetze und Verfahren der Länder außer Kraft setzte.
180 | S AMMLUNGEN DES A DELS Vermögensbestandteile durch die Gerichte überprüft werden konnten992 . Schließlich legte das Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 6. Juli 1938993 fest, dass alle noch gebundenen Vermögen – also auch die Hausgüter – zum 1. Januar 1939 in der Hand des letzten Besitzers frei wurden994. Sämtliche Anwartschaftsrechte entfielen995. Allerdings blieben Ansprüche auf Renten- und Versorgungszahlungen bestehen996, was zu enormen finanziellen Belastungen der adligen Familien führen konnte. Verschärft wurde diese Problematik dadurch, dass nun nicht mehr nur die Früchte, sondern ebenso die Inhalte des Vermögens für Verbindlichkeiten haftbar gemacht werden konnten997. Die Auflösung betraf zudem auch bereits aufgelöste oder in andere Bindungen – wie Familienstiftungen – überführte Vermögen998. Noch heute gibt es, in Form von privatrechtlichen Vereinbarungen, Hausgesetzen und Stiftungen, Versuche adliger Familien, Elemente der ehemaligen Vermögensbindungen aufrechtzuerhalten999. Da man sich der kulturellen Werte im Besitz des Adels bewusst war, enthielt das Gesetz zur Fideikommissauflösung von 1938, wie bereits die preußische Fideikommiss-Auflösungsgesetzgebung, Schutzmaßnahmen zu deren Erhalt: „Gehören zu dem Fideikommissvermögen Gegenstände oder Sachgesamtheiten von besonderem künstlerischen, wissenschaftlichen, geschichtlichen oder heimatlichen Werte (z.B. Bauwerke, Gemäldegalerien, Archive, Büchereien) oder gemeinnützige Einrichtungen, so hat das Fideikommissgericht von Amts wegen Vorsorge für ihre ordnungsgemäße Erhaltung zu treffen, soweit die Gegenstände infolge des Erlöschens des Fideikommisses gefährdet erscheinen und ihre Erhaltung im öffentlichen Interesse liegt.“1000
Zu diesen Vorsorgemaßnahmen gehörten Anordnungen, welche die betreffenden Objekte an einen bestimmten Ort banden und einen Standortwechsel sowie sämtliche Rechtsgeschäfte von der Genehmigung durch eine Fachbehörde abhängig mach-
992
993
994 995 996 997 998 999 1000
§ 13, Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Fideikommissauflösung, 24. August 1935, RGBl. Teil 1 1935, S. 1103, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19350004&zoom =2&seite=00001103&x=6&y=14, folgend: Verordnung Fideikommissauflösung 1935. Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen, 6. Juli 1938, RGBl, Teil 1 1938, S. 825, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/ cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19380004&zoom=2&seite=00000825 &ues=0&x=11&y=9, folgend: Gesetz Fideikommissauflösung 1938; ergänzt durch die Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen, 20. März 1939, RGBl. Teil 1 1939, S. 509-528, folgend: Verordnung Fideikommissauflösung 1939. §§ 1, 2, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. § 3, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. § 4, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. § 12, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. §§ 7, 13, 14, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. Vgl. Wienfort 2006, S. 73. § 6, Absatz 1, Gesetz Fideikommissauflösung 1938.
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ten1001 . Ebenso konnte verfügt werden, dass die Objekte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden mussten. Obwohl eine grundsätzliche Umwandlung der Vermögensbindung in eine Stiftung nicht möglich war, konnten die durch das Gesetz Fideikommissauflösung 1938 geschützten Objekte in eine solche eingebunden werden1002 . Um eine umfassende Prüfung möglicher Schutzmaßnahmen durchführen zu können, führte man eine Sperrfrist ein, während derer die Auflösung als noch nicht beendet angesehen wurde1003 . Eine Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen vom 20. März 19391004 ergänzte die Schutzmaßnahmen dahingehend, dass sie nur nach vorheriger Anhörung einer fachlich zuständigen Behörde, wie beispielsweise eines staatlichen Archivs, der staatlichen Bibliothek, eines Provinzialkonservators oder Denkmalpflegers, durchgeführt werden konnten. Gleichzeitig sollte diese Behörde Aufsichts- und Genehmigungsbehörde sein, und es wurde bestimmt, dass die Schutzmaßnahmen auch bei einem Verkauf auf den neuen Besitzer übergingen1005 . Die hochadligen Familien hatten keine Möglichkeit, ihr Verständnis des Hauses als (rechtliche) Einheit weiterhin auf das Vermögen zu übertragen, da die Auflösung als nicht abgeschlossen galt, wenn das Hausgut dem Haus als juristische Person übertragen wurde1006 . Nachdem die ehemals regierenden Fürstenhäuser bereits durch ihre Entmachtung Teile ihres Vermögens verloren hatten, wurde es nun für alle adligen Familien, also auch die Standesherren, enorm schwierig, ihre Besitztümer vor Zersplitterung zu bewahren. Die Hausgesetze bestehen zwar noch immer, haben jedoch den Status privatrechtlicher Verträge1007 und können keinen Einfluss mehr auf die Erbfolge nehmen. Möchte eine Familie den Familienbesitz in althergebrachter Form erhalten, müssen alle Erbberechtigten zugunsten des ältesten Sohnes Erbverzicht leisten. Dies ist heute kaum noch durchsetzbar, unter anderem auch, da die in diesem Fall nötigen Abfindungen wiederum dazu führen, dass Teile der Besitzmasse veräußert werden müssen. Es bleiben daher heute nur noch diejenigen Teile erbrechtlich im Verbund zusammen, welche bereits durch die Schutzmaßnahmen des Gesetzes von 1938 gebunden wurden. Diese unterliegen allerdings einschneidenden Auflagen. Für den Kulturgüter- und Denkmalschutz waren die Sicherungsmaßnahmen im Zuge der Fideikommissauflösung ein bedeutender Schritt, da es – wie der Überblick über die historische Entwicklung in Kapitel 2.1.5 gezeigt hat – zu diesem Zeitpunkt kaum gesetzliche Vorgaben auf dem Gebiet des Bestandsschutzes gab. Noch heute können derartige Bestimmungen in Kraft sein, wenn durch die Fideikommissgerichte
1001 1002 1003
1004 1005 1006 1007
§ 6, Absatz 2, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. § 7, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. Aufgrund dieser Sperrfristen war die Auflösung der gebundenen Vermögen bis Kriegsende noch immer nicht abgeschlossen, wurde jedoch durch die Besatzungsmächte und schließlich die BRD weitergeführt, vgl. Eckert, S. 755ff. Verordnung Fideikommissauflösung 1939. § 7, Verordnung Fideikommissauflösung 1939. § 86, Verordnung Fideikommissauflösung 1939. Vgl. Rosenholm, S. 47.
182 | S AMMLUNGEN DES A DELS bisher keine Auflösung entschieden wurde1008. Kleeberg/Eberl weisen im Zusammenhang mit Aufhebungsanträgen auf die grundsätzliche Veränderung der Verhältnisse1009 sowie den Gleichheitsgrundsatz hin: „Im Hinblick auf Art. 3 GG wäre es nicht gerechtfertigt, Personen oder Eigentum je nach Stand oder Herkunft unterschiedlich zu behandeln. Das Eigentum der Familien des Adels ist heute Privateigentum wie jedes andere auch. Standesvorteile oder Standespflichten sind damit nicht verbunden.“1010 Eine Klage gegen diese Bindung im Fall der Hofbibliothek des Hauses Thurn und Taxis wurde im Jahr 2004 jedoch abgelehnt und diese bleibt weiterhin aufgrund des Fideikommissauflösungsgesetzes von 1938 gesichert1011. In seinem Beschluss erläutert das Bayerische Oberste Landesgericht dies wie folgt: „Das betroffene Kulturgut ist in gleicher Weise wie im Jahr 1943 schützenswert und schutzbedürftig. Es handelt sich um Sachgesamtheiten und einzigartige Ensembles von herausragendem kulturellem Wert; durch eine Zersplitterung träte ein unwiederbringlicher Kulturgutverlust ein.“1012
1008
1009
1010 1011
1012
Zur Weiterentwicklung des Fideikommissauflösungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland, vgl. Eckert, S. 764ff; die Auflösungsgesetzgebung der 30er Jahre behielt laut der Artikel 123, 125, Absatz 1, GG, ihre Gültigkeit, ebenso diesbezügliche Besatzungsregelungen. Allerdings ist die weitere gesetzliche Behandlung der Fideikommissauflösung kompliziert. 2007 wurde der Abschluss der Auflösungsgesetzgebung festgelegt und erst zu diesem Zeitpunkt wurden die Gesetze und Verordnungen von 1938 und 1939 sowie weitere folgende aufgehoben. Die Schutzmaßnahmen können jedoch weiterhin gültig sein: „Die Rechtsvorschriften im Sinn des § 1 bleiben bis zum Erlass landesrechtlicher Regelungen auch für die Zukunft auf Tatbestände und Rechtsverhältnisse anwendbar, die während der Geltung der Rechtsvorschriften erfüllt waren oder entstanden sind.“, Gesetz zur Aufhebung von Fideikommiss-Auflösungsrecht, 23. November 2007, § 1 Absatz 1, online abrufbar: http://www.gesetze-im-internet.de/ fideiauflaufhg/BJNR262200007.html, folgend: FideiAuflAufhG. „Bei Änderung der Verältnisse kann das Fideikommissgericht auf Antrag eines Beteiligten die auf Grund der vorstehenden Absätze getroffenen Maßnahmen ändern oder aufheben.“, § 6, Absatz 8, Gesetz Fideikommissauflösung 1938. Kleeberg/Eberl, S. 225. Durch Beschluss des OLG Nürnberg von 1943 obliegt die Aufsicht über die Hofbibliothek in Regensburg der Bayerischen Staatsbibliothek in München, die Aufsicht über die Hofbibliothek in Kloster Neresheim sowie über Archivgut in Schloss Obermarchtal der Württembergischen Archivdirektion in Stuttgart, und das Staatsarchiv Amberg hat die Aufsicht über weiteres Archivgut in Regensburg und der Oberpfalz. Bei Veränderungen an den Objekten, Standortwechseln oder Rechtsgeschäften im Zusammenhang mit diesen ist der Eigentümer verpflichtet, bei den Aufsichtsbehörden eine Genehmigung einzuholen. Die Unterhaltungskosten belaufen sich auf jährlich ca. 330.000€, die Betreuung wurde jedoch zum 01.02.2004 der Universität Regensburg übertragen, die dafür monatlich 1.000€ erhält, Beschluss des Bayerischen Oberlandesgerichtes, 27. Oktober 2004 (BayObLGZ 2004, 298-305), folgend: Beschluss BayObLG 2004. Beschluss BayObLG 2004.
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Interessant ist die Feststellung, dass die Schutzmaßnahmen auch deshalb weiter von Bedeutung seien, da das Denkmalschutzgesetz für Bayern die entsprechenden Objekte des ehemaligen Thurn und Taxis’schen Fideikommiss nicht erfasst1013. Daraus kann geschlossen werden, dass bis heute keine umfassende Regelung den Schutz für Kulturgut aus Adelsbesitz übernommen hat, so dass noch immer auf die Regelungen des Fideikommissauflösungsgesetzes von 1938 zurückgegriffen werden muss, um diesen zu gewährleisten. Die starken Eigentümereinschränkungen werden auch hier mit dem Gemeinwohl begründet, ebenso damit, dass ein Verkauf der Güter nicht ausgeschlossen werden kann1014 . Vor allem aber wird darauf hingewiesen, dass „[...] auch nicht außer Betracht bleiben [kann], dass Bibliothek und Zentralarchiv anders als bürgerliches Eigentum nicht unter marktkonformen Bedingungen, sondern unter dem Privileg einer herrschaftlichen Position geschaffen oder erworben wurden.“1015 Außerdem folgt der Hinweis: „Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG ist nicht verletzt. Es ist zwar richtig, dass eine Ungleichbehandlung der Eigentümer von Kulturgütern aus aufgelösten Fideikommissen und von Kulturguteigentümern anderer Herkunft besteht. Es wird aber nicht Gleiches ungleich, sondern Ungleiches entsprechend seiner Eigenart behandelt.“1016
Aus Sicht des Kulturgüterschutzes sind diese durch die Fideikommissauflösung entstandenen Sicherheitsmaßnahmen unübertroffen, da sie gleichermaßen Vorschriften zum Bestandsschutz (1. Ebene), zur öffentlichen Zugänglichkeit (2. Ebene), zum Abwanderungsschutz (3. Ebene) sowie zum Kontexterhalt (4. Ebene) enthalten können und damit alle vier Ebenen zum Erhalt des kulturellen Erbes abdecken. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Eigentümer in ihren Rechten stark beschnitten werden und ihnen zudem größere finanzielle Bürden auferlegt wurden/werden als dies vor Auflösung der Fideikommisse der Fall war. Ehemals hatten die Erträge aus dem Fideikommiss den Bestand des Fideikommissinhaltes sichergestellt. Übrig bleibt durch die Schutzmaßnahmen jedoch nur noch die Bindung ohne Ertragsmöglichkeiten. Da die Voraussetzung für die Unterschutzstellung eine durch den Wegfall der Fideikommissbindung entstandene Gefahr der Zerstreuung kultureller Werte war1017 , diese Sicherungsmaßnahmen aber auch finanzielle Verpflichtungen beinhalteten, kamen gerade auf diejenigen Familien, welche in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, weitere enorme Kosten zu. Es zeigt sich, dass im Zusammenhang mit der Auflösung gebundener Vermögen eine neue Problematik entstand: vorrangig um die enorme Landbindung in den Händen des Adels zu durchbrechen, nahm man zunächst in Kauf, dass dessen Sammlungen ebenfalls frei wurden. Da man sich der Bedeutung dieser Kulturwerte – vor allem in ihrer Geschlossenheit – ebenso wie der Bedeutung von sozialen Einrichtungen des Adels jedoch bewusst war, wurde durch die Schutzmaßnahmen eine bisher tradi-
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III 2.2.3. a), Beschluss BayObLG 2004. III 2.2.3. aa), Beschluss BayObLG 2004. III 2.2.3. aa) (4), Beschluss BayObLG 2004. III 2.2.3. aa) (5), Beschluss BayObLG 2004. § 6, Absatz 1, Gesetz Fideikommissauflösung 1938.
184 | S AMMLUNGEN DES A DELS tionelle und familiäre Aufgabe zu einer gesetzlichen Verpflichtung. Koehler/ Heinemann verdeutlichen die damalige Haltung: „Zu den gebundenen Vermögen, insbesondere denen des Hochadels, gehören vielfach Gegenstände, die einen hervorragenden geschichtlichen, heimatlichen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Wert haben (Schlösser, Museen, Gemäldegalerien, Archive, Bibliotheken, Sammlungen usw.) [...] Die Bindung des Vermögens bewahrte bisher die wertvollen Gegenstände vor einem Verkauf und stellte ihre [...] Unterhaltung regelmäßig sicher. Diese Sicherung fällt mit dem Wegfall der Bindung fort. Andererseits erfordert es das Interesse der Allgemeinheit, sowohl die Gegenstände in ihrer Geschlossenheit zu unterhalten, sie vor einem Verkauf in das Ausland zu bewahren und der Öffentlichkeit in angemessenem Rahmen zugänglich zu machen [...].“1018
Das öffentliche Interesse wurde – im Gegensatz zu heute – gegenüber den Eigentümerinteressen als wesentlich bedeutender eingestuft, so dass den zuständigen Behörden die Möglichkeit eingeräumt wurde, die tatsächlich öffentlichen Aufgaben völlig auf die Eigentümer zu übertragen. Was aus Sicht des Kulturgüter- und Denkmalschutzes als optimale Lösung erscheint, ist zugleich mitverantwortlich für eine mögliche Lösung emotionaler Bindungen adliger Familien zu Teilen ihres Besitzes, da diese nicht mehr als Familienerbe betrachtet wurden, sondern zu einer aufgezwungenen Belastung werden konnten1019 . Bisher liegen keine Studien über die Häufigkeit des Gebrauchs der Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Gesetzgebung zur Fideikommissauflösung vor. Ebenso wenig über die Anzahl der noch heute aufgrund dieser Regelung geschützten Kulturgüter. Laut Martin räumten „[d]ie Fideikommissgerichte dem Land [in einer Vielzahl von Fällen] das Recht ein, vom jeweiligen Eigentümer die Pflege und Erhaltung schützenswerter Gegenstände zu verlangen.“1020 Er weist darauf hin, dass die zuständigen Fideikommisssenate der Oberlandesgerichte die Sicherungsmaßnahmen soweit modifizieren können, dass eine Eigentümerbelastung im Sinne der heutigen Kulturgüterschutzmaßnahmen eingeschränkt wird1021 . Im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass der Erhalt des kulturellen Erbes, gerade weil er im Interesse der Allgemeinheit liegt, durch den Staat gefördert und unterstützt werden muss1022 . Sehr selten wird jedoch diese Haltung mit der Erkenntnis verbunden, welche Leistung vor allem der Hochadel diesbezüglich bereits erbracht hat, und dass die Hintergründe dieser Erhaltungs-
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Koehler/Heinemann, S. 81-82. Dieser Unterschied wird im Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts zur Hofbibliothek der Familie Thurn und Taxis durch den Hinweis verneint, es ergäbe sich keine Neuerung, da für das öffentliche Interesse fortgeführt werde, was vorher durch Familieninteressen entschieden worden war, III 2.2.3. aa) (5), Beschluss BayObLG 2004; der Unterschied zwischen öffentlicher und familiärer Aufgabe ist jedoch enorm. Martin, Reiner: Sicherungsmaßnahmen nach dem Recht zur Auflösung der Familienfideikommisse, in: Waldner, Wolfram/Künzel, Reinhard (Hrsg.): Erlanger Festschrift für Karl Heinz Schwab, Erlangen 1990, S. 61. Vgl. Martin, S. 73. Vgl. Eckert, S. 767.
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leistung – nämlich strenge Erbgesetze sowie eine traditionelle Erinnerungskultur – im Sinne heutiger Kulturgutschutzbestrebungen genutzt werden könnten. Wie erwähnt, wurde kulturelles Engagement von einigen Familien Teil eines Unternehmenskonzeptes, und die Einrichtung von Familienstiftungen macht es möglich, öffentliches Interesse und Eigentümerinteresse zu verbinden. Die Familienstiftung ist im Vergleich heutiger Möglichkeiten der Vermögensbindung dem Fideikommiss am ähnlichsten, da in ihr Besitz über Generationen festgelegt werden kann. Allerdings gibt es – wie bereits bei den Hausgütern – die grundsätzliche Option, den Besitz als Gesamtheit oder Teile aus diesem zu verkaufen1023. Noch immer wird die Erhaltung des Familienruhms und der Familientradition als Begründung für langfristige Nachlassbindung angesehen, allerdings nun unabhängig vom Adel1024 . Auch die Stärkung eines Familienzusammenhalts wird als dem Gemeinwohl dienend geschätzt1025 .
2.4
E RBE
UND
V ERPFLICHTUNG – E RGEBNIS „Dinge können Bedeutungen tragen, welche die Welt, in der wir leben, verändern können. Aber die Dinge für sich allein können uns nicht helfen; ihre symbolische Energie wird lediglich durch die Art und Weise unserer Bezugnahme auf sie freigesetzt.“1026 M. CSIKSZENTMIHALYI/E. ROCHBERG-HALTON
Infolge einer Ende des 18. Jahrhunderts beginnenden Entwicklung ist die Vorstellung eines kulturellen Erbes vergangener und gegenwärtiger Zeit, das zur Weitergabe an zukünftige Generationen erhalten werden soll, heute anerkannt und verbreitet. Dieses nicht näher bestimmte kulturelle Erbe enthält sowohl immaterielle als auch materielle Güter, welchen eine entscheidende Bedeutung für menschliche Verständigung sowie der Herausbildung von Gruppenidentitäten zugeschrieben wird. Somit liegt seine Erhaltung im Interesse der Allgemeinheit für heutige als auch für kommende Zeiten. Neben der Erhaltung des kulturellen Erbes, die als treuhänderisch zu Gunsten nachkommender Generationen verstanden wird, entstehen aus dessen Bedeutung für die jeweils lebende Generation weitere Handlungsanweisungen. Eine öffentliche Zugänglichkeit für die Bestandteile des Kulturerbes betont die Idee eines Allgemeinerbes und ermöglicht jedem Einzelnen, sein Erbe betrachten und ideell nutzen zu können. Die Vorstellung eines tieferen Verständnisses oder einer größeren Bedeutung von Teilen des kulturellen Erbes für bestimmte Gruppen der Weltbevölkerung führt zur Forderung nach Maßnahmen des Abwanderungsschutzes, um ebendiese Bindung zu verdeutlichen und nutzen zu können. Schließlich wird eine Bedeutungssteigerung von Objekten durch deren Bindung an einen Ort oder an weitere Objekte vorausge-
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Vgl. Eckert, S. 782. Vgl. Mayer, S. 22f. Vgl. Mayer, S. 228. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 255.
186 | S AMMLUNGEN DES A DELS setzt, durch welche sie für die heutige Generation sowie für zukünftige Generationen besser nutzbar werden. Eine möglichst unveränderte Bewahrung der Bestandteile des Kulturerbes schließt damit teils eine unveränderte Bewahrung des Kontextes mit ein. Während die Idee des kulturellen Erbes grundsätzlich in der Fachwelt unbestritten ist, bleibt weitgehend unklar, welche Objekte diese am besten erfahrbar machen und daher erhalten werden sollen. Auswirkungen eines differenzierteren Verständnisses der „Nutzbarkeit“ des kulturellen Erbes werden zudem kontrovers betrachtet. Da eine unveränderbare Definition und aus dieser abzuleitende Aufgaben – bereits aufgrund der unübersichtlichen Vielfalt der zum Kulturerbe zählbaren Güter – nicht möglich ist, wird ein flexibles Verständnis des Begriffs heute weitgehend akzeptiert. Es wird damit zur Aufgabe einer jeden Generation, ihre eigene Vorstellung des kulturellen Erbes zu entwickeln und sich den damit verbundenen Aufgaben anzunehmen. Rechtliche Vorschriften sind ein wesentliches Instrument, um entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Jede einzelne dieser Vorschriften enthält eine eigene Definition des zu schützenden Teils des Kulturerbes und ist damit nicht nur Ausdruck eines momentanen Verständnisses dieser Idee, sondern gleichzeitig Vorbild und prägend für das Allgemeinverständnis. Es ist daher von grundlegender Bedeutung, dass diese Rechtsvorschriften in Zusammenarbeit von Rechtswissenschaft und relevanten Fachdisziplinen wie beispielsweise Geschichte, Kunst(wissenschaft), Technik und Architektur entstehen sowie von diesen kritisch hinterfragt werden. Die Auswirkungen der durch die rechtlichen Vorgaben vermittelten Definitionen des Kulturerbes können enorm sein, was am Beispiel weltweiter Abkommen – wie der Haager Konvention1027 und der UNESCO Konvention von 19701028 – deutlich wurde. Diese weltweit wirksamen Rechtsvorschriften erzielen durch die große Anzahl der Unterzeichnerstaaten eine enorme Breitenwirkung. Als Staatengemeinschaft gelingt es der Europäischen Gemeinschaft, für diese einheitliche Rechtsvorschriften zu schaffen, welche durch die vielfältigen Abkommen des Europarates ergänzt werden. Auf nationaler Ebene werden diese internationalen Vorschriften im deutschen Recht umgesetzt. Mit Ausnahme des Kulturgüterschutzgesetzes1029 gibt der Bund jedoch alle weiteren Belange auf diesem Gebiet an die Länder ab. Jedes der Länder hat ein eigenes Denkmalschutzgesetz erlassen, wodurch diese trotz großer Ähnlichkeiten in entscheidenden Punkten nicht völlig vereinheitlicht sind. Während die internationalen Rechtsvorschriften zum Kulturgüter- und Denkmalschutz aufgrund ihrer enormen geographischen Ausdehnung grundsätzlich dazu geeignet sind, eine große Menge an Kulturgütern zu erfassen, wird diese Schutzmenge durch die Kulturgutdefinitionen dieser Vorschriften wieder eingeschränkt. Die weltweiten Abkommen schützen nur verhältnismäßig wenige und nur „herausragende“ Objekte, die Gesetzgebungen der Bundesländer dagegen eine sehr viel größere Auswahl. Das Ausmaß des Schutzes ist ausgedehnter je kleiner der Einflussbereich des Gesetzes ist. Die meisten der internationalen Vorschriften setzen sich vor allem mit dem Abwanderungsschutz auseinander, die Denkmalschutzgesetze der Länder bilden jedoch die Basis des Bestandsschutzes. Dass diesem grundlegenden Schutz des phy-
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Haager Konvention. UNESCO Konvention 1970. KultgSchG und KultgSchG2016.
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sischen Erhalts von Kulturgut gegenüber dem Abwanderungsschutz eine scheinbar geringere Rolle im Kulturgüterschutz zukommt, bleibt unverständlich: „Denn die Zerstörung von Kulturgütern als die irreversible Vernichtung unersetzlicher, einmaliger Werte ist gegenüber der Verschleppung, die die Objekte nur einer Ortsveränderung unterwirft, die intensivere Form der Beeinträchtigung, und sie zu vermeiden muss daher das naheliegendste Ziel des Schutzes sein.“1030
Diese einleuchtende Feststellung ist jedoch in der öffentlichen Wahrnehmung kaum verankert. Selbst wenn dieses Thema in einer öffentlichen Diskussion aufgegriffen wird, bleibt der Abwanderungsschutz im Vordergund: Als 1977 das Magazin Die Zeit feststellte, dass der Eigentümer „juristisch [...] damit in der Tat tun und lassen [kann], was er will, und wenn einer beabsichtigt, eine ihm gehörende Riemenschneider-Madonna zu Brennholz zu machen, kann ihn der Gesetzgeber nicht daran hindern“1031 , kam der Artikel, ohne diesen Aspekt weiter zu verfolgen, in direktem Anschluss auf die Ausfuhr von Kulturgut und deren Beschränkung zu sprechen. Dieser allgemeinen Tendenz einer Überbewertung der geographischen Bindung positiv gegenüberzustellen sind einzelne Konventionen des Europarates, welche sich bemühen, auf internationaler Ebene ein grundlegendes Verständnis für das kulturelle Erbe sowie entsprechende Schutzmaßnahmen zur Erhaltung desselben zu vermitteln. Im Vergleich der historischen Entwicklung mit heutigen Schutzvorschriften ist festzustellen, dass diese sich in Menge und Details enorm ausgedehnt, im Kern jedoch wenige Neuerungen erreicht haben. Des Weiteren ist die praktische Anwendung der Rechtsvorschriften durch sich widersprechende Interessen (einzelner Nationen sowie von Fachgruppen wie Museen, Kunsthandel und Tourismus), mangelnde Finanzmittel, Kompetenzüberschneidungen und teils fehlende Ausstattung der Behörden mit Fachpersonal schwierig. Die Beschäftigung mit diesen Problemen scheint häufig die intensivere Auseinandersetzung mit der Frage nach den schutzwürdigen Elementen des kulturellen Erbes und deren Bedeutung für die heutige Generation in den Hintergrund zu rücken. Ebendiese Fragen wären jedoch wichtig, um die Idee des Kulturerbes als Erbe der Menschheit mit einer Nutzung für jeden Einzelnen zu verknüpfen, da die Rechtsvorschriften zu Regeln ohne Auswirkungen werden, wenn aufgrund mangelnden Interesses kaum noch Objekte als kulturelles Erbe anerkannt werden. Die geringe Verknüpfung der Idee des kulturellen Erbes mit dem Leben eines jeden Einzelnen führt dazu, dass selbst die Eigentümer von Kulturgütern häufig kaum Verständnis für diesbezügliche Rechtsvorschriften haben und diese allein als Einschränkung ihrer Eigentümerrechte begreifen. Tatsächlich ist eine solche unvermeidbar und wird durch die Formulierung eines öffentlichen Interesses am Erhalt der betroffenen Objekte begründet. Dieses öffentliche Interesse bleibt jedoch ein schwer verständlicher Hintergrund1032 , welcher auch durch die Verknüpfung mit dem Begriff 1030 1031
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Engstler, S. 109. Die Zeit, 6. Mai 1977: Kleßmann, Eckart: Wo blieb das Evangeliar Heinrichs des Löwen: Schon längst zu Geld gemacht? Eine der kostbarsten Handschriften der Welt anscheinend spurlos verschwunden. „Das öffentliche Interesse ist nicht nur in der Denkmalpflege, sondern im Grundsystem des Rechtsstaates ein überaus problematischer Begriff. Als Prinzip zeigt es den
188 | S AMMLUNGEN DES A DELS der kulturellen Identität nichts von seinem scheinbaren Gegensatz zu Eigentümerinteressen einbüßt. Es scheint, als sei das Interesse der Allgemeinheit nicht mehr die spürbare und nachvollziehbare Summe aus den Interessen der Einzelnen, sondern eine Möglichkeit der Einflussnahme von Politik, Kunsthandel und Tourismusbranche. Während Kunsthandel und – in Bezug auf Kultureinrichtungen eingeschränkt – die Tourismusbranche wirtschaftliche Interessen verfolgen und daher eine Unterstützung beim Erhalt des Kulturerbes von diesen Branchen nur dann erwartet werden kann, wenn sich dies mehr oder weniger zufällig mit ihren Zielen deckt, scheint die Politik aus Gründen knapper Kassen und dem Wunsch nach positiver Öffentlichkeitswirkung die von Mörsch als „Mentalität von Schmetterlingssammlern“1033 bezeichnete Haltung anzunehmen: die vereinzelte „Rettung“ von Spitzenobjekten entspricht jedoch nicht der Idee des kulturellen Erbes. Die Wissenschaft ist damit gefordert, ein aktuelles Verständnis des Kulturerbes zu entwickeln und der Öffentlichkeit zu vermitteln, so dass ein öffentliches Interesse von dieser auch verstanden und akzeptiert werden kann. Nötig ist der Gegensatz eines instrumentalisierten Kulturverständnisses, das auch Lowenthal beschreibt: „The rich and the wellborn, far more than the common herd, make wills, devise bequests, hand down property, and empower descendants. Social and economic elites co-opt elites of high taste: coteries of experts set national heritage priorities, choose what buildings to protect, and decide what galleries should buy, ignoring as far as possible the preferences of the public who pay for it all.“1034
Während ebendiese elitäre Kulturpolitik auf Kosten der Bevölkerung Hauptkritikpunkt am Besitz des Adels war, erreichte der Hochadel dennoch nur aufgrund eines eigenen, stark verinnerlichten, Verständnisses vom familiären Erbe, dessen Erhalt mit den eigenen Interessen wie Machterhalt und Ansehen zu verbinden. Dies gelang durch die mit Hausgütern und Fideikommissen erreichte Vermögensbindung, welche jeden Einzelnen den Belangen der Familie unterordnete. Die Vermögensbindung war wesentlich daran beteiligt, dass auch nach 1918 der Hochadel seine gesellschaftliche Stellung halten konnte. Durch die Abschaffung der Hausgüter und Fideikommisse wurde auch die materielle Grundlage des Zusammenhalts kultureller Werte aufgelöst. Der damals bereits erkannten Bedeutung dieser Güter trug man Rechnung, indem in Einzelfällen durch Schutzmaßnahmen die volle Verantwortung zu dessen Erhalt, stellvertretend für die Öffentlichkeit, auf die adligen Familien übertragen wurde und damit eine einstmals freiwillige Aufgabe zur auferlegten Pflicht wurde. Zudem
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Wunsch, eine Homogenität im Spannungsfeld von verschiedenen Interessen, ... eine Verklammerung zwischen verschiedenen Aufgabenbereichen herbeizuführen.“, Hajós, S. 28. „Eine wesentliche Eigenschaft einer gewachsenen Umwelt, sei sie biologisch oder kulturell entstanden, ist die Faszination ihrer prinzipiellen Unerschöpflichkeit [...] Es muss durchaus keine Katastrophe sein, wenn es in dieser Unerschöpflichkeit hie und da Einzelverluste gibt, aber es wäre gewiss eine Katastrophe, wenn solche Unerschöpflichkeit keinen Generalanwalt mehr hätte, sondern Verteidiger mit der Mentalität von Schmetterlingssammlern.“, Mörsch, S. 55. Lowenthal, S. 91.
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schreibt man heute dem Adel eine generelle Rolle als Kulturbewahrer zu, deren Hintergrund gleichgesetzt wird mit der Idee zum Erhalt des kulturellen Erbes1035 . Tatsächlich ist das Bewahren – auch von Kulturgütern – wesentliches Element adliger Traditionen. Auch ist die Idee der miteinander verbundenen Generationen, welche zentral für die Idee des Kulturerbes ist, von großer Bedeutung für das Selbstbild des Adels. Dennoch stand für diesen der Nutzen materieller Güter immer im Vordergrund vor dem Erhaltungsgrundsatz des Einzelobjektes, und Kulturgut wurde einerseits praktisch genutzt, andererseits als Finanzmittel betrachtet und zudem mit einem privaten Erinnerungswert versehen. Damit steht das Verhältnis des Adels der Idee des Kulturerbes und dessen praktischer Anwendung direkt entgegen, da diese die jeweiligen Objekte gerade dem praktischen Gebrauch entzieht, den materiellen Wert nicht schätzt – teils aber durch einen ebenfalls vom Adel weniger relevanten kunsthistorischen Wert ersetzt – und dem Einzelobjekt eine Bedeutung zumisst, die nicht auf persönlicher Erinnerung beruht, sondern immer Allgemeinheitsanspruch hat. Zusammenfassend ist zu festzustellen, dass die in der Regel sehr weit gefassten Definitionen der Rechtsvorschriften – möglicherweise durch diese Fehleinschätzung zur Haltung des Adels gegenüber seinem Besitz – in der Praxis sehr eng angewendet werden. So könnte beispielsweise durch nahezu jedes einzelne dieser Gesetze Kulturgut aus Adelsbesitz erfasst werden, was auch geschieht. Allerdings werden durch die in den Rechtsvorschriften geforderte „besondere Bedeutung“ neben der Architektur, kunsthistorisch sehr hochwertige Objekte aus dem Besitz des Adels herausgelöst. Der spezifische Charakter von Adelssammlungen, welcher sich aus den individuellen Vorlieben von einzelnen Familien und deren bedeutender Vertreter ergibt, ist nicht deckungsgleich mit der Vorstellung einer Sammlung, wie sie durch Kulturgüterschutzvorschriften vertreten wird. Demzufolge ist ein Schutz geschlossener Einheiten aus Adelsbesitz häufig nicht möglich. Es wird nötig sein, die Struktur dieser Sammlungen genauer zu betrachten und sie mit anderen Privatsammlungen sowie mit Sammlungen der öffentlichen Hand zu vergleichen. Dies ist auch relevant, da dem Adel infolge der Entmachtung eine Aufgabe zugeteilt wurde, die als öffentliche Aufgabe definiert ist, und den Adelsfamilien nach dem Verlust ihrer herrschenden Funktion nicht mehr zukommen kann. Wenn Teile des Adels diese Aufgabe dennoch übernommen haben, so ist grundlegend zu unterscheiden, ob dies aus einer inneren Haltung heraus der Fall war oder durch äußere Einflüsse ausgelöst wurde. Die Bewahrung von Kulturgut durch Angehörige des Adels, entweder im Zusammenhang mit den Schutzmaßnahmen der Fideikommissauflösung oder im Zuge unternehmerischer Tätigkeiten, ist durch äußere Einflüsse entstanden und damit nicht als dem Adel spezifisch zuzuordnende Haltung zu 1035
Diese Vorstellung wird auch in der Forschung hartnäckig vertreten. Beispielsweise fassen Conze/Wienfort den Aufsatz Mandlers wie folgt zusammen, obwohl dieser die einer Idee des nationalen Erbes kritisch gegenüberstehende und auf die Familie bezogene Haltung des Adels deutlich macht: „Der britische Adel beanspruchte, wie Peter Mandler zeigt, im 20. Jahrhundert als Besitzer von Schlössern und Landhäusern für sich eine Rolle als Hüter nationalen Erbes.“, Conze, Eckart/Wienfort, Monika: Einleitung. Themen und Perspektiven historischer Adelsforschung zum 19. und 20. Jahrhundert, in: Conze/Wienfort, S. 10; vgl. Mandler, S. 41-58.
190 | S AMMLUNGEN DES A DELS verstehen. Mandlers Beschreibung einer ambivalenten Haltung des englischen Adels bezüglich der ihm zugeschriebenen Rolle als Kulturbewahrer ist auch auf den deutschen Adel übertragbar: „It’s a role about which the aristocracy themselves have always been ambivalent ... The landowner was not a steward or a trustee for anyone but his own family ... After the war, however, some advocates for the landowners’ interest began to see that stewardship or trusteeship was the only basis upon which owner could afford to keep their large county houses and art collections.“1036
Dieses Engagement kann nicht stärker als bei jedem einzelnen Privatsammler für die Interessen des Kulturgüterschutzes genutzt werden. Die Bewahrung von Kulturgut aus einer inneren Tradition des Adels ist nicht ohne Weiteres mit den Interessen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes gleichsetzbar, und der Unterschied zwischen einem Erinnerungswert für den Adel und einer generellen – nicht deutlich definierten – Bedeutung für die Allgemeinheit wird im Folgenden zu untersuchen sein. Es soll hinterfragt werden, ob trotz eines abweichenden Hintergrundes der Bewahrungshaltung eine mögliche Interessenüberschneidung für Kulturgüter- und Denkmalschutz genutzt werden könnte. Immerhin wurde durch das Erbverhalten des Adels und dessen Folgen bisher stärker die Einhaltung aller Ebenen zur Erhaltung des kulturellen Erbes ermöglicht, als dies durch die rechtlichen Vorschriften der Fall ist. Gleichzeitig schützen diese den Besitz des Adels jedoch nur in geringen Maßen1037 . Rosenholm weist darauf hin, dass es etwa 120 hochadlige Familien in Deutschland gibt1038, welche prägend für die jeweilige Region und als Gruppe prägend für die Entwicklung des Landes waren. Zweifellos haben sich sowohl die Regionen als auch Deutschland als Nation seit 1918 gravierend verändert und stark von einer vom Adel geprägten Gesellschaft gelöst. Die Bewahrung von Adelsbesitz ist daher nur noch ein Teil der Bewahrung des kulturellen Erbes insgesamt. Es soll im Folgenden untersucht werden, was genau die Besonderheiten dieses Besitzes sind, welche Bedeutung er für das heutige Verständnis des kulturellen Erbes hat, ob er als solches genutzt werden kann und inwieweit eine Interessenüberschneidung mit dem Adel als bisherigem Bewahrer für den weiteren Umgang hilfreich sein kann: „Indem sie sich selbst so viel bewahrten, haben sie gegenwärtigen und kommenden Generationen eine Menge Land [und Kulturgut, Anm. U.S.] unverdorben erhalten.“1039 Zudem darf nicht unterschätzt werden, dass durch eine private Erhaltung von Schlössern inklusive ihres Inventars die Möglichkeit besteht, Kulturgut als „lebendiges Ganzes“1040 zugunsten der Eigentümer und der Öffentlichkeit zu erhalten. 1036 1037
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Mandler, S. 55-56. „Nur im Ausnahmefall ist bekannt (oder gar von der Denkmalpflege inventarisiert), was sich in den zahlreichen Schlössern und Gutshäusern, die sich noch in adeligem Besitz befinden, an Kulturgut erhalten hat. Unendlich viele Stücke versickern ohne Provenienzangabe im Kunsthandel und scheiden für eine kunstsoziologische Analyse, die ihren ‚Sitz im adeligen Leben‘ in den Blick nimmt, somit aus.“, Graf 2005, S. 183. Vgl. Rosenholm, S. 14. Sinclair in Bezug auf den englischen Adel, Sinclair, S. 184. Graf 2005, S. 183.
Kapitel 3: Die Bedeutung der Dinge – Sammlungen und Gründe des Sammelns „There is a universal reason for respecting what is of value, whether it is instrumental or intrinsic: it is the right reaction to what is of value, whether you personally care for it or not. Things of value should be respected wherever they are: whether in private hands or publicly held, whether out of sight or on public display, whether within the country in which they were made, or abroad.“ 1 D. GILLMAN
V OM DER
KULTURELLEN
O BJEKTE
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E RBE
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B EDEUTUNGSEBENEN
A DELSBESITZ
Die in Kapitel 2 vorgestellten Aspekte der Idee des kulturellen Erbes sowie der Rechtslage zu Kulturgüter- und Denkmalschutz konnten dazu beitragen, die Hintergründe der in Kapitel 1 wiedergegebenen Kritik am Verkauf von Besitztümern der Welfen zu beleuchten. Vertreter der Fachwelt sahen Teile des kulturellen Erbes ihrer Region und Nation in Gefahr, wobei diese Meinung durch die in der aktuellen Rechtslage verwendeten Definitionen von Kulturgut gestützt werden kann. Die genauerer Betrachtung zeigte jedoch, dass die Gesetze vor allem auf Einzelstücke von herausragender Qualität und Bedeutung angewendet werden. Die Besonderheiten von Adelsbesitz – nämlich der Umfang sowie die Bandbreite (aus Bereichen von Architektur über Gemälde und Kunsthandwerk bis hin zu rein historisch bedeutenden Objekten und Schriftgut) – führen dagegen nicht zur Anwendung der entsprechenden Rechtsvorschriften, sondern stehen einer solchen sogar entgegen. Eine ausschließliche Übertragung der Erhaltungspflichten auf die adligen Familien2 knüpft nur scheinbar an bestehende Traditionen an. Zum einen entbehrt sie (ab1 2
Gillman, S. 172. Abgesehen von Unterstützungen durch den Denkmalschutz, welche vorrangig die Gebäude betreffen sowie möglichen (Steuer-)Vorteilen, falls Einzelobjekte als national wertvolles Kulturgut geschützt sind. Gemeint ist hier jedoch die Erhaltung großer Objektmengen (wie beispielsweise die 2005 durch die Welfen veräußerten Bestände), die nicht durch den Kulturgüter- oder Denkmalschutz erfasst werden.
192 | S AMMLUNGEN DES A DELS gesehen von Einzelfällen) jeglicher juristischer Grundlage, zum anderen könnte sie zu keinem befriedigenden Ergebnis auf beiden Seiten führen, da die Gründe von Adelsfamilien, kulturelle Güter in ihrem Besitz zu erhalten, nicht mit der Idee des kulturellen Erbes gleichgesetzt werden können. Zudem wurden dem Adel die rechtlichen Grundlagen zum Erhalt seines Besitzes bereits vor Jahrzehnten genommen. Dass es in Form von Verkäufen, wie demjenigen 2005, mit einer solchen Zeitverzögerung zu Reaktionen auf diese veränderte Rechtslage kommt, führt zu weiteren Fragen, die im Folgenden untersucht werden sollen: •
Welches Bedeutungsmodell steht für den Adel neben dem Modell des kulturellen Erbes und dessen Umsetzung auf rechtlicher Ebene? Gibt es möglicherweise Überschneidungen, die im weiteren Umgang mit Adelsbesitz genutzt werden können?
•
Welche Rolle spielen Quantität und Kontext der Objekte in Adelsbesitz? Welchen Platz kann Adelsbesitz zwischen den beiden Polen Privatsammlung und Museumssammlung einnehmen und muss auf den Begriff der Sammlung diesbezüglich verzichtet werden?
Zur Beantwortung dieser Fragen soll ein Perspektivenwechsel vorgenommen werden: statt der allgemeingültigen Idee des kulturellen Erbes, welche von jeder Generation durch Objektauswahl neu ausgefüllt werden kann, rückt die Bedeutung der Dinge aus/in Adelsbesitz in den Fokus der Untersuchung, um deren mögliche Auswahl als Kulturgut zu überprüfen. Dabei steht nicht allein die in zahlreichen Rechtsvorschriften geforderte „besondere Bedeutung“ im Vordergrund, sondern auch die Bedeutung der Dinge aus Adelsbesitz für die Familien, welche diese Bestände bisher bewahrt haben. In diesem Zusammenhang ist auch der Begriff der Sammlung zu untersuchen. Das Sammeln basiert auf der Beschäftigung des Menschen mit ausgewählten Objekten und soll daher in Hinblick auf eine Bedeutung der Dinge betrachtet werden. Die Feststellung von Sammlungseigenschaften sowie von Besonderheiten der unterschiedlichen Ausformungen als Privat- und Museumssammlungen wird genutzt werden, um diesen auch für die Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes wichtigen Begriff, positiv oder negativ auf Adelsbesitz anwenden zu können. Die Auslegung des Sammlungsbegriffes in den Rechtsvorschriften soll kritisch hinterfragt werden. Sowohl in Bezug auf die Bedeutung der Dinge als auch auf das Sammelverhalten des Adels muss die Untersuchung, trotz des Schwerpunktes auf der Zeit nach 1918, auch den Umgang des Adels mit seinem Besitz vor diesem Wendepunkt aufgreifen, um Entwicklungen herausarbeiten zu können. Damit soll eine Forschungslücke geschlossen werden, die möglicherweise dazu beiträgt, Objekte aus Adelsbesitz bisher nicht in größerem Umfang als Kulturgut zu akzeptieren3.
3
„Denn der Dokumentarwert des Kulturdenkmals für einen Abschnitt der kulturellen Entwicklung lässt sich nur dann ermitteln, wenn diese Epoche in ihrer Bedeutung und Eigenart eingeschätzt werden kann.“, Backhaus, S. 80.
D IE B EDEUTUNG DER D INGE – S AMMLUNGEN UND G RÜNDE DES S AMMELNS
3.1
D IE B EDEUTUNG
DER
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D INGE „Nur dem stumpfsinnigen Materialisten ist die Vergangenheit lediglich eine Rumpelkammer verstaubter Altertümer, nur ihm sind die Toten ein für allemal tot.“4 J. BÜHLER
Während die Idee des kulturellen Erbes aus der Perspektive des Besitzenden (ob in der Vergangenheit, aktuell oder zukünftig) verstanden werden muss und durch diese Fokussierung auf den Menschen, der das Objekt kontrolliert, weitläufigen Eingang in Rechtsvorschriften fand, nimmt die Betrachtung der Bedeutung der Dinge eine dazu entgegengesetzte Blickrichtung ein. Diese geht nicht vom besitzenden, fordernden, nutzenden oder erhaltenden Subjekt aus, sondern stattdessen vom Objekt und seiner Wirkung. Untersuchungen auf diesem Gebiet sind vielfältig und stammen aus unterschiedlichen Wissenschaftsgebieten wie der Anthropologie5, den Sozialwissenschaften6 und der Archäologie7. Die Beschäftigung mit der Bedeutung der Dinge ist zudem häufiger Bestandteil philosophischer Fragestellungen8. Während einige der Studien sich mit der Bedeutung der Dinge im Allgemeinen beschäftigen, behandeln andere ausgewählte Kulturkreise oder gehen explizit von einem bestimmten Objekt aus, anhand dessen Rückschlüsse auf die Bedeutung vergleichbarer Objekte gezogen werden können. Besonders diese Studien geben wertvolle Hinweise auf einen lohnenden Perspektivwechsel vom Großen (einer Gruppe von Objekten, einer Gruppe von Menschen usw.) hin zum Kleinen (ein Objekt und allein dessen Bezüge zu seiner ganz eigenen Umwelt). Trotz – oder gerade aufgrund – der enorm großen Anzahl von Objekten aus dem Umfeld des Adels sind Untersuchungen auf diesem Gebiet bisher selten. Neben solchen, die sich mit der Entwicklung von Sammlungen in Adelsbesitz beschäftigen9, liegt auch bei den Arbeiten, die sich mit Objekten des Adels beschäftigen, ohne auf den Sammlungsbegriff einzugehen, der Forschungsschwerpunkt auf der Frühen Neuzeit. Hervorzuheben sind diesbezüglich die Arbeiten von Nadezda Shevchenko10, welche sich mit der Bedeutung des Buches an einem Fürstenhof des 16. Jahrhunderts beschäftigt, die Analyse zu Ausstattungen der Schlösser am württembergischen Hof im 18. Jahrhundert von Annegret Kotzurek11, Peter Burkes Untersuchung zu Insze-
4
Bühler, Johannes: Speyer und das Reich. Erbe und Verpflichtung, München, Berlin 1949, S. 33. 5 Vgl. stellvertretend Appadurai sowie Hoskins, Janet: Biographical objects. How things tell the stories of people’s lives, New York, London 1998. 6 Für eine sozialpsychologische Perspektive vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton. 7 Vgl. Marshall/Gosden sowie weitere Aufsätze in World Archaeology Volume 31, 1999. 8 An dieser Stelle soll zunächst die Arbeit von Joseph Raz hervorgehoben werden, vgl. Raz. 9 Vgl. Kapitel 3.3 und Kapitel 3.4. 10 Shevchenko. 11 Vgl. Kotzurek.
194 | S AMMLUNGEN DES A DELS nierungsstrategien Ludwigs (XIV.) König von Frankreich und Navarra12 sowie Kristin Mareks Auseinandersetzung mit der Verwendung von Effigies bei Herrscherbegräbnissen13. Auch der Aufsatz Angelika Linkes „zur Sozialsemiotik adeligen Körperverhaltens“ soll an dieser Stelle genannt werden14. Shevchenko bestätigt ausgehend von der einfach gestellten Frage „Was war ein Buch im 16. Jahrhundert?“15 zwei unterschiedliche Bedeutungsebenen dieser Objektgruppe, welche einerseits als eine indirekte Sachquelle von Bedeutung für die heutige Wahrnehmung des kulturellen Erbes ist und andererseits im untersuchten Zeitraum konkret zu benennende Funktionen als „Wissens- und Glaubensgegenstand, Erinnerungs- und Schutzobjekt, Identitätssymbol, Sehenswürdigkeit, Repräsentationsobjekt, Geschenk, Zeugnis der Freundschaft und Untertänigkeit“16 übernahm. Wie auch die Existenz von Büchern an Fürstenhöfen, nicht zuletzt durch den Erhalt großartiger Bibliotheken, zwar vorausgesetzt werden kann, die Wechselwirkungen zwischen diesen Gegenständen und den am Hof lebenden Personen jedoch bisher nicht untersucht worden waren, so wird auch der vielfältigen Ausstattung von Schlössern durch Möbel und kunstgewerbliche Gegenstände bisher in der Regel allein aus stilgeschichtlicher Perspektive Aufmerksamkeit geschenkt. Es liegt in der Natur beweglicher Einrichtungsgegenstände, dass diese entfernt, neu genutzt, beschädigt, entsorgt oder umgestaltet wurden/werden17. Die Zuordnung noch erhaltener Objekte zu Orten und Personen ist daher aufwändig und nur in Kombination der Sachquelle mit schriftlichen Quellen18 zu leisten. Während dies in Bezug auf die Baugeschichte von Schlössern ein gängiges Vorgehen ist, wird die Einrichtung selten untersucht. „Dieser Umstand ist um so bedauerlicher, da gerade dem 17. und 18. Jahrhundert die innere Ausgestaltung der Bauten ein großes Anliegen war. Die Schlösser jener Zeit stellen keine leere architektonische Hülle dar, sondern sind gerade in der Disposition und Dekoration ihrer Innenräume Ausdruck höfischer Repräsentanz und höfischen Selbstverständnisses.“19
12 Burke, Peter: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 2001 (Originalausgabe: The Fabrication of Louis XIV., 1992). 13 Marek, Kristin: Die Körper des Königs. Effigies, Bildpolitik und Heiligkeit, München 2009, hier liegt der Schwerpunkt auf der Zeit des Mittelalters. 14 Linke, Angelika: Das Unbeschreibliche. Zur Sozialsemiotik adeligen Körperverhaltens im 18. und 19. Jahrhundert, in: Conze/Wienfort, S. 247-268. 15 Shevchenko, S. 16. 16 Shevchenko, S. 334. 17 Vgl. Kotzurek, S. 11. 18 Diese können vielfältiger Art sein und reichen von gelegentlichen Hinweisen in Reiseberichten und Briefwechseln, über Rechnungen von Verwaltungseinrichtungen wie Hofschneidereien, -tischlereien etc. bis hin zu Inventaren, vgl. Kotzurek, S. 13; diese weisen gleichzeitig darauf hin, dass die Objekte beispielsweise Verknüpfungspunkte zwischen Hof und Außenwelt sein konnten, ihnen aber auch je nach Benutzer unterschiedliche Bedeutungen zukamen. 19 Kotzurek, S. 12.
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Kotzurek weist nach, dass anhand der Ausstattung nicht nur verschiedene Raumgruppen (wie Repräsentationsräume, fürstliche Gemächer, Gesellschaftsräume, Gastzimmer, solche der Dienerschaft, der Verwaltung und Bewirtschaftung) unterschieden werden können20, sondern auch Rückschlüsse möglich sind auf das Selbstverständnis der jeweiligen Benutzer sowie deren Beziehungen zueinander. Beispiele für eine bewusste Steuerung solcher Beziehungen und den Einsatz von Objekten zur Konstruktion eines Herrscherbildes liefert Burke in seiner Studie zu Ludwig (XIV.) von Frankreich. Besonders die Stellvertreterfunktion von Gegenständen wird in diesem Zusammenhang verdeutlicht, welche am absolutistischen Hof der französischen Könige besonders ausgeprägt war, so dass Ludwig (XIV.) von Frankreich durch verschiedenste Gegenstände – wie Münzen, sein Wappen, das Sonnen-Symbol, sein Bett oder einen gedeckten Esstisch – repräsentiert wurde: „Die Gegenstände, die am meisten mit dem König assoziiert wurden, waren ihrerseits geheiligt, weil sie ihn repräsentierten. Es war daher untersagt, einem Bildnis des Königs den Rücken zuzukehren, das leere Schlafzimmer des Königs zu betreten ohne das Knie zu beugen, oder in dem Raum, wo der Tisch für den König gedeckt war, den Hut aufzubehalten.“21
Gerade diese Funktion des dinglichen Stellvertreters einer Person scheint den Wertverlust zu erklären, der eintritt, sobald entweder der Bezug zu dieser nicht mehr nachvollziehbar ist (wenn beispielsweise der Esstisch Ludwigs (XIV.) von Frankreich in einem völlig anderen Kontext ohne Erklärung zu finden wäre) oder der Stellenwert der jeweiligen Person sich geändert hat (wie beispielsweise nach dem Tod Ludwigs (XIV.) von Frankreich und dem Übergang der königlichen Macht an seinen Thronfolger). Doch darf eine solche Veränderung von Nutzung und Wert keinesfalls mit einem Bedeutungsverlust gleichgesetzt werden, da das Objekt und dessen Geschichte sich nicht geändert haben, sondern nur die Perspektive auf diese. Dass jedoch der Aspekt der Repräsentation von Personen durch Gegenstände eine Sonderrolle in der Bedeutung der Dinge einnimmt, wird am Beispiel der von Marek untersuchten Effigies der englischen und französischen Könige offensichtlich. Bei diesen Objekten kann nicht nur unterschieden werden zwischen Zeiten der Benutzung und Zeiten der „Nutzlosigkeit“, sondern zusätzlich zwischen Zeiten, in welchen sie als Stellvertreter fungierten, und solchen, in denen dies nicht der Fall war/ist. Abbildungen oder Nachbildungen von Personen nehmen darüber hinaus (vor allem aus heutiger Sicht) einen anderen Stellenwert ein als Gegenstände, die ohne Kenntnisse des Kontextes nicht als zu einer Person zugehörig identifiziert werden können. Zudem sind unterschiedliche Stellvertreterfunktionen zu unterscheiden, wie Marek in ihrer Arbeit herausstellt, indem sie die Effigies als Repräsentanten des heiligen Körpers (im Gegensatz zu einem natürlichen und einem politischen Körper) der Könige nachweist22. In diesem Fall existierten und funktionierten der natürliche Körper sowie die Effigies nebeneinander und gleichzeitig23, so dass die Effigies die ihnen bei
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Vgl. Kotzurek, S. 15. Burke, S. 113. Formulierung dieser These, Marek, S. 17. Vgl. Marek, S. 19.
196 | S AMMLUNGEN DES A DELS den Bestattungsritualen eigene Bedeutung nach deren Abschluss verloren, obwohl sie rein bildlich weiterhin den Verstorbenen darstellten: „Während am separierten Leichnam die christlichen Trauerriten vollzogen wurden, nahm zeitgleich um die Effigies herum das höfische Leben wieder seinen Lauf auf, als sei der König noch am Leben. Diese besondere Behandlung und Aufmerksamkeit, die der Effigies (als bloßer Puppe) zu teil wurde, brach im Augenblick der abgeschlossenen Beerdigungszeremonie jäh ab, und das eben noch mit Hochachtung behandelte Königsdouble wurde zum ausgedienten Ding, das seinen Zweck erfüllt hatte. Man bewahrte es zwar in den Königsgrablegen, doch ohne große Sorgfalt auf [...]“24 .
Einen interessanten Beitrag zur Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz im 18. und 19. Jahrhundert leistet darüber hinaus Linkes Untersuchung zur Wechselwirkung von Dingen und dem (physischen) Verhalten der Nutzer. Sie hinterfragt beispielsweise, inwieweit die in den Lebensräumen des Adels weit verbreiteten Porzellanfiguren Einfluss auf das Beibehalten bestimmter Gesten und Körperhaltungen hatten25. Sie stellt fest, „dass (höfische) Körperkultur im Dienst der symbolischen Aneignung der Dimensionalität des Raumes durch den Einzelnen steht.“26 Durch die enge Verbindung von Architektur und Einrichtung innerhalb der Räume des Adels werden diesbezüglich die Bedeutungsmöglichkeiten auch alltäglicher Dinge offensichtlich. Die fünf Studien machen deutlich, dass eine Trennung zwischen momentaner Funktion und Bedeutung der Dinge für deren Verständnis zwingend nötig ist. Seit Jahrzehnten auf Dachböden und in Nebenräumen gelagerte Gegenstände aus Adelsbesitz haben durch ihre Funktionslosigkeit nicht zwangsläufig ihre Bedeutung verloren, und die Tatsache, dass sie dem Gebrauch entzogen wurden, gibt keinen Hinweis darauf, dass sie nie eine Bedeutung – oder nur eine geringe – hatten. Pomian weist darauf hin, dass nicht mehr genutzte Objekte zwar generell zu Abfall werden, aus diesem Status jedoch herausgehoben werden können, wenn sie auf die Vergangenheit verweisen27. Jedes Objekt, beispielsweise ein Buch, ein Möbelstück, ein Porträt, eine puppenartige Nachbildung eines Herrschers oder eine Porzellanfigur, kann Geschichtsquelle sein. Als solche könnten (neben ihrer Zuordnung zur Kategorie der Kunst) nahezu alle Objekte aus Adelsbesitz unter den Schutz einer der Rechtsvorschriften zum Kulturgüter- oder Denkmalschutz fallen. Die in der Regel zusätzlich geforderte herausragende oder besondere Bedeutung des jeweiligen Objektes zur Anwendung der Schutzvorschriften kann jedoch nur durch eine Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven festgestellt werden, wobei unsere eigene ergänzt werden soll durch eine solche, die vom Objekt selbst ausgeht. Das heißt, nicht allein die Bedeutung in der heutigen Zeit darf ausschlaggebend sein für eine Bewahrung des jeweiligen Objekts als Teil des Kulturerbes, sondern die diesem innewohnende Bedeutung, welche sich aus seiner bisherigen Geschichte speist, und die gegebenenfalls auch für die Zukunft wieder reaktiviert werden kann. Dazu ist 24 25 26 27
Marek, S. 29. Linke. Linke, S. 264. Pomian 1990, S. 43.
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neben der Trennung von Funktion und Bedeutung auch eine Unterscheidung zwischen Bedeutung und Wert unvermeidbar. Wie bereits im Zusammenhang mit dem Kulturgüter- und Denkmalschutz deutlich wurde, ist der materielle Wert eines Objektes für seine Zugehörigkeit zum kulturellen Erbe nicht ausschlaggebend. Dies gilt ebenso für die Bedeutung eines Objektes, mit welcher der Wert allerdings verknüpft sein kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Objekt aufgrund kostbarer Materialien besonders verehrt und bewahrt wurde. Ein Wert – sowohl materiell als auch immateriell – wird einem Objekt jedoch immer durch eine oder mehrere Personen zugeschrieben, wohingegen die Bedeutung sich aufgrund von Ding-Mensch-Interaktionen herausbildet. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, trug Riegl schon 1903 entscheidend dazu bei, zeit- und personenbezogene Werte zu erkennen, wobei er zwischen Erinnerungswerten und Gegenwartswerten unterscheidet28. Wenn er zudem feststellt, dass „nicht den Werken selbst kraft ihrer ursprünglichen Bestimmung [...] Sinn und Bedeutung von Denkmalen zu[kommt]“, sondern stattdessen bemerkt, „wir moderne Subjekte sind es, die ihnen dieselben unterlegen“29, macht Riegl darauf aufmerksam, dass diese Werte durchaus zur Herausbildung einer Bedeutungsebene beitragen können und erst eine solche das jeweilige Objekt aus der enormen Masse der Dinge heraushebt. Sowohl die Vermischung von Wert und Bedeutung als auch die häufige Herauslösung der Kunst aus dem Bereich der Dinge sind im allgemeinen Sprachgebrauch sowie in der Forschung weit verbreitet. Beide Aspekte sollen daher im Folgenden noch einmal ausführlicher aufgegriffen werden. Nicht ein einzelnes Buch war Kommunikationsmittel am herzoglich preußischen Hof im 16. Jahrhundert, ebenso wenig wie ein einzelnes Buch – würde es durch Kulturgüterschutzbestimmungen geschützt werden – über diesen als Sachquelle berichten könnte. Nicht nur ein Möbel- oder Dekorationsstück aus einem der Schlösser Carl Eugens Herzog von Württemberg machte eine Differenzierung zwischen Repräsentation und Privatheit möglich und könnte heute darüber Auskunft geben. Gerade die Menge der Stellvertreterobjekte Ludwigs (XIV.) von Frankreich vergrößerte dessen Ruhm, und wäre nur ein einziges Mal eine Effigie verwendet worden, wäre die These eines heiligen Körpers kaum zu argumentieren gewesen. Auch hätte nicht eine einzelne Porzellanfigur Auswirkungen auf das Verhalten von Personen haben können. Die Bedeutung der Dinge, die hier untersucht werden soll, ist daher eine sich aus Verknüpfungen zwischen Objekten und Menschen (Ding-Mensch-Bindungen) ergebende. Dabei soll „Ding“ als neutrale Begrifflichkeit verwendet werden, welche in diesem Verständnis vom alltäglich gebrauchten Gegenstand bis zum Kunstwerk allumfassend eingesetzt wird30.
28 Vgl. Kap. 2.1.5.; vgl. Riegl, S. 22ff. 29 Riegl, S. 7. 30 In Unterscheidung zur Verwendung der Begriffe bei Heidegger, der zwischen Ding, Zeug und Werk unterscheidet, vgl. Heidegger, Martin: Der Ursprung des Kunstwerkes, Stuttgart 2008 (Originalausgabe: Frankfurt am Main 1960); sowie zu Pomian, der Dinge und Semiophoren gegenüberstellt und den Begriff „Ding“ allein Nutzgegenständen (welche sich abnutzen) zuschreibt, Pomian 1998; durch den Ding-Begriff soll hier dessen Eigenständigkeit betont werden, wohingegen der Begriff des Objekts der Sichtweise des Subjekts entspricht.
198 | S AMMLUNGEN DES A DELS Der Wert der Dinge Die Zuschreibung von Werten ist für den Umgang des Menschen mit Dingen wesentlich. Entscheidendes Merkmal dieser Bewertungen ist ihre Flexibilität, die es ermöglicht, dass nicht nur jede Einzelperson oder Personengruppe den Dingen eigene Wertigkeiten beimisst, sondern diese außerdem immer wieder neu überdacht, gefestigt oder entzogen werden können. Grundlage der Bewertungen ist ein – wie auch immer gearteter – Nutzen des jeweiligen Dings für ebendiese Einzelperson oder Gruppe31. Damit sind Wertverschiebungen auch von deren Sozialverhalten abhängig 32 sowie zwangsläufig, im Laufe der Zeit, Veränderungen unterworfen33. Wertverschiebungen – sowie Wertbildungen – sind durch ihre Abhängigkeit von sozialen Faktoren immer erklärbar, so dass ihre Ursachen erforscht werden können34: „We do not learn to believe that this or that is of value from the fact that it is of value, nor that something else is without value from the fact that it is without value. We acquire our beliefs from society.“35 In diesem Zusammenhang nimmt der Austausch von Objekten gegen Zahlungsmittel – welcher diese zu Waren werden lässt – eine herausragende Stellung ein, da es bei einem solchen Austausch immer um Werte und deren Vergleichbarkeit geht36. Gesellschaften bilden hierarchisch angelegte Wertgruppen, deren gegensätzliche (und nie völlig erreichbare) Pole laut Kopytoff aus einzigartigen („singular“) und universell eintauschbaren („common“) Dingen gebildet werden37. Je stärker ein Objekt dem Pol der Einzigartigkeit zugeordnet wird, desto eingeschränkter ist dessen Eintausch, da nur gleichwertige Dinge für diesen in Frage kommen. Zu weit verbreitete Dinge haben dagegen kaum einen Handelswert38 mit Ausnahme des Geldes, das 31 Vgl. Raz, S. 146; der Begriff des Nutzens ist an dieser Stelle zu unterscheiden von einem Gebrauchs- oder Nutzwert und bezieht sich stattdessen auf jede Art von „Mehrwert“, „Zusatz“, „Vorteil“ etc., das heißt, auch die von Pomian so genannten Semiophoren als Repräsentanten des Unsichtbaren, welche er von nützlichen Dingen abgrenzt, vgl. Pomian 1998, S. 50, haben in dem hier gemeinten Zusammenhang einen Nutzen, nämlich ebendiese Repräsentationsfunktion; Foucault spricht von „Gegenständen des Verlangens“, Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1971 (Originalausgabe: 1966), S. 222, verwendet jedoch auch den Begriff der Nützlichkeit, Foucault, S. 247f; Appadurai betrachtet Luxusgüter ebenfalls als Objekte eines besonderen Nutzens, nicht als Objekte einer gesonderten Objekt-Kategorie, vgl. Appadurai, Arjun: Introduction: commodities and the politics of value, in: Appadurai, S. 38. 32 Vgl. Raz, S. 1; vgl. Thompson, Michael: Die Theorie des Abfalls. Über die Schaffung und Vernichtung von Werten, Stuttgart 1981 (Originalausgabe: Rubbish Theory. The creation and destruction of value, Oxford 1979), S. 24. 33 Vgl. Raz, S. 72; vgl. auch Pomian 1998, S. 51. 34 Vgl. Raz, S. 49ff. 35 Raz, S. 63. 36 Vgl. Kopytoff, Igor: The cultural biography of things: commoditization as process, in: Appadurai, S. 71. 37 Kopytoff, S. 69f; vgl. auch Appadurai: Introduction, S. 3; vgl. auch Pomian 1998, S. 17. 38 Vgl. Kopytoff, S. 74f; Thompson verwendet die Pole der vergänglichen und der dauerhaften Dinge, wobei die Dinge der ersten Kategorie mit höherem Alter an Wert verlieren, diejenigen der zweiten Kategorie dagegen im Wert steigen. Er kommt zu dem Schluss, dass
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unter den Dingen einen Ausnahmestatus einnimmt. Geld ist damit gleichzeitig ein treffendes Beispiel für die Notwendigkeit der bewussten Zuschreibung von Werten durch den Menschen, wie Foucault in seiner Beschreibung des Merkantilismus zusammenfasst: „Weil das Gold Geld ist, ist es kostbar, nicht etwa umgekehrt.“39 Als eindrucksvolles Beispiel für diese grundlegende Feststellung eignet sich die Betrachtung der frühen Kontakte der Europäer zu amerikanischen Ureinwohnern, deren grundlegend voneinander zu unterscheidende Wertzuschreibungen weitreichende historische Folgen hatten. Während die Ureinwohner glänzenden Objekten spirituelle Kräfte beimaßen und Gold, je nach Beimischungen anderer Metalle, beispielsweise als Symbol der Fruchtbarkeit galt40, tauschten die Europäer im Bewusstsein, „ein gutes Geschäft“ zu machen, Glasperlen und Spiegel gegen die in ihrer Heimat hochbewerteten Handelsgüter Gold, Silber und Perlen. Dies wiederum hatte schließlich Einfluss auf die Bewertung solcher Objekte durch die Ureinwohner: „Where previously an object’s value had depended on a mixture of the general and personal meanings attached to it, it was now jugded by physical characteristics alone.“41 Je nach Kulturkreis und auch innerhalb von komplexen Gesellschaften variieren also die Wertkategorien stark, und neben Einflüssen des Marktes ist auch jeder Einzelne und jede Gruppe in der Lage, eigene Hierarchisierungen vorzunehmen und zu Waren gewordene Dinge wieder aus dem System des Austauschs herauszunehmen, um dem Warenwert einen persönlichen Wert entgegenzusetzen42. Foucault spricht diesbezüglich von „zwei gleichzeitig mögliche[n] Lesarten: die eine analysiert den Wert im Tauschakt selbst, im Kreuzungspunkt des Gegebenen und Empfangenen; die andere analysiert den Wert als dem Tausch vorangehend und als erste Bedingung dafür, dass dieser stattfinden kann.“43 Damit beschreibt er den materiellen oder Marktwert als Gegensatz eines ideellen Wertes, welcher völlig unabhängig von WertVergleichen entstehen kann. Während der Marktwert zu einer Unterdrückung von Ding-Mensch-Bindungen beiträgt, ist der ideelle Wert eng mit diesen verknüpft44.
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diese materiellen Werte (v.a. durch die Mächtigen in der jeweiligen Gesellschaft) festgelegt und geändert werden können, vgl. Thompson, S. 21ff; in seinem Kapitel über die so genannten „Stevengraphs“ wird deutlich, dass die von Kopytoff vorgestelltem Wertkategorien zwischen „singular“ und „common“ auch auf sein Konzept übertragbar sind, nicht selten ist dieses tatsächlich mit der Lebensdauer von Objekten verknüpft, vgl. Thompson, S. 29ff. Foucault, S. 222. Vgl. ausführlich zu diesem Thema Saunders, Nicholas J.: Biographies of brilliance: pearls, transformations of matter and being, c. AD 1492, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 243-257. Saunders, S. 246; auch Davis beschreibt diesen Wertewandel, vgl. Davis, Natalie Zemon: Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance, München 2002 (Originalausgabe: The Gift in Sixteenth-Century France, Madison 2000), S. 121. Vgl. Kopytoff, S. 76. Foucault, S. 240. Die Verknüpfung von Werten und Bindungen untersucht Raz ausführlich und beschreibt zudem, dass wiederum diese Bindungen ebenfalls bewertet werden, vgl. Raz S. 17; Asendorf weist auf den Einfluss des Marktes auf Ding-Eigenschaften und eine mit diesem in Verbindung stehende Reduktion ideeller Werte auch im Zusammenhang mit der Ding-
200 | S AMMLUNGEN DES A DELS In beiden Fällen, nämlich der Dekonstruktion sowie der Konstruktion solcher Bindungen, können Werte eine Voraussetzung zur Erlangung von Bedeutung sein. Somit ist der Wert der Dinge zwar von der Bedeutung zu unterscheiden, steht jedoch mit dieser in engem Zusammenhang: „Simply: our attachments appropriate (impersonal) value, and make it meaningful for us. They go well beyond the recognition of the value of their objects, and of the attachments themselves. They endow it with a role in our lives, make it relevant to the success or failure of our life.“45 Um jedoch diese Bindungen zuzulassen, ist es nötig, die Wertzuschreibung erkannt und neben der materiellen eine weitere Ebene in der Existenz eines Dings akzeptiert zu haben46. Diese könnte als Ebene der Bestimmung, der Funktion oder der Nutzungsmöglichkeit eines Dings bezeichnet werden47, welche durch Bindungen zum Menschen realisiert werden. Für Raz ist jedoch die Zuschreibung von Werten nicht das einzige Modell für die Entstehung von Bedeutung. Er stellt fest, dass Dinge entweder wertvoll für jemanden oder etwas sind oder aber einen Wert in sich selbst besitzen müssen, da ohne eine solche in sich selbst begründete Wertigkeit als Grundlage nichts in dieser Welt tatsächlich von Wert sein könne48. Er ist der Meinung „[...] that what is of value in itself must have a life, or a history, that is, that it is capable of interacting in meaningful ways with others or with other things, through which it thrives or declines.“49 In dieser Definition von Dingen mit einem Wert in sich selbst beschreibt Raz jedoch ebendiejenigen Dinge, welchen eine Bedeutung (im Gegensatz zu einem Wert) beigemessen werden kann. Basis ist diesbezüglich immer der Mensch mit seiner innewohnenden und unerschütterlichen Bedeutung – deren Folge eine respektvolle Behandlung sein muss50.
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Wahrnehmung im 19. Jahrhundert hin, vgl. Asendorf, Christoph: Batterien der Lebenskraft. Zur Geschiche der Dinge und ihrer Wahrnehmung im 19. Jahrhundert, Gießen 1984, S. 26. Raz, S. 19. Vgl. Raz, S. 69; dies wird ebenso von Kopytoff im Zusammenhang mit Gütern festgestellt: „From a cultural perspective, the production of commodities is also a cultural and cognitive process: commodities must be not only produced materially as things, but also culturally marked as being a certain kind of a thing.“, Kopytoff, S. 64. „Goods whose value is realised are not wasted goods. All this is a bit of a mouthful to say that paintings are there to be seen and appreciated, novels to be read, oranges to be eaten, mountains to be looked at, or climbed, etc. They are for these things to happen to them in the sense that their value to others remains unrealised until someone of value in himself relates to them in the right way.“, Raz, S. 154. „The concept of being valuable in oneself is a philosophical concept. It emerged to mark a certain category of value whose existence is established by the very nature of value, that is, if anything is of value at all then something is valuable in itself.“, Raz, S. 145; vgl. auch Raz, S. 146. Raz, S. 150. Raz unterscheidet in diesem Punkt nicht zwischen zugeschriebenen und innewohnenden Werten: „Regarding what is of value, be it instrumental or intrinsic, there is a universal reason for everyone to respect it, which is the minimal form of engagement with value. It is the right reaction to what is of value even when you do not value it, you do not personally
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Die Sonderstellung der Kunst Im Bereich der Dinge bildet die Kunst eine eigene Kategorie, welche an dieser Stelle kurz gesondert betrachtet werden soll. Kunstwerken wird in der Regel ein ideeller Grundwert zugesprochen, der auf den Zeugnischarakter künstlerischer Produktion für die menschliche Entwicklung zurückzuführen ist. Pomian, der Kunstwerke als die Repräsentation des Unsichtbaren charakterisiert hat, macht dies anschaulich: „Es kommt vor, dass Tiere unter natürlichen Bedingungen Werkzeuge gebrauchen. Doch nie hat man Tiere malen oder modellieren gesehen, ohne dass die Menschen ihnen diese Mittel dazu bereitgestellt hätten.“51 Kunst ist somit untrennbar mit dem Menschen, seinen Fähigkeiten, Bedürfnissen und Beziehungen verbunden52 und damit gleichzeitig Ergebnis und Beleg menschlicher Eigenschaften in der jeweiligen Zeit ihrer Entstehung. Heidegger unterstreicht diesen unverrückbaren Quellencharakter: „Das Werkwerden des Werkes ist eine Weise des Werdens und Geschehens der Wahrheit“53 und „Geschaffensein des Werkes heißt: Festgestelltsein der Wahrheit in die Gestalt.“54 Das wahrhaftige und unverstellte Wesen des Seins wird durch Kunst offenbart55. Die Nutzungsmöglichkeiten von Kunstwerken liegen vor allem in deren ästhetischen und intellektuellen Eigenschaften begründet56, weshalb ihre Aufgabe weitge-
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care for it.“, Raz, S. 159; diese Ansicht würde allerdings dazu führen, dass nahezu jedes Ding respektvoll zu behandeln wäre, eine ethisch zu begrüßende Haltung, die jedoch praktisch kaum umsetzbar ist. Während also eine respektvolle Behandlung für jegliche Dinge wünschenswert ist, sollte diese für bedeutungsvolle Dinge unbedingte Grundlage des Handelns werden. Pomian 1998, S. 49; ebenso Heidegger: „Das Werk macht mit Anderem öffentlich bekannt, es offenbart Anderes; es ist Allegorie ... Das Werk ist Symbol.“, Heidegger, S. 10. Auch Heidegger weist auf die untrennbare Verbindung von Künstler und Werk hin, vgl. Heidegger, S. 7; Ressler betont die Beziehung von Menschen zueinander, welche durch Kunst ausgedrückt wird und ebenso auf diese wieder einwirkt: „Denn wenn Kunst aus dem Leben kommt und Leben zum Ausdruck bringt, dann kommt sie auch aus der Beziehung von Menschen und ist für die Beziehung zwischen Menschen gemacht. Sie ist Begegnung, sie betrifft den Betrachter und ist gleichermaßen von ihm betroffen. Sie ist ein Angebot des Künstlers, ein Hilferuf, wenn sie so wollen, eine Herausforderung zur Begegnung.“, Ressler, Hans Otto: Der Wert der Kunst, Wien, Köln, Weimar 2007, S. 181. Heidegger, S. 60; zur Verwendung der Begriffe bei Heidegger: Ding = bloße Dinge wie Felsen u.ä., Zeug = Gebrauchsobjekte, Werk = Kunstwerk, Heidegger, S. 22. Heidegger, S. 64. Vgl. Heidegger, S. 30f. Entgegen der weit verbreiteten Meinung, Kunst werde nicht genutzt, die beispielsweise von Sladeczek/Müller vertreten wird: „Kunstwerken dagegen ist jedweder Gebrauchswert abzusprechen. Denn sie sind nicht nur Unikate (und daher unersetzbar), sondern im eigentlichen Sinne auch funktionslos, nutzlos.“, Sladeczek, Franz-Josef/Müller, Andreas: Vorwort, in: Sladeczek, Franz-Josef/Müller, Andreas: Sammeln & Bewahren. Das Handbuch zur Kunststiftung für den Sammler, Künstler und Kunstliebhaber, Bern 2009, S. 10; auch Assmann spricht davon, dass Kunstgegenstände „von vornherein auf funktionsfreie Kontextlosigkeit angelegt sind“, Assmann, S. 338; Alsop weist dagegen folgerichtig auf den Nutzen von Kunst in früheren Zeiten hin, vgl. Alsop, Joseph: The rare art traditions. The
202 | S AMMLUNGEN DES A DELS hend mit der bloßen Existenz und der Möglichkeit zur Betrachtung erfüllt ist. Sie eröffnen die Möglichkeit neuer Erfahrungen und Emotionen sowie der Entwicklung neuer Vorstellungen über das Selbst oder die Welt57. Kunsthandwerkliche Objekte, die aufgrund ihres materiellen Wertes, des Alters oder ihrer speziellen Form zu diesem besonderen Ding-Bereich gezählt werden, verlieren mit einer solchen Kategorisierung in der Regel ihren Gebrauchswert und werden der bisherigen Nutzung entzogen. Heidegger trennt diese als „Zeug“ jedoch strikt von Kunstwerken: „[...] Daher stammt der Anschein, das Werkschaffen sei auch handwerkliche Tätigkeit. Dies ist es niemals. Aber es bleibt immer ein Brauchen der Erde im Feststellen der Wahrheit in die Gestalt. Dagegen ist die Anfertigung des Zeuges nie unmittelbar die Erwirkung des Geschehens der Wahrheit. Fertigsein des Zeuges ist Geformtsein eines Stoffes, und zwar als Bereitstellung für den Gebrauch. Fertigsein des Zeuges heißt, dass dieses über sich selbst hinweg dahin entlassen ist, in der Dienlichkeit aufzugehen.“58
Die Übergänge zwischen Kunst und Nicht-Kunst sind jedoch für diese Objektgruppe fließend, da aus heutiger – von Massenproduktion geprägter – Sicht kunsthandwerkliche Objekte in die Nähe der Kunstproduktion gerückt sind. Auch diesen liegt die Echtheit zugrunde, welche laut Benjamin Voraussetzung für die geschichtliche Zeugenschaft ist und sie von (technisch) reproduzierten Dingen unterscheidet59. Sowohl für Kunstobjekte als auch für andere Dinge ist feststellbar, dass diese bei einer starken Verknüpfung mit Personen, Ereignissen oder anderen Gegenständen ihrer Entstehungszeit durch eine Änderung der Verhältnisse häufig auch einen Wertewandel durchleben60. Die Dinge aus den Bereichen der Kunst und auch des Kunsthandwerks sind in einer Marktsituation deutlich stärker den einzigartigen als den universell tauschbaren Objekten61 zuzuordnen. In Gesellschaften mit funktionierenden Märkten (und ausreichender Versorgung mit zum Leben notwendigen Gütern) führt dies – verglichen mit ihrem Materialwert und dem Preis der Dinge des Alltags – zu einem hohen Marktwert. Dieser kann wiederum Maßnahmen zur möglichst langen Bewahrung dieser Objekte zur Folge haben, da Wertzuschreibungen – ob materiell oder ideell – häufig
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history of art collecting and its linked phenomena wherever these have appeared, London 1982, S. 39. Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 190. Heidegger, S. 65. Vgl. Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Frankfurt am Main, o.J. (Originalausgabe: 1963), S. 13; vgl. auch Gamboni, der die teilweise Gleichsetzung kunsthandwerklicher Objekte früherer Zeiten und zeitgenössischer Kunstproduktion nach dem Kriterium der Seltenheit jedoch kritisch betrachtet, Gamboni, S. 127; vgl. Pomian 1998, S. 89. „The excellence of a work of art or architecture is crucial to our valuations. Ideas about excellence are socially constructed and conventional and, as suggested in the previous chapter, very much subject to change and review.“, Gillman, S. 161. Vgl. Kopytoff, S. 3.
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zur Erhaltung der Dinge beitragen62. Eine lange Lebensdauer ermöglicht schließlich zahlreiche Ding-Mensch-Bindungen sowohl auf individueller als auch auf der Ebene von Gruppen. Das Wissen um die Echtheit – um Einzigartigkeit – ist keine Voraussetzung für Wertzuschreibungen und das Entstehen von Bindungen, allerdings fördert es diese63. Es kann zusammenfassend festgestellt werden, dass nicht allein Wertzuschreibungen oder Funktionen zu Ding-Mensch-Bindungen (die in ihrer Summe einen Bedeutungszusammenhang bilden) führen, sondern dass die Bedeutung von Kunst für ebendiese Wertungen verantwortlich ist und Auswirkungen auf die Nutzung und Erhaltung dieser Dinge hat64. Die Bedeutung der Kunst liegt somit in ihrem Wesen, die Bedeutung des einzelnen Kunstwerkes bereits in seinem Schaffungsprozess begründet. Laut Pomian sind Kunstwerke grundsätzlich Semiophoren und damit Bedeutungsträger65. Weitere Bedeutungsebenen sind jedoch möglich und Ding-MenschBindungen auch für die Kunst unverzichtbar zum Erkennen und Erhalten der innewohnenden Bedeutung: „So wenig ein Werk sein kann, ohne geschaffen zu sein, so wesentlich es die Schaffenden braucht, so wenig kann das Geschaffene selbst ohne die Bewahrenden seiend werden ... Bewahrung des Werkes heißt: Innestehen in der im Werk geschehenen Offenheit des Seienden. Die Inständigkeit der Bewahrung aber ist ein Wissen.“66
Eindeutige und unverrückbare Zuschreibungen, welche Dinge zum Bereich der Kunst zu zählen sind, bleiben jedoch ebenso vage wie die Definition der zum kulturellen Erbe gehörenden Dinge. Bei einem solchen Versuch verdrängt die hierarchische Abstufung von Kunst zu Nicht-Kunst häufig den eigentlichen Blick auf mögliche Bedeutungsebenen67. Zudem ist es möglich, dass Kunstobjekte nicht aufgrund ih-
62 Vgl. Raz: „[...] there is a general reason to preserve what is of value.“, Raz, S. 162. 63 Vgl. Raz, S. 27; Boorstin weist allerdings darauf hin, dass durch die graphische Revolution eine Veränderung in der Kunstbetrachtung vollzogen wurde und Reproduktionen heute so stark im Bewusstsein vieler Menschen verankert sind (und beispielsweise durch farbliche Veränderungen an deren Bedürfnisse angepasst wurden), dass sie eigene Bindungsfähigkeiten entwickeln, vgl. Boorstin, Daniel J.: Das Image. Der Amerikanische Traum. Reinbek bei Hamburg, 1987 (Originalausgabe: „The Image or What Happened to the American Dream“, New York 1961), S. 177; diese basieren jedoch weniger auf den spezifischen Eigenschaften von Kunstwerken, sondern stärker auf Wertzuschreibungen aus persönlichen Gründen, vgl. auch Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 190. 64 Was Raz am Beispiel Michelangelos verdeutlicht: „Respect for Michelangelo’s work consists primarily in acknowledging his achievement in what we say, and think, and in caring about the preservation of the work. This fact reflects another: Not everyone need be an art connoisseur, or a devotee of Michelangelo’s work. But everyone ought to respect his work.“, Raz, S. 161. 65 Pomian 1998, S. 94. 66 Heidegger, S. 67-68. 67 Dies wird beispielsweise an der Frage nach dem Zubehör zu Baudenkmalen deutlich, vgl. Kapitel 2.1.3; auch das Beispiel zeitgenössischer Kunst, welche zum Teil nur mit entspre-
204 | S AMMLUNGEN DES A DELS rer ästhetischen oder intellektuellen Funktion genutzt, sondern stattdessen umgenutzt werden und gerade diese Umnutzung zur Bildung einer weiteren Bedeutungsebene führt68. Bei der vorliegenden Untersuchung von Adelsbesitz soll auf diese Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst daher verzichtet werden. Im Folgenden werden diejenigen Aspekte aus der Forschungslage zur Bedeutung der Dinge herausgegriffen, welche auf Objekte in Adelsbesitz – beziehungsweise Adelsbesitz im Ganzen – angewendet werden können. Das Konzept einer Biographie der Dinge ist diesbezüglich Ausgangspunkt und Hilfsmittel zur Feststellung von Bedeutung, die sich aus der Geschichte des jeweiligen Dings speist. Das Ding als Mittel sozialen Verhaltens ist, vor allem aufgrund der stark von Standesgrenzen geprägten Adelskultur, von Bedeutung. Durch den Bruch der Revolution von 1918, und dem mit diesem verbundenen Zwang zur Veränderung einer auf Beständigkeit beruhenden Gruppe, ist nach dem Zusammenhang von Dingen und einer Erinnerungskultur des Adels zu fragen. Mit einer solchen, und dem für den Adel bedeutenden Verbund der aus vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Generationen bestehenden Familie, eng verknüpft ist das Porträt, dessen Besonderheiten zudem bereits im Verweis auf die Arbeiten von Burke und Marek angedeutet wurden. Die Dinge des Wohnens wurden bereits in den Studien von Kotzurek und Linke mit der Adelsforschung verknüpft und sollen daher ebenfalls genauer betrachtet werden. Von Überschneidungen und Verknüpfungen dieser Untersuchungsschwerpunkte ist auszugehen. Diese werden akzeptiert, da sie auf die Vielfältigkeit der Ding-Mensch-Beziehungen verweisen. 3.1.1 Die Biographie der Dinge In seinem Aufsatz The cultural biography of things: commoditization as process69 überträgt Kopytoff die Vorstellung eines biographisch feststellbaren Lebens vom Menschen auf Dinge. Ein für den Menschen selbstverständlich mitgedachter Lebenslauf, mit zahlreichen Stationen zwischen Geburt und Tod, kann auf jedes einzelne Objekt übertragen werden, wobei die wichtigste Feststellung bereits diejenige ist, dass auch Dinge einen Anfangs- und Endpunkt erfahren und in der Zwischenzeit ständiger Veränderung unterworfen sind. Während Fragen nach Herkunft und Hersteller für Kunstobjekte sowie nach der Funktion für Gebrauchsgegenstände üblich sind, geht die Untersuchung einer Biographie der Dinge darüber hinaus. Die Betrachtung von Wertzuschreibungen, Gebrauch, Nutzen und die mit diesen in Verbindung stehenden Ding-MenschBindungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden in einen Zusammenhang gebracht. Die Bandbreite der gestellten Fragen erweitert sich: „What, sociologically, are the biographical possibilities inherent in its ‚status‘ and in the period and culture, and how are these possibilities realized? ... What has been its career so far, and what do people consider to be an ideal career of such things? What are the recognized ‚ages‘ or chenden Vorkenntnissen als solche erkennbar ist, verdeutlicht diese Problematik, vgl. Gamboni, S. 137. 68 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 190. 69 Kopytoff, S. 64-91.
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periods in the thing’s ‚life‘, and what are the cultural markers for them? How does the thing’s use change with its age, and what happens to it when it reaches the end of its usefulness?“ 70
Kopytoff veranschaulicht diese Herangehensweise am Beispiel von Hütten der Suku in Zaire. Die Untersuchung ihrer Biographien ermöglicht die Feststellung von Bedeutung, während eine Fokussierung allein auf den gegenwärtigen Nutzwert vielfältige Ding-Mensch-Bindungen nicht erkennbar werden lässt. Den verschiedenen Phasen des insgesamt etwa zehn Jahre dauernden „Lebens“ einer solchen Hütte werden unterschiedliche Nutzungen zugeordnet. Abweichungen von diesen erkennen die Suku sofort, was Auswirkungen auf das Miteinander hat. Beispielsweise lässt der Empfang eines Gastes in einer Hütte, die durch ihren Erhaltungszustand nur noch als Küche zu nutzen wäre, entweder die Abwertung des Gastes oder die Armut des Gastgebers deutlich werden71. Die oben beschriebene Trennung von Wert und Bedeutung der Dinge ist hier offensichtlich, da eine Abnahme des Wertes einer Hütte zwar deren Gebrauch und Aussage ändert, die Bedeutung von Hütten im gesellschaftlichen Leben der Suku jedoch beidem übergeordnet ist. Die von Kopytoff angeregten Fragen und die Vorstellung einer Biographie der Dinge können, wie hier deutlich wurde, als Instrument genutzt werden, um Bedeutungen zu erkennen. Wie die Geburt der Beginn eines jeden menschlichen Lebens ist, steht am Anfang einer Ding-Biographie dessen Herstellung. Die darauf unmittelbar folgende Phase entscheidet über den weiteren Verbleib des Objekts, entweder im Besitz des Herstellers – in einem Lager, in einem Verkaufsraum, zur eigenen Nutzung – oder die Auslieferung an den Auftraggeber, der Verkauf, die Weitergabe als Geschenk, eventuell auch als Ausgleichsleistung. Wie auch menschliche Lebensläufe werden daher diejenigen der Dinge von Beginn an stark von Bindungen zu Menschen geprägt. Weitere Bindungen entstehen zu Dingen, welche sich am gleichen Ort befinden. Ortswechsel und Gebrauch hinterlassen, ebenso wie klimatische Einflüsse, physische Spuren. Je nach Objektkategorie wächst oder fällt das Interesse der Menschen am jeweiligen Ding mit dessen zunehmendem Alter72 oder durch materielle Veränderungen. Dinge können sowohl Phasen enger Bindungen zum Menschen als auch solche der Missachtung erleben. Starke Einwirkungen auf die Gestalt eines Objekts können schließlich dazu führen, dass es zur bewussten Zerstörung eines Dings durch Menschen kommt; andere Schlusspunkte von Ding-Biographien sind unbewusste Zerstörungen, solche durch Umwelteinflüsse und Abnutzung bis zur Auflösung. Kommt es nicht zu den beiden erstgenannten Fällen, welche häufiger vorkommen als die letzten beiden, ist die Lebenserwartung der meisten Dinge höher anzusetzen als diejenige eines Menschen. Erkennbar werden aktuelle oder vergangene biographische Abschnitte eines Dings vor allem durch vom Menschen vorgenommene Veränderungen sowie altersbedingte physische Abweichungen vom Originalzustand. Diese können materielle Aspekte wie Farbe und Form betreffen, es können Fehlstellen sichtbar werden oder
70 Kopytoff, S. 66-67. 71 Vgl. Kopytoff, S. 67. 72 Thompson unterscheidet zwischen vergänglichen und dauerhaften Dingen, Thompson, S. 21ff.
206 | S AMMLUNGEN DES A DELS Aufbringungen durch Schrift oder Fremdmaterialien73. Sich ähnelnde Veränderungen mehrerer Objekte setzen diese in Verbindung zueinander. Ebenso ist das Umfeld eines Dings zum Zeitpunkt seiner „Entdeckung“ maßgebliche Informationsquelle über Stationen seines bisherigen Lebenslaufes. Dieser Kontext kann ausschlaggebend für die Lesbarkeit einer Ding-Biographie sein und gleichzeitig sind nur über die Verbindung zwischen Ding, Umfeld und beteiligte Menschen Bedeutungen verständlich74. Der gleiche Gegenstand kann in unterschiedlichem Umfeld eine völlig voneinander abweichende Bedeutung haben. Er kann in einem Kontext bedeutungslos und in einem anderen bedeutungsvoll sein. Dies kann ebenso für denselben Gegenstand in unterschiedlichen Zeiten zutreffen75. 73 Ottomeyers Hinweise zu Inventarangaben an höfischen Möbeln verdeutlichen die Lesbarkeit und Auswertbarkeit von Ding-Biographien anhand solcher Zeichen: „Die Spuren ihrer Geschichte sind deutlich ablesbar. Untersucht man die Möbel genauer, so findet man in den Schubladen und an den Rückseiten als Reste einer sorgfältigen Bestandsverwaltung die Inventarnummern in Ölfarbe und Kreide sowie Etiketten mit Angabe des königlichen Schlosses, des Appartments, des Zimmers und der Inventarbuchnummer. In der Regel sind die Möbel häufig von einem Schloss ins andere transportiert worden, wie die wechselnden Ortseinträge erkennen lassen.“, Ottomeyer, Hans: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, in: Ottomeyer, Hans (Hrsg.): Biedermeiers Glück und Ende...die gestörte Idylle 1815-1848, München 1987, (zugleich: Ausstellungskatalog München zur gleichnamigen Ausstellung im Münchner Stadtmuseum vom 10. Mai - 30. September 1987), S. 94. 74 Peers’ Untersuchung einer mit Perlen in Nordamerika gefertigten Tasche aus dem 19. Jahrhundert verdeutlicht dies: „Over the course of its existence, the ‚S BLACK‘ bag has moved between a number of very different contexts: as an intimate gift lovingly made for an immediate familiy member within the complex cross-cultural currents of the fur trade; as a memento mori of the man whose name it bears; as an exotic curio of ‚savage life‘; and as a museum artefact, first illustrating indigenous decorative techniques and tribal life, and more recently illustrating fur-trade society and cultural hybridity. Each of these contexts has attached to the bag a different set of meanings, some completely opposed to others, and information about its provenance has been lost and re-attached several times over the course of its shifting meanings [...] Most importantly, I still do not know who created this object. After thinking for so long about the biography of this bag, I wonder about the life of the woman who made it.“, Peers, Laura: „Many tender ties“: the shifting contexts and meanings of the S BLACK bag, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 299. 75 Auch hier eignet sich das Beispiel der kulturellen Unterschiede zwischen amerikanischen Ureinwohnern und den mit diesen in Kontakt tretenden Europäern, welche die Bedeutung von Perlen beeinflusste: „For Amerindians, pearls were one of many kinds of brilliant matter – sensuous, variably coloured embodiments of bright cosmic energy that energized the universe. For Europeans during the fifteenth to seventeenth centuries, the commercial, aesthetic and social value of pearls was determined by their (natural and socially controlled) availability, flawlessness, colour and symbolic use as fashion items through which elites displayed (and through sumptuary laws reinforced) their social status, competing with each other and advertising their colonial possessions ... By following the movement of pearls from America to Europe we see how their re-contextualization changed lives and relationships not only for Amerindians, but of Europe monarchies and societies as well.“, Saunders, S. 253.
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Abbildung 4: Porträt Elisabeth Christines Prinzessin von BraunschweigWolfenbüttel-Bevern Königin von Preußen als Kind, 1. Hälfte 18. Jh., Rückseite mit zahlreichen Inventarangaben
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Wesentlich für die Entstehung und das Erkennen von Bedeutung ist die Verknüpfung der Biographien von Dingen und Menschen: „[...] the central idea is that, as people and objects gather time, movement and change, they are constantly transformed, and these transformations of person and object are tied up with each other.“76 Der Stellenwert dieser vielfältigen Verknüpfungen wurde vorrangig von den Sozialwissenschaften und, an deren Forschungen anknüpfend, auch von weiteren Disziplinen, erkannt77. Eine wesentliche Erkenntnis ist in diesem Zusammenhang, dass nicht allein Ding-Biographien durch diejenigen des Menschen beeinflusst werden, sondern auch menschliche Biographien mit denjenigen von Dingen untrennbar verzahnt sein können78. Im Gegensatz zu Objekt-Betrachtungen, welche beispielsweise eine formale Beschreibung, den Zustand und die Provenienz aus der Ist-Situation heraus festhalten79, gesteht der biographische Ansatz den Dingen damit mehr als eine rein passive Funktion zu80. Statt der Frage danach, wer den jeweiligen Gegenstand einmal bessen 76 Marshall/Gosden, S. 169. 77 „People have realized that objects do not just provide a stage setting to human action; they are integral to it.“, Marshall/Gosden, S. 169. 78 „What I discovered, quite to my surprise, was that I could not collect the histories of objects and the life histories of persons separately. People and the things they valued were so complexly intertwined they could not be disentangled.“, Hoskins, S. 2. 79 Wie in der Kunstwissenschaft und dem Bereich der Restaurierung durch Zustandsprotokolle üblich, was ebenso eine gängige Vorgehensweise der Archäologie ist, vgl. Marshall/ Gosden, S. 169. 80 Vgl. Marshall/Gosden, S. 169; Scholz/Ecker sprechen von einem „Eigenleben“ der Dinge, Scholz, Susanne/Ecker, Gisela: Einleitung: Umordnungen der Dinge, in: Ecker, Gisela/ Scholz, Susanne (Hrsg.): Umordnungen der Dinge. Kulturwissenschaftliche Gender Studies, Band 1, Königstein (Taunus) 2000, S. 11.
208 | S AMMLUNGEN DES A DELS hat, wird danach gefragt, mit welchen Personen dieser „in Kontakt getreten“ ist. Es ist zu fragen, in welchem Umfeld er sich befunden hat und auf welches Umfeld er, in welcher Form, eingewirkt hat. Der Zustand sowie Angaben zur Provenienz können zur Beantwortung dieser Fragen beitragen, wobei aber davon auszugehen ist, dass nicht jeder Aspekt einer Ding-Biographie an diesem ablesbar ist81. Trotz dieser Lücken ermöglichen die erstellten Ding-Biographien Rückschlüsse auf Bedeutungsebenen82: „Such an approach to interpreting specific types of artefacts [...], one that develops a biography for each, must surely then be an approach that can lead in interesting and unexpected directions and enhance and develop a ‚thicker‘ understanding of such items of material culture. Such biographies link people to objects, as the latter are culturally constituted, and may also link objects to other objects of a different class.“83
Die derart verständlich werdende, den Dingen innewohnende Geschichte summiert sich in einer „Identität der Dinge“84, welche – vergleichbar mit menschlichen Identitäten – auf Menschen und weitere Gegenstände einwirken kann. Hoskins hat diesen Einfluss von Dingen auf menschliche Identitäten sowie die Wechselwirkungen zwischen Ding und Mensch in ihrer Untersuchung festgestellt: „At the temporal level, the biographical object grows old, and may become worn and tattered along the life span of its owner, while the public commodity is eternally youthful and not used up but replaced. At the spatial level, the biographical object limits the concrete space of its owner and sinks its roots deep into the soil. It anchors the owner to a particular time and place.“85
81 „Thus, the biographies of artefacts over the long term can be expected to be modified in ways that take some aspects of their life history with them while discarding others.“, Rainbird, Paul: Entangled biographies: western Pacific ceramics and the tombs of Pohnpei, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 214. 82 Vgl. Scholz/Ecker, die Hinweise auf verschiedene Nutzungs- und Betrachtungsweisen der Dinge geben und die Notwendigkeit der Betrachtung von Kontext und Entwicklung zur Feststellung der Bedeutung betonen, Scholz/Ecker, S. 9. 83 Rainbird, S. 214-215. 84 Foucault, S. 55; er geht des Weiteren davon aus, dass diese sich „einander ähneln und sich anderen annähern können“, außerdem „wachsen, sich entwickeln, sich mischen, verschwinden, sterben“, Foucault, S. 55. 85 Hoskins, S. 8; ebenso verdeutlicht John Moreland den Einfluss von Objekten – in diesem Fall religiösen Objekten – auf menschliche Gemeinschaften in seinem Aufsatz über ein mittelalterliches Steinkreuz in Bradbourne: „These artefacts not only had lives of their own, they also directly affected the lives and ‚afterlives‘ of those who created and venerated them [...]“, Moreland, John: The world(s) of the cross, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 195.
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Durch derartige Ding-Mensch-Bindungen wird die Geschichte von Menschen durch die Dinge „aufgenommen“, so dass die Bedeutung der Dinge eng mit der Bedeutung der mit ihnen in Kontakt stehenden Menschen verknüpft ist86. Dorfles weist darauf hin, dass der Mensch seit Urzeiten Dinge hergestellt hat und diese daher als „eine Art Ausweitung des Menschen“87 verstanden werden können. Die vielfältige Weiterentwicklung der vom Menschen produzierten Gegenstände und deren Masse führen dazu, dass solche sowohl Ergänzung als auch Störfaktor sein können88. Dinge und Menschen existieren neben- und miteinander, wobei die den Dingen zugewandte Aufmerksamkeit im Laufe der Zeit gewachsen ist. Nachweisbar ist ein erhöhter Stellenwert von Dingen bereits seit einigen Jahrhunderten, was laut Dorfles durch Stilleben in der Malerei verdeutlicht wird: „[...] man kommt heute überein, dass das echte Stilleben, das mit der alleinigen Absicht ausgeführt wird, ein Ensemble von (natürlichen oder künstlichen) Dingen isoliert und unabhängig darzustellen, im Zeitalter des Barock geboren wurde; dies, soweit das noch nötig ist, beweist, dass der Mensch eben im barocken Zeitalter wahrgenommen hat, dass die ‚Dinge‘ und die von ihm hergestellten Gegenstände eine Bedeutung angenommen haben, die sie zu ‚Protagonisten‘ im Kunstwerk machte. “89
Waren diese „Protagonisten“ damals häufig ausgewählte Objekte des Kunsthandwerks, die gemeinsam mit Lebensmitteln dargestellt wurden, nehmen heute viele technische Dinge (beispielsweise Mobiltelefone) diese Rolle ein. Wie in Kapitel 2 deutlich wurde, gehen die aktuellen Rechtsvorschriften auf den heute anerkannten Stellenwert der Dinge ein, indem diese in einer enormen Bandbreite als schützenswert eingestuft werden können. In der Praxis werden diese jedoch nach wie vor hauptsächlich auf „Highlights“ aus dem Kunstbereich angewendet. Dies liegt nicht nur in der oben beschriebenen Sonderstellung der Kunst begründet, sondern auch darin, dass die erwartete Biographie eines Kunstwerks in wesentlichen Punkten mit den Erhaltungsebenen des kulturellen Erbes übereinstimmt. Nach weitläufiger Meinung beinhaltet der Lebenslauf eines Kunstwerks, infolge seiner bewussten Fertigung durch einen dazu befähigten Menschen, vor allem die Präsentation in einem unbestimmten Rahmen für eine unbestimmte Anzahl von Personen (2. Ebene). Dabei 86 Marshall/Gosden, S. 170; auch Porath weist auf diese enge Wechselwirkung hin: „Neben der stabilisierenden Funktion der Wiederholung im Handeln bilden Gegenstände jene relativen Fixpunkte in der Veränderlichkeit der Lebenswelt. Deshalb können wir unsere Biographie anhand der mit uns verbundenen Dinge erzählen: Wir haben eine je gegenstandsbezogene Nutzerbiographie, die von Dingen geprägt ist und ihrerseits auf den Dingen ihre Spuren hinterlässt. Die Dinge formen unser Leben mindestens ebenso stark, wie wir sie für uns gefügig zu machen trachten.“, Porath, Erik: Von der Vernunft des Sammelns zum Irrsinn des Wegwerfens, in: Ecker, Gisela/Stange, Martina/Vedder, Ulrike (Hrsg.): Sammeln, Ausstellen, Wegwerfen, Königstein 2001, S. 274. 87 Dorfles, Gillo: Das vom Menschen geschaffene Ding, in: Kepes, Gyorgy: Der Mensch und seine Dinge, Brüssel 1972 (Originalausgabe: New York 1965), S. 1. 88 Vgl. Dorfles, S. 2. 89 Dorfles, S. 3.
210 | S AMMLUNGEN DES A DELS wird das Interesse eines größeren Personenkreises ebenso angenommen wie ein gewisser durch den Schöpfungsakt entstandener Wert, der das Kunstwerk zu einem begehrten Handelsobjekt macht und eine mutwillige Zerstörung oder die Betrachtung als Abfall weitgehend ausschließt (1. Ebene)90. Jeder Gegenstand, der zum Gebrauch bestimmt und damit im Vergleich zu Kunstgegenständen ungleich stärker variabel in seiner möglichen Bewertung ist, weicht in seiner Idealbiographie stark von einer solchen Bewahrung ab. Die Vorstellung von Idealbiographien ist jedoch ebenso Entwicklungen unterworfen wie Wertzuschreibungen und Funktionen und muss daher immer in Zusammenhang mit demjenigen betrachtet werden, der sie entwirft. Am Beispiel orientalischer Teppiche macht Spooner dies anschaulich: „The dealer has his source of supply and his costs. The average consumer has his budget and his social needs. The connoisseur and the collector have their exhibitions, public and private, and their literature. Each stands in a different position in relation to both the prices and the values and has a different understanding of them. Different carpets mean different things to different people.“91
Demzufolge unterscheiden sich die (Ideal-)Biographien eines Teppichs, der allein in Hinblick auf Profit produziert wurde, von einem solchen, der für Sammler hergestellt wird, und zwischen diesen beiden Polen summieren sich die Möglichkeiten. Wird ein aus kostbaren Materialien und in Handarbeit hergestellter „Sammler-Teppich“ in einer Phase seines Daseins als Fußabtreter benutzt, ist dies eine Abweichung von seiner Ideal-Biographie. Häufen sich Fälle dieser Art, wird die Veränderung der Bedeutung solcher Teppiche in einer bestimmten Zeit und Gesellschaft deutlich. Als Folge würde sich ebenfalls dessen erwartete Ideal-Biographie ändern. Dass Bedeutungsänderungen von Dingen Auswirkungen auf die mit diesen in Verbindung stehenden Menschen haben, zeigt ebenfalls Spooners Beispiel des Orientteppichs. Ursprünglich entstanden die Teppiche in kleinen Webereien, welche traditionelle Muster verwendeten. Diese Muster wurden aus ästhetischen Gründen in den USA populär, so dass sich eine Massenproduktion dieser Teppiche entwickelt hat. Die nun allein von der Nachfrage bestimmten Symbolzusammenstellungen werden von den an der Produktion beteiligten Arbeitern nicht mehr verstanden. Als Folge wird die Identität dieser Menschen maßgeblich durch scheinbar traditionelle Dinge geprägt, deren Biographien jedoch keinen Bezug zu vergleichbaren Dingen dieses
90 „To us, a biography of a painting by Renoir that ends up in an incinerator is tragic, in its way, as the biography of a person who ends up murdered. That is obvious. But there are other events in the biography of objects that convey more subtle meanings. What of a Renoir ending up in a private and inaccessible collection? Of one lying neglected in a museum basement? How should we feel about yet another Renoir leaving France for the United States? Or for Nigeria? The cultural responses to such biographical details reveal a tangled mass of aesthetic, historical, and even political judgements, and of convictions and values that shape our attitudes to objects labeled ‚art‘.“, Kopytoff, S. 67. 91 Spooner, Brian: Weavers and dealers: the authenticity of an oriental carpet, in: Appadurai, S. 197.
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Kulturkreises aufweisen92. Seip erklärt Veränderungen dieser Art vor allem mit dem Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen: „The meeting and interaction of two cultures can bring changes in the way objects are perceived.“93 Auch das einem zeitlichen Wandel unterworfene und jeweils verfügbare Wissen über Dinge kann Bedeutungsebenen für die mit diesen Dingen in Kontakt stehenden Menschen verändern94. Trotz der engen Verknüpfung der Biographien von Dingen und Menschen verdeutlichen archäologische Studien, dass Ding-Identitäten nicht ausschließlich von Menschen geprägt sein müssen95. Auch Veränderungen durch äußere Einflüsse wie Klima, Wetter und Umwelt wirken auf die Biographie der Dinge ein, und es ist nicht zuletzt das enorme Alter archäologischer und historischer Objekte, welches Dinge zu „Garanten von Präsenz“96 werden lässt. Gillings und Pollard belegen dies anschaulich am Beispiel megalithischer Steine in Avebury, die ein Alter von etwa 4.500 Jahren aufweisen und in ihrer Grundsubstanz nicht durch Menschen geschaffen wurden97: „While they have not undergone the kinds of movement, passing through hands and changes in spatial context that are normally seen to be inherent in the lives of artefacts, the world has changed around them, and it is this alteration in context which has contributed to the accumulation of biographical detail. This is not to say that meaning has simply been ascribed to individual stones within the complex without reference to the objects themselves, their composition and context – they are not simply ‚slates‘ upon which meanings are written. Nor does meaning derive in any essentialistic way from their material properties alone.“98
Die an diesem Beispiel verdeutlichten Bedeutungsebenen, welche auch unabhängig von einer engen Ding-Mensch-Bindung entstehen können, sollten in der Gesamtbetrachtung nicht außer Acht gelassen werden. Erneut weisen sie darauf hin, dass Phasen einer zeitweisen Vernachlässigung oder Lockerung von Bindungen ebenfalls aussagekräftige Stationen in Ding-Biographien sein können und diese meist lückenhaft bleiben. Selbst die Sandsteinbrocken, welche die Landschaft in North Wiltshire stark prägen, tauchten nur zeitweise im sozialen Bewusstsein auf99. Doch eignet sich der biographische Ansatz auch für das Erkennen ebendieser Lücken, welche nicht zuletzt im mehrere Menschengenerationen überdauernden Alter der Objekte begründet liegen. Wie im Fall des Avebury-Komplexes eindrucksvoll deutlich wird, ermöglicht
92 Vgl. Spooner, S. 195ff; beispielhaft ist diesbezüglich auch die von Saunders beschriebene Bedeutungsänderung von Perlen, vgl. Saunders, S. 253f. 93 Seip, Lisa P.: Transformations of meaning: the life history of a Nuxalk mask, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 272. 94 Vgl. Appadurai: Introduction, S. 41. 95 Auch Kopytoff weist darauf hin, dass die Eignerschaft nicht im Vordergrund einer DingBiographie stehen muss, vgl. Kopytoff, S. 66. 96 Scholz/Ecker, S. 9. 97 Gillings, Mark/Pollard, Joshua: Non-portable stone artefacts and contexts of meaning: the tale of Grey Wether, in: World Archaeology, Volume 31, 1999, S. 179-193. 98 Gillings/Pollard, S. 180. 99 Vgl. Gillings/Pollard, S. 180 und 182.
212 | S AMMLUNGEN DES A DELS die Auswertung der biographischen Details, mitsamt ihrer Unbekannten, das Erkennen einer übergeordneten Bedeutung: „The biography of the Avebury sarsens is a product of changing conceptualizations of the world; of differing senses of temporality and being, of the mediation between the resources of the landscape and its ‚cultural‘ constitution.“100
Bei der Betrachtung der Dinge aus/in Adelsbesitz bleiben biographische Lücken meist verhältnismäßig klein, da enge und langwährende Ding-Mensch-Bindungen häufig sind und Bindungen zu historisch nachweisbaren Persönlichkeiten das Nachvollziehen der Biographien erleichtern101 . Zahlreiche Schriftquellen sowie Inventarangaben ermöglichen es, biographische Stationen nachzuzeichnen. Gleichzeitig lässt die Fülle und Vielfältigkeit der Objekte, wie sie beispielsweise bei der Auktion im Schloss Marienburg 2005 angeboten wurden, Untersuchungen von Ding-DingBindungen und deren Kategorisierung zu. Das methodische Vorgehen einer biographischen Perspektive auf die Dinge kann daher eine mögliche, von den Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes geforderte, „herausragende Bedeutung“ von Dingen in/aus Adelsbesitz feststellen. Gleichzeitig wird erkennbar, welche Bedeutungsebenen zur bisherigen Erhaltung der Bestände durch die Adelsfamilien geführt haben und inwieweit eine weitere Bewahrung, im Gesamtbestand oder im Einzelnen, für diese noch von Interesse ist. Da der biographische Ansatz verdeutlicht hat, dass Wertungen im Zusammenhang mit dem jeweils Wertenden und der entsprechenden Ding-Mensch-Bindung betrachtet werden müssen, wird zudem der in den vorangehenden Kapiteln aufgezeigte Widerspruch zwischen Kritik am Verkauf der Objekte aus Adelsbesitz und deren gleichzeitiger Bezeichnung als „Fürstennippes“102 verständlicher. Als Sachzeugen einer wechselvollen Geschichte, welche Entwicklungen des höfischen Lebens, eine veränderte Wohn- und Lebenssituation des Hochadels nach 1918, existenzielle Bedrohungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit und schließlich eine Phase weitgehender Nicht-Beachtung erfuhren, haben die Objekte aus Adelsbesitz ebenso wechselvolle Bedeutungsebenen in sich aufgenommen. Einzelne ObjektBiographien können diesbezüglich Hinweise auf Bedeutungen von Objekt-Gruppen geben103, wobei die Heterogenität der Objekte in Adelsbesitz104 für unterschiedliche Forschungsbereiche aufschlussreich sein kann.
100 Gillings/Pollard, S. 190; Appadurai weist darauf hin, dass bei der Frage nach einer Bedeutung der Dinge eine zu starke Fokussierung auf den Menschen mögliche Antworten verstellt: „Even if our own approach to things is conditioned necessarily by the view that things have no meanings apart fom those that the human transactions, attributions, and motivations endow them with, the anthropological problem is that this formal truth does not illuminate the concrete, historical circulation of things. For that we have to follow the things themselves, for their meanings are inscribed in their forms, their uses, their trajectories.“, Appadurai: Introduction, S. 5; vgl. auch Marshall/Gosden, S. 174. 101 Vgl. Marshall/Gosden, S. 172. 102 Spiegel 28/1995: Kunstmarkt: Drang zur Kokosnuss. 103 Die Arbeiten von Shevchenko, Saunders und Peers sind diesbezüglich beispielhaft.
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3.1.2 Das Ding als Mittel sozialen Verhaltens Dinge sind eng mit der Interaktion zwischen Menschen verknüpft und bilden – in Vergangenheit und Gegenwart – sozusagen die Requisiten im von Dahrendorf beschriebenen Bild: „Die soziale Welt ist eine Bühne [...] mit Publikum, Darstellern und Außenseitern, mit Zuschauerraum und Kulissen [...]“105 . Der Goffman verwendete (und von Dahrendorf aufgegriffene) Vergleich menschlichen sozialen Verhaltens mit der Schauspielerei veranschaulicht diesbezüglich die vielfältigen Aufgaben von Dingen: Sie unterstreichen als Dekorationselemente, Hintergrund und Kostüm den darzustellenden Charakter und damit das Selbst in seiner intendierten Wirkung. Damit agieren Gegenstände gleichzeitig als Ausdrucksmittel und begrenzendes Umfeld106. In dieser Funktion sind Dinge Bestandteil der menschlichen Kommunikation und beteiligt an der Herausbildung von Selbst- und Fremdwahrnehmung. Sie können Mittel zum Austausch sowie der Abgrenzung sein, ebenso Symbole und Unterstützung für Ideen107. Kleidung, Wohnumfeld, Medien, Transportmittel, Geschenke und Güter gehören zu den Objektgruppen, welche für die genannten Zwecke bewusst und unbewusst eingesetzt werden. Dinge können zwischen Einzelpersonen, zwischen Gruppen, zwischen Gesellschaften und auch zwischen Generationen vermitteln und ebenso einer solchen Vermittlung im Weg stehen. Sie können Bindungen herstellen, zu deren Lösung beitragen oder sogar Ersatzfunktionen für diese übernehmen. Dinge fungieren daher als Bindeglied zwischen der persönlichen und sozialen Ebene menschlichen Handelns108. Indem Goffman feststellt, dass der Status innerhalb eines sozialen Gefüges an sich keine Materialität besitzt, sondern durch entsprechendes Verhalten „realisiert
104 Adelssammlungen boten durch Maßnahmen der Bewahrung gute Erhaltungsbedingungen für Einzelobjekte oder Objektgruppen unterschiedlichster Herkunft. Beispiele für derart wechselvolle Objektbiographien sind Kapitelle aus einem Kloster des 11. Jahrhunderts bei Köln, welche in der „romanischen Halle“ des (Bad) Homburger Schlosses verbaut wurden, nachdem sie nach mehreren Besitz- und Ortswechseln als Geschenk in den Besitz Wilhelms (II.) von Preußen gelangten, vgl. Wetter, Nils: Eine fast hundertjährige Reise. Die Kapitelle der Romanischen Halle in Bad Homburg, in: Sehens Werte. Schlösser & Gärten in Hessen: Deutsche Kaiser in Hessen, Kulturerbe Hessen, Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Besuchermagazin 4/2008, S. 14. 105 Dahrendorf, Rolf: Vorwort, in: Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München 1969 (Originalausgabe: The Presentation of Self in Everyday Life, New York 1959), S. VII. 106 Goffman, S. 23ff. 107 Von Brock kurz zusammengefasst: „Denn bei allen Dingen, die Menschen machen, geht es um Beziehungen von Menschen zu Menschen, weil diese Beziehungen über Objekte laufen, die wir als sprachliche Kommunikation verstehen.“, Brock, Bazon: Theoretische Objekte, in: Fliedl, Gottfried/Giersch, Ulrich/Sturm, Martin/Zendron, Rainer: Wa(h)re Kunst. Der Museumsshop als Wunderkammer.Theoretische Objekte, Fakes und Souvenirs, Frankfurt am Main 1997, S. 20-21; vgl. Foucault, S. 421. 108 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 54.
214 | S AMMLUNGEN DES A DELS werden muss“109, verweist er gleichzeitig auf die Bedeutung der Dinge, welche als sichtbare Elemente dieses Vorgangs der Realisierung fungieren. Individuelle und kollektive Ding-Kategorisierungen steuern dabei den Einsatz der Objekte: „Die Anordnungen der Dinge, die ihn oder sie umgeben, stellt für das Ich das primäre Vehikel dar, sich selbst, seine oder ihre Werte, Innerlichkeit, Individualität darzustellen.“110 Sie sind zudem unverzichtbarer Bestandteil für die Bildung sozialer Gruppen. Zu diesem Zweck entstehen durchlässige Werthierarchien mit Wechselwirkungen zwischen Dingen und Menschen. Beispielsweise können Objekte durch die Verbindung zu einer sozial hochgestellten Person aufgewertet werden und ebenso – oder infolgedessen – kann der Besitz oder Gebrauch hoch bewerteter Dinge zur Statuserhöhung von Menschen beitragen111. Die Formen dieser Wechselwirkungen sind vielfältig und starken zeitlichen sowie kulturellen Schwankungen unterworfen, was am Beispiel von Trends in der Mode deutlich ablesbar ist112. Es ist nötig festzuhalten, dass es sich beim Einsatz der Dinge als Mittel des sozialen Verhaltens nicht allein um den bewussten Gebrauch von Objekten handelt, sondern diese ebenfalls aktive Rollen einnehmen113. Der Einsatz von Dingen zur Abgrenzung des „Ich“ oder „Wir“ von anderen Personenkreisen ist mit der Ausformung von Werthierarchien verknüpft und wesentlich an der Herausbildung von Einzel- oder Gruppenidentitäten beteiligt. Funktionen als Symbole sowie zur Durchführung von Ritualen spielen diesbezüglich eine große Rolle114. In Kapitel 2.3.1 wurde deutlich, dass eine solche abgrenzende Haltung von besonderer Bedeutung für die Selbstlegitimation des Adels ist. Darüber hinaus sind für dessen Verständnis als Gemeinschaft vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Generationen Verhaltensweisen nötig, welche Adelsfamilien mit ihren Vorfahren und Nachkommen verbinden und gleichzeitig von nicht-adligen Familien unterscheiden. Pomians Konzept der Repräsentation des Unsichtbaren beschreibt die damit verbundene Funktion der Dinge:
109 Goffman: „Ein Status, eine Stellung, eine soziale Position ist nicht etwas Materielles, das in Besitz genommen und dann zur Schau gestellt werden kann; es ist ein Modell kohärenten, ausgeschmückten und klar artikulierten Verhaltens. Ob es nun geschickt oder ungeschickt, bewusst oder unbewusst, trügerisch oder guten Glaubens dargestellt wird, auf jeden Fall ist es etwas, das gespielt und dargestellt werden, etwas, das realisiert werden muss.“, Goffman, S. 70. 110 Scholz/Ecker, S. 10. 111 Vgl. Marshall/Gosden, S. 170. 112 Marshall/Gosden führen zudem das Beispiel der Bedeutungserhöhung duch Berührung bei den Fiji an. Als Folge werden einerseits die von bedeutenden Führungspersonen berührten Objekte besonders geschätzt und andererseits trägt der am Zustand von Walzähnen ablesbare starke Gebrauch durch möglichst viele Personen zu deren Wertsteigerung bei, vgl. Marshall/Gosden, S. 170f; vgl. auch Kertzer, David I.: Ritual, Politics and Power, New Haven, London 1988, S. 5; zur Rolle von Möbeln wie beispielsweise Thronen als Macht- und Statussymbole vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 76f. 113 Vgl. Scholz/Ecker, S. 12. 114 Vgl. Kertzer, S. 16; vgl. auch Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 56.
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„Nehmen wir also einen Menschen, dessen Rolle in der Repräsentation des Unsichtbaren besteht. Wie spielt er diese Rolle? Dadurch, dass er sich jeder nützlichen Tätigkeit enthält, eine Distanz herstellt zwischen sich und allen, die gezwungen sind, einer solchen Tätigkeit nachzugehen, sich mit Gegenständen umgibt, die [...] Semiophoren sind, und diese zur Schau stellt.“115
Diese vom Adel zur Bildung und Stabilisierung seiner Gruppenidentität genutzten Dinge sind daher keineswegs allein Statussymbole, sondern vielmehr gleichzeitig Vermittler (nach innen) sowie trennende Elemente (nach außen). Sie mussten in dieser Funktion bedeutender werden, seit der Adel aus wirtschaftlichen Gründen einen Aspekt der Abgrenzung aufgeben musste, indem er begann, beruflichen Tätigkeiten nachzugehen. Der Adel hat seinen Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie – welcher ihn zur Repräsentation des Unsichtbaren befähigt hat116 – verloren, blieb jedoch im Besitz eines Teils der Semiophoren. Diese hatte der Adel als Gruppe zuvor dem Warenverkehr entzogen und sie durch diesen bewussten Vorgang – welcher wiederum nur aufgrund seiner Machtposition möglich war – aufgewertet. Kopytoff weist auf diese Wechselwirkung zwischen Singularisation und der Symbolisierung einer Machtposition hin117 , ebenso aber auch auf die Möglicheit, selbst kleiner und weniger mächtiger Gruppen, sich durch die Singularisation bestimmter Dingen von anderen Gruppen abzugrenzen118. Zur Zeit der Monarchie dem Markt entzogene Dinge konnten daher auch nach der Entmachtung weiterhin die Gruppe des Adels stabilisieren und als solche repräsentieren. Zur inneren Festigung der Gruppenidentität trugen die im Hochadel genutzten Rechtsinstitute zur Vermögensbindung bei, da diese (auch in Form von Dingen) zwischen den Generationen vermittelten. Sie erlegten den Erben Erhaltungspflichten auf, so dass durch die Übernahme von Verantwortung und Pflichten sowie durch Nutzungsrechte Ding-Mensch-Bindungen entstanden119. Die Verbindung der Generationen führte darüber hinaus zu einem weitgehend respektvollen Umgang des Adels mit sämtlichen (nicht nur den rechtlich gebundenen) Objekten seiner Vorfahren120 . Mit 115 Pomian 1998, S. 52; Pomian unterscheidet zwischen Dingen und Semiophoren und wählt damit einen eingeschränkteren Ding-Begriff als diese Arbeit. 116 Vgl. Pomian 1998, S. 52. 117 „Power often asserts itself symbolically precisely by insisting on its rights to singularize an object, or a set or class of objects.“, Kopytoff, S. 73; vgl. auch Appadurai: Introduction, S. 22 und S. 25. 118 Vgl. Kopytoff, S. 81. 119 Vgl. Raz, S. 22. 120 Neben den Vermögensbindungen fand der Adel weitere Möglichkeiten der Vermittlung zwischen den Generationen, wie Shevchenko am Beispiel der Büchersammlung Albrechts Prinz von Brandenburg-Ansbach Herzog von Preußen beschreibt: „Der Herzog stellte seine Hofbibliothek immer wieder in eine Wechselbeziehung zu seinen Erben und Nachfolgern und favorisierte offensichtlich die Zukunftsorientierung der von ihm eingerichteten Büchersammlungen.“, Shevchenko, S. 144; vgl. auch Gamboni: „Insofern den Personen, Institutionen, Glaubensüberzeugungen, Werten, Normen, die ein Objekt verkörpert, Dauerhaftigkeit zukommt und die Beziehung des Objekts zu diesem symbolisierten Inhalt wirksam bleibt, kann es durchaus von dessen Dauerhaftigkeit profitieren und
216 | S AMMLUNGEN DES A DELS dem Wegfall der rechtlichen Pflichten lockerten sich zwangsläufig nach und nach derartige Bindungen. Diese sozusagen als Requisiten der Abgrenzung nach außen und Festigung nach innen fungierenden Dinge wurden ergänzt durch entsprechende Bühnen in Form von Schlössern und Palais. Diese boten darüber hinaus ebenfalls Platz für nur den „Schauspielern“ vorenthaltene Räume121. Während in ausgewählten Repräsentationsund Empfangsräumen die eigene Rolle perfekt inszeniert werden konnte, boten Privatzimmer für den Einzelnen und ausgewählte Gruppen die Möglichkeit zum Rückzug. Das durch Abgrenzung und Gruppenzusammenhalt geprägte soziale Verhalten des Adels wurde damit maßgeblich von dessen architektonischer Umgebung geprägt, was noch immer der Fall sein kann: „Von allen dauerhaft im Raum verorteten Zeichen und Emblemen ist unbestreitbar das Schloß [...] am markantesten, das von den dort noch permament oder einen Teil des Jahres residierenden Aristokraten als ‚natürlicher‘ Ort par excellence präsentiert wird, und das zu einer bestimmten Lebensweise, zu vornehmem Umgang mit Anderen, den Nachbarn, Freunden, Dorfbewohnern etc. verpflichtet.“122
Ein solcher „Ort, der durch feste Wahrnehmungsschranken abgegrenzt ist“123 , bildet mitsamt seiner Ausstattung den Rahmen für das jeweilige Schauspiel. Das beschriebene, aus Dingen gebildete, Umfeld sowie die agierenden Personen werden grundsätzlich aus mindestens zwei verschiedenen Perspektiven betrachtet, da zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung zu unterscheiden ist. Jede Person und jede Gruppe ist zugleich Darsteller in Bezug auf die eigene Realität und Zuschauer in Bezug auf diejenige einer anderen Person oder Gemeinschaft. Einzel- und Gruppenidentitäten entstehen daher immer durch Bindungen zu denjenigen Dingen, welche zum Aufbau ebendieser subjektiven Realität benötigt werden und gerade verfügbar sind124 .
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den üblichen Folgen des physischen, technischen oder ästhetischen Veraltens entgehen, das heißt der Ersetzung oder Zerstörung, oder auch der Degradierung durch eine ‚niedrigere‘, weniger spezifische Nutzung oder durch das Versetzen an einen weniger zentralen Standort.“, Gamboni, S. 27. Roters betont den stark ritualisierten Alltag des Hochadels sowie die starke Abgrenzung zur Bevölkerung, vgl. Roters, Eberhard: Kunst im Widerspruch, in: Boberg, Jochen/Fichter, Tilman/Gillen, Eckhart (Hrsg.): Die Metropole. Industriekultur in Berlin im 20. Jahrhundert, München 1986, S. 52. De Saint Martin, S. 94. Goffman, S. 217; „Sie [die materiellen Gegenstände] kommen einer schweigsamen und unbeweglichen, an unserer Unrast und unseren Stimmungswechseln unbeteiligten Gesellschaft gleich, die uns den Eindruck von Ruhe und Ordnung gibt.“ Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis, Frankfurt am Main 1985 (Originalausgabe: La Mémoire collective, Paris 1920er Jahre), S. 127. „Und die Mittel, um ein Selbst zu produzieren und zu behaupten, liegen nicht bei dem Aufhänger; in der Tat sind diese Mittel oft in sozialen Institutionen verankert. Es gibt immer eine Hinterbühne mit Geräten, in der der Körper sich formen kann, und eine Vorderbühne mit feststehenden Requisiten. Es gibt immer ein Ensemble von Personen, deren
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Ist eine Gruppe als solche im gesellschaftlichen Gefüge präsent und von anderen Gruppen anerkannt, muss sie die gegebene Rolle zwar ausfüllen, jedoch nicht immer wieder neu etablieren. Dies wird jedoch in dem Moment nötig, wenn sie als Gemeinschaft nicht mehr wahrgenommen wird125 . Diesbezüglich stellt Linke eine starke Veränderung der eng mit der räumlichen „Bühne“ des Adels verknüpften Körperlichkeit fest, welche zwar noch identitätsstiftende, jedoch keine Wirkung nach außen mehr hatte: „Spätestens im 20. Jahrhundert werden adelige Körperperformanz und spezielle Rauminszenierungen im Kontext adeligen Zeremoniells [...] nicht mehr als zwingender, quasi, ‚natürlicher‘ Standesausdruck begriffen. Dem veränderten Blick des Bürgers erscheint die Standesperformanz zunehmend als Teil einer exotischen Theatralik, als Rollenverhalten, das allenfalls als Folge, nicht jedoch als Essenz und ausschließliche Daseinsform adeliger Existenz verstanden wird.“126
Requisiten (Dinge), Bühne (Repräsentationsräume) und ein exklusiver „BackstageBereich“ (Privaträume) ermöglichten es dem Adel, zunächst seine Realität aufrecht zu erhalten, auch wenn diese sich von der gesellschaftlichen Situation gelöst hatte. Goffman stellt in Bezug auf ein solches Verhalten fest, „[...] dass ein Darsteller von seinem eigenen Spiel gefangen genommen werden kann und den von ihm hervorgerufenen Eindruck einer Realität für die, und zwar für die einzige Realität hält. In einem solchen Fall wird der Darsteller zu seinem eigenen Publikum; er wird Darsteller und Zuschauer des gleichen Schauspiels. Vermutlich hat er sich die Maßstäbe, die er vor anderen aufrechterhalten will, so zu eigen gemacht, dass er ihnen gemäß auch ohne fremde Beobachter zu handeln sucht. Dann wird es für ihn in seiner Darstellerrolle notwendig, in seiner Zuschauerrolle die diskreditierenden Tatsachen, die er über die Darstellung in Erfahrung bringen musste, vor sich selbst zu verbergen.“127
Kommt es zu Krisensituationen oder Störungen von außen, versuchen die teilnehmenden Personen grundsätzlich, die für sie maßgebliche Realität zu retten128. Gelingt
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Tätigkeit auf der Bühne in Verbindung mit den verfügbaren Requisiten die Szene bildet, aus der das Selbst der dargestellten Rolle entspringt, und es gibt ein anderes Ensemble, das Publikum, dessen Interpretationstätigkeit für dieses Auftreten notwendig ist. Das Selbst ist ein Produkt aller dieser Konstellationen und trägt in allen seinen Teilen die Spuren dieser Entstehung.“, Goffman, S. 231; vgl. auch Raz, S. 35; vgl. auch Kertzer, S. 18. Vgl. Goffman, S. 28. Linke, S. 268. Goffman, S. 76; Goffman weist zudem darauf hin, dass Mitglieder einer Gruppe vor anderen Gruppen keinerlei Kritik aneinander üben, so dass der Eindruck von Geschlossenheit entsteht, welcher auch für den Adel typisch ist, vgl. Goffman, S. 71ff; ähnlich zu bewerten ist die Prachtentfaltung in Zeiten politischer Machtlosigkeit (wie beispielsweise durch Schlossbauten und deren Ausstattung in den deutschen Territorialstaaten), vgl. Kotzurek, S. 20; dies ist jedoch für die Zeit nach 1918 nicht mehr zu beobachten. Vgl. Goffman, S. 218.
218 | S AMMLUNGEN DES A DELS dies nicht, sind auch die Abgrenzungen zwischen Gruppen nicht mehr vollständig aufrechtzuerhalten129 , wie es sich beim Adel durch die im Verlauf des 20. Jahrhunderts häufiger werdenden „unstandesgemäßen“ Ehen gezeigt hat. Eine solche Schwächung der Abgrenzungsmöglichkeiten kann wiederum eine Veränderung auch des Inneren der Gruppe sowie seines Umfeldes nach sich ziehen. Je geschlossener eine Gemeinschaft jedoch agiert, je genauer ihr Verhalten aufeinander abgestimmt ist und je stärker dieses als verpflichtendes Verhalten akzeptiert wird, desto länger kann die nach innen und außen repräsentierte Realität erhalten bleiben130. Dies gilt sowohl für das alltägliche Verhalten als auch für das Festhalten am traditionellen Begehen festlicher Anlässe131. Da der Hochadel, im Gegensatz zum Kleinadel, sowohl im Alltag als auch im Begehen traditioneller Festlichkeiten auf Dinge zur Stabilisierung der Gruppenidentität zurückgreifen konnte, war es möglich, diese trotz der Krise von 1918 zu bewahren. Durch die erneute Störung durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges konnte dies jedoch nur noch eingeschränkt gelingen. Zeichen der Zugehörigkeit – wie Wappen auf Briefpapier, auf Kleidungsstücken der Bediensteten, Tisch- und Bettwäsche – sowie seit Generationen im Besitz der Familien verwahrte Dinge werden/wurden umso bedeutender, je gefährdeter der Gruppenzusammenhalt ist/war132. 129 Vgl. Goffman, S. 185; bis hin zur völligen Unsicherheit in radikalen Umbruchsituationen wie beispielsweise der Französischen Revolution: „The simplest items of everyday life took on symbolic importance. Different costumes came to represent different political positions, and wearing the wrong color, the wrong trouser length, or the wrong hat could lead to a street brawl.“, Kertzer, S. 158. 130 Vgl. Goffman, S. 193; Goffman nennt als wichtigste Eigenschaften für das Funktionieren einer solchen Gruppe Loyalität, Disziplin und Sorgfalt, vgl. Goffman, S. 208; zudem wird die Kommunikation mit Personen anderer Gruppen möglichst gering gehalten, vgl. Goffman, S. 220; Kertzer weist auch auf den Automatismus von Ritualen hin, der es ermöglicht, Gruppengeschlossenheit zu erzeugen, selbst wenn gemeinsame Überzeugungen schwächer werden, vgl. Kertzer, S. 72. 131 Besonders Initiationsriten, welche den Übergang in eine neue Rolle innerhalb der Gruppe markieren, können durch festgelegte Rituale Stabilität bieten, vgl. Kertzer, S. 24; ist diese Stabilität in Gefahr, werden besondere Anlässe immer bedeutender, und die Herausbildung von „Pseudo-Traditionen“ versucht dem entgegenzuwirken, was Hobsbawn/Ranger in ihrem Sammelband untersuchen, vgl. Hobsbawn, Eric/Ranger, Terence (Hrsg.): The Invention of Tradition, Cambridge, London, New York, New Rochelle, Melbourne, Sidney 1983; Cannadine bezieht dies am Beispiel der britischen Königsfamilie direkt auf den Hochadel, vgl. Cannadine, David: The Context, Performance and Meaning of Ritual: The British Monarchy and the „Invention of Tradition“, c. 1820-1977, in: Hobsbawn/Ranger, S. 101-164. 132 Grillmeyer macht dies am Beispiel des Hauses Thurn und Taxis nach der Mediatisierung deutlich: „Aus diesem Zusammenhang heraus wird deutlich, warum es so bedeutend war, dass Bedienstete das standesherrliche Wappen auf ihren Knöpfen tragen durften, dass ein Trauergeläut von einer viertel Stunde und Kirchengebet für die standesherrliche Familie möglich war, dass man auf den Briefbögen die frühere Titulatur führen und dass man viele als Nebensächlichkeiten erscheinende Privilegien für sich retten konnte.“, Grillmeyer, S. 235; zur Regelung der Verwendung von Wappen auf Briefpapier, Koffern und Wäsche
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Auch für die Wahrnehmung der Gruppe des Hochadels nach außen ist ein starker Umbruch erst zur Zeit des Nationalsozialismus feststellbar, während es dem Kleinadel bereits vor dieser Zeit nicht mehr gelang, die an seine Rolle gestellten Erwartungen zu erfüllen133. Heute ist der Adel in der allgemeinen Wahrnehmung nur noch in wenigen Bereichen präsent, so dass Elias selbst die noch regierenden Dynastien „zu den absterbenden gesellschaftlichen Figurationen unserer Tage“134 zählt. Lebensstile haben die Einteilung der Gesellschaft in Klassen abgelöst und fordern im Gegensatz zu diesen eine bewusste Entscheidung für die eine oder andere Identität: „Während ein einheitlicher Stil also auf Kosten der Wahlfreiheit Identität schafft, führt das Nebeneinander von Stilen zu Wahloptionen zwischen diesen, die allerdings mit einer Verflachung der Beziehung und einem Identitätsverlust erkauft werden.“135 Neben dem beschriebenen Einsatz von Dingen zur Herausbildung und Stabilisierung von (Gruppen-)Identitäten sind auch Gegenstände, die als Geschenke fungieren, aktive Elemente menschlicher Kommunikation136 . Abhängig vom Verhältnis des Schenkenden zum Empfangenden können Geschenke Beziehungen vertiefen und verdeutlichen. Ebenso können jedoch auch starke Unterschiede dieser Rollen und hierarchische Positionen durch eine Gabe ausgedrückt werden137. Geschenke lassen
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vgl. auch von Dissow, S. 133; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg nutzte bis zu ihrem Tod entsprechendes Briefpapier, vgl. Unterlagen aus dem Nachlass Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, unveröffentlichter Privatbesitz. Die Erwartungen müssen erfüllt werden, da es Außenstehenden sonst nicht mehr gelingt, die Gruppe als solche zu identifizieren, zum Teil müssen Rollen diesbezüglich angepasst werden, vgl. Goffman, S. 35 und S. 203; die Mitte des 20. Jahrhunderts starke Aufweichung sozialer Gruppen setzte sich seit den 50er Jahren durch gesteigerten allgemeinen Wohlstand, bessere Bildungsmöglichkeiten und größere biographische Wahlfreiheiten fort, vgl. Georg, Werner: Soziale Lage und Lebensstil. Eine Typologie, Opladen 1998, S. 18. Elias, Norbert: Die höfische Gesellschaft, Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, Darmstadt und Neuwied 1975 (Originalausgabe: 1969), S. 19. Georg, S. 59; „Mitglieder spezifischer Klassen konnten [dagegen, Anm. U.S.] aufgrund äußerer Zeichen mit großer Wahrscheinlichkeit richtig zugeordnet werden und richteten [...] ihre lebensweltliche Fremd- und Selbsteinschätzung entlang dieser alltagsästhetischen Zeichen aus.“, Georg, S. 11. Vgl. Shevchenko, S. 146. Geary beschreibt diese Bedeutung von Geschenken bereits für das Mittelalter: „Between equals or near-equals, cordial relationships were created and affirmed by the exchange of gifts. Between individuals or groups of differing status, the disparity of the exchanges both articulated and defined the direction and degree of subordination. Similarly, hostile relationships were characterized by violent seizures of property or persons under the control of an enemy. In both situations, the relationship of relative honor and status was at stake, and the property that changed hands functioned symbolically to affirm or deny that relationship.“, Geary, Patrick: Sacred commodities: the circulation of medieval relics, in: Appadurai, S. 173; vgl. auch Davis, S. 99.
220 | S AMMLUNGEN DES A DELS sowohl Mensch-Mensch- als auch Ding-Mensch-Bindungen entstehen oder festigen sie und nehmen damit Einfluss auf die Biographien von Menschen und Dingen138. Marshall/Gosden weisen darauf hin, dass in Melanesien Objekte als vom Menschen abgelöste, ihm aber dennoch zugehörige Teile angesehen werden, welche auch in großer Entfernung oder nach dem Tod der jeweiligen Person noch in der Lage sind, als dessen Repräsentanten oder Repräsentanten seiner Macht zu fungieren139 . Wenn auch diese Vorstellung in westlichen Gesellschaften keine Verankerung im öffentlichen Bewusstsein hat, ist sie dennoch auch für diese auf Geschenke übertragbar. So wird beispielsweise das Weiterverschenken, Zerstören oder Verstecken von Geschenken nahestehender Personen als diese kränkende Handlung empfunden, selbst wenn der entsprechende Akt im Geheimen ausgeführt wird oder die schenkende Person nicht mehr lebt. Diese der Gabe anhaftende Bindung an den Schenkenden erfährt durch eine erbrachte Gegengabe keine völlige Auflösung. Gabe und Gegengabe bilden stattdessen eine Einheit, welche menschliche Bindungen in der Regel vertieft, so dass selbst scheinbar uneigennützige Geschenke durchaus den Nutzen einer intensivierten Beziehung haben können140. Geschenke waren in der Welt des Adels innerhalb dieser Gruppe weit verbreitet und wurden ebenso von Außenstehenden als Mittel zur Überbrückung von Abgrenzungen eingesetzt. Shevchenkos auf das Buch bezogene Aussage ist auch auf Geschenke anderer Objektkategorien übertragbar: „Das Buch trat [...] als ein maßgebliches Kommunikationsmittel auf, das die Angehörigen der Fürstenfamilie in vielerlei Hinsicht mit den Gelehrten, den an der Buchherstellung beteiligten Bürgern [...] und den anderen Herrschern in Verbindung brachte. Es war ein Gegenstand von Beziehungen, in denen verschiedene Formen der Selbst- und Fremdwahrnehmung zutage traten. Freigebigkeit, Uneigennützigkeit, Dankbarkeit und Bescheidenheit waren die Haupttugenden, die mit Buchgeschenken und Dedikationen demonstriert wurden.“141
Für Angehörige des Hochadels agierten Geschenke – im von Goffman entworfenen Bild – als regelmäßig „auf der Bühne genutzte Requisiten“. Man kann Parallelen ziehen zwischen der von Davis beschriebenen Liberalitas der französischen Renaissance142 und der gegenüber Besuchern sowie Untergebenen zur Schau gestellten Haltung des Hochadels zu seinen Sammlungen. Die Idee adliger Freigebigkeit wird in der von Davis beschriebenen Hochzeit der Märchenfigur Mélusine deutlich:
138 Vgl. Marshall/Gosden, S. 173; für Davis ist das Schenken „ein wesentlicher Beziehungsmodus [...] mit seinen eigenen Regeln, seiner eigenen Sprache, seiner Etikette und seinen Gesten.“, Davis, S. 19. 139 „A person is ultimately composed of all the objects they have made and transacted and these objects represent the sum total of their agency. A person’s agency may then have effects at quite a considerable distance from the individual’s body and may continue to have effects after they are dead.“, Marshall/Gosden, S. 173. 140 Diese von Davis beschriebene Möglichkeit hat noch heute ihre Gültigkeit, Davis, S. 36. 141 Shevchenko, S. 201. 142 Vgl. Davis, S. 26ff.
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„Die Gäste bei der zwei Wochen dauernden Hochzeit von Mélusine und Raimondin waren ständig ‚erstaunt‘ und ‚verwundert‘ über den Überfluss an Speisen, über die schönen Zelte, in denen sie Herberge fanden, über die köstlichen Gaben und Kleinode [...], die Mélusine jedem von ihnen überreichte.“143
Hochzeitsfeiern des Hochadels eigne(te)n sich auch im 20. und 21. Jahrhundert zum Hervorrufen von Staunen und Bewunderung144 , wenn auch stärker die Geschenke im Vordergrund standen, welche das Paar geschenkt bekam, als diejenigen, welche durch das Adelshaus verteilt wurden145. Geschenke zur Vermählung Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (damals von Preußen) mit Ernst August (III.) von Hannover verdeutlichen verschiedene Wertebenen solcher Gegenstände je nach Verhältnis von Schenkendem und Beschenkten sowie im zeitlichen Verlauf: 1913 wurden Schmuckstücke und Möbel durch Vertreter der europäischen Adelshäuser als Zeichen gleichwertiger Anerkennung verschenkt. Als Symbole der Ehrerbietung wurden kunsthandwerkliche Objekte von Städten, Gemeinden und Berufsständen überreicht146 . Bis zu ihrem Tod waren einige dieser Dinge noch immer im Besitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg und wurden von ihr genutzt. Eine zur Hochzeit erhaltene Vase vererbte sie schließlich – sozusagen als letzte Dankes-
143 Davis, S. 29. 144 Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg beschreibt ausführlich ihre eigene Hochzeit, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 91ff; besonders beschrieben wird der so genannte „Fackeltanz“: „Der Anblick, den die Tanzgruppe bot, bei der ich vom König von England und vom Kaiser von Russland geführt wurde, hat die Anwesenden besonders fasziniert.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 102; über 1 Mio. Besucher kamen zu diesem Zweck nach Berlin, vgl. Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 98; Former spricht außerdem davon, dass „Auf familiärer Ebene [...] sich das Abendland noch einmal zu einer solchen spontanen Demonstration der Gemeinschaft emporraffen [konnte] mit all seiner farbensprühender Pracht und dem Zauber seines mannigfaltigen Zeremoniells längst vergangener Tage“, Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 97. 145 Davis erwähnt für die Renaissance Gold und Silber, das in die Menge geworfen wurde, Davis, S. 30; die Hochzeitsfeierlichkeiten Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg mit Ernst August (III.) von Hannover begannen dagegen mit dem Empfang der Deputationen und der Entgegennahme der Geschenke, vgl. Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 100. 146 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 95f; bereits in der Renaissance überreichten Städte neuen Beamten Geschenke, vgl. Davis S. 125; die Wertschätzung solcher Geschenke auch durch die Braunschweigischen Herzöge geht daraus hervor, dass beispielsweise ein Glasservice, welches die Republik Venedig Anton Ulrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel geschenkt hatte, noch Jahrzehnte später im Schloss Salzdahlum bewundert wurde, vgl. Luckhardt, Jochen: Malerei und Divertissement. Reisen Herzog Anton Ulrichs und seiner Familie nach Venedig, Braunschweig 2002, S. 10.
222 | S AMMLUNGEN DES A DELS gabe – einer Dame aus ihrem Bekanntenkreis, welche ihr im Alter eine große Stütze gewesen war147. Auch unabhängig von Hochzeiten lösten Geschenke vergleichbare bewundernde Empfindungen des Erstaunens aus. Diese greift die Hofdame Gräfin Keller in ihren Memoiren auf und erwähnt darüber hinaus zahlreiche Begebenheiten, in welchen Geschenke eine Rolle spielten148 . Auch Consuelo von Marlborough unterstreicht in ihrer Erzählung über das Abhandenkommen eines Schals, dass dieser ein Geschenk der englischen Königin an eine ihr bekannte adlige Dame gewesen sei149. Von Rohr weist darüber hinaus auf die Geschenkefülle am Königshof in Hannover hin: „Im 19. Jahrhundert wuchs die Zahl der Anspruchsberechtigten von Silbergeschenken, bei den Patenschaften etwa für den 10. oder 7. Sohn eines Untertanen und für Kinder von Beamten, zu Dienstjubiläen [...]“150 Eine ebenfalls den Status des Beschenkten erhöhende Funktion hatten Geschenke der Anerkennung, welche ein Herrscher einem Bediensteten im Zusammenhang mit dessen Position im Staatsgefüge überreichte151 . Diese Geschenke hatten sowohl einen materiellen als auch einen ideellen Wert für Hofbedienstete, deren Einkommen für eine den zahlreichen Anlässen angemessene Garderobe sowie zugehörigen Schmuck nicht ausreichte152 . Ein durch das Kaiserpaar überreichtes Schmuckstück vergrößerte beispielsweise nicht nur die zur Verfügung stehende Auswahl, sondern konnte als Zeichen der Verbundenheit auch immer wieder getragen werden, ohne den Eindruck einer bescheiden bestückten Garderobe zu 147 Dies geht aus persönlicher Korrespondenz hervor, in der sie beispielsweise eine Uhr erwähnt, die sie zur Hochzeit bekommen hatte und welche in der Villa Weinberg (Gmunden) genutzt wurde, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 8. August 1960, unveröffentlichter Privatbesitz; in ihrem Testament vermacht sie eine Vase, die dort als Hochzeitsgeschenk bezeichnet wird, an eine Dame aus ihrem Freundes-/Bekanntenkreis in Braunschweig, Amtsgericht Braunschweig: Schreiben vom 22. Dezember 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. 148 Beim so genannten „Ordensfest“ im Januar 1889 überreichte Auguste Viktoria von Preußen an Bedienstete der unteren Dienstgrade Broschen, wobei ihre Erscheinung mit Krone und Festgewand als „unendlich eindrucksvoll“ beschrieben wird, von Keller, S. 96; im Zusammenhang mit dem Geburtstag Wilhelms (II.) von Preußen erwähnt sie dessen Großzügigkeit und die Geschenke, die er verteilte (sie selbst erhielt ein Armband), von Keller, S. 127; auf dem Weg ins Exil in den Niederlanden nahm Auguste Viktoria von Preußen Geschenkekisten mit, von Keller, S. 343; auch Weihnachtsgeschenke an die Bediensteten sind mehrfach Thema, von Keller, S. 93 und S. 359. 149 Von Marlborough, S. 112. 150 Weltkunst 03/1999: Rohr, Alheidis von: „centnerschwer“. Silber des hannoverschen Hofes, S. 470. 151 Beispielsweise erhielt der Staatsminister der Finanzen (zugleich Ministerpräsident) des Königreichs Hannover, Eduard Graf von Kielmannsegg, zu seiner Verabschiedung 1862 von Georg (V.) König von Hannover Herzog von Cumberland und Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland einen silbernen und teilvergoldeten neunarmigen Tafelleuchter mit beschriftetem Wappenschild sowie dem Niedersachsenross überreicht, vgl. Jedding, Hermann: Höfische und bürgerliche Tischkultur, in: Katalog zur 20. Kunst- und Antiquitätenmesse Herrenhausen, Hannover 1988, S. 21. 152 Vgl. Wienfort 2006, S. 138; vgl. auch Davis, S. 81.
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vermitteln. Eine besondere Rolle spielte zudem die Verleihung von Orden, welche unter Adligen Zeichen der Anerkennung, eine Art soziale „Beförderung“ sowie Auszeichnung sein konnten. Beispielsweise erhielt Ernst August Herzog von Cumberland Kronprinz von Hannover Prinz von Großbritannien und Irland Herzog zu Braunschweig und Lüneburg durch die kaiserliche Familie, kurz vor der Hochzeit seines Sohnes mit Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg (damals noch von Preußen), den Schwarzen-Adler-Orden verliehen, während seiner Frau Thyra Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg Prinzessin von Dänemark Prinzessin von Großbritannien und Irland Prinzessin von Hannover und Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg der Luisen-Orden überreicht wurde153. Neben den Geschenken adliger Personen in Machtpositionen an ihre Untergebenen waren auch die Gaben der Bevölkerung an ihre Herrscher vielfältig. Huldigungsgeschenke an den/die Herrscher, welche zum Beginn einer Regentschaft, aber auch – wie beschrieben – zu Hochzeiten, Taufen und anderen Feierlichkeiten verehrt wurden, bilden darunter eine eigene Kategorie der Gabe, welche festen Regeln unterworfen war154. Es handelte sich um eine Geste der Untertänigkeit, die nicht nur erwartet wurde, sondern verpflichtend war und aus welcher keine direkte Gegengabe resultierte. Die Geschenke waren Stellvertreter für die Herrschaftsbereiche155 . Sie bestanden häufig aus Silber oder Gold und dienten neben temporären Repräsentationszwecken auch der Vergrößerung der Silberkammer, durchaus mit dem Zweck des Einschmelzens zum Geldgewinn156. Wenn auch diese Geschenke, ebenso wie andere, die Bindung der Untertanen zu den Regenten festigten, wurde dennoch keine enge DingMensch-Bindung des Beschenkten zum jeweiligen Objekt erwartet 157. Zu den Gaben der Bevölkerung gehörte auch die Ausrichtung eines festlichen Einzuges in die jeweilige Stadt beim Antritt eines neuen Regenten. Ein solcher bestand aus der geschmückten Route sowie weiterem Festschmuck und kleineren Ver-
153 Former beschreibt dies zudem als politische Handlung, vgl. Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 96; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 88. 154 Vgl. dazu ausführlich Seelig, Lorenz: Huldigungspräsente, in: Kulturstiftung der Länder. Patrimonia 350: Huldigungspräsente der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg. Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, Bomann-Museum Celle, Braunschweig 2010, S. 12-36. 155 Vgl. Schmieglitz-Otten, Juliane: Die Welfischen Huldigungspräsente aus der Celler Residenz als Zeugnisse des Aufstiegs des Neuen Hauses Lüneburg, in: Kulturstiftung der Länder. Patrimonia 350, S. 94. 156 „Derartige Silbergeschenke konnten als großformatige Ausstattungselemente in der fürstlichen Residenz zur Geltung gelangen und gleichzeitig materiell zur Bereicherung der Silberkammer beitragen.“, Seelig: Huldigungspräsente, S. 17; vgl. Schmieglitz-Otten, S. 85. 157 Eine solche war jedoch auch nicht auszuschließen, da es durchaus zum Gebrauch der Objekte kommen konnte. Vor allem seit Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts waren diese immer häufiger auch Gebrauchsgegenstände wie Leuchter, Wasch- und Konfektschalen etc., vgl. Seelig: Huldigungspräsente, S. 17f.
224 | S AMMLUNGEN DES A DELS anstaltungen (wie singenden Chören und sich vorstellenden Vereinen)158. Auf diese folgten nicht selten kleinere Gegengaben159 , welche ebenfalls, in Form von persönlichen Geschenken, in besonderen Fällen vergeben wurden. Beispielsweise erhielt ein Junge nach dem Einzug zum Amtsantritt Ernst Augusts (III.) von Hannover und Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg in Lüneburg eine Taschenuhr als Dank für sein Engagement: er hatte das vom zuständigen Priester an diesem Tag vergessene Glockenläuten übernommen und sich dabei ein Bein gebrochen160. Abbildung 5: Taschenuhr mit Inschrift, Geschenk Ernst Augusts (III.) von Hannover an einen Jungen, 1913
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Gegengaben waren fester Bestandteil des in Form von Dingen praktizierten Austauschs zwischen Regenten und Bevölkerung. Aufgrund der erwarteten Gegengaben (häufig in Form von Geld) musste Wilhelm (I.) König von Preußen und Deutscher Kaiser die an ihn gerichteten Geschenke aus der Bevölkerung im Laufe seiner Regierungszeit einschränken, da sie zu große Ausgaben verursachten161. Er erhielt jedoch 158 Feierliche Einzüge hatte es auch zur Zeit des französischen Absolutismus gegeben, vgl. Davis, S. 134f; vgl. auch Burke, S. 31; und sie waren auch noch Anfang des 20. Jahrhundert üblich, vgl. Broschüre Braunschweig o.J.: Zur Erinnerung an den Einzug des Herzogspaares Ernst August Victoria Luise in Braunschweig am 3. November 1913, herausgegeben von Gallun & Rummert, Braunschweig o.J. [1913]. 159 Diese konnten im Ancien Régime von Begnadigungen Gefangener zu Steuererleichterungen reichen, vgl. Davis, S. 136. 160 Die Uhr trägt auf der Rückseite die Gravur „Zur Erinnerung an den Einzugstag 3. November 1913“ und zeigt vorne die in einen Kreis eingeschriebenen und bekrönten Initialen „EAVL“, der Grund der Gabe ist in einem Brief an den Vater des Jungen festgehalten, Brief Kabinett des Herzogs: Brief Kabinett Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs, 23. Dezember 1913, unveröffentlichter Privatbesitz. 161 Giloi, Eva: Durch die Kornblume gesagt: Reliquien-Geschenke als Indikator für die öffentliche Rolle Kaiser Wilhelms I., in: Biskup/Kohlrausch, S. 97.
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weiterhin persönliche Geschenke zur Erinnerung an seine Ahnen. Derartige Gegenstände, aus dem Besitz bereits verstorbener Angehöriger, waren über mehrere Verkäufe in die Hand von Bürgern gekommen und kehrten so in den Besitz der Kaiserfamilie zurück162. Insgesamt festigten Geschenke zwischen Herrschern und Bevölkerung deren Beziehung und die Anerkennung der Herrschaftsverhältnisse163. Die ebenbürtigen Gaben Adliger an andere Adlige – wie beispielsweise in Form von Gastfreundschaft – haben darüber hinaus ebensolange Tradition wie das karitative Verschenken, das sich im Adel auch auf die Vorstellung der von Gott gegebenen Macht beruft, die eine Gabenverteilung an die Untergebenen beinhaltete164. Neben dem Schenken führt der Handel (Tausch, Kauf und Verkauf) zur Mobilität von Dingen, welche gleichzeitig zum Bindeglied zwischen Menschen werden und Symbolfunktionen übernehmen165. Wesentlicher Unterschied zwischen Geschenken und Handel ist das Ermessen des Empfängers hinsichtlich eines genauen Wertes und dem Zeitpunkt der Gegengabe166. Zudem bleibt der Handelsakt auf ebendiesen beschränkt, wohingegen der Geschenkewechsel die Option unendlicher Weiterführung bietet167 und damit auch die Beziehung der involvierten Personen um diese Zeit verlängert168. 162 Giloi, S. 106. 163 Diese Verbindung konnte auch nach dem Ende dieses Verhältnisses weiter bestehen und durch Geschenke bekräftigt werden. Beispielsweise überreichten welfentreue Hannoveraner 1903 zur Silberhochzeit der im österreichischen Exil lebenden Nachkommen der Könige von Hannover (Ernst August von Cumberland und Thyra von Dänemark) einen silbernen Tafelaufsatz, der durch Aufschriften darauf hinwies, dass man in ihnen die rechtmäßigen Nachfolger auf dem hannoverschen und braunschweigischen Thron sah, vgl. Steckhahn, S. 87. 164 Von Davis als vertikale Geschenkevergabe bezeichnet, Davis, S. 171; von Keller berichtet über Nähabende Auguste Viktorias von Preußen mit ihren Hofdamen zur Herstellung von Weihnachtsgeschenken für arme Kinder, von Keller, S. 37; auch im niederländischen Exil waren an Weihnachten und zum Geburtstag des Kaisers Geschenke für arme Familien Teil des höfischen Lebens, vgl. Toom, Friedhild den/Coene, Steven: „Der Kaiser muss weg“. Wilhelms II. letzter Lebensabschnitt in den Niederlanden, in: Sehens Werte 4/2008, S. 57; Weihnachtspakete erwähnt auch Consuelo von Marlborough, und in England war zudem die Tradition, Arme und Kranke zu pflegen, beim Adel besonders stark ausgeprägt, vgl. von Marlborough, S. 107, S. 143; vgl. auch Sinclair, S. 18 und S. 21. 165 „Als Produzent von Gegenständen und Werkzeugen, im durch seine Bedürfnisse bestimmten Tausch und in der Organisation eines Zirkulationsnetzes, das das durchläuft, was er konsumieren kann und worin er sich als ein Relais definiert findet, erscheint [der Mensch] in seiner Existenz unmittelbar mit den anderen verflochten. Und da er eine Sprache hat, kann er sich schließlich ein ganzes Universum aus Symbolen bilden, innerhalb dessen er Beziehung zu seiner Vergangenheit, zu den Dingen, zu anderen Menschen hat [...]“, Foucault, S. 421. 166 Vgl. Davis, S. 96. 167 Vgl. Davis, S. 96. 168 „Commodities are supposed to be alienable, so that they can be transacted without leaving any lasting relationship between giver and receiver. By contrast, gifts always
226 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ausgehend von einer Biographie der Dinge kann nach dessen Potential sowohl als Geschenk sowie auch als Handelsobjekt gefragt werden, wobei es in beiden Fällen als Teil menschlichen Sozialverhaltens bewertbar wird. Für das Potential Handelsgut zu sein, unterscheidet Appadurai drei Stufen, welche deutlich machen, dass Dinge nicht vom Zeitpunkt der Entstehung an Waren sind, sondern an verschiedenen Punkten ihrer Biographien zu solchen werden können: „(1) the commodity phase of the social life of any thing; (2) the commodity candidacy of any thing; and (3) the commodity context in which any thing may be placed.“169 Nur ein Zusammenspiel verschiedener Gründe (rituell, religiös, ästhetisch) führt zur völligen Herausnahme einzelner Objekte aus dem Handel170, und die Eigenschaft, in einer biographischen Phase zu einem gehandelten Objekt zu werden, legt daher keinen dem Ding unverrückbar zugehörigen (weder materiellen noch anderweitigen) Wert fest171. Ebenso wenig wird die grundsätzliche Möglichkeit des Entstehens von Bindungen – sowohl an das Ding selbst als auch zwischen den beteiligten Menschen – durch den Warenstatus eines Objekts eingeschränkt. Die oben erwähnten Geschenke des Hochadels an seine Bediensteten, die auch als Ergänzung des Gehalts verstanden werden können, haben bereits verdeutlicht, dass die Kategorien des Ding-Austauschs zwischen Menschen nicht auf Geschenk und Handel beschränkt bleiben, sondern ebenso Zwischenstufen festgestellt werden können. Beispielhaft für eine solche sind auch die als Zahlungsmittel verwendeten Muscheln Papua Neuguineas, die heute neben einer GeldWährung bestehen, aber wesentlich komplexere Auswirkungen auf zwischenmenschliche Bindungen haben und damit ebenfalls zwischen Geschenk und Geld anzusiedeln sind172. Die Bewertung von Handelsgütern ist schwankend und Moden unterworfen173 , welche der Hochadel über Jahrhunderte hinweg – nicht zuletzt durch die Singularisation von Objekten – maßgeblich mitbestimmte. Der Verlust von Regierungsmacht und führender sozialer Stellung machte es nach 1918 unmöglich, weiterhin bestimmend auf den Markt einzuwirken, was jedoch nicht dazu führte, dass der Adel sich den neuen Moden und Wertigkeiten anpasste. Während der Kleinadel gezwungen war, einen „Kargheitskult“174 als Methode sozialer Abgrenzung zu etablieren, konnte der Hochadel zu diesem Zweck weiterhin auf einen Teil seines Besitzes zurückgrei-
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maintain some link to the person or people who first made them and the people who have subsequently transacted them.“, Marshall/Gosden, S. 173; vgl. auch Appadurai, der jedoch darauf hinweist, dass die Gegensätze dieser Arten des Ding-Austauschs nicht überbewertet werden sollten, Appadurai: Introduction, S. 11f. Appadurai: Introduction, S. 13. Vgl. Appaduari: Introduction, S. 23. „Es gibt also keinen genauen Preis: nichts in einer beliebigen Ware zeigt durch irgendein immanentes Merkmal die Geldmenge an, durch die man sie bezahlen muss.“, Foucault, S. 233; vgl. auch Appadurai: Introduction, S. 14. Vgl. Appadurai: Introduction, S. 19ff; die Bildung derartiger Zwischenstufen ist typisch für politische Eliten, vgl. Appadurai: Introduction, S. 33; dass der Hochadel diese Art der Geschenkevergabe noch immer praktizierte, ist ein weiterer Hinweis darauf, dass er sich auch nach dem Verlust der politischen Macht als Elite betrachtete. Vgl. Appaduari: Introduction, S. 25. Vgl. Malinowski 2003, S. 90ff.
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fen. Doch auch für den Hochadel stand diesbezüglich nicht die ausschließliche Demonstration von Reichtum im Vordergrund. Der Besitz entsprechender Dinge wurde stattdessen als Teil einer gesellschaftlichen Stellung betrachtet, welche wiederum als von Geburt und/oder von Gott gegeben verstanden wurde175 . Georg weist darauf hin, dass Reichtum selbst nicht sichtbar ist und daher symbolisch dargestellt werden muss176 . Dies bedeutet/e für den Hochadel auch nach 1918 die Möglichkeit, sich weiterhin als privilegierte Gruppe zu präsentieren. Singularisation und Müßiggang waren als Methoden der Abgrenzung, wie oben beschrieben, immer schwerer zu praktizieren. Der Gebrauch materiell hoch bewerteter Objekte blieb jedoch weiterhin möglich und konnte durch die Umwandlung solcher Dinge zu Handelsgütern in seiner Aussage noch gesteigert werden177 . Gebrauch und Verkauf von Dingen können sich damit in ihrer Wirkung nach außen (auf andere Gruppen) ähneln, Hintergrund und interne Auswirkungen für die eigene Gruppe sind jedoch in beiden Fällen zu unterscheiden178 . Als Gebrauchsgüter sind Dinge eng mit dem Alltag der jeweiligen Personen verknüpft und können auch durch die entstehenden Ding-Mensch-Bindungen zur Identitätsbildung beitragen. Im Sinne der Schutzvorschriften des kulturellen Erbes muss eine solche Behandlung, streng betrachtet, als Missachtung von Bedeutung verstanden werden, da Nutzung immer auch Abnutzung mit sich bringt. In Hinblick auf die Bedeutung der Dinge kann ein im Gebrauch realisierter Nutzen das Entstehen von Bedeutung jedoch unterstützen: „Consumption is the phase of the cycle in which goods become attached to personal referents, when they cease to be neutral ‚goods‘, which could be owned by anybody and identified with anybody, and become attributes of some individual personality, badges of identity, and signifiers of specific interpersonal relationships and obligations.“179
Werden dagegen bisher dem Markt entzogene Dinge (sowohl Gebrauchsgüter als auch dem Markt aus Gründen der Singularisation entzogene Objekte180 ) wieder in den Handel eingebracht, ist dies ein Zeichen für sich lösende oder bereits gelöste 175 Vgl. Malinowski 2003, S. 108. 176 Georg, S. 54. 177 Georg zählt den demonstrativen Konsum, „insbesondere in den Konsumbereichen, die auf eine öffentliche Darstellung abzielen, wie etwa Kleidung, Essen, Trinken und Möblierung“ zu den Möglichkeiten, auf eine soziale Stellung zu verweisen, Georg, S. 55; dies gilt auch für den Adel, der allerdings aufgrund seiner Verweigerung modischer Werte auf den Konsum für ihn traditionell hoch bewerteter Dinge zurückgriff. 178 „What distinguishes consumption from exchange is not that consumption has a physiological dimension that exchange lacks, but that consumption involves the incorporation of the consumed item into the personal and social identity of the consumer.“, Gell, Alfred: Newcomers to the world of goods: consumption among the Muria Gonds, in: Appadurai, S.112. 179 Gell, S. 113. 180 Pomian weist darauf hin, dass hoch bewertete – singularisierte – Objekte häufig gerade zum Zweck des Erwerbs von Gebrauchsobjekten in den Kreislauf ökonomischer Aktivitäten zurückgegeben werden, Pomian 1998, S. 43.
228 | S AMMLUNGEN DES A DELS Bindungen, welche häufig im Zusammenhang mit einer gesellschaftlichen Umbruchsituation zu betrachten sind181 : „The diversion of commodities from specified paths is always a sign of creativity or crisis, whether aesthetic or economic. Such crises may take a variety of forms: economic hardship, in all manner of societies, drives families to part with their heirlooms, antiques, and memorabilia to commodize them.“182
Während sowohl für den Adel als auch für andere Gruppen nach 1918 der Verlust von Besitzteilen des Hochadels an die neuen Staaten als Folge der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen nachvollziehbar war, ist eine Rückführung der Güterwelt bisher entzogener Objektgruppen in den Handel für andere Gruppen heute unverständlich und wird in der Regel kritisiert183. Es ist allerdings davon auszugehen, dass gerade in diesem Fall eine Lockerung der Bindungen oder/und ein Verlust der Gebrauchsfunktionen von Dingen bereits vor der Veräußerung stattgefunden hat. Die Auflösung von Bindungen zu Gebrauchsgütern, die nicht mehr genutzt werden, da sie veraltet, doppelt vorhanden oder beschädigt sind, ist eine übliche Entwicklung. Auch die Bindung zu Dingen mit Symbolwirkung verändert sich, sobald die symbolische Ebene nicht mehr verständlich oder die Aussage nicht mehr gewünscht ist. Semiophoren verlieren ihre Fähigkeit, das Unsichtbare zu repräsentieren, wenn sie nicht mehr betrachtet werden können184 . Die derart veränderte Rolle der entsprechenden Dinge im Sozialverhalten des Abgebenden ist als Prozess zu betrachten, welcher im Verschenken, Verkaufen oder einer Zerstörung zum Abschluss kommt. Da das System des Schenkens, wie oben beschrieben, innerhalb des Sozialverhaltens des Adels traditionelle Aspekte beinhaltet und der Verkauf zugleich die Funktion der indirekten Zurschaustellung von Status haben kann, hat dieser im hier festgestellten Prozess für den Adel einen höheren Stellenwert. Die – bewusste und unbewusste – Zerstörung von Objekten ist ein wenig untersuchtes Thema, zu dessen Erforschung Gamboni185 für den Bereich der Kunst einen wichtigen Beitrag leistet. Besonders die zur Zerstörung führende Vernachlässigung von Dingen bildet in diesem Zusammenhang ein weiteres potentielles Untersuchungsfeld. 181 Appadurai: Introduction, S. 26; gleichzeitig bedeutet die Bewahrung nach einem solchen Umbruch in der Regel eine Modifikation des Nutzens dieser Objekte, vgl. Gamboni, S. 221; dies wurde bereits am veränderten Nutzen der Ausstattungsgegenstände als Mittel sozialen Verhaltens für den Adel deutlich. 182 Appadurai: Introduction, S. 26. 183 Vgl. Appadurai: Introduction, S. 27. 184 Wie oben bereits erwähnt, haben beispielsweise in Abstellräumen gelagerte Objekte ihre Bedeutung als Vermittler nicht verloren, jedoch können sie ihre Rolle in diesem Fall nicht ausüben: „[...] sie [können] die Kommunikatioin zwischen den zwei Welten nur dann aufrechterhalten [...], wenn sie dem Blick der Bewohner der jeweils anderen Welt ausgesetzt werden. Nur wenn sie diese Bedingungen erfüllen, werden sie Vermittler zwischen denen, die sie betrachten, und der Welt, die sie repräsentieren.“, Pomian 1998, S. 43. 185 Vgl. Gamboni; vgl. auch Sax 1999.
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Im Zusammenhang mit der Zerstörung von Dingen ist die oben beschriebene Sonderstellung der Kunst wesentlich, denn „[b]ei Etikettierungen wie ‚Kunstwerk‘, ‚Bild‘, ‚Denkmal‘ oder ‚Kulturgut‘ müssen wir aufmerken, [...] die Gewährung oder die Verweigerung eines dieser Etiketten [ist] eine wichtige Argumentationsgrundlage, insbesondere, wenn es darum geht, Schutz zu gewähren und zu verweigern sowie bei der positiven oder negativen Einschätzung von Zerstörungen.“186
Es ist jedoch wichtig zu bemerken, dass diese Beurteilungen hauptsächlich von Außenstehenden gefällt werden, denn auch wenn Kunstobjekten ein Grundwert zugesprochen wird, bedeutet dies nicht, dass zu diesen in jedem Fall enge Bindungen entstehen und Abgaben oder Zerstörungen von den Eigentümern ausgeschlossen werden. Für den Adel war die Zerstörung von Gegenständen aus Metall, in Form des Einschmelzens zur Herstellung von Münzen oder Waffen, ein seit jeher gängiges Verhalten187. Objektabgaben sowie -zerstörungen wird, selbst in größeren Mengen, zu Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche größere Akzeptanz entgegengebracht. Zerstörungen von Objekten überkommener Regimes werden darüber hinaus in der öffentlichen Wahrnehmung oft gut geheißen. In Kapitel 2.1 wurde deutlich, dass die Idee des kulturellen Erbes und dessen Erhaltung aus einer solchen Situation heraus – nämlich der Französischen Revolution – weiterentwickelt wurde, doch gerade durch das Ausschließen von Zerstörung ist es bis heute problematisch, mit Zeichen vergangener Herrschaft umzugehen (Gamboni macht dies ausführlich am Beispiel der Kunst des Kommunismus deutlich188). Es ist zu beobachten, dass zum Bereich der Kunst gezählte Dinge in diesen Situationen seltener zerstört werden als solche, die nicht in diese Kategorie fallen: während das Verhalten gegenüber Kunstobjekten von dem Wunsch geprägt ist, diese öffentlich zugänglich zu machen, wird eine Bewahrung anderer Dinge im privaten Rahmen selten bewusst vorgenommen, selbst wenn es sich bei diesen um historische Zeugnisse handelt189. Im Falle von Gebrauchsobjekten – wie beispielsweise Ausstattungsgegenständen der von den neuen Staaten nach 1918 186 Gamboni, S. 11. 187 Pomian erwähnt beispielsweise das Einschmelzen von Geschirr durch Karl (V.) König von Frankreich sowie den Verkauf von Objekten durch denselben, vgl. Pomian 1998, S. 34. 188 „Die Frage, was mit den beweglichen Kunstobjekten der kommunistischen Staaten und Organisationen geschehen sollte (zerstören, verkaufen, einlagern, erforschen, ausstellen), wurde heftig diskutiert, insbesondere in Deutschland. Niemand aber scheint ernsthaft für Zerstörung plädiert zu haben; und zu größeren Zerstörungsaktionen von Gemälden oder Skulpturen in Museen kam es nicht. Was die vielen historischen Museen und Ausstellungen betraf, die früher die offizielle Sicht der Vergangenheit dargestellt hatten und sie jetzt dokumentierten, so wurden die meisten geschlossen und aufgelöst oder an neue Legitimierungszwecke angepasst.“, Gamboni, S. 72. 189 Vgl. Gamboni, S. 58 und 92ff; vgl. auch die in Kapitel 2.1 festgestellte Tendenz, kunsthistorisch hoch bewertete Einzelobjekte rechtlich als Teile des kulturellen Erbes zu schützen, während Sachgesamtheiten, deren Wert in ebendieser Zusammenstellung besteht, seltener in den Schutzbereich fallen.
230 | S AMMLUNGEN DES A DELS übernommenen Residenzen – ist eine Weiter- oder Umnutzung üblich, was die Grenzen zwischen den beteiligten Gruppen aufweichen lässt. Kommt es jedoch zu einer abwertenden Umnutzung oder einem nur herausgezögerten Verkauf/einer herausgezögerten Zerstörung durch die neuen Machthaber, stabilisieren sich diese erneut. Bewusste Beschädigungen sind in der Regel als Zeichen der Abgrenzung zu bewerten, welche häufig künstlerische Inhalte betreffen, von welchen der Zerstörende aus politischen, religiösen oder ästhetischen Gründen Abstand nehmen möchte190 . Doch auch das Gegenteil – nämlich eine scheinbar unüberwindliche Grenze, die ein Gefühl des Ausgeschlossenseins verursacht – kann durch Objekte symbolisiert werden und zu deren Zerstörung führen. Diese wird als letzter Ausweg angesehen, diesem Gefühl zu entrinnen191 . Obwohl derartige Gründe der Zerstörung vor allem im Bereich der zeitgenössischen Kunst untersucht werden, ist der Hintergrund der entstehenden Aggression mit der weit verbreiteten kritischen Haltung gegenüber dem Adel und seinem Besitz vergleichbar: der auf ästhetische und intellektuelle Belange reduzierte Nutzen von Kunst, der Gebrauch von dem Markt entzogenen Objekten und das plötzliche Einbringen derselben in eine Handelssitution symbolisieren ökonomische Unabhängigkeit und damit eine soziale Stellung, von welcher sich große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen fühlen192 . Beim Verkauf großer Mengen von Objekten durch den Hochadel führt dies daher nicht ausschließlich aufgrund der ihm fälschlicherweise zugeschriebenen Rolle als Kulturbewahrer zu Kritik. Er wird außerdem kritisiert, weil die Rückführung großer Mengen dem Markt für lange Zeit entzogener Objekte generell Unsicherheit auslöst. Und schließlich führt der Adel demjenigen, der keinen Zugriff auf ähnlich bewertete Objekte hat, ebendiesen Mangel vor Augen und grenzt sich damit erneut als soziale Gruppe von anderen ab. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass für den Adel, welcher als Gruppe auf Abgrenzung angewiesen ist, Dinge für die Kommunikation – innerhalb derselben sowie nach außen – eine große Rolle spielen. Als Beispiel können diesbezüglich Wappen genannt werden, die noch heute gleichzeitig als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer adligen Familie sowie als Abgrenzung zu Nicht-Adligen genutzt werden193 . Die zur Herausbildung adliger Identität eingesetzten Dinge haben damit noch immer Bedeutung als Mittel sozialen Verhaltens. Verkäufe von ehemals im Bereich des Sozialverhaltens genutzten Objekten verdeutlichen, dass dieser Einsatz einer ständigen Entwicklung unterworfen ist. Die Übernahme von Residenzen durch die neuen Staaten 1918, deren Umgestaltung zu Orten der eigenen Verwaltung und der teilweise Verkauf von Inventar durch diesselben führten zwar zu Umbewertungen der jeweiligen Objekte, deren Bedeutung kann jedoch noch immer nachvollzogen werden.
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Vgl. Gamboni, S. 152ff. Vgl. Gamboni, S. 187. Vgl. auch Gamboni, S. 188 und S. 191. Die Bedeutung von Wappen und ähnlichen Symbolen betont auch de Saint Martin, S. 91.
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3.1.3 Erinnerungskultur Neben der Bedeutung, welche Dingen im Besitz des Adels als Mittel des sozialen Verhaltens in der jeweiligen Gegenwart zukommt, ermöglichen Dinge auch das Aufrechterhalten von Bezügen zur Vergangenheit. Sie fungieren in Form von Souvenirs und Memorabilia als Unterstützung der Erinnerung an Situationen, an Orte oder Personen und können diesbezüglich Stellvertreterfunktionen einnehmen. Während mit dem Begriff des Souvenirs vor allem eine persönliche Erinnerung verbunden ist, spielen Gegenstände ebenso eine große Rolle in der Herausbildung von Gruppengedächtnissen und sind auf der größten gemeinsamen Ebene für die Bildung eines historischen Gedächtnisses unverzichtbar. Dinge, die von einem bestimmten Ort oder aus einer bestimmten Zeit bewahrt werden, entwickeln sich damit zu Zeichen der Signifikanz ebendieses Ortes oder dieser Zeit. Dinge der Erinnerung lösen Emotionen aus und es entstehen Bindungen zwischen dem jeweiligen Ding und dem sich erinnernden Menschen, welche nicht selten durch Berührung und/oder Gebrauch verstärkt werden können und zur Übernahme von Verantwortung für dieses führen194. Nicht selten übersteigen Erhaltungsdauer und dem Erinnerungsobjekt zugewandte Aufmerksamkeit daher das der erdachten Idealbiographie des jeweiligen Dings angemessene Maß195. Die als Zeichen- und Erinnerungsträger fungierenden Gegenstände können sowohl bisherige Gebrauchsfunktionen weiterhin erfüllen als auch, ihrem vorherigen Nutzen entfremdet, allein zu diesem Zweck bewahrt werden. Erinnerung bietet Einzelpersonen und Gruppen Orientierung, unterstützt Handlungsmotivationen und die Herausbildung von Identität196 . Besonders die Dinge, die einen Menschen tagtäglich umgeben, erleichtern das Erinnern an Begebenheiten der eigenen Vergangenheit und an die Menschen, welche in dieser eine Rolle gespielt haben197. Grundsätzlich kann jedoch jeder Gegenstand zum Erinnerungsträger werden198 oder sogar die – Identität stiftende – Funktion eines Stellvertreters des Selbst
194 Vgl. Kämpf-Jansen, Helga: Ein oder zwei Dinge, die ich von ihr weiß oder: Wer war Ursel P.?, in: Ecker/Scholz, S. 268; vgl. Raz, S. 20f. 195 Bei einem Verlust dieser Funktion werden die Dinge erneut ihrer Idealbiographie entsprechend behandelt und daher nicht selten aufgrund ihrer Abnutzung in die Kategorie des Abfalls übergeben, Oesterle, Günter: Souvenir und Andenken, in: Ausstellungskatalog Frankfurt: Der Souvenir. Erinnerung in Dingen von der Reliquie zum Andenken. Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, 29. Juni - 29. Oktober 2006, Köln 2006, S. 39. 196 Vgl. Assmann, S. 408; dies gilt für unseren wie auch für andere Kulturkreise, vgl. Hoskins, S. 9. 197 „Die eigene Geschichte ist in einer Vielzahl von Dingen präsent, und die Geschichten anderer Menschen – auch wenn sie längst aus unserem Leben verschwunden sind – sind als Spuren in den Dingen hinterlassen.“, Kämpf-Jansen, S. 259; die Feststellung, dass das Unbedeutende bedeutsam wurde, welche Krafft in Bezug auf die Zeit des Biedermeier macht, ist allgemein auf Erinnerungsobjekte übertragbar, vgl. Krafft, Barbara: Vergissmeinnicht – das Sinnige im Biedermeier, in: Ottomeyer: Biedermeiers Glück und Ende, S. 138. 198 Vgl. Krafft 1987, S. 155.
232 | S AMMLUNGEN DES A DELS einnehmen199. Häufig erinnern beispielsweise Erbstücke an bereits Verstorbene, wobei die Fähigkeit, sowohl Abwesenheit zu verdeutlichen, als auch ein Gefühl von Verbundenheit zu erzeugen, an der Konstruktion von Gegenwart beteiligt ist und die zeitliche Begrenztheit des menschlichen Lebens innerhalb einer übergeordneten Unendlichkeit vor Augen führt200 . Sozusagen die Steigerung der Erinnerungsfunktion ist in diesem Zusammenhang der Einsatz eines ausgewählten Objektes als Stellvertreter einer verstorbenen Person, um die mit einem schmerzhaften Tod verbundenen Gefühle zu überwinden201. Dinge, die an eine vorübergehend abwesende Person erinnern und diesbezüglich eine Stellvertreterfunktion einnehmen, lösen ein Gefühl der Verbundenheit aus, so dass „eine Trennung nicht ganz vollzogen wird. [Das jeweilige Objekt] ist eine Vergewisserung, ein Pfand gemeinsam durchlebter Vergangenheit an die Zukunft“202. Dies können Dinge sein, welchen ohnehin eine Erinnerungsfunktion innewohnt (beispielsweise ein Geschenk der geliebten Person oder eine Fotografie derselben), aber auch solche, die nach der Rückkehr wieder allein ihre übliche Gebrauchsfunktion erfüllen (wie beispielsweise Kleidungsstücke der/des Abwesenden)203 . Wenn auch an Personen erinnernde Dinge häufig bewusst aufbewahrt werden, erfolgt die vorherige Transformation eines solchen Gegenstandes in ein Erinnerungszeichen in der Regel unbewusst. Ausnahmen bilden Freundschafts- und Liebesbeweise, die allein zu diesem Zweck ausgewählt, hergestellt und offen präsentiert werden. „Integraler Bestandteil [dieses Vorgangs] ist das Anliegen des Betrachters und/oder Besitzers, mit ebendiesem Objekt Erinnerungen zu verknüpfen, damit gewissermaßen materiell zu fixieren und vor dem Schicksal des Vergessens über die
199 „I have to transgress the usual boundaries between persons and objects and show how far certain possessions can come to be seen as surrogate selves.“, Hoskins, S. 7. 200 Vgl. Porath, S. 273; vgl. Koch, Gertrud: Mediale Grenzüberschreitungen: Über Dinge und Artefakte, in: Ecker/Scholz, S. 281. 201 Einen solchen Fall beschreibt Hoskins im Zusammenhang mit ihren Forschungen bei den Kodi: ein bei einem Autounfall tödlich verunglücktes Mädchen wurde durch eine Flasche repräsentiert, vgl. Hoskins, S. 186; auch Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton weisen darauf hin, dass die Persönlichkeit Verstorbener durch Objekte aufrechterhalten werden kann, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 202. 202 Krafft 1987, S. 155-156; zur Kompensation von Abwesenheit durch Erinnerungsobjekte vgl. auch Bouvier, Raphaël: Erinnerungen an das Ich – Souvenir des Anderen. Prominenz und Andenken seit der Frühen Neuzeit, in: Ausstellungskatalog Frankfurt, S. 104; vgl. Stange, die darauf hinweist, dass auch die mit der entsprechenden Person verbundenen Gefühle in die Dinge übertragen werden und diese vor allem in privaten Räumen aufbewahrt werden, vgl. Stange, Martina: „The Museum of their Encounter“: DingBegegnungen in Djuna Barnes’ Roman Nightwood, in: Ecker/Scholz, S. 77. 203 Die psychologischen Auswirkungen dieser Objekte werden durch Pazzinis Hinweis deutlich, dass Patienten der Psychoanalyse – deren enge Beziehung zum Therapeuten durch das Ende der Therapie abrupt abgebrochen wird – häufig Bücher aus deren Praxen entwenden, um diese als Halt gebenden Stellvertreter zu bewahren, Pazzini, Karl-Josef: Stückchen des Realen, in: Fliedl/Giersch/Sturm/Zendron, S. 62.
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Zeit hinweg zu retten.“204 Die Erfahrung mit unbewusst entstandenen Erinnerungsobjekten wird damit aufgegriffen und eine Weiterentwicklung des selbst gewählten Erinnerungsinhaltes kann nicht völlig ausgeschlossen werden. Aus diesem Grund sind derartige Erinnerungsträger nicht grundsätzlich von anderen Dingen mit Erinnerungsfunktion zu trennen. Sie sind jedoch stärker als diese im allgemeinen Bewusstsein verankert, was auch durch die für sämtliche bewusst gewählten Dinge der Erinnerung verwendeten Bezeichnungen Souvenir und Andenken ausgedrückt wird205 . Da räumliche Veränderungen, vor allem durch Reisen, in der Regel geplant und bewusst vorgenommen werden, ist das Schaffen von Erinnerungsobjekten an Orte häufig ein ebenfalls gezielter Vorgang. Als Beweismittel für sich und andere belegen diese Dinge die Anwesenheit an einem Ort, dessen Besuch aus unterschiedlichsten Gründen als wertvoll erachtet werden kann. Je kürzer die Aufenthaltsdauer und je unwahrscheinlicher die Möglichkeit einer Rückkehr, desto bedeutender erscheint die Suche nach einem solchen Zeichen, das jederzeit eine Verbindung über Raum und Zeit hinweg zu ebendiesem Ort herstellen kann206. „Der Souvenir hat etwas zu tun mit Strategien der Aneignung: Er ist Erinnerung, Mahnung, Anker für das Wiederabrufen von Erlebnissen.“207 Die Vergangenheit existiert weiter durch die Materialität des Objekts208. Erinnerung bleibt allerdings immer fragmentarisch und eng mit dem Vergessen verknüpft209, so dass trotz zahlreicher Versuche der bewussten Erinnerungssteuerung eine völlige Kontrolle der auf diese Weise abrufbaren Vergangenheit nicht möglich ist. Erinnerungsobjekte „[enthalten] als Reststücke einer Person, eines Ortes, einer Situation, eines Erlebnisses, ein Versprechen [...], nämlich eine bislang nur im RestFragment nur angedeutete Geschichte ganz zu erzählen, wiederzubeleben, wiederzuinszenieren.“210 Dies wird jedoch nie vollständig gelingen, so dass auch die durch 204 Hillert, Andreas: Souvenirs: Neurophysiologische und psychologische Aspekte eines (erinnerungs)kulturellen Phänomens, in: Ausstellungskatalog Frankfurt, S. 47. 205 Welche seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert an ein Objekt gebunden wurden, nachdem sie zuvor stärker den Erinnerungsvorgang selbst bezeichnet hatten, vgl. Oesterle, S. 19; der Begriff wird hier nur für bewusst als Erinnerungsobjekte ausgewählte Gegenstände verwendet, während der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Frankfurt weitere Hinweise zur Begriffsbestimmung gibt, vgl. Ausstellungskatalog Frankfurt; vgl. auch Ananieva, Anna/Holm, Christiane: Phänomenologie des Intimen. Die Neuformulierung des Andenkens seit der Empfindsamkeit, in: Ausstellungskatalog Frankfurt, S. 159. 206 „Wenn man von einem Ort weggeht, wegen zeitlicher Einschränkungen weggehen muss, der Bedeutung erlangt hat, der ein Gefühl von wahrnehmender Präsenz vermittelt hat, dann wird der Abschied schwierig. Ist dieser Ort gar noch einer, dessen Besuch gesellschaftliches Prestige verleihen könnte, dann muss auch noch der Kontostand an angehäuftem kulturellem Distinktionskapital nachgebucht und bekannt gemacht werden.“, Pazzini 1997, S. 58. 207 Kramer, Dieter: Souvenir – Hoffnung der Armen?, in: Ausstellungskatalog Frankfurt, S. 353. 208 Vgl. Kämpf-Jansen, S. 270; vgl. Koch, G., S. 281. 209 Vgl. Assmann, S. 408; vgl. auch Oesterle, S. 38; vgl. auch Hillert in Bezug auf das Souvenir, Hillert, S. 48. 210 Oesterle, S. 20.
234 | S AMMLUNGEN DES A DELS Objekte ausgelöste Erinnerung immer geprägt ist von in der Zwischenzeit stattgefundenen Ereignissen und der momentanen Situation des sich Erinnernden. Die Verknüpfung von Erinnerungen mit einem Objekt führt zu direkten DingMensch-Bindungen. Diese durch eine gemeinsame Geschichte von Subjekt und Objekt verursachten Bindungsgefühle haben die Zuschreibung eines Seltenheits- oder Einzigartigkeitswertes (vergleichbar mit dem Einzigartigkeitswert, welcher Kunstobjekten per se innewohnt) zur Folge, was Raz am Beispiel von Saint-Exupérys „Kleinem Prinzen“ veranschaulicht: „He loved his rose for her looks, and having discovered that she is not unique in her looks he now realises that he was mistaken and that his love was based on their common history. This kind of transmutation of love, its survival even as its self-understanding changes, is common, and, far from being objectionable, may be necessary in the conditions of our lives.“211
So lange Dinge als Erinnerungszeichen fungieren, sind sie daher für die mit ihnen verbundene Person wertvoll. Allerdings ist es notwendig, sich dieses Wertes bewusst zu werden212, welcher völlig unabhängig von Form, Aussehen und bisheriger Funktion des jeweiligen Objektes ist213. Shevchenko weist dies im Fall von Büchern einer herzoglichen Familie des 16. Jahrhunderts auch für den Adel nach: „Der Bezug auf die Persönlichkeit des ersten Herzogs bestimmte den Wertstatus eines Buches in den Augen seiner Erben mit. Dadurch wurden die äußerlich nicht markanten Bücher als Objekte der Erinnerung den kostbaren Bänden mit Silberbeschlägen und prächtigen Illuminierungen gleichgestellt.“214
Neben persönlich-intimen Erinnerungen, die allein auf den eigenen Erfahrungen basieren, gehört Erinnerung größtenteils zu einem mit einer Gruppe teilbaren Erfahrungsschatz. Eigene Gedächtnisfragmente und die anderer ergänzen sich und werden zu einem neuen gemeinsamen Bild zusammengesetzt215 . Es ist daher zu unterscheiden zwischen einem „autobiographischen“ und einem „Gruppen“-Gedächtnis216 , wo211 Raz, S. 23. 212 „Der erinnerungsstiftende Akt, ob nun Fund, die Fertigung oder der Kauf, der ein Ding zum Andenken macht, erfolgt selten als isolierbare Bedeutungszuweisung, sondern er ist meist selbst in den Erinnerungsprozess verwickelt. Jedes Andenken hat seine Gründungsszene, einen narrativen Kern, es basiert auf einer unsichtbaren Geschichte. Und diese Geschichte muss dem stummen Andenken-Ding im Akt des Andenkens permanent zurückerstattet werden, um seinen Status aufrecht zu erhalten.“, Ananieva/Holm, S. 177. 213 Ananieva/Holm weisen daraufhin, dass „sogar ein achtlos ausgespuckter Kirschkern“ einen solchen Erinnerungswert haben kann, vgl. Ananieva/Holm, S. 175. 214 Shevchenko, S. 260. 215 Vgl. Halbwachs, S. 3-4; was nur funktioniert, wenn es genügend gemeinsame Erinnerungsfragmente gibt, die sich gegenseitig beleben können, vgl. Halbwachs, S. 12. 216 Halbwachs spricht vom „autobiographischen“ und vom „historischen“ Gedächtnis, vgl. Halbwachs, S. 36; der Begriff des „historischen“ Gedächtnisses ist in diesem Zusammenhang jedoch irreführend, da die als Geschichte wahrgenommenen Ereignisse den Erfahrungen von Gruppen noch übergeordnet sind.
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bei das eine durch das andere ergänzt – nie aber völlig ersetzt – wird. Eine durch einen Gegenstand ausgelöste lebendige Erinnerung, die als sich wiederholende Erfahrung empfunden wird, kann intensiviert werden, wenn sie mit anderen teilbar ist217 . Das Gruppengedächtnis rückt Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten in den Vordergrund und ist damit maßgeblich an Bildung und Bewahrung der Identität einer Gruppe beteiligt218 . Aus diesen Gründen bleiben Erinnerungen in Gruppen lebendig und verblassen beim Einzelnen, sobald dieser der entsprechenden Gruppe nicht mehr zugehörig ist219 . Rituale fördern die gemeinsame Erinnerung einer Gruppe, unter anderem durch die wiederholte Verwendung von Symbolen, und verknüpfen durch die gleichbleibenden Handlungen und die mit diesen verbundenen Emotionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft220. Ebenso wie das Souvenir für den Einzelnen bewusst zur Erinnerung eingesetzt wird, können Gruppengedächtnisse gezielt gefördert und aufrechterhalten werden. Der Hintergrund einer gemeinsamen Erinnerungsarbeit ist in diesem Fall mit dem Wunsch der Gruppe verbunden, als solche weiterbestehen zu können und nicht vergessen zu werden221 . Das Gedächtnis einer Gruppe kann des Weiteren maßgeblich durch einen gemeinsamen Ort gefestigt werden, worauf Assmann mit besonderer Hervorhebung von Generationenorten für Familien hinweist: „Selbst wenn Orten kein immanentes Gedächtnis innewohnt, so sind sie doch für die Konstruktion kultureller Erinnerungsräume von hervorragender Bedeutung. Nicht nur, dass sie die Erinnerung festigen und beglaubigen, indem sie sie lokal im Boden verankern, sie verkörpern auch eine Kontinuität der Dauer, die die vergleichsweise kurzphasige Erinnerung von Individuen, Epochen und auch Kulturen, die in Artefakten konkretisiert ist, übersteigt.“222
Die Bindung an einen Ort ist beim Adel stark ausgeprägt, indem Familiensitze über Jahrhunderte hinweg immer gleichbleibender Schauplatz bedeutender Ereignisse waren/sind. Darüber hinaus wurden bewusst Erinnerungsräume an einzelne Personen geschaffen223 . Der Verlust eines solchen Ortes – 1918 oder im Verlauf des Zweiten Weltkrieges und seiner Folgen – muss als schwer überbrückbarer Bruch verstanden 217 218 219 220 221
Vgl. Halbwachs, S. 1. Vgl. Halbwachs, S. 74. Vgl. Halbwachs, S. 11 und S. 25. Kertzer, S. 9ff. Ein Wunsch, der beispielsweise zur Zeit des Biedermeier zum Massenphänomen wurde, vgl. Ottomeyer, Hans: Biedermeier als Problem (Vorwort), in: Ottomeyer: Biedermeiers Glück und Ende, S. 6-7. 222 Assmann, S. 299; vgl. Assmann, S. 301; Edward Montagu of Beaulieu bringt seinen Wohnsitz direkt mit Erinnerungen an seinen Vater in Verbindung: „I was brought up to believe that Beaulieu is the most important thing in my life. My father died when I was two-and-a-half, and I was influenced by my mother who loved my father dearly. She loved Beaulieu not just for itself but also because of my father’s memory.“, Lord Montagu of Beaulieu, S. 199. 223 Die Räume Friedrichs (II. des Großen) Kurfürst von Brandenburg König von Preußen im Neuen Palais in Potsdam blieben unbewohnt und dienten der Erinnerung, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 136.
236 | S AMMLUNGEN DES A DELS werden, da nicht nur die Weiterführung von Traditionen erschwert, sondern auch der Zugang zu Erinnerungsstätten wie Gräbern und Kapellen verloren ging224. Die hauptsächliche Verwendung von Stein an solchen Orten hat, als Garant von Dauerhaftigkeit, sowohl symbolischen als auch praktischen Hintergrund225. Neben den Familienorten selbst übernehmen ebenfalls deren Ausstattungsgegenstände Erinnerungsfunktionen226. Gemälde, Wappen und Hausrat mit Monogramm stellen Verbindungen zu verwandten Personen und Familienzweigen her227. Ausgewählte Repräsentationsmöbel ehemals regierender Familien können, auch bei Angehörigen einer mit dieser nicht persönlich bekannten Familie, Erinnerungen an dem Hochadel vorbehaltene Veranstaltungen und Ereignisse auslösen. Dagegen übernehmen Ausstattungsgegenstände, die in nahezu jedem Adelshaus zu finden waren, diese Funktion auch für Angehörige des niederen Adels. „Adlige Medien der Erinnerung weisen neben ihrer Vielfalt eine Reihe von Spezifika auf, die ihre adlige Prägung auch dort nicht vollständig verlieren, wo sie vom Bürgertum kopiert werden. Privilegierte Plätze in der Kirche oder im Speisesaal der Kadettenanstalt, wo der junge adlige Offiziersanwärter auf demselben Platz wie seine Vorfahren sitzt und mit demselben Besteck wie seine Vorfahren speist, verweisen auf ein in Jahrhunderten gewachsenes, komplexes System adliger Erinnerungstechniken.“228
Dinge der Erinnerung können also unterschiedlich große Gruppen erreichen und den Aufbau von Bindungen zu diesen ermöglichen. Autobiographische Gedächtnisse und Gruppengedächtnisse werden jeweils gleichermaßen angesprochen. Beispielsweise kann das autobiographische Gedächtnis einer heute zur Gruppe des Hochadels zählenden Person Erinnerungen an ein bestimmtes Ahnenporträt und seine Begegnung mit diesem enthalten. Möglicherweise wird diese Erinnerung ergänzt durch weitere Begebenheiten mit Dingen, welche in Beziehung zur dargestellten Person stehen. Das Wissen über diese basiert jedoch auf von anderen weitergegebenen Erinnerun224 Demel beschreibt diese, wie auch Porträts, als Teile einer Erinnerungskultur des Adels bereits in früheren Jahrhunderten, vgl. Demel, S. 58; vgl. auch de Saint Martin, S. 92. 225 Steinen selbst wohnt immer eine Erinnerungsfunktion inne, da sie einen Kontrast zum kurzen Leben des Menschen bilden, welcher durch Spuren ihrer langen Geschichte noch verstärkt wird, vgl. Gillings/Pollard, S. 183. 226 Möbel und Dekorationsobjekte werden von Halbwachs besonders als Objekte der Erinnerung hervorgehoben, vgl. Halbwachs, S. 128; nach dem Tod ihres Mannes zog sich beispielsweise Victoria von Preußen in das neu erbaute und mit Erinnerungen an ihre Ehe sowie das Leben als Kronprinzessin und Kaiserin eingerichtete Schloss Friedrichshof zurück, worüber Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg berichtet, sie habe jedes Einrichtungsstück als „ein Stück Geschichte“ bezeichnet, zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 66; vgl. auch Ottersbach, Christian: „Friderici memoriae“. Schloss Friedrichshof in Kronberg, in: Sehens Werte 4/2008, S. 38. 227 Besonders Wappen sind „als gleichwertig behandelte Wiedergabe von menschlicher Person und ständischer Persönlichkeit“ zu verstehen, Brückner, Wolfgang: Bildnis und Brauch. Studien zur Bildfunktion der Effigies, Berlin 1966, S. 101; die Erinnerungsfunktion ist in diesem Fall daher von doppelter Bedeutung; vgl. Malinowski 2003, S. 51. 228 Malinowski 2003, S. 51; vgl. auch de Saint Martin, S. 91.
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gen. Indem die eigene Erfahrung mit diesem Wissen korreliert, wird die Erinnerung intensiviert und bleibt lebendig. Bereits im Zusammenhang mit den Methoden rechtlicher Vermögensbindungen wurde deutlich, dass die derartigen Erinnerungsträgern innewohnende Überwindung von Zeit durch die Überführung von Objekten und traditionellen Verhaltensweisen der Vergangenheit in die Gegenwart229 zu den wesentlichen Anliegen des Hochadels gehört. Das Andenken an die Ahnen nimmt großen Raum ein und wird ergänzt durch den Wunsch einer ruhmreichen Erinnerung der eigenen Person und Familie in der Zukunft230. Die Vermögensbindungen schufen diesbezüglich (bis zu ihrer zwangsweisen Auflösung) Möglichkeiten zur Vorsorge. Ebenso waren Memoiren oder von Adelsfamilien herausgegebene Quelleneditionen Möglichkeiten, das eigene autobiographische beziehungsweise das familäre Gruppengedächtnis in das kollektive Gedächtnis einfließen zu lassen231 . In Bezug auf Andenken aus Museumsshops stellt Pazzini fest, dass Erinnerungsobjekte stabilisierende Wirkung haben können: „Sie dienen vielleicht auch der Sicherheit, wenn ein symbolisches Universum zu zerfallen beginnt, zerfallen ist, dadurch ein Realitätsverlust droht, die Frage des Überlebens also drängt.“232 Diese Funktion ist auf Objekte zu übertragen, die nach 1918 zur Stabilisierung von Gruppengedächtnissen des Hochadels beitragen konnten. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt beispielsweise, dass im Blankenburger Schloss, in welchem sie mit ihrer Familie nach Abschluss der Vermögensauseinandersetzungen zeitweise lebte, Porträts Maria Theresias Erzherzogin von Österreich Königin von Ungarn und Böhmen Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches hingen. Sie betont die durch diese Porträts verdeutlichte Verbindung zwischen Blankenburg und Wien und erwähnt zudem, dass Maria Theresia von Österreich als Enkeltochter des Schlosserbauers Ludwig Rudolf Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel Fürst zu Blankenburg und seiner Gemahlin Christine Luise Prinzessin zu Oettingen-Oettingen Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel Fürstin von Blankenburg dort einmal zu Besuch gewesen sei233. Auf diese Weise wird durch die Betonung der Vergangenheit die Kontinuität der familiären Verbindungen über den Bruch der kurzzeitigen Beschlagnahmung des Schlosses gestellt. Gleichzeitig wird auch die gegenwärtige Verbindung der Welfen zu Österreich, wo diese nach 1866 und auch nach 1918 im Exil lebten, in einen familienhistorischen Kontext gestellt. In ihrem Bericht über die Rettung der preußischen Königskrone wird diese als „ein Wertstück mit beinahe einmaliger nationaler Symbolkraft“234 bezeichnet und auch hier die Kontinuität im Gegensatz zur Veränderung betont. Selbst in Fällen, in welchen ein vergleichbarer Einschnitt nicht überbrückt werden konnte, war eine stabilisierende und verbindende Wirkung von Erinnerungsobjekten möglich: beispielsweise erhielt Gräfin Keller
229 Vgl. Halbwachs, S. 68. 230 Assman weist auf Pietas und Fama als Formen der Erinnerung hin, vgl. Assmann, S. 48. 231 Urbach weist beispielsweise auf sprunghaft ansteigende Quelleneditionen sowohl im 19. Jahrhundert als auch nach 1918 durch mediatisierte Familien hin, Urbach, S. 347. 232 Pazzini 1997, S. 64. 233 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253. 234 Zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 15.
238 | S AMMLUNGEN DES A DELS 1920 im niederländischen Exil eine Mappe mit Reproduktionen von Bildern aus dem Berliner Schloss geschenkt235. Die Beispiele geben allerdings auch Hinweise auf äußere Entwicklungen, die unvermeidbar zu Veränderungen in jedem Gruppengedächtnis führen und auch im Fall des Hochadels ein sich wandelndes Verhältnis gegenüber den Dingen der Erinnerung zur Folge haben. Diesem ist es nach 1918 noch gelungen, sich in einem gewissen Maß an die neuen Gegebenheiten anzupassen und durch gemeinsame Erinnerung einen Teil der gewohnten Lebensmuster zu bewahren, so dass die Erneuerung des gemeinsamen Gedächtnisses zunächst keine Aufgabe von bisherigen Identitäten zur Folge hatte236. Halbwachs führt jedoch an: „Wenn [...] äußere Umstände in das Leben der Gruppe ein neues, mit ihrer Vergangenheit unvereinbares Element einführen würden, entstünde eine andere Gruppe mit einem eigenen Gedächtnis, in dem nur eine unvollständige und verworrene Erinnerung an das fortbestehen würde, was dieser Krise vorausgegangen ist.“237
Im Fall der Familie Ernst Augusts (III.) von Hannover bildete der, durch die sowjetische Besatzung bedingte, erneute Umzug in das Schloss Marienburg eine starke Zäsur, da dieses Schloss – im Gegensatz zu Schloss Blankenburg – vorher nie von ihnen bewohnt worden war. Obwohl größere Teile des Besitzes mitgenommen werden konnten, erfüllten diese nun vorrangig Funktionen der grundlegenden Identitätssicherung238. Erinnerungsfunktionen, welche nun zudem mehrere Lebensabschnitte bis in die Zeit der Regentschaft abdecken mussten, wurden abgeschwächt. Ein ähnliches Beispiel der wiederholten Brüche, welche schließlich zu Veränderungen führten, ist das Leben Gräfin Kellers. Zwar hatte bereits durch den Exil-Aufenthalt in den Niederlanden ein größerer Bruch stattgefunden, durch die Fortführung ihres Dienstes für Auguste Victoria von Preußen hatte sich jedoch ihr Lebensinhalt zunächst nicht geändert. Nach deren Tod kehrte sie nach Deutschland zurück und lebte in einem Damenhaus im Neuen Garten in Potsdam, wo die neue Lebenssituation in unmittelbarer Nähe des Schlosses direkt spürbar war239 . Sowohl die ab Mitte des Jahrhunderts stärker verbreiteten Ehen mit NichtAdligen als auch die Auflösung der Vermögensbindungen240 müssen schließlich weitere Auswirkungen auf das gemeinsame Gedächtnis und die Fortführung der Traditionen des Adels gehabt haben. Ein Verblassen von Erinnerungssträngen konnte nicht verhindert werden und eine verringerte Nutzung von Dingen in ihrer Funktion als Erinnerungsträger – beispielsweise, weil die Orte, an welchen sich diese befinden, nicht 235 Von Keller, S. 359; vergleichbar ist das Geschenk eines KPM-Services mit Ansichten aus Berlin und Potsdam, das Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg von ihren Brüdern zur Silberhochzeit geschenkt bekam, zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 13. 236 Vgl. Halbwachs, S. 117f. 237 Halbwachs, S. 75. 238 „Mein Mann sortierte unter unserem Besitz das aus, was für die Einrichtung geeignet war. Bilder, Gobelins, Porzellane. Und schließlich fühlten wir uns auf der Marienburg zu Hause.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330. 239 Von Keller, S. 371. 240 Vgl. Malinowski 2003, S. 51.
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mehr als Wohnorte fungier(t)en – trug zudem dazu bei, dass sich zahlreiche DingMensch-Bindungen lösten. An Stelle der nicht mehr abrufbaren Erinnerungs- und Stellvertreterfunktionen, die sozusagen als Überschuss ungenutzt bleiben241 , können an einem solchen Wendepunkt materielle Werte in den Vordergrund treten. Gleichzeitig kann das autobiographische Gedächtnis jedoch von derartigen Veränderungen des Gruppengedächtnisses unabhängig agieren. Dieses scheint für den Hochadel ab Mitte des 20. Jahrhunderts stärker in den Vordergrund gerückt zu sein, Erinnerungsobjekte spielen jedoch weiterhin eine große Rolle. Fotografien, welche bereits seit der frühen Entwicklung dieses Mediums bei Vertretern des Hochadels sehr beliebt waren242 , übernehmen diesbezüglich eine wichtige Funktion. Ende des 19. Jahrhunderts nutzten Wilhelm Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Herzog von Braunschweig Herzog zu Oels und Georg (V.) von Hannover wie auch etwas später Ernst August von Cumberland Fotografien noch zu dokumentarischen – und damit der offiziellen/kollektiven Erinnerung dienenden – Zwecken243 . In der folgenden Generation ist diesbezüglich ein Umbruch festzustellen: Zunächst nutzte die Familie Ernst Augusts (III.) von Hannover die Fotografie und den Film als
241 „Dinge erzählen Geschichten, Objekte oder Arrangements von Objekten repräsentieren Subjekte, funktionieren als Projektionen derer, die sie besitzen oder begehren oder als ihr alter ego, erzeugen jedoch einen Überschuss an Materialität oder Dinghaftigkeit, der nicht im Dienst des Subjekts aufgeht.“, Scholz/Ecker, S. 11. 242 Beispielsweise war Elisabeth Herzogin in Bayern Prinzessin von Zweibrücken-Birkenfeld-Gelnhausen Königin von Ungarn Kaiserin von Österreich im Besitz von über 2.500 Fotos, die allein in der Zeit zwischen 1860 bis 1864 entstanden sind: „Sie ließ ihre Hofdamen fotografieren, die Kammerzofen, Kinderfrauen, die Gesellschaftsdamen ihrer Mutter in Bayern. Sogar ihre Lieblingshunde Shadow und Horseguard wurden ins Wiener Fotoatelier Angerer gebracht, um wenigstens im Bild jederzeit verfügbar zu sein.“, Hamann, Brigitte: Einführung, in: Bokelberg, Werner (Hrsg.): Sisis Familienalbum. Private Photographien aus dem Besitz der Kaiserin Elisabeth, Dortmund 1980, S. 8; vgl. auch Hamann, S. 7; Victoria Königin von Großbritannien und Irland Kaiserin von Indien war ebenfalls eine der ersten Herrscherpersönlichkeiten, welche eine Vorliebe für die Fotografie hatten, vgl. Steckhahn, S. 13; die von ihr 1861 beim Fotografen Mayall bestellte Anzahl von 70.000 Fotografien übertrifft die Sammlung der österreichischen Kaiserin um ein Vielfaches, allerdings waren diese nicht allein für sie selbst bestimmt, vgl. Steckhahn, S. 17; Auguste Viktoria von Preußen fotografierte selbst, vgl. von Keller, S. 166; ebenso Nikolaus (II.) Kaiser/Zar von Russland, vgl. Dewitz, Bodo von: Eine königliche Sammlung von Fotografien, in: Dewitz, Bodo von (Hrsg.): Schönheit, Macht, Vergänglichkeit. Fotografien aus der Sammlung Seiner königlichen Hoheit Prinz Ernst August von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Göttingen 2009, S. 15; von Dewitz bezeichnet das Sammeln von Fotografien (v.a. Porträts) als „besondere Leidenschaft“ an den Höfen und die eigene Amateurfotografie als „beliebte Beschäftigung“, von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 15. 243 Vgl. Steckhahn, S. 23 und S. 32; Ernst August von Cumberland ließ auch Fotografien seiner Kunstsammlungen und der Innenausstattung seiner Immobilien anfertigen und teilweise veröffentlichen, vgl. Steckhahn, S. 45.
240 | S AMMLUNGEN DES A DELS gängige Methode der Repräsentation244 , jedoch übernahmen sie das Fotografieren sowie das Filmen, zur eigenen Verwendung und als Geschenk(e) für die Familie, immer häufiger selbst245. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurde schließlich die Fotografie erneut eingesetzt, um Feierlichkeiten des Hochadels der Öffentlichkeit zu veranschaulichen246, wobei nun weniger von Repräsentation (ausgehend vom Adel zur Verdeutlichung der gehobenen Stellung) als von Vermarktung (ausgehend von der Nachfrage nach Bildern einer prominenten Gruppe der Gesellschaft) gesprochen werden muss. Von Dewitz betont diese mehrfache Funktion der Fotografie „zu Zwecken der Repräsentation, der Kommunikation und der Erinnerung“ sowie aus heutiger Sicht als historische Quellen247 . Abbildung 6: Foto-Paravent aus dem Besitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, 1. Hälfte 20. Jh.
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Erinnerungsfunktionen der Fotografie, die das autobiographische Gedächtnis betreffen, überwiegen jedoch nach 1918 für den Hochadel248. Victoria Luise zu Braun244 Postkarten der Herzogsfamilie waren zu diesem Zeitpunkt Erinnerungsobjekte der Bevölkerung; zum offiziellen Einzug in Braunschweig wurde neben zahlreichen Fotografien auch ein Film angefertigt, vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, in: Biegel, S. 26; während des Krieges zeigte man am Geburtstag Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg neben einem „Opfertag-Film“ auch zwei Filme über das Leben der herzoglichen Familie, vgl. Otte, Wulf: Herzogin Victoria Luise – braunschweigische Landesmutter 1913-1918, in: Biegel, S. 136. 245 Steckhahn, S. 45; auch Kirschstein beschreibt ein von Auguste Viktoria von Preußen selbst fotografiertes Gruppenfoto und zeigt Fotografien, auf welchen sie gerade fotografiert bzw. die Kamera in der Hand hält, vgl. Kirschstein, S. 17 und S. 48f. 246 Steckhahn beschreibt dies am Beispiel der Welfen, Steckhahn, S. 174. 247 Dewitz, Bodo von: Vorwort, in: von Dewitz, S. 5. 248 Steckhahn weist darauf hin, dass es seitdem kaum noch offizielle Fotos gab, sondern diese nur noch private Funktionen erfüllten, Steckhahn, S. 106.
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schweig und Lüneburg umgab sich noch in ihrem letzten Wohnsitz mit zahlreichen Andenken an ihren Mann und die frühen Jahre ihrer Ehe, zu welchen auch ein dreiflügliger Foto-Paravent gehörte249 . In der Erzählung Gräfin Brühls werden Fotografien von Hochzeiten als Erinnerungsobjekte erwähnt und als „Zeitzeugnis“ bezeichnet: „Nicht umsonst stehen bei Adligen überall Fotos in Silberrahmen auf den Kommoden und Regalen. Sie feiern solche Höhepunkte, beweisen, dass man dazugehört, dass man die Regeln einhält und die Traditionen wahrt.“250 Kontinuität durch Erinnerung steht auch in dieser Beschreibung im Vordergrund, die Mittel haben sich jedoch für einen Teil der Gesamtgruppe des Adels geändert251 . Für denjenigen Teil, dessen Gruppengedächtnis noch immer durch Objekte aus der Zeit vor 1918 revitalisiert wird, muss dagegen jeder Verkauf solcher Gegenstände – selbst wenn diese im Besitz einer anderen Familie sind – als Verlust empfunden werden. Es wird deutlich, dass Erinnerung gepflegt werden muss, um aufrechterhalten zu werden: „Im menschlichen und kulturellen Gedächtnis herrscht Platzmangel. Je knapper die Speicherkapazität bemessen ist, desto entschiedener die Auswahl und desto wertvoller der Inhalt.“252 Es waren vor allem Angehörige des Kleinadels, welche den Bruch von 1918 schlecht kompensieren konnten und sich infolgedessen um eine „aktive Erinnerungspolitik“253 bemühten. Die in den (von Malinowski ausgewerteten vorrangig in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreich erschienenen) Memoiren254 Angehöriger des Kleinadels geschilderten Erinnerungen weisen erstaunliche Ähnlichkeiten auf und deuten damit auf ein funktionierendes Gruppengedächtnis hin. Der Hochadel erlebte die Krise zwar gemeinsam, konnte Veränderungen, vor allem aus materiellen Gründen, jedoch hinauszögern. Allerdings weisen die Lebensläufe der Familien ab diesem Zeitpunkt größere Unterschiede auf255 und eine 249 In diesen wurden Fotografien eingesteckt, welche Verwandte (häufig ihren Mann) und sie selbst mit Familienangehörigen zeigen; vgl. auch Kirschstein, S. 192 und S. 208f. 250 Von Brühl, S. 99. 251 Die Veränderung der Mittel zur Erinnerung ist üblich und wird von Hillert wie folgt beschrieben: „Und so, im Prozess individuellen Wertewandels, kann ein ehemals heißgeliebtes Souvenir auf dem Flohmarkt landen, während ein ehemals peripherer Gegenstand zum Symbol für zentrale Aspekte persönlicher Identität heranreift.“, Hillert, S. 49; die Auswahl von Fotos und Familienbildern zu diesem Zweck ist heute eine insgesamt gängige Methode autobiographischer Erinnerung, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 82f. 252 Assmann, S. 123; dies gilt auch für die oben genannten Generationenorte, die trotz ihrer Dauerhaftigkeit nur Erinnerungen beinhalten können, „wenn Menschen auch Sorge dafür tragen“, Assmann, S. 327. 253 Wienfort 2006, S. 146. 254 Vgl. Malinowski 2003, S. 32. 255 Die Beispiele der mit der deutschen Kaiserfamilie im niederländischen Exil lebenden Gräfin Keller und der Braunschweigischen Herzogsfamilie, welche nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt nach Deutschland zurückkehrte, weisen auf diese Unterschiede hin. Ebenso gab es Familien, für welche die Veränderungen sehr gering waren; so erwähnt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg beispielsweise, dass sich das Leben für ihre Geschwister weniger stark verändert hatte, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 227.
242 | S AMMLUNGEN DES A DELS mit dem Kleinadel vergleichbare, bewusste und homogene Erinnerungsarbeit erfolgte nicht. Umso bedeutender waren Dinge der Erinnerung, welche gleichzeitig als bindendes Element fungierten. Sie trugen/tragen dazu bei, gemeinsame Erinnerungen an die neue Situation anzupassen: „Die unübertroffene Meisterschaft des Adels, die kollektive Erinnerung jeweils zeitgemäß aus einem unerschöpflichen Reservoir flexibler Anekdoten, Symbole und Bilder zu versorgen, ist bis in die Gegenwart ungebrochen. Kaum eines dieser Bilder ist statisch.“256 Allerdings geht eine derartige Flexibilität von Gedächtnissen größerer Gruppen, in Kombination mit grundsätzlich begrenzten „Speicherkapazitäten“, mit der Aufgabe bisheriger Erinnerungselemente einher. Diese können jedoch in Gedächtnissen kleinerer Gruppen – wie Familien – und in autobiographischen Gedächtnissen durchaus weiterhin bestehen. Dem autobiographischen und dem Gruppengedächtnis stellt Halbwachs ein neutrales historisches Gedächtnis zur Seite: „Die Geschichte ist zweifellos das Verzeichnis der Geschehnisse, die den größten Raum im Gedächtnis der Menschen eingenommen haben. In Büchern gelesen, in den Schulen gelernt, sind die vergangenen Ereignisse jedoch Notwendigkeiten und Regeln zufolge ausgewählt, nebeneinandergestellt und eingeordnet, die nicht für jene Gruppen von Menschen zwingend waren, die sie lange Zeit als lebendiges Gut aufbewahrt haben. Das bedeutet, dass die Geschichte im allgemeinen an dem Punkt beginnt, an dem die Tradition aufhört – in einem Augenblick, in dem das soziale Gedächtnis erlischt und sich zersetzt. Solange eine Erinnerung fortbesteht, ist es unnötig sie schriftlich festzulegen, sie überhaupt festzulegen.“257
Er betont, dass Gruppengedächtnisse nicht unendlich weit in die Vergangenheit zurückreichen können und gerade deren nicht mehr abrufbaren Elemente das Interesse der Historiker erwecken258 . Übertragen auf den Hochadel bedeutet dies, dass dieser aufgrund eines großen Bestandes an Erinnerungsobjekten über ein lebendiges Gruppengedächtnis verfügte, welches sich jedoch seit etwa der Mitte des 20. Jahrhunderts immer stärker von den entsprechenden Dingen löst. Die derzeitige Situation stellt die Momentaufnahme eines Prozesses dar, in welchem für einen Teil der hochadligen Familien die Objekte noch immer Element lebendiger Traditionen sind, für einen anderen Teil zu Erinnerungsobjekten eines autobiographischen Gedächtnisses wurden und für wieder andere zu Dingen mit historischem Bezug, welcher allerdings die Be256 Malinowski 2003, S. 57. 257 Halbwachs, S. 66; Assmann beschäftigt sich ausführlich mit den Theorien Halbwachs’ und fasst für den hier angerissenen Kontext zusammen: „Die Gedächtnistheorien von Nietzsche, Halbwachs oder Nora betonen den konstruktivistischen, identitätssichernden Charakter der Erinnerung und affirmieren deren Recht gegenüber einer objektiven und neutralen historischen Geschichtswissenschaft. Die Leitposition ist in allen drei Fällen die zwischen verkörpert und entkörpert, bzw., wie wir auch sagen können, zwischen bewohnt und unbewohnt: Das Gedächtnis gehört lebendigen Trägern mit parteiischen Perspektiven, die Geschichte dagegen ‚gehört allen und niemandem‘, sie ist objektiv und damit identitätsneutral.“, Assmann, S. 133; sie modifiziert diese Theorien dahingehend, dass sie zwischen einem identitätsbildenden Funktionsgedächtnis und einem neutraleren Speichergedächtnis unterscheidet, Assmann, S. 138ff. 258 Vgl. Halbwachs, S. 100f.
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deutung der eigenen Familie durch die Vermischung von familiärer und allgemeiner historischer Erinnerung betont259. Dinge der Erinnerung, welche auch im kollektiven Gedächtnis verankert sind, werden als Symbole einer allgemeingültigen Vergangenheit wahrgenommen, können jedoch gleichzeitig als Teil des Gruppengedächtnisses des Adels auch dessen auf Abgrenzung beruhende Identität betonen: „Es gibt [...] auch noch eine Reihe von Zeichen und/oder Schranken, die diese Trennung festschreiben und eine Differenzierungswirkung besitzen, wie die Schlösser mit ihren Türmen, Bergfrieden, Gräben und Befestigungsanlagen [...], die Genealogien, die Schränke und Wappenschilde, die reservierten Bänke im Chorgestühl der Kirche, die Gedenkinschriften in der Kirche bezüglich der ‚Großtaten‘ und ‚Wohltaten‘ der Familie, die Straßen-, Allee- und Avenueschilder, welche den Namen der ‚ruhmreichsten‘ Vorfahren tragen, die Denkmäler, Kapellen oder die Ehrenplätze auf Friedhöfen, [...] die lange ebenfalls dazu beigetragen haben, bei den Nachfahren der Familien des Adels das Bewußtsein zu schmieden, zu entwickeln und zu bestärken, ‚nicht wie die anderen zu sein‘ und irgendwie einer besonderen Gattung anzugehören“260 .
Es scheint, dass je schwächer ebendieses auf Abgrenzung angewiesene Gruppengedächtnis wird, desto eher eine historische Auseinandersetzung mit dem Adel und dessen Besitz möglich wird. Es ist daher eine Verbindung herzustellen zwischen dem seit einigen Jahrzehnten erwachten Interesse an der Adelsforschung des 20. Jahrhunderts und den Veränderungen, welchen diese Gruppe unterworfen ist. Eine Trennung von Tradition und Geschichte ist jedoch noch nicht vollständig vollzogen, was einen weiteren Hintergrund der Ausgangsdiskussion dieser Arbeit bildet: Objekte aus Adelsbesitz können sowohl Erinnerungsobjekte von autobiographischen und Gruppengedächtnissen sein als auch hinsichtlich eines historischen Wertes betrachtet werden. Schlösser und deren Ausstattung können noch immer als Generationenorte genutzt werden und die Gegenwart mit der Vergangenheit verknüpfen, oder aber als Gedenkorte allein der Vergangenheit zugeordnet werden261 . Die Interessen und Verwendungsmöglichkeiten weisen aus diesem Grund große Unterschiede auf 262. Wie auch bei Dingen mit persönlichem Wert ist für die Zuschreibung eines historischen Wertes die Verknüpfung mit einem Seltenheits- oder Einzigartigkeitswert nötig. Dieser entsteht durch die Bindung an eine Person oder ein Ereignis, welche/s als Teil der Geschichte wahrgenommen wird. Auch in diesem Zusammenhang gibt Halbwachs’ These einen Hinweis auf den von Widersprüchen geprägten Umgang mit 259 Diese Vermischung von Familiengeschichte und nationaler Geschichte stellt auch de Saint Martin fest, de Saint Martin, S. 119. 260 De Saint Martin, S. 91. 261 Zur Unterscheidung von Generationenorten und Gedenkorten, vgl. Assmann, S. 309 und S. 337f. 262 Während nämlich der dem kulturellen Erbe zugrunde liegende, von Riegl so genannte „[...] historische Wert zwar das gänzliche Vergehen von heute an aufhalten will, aber ohne das bis zum heutigen Tage stattgehabte Vergehen keine Existenzberechtigung hätte, erhebt der gewollte Erinnerungswert schlankweg den Anspruch auf Unvergänglichkeit, ewige Gegenwart, unaufhörlichen Werdezustand.“, Riegl, S. 39; d.h. Konservierung gegen Nutzung.
244 | S AMMLUNGEN DES A DELS Objekten aus Adelsbesitz, denn erst durch ausreichende Verknüpfungen dieser Art können die Dinge als Erinnerungszeichen des historischen Gedächtnisses funktionieren. Der von großen Bevölkerungsteilen gewollte politische Umsturz 1918, die vom Adel gewollte Abgrenzung in der Folgezeit sowie die alle gesellschaftlichen Schichten betreffenden radikalen Veränderungen durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg haben jedoch das diesbezüglich notwendige Interesse an der Geschichte des Adels – über bereits 1918 fest im historischen Gedächtnis verankerte Sachverhalte hinaus – behindert. Bis 1918 war die Geschichte des Adels – vor allem der regierenden Familien – untrennbar mit der allgemeinen geschichtlichen Entwicklung verknüpft. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es gemeinsame Erinnerungen von Adel und Öffentlichkeit. In der Folgezeit kam es jedoch zu einer Trennung der Erinnerungsträger in kunsthistorisch bedeutende Objekte, welche bevorzugt in Museen zugänglich waren, jedoch stärker als Zeichen der Kunst denn als Zeichen des Adels fungierten263 , sowie den Ausstattungsgegenständen, welche entweder vom Adel privat genutzt oder durch öffentliche Verwaltungen umgenutzt (zum Teil auch verkauft) wurden264. Diese Trennung ist durch die neu entstandenen Staaten und die vom Machtverlust des Adels profitierenden gesellschaftlichen Gruppen zudem unterstützt worden265 . Spätestens mit der Zeit des Nationalsozialismus, dem Zweiten Weltkrieg und neuen gesellschaftlichen Strukturen seit der Nachkriegszeit verschwanden die Erinnerungsobjekte an eine gemeinsame Geschichte aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit, so dass
263 Auf ebendiesen Vorgang weist auch Gamboni hin: „Im übrigen ist der symbolische Wert kein Garant für die lange Lebensdauer eines Artefakts: vielmehr teilt das Objekt die wechselnden Geschicke des symbolisierten Inhalts, bis die Beziehung als wirkungslos oder marginal betrachtet wird. So hat das Porträt eines Herrschers gute Aussichten bewahrt zu werden, solange es (als Abbild und als Kunstwerk) des Herrschers für würdig gehalten wird; sobald dieser aber seine Macht oder seinen Ruhm verliert, läuft es Gefahr, beiseite getan oder zerstört zu werden, außer man hält es für ein zu gutes Gemälde – nicht für ein zu schlechtes Porträt –, um es zu beseitigen.“, Gamboni, S. 28. 264 Am Beispiel bayerischer Hofmöbel verdeutlicht Ottomeyer die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten sowohl in der Verwaltung, als Zahlungs- und Finanzmittel sowie nach dem Ausgleich mit den Wittelsbachern in deren Gebrauch oder museal, Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 98ff; Grasskamp weist darauf hin, dass die bereits beschriebene bewusste Zerstörung von Objekten eines überkommenen Regimes auch das Ziel verfolgt, die Erinnerung an dieses auszulöschen, Grasskamp, Walter: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums, München 1981, S. 22. 265 Diese Tendenz war bereits im 19. Jahrhundert zu beobachten, als sowohl der Adel als auch die Städte und das Bürgertum Geschichtskonstruktion zur Untermauerung ihrer Stellung nutzten, vgl. Assmann, S. 49; in diese Zeit fällt auch die Gründung von Heimatund Regionalmuseen (sowohl durch Vereine als auch Regierende), welche sämtliche mit der Region verknüpften Objekte zusammentrugen, vgl. Nienhaber, Monika: Wo die „Heimat“ ein Zuhause hat, in: Ecker/Scholz, S. 66; wie die Idee des kulturellen Erbes bereits verdeutlich hat, wurde zudem mit der Entwicklung nationaler Staaten der Gebrauch von Geschichte zur „kollektiven Identitätsbildung“ genutzt, vgl. auch Assmann, S. 78.
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dieses gemeinsame Gedächtnis verloren ging266. Für den Hochadel muss dies unverständlich bleiben, da für ihn der historische Wert seines Besitzes im Verlauf des 20. Jahrhunderts nicht abgenommen hat, sondern gegenüber einem bisher vorherrschenden persönlichen Wert an Bedeutung gewann267. Das sich immer wieder neu zusammenfügende historische Gedächtnis ist heute zudem auch durch das allgemeine Interesse an Prominenten geprägt. Es orientiert sich vor allem an historischen Persönlichkeiten, deren Biographie – ähnlich der eines „Stars“ – verklärt werden kann268. Damit schließen sich das große Publikumsinteresse an einzelnen Schlössern und historischen Vertretern des Adels sowie abwertendes Desinteresse269 an dem Besitz hochadliger Familien nicht aus. Dieses Problem eines stark veränderten historischen Gedächtnisses, welches weniger auf Fakten als auf Vorstellungen beruht, wird vor allem in der englischsprachigen Literatur zum Kulturerbe stark diskutiert.270 Orten und Dingen wohnt jedoch die Fähigkeit inne, durch Erinnerung an die Vergangenheit anzuknüpfen, selbst wenn diese zeitweise nicht im historischen Gedächtnis präsent war271. 266 „Die Kommunikation zwischen den Epochen und Generationen bricht ab, wenn ein bestimmter Fundus an gemeinsamem Wissen abhanden gekommen ist ... Es besteht also eine Parallele zwischen dem kulturellen, epochenübergreifenden Gedächtnis der mündlich weitergegebenen Erinnerungen.“, Assmann, S. 13; Assmann weist auf die diesbezüglich bedeutende Rolle von Museen, aber auch Denkmälern und Archiven, hin und gleichzeitig auf die Problematik der Verzerrung und dem Filtern von Erinnerung, vgl. Assmann, S. 15. 267 Dies wird beispielsweise deutlich an der Veröffentlichung der Fotografie-Sammlungen Heinrichs von Hannover, welche Grundlage der Publikation von Steckhahn ist, vgl. Steckhahn, S. 8; ebenso an der Sammlung Georg Friedrichs Prinz von Preußen, welche Grundlage der Publikation von Kirschstein ist, vgl. Kirschstein, S. 214; hier wird selbst den der autobiographischen Erinnerung dienenden Fotografien ein historischer Wert zugesprochen. 268 Bouvier weist darauf hin, dass die öffentliche Erinnerungspraxis „auf ‚prominente‘ Persönlichkeiten, das heißt auf Personen von ausgeprägt öffentlichem Interesse und hohem sozialen, politischen oder kulturellen Ansehen“ beschränkt ist, Bouvier, S. 103; dieser Personenkreis hat sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch immer schneller wechselnde Moden und unzählige „Stars“ stark ausgedehnt und ist wesentlich stärker im Bewusstsein der Allgemeinheit verankert als Teile des historischen Gedächtnisses. Der Blick auf die Vergangenheit wird immer stärker an diesen „Starkult“ angeglichen, so dass historischen Objekten nur dann ein Wert beigemessen wird, wenn diese das durch mediale Aufbereitung geprägte Bild einer bestimmten Zeit oder Persönlichkeit widerspiegeln, was Bouvier am Beispiel Elisabeths von Österreich, die durch die entsprechenden Filme als „Sissi“ bekannt wurde, deutlich macht, vgl. Bouvier, S. 116f; auch Biskup/Kohlrausch weisen auf die Verknüpfung der Massenmedien und der Wahrnehmung ausgewählter Adliger (wie „Si(s)si“) als „Stars“ hin, Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 26f. 269 Welches, wie in Kap. 1. deutlich wurde, in der Presse häufig formuliert wird. 270 Vgl. v.a. Lowenthal; auch Gillman merkt kritisch an: „Heritage praises certain political ancestors but marginalises or eliminates others.“, Gillman, S. 73; vgl. Selby, Martin: People-Past: The Visitor Experience of Cultural Heritage, in: Waterton/Watson, S. 42. 271 Vgl. Assmann, S. 309f.
246 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Dabei handelt es sich um Spuren, Reste, Relikte, Sedimente einer vergangenen Zeit, die zwar noch da sind, aber (vorübergehend) bedeutungslos, unsichtbar sind. Was im derzeit physisch oder geistig unzulänglichen Latenz-Zustand existiert, kann von einer späteren Epoche wiederentdeckt, gedeutet, imaginativ wiederbelebt werden.“272
Erinnerungsobjekte eignen sich für eine solche Wiederbelebung besonders, da sie laut Hillert als „Schnittstelle zwischen objekt-bezogener Kulturgeschichte, soziokulturellen Parametern und persönlich psychologischen Chiffren“273 fungieren. Es ist daher möglich, die Bedeutungsebene der einer Erinnerungskultur des Adels zugehörigen Dinge in Form eines Bestandteils des historischen Gedächtnisses erneut sichtbar werden zu lassen. 3.1.4 Die Besonderheit des Porträts Menschliche Bildnisse und Porträts nehmen innerhalb der Welt der Dinge eine besondere Rolle ein. Generell löst die menschliche Darstellung stärkere Bindungsgefühle beim Betrachter aus, als dies bei der bildlichen Wiedergabe von Objekten oder abstrakten Formen der Fall ist. Dies gilt sowohl für bildliche als auch plastische Darstellungen und wird mit zunehmend naturalistischer Nachbildung verstärkt: Je menschlicher die Abbildung, desto größer ist der dieser entgegengebrachte Respekt274. Im Umgang mit Porträts erkennbarer Personen erfahren die hervorgerufenen Emotionen eine Steigerung. Als Stellvertreter der dargestellten Person wird der einem Porträt zugeschriebene Wert nochmals gesteigert. Die Stellvertreterfunktion ist stärker als Verkörperung von Personen, denn als Erinnerung an diese zu verstehen. Das Porträt kann damit eine Art Zwischenstufe zwischen Ding-Mensch-Beziehungen und Mensch-Mensch-Beziehungen einnehmen, die bis zu deren völliger Gleichsetzung erhöht werden kann275 . Die Fähigkeit menschlicher Darstellungen, beim Betrachter starke Emotionen auszulösen, führte seit jeher zu deren besonderer Behandlung. Im Mittelalter war es beispielsweise selbstverständlich zu glauben, dass Bildnisse Erziehungsfunktionen 272 Assmann, S. 409; vgl. auch Pomian, der darauf hinweist, dass auch Abfall zu Semiophoren werden kann, Pomian 1998, S. 56. 273 Hillert, S. 49; „Souvenir und Andenken als unter dominantem Erinnerungsaspekt zustandegekommene Amalgame traditioneller Rituale und Dingfunktionen zu bestimmen, fördert nicht nur ein Blicktraining für Herkünfte und ungewöhnliche neue Kombinationen. Es ermöglicht auch, einen Statuswechsel der Dinge präziser zu erfassen.“, Oesterle, S. 31. 274 Vgl. Raz, der feststellt, dass der Respekt gegenüber anderen Menschen eine dem Menschen innewohnende Eigenschaft ist, Raz, S. 138f; dies überträgt sich auf Abbildungen des Menschen. 275 Beispielsweise nahm nach dem Tod Franz (I.) König von Frankreich eine lebensechte Puppe/Effigie für eine Dauer von zwei Wochen den Platz des verstorbenen Regenten ein und führte mit dieser das Hofzeremoniell ebenso weiter, als sei dieser noch am Leben, Marek, S. 205; „Ein Bildkörper gibt dem toten Körper ein Medium, um erscheinen und präsent bleiben zu können. Der Tote wiederum gibt dem Bild die Legitimation, die es benötigt, um wirksam zu sein.“, Marek, S. 234.
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übernehmen können276 und noch in späterer Zeit wurden sie zu ähnlichen Zwecken genutzt277. Auch wenn heute der bewusste Dialog mit Bildern zugunsten eines schnelleren und oberflächlicheren Konsums von Abbildungen stärker in den Hintergrund gerückt ist, zeigt die Verwendung menschlicher Bildnisse in Werbung und Journalismus, dass deren Wirkung noch immer bewusst zum Einsatz kommt. Das insgesamt distanziertere Verhältnis zu Bildern, welches Gefühle nur bedingt zulässt278 , kann eine Bindung zu Abbildern des Menschen nicht verhindern. Freedberg führt dies auf die grundsätzliche Vorstellung zurück, dass dargestellte Menschen „somehow have the status of living bodies.“279 Der Mensch sucht zudem selbst in abstrakten und ornamentalen Formen nach lebendigen Elementen, da er zu diesen besser in Kontakt treten kann280. In der Welt der Objekte sind Menge und Varianten menschlicher Darstellungen nahezu unüberschaubar: biblische Gestalten und Heilige, Figuren aus der Mythologie, allegorische Gestalten, stereotype Verkörperungen von Berufen oder Gesellschaftsschichten und viele mehr werden einzeln oder in Gruppen wiedergegeben. Die Rezeption all dieser Bildnisse ist immer davon abhängig, ob jede/r einzelne Dargestellte vom Betrachter allein als menschliche Gestalt oder in Verbindung mit ihrer jeweiligen Geschichte wahrgenommen wird. Im ersten Fall nehmen ästhetische Faktoren einen stärkeren Einfluss auf die Wirkung des Bildes, im zweiten Fall werden die ausgelösten Emotionen wesentlich vom Wissen über die/den Dargestellten mitgeprägt. Das Entstehen einer mehr oder weniger starken Bindung ist daher abhängig vom Vorgang des Erkennens einer Person im Bild. Die Zuschreibung von Werten ist allerdings nicht daran gebunden, dass der Rezipient diejenige Figur wahrnimmt, welche der Hersteller oder Künstler darstellen wollte, oder ob er im Objekt eine andere Person verkörpert sieht. Gillman verdeutlicht dies am Beispiel der Zinnfigur eines Reiters, welcher alle äußerlichen Merkmale eines Cowboys aufwies, von einer älteren Frau in Singapur jedoch als Kriegsgott Guandi verehrt wurde281 : Jeder Betrachter stellt das Gesehene immer in den Kontext des eigenen Wissens und der eigenen Erfahrung282. Auf Basis dieses individuellen Kontextes wird schließlich die Nutzung
276 Vgl. Freedberg, David: The Power of Images. Studies in History and Theory of Response, Chicago, London 1991, S. 4. 277 Beispielsweise zu auf das Jenseits vorbereitenden Erziehungszwecken vor der Hinrichtung Verurteilter, vgl. Freedberg, S. 9. 278 „We go into a picture gallery, and we have been so schooled in a particular form of aesthetic criticism that we suppress acknowledgement of the basic elements of cognition and appetite, or admit them only with difficulty. Sometimes it is true, we are so moved that we may be on the verge of tears, but for the rest, when we see a painting we speak of it in terms of color, composition, expression, and the means of conveying things like space and movement.“, Freedberg, S. 17-18; vgl. auch Freedberg, S. 22. 279 Freedberg, S. 12. 280 Vgl. Freedberg, S. 60. 281 Gillman, S. 99. 282 Vgl. Freedberg, S. 188.
248 | S AMMLUNGEN DES A DELS von Bildnissen möglich, welche beispielsweise Funktionen zur Erinnerung, zur Anbetung, zur Veranschaulichung, zur Verehrung oder zur Erzählung erfüllen kann283. Die Wirkung eines Porträts geht über die generell von menschlichen Darstellungen ausgelösten Emotionen noch hinaus, da die vom Künstler bewusst hergestellte Verbindung zwischen Abbild und dargestellter Person deren reale Existenz beweist284. Unmittelbarer als andere Erinnerungszeichen ermöglichen es Porträts daher, abwesenden oder verstorbenen Menschen zu gedenken, und ein Porträt kann trotz der bewusst wahrgenommenen Absenz einer Person ein Gefühl von deren Präsenz hervorrufen285 . Voraussetzung ist in diesem Fall jedoch, dass die/der Abgebildete vom Betrachter identifiziert wird. Diese Verbindung mit dem Namen der jeweiligen Person kann entweder durch das Erkennen physischer Merkmale, durch eine zugehörige Inschrift oder den gegebenen Kontext hergestellt werden286. „Gerade die Ähnlichkeit mit dem Porträtierten ist es, die der Präsenzbehauptung des Porträts den besonderen Nachdruck verleiht. Gerade sie war und ist imstande, vor und jenseits der Dialektik von Präsenz und Absenz die reale Abwesenheit in die Fiktion vertrauter und authentischer Anwesenheit der Realität zu verwandeln.“287
Die Zweidimensionalität des Bildes stört die so entstehende Bindung ebenso wenig wie von der Lebensgröße abweichende Bildformate288. Des Weiteren ist Ähnlichkeit nicht allein an physische Merkmale gebunden, sondern basiert auch auf der treffenden Wiedergabe von Persönlichkeit289. Diese, wie auch die soziale Stellung oder
283 Freedberg weist darauf hin, dass beispielsweise bei Pilgerfahrten Bilder zahlreiche Funktionen hatten und allgegenwärtig waren. Neben dem Bild, welches mit dem Ziel der Fahrt verknüpft war, traf man zudem unterwegs auf zahlreiche Votivbilder. Souvenirbilder waren und sind außerdem eng mit dem Pilgern verbunden, vgl. Freedberg, S. 99ff. 284 „Es bezieht sich immer auf ein existierendes Element der Realität in Gestalt einer realen Person.“, Preimesberger, Rudolf: Einleitung, in: Preimesberger, Rudolf/Baader, Hannah/Suthor, Nicola (Hrsg.): Porträt. Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Band 2, Berlin 1999, S. 17. 285 Vgl. Preimesberger, S. 22; „Painting makes the absent present and the dead living; it aids memory and recognition; it can inspire awe; it rouses piety; and it transforms the value of unfigured material (just as sculpture does).“, Freedberg, S. 44. 286 Preimesberger weist auf die untrennbare Verbindung zwischen Namen und Porträts hin, vgl. Preimesberger, S. 20; auch Beyer betont die Notwendigkeit, das Porträt mit dem/der Dargestellten verbinden zu können, vgl. Beyer, Andreas: Im Bild bleiben, in: Hartwig, Ina/Spengler, Tilman (Hrsg.): Das Bleibende. Kursbuch 158, Berlin 2004, S. 102; in einzelnen Fällen genügt es, wenn eine Verbindung zur Position oder Funktion der/des Porträtierten hergestellt wird, so wird beispielsweise die Identifikation einer Person als Herrscher eine ähnliche (wenn auch nicht gleichzusetzende) Reaktion hervorrufen wie das tatsächliche Erkennen eines bekannten Herrschers. 287 Preimesberger, S. 19. 288 Vgl. Preimesberger, S. 23f. 289 Die Darstellung des Inneren eines Menschen ist laut Preimesberger seit jeher das Ansinnen der Porträtisten, Preimesberger, S. 51; die weitere Lösung des Porträts von der physi-
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Funktion der/des Dargestellten, können durch eine detaillierte Gestaltung des Hintergrundes oder durch Attribute hervorgehoben werden290 . Das Porträt verknüpft derart das Äußere mit dem Inneren sowie der Biographie eines Menschen und ist damit Ausdruck menschlicher Individualität291. Preimesberger fasst diese und weitere Aspekte des Porträts wie folgt zusammen: „Es zählt zu diesen Motiven der Gedanke der Bildlichkeit und Abbildlichkeit des Menschen, manifest in der Rede vom Sohn als dem Bild des Vaters und der aus älteren Quellen gespeisten biblischen Rede von der Gottebenbildlichkeit des Menschen ebenso wie der Gedanke vom mythischen Ursprung des Porträts aus dem Schatten und dem Spiegel. Es zählt zu ihnen der Grundgedanke von der unaufhebbaren Spannung zwischen Körper und Seele, Außen und Innen des Menschen und vom Körper als dem Gefäß der Seele. Es gehört dazu der Glaube an die Lesbarkeit des Gesichts, an das Antlitz des Menschen als natürliches Zeichen, der Zweifel daran und der daraus resultierende zweifelsfreie oder fragwürdige Status der Physiognomik. Es gehört dazu der beharrliche Versuch einer Theorie der Ähnlichkeit.“292
Ähnlichkeit, ob physiognomisch oder durch Abbildung von Charakterzügen, kann Stellvertreterfunktionen von Porträts begünstigen, ohne jedoch Voraussetzung für diese zu sein. Wie stark die Wirkung von Porträts auch für die/den Dargestellten selbst ausfallen kann, belegen Zeugnisse, die von Enttäuschungen über geringe Ähnlichkeit bis hin zur Veranlassung zur Zerstörung aus diesem Grund oder wegen zu treffender Wiedergabe ungeliebter Wesenszüge reichen293 . Einige berühmte Beispiele verdeutlichen, wie stark ein Porträt Elemente der dargestellten Person in sich aufnehmen kann: möglicherweise auch solche, die dieser zwar erkennt, jedoch nicht öffentlich zeigen möchte. Die Diskussion um ein Porträt Winston Churchills, von dem er selbst der Meinung war, dass es ihn als alten kranken Mann zeige, wurde beispielsweise erst durch dessen Zerstörung von Hand seiner Witwe beendet294. Georg (V.) König von Großbritannien und Irland Kaiser von Indien missfiel ein Porträt von Hand eines Vertreters der Royal Academy Art School so sehr, dass er es durch ebendiese Institution – also eine Kultureinrichtung – zerstören ließ295. Sax erklärt derart starke Abneigungen durch die Eigenschaft des Bildnisses, den Dargestellten wahr-
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schen Ähnlichkeit war daher eine logische Konsequenz der Verbreitung der Fotografie ab dem 19. Jahrhundert, vgl. Preimesberger, S. 19. Dies wird vor allem bei ganzfigurigen Darstellungen genutzt, welche vom 16.-19. Jahrhundert weit verbreitet waren, vgl. Reinle, Adolf: Das stellvertretende Bildnis. Plastiken und Gemälde von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, Zürich, München 1984, S. 185f. Vgl. Beyer, S. 107; vgl. Schrader, Karin: Der Bildnismaler Johann Georg Ziesenis (17161776). Leben und Werk mit kritischem Oeuvrekatalog, Göttinger Beiträge zur Kunstgeschichte, herausgegeben von Karl Arndt, Band 3, 1995 (zugleich Dissertation Universität Göttingen), S. 117. Preimesberger, S. 60. Vgl. Reinle zu Aussagen über Ähnlichkeiten als Funktion höfischer Bildnisse, Reinle, S. 149. Vgl. Sax 1999, S. 35ff; Churchill hatte zudem angeordnet, dass es keine Reproduktionen des Porträts geben sollte, vgl. Sax 1999, S. 41. Vgl. Sax 1999, S. 39.
250 | S AMMLUNGEN DES A DELS haftig abbilden zu können296. Diese Eigenschaft hat jedoch insgesamt häufiger zu einem positiven Umgang mit Porträts als zu Zerstörungen geführt. Im Leben des Adels nahmen Porträts durch die Fähigkeit des „wahrhaftigen Abbildens“ bis hin zur Stellvertreterfunktion daher eine wesentliche Rolle sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben ein. Sie konnten beispielsweise als erster Schritt der Annäherung in der Heiratspolitik des Hochadels297 über persönliche und politische Schicksale entscheiden. Rein persönlich war dagegen die Beziehung zu Bildern für den Verlobten, welche adlige Frauen als Liebesgaben verschenkten oder zu Darstellungen geliebter Personen in Privaträumen298. Öffentliche Aufgaben übernahmen darüber hinaus Repräsentationsbildnisse. Auf Reisen entstandene Bildnisse verbanden öffentliche und private Funktionen: „Man transportierte [...] Effekte der Reise nach Hause und legte ein visuelles Zeugnis seines Lebenslaufes ab. Die Bildnisse wurden in den Dekor des Wohnhauses eingefügt und erlangten zwei Wirkungsrichtungen, einerseits als Bestätigung für sich selbst, die Familie und die eigene soziale Klasse und andererseits gegenüber Dritten als Zeichen der sozialen und politischen Autorität.“299
Porträtgemälde wurden aufgrund ihrer zahlreichen Nutzungen zeitweise zur Hauptaufgabe der Künstler300, und die Gruppe des Adels war diesbezüglich über Jahrhunderte hinweg deren größter Auftraggeber. Plastische Bildnisse ergänzten diese Gemäldeproduktion. Beispielsweise ist für das 17. und 18. Jahrhundert der Wunsch nach einer möglichst lebendig wirkenden Darstellung anzunehmen301 , welche in Form von Wachsbildnissen eine besondere Ausführung fand. Zur Erinnerung fertigte man Wachsfiguren früh verstorbener Kinder an und auch zur Repräsentation wurde dieses Material genutzt, um teilweise lebensgroße und mit dem Herrscherornat bekleidete Figuren herzustellen302. Kleinformatig, allerdings aus kostbareren Materialien, wie beispielsweise Silber, ließ der Adel für den guten Verlauf einer Geburt zudem Kinderfiguren anfertigen303. Die Funktionen sämtlicher Bildnisse anwesender, abwesender, lebender sowie verstorbener adliger Personen waren – beispielsweise als Mittel sozialen Verhaltens und als Erinnerungsobjekte – vielfältig und diese sind daher eng mit den Wohnstätten des Adels verknüpft. Von Kindheit an bis ins hohe Alter entstanden je nach Stellung 296 Sax 1999, S. 40. 297 Vgl. Reinle, S. 149. 298 Vgl. Reinle, S. 131; auch von Keller berichtet über eine Porträtzeichnung, welche die Hofdame Claire (Clara Johanna Caroline) von Gersdorff von Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg gezeichnet hatte. Diese überreichte die Kaiserin ihrem zukünftigen Schwiegersohn im Vorfeld der Verlobung, von Keller, S. 287. 299 Luckhardt 2002, S. 11-12. 300 Vgl. Reinle, S. 185f. 301 Vgl. Brückner, S. 164ff. 302 Vgl. Brückner, S. 136f; vgl. auch Reinle, S. 21; diese sind jedoch nicht gleichzusetzen mit Effigies, welche nicht als Porträts, sondern als Verkörperungen eines Teils der/des Dargestellten verstanden werden müssen, vgl. Marek, S. 41. 303 Vgl. Reinle, S. 19.
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der jeweiligen Person zahlreiche Bildnisse304 von persönlich genutzten Miniaturen bis zum großformatigen Staatsporträt. Die Vorsorge für eine ruhmreiche Erinnerung der eigenen Person in der Zukunft und die Repräsentation der gegenwärtigen Position zählen zu den Gründen dieser umfangreichen Bildnisproduktion: Porträts dienten der Manifestation politischer Macht und sozialer Stellung305. Solche Repräsentationsbildnisse können die jeweilige Person eingebunden in eine inszenierte Handlung zeigen, welche Stellung und Macht verdeutlicht306, in der Regel folgte die Darstellung jedoch einem standardisierten Bildschema: „Auf diesen Staatsporträts wird das Modell gewöhnlich lebensgroß oder überlebensgroß dargestellt, stehend oder auf einem Thron sitzend [...]. Die Augenhöhe liegt über der des Betrachters, damit der höhere Rang deutlich wird. Aus Gründen der Schicklichkeit darf das Modell nicht in Alltagskleidung präsentiert werden. Es trägt eine Rüstung, die seine Bedeutung symbolisiert, oder kostbare Roben zum Zeichen seines hohen Rangs und ist umgeben von Objekten, die für Macht und Majestät stehen – klassische Säulen, Samtvorhänge usw. [...]. Haltung und Ausdruck vermitteln Würde.“307
Ab dem 18. Jahrhundert ersetzte die Uniform häufig Rüstung oder Robe und (bereits beginnend zur Zeit des Rokoko) wurde im 19. Jahrhundert der Hintergrund meist weniger stark ausgestattet. Die Grundzüge solcher Herrscherbildnisse blieben jedoch bis 1918 die gleichen. Während allerdings seit dem Entstehen der Repräsentationsbilder in der Frühen Neuzeit diese Art der Erinnerungszeichen allein den Fürsten zugestanden wurden (da sich diese auf ihn als öffentliche, nicht als private Person bezogen)308, wurde ab dem 18. Jahrhundert ein größerer Personenkreis als erinnerungswürdig befunden309. Nicht außer Acht zu lassen ist zudem, dass es sich bei Repräsentationsbildnissen im Gegensatz zu öffentlichen Denkmalen um Objekte handelte, welche nur von einem ausgewählten Personenkreis betrachtet werden konnten. Sie waren vor allem an den Hof sowie diejenigen europäischen Höfe gerichtet, mit welchen man in Verbindung stand. Trotzdem ist davon auszugehen, dass sie der Vergrößerung des Ruhms (gegenwärtig und zukünftig) dienen sollten und nicht allein der Verherrlichung durch Einzelpersonen310. 304 Von Keller erwähnt mehrfach Porträtsitzungen, so porträtierte beispielsweise Franz von Lenbach 1886 die spätere Kaiserin und damalige Prinzessin Auguste Viktoria von Preußen, von Keller, S. 54; 1899 entstand ein Porträt der damaligen Prinzessin Victoria Luise (später zu Braunschweig und Lüneburg) von Philip Alexius de László, vgl. von Keller, S. 214. 305 Vgl. Marek, S. 195; wie auch die Vermögensbindungen zum Erhalt des „Glanzes“ der Familie beitragen sollten, nutzte man die Künste zum Erhalt des „Glanzes“ der jeweiligen Person, wie Burke am Beispiel Ludwigs (XIV.) von Frankreich verdeutlicht, Burke, S. 67. 306 Vgl. Reinle, S. 71. 307 Burke, S. 32. 308 Vgl. Baader, Hannah: Gabriele Paleotti: Ähnlichkeit als Kategorie der Moral (1582), in: Preimesberger/Baader/Suthor, S. 305. 309 Vgl. Reinle, S. 276. 310 Vgl. Burke, S. 13.
252 | S AMMLUNGEN DES A DELS Das Maß der Selbstrepräsentation war, neben der Persönlichkeit des jeweiligen Regenten, auch davon abhängig, wie einflussreich die Ahnen gewesen waren. Konnte man sich auf diese berufen, war die eigene Stellung weniger stark von aufwändigen Inszenierungsstrategien abhängig311 und man stellte sich in deren Tradition, wobei jeweils zeitgemäße Darstellungsmethoden genutzt wurden312 . Daher waren Porträtdarstellungen immer von ihrer Entstehungszeit geprägt und können aus heutiger Sicht Hinweise auf Selbstverständnis und Lebensumwelt der Dargestellten geben. Die Zeit des Absolutismus brachte besonders vielfältige und reichhaltige Repräsentationsbildnisse hervor, und Burke beschreibt in seiner Untersuchung der Darstellung Ludwigs (XIV.) von Frankreich den damaligen Höhepunkt von Maßnahmen, die man heute als Marketingstrategien bezeichnen würde: Ludwig (XIV.) von Frankreich nutzte die unterschiedlichsten Medien – von der Literatur über Graphiken und Gemälde bis hin zu großformatigen Plastiken – zur Verbildlichung seiner Macht313 . Der Stellenwert des Detailreichtums absolutistischer Selbstinszenierung im Porträt wird von Burke auf den Punkt gebracht, wobei dieser gleichzeitig einen dem Bild Goffmans entsprechenden Hinweis auf Dinge als Mittel sozialen Verhaltens gibt: „Ludwig erscheint meist umgeben von einem ganzen Haufen von würdevollen oder Würde verleihenden Requisiten wie Reichsäpfeln, Zeptern, Schwertern, Blitzen, Wagen und diversen Kriegstrophäen. Göttinnen wie Minerva und Victoria- und Famafiguren stehen oder schweben über dem Monarchen, wenn sie ihm nicht gerade einen Lorbeerkranz aufsetzen [...]. Flüsse wie der Rhein erheben die Hände vor lauter Verwunderung über die Taten des Königs. Zur Ausstattung gehören auch verschiedene Figuren in unterwürfiger Haltung, besiegte Feinde etwa, kauernde Gefangene, ausländische Gesandte, die sich vor dem König verneigen, und Ungeheuer, die zertreten werden [...]“314
Im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert erfüllten gemalte Porträts noch immer repräsentative Funktionen315 und wurden unterstützt durch die weite Verbreitung von
311 Dies verdeutlicht Burke am Vergleich Ludwigs (XIV.) von Frankreich mit seinem Schwiegervater Philipp (IV.) König von Spanien König von Neapel und Sizilien König von Sardinien König von Portugal: „Der Gegensatz zwischen Ludwig und Philipp mag eine Angelegenheit unterschiedlichen Naturells gewesen sein, sollte aber auch unter dem Aspekt von Politik und Kulturtradition betrachtet werden. Die Nüchternheit Philipps, wie die des Kaisers Leopold [I.], entsprach habsburgischem Stil. Man könnte sagen, dass eine Familie, die seit dem dreizehnten Jahrhundert herrschte, durch ihre Abstammung so weit legitimiert war, dass sie im Grunde keine Verherrlichung durch andere Mittel benötigte.“, Burke, S. 221. 312 Steckhahn weist bezüglich der Welfen auf eine jeweils moderne Darstellungspraxis hin, vgl. Steckhahn, S. 10. 313 Vgl. Burke, S. 28. 314 Burke, S. 48. 315 Beispielsweise machte Wilhelm (II.) von Preußen der Pariser Botschaft ein Porträt zum Geschenk, das ihn in typischer Herrscherpose zeigt, vgl. Roters, S. 54; Porträtgemälde wurden auch gezielt dazu eingesetzt, durch die Betonung von Stärke und Tatkraft die offen gezeigte Blindheit Georgs (V.) von Hannover nicht als Nachteil erscheinen zu lassen,
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druckgraphischen Abbildungen, die größere Bevölkerungskreise erreichten316 . Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts trat zudem die Fotografie als neue Form der Bildnisdarstellung an die Seite dieser etablierten Medien. Neben der Funktion von Fotografien als Erinnerungszeichen im privaten Gebrauch317 wurden offizielle Porträtaufnahmen der Monarchen vor allem zur Repräsentation in der Öffentlichkeit genutzt. Porträtmalerei und Porträtfotografie beeinflussten sich zunächst gegenseitig, wobei die Fotografie herkömmliche Posen der Malerei übernahm, schließlich aber auch Gemälde nach Fotografien angefertigt wurden318 . Die Fotografie ermöglichte zudem die Anfertigung größerer Mengen von Porträts und es entstanden sowohl Einzelporträts als auch Gruppenaufnahmen, welche beispielsweise Herrscherpaare mit ihren Kindern abbildeten. Familienbilder waren sehr beliebt, ebenso wie die in das Medium der Fotografie übertragenen Staatsporträts. Man nahm Jubiläen und andere Feierlichkeiten zum Anlass, um Fotografien anfertigen zu lassen. Diese konnten erworben werden, wurden an ausgewählte Personen verschenkt und waren teilweise von der/dem Dargestellten handsigniert319 . Im 20. Jahrhundert beauftragte man regelmäßig Fotografen, um bei Veranstaltungen und öffentlichen Auftritten Aufnahmen zu machen. Die Bilder wurden für die Presse und als Postkarten verwendet. Herrscherpostkarten waren in Tabak- und Schreibwarenläden erhältlich und als populäre Sammelobjekte ging ihre Auflage zum Teil bis in Millionenhöhe320. Sowohl die Fotografie als auch der Film wurden vom Berliner Hof zu derartigen Zwecken genutzt, ein Vorgehen, das nach 1913 am Hof in Braunschweig aufgegriffen wurde. Bereits zur Verlobung Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (damals Prinzessin von Preußen) und Ernst Augusts (III.) von Hannover (damals Herzog von Cumberland) wurde im Auftrag des Kaiserhauses eine Postkartenserie angeboten und ein zu deren Hochzeit gedrehter Film wurde in Lichtspielhäusern gezeigt321. Noch immer war aufwändige Repräsentation vor allem dann nötig, wenn die Thronübernahme – wie im Fall der Welfen 1913 – problematisch war und nicht in einer ungebrochenen Abfolge der Generationen stand:
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vgl. Busch, Ralf: König Georg V. im Portrait, in: Keindorf/Moritz, S. 19; vgl. auch Steckhahn, S. 28. Vgl. Busch, R., S. 19. Die Begeisterung für dieses Medium wird in einer Anekdote Gräfin Kellers deutlich, die berichtet, dass vom erstgeborenen Sohn des damaligen Kronprinzenpaares angefertigte Fotografien nach deren Anlieferung sofort an der Tür betrachtet wurden, von Keller, S. 41. Vgl. Steckhahn, S. 17 und S. 45. Beispielsweise zum 60. Thronjubiläum Victorias von Großbritannien und Irland, vgl. Steckhahn, S. 19, S. 28 und S. 45; beispielsweise zum 10. Thronjubiläum Wilhelms (II.) von Preußen, vgl. Kirschstein, S. 15. Vgl. Steckhahn, S. 101f; selbst von Spaziergängen Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg wurden Postkarten angefertigt, vgl. Otte, S. 130. Vgl. Steckhahn, S. 106 und S. 117; von den Hochzeitsfeierlichkeiten selbst wurden keine Fotografien angefertigt, allerdings entstanden Aquarelle, die als Postkartenserie aufgelegt wurden, vgl. Steckhahn, S. 136.
254 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Für den neu inthronisierten Herzog [zu Braunschweig und Lüneburg] und seine Familie waren Porträt- und Bildpostkarten ein besonders nützliches Medium, so dass diese Technik im Land Braunschweig zum Einsatz kam. Durch die große Auflagenzahl wurden die Mitglieder des Welfenhauses in breiten Kreisen der Bevölkerung visuell bekannt gemacht. Besonders für den Herzog, der lange Zeit nicht an vorderster Stelle der Thronfolge gestanden hatte, war dies wichtig.“322
Wenn auch nach 1918 in Deutschland keine offiziellen Repräsentationsbildnisse dieser Art mehr entstanden, kann für einzelne Vertreter des Hochadels eine Kontinuität im Umgang mit Fotografie und Presse festgestellt werden. Die noch amtierenden europäischen Königshäuser waren und sind weiterhin in den Medien präsent, und auch deren Verbindungen zu deutschen Adelshäusern wurden und werden von der Presse interessiert verfolgt. Insgesamt hat jedoch die Aufmerksamkeit, welche dem deutschen Hochadel noch in den Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zuteil wurde, bis heute stark abgenommen323. Adlige Einzelpersonen, welche wiederholt in den Medien vertreten sind, treten entweder als Unternehmer in Erscheinung oder werden als Mitglieder einer Gruppe von öffentlich bekannten Personen wahrgenommen, zu welcher ebenso Politiker und Schauspieler zählen324 . Die öffentliche Darstellung und Repräsentation der eigenen Person in der Gegenwart ist jedoch nur ein Aspekt der Porträtherstellung und -rezeption des Adels. Bildnisse spielen darüber hinaus eine wichtige Rolle in der für den Adel bedeutenden Verbindung vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Generationen. In diesem Zusammenhang war in der Vergangenheit das Bewusstsein um die Dauerhaftigkeit 322 Steckhahn, S. 102; sowohl beim Einzug in Braunschweig als auch in den anderen Städten des Herzogtums entstanden Fotografien, vgl. Steckhahn, S. 143. 323 Die Berichterstattung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war jedoch bereits geprägt von der Ambivalenz, welche heute auch im Zusammenhang mit Objekten aus Adelsbesitz auffällt: der Tonfall schwankt zwischen unterwürfigem Respekt und Spott. Dies nahm auch der Adel selbst wahr, wie ein Verwandter Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg in einem Brief an diese zusammenfasste: „Du kannst mit den Reportern und Redakteuren sehr gut umgehen im Gegensatz zu Lulu, über den immer abwertend, spöttisch und lächerlich machend berichtet wird (‚Hoheit lassen trimmen‘!)“, unbekannter Verfasser: Brief an Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, 3. Juni 1972, unveröffentlichter Privatbesitz. 324 Vgl. Steckhahn, S. 208; als Ausnahme kann diesbezüglich der 1994 verstorbene Chef des Hauses Hohenzollern, Louis Ferdinand Prinz von Preußen, gelten. Er wurde einerseits als zurückhaltender Mensch beschrieben, der „sich weit weniger in den Vordergrund drängt als die Vertreter anderer hochadliger Häuser“, Riehl, S. 124, und war zudem im Zusammenhang mit der Diskussion um eine Restauration der Monarchie nach dem Zweiten Weltkrieg für Presse und Öffentlichkeit von Interesse, vgl. Braunschweiger Zeitung, 18. Dezember 1980: Prinz Louis Ferdinand über die Herzogin: „Sie war eine Grande Dame“; vgl. Spiegel, 10. April 1957: Wenn ich Kaiser wär’. Ein Spiegel-Gespräch mit Dr. Louis Ferdinand von Preußen, Chef des Hauses Hohenzollern; insgesamt war das Interesse an den ersten Generationen der Nachkommen des Kaiserhauses – so beispielsweise auch an Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg – größer, als dies heute für die späteren Generationen der Fall ist.
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des Bildnisses im Gegensatz zur Endlichkeit des Lebens ein bedeutender Grund für die Anfertigung von Porträts: „Durch das Bild gelingt es dem Körper, gegenwärtig zu bleiben, teilt er weiterhin Raum und Zeit mit dem Betrachter.“325 Für den Betrachter war dabei nicht allein die Erinnerung an die Vorfahren das Ziel, sondern auch die lebendige Verdeutlichung ihrer Vorbildfunktion. Die Abbildungen ermöglichten eine für die gegenwärtigen Generationen unverkennbare Präsenz bereits verstorbener Personen, welche deren nachahmenswerte Biographie als verpflichtendes Beispiel – besonders für den jeweiligen Chef eines hochadligen Hauses – vor Augen führte326. Jeder Einzelne verstand sich als Teil einer kontinuierlichen und aufeinander aufbauenden Abfolge der Generationen, so dass auch in den Porträts – welche an sich immer Darstellungen von Individualität sind – großer Wert auf die Betonung von Familienähnlichkeiten gelegt wurde327. Bezüge zur Vergangenheit in einem Bildnis und bildimmanente Verweise auf bedeutende Ahnen oder Vorbilder hatten das gleiche Ziel und deuten darauf hin, dass die Dargestellten sich bewusst als Teil von Geschichte begriffen328. Des Weiteren diente eine durch Gemälde visualisierte Ahnenreihe – mit der Betonung auf Verwandten, welche hohe Ämter bekleideten – zur Legitimation der eigenen Position. 325 Beyer, S. 101; Beyer sieht in der „Vorausahnung des Todes“ den „Ursinn dieser Bildproduktion“, Beyer, S. 101. 326 Vgl. einen von Baader kommentierten Brief Petrarcas, der über Münzen mit den Bildnissen römischer Kaiser berichtet, welche Petrarca Karl (IV.) Prinz von Luxemburg König von Böhmen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zum Geschenk gemacht hatte: „Und ich sagte: ‚Schau diese an, mein Kaiser, der Du ihr Nachfolger bist, schaue sie an! Strebe dannach [sic] ihnen zu gleichen und zu bewundern, gestalte Dich nach ihrer Form und ihrem Bilde ... Ich freilich kenne die Art, die Namen und die Taten dieser Herrscher, Deine Aufgabe ist es jedoch, sie nicht nur zu kennen, sondern ihnen auch nachzuleben. Daher kam Dir dieses Geschenk von Rechts wegen auch zu.‘“, Brief des Francesco Petrarca an Lello di Stefano da Pisa vom 25. Februar 1355, abgedruckt und kommentiert: Baader, Hannah: Francesco Petrarca: Das Porträt, der Ruhm und die Geschichte. Exempla virtutis (1355), in: Preimesberger/Baader/Suthor, S. 189; vgl. auch Baader: Francesco Petrarca, S. 192; auch Burke betont, dass bei den Porträts am französischen Königshof nicht allein ein Bild des Königs, sondern „l’histoire du roi“ gezeigt werden sollte, Burke, S. 16; dieser weist außerdem darauf hin, dass in den königlichen Memoiren von einer Verpflichtung der Könige die Rede sei, welche „allen Zeitaltern“ ihre Handlungen durch Darstellung zu übermitteln hatten, Burke, S. 185. 327 Vgl. Beyer, S. 105; auch nach 1918 ist die Betonung von Familienähnlichkeiten – auch unabhängig von Porträts – für den Hochadel bedeutsam, beispielsweise erwähnte Louis Ferdinand von Preußen die Ähnlichkeit Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg mit deren Eltern, Braunschweiger Zeitung, 18. Dezember 1980. 328 Beispielsweise wurde Ludwig (XIV.) von Frankreich mit Ludwig (IX.) König von Frankreich (Ludwig dem Heiligen), mit Chlodwig (I.) König des Frankenreiches und Karl (dem Großen) König und Kaiser des Frankenreiches gleichgesetzt, vgl. Burke, S. 41 und S. 46; bereits in der Antike „annektierte“ man berühmte Persönlichkeiten als Ahnen, vgl. Reinle, S. 72; vgl. Shevchenko, S. 233; vgl. Baader: Francesco Petrarca, S. 193; vgl. Fuhrmann, Bernd/Meteling, Wencke/Rajkay, Barbara/Weipert, Matthias: Geschichte des Wohnens. Vom Mittelalter bis heute, Darmstadt 2008, S. 119.
256 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ahnenporträts nahmen aus diesen Gründen in der Hierarchie der Dinge die höchste Stufe ein und gehörten auch zur Ausstattung der fürstlichen Privaträume329. Noch im 20. Jahrhundert verdeutlichte der über Jahrhunderte gewachsene Bestand an Porträts im Braunschweiger Residenzschloss die Weitläufigkeit und Prominenz der Verwandtschaft des Herzogshauses. Beispielsweise waren Porträts Peters (II.) Kaiser/Zar von Russland330 , Maria Theresias von Österreich331, Georgs (I.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg König von Großbritannien und Irland332 sowie Karls (VI.) Erzherzog von Österreich König von Ungarn und Kroatien, Böhmen, Neapel, Sardinien und Sizilien Kaiser des Heiligen Römischen Reiches333 in den Schlossräumen zu finden334 . Man ließ auch Jahrhunderte nach dem Tod eines prestigeträchtigen Vorfahren dessen Bildnis vom aktuellen Hofmaler anfertigen. Ein solches Werk ehrte Vorgänger und Nachkommen gleichermaßen, und der Auftraggeber signalisierte, dass er durch die auf diese Art hergestellte Verbindung an den Erfolg seines Ahnen anknüpfen wollte335. In Braunschweig entstand beispielsweise im 19. Jahrhundert eine Darstellung Heinrichs des Löwen Herzog von Sachsen Herzog von Bayern von der Hand des Hofmalers Christian Tunica336. Zudem konnten durch Porträts verbildlichte Verwandtschaftsbezüge politische Zeichen setzen: Im Schloss (Bad) Homburg ließen die Hohenzollern 1905 mit dem Gelben Saal einen neuen Repräsentationsraum einrichten, welcher Porträts der Landgrafenfamilie von Hessen-Homburg zeigte und damit auf die 1804 geschlossene Ehe Mariannes Landgräfin von Hessen-Homburg Prinzessin von Preußen mit (Friedrich) Wilhelm (Karl) Prinz von Preußen hinwies: „Diese Referenzen sollten auf die jahrhundertealte Verbindung zwischen Preußen und dem Landgrafenhaus hinweisen und
329 Vgl. Shevchenko, S. 233; in Frauengemächern waren diese nicht zu finden, so lange Frauen keinerlei Beteiligung an Regierungsaufgaben hatten, was die oben genannte Vorbildfunktion – welche hauptsächlich für den Regenten wichtig war – verdeutlicht, vgl. Shevchenko, S. 261; in diesen Räumen herrschten persönlichere Porträtverbindungen vor, beispielsweise befanden sich in den Räumen Elisabeth Julianes Prinzessin von Holstein-Norburg Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Porträts von ihr und ihrem Mann Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, vgl. Luckhardt 2002, S. 13. 330 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, ergänzt und abgedruckt in: Wedemeyer/Willemsen, S. 479, S. 488 und S. 490; dieser war ein Enkel Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel. 331 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479, S. 481 und S. 484; sie war eine Enkelin Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel. 332 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 481, S. 488 und S. 490. 333 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 484 und S. 488; dieser war Schwiegersohn Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel. 334 Luckhardt erwähnt die genealogische Prägung des Braunschweiger Schlosses unter Wilhelm von Braunschweig, vgl. Luckhardt 2002, S. 16. 335 Vgl. Reinle, S. 274. 336 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479.
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dem Eindruck einer ‚feindlichen Übernahme‘ [nach 1866, Anm. U.S.] entgegenwirken.“337 Abbildung 7: Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg vor Porträts ihres Vaters, Wilhelms (II.) von Preußen, 1970er Jahre
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
In Porträt-Fotografien des 20. und 21. Jahrhunderts wird schließlich die enge Verbindung zu den bildlich vergegenwärtigten Ahnen bewusst sichtbar gemacht, indem Angehörige des Hochadels sich gemeinsam mit Porträts ihrer Vorfahren abbilden lassen338. Diese Aufnahmen sind damit gleichzeitig Porträts und Quellen einer Porträtrezeption, so dass man sie als eine neue Form des Repräsentationsbildnisses bezeichnen könnte. In diesem Zusammenhang führt der Hinweis Burkes, dass die Wortbedeutung von Repräsentation die Funktion „jemanden zu vertreten“339 beinhaltet, zu einer weiteren Verständnisebene: Angehörige hochadliger Familien verstehen sich noch immer als Vertreter ihrer Ahnen und ihres Hauses, auch wenn ihnen keinerlei politische Macht mehr zukommt. Die „zwei Körper des Adels“340 , nämlich der 337 Brunckhorst, Friedl: Die Hohenzollern und Schloss Homburg. Wege zur Neukonzeption des Königsflügels, in: Sehens Werte 4/2008, S. 9. 338 Willhelm Victor Prinz von Preußen mit seiner Familie, vgl. Kirschstein, S. 107; Louis Ferdinand von Preußen mit seiner Familie, vgl. Kirschstein, S. 34; vgl. Billaut, François: Oberhäupter nicht mehr herrschender Königs- und Kaiserhäuser, in: Fürsten- und Königshäuser in Europa, Köln o.J., S. 254; Cecilie Prinzessin von Preußen mit ihrem Mann Clyde Kenneth Harris, vgl. Kirschstein, S. 36; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, vgl. auch Kirschstein, S. 192; Georg Friedrich von Preußen, vgl. Rosenholm, S. 46. 339 Burke, S. 17. 340 In Anlehnung an: Kantorowicz, Ernst Hartwig: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters (Originalausgabe: The king’s two bodies, Princeton 1957), Stuttgart 1992; es würde an dieser Stelle zu weit führen, ausführlich auf diese Trennung in einen menschlichen, sterblichen sowie einen unsterblichen politischen
258 | S AMMLUNGEN DES A DELS heute zu einem bürgerlichen Leben degradierte reale Körper sowie der unsterbliche in Jahrhunderte langer Tradition stehende, existieren parallel und werden in diesen Fotografien hervorgehoben. Ebenso wie das „Spannungsverhältnis zwischen den beiden Körpern des Königs“ im königlichen Porträt über dasjenige zwischen Körper und Seele dominierte341 , dominiert das Spannungsverhältnis zwischen der realen Position und einer Funktion im Familienverband diese neue Form des Porträts. Die Rolle des Porträts als Bindeglied zwischen den Generationen, zur Verdeutlichung von Vorbildern sowie als Legitimationsgrundlage eines bestimmten Selbstbildes kann damit so lange Bestand haben, wie die Ahnenporträts zum Lebensumfeld der adligen Familien gehören. Die Stellvertreterfunktion von Porträts ist vor dem Hintergrund der bildlichen Vergegenwärtigung für den Adel als eine doppelte Funktion zu verstehen. Neben der Möglichkeit, durch die eigene Darstellung eine Familie oder die Ahnen zu vertreten, kann das Bildnis selbst zum Stellvertreter für die dargestellte Person werden342 und wurde in der Vergangenheit stärker als heute mit dieser gleichgesetzt. „Die Intensität der Stellvertretung kann unterschiedlich stark sein. Sie reicht von der juristischen Macht eines römischen, mittelalterlichen oder barocken Herrscherbildes über die amtliche Verbindlichkeit einer modernen Passphotographie bis zur bescheidenen Skizze in einem Album als freundliche Erinnerung.“343
Die juristische Macht von Herrscherbildern, welche noch im 18. Jahrhundert die Anwesenheit des realen Körpers völlig ersetzen konnten344 , ist heute nicht mehr existent. Der offizielle Einsatz von Stellvertretern ist im deutschen Rechts- und Gesellschaftssystem im Vergleich zu früheren Jahrhunderten und anderen Kulturkreisen345
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Körper (und deren Ergänzung um einen dritten, heiligen Körper, vgl. Marek) einzugehen. Der Hinweis ist jedoch hilfreich, um zu verstehen, dass das Verständnis als Individuum für den Hochadel immer nur ein Teil der Selbstwahrnehmung war/ist. Diese in früheren Zeiten akzeptierte bzw. von der Öffentlichkeit geteilte Vorstellung ist heute schwer verständlich und spielt doch in modifizierter Form noch immer eine Rolle. Baader, Hannah: André Félibien: Das Porträt eines Porträts. Le Portrait du Roy (1663), in: Preimesberger/Baader/Suthor, S. 363. Vgl. Freedberg, S. 414; Luckhardt erwähnt in diesem Zusammenhang die Zeremonialliteratur von Julius Bernhard Rohr, welche das Verhalten gegenüber Herrscherporträts betonte: diesen durfte nicht der Rücken zugewandt werden und vor ihnen musste der Hut gezogen werden, vgl. Luckhardt 2002, S. 18. Reinle, S. 7; des Weiteren erwähnt Reinle Votiv- und Devotionsfiguren, Dedikationsbilder, Stifterbilder, Künstlerbilder, Effigies, Grabbilder und Personendenkmale, welchen Stellvertreterfunktionen innewohnen können, Reinle, S. 9. Vgl. Baader: André Félibien, S. 364; vgl. auch Burke, S. 188. Zur Zeit der Revolution 1848 wurde beispielsweise letztmalig die Exekution an einer Schaupuppe an Stelle des Verurteilten durchgeführt (executio in effigie), vgl. Brückner, S. 287; vgl. auch Reinle S. 201ff; Victoria von Großbritannien und Irland wurde zwischen 1861 und 1901, mit Ausnahme von sieben leiblichen Teilnahmen, bei der jährlichen Parlamentseröffnung durch ihren Mantel vertreten, vgl. Reinle, S. 112; auch Ludwig (XIV.) von Frankreich ließ sich durch Gegenstände vertreten, von welchen Porträts je-
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nicht üblich. Das Passbild hat die Rolle des bedeutendsten Identifikationszeichens übernommen, entfaltet jedoch seine Funktion nur in Kombination mit Namen und anwesender Person. Für die Identitätsbildung des Hochadels spielen aber Stellvertreterfunktionen von Porträts noch immer eine bedeutende Rolle. Wenn Baader feststellt, dass „[d]ie in der europäischen Porträtkunst immer wieder beschworene Dialektik von Präsenz und Absenz des Porträts daher im Herrscherbild als Konflikt aufgehoben [ist], da dieses immer als präsentisch gedacht wird, wenn auch seine Präsenz sich letztlich auf ein Abstractum bezieht [...]“346, so gilt dies auch generell für Ahnenporträts im Wohnumfeld des Adels. Die verschiedenen Generationen werden stets als gemeinsam präsent empfunden347 und Ähnlichkeiten zu den Ahnen stets hervorgehoben348 . Indem Gräfin Keller in ihrer Beschreibung der Villa Krupp das „Fehlen von Familienbildern außer denen der Eltern und Großeltern“349 feststellt, verdeutlicht sie Stellenwert und Selbstverständlichkeit der hier beschriebenen bildlichen Vergegenwärtigung der Ahnen für die Lebensumwelt des Hochadels. „Im privaten Bereich, von Generation zu Generation vererbt, sind [diese] Teil des alltäglichen Lebens geworden [...]“350 Dass die Darstellung von zwei vorangegangenen Generationen als unzureichend wahrgenommen wurde, weist zudem auf die Quantität der im Auftrag des Adels entstandenen und durch Erbe weitergegebenen Porträts hin. Rogasch schätzt den Anteil der Porträts im Gemäldebestand des Adels auf etwa 80%351 und – wenn möglich – beschäftigte man die auf diesem Gebiet führenden Maler352 . Auch nach 1918 kann noch von einem hohen Porträtanteil innerhalb von Adelsbesitz ausgegangen werden: Während große Teile der nach kunsthistorischen Gesichtspunkten zusammengetragenen Gemäldegalerien ehemals regierender Fürstenhäuser öffentlich zugänglich waren und mit der Entmachtung oder in deren Folge an die neuen Staaten fielen, verblieben größere Porträtbestände im Besitz der adligen Familien. Diese verblieben entweder in Schlössern, welche den Familien im Zuge der Auseinandersetzungsverträge zugesprochen wurden, oder galten als Privatbesitz innerhalb der von den neuen Staaten übernommenen Schlösser und wechselten daher in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Standort. Beispielsweise wurden 63 der 233 im 1911
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doch am mächtigsten waren und im Thronsaal und in anderen Räumen eingesetzt wurden, vgl. Burke, S. 18; mit den gleichen Methoden hielt man die Hofgesellschaft in Hannover während der Personalunion mit Großbritannien aufrecht, vgl. Barmeyer, Heide: Hof und Hofgesellschaft in Hannover im 18. und 19. Jahrhundert, in: Möckl: Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, S. 252; Hoskins beschreibt (in ihren Forschungen zu den Kodi), wie erwähnt, den Stellenwert einer grünen Glasflasche als Stellvertreter eines verunglückten Mädchens, vgl. Hoskins, S. 161ff. Baader: André Félibien, S. 364. Vgl. von Bieberstein, S. 174 und S. 182; vgl. Malinowski 2003, S. 49. Vgl. de Saint Martin, S. 98. Von Keller, S. 232. Schrader, Vorwort, o.S. Rogasch, S. 28. „Bezeichnenderweise hat man in der Regel für diese lebenswichtige Aufgabe nicht drittrangige Künstler beigezogen, sondern erste Meister.“, Reinle, S. 150.
260 | S AMMLUNGEN DES A DELS angefertigten (und später ergänzten) Gemäldeverzeichnis des Residenzschlosses Braunschweig aufgelisteten Gemälde im Jahr 1925 nach Blankenburg abtransportiert, nachdem das Blankenburger Schloss Ernst August (III.) von Hannover zugesprochen worden war. 91 weitere Gemälde des Inventars waren für Mai 1926 zum Abtransport bestimmt353. Weitere 8 Gemälde befanden sich laut Wedemeyer/Willemsen 1953 in Schloss Marienburg und 5 Gemälde 1995 im FürstenhausMuseum in Hannover-Herrenhausen354 (beide Immobilien sind Eigentum des Hauses Hannover). 85% der in diesem Verzeichnis aufgelisteten Gemälde waren Bildnisse, und unter den Gemälden, welche infolge der Aufteilung dieses Bestandes dem Haus Hannover zufielen, zeigten nur 10 Objekte keine Porträts355. Diese Zahlen – die sich allein auf das Residenzschloss Braunschweig beziehen und ergänzt werden durch Bildnisbestände der Schlösser Blankenburg und Marienburg sowie Cumberland – geben Hinweise darauf, wie stark das Umfeld des Hochadels auch nach 1918 noch durch Porträts der Vorfahren geprägt war und noch immer geprägt sein kann356. Dabei wurden Gemäldeporträts ergänzt durch plastische Bildnisse sowie die seit dem 19. Jahrhundert beliebte Fotografie. Eine im Katalog zur Auktion der Markgrafen von Baden 1995 abgebildete Raumfotografie unterstreicht diese Kombination der Bildnisgattungen ebenso wie die beschriebene Funktion der Betonung verwandtschaftlicher Beziehungen: sie zeigt das Hochzeitsfoto des mit dem Haus Baden verwandten Herzogspaares zu Braunschweig und Lüneburg aus dem Jahr 1913, welches gemeinsam mit einem Porträtgemälde sowie einer Porträtbüste abgebildet ist357. Die Gesamtheit der Porträts ist als wesentliches Element der Identität des Adels zu bewerten und wird unterstützt durch Wappen, die eine ähnliche Funktion der Repräsentation eines „Standeskörpers“ übernehmen können. Dabei ist jedoch, im Gegensatz zum – immer auch individuellen – Porträt, das Wappen rein genealogisch geprägt358 . Eine Kombination von Wappen und Bildnis ist beispielsweise bei Stifterbil-
353 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479493; dies sind 68% des im Verzeichnis aufgelisteten Bestandes. 354 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479493; dies sind weitere 5,5% des im Verzeichnis aufgelisteten Bestandes. 355 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479493. 356 De Saint Martin betont die Bedeutung von Porträts in noch immer im Besitz des Adels befindlichen Schlössern, welchen häufig mehr Wert zugemessen wird als Gemälden bekannter Künstler anderen Inhalts: „[...] die Portraits der Vorfahren sind in der Regel allgegenwärtig.“, de Saint Martin, S. 98. 357 Auktionskatalog Sotheby’s 1995, S. 101. 358 „Die Tafel, das Bild, findet im Wappenschild lange Zeit ein Pendant, ja, man wird das Wappen als Vorläufer des Porträts bezeichnen dürfen, auch wenn es kein Bild im herkömmlichen Sinn, sondern vielmehr ein Zeichen ist. Es half in heraldischer Abstraktion – die freilich um figürliche Details angereichert werden konnte – keine individuelle Person zu bestimmen, sondern bezeichnete den Träger einer Dynastie oder genealogisch miteinander verbundene Mitglieder einer Familie, es repräsentierte also einen Standeskörper.“, Beyer, S. 104.
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dern Adliger üblich359. Doch auch hier hat die Nennung des Namens bei Stiftungen meist die bildliche Darstellung ersetzt, und der traditionelle Vorrang des Adels – welcher unzählige Bildnisse hervorgebracht hat360 – gilt bei dieser wohltätigen Praxis ohnehin nicht mehr. Vor allem diese „Außenwirkung“ von Porträts des Hochadels hat sich nach 1918 gewandelt. Die bis zu diesem Zeitpunkt stark mit öffentlich dargestellter Legitimation und Machtdemonstration verbundenen Bildnisse werden heute – bis auf die Ausnahme der neuen „Doppelporträts“ – rein familiär genutzt. In der Öffentlichkeit nutzt die Presse Fotografien des Adels für die Kategorie „prominente Personen“, und historische Porträts adliger Personen werden vor allem nach ihrem Kunstwert bemessen. Diese Fokussierung auf den Kunst- und materiellen Wert kann als indirekte Form einer weiteren traditionellen Nutzung von Bildnissen gelten: das geringe Interesse an den Dargestellten und die Negierung der Stellvertreterfunktionen des Porträts sprechen den Gezeigten Macht ab361. Grundsätzlich kann die Behandlung eines Porträts – von Missachtung bis hin zu bewussten Attacken – nie völlig von der dargestellten Person getrennt werden, selbst wenn diese bereits vor langer Zeit verstorben ist. Bildnisse erfordern zwangsläufig eine Haltung des Betrachters: „Stehen aber erst einmal die Denkmale, so provozieren sie auch Reaktionen. Die Stifter und Erben pflegen und schützen sie, Widersacher schänden, rauben oder stürzen sie. So sind Denkmalpflege und Denkmalfrevel natürlicher Ausfluss der Denkmalexistenz, eben weil das Denkmal sein eigenes Leben gewinnt, gelöst von der Bindung ans hier und heute.“362
Während kriegerischer Auseinandersetzungen wurden Porträts der gegnerischen Herrscher entfernt363. Auch bei radikalen Machtwechseln waren Zerstörungen von Bildnissen eine übliche Methode, um die Überwindung des Herrschers zu betonen und wiederholt zu erleben364. In diesem Zusammenhang geht es nie um die Zerstörung von Kunstwerken, sondern immer um deren Stellvertreterfunktion für eine herrschende Person oder Personengruppe365. Gamboni beschreibt dies sowohl am Bei-
359 Vgl. Reinle, S. 45 und S. 99. 360 „Darstellungen von Stiftern oder Bauherren und Wohltätern von sakralen oder profanen Bauten, Räumen oder Ausstattungsstücken wie Altären oder Einzelplastiken dienen der Vergegenwärtigung dieser Personen an oder möglichst nahe bei dem Gegenstand, dem sie ihre Pietas, ihre Freude und ihren Stolz, ihre Hoffnungen und ihren Glauben und selbstverständlich auch ihr Geld und Gut gewidmet haben.“, Reinle, S. 51; vgl. auch Reinle, S. 99. 361 Vgl. Gamboni, S. 28; „Das Porträt ist ein Kunstwerk – aber es ist immer auch ein Surrogat, ein augensinnlicher Ersatz, meist auch die Beschreibung eines Verlusts. Bildnisse sind stellvertretend, was sie überhaupt erst unverzichtbar werden lässt.“, Beyer, S. 101. 362 Beseler 1968, S. 30. 363 Vgl. Luckhardt 2002, S. 18. 364 Beispielsweise bereits im Rom der Antike, vgl. Reinle, S. 66; vgl. Brückner, S. 191. 365 Vgl. Reinle, S. 276; beziehungsweise um die durch das Objekt ausgelösten Emotionen, vgl. Freedberg, S.11; zudem kann die Stellvertreterfunktion sowohl insofern genutzt werden, dass die/der Dargestellte durch das Bild getroffen wird, da man diese Attacke an der
262 | S AMMLUNGEN DES A DELS spiel der Französischen Revolution366 als auch in Bezug auf kommunistische Denkmale. Der Umgang mit diesen verdeutlicht, dass radikale Positionen gegenüber Bildnissen überwundener Systeme auch heute noch scheinbar unumgänglich sind367. Die Revolution 1918 führte im Gegensatz dazu nicht zu umfassenden negativen Handlungen an Adelsporträts. Heute macht die weitgehend unemotionale Behandlung dieser Bildnisse deutlich, dass die Dargestellten in der öffentlichen Wahrnehmung jegliche Wirkung verloren haben368. Aufgrund ihrer grundsätzlichen Eigenschaft, sowohl öffentliche als auch private Funktionen erfüllen zu können, bildeten Porträts in der Vergangenheit eine quantitativ als auch qualitativ wertvolle Objektgruppe für den Hochadel. Je nach Situation wurden sie genutzt, verändert und umgenutzt369, waren jedoch immer für die Eigentümer präsent. Eine Abwendung von diesen Objekten, wie sie durch den Verkauf großer Bestände deutlich wird, muss als Zeichen der Lockerung von Bindungen – ebenso öffentlich wie privat – verstanden werden. Diese Entwicklung deckt sich mit der allgemeinen Wahrnehmung von Porträts des Hochadels. Diesen wird spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg auf dem Kunstmarkt kein großer Wert beigemessen. So konnte Louis Ferdinand von Preußen ein Porträt Wilhelms (II.) von Preußen von Philip Alexius de László für 3.000 DM erwerben, nachdem es zuvor für 15.000 DM angeboten und nicht verkauft worden war370. Dieser Fall ist keine Ausnahme, da so wie auch de László zahlreiche Porträt- und Hofmaler in Vergessenheit gerieten371.
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lebenden Person nicht ausführen kann, oder aber das Bild wird bewusst gewählt, da man die reale Person bewusst nicht attackieren möchte, vgl. Freedberg, S. 414. Vgl. Gamboni, S. 33f. Vgl. Gamboni, S. 57ff; ein politisches Beispiel des 20. Jahrhunderts ist auch der Eklat um das Porträt Lenins im Wandbild Diego Riveras im Rockefeller Center, New York, welches 1934 zerstört wurde, vgl. Sax 1999, S. 13ff. Es wird jedoch in Kapitel 4.1 genauer zu untersuchen sein, inwiefern sich für 1918 andere Formen von Überwindungsstrategien feststellen lassen. Sax berichtet über zwei zueinandergehörige Eheporträts, von welchen das des Mannes auch die Kinder des Paares zeigte. Als der Mann nach dem Tod der Frau erneut heiratete, verbannte er das Porträt seiner ersten Ehefrau aus den Wohnräumen und ließ die gemeinsamen Kinder in seinem Bildnis übermalen. Nach dem Tod der zweiten Ehefrau erhielt ein Sohn aus erster Ehe das Gemälde und ließ sich und seine Geschwister wieder herausarbeiten. Dies wurde schließlich erneut rückgängig gemacht, nachdem später ein Sohn aus zweiter Ehe das Bild erhielt, Sax 1999, S. 7; das Beispiel macht deutlich, wie stark Veränderungen menschlicher Biographien auf die Biographien von Objekten einwirken können – Beschneidungen von Gemälden, Umrahmungen und ähnliches waren auch für Porträts des Adels nicht ungewöhnlich. Schlüter, Leonhard: Bericht 1965-1980 [zur Zusammenarbeit mit Victoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg], Hannover 23. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Darauf weist auch Schrader im Vorwort ihrer Arbeit über Johann Georg Ziesenis hin: „Viele Porträtmaler fristen ein ähnlich ‚gesichtsloses‘ Dasein, da sie bislang nicht für würdig befunden wurden, zum Gegenstand einer kunstwissenschaftlichen Arbeit erhoben zu werden.“, Schrader, Vorwort, o.S.
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Gerade die Quantität der Porträtbestände des Hochadels bietet jedoch einen umfassenden Blick auf die Vergangenheit: durch die besonderen Qualitäten von Porträts, welche in ihrer Fähigkeit „wahrhaftig abbilden zu können“ eindringlicher als schriftliche Quellen Aufschluss über die Entwicklung von Mode und Kunsthandwerk, über politische und gesellschaftliche Verbindungen sowie persönliche Vorlieben von Einzelpersonen und Familien geben können. Beispielsweise gibt das Porträt Friedrichs (IV.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Lüneburg Aufschluss über höfische Kleidung der Mitte des 17. Jahrhunderts und verweist auf Kleidungs- und Schmuckstücke, die mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert haben372. Abbildung 8: Porträt Friedrichs (IV.) zu Braunschweig und Lüneburg, Gert von Blo, 1642
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Ein Porträt von Christina Königin von Schweden Herzogin von Bremen-Verden im Residenzschloss Braunschweig373 machte darauf aufmerksam, dass Bremen-Verden von 1715-1823 durch das Haus Hannover regiert wurde. Diese Beispiele verweisen auf die Möglichkeiten historischer Bezüge anhand von Bildern, die sich gemeinsam zu einem umfassenden Blick auf die Geschichte eines Adelshauses zusammensetzen und zudem – wie Freedberg ausführt – auf emotionaler Ebene genutzt werden können (ohne einer historischen Auswertung im Wege zu stehen): „We may no longer have much leisure to contemplate the images before us, but people once did; and they turned contemplation into something useful, therapeutic, elevating, consoling, and terrifying. They did so in order to attain a state of empathy; and when we examine how they did so, a brilliant light is cast not only on the function of images but on a potential that for many of us remains to be activated.“374
372 Los 13, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. I und Bd. II. 373 Vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 480. 374 Freedberg, S. 161.
264 | S AMMLUNGEN DES A DELS Mit sich verändernder Gewichtung flossen diese Hintergründe in die Produktion von und die Diskussion über Porträts ein. Über ihre rein darstellende Funktion hinaus sind sie daher als Träger von Ideen ihrer Zeit, des Künstlers und nicht zuletzt des Auftraggebers und Dargestellten zu begreifen. 3.1.5 Die Dinge des Wohnens Die Biographien von Einrichtungs- und Ausstattungsgegenständen – zu welchen beim Hochadel auch Porträts gehören – sind eng mit den Leben von Menschen verbunden. Als Mittel sozialen Verhaltens bilden sie Bühne und Requisiten, als Erinnerungsobjekte375 können sie für Gruppen und Einzelpersonen von Bedeutung sein. Die Dinge des Wohnens sind darüber hinaus maßgeblich an der Herausbildung sowie der Wahrung persönlicher und familiärer Identität beteiligt, da sie zusammen mit dem Wohnraum als Lebensmittelpunkt der Bewohner Rückzugsmöglichkeiten und Sicherheit bieten376 . Es ergeben sich ebenso zahlreiche wie vielfältige Ding-MenschBindungen, welche zudem häufig von langer Dauer sind. Die Dinge des Wohnens und die mit ihnen verbundenen Menschen beeinflussen sich gegenseitig, so dass Gegenstände zum Informationsträger über Personen und Gruppen werden können: „[...] wie man sich bettet, so schläft man – und wie man wohnt, so lebt man. Was mag da mehr ein Spiegel vergangener Epochen sein als Zeugnisse der Möbelkunst? Denn was kommt dem Menschen näher als das, worin er schläft, woran er isst und worauf er sitzt?“377
Diese – auch körperliche – Nähe ist der Hauptgrund für die Beeinflussung des Menschen durch Einrichtung und Räume378 . Niemand kann sich dieser völlig entziehen, da Merkmale wie Farbe und Material eines Ausstattungsstückes sowie Temperatur, Klima und Geräusche eines Raumes physische Auswirkungen haben. Die Dinge des Wohnens erfüllen daher die Funktion, menschliche Grundbedürfnisse zu befriedigen sowie körperliches Wohlbefinden zu ermöglichen. Sie beeinflussen das Leben der Bewohner unmittelbar, indem sie wesentlich an der Bildung eines Netzwerks von Bindungen zwischen Dingen und Menschen, Zeit und Raum beteiligt sind379. Abgesehen von einer ständigen Weiterentwicklung zur bestmöglichen Erfüllung dieser Aufgabe haben sich die elementaren Formen des Wohnens seit Jahrhunderten nicht geändert: Bereiche für Schlafen, Essen und Hygiene haben sich etabliert und zugehörige Möbelstücke bleiben als solche erkennbar380 . Über diese Grundformen 375 Vgl. Selle, der das Wohnzimmer mit seinen Erinnerungsstücken als „Ort des Diesseits und des Jenseits“ bezeichnet, Selle, Gert: Die eigenen vier Wände. Wohnen als Erinnern, Berlin 2011, S. 253; vgl. auch Krafft 1987, S. 137. 376 Vgl. Selle, S. 14 und S. 19; vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 21. 377 Pfeiffer-Poensgen, Isabel: Editorial: Von Möbeln und Menschen, in: arsprototo – das Magazin der Kulturstiftung der Länder 2/2011, S. 3. 378 Welche selbst durch Objekte bedingte körperliche Gewohnheiten einschließt, vgl. Putnam, Tim/Swales, Valerie: Between Keeping and Not-Keeping, in: Ecker/Stange/Vedder, S. 288. 379 Vgl. Putnam/Swales, S. 291. 380 Vgl. Selle, S. 208.
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hinaus entwickelten sich jedoch Wohnformen, die in Spezialisierung, Zusammenstellung und Nutzung der entsprechenden Objekte stark voneinander unterschieden werden können und in ihrer Funktion über die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse hinausgehen: „Wenngleich wir in physischen Umwelten leben, erschaffen wir uns innerhalb dieser kulturelle Umwelten. Wir personalisieren und ‚humanisieren‘ die vorgefundene Umwelt kontinuierlich und praktizieren dadurch sowohl Anpassung als auch Ordnungs- und Bedeutungsschöpfung. So gesehen beruht die große Bedeutung eines persönlichen Heims nicht nur auf den Bedürfnissen der Lebenserhaltung [...], den besonderen ökonomischen Verhältnissen [...] oder den klimatischen Verhältnissen. Sie beruht auch auf Werten, Traditionen, literarischen und religiösen Verhältnissen [...]“381 .
Die Nutzung und Zusammenstellung der Dinge des Wohnens ist eng mit der Persönlichkeit sowie kulturellen Bedürfnissen der/des Wohnenden verbunden und kann daher über diese Auskunft geben. Die Wohnsituation des Adels unterschied diesen bereits im Mittelalter vom Rest der Bevölkerung382 – ein Standesmerkmal, welches sich in Bezug auf die Einrichtung ab dem 19. Jahrhundert und bezüglich der Bauten erst im 20. Jahrhundert auflöste. Materielle Möglichkeiten sowie enorme Raumkapazitäten in Burgen und Schlössern prägten das Wohnen des Adels. Erst abschließend mit der Zeit technischer Erfindungen des 19. Jahrhunderts sowie dem Beginn der Moderne in der Kunst war die Wohnsituation des Adels Vorbild in Bezug auf Modernität und Stil383. Sowohl in Quantität als auch Qualität nehmen die vom Hochadel genutzten Dinge in der Geschichte des Wohnens eine Sonderstellung ein384 . 381 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 137. 382 Burgen wurden sowohl zu Wirtschafts- und Verwaltungszentren als auch zu Statussymbolen, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 47. 383 Wenn dies dem Bewohner möglich war, richtete sich die Ausstattung des Schlosses oder Herrenhauses im Verlauf der Jahrhunderte jeweils nach dem gerade gängigen Stil und wurde dementsprechend umgebaut oder neu eingerichtet. Da dies selten vollständig möglich war, sammelten sich Ausstattungsstücke verschiedener Stile in den jeweiligen Bauten an, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 118; im 19. Jahrhundert errichtete Schlösser waren weiterhin nach modernen Standards ausgestattet, so war beispielsweise das ab 1882 von Ernst August von Cumberland errichtete Schloss Cumberland voll elektrifiziert und enthielt ein Telefon, vgl. Steckhahn, S. 92; der Berliner Hof verfügte ab 1888 über Telefon, vgl. von Keller, S. 83; das Braunschweiger Residenzschloss wurde ab 1893 elektrifiziert, erhielt ab 1906 Fahrstühle und ab 1909 Telefon, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 29; in Schloss Friedrichshof in Kronberg, welches 1889-1893 erbaut wurde, gab es eine Zentralheizung, einen Lastenaufzug, elektrisches Licht und fließendes kaltes und warmes Wasser, vgl. Ottersbach, S. 38; auch für diejenigen, die nicht zur höfischen Gesellschaft gehörten, war das höfische Wohnen Ende des 19. Jahrhunderts Vorbild, vgl. Johann/Junker, S. 70. 384 Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert weisen darauf hin, dass im Frühmittelalter nicht die Bauweise, sondern die Ausstattung erstes Unterscheidungsmerkmal der Lebensweise des Adels im Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen war, vgl. Fuhrmann/Meteling/ Rajkay/Weipert, S. 15; zahlreiche Beispiele verdeutlichen, dass sich dies im Lauf der Ge-
266 | S AMMLUNGEN DES A DELS Wohnraum ermöglicht Schutz und Abgrenzung, so dass die Trennung zwischen außen und innen wesentlicher Bestandteil des Wohnens ist. Beide Bereiche sind sowohl physisch als auch psychisch spürbar voneinander zu unterscheiden, wobei das Außen als öffentlicher, das Innen dagegen als privater Raum wahrgenommen wird. In unserer Zeit und westlich geprägten Kulturkreisen verläuft eine solche Grenze vor allem zwischen Wohn- und Arbeitsbereichen385, welche für die meisten Menschen durch das Auto oder öffentliche Verkehrsmittel verbunden werden. Vermittelnde Schwellen- und Übergangsräume innerhalb der Wohnarchitektur sind häufig auf Vorgarten sowie Treppenhaus beschränkt, und bereits der Flur einer Wohnung ist stärker dem persönlichen Bereich zuzuordnen, der jedoch im Bereich der Tür als Übergangszone fungiert. Nahezu der gesamte bewohnte Raum wird mit ausgewählten Personen geteilt. Allein das Schlafzimmer und – wenn dies möglich ist – das Badezimmer bleiben den Bewohnern vorenthalten. Bequemlichkeit und persönliche Interessen haben trotz dieser weitgehenden Öffnung den Wunsch nach Repräsentation in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr als Hauptmotivation von Einrichtungsentscheidungen abgelöst. Die Schichtung von außen nach innen gestaltete sich im Gegensatz zu dieser heutigen Wohnsituation für den Hochadel vor 1918 als komplexes Gefüge von Schwellenräumen zwischen kontrollierter Öffentlichkeit386 und privatem Bereich, die darüber hinaus in mehreren Abstufungen repräsentative Funktionen übernahmen. Das gesamte auf Hierarchien aufgebaute Hofleben spiegelte sich in einer solchen Staffelung wider, welche mit den abgrenzenden Eigenschaften eines Schlosses als solchem (Mauern, Parks, Zäune, Türme, Gräben usw.)387 bis in Details der Raumausstattung reichte. Mit dem Höhepunkt des Hofzeremoniells im 17. und 18. Jahrhundert388 erfuhr auch dessen Umsetzung in Architektur und Schlossausstattung seine größte Ausgestaltung. Bis ins 20. Jahrhundert389 erfüllte das Zeremoniell die Aufgaben der Machtdemonstration nach außen sowie der Regelung sämtlicher Abläufe des Hoflebens im Inneren390 und nahm damit Einfluss auf die Dinge des Wohnens:
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schichte fortsetzte und die Verwendung von qualitativ hochwertigem Tischgeschirr, von ebensolchen Teppichen, später Luxusgütern, Kachelöfen, Kronleuchtern und weiterem Hausrat dessen Stellung hervorhob, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 15, S. 29, S. 32 und S. 56. Vgl. Selle, Gert/Boehe, Jutta: Leben mit den schönen Dingen. Anpassung und Eigensinn im Alltag des Wohnens, Reinbek bei Hamburg 1986, S. 9; vgl. Selle, S. 9; diese Entwicklung wurde seit dem 19. Jahrhundert verstärkt, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 107. „Obwohl Zentrum der Verwaltung, war das Schloss kein öffentlicher Ort, der Zugang streng reglementiert.“, Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 64. Vgl. de Saint Martin, S. 91. Zum Zeremoniell und zur Zeremoniellliteratur, welche der Vereinheitlichung der Höfe in den Territorialstaaten diente, vgl. Kotzurek, S. 17ff. Vgl. Philippi, S. 361-394; vgl. Barmeyer. Vgl. Kotzurek, S. 19f; vgl. Philippi, S. 363 und S. 374; vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/ Weipert, S. 66 und S. 68; zur Regelung von Abläufen waren die Hof[rang]ordnungen von großer Bedeutung, vgl. Kotzurek, S. 21; vgl. Möckl, Karl: Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Einleitende Bemerkun-
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„So wie die großen axialen Systeme des Barocks die Herrschaft des Fürsten über sein Land veranschaulichen, so wie der Ehrenhof eines Schlosses die Distanz des Herrschers vom Volk verdeutlicht, so trägt auch die innere Einrichtung eines Palastes zur Erhöhung, Entrückung und Glorifizierung des Fürsten bei.“391
Neben dem übergeordneten Ziel des Ausdrucks von Macht hatte die Anordnung und Ausstattung der Räume praktische Gründe. Einerseits setzte die Beletage die Stellung des Fürsten über Untertanen und Bediensteten räumlich um, andererseits war es schlichtweg einfacher, die Haushaltsführung im Erdgeschoss unterzubringen; eine Versorgung der weiter oben liegenden Geschosse wäre zu aufwändig gewesen392 . Das Raumsystem ermöglichte eine Staffelung, welche nicht nur horizontal, sondern auch vertikal das Außen vom Innen trennte. Für den Eindruck der Besucher – und deren schrittweise Filterung – waren sowohl Treppen als auch „en enfilade“ angeordnete Zimmer wesentliche Elemente393. Über den meist an die Treppe anschließenden Festsaal gelangte man in die von der Hofgesellschaft genutzten Empfangsräume, zu welchen auch ein Audienz- oder Thronsaal gehörte394. Diese weitläufige Raumfolge ist nicht mit Wohnräumen nach heutigem Verständnis vergleichbar395 . Ihre Ausstattung sah daher keine Möbel zum bequemen Verweilen vor, und der Gebrauch von Sitzgelegenheiten war streng nach dem Status der Nutzer reglementiert (Hocker – Lehnstuhl - Armlehnstuhl)396. An deren Spitze
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gen, in: Möckl: Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, S. 10f. Kotzurek, S. 23; Unterschiede zwischen französischer und deutscher Palastarchitektur haben ihre Begründung ebenfalls im Zeremoniell, da man sich in Frankreich nach dem französischen Zeremoniell, in Deutschland jedoch nach dem spanischen Zeremoniell richtete, vgl. Kotzurek, S. 24. Vgl. Kotzurek, S. 27. Vgl. Kotzurek, S. 25, S. 28 und S. 30; Reinle beschreibt die imposante Eingangshalle von Blenheim Palace (auch in Zusammenhang mit Repräsentationsporträts), vgl. Reinle, S. 101; über diese Eingangssituation und die zugehörige Treppenlösung berichtet auch Consuelo von Marlborough, vgl. von Marlborough, S. 58; als äußerste Schwelle sind offene Türen und Fenster zu nennen, durch welche Reisende ins Schloss schauen durften, eine Querlatte verwehrte den Zugang, vgl. Kotzurek, S. 306. Vgl. Kotzurek, S. 32; die ausführliche Beschreibung der Anfang des 19. Jahrhunderts für Jérôme Bonaparte König von Westphalen eingerichteten Räume im Residenzschloss Braunschweig trägt zur Verdeutlichung dieser Raumfolge bei, Catel, Louis: Beschreibung der in dem Königlichen Schlosse zu Braunschweig neu eingerichteten Zimmer, Braunschweig 1811. Vgl. Kotzurek, S. 12. Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 69; vgl. Kotzurek, S. 51; Newton, der insgesamt am Beispiel des Versailler Hofes deutlich macht, welchen Wert scheinbar einfache Nutzobjekte für die Hofgesellschaft hatten, weist diesbezüglich auf Louis de Rouvroy Herzog von Saint-Simon hin, „[...] dem es in seinen geistreichen Memoiren gelang, die Leser fünfzig Seiten lang mit dem Taburett-Zeremoniell in Atem zu halten, als würde die Ordnung der Welt davon abhängen, welchen Platz die Herzogin, seine Gemahlin, dabei einnahm.“, Newton, S. 9.
268 | S AMMLUNGEN DES A DELS stand der von einem Baldachin bekrönte und dem Herrscher vorbehaltene Thron, welcher zur Verdeutlichung dieses Privilegs bei Nichtbenutzung zur Wand gedreht wurde, so dass eine Benutzung durch Unbefugte unmöglich war 397. Abbildungen 9 und 10: Lehnstuhl und Armlehnstuhl einer Gruppe aus dem Residenzschloss Braunschweig, Konstantin Uhde zugeschrieben, 1866-1868
Fotos: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Neben dem Festsaal, der in der Regel ein eigenes – häufig in den Deckengemälden hervorgehobenes – Programm aufwies398 , war der Thron- oder Audienzsaal am prächtigsten ausgestattet. Dieser Raum bildete den Höhepunkt einer von Raum zu Raum aufeinander abgestimmten Einrichtung, deren Steigerung der Wertigkeit von Möbeln und Dekorationselementen durch Abstufungen der Detailausführungen sichtbar wurde399. Auf die Einheitlichkeit der Ausstattung in Farbe und Form wurde großer Wert gelegt. Tapeten oder Wandbespannungen, Supraporten, Spiegel, Konsoltische und Sitzmöbel bildeten daher in jedem Raum eine zusammengehörende Aus-
397 Vgl. Kotzurek, S. 35. 398 Das Programm stand häufig in Zusammenhang mit dem Herrschaftsanspruch des Fürsten, vgl. Kotzurek, S. 29; insgesamt stand die Dekoration in enger Verbindung zum Wohnenden: „In dieser Hinsicht werden die Verzierungen der neuen Zimmer des königlichen Schlosses zu Braunschweig, ein eigner in sich zusammenhängender Kreis von einzelnen Kunstdarstellungen der Verzierungskunst, welcher ein gesammtes Ganzes bildet, dessen Aufgabe ist, in der Form einer menschlichen Wohnung das besondere Verhältnis des darin wohnenden und lebenden Individui bildlich, bedeutsam aufzustellen.“, Catel, S. 5. 399 Vgl. Kotzurek, S. 45 und S. 422; Kotzurek nennt als Faustregel, dass die Räume von der Beletage aufwärts und von vorn nach hinten eines Geschosses weniger kostbar ausgestattet waren, vgl. Kotzurek, S. 49; Audienzsaal und Festsaal wiesen ein davon unabhängiges Programm auf, um zu verdeutlichen, dass in diesen keine Steigerung mehr möglich war, vgl. Kotzurek, S. 47.
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stattungsgruppe400. Je nach Nutzung konnte die dauerhafte Einrichtung durch einen Bestand einheitlich gestalteter beweglicher Ausstattungsstücke wie Spieltische, Leuchter, zusätzliche Spiegel, Uhren und Porzellangegenstände ergänzt werden401 . Die in Möbeln und Dekorationsobjekten verdeutlichte Hierarchie des Hoflebens fand des Weiteren Ausdruck in Gebrauchsgegenständen wie beispielsweise Geschirr 402. Mobilität der Einrichtung und Größe der Räume hatten erheblichen Einfluss auf die Verhaltens- und Bewegungsmöglichkeiten der zu ihnen zugelassenen Personen, so dass auch in diesem Zusammenhang eine Prägung der Menschen durch die Dinge des Wohnens deutlich wird: „Nicht zuletzt zeigt sich die Bedeutsamkeit des Raumes in der Innenarchitektur adeliger Prunk- und Wohnräume, deren Freiflächen wiederum der Entfaltung von Leibesgestik und Bewegungskultur entgegenkommen.“403 Die Privaträume der Fürsten unterschieden sich durch ihre geringere Größe und größere Variabilität der Anordnung von diesen Repräsentationsräumen404. Meist lagen sie zur Gartenseite hin und schlossen an die Gesellschaftsräume an, wobei sie von den Privaträumen der Ehefrauen abgetrennt waren405. Die Ausstattung dieser Räume hatte persönlicheren, bequemeren und praktischeren Charakter, auf eine Steigerung der Wertigkeit wurde verzichtet, was aber nicht zu Lasten der Qualität ging406. Wie bereits am Beispiel der Sitzmöbel verdeutlicht, war das Verhältnis zwischen Personen und Gegenständen – wie auch Räumen – von den Regeln des Zeremoniells bestimmt407 . Als Höhepunkt höfischen Repräsentationsstrebens kann diesbezüglich die Verwendung scheinbar privater Dinge als Stellvertreterobjekte für den Herrscher 400 Vgl. Kotzurek, S. 48 und S. 422; aus diesem Grund wurden Möbel in der Regel in großen Gruppen angefertigt oder erworben und bei einer Verwendung älterer Stücke veränderte man diese entsprechend, vgl. Kotzurek, S. 134 und S. 136; textile Ausstattung wurde teilweise auch je nach Jahreszeit gewechselt, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 70. 401 Vgl. Kotzurek, S. 50, S. 300 und S. 423; diese folgten dem allgemeinen Ausstattungsprogramm und waren wiederum von gleicher Machart; zur Verwendung von Leuchtern, vgl. Newton, S. 128; vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 53; zur in der Forschung wenig beachteten Bedeutung von Porzellan, vgl. Weltkunst 09/2014: Ziffer, Alfred: Die Welt unter Glasur, S. 58-61. 402 Vgl. Seelig in Bezug auf Silberservice am Hof Ludwigs (XIV.) von Frankreich, Seelig, Lorenz: Augsburger Tafelservice des 18. Jahrhunderts, in: Boetzkes, Manfred/Seelig, Lorenz (Hrsg.): Die fürstliche Tafel. Das Silberservice des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im RoemerPelizaeus-Museum Hildesheim, 14. Mai - 14. August 1995, Hildesheim, München 1995, S. 76. 403 Linke, S. 265; entsprechende Auswirkungen hatte die enorme Fülle an Ausstattungsgegenständen, welche in den (Wohn-)Räumen des 19. Jahrhunderts vorherrschte und einschränkend wirken musste, vgl. Linke, S. 266. 404 Diese sind – auch aufgrund der schlechteren Quellenlage – weit weniger erforscht als die Repräsentationsräume, vgl. Kotzurek, S. 32, S. 415 und S. 248. 405 Vgl. Kotzurek, S. 31f. 406 Vgl. Kotzurek, S. 15, S. 329 und S. 424; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 215. 407 Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 68; vgl. Kotzurek, S. 21; vgl. Hüttl/Lessing, S. 52.
270 | S AMMLUNGEN DES A DELS angesehen werden. Beispielsweise erforderten das Bett oder ein Tafelaufsatz Ludwigs (XIV.) von Frankreich, wie der König selbst, Zeichen der Ehrerbietung408 . Auch für die am Hof lebenden Adligen waren Dinge des Wohnens Zeichen ihrer Stellung: Von den Unterkünften und deren Ausstattung bis zu Einladungen an eine der Tafeln des Hofes spielten Privilegien des Wohnalltags „[...] für das persönliche Befinden wie für die Markierung der eigenen Position eine entscheidende Rolle.“409 Newton beschreibt anschaulich, welche Anstrengungen zur Erlangung dieser Privilegien unternommen wurden, welche Rolle Ausstattungsstücke diesbezüglich einnahmen und wie stark das Leben des Hofes durch diese beeinflusst wurde410: „Die Eleganz eines Kamins war ein Gradmesser für die Gunst, in der sein Besitzer stand, sie fand ihren Ausdruck in der Menge und Beschaffenheit des jeweils verwendeten Steins.“411 Ähnliches galt für die Ausführung von Fenstern, Öfen und Spiegeln. Das strenge Reglement des Umgangs mit Dingen und des Verhaltens am Hof allgemein war kein auf das 17. und 18. Jahrhundert beschränktes Phänomen412. Consuelo von Marlborough berichtet beispielsweise für die Zeit um 1900 über die auf Hierarchien beruhenden Aufgaben des Hofpersonals und die Notwendigkeit diese einzuhalten413. Die beschriebene Raumstaffelung und ihre Ausstattung wurde bei Schlossbauten des 19. Jahrhunderts noch immer umgesetzt414, und in ihrer Beschreibung des vom Kaiser erworbenen Herrenhauses in Cadinen, welches ihrer Meinung nach für eine angemessene Lebensweise zu klein war, macht Gräfin Keller deutlich, dass diese noch im beginnenden 20. Jahrhundert als selbstverständlich empfunden wurden415 . 408 Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 68; vgl. Newton, S. 10; Ludwig (XV.) Herzog von Anjou König von Frankreich und Navarra nutzte das Prunkbett zwar noch immer zu repräsentativen Zwecken, zog sich aus Gründen der Wärme und Bequemlichkeit jedoch häufig zum Schlafen in ein Kabinett zurück, vgl. Newton, S. 93. 409 Newton, S. 13; vgl. Newton, S. 40ff. 410 Beispielsweise waren Umzüge der Höflinge und Hofbediensteten häufig und es gab regelmäßig Streit um die Einrichtung, welche teilweise Privateigentum war und teilweise von der Krone gestellt wurde, vgl. Newton, S. 132ff; Kotzurek erwähnt, dass die Einrichtung der Bedienstetenräume häufig aus Dingen zusammengesetzt war, welche für den Gebrauch durch den Fürsten untauglich geworden waren, vgl. Kotzurek, S. 232; dies verdeutlicht, dass sämtliches Hofmobiliar – also auch das der Bediensteten – von bürgerlicher Einrichtung zu unterscheiden war, besonders im 17. Jahrhundert beschäftigte man beispielsweise ausgewählte Ebenisten zur Anfertigung von Möbeln, welche in dieser Form nur am Hof verwendet wurden, vgl. Fuhrmann/Metling/Rajkay/Weipert, S. 70. 411 Newton, S. 99; zum Umgang mit Kaminen in Versailles vgl. Newton, S. 92ff. 412 Asendorf weist darauf hin, dass im 19. Jahrhundert die Einrichtung repräsentativer Räume – wie beispielspielsweise des Salons – auch für das Bürgertum üblich geworden war und diese im Verhältnis zu den Privaträumen wesentlich mehr Platz beanspruchten, Asendorf, S. 86. 413 Vgl. von Marlborough, S. 74 und S. 97ff. 414 Beispielsweise im Residenzschloss Braunschweig, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 47ff und S. 497ff. 415 „Also das Haus besteht nur aus einem Souterrain für die Wirtschafts- und Leuteräume, einem Erdgeschoss, das wenigstens einen großen Raum enthält, der als Esszimmer dient und von dem man unmittelbar durch eine große Veranda in den Garten geht, und einer
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Um das aus Gründen des Exilaufenthaltes Ernst August von Cumberland in Gmunden errichtete Schloss Cumberland entwickelte sich zudem noch Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ein ausgeprägtes Hofleben416. Eine Veränderung ist allerdings an der Ausdehnung privater Bereiche ablesbar, welcher der anwachsende Wunsch nach mehr Bequemlichkeit zugrunde lag 417. Die für das Hofleben bis ins 20. Jahrhundert unverzichtbaren Repräsentationsräume sind generell als Schwellenräume zwischen außen und innen zu werten, was sich in deren Einrichtung niederschlug. Wie bereits erwähnt, waren die Möbel nicht auf bequemes Verweilen ausgerichtet, Mobilität und Austausch gehörten zu deren Konzept. Spiegel und/oder Fenster waren für diesen Eindruck unverzichtbar418. Fenster sind darüber hinaus als „Ausschnitte von Welt“419 zu werten, eine Aufgabe, die auch von Gemälden übernommen werden kann. Während jedoch die durch Fenster gebotene Sicht auf das Außen nur bedingt vom Bewohner wählbar ist420 – dabei aber
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Mansardenetage mit winzigkleinen, aber vielen Räumen, in heller Ölfarbe gestrichen, ohne Bilder.“, von Keller, S. 233; ähnliche Anmerkungen macht Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg in der Beschreibung der ersten Unterkunft nach ihrer Hochzeit: „Wir fanden ein Haus, das uns zur Miete angeboten wurde; sehr nett, aber Staat konnte man damit kaum machen. Acht Zimmer für uns und die Dienerschaft nebst Hofdame war nicht eben viel.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 90. Der Herzog erwarb einige Villen in der Nähe des Schlosses, um Bedienstete unterbringen zu können. 1907 waren 49 Angestellte mit Aufgaben der allgemeinen Verwaltung betraut, 16 gehörten zum Hof-Staat, 61 zum Hof-Marschall-Amt, 37 zum Hof-MarstallDepartment und 21 weitere Personen waren den einzelnen Personen der Herzogsfamilie zugeordnet, vgl. Steckhahn, S. 92ff. Beispielsweise wurde 1867 im Schloss (Bad) Homburg der so genannte Landgrafensaal in Schlaf-, Bade- und Garderobenzimmer für Wilhelm (I.) König von Preußen und Deutscher Kaiser umgestaltet, vgl. Brunckhorst, S. 8-9. Vgl. Kotzurek, S. 30; vgl. Newton, S. 129. Selle, S. 49. Die Gartengestaltung spielte diesbezüglich eine wesentliche Rolle, die durch die Vergänglichkeit der Pflanzen heute schwer nachvollziehbar und daher auf mit dieser in Verbindung stehende Gegenstände angewiesen ist. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der Königlichen Gartenbibliothek des Schlosses Herrenhausen zu erwähnen, deren Verauktionierung 2005 durch den Kulturgüterschutz verhindert wurde, vgl. Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005: Auktion 100, 25. Oktober 2005, Königliche Gartenbibliothek, ehemals zu Schloß Herrenhausen bei Hannover; Beispiel für die Bedeutung des Gartens ist auch die Anmerkung Gräfin Kellers, dass Wilhelm (II.) von Preußen zum Einzug in sein Exil-Domizil in Doorn Pflanzen geschenkt bekommen habe, von Keller, S. 356; auf die Gartengestaltung in Doorn nahm Wilhelm (II.) von Preußen starken Einfluss, vgl. Toom/Coene, S. 56f; Augusta Viktoria von Preußen nahm durch Pflanzwünsche Einfluss auf die Gartengestaltung des Schlosses (Bad) Homburg, vgl. Riemann, Anja: Von Blütenschmuck und Gaumenfreuden. Der kaiserliche Schlosspark in Bad Homburg, in: Sehens Werte 4/2008, S. 12; eine gesamte Ausgabe der Reihe „Sehens Werte“ widmete die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen der Gartenkunst und deren Rolle in der Denkmalpflege: Sehens Werte. Schlösser & Gärten in Hessen: Blühende Geschichte. Gartenkunst und Denkmalpflege, Kulturerbe Hessen, Verwaltung der Staatli-
272 | S AMMLUNGEN DES A DELS stark prägend sein kann – ist es möglich, mit Bildern eine eigene Sicht auf die Welt zu konstruieren und demonstrativ zur Schau zu stellen. Diese vom Bewohner gewählten Themen ermöglichen den Blick in dessen Vorstellungen von Natur, Ästhetik oder der Vergangenheit421 . Fenster und Gemälde, welche teilweise in ihrer Wirkung durch Spiegel gesteigert wurden, gingen in Schlossbauten nicht selten eine Kombination ein, die als programmatisch verstanden werden muss422, allerdings stärker der Repräsentation als der persönlichen Vorliebe des Fürsten zuzuordnen ist. Die Beschreibung der kurfürstlichen Sammlungs- und Privaträume der Martinsburg in Mainz um 1780 veranschaulicht das Zusammenspiel dieser Elemente sowie den Schwellencharakter zwischen außen und innen: „Der Blick kann zur Erholung der Augen über den Rhein schweifen, die angrenzenden verspiegelten Räume holen den Taunus, die Mainmündung, die Weinberge bei Hochheim und die Bergstraße ins Schloss hinein, während die Mainzer Vedouten von Schüz eben diese Landschaft im Medium der Malerei ein weiteres Mal spiegeln.“423
Auch Dekorationsobjekte, wie die in den Räumen des Adels weit verbreiteten Porzellanfiguren, fungierten als Abbilder der Lebensumwelt und erweiterten derart den physischen Raum: „Wie Genregemälde bilden sie das Leben der höfischen Welt ab, den Alltag der Menschen, die Dinge und Tiere.“424 Als Dinge des Wohnens in Form von Dekoration, Sammlungsobjekt425 und Tafelgeschirr waren Porzellane in allen wesentlichen Lebensbereichen des Hochadels zu finden.
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chen Schlösser und Gärten, Besuchermagazin 6/2010; für den Berliner Hof arbeiteten ca. 466 Arbeitskräfte allein in den Gärten, vgl. Philippi, S. 366. Vgl. Selle, S. 49; diese Eigenschaft schreibt Heidegger grundsätzlich Kunstwerken zu: „Werksein heißt: eine Welt aufstellen.“, Heidegger, S. 40. Reinle verdeutlicht dies am Beispiel von Porträts: „Ihr bevorzugter Platz sind Säle, Galerien und Gänge, sie halten die Zwischenräume von Fensterreihen, hängen gegenüber von Fenstern oder sind über Cheminées in die Wand eingelassen.“, Reinle, S. 186. Frankhäuser, Gernot: Die kurmainzischen Sammlungen in Aschaffenburg zwischen adligem Privatvergnügen, fürstlichem Mäzenatentum und staatlichem Auftrag, in: Luckhardt, Jochen (Hrsg.): Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, Internationales Kolloquium des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig und des Instituts für Kunstgeschichte der Martin-Luther-Universtität Halle-Wittenberg, Braunschweig 3.-5. März 2004, Braunschweig 2007, S. 57. Weltkunst 09/2014: Ziffer, S. 58. In dieser Funktion konnten sie sogar – wie beispielsweise die Porzellan-Menagerie Friedrich Augusts (I.) Kurfürst von Sachsen König von Polen Großfürst von Litauen (August der Starke) – auch Funktionen naturwissenschaftlicher Forschung oder – wie beispielsweise für Frauen am Dresdener Hof in Form von sakralen Figuren – religiöse Funktionen übernehmen, vgl. Weltkunst 09/2014: Ziffer, S. 59; Piesker nennt das Beispiel von Karoline Luise Prinzessin von Hessen-Darmstadt Markgräfin von Baden, welche Porzellane gesammelt und mit naturkundlichen Sujets bemalt hat, „denn sie war ja begeisterte Botanikerin und Entomologin.“, Piesker, S. 40.
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Während die genannten Dinge eine Verbindung zwischen Schwellenräumen und dem Außenraum herstellen können, ermöglichen Dinge des Wohnens ebenfalls eine Ausdehnung des Inneren. Seit jeher werden durch Aufbewahrungsmöbel und -objekte kleine intime Räume geschaffen, welche gleichermaßen materiellen Besitz und ideelle Schätze – wie Erinnerungsobjekte – beherbergen können426. Zunächst wurden Bewahr-Möbel für Nahrungsmittel und Saatgut verwendet, die als überlebenswichtige Dinge besonders geschützt werden mussten427, heute sind die Schätze persönlicherer Natur: „Vor allem Wohnzimmerschränke enthalten oft so viele Verweise auf die familiäre Geschichte, dass sie wahre Schatzhäuser gelebten Lebens darstellen, auch wenn der Inhalt Fremden als Plunder erscheint.“428 Somit sind Möbel und derartige Gegenstände als Innerstes des Wohnbereichs zu verstehen und bilden einen Ort konzentrierter Persönlichkeit. Die dem privaten Bereich eines Schlosses zugehörigen Räume waren von geringerer Größe als die Schwellenräume zur Öffentlichkeit. Ihr Raum erfuhr jedoch durch Mobiliar und Ausstattung eine wesentliche Ausdehnung: Kommoden und Schränke ermöglichten eine Steigerung persönlicher Bereiche429. Inbegriff solcher Räume am Hof waren kleine Kabinette, welche in der Nähe der Schlafzimmer lagen und deren Einrichtung meist der persönliche Geschmack des Fürsten zugrunde lag430 . Als Kunstkabinett ausgestattet, waren zwar auch diese Räume Zeichen von Macht und Vorrang des Herrschers431, durften aber nur durch einen eng ausgewählten Personenkreis betrachtet werden432. Die Schränke mit zahlreichen Fächern – auch Geheimfächern – sowie Kommoden verbargen zudem ihren Inhalt und gaben diesen nur preis, wenn der Besitzer sich zu einer Öffnung entschloss. Kommoden waren ein typisch höfisches Möbel, welches sich erst ab dem späten 17. Jahrhundert verbreitete und in kostbarer Ausführung selbst zum Sammlerstück wurde433. Die Entscheidung zur Aufbewahrung von Dingen wurde damals wie heute bewusst vorgenommen: „Die Unterbringung eines Objekts deutet auf seinen Ort in der hierarchisch eingeordneten Welt von Dingen hin ... Eine solche Bedeutung der Gegenstände kann man auch im sachlichen Kontext fürstlicher Schlossräume ermit-
426 Vgl. Selle, S. 142f; diese Bedeutung von Aufbewahrungsgegenständen im Zusammenhang mit Persönlichkeit und Intimität findet sich ebenfalls in Hoskins’ anthropologischer Studie. Sie stellt fest, dass vor allem diese Gegenstände als Stellvertreterobjekte des Selbst fungieren, vgl. Hoskins, S. 5. 427 Vgl. Selle, S. 132. 428 Selle, S. 135-136. 429 Kotzurek weist auf die Aufstellung von Kommoden und Schränken nur in den privateren Räumen eines Schlosses hin, vgl. Kotzurek, S. 50 und S. 169. 430 Kotzurek führt das Beispiel der Einrichtung eines Porzellankabinetts an, für welches Carl Eugen von Württemberg selbst den Ankauf der Objekte übernahm, vgl. Kotzurek, S. 105. 431 Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 70. 432 Vgl. Kotzurek, S. 40. 433 Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 91; beispielsweise schätzte man die Kostbarkeit der aufwändig gestalteten Boulle-Kommoden, vgl. Kotzurek, S. 433.
274 | S AMMLUNGEN DES A DELS teln.“434 Zu den in privaten Räumen untergebrachten Dingen gehörten neben Ahnenporträts und kleinen Plastiken auch – zum Teil kostbar gestaltete – Bücher435 . Stärker als jedes andere Objekt stellen Bücher eine Erweiterung von Raum und Persönlichkeit dar, indem der Lesende einerseits in Kontakt zu den Ideen des Autors treten kann und des Weiteren zur eigenen Vorstellung der Welt angeregt wird. Bücher ermöglichen einen Zugriff auf jeden erdenklichen Ort und jede erdenkliche Zeit, ohne dass es nötig ist, den eigenen Standort zu verändern. Wie auch Porträts waren Bücher für den Hochadel Instrument zur Stärkung und Versicherung von Status als auch Erinnerungsobjekt436. Eine örtliche Verknüpfung von Porträts und Büchern war in Schlossräumen üblich und liegt darin begründet437. Für den Adel des 19. und 20. Jahrhunderts zählten Adelsverzeichnisse zu den stark geschätzten Büchern438 und erfüllten die genannte Aufgabe der Selbstversicherung von Status. Des Weiteren erfüllten sie weiterhin Erinnerungsfunktionen sowie die Möglichkeit, das persönliche Lebensumfeld zu erweitern439 . Die genannten Beispiele der auch persönlich genutzten Ausstattungsobjekte des Hochadels finden sich heute in nahezu jedem (westlichen) Haushalt440 . Während Aufbewahrungsobjekte den physisch erlebten Raum durch Tiefe erweitern, vergrößern Fenster, Bilder und Bücher diesen durch Ergänzungen der Weltsicht441 . Damit unterstreichen diese Dinge des Wohnens damals wie heute Oesterles Hinweis darauf, 434 Shevchenko, S. 230; doch auch diese Einteilung war nicht allein von persönlichem Geschmack geprägt, sondern Inhalt wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, vgl. Shevchenko, S. 233. 435 Vgl. Shevchenko, S. 252f; Shevchenko weist darauf hin, dass diese nicht ausschließlich zur Repräsentation genutzt wurden (gerade in den Privaträumen ist von einer privaten Nutzung auszugehen), vgl. Shevchenko, S. 255. 436 Vgl. Shevchenko, S. 262. 437 Vgl. Shevchenko, S. 231. 438 Vgl. von Marlborough, S. 94; vgl. von Keller, S. 303; vgl. von Brühl, S. 150. 439 Für Consuelo von Marlborough war das Lesen die Möglichkeit zur Flucht aus den als beengt empfundenen Lebensumständen, vgl. von Marlborough, S. 169; Gräfin Keller nutzte das eigene Schreiben eines Tagebuchs als Ausdehnung ihrer Privatsphäre, vgl. von Keller, S. 5; Gräfin Brühl erwähnt den Wert von Gästebüchern sowie Bücher als Erinnerungsstücke, vgl. von Brühl, S. 231 und S. 207. 440 Die von Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton ab 1974 in den USA durchgeführte Studie ergab, dass ebendiese Objekte von den 315 befragten Personen aus drei Generationen der 82 befragten Familien häufig als „besondere Gegenstände“ betrachtet wurden: 36% Prozent nannten diesbezüglich Möbel, 26% Bilder, 23% Fotos sowie 22% Bücher, Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 8ff und S. 76. 441 „Ihre Lust an der Entführung zeigen die Dinge besonders gerne in geschlossenen Räumen und Texten. Wo die Enge spürbar wird, eröffnen sie weite Räume, versetzen die Gedanken anderswohin und führen erholsam aus bestehenden Zusammenhängen heraus. Sie arbeiten an der Grenze von Nähe und Ferne, Zerstreuung und Versammlung, so dass man – wie Ernst Bloch sagt – gerade auf den kurzen Wegen zwischen den Einrichtungsgegenständen einer Wohnung besonders erfrischend reisen kann.“, Pelz, Annegret: „Wo Dinge sind, sind Räume“ – Gedankenspaziergänge im Salon, in: Ecker/Scholz, S. 91; auch das Souvenir ermöglicht diese „Gedankenspaziergänge“, vgl. Oesterle, S. 43.
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dass das Interieur drei Lebensentwürfe miteinander verbindet: „das Versteck, die Idylle und das Memorabile“442 . Sicherheit, Behaglichkeit und Erinnerung entstehen im Wohnraum vor allem durch die vielfältigen Möglichkeiten zu Ding-MenschBindungen. Jeder bewohnte Raum – von der Schwelle bis zum Innersten des Heims – erhält seine Prägung durch den/die in ihm lebenden Menschen, und jedes Ding im Wohnbereich kann Träger persönlicher Bedeutung sein443 . Personen und Personengruppen entwickeln Bindungen zu den Objekten ihrer unmittelbaren Umgebung, deren detailreiche Wertbezüge und Funktionen nur von ebendieser Person/Gruppe verstanden werden können444. Neben den Ausstattungsgegenständen finden sich in Wohnräumen ebenso „Ereignisse, Beziehungen, Erfahrungen, also Immaterielles, Unsichtbares“445 , welches den Dingen, wie auch den Räumen, anhaftet. Wohnraum vermittelt – ebenso wie durch die materiellen Grenzen – durch immaterielle Bezüge das Gefühl der Sicherheit bietenden Dauerhaftigkeit eines Verstecks. Gleichzeitig ist dieses jedoch aufgrund der Prägungen durch den/die Wohnende(n) einer ständigen Entwicklung unterworfen, welche sich neuen Lebenssituationen anpasst, neue Träume und Ziele in sich aufnimmt, wodurch die private Idylle aktuell bleibt, ohne Erinnerungen zu verhindern. Das Wechselspiel von Dauer und Erneuerung kommt einem Austausch zwischen Mensch und Dingen gleich, dessen Einfluss auf die Biographien beider Seiten Halbwachs zusammenfasst: „Sie sind nur scheinbar bewegungslos, denn die sozialen Neigungen und Gewohnheiten ändern sich, und wenn man eines Möbelstücks oder einer Zimmereinrichtung überdrüssig wird, so ist es, als alterten die Gegenstände selber ... Eine Gruppe, die in einem bestimmten räumlichen Bereich lebt, formt ihn nach ihrem eigenen Bild um; gleichzeitig aber beugt sie sich und passt sich denjenigen materiellen Dingen an, die ihr Widerstand leisten.“446
Die durch Austausch entstehende persönliche Ebene eines Wohnortes und das durch diesen vermittelte Gefühl der Dauerhaftigkeit lässt ihn zum „Hort der Familientradition“ und „Speicher der Geschichte“447 werden. Neben Erinnerungs- und Stellvertreterfunktionen übernehmen Dinge diesbezüglich auch die Aufgabe, zwischenmenschliche Beziehungen darzustellen448. Während im Wohnumfeld verdeutlichte Bindun442 Oesterle, S. 43. 443 Vgl. Hoefer, Natascha N.: Mario Praz. Schubladentexte, in: Ausstellungskatalog Frankfurt, S. 192f. 444 Vgl. Halbwachs, S. 130. 445 Selle, S. 7. 446 Halbwachs, S. 129; auch Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton weisen auf die Interaktion mit den Objekten der Lebensumwelt hin, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 175, und betonen deren aktive Komponente: „Objekte sind keine statischen Gebilde, auf die mittels kognitiver Funktionen des Gehirns oder abstrakter kultureller Begriffssysteme Bedeutung projiziert wird. Sie selbst sind Zeichen, objektivierte Formen psychischer Energie. Nur als Bestandteil eines kommunikativen Zeichenprozesses, in dem sie als aktive Komponente mitwirken, sind Objekte bedeutungsvoll, sei es im Rahmen von Handlung oder von Kontemplation.“, Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 185. 447 Selle, S. 18. 448 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 176.
276 | S AMMLUNGEN DES A DELS gen von Einzelpersonen vor allem Zeichen der Intimität sind, ist ein von Gruppen gemeinsam belebter Raum für deren Identität und Gedächtnis – und damit deren Fortbestand – bedeutend449. Halbwachs stellt fest, dass Architektur im Allgemeinen und Wohnraum im Besonderen gerade in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Unruhe zum maßgeblichen Orientierungspunkt wird450. So lange das Umfeld ein Gefühl von Kontinuität vermitteln kann und von äußerlichen Einflüssen unberührt bleibt, können wesentliche Aspekte des Lebens einer Gruppe bestehen bleiben. „Denn jeder Art eines ‚Beisammen‘ von Menschen entspricht eine bestimmte Ausgestaltung des Raumes, wo die zugehörigen Menschen, wenn nicht insgesamt, dann wenigstens in Teileinheiten tatsächlich beisammen sind oder sein können. Und so ist also der Niederschlag einer sozialen Einheit im Raume, der Typus ihrer Raumgestaltung eine handgreifliche, eine – im wörtlichen Sinne – sichtbare Repräsentation ihrer Eigenart.“451
Dem Hochadel blieben trotz des für ihn elementaren Bruchs 1918 und dem damit in den meisten Fällen verbundenen Verlust der Residenzen privat genutzte Wohnräume in Form von Stadtpalais oder (Jagd-)Schlössern erhalten452 , wodurch ein gewisses Maß an Kontinuität der Lebensweise ermöglicht wurde. In den Jagd- und Lustschlössern war das Leben allerdings seit jeher einfacher und durch den Zugang eines kleineren Personenkreises intimer453 , was sich auch in ihrer Ausstattung niederschlug454 . Der mit den Umwälzungen von 1918 nötig gewordene Umzug der bis zu diesem Zeitpunkt regierenden Familien muss daher in doppeltem Sinn als Beginn eines pri-
449 Vgl. Halbwachs, S. 142. 450 „Ist es der Kontrast zwischen der Unempfindsamkeit der Steine und den Unruhen, denen die Einwohner ausgeliefert sind, der sie davon überzeugt, dass im Grunde nichts verloren ist, da die Mauern und Häuser aufrecht stehen bleiben? Vielmehr muss angenommen werden, dass die Einwohner dem, was wir den materiellen Aspekt der Stadt nennen, eine sehr ungleich starke Aufmerksamkeit schenken, dass aber die Mehrzahl zweifellos das Verschwinden einer bestimmten Straße, eines bestimmten Gebäudes, eines Hauses sehr viel stärker empfinden würde als die schwerwiegendsten nationalen, religiösen, politischen Ereignisse.“, Halbwachs, S. 131. 451 Elias, S. 70-71 (von diesem bezogen auf die höfische Gesellschaft); „Es [das Heim, Anm. U.S.] ist eine Welt, in welcher der Mensch eine materiale Umwelt erschaffen kann, die das von ihm als bedeutsam Erachtete ‚verkörpert‘. So gesehen wird das Heim zu einem äußerst mächtigen Zeichen des Selbst seiner Bewohner.“, Csikszentmihalyi/RochbergHalton, S. 138. 452 Vgl. die Aufstellungen zu den Vermögensauseinandersetzungen bei Günther. 453 Vgl. Kotzurek, S. 54. 454 Dies war bereits in denjenigen Zeiten der Fall, in welchen der Einhaltung der Etikette größte Aufmerksamkeit zukam, vgl. Kotzurek, S. 53 und S. 418ff; nach 1918 gab es jedoch kaum Möglichkeiten, das bisherige Hofleben aufrechtzuerhalten. Selbst wenn es gelang, einen Teil des Personals weiter zu beschäftigen, war deren Stellung nun die eines Privat-Angestellten, da die Hofrangordnungen mitsamt aller Privilegien und Bestimmungen nicht mehr die gleiche Gültigkeit hatten, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 188.
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vateren Lebens455 bezeichnet werden, ohne dass dies als bewusste Entscheidung gelten kann: neben dem Verlust der öffentlichen Ämter und der „Degradierung“ zum einfachen Bürger war auch das Lebensumfeld der ehemals regierenden Familien ab diesem Zeitpunkt zwangsläufig ein anderes. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg berichtet über den Umzug nach Gmunden, wo die Familie in der so genannten „Villa Weinberg“456 lebte: „Der Charakter der Hofhaltung im alten Sinne schwand mehr und mehr, und unsere Familie führte das Leben von Privatleuten.“457 Sie betont die familiäre Atmosphäre des Hauses, welche bewusst dem Leben in einem Schloss gegenübergestellt wird und dazu führte, dass sie bis ins hohe Alter immer wieder an diesen Ort zurückkehrte. Ihre persönliche Bindung zu diesem Umfeld, dessen Ausstattung teilweise aus dem Braunschweiger Schloss stammte458 , drückte sie in einem Brief aus dem Jahr 1958 aus, in welchem sie schreibt: „Bin glücklich in meinen lieben Sachen u. Zimmern zu sein [...]“459. Die Wohnsituation änderte sich jedoch erneut, als die Familie infolge der Vermögensauseinandersetzungen mit dem neuen Staat Braunschweig nach Blankenburg zog. Mit dem Bezug des „Großen Schlosses“ knüpfte man – trotz moderner Umbauten – an eine stärker repräsentative Lebensweise an. Die Ausstattung war hier weitgehend noch vorhanden und wurde durch weitere Objekte aus Braunschweig ergänzt460. Weniger positiv beschreibt Gräfin Keller die neuen Wohnräume des Kaiserpaares in den Niederlanden, welche sie selbst nach dem Umzug ins Haus Doorn als viel zu klein empfand461. Zwangsläufig 455 Vgl. Wienfort 2006, die vom „Rückzug ins Private“ als einer von drei möglichen Haltungen des Adels nach 1918 spricht, vgl. Wienfort 2006, S. 154; laut von Dissow wurde die kampflose Annahme dieses privaten Lebens durch die ehemals regierenden Häuser von Vertretern des Kleinadels stark kritisiert, vgl. von Dissow, S. 108. 456 Diese war zusammen mit anderen Villen in der Umgebung des Schlosses Cumberland ursprünglich zur Beherbergung von Hofpersonal erworben worden, vgl. Steckhahn, S. 95. 457 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250; vgl. auch zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221. 458 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250. 459 Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Briefkarte Villa Weinberg Gmunden, 17. April 1958, unveröffentlichter Privatbesitz; 1960 stand ihr das Anwesen (welches im Besitz ihres Sohnes war) nicht mehr zur Verfügung, weshalb sie ihre persönliche Einrichtung ausräumen musste und über diesen für sie schweren Verlust mehrfach in ihrer Korrespondenz berichtet, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 3. Mai 1959, unveröffentlichter Privatbesitz; Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Telegramm Gmunden, Oktober 1960, unveröffentlichter Privatbesitz; zu Braunschweig und Lüneburg: Brief Villa Weinberg Gmunden, 8. August 1960; 1961 kehrte sie sogar zum damals leeren Haus zurück und hielt sich stundenweise dort auf dem Grundstück auf, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Balkon Villa Weinberg Gmunden, 9. August 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. 460 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 252f; vgl. Hannover, Dr. Welf Heinrich Prinz von: Blankenburg – meine Heimatstadt, in: Schröter, Klaus: Blankenburg. Historie, Heimat, Humor, Königstein (Taunus) 1991, S. 10; vgl. Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479-493. 461 Vgl. von Keller, S. 341 und S. 350.
278 | S AMMLUNGEN DES A DELS war auch hier die Umgebung eine intimere als zur Zeit der Regierung in Berlin und Potsdam. Allerdings steht das Gefühl der Fremde im Vordergrund, was nicht zuletzt auf das Wohnen in unbekannten und nur mit wenigen mitgebrachten Ausstattungsgegenständen bestückten Räumlichkeiten zurückzuführen ist462 . Die Beschreibungen machen deutlich, wie stark die neuen Wohngegebenheiten nach 1918 das Leben des Hochadels geprägt haben. Burke stellt fest, dass ein Schloss als „Symbol seines Besitzers, eine Verlängerung seiner Persönlichkeit, ein Instrument seiner Selbstdarstellung“463 betrachtet werden muss. Umso bedeutender ist der Verlust nach 1918 zu werten. Da sich jedoch zur Zeit der Weimarer Republik das Wohnen für sämtliche Bevölkerungsschichten änderte, setzte sich der Hochadel trotz des Verlusts der Repräsentation weiterhin auf diesem Gebiet von anderen Gruppen ab. Notwendig werdende räumliche Veränderungen in der Nachkriegszeit und eine neue moderne Weltsicht führten bei großen Bevölkerungsschichten zu rationalen Wohnformen, welche in starkem Kontrast zur von der Vergangenheit geprägten Ausstattung der Lebenswelten des Adels standen464 . Ausstattungs- und Erinnerungsstücke waren noch immer in großer Menge vorhanden. Das Wohnumfeld fungiert als Aufbewahrungs- und Schutzort solcher Dinge, die als eng mit der eigenen Persönlichkeit verbunden wahrgenommen und daher als wertvoll empfunden werden465. Neben der Erzeugung eines Heimatgefühls ist dies eine der Hauptaufgaben des Wohnens und die Verwahrung solcher Objekte dient der Herausbildung und Weiterentwicklung von Identität 466. Durch den Prozess des alltäglichen Wohnens werden sie dem Gesamtkonzept des Ichs oder der Gruppe unterworfen, in dessen Kontext eingeordnet sowie nach diesem genutzt. Wenn Pelz schreibt, dass, die Dinge „[...] auf dem Weg dorthin ihr Eigenleben ablegen und sich der Perspektive, dem Stil und Gestaltungswillen des Bewohners unterwerfen [müssen]“467 , gesteht diese Sichtweise Objekten und ihrer Biographie wenig Kraft zu und gibt keinen Hinweis auf eine Prägung der Menschen durch die Dinge ihres Umfelds. Die Aussage verdeutlicht jedoch, dass eine Unterordnung in die Welt des Wohnens als einschneidendes Ereignis einer Ding-Biographie verstanden werden muss. Auch die Nutzung eines Dings beeinflusst dessen Biographie nachhaltig und stellt Bindungen zum Nutzenden her. Der Mensch gebraucht Dinge vielfältig, auf individuelle Art und Weise, eignet sie sich an, lässt sich allerdings auch von diesen zu neuen Verhaltens-
462 Von Keller merkt an, dass es keine Möglichkeit gab, Gegenstände aus den Berliner Wohnungen zu behalten, was als großer Verlust empfunden wurde, vgl. von Keller, S. 337. 463 Burke, S. 30. 464 „Die klassische Moderne des 20. Jahrhunderts bevorzugte ein rationales Licht, das den Raum gleichmäßig füllen und keine Orte für das Träumen übrig lassen sollte. Ihr Leitbild war die helle Fabrik, das Leben in der Wohnung ein rationalisierbarer Prozess ... Während der Weimarer Republik kam es zu den entschiedensten Neudefinitionen dessen, was man bis dato unter Wohnen verstanden hatte.“, Selle, S. 80. 465 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, welche dies als eine der „allerwichtigsten psychologischen Aufgaben des Heimes“ bezeichnen, Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 152; zum Einsatz privater Dinge als Zeichen von Individualität vgl. Selle/Boehe, S. 40. 466 Vgl. Selle, S. 132. 467 Pelz, S. 92.
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weisen inspirieren und von deren Formen in täglichen Handhabungen führen468 . Ebendieses Zusammenspiel kann Aufschluss geben über kulturelle Eigenschaften von Personen sowie Gruppen469. Das alltägliche Wohnen basiert auf zahlreichen Wiederholungen 470, für die Gegenstände unerlässlich sind: Vom Schlafen im Bett über die Nutzung von Toilettenartikeln und Geschirr zum Arbeiten am Schreibtisch, von gemeinsamen Mahlzeiten am Esstisch bis zum Empfangen von Gästen oder der Entspannung auf dem Sofa. Diese enge, dauerhafte und sich ständig durch Wiederholung erneuernde Bindung führt dazu, dass die Dinge des Wohnens eng mit der Identität des Benutzers verknüpft sind und diese daher repräsentieren sowie weiterentwickeln können471. Der Vorgang wird bei privaten Gegenständen bewusst wahrgenommen, bei Dingen des Alltags ist dies aber durch die scheinbar selbstverständliche Benutzung nicht immer der Fall, und solche können – gerade durch das unbewusste Handhaben – Hinweise auf gesellschaftliche Entwicklungen der Funktionsgeschichte von Objekten geben472 . „In Wahrnehmung und Gebrauch überschneiden sich individuelle, soziale und gesamtgesellschaftlich-historische ‚Muster‘ der Gegenstandserfahrung. Die Dinge bilden so ein Gerüst für die Gebärden und Rituale des Alltäglichen, in denen man sich selbst als Einzelwesen und als gesellschaftliches Wesen mit einer Evolutions- und Sozialgeschichte begegnet.“473
468 In diesem Zusammenhang ist die Umnutzung von Dingen – das „Nicht Intentionale Design“ interessant, vgl. Brandes, Uta/Steffen, Miriam/Stich, Sonja: Alltäglich und medial: NID – Nicht Intentionales Design, in: Ecker/Scholz, S. 115-131; vgl. auch Selle/Boehe, S. 9f und S. 50; die Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten betrifft auch die Gestaltung und Anordnung von Räumen, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 141. 469 „Die Analyse des Gebrauchs gestalteter Produkte ist auch deshalb so relevant, weil es die Nutzung ist, die Art des Umgangs mit den Dingen, in denen sich heute Unterschiede und kulturelle Vielfalt erweisen.“, Brandes/Steffen/Stich, S. 116; dies gilt ebenso für die Vergangenheit, deren Zeugen die genutzten sowie umgenutzten Dinge sind; Selle/Boehe weisen darauf hin, dass gerade der Umgang mit den Dingen sich verändert hat (stärker als die Dinge selbst), vgl. Selle/Boehe, S. 19; dies wird beispielsweise deutlich am Umgang mit Küchenmaterial, welches heute wenig Beachtung findet, im Haushalt des Braunschweiger Schlosses jedoch als wertvoll genug erachtet wurde, um es ebenso wie Möbel und andere Ausstattungsobjekte mit einem Stempel zu versehen. Die Stempelung bestand aus den Buchstaben „H.K.“ (Herzogliche Küche), getrennt durch drei Sternchen, sowie Welfenross und Herzogskrone, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 152; die Bodenplatten von erhaltenen Pastetenformen zeigen auch eine Herzogskrone sowie „H.W.V.B.“ (Herzog Wilhelm zu Braunschweig und Lüneburg), Abbildung bei Wedemeyer/Willemsen, S. 184. 470 Vgl. Selle, S. 228. 471 „Die Objekte der häuslichen Domäne bilden also ein ökologisches Zeichensystem, welches die Persönlichkeit ihres Besitzers sowohl abbildet wie formt.“, Csikszentmihalyi/ Rochberg-Halton, S. 36 und S. 200. 472 Vgl. Selle/Boehe, S. 12 und S. 16. 473 Selle/Boehe, S. 13; vgl. Selle, S. 26.
280 | S AMMLUNGEN DES A DELS Nicht nur materiell, sondern auch ideell findet zwischen Mensch und Ding eine gegenseitige Prägung statt: bestimmte Möbel verlangen eine bestimmte Haltung474 und gleichzeitig wird diese Haltung Spuren an den Möbeln hinterlassen. Auch symbolische Bedeutungen von Dingen prägen das Verhalten ihrer Nutzer und Besitzer, was bedeutet, „[...] dass Objekte der Entwicklung von Charakterzügen dienen [...]“475 . Am Beispiel der als Vorbilder fungierenden Ahnenporträts wurde bereits deutlich, dass der Adel diese Möglichkeit erzieherischer Maßnahmen mithilfe von Dingen bewusst nutzte, um den Verband der Familie zu stärken476 . Zugleich unterstützt die über Jahrhunderte gewachsene Umgebung das Gefühl von Vertrautheit und damit „[...] eine vertraute Umwelt [...], die imstande ist, das Ordnungsgefüge, das Kontrollvermögen und die Bedeutsamkeit ihrer Bewohner widerzuspiegeln [...]“477 Wie bereits in Bezug auf die Schwellenräume deutlich wurde, ist das Wohnumfeld gleichzeitig Ausdruck und Versicherung einer eigenen Weltsicht, in welcher das Selbst immer die maßgebliche Rolle spielt: die eigene Existenz und deren Geschichte wird daher in den Dingen des Wohnens manifestiert478 . Dabei greift der Mensch in seinem Empfinden auf eine Wohnbiographie zurück, die sich aus eigenen und historischen – bewussten sowie unbewussten – Erfahrungen zusammensetzt479. In einer solchen 474 Vgl. Selle/Boehe, S. 23; diese wird wiederum von anderen Menschen wahrgenommen, Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton nennen das Beispiel von Stühlen eines Königs, eines Richters oder eines Lehrers, welche Einfluss darauf haben, dass die jeweilige Person als Träger eines Amtes wahrgenommen wird, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 34. 475 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 50; Csikzentmihalyi/Rochberg-Halton verdeutlichen dies am Beispiel eines schönen Kleides, welches einer Frau das Gefühl gibt, ebenfalls schön zu sein, sowie am Beispiel eines schnellen Autos, welches einem Mann das Gefühl gibt, frei zu sein, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 45; dies ist auf Wohnobjekte übertragbar, welche so auch zwischen Generationen vermitteln können, indem sie Haltungen und Verhaltensweisen übermitteln, vgl. Selle/Boehe, S. 19. 476 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton stellen zudem fest, dass das Handlungspotential von Personen durch eine über Objekte übertragene Verbindung zur eigenen Vergangenheit sowie zu den Erfahrungen der Ahnen vergrößert wird, Csikszentmihalyi/RochbergHalton, S. 39; der Adel konnte somit durch den großen Bestand solcher Objekte die eigene Position stärken. 477 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 197. 478 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 200f; vgl. Selle/Boehe, S. 11; vgl. Selle, S. 72. 479 Vgl. Selle, S. 26 und S. 28; „Ichgeschichtlich reicht das Gedächtnis des Wohnens bis in die individuellen Kindheiten zurück. Kultur- und sozialgeschichtlich sind wir bis in die intim-persönlichen Gesten des Alltagsvollzugs normenverpflichtete, sozialisationsgeprägte Wesen in der Gruppe, Schicht, Klasse, Zeitgenossenschaft einer Epoche und dabei immer auch traditionsgebunden. Was weiter zurückliegt, verliert sich im Nebel vorangegangener Kulturentwicklung oder im Dunkel einer noch davorliegenden Gattungsgeschichte. Hier scheint das meiste unrettbar vergessen, taucht aber auf paradoxe Weise in unserem Leben immer wieder auf, vielleicht, weil wir heute für Verlustgefühle besonders sensibilisiert sind und das Ende der Natur und der Kultur ahnen, der wir nach wie vor zugehören.“, Selle, S. 210; die Biographie eines Menschen ist daher untrennbar mit den ihn umgebenden Gegenständen verbunden, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 35.
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Wohnbiographie verknüpfen sich zudem Erfahrungen von Ding-Mensch-Bindungen mit solchen von Mensch-Mensch-Bindungen480. Positive zwischenmenschliche Beziehungen werden durch Dinge des Wohnens repräsentiert, wohingegen Zeichen negativer Beziehungen – wenn möglich – aus dem Wohnbereich entfernt werden. Eng miteinander verbundene Menschen entwickeln häufig Bindungen zu denselben Objekten481. Erfahrungen geliebter Menschen werden durch Dinge vermittelt, können durch diese Übertragungsleistung von anderen mitgetragen werden und führen zu gemeinsamen Zielen482 . Aus diesen Gründen basieren Wertzuschreibungen an Dinge des Wohnens weniger auf Komfort und praktischer Nutzung, sondern stärker auf Bezügen zu anderen Menschen oder der eigenen Vergangenheit483 . Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton haben festgestellt, dass gemeinsame Ziele durch Objekte verkörpert werden können, und die Dinge bei bewusster Wahrnehmung dieser Funktion tatsächlich zum Erreichen derselben beitragen können484. Es besteht diesbezüglich eine Verbindung zwischen der Menge solcher Symbolobjekte und engen Familienbindungen, wohingegen Wohnräume von Familien, deren Mitglieder stärker auf das Selbst ausgerichtet sind, keine oder wenige dieser Symbole aufweisen485. Das komplexe System der Wohnbereiche hochadliger Familien basiert auf Symbolobjekten, welche sowohl auf enge Bindungen – und damit verbunden die Identität – des Adels als Gruppe als auch auf ein gemeinsames Ziel hinweisen. Das Leben hochadliger Familien war bis 1918 stark darauf ausgerichtet, bestehende Machtverhältnisse zu bewahren oder – je nach Position – weiter auszubauen. Darüber hinaus waren Erhaltung sowie Vermehrung von Glanz und Ansehen des Familienverbandes ein übergeordnetes Ziel, welchem sich die einzelnen Familienmitglieder unterordneten. Die an den Dingen des Wohnens verdeutlichte Trennung zwischen Repräsentation und Privatheit, die den Umgang mit diesen Dingen und Räumen regelnde Etikette, eine ständige Vergegenwärtigung der Ahnen im Wohnbereich (sowohl repräsentativ als auch privat) und rechtliche Vermögensbindungen, welche nicht nur Landbesitz, sondern auch Wohnsitze mitsamt Inhalt betrafen, machen deutlich, dass Mitglieder hochadliger Familien bewusste Ding-Mensch-Bindungen pflegten und diese zum Erreichen ihrer Ziele einsetzten. Nach 1918 war jedoch für die ehemals regierenden Häuser der Machtverlust durch den Umzug in eine privatere Atmosphäre deutlich spürbar. Wenn auch die Gruppenidentität des Hochadels durch die Nutzung einer weiterhin bekannten Umgebung erhalten werden konnte, war der Wohnbereich nur noch eingeschränkt für das Ziel der Versicherung von Macht nach außen und innen nutzbar. 480 Vgl. Selle/Boehe, S. 51. 481 In der Studie von Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton wählten beispielsweise die Eltern der interviewten Familien meist dieselben Objekte als besonders bedeutend aus, und Erinnerungsobjekte der Eltern wurden häufig auch von den Kindern als solche wahrgenommen, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 130f; je enger die Familienbindungen, desto größer waren in der Studie die Übereinstimmungen der als bedeutend wahrgenommenen Objekte, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 211. 482 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 233ff. 483 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 247. 484 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 254. 485 Vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 250f.
282 | S AMMLUNGEN DES A DELS Abbildung 11: Interieurdarstellung aus dem Besitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (Erinnerung an das Neue Palais, Potsdam), 1. Viertel 20. Jh.
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg war sich dieses Wandels bewusst: „Ich vergesse nicht den Augenblick, da meine Schwägerin Cecilie mich am Neuen Palais vorbeifuhr und mir die Tränen kamen. Alles sah so aus wie früher, aber es war für uns verloren, nur als Besucher konnte man die geliebten Räume betreten; unfasslich, dass das nicht mehr das Zuhause unserer Familie war, in dem ich so glückliche Kinder- und Jugendjahre verlebt hatte ... Für mich hörte schon damals eine Welt auf, die bei meinen Geschwistern in deren Potsdamer Häusern noch leise weiterlief.“486
Obwohl Umzüge für den Hochadel nicht ungewöhnlich waren und diese als Möglichkeiten genutzt wurden, durch Umgestaltung dem Wohnumfeld eine persönliche Prägung zu geben, griff man bis zu diesem Zeitpunkt immer auch auf bestehendes Mobiliar zurück und bevorzugte vor allem kostbare Ausstattungsstücke487, so dass das gemeinsame Ziel der hochadligen Familien unverändert zum Ausdruck kam. Es ist in diesem Zusammenhang jedoch wesentlich, dass die Umzüge nach 1918 nicht freiwillig erfolgten und der Wunsch nach Sicherheit bietender Wohnlichkeit über dem Erhalt einer durch Dinge ausgedrückten Stellung stand488 . 486 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 227. 487 Vgl. Kotzurek, S. 120, S. 161 und S. 214; dies betraf sowohl Möbel als auch Kamine, Fenster, Öfen, ornamentalen Schmuck, vgl. Kotzurek, S. 387; gegenüber diesen Objekten legte man eine gewisse Vorsicht an den Tag, verwendete beispielsweise Schutzbezüge für Holzmöbel, vgl. Kotzurek, S. 136; auch für bei Höflingen häufige Umzüge beschreibt Newton, dass die Mitnahme von Einrichtungsgegenständen ständiger Anlass zu Auseinandersetzungen war, vgl. Newton, S. 132ff. 488 Interessant ist, dass in der Studie von Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton vor allem durch Kinder Komfort und Vergnügen von Dingen hoch bewertet wurden, diese Bewertung je-
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Eine weitere einschneidende Veränderung erfuhr die Wohnsituation des Adels durch den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen. Die Einquartierung fremder Personen in den Schlössern während der Nachkriegszeit muss als starke Überschreitung der für den Hochadel hoch bewerteten Schwellenbereiche verstanden werden und wird in zahlreichen Beschreibungen Adliger thematisiert489 . Des Weiteren mussten zahlreiche adlige Familien (gegebenenfalls nach 1918 zum zweiten Mal) ihre Wohnsitze aufgeben, was in vielen Fällen neben dem Verlust von Eigentum auch den Verlust eines über Jahrhunderte gepflegten Lebensumfelds bedeutete490 . Die Identität des Hochadels erfuhr durch die beschriebenen Veränderungen des Wohnumfeldes sowie durch die nach 1918 in privaterer Atmosphäre aufgewachsene Generation eine Wandlung. In der Folgezeit des Zweiten Weltkriegs weist eine verstärkte Öffnung von Schlössern und die Einrichtung von Schlossmuseen auf die Lösung bisheriger Ding-Mensch-Bindungen hin491. Nach dem Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover wurde dies auch in der Haltung seines Sohnes deutlich, der gemeinsam mit seiner Frau Ortrud Prinzessin zu Schleswig-Holstein-SonderburgGlücksburg Prinzessin von Hannover Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Schloss Marienburg als Wohnsitz aufgab und dort ein Museum einrichtete492. Den
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doch bei stärkerer Verknüpfung mit Erinnerungen und Mensch-Mensch-Bindungen unwichtiger wurde, Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 78. Auch (Gräfin) Elisabeth Plessen beschreibt diese Situation in ihrem Roman, der nüchterne Einblicke in das Leben des Adels nach 1945 gewährt, vgl. Plessen, Elisabeth: Mitteilung an den Adel, Stuttgart o.J. (Originalausgabe: Zürich 1976), S. 16; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt für Blankenburg während der Kriegszeit die Einquartierung von Verwundeten, frz. Kriegsgefangenen und weiteren Familien nur kurz, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 318f; aus den Erinnerungen ihres Sohnes geht jedoch hervor, dass zumindest drei der Familien ebenfalls Adlige waren, vgl. von Hannover, W., S. 13; auch in der Nachkriegszeit in Schloss Marienburg waren Flüchtlinge einquartiert, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330; von Alvensleben stellt in einer Notiz von 1950 fest: „Pappenheims haben eine große Zahl von Verwandten und anderen Flüchtlingen aufgenommen.“, Alvensleben, Udo von/Koenigswald, Harald von: Schlösser und Schicksale. Herrensitze und Burgen zwischen Donau und Rhein. Aus Tagebuchaufzeichnungen von Udo von Alvensleben. Zusammengestellt und herausgegeben von Harald von Koenigswald, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1979, S. 22. Der Verlust erfolgte teilweise durch Kriegsbeschädigungen als auch durch die Enteignungen der Nachkriegszeit; dies erwähnt auch Gräfin Brühl, obwohl sie ausschließlich den Adel in der heutigen Zeit beschreibt, vgl. von Brühl, S. 210; ebenso wird die Bedeutung der deutsch-deutschen Wiedervereinigung für die adligen Familien in diesem Zusammenhang bei Rogasch erwähnt, vgl. Rogasch, S. 42; das preußische Fürstenhaus verlor nach dem Zweiten Weltkrieg sämtliche Schlösser bis auf die Burg Hohenzollern, welche sie gemeinsam mit dem Haus Hohenzollern-Sigmaringen besitzt, vgl. Rogasch, S. 208; vgl. Sinclair, S. 160f; vgl. Wienfort 2006, S. 60, S. 87. Diese Entwicklung ist auch in England zu beobachten, wobei Edward Montagu of Beaulieu betont, dass sie für die Schlossbesitzer schwierig sei, da man ungern Fremde im Haus habe, vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 10, S. 17f und S. 21; vgl. Rogasch, S. 168; vgl. Wienfort 2006, S. 157. Vgl. Steckhahn, S. 185.
284 | S AMMLUNGEN DES A DELS Unterschied zwischen öffentlich gezeigten Räumen und solchen, die tatsächlich bewohnt werden, sowie die im ersten Fall geringere Bindung zu Räumen und Einrichtung macht Rogasch am Beispiel des Birsteiner Schlosses deutlich: „Birstein gehört zu den wohnlichsten Schlössern in Deutschland, die man besichtigen kann. Das hat drei Gründe: Zum einen ist es erst seit vergleichsweise kurzer Zeit für Besucher geöffnet. Noch die Eltern des jetzigen Fürsten hätten es als Zumutung empfunden, dauernd fremde Leute in Filzpantoffeln durch ihr Haus ziehen zu sehen. Zum anderen ist das, was man zu sehen bekommt, nicht ein museal abgegrenzter, unbewohnter Bereich, wie es ihn in vielen Schlössern, auch solchen in Privatbesitz, gibt. In Birstein wird in den Räumen tagtäglich gewohnt.“493
Die aus der Zeit vor 1918 stammenden Dinge des Wohnens sind dagegen für diejenigen Familien, die nicht mehr in den Schlössern ihrer Vorfahren leben, weitgehend zu Erinnerungs- oder Geschichtsobjekten geworden, zum Teil auch zu einem Zweig des Familienunternehmens. Ein im Privaten gelebter funktionaler Umgang mit diesen drückt jedoch noch immer die Selbstverständlichkeit eines von Geschichte geprägten Wohnumfeldes aus, welches den Adel in der heutigen – von immer schnellerem Austausch in Masse produzierter Alltagsobjekte beherrschten – Zeit von anderen Gruppen abhebt494. 3.1.6 Die Bedeutung der Dinge des Adels Die Rechtsvorschriften des Kulturgüterschutzes verlangen in der Regel eine besondere Bedeutung des zu schützenden Objekts. Bedeutung ist eng verknüpft – jedoch nicht gleichsetzbar – mit Wertzuschreibungen und aus diesen entstehenden DingMensch-Bindungen. Solche Bindungen können zu einer wechselseitigen Prägung von Dingen und Menschen führen und damit Auswirkungen auf das Leben von Einzelpersonen sowie Gruppen haben495. Für diese sind die entsprechenden Dinge von 493 Rogasch, S. 172-174; zu einer ähnlichen Einschätzung kommt von Alvensleben, von Alvensleben/von Koenigswald, S. 146; mittlerweile hat in Birstein ein erneuter Generationenwechsel stattgefunden, da Alexander Prinz von Isenburg das Schloss nun von seinen Eltern übernommen hat und dort lebt; momentan ist das Schloss nicht zu besichtigen, ausgewählte Bereiche können für Veranstaltungen angemietet werden. 494 „Der Verdacht ist nicht unbegründet, dass eine so genannte Wegwerfgesellschaft mit den Dingen, die sie nur flüchtig berührt, auch einen Teil des Bewusstseins ihrer kulturellen Tradition und ihrer Lebenswirklichkeit verliert, ja, dass sie mit jedem Objekt, noch ehe es zu einem sinnlichen Bewusstsein gekommen ist, auch ihre halbfertigen Erfahrungen damit und mit sich selbst gleich wieder vernichtet.“, Selle/Boehe, S. 38; vgl. auch Selle/Boehe, S. 25; die geringere Wertschätzung der Dinge zeigt sich beispielsweise auch darin, dass Ihnen eine geringere Rolle zugesprochen wird als dies in früheren Jahrhunderten der Fall war, so stellen Porträts und frühe Fotografien die dargestellten Personen nahezu immer in Beziehung zu einem oder mehreren Gegenständen, was heute nur noch in der Werbung gängig ist, vgl. Selle/Boehe, S. 14. 495 „Zusammenfassend ist also zu sagen, dass die Bedeutung liebgewordener persönlicher Dinge in der Transaktion zwischen Person und Objekt verwirklicht wird. Transaktionen
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Bedeutung und je nach Einfluss der Person oder Gruppe kann eine gesamtgesellschaftliche oder historische Bedeutung von Objekten festgestellt werden. Kunst nimmt diesbezüglich eine Sonderstellung ein, da diese allein durch menschliche Schaffensprozesse entstehen kann. Kunstobjekten wohnen Wechselwirkungen zwischen Objekt und Mensch aufgrund dieser Prozesse von vornherein inne, so dass sie grundsätzlich von Bedeutung sind. Da Kunst vor allem intellektuelle und ideelle Funktionen erfüllt, können diese jederzeit reaktiviert werden. Zudem ist es kaum möglich, überhaupt eine Funktionslosigkeit von Kunst festzustellen, weshalb dieser immer auch ein gewisser Wert zugeschrieben wird. Der Besitz des Hochadels weist eine große Menge an Kunstobjekten auf, die jedoch im Zusammenhang mit einer allgemeinen Bedeutung der Dinge nicht von anderen Objekten getrennt betrachtet werden sollten, da dies den Blick auf weitere DingMensch-Bindungen sowie Ding-Ding-Bindungen verstellt. Eine solche Sichtweise greift auch zu kurz, da sie allein von heutigen Funktionen und Wertzuschreibungen ausgeht, nicht aber die Biographie jedes einzelnen Objekts und jeder Objektgruppe zur Feststellung von Bedeutung heranzieht. Werden dagegen die Ding-Biographien betrachtet, eröffnet dies den Blick auf Bindungen, Funktionen sowie Wertzuschreibungen der Vergangenheit, aus welchen in der Gesamtuntersuchung Bedeutungen abgeleitet werden können. In Bezug auf den Hochadel wurde die Rolle der Dinge als Mittel sozialen Verhaltens, als Erinnerungsobjekte, in ihrer Besonderheit als Porträts sowie der Dinge des Wohnens betrachtet. Als Mittel sozialen Verhaltens ist eine solche Rolle vielschichtig: zur Versicherung von Status und Abgrenzung – sowohl nach außen als auch zur inneren Selbstversicherung – war der Einsatz von Objekten für die Zeit vor und auch nach 1918 für den Hochadel bedeutsam. Geschenke dienten der Kommunikation und der Stabilisierung von Hierarchien. Ebenso führte die Singularisation von Dingen zu einer Beeinflussung des Marktes – mit weit reichenden Bedeutungen auch für andere Gesellschaftsgruppen. Diese nutzten die Zerstörung sowie Umnutzung von Dingen des Adels zur Verdeutlichung veränderter Machtverhältnisse496.
sind psychische Aktivitäten (oder kommunikative Zeichenprozesse) und nicht lediglich physische Verhaltensweisen per se, wenngleich physisches Verhalten beteiligt sein kann.“ Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 186. 496 Die Zeit der Französischen Revolution ist diesbezüglich am besten untersucht, die Zusammenfassung Gambonis zeigt, wie weitreichend eine solche an Objekten verdeutlichte Demonstration veränderter Machtverhältnisse wirken kann: „Da aber die Ordnung der Gesellschaft insgesamt und nicht nur einzelne ihrer Glieder in Frage gestellt wurde, definierte sich der abgelehnte ‚symbolische Gehalt‘ in einem sehr umfassenden Sinne, so dass er ein entsprechend weites Spektrum von Objekten in Gefahr brachte: nicht nur die Wappen, Porträts und Abbilder des Monarchen, der Angehörigen des Adels und des Klerus – obwohl derartige Objekte von offenen und systematischen Angriffen besonders betroffen waren –, sondern jedes Werk, das diese in Auftrag gegeben, besessen oder zur Schau gestellt hatten und das damit als Bestandteil der Rhetorik der Macht und der Hierarchie verstanden werden konnte.“, Gamboni, S. 34; der Umsturz 1918 wurde weniger offen an Objekten verdeutlicht, was darauf hinweist, dass der deutsche Hochadel bessere Chancen des Identitätserhalts durch Ding-Mensch-Bindungen hatte.
286 | S AMMLUNGEN DES A DELS Zur Herausbildung von Einzel- und Gruppengedächtnissen sind Dinge unverzichtbar. Für den Adel, dessen Identität eng mit der Verbindung verschiedener Generationen verknüpft ist, sind Erinnerungsobjekte daher bedeutend und wurden bewusst als solche genutzt. Vor allem der Verlust sowie die gelockerten Verbindungen zu Erinnerungsorten haben jedoch dazu geführt, dass autobiographische Erinnerungen gegenüber der Erinnerung als Gruppe in den Vordergrund getreten sind, wodurch es zu einer Veränderung der zu diesem Zweck genutzten Objekte kam. Sowohl als Dinge der Erinnerung als auch zur Versicherung sozialer Identität nehmen Porträts im Besitz des Hochadels eine herausragende Stellung ein. Porträts entstanden zu jeder Zeit adliger Herrschaft. Sie waren einer ständigen Veränderung unterworfen, so dass es zu dynamischen Ding-Mensch-Bindungen kam. Diese Bindungen sind durch die gleichzeitige Darstellung von und Rezeption durch Menschen doppeldeutig und vielfältig. Porträts gehören zu der quantitativ stärksten Objektgruppe im Besitz des Adels, deren Wert und Funktion lange bestehen blieb und zum Teil noch heute besteht. Eine Weiterentwicklung des Adelsporträts auch nach 1918 verdeutlicht deren Bedeutung. Ebenso wie Porträts übernahmen Dinge des Wohnens zeitweise Stellvertreterfunktionen. Neben dieser Funktion engster Ding-Mensch-Bindung liegt deren Bedeutung aber vor allem in der Verkörperung des auf Hierarchien aufbauenden Lebenskonzepts des Adels sowie der Verfolgung des Ziels, Macht und Familienansehen zu erhalten. Diesbezüglich ist nach 1918 eine große Veränderung zu beobachten, die nach dem Zweiten Weltkrieg weiter verstärkt wurde: die Dinge des Wohnens sind ohne das vereinende Wohnumfeld wesentlicher Aspekte ihrer Bedeutung beraubt. Für Familien, die noch immer den Wohnbereich ihrer Vorfahren zu diesem Zweck nutzen, ist eine solche jedoch weiterhin feststellbar. In einem privaten Kontext ist ihre Bedeutung gleichzusetzen mit derjenigen jedes anderen Wohnumfeldes. In allen genannten Bereichen waren Dinge, gemeinsam mit traditionellen Verhaltensweisen, maßgeblich an der Bildung und dem Erhalt der Identität des Hochadels beteiligt497. Veränderungen dieser Gruppenidentität waren nach 1918 unvermeidbar, wurden jedoch durch die stabilisierende Funktion der Dinge verlangsamt und gemildert, so dass noch heute die Gruppe des Hochadels typische Ding-MenschBindungen aufweist. Für den Hochadel ist daher die Bedeutung der Dinge in Vergangenheit und Gegenwart vielfältig. Die Dinge des Adels prägten außerdem den Umgang mit anderen Gesellschaftsgruppen und wurden nach 1918 von diesen zur Umsetzung eigener Ziele genutzt. Wenn auch nicht als Protagonisten, so kommt Objekten aus Adelsbesitz als unterstützende Nebenfiguren eine größere Bedeutung zu als die inaktiver Sachzeugen498: 497 Was sowohl hilfreich als auch belastend sein kann, wie de Saint Martin ausführt: „Zahlreiche [...] materielle oder nicht-materielle Kennzeichen und Merkmale, darunter vor allem Schlösser, Familienportraits und Literatur oder Erzählungen über die Familiengeschichte, bieten den Nachfahren des Adels die Gelegenheit, sich als besondere Gruppe oder Kategorie zu sehen und zu geben. Der dauernde Bezug auf die Vergangenheit und die Leistungen der Vorfahren lasten schwer auf Bewußtsein und Identität.“, de Saint Martin, S. 25. 498 Diese dem Objekt innewohnenden Fähigkeiten und die daraus hervorgehende Bedeutung ist bisher kaum untersucht, vgl. Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 60; Assmann
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„Im Vergleich zu anderen Zeichen, etwa Emotionen oder Gedanken, erscheinen Sachobjekte als besonders konkret und permanent. Diese Eigenart von dinglichen Objekten gründet augenscheinlich in ihrer physischen Struktur, so dass auch ein prähistorisches Artefakt noch immer in der Lage ist, uns eine Vorstellung von der damaligen Ideenkultur zu vermitteln, auch wenn keine anderweitigen Zeugnisse über die Sprache oder die Mentalität dieser Menschen vorliegen.“499
Eine Betrachtung von Ding-Biographien, welche Bindungen sowohl zu Personen und anderen Dingen beinhaltet, beleuchtet ebendiese den Dingen eingeschriebene Bedeutung und deren Auswirkung bis in die heutige Zeit. Vor allem durch die Bevorzugung von Kunst gegenüber weiteren Objekten sowie die häufig vernachlässigte Untersuchung von Ding-Ding-Bindungen und deren Einfluss auf Bedeutungsebenen wurde der besonderen Bedeutung der Dinge aus Adelsbesitz als Bestandteile des kulturellen Erbes bisher kaum Beachtung geschenkt.
3.2
S AMMELN
UND
S AMMLUNGEN „Jede Sammlung, so exotisch sie für den Außenstehenden auch aussehen mag, erschließt dem Sammler also in diesem oder jenem Grade ein Stück Wirklichkeit.“500 N. HINSKE/M. MÜLLER
Die Betrachtung der Bedeutung der Dinge hat gezeigt, dass diese im Zusammenhang mit wechselseitigen Prägungen von Dingen und Menschen steht. Ding-MenschBindungen – welche durch Wertzuschreibungen von Menschen an Dinge gefördert werden können – sind mit dieser Prägung eng verknüpft. Sowohl der Vorgang des Sammelns als auch der bewusste Umgang mit Sammlungen lässt solche Bindungen entstehen, festigt und belebt sie. spricht diesbezüglich von „Spuren“: „Bei der Verlagerung des Interesses von Texten auf Relikte geht es um einen Wechsel der Gedächtnismedien von ‚sprechenden‘ zu ‚stummen‘ Zeugen, die wieder zum Sprechen gebracht werden. Bei der Verlagerung des Interesses von Relikten auf Spuren geht es um die Rekonstruktion von Vergangenheit vor allem aus solchen Zeugnissen, die nicht an die Nachwelt adressiert und nicht zum Dauern bestimmt waren. Sie sollen von dem etwas mitteilen, wovon die Überlieferung in der Regel schweigt: dem unscheinbaren Alltag.“, Assmann, S. 213; zur weiteren Erläuterung der Unterscheidung von Schrift und Spur, vgl. Assmann, S. 209; der Begriff der Spur umfasst auch Zeichen an Objekten, die biographische Informationen über diese und ihr Umfeld bieten können, vgl. Assmann, S. 211. 499 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 33. 500 Hinske, Norbert/Müller, Manfred (Hrsg.): Sammeln – Kulturtat oder Marotte? Öffentliche Ringvorlesung Wintersemester 1982/83, Trierer Beiträge, aus Forschung und Lehre der Universität Trier, Trier 1984, S. 45.
288 | S AMMLUNGEN DES A DELS Das Thema des Sammelns findet in der wissenschaftlichen Forschung einige Beachtung, wobei die Arbeit von Krzystof Pomian501 besonders hervorzuheben ist. Pomian sieht den Hintergrund von Sammlungen in der Repräsentation des Unsichtbaren begründet und gibt wichtige Hinweise auf die historische Entwicklung von Sammlungen502. Der Schwerpunkt der Sammlungsforschung fokussiert auf die Frühe Neuzeit. Hervorzuheben ist diesbezüglich der von Andreas Grote herausgegebene Band „Macrocosmos in Microcosmo. Die Welt in der Stube. Zur Geschichte des Sammelns 1450 bis 1800“503. Ein vielfältig untersuchter Bereich des Sammelns und der Sammlungen ist außerdem die Entwicklung institutioneller Sammlungen504, wobei neuere Forschungen sich auch mit der Problematik des Ent-Sammelns beschäftigen. In Hinblick auf dieses Thema ist die von Dirk Heisig herausgegebene Publikation „Ent-Sammeln. Neue Wege in der Sammlungspolitik von Museen. Verschenken, Tauschen, Verkaufen, Verbrauchen, Entsorgen“ zu erwähnen505 . Den Vorgang des Sammelns aus psychologischer Sicht beleuchtet die Untersuchung Werner Muensterbergers506 , und mit dem Phänomen des Kunst-Sammelns und dessen Auswirkungen setzt sich Joseph Alsop auseinander507 . Sammeln setzt voraus, dass ein Gegenstand wahrgenommen und mit anderen Objekten in einen Zusammenhang gebracht wird. „Der Vorgang erfolgt, erstens stückweise, allmählich, und erbringt, zweitens, eine geordnete Menge, eine ‚Sammlung‘ eben und nicht bloß eine ungeordnete Masse oder ‚Ansammlung‘. Der Gegenbegriff zu ‚sammeln‘ ist ‚zerstreuen‘.“508 Müller weist aber auf die trotz dieser scheinbaren 501 Pomian 1998; vgl. auch Pomian, Krzysztof: Sammlungen – eine historische Typologie, in: Grote, S. 107-126. 502 Als Überblick über Geschichte und Formen des Sammelns ist auch die frühe Arbeit von Niels von Holst zu erwähnen, Holst, Niels von: Künstler. Sammler. Publikum. Ein Buch für Kunst- und Museumsfreunde, Darmstadt 1960. 503 Grote; mit einem etwas späteren Schwerpunkt ist hier ebenfalls die Arbeit von Christoph Becker zu erwähnen, Becker, Christoph: Vom Raritäten-Kabinett zur Sammlung als Institution. Sammeln und Ordnen im Zeitalter der Aufklärung, Egelsbach, Frankfurt, St. Peter Port 1996 (zugleich Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität zu München). 504 Vgl. Sheehan, James J.: Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Kunstkammer zur modernen Sammlung, München 2002 (Originalausgabe: Museums in the German Art World, New York 2000); vgl. Calov, Gudrun: Museen und Sammler des 19. Jahrhunderts in Deutschland, Museumskunde, herausgegeben vom Deutschen Museumsbund, 38. Band – 1969, 10. Band der Dritten Folge, Berlin 1969. 505 Heisig, Dirk (Hrsg.): Ent-Sammeln. Neue Wege in der Sammlungspolitik von Museen. Verschenken, Tauschen, Verkaufen, Verbrauchen, Entsorgen, Aurich 2007 (Publikation des Projektes SAMMELN! der Ostfriesland-Stiftung der Ostfriesischen Landschaft); vgl. auch Ecker/Stange/Vedder. 506 Muensterberger, Werner: Sammeln. Eine unbändige Leidenschaft, Berlin 1999 (Originalausgabe: Collecting. An Unruly Passion, Princeton 1994). 507 Alsop. 508 Stagl, Justin: Homo Collector: Zur Anthropologie und Soziologie des Sammelns, in: Assmann, Aleida/Gomille, Monika/Rippl, Gabriele (Hrsg.): Sammler. Bibliophile. Exzentriker, Tübingen 1998, S. 37; vgl. auch Pazzini, der den Aspekt des Selektiven im Zu-
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Gegensätzlichkeit untrennbare Verknüpfung von Sammeln und „Wieder-Loslassen“ hin509. Die Tätigkeit des Sammelns ist weder an eine bestimmte Verwendung der zusammengetragenen Objekte gebunden noch abhängig von der für diesen Prozess aufgewandten Zeit; beides kann jedoch die Dauer des Bestands einer Sammlung bestimmen510 . Innerhalb einer Stunde zusammengesuchte Pilze zum Verzehr am gleichen Tag sind ebenso gesammelt worden wie über Jahrzehnte einzeln erworbene Gemälde, welche in einem Museum als kulturelles Erbe möglichst „für immer“ aufbewahrt werden sollen. Die Bandbreite an Sammelaktivitäten – sowie zugehörigen Sammlungen – zwischen diesen beiden Polen ist aufgrund der langen Geschichte des Sammelns und des Vorkommens von Sammlungen in allen menschlichen Kulturen und Gesellschaften511 groß: „Menschen haben seit jeher gesammelt, ursprünglich aus Überlebensnot, später, weil sie kostbare Dinge schätzten. Heute deponieren sie Kunstwerke in riesigen Kästen, die ihren Namen tragen und sich Museen nennen. Das Sammeln, Horten und Verstecken, aber auch das Vorzeigen sind Grundgesten menschlichen Verhaltens zur Welt geblieben. Seit Urzeiten bestimmen sie den Habitus und das Habitat.“512
Sammlungen können – ebenso wie Einzelobjekte – als Mittel sozialen Verhaltens oder als Erinnerungsobjekte genutzt werden513. Es ist des Weiteren möglich, dass Sammlungen Porträts enthalten oder/und dass diese im Wohnbereich des Sammlers untergebracht sind und als Dinge des Wohnens genutzt werden. Über diese Bedeutungszusammenhänge von Einzeldingen hinaus übernehmen Sammlungen – in ihrer Gesamtheit dieser Einzelobjekte –, als auch das Sammeln als Tätigkeit, Funktionen der Identitätsbildung sowie der Stärkung von Persönlichkeit514. Aspekte der Kontrol-
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sammenhang mit dem Vorgang des Sammelns betont sowie für die so entstehende Menge auf einen „mögliche[n] Ausgang, der geöffnet und geschlossen werden kann“ hinweist, Pazzini 1997, S. 63; vgl. Sladeczek/Müller: Vorwort, S. 10; vgl. Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften, Band V-1, Frankfurt am Main 1991, S. 279. Müller, Andreas: Die Sammlung aus der Sicht der Stiftungspraxis, in: Sladeczek/Müller, S. 322. Vgl. die Definition Muensterbergers: „Ich definiere es [das Sammeln] einfach als das Auswählen, Zusammentragen und Aufbewahren von Objekten, die einen subjektiven Wert haben.“, Muensterberger, S. 20; worin dieser Wert besteht und wie lange die Objekte aufbewahrt werden, bleibt variabel. Vgl. Pomian 1994, S. 107. Selle, S. 134. Vgl. Benjamin 1991, S. 271. Vgl. Stagl, S. 39; auf den persönlich geprägten Charakter von Sammlungen weist Olmi hin: „Es gibt einige Sammlungen, die entstehen mit präzisen, aber meist ganz unterschiedlichen Zielsetzungen; es gibt andere, welche ihren Anfang aus einem bestimmten Zweck nehmen und schließlich zu einem ganz anderen verwendet werden. Man mag in einigen Fällen sagen können, warum ein gewisser Arzt, oder ein gewisser Fürst bestimmte Gegenstände gesammelt hat, aber es ist unmöglich oder mindestens gewagt, eine solche Deutung auf alle sammelnden Ärzte oder Fürsten auszudehnen.“, Olmi, Giuseppe:
290 | S AMMLUNGEN DES A DELS le, der Orientierung und des Ausdrucks eigener Weltanschauungen spielen diesbezüglich eine Rolle515. Durch die Auswahltätigkeit, welche beim Vorgang des Sammelns im Vordergrund steht, trifft der Sammelnde wiederholt Entscheidungen der Abgrenzung und konstruiert auf diese Weise das Zentrum einer mit seiner Persönlichkeit verbundenen Dingwelt mit stabilisierender Wirkung516 : „[...] dem Sammler ist in jedem seiner Gegenstände die Welt präsent und zwar geordnet. Geordnet aber nach einem überraschenden, ja dem Profanen unverständlichen Zusammenhange.“517 Diese Ordnung bleibt jedoch unvollständig und wandelbar, so dass der Sammelnde mit dem Ziel der Ergänzung immer auf der Suche nach weiteren Objekten ist518 . Sammeln dient damit der Befriedigung personen-/gruppenspezifischer Bedürfnisse und ist sowohl von Emotionen als auch sachlichen Überlegungen geprägt519. Innerhalb dieser Grundzüge bleibt das Sammeln ein facettenreiches Phänomen. Sowohl Einzelpersonen als auch Gruppen sammeln und verfügen über Sammlungen, deren Inhalt sowie Behandlung stark differieren. Das Sammelverhalten sowohl von Einzelpersonen als auch von Gruppen ist zudem einem zeitlichen und gesellschaftlichen Wandel unterworfen, da sich die Bedürfnisse der Sammelnden verändern. Die so entstandenen Sammlungen spiegeln schließlich Ordnungssysteme ihrer jeweiligen Zeit wider520, so dass ihnen „zugleich ihre potentielle Auflösung eingeschrieben
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Die Sammlung – Nutzbarmachung und Funktion, in: Grote, S. 170; vgl. auch Muensterberger, S. 21. Vgl. Stagl, S. 38 und S. 46f; Muensterberger sieht das Sammeln als ein „Verlangen nach Ersatz“, welches auf „Entbehrung, Verlust oder Verletzung“ beruht, vgl. Muensterberger, S. 19 und S. 27; Muensterberger weist zudem darauf hin, dass aufgrund der stabilisierenden Funktion des Sammelns dieses vor allem in Zeiten starker gesellschaftlicher Entwicklung weit verbreitet ist, vgl. Muensterberger, S. 326. Vgl. Assmann, Aleida/Gomille, Monika/Rippl, Gabriele: Einleitung, in: Assmann/ Gomille/Rippl, S. 12; vgl. Fischer, Volker: Nostalgie. Geschichte und Kultur als Trödelmarkt, Luzern, Frankfurt am Main 1980, S. 204; vgl. Asendorf, S. 40. Benjamin 1991, S. 274; auch Muensterberger weist darauf hin, dass die individuelle Ordnung und Wertschätzung stark von derjenigen Außenstehender abweichen kann, vgl. Muensterberger, S. 127. Vgl. Benjamin 1991, S. 279; Grote weist darauf hin, dass die angestrebte Ordnung nicht zwangsläufig vor dem Beginn des Sammelvorgangs festgelegt sein muss, sondern auch erst währenddessen entschieden werden kann, vgl. Grote, Andreas: Vorrede – Das Objekt als Symbol, in: Grote, S. 11; vgl. Ressler, der Sammler mit Künstlern und deren Suche nach einer neuen Weltsicht vergleicht, Ressler, S. 129. Für Muensterberger ist die Gemeinsamkeit allen Sammelns eine „unbezähmbare Leidenschaft“, vgl. Muensterberger, S. 206; Sladeczek weist jedoch darauf hin, dass im Sammeln emotionale und sachliche Aspekte zusammengehören, vgl. Sladeczek, Franz-Josef: Von Sammlern, Museen und Stiftungen, in: Sladeczek/Müller, S. 38; für Asendorfer ist das Sammeln ein Ersatz für die „Genüsse der realen Welt“, Asendorf, S. 40. „Was früher als unabänderliche und ‚wahre‘ Ordnung der Dinge galt, kann uns heute als Sammelsurium erscheinen; gegenwärtige wissenschaftliche Ordnungsschemata mögen späteren Zeiten ebenso absurd vorkommen wie uns heute die mikrokosmische Denkweise früher (oder fremder) Enzyklopädien.“, Scholz/Ecker, S. 14; vgl. Muensterberger, S. 245.
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ist.“521 An Holleins Beschreibung heutigen Kaufverhaltens wird beispielsweise deutlich, dass dieses als aktuelle Form des Sammelns verstanden werden kann: „Shopping – das Flanieren, Bummeln, Auswählen und Konsumieren – ist sowohl als die primäre Freizeitbeschäftigung unserer Überflussgesellschaft identifiziert als auch als die das moderne urbane Leben in all seinen Facetten grundlegend bestimmende Tätigkeit erkannt worden. Einkaufen ist weitaus mehr als die bloße Befriedigung der alltäglichen Bedürfnisse: Es ist das wesentliche Ritual des öffentlichen und gemeinschaftlichen Lebens, durch das Identität geschaffen und gewandelt wird.“522
Kopytoff sieht im privaten Umgang mit Objekten den Versuch, in einer stark von Marktwerten geprägten Welt eigene Werte durch persönliche Klassifikationen zu schaffen – eine Feststellung, die auf das Sammeln übertragbar ist523 . Als Ergebnis dieses Massenphänomens haben immens anwachsende Kleider- und Schuhschränke sowie stetig größere Informationsmengen verarbeitende Elektronikgeräte die kleinbürgerlichen Setzkästen524 als Ordnungssysteme abgelöst. Schließlich finden die kürzlich noch zu erwerbenden Shopping-Objekte ihren Weg in Museumssammlungen, so dass die jüngste Vergangenheit heutiger Generationen institutionell geordnet wird. Diese unterschiedlich motivierten Voraussetzungen zur Bildung von Sammlungen können allgemein als Vorgang des Anhäufens bezeichnet werden. Während der Akt des Sammelns/des Anhäufens der Befriedigung unterschiedlicher Bedürfnisse – von der Nahrungsaufnahme bis zum Ersatz eines emotionalen Verlustes – dienen kann, sind die von Assmann/Gomille/Rippl als „Funktionen des Sammelns“ bezeichneten Kategorien – nämlich „Legitimierung von Macht, Konstruktion von Identität und exzentrische Selbstinszenierung“525 – vor allem als Funktionen von Sammlungen zu bezeichnen. Obwohl das Sammeln/das Anhäufen als Vorgang sowie die Sammlung als Ergebnis dem gleichen Zweck dienen können, ist diese Übereinstimmung nicht zwingend, so dass Vorgang und Ergebnis getrennt voneinander zu betrachten sind. Dies wird am oben genannten Beispiel von Dingen der Shoppingwelt deutlich: der Identität stiftende Akt des Zusammentragens bestimmt das sich stetig wandelnde Ergebnis. Im Gegensatz dazu ist die Funktion der von Pomian angeführten Opfer- und Grabbeigaben526 gleich, diese können jedoch von unterschiedlichen Personen unabhängig voneinander zusammengetragen werden, so dass dieser Vorgang für jede dieser Personen persönlichen Zwecken dienen kann. Durch den langen Erhalt von Dingen innerhalb einer aus zahlreichen Einzelpersonen bestehenden Familie können auch bei Adelssammlungen die Funktionen des Sammelns sowie der Sammlung Unterschiede aufweisen. Pomians Definition von Samm-
521 Reulecke, Anne-Kathrin: Stefan Zweigs Unsichtbare Sammlung, in: Ecker/Stange/Vedder, S. 150. 522 Hollein, Max: Unternehmen Kunst. Entwicklungen und Verwicklungen, Regensburg 2006, S. 165. 523 Vgl. Kopytoff, S. 88. 524 Vgl. Fischer, V., S. 85. 525 Assmann/Gomille/Rippl: Einleitung, S. 12. 526 Vgl. Pomian 1998, S. 39.
292 | S AMMLUNGEN DES A DELS lungen unterstreicht eine solche Trennung, da er nicht auf den Weg des Zustandekommens fokussiert, sondern auf ebendieser Funktion der Sammlungen: „[...] eine Sammlung ist jede Zusammenstellung natürlicher oder künstlicher Gegenstände, die zeitweise oder endgültig aus dem Kreislauf ökonomischer Aktivitäten herausgehalten werden, und zwar an einem abgeschlossenen, eigens zu diesem Zweck eingerichteten Ort, an dem die Gegenstände ausgestellt werden und angesehen werden können.“527
Das oben genannte Beispiel der Grabbeigaben zeigt, dass nicht die öffentliche Ausstellung der Objekte gemeint ist, sondern die Möglichkeit einer Kommunikation mit dem Unsichtbaren. Wichtig für das Verständnis von Sammlungen ist die in dieser Definition betonte Singularisation der Objekte, deren örtliche Konzentration sowie eine gemeinsame Funktionsbestimmung. Das einzelne Objekt verändert seine Wirkung im Rahmen der von dieser Funktion geprägten Bezüge zu den weiteren Sammlungsbestandteilen528. Neben dem Zustandekommen einer Sammlung durch den Akt des Sammelns und der Funktion einer Sammlung ist deren mögliche Wirkung auf nicht am Vorgang des Sammelns beteiligte Nutzer getrennt zu betrachten. Eine solche Wirkung in Form von gemeinsamen oder ähnlichen Emotionen ist trotz der engen Bindung einer Sammlung an die/den Sammelnden möglich529 . Beispielsweise verursachten die Kunst- und Wunderkammern der Frühen Neuzeit durch ihr Ziel der vollständigen Wiedergabe der Welt das Gefühl des Wissens und Lernens über fremde Länder sowie die Schöpfung530 : „Was auch immer der ursprüngliche Status dieser Gegenstände gewesen sein mag, in Europa werden sie zu Semiophoren, denn man nahm sie nicht aufgrund ihres Gebrauchswerts mit, sondern ihrer Bedeutung wegen, als Repräsentanten des Unsichtbaren [...]“531 Während der Sammler die Einzelobjekte als Semiophoren erkennt und von der Ordnung seiner Objektzusammenstellung überzeugt ist532 , trägt das Publikum dazu bei, eine auf diese Art neu geschaffene Weltsicht zu festigen und zu verbreiten. Damit wird dem persönlichen Wert, welcher der Sammlung durch deren Begründer zugeschrieben wird, ein weiterer Wert zur Seite gestellt, der erst durch eine – wie auch immer geartete Öffentlichkeit – zustande kommt. 527 Pomian 1998, S. 16; Pomian beschreibt beispielsweise Grabbeigaben als für Bewohner des Jenseits ausgestellte und von diesen betrachtete Objekte, vgl. Pomian 1998, S. 22. 528 Von Sladeczek/Müller in Bezug auf Kunst wie folgt formuliert: „Die Sammlung wird zum Sammelbecken, zur Stätte, an der das künstlerische Werk verortet, dauerhaft wird. Indem wir es dort versammeln, in Bezug zueinander bringen, es erforschen und präsentieren, sorgen wir dafür, dass es im Diskurs bleibt, weiter wirkt.“, Sladeczek/Müller: Vorwort, S. 10. 529 Vgl. Muensterberger, S. 95. 530 Vgl. Muensterberger, S. 279; vgl. Grote: Vorrede, S. 11; Grote weist außerdem darauf hin, dass auch diejenigen Sammlungsordnungen Aufmerksamkeit verdienen, deren wissenschaftlicher Hintergrund aus heutiger Sicht überholt ist, Grote: Vorrede, S. 16. 531 Pomian 1998, S. 58. 532 Vgl. Ressler über den Kunstsammler: „Der Sammler muss überzeugt sein, dass dieses Stück Leinwand nicht nur ein Fetzen Stoff ist, sondern die Begründung einer neuen Sicht der Welt – nicht mehr und nicht weniger.“, Ressler, S. 33.
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Sammlungen erwirken – ebenso wie Kunstwerke – Reaktionen533. Stagl fasst daher die aus Vorgang, Ergebnis und Wirkung bestehenden Eigenschaften einer Sammlung in seiner Definition zusammen: „Eine Sammlung lässt sich demnach als ein gegliedertes Ganzes aus vormals unverbundenen Teilen definieren, welche sich nunmehr sinnvoll aufeinander beziehen, und eben dadurch jenen Ausschnitt der Welt repräsentieren, dem sie ursprünglich entnommen worden sind.“534
Eng verbunden mit der Reaktion und Öffentlichkeitswirkung, welche auf dem Zeigen von Sammlungen basieren, sind Sammlungen zur Statuserhöhung oder Machtlegitimation. Eine solche Sammlung ist von gezielter Auswahl geprägt und die Einzelobjekte werden ausgetauscht, sobald ein Objekt von höherem Wert für die Gesamtheit verfügbar wird. Dieser Wert kann ästhetischer, materieller oder innovativer Natur sein, ist jedoch keinesfalls individuell, sondern wird dem Objekt von einer Gruppe von Menschen – „der Allgemeinheit“ – zugeschrieben. Durch die Entnahme dieser Objekte aus dem Markt und die Option auf eine spätere Wiedereinführung in diesen wirkt der Sammler aktiv an der Konstruktion der Werte mit535 und es kommt zur Schaffung neuer Statussymbole durch diejenigen Personen, deren Stellung öffentlich anerkannt ist536. Beispielhaft für diese Art von Sammlungen sind die frühen Schatzkammern, deren Funktion der Machtdemonstration nicht an einen festen Objektbestand gebunden wurde, so dass dieser Veränderungen unterworfen war537. Der Wunsch vieler privater Sammler, die zusammengetragenen Sammlungen nach ihrem Tod im Verbund zu erhalten und – auch wenn sie zu dessen Lebzeiten nicht öffentlich zugänglich waren – auszustellen, steht mit diesem Vorgang in Zusammenhang538. Solche Sammler möchten zudem mittels der Veröffentlichung eine
533 „Seit jeher erregen Sammlungen Bewunderung, werden gelobt, kritisiert oder kommentiert.“, Pomian 1998, S. 9. 534 Stagl, S. 41. 535 Vgl. Appadurai: Introduction, S. 28; vgl. Asendorf, S. 37; beide betonen nur die Herausnahme aus dem Warenverkehr, ohne die Hoffnung auf einen möglichen Besitz kann jedoch kein Wert geschaffen werden; Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton definieren Status als „Befähigung zur Kontrolle von Bedeutungen innerhalb der eigenen Gemeinschaft“ (wobei „Bedeutung“ durch „Wert“ zu ersetzen ist), Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 47; vgl. Hermsen, der zudem darauf hinweist, dass diese Sammlungen Einfluss auf Preisentwicklungen haben, Sammeln allein als Geldanlage jedoch sehr selten ist, Hermsen, Thomas: Kunstförderung zwischen Passion und Kommerz. Vom bürgerlichen Mäzen zum Sponsor der Moderne, Frankfurt, New York 1997, S. 41, was allerdings in den letzten Jahren wesentlich zugenommen hat. 536 Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 47; zur Schaffung dieser Symbole vgl. auch Hermsen, S. 55. 537 Vgl. Pomian 1994, S. 108. 538 Reuleckes Analyse von Stefan Zweigs Erzählung „Unsichtbare Sammlung“ greift ebendiesen Aspekt des Zusammenspiels von „geheim“ und öffentlich – sichtbar und unsichtbar – auf, vgl. Reulecke, S. 145.
294 | S AMMLUNGEN DES A DELS Erinnerung der eigenen Person erreichen539. Dies ist mit dem in Kapitel 3.1.4 beschriebenen Ziel Adliger, durch ihr Porträt lebendig zu bleiben und die Generationen zu verbinden, vergleichbar. Benjamin stellt fest, dass der Vorgang des Sammelns als „eine Form des praktischen Erinnerns“540 zu bezeichnen ist. Durch die Verknüpfung von Ordnungssystemen mit dem Ziel der Bewahrung sind auch Sammlungen untrennbar mit Erinnerungsfunktionen verbunden541. Diese sind als Wissensspeicher an der Herausbildung und Bewahrung von Einzel- und Gruppengedächtnissen und damit der Identitätsbildung beteiligt542 . Sie verbinden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft543. In Sammlungen, die auf den Zweck der Erinnerung ausgerichtet sind, fungiert jedes Objekt als Andenken, so dass ihm – unabhängig von anderen Werten – der Wert der Einzigartigkeit zugeschrieben wird und es somit unaustauschbar ist544 . Im Gegensatz zum Verlangen nach qualitativer Verbesserung durch Austausch von Objekten sind Sammlungen mit vorrangiger Erinnerungsfunktion daher von dem Wunsch nach uneingeschränkter Ausdehnung geprägt545 . Jeder Bestandteil verweist als Informationsträger sowohl auf sich selbst als auch auf den Zusammenhang der Sammlung: „Nicht allein verweist das Objekt auf den Kontext, es soll ihn auch illustrieren, es soll ihn ‚belegen‘, und es ‚symbolisiert‘ ihn. In diesen Funktionen setzt das Objekt [...] im Betrachter zunächst Assoziationen und Assoziationsketten in Gang [...]. Diese Assoziationen sollen summativ wirken [...]“546
Der von Assmann/Gomille/Rippl547 als „exzentrische Selbstinszenierung“ bezeichnete Hintergrund des Sammelns/der Sammlungen kombiniert die angestrebte Außenwirkung der Sammlungen zur Statuserhöhung mit dem individuellen und auf persönlichen Erfahrungen beruhenden Motiv der Sammlungen mit Erinnerungsfunktion. Diese Sammlungen können sowohl auf qualitative als auch quantitative Ausdehnung ausgerichtet sein. In jedem Fall verweisen die Einzelobjekte hauptsächlich auf den Sammler. 539 Für Asendorf sind Sammlungen ein Versuch, der eigenen Vergänglichkeit zu entgehen, Asendorf, S. 40; vgl. Stagl, S. 50. 540 Benjamin 1991, S. 271. 541 Vgl. Assmann, S. 116. 542 „Das Sammeln ist ein Urphänomen des Studiums: der Student sammelt Wissen.“, Benjamin 1991, S. 278; Stagl in diesem Zusammenhang: „Sammlungen sind materialisierte Gedächtnisse, das Gedächtnis ist eine entmaterialisierte Sammlung.“, Stagl, S. 41; vgl. Assmann über das Archiv, Assmann, S. 344. 543 Vgl. Stagl, S. 40; vgl. Ecker, Gisela/Stange, Martina/Vedder, Ulrike: Einleitung, in: Ecker/Stange/Vedder, S.10, diese weisen zudem darauf hin, dass im Umkehrschluss nicht gesammelte Dinge sowie aus Sammlungen ausgesonderte Dinge dem Vergessen übergeben werden. 544 Vgl. Hoefer, S. 191; vgl. Hinske/Müller zur persönlichen Prägung der Sammlungsobjekte durch den Sammler und deren Funktion als Erinnerungsobjekte, Hinske/Müller, S. 46. 545 Vgl. Hoefer, S. 191. 546 Grote: Vorrede, S. 14. 547 Assmann/Gomille/Rippl: Einleitung, S. 12.
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Die kurze Beschreibung dieser drei Sammlungskategorien macht deutlich, dass die Behandlung der Sammlung abhängig von deren Funktion ist. Sie kann von Verstecken bis Vorzeigen, von Horten bis Abgeben reichen548 . Ebenso wie das Vorzeigen gehört das Horten zu den aus heutiger Sicht unverzichtbaren Behandlungsweisen von Sammlungen. Auch diese Verbindung ist jedoch nicht zwingende Voraussetzung. Eine von Ecker/Stange/Vedder vorgestellte Fotoserie mit Büroklammern zeigt, „dass sich Sammeln und Wegwerfen nicht so kategorisch, wie man gerne anzunehmen bereit ist, voneinander trennen lassen; auch dient das Ausstellen nicht uneingeschränkt dem Weiterleben der Objekte. Vielmehr sind Sammeln, Ausstellen und Wegwerfen in ihren Wechselwirkungen und Zirkulationsbewegungen aufeinander bezogen.“549
Indem das Gegensatzpaar Wegwerfen und Sammeln mit Verwerfen und Wertschätzen in Zusammenhang gebracht wird550, offenbart sich die Dynamik von Sammlungen, da Wertzuschreibungen an deren Bestandteile Voraussetzung für Ding-MenschBindungen sind. Wie Findlen feststellt, verschleiert die heutige Behandlung institutioneller Sammlungen die Bandbreite der Nutzungsmöglichkeiten: „Bei den Sammlungsgeschichtlern gibt es die verbreitete Tendenz, die in einem Museum vorhandenen Artefakte als Dinge zu beschreiben, welche betrachtet werden; dies ist zweifellos ein Widerschein unserer heutigen Auffassung vom Sammeln als einer Technologie der Distanz. Tatsächlich wurden die meisten Objekte im Kuriositätenkabinett zusammengetragen, um benutzt zu werden.“551
Pomian weist darauf hin, dass entgegen dem heutigen Wunsch des statischen Zeigens beispielsweise Kleinodien an Fürstenhöfen meist in Truhen gelagert, jedoch zu bestimmten Anlässen herausgenommen wurden552. Olmi macht am Beispiel der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert deutlich, dass der Wunsch nach privatem Nutzen und öffentlicher Zurschaustellung parallel existieren konnte und von Moden abhängig
548 549 550 551
Vgl. Pomian 1994, S. 111. Ecker/Stange/Vedder: Einleitung, S. 9-10. Vgl. Ecker, Gisela: Verwerfungen, in: Ecker/Stange/Vedder, S. 171. Findlen, Paula: Die Zeit vor dem Laboratorium: Die Museen und der Bereich der Wissenschaft 1550-1750, in: Grote, S. 195; diese Meinung des grundsätzlichen Widerspruchs von Sammeln und Gebrauchen vertritt Asendorf, der ebenso den Warencharakter eines Objektes mit dem Eingang in eine Sammlung für völlig aufgelöst ansieht, Asendorf, S. 37 und S. 40; ebenso Benjamin, der in der Auflösung vorheriger Funktionen eines Objekts durch die Aufnahme in eine Sammlung einen „Gegensatz zum Nutzen“ sieht, Benjamin 1991, S. 271; auch Stagl verknüpft Sammlungen strikt mit Objekten, welche gezeigt werden, da für ihn die Sammlungsordnung mit einer Darbietung einhergeht, Stagl, S. 43. 552 Pomian 1998, S. 35; dies gilt für Pomian als Ausstellen der Objekte, jedoch muss dies ebenso als Nutzung verstanden werden; vgl. auch Alsop, S. 54.
296 | S AMMLUNGEN DES A DELS war553 . Er weist zudem darauf hin, dass vor allem bei Sammlungen mit Ausrichtung auf quantitative Ausdehnung die Grenzen zwischen Sammlungs- und Ausstattungsstücken durch den immer stärker beanspruchten Raum fließend sind554, so dass Betrachten und Zeigen mit weiteren Behandlungsformen einhergehen. Richtet man den Blick von der alleinigen Betrachtung der institutionellen Sammlungen hin zu Sammlungen in ihrer gesamten Bandbreite, wird deutlich, dass auch heute Gebrauch sowie Entsorgung zu den gängigen Behandlungsmöglichkeiten von Sammlungen gehören555. Auch das Entsammeln gehört damit zu den Bestandteilen eines dynamischen Sammlungsbegriffes. Die Unterscheidung zwischen dem Gesammelt-Werden zum Ge- und Verbrauch556 sowie dem Gesammelt-Werden zur ausschließlichen Betrachtung und Bewahrung führt zu grundlegenden Unterschieden der Biographien der gesammelten Dinge. In jedem Fall kommt es jedoch zu einer Nutzung der Sammlung, denn nur diese führt zu Wertzuschreibungen an deren einzelne Bestandteile. Nicht die Wertzuschreibung an ein einzelnes Objekt oder dessen Funktion sind daher Voraussetzung seiner Zugehörigkeit zu einer Sammlung, sondern die Funktion der Sammlung führt zur Auswahl des Objekts und zur Zuschreibung eines Wertes an dieses. Wie im Zusammenhang mit der Bedeutung der Dinge verstellt auch bezüglich einer Betrachtung von Sammlungen die Trennung von Dingen in Kunst und NichtKunst häufig den Blick auf diese Nutzung. Wenn auch die Bedeutung der Kunst dieser bereits durch den Schaffensprozess innewohnt, haben Kunstobjekte dennoch einen in ästhetischen und intellektuellen Eigenschaften begründeten Nutzwert. Bei der Aufnahme eines zum alltäglichen Gebrauch geschaffenen Objektes in eine Sammlung kann dieses ebenfalls rein ästhetisch und intellektuell genutzt werden, ohne durch diesen Vorgang jedoch zum Kunstobjekt zu werden557. Ebenso ist es möglich, ein Kunstobjekt in eine Sammlung aufzunehmen, deren Bestandteile regelmäßig in
553 Olmi, S. 179; vgl. auch Alsop, der diese Entwicklung bei den Habsburgern zur Zeit der Renaissance, bei den Sächsischen Kurfürsten jedoch erst für das frühe 18. Jahrhundert beschreibt, Alsop, S. 54. 554 Olmi, S. 179; vgl. auch Sheehan, S. 43f. 555 Ecker/Stange/Vedder weisen darauf hin, dass sowohl Sammeln als auch Wegwerfen bestimmende Verhaltensweisen der Moderne sind: „Diese setzt – im Zeichen der Verzeitlichung – auf das Neue, auf Entwicklung und Fortschritt, produziert dabei Verheerungen und Müllberge und betreibt zugleich das bewahrende Sammeln des Alten in historisch ausgerichteten Museen.“, Ecker/Stange/Vedder: Einleitung, S. 11; vgl. auch Hollein, der von einer Rettung aus der „unbedeutenden Existenz innerhalb des Überflusses“ spricht, Hollein, S. 175; vgl. auch Rippl, Gabriele: Vom Abfall zur Kunst: Antonia S. Byatts Arbeit am kulturellen Gedächtnis, in: Ecker/Stange/Vedder, S. 249. 556 „Man kann im übrigen die Jagd (einschließlich der Fischerei) als Sonderform des Sammelns ansehen, eine Sonderform, die zusätzlich Aufmerksamkeit, Energie und Risikobereitschaft erfordert.“, Stagl, S. 37-38. 557 Von Holst macht am Beispiel von Objekten des kirchlichen Gebrauchs – welche mit Beginn der frühen Neuzeit häufig in Sammlungen überführt wurden – deutlich, dass mit diesem Vorgang ein Nutzungswandel vollzogen wurde, welcher allerdings jederzeit rückgängig gemacht werden kann, von Holst, S. 8.
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einer für Kunst unüblichen Art und Weise genutzt werden558. Es soll daher an dieser Stelle erneut darauf hingewiesen werden, dass in der vorliegenden Arbeit auf eine Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst verzichtet wird, da diese für die Betrachtung von Sammlungen unerheblich ist559 . Relevant in Hinblick auf die Biographie der Dinge ist dagegen, dass die Aufnahme in eine Sammlung diese um Bindungen zu Menschen und Dingen bereichert. Wesentliches Element des Sammelns ist diesbezüglich die Auswahl von Objekten zur Aufnahme in die Sammlung, welche dazu führt, dass zumindest für diesen Moment eine Ding-Mensch-Bindung zwischen Sammelndem und Gesammeltem entsteht560 . Dieser Vorgang ist prägend für die Biographie des jeweiligen Dings, da auf diese Ding-Mensch-Bindung beim Sammeln immer auch Ding-Ding-Bindungen folgen561 sowie weitere Bindungen zu Menschen durch mögliche Rezipienten entstehen können. Aus der Perspektive des Objekts bedeutet der Einbezug in eine Sammlung daher eine Statusveränderung und einen Übergang aus dem vorherigen – wie auch immer gearteten – Kontext in denjenigen der Sammlung, wobei bisherige biographische Aspekte in diese eingebracht werden562 . Wie im Zusammenhang mit der Bedeutung der Dinge deutlich wurde, sind Bindungen – sowohl zwischen Menschen als auch zwischen Menschen und Dingen oder Dingen untereinander – dynamisch, so dass Sammlungen grundsätzlich einer Entwicklung unterworfen sind. Löst sich die Bindung des/der Menschen, welche zum Bestehen der Sammlung geführt hat, zu den Dingen, kann diese auf einen oder mehrere andere Menschen übergehen. Ist dies nicht der Fall, werden zwangsläufig auch die Bindungen der Dinge untereinander nicht auf Dauer aufrechtzuerhalten sein. Dem entgegengesetzt kann es ebenso zur Lockerung von Ding-Ding-Bindungen (beispielsweise durch Veränderung eines Objektes) kommen, welche schließlich zur Lösung der Ding-Mensch-Bindung und der Herausnahme eines Objekts aus der Sammlung führt. So lange Objekte – allein oder in ihrer Zusammenstellung – als Repräsentanten des Unsichtbaren verstanden werden, bleibt diese Bindung bestehen. Der kurze Überblick über die Bandbreite des Sammelns und der Sammlungen hat deutlich gemacht, dass verschiedenartige Bedürfnisse von Einzelpersonen oder 558 Beispielsweise ist es möglich, eine kleinformatige Plastik als Briefbeschwerer zu nutzen und diesen im Zuge dieser Nutzung in eine Sammlung von Briefbeschwerern aufzunehmen. 559 Alsop macht in seiner Definition des Kunstsammelns ebenfalls deutlich, dass es sich diesbezüglich um eine Konkretisierung, im Gegensatz zu einer grundlegenden Unterscheidung, handelt: „To collect is to gather objects belonging to a particular category the collector happens to fancy; and art collecting is a form of collecting in which the category is, broadly speaking, works of art.“, Alsop, S. 76. 560 Muensterberger spricht von einer „magischen Verbindung“ der Objekte mit dem Sammler, Muensterberger, S. 210. 561 Vgl. Benjamin 1991, S. 271; vgl. Hermsen, S. 95. 562 Der Eintritt in eine Sammlung ist vergleichbar mit dem von Marshall/Gosden beschriebenen biographischen Einschnitt: „In some circumstances [...] a sharp break may occur in a biography, a radical resetting of meaning [...]. But these renewals are never fully complete. They bring with them fragments of old lives, threads of earlier meanings.“, Marshall/Gosden, S. 176-177.
298 | S AMMLUNGEN DES A DELS Gruppen zur Entstehung von Bindungen zu Dingen führen können. Die Dinge werden in einen Zusammenhang mit weiteren Objekten gesetzt und gehen ebenso mit diesen Verbindungen ein. Als Zusammenschluss von Einzeldingen können Sammlungen verschiedene Funktionen für den Sammler erfüllen und erzielen Reaktionen bei weiteren Rezipienten. Veränderte Bedürfnisse des Sammlers/der Sammler, bewusste Veränderungen zur Verbesserung der Funktionserfüllung sowie der Einfluss der Rezipienten führen dazu, dass Sammlungen dynamische Gebilde sind. Die aus der Idee des kulturellen Erbes resultierenden Forderungen nach Erhaltung, Erreichbarkeit, räumlicher Nähe sowie Erhaltung des Kontextes werden dagegen von Statik geprägt und führen zu einer in den Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes sehr engen Auslegung des Sammlungsbegriffes563 . Objektbestände des Adels werden in diesem Zusammenhang aufgrund ihrer Quantität und Heterogenität nicht als Sammlungen betrachtet. Im Folgenden sollen öffentliche (institutionelle) und Privatsammlungen sowie Adelssammlungen, deren Eigenschaften, Gemeinsamkeiten und Unterschiede betrachtet werden, um ein besseres Verständnis dieser Objektbestände zu erreichen. Dabei werden die für Sammlungen wesentlichen Aspekte des Anhäufens, Zeigens, Bewahrens, Entsammelns und des Aufbaus von Bindungen untersucht werden.
3.3
Ö FFENTLICHE ( INSTITUTIONELLE ) G RUNDZÜGE
VON
UND PRIVATE
G EMEINSAMKEITEN
UND
S AMMLUNGEN –
U NTERSCHIEDEN
„Ein Kunstmuseum ist mehr als eine Sammlung und weniger als ein Haus. Es ist mehr als eine Sammlung, weil es öffentlich zugänglich ist und Unterhalt aus der öffentlichen Hand erhält, daher aber auch legitimationsbedürftig und abhängig ist. Anders als die private, wird eine museale Sammlung zudem mehrhändig, meist sogar generationsübergreifend geprägt, wobei fachliche Kompetenz mehr zählt als eine persönliche Handschrift.“564 W. GRASSKAMP
Der Sammlungsbegriff ist heute stark mit den Merkmalen institutioneller Sammlungen verbunden. Diese werden durch Forderungen geprägt, welche sich aus der Idee des kulturellen Erbes ergeben: Bewahren, Zeigen, Bündeln. Ergänzt werden diese Ziele musealen Sammelns durch einen Bildungsauftrag, welcher Forschungsarbeiten
563 Vgl. die im europäischen Recht verwendete Begriffsdefinition, die einen Seltenheitswert sowie einen hohen Marktwert voraussetzt, vgl. Anhang I, Fußnote (2), VO 116/2009 und Anhang, Endnote (2), VO 3911/92. 564 Grasskamp, Walter: Nachruf auf ein Museum oder: Rudolf Schwarz, als Alter Meister betrachtet, in: Mai, Ekkehard (Hrsg.): Die Zukunft der Alten Meister. Perspektiven und Konzepte für das Kunstmuseum von heute, Köln, Weimar, Wien 2001, S. 124.
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voraussetzt565. Wie in Kapitel 3.2 deutlich wurde, ist dies eine stark eingeschränkte Sichtweise auf das Phänomen des Sammelns, die sich zudem auf ein vergleichsweise junges Kapitel der Sammlungsgeschichte konzentriert. Gemeinsamkeiten und Unterschiede institutioneller sowie privater Sammlungen sollen helfen, im Folgenden den Charakter von Adelssammlungen erfassen zu können. Diese sollen in Hinblick auf die für dynamische Sammlungen charakteristischen Elemente Anhäufen, Zeigen, Bewahren, Entsammeln sowie die Entstehung von Bindungen untersucht werden. 3.3.1 Öffentliche (institutionelle) Sammlungen Eng verbunden mit einem gesteigerten Interesse an Wissen und Forschung entwickelten sich seit der Frühen Neuzeit systematisch geordnete Sammlungen566. Unterschiedlichste Dinge wurden zunächst aus Interesse an ihrer Funktion als Repräsentanten der gesamten Dingwelt zusammengetragen und bildeten als solche eine Einheit567 . Darüber hinaus entdeckte man, unabhängig von dessen Beispielhaftigkeit als Teil eines Ganzen, dem Einzelobjekt innewohnende Werte568. Maßnahmen zur Erhaltung waren notwendig, um die äußerliche Form der zahlreichen Objekte aus der Natur bewahren zu können. Der Schutz vor Schädlingen und der optische Eindruck überwogen damals noch vor dem Wunsch nach dauerhafter Konservierung. Im Zusammenhang mit der Idee des kulturellen Erbes wurden (wie in Kapitel 2 beschrieben) Ende des 18. Jahrhunderts die möglichst unendliche Bewahrung sowie die öffentliche Zugänglichkeit zu vorrangigen Zielen der Sammlungen569. Bereits im 17. und 18. Jahrhundert – sowie in einigen Fällen bereits im 16. Jahrhundert – konnten diese nach Erlaubnis des Sammlers und vorheriger Anmeldung besichtigt wer-
565 Vgl. von Rohr 1977, S. 65. 566 Vgl. Assmann/Gomille/Rippl: Einleitung, S. 8; in der Entwicklung vom 16.-18. Jahrhundert ist ein wachsendes Interesse an Wissenschaftlichkeit von Sammlungen zu beobachten, vgl. Pomian 1994, S. 115. 567 „Ihnen [den Kunst- und Wunderkammern] lag die Vorstellung eines selbständigen Mikrokosmos zugrunde, welcher die Mannigfaltigkeit der Welt, den Makrokosmos und dessen (göttliche) Ordnung, repräsentieren sollte.“, Valter, Claudia: Kunst- und Naturalienkabinette in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 21; diese Sammlungen vermittelten den Eindruck von Staunen und Exotik, waren Möglichkeiten der Aneignung fremder Welten und des Wissens über diese, vgl. Hauser, Andrea: Staunen – Lernen – Erleben. Bedeutungsebenen gesammelter Objekte und ihrer musealen Präsentation im Wandel, in: Ecker/Stange/Vedder, S. 32; vgl. auch die umfassende Literatur zu den Kunst- und Wunderkammern, beispielsweise Grote. 568 „Es ist aufschlussreich zu beobachten, dass dasjenige, was für die Humanisten ursprünglich etwas war, was ihnen die Augen über das Leben, die Natur und bislang unbekannte Kulturen und Sitten öffnete, sich sehr bald zu einem unbestreitbaren Fasziniertsein vom Objekt selbst entwickelte, und dass Gemälde, Skulpturen und andere Kunstwerke binnen kurzem als inspirierend und als ihrem Wesen nach reiche Quelle der Anregung entdeckt wurden.“, Muensterberger, S. 293. 569 Grasskamp bezeichnet dies als „kulturpolitisch wichtigste Entwicklung in der Geschichte des Kunstmuseums“, Grasskamp 1981, S. 14.
300 | S AMMLUNGEN DES A DELS den, wurden also einem ausgewählten Publikum präsentiert570. Des Weiteren erschienen Kataloge, welche jedoch neben der Vermittlung ihres Informationsgehaltes auch den Ruhm des Eigentümers vermehren sollten571. Ein gesteigertes Interesse an Bildung sowie der Wunsch nach Teilhabe an den als Semiophoren auch für gesellschaftliche Kommunikation bedeutenden Objekten572 forderte schließlich die völlige Öffnung dieser Bestände. In radikaler Form wurden daher die Ende des 18. Jahrhunderts enteigneten und kostenlos gezeigten Besitztümer französischer Adliger zum Zeichen überwundener Herrschaften 573 . Die Bestrebung Napoleon Bonapartes, als Kaiser von Frankreich ein Nationalmuseum einzurichten574, war ein weiterer Schritt zur Durchführung der neuen Zielsetzung von Sammlungen. Die Bündelung (durch Anhäufen) von Kunst- und Kulturgütern wurde mit öffentlicher Zugänglichkeit (dem Zeigen) sowie Maßnahmen des Belehrens und Bewahrens verknüpft, womit die Grundlage des Konzepts heutiger Mu-
570 In Braunschweig sind beispielsweise für 1754 erstmals auswärtige Besucher in einem Besucherbuch registriert, vgl. Luckhardt, Jochen: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit. Zum Kolloquium und seinem Veranstaltungsort, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 9; des Weiteren kann für Sammlungen mit religiösem Hintergrund in Verbindung mit zugehörigen Zeremonien bereits vor dieser Zeit von einer – allerdings eingeschränkten – Zugänglichkeit gesprochen werden, vgl. Grasskamp 1981, S. 17; Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel öffnete bereits Ende des 16. Jahrhunderts Räume zur Besichtigung, vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 10. 571 Vgl. Grasskamp 1981, S. 18. 572 Vgl. Pomian 1998, S. 66 und S. 69. 573 Vgl. Grasskamp 1981, S. 21 und S. 28; der Louvre wurde 1793 eröffnet (das Kapitolinische Museum in Rom war 1733 gegründet und 1735 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden), vgl. Paul, Carole: The Capitoline Hill and the Birth of the Modern Museum, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 66; weitere frühe Museumsöffnungen: 1753 eröffnete Georg (II.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg König von Großbritannien und Irland das British Museum, welches auf die Bestände der privaten Sammlung Sloane zurückgeht, vgl. Calov, S. 5; als ersten selbständigen Museumsbau Europas erwähnt Grasskamp das Museum Fridericanum, das 1779 fertiggestellt war, Grasskamp 1981, S. 36. 574 Bereits die Entstehung des Musée Napoléon, welches sich aus beschlagnahmten Kunstwerken der besetzten Gebiete zusammensetzte, legte die Grundlage der heutigen Rechtsvorschriften zum Kulturgüterschutz, welche kunsthistorisch wertvolle Objekte – unabhängig von deren Herkunft – als national bedeutende Kulturgüter schützen. Die infolge der Gründung des Musée Napoléon Ende des 19. Jahrhunderts in anderen Staaten entstehenden Nationalmuseen sind daher nicht als Bewahrer landeseigenen Kulturgutes, sondern des damals allgemein als kulturell wertvoll erachteten Kulturgutes zu verstehen, vgl. Anderson, Jaynie: National Museums, the Art Market and Old Master Paintings, in: Ganz, Peter/Gosebruch, Martin/Meier, Nikolaus/Warnke, Martin (Hrsg.): Kunst und Kunsttheorie 1400-1900, Wiesbaden 1991, S. 375; zu den Museumsgründungen dieser Zeit vgl. Calov, S. 7.
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seen geschaffen war575. Die geographische Bindung von Objekten sowie die Verknüpfung ausgewählter Sammlungsbestände mit der Idee von Heimat und Nation wurden diesbezüglich sowohl direkt als auch (ungewollt) indirekt gefördert und prägend für die Sammlungsentwicklung des 19. Jahrhunderts: Einerseits kam dem Ziel Napoleon Bonapartes, ein Museum für die Nation entstehen zu lassen, eine Vorbildfunktion zu. Andererseits entwickelte sich gerade durch die Beschlagnahme von Sammlungsgut durch die napoleonischen Truppen und deren zwangsweise Entfernung in den besetzten Gebieten der Wunsch, dieses für die eigene Region zurückzuerhalten576 . Kunstvereine griffen dieses Interesse an regionalem Kulturgut auf, und trugen ebenfalls zur Gründung öffentlicher Sammlungen bei577. Mit einer Vielzahl von Museumsbauten und deren bewusster Verbindung von Raum und Inhalt entstanden nun öffentliche Einrichtungen, welche durch den Gesamteindruck von Objekt und Arrangement lehrhafte Wirkung haben sollten578. Der historische Wert von Objekten rückte stärker in den Fokus des Interesses und die Bewahrung von Objekten wurde immer stärker mit einem (auch politischen) Bildungsauftrag verknüpft579 . Pomian bringt die Entwicklung wie folgt auf den Punkt: „Wie auch immer ihre offiziellen Bezeichnungen sind und wer auch der rechtliche Besitzer sei, im neunzehnten Jahrhundert werden die großen Museen nationale Institutionen.“580 Die Bündelung der Sammlungsbestandteile erfolgte mit diesem in mehreren Stufen vollzogenen Übergang der Sammlungen in die öffentliche Verwaltung nach einem neuen System: nicht mehr die Konzentration von Wissen jeglicher Art581 und die Schaffung eines materiellen Gedächtnisses mit größtmöglichem Umfang und Variantenreichtum waren das Ziel, sondern die Veranschaulichung voneinander getrennter Forschungsbereiche. Die Abspaltung der noch immer als reine Wissensspeicher fungierenden Archive und Bibliotheken von den Objektsammlungen sowie die Anglie575 Vgl. Anderson, S. 375; vgl. Calov, S. 142; das Zeigen für die Öffentlichkeit ist Hintergrund jeder musealen Präsentation, Pomian 1990, S. 50. 576 Für Braunschweig war im Auftrag Friedrich Wilhelms Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Herzog zu Oels zunächst Johann Georg Konrad Räber Landdrost von Rodenberg für die Forderung nach Rückgabe von Objekten in Frankreich zuständig. Nach dem Tod des Herzogs übernahmen dies die Museumsangestellten Weitsch, Emperius und Ribbentropp, vgl. Fink, August: Geschichte des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braunschweig, Braunschweig 1967, S. 100ff; diese Entwicklung unterstreicht den Übergang der persönlich durch die Fürsten geführten Sammlungen zu Institutionen, welchen allein Fachpersonal vorsteht. 577 Vgl. Calov, S. 155ff; vgl. Grasskamp 1981, S. 38. 578 Vgl. Ketelsen, Thomas: Künstlerviten, Inventare, Kataloge. Drei Studien zur Geschichte der kunsthistorischen Praxis, Ammersbek bei Hamburg 1990, S. 205. 579 Vgl. Busch, Günter: Die Museifizierung der Kunst und die Folgen für die Kunstgeschichte, in: Ganz/Gosebruch/Meier/Warnke, S. 220f. 580 Pomian 1994, S. 119; Objekte wurden als Verbildlichung der Geschichte erkannt und eingesetzt, so dass neben Nationalmuseen ebenfalls Denkmäler sowie auf regionaler Ebene Heimatmuseen entstanden. Diesen Einrichtungen war gemeinsam, dass sie ein idealisiertes Vergangenheitsbild zeigten, vgl. Hauser, S. 37f; vgl. Grasskamp 1981, S. 76. 581 Zu welchem es laut Ketelsen noch im 18. Jahrhundert keine Alternative gegeben hatte, Ketelsen, S. 196.
302 | S AMMLUNGEN DES A DELS derung der Forschungssammlungen mit naturwissenschaftlichem Inhalt an die Universitäten582 waren logische Konsequenzen. Ebenso ist die systematische Inventarisierung der Sammlungsinhalte nach wissenschaftlichen und strukturierenden Gesichtspunkten mit dieser Entwicklung verbunden583. In den deutschen Ländern wurde der schrittweise Übergang stark an Personen gebundener – meist fürstlicher – Sammlungen zu institutionellen Sammlungen je nach Interesse der Regenten von diesen gefördert. Die Geschichte des heutigen Herzog Anton Ulrich-Museums584 in Braunschweig verdeutlicht den Wandel von der Privatsammlung zum Museum585, indem bereits im Kunst- und Naturalienkabinett – welches einen Teil der heutigen Bestände enthielt – Ende des 18. Jahrhunderts mit einer Besucherordnung, Eintrittskarten und der Beantwortung auswärtiger wissenschaftlicher Anfragen wesentliche Elemente heutiger Museumsarbeit vereint wurden586. Auch wurde die Rolle der Sammlungsbetreuer ab dem 19. Jahrhundert für die 582 In Braunschweig wurde dies Ende des 19. Jahrhunderts durch den Umzug der naturhistorischen Sammlung ins Collegium Carolinum vollzogen, vgl. Fink 1967, S. 115; bereits 1857 waren Kunst- und naturhistorische Sammlung voneinander getrennt worden, vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 9; in Berlin wurden bereits 1810 entsprechende Objekte aus dem Schloss in die Universität gebracht, vgl. Bredekamp, Horst/Brüning, Jochen: Vom Berliner Schloss zur Humboldt-Universität – und zurück?, in: Dokumentation Ausstellung Berlin: Theatrum naturae et artis. Theater der Natur und Kunst. Wunderkammern des Wissens. Dokumentation der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau Berlin, 10. Dezember 2000 - 4. März 2001, Berlin 2001, S. 139. 583 Vgl. Ketelsen, S. 105; die bereits für frühere Sammlungen angefertigten Inventare waren Voraussetzung für eine weitere Strukturierung: „Die Wahrheit des Inventars setzt das feste Gefüge der Kunstkammer und die Unverrückbarkeit der in ihr aufgestellten Gegenstände voraus. Zugleich ermöglicht erst das Inventar die Auflösung der einzelnen Sammlungen. Denn mit seiner Hilfe konnte der zum Vorschein kommende Gegenstandsbereich vollständig überschaut und die verzeichneten Kunstgegenstände erneut verteilt werden.“, Ketelsen, S. 131. 584 Diesen Namen erhielt das Museum erst nach 1918, gleichzeitig wurde die naturhistorische Sammlung zum „Staatlichen Naturhistorischen Museum“, vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 9. 585 „Die Geschichte des Herzog Anton Ulrich-Museums und seiner Sammlungen bietet nicht nur Einblicke in die regionale Kulturgeschichte, sondern kann auch Aufschluss über die nationale, sogar europäische Entwicklung der Institution Museum geben.“, Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 9. 586 „Obwohl mit dem Katalog [...] ein wichtiger Baustein fehlte, wurde im Lauf der Jahre die Betreuung des Kabinetts wie auch der Besucher mehr und mehr professionalisiert, und so bildete sich eine auf die Belange des Museumsbetriebs eingestellte Organisation und Verwaltung heraus. Für einen interessierten auswärtigen Wissenschaftler wurde nun auf Anfrage sogar die Zeichnung eines Ausstellungsstückes angefertigt und ihm zugesandt. Für den Besucher vor Ort waren deutliche äußere Zeichen dieser Fortentwicklung wohl die Verkündigung einer Besucherordnung und die Ausgabe von Eintrittskarten, mit der spätestens ab den 1770er Jahren begonnen wurde.“, Matuschek, Oliver: „Hunde mitzubringen wird verbeten“. Besucher und Besucherbetreuung im Kunst- und Naturalienkabinett, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 93; vgl. auch Müsch, Irmgard:
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Bestände bedeutender als diejenige des Fürsten587 . Die Vorstellung von einem Allgemeinheitsanspruch an Kulturgütern hatte sich so weit durchgesetzt, dass man den nach französischer Beschlagnahmung zurückerhaltenen Objekten großen Wert für das gesamte Volk beimaß: „Die Stadt begrüßt die heimkehrenden Kunstschätze als Trophäen eines opferschweren Sieges. Mit ihnen kommt die neue Aufgabe, das mühsam Zurückgewonnene zum lebendigen Besitz des Volkes zu machen.“588 Während man jedoch die volle Verantwortung noch nicht übernehmen wollte und das herzogliche Museum, welches die französischen Besatzer der Stadt Braunschweig geschenkt hatten, an die herzogliche Regierung zurückgab589, blieb die grundsätzliche Forderung nach dem Allgemeinbesitz der Kunst bestehen. 1832 wurde daher als Abwehr möglicher Ansprüche des (allerdings enorm unbeliebten und mittlerweile aus Braunschweig geflohenen) Karl (II.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Herzog von Braunschweig Herzog zu Oels in der neuen Verfassung festgelegt, „dass die Bestände des Herzoglichen Museums zu Braunschweig und die der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel unveräußerlich seien und der Beförderung der Wissenschaft und Kunst gewidmet blieben.“590 Damit wurde durch die geschlossene Bewahrung der Bestände (auch über das Leben eines Einzelnen hinaus) ein wesentliches Merkmal institutioneller Sammlungen politisch festgeschrieben591 . Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Zuständigkeit der Verwaltungsorgane durch politische Veränderungen weiter untermauert, wodurch „das Staatsministerium [...]
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„Nicht nur der Neugier allein, sondern auch der Natur Lehre nützlich“. Die Naturaliensammlung im Braunschweiger Kabinett, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 67. In den Beschreibungen Finks sind ab diesem Zeitpunkt folgerichtig die Kapitel nicht mehr mit den Namen der Fürsten überschrieben, vgl. Fink 1967, S. 113ff; „Im 18. Jahrhundert war im Grunde der Herzog der Leiter der Kunstsammlungen gewesen. In Salzdahlum war er persönlich als Sammler bei der Auswahl und Anordnung der Kunstwerke so eindeutig entscheidend gewesen, dass als Verwalter für die Kleinarbeit in der Regel ein Mann mit technischen Fähigkeiten als Verwalter ausreichte. In Braunschweig konnte ein Kanonikus oder ein Dozent des Carolinums im Nebenamt die Direktion des Kabinetts bewältigen. Im Lauf des 19. Jahrhunderts aber war in den bedeutendsten Kunstsammlungen vielfach die Leitung einschließlich der Bestimmung des Sammelplans an einen Repräsentanten des regierenden Fürsten übergegangen, meist eine Persönlichkeit, die Kunstsinn mit Erfahrung im Verwaltungsdienst verband.“, Fink 1967, S. 117; ebenso wie in Braunschweig wurde im Verlauf des 19. Jahrhunderts auch in anderen Sammlungen das Museumspersonal stärker nach fachlicher Kompetenz ausgewählt: die in früheren Zeiten häufig durch die Fürsten mit Sammlungsaufgaben betrauten Hofkünstler hatten noch stark ihren eigenen Geschmack (neben dem des Fürsten) in ihre Tätigkeit eingebracht, nun stand eine neutralere Objektauswahl im Vordergrund, vgl. Grasskamp 1981, S. 67f. Fink 1967, S. 106. Vgl. Fink 1967, S. 107. Fink 1967, S. 116; § 222, Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12. Oktober 1832, online abrufbar: http://www.verfassungen.de/de/nds/braunsch weig/braunschweig32-index.htm, folgend: NLO. Vgl. Pomian 1990, S. 50.
304 | S AMMLUNGEN DES A DELS mit Nachdruck eine großzügige Erschließung der Sammlungen für die Öffentlichkeit“592 fordern konnte. Ein Museumsleiter sollte diese Aufgabe erfüllen. Es wird deutlich, dass der neu verstandene Umgang mit Kulturgut nicht nur Forderungen, sondern ebenso die Übernahme von Verantwortung beinhaltete. So übernahm die braunschweigische Landesregierung die Kosten zur Betreuung der Kunstsammlungen von 1884 bis 1913, während das Haus Hannover seine Thronansprüche nicht durchsetzen konnte und das Herzogtum Braunschweig nicht-welfisch regiert wurde593 . Man hatte zu diesem Zeitpunkt in zahlreichen deutschen Städten den Wert der Sammlungen sowohl aus historischer Sicht als auch für die Zukunft erkannt und sah in der Übernahme von Verpflichtungen auch die Möglichkeit, die Sammlungen kulturpolitisch nutzen zu können. Beispielsweise erfüllten die im 19. Jahrhundert entstandenen Museumsneubauten neben verbesserten Bedingungen der Bewahrung auch das Ziel, die Sammlungen weithin publik zu machen. Nun nicht mehr zum Ruhm des einzelnen Sammlers, sondern aus kulturpolitischen Gründen einzelner Regionen. Für das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig nennt Fink den Nutzen des Neubaus für die Sammlung und dessen Außenwirkung in einem Atemzug: „Der fertige Bau erfüllt im großen ganzen [sic] die auf ihn gesetzten Hoffnungen. Zum ersten Male seit dem 18. Jahrhundert kamen die Schätze des Museums in fast durchweg gut beleuchteten und zu jeder Jahreszeit zugänglichen Räumen zur vollen Wirkung und wurden in der Reihe der bedeutenderen Kunstsammlungen Deutschlands wieder zu einer Sehenswürdigkeit.“594
Mit der Entmachtung der Regenten 1918 vollzogen schließlich die Museen einen weiteren Schritt zur völligen Übernahme des in den Sammlungen zusammengetragenen kulturellen Erbes durch die öffentliche Hand und deren Fachpersonal595. Die je nach politischer Situation und persönlichem Interesse der jeweiligen Regenten bis zu diesem Zeitpunkt noch mögliche Abhängigkeit von deren Geschmack wurde abgelöst von der Möglichkeit, die Sammel- und Ausstellungstätigkeit allein nach fachlichen Kriterien zu gestalten596 . „[N]och im Schoße einer feudalen Gesellschaftsordnung geboren, setzte das moderne Kunstmuseum die Tradition der kaiserlichen und fürstlichen Gemäldegalerien fort, nicht ohne die Kunstwerke jedoch dem alleinigen Ausdrucksbedürfnis einer privilegierten Klasse entrissen
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Fink 1967, S. 114. Vgl. Fink 1967, S. 117. Fink 1967, S. 116. Diese Sammlungsteile gingen nicht grundsätzlich alle sofort in die öffentliche Hand über, die Entwicklung vollzog sich zum Teil schrittweise. Dennoch markiert die Entmachtung der Fürsten einen endgültigen Umbruch auf dem Weg zu institutionellen Sammlungen. 596 Beispielsweise war es der Berliner Nationalgalerie im Kaiserreich nicht erlaubt, Werke von Vincent van Gogh in die Sammlung aufzunehmen, da dieser als zu modern galt. Bereits 1919 zeigte sich, dass dies jedoch nicht der fachlichen Meinung entsprach und das Interesse an der Moderne groß war, da zu diesem Zeitpunkt Werke von Mitgliedern der Künstlergemeinschaft „Brücke“ ausgestellt wurden, vgl. Grasskamp 1981, S. 42.
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und in den Bereich einer sich allmählich konstituierenden Öffentlichkeit überführt zu haben.“597
Im heutigen Sinne des kulturellen Erbes wurden die Museen damit endgültig in den Besitz der Allgemeinheit und die Verantwortung des Staates übertragen598 . Im Kern hat sich die grundsätzliche Aufgabe von öffentlichen Sammlungen bis heute nicht verändert: sie verfolgen das Ziel des Anhäufens von Kulturgut für die Allgemeinheit mit der Konsequenz, dass dieses gezeigt wird und der Staat die (auch finanzielle) Verantwortung zur Bewahrung übernimmt. Neben der Verknüpfung von Anhäufung, Ausstellung (dem Zeigen) und der Bewahrung von Objekten fungieren Museen als Forschungseinrichtungen599. Die Zusammenstellung der Einzelobjekte erfolgt daher nach festgelegten Forschungsschwerpunkten, welche in der Präsentation widergespiegelt und lehrreich verkörpert werden sollen600 : „Ihr Wert für die Wissenschaft besteht in der faktischen Existenz der Objekte und in der Möglichkeit zum Zugriff und zur Überprüfung.“601 Das Objekt steht im Mittelpunkt jeder institutionellen Sammlung, was Pomian verdeutlicht, indem er feststellt, dass nicht Bilder erworben werden, um Wände zu schmücken, sondern Wände errichtet werden, um Bilder zu zeigen602 . Es darf jedoch neben dieser Betonung von Bewahrung und Forschungszweck nicht vernachlässigt werden, dass institutionelle Sammlungen heute – ebenso wie Sammlungen früherer Zeiten – den Ruhm des Eigentümers vermehren sollen. Als staatliche, landeseigene oder kommunale Einrichtungen erfüllen Museen die Funktion touristischer Anziehungspunkte. Dieser Aspekt wird in Bezug auf das kulturelle Erbe wenig beachtet, obwohl die Diskussion um geographische Bindungen von Kulturgut eng mit dem Wert von Objekten für Tourismus sowie Städte- und/oder Regionen-Rankings verknüpft ist. Das (An-)Sammeln – also das Anhäufen von Objekten, welche eine Sammlung bilden – ist zwar noch immer ein Bestandteil der Arbeit von Museen, tritt jedoch hinter die anderen Aufgaben zurück. Finanzielle Schranken sind dafür der Hauptgrund, ebenso räumliche Grenzen603. Die Auswahl der zu erwerbenden Objekte wird zudem durch deren Herkunft mitbestimmt: der infolge der UNESCO Konvention von 1970 formulierte Code of Ethics der internationalen Museumsvereinigung ICOM geht unter anderem auf Erwerbsregeln ein und greift diesbezüglich Themen wie illegale 597 Ketelsen, S. 9. 598 Vgl. Grasskamp 1981, S. 26. 599 „Forschen steht am Museum [...] in einem Wechselverhältnis mit den anderen drei Museumsaufgaben Sammeln, Bewahren und Vermitteln.“, Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen: Forschung in Museen. Eine Handreichung, Braunschweig, Hannover 2010, S. 13. 600 Vgl. von Rohr 1977, S. 63f. 601 Von Rohr 1977, S. 63; vgl. Ketelsen, S. 9f. 602 Pomian 1990, S. 44. 603 „Kaum eines der kleineren Museen sammelt noch, und das alle Aktivität von vornherein hemmende Argument ‚Wir haben keinen Platz‘ erschlägt wirklich alles – allerdings ohne daraus irgendeine Lehre zu ziehen, weder im Museum selbst, noch in der museologischen Ausbildung, die mancherorts im Aufschwung begriffen scheint.“, Dröge, Kurt: Umgang mit Sammlungsgut. Uneingelöste Forderungen, in: Heisig, S. 32.
306 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ausgrabungen, illegale Ausfuhr sowie den Umgang mit religiös genutzten Objekten auf604. „Da Museen einen öffentlichen Auftrag erfüllen und, soweit sie nicht ohnehin von der öffentlichen Hand betrieben werden, staatliche Subventionen erhalten, kommt ihnen eine besondere Vorbildfunktion zu – positiv wie negativ. Missstände bei der Erwerbspraxis von Museen haben öffentliches Aufsehen und Kritik erregt und dazu geführt, dass nicht nur von außen, sondern auch von den Museen selbst die Beachtung bestimmter ethischer Standards gefordert wurde.“605
Diese Regeln beziehen sich zwar ausschließlich auf zukünftig zu erwerbendes Kulturgut und enthalten keine Sanktionen bei Nichtachtung606, eine stärkere Auseinandersetzung mit Fragen des Kulturgüterschutzes in einer globalisierten Welt sowie die Notwendigkeit von Provenienzforschung und Restitutionen wird jedoch immer mehr fester Bestandteil des Museumsalltags607. Die Auswahl von Objekten zur Aufnahme in eine institutionelle Sammlung ist neben Einschränkungen des Kulturgüterschutzes vorrangig von deren Sammelschwerpunkt (historisch, gesellschaftlich und wissenschaftlich) abhängig. Obwohl auch heutige Museen – wie bereits die Sammlungen der Frühen Neuzeit – versuchen, ein möglichst umfassendes Bild der Welt zu zeigen und dabei Fremdes und Exotisches präsentieren608 , liegt der Schwerpunkt jedoch nicht auf der von dieser Fremdartigkeit ausgehenden Faszination. Stattdessen ist die Festigung kultureller Identitäten durch die Bewahrung der eigenen Geschichte das Ziel609 . Die Auswahl von Objekten zur Bewahrung ist daher maßgeblich davon geprägt, was als identitätsstiftend bewertet wird610 . Strenge Auswahlkriterien basieren auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung, welche den Hintergrund der Konzeption von Schausammlungen und Ausstellungen bilden. Der persönliche Geschmack tritt hinter diese Kriterien sowie das Ziel, breitgefächerte Identifikationsmöglichkeiten zu ermöglichen, zurück. Jede 604 605 606 607
ICOM Code of Ethics, online abrufbar: http://icom.museum/the-vision/code-of-ethics/. Streinz, S. 152. Vgl. Streinz, S. 153. Diesen Fragen waren im Rahmen des 33. Internationalen Kunsthistorikerkongresses in Nürnberg vom 15.-20. Juli 2012 zwei Sektionen (Sektion 6 „World Heritage: Cultural Identity and the War against Works of Art“ sowie Sektion 19 „Restitution“) sowie einzelne Vorträge in thematisch verwandten Sektionen gewidmet, vgl. CIHA 2012 Programm: 33. Internationaler Kunsthistorikerkongress in Nürnberg vom 15.-20. Juli 2012 (CIHA), Pogramm, online abrufbar: http://www.ciha2012.de/programm/die-21-sek tionen.html. 608 Vgl. Groys, Boris: Logik der Sammlung. Am Ende des musealen Zeitalters, München, Wien 1997, S. 47. 609 Durch die Vorstellung einer globalen Kunst ist daher das Fremde Teil des Eigenen, im Gegensatz zu Groys’ These der Präsentation des Anderen zur Festigung eigener Identitäten durch Abgrenzung, vgl. Groys, S. 47; seiner Aussage, dass durch Museen versucht wird, „kulturelle Identitäten politisch festzuschreiben und gegen die zerstörerische Arbeit der Zeit und der Massenmedien zu verteidigen“ stimme ich jedoch zu, Groys, S. 14. 610 Vgl. Groys, S. 49.
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einzelne Aufnahmeentscheidung trägt schließlich zur Prägung einer zukünftigen Ordnung der Dinge bei611. Entscheidend wirkt sich diesbezüglich, neben einer noch immer vorherrschenden Trennung einzelner Wissenschaftsbereiche, die Abgrenzung von Wissensspeicher und Anschauungsraum aus: „Die Gebäude-Metaphern der Memoria verbinden sich mit unterschiedlichen GedächtnisFormen. Der Ruhmestempel seligiert und monumentalisiert vorbildliche Personen und Werke in einem Pantheon verbindlicher, zeitenthobener Werte. Im Ruhmestempel herrscht Platzmangel, was die Aufnahmekriterien erheblich verschärft. Der Gedächtnis-Vorrat, der von der Bibliothek aufbewahrt wird, ist dagegen auf beständige Expansion ausgelegt. Es ist die Kunde des Vergangenen, des durch die Zeit hindurch Geretteten. Verpflichtet der Tempel zum Andenken für die Zukunft, so ermöglicht die Bibliothek Zugang zum Wissen der Vergangenheit und Gegenwart. Den einen Modus des kulturellen Gedächtnisses assoziieren wir mit dem Kanon, den anderen mit dem Archiv.“612
Während das aktuelle Verständnis von Objekten als „Sachzeugen“ bereits zu einer stärkeren Verknüpfung der Wissenschaftsbereiche im Museum führt, müssen die Grenzen zwischen Ruhmestempel und Archiv im Zusammenhang mit der aktuellen Auffassung des kulturellen Erbes neu überdacht werden. Beide Gedächtnisformen müssen zusammenarbeiten, um materielle sowie immaterielle Kulturgüter lebendig überdauern zu lassen613. Als Folge eines sehr weit gefassten Verständnisses von Kulturgut ist allerdings zu beobachten, dass statt einer Verbindung der beiden Gedächtnisformen ein stetig wachsender Objektbestand durch Aufnahme in Museen (die „Ruhmestempel“) in den Status von Kunstwerken erhoben wird614. Einer sehr großen Menge potentieller Sammelobjekte steht daher ein stark begrenzter Platz in institutionellen Sammlungen gegenüber. Der beschriebene Platzmangel hat, neben Beschränkungen des Anhäufens, ebenso Auswirkungen auf das Zeigen der Sammlungsbestände. Während Archive und Bibliotheken die öffentliche Zugänglichkeit ihrer Bestände durch Einzelnutzung auch bei bestmöglichen Bewahrungsverhältnissen weitgehend gewährleisten können615 , 611 612 613 614
Vgl. Hauser, S. 31. Assmann, S. 160. Vgl. Assmann, S. 142. Vgl. Groys, S. 8; Groys vertritt die Meinung, dass der Eintritt eines Objektes, das nicht als Kunstwerk gilt, seine ursprüngliche Biographie mit Eintritt in ein Museum beendet, da es seinen Nutzen verliert, daraufhin wird es sozusagen als Kunstwerk wiedergeboren, Groys, S. 9; diese Vorstellung negiert jedoch jegliche Funktion von Kunstobjekten, so dass die Problematik einer Trennung von Kunst und Nicht-Kunst im Zusammenhang mit einer Bedeutung der Dinge erneut deutlich wird; Ressler vertritt die Meinung, dass jegliche Objekte im Museum als Kunstwerke wahrgenommen werden, Ressler, S. 14. 615 Die vollständige Zugänglichkeit ist jedoch auch in diesen Institutionen nicht gewährleistet, da Auflagen von noch lebenden Personen, des Datenschutzes u.ä. dazu führen, dass manche Bestände nicht der Öffentlichkeit – und in einigen Fällen auch nicht der Wissenschaft – gezeigt werden dürfen, vgl. Sax 1999, S. 117f; in diesen Institutionen ist die Zugänglichkeit also nicht unmittelbar, sondern wird in der Regel durch Mitarbeiter als vermittelnde Instanz hergestellt.
308 | S AMMLUNGEN DES A DELS verlangt das Zeigen von Museumsbeständen umfangreichere Maßnahmen. Die Erforschung der Bestände ist diesbezüglich die notwendige Voraussetzung dafür, das kulturelle Erbe nicht nur institutionell zu verwahren, sondern auch in seinem gesamten Umfang öffentlich zugänglich zu machen. Die möglichst publikumswirksame Darstellung eines Bruchteils der Bestände verdeckt jedoch häufig die Tatsache, dass sich zwischen 40 und 90% der Sammlungsobjekte in nicht öffentlichen Depots befinden616. Niklas Maak bezeichnet das Depot als „das geheime Museum unter dem Museum, de[n] unsichtbare[n] Ort, in dem sich, nicht erkennbar für das Publikum, die Negativform des aktuellen Kunstbegriffs abzeichnet“ 617. Wie bereits die Betrachtungen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes gezeigt haben, wird in den Ausstellungsräumen auf „Highlights“ fokussiert, welche sich zudem von Haus zu Haus immer stärker angleichen618. „Dabei wäre Abhilfe so einfach – durch die Wiederentdeckung eines Orts, den viele Museumsdirektoren eher als konservatorische Last denn als eine Quelle immer neuer Entdeckungen und Umschreibungen von Kunstgeschichte zu betrachten scheinen: das Depot.“619
Tatsächlich sind die Zustände der Depots zum Teil dramatisch. Zwei Vorträge von Restauratorinnen des Historischen Museums Regensburg und des Museums für Hamburgische Geschichte beschreiben Platzmangel, unzureichende klimatische Bedingungen, unerforschte Bestände und aus diesen Bedingungen entstehende Schäden620. Geldmittel werden für Ausstellungsprojekte bereitgestellt, nicht jedoch für die Depotausstattung und -pflege, diese werden zudem durch sich ausdehnende Ausstellungsflächen beschränkt621 . Dies sind keine Einzelfälle: in Niedersachsen sind beispielsweise nur in einem Drittel aller Museen sämtliche Bestände erfasst, in weniger als der Hälfte der Museen liegt der Erfassungsgrad über 60%622 . Dass der höchste Erfassungsgrad bei Freilicht- und Kunstmuseen zu finden ist, unterstreicht die Fokussierung auf Touristenziele623. Aber „[n]ur auf der Basis von Forschungen lässt sich entscheiden, was genau zu sammeln lohnt, welche Objekte eine Sammlung sinnvoll 616 Vgl. FAZ, 28. April 2012: Maak, Niklas: Kunst auf Lager. 617 FAZ, 28. April 2012. 618 „Dazu gehört die schlechte Angewohnheit, so zu sammeln, als müsse jedes Provinzmuseum, zumindest aber jedes Hauptstadtmuseum eine komplett bebilderte, dreidimensionale Volksausgabe der Kunstgeschichte sein, in deren Sammelraster die Bilder der wichtigen Maler wie in das bereits vorgedruckte Sammelalbum eines Briefmarkenfans hineinpassen.“, Grasskamp 1981, S. 68. 619 FAZ, 28. April 2012. 620 Kurella, Annette: Not im Depot – Die Situation in den Städtischen Museen von Regensburg, nicht veröffentlichter Vortrag im Rahmen des Treffens kulturfördernder Stiftungen der Kulturstiftung der Länder, 25. Juni 2012; Beiner-Büth, Silke: Grenzen und Herausforderungen in den Depots des Museums für Hamburgische Geschichte, nicht veröffentlichter Vortrag im Rahmen des Treffens kulturfördernder Stiftungen der Kulturstiftung der Länder, 25. Juni 2012. 621 Beiner-Büth. 622 Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 30. 623 Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 11 und S. 30.
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ergänzen würden und welche verzichtbar wären; erst Forschung macht aus einer bloßen „Ansammlung“ von Gegenständen eine Sammlung und schließlich ein Museum, das diesen Namen verdient.“624 Die Inventarisierung – als Voraussetzung von Forschung – ist damit unersetzliche Basis von Sammeln, Bewahren und Ausstellen sowie Vermitteln im Sinne einer Sammlungsdefinition wie sie für institutionelle Sammlungen anerkannt ist625. Die Öffnung von Sammlungen für die Allgemeinheit als Ziel der Aufklärung, und damit das Zeigen derselben, war aus heutiger Sicht zwar erfolgreich, muss jedoch vor diesem Hintergrund im Detail kritisch betrachtet werden. Neben der durch immer stärker anwachsende Sammlungen – und damit anteilig größere Depotbestände – beschränkten Zugänglichkeit der Objekte626 ist auch die Zugänglichkeit der Museen selbst zu hinterfragen. Zwar ist das grundsätzliche Interesse an der Vergangenheit und an historischen Objekten enorm, jedoch steht häufig ein am Konsum orientiertes Verhalten im Vordergrund vor einer Rezeption der Vergangenheit, so dass „unsichtbare Schranken“ den Weg zum Original versperren. Ebenso wie die Frage nach dem Charakter des öffentlichen Interesses (vgl. Kapitel 2.2) ist diejenige nach der öffentlichen Zugänglichkeit institutioneller Sammlungen daher nicht ohne Weiteres zu beantworten. Bereits zur Entstehungszeit bürgerlicher Museen wie des British Museum waren diese denjenigen vorbehalten, die den Eintrittspreis bezahlen konnten627 und – dieser Aspekt darf nicht unberücksichtigt bleiben – die nötige Bildung hatten, um überhaupt ein Interesse an den Sammlungen zu zeigen628. Auch heute sind die Kosten zum Einlass in ein Museum mitunter mehr als eine Geste der Teilhabe und tragen dazu bei, dass nicht alle Gesellschaftsschichten als Besucher vertreten 624 Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 11; vgl. auch Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 47. 625 Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 11 und S. 49; vgl. Dröge, S. 32; vgl. Lochmann, Hans: Sammeln und Abgeben, in: Heisig Dirk (Hrsg.): Ent-Sammeln. Neue Wege in der Sammlungspolitik von Museen. Verschenken, Tauschen, Verkaufen, Verbrauchen, Entsorgen, Aurich 2007 (Publikation des Projektes SAMMELN! der Ostfriesland-Stiftung der Ostfriesischen Landschaft), S. 39; vgl. Scheele, Friedrich: Von Trabharnischen, Bidenhändern und Rondartschen. Zur Geschichte der Emder Rüstkammer: Zeughaus – Kuriositätenkammer – Waffensammlung, in: Heisig, S. 62; vgl. von Rohr 1977, S. 66. 626 „Kulturpolitisch wird gerne mit dem öffentlichen Auftrag argumentiert, die Kulturgüter ‚für die Öffentlichkeit‘ zu bewahren, zu erschließen und zu erforschen. Dem entspricht längst nicht der Grad der allgemeinen Zugänglichkeit über Erschließungssysteme. Viele Sammlungen sind heute noch Bestände des Museumspersonals oder gar nur einer Museumsleitung.“, Schulz, Walter: Anmerkungen zum Unterhaltungs-Wert von Sammlungen, in: Heisig, S. 19; vgl. Lowenthal, S. 12; Sax spricht eine weitere Problematik an, welcher an dieser Stelle nicht weiter nachgegangen werden soll, nämlich die einer großen Anzahl von Objekten (vor allem Schriftstücke u.ä.), welche aufgrund persönlicher Belange von Erben oder Beteiligten nicht veröffentlicht werden dürfen, vgl. Sax 1999, S. 117ff. 627 Grasskamp 1981, S. 19; auch die im Zuge der Französischen Revolution entstandenen Museen erreichten nicht das Ziel einer Beteiligung der Allgemeinheit an der Herrschaft durch die Kunst, vgl. Grasskamp 1981, S. 34. 628 Vgl. Gamboni, S. 198.
310 | S AMMLUNGEN DES A DELS sind629. Pomians Meinung, der Staat „solle denen, die weder das ästhetische Vergnügen noch die historischen und wissenschaftlichen Kenntnisse noch das Prestige kaufen können, Zugang zu diesen Gütern verschaffen, Zugang über die Betrachtung[,]“630 ist weit verbreitet. Die Idee des kulturellen Erbes – nämlich, dass dieses als gesamtgesellschaftlicher Besitz durch öffentliche Institutionen verwahrt wird – ist aber für den Besucher kaum präsent. Der ansteigende Erfolg von Museumsshops, welcher eng verknüpft ist mit dem Wunsch Souvenirs zu erwerben, verdeutlicht dies: Ein Museumsbesuch wird nicht als Teilhabe am eigenen Kulturgut empfunden, sondern stattdessen als privilegierte Ausnahme, welcher man sich durch Erinnerungsobjekte versichern möchte631. Daraus ist zu schließen, dass es Aufgabe des Staates ist, nicht nur einen visuellen Zugang anzubieten, sondern jedem Einzelnen die Erfahrung des eigenen kulturellen Erbes zu ermöglichen. In der Vermittlungsarbeit stehen institutionelle Sammlungen häufig in Konkurrenz zueinander sowie zu unterschiedlichsten Formen des Freizeitangebotes. Die ständigen Sammlungen müssen sich vor allem gegenüber Sonderausstellungen und Kultur-„Events“ behaupten und ziehen sowohl finanziell als auch in Bezug auf das Publikumsinteresse häufig den Kürzeren. Wie oben erwähnt, spielte eine touristische Nutzung von Sammlungen bereits zu früheren Zeiten eine entscheidende Rolle. Heute steht diesbezüglich jedoch nicht mehr die Optimierung der Besucherführung im Vordergrund, sondern eine Maximierung der Besucherzahlen632 . Während Sammlungskataloge seit jeher der Verbreitung und Vermittlung von Beständen dienten und Anreiz für einen Besuch waren, werden heute die Möglichkeiten des Internets für Museen zum schmalen Grad zwischen werbendem Kommunikationsmittel und Konkurrenz633. Vielfältige Möglichkeiten, auf diesem Weg schnell, vergleichend und
629 Konzepte anderer europäischer Länder, wie beispielsweise Großbritannien, Irland und Spanien, enthalten den kostenlosen Eintritt in sämtliche staatlichen Museen. 630 Pomian 1998, S. 18; es geht diesbezüglich aber nicht um einen Zugang für diejenigen, die sich selbst kein Kulturgut leisten können, sondern um einen Zugang für jeden Einzelnen, da jeder Einzelne (ideeller) Besitzer dieses Kulturgutes ist. 631 Darauf weist auch die Aussage Schwärzlers hin, welche aufzeigt wie wenig die Vorstellung des gemeinsamen Kulturbesitzes im allgemeinen Denken und auch im wissenschaftlichen Diskurs verankert ist: „Was das Besitzen betrifft, so sind museale Räume auf Triebverzicht hin inszeniert. Die Objekte sind entrückt und – zumindest bis dato – in einer Sphäre jenseits von Käuflichkeit angesiedelt.“, Schwärzler, Monika: Spielarten der Objektbildung, in: Fliedl/Giersch/Sturm/Zendron, S. 43; mit dem Internet ist hier jedoch ein neuer Trend zu beobachten, da der Online-Vertrieb dieser Objekte ermöglicht, Erinnerungsobjekte zu erwerben, ohne die zu erinnernde Erfahrung überhaupt gemacht zu haben, vgl. Bien, Helmut M.: Musealisierung der Alltagskultur. Strategien des Kulturmarketing, in: Fliedl/Giersch/Sturm/Zendron, S. 9f. 632 Grasskamp weist darauf hin, dass sich Museen aus dem politischen Bereich völlig entfernt und nun in den ökonomischen Bereich verlagert haben, Grasskamp 1981, S. 95; vgl. auch Grasskamp 1981, S. 86. 633 Einerseits ermöglicht das Internet globale „Besuche“ von Sammlungen, die real nicht möglich sind, andererseits verändert die digitale Welt die Objekterfahrung an sich, vgl. Groot, Jerome de: Historiography and Virtuality, in: Waterton/Watson, S. 91ff; auch Bel-
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mühelos Objektabbildungen ansehen zu können, verringern die Notwendigkeit(en) direkter Objektbetrachtung und -erfahrung. Über das Internet treten die Betrachter in einer völlig anderen Art und Weise – nämlich ohne jede Form der physischen Erfahrung – mit den Objekten in Kontakt, als dies im Museum selbst der Fall ist634 . Ein Objekt kann zudem in unterschiedlichen Kontexten betrachtet werden, auf welche das Museum weniger Einfluss hat: „Museums become content-providers, virtual repositories of information and images, in many ways emasculated and unable to influence the flow, transmission and presentation of knowledge in the ways in which they had once been used.“635 Reduziert man das Museum auf einen Ort visueller Erfahrung, wäre das Internet zwangsläufig das Ende des Museums, da diese Erfahrung nun auch ohne den Ort des Museums stattfinden kann636. Die Einzigartigkeit des Museums, nämlich die Authentizität der Objekte und deren Wirkung auf den Besucher637, droht für diesen hinter die Möglichkeiten der medialen Welt zurückzutreten. Mit diesem Problem müssen sich Museen auseinandersetzen. „Was immer davon zu halten ist, Tatsache ist: Museen stehen im Wettbewerb um die Gunst des Publikums, sie sind Teil der Medienwirklichkeit, sie unterliegen wirtschaftlicher Rechnung, hängen von Politik, Gesellschaft und beider Verständnis und Unterstützung ab, privat wie öffentlich, und [...] sie kommen ohne Technologien der Informationsvermittlung und -vermarktung, deren Chancen und Risiken, nicht mehr aus.“638
Obwohl ein allgemeiner gesellschaftlicher Trend der Revitalisierung von Vergangenheit auf privater und lokaler Ebene (welcher in Form von Flohmärkten, Interesse an Antiquitäten und Heimatmuseen große Ausbreitung findet639 ) festzustellen ist, scheinen Museen sowohl durch die Ausdehnung des „virtuellen Museumsbesuches“ als auch durch Ausstellungs-„Events“ weniger den Wunsch nach Bindung, denn nach
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ting weist darauf hin, dass die Digitalisierung ein Hilfsmittel, nicht aber alleiniges Ziel sein sollte, Belting, Hans: Das Museum als Medium, in: Mai, S. 42. Vgl. de Groot, S. 91. De Groot, S. 93; dies gilt auch im Vergleich zu Print-Publikationen, welche zudem weniger Möglichkeiten der Betrachtung bieten als das Internet, das eine Veränderung des Hintergrundes, Zoomoptionen und verschiedene Ansichten anbietet, vgl. auch de Groot, S. 94. Vgl. de Groot, S. 102. Vgl. Korff, Gottfried/Roth, Martin: Einleitung, in: Korff/Roth, S. 16. Mai, Ekkehard: Museum Alte Meister. Zwischen Tradition und Erneuerung, in: Mai, S. 7. „Hier zeigt sich auf lokaler Ebene der von der Kulturwissenschaft bereits länger konstatierte Trend zum sogenannten modernen Historismus, der die Hinwendung zur angeblich eigenen Geschichte forciert, und ihre Zurückholung in die Gegenwart betreibt.“, Nienhaber, S. 62; „Das Vergangenheitsinteresse hat die Massen ergriffen.“, Lübbe, Herrmann: Zeit-Verhältnisse. Über die veränderte Gegenwart von Zukunft und Vergangenheit, in: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990, S. 40.
312 | S AMMLUNGEN DES A DELS Erlebnis befriedigen zu wollen640 . Moderne Marketing-Strategien machen es möglich, Popularität zu erzeugen, während die Frage nach Bedeutung von vielen Besuchern nicht gestellt wird641. Viele Museen erfüllen die Erwartungshaltung des Besuchers, indem sie Objekte bekannter Künstler oder Persönlichkeiten in den Vordergrund stellen, während regionale Bezüge oder weniger Prestige trächtige Dinge geringere Beachtung finden642. Boorstins Aussage in Bezug auf berühmte Personen lässt sich auf die Museumswelt übertragen: „Die Berühmtheit ist [...] die vollkommene Verkörperung der Tautologie: das Bekannteste ist das Bekannteste.“643 Dieser Vorgang erscheint vordergründig als beste Methode, Teile der Sammlungen zu zeigen und durch hohe Besucherzahlen finanzielle Mittel zu sichern. Nur diese können das oberste Ziel des Umgangs mit dem kulturellen Erbe – die Bewahrung – garantieren, für welche die Museen heute wichtigstes Instrument sind, denn „[d]as erste charakteristische Merkmal der Museen ist ihre Permanenz.“644 Aus diesem Grund „avancierten [diese] zum ‚natürlichen‘ Ort für die Verwahrung historischer Zeugnisse und mehr noch für den Genuss und das Studium von Kunstwerken ‚um ihrer selbst willen‘.“645 Sämtliche Formen der Behandlung von Objekten sind in Museen auf Unendlichkeit ausgelegt: eine Aufnahme in die Bestände wird in der Regel nicht zu späteren Zeiten durch Aussonderung revidiert, und dem physischen Erhalt wird größtmögliche Aufmerksamkeit zuteil. Konservierung, Restaurierung und „Art Handling“ sind unverzichtbare Bereiche institutioneller Sammlungen, welche nicht selten das Forschen und Zeigen beschränken (müssen). Die Bewahrungsverpflichtung führt des Weiteren dazu, dass der Vorgang des Anhäufens für eine institutionelle Sammlung immer auch die Frage beinhalten muss, ob das entsprechende Objekt dort überhaupt versorgt und bestmöglich erhalten werden kann646.
640 Scheele geht kritisch auf dieses Streben nach „Highlights“ und Vergnügung ein, vgl. Scheele, S. 54; Grasskamp spricht davon, dass das Museum zum Freizeitpark verkomme, Grasskamp 1981, S. 87. 641 Boorstin untersucht den Unterschied zwischen „Ereignissen“ und „Pseudo-Ereignissen“, Boorstin, S. 69ff. 642 „We can show Titian, Giotto and Duccio to the public, but unless we can mix them with van Gogh, the public won’t come in large numbers.“, Kanter, Laurence B.: „You start by making twenty years of contacts...“, in: Danziger, Danny: Museum. Behind the scenes at the Metropolitan Museum of Art, New York, Toronto, London, Dublin, Camberwell, New Delhi, Rosedale, Johannesburg 2008, S. 105; vgl. Goldner, George R.: „They have thick black hair to protect them from the cold and weigh about 120 pounds...“, in: Danziger, S. 76f. 643 Boorstin, S. 97. 644 Pomian 1998, S. 67; Pomian stellt das Museum in diesem Zusammenhang in direkten Gegensatz zu Privatsammlungen, welche durch Vermögensschwankungen oder Tod des Sammlers Veränderungen unterworfen sind, während das Museum „ein ruhiges Leben“ führt, Pomian 1998, S. 67. 645 Gamboni, S. 40; vgl. Grasskamp, Walter: Unberührbar und unverkäuflich. Museen und Museumsshops, in: Fliedl/Giersch/Sturm/Zendron, S. 29. 646 Heisig, Dirk: Sammeln und Entsammeln. Methode und Praxis des Projekts SAMMELN!, in: Heisig, S. 20.
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Sowohl die Depotsituation als auch die Frage nach dem Entsammeln als möglichem Lösungsweg werden bisher kaum thematisiert647. Ebenso wie in Denkmalpflege und Denkmalschutz führen eingeschränkte (personelle) Kapazitäten zu sich durch Verschleppung potenzierenden Problemen. Kulturgüter- und Denkmalschutz weisen durch die Betonung ihrer Unabhängigkeit von Eigentumsverhältnissen allerdings auch darauf hin, dass institutionelle Sammlungen nicht als alleiniger Bewahrungsort des kulturellen Erbes verstanden werden dürfen. Stattdessen ist das Bewahrungspotential sowohl dieser als auch privater Sammlungen zu überprüfen und bestmöglich zu nutzen – nicht zuletzt, um Museen in dieser Aufgabe zu entlasten. Der von Assmann beschriebene „Platzmangel“ führt außerdem dazu, dass das Sammeln aller Gedächtnisformen nicht auf Anhäufen, Zeigen und Bewahren beschränkt bleiben kann. Trotz der Ausrichtung auf eine scheinbar unbegrenzte Wissenssammlung sind Formen des Entsammelns Teil des Alltags in Bibliotheken und Archiven. Gamboni weist darauf hin, dass auch in Museen die Auswahl eine nötige Maßnahme im Zusammenhang mit dem Bewahrungsauftrag ist648. Gleichzeitig machen die von ihm angeführten Beispiele deutlich, dass aber diesbezügliche Entscheidungen selten uneingeschränkte Zustimmung erfahren und ebenso wie das Anhäufen im Kontext der jeweiligen Zeit betrachtet werden müssen649. Während jedoch das Aussondern von Archivgut – welches in der Regel mit der Vernichtung desselben einhergeht – als notwendiges Element der Arbeit einer solchen Bewahrungsinstitution akzeptiert wird650 , stoßen Verkäufe aus Anschauungssammlungen, ebenso wie andere Formen des Abgebens, auf starke Kritik651. Heisig bringt jedoch die Folgen dieser Haltung in seinen einleitenden Worten der Publikation „Ent-Sammeln“ auf den Punkt: „Sind die Grenzen des Sammelns angesichts überquellender Depots erreicht? Können die Museen ihren selbstgestellten Anspruch – das kulturelle Erbe zu bewahren – noch langfristig erfüllen? Entspricht die Qualität vorhandener Sammlungsbestände den Ansprüchen der Museen?“652
Unweigerlich muss auf diese Fragen der Versuch folgen, nach Möglichkeiten von Bestandsabgaben zu suchen, welche nicht als Gegensatz, sondern als Bestandteil lebendiger Sammeltätigkeiten verstanden werden. Weder die finanziellen Einsparungen bei einer Abgabe noch mögliche Einnahmen durch den Verkauf eines Objekts 647 Beiner-Büth; Dröge, S. 31; eine Ausnahme ist das Projekt SAMMELN!, vgl. Heisig: Sammeln und Entsameln, S. 20ff. 648 Gamboni, S. 346. 649 Beispielsweise erscheint die Entscheidung der Ecole des Beaux-Arts in Reims, welche die durch dessen Witwe gestifteten Gipsmodelle des Künstlers René de Saint-Marceaux zerteilte, um nur die Köpfe zu bewahren, aus heutiger Sicht fragwürdig. Die Entscheidung des Berner Historischen Museums 1957, ein mumifiziertes Kalb aus der Sammlung auszuschließen, trifft dagegen auf größere Zustimmung, vgl. Gamboni, S. 330ff. 650 Eine Ausnahme bilden diesbezüglich Archive, welche historisches Archivgut bewahren und daher stärker dem Museum als dem Archiv zugehörig sind. 651 „Zu jedem Museumsstück gehört ja der Schwur, es nie mehr auf den Markt gelangen, also nie mehr zur Ware werden zu lassen.“, Grasskamp 1997, S. 32. 652 Heisig, Dirk: Vorwort, in: Heisig, S. 5.
314 | S AMMLUNGEN DES A DELS sollten laut Heisig alleiniger Grund für diesen Schritt sein653. Andererseits gibt es Beispiele für bedeutende Ankäufe kultureller Einrichtungen, die nur durch den Verkauf von für die Sammlung weniger passenden Objekten ermöglicht wurden654, und die in anderen Ländern bereits seit längerem geführten Diskussionen geben Hinweise auf Lösungsmöglichkeiten655 . In den Medien bekannt gewordene Ausnahmefälle von Objektverkäufen verzerren den Blick auf die grundlegenden Fragestellungen, führen dagegen aber – zumindest in Deutschland – zur nur langsam aufbrechenden Tabuisierung des Themas Entsammeln656. Sowohl im internationalen Vergleich als auch in der Vergangenheit lässt sich diesbezüglich eine weniger verhärtete Haltung beobachten. „Eine in manchen Ländern und in manchen Arten von Museen offizielle und zulässige Form, sich Sammlungsgegenständen zu entledigen, ist die ‚Aussonderung‘, das heißt, die entsprechenden Stücke werden aus dem Inventar gestrichen und in der Regel zum Verkauf angeboten. Dies impliziert, dass die ausgesonderten Werke zumindest einen gewissen ökonomischen Wert repräsentieren, dass sie aber im Zusammenhang der Sammlung als weniger wertvoll gelten als die Werke, zu deren Ankauf der Erlös aus ihrem Verkauf beiträgt.“657 Bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts waren die Forderungen ähnlich, wurden jedoch in dieser Zeit der wirtschaftlichen Unsicherheit nicht immer befolgt:
653 Vgl. Heisig: Vorwort, S. 5. 654 Beispielsweise erwarb die Johannes a Lasco Bibliothek in Emden Teile der Bibliothek des Fürstenhauses Ysenburg-Büdingen und gab in diesem Zusammenhang andere Objekte ab, vgl. Schulz, W., S. 17. 655 Scheele weist darauf hin, dass die Diskussion um Objektabgaben und auch Verkäufe in Nordamerika bereits in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts geführt wurde und zu einer Deklaration der Museumsvereinigung führten, vgl. Scheele, S. 62; auch in den Niederlanden führte diese Frage zur Herausgabe eines Leitfadens zum Entsammeln, vgl. Bergevoet, Frank: Das Abtreten von Museumsobjekten in der Praxis. Erfahrungsbericht aus den Niederlanden, in: Heisig, S. 69f; in Großbritannien wurde die Problematik des Entsammelns mit Richtlinien zu eingeschränkterem Sammelverhalten verknüpft, vgl. McDermott, Robin: Museales Sammeln in Großbritannien. Das Erbe der Registrierung, in: Heisig, S. 74ff. 656 Vgl. Art 06/2003: „Ich plädiere für Tabubruch“, S. 123; vgl. Art 07/2006: Ein verzwickter Bilderhandel, S. 101-102; vgl. Art 11/2006: „Finger weg von unserem Highlight!“, S. 125-126; vgl. Art 06/2008: „Wir sind keine Kunsthändler“, S. 112. 657 Gamboni, S. 333; das Museum of Modern Art in New York schließt beispielsweise Verkäufe von Objekten in ihre Sammlungstätigkeit mit ein. Die zu veräußernden Objekte müssen bestimmte Kritierien erfüllen (z.B. Duplikate, geringere Qualität als vergleichbare Objekte, keine Möglichkeit zur Bewahrung) und der Erlös muss zum Ankauf genutzt werden, MOMA – Museum of Modern Art: Collections Management Policy. The Museum of Modern Art, Approved by the Board of Trustees, October 5, 2010, online abrufbar: http://www.moma.org/docs/explore/CollectionsMgmtPolicyMoMA_Oct10.pdf; vgl. Art 12/2006: Koldehoff, Stefan: „Sie verhalten sich wie Narren“, S. 120-121; ein Versuch der britischen Regierung, 1987 ähnliche Vorgehensweisen für die Tate Gallery, die National Gallery und die National Portrait Gallery einzuführen, wurde von deren Verwaltungen strikt abgelehnt, Gamboni, S. 333.
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„Es ist klar, daß die Leitung einer öffentlichen Sammlung Verkäufe nur nach strengster Gewissenserforschung und unter Wahrung aller nur erdenklichen Sicherungsmaßnahmen vornehmen kann. Sie muß sowohl die Frage der Entbehrlichkeit eines Objektes für den Bestand der Sammlung unter den verschiedensten Gesichtspunkten ebenso wie den Marktwert des Objektes eingehend prüfen.“658
Es ist damit festzuhalten, dass Objektabgaben nicht grundsätzlich mit dem Verkauf von Sammlungshöhepunkten gleichgestellt werden können, sondern vielmehr diejenigen Objekte betreffen sollten, welche nicht in den Sammlungskontext passen oder starke Beschädigungen aufweisen. Des Weiteren sind dem Verkauf die Möglichkeiten von Verleih, Tausch und Nutzung zur Seite zu stellen659 . Zusammengenommen gehören diese Maßnahmen zu einer lebendigen Sammeltätigkeit, welche durch das reine Bewahren in vielen Museen nahezu zum Erliegen gekommen ist660. Zu einem ähnlichen Schluss kommt – zögerlich formuliert – auch das Positionspapier zur Problematik der Abgabe von Sammlungsgut, welches 2004 vom Vorstand des Deutschen Museumsbundes und vom Vorstand von ICOM-Deutschland verabschiedet wurde: „Es ist unbestreitbar, dass Museen im Kern die Aufgabe haben, Sammlungen anzulegen, zu pflegen und für die Nachwelt zu erhalten; insofern widerspricht grundsätzlich jede Art von Abgabe von Sammlungsgut zunächst einmal dem Auftrag der Museen. Im Zuge der Weiterentwicklung von Sammlungskonzeptionen kann es im Einzelfall jedoch sinnvoll sein, dass ein Museum sich von einzelnen Objekten trennt; dies wird vom ‚Code of Ethics‘ des Internationalen Museumsrates (ICOM) ausdrücklich so vorgesehen.“661 658 Schmitz, Hermann: Zu den Verkäufen aus Deutschen Museen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 27, 3. Oktober 1925, Kunstchronik und Kunstmarkt. Wochenschrift für Kenner und Sammler, 59. Jahrgang, Neue Folge XXXV, April 1925 bis März 1926, Leipzig, S. 438; 1926 konnte man in der Kunstchronik folgende Haltung feststellen: „Verkäufe aus öffentlichen Sammlungen sind seit deren Bestehen üblich gewesen. Sie sind heute oft fast unentbehrlich zur Fortentwicklung der Institute, um, indem sie diese von überflüssigem Ballast befreien, Mittel für notwendige Erwerbungen oder Bauerweiterungen zu liefern.“, Schmitz in: Kunstchronik, S. 437. 659 Lochmann stellt Gründe für Abgaben denjenigen für einen Erhalt in der Sammlung entgegen und macht deutlich, dass es sich um ein abwägendes Verfahren im Sinne der Sammlung handelt und auch der Umgang mit Spendern bedacht werden muss, vgl. Lochmann, S. 41f; 2011 wurden diese Abgabemöglichkeiten aufgegriffen in einem vom Deutschen Museumsbund herausgegebenen Leitfaden, vgl. Deutscher Museumsbund: Nachhaltiges Sammeln. Ein Leitfaden zum Sammeln und Abgeben von Museumsgut, Berlin, Leipzig 2011. 660 „Es kann kein Ziel von Museumsarbeit sein, den Nachfolgern randvolle Häuser zu übergeben, ohne Möglichkeit der kulturgeschichtlichen Selbstverwirklichung, ohne Chance, auf die veränderten gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen angemessen museologisch zu reagieren mit dem Argument: Unser Museum ist voll, wir sammeln schon lange nicht mehr.“, Dröge, S. 37. 661 Positionspapier Deutscher Museumsbund und ICOM: Positionspapier zur Problematik der Abgabe von Sammlungsgut, verabschiedet vom Vorstand des Deutschen Museumsbundes und vom Vorstand von ICOM-Deutschland, September 2004.
316 | S AMMLUNGEN DES A DELS Alle genannten Bereiche, von eingeschränkten Anhäufungsmaßnahmen durch volle Depots über das von Ausstellungs-„Events“ und dem wichtiger werdenden Internetauftritt geprägte Zeigen hin zu Maßnahmen des Bewahrens mitsamt dem scheinbaren Gegensatz des Entsammelns, haben Auswirkungen auf die mögliche Entstehung von Bindungen innerhalb institutioneller Sammlungen. Alsops Aussage: „As to art museums, it is arguable that they are just as much art’s tombs as art’s temples [...]“662 ist in Bezug auf die Biographie der Dinge von Relevanz. Grab und Tempel bilden gleichermaßen einen Endpunkt der Ding-Biographie, an welchem Ding-MenschBindungen stark eingeschränkt und auf Visualität begrenzt werden. Während für Archive und Bibliotheken ein durch individuelle Nutzungsmöglichkeiten direkterer Kontakt möglich bleibt, ist Alsops Aussage auf Objekte in sämtlichen musealen Sammlungen übertragbar: aus Gründen bestmöglicher Erhaltung werden die Dinge isoliert (im Depot in verschiedenen Schichten vom Seidenpapier über Dämmmaterial bis zu Kartonagen, in den Ausstellungsräumen in Vitrinen) und selbst die wenigen unumgänglichen Berührungen sind durch Handschuhe gedämpft. Die weitgehende Unveränderlichkeit des Objekts, in Kombination mit seiner nunmehr einzigen Funktion – betrachtet zu werden663 –, minimiert dessen Entwicklungsmöglichkeiten. Weitere biographische Stationen sind durch lokale Veränderungen – wie Umzüge innerhalb des Museums, Ausleihen, Teilnahme an Sonderausstellungen – nicht ausgeschlossen664, jedoch stark eingeschränkt und zeitlich begrenzt. Fliedl spricht davon, dass die „eigene geschichtliche Wandelbarkeit“ der Objekte negiert wird665. Die Isolation betrifft neben der physischen Abschottung gegen Umwelteinflüsse und mögliche Gefahren auch eine Distanz der Objekte zueinander. Die aus wissenschaftlichen oder ästhetischen Gründen getroffene Zusammensetzung einzelner Din662 Alsop, S. 20; „[...] beyond life, beyond death, but not beyond art history [...]“, Alsop, S. 37; Groys spricht von Museen als „Friedhöfe[n] der Dinge“, was er jedoch nicht auf Kunstmuseen bezieht (für ihn ist der Eintritt eines Kunstwerkes in ein Museen vergleichbar mit dem Beginn dieser Ding-Biographie), Groys, S. 9. 663 Vgl. Pomian 1998, S. 14. 664 Gamboni beschreibt diese möglichen biographischen Veränderungen und ihre Grenzen: „Auch ohne die Sammlungen und Museen zu verlassen, sind Kunstwerke im allgemeinen Umstellungen unterworfen: sie wandern von einem Ausstellungsraum in den anderen oder auch in das Magazin (und umgekehrt) ... [D]iese Umkehrbarkeit ist der entscheidende Unterschied gegenüber Zerstörungen und (meist auch) gegenüber Aussonderungen.“, Gamboni, S. 333; vgl. auch Gamboni, S. 28; vgl. Dröge, S. 34. 665 Fliedl, Gottfried: Testamentskultur: Musealisierung und Kompensation, in: Zacharias, S. 173; dass dies nicht allein auf Objekte innerhalb von Museen, sondern ebenso auf kulturelle Orte/Stätten übertragbar ist, weisen Gillings/Pollard in ihrer Untersuchung der Steine von Avebury nach. Bereits 1882 wurde die Stätte rechtlich geschützt und Anfang des 20. Jahrhunderts folgten archäologische Untersuchungen sowie Rekonstruktionen: „The stones became a set of sterile numbered entities, a series of carefully marked points on the meticulously surveyed but wholly abstracted plans and management agendas of contemporary archaeological discourse. Grouped by shape or spatial position but fundamentally meaningless in their own right, the stones gained meaning from their position within a large archaeological entity, the henge, itself deriving its significance from its position in a typological sequence of similarly styled monuments.“, Gillings/Pollard, S. 188.
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ge fügt diese nicht zwangsläufig zu einer Einheit zusammen. Eine solche ist trotz der gleichen Wertung sowie der gleichen biographischen Situation von Museumsobjekten selten für den Besucher erfahrbar666. Neben der physischen Isolation667 spricht Grasskamp von einer „Neutralisierung“668 von Objekten im Museum und bezieht dies unter anderem auf Dinge, welche durch Besitzerwechsel ihre Funktion als Herrschaftszeichen verloren haben. Gleichermaßen gilt dies für religiöse Objekte. Auch bildlich dargestellte verstörende oder anderweitig extreme Gefühle auslösende Themen erscheinen im Umfeld institutioneller Sammlungen „entschärft“669, so dass von einer „Dekontextualisierung und Rekontextualisierung“670 gesprochen werden muss. Die Feststellung, dass Museumsobjekte dennoch ihre „Schönheit“ 671 nicht verlieren, macht – selbst bei einer in diesem Zusammenhang offenen Deutung von Schönheit im Sinne eines Kunstwertes – die funktionelle Einschränkung von Museumsobjekten deutlich: sie werden vorrangig nach ästhetischen Gesichtspunkten und rational begriffen. Gleichzeitig erfahren Objekte durch ihre Eingliederung in eine institutionelle Sammlung jedoch eine allein auf dieser Grundlage basierende erhöhte Wertschätzung, welche durch entsprechende Präsentationsformen ihren Ausdruck findet672. Der Eindruck von Neutralisierung oder Sakralisierung kann damit von der Tatsache ablenken, dass es sich bei Museen gerade nicht um neutrale Räume handelt, son-
666 „Aber die Homogenisierung gelingt nur zum Teil. Moderne Museen sind ihrer fundamentalen Beschaffenheit nach Sammlungen von heterogenen Gegenständen im homogenen Raum. Auch wenn diese Gegenstände nebeneinander hängen oder stehen, bilden sie trotzdem keine organische Einheit wie früher in einer Kirche oder im herrschaftlichen Palast.“, Groys, S. 50. 667 Grasskamp spricht von einer „Isolation von Objekten“, da diese unabhängig vom „Kontext ihrer Entstehung und ihres alltäglichen Gebrauchs“ bewahrt werden, Grasskamp 1981, S. 75. 668 Grasskamp 1981, S. 29; ebenso von Holst, S. 8; Ananieva spricht von „EntKontextualisierung“ und „Ent-Personalisierung“, Ananieva, S. 177. 669 Vgl. Freedberg, S. 425. 670 [im Original hervorgehoben, Anm. U.S.], Belting, S. 36; vgl. auch Marshall/Gosden, S. 172. 671 Grasskamp 1981, S. 29. 672 Vgl. Assmann, die von einer „schleichenden Ästhetisierung von Gegenständen im Museum“ und einer „schleichende[n] Auratisierung der Relikte an Erinnerungsorten“ spricht, Assmann, S. 338; vgl. Brock zu dieser Veränderung von religiöser zu ästhetischer Verehrung: „[...] in den heiligen Kultstätten des Domes gab es Bildwerke, die einem kultischen Zweck (z.B. als Altartafeln) dienten, die aber eines Tages von Kunsthistorikern herausgeholt und dem Museum einverleibt wurden. Dabei entstand die Frage, ob eine Eifelbäuerin – wie geschehen – im Museum vor dem Bild beten dürfe, das sie bisher in ihrer Kirche verehrt hatte. Bei den Überlegungen, ihr dies zu untersagen, musste man einsehen, dass viele Zeitgenossen heute im Museum den Bildern entgegentreten, als wären sie an einem Kultort für Atheisten. Sie haben gewissermaßen das Alibi, es handele sich ja nicht um Reliquien, sondern um Kunst, und deswegen könne man sich tiefsinnig ehrfurchtsvoll damit beschäftigen, was man in der Kirche mit Kultgerät nicht mehr wagen würde.“, Brock, S. 27.
318 | S AMMLUNGEN DES A DELS dern um wissenschaftliche Konzepte, worauf Ketelsen hinweist673. Daher kann stattdessen von einer Professionalisierung gesprochen werden, welche eine Distanzierung zum Objekt zur Folge hat. Wie bereits erwähnt, ist ebenfalls eine physische Distanzierung durch die Maßnahmen zur Bewahrung – auf dem Gebiet der Konservierung und Restaurierung – zu beobachten: während diese Maßnahmen im Kern Handlungen des Hegens und Pflegens sind, sind diese in ihrem Ursprung emotional gesteuerten Tätigkeiten einer klinischen Behandlung gewichen674. Der Eintritt von Objekten in eine institutionelle Sammlung markiert durch den Wunsch einer möglichst uneingeschränkten Erhaltung sowie eine rein rationale Bewertung zwangsläufig eine Zäsur in ihrer Biographie. Die Objekte werden unweigerlich aus einer neuen Perspektive betrachtet werden: „[d]ie Werke sind nicht mehr die, die sie waren.“675 Es drängt sich die Frage auf, ob eine Bewahrung des kulturellen Erbes trotz dieser einschneidenden Kontextänderung der einzelnen Objekte möglich ist. Gamboni gibt diesbezüglich den wichtigen Hinweis auf einen Funktionswechsel – im Gegensatz zu einem Funktionsverlust – dieser Objekte676 . Die Notwendigkeit einer lebendi673 Er stellt fest, dass beispielsweise der Vergleich von Gemälden eines Künstlers nicht Folge ihrer Betrachtung im Museum, sondern Voraussetzung für ihre Positionierung in diesem ist, Ketelsen, S. 189; das heißt, die individuelle Erfahrung des Betrachters muss zwangsläufig eingeschränkt werden durch die Entscheidungen der Kuratoren. 674 Lowenthal weist mit einem Witz auf diese Entwicklung hin: „How many preservationists does it take to change a light bulb? ... Four: one to change the bulb, one to document the event, and two to lament the passing of the old bulb.“, Lowenthal, S. 11; interessant ist diesbezüglich die Gegenüberstellung zweier Extrembeispiele durch Lochmann, wobei er ein chaotisches, übersammeltes, unstrukturiertes Museum als „Abbild einzelner und ungezügelter ‚Sammelwut‘ agierender Personen“ beschreibt und dieses einem systematischen, geordneten, durchdachten – also emotionslosen (Anm. U.S.) – Museum gegenüberstellt, Lochmann, S. 39-40; eine solche Vereinfachung verstellt jedoch den Blick auf die eigentliche Problematik des institutionellen Sammelns; ein hilfreicher Hinweis ist die Feststellung Fliedls, dass die Objekte „in ihrer materiellen Identität über einen langen, im Grund unbegrenzt gedachten Zeitraum hinweg“ erhalten werden sollen, Fliedl, S. 172; dieser Anspruch einer jedes menschliche Leben überdauernden Zeitspanne führt zwangsläufig zu einer distanzierteren Haltung (im Gegensatz zu einer Weitergabe an die jeweils nächste Generation, wie sie im Zusammenhang mit Adelsfamilien festgestellt wurde). 675 Heidegger, S. 36; „So stehen und hängen denn die Werke selbst in den Sammlungen und Ausstellungen. Aber sind sie hier an sich als die Werke, die sie selbst sind, oder sind sie hier nicht eher als die Gegenstände des Kunstbetriebes? Die Werke werden dem öffentlichen und vereinzelten Kunstgenuss zugänglich gemacht. Amtliche Stellen übernehmen die Pflege und Erhaltung der Werke. Kunstkenner und Kunstrichter machen sich mit ihnen zu schaffen. Der Kunsthandel sorgt für den Markt. Die Kunstgeschichtsforschung macht die Werke zum Gegenstand einer Wissenschaft. Doch begegnen uns in diesem mannigfachen Umtrieb die Werke selbst?“, Heidegger, S. 35-36. 676 „Die meisten Artefakte, die heute als Kunstwerke, Denkmäler oder ‚Kulturgut‘ betrachtet und aus diesem Grunde bewahrt werden, verdanken ihren gegenwärtigen Status und ihre dauernde Existenz einer solchen Transformation. Diese kann im kontinuierlichen Fortschreiten oder durch plötzlichen Wechsel entstanden sein, geringfügig oder grundsätzlich ausfallen. Zu häufig wird sie als ‚Funktionsverlust‘ definiert, doch in Wahrheit
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gen Sammeltätigkeit wird erneut hervorgehoben: so lange die Objekte weiterhin eine Funktion erfüllen, sind Bindungen und damit Bedeutungen möglich677. Es ist nötig, neue Funktionen der Dinge zu veranschaulichen. Eine Aufrechterhaltung bisheriger Funktionen ist dagegen nicht möglich, was Schulz deutlich macht: „In jedem Fall stellt das Sammeln von Kulturgut dieses immer in einen sekundären Kontext, selbst bei höchstwertigen Objekten, denen man eine nationale Bedeutung beimisst. Der primäre Kontext von Objekten ist nicht die Vitrine und noch weniger das Depot. Alles Kulturgut ist einem Kreislauf des Lebens entnommen, der aus einem komplexen Geflecht gesellschaftlicher Bezüge und Ebenen geprägt ist. Dieser Kreislauf produziert ständig neue kulturelle Güter und stößt andere ab.“678
Da ein solcher Kreislauf in institutionellen Sammlungen zum Erliegen gekommen ist und die Objekte in einer gewissen räumlichen Distanz sowohl zum Betrachter als auch zu anderen Dingen stehen, müssen dem Besucher neue Funktionen der Museumsbestände bewusst vermittelt werden. Betrachtet man vor diesem Hintergrund die in Kapitel 3.1 untersuchten Bedeutungsebenen, ist festzustellen, dass diese in öffentlichen Sammlungen sowohl durch die räumliche Distanz als auch durch zeitliche Einschränkungen des Betrachtens679 stark beschnitten werden. Die Wechselwirkung von Objekt und Mensch ist innerhalb eines institutionellen Rahmens auf Vermittlungsarbeit angewiesen. Öffentliche Sammlungen sind maßgeblich für eine mögliche Bedeutungsbildung verantwortlich und werden so „[a]ls Orte der Vermittlung und Reflexion von kultureller Identität [...] aktive Wissensstandorte“680. Beispielsweise können Objekte in institutionellen Sammlungen trotz der beschriebenen Distanz – eingeschränkt – als Mittel sozialen Verhaltens fungieren. Insbesondere ihre pädagogische Funktion lässt diesbezüglich Ding-Mensch-Bindungen zu. Ebenso müssen Funktionen als touristischer Anzie-
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handelt es sich um einen Funktions- und Nutzungswechsel, beziehungsweise um eine Neuzuordnung im System der Funktionen und Nutzungen.“, Gamboni, S. 27-28; von einem Funktionsverlust spricht dagegen Freedberg, S. 5; ebenso Groys, der zudem diesen Funktionsverlust als unwiderrufliche Beschädigung ansieht, Groys, S. 200; Fliedl spricht von einem „Traditionsbruch“ durch den Dingen entzogene „Funktions- und Deutungszusammenhänge“, Fliedl, S. 172, Belting wählt die präzisere Formulierung der „unbenutzbare[n]“ oder „nicht mehr benutzte[n]“ Dinge, Belting, S. 36; Hauser spricht übergeordnet von einer „Bedeutungsänderung“ und einem neuen „Bedeutungszusammenhang“, Hauser, S. 31. Vgl. Marshall/Gosden in Bezug auf eine Walzahnkette im Pitt Rivers Museum Oxford: „This object, sitting in its glass case, may seem static and isolated, but this is a misapprehension of museum objects and of objects generally. Despite their apparent stasis such objects are continually picking up new significances, connections and meanings.“, Marshall/Gosden, S. 170. Schulz, W., S. 17. Grasskamp hält diese zeitliche Beschränkung, die als großer Kontrast zur Dauerhaftigkeit der Objekte selbst empfunden wird, für den Besucher als schwer erträglich und dieses Problem als dem Museum seit seiner Entstehung innewohnend, Grasskamp 1997, S. 33. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 13.
320 | S AMMLUNGEN DES A DELS hungspunkt, als Werbemittel für einen Ort oder eine Institution oder als Forschungsobjekt in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Erinnerungsfunktionen, in Bezug auf ein gemeinsames historisches Gedächtnis, wohnen Objekten – vor allem in historischen oder kulturwissenschaftlichen Sammlungen – per se inne681. Am unmittelbarsten bleibt die Bedeutung von Porträts auch innerhalb institutioneller Sammlungen bestehen. Der Betrachter hat die Möglichkeit, in direkten visuellen Kontakt zum Objekt zu treten, der Inhalt bietet unverstellte Bindungsmöglichkeiten682. Im Gegensatz dazu haben Museumsobjekte ihre Bedeutung als Dinge des Wohnens völlig verloren und eine diesbezügliche Bindung ist nicht mehr möglich. Grundlage der möglichen Ding-Mensch-Bindungen ist grundsätzlich die Betrachtung, so dass für den Besucher Bindungen zu Objekten im Depot ausgeschlossen sind683 . Mitarbeiter einer Sammlung sind insgesamt wesentlich leichter in der Lage Bindungen zu Objekten aufzubauen684, wobei für diesen Vorgang vor allem das wiederholte In-Kontakt681 Beltings Hinweis verdeutlicht dies: „Der Begriff Museum bildet eine kleine Mythologie, wie es jeder anspruchsvolle Begriff tut: das Musaion war der Ort, an dem man die Musen verehrte, die Töchter der Mnemosyne oder Erinnerung.“, Belting, S. 36. 682 Vgl. Hoskins, die darauf hinweist, dass in westlichen Gesellschaften im Gegensatz zu anderen Kulturen Ding-Mensch-Bindungen häufig mit der bildlichen Repräsentation anderer Menschen gekoppelt ist, Hoskins, S. 190. 683 Vgl. Heisig, der von einem „Verlust der musealen Aussagekraft dieser Objekte“ spricht, Heisig: Sammeln und Entsammeln, S. 21; „Die unmittelbare repräsentative Rolle von Objekten in einem Sozialsystem, auch als verdinglichte Sinn- und Symbolvermittler, realisiert sich im institutionellen öffentlichen Museum nicht mehr, der Musealisierungsvorgang hat einiges verschoben, die Dinge entkleidet.“, Zacharias, Wolfgang: Zur Einführung. Zeitphänomen Musealisierung, in: Zacharias, S. 12. 684 Dies wird eindrucksvoll deutlich durch die Beschreibungen von Mitarbeitern des Metropolitan Museum of Art in New York: „The paintings I would be heartbroken to lose are a collection of portrait miniatures...“, Barrat, Carrie Rebora: „Jefferson, in a heartbeat...“, in: Danziger, S. 10; „I’ve been privileged to propose for acquisition a number of outstanding works of art over the years that I’ve been here, but probably the one with which I identify the most is Duccio’s Madonna and Child [...]. What makes it special is not the price that was paid for it [...]. No. There was something much more personal.“, Christiansen, Keith: „If you are not having a good time, please leave...“, in: Danziger, S. 46; „A curator should collect what the museum needs, but anyone who claims he isn’t affected by his own biases and preferences is lying. ... I have a lot of trouble with Modern Art. It’s just not my thing. It’s not that we don’t buy it, or I don’t support it, but I don’t personally respond to it very much; for me it lacks a literary context, which I miss. That’s just personal.“, Goldner, S. 75-76; „The exhibition lasts till Sunday, just two more days. It will be heartbreaking, truly heartbreaking, to pack this exhibition away. I don’t want the paintings to leave.“ , Kanter, S. 107; „I must put in a word for my favourite, Trebonianus Gallus. He’s this huge over-life-size bronze we have in the collection here. ... [a]nd he’s known by everyone as Pin Head because proportionately his body’s much larger than his head ... He has suffered over time. He was badly crushed, and he’s been reconstituted and has got patches on him. Also, we had to open him up to look inside [...] I feel rather sorry for him.“, Lightfoot, Christopher S.: „The trouble is, he’s lost the top of his head...“, in: Danziger, S. 130-131; „One which I dearly love is a Ming dynasty instrument called the
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Treten sowie eine bewusste Auseinandersetzung Voraussetzung sind. Kommt es jedoch zu Bindungen dieser Art, erleichtert dies die Vermittlungsarbeit, welche maßgeblich von der Präsentation der Sammlungsbestände abhängig ist685 . Auch Hauser weist darauf hin, dass Objekte in institutionellen Sammlungen durch ihre DingBiographie großes Potential bergen, weiterhin Bedeutungsträger zu sein686. Sie tragen durch bisherige Ding-Mensch-Bindungen, ihre Form und ihren Charakter als Sachzeugen in der Regel vielfältige Bedeutungsebenen in sich, welche (re)aktiviert werden können687. „Infolgedessen können im neuen Wahrnehmungshorizont des Museums die den Dingen inhärenten Funktionen und Bedeutungen – seien sie praktischer, ritueller, ästhetischer oder emotionaler Art – veranschaulicht werden. Artefakte werden im Museum zu Exponaten ihrer ursprünglichen Funktionszusammenhänge und Bedeutungskontexte.“688
Allerdings nutzen Museen häufig dieses Potential nicht voll aus, da sie – je nach ihrer Ausrichtung – nur ausgewählte Bedeutungsebenen sichtbar werden lassen689 . Die Vermittlung von Bedeutung wird weitgehend auf die visuelle Ebene beschränkt 690 . Die Vermittlung einer emotionalen Bindung zu den Objekten findet kaum statt691 . Durch die immer stärker werdende Tendenz zu kulturellen „Events“ werden Bindungen ebenfalls erschwert. Ding-Mensch-Bindungen sind eng verknüpft mit Bindungen von Menschen untereinander. Durch den erhöhten Anteil von Touristen und eine vermehrte Ausrichtung des Museumsangebots auf diese gehen jedoch regelmäßige Museumsbesuche (möglicherweise auch gemeinsame) zurück. Belting bemerkt, dass sich Museen auf diese Weise häufig zu Orten des Konsums entwickeln, obwohl sie stattdessen Orte der Begegnung und Diskussion sein sollten692 . Die von Jones in ihrem Vortrag im Rahmen des CIHA Kongresses 2012 thematisierte Unterscheidung von „Erlebnis“ und „Erfahrung“ im Zusammenhang mit Kunst693 verdeutlicht diese
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pi-pa, a fourstring lute. It is just a gorgeous, beautiful, wonderful object.“, Moore, J. Kenneth: „A boomy bass, a moderate middle section, and a kind of tinkly top section...“, in: Danziger, S. 161. Grote: Vorrede, S. 13. Vgl. Hauser, S. 31. Vgl. Hauser, S. 31. Hauser, S. 31; „Der Kontext, in welchen das Objekt eingebettet wurde, hat also medialen Charakter [...]“, Grote: Vorrede, S. 13. Hauser, S. 31. „In einer Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit entstanden neue Präsentationsformen. Die Bedeutung der Dinge sollte mit der Disposition vermittelt, für die Praxis hieß das: visualisiert werden ... Zugleich ist diese Disposition aber auch eine Vereinfachung der komplexen historischen Zusammenhänge.“, Becker, S. 172. Vgl. Freedberg, S. 430f. Vgl. Belting, S. 40f. Jones, Caroline A.: Event/Site, Vortrag 33. Internationaler Kunsthistorikerkongress in Nürnberg vom 15.-20. Juli 2012 (CIHA), Nürnberg, 19. Juli 2012, des Weiteren wies Jones auf die Problematik hin, dass im Englischen sowohl für „Erlebnis“ als auch „Erfah-
322 | S AMMLUNGEN DES A DELS Problematik eingeschränkter Ding-Mensch-Bindungen: „Erlebnis“ kann diesbezüglich als kurzfristiges Konsumieren von Objekten verstanden werden, welches allein im jeweiligen Moment stattfindet und mögliche Bindungen auf ebendiese Zeitdauer des Erlebens begrenzt. „Erfahrung“ setzt dagegen eine Entwicklung voraus, die über den Zeitpunkt des einmaligen Kontakts hinausreicht und damit das Entstehen von Bindungen fördert. Als „Event“ gestaltete Ausstellungen, die vorrangig Touristen anlocken, sind aufgrund der Betonung von Einmaligkeit als „Kunsterlebnis“ zu verstehen. Belting verwendet den Begriff des Erlebnisses ebenfalls in diesem Zusammenhang und fasst zusammen: „Der Service wird wichtiger als das Produkt im Museum, das Erlebnis wichtiger als die Kennerschaft. Das kulturelle Erbe wandelt sich in ein Thema der Kulturindustrie.“694 Die durch diesen Trend geringere Möglichkeit der Erfahrung von Objekten im Museum reduziert das Entstehen von Bindungen und damit deren Fähigkeit, identitätsbildend zu sein695. Die Bildung und Festigung von Identitäten gehört jedoch zum Potential von Museen und zu deren regionaler Aufgabe696. Ein Beispiel für die Möglichkeit der „Kunsterfahrung“ ist die National Gallery of Ireland in Dublin. Diese bietet aufgrund ihrer Lage und zwei Eingängen sowie der Tatsache, dass dort kein Eintritt erhoben wird, die Möglichkeit, einen Gang durch die Ausstellungsräume in den Alltag zu integrieren. Die ausgestellten Objekte werden in verschiedenen persönlichen Situationen immer wieder erlebt, Bindungen auf diese Weise gefördert. Zweifellos hat die als Gegensatz zur „Event“-Kultur verstandene Kunsterfahrung eine lokale Komponente. Wiederkehrende gemeinschaftliche Erfahrungen dieser Art sind Voraussetzung zur Herausbildung von kultureller Identität. Eine solche kann zudem durch die regionale Verankerung der im Museum präsentierten Objekte gefördert werden697. Erneut kann die National Gallery of Ireland als Beispiel herangezogen werden: für die regionale und nationale Identität bedeutende Sammlungsbestandteile werden durch ihre räumliche Anordnung hervorgehoben (Werke irischer Künstler, die „Yeats Collection“, die „National Portrait Collection“) und als Objekteinheiten innerhalb des Gesamtbestandes erfahrbar. Es wird deutlich, dass die Verknüpfung von Objekten mit regionaler Kulturentwicklung identitätsfördernd wirken kann698. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Objektbestände mit ausschließlich regionalem Bezug – wie beispielsweise Heimatmuseen – grundsätzlich Bindungen fördern und zur kulturellen Identität beitragen. In diesen Museen hemmt häufig der Bruch zwischen ehemaliger Funktion und heutiger nachahmender Präsentation sowie die Fülle
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rung“ nur das Wort „experience“ zur Verfügung steht, so dass diese Unterscheidung im englischsprachigen Raum schwer zu verdeutlichen ist. Belting, S. 35; des Weiteren verknüpft auch er das Wort „Erfahrung“ mit zeitlicher Dauer: „Es [das Museum] hat den wahren Auftrag, einer Kunst, die heute nicht mehr entsteht, eine fortdauernde Präsenz zu verleihen und damit die Erfahrung von Kunst in einem überzeitlichen Atem aufrecht zu erhalten.“, Belting, S. 38. Auch Mai stellt fest, dass Museen die Funktion als Identitätsstifter verloren haben, Mai, S. 4. Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 45. Vgl. Belting, S. 42; vgl. Pomian 1998, S. 8. Auch Gillman weist darauf hin, dass die Einbettung von Sammlungen in das kulturelle Leben ihres Standortes interessante Einsichten ermöglichen kann, Gillman, S. 51.
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der Exponate die Objekterfahrung699. Trotz dicht gedrängter Sammlungsbestände können Objekte in diesen Fällen isoliert wirken700. Durch die Rekonstruktion verlorener Funktionen wird der Eindruck von Leblosigkeit verstärkt, welcher im Kontrast zum Leben des Besuchers steht und die Bildung von Bindungen erschwert. Wenn Busch von „zu historischen Belegstücken degradierten Kunstwerke[n]“701 spricht und fragt: „Verstaubter, toter Plunder, nun in anderem Sinne ‚museal‘, ‚museifiziert‘?“702 , weist dies auf die Problematik einer Museumskultur hin, in welcher Objekte durch das Ignorieren des oben beschriebenen zwangsläufigen Funktionswechsels an ihrer biographischen Endstation angelangt sind. In diesem Zusammenhang sind des Weiteren die bereits erwähnten „heritage sites“ zu nennen. Diese scheinen vordergründig zur Bildung kultureller Identität beizutragen, erschöpfen sich jedoch häufig in einem weiteren Erlebnisangebot, welches zudem nicht selten vernachlässigt, dass authentische Objekte Voraussetzung für entsprechende Ding-Mensch-Bindungen sind703. Der Besucher hat die Sensibilität für diesen Unterschied häufig verloren704. Wie auch Erlebnismuseen, welche weitgehend ohne originale Objekte auskommen, scheinen vordergründig sogar die Waren des Museumsshops einen leichteren Zugang zu bieten als die Exponate selbst705. 699 Vgl. Nienhaber, S. 66; vgl. Belting, S. 38. 700 Dies gilt vor allem für Museen, deren Konzept seit Jahrzehnten nicht überarbeitet wurde bzw. werden konnte. Hauser beschreibt eine Entwicklung von streng systematisierten Museumskonzepten in der Nachkriegszeit zu einer stärkeren Betonung der Vermittlungsarbeit seit den 1970er Jahren, welche seitdem durch vielschichtige Museumskonzepte mit multimedialer Ausrichtung noch verstärkt wurde, vgl. Hauser, S. 40ff. 701 Busch, G., S. 224. 702 Busch, G., S. 224. 703 De Groot weist auf diese Funktion von „heritage sites“ hin. Seine Aussage unterstreicht die o.g. Problematik des Wortes „experience“: „Living history sites emphasize their location-specific importance, suggesting that in contrast with the anonymised virtual access that a user might undertake in a visit to a traditional museum, it is still important to bodily experience the past.“, de Groot, S. 100. 704 „Wir verlieren in der Informationsgesellschaft die physischen Dinge und ihre Aura, die Dinge, die im gleichen Raum existieren, in dem sich auch unsere Körper bewegen. Dinge, die ein eigenes Leben und eine eigene Geschichte haben, Dinge, welche die verlorene Zeit ihrer Entstehung in der heutigen Zeit unserer Betrachtung spiegeln. Sie verleihen einem Blick Bedeutung, der sich nicht im Augenblick erschöpft .“, Belting, S. 38. 705 Grasskamp sieht dies in der Möglichkeit zum Berühren und Kaufen begründet, da beides im Museum unterdrückt wird, Grasskamp 1997, S. 33; de Groot weist zudem darauf hin, dass schließlich Internetshops großer Museen die Funktion von Museen ad absurdum führen, da der Käufer eine scheinbare Teilhabe an kulturellem Leben ohne jegliche intellektuelle oder ästhetische Erfahrung – ohne jeglichen Kontakt zum Kulturgut selbst – erwirbt, vgl. de Groot, S. 97; dies steht im völligen Kontrast zum Souvenir als authentisches Erinnerungsobjekt, wie es Brock in seiner reinsten (und heute völlig undenkbaren, jedoch gleichzeitig noch illegal praktizierten) Form beschreibt: „Bereits für die Epoche des Hellenismus (ca. 300 v. Chr.) belegen antike Quellen, dass die Reisenden kleine Stückchen von Statuen oder Bauwerken abbrachen, um sie als Erinnerungsstücke mit nach Hause zu nehmen.“, Brock, S. 20.
324 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Aus den ‚Stellvertreterobjekten‘ der Kunstwarenwelt kann sich der Besucher sein eigenes Musée imaginaire zusammenstellen, und gerade die ‚unbrauchbaren‘ Objekte unter der Bedingung ihrer doppelten Entkontextualisierung (aus ursprünglichen Gebrauchs- und Symbolisierungszusammenhängen und aus dem Museumskontext genommen) sind es, an die sich private Erinnerung anlagern und dem Besuch als solchem Distinktion und Gedächtnis verleihen können.“706
Während Fliedl/Sturm hier die Entstehung von Ding-Mensch-Bindungen in einer Entkontextualisierung begründet sehen, ist vielmehr der Hinweis auf die Schaffung eines „eigenen Museums“ (und damit einer Privatsammlung) zu betrachten: Nicht die Entkontextualisierung, sondern die Schaffung eines persönlichen Kontextes und dauerhaften Kontakts ermöglicht Bindungen zu den Waren des Museumsshops. Diese Dinge wachsen damit über ihre Rolle als Stellvertreter hinaus und übernehmen die Funktionen der Originale, deren Bindungspotential nicht ausgeschöpft wird. Es ist festzuhalten, dass öffentliche (institutionelle) Sammlungen, welche den heutigen Sammlungsbegriff prägen, in sämtlichen Aspekten des Sammelns von der Idee des kulturellen Erbes geleitet werden. Die Aufgaben des Anhäufens (regionalen Bündelns), öffentlichen Zeigens und Bewahrens treten jedoch – vor allem durch die Anforderungen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein – in Konkurrenz zueinander. Eine dynamische Sammeltätigkeit, welche der Sammlung Objekte hinzufügt und Objektabgaben, also Elemente des Entsammelns, beinhalten kann und derart die Sammlungsobjekte sowohl in neue Ding-Mensch-Bindungen als auch Ding-DingBeziehungen setzt, findet nur mit einem geringen Teil der Sammlungsbestände statt. Die ständige Beschäftigung der Institutionen mit den ihnen anvertrauten Objekten in Form einer wissenschaftlichen Erforschung sollte der bestmöglichen Vermittlung von Bedeutungsebenen sowie der Förderung einer verstärkten Objekterfahrung dienen707. Das Original muss diesbezüglich im Mittelpunkt stehen. Wie auch in Bezug auf Kulturgüter- und Denkmalschutz wird deutlich, dass die Bewahrung des kulturellen Erbes nur durch ausreichend Fachpersonal und Vermittlungsarbeit ermöglicht werden kann. Je stärker öffentliche Sammlungen als Wirtschafts- und/oder Dienstleistungsunternehmen wahrgenommen werden, desto eingeschränkter sind sie in der Erfüllung ihrer eigentlichen Aufgabe. 3.3.2 Private Sammlungen „Ein Sammler kann mit seiner Sammlung machen, was er will; ein Konservator nicht.“708 Mit dieser Feststellung bringt Pomian den wichtigsten Unterschied zwischen institutionellen und privaten Sammlungen auf den Punkt. Auch der Umkehrschluss, nämlich, dass ein Museumsmitarbeite – zumindest in seiner beruflichen Tä706 Fliedl, Gottfried/Sturm, Martin: Einleitung, in: Fliedl/Giersch/Sturm/Zendron, S. 8. 707 Diese kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Objekt betont auch die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen: „Objektbezogene Forschung in Museen ist prinzipiell nie zu Ende so wie auch die prominente kulturelle Funktion von Museen als Erfahrungs-, Vermittlungs- und Reflexionsräume kultureller Identität immer wieder neu erfüllt werden muss.“, Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 17. 708 Pomian 1990, S. 51.
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tigkeit – kein Sammler ist, muss diesbezüglich mitgedacht werden. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts stellte man den Ansprüchen an Museumssammlungen, welche einem Konzept – einer Ordnung – folgen sollten, die Freiheit privater Sammlungen gegenüber709, welche ihre Prägung durch die persönlichen Vorlieben des Sammlers erhalten710 . Private Sammlungen gab es bereits in der Antike, sie haben damit eine weitaus längere Tradition als die, historisch betrachtet, noch jungen institutionellen Sammlungen und trugen bis zu deren Entstehung maßgeblich zur Bewahrung der Kulturgüter bei, die heute als kulturelles Erbe verstanden werden711. Seit der Frühen Neuzeit wurde an nahezu jedem Fürstenhof gesammelt, wobei individuelle Sammlungen entstanden, die dem Geschmack des Sammelnden entsprachen. Neben dem Fürsten selbst konnten dies ebenfalls die Fürstin, seine Kinder oder weitere Angehörige des Hofes sein. Im 18. Jahrhundert begannen nach diesem Vorbild auch den Höfen nahe stehende Personen eigene Sammlungen zusammenzutragen712. Die Verbreitung privater Sammlungen wurde zudem durch eine Ausdehnung des internationalen Handels gefördert713 . Mit dieser Entwicklung verknüpft, entstand etwa zur gleichen Zeit eine bürgerliche Tradition der Kunstförderung und die Möglichkeit für Reisende, diese bürgerlichen Privatsammlungen zu besuchen714. Einige wohlhabende Sammler – wie beispielsweise Senckenberg und Städel – verknüpften ihre private Sammeltätigkeit mit der Idee eines öffentlichen Auftrags und legten fest, dass ihre Sammlungen in Form von Stiftungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und bewahrt wurden715 . Schon früh bildeten sich einige Unterschiede zu den fürstlichen Sammlungen heraus, da beispielsweise aus Platzgründen vorrangig kleinere oder mittelgroße Gemälde erworben wurden716 . Auch Kleinobjekte mit hohem materiellen Wert waren beliebt717 . Die einzelnen Sammler standen häufig in Kontakt zueinander, und es bildeten sich durch die gemeinsame Freude an ihren Objekten
709 Vgl. Anderson, die diesbezüglich Giovanni Morelli zitiert, Anderson, S. 389. 710 „Das Sammeln – und dazu gehört insbesondere auch das Sammeln kultureller Güter – ist dem Ursprung nach keine öffentliche, sondern eine private, persönliche Angelegenheit. Sammlungen sind stets die Spiegel individueller Neigungen und Prägungen von Persönlichkeiten, in deren Sammelleidenschaft ein eigenes, unverwechselbares Profil zum Ausdruck kommt.“, Sladeczek, Franz-Josef/Müller, Andreas: Sammeln ist Privatsache, in: Sladeczek/Müller, S. 17. 711 Vgl. Sax 1999, S. 60. 712 Vgl. Calov, S. 26; zu Einzelbeispielen früherer Privatsammlungen vgl. Calov, S. 48ff. 713 Vgl. Gillman, S. 50. 714 Vgl. Calov, S. 27 und S. 29. 715 Vgl. Calov, S. 32f; ein späteres Beispiel ist die Sammlung Kestner, die 1884 zur Gründung des Kestner-Museums führte, vgl. Calov, S. 120-122; im Falle Städels war die Gründung einer Stiftung zur Bewahrung seiner Sammlung nicht an die Bedingung der unveränderlichen Bewahrung geknüpft, so dass von 495 Gemälden 365 verkauft wurden. Nicht seine persönliche Sammlung blieb im Ganzen erhalten, sondern sie diente als ein finanzieller Grundstock weiterer Sammeltätigkeit, vgl. Calov, S. 34. 716 Vgl. Calov, S. 37; vgl. von Holst, S. 160. 717 Gemmen, Münzen, kleinformatige Bronzen, vgl. Pomian 1994, S. 110.
326 | S AMMLUNGEN DES A DELS Mensch-Mensch-Bindungen718. Im 19. Jahrhundert galten private Sammlungen des gehobenen Bürgertums als Statussymbole, da dessen soziale Stellung gegenüber dem Adel an Bedeutung gewann719. Nicht selten wurden solche Privatsammlungen jedoch durch die Fürsten erworben und Bestandteil der sich entwickelnden Museen, wie es beispielsweise in Berlin mit der Sammlung Giustiniani und in Hannover mit Teilen der Sammlung Hausmann der Fall war720 . „Noch eine andere Veränderung machen die Privatsammlungen durch. Sie verlieren für das große Publikum an Bedeutung von dem Augenblick an, als dieses Museen besuchen kann. Wenn sie nicht gerade professionellen Wissenschaftlern gehören, sind sie auch von der Aufgabe entlastet, Erkenntnisse zu liefern. Sie brauchen keine Rücksicht mehr auf die Forderungen einer Ordnung zu nehmen, die Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erhebt; ihre Besitzer haben die Freiheit, sich daran zu halten, aber nichts hindert sie daran, von der gewohnten Ordnung abzugehen und die Dinge so aufzustellen wie es ihnen gefällt.“721
Im Sinne der Kunstförderung behielten private Sammlungen durch steigenden Reichtum des gehobenen Bürgertums Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch ihre Bedeutung722. Eine private Sammlung ist – abgesehen von wenigen Ausnahmefällen, in welchen beispielsweise allein der materielle Wert der Sammlung im Vordergrund steht723 – eng verknüpft mit dem persönlichen Geschmack des Sammlers. Die ausgewählten Werke sind daher häufig von unterschiedlicher Qualität, und nicht jedes einzelne Objekt entspricht den Voraussetzungen, die für die Aufnahme in eine institutionelle Sammlung erfüllt sein müssten. Sax stellt jedoch fest, dass Privatsammlungen gerade aus diesem Grund ein repräsentatives Bild der für die Gesellschaft interessanten Objekte festhalten:
718 Vgl. Pomian 1994, S. 120; Gillman weist auch auf die Rolle von philosophischen und wissenschaftlichen Gesellschaften hin, Gillman, S. 50. 719 „Man bemächtigt sich einer vergangenen Kultur zur eigenen Identifikation, richtet seine Privaträume wie Museen ein, um mit alten Meistern an der Wand die nicht vorhandenen bedeutenden Vorfahren zu kompensieren, und kultiviert ein fürstliches Ambiente in der privaten Abgeschiedenheit.“, Hermsen, S. 43. 720 Die Sammlung Giustiniani ist heute Teil der Staatlichen Museen Berlin; Teile der Sammlung Hausmann wurden durch Georg (V.) von Hannover gekauft, zeitweise öffentlich gezeigt und waren bis 2005 im Besitz des Hauses Hannover, vgl. Calov, S. 67 und S. 104; zur Sammlung Hausmann, vgl. Bungarten, Gisela: Das Welfenmuseum in Hannover: Seine Sammlungsgeschichte und seine Bewahrung durch den Ankauf im Jahre 1955, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 58. 721 Pomian 1994, S. 120. 722 „In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde eine kleine Schicht des deutschen Bürgertums so reich, dass sie eine Rolle übernehmen konnte, die bisher nur den regierenden Fürsten oder reichen Adelsfamilien zukam; die des Mäzens, des Vermittlers und des Anregers des kulturellen Lebens.“, Johann/Junker, S. 86. 723 Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurden Sammlungen auch als finanzielle Rücklage angelegt, vgl. Pomian 1994, S. 125.
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„Plainly mania, vanity, and self-importance are common among collectors, and the true connoisseur is exceptional. Yet the public needs the collector and needs collecting to remain a private function, reflecting private desires. The result is the oddity of private parties who are effectively custodians of objects that are vital to the public agenda.“724
Um ein solches Bild zu zeichnen, ist es allerdings nötig, die gesamte Bandbreite von Sammlungen – die des Kunstkenners bis zur Bierdeckelsammlung – zu betrachten725. Unabhängig von der Beschaffenheit einer Privatsammlung liegt dieser das Ziel der Vermehrung von Besitz (des Anhäufens) zugrunde. Der Sammler ist in der Ausführung dieses Zieles jederzeit in der Lage, seine Sammelprinzipien zu verändern oder aufzuheben. Er kann jegliches Objekt zu seiner Sammlung zufügen oder aus dieser aussondern726 . Der Wunsch nach sich ausdehnendem Besitz sowie der Vorgang des Anhäufens als leidenschaftliche Tätigkeit führen jedoch dazu, dass private Sammlungen in der Regel stärker anwachsen als aus selektiven Gründen reduziert werden. In modernen Gesellschaften sind eine Vielzahl von Dingen bewusst zur Kurzlebigkeit konzipiert. Des Weiteren werden Produkte derart gestaltet, dass sie gleichzeitig globale Absatzmärkte bedienen und durch auffällige Form zum Kaufen anregen727. Selbst die zeitgenössische Kunstproduktion und der Kunstmarkt bleiben von dieser Kombination aus Schnelllebigkeit und Kalkulation nicht unbeeinflusst, so dass sich dem Sammler, je nach Interesse und finanzieller Möglichkeit, unzählige Sammelgebiete eröffnen. Die häufig als „rückwärtsgerichtet“ und „der Vergangenheit verhaftet“ beschriebene Tätigkeit des Sammelns728 ist durch diese Schnelllebigkeit und die Vorstelllung zukünftiger oder beständiger Werte in den einzelnen Objekten zu einer Tätigkeit des „Hier und Jetzt“ geworden. Jeder Einzelne hat die Möglichkeit, durch seine Sammlung eine eigene Dingwelt zu bewahren und wählt – gerade durch die unerschöpfliche Auswahl – diejenigen Objekte, welche für sie/ihn größtes Potential zum Aufbau von Bindungen bergen729 . Vorrangig dienen private Sammlungen dieser Freude des Sammlers an der persönlichen Auswahl von Objekten, so dass auch das Zeigen in diesem Zusammenhang betrachtet werden muss. Ein Sammler kann Freude daran haben, seine Sammlung in einem privaten Umfeld zu zeigen und damit anderen Menschen zeitweilig Anteil an dieser zu gewähren. Wie jegliches Ei724 Sax 1999, S. 62. 725 Pomian weist in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass jeder Naturgegenstand, von dessen Existenz die Menschen Kenntnis haben, und jedes Artefakt, wie sonderbar es auch immer sein mag, in irgendeiner Privatsammlung oder einem Museum zu finden ist.“, Pomian 1998, S. 13. 726 „By creating their own categories, all collectors create their own rarities.“, Alsop, S. 74. 727 Vgl. Dorfles, S. 5 und S. 7. 728 Hermsen sieht den Sammler (vor allem denjenigen des 19. Jahrhunderts) als der Vergangenheit und dem Schönen zugewandten Menschen, wohingegen er den Mäzen als zukunftsorientiert beschreibt, Hermsen, S. 49; er stellt fest, dass sich diese Rollen heute weitgehend angeglichen haben, Hermsen, S. 189. 729 „Objekte sind Garanten der Erinnerung; in einer Zeit rasanten sozialen und kulturellen Wandels – insbesondere alltäglicher Lebensverhältnisse vermitteln sie Vertrautheitserlebnisse.“, Korff/Roth, S. 14; vgl. Muensterberger, S. 37.
328 | S AMMLUNGEN DES A DELS gentum enthalten Privatsammlungen jedoch vor allem Aspekte der Abgrenzung730 . Sax Hinweis, dass ein Zerstörungs-Verbot sowie ein Zugänglichkeits-Gebot für Privatsammlungen (beides gibt es im deutschen Recht im Falle zahlreicher Kulturgüter nicht) zwar Einschränkungen für den Sammler bedeuten würden, dessen Hauptinteresse jedoch nicht beeinträchtigt731 , ist diesbezüglich kritisch zu betrachten. Die Vorstellung von Eigentum ist in westlichen Gesellschaften nahezu untrennbar mit schrankenloser und vor allem exklusiver Nutzungsmöglichkeit verbunden. Je stärker das Eigentum als einzigartig wahrgenommen wird, desto stärker gelingt die Abgrenzung zu anderen Personen oder Personengruppen. Dies gilt vor allem für Objekte, welche nicht nur für den Sammler selbst732, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung als einzigartig gelten733. Die Einzigartigkeit wird durch die Demonstration alleiniger Nutzungsrechte gesteigert, welche seit Beginn des 20. Jahrhunderts den sozialen Status des Besitzers unterstreichen. Nicht mehr die Öffnung der Sammlungen und das Zeigen derselben sollen den Ruhm des Eigentümers verdeutlichen, sondern stattdessen die Möglichkeit des Hortens zum Eigengebrauch734 . Diese Haltung wird durch die Ausnahme vereinzelter Leihgaben eher hervorgehoben als gemindert, da der Privatsammler jederzeit in der Lage ist, das Objekt der Öffentlichkeit wieder zu entziehen. Für das Objekt selbst bedeutet dies, dass der Eintritt in eine Privatsammlung zwar als Zäsur in der Ding-Biographie zu werten ist, jedoch nicht als deren Endpunkt. Durch eine Vielzahl an Nutzungsmöglichkeiten, welche allein im Ermessen des Sammlers liegen, ergeben sich ebensoviele Möglichkeiten von Ding-MenschBindungen (ohne dass diese jedoch per se gewährleistet sind). Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, verfolgen viele Privatsammler den Wunsch, der Nachwelt durch ihre Sammlung in Erinnerung zu bleiben (was posthumes Zeigen beinhaltet). Aus diesem Grund ist die Frage nach Maßnahmen der Bewahrung, wie dem Verbleib der Sammlung und deren Bestand als Einheit in der Zukunft, für Sammler von zentraler Bedeutung735. Die Übergabe einer privaten Sammlung an eine 730 Sax zitiert einen britischen Sammler: „There won’t be any riff-raff coming in, standing on the Persian carpets. The only purpose in creating wealth like mine is to separate oneself from the riff-raff. This is a private museum for me.“, Sax 1999, S. 64-65. 731 Als solche Hauptinteressen zählt er auf: „[...] the pleasure and prestige of acquisition and association; use and enjoyment (virtually) all the time; and the opportunity to benefit from potential increase in monetary value.“, Sax 1999, S. 68. 732 Dieses Gefühl der Einzigartigkeit basiert auf persönlichen Bindungen und ist demzufolge mit einer persönlichen Bedeutung zu vergleichen, nicht jedoch mit Bedeutung allgemein, vgl. Raz, S. 25 und S. 38f; der Wert der Einzigartigkeit kann einem Objekt jedoch auch durch ein scheinbar einzigartiges Aussehen zugeschrieben werden, vgl. Raz, S. 30. 733 Vgl. Kapitel 3.1: Der Wert der Dinge sowie Die Sonderstellung der Kunst; vgl. Pomian, der auf die Bedeutung der Kunst aufgrund ihrer innewohnenden Seltenheit hinweist, Pomian 1998, S. 87f. 734 Sax erwähnt die Entwicklung von frühen Sammlungen, wie beispielsweise der Medici, welche der Öffentlichkeit gezeigt wurden, über die sich öffnenden Adelssammlungen, zu den öffentlichen Sammlungen der Aufklärung bis hin zu den Industriellensammlungen des 20. Jahrhunderts, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind/waren, Sax 1999, S. 71. 735 Die Gründe für diesen Wunsch nach Erinnerung können vielfältig sein und beispielsweise in einem Gefühl der Zurückweisung zu Lebzeiten begründet sein, wie im Fall der
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institutionelle Sammlung wird in der Öffentlichkeit positiv bewertet. Müller stellt fest, dass diesbezüglich „auf die immer wieder aufflackernde Debatte über die Berechtigung von privatem Besitz von Kunst [und Kulturgut, Anm. U.S.] an sich hingewiesen werden [muss]. Der Vorwurf geht dahin, dass der Privatbesitz von Kunst [und Kulturgut, Anm. U.S.] einer Art privater ‚Hortung‘ gleichkomme und damit in kulturpolitischer Sicht unerwünscht sei.“736 Hintergrund dieser Problematik ist die mit der Idee des kulturellen Erbes verknüpfte Forderung einer öffentlichen Zugänglichkeit von Kulturgut. Grundsätzlich schließen sich privater Besitz und öffentliche Zugänglichkeit trotz des Wunsches nach Abgrenzung nicht aus, da vor allem temporäre Ausstellungen diese sogar steigern können737 . Allerdings müssten als Voraussetzung die Kenntnis über die Existenz der Sammlung(sbestandteile) sowie vor allem die Einhaltung von Erhaltungsvorkehrungen als weitere Forderungen der Idee des kulturellen Erbes erfüllt sein738. Bewahrungsmaßnahmen können in privaten Sammlungen nicht grundsätzlich vorausgesetzt werden, selbst wenn der Sammler ein Interesse am Erhalt der Bestandteile zeigt. Unwissenheit und ungeeignete Lagerungsbedingungen sind diesbezüglich größere Schadensfaktoren als eine (wie auch immer geartete) Nutzung der Objekte: Objekte in Privatsammlungen unterliegen in der Regel nicht den gleichen Bewahrungsmaßnahmen wie diejenigen in institutionellen Sammlungen. Es gibt keine vergleichbar großen Unterschiede zwischen Ausstellungs- und Depotraum. Je nach Objektart werden die Sammlungsbestandteile entweder in den Lebensraum des Sammlers integriert oder in einem gesonderten Raum (oder Schrank) verwahrt. Doch auch im zweitgenannten Fall ist von einem regelmäßigen direkten Kontakt auszugehen. Je stärker die Sammlung – räumlich und praktisch – in das Leben des Sammlers integriert ist, desto schwieriger ist die Umsetzung bestmöglicher konservatorischer Verhältnisse für jedes einzelne Objekt. Während für institutionelle Sammlungen ein stabiles, möglichst genau abgestimmtes, Klima, geringe Lichteinstrahlung, minimale Bewegung und keine direkte Berührung das Ziel sind, gilt dies für den privaten Sammler nicht. Dessen Objekte erleben in den Wohnräumen jahreszeitlich bedingte Klimaschwankungen, den Wechsel von Tages- und Kunstlicht, werden je nach Bedarf verrückt, umgehängt oder –gestellt, und gerade die direkte Berührung kann zu durch einen unehelichen Sohn aus der Familie ausgeschlossenen Henriette Amalie Prinzessin von Anhalt-Dessau, Kölsch, Gerhard: Von Frankfurt am Main nach Dessau. Prinzessin Henriette Amalie von Anhalt-Dessau als Begründerin und Stifterin einer späten Universalsammlung, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 43. 736 Müller, S. 321; weitgehend werden private Sammlungen jedoch akzeptiert, vgl. Sax 1999, S. 63. 737 Vgl. Müller, S. 321; Sax weist auf eine außergewöhnliche Ausstellung des Metropolitan Museum of Art in New York hin, welche private Sammlungen im Sommer 1967 – während der Urlaubszeit der Eigentümer – ausstellte, Sax 1999, S. 66; vgl. http://www.met museum.org/pubs/bulletins/1/pdf/3258989.pdf.bannered.pdf; Sladeczek zählt in Bezug auf Kunst eine – wie auch immer geartete – Verbindung zur Öffentlichkeit zu den Aufgaben des Sammlers und schreibt diesem eine gewisse Verantwortung zu, Sladeczek, S. 38 und S. 41. 738 Vgl. Sax 1999, S. 65.
330 | S AMMLUNGEN DES A DELS den größten Glücksmomenten des Besitzers gehören. Dieser alltägliche Umgang mit den Objekten hat für den Privatsammler identitätsbildende Bedeutung: „Das Gliedern von Lebenszeit, das Erinnern und Orientieren an Hand von Dingen und das InBeziehung-Setzen einzelner Objekte zu einem Bestand von Objekten im räumlichen Umfeld, das seine eigene Geschichte hat, sind unverzichtbare Voraussetzungen für das Zeit- und Ortsgefühl, das persönliche Daseinsbewusstsein und die Überzeugung, eine Spur in diesem Kontinuum zeitlicher, räumlicher, dinglicher und sozialer Bezüge zu hinterlassen, das man ‚Alltag‘ nennt.“739
Gerade durch diesen lebensnahen Gebrauch werden Ding-Mensch-Bindungen gefördert, welche grundsätzlich zu Bewahrung führen können. Eine solche Bewahrung ist jedoch nie mit der möglichst unverändernden und dauerhaften Bewahrung institutioneller Sammlungen vergleichbar. Des Weiteren liegt in der freien Behandlung privater Sammlungen die Gefahr der Zerstörung von Kulturgut, und damit ist die Benutzung eines „Rembrandts als Dartscheibe“ theoretisch möglich740 . Sammler und Sammlung sind im Falle der Privatsammlungen eng miteinander verbunden. Dies kann neben dem Wunsch nach Erhaltung aus persönlichen Gründen auch zu Veränderungen des Sammlungsbestandes und mit diesen verbunden zum Entsammeln führen, wenn sich der Geschmack des Sammlers verändert. Im Gegensatz zu institutionellen Sammlungen werden allerdings einzelne Verkäufe von Sammlungsbestandteilen aus Privatbesitz weitgehend unkritisch betrachtet, und selbst Verkäufe ganzer Sammlungsbestände741 werden vorrangig als Chance der öffentlichen Hand zu deren Erwerb wahrgenommen, so dass die Kritik gering bleibt. Die von Müller als „Selbstverständlichkeit“ bezeichnete Möglichkeit eines Privatsammlers, „jederzeit und uneingeschränkt über seine Sammlung verfügen“742 zu können, wird weitgehend als solche anerkannt743. Einschränkungen des Kulturgüterund Denkmalschutzes treten diesbezüglich in der öffentlichen Wahrnehmung hinter das Recht auf Eigentum zurück744. Durch den Auswahl- und Erwerbsprozess – und auch die in der Möglichkeit des Aussonderns beinhaltete ständige Entscheidung für den Besitz eines Objektes – sind die Biographien der gesammelten Dinge mit der Biographie des Sammlers direkt verknüpft. Unmittelbare und sich wiederholende Kontakte können Bindungen zudem
739 Selle/Boehe, S. 41. 740 Vgl. Sax 1999, S. 1. 741 Der Verkauf ganzer Sammlungen ist keine seltene Begebenheit und v.a. nach dem Tod des Besitzers für die Erbnehmer die einfachste Möglichkeit, das Erbe – auch finanziell – zu teilen, vgl. auch Pomian 1998, S. 15. 742 Müller, S. 323; „Genau so wie bei anderen Vermögenswerten kann er seine Sammlung oder Teile davon wann und an wen er auch will (sei es an ein bestimmtes öffentliches Museum, an den Staat, an Verwandte, an eine ihm nahe stehende Person ausserhalb der Verwandtschaft etc.) verschenken, Werke veräussern oder zur Auktion bringen.“, Müller, S. 323. 743 Vgl. Sax 1999, S. 60. 744 Vgl. Kapitel 2.2.
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stärken, indem das Objekt betrachtet, berührt oder benutzt wird745. Durch den oben erwähnten Glauben an die Einzigartigkeit eines Gegenstandes werden diese Bindungen ebenfalls gefestigt746. Im Zusammenhang mit dem Ziel der Abgrenzung wurde bereits darauf hingewiesen, dass private Sammlungen als Mittel sozialen Verhaltens fungieren können747 . Dies gilt in gesteigertem Maß, wenn diese innerhalb der Wohnräume des Sammlers untergebracht sind und damit sowohl dessen Alltag als auch seine Lebensweise prägen. Der Erwerbsvorgang ermöglicht dem Sammler zudem den Eintritt in Gruppen Gleichgesinnter, beispielsweise bei Auktionen, in Galerien, Märkten und Sammlerbörsen. Er kann sich – auch unabhängig von seiner beruflichen Ausbildung – zum anerkannten Experten auf seinem Sammelgebiet entwickeln und genießt soziales Ansehen durch den Kontakt zu Fachleuten. Sammlungen von Personen mit beruflich bedingter Öffentlichkeitswirkung können das Image des Unternehmens beeinflussen, auch wenn – oder gerade weil – sie dem persönlichen Geschmack des Sammlers unterliegen748 . Die Aneignung von Objekten ist zudem Ausdruck von Macht: je größer der Wert ist, welcher dem jeweiligen Objekt zugeschrieben wird, desto stärker wird dieser Machtgewinn auch von anderen wahrgenommen749. Neben dem Aspekt der Erinnerung an die eigene Person durch eine Sammlung können Objekte privater Sammlungen Erinnerungsträger für den Sammler sein. (Kunst-)Sammlungen gehen nicht selten auf eine Familientradition zurück, so dass die Objekte zum mehrere Generationen umfassenden Zusammenhalt beitragen können. Einzelne Objekte sowie ganze Sammlungen können Erinnerungsträger für einen Ort sein, ebenso für eine biographische Begebenheit des Sammlers oder mit diesem verbundene Personen. Dies gilt im Besonderen für Porträts, welche in Privatsammlungen in der Regel Familienangehörige zeigen. Anders als in institutionellen Sammlungen können Objekte in Privatsammlungen gleichzeitig als Dinge des Wohnens genutzt werden. In der Regel sind diese häufig im oder in der Nähe des Wohnraumes positioniert, so dass sie das Lebensumfeld maßgeblich prägen. Die Gegensätze privater zu institutionellen Sammlungen sind vielfältig und betreffen sämtliche Aspekte des Sammelns vom Anhäufen, Zeigen, Bewahren, Entsammeln und der Möglichkeit zur Entstehung von Bindungen. Der grundlegende Un745 Diese Möglichkeit ist eine der größten Unterscheidungen zu Dingen in institutionellen Sammlungen, so dass Pomians Aussage nur für diese gilt: „Wir können demnach für gesichert halten, dass Gegenstände, die Sammlungs- oder Museumsstücke werden, einen Tauschwert besitzen, aber keinen Gebrauchswert.“, Pomian 1998, S. 18. 746 Vgl. Raz, S. 25. 747 Hermsen beschäftigt sich ausführlich mit diesem Aspekt: „Sammeln und Mäzenatentum [...] bilden beides Formen sozialen Handelns und Verhaltens, die sich auf bestimmte Felder konzentrieren, sich spezifischer Mittel bedienen und nur im Rahmen eines breiten sozialen- und kulturgeschichtlichen Spektrums näher bestimmt werden können.“, Hermsen, S. 41. 748 Hermsen beschreibt, dass der Sammler diesbezüglich seit dem 20. Jahrhundert freier agiert und sich stärker von durch den Beruf vorgegebenen Sammelkonventionen gelöst hat, Hermsen, S. 247. 749 Objekte, die aus dem Besitz mächtiger Personen stammen, werden diesbezüglich als besonders wertvoll und die eigene Macht erhöhend betrachtet, vgl. Muensterberger, S. 100.
332 | S AMMLUNGEN DES A DELS terschied liegt diesbezüglich in der Bewertung von Objekten sowie der dieser zugeordneten Vorstellung einer angemessenen Nutzung. Gamboni verdeutlicht diese Verbindung: „Dass jeder Eingriff, was auch sein Zweck sei, Veränderungen nach sich zieht, ist in der Tatsache begründet, dass es auf physischer, technischer und ästhetischer Ebene keine Bewahrung ohne Transformation gibt; was unterschiedlich ausfallen mag – und gewiss von Bedeutung ist – sind Art, Ausmaß und Dauerhaftigkeit dieser Veränderungen. Soweit es um ‚schlechte Behandlung‘ geht, scheint es – unter Berücksichtigung möglicher Diskrepanzen zwischen Intention, Auswirkung und Beurteilung – besser von ‚Missbrauch‘ oder ‚Fehlnutzung‘ zu sprechen, weil damit begrifflich verdeutlicht wird, dass es sich um eine Form der ‚Nutzung‘ oder des ‚Gebrauchs‘ handelt und dass die Unterscheidung zwischen ‚Missbrauch‘ und ‚Gebrauch‘ davon abhängt, was zu einer bestimmten Zeit, für ein bestimmtes Objekt, eine bestimmte Person und die jeweiligen Umstände als ‚richtiger Gebrauch‘ definiert ist.“750
Zusammengefasst ist der einem Objekt zugeschriebene Wert ausschlaggebend für dessen Behandlung, und Thompsons Objektkategorien der vergänglichen Objekte, des Abfalls sowie der dauerhaften Objekte unterstreichen dies751. Mit Eintritt in eine Museumssammlung wird ein Objekt nach heutiger Meinung grundsätzlich der Kategorie des Dauerhaften zugeordnet. Jeder händische Gebrauch wird als „Missbrauch“ gewertet, da er den mit zunehmendem Alter steigenden Wert beeinträchtigen könnte. Während beispielsweise Baseball-Sammelkarten im Museum752 ebenso konservatorisch behandelt werden wie Druckgraphiken eines bekannten Künstlers, ist es möglich, dass eine Baseballkarten-Sammlung außerhalb einer solchen Institution als Gruppe vergänglicher Objekte immer wieder durch die Hände des Sammelnden und seiner Freunde geht, um schließlich bei nachlassendem Interesse in die Kategorie des Abfalls zu wechseln. Selbst wenn Kunst ein gewisser Grundwert innewohnt, ist diese ebenfalls nicht davor geschützt, zu Abfall zu werden, da grundsätzlich auch ästhetische Urteile für die Kategorisierung – und damit den Erhalt – von Objekten verantwortlich sind753 . Somit erhält ein jeder privater Sammler die Macht der Kategorisierung und damit zusammenhängenden Entscheidung über „Gebrauch“ oder „Missbrauch“754 . Privatsammlungen tragen dazu bei, dass sich Objekte zwischen den Polen „vergänglich“ bis „dauerhaft“ bewegen können, was wiederum zur Veränderung von Macht und Status führen kann755.
750 Gamboni, S. 26. 751 Thompson erklärt dies am Beispiel so genannter „Stevengraphs“, Thompson, S. 35; vgl. Kap. 3.1. 752 Wie beispielsweise im Metropolitan Museum of Art New York, vgl. Goldner, S. 75, 753 Vgl. Thompson, S. 49. 754 An einem Beispiel macht Thompson deutlich, dass entscheidend sein kann, wer diese Urteile fällt: „Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die Ansichten derjenigen, die ein klassizistisches Landhaus nicht von einer neugotischen Pfarrei unterscheiden könnten, in diesem Streit belanglos sind (es sei denn, sie wären gleichzeitig der Besitzer, der Kaufinteressent oder der zukünftige Abbruchunternehmer).“, Thompson, S. 152. 755 Vgl. Thompson, S. 163.
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Der private Sammler ist damit aktiv daran beteiligt, Objekte des kulturellen Erbes zur – zumindest zeitweiligen – Bewahrung auszuwählen756. Er reagiert diesbezüglich wesentlich schneller auf die Veränderungen der Dingwelt757, als dies institutionellen Sammlungen möglich ist. Während institutionelle Sammlungen zudem rein wissenschaftlichen Auswahlkriterien folgen, sind diese für den Privatsammler vielfältiger: statt vorrangig qualitativ hochwertige Belegstücke zu sammeln, ist er in der Lage, seine Objekte ebenfalls in Verbindung zu kuriosen Ausnahmen zu stellen758. „Für die Moderne ist [...] die Delegierung der Wissensverwaltung an Institutionen (Archiv, Museum, Bibliothek) konstitutiv. Der moderne (Privat-)Sammler markiert daher eine exzentrische Position: Er verwaltet als Einzelner kulturelles Wissen, und zwar häufig solches Wissen, das exzentrisch zum Offizialwissen steht.“759
Der Privatsammler entscheidet durch seine Auswahl und die Einordnung in ein System selbst, welche Objekte jeglicher Art zu Sammelobjekten werden760, während institutionelle Sammlungen durch die geringere Flexibilität eines solchen Systems auswählen, die bereits Sammelobjekte sind. Kommt es schließlich zur Eingliederung privater Bestände in eine institutionelle Sammlung, verlieren diese den Charakter einer Privatsammlung761 . Bei Aufnahme der Sammlung in eine Institution nach dem 756 In Bezug auf Kunst weist Sladeczek darauf hin, dass sowohl Marcel Duchamp als auch Goethe dem Sammler eine ähnlich bedeutende Rolle wie dem Künstler zuschreiben, da dieser „die zweite Hälfte eines Kunstwerks“ ausmache, Sladeczek, S. 28; dies ist auf Kulturgut allgemein übertragbar, da – wie bereits deutlich wurde – dessen Wahrnehmung und Auswahl ebenso entscheidend für eine zukunftsorientierte Bewahrung ist wie die Entstehung des Objekts. 757 Immer schnellere Veränderungen alltäglicher Formen mit paralleler Reduzierung regionaler sowie nationaler Eigenarten in der Dingwelt, vgl. Dorfles, S. 4f; vgl. Pomian 1994, S. 119. 758 „Die Vorliebe für das insolito, das Ungewöhnliche, war in diesen Sammlungen [der Frühen Neuzeit, Anm. U.S.] nicht getrennt von empirischen oder historischen Interessen. Diese Unentschiedenheit, das Ineinander von Magie und Akribie, ist auch noch typisch für den modernen Sammler, und unterscheidet ihn vom Positivismus der Museen, für deren systematische Sammlungen er oft genug den Grundstock lieferte.“, Asendorf, S. 39; vgl. Sladeczek, S. 48. 759 Assmann/Gomille/Rippl: Einleitung, S. 13; Rippl spricht außerdem von einer „kulturellen Werthierarchie“, in welcher das kulturelle Gedächtnis sich aus den in Bibliotheken, Museen, Archiven gesammelten Dingen zusammensetzt, die dort aufgrund ihrer Wertschätzung aufbewahrt werden, „wohingegen sich der profane Bereich einer Kultur aus den Dingen zusammensetzte, die nicht in den jeweiligen kulturellen Archiven erfasst sind.“, Rippl, S. 240; dem ist jedoch nur bedingt zuzustimmen, da die privaten Sammlungen eine weitere Stütze des kulturellen Gedächtnisses bilden und zudem institutionelle Sammlungen immer stärker für Alltagskultur geöffnet werden. 760 Vgl. Alsop, S. 75. 761 Ebenso wird eine private Sammlung institutionalisiert, wenn der Sammler für diese ein Museum errichtet, vgl. Heskia, Thomas: Die Villa Albani. Ein Prototyp des privaten Sammlermuseums, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhun-
334 | S AMMLUNGEN DES A DELS Tod des Sammlers werden die Objekte zwar in der Regel als geschlossener Bestand innerhalb des Gesamtbestandes bewahrt. Sie unterliegen nun aber den gleichen Bedingungen wie sämtliche andere Museumsobjekte und werden gleichzeitig in einer unveränderlichen Zusammenstellung erhalten. Eine weitere Möglichkeit ist die Eingliederung der Einzelobjekte in den Gesamtbestand, wodurch die eigentliche Sammlung in ihren Teilen zwar erhalten, in ihrer Gesamtheit jedoch aufgelöst wird. Die Vorkehrungen des Privatsammlers zur Zukunftssicherung seiner Sammlung können daher nicht verhindern, dass diese nach seinem Ableben eine Veränderung erfährt762. Sowohl zu Lebzeiten eines Sammlers als auch nach seinem Tod ist die Aufnahme seiner Sammlung in eine öffentliche Sammlung auch von Seiten dieser Institution schwierig: häufig können nur Einzelobjekte aufgenommen werden, so dass der Bestand auseinandergerissen wird763. Nicht selten liegen die Vorstellungen eines Privatsammlers für den Verbleib seiner Sammlung und die Möglichkeiten oder Interessen eines Museums zu weit voneinander entfernt764. Trotz dieser Problematik spielen private Ankäufe, Stiftungen und Sammlungen für öffentliche Kultureinrichtungen eine immer größere Rolle765, und nicht selten ist es aufgrund von Platz und Finanzmangel für die institutionellen Sammlungen schwierig, die ihnen übertragenen Kulturgüter in ihren Bestand zu integrieren766. In Europa gilt daher noch eine grundsätzlich skeptische Haltung institutioneller Sammlungen gegenüber Privatsammlern, welche beispielsweise in den USA nicht zu beobachten ist, wo vielfältige Kooperationen zum gemeinsamen Sammlungsalltag gehören767. Insgesamt bleiben private Sammlungen von der Idee des kulturellen Erbes weitgehend unbeachtet und erregen nur vereinzelt (bei Verkäufen oder Übergängen in institutionelle Sammlungen) Aufsehen. Weder die unveränderliche Bewahrung noch
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dert, S. 74; nur wenige Sammlermuseen versuchen bewusst sich dieser Institutionalisierung zu entziehen, vgl. beispielsweise das umstrittene MONA - Museum of Old and New Art des Sammlers David Walsh in Tasmanien, welches mit herkömmlicher Kunstpräsentation bricht, MONA – Museum of Old and New Art, www.mona.net.au; insgesamt gibt es eine wachsene Bereitschaft von Sammlern, private Museen zu errichten, welche möglichst eng mit der eigenen Person verbunden sind, vgl. Sladeczek, S. 46; dies ist jedoch vor allem eine Frage finanzieller Möglichkeiten, vgl. Sladeczek, S. 50. Kölsch verdeutlicht dies am historischen Beispiel der Sammlungen Henriette Amalies von Anhalt-Dessau, welche in einer Stiftung für die Zukunft bewahrt werden sollten. Die Stiftung schützte jedoch nicht vor Vernachlässigung und teilweisem Verkauf, vgl. Kölsch, S. 43. Vgl. Sladeczek, S. 43. Vgl. Sladeczek, S. 45. Grasskamp sieht in dieser Entwicklung eine Vernachlässigung der staatlichen Verantwortung, welche sich Privatleute zu Nutzen machen, er weist zudem darauf hin, dass man diese Entwicklung, welche häufig als modernes Mäzenatentum bezeichnet wird, nicht als solches bezeichnen kann, da der Mäzen Künstler fördert, nicht aber Objekte bereits etablierter Künstler vom Kunstmarkt erwirbt, um sie in öffentliche Hände zu übergeben, wie dies heute häufig der Fall ist, Grasskamp 1981, S. 95f. Neue Museumsbauten oder -anbauten stellen damit eine weitere Konkurrenz zu den bereits bestehenden Sammlungsbeständen dar, vgl. Grasskamp 1981. Vgl. Pomian 1998, S. 8.
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das öffentliche Zeigen werden von diesen Sammlungen gefordert, so dass dynamische Sammeltätigkeiten wie Anhäufen und Entsammeln sowie Ding-MenschBindungen vielfältig möglich sind. Private Sammler tragen zu einer flexiblen und aktuellen Bewahrung des kulturellen Erbes bei, garantieren jedoch nicht die Dauerhaftigkeit der Objekte. Der Wunsch nach einer Erhaltung der Sammlungsbestände ist jedoch am Versuch, diese für die Zukunft in institutionelle Sammlungen zu überführen, ablesbar und könnte bereits zu Lebzeiten des Sammlers zu einer Verbesserung der physischen Erhaltung sowie der öffentlichen Zugänglichkeit genutzt werden, ohne dass der private Charakter aufgelöst wird. Private Sammlungen sind im Zusammenhang mit dem Erhalt von Kulturgütern bisher wenig erforscht, deren Potential noch nicht erkannt. Privatsammlungen sowie institutionelle Sammlungen können daher miteinander kooperieren und sich im Erhalt des kulturellen Erbes ergänzen, wie es Schuster in der Beschreibung eines Idealzustandes darstellt: „Die Sammler kaufen dort, wo die Knappheit öffentlicher Mittel die Handlungsfähigkeit der Museen einschränkt. Im Gegenzug bieten die Museen, durch den Reichtum bereits vorhandener Bestände ausgezeichnet, den neuen Sammlungen eine ideale Heimstätte, in der die Neuankäufe, konservatorisch und wissenschaftlich hervorragend betreut, einer weiten Öffentlichkeit glanzvoll und bedeutsam präsentiert werden können.“768
Sowohl die eine als auch die andere Art des Sammelns konstruiert und festigt Objekten eingeschriebene Bedeutungsebenen769 durch die Zuschreibung sowie den Erhalt von Werten770. Sammlungen sind durch die ihnen zugrunde liegenden Ding-Menschund Ding-Ding-Bindungen für die Bewahrung des kulturellen Erbes unerlässlich771 .
768 Schuster, Peter-Klaus: Vorwort, in: Luig, Sibylle/Steingräber, Cristina Inês (Hrsg.): Das Geschenk der Kunst – Die Staatlichen Museen und ihre Sammler (The Gift of Art – The National Museums in Berlin and their Collectors), Berlin, Wolfratshausen 2005, S. 6. 769 Alsop beschreibt diesen Vorgang in Bezug auf Kunstwerke und macht deutlich, dass diese Objekte unabhängig von ihrer Funktion gesammelt werden: „Whenever and wherever art collecting has begun, works of art, or at least certain classes of art, have become ends in themselves; and they have therefore been collected without regard to usefulness or lack of use.“, Alsop, S. 37; dies schließt mögliche Funktionen nicht aus, diese sind in institutionellen Sammlungen jedoch stärker eingeschränkt. 770 Vgl. Alsop, S. 49; vgl. Reulecke, S. 145. 771 Alsop beschreibt anhand des Kunstsammelns diese Bedeutung, welche übertragbar ist auf das Sammeln sämtlicher kultureller Güter: „[...] art collecting, the basic component of the system, is the essential key to any history of the system as a whole.“, Alsop, S. 32; Alsop bezeichnet das Sammeln von Kunst als Nebenprodukt von Kunst, welches wiederum weitere Nebenprodukte hervorbringt: „Art History“, „The Art Market“, „Art Museums“, „Art Faking“, „Revaluation“, „Antiques“, „Super-prices“, Alsop, S. 16.
336 | S AMMLUNGEN DES A DELS 3.4
S AMMLUNGEN DES A DELS – C HARAKTERISTISCHE M ERKMALE E NTWICKLUNG IM 20. J AHRHUNDERT
UND
„Es ist ja keineswegs so, als habe der Adel im heutigen Sinne gewusst, dass er Kunst sammelt. Im Kontext der feudalen Sammlerarbeit waren Objekte, die wir heute als Kunstwerke ansehen, sowie solche, die uns als Kunsthandwerk gelten, zwar, wie Pläne von Kunst- und Wunderkammern belegen, entweder als Malerei oder ‚Artificiel‘ verbucht, sie konnten aber auch bei den ‚Antikvitets‘ auftauchen [...]“772 W. GRASSKAMP
Sammlungen herrschender Adelsfamilien bildeten – wie im vorigen Kapitel deutlich wurde – den Grundstock für zahlreiche unserer heutigen Museen in Deutschland. Die Fürsten selbst hatten Teile ihres Besitzes gemäß der sich entwickelnden Idee des kulturellen Erbes und regionaler/nationaler Identitätsbildung in Institutionen überführt. Diese wurden im Zuge der Demokratisierung und schließlich der Umwälzungen im/nach dem Jahr 1918 zu Einrichtungen der öffentlichen Hand. Die adligen Familien besaßen jedoch über die Sammlungen dieser Museen hinaus, sowohl vor 1918 als auch danach, weitere große Objektbestände. Ausstattungsgegenstände, Gemälde sowie Kunstgewerbe bilde(te)n damals, und zum Teil noch heute ein für den Hochadel selbstverständliches Umfeld. Durch den stark auf institutionelle Sammlungen sowie auf Objektbestände mit hohem Kunstwert fokussierten heutigen Sammlungsbegriff werden diese Bestände in ihrer Gesamtheit nicht als Sammlungen wahrgenommen773. Die Verwendung des Begriffs Ansammlung suggeriert eine Minderwertigkeit dieser Bestände. Begründet wird dies durch qualitative Unterschiede sowie die Heterogenität der Objekte in Bezug auf Gattung, Machart und Herkunft. Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass diese eingeschränkte Sichtweise im Zusammenhang mit der Frage nach einer Bedeutung der Dinge nicht aufrechtzuerhalten ist. Auch in Bezug auf Gründe des Sammelns und Sammlungen wurde deutlich, dass weder materiell oder wissenschaftlich begründete Wertzuschreibungen noch Homogenität der Objekte Voraussetzung für die Bildung von Sammlungen sind, sondern stattdessen deren gemeinsame Funktion Hintergrund des Zusammentragens ist. Kriterien für das Entstehen von Ansammlungen sind dagegen fehlende oder verlorene Nutzungsmöglichkeiten sowie der Verlust von Bindungen. Wie im vorigen Kapitel für öffentliche (institutionelle) Sammlungen sowie Privatsammlungen dargelegt, werden im Folgenden Adelssammlungen in Hinblick auf die mit Sammlungen verbundenen Tätigkeiten Anhäufen, Zeigen, Bewahren, Entsammeln sowie Ding-Mensch-Bindungen untersucht werden. Ohne an dieser Stelle
772 Grasskamp 1981, S. 81. 773 Graf weist außerdem darauf hin, dass Sammlungen des Adels an „heutigen ästhetischen Maßstäben“ gemessen werden, die jedoch den „Ensemble-Charakter gewachsener Sammlungen“ nicht erfassen, Graf 2005, S. 182.
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die Entwicklung von Adelssammlungen vor 1918 umfassend darlegen zu wollen, ist es zum Verständnis möglicher Brüche oder Kontinuitäten nötig, diese für Sammlungen wesentlichen Aktivitäten zunächst für die Zeit adliger Herrschaft aufzuzeigen. Im Anschluss soll deutlich gemacht werden, inwiefern es nach 1918 diesbezüglich zu Veränderungen kam. 3.4.1 Sammlungen des Adels vor 1918 Bereits im Mittelalter trug der Adel Besitz zusammen, um innerhalb der Gesellschaft eine gehobene Stellung zu verdeutlichen. Vor allem der Besitz von Dingen aus kostbaren Materialien oder von Dingen des Komforts diente der Abgrenzung sowohl zu anderen Gesellschaftsschichten als auch innerhalb der Adelshierarchie. Grundsätzlich waren materiell hoch bewertete Objekte wie beispielsweise Gold- und Silbergeschirr sowie Gefäße aus Metall beliebt, um einerseits einen hohen sozialen Status zu verdeutlichen und andererseits aufgrund der Möglichkeit, diese einschmelzen zu können774. Wenn auch diese Art des Anhäufens kaum Gemeinsamkeiten zu heutigen institutionellen Sammlungen aufweist, ist die zweifache Funktion als Statussymbol und Vermögensanlage wesentliches Merkmal zahlreicher heutiger Privatsammlungen. Diese Doppelfunktion ist Grundlage typischer Sammelgebiete des Adels, wie beispielsweise der seit der Renaissance beliebten Münzsammlungen775 . Gleichzeitig zeigen die genannten Beispiele bereits, dass in Adelssammlungen sämtliche Sammelaktivitäten, vom Anhäufen über das Zeigen und zeitweise Bewahren bis hin zur Möglichkeit des Entsammelns, beinhalten. Die Bandbreite der in diese Aktivitäten eingebundenen Objekte geht jedoch weit über diese materiell hoch bewerteten Sammelbereiche hinaus. Anhäufen I In Beschreibungen von und Untersuchungen zu Sammlungen des Adels findet bisher kaum Beachtung, dass der Hochadel über Jahrhunderte ein Leben der Fülle führte, für welches ein ständiger Vorgang des Anhäufens Voraussetzung war. Da heute als Wertmaßstab für Sammlungen Qualität immer vor Quantität steht, wird diese Perspektive rückblickend auch auf die Sammlungen des Adels angewendet. Eine solche Sichtweise verkennt jedoch, dass die Anzahl der zur Verfügung stehenden Dinge in zahlreichen Lebenssituationen entscheidend war und daher Quantität durchaus Vorrang vor Qualität haben konnte. Der Ankauf sowohl von (aus heutiger Sicht) „wertvollen“ als auch „weniger wertvollen“ Objekten scheint nicht unüblich gewesen zu 774 „Da Silber- und Goldservice nicht nur als Geräte und Tafelzier, sondern zugleich auch als wertbeständige Edelmetallvorräte geschätzt wurden, waren sie grundsätzlich der Gefahr ausgesetzt, für einen neuen Verwendungszweck eingeschmolzen zu werden.“, Walz, Alfred: Das Hildesheimer Silberservice, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 72; vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 29; vgl. Pomian zu den Schatzkammern des Adels, Pomian 1998, S. 46. 775 Laut Leschhorn wurden Münzen seit dem 16. und 17. Jahrhundert an jedem europäischen Fürstenhof gesammelt, Leschhorn, Wolfgang: Die Münzsammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums. Ursprünge und Bestand bis zum Jahre 1806, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 47-60.
338 | S AMMLUNGEN DES A DELS sein. Kopien und Nachahmungen von kostbaren Materialien sowie im Bereich der Kunst wurden weniger streng beurteilt, als dies heute der Fall ist776 . Das Anhäufen hatte dabei Auswirkungen auf sämtliche Lebensbereiche und diente nicht allein der Repräsentation777 : „Den zur Schau gestellten Luxus als ‚Verschwendung‘ abzutun, läßt die Hintergründe der höfischen Prachtentfaltung jedoch allzu sehr außer acht. Die Höfe dienten nicht nur der Selbstdarstellung der Monarchen bzw. der Landesfürsten, sondern trugen auch zur Beförderung von Handel und Gewerbe, Kunst und Kultur, Bildung und Wissenschaft bei.“778
Sie waren darüber hinaus komplexe soziale Gefüge, deren Mitglieder stets bemüht waren, ihre „Rolle zu spielen“ oder über diese hinauszuwachsen. Becker erwähnt, dass sich die „Anweisungen an die Kämmerer [der Dresdner Sammlungen im 18. Jahrhundert] primär auf die genaue Kenntnis der Quantität [Hervorhebung U.S.] des Besitzes richteten.“779 Die der Stellung einer Person angemessene Menge von Dingen spielte eine zentrale Rolle, und das Zeremoniell des 17./18. Jahrhunderts legte diesbezüglich selbst die Anzahl von Räumen genau fest780 . Das höfische Leben war zudem von der Notwendigkeit geprägt, bestimmte Dinge zu sammeln: Für die Betonung einer Stellung auch außerhalb des eigenen Wohnsitzes unverzichtbar war ein häufiger und detailreicher Kleidungswechsel. Die Garderobe wurde genau auf den jeweiligen Anlass abgestimmt, so dass entsprechend viele Kleidungsstücke und Accessoires benötigt wurden781. 776 Burke beschreibt die Vorgehensweise Colberts, welcher für Ludwig (XIV.) von Frankreich Kunstgegenstände ankaufte: „Colberts Korrespondenz gibt Aufschluss über seine Methoden, bis hin zu seiner Pfennigfuchserei, seiner Vorliebe für Gipsabdrücke und Kopien, die billiger waren als Originale [...]“, Burke, S. 74; Fink spricht im Zusammenhang mit der Salzdahlumer Gemäldesammlung, welche den Grundstock für das heutige Herzog Anton Ulrich-Museum bildete, von vielen Kopien, Fink 1967, S. 32; vgl. auch Calov, S. 9; Anderson weist auf zahlreiche falsche Zuschreibungen in Adelssammlungen hin, vgl. Anderson, S. 376; die Räume der Villa Thun, welche Marie Prinzessin von SachsenAltenburg Königin von Hannover als Witwensitz diente, wirken aus heutiger Sicht auf Fotos sehr vollgestopft. Sie sammelte Porzellanfiguren und mischte dabei „wertlose“ mit „wertvollen“ Objekten, woraus zu schließen ist, dass auch in diesem Fall die Fülle wichtiger war als der finanzielle Wert, vgl. Steckhahn, S. 57f; vgl. von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 11. 777 Im Gegensatz zur Meinung Olmis, der davon ausgeht, dass „der massive und wahllose Erwerb – Quantität vor Qualität – von Objekten und besonders von Antiquitäten“ einem „ostentativen Zurschaustellen“ diente, Olmi, S. 179. 778 Hofmann, Andrea/Klingebiel, Thomas: „Auf daß ein jeder nach seiner Arth gut, jedoch haushälterisch gespeiset werde“. Der Hildesheimer Hofstaat des Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen (1763-1789), in: Boetzkes/Seelig, S. 42. 779 Becker, S. 65. 780 Vgl. Kotzurek, S. 12. 781 Demel weist für das 13. und 14. Jahrhundert auf Kleidung als Merkmal des Adels hin sowie darauf, dass dessen modische Vorlieben im 16. und 17. Jahrhundert sehr schnell wechselten, so dass entsprechend häufig neue Garderobe gebraucht wurde, Demel, S.
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Abbildung 12: Porträt Ferdinands Prinz von Braunschweig-WolfenbüttelBevern Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Johann Georg Ziesenis, um 1755
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
In den eigenen Räumen war das Sammeln ausgewählter Dinge zudem essentiell: Vor der Einführung elektrischen Lichts war beispielsweise die Beleuchtung ein wesentlicher Faktor innerhalb der Wohnquartiere des Adels. Was heute ausschließlich der Dekoration dient und im Zusammenhang mit Adelssammlungen häufig als solche betrachtet wird, war damals die einzige Lichtquelle, so dass die Fülle an Kerzenhaltern und Leuchtmitteln entscheidend für die Lebensqualität und Zeichen für den sozialen Status war782 . Für festliche Veranstaltungen war die Anzahl der benötigten Kerzen 54ff; Carl (I.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von BraunschweigWolfenbüttel listete in einem frühen Inventar seiner Besitztümer neben „Medaillen“ und „Kleinodien“ auch „Kleider“ auf, was deren Wert verdeutlicht, Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 205; für eine Jagdgesellschaft des 19. Jahrhunderts wurden pro Tag vier Kleider benötigt, welche auch an den folgenden Tagen nicht erneut getragen werden konnten, von Marlborough, S. 142; Gräfin Keller beschreibt verschiedene Stufen der Trauerkleidung und weist damit auf die benötigte Kleidungsvielfalt hin: „Wir behalten die tiefe Trauer, nur ohne Schleier und Schnebbe, noch bis Anfang April, dann tragen wir noch drei Monate schwarze Seide und darauf drei Monate Halbtrauer, also weiß, grau, lila.“, von Keller, S. 127; zur Hochzeit Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg wurden acht Wäschefirmen zur Herstellung der Aussteuer (bestehend aus Leibwäsche, Strümpfen, Handschuhen, Mänteln, Kleidern und mehr) beauftragt, vgl. Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 99; sie verfügte als Herzogin über eine Schatulle von jährlich 68.000 Mark, 1915 gab sie 24.500 Mark für Garderobe aus, 1917 12.000 Mark, Otte, S. 140. 782 Der Status des Nutzers war sowohl an der Menge als auch an den Qualitätsunterschieden zwischen Talg- und Wachskerzen bzw. zwischen verschiedenen Wachsarten ablesbar, vgl. Newton, S. 118f; selbst nach Einführung von Spiritus- oder Öllampen waren im 19. Jahrhundert Wachskerzen noch immer die häufigste Lichtquelle im Braunschweiger Re-
340 | S AMMLUNGEN DES A DELS enorm783. Spiegel konnten genutzt werden, um Licht zu reflektieren, und deren zur Verfügung stehende Menge war, ebenso wie die Zahl der Lichtquellen, Gradmesser für Wohlstand und Ansehen784. Des Weiteren erhöhte die Reflexion von Licht in Silberobjekten deren Glanz und konnte so auf die Kostbarkeit der weiteren Ausstattung hinweisen785 . Möbel wurden in der Regel in größeren Mengen und aufeinander abgestimmt hergestellt oder erworben786, was ebenfalls bei thematisch zu einem Raum passenden Gemälden der Fall sein konnte787. Jagdtrophäen verdeutlichten das Jagdprivileg des Adels. In großer Anzahl waren sie Beweise für ausgedehnte Ländereien sowie die Fähigkeiten der männlichen Familienmitglieder auf diesem Gebiet788. Tafelgeschirr und -zubehör in unterschiedlichen Abstufungen der Kostbarkeit waren Voraussetzung für eine (festliche) Tafel789 . Gemäldegalerien, Porzellankabinette und
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sidenzschloss, Wedemeyer/Willemsen, S. 139; die ausführliche Beschreibung der verschiedenen Leuchtertypen auf acht Seiten bei Wedemeyer/Willemsen verdeutlicht deren Bedeutung, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 137ff. Newton nennt die Anzahl von 24.000 Kerzen, welche 1739 in Versailles für einen großen Ball benötigt wurden, Newton, S. 122. Newton erwähnt beispielsweise, dass 1766 das Gesuch eines Königlichen Oberkämmerers in Versailles um den Erhalt mehrerer Spiegel mit der Begründung abgelehnt wurde, dass die geforderte Anzahl nicht einmal im Schlafgemach des Königs angebracht würde, Newton, S. 131; Moser widmet den Spiegeln einen eigenen Paragraphen und befindet: „In alle anderen Zimmer gehören Spiegel [...]“, Moser, Friedrich Carl von: Teutsches Hof-Recht, 2. Band, Frankfurt und Leipzig 1761, online abrufbar über Digitale Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern: ub-goobi-pr2.ub.uni-greifswald.de, S. 309. „Unter den aufwendigen Geschenken, die an den Höfen dargebracht und ausgetauscht wurden, beanspruchten die Gegenstände aus Silber und Gold hohen und höchsten Rang. Schon das Material selbst zeichnet sich durch seinen hellen Glanz aus, der besonders im flackernden Kerzenlicht höfischer Feste wirkungsvoll zur Geltung gelangte.“, Seelig: Huldigungspräsente, S. 12; vgl. auch Seelig, Lorenz: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, Einleitung, in: Boetzkes/Seelig, S. 108; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 149. Vgl. Kotzurek, S. 136; vgl. Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 112; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 24f. Die Gemäldeverwalter arbeiteten meist auch als Händler, so dass der Verwalter Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel über 100 Blumenstücke besaß, die vermutlich für ein Blumenzimmer geplant, dann aber doch nicht angekauft worden waren, Fink 1967, S. 75. Vgl. Graf zum Stellenwert dieser Sammlungsteile für den Adel, Graf 2005, S. 182; vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 119. Die Möglichkeit, am Hof von Versailles eine Tafel halten zu können, führte zu gesellschaftlicher Macht, indem Personen ein- oder ausgeladen und platziert werden konnten, vgl. Newton S. 40f; die Zahl der Gedecke sowie die Ausgestaltung derselben spielte durchaus eine Rolle, vgl. Newton, S. 57f; „Das umfangreichste Service, das Meißen im 18. Jahrhundert ausgeliefert hat, ist das ursprünglich aus 2200 Einzelteilen bestehende Schwanenservice des Grafen Brühl [...]“, Jedding, S. 13; Seelig beschreibt im Zusammenhang mit dem Silberservice Friedrich Wilhelms Freiherr von Westphalen Fürstbischof von Hildesheim und Paderborn ebenfalls die nötige Menge zur Ausrichtung stan-
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Jagd- oder Waffenzimmer waren allesamt auf die Gesamtwirkung möglichst vieler Objekte ausgerichtet, so dass Fink über die Gemäldesammlung im Schloss Salzdahlum schreibt: „Der Bildersaal von Salzdahlum geht auf Massenwirkung aus. Sie ist nur durch eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber den besonderen Werten des einzelnen Kunstwerks zu erzielen.“790 Darüber hinaus gab es dort über 8.000 ostasiatische Porzellangefäße und über 1.000 italienische Majoliken791 . Auch im Zusammenhang mit der Sammlung kunstgewerblicher Objekte August Wilhelms Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel im Braunschweiger „Grauen Hof“ spricht Fink von einem „Bild der Anhäufung“792. Selbst die Architektur unterlag diesem Anspruch, so dass die „en enfilade“ angelegten Räume ebendieses Bild der Fülle unterstrichen793 . Schließlich ermöglichten die Medien der Druckgraphik und des Buchdruckes nahezu die Erfüllung des Wunsches nach Vollständigkeit und nach dem Erfassen der gesamten Welt in komprimierter Form und vermittelten damit das Gefühl unendlicher quantitativer Ausdehnung des Besitzes794. Die großzügige Raumsituation sowie finanzieller Wohlstand führten dazu, dass Sammlungen des Adels diesem Wunsch nach Masse entsprechen konnten. Olmi erwähnt seit dem 16. Jahrhundert übliche Großtransporte von Objekten, sowohl für die Kunstsammlungen als auch für die Ausstattung von Schlössern und Gärten, aus Italien an die deutschen Höfe795. Dort wurde stetig und in großen Mengen Besitz angehäuft, so dass beispielsweise nach starken Verlusten der Berliner Kunstkammer im Dreißigjährigen Krieg beim Ausbau des Schlosses durch Andreas Schlüter bereits wieder neun Räume mit entsprechenden Objekten gefüllt werden konnten796 . Auch Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel vergrößerte seine Kunstsammlung
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desgemäßer Tafeln, Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, S. 103f. Fink 1967, S. 32; vgl. auch Calov, S. 8. Brüderle, Nicole/Luckhardt, Jochen: Braunschweiger Tafelkultur, in: Kulturstiftung der Länder. Patrimonia 350, S. 98. Fink 1967, S. 42; die Aussage von Alvenslebens/Reuthers in Bezug auf das Arbeitszimmer Sophies Prinzessin von der Pfalz Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Kurfürstin von Braunschweig-Lüneburg (von Hannover) in Herrenhausen ist ähnlich: „Reichtum und Schwere der Dekoration stehen wie im Spiegelzimmer in keinem Verhältnis zu den kleinen Abmessungen des Raumes.“, Alvensleben, Udo von/Reuther, Hans: Herrenhausen. Sommerresidenz der Welfen, Hannover 1966, S. 42. Vgl. Kotzurek, S. 30. Schnitzer spricht davon, dass ein „schier unerschöpfliches Bildreservoir“ entstand, Schnitzer, Claudia: Das Dresdner Kupferstich-Kabinett im 18. Jahrhundert. Von der höfischen Vorlagen- und Dokumentationssammlung zum öffentlichen Kunstmuseum, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 111; der gleiche Universalitätsanspruch findet sich in der Bibliothek Augusts (II.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel, vgl. Fink 1967, S. 33; vgl. Büttner, Andreas: Die Sammlungen der Herzöge des Neuen Hauses Braunschweig bis zur Gründung des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 32. Olmi, S. 179. Dokumentationsteil, in: Dokumentation Ausstellung Berlin, S. 42.
342 | S AMMLUNGEN DES A DELS stetig, so dass diese in zahlreichen Anbauten untergebracht werden musste797 . Im 18. Jahrhundert befanden sich allein in den Kabinetten des Witwensitzes Antoinette Amalies Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel über 1.000 Objekte (Porzellane, Kupferstiche und Glasgefäße)798. Ein Münz-Inventar Carls (I.) von BraunschweigWolfenbüttel der Jahre 1747/48 listet 4.500 Objekte auf, 1753 war der Bestand bereits auf 16.500 Objekte angewachsen799. Solche auch heute als Sammlungen wahrgenommenen Bestände sowie die zur Ausstattung von Schlössern gehörenden Objekte wurden parallel angehäuft und erfuhren zahlreiche Durchmischungen. Es fanden sich daher auch in den privaten Räumen sowie in den Repräsentationsräumen bewusst ausgewählte Möbel800, Kunsthandwerk801 , Gemälde802 und Graphikbestände, welche beispielsweise auch als Wanddekoration genutzt wurden803. 797 Vgl. Fink 1967, S. 35. 798 Vgl. Büttner, S. 42. 799 Vgl. Leschhorn 2004, S. 49f; Leschhorn schätzt den gesamten Münzbestand des Kabinetts auf sogar 50.000 Münzen, Leschhorn 2004, S. 57. 800 Höfische Möbel unterschieden sich deutlich von bürgerlichen Möbeln, seit dem 17. Jahrhundert waren ausgewählte Ebenisten für die Höfe tätig, so dass es sich bei den Möbeln um einzigartige Sammlungsstücke handeln konnte, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/ Weipert, S. 70. 801 Vgl. Calov, S. 170; beispielsweise wurden Bedienstete nach Frankreich geschickt, um dort einzukaufen, ggf. auch nur Materialien und Ideen zur Ausstattung, vgl. Kotzurek, S. 108; der Architekt Carl Theodor Ottmer entwarf für das Braunschweiger Residenzschloss die Möbelausstattung in mehreren Kategorien, zu welchen passende Ausstattungsobjekte aus Glas, Silber und Bronze zugekauft wurden, Wedemeyer/Willemsen, S. 24f. 802 Vgl. Büttner, S. 35, Büttner erwähnt hier allerdings auch, dass in einer Reisebeschreibung keine Kunstwerke in den Wohnräumen des Schlosses Salzdahlum erwähnt wurden, dies bedeutet jedoch nicht, dass diese nicht vorhanden waren, sondern man kann vermuten, dass sie im Vergleich zu den großen Mengen der im Galerietrakt untergebrachten Kunstwerke keine Erwähnung fanden; Fink erwähnt außerdem Gemälde, welche aus den Wohnbereichen in Salzdahlum in die Galerieräume gebracht wurden, vgl. Fink 1967, S. 53 und S. 75; im Zusammenhang mit der Beschreibung von Sammlungsbeständen Ferdinand Albrechts I. Herzog zu Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern erwähnt Büttner „[z]ahlreiche weitere Gemälde, Porträts von Verwandten und Landschaftsbilder“ in den privaten Räumen, Büttner, S. 38; des Weiteren kaufte August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel v.a. Porträts zur Ausstattung und ließ Kleinobjekte aus den Sammlungen in Salzdahlum zur Ausstattung der Schlösser nach Wolfenbüttel, Braunschweig und Vechelde bringen, vgl. Büttner, S. 39f; sowohl für August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel im „Grauen Hof“ in Braunschweig als auch für Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel im Schloss Blankenburg ist eine Trennung zwischen ausdrücklich als Sammlungsobjekt zu bezeichnenden Objekten und Ausstattungsobjekten nicht möglich, vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 144 und S. 149; Fink gibt beiläufig den Hinweis, dass sich eines der Hauptwerke der Salzdahlumer Sammlung, nämlich Adam und Eva, 1807 zeitweise zur Ausstattung im Braunschweiger Schloss befunden hat, Fink 1967, S. 93. 803 Vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 151.
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„In der Frühen Neuzeit konnten Kunstwerke zur Ausstattung der Schlösser gehören, was für die Welfen zumindest seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar ist. Eine ‚Schatzkammer‘, in der edles Tafelgerät gesichert wurde, besaß Herzog Heinrich der Jüngere im Schloss Wolfenbüttel, eine ‚Kunstkammer‘ mit sehr differenziertem Inhalt – laut Inventar von 1589 – sein Sohn Julius ebenda. Dabei waren die Übergänge zwischen privatem fürstlichen Gebrauch und öffentlichem Nutzen fließend.“804
Die Wohnsitze sowohl der Regenten als auch der Angehörigen blieben auch nach Einrichtung und Öffnung von Galerien und Museen üppig ausgestattet. Neuanschaffungen und Neuausstattungen waren noch immer üblich805. Im 19. Jahrhundert kann zudem eine gesteigerte Anzahl an Objekten in den Wohnbereichen festgestellt werden806, welche sich zumindest in älteren Gebäuden durch bereits seit Jahrhunderten angehäufte Objekte erklärt, die stetig um Neuankäufe ergänzt wurden. Allerdings ist ab dieser Zeit zu beobachten, dass der Geschmack des Adels moderne Strömungen ausschloss807. Die angehäuften Objekte sind in ihrer Gesamtheit als Formen des Kapitals zu bezeichnen, welche – neben dem Geld als Grundvoraussetzung – das Leben des Adels ausmachten. In diesem Zusammenhang spricht Demel von Geschmack als kulturellem und Patronagemöglichkeiten als sozialem Kapital808. Sowohl Vermögen als auch kultureller sowie sozialer Status wurden außerdem durch die Menge und Vielfalt des Besitzes verdeutlicht. Das Anhäufen von Objekten war eng in das Leben des Adels eingebunden und mit dessen charakteristischen Verhaltens- und Lebensweisen verknüpft. Der Adel verfügte seit jeher über verhältnismäßig viel Wohnraum809 , was an sich bereits die 804 Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen: Regenten – Schlösser – Sammlungen, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 12; Heinrich (II. der Jüngere) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel und Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel. 805 Kotzurek macht deutlich, dass Schlösser häufig durch einen neuen Besitzer völlig neu eingerichtet wurden, vgl. Kotzurek, S. 113; Ottomeyer weist auf die Neueinrichtung von Nebenresidenzen des bayerischen Hofes um 1810 hin, Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 95; vgl. Wedemyer/Willemsen, S. 27ff. 806 Auf diese weist auch die Beschreibung des Schlosses Kronberg von Gräfin Keller hin, in welcher sie u.a. schreibt „Ein Kunstwerk reiht sich an das andere [...]“ und: „Besonders prägte sich mir der Salon ein, in dem in großen Glasschränken eine sehr reichhaltige Sammlung von Erzeugnissen der Kleinkunst untergebracht ist.“, von Keller, S. 156; vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 118. 807 Vgl. von Dissow, S. 86 und S. 170; vgl. Graf 2005, S. 182; als eine der wenigen Ausnahmen ist die Förderung Ernst Ludwigs Großherzog von Hessen in Darmstadt zu nennen, vgl. Johann/Junker, S. 75. 808 Demel, S. 14. 809 Einerseits ablesbar an der Größe der Wohnsitze, andererseits an der Menge derselben, beispielsweise beschreibt Kirschstein den Wechsel der Domizile der letzten Kaiserfamilie, die zwischen dem Neuen Palais in Potsdam, dem Berliner Schloss (nur in der Wintersaison) sowie Bad Homburg und Wilhelmshöhe (im Sommer) pendelte, vgl. Kirschstein, S. 16.
344 | S AMMLUNGEN DES A DELS Anlage von Sammlungen begünstigt. Entsprechende Möbel unterstützen dies: Es ist kein Zufall, sondern logische Entwicklung, dass zunächst Truhen häufig in Inventaren des Adels auftauchten810 und später Kommoden zuerst an den Höfen Verbreitung fanden811. Beides sind Möbelstücke, welche sowohl dem Anhäufen als auch dem Bewahren dienen. Die Kommode ist diesbezüglich die Weiterentwicklung der Truhe und Ausdruck des differenzierteren Sammelns. Schließlich entstanden Sammlungsschränke, welche allein der Aufbewahrung und Darbietung der angehäuften Dinge dienten812. Damit hatte das Anhäufen Auswirkungen auf die Entwicklung der Dinge des Wohnens. Gleichzeitig war das Anhäufen eng mit der Funktion von Dingen als Mittel sozialen Verhaltens verknüpft: der Wohnraum war darauf ausgelegt, Gäste zu beherbergen und diese Besuche/Reisen boten Möglichkeiten des Geschenkeaustauschs. Wenn auch Schenken zunächst als Gegenteil des Sammelns erscheint, ist ein komplexes System aus Gabe und Gegengabe813 maßgeblich am Vorgang des Anhäufens beteiligt814. Familienangehörige schickten sich gegenseitig Dinge, wenn sie auf Reisen waren815, sie beschenkten sich und tauschten sich aus816 . Bei offiziellen Besuchen oder zu feierlichen Anlässen wurden Geschenke ausgetauscht, die je nach Beziehung nicht nur dem Fürsten selbst, sondern auch Familienmitgliedern zukamen817. 810 Neben Betten waren dies häufig die einzigen Möbel, welche in frühen Inventaren aufgeführt wurden, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 56. 811 Vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 91. 812 „In konzentrierter Form sammelte sich die fürstliche Pracht in Kunstkammern und Kunstkabinetten, wo in ebenso kunstvoll ausgeführten Kabinettschränken kleinformatige Objekte lagerten. Der enorme Wert der Schränke beruhte auf der Verwendung teuerster Materialien [...] Die innere Aufteilung mit möglichst vielen kleinen Schubladen und geheimen Fächern war ganz auf den Zweck des Sammelns ausgerichtet.“, Fuhrmann/Meteling/ Rajkay/Weipert, S. 70; vgl. auch Demel, S. 58. 813 Zur Rolle des Schenkens, vgl. Davis, S. 29f; vgl. Kapitel 3.1.2. 814 Vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 205ff; vgl. Müsch, S. 64. 815 Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel schickte beispielsweise Objekte von seiner Kavalierstour an den Hof, vgl. Büttner, S. 39; August (II. der Jüngere) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel erwarb Münzen und kunstgewerbliche Objekte zum Verschenken, vgl. Leschhorn 2004, S. 48; vgl. Fink 1967, S. 12; Friedrich (I.) Markgraf von Brandenburg Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches König von Preußen kaufte in Amsterdam Porzellane, welche er u.a. Sophie von Hannover zur Ergänzung ihres Porzellankabinetts schenkte, vgl. von Alvensleben/ Reuther, S. 42. 816 Fink erwähnt Kupferstiche, welche zwischen Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und seinen Söhnen ausgetauscht wurden, vgl. Fink 1967, S. 69. 817 Vgl. von Holst, S. 91; vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 220; Fink erwähnt Gemälde, welche Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel als Geschenk erhielt, beispielsweise von Friedrich (I.) von Preußen; ebenso, dass Peter (I. der Große) Kaiser/Zar von Russland drei Gemälde als Gastgeschenk übergab, Fink 1967, S. 43; auch nachdem das Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig von Mitarbeitern des Herzogs geführt wurde, erhielt dieser für diese Sammlung Geschenke, welche
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Abbildung 13: Tisch-Paravent aus Silber mit eingravierten Namen der Schenkenden, Hochzeitsgeschenk adliger Familien an Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, 1913
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Neben den Regenten häuften so auch Frauen, Kinder und Geschwister Besitztümer an und schufen auf diese Art eigene Sammlungen818, welche – wie das Gold- und Silbergeschirr – auch als Vermögensanlage zu verstehen sind819. Das gleiche gilt für Huldigungspräsente durch Untertanen, welche die Sammlungen sowohl zu Repräsen-
explizit als solche in den Eingangslisten vermerkt wurden, vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 205; des Weiteren wurden aus diesem Mineralien entnommen, um sie zu verschenken, vgl. Müsch, S. 67; Karl Wilhelm Ferdinand Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel erhielt bei einem Besuch im Vatikan Bände mit Veduten Piranesis als Geschenk, Adriani, Gert: Schloss Richmond. Große Baudenkmäler, Heft 204, München, Berlin 1966, S. 4; ein Porzellanservice mit 400 Teilen ging 1745 von Friedrich August (II.) Kurfürst von Sachsen König von Polen Großfürst von Litauen an Elisabeth Petrowna Romanowna Kaiserin/Zarin von Russland, anlässlich der Hochzeit ihres Neffens, vgl. Kalinowski, Anja: Zarenporzellan im Homburger Schloss. Die Ausstellung „fragile“ präsentiert Glanzlichter russischen Porzellans, in: Sehens Werte 4/2008, S. 60; von Rohr beschreibt Silberobjekte als Hochzeits- und Patengeschenke, Weltkunst 03/1999, S. 470. 818 Vgl. Büttner, S. 31; beispielsweise verfügte Elisabeth Sophie Marie Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Norburg Herzogin von Schleswig-Holstein-Plön Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg über Sammlungen von Bibeln sowie Klebebände mit Tier- und Pflanzendarstellungen, Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 148. 819 Diese waren als solche auch beliebte Erbstücke, vgl. Büttner, S. 38.
346 | S AMMLUNGEN DES A DELS tationszwecken als auch zum Finanzgewinn bereicherten820. Reisen wurden außerdem genutzt, um Objekte für die eigene Sammlung zu erwerben821 . Calov beschreibt das Sammeln als eine der „unerlässlichen, typischen Eigenschaften des englischen Adels“822 seit dem 17. Jahrhundert. Diese Aussage ist ebenso auf den deutschen Hochadel anwendbar. Nicht erst im Zusammenhang mit Regierungstätigkeiten, sondern bereits in der Kindheit, wurde die Basis für umfangreiche Sammlungen gelegt823. Diesen Grundstock bildeten meist Münzen, Gemmen, Druckgrafiken und ähnliche kleinformatige Dinge824 . Eine Beschreibung der Münzbestände Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel macht deutlich, wie umfangreich eine solche frühe Sammlung bereits sein konnte: „Als Siebenjähriger besaß er schon sechs goldene Medaillen, acht Golddukaten, 100 silberne Medaillen und Münzen, zwölf alte Münzen, 30 Kupfermedaillen und 46 Vierteldukatenstücke.“825 In den folgenden Jahren erhielt er von seiner Mutter sowie weiteren engen Verwandten immer wieder Münzen geschenkt, die häufig zu Ereignissen geprägt wurden, welche für das Herzogtum von Bedeutung waren826. Münzen blieben über Jahrhunderte ein typisches Sammelgebiet des Adels827, welches zudem stark mit Erinnerungsfunktionen verknüpft war. Auch Bücher gehörten zu den beliebten höfischen Sammelobjekten, welche zudem eng in das System des Schenkens eingebunden waren828. Das Buch ist bereits in sich als Objekt des Anhäufens zu verstehen (Buchstaben, Wörter, Ideen, Geschichten, Bilder829), in Haushalten des Adels spielen sie zudem sowohl qualitativ als auch
820 Vgl. Seelig: Huldigungspräsente, S. 30; vgl. Brüderle/Luckhardt, S. 98. 821 Vgl. Fink 1967, S. 16 und S. 24; vgl. von Marlborough, S. 112; vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 214. 822 Calov, S. 4. 823 Büttner beschreibt dies für Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dessen Sammlung zunächst durch Geschenke in seiner Kindheit und später durch Ankäufe auf Reisen angehäuft wurde, Büttner, S. 34; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg über ihren Bruder August Wilhelm Prinz von Preußen: „Schon von klein auf sammelte er gern Antiquitäten, Porzellane oder Stiche [...]“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 20. 824 Vgl. Büttner, der dies für Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel beschreibt, Büttner, S. 37; Leschhorn erwähnt Münzgeschenke an die Kinder Augusts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, Leschhorn 2004, S. 48. 825 Leschhorn 2004, S. 49; zu diesem im Alter von 7 Jahren angefertigten Inventar vgl. auch Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 205. 826 Beispielsweise erhielt er mehrfach Medaillen mit der Darstellung der blühenden Aloe in Salzdahlum, außerdem eine Silbermedaille August Wilhelms von BraunschweigWolfenbüttel, vgl. Leschhorn 2004, S. 49; Fink erwähnt das Blühen der Aloe als wichtiges Erlebnis, zu dessen Erinnerung Medaillen geprägt wurden, Fink 1967, S. 40. 827 Noch 1907 wurde im Palais Cumberland ein Münz- und Medaillenkabinett eingerichtet, vgl. Steckhahn, S. 68. 828 Vgl. Shevchenko, S. 149. 829 Darauf weist auch Büttner hin, wenn er Bücher als Sammelgebiet Augusts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel beschreibt, der „[...] trotz bescheidener finanzieller Mittel den Makrokosmos samt den geistigen, wissenschaftlichen und sonstigen kulturellen Er-
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quantitativ eine große Rolle. Außergewöhnliche Bücher und ganze Bibliotheken waren schließlich ein wesentlicher Bestandteil der Sammlungen der Frühen Neuzeit830 . Die Welfen bildeten diesbezüglich keine Ausnahme. August (II.) von BraunschweigWolfenbüttel war bereits in seiner Kindheit ein begeisterter Büchersammler: „Seine Bibliothek wuchs so schnell, dass er ihr schon in Hitzacker ein eigenes Gebäude errichten ließ. Bei seinem Tode umfasste sie ca. 135.000 Bände. Für den Büchererwerb unterhielt August ein europaweit agierendes Agentennetz, so dass selbst Bücher, die an entlegenen Orten gedruckt worden waren, in kurzer Zeit in die Hände des Herzogs gelangten. Über diese Vertrauensleute bezog August auch Objekte für die Sammlungen der fürstlichen Familie.“831
Es wird deutlich, dass der Vorgang des Anhäufens selten ausschließlich von einer Person geprägt war. Auch dieser Aspekt des Lebens hochadliger Familien stand in enger Verbindung mit dem sich aus den einzelnen Mitgliedern zusammensetzenden Kollektiv. Der Aussage Calovs, dass die Sammlungen des Adels reine Privatsammlungen waren, welche den Geschmack des jeweiligen Sammlers widerspiegelten832 , ist daher nur bedingt zuzustimmen: Adelssammlungen sind in jedem Fall als Privatsammlungen zu verstehen, auch waren die eigenen Ankäufe des jeweiligen Sammlers Ausdruck seines Geschmacks. Allerdings flossen – unter anderem durch Geschenke – Prägungen durch Familie und Umgebung ebenfalls in diese Objektbestände ein. Des Weiteren hatte die Stellung des Einzelnen innerhalb des Kollektivs sowie innerhalb der Hierarchie des Adels als Gemeinschaft Auswirkungen auf Umfang und Auswahl der Sammelobjekte: August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel begann zeugnissen der Menschheit, erfasst in der Abstraktion des Wortes, im Mikrokosmos seines Hofes präsentieren konnte.“, Büttner, S. 32. 830 Wenzel weist auf die Rolle von Büchern für diese Sammlungen hin und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Museumslehre Samuel Quicchebergs: „Das in den Büchern versammelte Wissen bildete gewissermaßen den Zugang zu den [...] Gegenständen [...]“, Wenzel, Michael: Die Bibliothek des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts im 18. Jahrhundert, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 70. 831 Büttner, S. 31; Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel ergänzte die Sammlung seines Vaters, vgl. Büttner, S. 34; auch Rudolf August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig Wolfenbüttel trug Bücher, v.a. theologische Schriften zusammen, vgl. Büttner, S. 33; auch Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel erwarben Bücher, vgl. Wenzel: Die Bibliothek des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts im 18. Jahrhundert, S. 72; ebenso verfügte Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel über eine Büchersammlung, vgl. Wenzel: Die Bibliothek des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts im 18. Jahrhundert, S. 73; vgl. Büttner, S. 41; vgl. Fink 1967, S. 11; vgl. Sander, Gustav: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S.; noch im 19. Jahrhundert gehörten Bücher zu den beachteten Sammlungen der Welfen: nachdem durch die Preußen beschlagnahmte Bibliotheksbestände zurückgegeben wurden, beschäftigte Ernst August von Cumberland im österreichischen Exil zwei Bibliothekare, vgl. Steckhahn, S. 66. 832 Calov, S. 4.
348 | S AMMLUNGEN DES A DELS beispielsweise erst zur Zeit seiner Regentschaft vermehrt Gemälde zu erwerben, behielt jedoch auch sein naturwissenschaftliches Interesse bei833. Büttner vermutet, dass dessen Söhne Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel die Galerieräume des Wolfenbütteler Schlosses Ende des 17. Jahrhunderts gemeinsam einrichteten834, und gleichzeitig verfügten sie – sowie der dritte Bruder Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel – über eigene Sammlungen, welche alle nach einem ähnlichen Muster angelegt waren 835. Ein wichtiger Beitrag zum Vorgang des Anhäufens innerhalb adliger Familienverbände sind darüber hinaus Erbschaften836. Die Weitergabe der elementaren Teile des Hausvermögens war bis ins 20. Jahrhundert – wie in Kapitel 2.3 beschrieben – durch Hausgesetze und Fideikommisse geregelt. Erbregelungen waren von großem Interesse, so dass diese auch für kinderlose Fürsten und geistliche Würdenträger bestmöglich festgelegt wurden. Von diesen angehäuftes Vermögen fiel nicht an die Kirche oder die Allgemeinheit, sondern an die Familie837 . Diese Form der Weitergabe von Besitz stellte einerseits den Erhalt des Hausvermögens sicher und sollte nachgeborene Söhne und unverheiratete Töchter versorgen. Ebenso bildeten ererbte Objekte einen wichtigen Beitrag zur Ausstattung von Witwensitzen838. Die Erbfolge von Teilen des Privatbesitzes wurde jedoch auch testamentarisch festgelegt, so dass auch hier nachgeborene Söhne oder Töchter bedacht werden konnten839 . Das Bestreben des jeweiligen Chefs eines Hauses war darüber hinaus jedoch, dieses Erbe durch eigenen Geschmack und eigenen Einsatz zu vermehren, was neben augenfälligen Investitionen in Architektur auch durch üppige Ausstattung und damit quantitative Ausdehnung von Sammlungsbeständen möglich war840 . Ein Prozess, den Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel gegen seine Schwester führte841 , um Teile des Erbes ihrer Mutter (darunter kostbare Bücher) zu erhalten, macht deutlich, dass Erbstücke außerdem als Zugewinn des eige833 834 835 836 837 838 839
840
841
Vgl. Büttner, S. 32f. Büttner, S. 34. Vgl. Büttner, S. 34. Bereits für das 5. und 6. Jahrhundert beschreibt Demel „vererbaren Besitz“ als eines der Merkmale des Adels, vgl. Demel, S. 21. Allein direkt für die Kirche erworbene Gegenstände oder errichtete Gebäude wurden dieser vererbt, vgl. Frankhäuser, S. 52. Vgl. Kotzurek, S. 371. Z.B. vermachte Victoria von Preußen das von ihr errichtete und eingerichtete Schloss Friedrichshof und Burg Kronberg inklusive des Inventars ihrer Tochter Margarethe Prinzessin von Preußen Landgräfin von Hessen und ihrem Schwiegersohn, Friedrich Karl Landgraf von Hessen, da diese durch die preußische Annexion 1866 zahlreiche Besitztümer verloren hatten, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 119f. Vgl. Burke, S. 72-74; vgl. Becker, S. 43; vgl. Demel, S. 62; in Herrenhausen führte die Thronbesteigung Ernst August (I.) König von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Herzog von Cumberland dazu, dass er die Einrichtung des Schlosses aufstockte, vgl. von Alvensleben/Reuther, S. 31. Vgl. Büttner, S. 38; auch Karl (II.) von Braunschweig führte nach seiner Vertreibung aus Braunschweig Prozesse um Vermögensfragen, vgl. Mehrkens, Heidi: Rangieren auf dem Abstellgleis: Europas abgesetzte Herrscher 1830-1870, in: Biskup/Kohlrausch, S. 50.
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nen Objektbestandes verstanden wurden und aus diesem Grund Anlass zum Streit bieten konnten842 . Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel war sich der Kostbarkeit des ebenfalls aus diesem Erbe stammenden so genannten „Mantuanischen Onyxgefäßes“ bewusst, welches er in seinen Aufzeichnungen erwähnt843 . Dieses Gefäß, mit dem ihm zugemessenen Wert, war die Ursache für die erst 80 Jahre nach seinem Tod geklärte Erbfolge der Kunstkammer Ferdinand Albrechts (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel. 1767 war Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel in der Lage, die erforderliche Ausgleichssumme zu entrichten, und gliederte die Bestände aus Bevern in seine eigenen ein844. Als er seine Regentschaft antrat, erbte er Bestände in Braunschweig, Blankenburg, Wolfenbüttel und Salzdahlum und führte diejenigen Objekte, welche als geeignet für eine Kunst- und Naturaliensammlung verstanden wurden, zunächst in Salzdahlum und schließlich in Braunschweig zusammen845. Infolgedessen wuchs die Sammlung stetig an846. Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel kaufte nun aus verschiedenen Gebieten gezielt Objekte an und Landeseinrichtungen aus dem Hütten- und Forstwesen mussten Objekte abgeben847. Ebenso wie Erbschaften führten Ankäufe von durch andere Personen zusammengetragene Sammlungen zu einer starken Vergrößerung der Objektbestände. Dies war eine gängige Methode des Anhäufens, welche beispielsweise von Katharina (II. die Große) Herzogin von Holstein-Gottorf Kaiserin/Zarin von Russland praktiziert wurde848 . Auch Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel erweiterte sein Kunst- und Na-
842 Um dies zu vermeiden, schloss man außerdem Teilungsverträge, wie beispielsweise Ferdinand Albrecht (II.) Herzog von Braunschweig und Lüneburg Fürst von BraunschweigWolfenbüttel-Bevern und sein Bruder Ernst Ferdinand Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Prinz von Braunschweig-Bevern über das Bevernsche Erbe, vgl. Büttner, S. 41; Erbstreitigkeiten, Vergleiche und Verträge, welche Sammlungsgegenstände (auch Ausstattungsgegenstände) betrafen, waren auch innerhalb von Familien keine Seltenheit, so z.B. im Falle des Todes Ernsts (III.) Herzog von Braunschweig-Grubenhagen in Herzberg 1567, vgl. Schulze, S. 378. 843 Vgl. Büttner, S. 38; vgl. Fink 1967, S. 17; aus dem Erbe seines Schwiegervaters erhielt er beispielsweise Gemälde und aus dem Erbe seines Vaters Uhren, Silberobjekte und „ein Einhorn“, vgl. Fink 1967, S. 17. 844 Vgl. Fink 1967, S. 18f; vgl. Büttner, S. 42. 845 Vgl. Büttner, S. 42; diese Bestände wurden als „Herzogliches Kunst- und Naturalienkabinett“ als erstes Museum in Braunschweig geöffnet und bilden die Grundlage für das heutige Herzog Anton Ulrich-Museum, vgl. Fink 1967, S. 9; vgl. auch Fink 1967, S. 61ff; vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 151; vgl. Walz, Alfred: Das Herzogliche Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig unter den Herzögen Carl I. und Carl Wilhelm Ferdinand, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 12. 846 Vgl. Walz 2004, S. 13. 847 Vgl. Fink 1967, S. 62f. 848 Vgl. Skodock, Cornelia: zwei kaiserliche Sammlungen in St. Petersburg im 18. Jahrhundert: Die Kunstkammer Peters I. und die Anfänge der Staatlichen Eremitage unter Katharina II., in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 20; vgl. von Holst, S. 91 und S. 159; Georg (V.) von Hannover kaufte 1857 Teile der Sammlung Hausmann, vgl. Calov, S. 104.
350 | S AMMLUNGEN DES A DELS turalienkabinett durch Ankauf ganzer Sammlungen849 . Des Weiteren wurden vollständige Kleinsammlungen in Form eines gefüllten Kabinettschrankes als Geschenke vergeben850. Sowohl Erbschaften als auch Sammlungsankäufe konnten zu einer Neustrukturierung des Besitzes führen, welcher Auswirkungen auf die Funktion eines Objektes als Ausstattungs- oder Galerie-/Kabinettobjekt hatte. Die unterschiedlichen Formen des Anhäufens machen deutlich, wie dynamisch der Besitz des Adels war. Diese Dynamik ist einer der Hintergründe einer noch heute sichtbaren Heterogenität der Bestände und prägte sämtliche Sammelaktivitäten des Adels. Die Zusammenführung der Bestände verschiedener Standorte durch Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel führte beispielsweise zu nachhaltigen Änderungen innerhalb der einzelnen Schlösser851. Die Herausnahme von Objekten aus dem Bestand hatte zur Folge, dass Gemälde ihren Standort aus einem Wohnbereich in ein Galeriegebäude wechselten852. Dies zeigt, ebenso wie das gegenteilige Vorgehen – Objekte aus diesen Sammlungsbereichen zur Ausstattung in andere Schlösser zu bringen853 –, dass eine völlige Trennung dieser Bereiche nur schwer möglich ist854 . Die angehäuften Objekte konnten je nach Wunsch des jeweiligen Besitzers zeitweise in dem einen oder anderen Bereich untergebracht werden. Ebenso wechselten sie ihren Standort zwischen mehreren Wohnsitzen855. Bei Aufgabe eines Wohnsitzes und 849 Vgl. Müsch, S. 63. 850 Beispielsweise von August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, vgl. Fink 1967, S. 12. 851 Beispielsweise im Schloss Wolfenbüttel, aus welchem auch Jahre nach der Einrichtung des Kabinetts in Braunschweig kunstgewerbliche Objekte entfernt wurden, des Weiteren Objekte aus der Wolfenbütteler Bibliothek, vgl. Fink 1967, S. 66. 852 Beispielsweise im Schloss Salzdahlum, vgl. Fink 1967, S. 53 und S. 75; auch aus Schloss Bevern wurden Gemälde in die Galerie gebracht, vgl. Fink 1967, S. 75. 853 Beispielsweise ließ August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel einige kleinere Plastiken aus Salzdahlum in den „Grauen Hof“ in Braunschweig bringen, vgl. Büttner, S. 40; Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel wählte Schlachten- und Feldherrenbilder für das Braunschweiger Schloss aus Salzdahlum aus, vgl. Fink 1967, S. 83; Wedemeyer/Willemsen vermuten, dass zwei von sechs 1882 durch das damalige Landesmuseum in Braunschweig abgegebenen Sammlungsschränke zurück in das Braunschweiger Residenzschloss gelangten, und stellen fest, dass es seit 1905, vermutlich jedoch bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts einen Austausch zwischen dem Museum und dem Residenzschloss gegeben hat, Wedemeyer/Willemsen, S. 197. 854 Auch Fink spricht ohne daraus eine Bewertung der Bestände abzuleiten davon, dass unklar bleibt, welche Bereiche August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel „als Bestandteil einer Sammlung betrachtet hat. Bei der Vielseitigkeit seiner Interessen hat sich mancherlei in seinem Lebensraum zusammengefunden, und ein Teil davon war in Form einer Kunstkammer mit seiner Bibliothek verbunden.“, Fink 1967, S. 14. 855 Vgl. Kotzurek, S. 109, beispielsweise wurden für Schlossneubauten Objekte wie Kamine, Fenster, Möbel, Öfen etc. aus anderen Schlössern genutzt, vgl. Kotzurek, S. 387; zur Ausstattung des 1830 errichteten Braunschweiger Residenzschlosses brachte man wiederholt Objekte (Möbel, Gemälde und andere Ausstattungsgegenstände) aus Schloss Richmond, Bevern und Blankenburg, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 201, S. 275 und S. 471; beim Einzug in das Braunschweiger Residenzschloss 1913 brachte Ernst August (III.) von Hannover Möbel aus den Schlössern Marienburg und Blankenburg mit, We-
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beim Verkauf von Immobilien kam es ebenfalls zu Standortänderungen von Sammlungsbeständen856. Auch Geschenke trugen dazu bei: Aus heutiger Sicht ist es kaum verständlich, dass Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel beispielsweise mehrfach Objekte des so genannten „Welfenschatzes“ aus diesem Bestand entnahm, zum Teil nicht wieder zurückgab und sogar verschenkte: „Man muss davon ausgehen, dass Anton Ulrich, der als Kunstkenner seiner Zeit weit voraus war, ausgesuchte, ältere, besonders qualitätvolle Stücke aus dem Braunschweiger Kirchenschatz entfernte.“857 Die durch den Adel genutzten Objekte waren im wahrsten Sinne des Wortes „Mobilien“, welche je nach Geschmack und Situation Standort, Ding-Umfeld und Funktion änderten. Wenn Büttner zusammenfasst, dass „[...] die geschilderten Erwerbungsumstände der Sammlungen der verschiedenen Mitglieder des ‚Neuen Hauses Braunschweig‘ nicht immer stringent und systematisch erscheinen, sondern vielfach als ein Ergebnis von Zufällen, Gelegenheiten und Erbgängen [...]“858 ,
ist dies als charakteristisches Merkmal von Sammlungen des Adels zu verstehen, deren Heterogenität darin begründet liegt, dass sie neben Prägungen einzelner Vertreter einer Familie immer auch vom Familienkollektiv geprägt waren sowie durch Erbschaften und Ankäufe schon bestehender Sammlungen schubweise starke Ausdehnungen erfuhren. Seine Ergänzung, „[...] so gelang es den Herzögen doch, eine quantitativ wie qualitativ bedeutende Universalsammlung zusammenzubringen, die in der Mitte des 18. Jahrhunderts an drei Orten kon-
demeyer/ Willemsen, S. 29; Wilhelm von Braunschweig ließ Gemälde und andere Objekte aus dem so genannten „Williams Castle“ sowie der Herzoglichen Villa im Park Richmond in Braunschweig nach Schloss Sybillenort in Schlesien bringen, vgl. Tute, HeinzJoachim: Richmond – Der Park, in: Richmond. Bilder aus 225 Jahren Geschichte, Braunschweig 1993, S. 28; zahlreiche Ortswechsel von Objekten belegen auch Inventare der hessischen Schlösser, die heute durch die hessische Schlösserverwaltung betreut werden, vgl. Biehn, Heinz: Die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Hessen, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege, 25. Jahrgang 1967, München, Berlin 1967, S. 124. 856 Z.B. befanden sich die Bestände der Mitte des 19. Jahrhunderts verkauften Zeughäuser in Braunschweig und Wolfenbüttel noch Anfang des 20. Jahrhunderts im Schloss Blankenburg, vgl. Luckhardt, Jochen: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 15. 857 Boockmann, Andrea: Die verlorenen Teile des „Welfenschatzes“. Eine Übersicht anhand des Reliquienverzeichnisses von 1482 der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig, Göttingen 1997, S. 100; vgl. auch Boockmann, S. 91 und 98ff; vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 45; vgl. Kötzsche, Dietrich: Der Welfenschatz im Berliner Kunstgewerbemuseum, Bilderhefte der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin, Heft 20/21, Berlin 1973, S. 10 und S. 62; z.T. nutzte er diese auch als Geschenke für Verwandte, vgl. Winter, Patrick M. de: Der Welfenschatz. Zeugnis sakraler Kunst des Deutschen Mittelalters, Hannover 1986, S. 141. 858 Büttner, S. 43.
352 | S AMMLUNGEN DES A DELS zentriert war: in der Bibliothek in Wolfenbüttel, in der Gemäldesammlung in Salzdahlum und im Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig [...]“859
unterstreicht des Weiteren, dass auch ein solches dynamisches Anhäufen (aus heutiger Sicht) qualitätvolle Sammlungen hervorgebracht hat. Allerdings muss neben seiner Betonung der Konzentration von Objektbeständen erwähnt werden, dass trotz diesem für das heutige Verständnis von Sammlungen wichtigen Vorgang weiterhin große Mengen von Objekten in den einzelnen Schlössern verteilt waren und Ortswechsel immer Bestandteil dieser Objektbiographien blieben. Zeigen I Diese Ortswechsel geben Hinweise darauf, wie vielfältig die Formen des Zeigens im Zusammenhang mit den Sammlungen des Adels waren. Galerien sowie Kabinette waren zudem eng mit der Repräsentation des jeweiligen Hofes verbunden860 . Adelssammlungen können jedoch nicht ausschließlich in diesem Zusammenhang betrachtet werden: Das Zeigen innerhalb eines Schlosses hatte außerdem abgrenzende sowie die Hierarchie verdeutlichende Funktionen. Die Ausstattung gab Hinweise auf die Stellung des Raumes, des Bewohners und derjenigen Bediensteten, welche befugt waren ihn zu betreten. Zeigen konnte des Weiteren privater Natur sein. Porträts, welche den Bewohnern oder Besuchern gezeigt wurden, konnten lehrhafte Aufgaben erfüllen und bildlich dargestellte Themen Auskunft über die Familiengeschichte geben. Die Sammlung eines jungen Prinzen konnte darüber hinaus aus rein privaten Gründen und kindlicher Freude gezeigt werden. Und schließlich liegt der Wunsch nach einer, im Verlauf des 18. Jahrhunderts immer stärker durchgesetzten, Öffnung von ausgewählten Besitztümern des Adels in einem neuen Bildungsideal sowie der entstehenden Idee des kulturellen Erbes begründet. Der Adel hatte die Möglichkeit, die Objekte in seinem Besitz für all diese Formen des Zeigens je nach persönlicher Vorliebe und aktueller Situation einzusetzen, so dass es als wesentlicher Bestandteil des Umgangs mit Sammlungen des Hochadels zu bezeichnen ist861 . Die Forschung zu Sammlungen des Adels fokussiert auf Repräsentation und öffentlicher Zugänglichkeit, da diese Formen des Zeigens mit der heutigen Vorstellung einer örtlich gebundenen, möglichst statischen Sammlung in Verbindung zu bringen
859 Büttner, S. 43. 860 Vgl. Calov, S. 7. 861 „Was die Mobilien angeht, so ist der Adel einfach dadurch Förderer, dass er Konsument oder sogar Sammler ist – und es aus Prestigegründen sein muss. Er ist nicht nur Auftraggeber der heimischen Handwerker, sondern auch Kunde des Fernhandels aus fremden Kulturen, im übrigen aber Nutznießer, Horter von kultureller Beute aus Kriegen, von Tribut- und Gastgeschenken. Manches davon verwandelt er in einen unöffentlichen Schatz [...], aber meist präsentiert der Hochadel und herrschaftliche Adel seinen Kulturbesitz sehr gern, er hat durchaus Sinn für Exposition.“, Rassem, Mohammed: Zur Kulturbedeutung des Adels und des Hofhaltens, in: Lipp, S. 162.
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sind862. Forschungen zur Bedeutung der Dinge öffnen dagegen den Blick dafür, dass eine Form des Zeigens eine andere nicht zwangsläufig ausgeschlossen hat. Wenn Ressler schreibt „Bilder sind mächtig. Bilder waren deshalb seit jeher ein Werkzeug der herrschenden Klasse [...]“863 , macht er damit deutlich, dass der repräsentative Gebrauch von Objekten zu den wesentlichen Verhaltensweisen des Adels gehört. Auch Conze/Wienfort betonen die Bedeutung des kulturellen Kapitals für die politische Machtstellung des Adels: „Inszenierungen und Repräsentationen, Habitusformen und kulturelles Kapital bilden traditionelle Hierarchien und Modelle politisch-sozialer Ordnung nicht bloß ab, sondern stellen Gesellschaftsentwürfe dar, in denen sich der politisch-soziale Wandel manifestiert.“864 Dies war nicht zuletzt durch die vom Adel angehäuften Dinge möglich. Sammlungen konnten Macht, Reichtum und Geschmack des Sammlers zum Audruck bringen865 sowie, durch das generationsübergreifende Sammeln, die Stellung einer Familie verdeutlichen866 . Der Repräsentationswille der Höfe war einem zeitlichen Wandel unterworfen, so dass Olmi beispielsweise für das 15. Jahrhundert noch von einem eher privaten Genuss ausgeht und ab dem 16. Jahrhundert von der Freude an „ostentativem Zurschaustellen“ spricht867. Diese Unterscheidung betrifft jedoch nur das Ausmaß der Repräsentation, der Einsatz von Objekten zu diesem Zweck ist für den Adel grundsätzlich jederzeit von Bedeutung gewesen und erfuhr Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen letzten Höhepunkt868. „Solange sie der Repräsentation dienten, blieben alle Sammlungskomplexe in eigentümlicherweise ‚beweglich‘. Die zeremonielle Nutzung der Sammlungen bedingte auch die Instabilität 862 Calov spricht beispielsweise erst mit der Salzdahlumer Galerie von einer Sammlung der Welfen und damit von einem Sammlungsbeginn im 17. Jahrhundert im Zuge repräsentativen Zeigens, Calov, S. 8. 863 Ressler, S. 40. 864 Conze/Wienfort, S. 6-7. 865 Vgl. Becker, S. 43; vgl. Sheehan, S. 38. 866 Dies wurde beispielsweise für einige mediatisierte Familien wichtig, da sie trotz ihres Verlusts der Souveränität ihre Stellung innerhalb der Adelshierarchie verdeutlichen wollten. Grillmeyer beschreibt diesbezüglich die Veränderung der Thurn und Taxis’schen Sammlung, welche nach der Mediatisierung ausgedehnt wurde und sich an der Sammlung Ludwigs (I.) König von Bayern orientierte, Grillmeyer, S. 251f. 867 Olmi, S. 179. 868 Die größte Ausdehnung erreichte die Prachtentfaltung jedoch zweifellos zur Zeit Ludwigs (XIV.) von Frankreich und „die ganz auf den Herrscher ausgerichtete aristokratische Hofgesellschaft war das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum des absolutistischen Staates.“, Barmeyer, S. 240; die Notwendigkeit der Höfe, diese Stellung – auch durch repräsentative Maßnahmen – zu erhalten, wurde jedoch im 19. und 20. Jahrhundert erneut akut, da man sich vom aufstrebenden Bürgertum abzusetzen versuchte, vgl. Möckl: Hof und Hofgesellschaft in den deutschen Staaten im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert. Einleitende Bemerkungen, S. 14; z.B. lebte der Hannoveraner Hof im 19. Jahrhundert nach Rückkehr des Herrschers diesbezüglich wieder auf, vgl. Barmeyer, S. 269; auch der Berliner Hof entfaltete unter Wilhelm (II.) von Preußen noch einmal größere Pracht, vgl. Philippi, S. 375.
354 | S AMMLUNGEN DES A DELS der Ordnung ... Die Wissenschaftler versuchten, die organisatorischen Schwierigkeiten durch neue Kriterien der Ordnung zu kompensieren, aber sie stießen dabei auf die gegenläufige Intention des Fürsten.“869
Beckers Aussage über Sammlungsbestandteile des Dresdner Hofes im 18. Jahrhundert gibt Hinweise zur Auswirkung der Repräsentation auf die Biographien der genutzten Objekte. Gleichzeitig wird erneut die für Sammlungen des Adels charakteristische Mobilität von Objekten deutlich sowie die Schwierigkeit, diese mit dem heute nahezu alleingültigen wissenschaftlich geprägten Sammlungsbegriff zu vereinen. Sowohl Repräsentation als auch zeremonielle Nutzungen waren auf die Beweglichkeit von Objekten angewiesen, da das Zeigen in diesem Zusammenhang eng mit dem Effekt des Übergangs vom Nicht-Zeigen zum Zeigen verknüpft ist. Gerade die Möglichkeit, ausgewählte, als wertvoll erachtete Objekte je nach Belieben und Bedarf entweder unter Verschluss zu halten oder demonstrativ zur Schau zu stellen ist wesentliches Element von Repräsentation870 . In diesem Zusammenhang sind des Weiteren Ortswechsel von Objekten zu nennen, welche Folge repräsentativen Zeigens waren: „Kunstwerke im Besitz von Fürstenhäusern ändern ihren Ort, wenn die Dynastie einen neuen Thron besteigt: so gelangten um 1750 die antiken Statuen der Farnese aus Mittelitalien nach Neapel, um 1800 die Düsseldorfer Gemälde der pfälzischen Wittelsbacher nach München.“871 Der Hochadel kann zudem aufgrund der häufig unternommenen Reisen als mobile Gesellschaft betrachtet werden, für die entsprechende Strategien der Repräsentation auch fernab des eigenen Hofes als nötig empfunden wurden. Sammlungsbestandteile, deren Größe und Beschaffenheit zur Mitnahme auf Reisen geeignet waren, müssen daher einen wichtigen Stellenwert gehabt haben872. Es verwundert nicht, dass kostbarer Schmuck diesbezüglich eine große Rolle gespielt hat873 . Durch den engen Austausch der meisten europäischen Fürstenhöfe trugen ausgewählte Sammlungsbereiche zur Außenwirkung eines Hofes bei. Ergänzt wurde dies durch Kataloge, welche auch in entfernten Städten – und an entfernten Höfen – die Besonderheiten im Besitz des jeweiligen Adligen bekannt machen konnten874. Die Sammlungen der Braunschweiger Herzöge wurden vor allem durch die Salzdahlumer Porzellan- und Gemäldesammlung bekannt, welche Vorbildcharakter hatte875.
869 Becker, S. 65-66. 870 Ebenso war diese Mobilität in der Etikette begründet, beispielsweise wurde ein Thronsaal nur zu besonderen Anlässen stärker mit Sitzgelegenheiten ausgestattet, der Thron selbst wurde für diesen Zweck jedoch entfernt, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 387. 871 Von Holst, S. 10. 872 Wedemeyer/Willemsen listen beispielsweise ein 61-teiliges silbernes Reiseservice auf, welches im Herzoglichen Eisenbahnwagen genutzt wurde sowie ein weiteres 55-teiliges Reiseservice, Wedemeyer/Willemsen, S. 153. 873 Consuelo von Marlborough erwähnt die Anstellung eines Privatdetektivs zur Bewachung des Schmucks auf einer Reise an den russischen Zarenhof, von Marlborough, S. 178. 874 Vgl. Matuschek, S. 92f. 875 Vgl. Valter, S. 28.
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Abbildung 14: Ein vermutlich auf Reisen genutztes Porzellanservice aus dem Besitz Carls I. von Braunschweig-Wolfenbüttel, 1755-1760
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Bildergalerien und Kabinette mit Uhren, Porzellanen und weiterem prächtigem Kunsthandwerk, dessen kostbarer Eindruck durch Spiegel und reflektierende Materialien gesteigert wurde, gehörten – wie auch mit Möbeln der aufwändigsten Kategorie eingerichtete Empfangsräume876 – zu den Repräsentationsräumen877. Dies galt beispielsweise für den „Grauen Hof“ in Braunschweig, wo August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel sowohl Kunstgewerbe als auch Gemälde angesammelt hatte878. Diese Räume wurden nicht wie heutige Museumsbauten zur bestmöglichen Beherbergung der Objekte eingerichtet, sondern Räume und Objektfülle bildeten eine funktionale Einheit: „Die Gallerien sennd entweder aus Noth, um dadurch eine Communication mit andern Gebäuden zu machen, oder, wie mehrentheils, zum Staat. Ihre Bekleidung und Auszierung besteht meistens in kostbaren Gemählden an Portraiten und Schildereyen, auch Statuen, oder in grossen prächtigen Spiegeln; offtmahls ist beydes beysammen.“879
Noch im 19. Jahrhundert wurden Gemäldegalerien in das repräsentative Zeigen derart eingebunden, dass Consuelo von Marlborough bei einem Besuch am russischen Zarenhof in einem Bildersaal der Eremitage speiste880 . In Schloss Friedrichshof in Kronberg vereinten sich Wohn-, Repräsentations- und Sammlungsräume zu einer 876 Wie beispielsweise ausführlich für das Braunschweiger Residenzschloss beschrieben, Wedemeyer/Willemsen, S. 24 und S. 205ff. 877 Vgl. Kotzurek, S. 187. 878 Vgl. Fink 1967, S. 46f; vgl. Büttner, S. 39. 879 Moser: 2. Band, S. 289; wie bereits erwähnt, war für die Galerie in Salzdahlum der Gesamteindruck wichtiger als der Kunstwert des Einzelwerkes, so dass ein Format als Hängekriterium Vorrang vor der Einordnung des Künstlers haben konnte, Fink 1967, S. 32. 880 Von Marlborough, S. 185.
356 | S AMMLUNGEN DES A DELS Abfolge kunsthistorischer Epochen881. Wie die Bildergalerien trugen naturwissenschaftliche und kunstgewerbliche Sammlungen zur Außenwirkung der Höfe bei882 . Auch diese, nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten eingerichteten, Sammlungsteile übernahmen repräsentative Aufgaben: „Nicht zuletzt war das Kunst- und Naturalienkabinett auch in das komplizierte Geflecht der höfischen Repräsentation eingebunden. Mit den Schätzen vom Altertum bis zur zeitgenössischen Kunst sowie den Errungenschaften und Entdeckungen der Wissenschaften war die Einrichtung bestens geeignet, Einheimischen wie Fremden zu zeigen, wie modern und splendid es am Hof zu Braunschweig zuging.“883
Eine nach wissenschaftlichem System geordnete – und weitgehend statische – Sammlung kann allerdings nur dann repräsentative Wirkung haben, wenn sowohl der Sammler selbst als auch sein Umfeld ebendieser Ordnung einen entsprechenden Wert zusprechen. Dieser Wert wurde im Verlauf des 18. Jahrhunderts in der öffentlichen und wissenschaftlichen Wahrnehmung immer bedeutender884. Die Fürsten nutzten daher Neu- sowie Anbauten innerhalb ihrer Residenzen, um diese nun abgetrennten Sammlungsbereiche entsprechend unterzubringen und gleichzeitig politische sowie kulturelle Macht zu demonstrieren885 . Es ist jedoch festzuhalten, dass dieser wissenschaftliche Wert nur ein Wert von mehreren war und die Demonstration anderer Werte (wie Material, Seltenheit, Alter, Ästhetik) selbstverständlicher Teil repräsentativer Nutzung von Sammlungen blieb. Diesem Zweck konnte die zeitweilige Herausnahme von Objekten dienen, aber auch ein Besuch der Sammlung im Ganzen konnte diesbezüglich genutzt werden. Wie auch die Einbindung dieser institutionalisierten Bestände eine Form moderner Repräsentationsmaßnahmen war, wurde der Sammlungsbesitz immer wieder zeitgemäß zu diesen Zwecken genutzt. In diesem Zusammenhang ist auch die Ausstellung von Kunstgegenständen aus dem Kaiserhaus auf der Weltausstellung in Paris886 als repräsentatives Zeigen zu werten. Ebenso Museen, welche über die Herrscherhäuser selbst informierten, so beispielsweise das ab 1868 geöffnete Hohenzollern-Museum in Schloss Monbijou, welches Luh wie folgt charakterisiert: „Es war Eigentum der Hohenzollern und ein wichtiges Medium der Dynastie, um der Öffent-
881 Vgl. Ottersbach, S. 38. 882 Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel war beispielsweise über die Sammlungsentwicklung andernorts informiert und nutzte dieses Wissen zur Einrichtung seines eigenen Kunst- und Naturalienkabinetts, vgl. Valter, S. 26. 883 Matuschek, S. 91; vgl. auch Müsch, S. 67; auch Schnitzer weist in Bezug auf das repräsentativ genutzte Kupferstichkabinett Friedrich Augusts (I.) von Sachsen, welches ebenso wissenschaftlichen Anspruch hatte, darauf hin, dass sich Repräsentation und Wissenschaft nicht ausschlossen, vgl. Schnitzer, S. 110f. 884 Vgl. Küster, Bärbel: Funktion und Öffentlichkeitscharakter der Kunst-Sammlung in England, in: Luckhardt: Museen und fürstliche Sammlungen im 18. Jahrhundert, S. 93. 885 Vgl. Grasskamp 1981, S. 36f. 886 Vgl. Philippi, S. 385.
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lichkeit ihre Tradition und Größe zu präsentieren.“887 Es zeigte Erinnerungsstücke aus dem ehemaligen Besitz von Familienmmitgliedern mit dem Ziel, durch Ausstattungsstücke deren Lebensumfeld anschaulich zu machen888. Repräsentationsräume wie Empfangs-, Ball- und Thronsäle behielten parallel zu diesen Entwicklungen jedoch ihren hohen Stellenwert im Leben des Hochadels bei. Der Ausstattung dieser Räume wurde große Aufmerksamkeit zuteil, so dass es auch diesbezüglich Veränderungen anlässlich herausragender Anlässe geben konnte. Beispielsweise kam es 1881 zu einer teilweisen Neueinrichtung des Thronsaales im Braunschweiger Residenzschloss anlässlich des Thronjubiläums Wilhelms von Braunschweig889 . Zur Verbreitung solcher Maßnahmen der Repräsentation wurden neue Medien genutzt. Der im österreichischen Exil lebende Herzog von Cumberland bediente sich beispielsweise der Fotografie, „um sein neu errichtetes Schloss Cumberland in Gmunden [...] aufzunehmen und damit das Gebäude, die Innenausstattung und seine umfangreichen Kunstsammlungen für die Nachwelt festzuhalten.“890 Nicht nur die Nachwelt war Adressat dieser Fotografien, denn diese Form der Repräsentation ermöglichte es, die in der fernen Heimat zahlreichen „Welfentreuen“ zu erreichen. Die Kombination von Anhäufen und Zeigen war unverzichtbares Element zur Veranschaulichung von Status und wurde damit auch als Möglichkeit der Abgrenzung genutzt. Burke gibt ein Beispiel für die Bestrebungen Ludwigs (XIV.) von Frankreich – dessen Hofhaltung als Höhepunkt der Repräsentation gelten kann –, bisher Gesehenes und Erreichtes zu übertreffen: „Natürlich reichte es nicht, Antiquitäten anzukaufen. Ludwig musste neue Gemälde und Statuen in Auftrag geben, und zwar für die Öffentlichkeit sichtbar.“891 Der Wunsch eines Monarchen, sich sowohl von Volk und Hofadel als auch von anderen Fürsten abzusetzen, ist offensichtlich und blieb bis 1918 wesentlich. Hermsen gibt darüber hinaus den Hinweis, dass auch für die Untertanen ein repräsentatives Auftreten ihres Regenten wichtig war, da sie nur auf diesem Weg den Eindruck erhalten konnten, in einem von einem mächtigen, stabilen Herrscher regierten Land zu leben892. Dies gilt, wie Hüttl/Lessing deutlich machen, umso mehr für den untergebenen Adel, dem Kostbarkeit und Fülle vor Augen geführt wurden: 887 Luh, Jürgen: Eine Erbschaft der Monarchie: Das Hohenzollern-Museum, in: Biskup/ Kohlrausch, S. 200. 888 Vgl. Luh, S. 202f; 1861 war das Welfenmuseum in Hannover gegründet und 1862 eröffnet worden, welches sowohl das Familienmuseum als auch die Münzsammlung, Gemälde sowie weitere Sammlungsbereiche beinhaltete, vgl. Welfen-Museum: Das Königliche Welfen-Museum zu Hannover im Jahre 1863, Hannover 1864, S. 1f. 889 Vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 366; diese Umgestaltung ist allerdings auch im Zusammenhang mit einer teilweisen Neueinrichtung des Schlosses nach einem Brand zu sehen; die durch Einbezug des Sachsenrosses stark auf die welfische Herrschaft (und damit das Jubiläum) bezogenen Möbel zeigen die bewusste Auswahl einer Gruppe von Ausstattungsgegenständen zur Repräsentation, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 387. 890 Steckhahn, S. 45; es wurden außerdem die weiteren Besitzungen wie Villen, Jagdhäuser, aber auch Mühlen und Sägewerke fotografiert, Steckhahn, S. 45. 891 Burke, S. 74. 892 Vgl. Hermsen, S. 28.
358 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Denn je mehr der Beschauer von der Pracht des Schlosses, seiner Säle und Galerien überwältigt war, desto mehr war er geneigt, dieser bildhaft verdichteten Machtfülle des Schlossherrn unbedingten Glauben zu schenken, seine gesellschaftlich-politische Vorrangstellung gefühlsund vernunftmäßig anzuerkennen und sich seiner ‚weisen‘ Führung vorbehaltlos anzuvertrauen.“893
Als Demonstration sowohl der Verbundenheit des Volkes zur Herrscherfamilie als auch hierarchischer Abgrenzung kann die Ausstellung der Hochzeitsgeschenke an Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg und ihren Mann Ernst August (III.) von Hannover 1913 im Kunstgewerbemuseum Berlin gesehen werden894. Die Brautausstattung wurde jedoch im Neuen Palais ausgestellt und war nur ausgewählten Personen zugänglich895 , da sie sich gemäß „der schlichten Einstellung des Kaiserhauses [...] kaum von der einer Braut aus ersten bürgerlichen Kreisen“896 unterschied. Tatsächlich unterlag die Herstellung des Kleides genauen Vorschriften: es bestand aus Silbergewebe und Hermelin sowie Spitzen, welche aus der Familie stammten897 . Die Aussage bestätigt damit die Feststellung Malinowskis, dass der Adel das Zeigen ab Anfang des 20. Jahrhunderts aufgrund des immer deutlicher werdenden Reichtums des Bürgertums neu reglementierte und für ausgewählte Bereiche einschränkte898 . Das Zeigen von Objekten zur Abgrenzung und zur Verdeutlichung von Hierarchien hatte allerdings eine bereits im Mittelalter verwurzelte Tradition: „[...] nicht nur das Haus, sondern auch das Inventar spiegelte in hohem Maß die soziale Stellung und die Vermögensverhältnisse wider.“899 In zunehmendem Maße wurde in den folgenden Jahrhunderten die Ausstattung von Schlössern insgesamt zum Gradmesser für die Stellung des Bewohners sowie die Ausstattung der einzelnen Räume zum Gradmesser der Stellung der zu ihnen zugelassenen Personen900 . Während auch in den Gesellschaftsräumen Porzellane, Uhren und Leuchter zu finden waren, steigerte sich die Kostbarkeit dieser Gegenstände bis zu den Räumen des Fürsten901. Daran änderte sich bis zum Ende der Monarchie nichts, so dass der Adel im Betrachten geschult war, um in einer bisher unbekannten Umgebung sofort festzustellen, ob diese dem Stand des Besitzers/Bewohners angemessen war902 . Angemessenheit bezog sich 893 Hüttl/Lessing, S. 28. 894 Vgl. Kapitel 2.3. 895 Schülerinnen der Kaiserin Augusta Stiftung, Freundinnen Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (damals von Preußen), der Hofgesellschaft sowie Personen, die mit der Prinzessin in Verbindung standen, von Keller, S. 294. 896 Von Keller, S. 293-294. 897 Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 98; vgl. von Keller, S. 294. 898 Malinowski 2003, S. 90 und S. 92. 899 Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 32; der Adelsstand war selbst auf Wäschestücken durch die Form und Zacken der eingestickten Kronen ablesbar, vgl. von Dissow, S. 133. 900 Vgl. Kotzurek, S. 45; vgl. Hüttl/Lessing, S. 27. 901 Vgl. Kotzurek, S. 422f. 902 In den Beschreibungen Gräfin Kellers wird dies an den vielen Kommentaren zu Architektur und Einrichtungen deutlich, so beispielsweise bei einem Besuch in Königsberg: „Das Schloss [...] ist ein interessanter, großartiger Bau. Leider lässt die Inneneinrichtung
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einerseits auf die aktuelle gesellschaftliche Position als auch auf diejenige der Familie. Auch in diesem Zusammenhang war also das Erbe und dessen repräsentativer Einsatz von Bedeutung, da dieses – gemeinsam mit geschickten Erwerbungen nach gerade aktueller Mode – dazu beitragen konnte, wirtschaftliche oder politische Schwierigkeiten des Einzelnen hinter den Glanz der Familie zurücktreten zu lassen903. Da auch die Gastzimmer mit unterschiedlich kostbaren Gemälden und anderen Objekten ausgestattet waren, konnte der Hausherr mit der Zuweisung dieser Zimmer nicht nur auf seine eigene, sondern auch auf die seinem Gast zugeschriebene Stellung hinweisen904. Darüber hinaus verdeutlicht die Feststellung Hüttl/Lessings, dass höfische Feste im Laufe der Jahrhunderte einer Entwicklung von öffentlicher zu exklusiver Teilnahmeberechtigung unterlagen905, die Bedeutung des bewussten Zeigens (und Nicht-Zeigens) als Mittel der Abgrenzung. Bis 1918 wurden Feierlichkeiten zum Hierarchien betonenden Zeigen genutzt, indem innerhalb pompöser Zeremonien906 minutiös festgelegt war, an welchen Programmpunkten die Öffentlichkeit Anteil hatte und an welchen ein streng reglementierter Personenkreis. Der Besitzer einer Sammlung (in all ihren Dimensionen) nutzte diese damit auch durch den von ihm – und dem Zeremoniell – reglementierten Zugang zu ausgewählten Sammlungsteilen zur Hierarchisierung der höfischen Gesellschaft. Es war möglich, die Stellung einzelner Personen durch Zeigen ausgewählter Dinge zu verbessern und Zeigen bedeutete auch die Demonstration der eigenen Macht im direkten Vergleich zu demjenigen, dem die Objekte gezeigt wurden. Die Beschreibung einer Begebenheit am Hof Ludwigs (XIV.) von Frankreich durch Burke veranschaulicht diese Vielschichtigkeit: nach einer Auseinandersetzung mit Genua musste der dortige Doge mit einer entsprechenden Rede vor dem König in Paris seine untergebene Haltung beweisen. Als dies geschehen war, erhielt die Genueser Abordnung Geschenke und wurde zum Essen sowie einer Besichtigung Versailles eingeladen907 . Dies kann einerseits als Zeichen der Vergebung verstanden werden, ist darüber hinaus jedoch auch zweifelloser Beweis der Stärke sowie warnender Hinweis bezüglich zukünftigen Verhaltens908. Für diese unterschiedlichen Zwecke waren wiederum die Mobilität und weite örtliche Streuung der Sammlungsteile von Vorteil.
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viel zu wünschen übrig.“, von Keller, S. 130; über einen Besuch in Liebenberg, im Hause von Eulenburgs: „Besonders entzückte mich der sehr schöne, in den Wald übergehende Park, der das behagliche, mit vielen schönen alten Sachen und Bildern eingerichtete geräumige Schloss umgibt.“, von Keller, S. 173. Vgl. von Bieberstein, S. 189; vgl. Kotzurek, S. 62. Kotzurek erwähnt die Ausstattung von Gastzimmern, vgl. Kotzurek, S. 187; Gräfin Keller weist bei einem Besuch in London darauf hin, dass die Zimmer der Hofdamen bescheiden gewesen seien, die Räume der Majestäten aufgrund ihrer Ausstattung mit Gemälden van Dycks und Rubens’ jedoch sehr gut, von Keller, S. 253. Hüttl/Lessing, S. 60; vgl. Cannadine, S. 111. Vgl. Cannadine, S. 128. Burke, S. 123. Vergleichbar ist die Machtdemonstration Wilhelms (II.) von Preußen, der sein Porträt in Herrscherpose als Geschenk an die Pariser Botschaft sandte, woraufhin der Botschafter mit der Aussage reagiert haben soll, diese Darstellung käme einer Kriegserklärung gleich, Roters, S. 54f.
360 | S AMMLUNGEN DES A DELS Obwohl deutlich wurde, dass das Zeigen von Sammlungen eng mit den gesellschaftlichen Aufgaben des Adels verknüpft ist, kann eine private Komponente ebenfalls nicht ausgeschlossen werden. Aus Geschmacksgründen neu eingerichtete Schlösser sowie bevorzugte Sammelgebiete zeigen, dass persönliche Vorlieben das Sammeln des Adels mitbestimmten. Da das private Zeigen innerhalb eines intimen und familiären Rahmens stattfindet, ist dieses schwerer nachweisbar. Für ausgewählte Empfänge genutzte Toilettezimmer und exklusive Kabinette, die den Privaträumen angegliedert waren, weisen jedoch, ebenso wie in Privaträumen untergebrachte Gemälde und Bücher, auf diese Form des Sammlungsgebrauchs hin909 . Shevchenko macht die Verknüpfung von Privatheit und dem Zeigen von Porträts deutlich: „Die Fürstenportraits wiesen somit auf die soziale Position ihres Besitzers hin; deswegen hielt man es für angemessen und unentbehrlich, die Angehörigen des herrschenden Hauses und die Beziehungen zu anderen Fürstenhäusern in den Räumen vorzuführen, die der persönlichen Benutzung des Herzogs zugewiesen wurden.“910
Auch aus kostbaren Materialien gefertigte Objekte fanden teilweise Unterbringung in Privaträumen, so dass nicht von einer rein repräsentativen Nutzung ausgegangen werden kann, die Objekte jedoch trotzdem in einem privaten Rahmen gezeigt werden konnten911. Möbel wie die Sammlungsschränke der Kunst- und Wunderkammern bis hin zu Schreibschränken und Kommoden der Biedermeierzeit waren sowohl Möbel des Sammelns als auch des Verbergens kostbarer und/oder privater Dinge912 und damit angewiesen auf das bewusste Geöffnet-Werden. Persönlich geprägte Führungen von Familienmitgliedern eines Adelshauses durch die Sammlungen913 – auch dann, wenn diese bereits nicht mehr in den Privaträumen, 909 Sammlungsräume lagen nicht selten in der Nahe der privaten Räume wie z.B. in der Martinsburg in Mainz, Ende des 18. Jahrhunderts, Frankhäuser, S. 56; in Salzdahlum verband vor dem Bau eigener Räumlichkeiten für die Sammlungen die Bildergalerie die privaten Räume mit dem Speisesaal, Fink 1967, S. 34; vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 10; Kotzurek weist auf die Nähe von Kabinetten zu Schlafräumen hin, Kotzurek, S. 40; zur Einrichtung eines solchen Toilettezimmers Auguste Viktorias von Preußen, vgl. Brunckhorst, S. 9. 910 Shevchenko, S. 233. 911 „Im Schreibzimmer der Herzogin wurde die Silberbibliothek aufbewahrt, die wegen ihres großen Wertes im Schrank hinter einer Gittertür verschlossen wurde. Neunzehn Bände in Silberbeschlägen befanden sich im linken Teil des Schrankes und wurden wahrscheinlich mit dem Deckel nach vorne aufgestellt, damit man die künstlerische Gestaltung des Einbands sehen konnte ... Diese Unterbringung der Silberbibliothek widerspricht der Annahme, dass die prächtig eingebundenen Bücher ausschließlich zur Repräsentation von Wohlstand benutzt wurden.“, Shevchenko, S. 255; Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbüttel sah besondere Gemälde für sein privates Kabinett vor, vgl. Fink 1967, S. 24; auch Moser beschreibt die Bewahrung kostbarer Objekte in den Privaträumen, Moser: 2. Band, S. 306. 912 Vgl. Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 116 und S. 118. 913 Wie im Besucherbuch des Braunschweiger Kunst- und Naturalienkabinetts verzeichnet, vgl. Matuschek, S. 91; Matuschek erwähnt ebenfalls, dass die Damen des Hofes regel-
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sondern in eigens eingerichteten Sammlungsgebäuden untergebracht waren – können schließlich als Zwischenstufen vom privaten zu öffentlichen Formen des Zeigens verstanden werden914. Zu diesen gehören auch überlieferte Begebenheiten wie diejenige, dass Auguste Viktoria von Preußen Hofdamen ihren Schmuck zeigte915 : Einerseits war auch dieses Zeigen Ausdruck von Hierarchie, andererseits waren diese Hofdamen enge Vertraute und Begleiterinnen bis in den Tod916. Das öffentliche Zeigen und die Entwicklung zu einer immer stärkeren Öffnung von Sammlungen des Adels bis hin zu Museumsgründungen ist ein wesentlicher Bestandteil der bisherigen Forschung zum Sammeln und zu Sammlungen. Bereits im vorherigen Kapitel wurde die seit dem 17. Jahrhundert weit verbreitete Möglichkeit der Besichtigung von Adelssammlungen erwähnt. Der jeweilige Besitzer entschied darüber, welche Personen(gruppen) in welchem Umfang Zugang zu ausgewählten Bereichen erhielten oder ausgewählte Objekte nutzen konnten917. Dies konnte stark variieren und eine Beschränkung auf adlige Besucher war lange Zeit nicht ungewöhnlich918 . Die Öffnung konnte sich sowohl auf die Wohnsitze des Adels919 als
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mäßig das Kabinett besuchten, Matuschek, S. 94; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg lernte ihre späteren Schwiegereltern erst nach der Verlobung mit Ernst August (III.) von Hannover kennen und wurde – gemeinsam mit ihrer Mutter – in Schloss Cumberland durch das Schloss, das Familienmuseum und die Bibliothek geführt, vgl. Former, Peter: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise von Preußen mit Ernst August, S. 94; vgl. Steckhahn, S. 125; Thyra von Dänemark wurde von ihrem Sohn Ernst August (III.) von Hannover bei einem Besuch in Braunschweig durch das Vaterländische Museum geführt, Steckhahn, S. 150; bei seinem ersten Besuch in Braunschweig (1917) besuchte Ernst August von Cumberland ebenfalls dieses sowie das Herzogliche Museum, Steckhahn, S. 153f. Beispielsweise zeigte Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel ausgewählten Besuchern Teile des so genannten „Welfenschatzes“, vgl. Boockmann, S. 122. Von Keller, S. 258. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg zitiert bezüglich der klaren Abgrenzung zu Hofdamen ihren Mann: „[...] lasse niemals eine Hofdame in Deine Angelegenheiten oder in die Deiner Frau treten.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 91; bedenkt man die Nähe dieser Damen zu ihren Arbeitgeberinnen, wird deutlich, dass dieses Verhältnis von Widersprüchen geprägt war und eine klare Demonstration der eigenen Macht durch das Zeigen von entsprechenden Objekten wichtig für das Aufrechterhalten der Hierarchie war. Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel war beispielsweise über jede Nutzung des Kupferstichkabinetts informiert und genehmigte die Herausgabe von Blättern selbst, vgl. Fink 1967, S. 70. Vgl. von Bieberstein, S. 23; selbst wenn nicht nur Adlige Zugang zu den Sammlungen hatten, stellten diese häufig den größten Besucheranteil, so beispielsweise im Braunschweiger Kunst- und Naturalienkabinett, welches außerdem von Kaufleuten, Studenten, Professoren, Pastoren, Beamten und Offizieren besucht wurde, Matuschek, S. 89; die königlichen Gemächer in Versailles waren ab 1682 dreimal wöchentlich „öffentlich“ zugänglich, wobei nur die oberen Stände Zugang hatten, vgl. Burke, S. 115. Vgl. die erwähnte Öffnung der königlichen Gemächer in Versailles, Burke, S. 115; auch Schloss Blenheim war für Touristen zugänglich, vgl. von Marlborough, S. 169; in Berlin
362 | S AMMLUNGEN DES A DELS auch auf in externe Sammlungsteile beziehen. Für Carl (I.) von BraunschweigWolfenbüttel sowie auch andere Fürsten seiner Zeit war dieses Zeigen Teil eines grundsätzlichen Interesses an der Entwicklung von Bildungseinrichtungen, zu welchen er ausgewählte Sammlungsbestandteile zählte920: „Mit dem sukzessiven Umbau einer fürstlichen Sammlung [...] zu einer wissenschaftlich geordneten und öffentlich zugänglichen Bildungsinstitution mit volkswirtschaftlichem Nutzen nahm das Braunschweiger Kunst- und Naturalienkabinett an einer gesamteuropäischen Entwicklung teil.“921
Insgesamt kann festgestellt werden, dass die weiterführende Öffnung, auch über den Adel als Besuchergruppe hinaus, parallel zu einer stärker fachlichen Betreuung von Sammlungsteilen verlief922, welche im Zuge dieser Entwicklung, auch durch örtliche Trennungen, weniger stark in den Alltag des Sammelnden integriert waren923 . Wie bereits im Zusammenhang mit dem Vorgang des Anhäufens deutlich wurde, bedeutete dies jedoch nicht, dass damit sämtliche Sammlungen des Adels öffentlich zugänglich oder institutionalisiert wurden. Des Weiteren kann diese Entwicklung nicht grundsätzlich als Zeichen einer ideologischen Verschiebung hin zum Verständnis des kulturellen Erbes als Allgemeinbesitz verstanden werden, denn „[d]ie Fürstenmuseen räumten [...] dem Bürgertum die Möglichkeit ein, den Blütestand der Kultur als Verdienst des Adels kennenzulernen; mit diesem Angebot der Teilhabe an einer bisher verschlossenen Kultur verknüpfte sich aber auch der Anspruch auf soziale Unentbehrlichkeit.“924 Jaitner macht dies am Beispiel des welfischen Familienmuseums
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waren 14 Räume des Schlosses zu besichtigen, wenn Wilhelm (II.) von Preußen nicht vor Ort war, vgl. Schalenberg, Marc: Schlösser zu Museen: Umnutzung von Residenzbauten in Berlin und München während der Weimarer Republik, in: Biskup/Kohlrausch, S. 186; auch das als Sommerresidenz genutzte Neue Schloss in Baden Baden konnte von Touristen besichtigt werden, vgl. Piesker, S. 8f. Vgl. König-Lein, Susanne: Herzog Carl I. und der Geschmack, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 100ff; vgl. Fink 1967, S. 60; die Bestände wurden auch vom Collegium Carolinum genutzt, vgl. Walz 2004, S. 13; vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 12. Müsch, S. 61. Vgl. Matuschek zum Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig, Matuschek, S. 93. Vgl. Luckhardt in Bezug auf Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 10; vgl. auch Müsch, S. 62; beispielsweise verlagerte sich auch im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Nutzung von zu Privaträumen zählenden Kabinetten hin zu häufiger der Repräsentation zugehörigen Galerieräumen; dies ist mit einer stärkeren Gewichtung des Kunstwertes einzelner Objekte verknüpft, vgl. Küster, S. 87f; vgl. Sheehan, S. 43; die Salzdahlumer Galerie wurde durch die Schlosserweiterung 1701 bereits vom Wohnbau abgegliedert und war diesbezüglich der erste Bau dieser Art in Deutschland, vgl. Fink 1967, S. 28; Ernst August von Cumberland zeigte den so genannten „Welfenschatz“ bis 1906 im Museum für Kunst und Industrie in Wien, lebte jedoch in Gmunden, vgl. Steckhahn, S. 65. Grasskamp 1981, S. 37; vgl. Sheehan, S. 44; auch Calov spricht im Zusammenhang des 1861 von Georg (V.) von Hannover gegründeten Welfenmuseums davon, dass dieses so-
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deutlich, welches „zunächst der geschichtlichen Erinnerung an die hohen Verstorbenen des Welfischen Hauses dienen [sollte]“ und „darüberhinaus [...] eine allgemeine geschichtliche und kulturgeschichtliche Zielsetzung“925 hatte. Durch wissenschaftlich geordnete und institutionell geführte Sammlungen erweiterte der Adel den Umgang mit seinem Besitz um eine zeitgemäße Behandlungsform926. Diese ging einher mit einer meist räumlich begründeten Distanzierung zum höfischen Alltag, unterlag aber noch immer den Wünschen und Anweisungen des Fürsten sowie dessen repräsentativen Ansprüchen927 . Nicht zuletzt durch weiterhin in wohl aus Studiengründen als auch zum Ruhm des Hauses eingerichtet wurde, Calov, S. 149; dessen Gründung wurde durch den Kauf des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ vorangetrieben, was, ebenso wie das Gründungsdatum zum Jahrestag der Schlacht von Waterloo, den repräsentativen Nutzen unterstreicht, vgl. Jaitner, Klaus: Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg (Welfenschatz) vom 17. bis 20. Jahrhundert, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Band XXIII, herausgegeben im Auftrag des Stiftungsrats vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Werner Knopp, Berlin 1987, S. 395; vgl. Schnath, Georg: Besitzgeschichte des Helmarshausener Evangeliars Heinrichs des Löwen (1188-1935), in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek, herausgegeben von Paul Raabe, Band 7, Frankfurt am Main 1987, S. 214f; auch Möckl schreibt, dass noch Anfang des 20. Jahrhunderts auch in der Außenwirkung kulturelle Einrichtungen wie Sammlungen weitgehend in der Hand des Adels lagen, Möckl: Der deutsche Adel und die fürstlich-monarchischen Höfe, S. 108; beispielsweise öffnete die Familie Thurn und Taxis erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts – nach Gründung des Rheinbundes und nach der Mediatisierung – stückweise Sammlungsteile, was darauf hinweist, dass diese ihre Stellung unterstreichen sollten, vgl. Grillmeyer, S. 253. 925 Jaitner, S. 395; auch Bungarten weist auf diese Funktion des Familienmuseums (Eröffnung 1854) hin sowie auf das Ziel des Welfenmuseums, möglichst alles zu sammeln, das in Verbindung zum Königreich Hannover stand, vgl. Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 58. 926 Valter bezeichnet die 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts diesbezüglich als bedeutenden Umbruch in der Sammlungsgeschichte, Inventarisierungsmaßnahmen und damit verbundene Ordnungsprinzipien wurden v.a. von bürgerlichen Sammlern genutzt und damit Vorbild für den Adel. Die Kunst- und Naturalienkammer wurde zur etablierten Sammlungsform, Valter, S. 21ff; weitere Sammlungsformen blieben jedoch bestehen, z.B. weisen Bredekamp/Brüning auf den langen Bestand der Berliner Kunstkammer hin, Bredekamp/ Brüning, S. 139; Möckl stellt fest, dass der Adel den Einbezug der Wissenschaft als Mittel der Modernisierung nutzte, um im Zentrum der Öffentlichkeit zu bleiben, Möckl: Der deutsche Adel und die fürstlich-monarchischen Höfe, S. 100. 927 Vgl. Sheehan, S. 42; eine Methode des öffentlichen Zeigens ohne Distanzierung zu den Objekten für den Besitzer (allerdings mit großer Distanz der Betrachter), war die Herausgabe von Kunstpublikationen wie beispielsweise 1913 von 35 Porträts von „Welfenfürsten der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Lande“ und 1914 eines Katalogs mit Bildnisminiaturen, beide herausgegeben von Ernst August von Cumberland, vgl. Steckhahn, S. 68; Bungarten bezeichnet das Welfenmuseum als eine „der dynastisch-monarchischen Repräsentation dienende [...] Institution“, Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 59.
364 | S AMMLUNGEN DES A DELS den Wohn- und Repräsentationsräumen aufbewahrte Sammlungsteile und die Mobilität derselben war das öffentliche Zeigen eine Ergänzung – nicht jedoch ein ausschließlicher Ersatz – für die beschriebenen weiteren Formen des Zeigens. Bewahren I Der heutige Sammelbegriff ist untrennbar mit dem Bewahren von Dingen verbunden und auch wenn die Priorisierung dieses Vorgangs in manchen Fällen lähmenden Charakter haben kann, ist das Bewahren für eine gewisse Dauer grundsätzliche Voraussetzung zur Bildung von Sammlungen sowie mit diesen verknüpfte Bindungen. Die Lebensweise des Adels ist geprägt von Dauerhaftigkeit und – damit verknüpft – mit dem Bewahren von Besitz. Die diesbezüglich weitreichenden rechtlichen Bemühungen betrafen vorrangig ausgewählte Sammlungsteile (wie beispielsweise Bibliotheken und Gemäldegalerien928, aber auch Schlösser mit ihrer Ausstattung) und wurden bereits in Kapitel 2.3 beschrieben. Ein Interesse am Erhalt von Objektbeständen war daher, ebenso wie derjenige von Einzelobjekten, Teil der Tradition hochadliger Familien mit dem Ziel des Vermögens- und Prestigeerhalts. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sah der Hochadel darüber hinaus in seinem Besitz und dem mit diesem verbundenen Lebensumfeld die Chance, in einer sich verändernden Gesellschaft eine gehobene Stellung halten zu können929. Dauerhaftigkeit machte die Besonderheit fürstlicher Sammlungen aus, so dass Schalenberg feststellt: „Woran machten sich fürstlicher Einfluss und ‚Würde‘ fest? Neben dem schnellen, oft aber auch kurzlebigen Ruhm des Schlachtfeldes und den divertissements durch Bälle, Konzerte oder andere Festivitäten schien namentlich der Auf- und Ausbau von Bibliotheken und Kunstsammlungen ein verlässliches Mittel, Zeitgenossen und Nachwelt für sich zu gewinnen – wovon Quantität und Qualität der über Jahrhunderte hinweg aufgebauten Sammlungen ein beredtes Zeugnis ablegen.“930
928 Neben den beschriebenen Fideikommissen und Hausgütern wurden zu diesem Zweck auch Testamente genutzt, so verfügte beispielsweise Kardinal Alessandro Farnese, dass sowohl Bilder als auch Bücher weder verliehen, noch verkauft oder anderweitig aus seinem Palast entfernt werden durften. Ebenso bemühte sich August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel um den Erhalt seiner Bibliothek und Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel um den ungeteilten Bestand seiner Gemäldesammlung, vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 11; vgl. auch Fink 1967, S. 45; vgl. von Holst, S. 132; Ferdinand (I.) Erzherzog von Österreich König von Böhmen, Kroatien und Ungarn Kaiser des Heiligen Römischen Reiches legte fest, dass seine Münzsammlung sowie in einer späteren Festlegung, dass die Sammlung Schloss Ambras’ auch nach Verkauf des Schlosses selbst geschlossen erhalten werden sollten, vgl. Ketelsen, S. 124ff. 929 Dilcher sieht in der ökonomischen Grundlage die Voraussetzung für Traditionspflege, Dilcher, S. 80; allerdings ist die Traditionspflege ebenso Grundlage der ökonomischen Stellung; auch Braun weist darauf hin, dass der Adel Abgrenzungsmöglichkeiten nach außen stark verteidigte und betont zu diesem Zweck die Erbrechtsregelungen, Braun, S. 87ff; diese waren, wie oben bereits dargelegt, nicht unabhängig von Objektbeständen. 930 Schalenberg, S. 185.
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Zum Erreichen dieser Ziele konnte der Adel jederzeit auf große Besitzbestände zurückgreifen, welche sich – wie anhand der Methoden des Anhäufens deutlich wurde – zudem stetig vermehrten. Der Erhalt von Quantität stand bei den auf Universalität und/oder Massenwirkung ausgelegten Sammlungen im Vordergrund vor dem Wunsch nach unveränderten Beständen. Entsprechende Vermächtnisse änderten daher nichts an der für den Besitz des Adels typischen Dynamik. Beispielsweise setzte August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel die Verfügung Anton von Braunschweig-Wolfenbüttel, seine Bildersammlung ungeteilt zu erhalten, derart um, dass „nur ganz wenige Bilder der Galerie entnommen und nicht viel mehr hineingekommen sind. Die Abgänge sind belanglos bis auf einen angeblichen Ribera und Dous Selbstbildnis; beide wurden nach Braunschweig und Wolfenbüttel geholt und sind später zurückgekommen.“931 Eine weitere Nutzung je nach Bedarf wurde durch den Wunsch nach Erhaltung nicht ausgeschlossen. Die heutige Bewahrungsverpflichtung zielt dem entgegengesetzt jedoch sowohl auf den Ausschluss von Objektabgaben ab als auch ebenso auf deren möglichst unveränderten physischen Erhalt, was zu einer starken Einschränkung der Nutzungsmöglichkeiten führt. Die Beschreibungen verschiedener Gründe des Anhäufens von Adelssammlungen sowie die Funktionen des Zeigens derselben haben vorab verdeutlicht, dass Nutzung für den Adel immer vor Unveränderlichkeit stand. Trotz dieses augenscheinlichen Unterschiedes zur Idee des kulturellen Erbes kann aus dem Verhalten des Adels aber kein grundlegendes Desinteresse am physischen Erhalt von Dingen abgeleitet werden. Nicht allein aus Kostengründen stand Erhalt vor Austausch. Allerdings war nicht die Bewahrung von Originalsubstanz das vorrangige Ziel, sondern das Sicherstellen der weiteren Nutzungsmöglichkeit: Die in hohem Maß auf visuell erfahrbare Eindrücke ausgelegten Höfe betrauten zahlreiches Personal mit der Pflege von Möbeln, Tapisserien und weiterer Einrichtung, um deren Erscheinungsbild aufrechterhalten zu können932. Tapeten und Wandschmuck wurden 931 Fink 1967, S. 46; auch die von Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel beschlossene Unteilbarkeit der Bevernschen Kunstkammer wurde nicht uneingeschränkt beachtet, vgl. Fink 1967, S. 18. 932 Vgl. Hüttl/Lessing, S. 57; vgl. Kotzurek, S. 154; Moser listet für den „Kayserlichen Obrist-Cammerer-Stab“ folgende Personen auf: „Gallerie-Inspector“, „Crystall-Schneider“, „Mobilien-Inspector“, „Ober- und Unter-Tapeziers, samt Gehülfen“, Moser: 2. Band, S. 108-109; weiter listet er auf „Die Ober-Cämmeren zu Dresden hat unter ihrem Stab“: „Die Bibliothec, und samtliche Curiositäten-Cabinette“, „Die Schloss-Inspectores, Bettmeister, Tapezier [...]“, „Verschiedene Künstler und Handwerker“, Moser: 2. Band, S. 109-110; des Weiteren beschäftigt er sich mit „Von denen zur Aufsicht über die Meubles bestellten Aemtern und Personen“, welche unter anderem „haben die Sorge wegen Anschaffung, Eintheilung, Veränderung, Erhaltung, Ausbesserung, Verwahrung und endlich Austausch oder sonstigen Wegschaffung samtlicher an Hof gehörigen Mobilien [...]“, Moser: 2. Band, S. 305-306; „kostbare aus Gold und Edelsteinen bestehende Meubles werden in den Schatz-Cammern verwahrt“, Moser: 2. Band, S. 306; Bedienstete zur Pflege des Silbers waren der Silberkammer unterstellt, Moser: 2. Band, S. 307; am Berliner Hof hatte der Hofmarschall Aufsicht über die Silber- und Weißzeugkammern, vgl. Philippi, S. 366; zur verantwortungsvollen Position der Silberdiener vgl. Hofmann/ Klingebiel, S. 57.
366 | S AMMLUNGEN DES A DELS ausgebessert und Parkettbohner zur Pflege der Böden waren ein enormer Kostenfaktor933 – beides zählte nicht zu den grundsätzlichen Reinigungstätigkeiten. Schutzbezüge aus Baumwollstoff sollten Holzmöbel schützen934 und neue Bezüge zur Vereinheitlichung oder zur Ausbesserung ermöglichten die weitere Verwendung älterer Möbel bei Neueinrichtungen oder Umgestaltungen in den Schlössern 935. Auch die aus heutiger Sicht häufig negativ bewerteten historistischen Ausstattungsgegenstände sind vor dem Hintergrund zu betrachten, alte Bestände möglichst passend ergänzen – und damit erhalten – zu können936. Für ausgewählte Sammlungsbestände wurde Fach-Personal eingestellt, so beispielsweise für Bibliotheken und Bildergalerien937 . Wie auch heute waren die Erhaltungkosten hoch und wurden entsprechend ungern bewilligt, so dass man beispielsweise in Salzdahlum dem Wunsch nach „blanken“ Gemälden durch wiederholtes Firnissen mit Eiweiß und später durch eine Behandlung mit Leinöl nachkam, um Kosten zu sparen938. Die Notwendigkeit einer Behandlung von Gemäldeoberflächen wird verständlich, wenn man bedenkt, dass die zur Heizung verwendeten Kamine starken Ruß entwickelten, der zu einem dauerhaften Problem für jegliche Einrichtungsgegenstände wurde939. Konservatorisch bedenkliche Standorte wurden zum Teil erkannt, jedoch aus Kostengründen nicht behoben940 . Schließlich kam es zu Gemälderestaurierungen, die man aus damaliger Sicht als fortschrittlich bewertete. Wenn Anderson den Zustand von Renaissancegemälden in Museen des 19. Jahrhunderts als „far from satisfactory“941 beschreibt, ist dem aus heutiger Sicht zuzustimmen. Ihre weiteren Ausführungen, „for they were often covered by filth, discoloured varnish and the overpainting of earlier restorers“942, machen jedoch deutlich, dass dies nicht in Desinteresse gegenüber der Erhaltung, sondern in den Lebensumständen früherer Jahrhunderte begründet liegt sowie im Wunsch nach Benutzung, was im Falle von Gemälden der Lagerung innerhalb von Wohnräumen mit schwankendem Klima sowie Ablagerungen von Ausdünstungen und Ruß gleichkam. Eine angemessene Behandlung der Objekte wurde erwartet943 und ab dem Zeitpunkt einer stärkeren Öffnung von Sammlungsteilen ausdrücklich gefordert. Bei-
933 934 935 936 937
938 939 940 941 942 943
Vgl. Burke, S. 154ff. Vgl. Kotzurek, S. 136. Kotzurek, S. 120 und S. 134. Vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 392. Beispielsweise beschäftigte Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel Anfang des 18. Jahrhunderts für seine Bibliothek in Schloss Blankenburg einen Bibliothekar, vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S. Vgl. Fink 1967, S. 74 und S. 87. Vgl. Burke, S. 96. Beispielsweise war ein Teil des Salzdahlumer Galeriegebäudes über einem Fluss errichtet worden, vgl. Fink 1967, S. 74. Anderson, S. 376. Anderson, S. 376. „Die Unverletzbarkeit der Sachen macht die Zimmer und darinn befindliches Geräth, auch die demselben vorgesetzte Wache heilig, so dass ein an denselben verübtes Verbrechen capital ist. Daraus fliesset ferner das schon gemeldte Verbot, von den Tafeln, aus Küche, Keller und sonst nichts zu verschleppen ... Aus gleichem Grund ist die Beschädi-
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spielsweise wurden im Kunst- und Naturalienkabinett in Braunschweig Besucher durch die Sammlungen geführt, wobei die Objekte nicht eigenmächtig berührt werden durften944. Das Berührungsverbot sollte (ebenso wie die Abgabe von mitgeführten Degen beim Eintritt in die Sammlungen) Beschädigungen verhindern, hatte jedoch keine mit heutigen Standards vergleichbaren konservatorischen Gründe, so dass der zuständige Angestellte den Besuchern ausgewählte Objekte in die Hand geben konnte945. Das Verhalten Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel lässt vermuten, dass mit Einrichtung dieser institutionalisierten Sammlungsteile der Hintergrund einer Nutzungsanfrage ausschlaggebend für Zustimmung oder Ablehnung war: so war es möglich, für wissenschaftliche Studien Objekte zu entleihen, einer wiederholten Ausleihe von Kupferstichen durch seinen Bruder stimmte er jedoch nicht zu946. Entsammeln I Als gleichzeitig organisatorische und bewahrende Maßnahme ist die Anfertigung von Inventaren zu werten. Solche Bestandsaufstellungen und deren jährliche Überprüfung erwähnt Moser in seinem „Teutschen Hof-Recht“947 . Die Inventare948 , welche nicht zuletzt auf eine quantitative Erfassung der Objekte abzielten und in der Regel nach Standort der Objekte gegliedert waren, wurden sowohl für Ausstattungsgegenstände als auch für in Kabinetten und Galerien aufbewahrte Objekte angefertigt und waren bis ins 20. Jahrhundert wichtiges Instrument der Schlossverwaltungen949 . Ihnen liegen auch rechtliche Gründe der Bestandserfassung zugrunde950. Für Moser ist die Erstellung der Inventare verknüpft mit der Erhaltung des Gesamtbestandes, was Entsammlungsmaßnahmen nicht aus-, sondern einschloss: „[...] müssen ordentliche Inventaria errichtet und von Jahr zu Jahr nachgesehen, das abgängige ersetzt und sonst alles angewandt werden, was zu obbemeldtem Zweck [der Erhaltung, Ausbes-
944 945 946 947 948
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gung und Verunreinigung der Residenz-Gebäude an sich hoch verboten [...]“, Moser, Friedrich Carl von: Teutsches Hof-Recht, 1. Band, Frankfurt und Leipzig 1761, S. 135. Vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 13; vgl. Matuschek, S. 94. Vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 13. Matuschek, S. 95; ebenso ließ er kostbare Medaillen zu sich bringen, wenn die Damen des Hofes das Kabinett besuchten, Matuschek, S. 94. Moser: 2. Band, S. 306; Ketelsen erwähnt dies für die Sammlung auf Schloss Ambras bereits für das 16. Jahrhundert, Ketelsen, S. 119. Sie sind zu unterscheiden von Sammlungskatalogen, welche ausführlichere Beschreibungen enthalten und auf inhaltliche Ordnungssysteme Bezug nehmen. Während Inventare also vor allem der Verwaltung dienten, konnten Kataloge zur Außenwirkung von Sammlungsbeständen eingesetzt werden, vgl. Ketelsen, S. 159. Von der herzoglichen Schlossverwaltung in Braunschweig liegen Inventare aus den Jahren 1869, 1911 und 1917 sowie vereinzelte Aufstellungen zu einzelnen Beständen (z.B. Silberobjekte) vor, Inventarium des Herzoglichen Residenz-Schlosses zu Braunschweig, Braunschweig 1869; Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig, Braunschweig 1911; Möbel-Inventar des Residenzschlosses zu Braunschweig 1917, Braunschweig 1917; vgl. Wedemeyer/Willemsen, die sämtliche dieser Inventare nennen und ausgewertet haben, Wedemeyer/Willemsen; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 510ff. Vgl. Ketelsen, S. 103.
368 | S AMMLUNGEN DES A DELS serung, Verwahrung, Anm. U.S.] erforderlich ist.“951 Derart ausgesonderte Möbelstücke konnten weitere Verwendung in den Räumen des Personals finden952. Jährliche Überarbeitungen – Aussonderungen eingeschlossen – wurden ebenso in Kabinetten und Galerien durchgeführt. Beispielsweise wurden 1738 unter Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel in der Salzdahlumer Gemäldesammlung etwa ein Drittel von insgesamt 200 Gemälden aussortiert953. Auch hier war der Erhalt des Gesamteindruckes vordergründiges Ziel, so dass die Abgaben durch Gemälde aus den Wohnräumen ersetzt wurden954 . Veränderungen dieser Art konnten durchaus geschmackliche Hintergründe haben, welche aus heutiger Sicht kaum nachvollziehbar sind, jedoch im Zusammenhang mit damaligen Modetrends verständlich werden955. Neben der Weiterverwendung von Silber durch Einschmelzen zur Neuformung956 oder von Möbeln in rangniedrigeren Räumen war der Verkauf von Schlossausstattung, welche nicht mehr gebraucht wurde oder aus geschmacklichen oder finanziellen Gründen abgegeben werden sollte, üblich957. Dieses Vorgehen – beispielsweise in 951 Moser: 2. Band, S. 306; auf diese in Inventaren vermerkten Veränderungen weist auch Kotzurek hin, Kotzurek, S. 232; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 275; vgl. Auszug aus dem Möbelinventar von 1917, kombiniert mit „Möbelabschätzung“ von 1921 durch P.J. Meier und Verbleib 1919-1926, in: Wedemeyer/Willemsen, S. 310-311; mit dem Vermerk des Verkaufs eines Schrankes im Juni 1918, Wedemeyer/Willemsen, S. 311; im Zusammenhang mit einer teilweisen Neuausstattung des Braunschweiger Residenzschlosses nach einem Brand wurde auch abgenutztes Mobiliar ausgetauscht, Wedemeyer/ Willemsen, S. 381. 952 Vgl. Kotzurek, S. 232; vgl. Ramsey, L.G.G.: Treasures of the House of Brunswick – I: Furniture and Silver, in: The Connoisseur, Band 130, London 1952, S. 91. 953 Vgl. Fink 1967, S. 53. 954 Vgl. Fink 1967, S. 53. 955 Es kam zu Aussonderungen von Gemälden Tiepolos u.a., vgl. von Holst, S. 140; auch Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte einen anderen Geschmack als sein Vater Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, der zu erneuten Veränderungen in den Sammlungen führte, vgl. von Holst, S. 141. 956 Ein durch mehrfachen Verkauf im Kunsthandel bekannt gewordener Leuchter für Georg (II.) von Hannover war von Balthasar Friedrich Behrens aus dem Silber beschädigter Hofobjekte gefertigt worden, vgl. Weltkunst 08/2011: Lassaline, Jeffrey: Silber-Surfer. Silber boomt. Beispiel: der Kronleuchter George II, o.S. 957 Vgl. Kotzurek, S. 233; Heskia beschreibt dies auch für die Sammlung des Kardinals Alessandro Albani, die ständiger Veränderung – auch durch Verkäufe – unterworfen war, Heskia, S. 78; Ernst August (I.) von Hannover veräußerte beispielsweise einen großen Silberkandelaber, welcher 1959 an das Metropolitan Museum of New York gelangte, vgl. Metropolitan Museum New York - Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum. org/collection/the-collection-online/search/202395?rpp=20&pg=1&ft=cumberland&pos= 14&imgNo=0&tabName=object-information; Karl Friedrich Markgraf von BadenDurlach Herzog von Zährigen Großherzog von Baden Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches veräußerte 1808 Kunstobjekte aus finanziellen Gründen, vgl. Einleitung, in: Auktionskatalog Sotheby’s 1995, S. 15; als Sonderfall ist diesbezüglich die Versteigerung von Möbeln, Hausrat und Gemälden aus Schloss Salzdahlum durch die französischen Besatzer zu werten, vgl. Fink 1967, S. 97ff.
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Form von Auktionen – war des Weiteren eine Möglichkeit, nach dem Tod eines Würdenträgers die Aufteilung der Erbmasse zu erleichtern958. Diese Variante wurde vor allem für diejenigen Würdenträger gewählt, deren Position und Wohnbereich nicht an direkte Erben weitergegeben wurden, deren Bestände sehr groß waren oder aber deren finanzielle Situation dies als sinnvollstes Vorgehen erscheinen ließ. Beispielsweise wurden Besitztümer August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel direkt nach dessen Tod aufgelöst: einen Teil der Bestände erhielt seine Witwe, weitere – wie die heute wieder im Besitz der Welfen befindlichen Silbermöbel – wurden verkauft959. Maria Theresia von Österreich erbte 1771 Sammlungsbestände der Markgrafen von Baden, welche sie wenige Jahre später versteigern ließ960 . Nach dem Tod Maximilian (I.) Josephs Pfalzgraf bei Rhein Herzog von Jülich und Berg Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches König von Bayern wurde dessen private Sammlung 1826 verauktioniert961 . Vor allem seit dem 17. Jahrhundert wurden diese Verkäufe durch einen aufstrebenden (Kunst-)Markt begünstigt, der im 18. Jahrhundert stark beachtete Auktionen hervorbrachte, die zugleich gesellschaftliche „Events“ wurden962. Wie bereits zu Beginn des Kapitels erwähnt, wurden Objekte aus Edelmetallen grundsätzlich auch als finanzielle Rücklage betrachtet und waren vor allem in Krisenzeiten gefährdet963. Dies betraf sowohl selbst erworbene als auch ererbte oder als Geschenk empfangene Objekte, wobei neben dem Aspekt der Gewinnung von Geld auch optische Gründe Ausschlag geben konnten, wie Seelig am Beispiel von Huldigungsgeschenken deutlich macht:
958 Dies beschreibt Frankhäuser in Bezug auf die Kurfürsten und Erzbischöfe von Mainz, vgl. Frankhäuser, S. 52. 959 Vgl. Fink 1967, S. 48f; nach dem Tod eines Angehörigen der Familie von Eltz erhielten die Erben 100 von 1231 Gemälden, der Rest wurde versteigert, vgl. von Holst, S. 165; die Versteigerung von Teilen der Kunstsammlung Wilhelm (III.) von Oranien-Nassau König von England, Schottland und Irland durch die Witwe seines Sohnes 1713 muss laut Jonckheere „Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens dieses Sommers in Amsterdam gewesen sein“, Jonckheere, Koenraad: „Was ich aus Braband und Holland mitgebracht“. Anton Ulrich (1633-1714), seine Gemäldesammlung und die Niederlande, in: Luckhardt, Jochen (Hrsg.): Das Herzog Anton Ulrich-Museum und seine Sammlungen. 1578 - 1754 - 2004, München 2004, S. 108. 960 Vgl. Einleitung, in: Auktionskatalog Sotheby’s 1995, S. 15. 961 FAZ auf FAZ.net, 19. März 2011: Sachs, Brita: Was der König kaufte, ersteigert der Direktor nimmermehr. 962 Pomian 1998, S. 63f; vgl. Küster, S. 91; vgl. Jonckheere, S. 108; der Meinung Pieskers, diese Auktionen seien „anrüchig“ gewesen und in heutiger Zeit dagegen akzeptiert, ist nicht zuzustimmen, vgl. Piesker, S. 15. 963 Ramsey sieht auch in Kriegen den Grund für Dezimierungen des Silberbestandes der Welfen: „The earlier Dukes of the two collateral lines of the House of Brunswick have left little in the way of plate or works of art. This may in part be due to the fact that succeeding generations have not hesitated to melt down or do away with objects that have become old-fashioned, in part to the constant wars which must have drained their treasures.“, Ramsey, S. 90.
370 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Überdies war dem Empfänger die Möglichkeit gegeben, das aus Edelmetall bestehende Geschenk gegebenenfalls einschmelzen zu lassen, um in einer finanziellen Notsituation Münzgeld zu gewinnen oder auch, um aus dem nicht mehr dem aktuellen Geschmack entsprechenden Gerät neue Tafel- oder Raumzier in modischen Formen anfertigen zu lassen.“964
Olmi weist darauf hin, dass die Sammlungen, vor allem für die Zeit des Mittelalters, aus diesen Gründen eher als „Schatz“ bezeichnet werden sollten965. Allerdings war dieses Vorgehen auch zu späteren Zeiten durchaus üblich, so dass es am Versailler Hof Ende des 17. Jahrhunderts zum Einschmelzen des Tafelsilbers kam966 und grundsätzlich auch Möbel, Stoffe und Ausstattungsgegenstände zur Geldbeschaffung verkauft werden konnten967. Bestände aus Galerien oder Sammlungskabinetten waren von diesen Maßnahmen nicht ausgeschlossen und wurden beispielsweise am Braunschweiger Hof während der Regentschaft Karl Wilhelm Ferdinands von Braunschweig-Wolfenbüttel aufgrund der prekären Finanzsituation Gegenstand von Verkäufen: er ließ Münzen, Juwelen, Bernstein-, Kristall- und Elfenbeinarbeiten verkaufen, welche teilweise auch aus dem Kunst- und Naturalienkabinett stammten968. Inte964 Seelig: Huldigungspräsente, S. 12. 965 Vgl. Olmi, S. 181; auch Alsop beschreibt die Eigenschaften der Materialverwertung sowie der trotz des repräsentativen Wertes auch einfachen finanziellen Nutzung dem Schatz – im Gegensatz zur Kunstsammlung – zu, Alsop, S. 54; all diese Eigenschaften sind jedoch auch Merkmale von Adelssammlungen. 966 Vgl. Burke, S. 127; vgl. Newton, S. 128; Silbermöbel sind auch aus diesem Grund heute selten, vgl. Ramsey, S. 91; zum Amtsantritt als Fürstbischof von Hildesheim Mitte des 18. Jahrhunderts wurden Silberobjekte Friedrich Wilhelms von Westphalen zum Teil in den neuen Hofstand integriert, zum Teil jedoch eingeschmolzen, Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, S. 98; Seelig erwähnt darüber hinaus die Häufigkeit des Einschmelzens von Tafelsilber Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts zur Finanzierung von Kriegssteuern, Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, S. 99. 967 Z.B. wurden, um die Bauausgaben des Schlosses Solitude decken zu können, sowohl Möbel als auch Gold und Silber veräußert, dazu nutzte man Einzelverkäufe sowie Auktionen, vgl. Kotzurek, S. 282f; ebenso im Falle Ottheinrichs Pfalzgraf von Pfalz-Neuburg Pfalzgraf-Kurfürst von der Pfalz, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 63. 968 „Als er dann an die Durchführung einer langfristigen Finanzreform ging, zögerte er nicht, auch die ererbten Kunstschätze anzugreifen, um die Tilgung drückender Schulden zu beschleunigen. Es geschah in aller Stille und ist daher nicht in vollem Umfange nachzuprüfen. Aber wir wissen, dass er den Inhalt des Wolfenbütteler Zeughauses mit wertvollen alten Rüstungen geopfert hat und dass Sachwerte aus der Luxuseinrichtung August Wilhelms im Braunschweiger Schloss verkauft wurden ... Und auch im Kunst- und Naturalienkabinett waren nur die wertvollsten Stücke vor der Abgabe geschützt.“, Fink 1967, S. 81; vgl. auch Fink 1967, S. 61; vgl. Walz 2004, S. 16; vgl. Büttner, S. 40; vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 220f; auch Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel hatte bereits Silberobjekte verkauft, vgl. Büttner, S. 40; die Fürsten von Isenburg verkauften im 19. Jahrhundert die Gemäldesammlung des Schlosses Birstein aus dem 18. Jahrhundert, Rogasch, S. 174; allerdings versuchten die Nach-
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ressant ist, dass vor allem nach Materialwert veräußert wurde und Porträtreliefs aus Stein und Email, welche Teile von goldgefassten Tabatieren waren, nach dem Verkauf der Metallteile in die Sammlung zurückkehrten969 . Es muss darüber hinaus festgehalten werden, dass der Verkauf von Objekten für den Adel keineswegs geschäftlichen Charakter in Form von Handel hatte und diese grundsätzlich nicht mit dem Ziel des Wiederverkaufs erworben wurden970. Stattdessen stellte der Besitz des Adels ein sich ständig veränderndes Kapital dar, welches je nach Bedarf eingesetzt werden konnte, wie Olmi zusammenfasst: „Abgesehen von dem ursprünglichen Zweck der Sammlungen ist die gesamte Neuzeit voller Fälle, die beweisen, dass es immer möglich gewesen ist, zu einem späteren Zeitpunkt aus sehr vielen Sammlungen einen großen wirtschaftlichen oder politisch-wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen. Der gewöhnlichste Fall war der Verkauf der Sammlung gegen Geld; in Wirklichkeit konnten jedoch die vom Eigentümer geforderten Zahlungsformen ganz unterschiedlich sein.“971
Vor diesem Hintergrund sind auch das freundschaftliche oder verwandtschaftliche Tauschen zu sehen, wie es vor allem im Fall von Dubletten für Sammlungsgebiete wie Bücher und Münzen gängig war972 . Auch Objektabgänge durch Verschenken konnten Vorteile bringen oder Beziehungen zu Personen und Institutionen pflegen973 . Es ist allerdings wichtig zu betonen, dass es nie die vorrangige Funktion des Besitzes war, rein wirtschaftlich zur Vermehrung des Reichtums genutzt zu werden, sondern dass ebendiese genannten Möglichkeiten der Nutzung als finanzielles und auch soziales Kapital wesentliche Bedeutung hatten974 .
969 970 971 972 973
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kommen durch erneute Ankäufe die Verluste auszugleichen, vgl. von Alvensleben/von Koenigswald, S. 146f; die Fürsten zu Fürstenberg verkauften ebenfalls im 19. Jahrhundert weite Teile ihres Kunstbesitzes, Rogasch, S. 206; auch von Holst weist darauf hin, dass Verkäufe aus Adelsbesitz im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nicht ungewöhnlich waren, von Holst, S. 232. Vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 221. Vgl. von Dissow, der darauf hinweist, dass Vermögensbildung durch Kaufmannspraxis verpönt war, vgl. von Dissow, S. 25. Olmi, S. 183. Vgl. Müsch, S. 64; vgl. Wenzel: Die Bibliothek des Herzoglichen Kunst- und Naturalienkabinetts im 18. Jahrhundert, S. 73. Carl Eugen von Württemberg verschenkte Möbel an ehemalige Mätressen, vgl. Kotzurek, S. 179; Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel gab theologische Schriften an die Helmstedter Universität ab und Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel weitere Sammlungsbestände Ludwig Rudolfs nach dessen Tod an das Predigerseminar in Riddagshausen sowie an Bedienstete, vgl. Büttner, S. 33f; Carl (I.) von BraunschweigWolfenbüttel übergab Teile des Bevernschen Erbes dem Kloster Amelungsborn, vgl. Büttner, S. 43; August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel nutzte Objekte aus den Salzdahlumer Sammlungen als Geschenke für seine Frau, vgl. Büttner, S. 43; laut Fink bot Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel das „Mantuanische Onyxgefäß“ dem Kaiser an, um die Statthalterschaft der Grafschaft Tirol zu gewinnen, Fink 1967, S. 17. Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 366.
372 | S AMMLUNGEN DES A DELS Bindungen I Wenn Pomian feststellt, dass sich die fürstlichen Schatzkammern seit dem 15./16. Jahrhundert zu Privatsammlungen entwickelten975, unterstreicht dies die hier deutlich gemachte Verknüpfung zwischen Kapital und Sammlung. Darüber hinaus macht der Hinweis auf den privaten Charakter des Besitzes darauf aufmerksam, dass dieser untrennbar mit dem jeweiligen Sammler verbunden war und von diesem (unter Einbezug der oben erwähnten Beeinflussung durch die Familie) persönlich gestaltet wurde976 . Aus diesem Grund weisen die Sammlungen in Schwerpunkt und Ausdehnung einzelner Bereiche je nach Interesse des Sammlers große Unterschiede auf977 . Während beispielsweise August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel seine Bibliotheksbestände vergrößerte und selbst den zugehörigen Katalog eigenhändig schrieb978 , lag das Interesse seines Sohnes Ferdinand Albrechts (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel in der Einrichtung einer Wunderkammer mit zahlreichen Naturalien und Kuriositäten979 . Da die erwähnte Büchersammlung Augusts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel neben kostbaren auch einfache Ausgaben beinhaltete und Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel vor allem den Naturalien besonderes Interesse entgegenbrachte980 , machen beide Fälle deutlich, dass materielle Werte in Sammlungen des Adels kein vorrangiges Kriterium für persönliche Bindungen waren. Ebenso wenig war das individuelle rechtliche Eigentum an Sammlungsobjekten, welches heute für Privatsammler diesbezüglich von großer Bedeutung ist, unumstößliche Voraussetzung für den Aufbau von Bindungen: Während Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem zu Lebzeiten und nach seinem Tod große Anerkennung als Gemäldesammler entgegengebracht wurde/wird, zumindest an wesentlichen Teilen des Gemäldebestandes ausschließlich Nutzungsrechte besaß, war er doch eng mit dieser Sammlung verbunden. Ebenso wie der Schlossbau in Salzdahlum waren diese jedoch von seiner Frau Elisabeth Juliane zu Braunschweig und Lüneburg bezahlt worden und gingen nach ihrem Tod an den gemeinsamen Sohn über. „Dieser juristische Tatbestand hat nicht verhindert, dass die Öffentlichkeit in Anton Ulrich den Gründer, Mehrer und unumschränkten Eigentümer des Schlosses und seiner Kunstschätze sah.
975 Pomian 1990, S. 48. 976 Valter unterstreicht den privaten Charakter der Sammlungen und sieht in den Kunst- und Wunderkammern „Zeugen der individuellen curiositas ihrer Besitzer“, Valter, S. 22; Luckhardt spricht in Bezug auf Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und dem Kunstund Naturalienkabinett von einer „gewissermaßen private[n] Beziehung zu den Sammlungsbeständen“, Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 10. 977 Friedrich (II.) Kurfürst von Brandenburg König von Preußen (Friedrich der Große) war für seine Galerien vor allem an französischem Rokoko interessiert, vgl. Calov, S. 16; Wilhelm (VIII.) Landgraf von Hessen-Kassel sammelte niederländische Malerei, vgl. Calov, S. 18; Ludwig (I.) König von Bayern sammelte auch zeitgenössische Kunst, vgl. Calov, S. 161. 978 Vgl. Fink 1967, S. 11. 979 „[...] dem Ergebnis nach ein Chaos ungleichwertiger Raritäten.“, Fink 1967, S. 16. 980 Diese beschrieb er beispielsweise wesentlich genauer als andere Objekte der Sammlung, vgl. Büttner, S. 38.
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Es lässt sich auch nicht bestreiten, dass diese Meinung den Abstufungen gerecht wird, die in der Verbundenheit der Eigentümer und des Nutznießers mit diesem Besitz bestanden.“ 981
Die Ausstattung von Wohnsitzen und Jagd- oder Lustschlössern (inklusive der Kabinett- und Galerieräume) bot einem Fürsten – neben Neu- oder Umbauten982 – die Möglichkeit, innerhalb eines von Familie und Tradition bestimmten Lebens Persönlichkeit zu zeigen und individuell geprägte Ding-Mensch-Bindungen zu entwickeln. Die Untersuchung Kotzureks veranschaulicht am Beispiel Carl Eugens von Württemberg detailliert, wie Veränderungen der Wohnsitze Stufen der Persönlichkeitsentwicklung zum Ausdruck bringen konnten983. Des Weiteren macht sie das innerhalb der Familien von einzelnen Personen abhängige Interesse an verschiedenen Wohnsitzen mitsamt deren Ausstattung deutlich, welches dazu führen konnte, dass kostbare Ausstattungselemente aus Räumen entfernt wurden, um andernorts genutzt zu werden984. Auch Wedemeyer/Willemsen veranschaulichen die Prägung einer Schlosseinrichtung durch die jeweiligen Bewohner985. Nutzung war häufig Voraussetzung für dieses Interesse. Es ist typisch für Adelssammlungen, und gleichzeitig ein Hinweis auf die mit diesen verknüpften Ding-Mensch-Bindungen, dass die neu eingebrachten Objekte häufig in Verbindung mit Ererbtem gebracht wurden. Das Aufstellen des eigenen Marmorporträts durch Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel in Verbindung mit weiteren Porträts (wie der Büste Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel) in seinem Kunst- und Naturalienkabinett986 deutet auf eine persönliche Bindung hin, welche gleichermaßen mit individueller Identität und Gruppenidentität des Sammelnden verknüpft war. Eine individuelle Einflussnahme auf die umgebende Dingwelt wurde durch die von Verwandten geförderten frühen Sammeltätigkeiten bereits in der Kindheit angeregt. Sie zeigte sich in der üblichen Umgestaltung des Wohnbereichs bei der Machtübernahme, in der Aufbewahrung ausgewählter Sammlungsteile in privaten Räumen 981 Fink 1967, S. 23. 982 Die ebenfalls durchgeführt wurden und deutlich dem Geschmack des jeweiligen Bauherren entsprechen konnten, so zeigten beispielsweise die im 19. Jahrhundert durch Wilhelm von Braunschweig errichteten Jagdschlösser den durch seine Jugend geprägten Einfluss englischer Architektur, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 23. 983 Beispielsweise stammten die meisten Ziergegenstände aus seinem Privatbesitz, vgl. Kotzurek, S. 271; des Weiteren wählte er die Gegenstände für ein Porzellankabinett persönlich aus, während der Architekt allein den Rahmen entwarf, vgl. Kotzurek, S. 105; die gesamte Untersuchung Kotzureks gibt zudem eine Entwicklung seines Geschmacks und Umgangs mit Objekten, auch in Hinblick auf seine politische Situation, wieder, vgl. Kotzurek gesamt sowie S. 17 und S. 62; Grillmeyer beschreibt Veränderungen der Sammlung Thurn und Taxis durch die einzelnen Fürsten und deren Ambitionen, vgl. Grillmeyer, S. 251ff. 984 Kotzurek, S. 214. 985 Besonders deutlich wird dies auch am Beispiel der nicht-welfischen Regenten nach dem Tod Wilhelms von Braunschweig 1884, welche ein besonderes Interesse daran haben mussten, ein eigenes Umfeld zu schaffen, Wedemeyer/Willemsen, S. 27ff. 986 Vgl. Katalogteil, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 113.
374 | S AMMLUNGEN DES A DELS sowie in Entsammlungsmaßnahmen der Generationen. Gleichzeitig gehörten jedoch auch Bewahrungsmaßnahmen zum höfischen Alltag und die Übernahme von Dingen als Erbe war eine gängige Methode der Besitzerweiterung. Diese Verhaltensweisen gegenüber Objekten erscheinen nur vordergründig unvereinbar und resultieren stattdessen aus dem gleichen Ziel: „Dem hohen Adel [...] ist die Erhaltung der Familie [Hervorhebung U.S.] das leitende Moment gewesen; um ihren Glanz und Macht zu erhalten, hat er durch die Selbstgesetzgebung seine Statuten geschaffen. Die Massnahmen der Unveräußerlichkeit, der Unteilbarkeit und der agnatischen Individualsuccession sollen der Erhaltung des Familienansehens [Hervorhebung U.S.] dienen. Die autonomische Satzung des hohen Adels regelt also die Verhältnisse seiner Mitglieder, um mit dem Verbot der Substanzminderung und dem Gebote einer bestimmten Succession die Familie als solche zu erhöhen.“987
Das heißt, der jeweilige Erbe von Familienbesitz hatte die Aufgabe, dieses in seiner Substanz zu bewahren (finanziell, wirtschaftlich sowie durch Erhalt ausgewählter Familienschätze), er hatte jedoch ebenfalls die Aufgabe, den „Glanz“ der Familie durch zeitgemäße Maßnahmen des Anhäufens und des Zeigens zu vermehren, was dazu führte, dass jeweils eigene Sammlungsbestände entstanden988. Die Hausgesetze enthielten Auflagen zum Erhalt, so dass zur Durchführung von Verkäufen die Zustimmung der Familie nötig sein konnte989 . In Bezug auf Ankäufe und den Umgang mit eigenen Sammlungsbeständen wurde der jeweilige Chef des Hauses jedoch nicht eingeschränkt990. Muensterberger stellt fest: „Dass jemand eine Familientradition
987 Rakenius, S. 47. 988 Dies wurde beispielsweise durch jeweils dem momentanen Stil angepasste Neubauten oder Neueinrichtungen erreicht, vgl. Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 118; als Ergebnis eines solchen Handelns beschreiben Wedemeyer/Willemsen die Ausstattung des Braunschweiger Residenzschlosses nach 1913 wie folgt: „Dennoch bot das Schloss kein eklektizistisches Bild, eher das eines gewachsenen Haushalts, der von seinen Besitzern generationsweise ‚modernisiert‘ wurde, Wedemeyer/Willemsen, S. 28; von Alvensleben/ Reuther stellen in Bezug auf Schloss Herrenhausen fest: „Ist das Schloss in seinem Äußeren zunächst sehr schlicht und bescheiden, weist sein Inneres einen von Generation zu Generation wachsenden Luxus auf.“, von Alvensleben/Reuther, S. 26. 989 Da, wie Olmi feststellt, „[d]er Verlust oder zwangsweise Verkauf einer Sammlung, die nicht selten Ergebnis leidenschaftlicher Anstrengung von Generationen gewesen war, [...] leicht als die Auflösung eines Teils der Geschichte von Dynastien gesehen [wurde], als Minderung von Prestige und teilweisen Verlust des Rechts, Macht auszuüben.“, Olmi, S. 178; ebenso konnte einem Verkauf jedoch zugestimmt werden, wenn die entsprechenden Sammlungsteile gerade nicht mehr als Steigerung von Prestige betrachtet wurden oder die finanziellen Gründe dies forderten. 990 „Die umfangreiche Korrespondenz, die [Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel] mit den Verantwortlichen des Kabinetts führte, zeichnet jedenfalls das Bild eines leidenschaftlichen, lustvollen Sammlers, der autonom über sein Tun und Lassen entscheidet und keinerlei Rechenschaft über die Nützlichkeit seiner Erwerbungen abgibt.“, Walz 2004, S. 14; vgl. Müsch, S. 62; vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öf-
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beibehält, indem er eine bestehende Sammlung weiterführt oder sie auf neue und schöpferische Weise verbessert, ist keineswegs ungewöhnlich.“991 Er weist jedoch ebenso darauf hin, dass es häufiger der Fall ist, eigene Sammelgebiete zu entdecken, und betont die biographische Bedeutung des Sammelns992. Adelssammlungen waren geprägt von Geschmack und Interesse einzelner Familienmitglieder, die eigene Biographie wurde jedoch immer eingebettet in die Geschichte der Familie. Wie auch juristisch die Familie als eine Person betrachtet wurde, so sind auch Adelssammlungen nicht als Ansammlung einzelner Privatsammlungen zu betrachten, sondern in ihrer Gesamtheit als eine Sammlung, welche durch die belebte Biographie der sammelnden Person – nämlich der Familie – immer wieder neue Prägungen erfuhr. Beide Aspekte der Sammlungen des Adels – Bewahrung alter Bestände und Ergänzung durch neue Bestände – waren damit wesentlich mit der Bildung von Identität verknüpft, und beide Sammlungsbereiche bildeten über Jahrhunderte hinweg gemeinsam das direkte Lebensumfeld des Hochadels. Die Objekte wurden verschiedenartig genutzt und in den Alltag integriert, so dass beispielsweise kunsthandwerkliche Objekte am Hof Augusts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel nicht zwangsläufig in der Kunstkammer aufbewahrt wurden, sondern ebenso in den Wohnräumen993. Dieser direkte haptische oder visuelle Kontakt verstärkte die bestehenden Bindungen, welche durch Familientradition oder eigene Auswahl und Erwerb bereits vorhanden waren. Gerade diejenigen Ausstattungsgegenstände, welche nach heutiger Auffassung mit Augenmerk auf dem Kunstwert häufig als rein dekorativ und damit unbedeutend bewertet werden, ermöglichten durch alltäglichen Kontakt die Intensivierung dieser Bindungen, so dass sie mit den jeweiligen Rezipienten in Wechselwirkung standen994. Über Friedrich (II.) von Preußen schreibt Calov: „Die schönsten Schöpfungen des französischen Rokoko hingen in den letzten Lebensjahren in seiner unmittelbaren Umgebung. Dies zeigt noch einmal die Neigung des alternden Herrschers, eine traumhafte Welt sich zu einer Scheinwirklichkeit aufzubauen, um sich vor der unmittelbaren, ihm nicht mehr verständlichen Gegenwart abzuschirmen.“995 Ohne dieser These zuzustimmen oder sie abzulehnen – was nicht Aufgabe dieser Arbeit ist – ist die beschriebene Funktion und Wirkung der Dinge hervorzuheben und zu bemerken, dass Ding-Mensch-Bindungen zwischen hochadligen Personen und den sie umgebenden Objektbeständen (unabhängig von ihrem Kunstwert) maßgeblich an der Erschaffung sowie Aufrechterhaltung der Lebenswelt des Adels beteiligt waren996.
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fentlichkeit, S. 10; alle anderen sammelnden Familienmitglieder waren in diesem Streben ohnehin finanziell eingeschränkt. Muensterberger, S. 79. Muensterberger, S. 80. Vgl. Büttner, S. 32. Diese konnten zudem durchaus auch als Sammlungsstücke angesehen werden, so beispielsweise Boulle-Kommoden, vgl. Kotzurek, S. 433. Calov, S. 17. Dies ist nicht zuletzt an im Exil lebenden Fürsten festzustellen, so beispielsweise an der Sammlung Ernst Augusts von Cumberland im österreichischen Exil in Gmunden, vgl. Steckhahn, S. 70.
376 | S AMMLUNGEN DES A DELS Vor diesem Hintergrund muss auch die Institutionalisierung ausgewählter Objektbestände betrachtet werden, die nicht ohne eine Veränderung der Bindungen zu diesen Dingen geblieben sein konnte. Im Schloss Salzdahlum „hatten [...] die Bilder zuvor den Verbindungsgang zwischen den Wohngemächern des Schlossherrn und dem Speisesaal geschmückt. Die großen Künstler der Vergangenheit hatten sozusagen in ihren Werken am täglichen Weg des Fürsten vom Arbeitskabinett zu den Freuden der Tafel Spalier gestanden. Anton Ulrichs Kunstbesitz war dem Rhythmus des Hofzeremoniells eingefügt. Jetzt muss der hohe Herr, wenn er sich mit seinen Gemälden unterhalten will, den Schritt aus dem engsten Bereich seines Tageslaufs hinauswenden. Er lebt in einem neuen Abstand von Dingen, denen er ein eigenes Reich zuerkennt.“997
Fink fasst hier die wesentlichen Punkte dieser Entwicklung zusammen: die Sammlungen des Hochadels waren geprägt durch wiederholten998, direkten Kontakt, der sowohl eine persönliche als auch eine zeremonielle Komponente beinhaltete und damit Ding-Mensch-Bindungen ermöglichte. Einhergehend mit einer Wertverschiebung, welche die Objekte zum „Hauptbewohner“ eigener Häuser machte, mussten diese Bindungen zwangsläufig gelockert werden. Trotz des großen Interesses, welches beispielsweise Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel seinen Sammlungen zukommen ließ, war diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten: Die Objekte mussten nun „besucht“ werden, war dies nicht möglich, betrachtete er Graphiken der Objekte999. Diese Unterscheidung verdeutlicht die Einschränkung des direkten – auch physischen – Kontakts zu ausgewählten Sammlungsbeständen durch die Institutionalisierung. Die Bindung Karl Wilhelm Ferdinands (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel zu diesen Objektbeständen war bereits – wie oben am Beispiel der Verkäufe sichtbar wurde – eine stark professionelle und wirtschaftlich geprägte1000 . Diese Entwicklung war einzelnen Sammlern durchaus bewusst, so dass sich beispielsweise Maximilian Karl Fürst von Thurn und Taxis trotz gravierender Platzprobleme mehrfach gegen Pläne zum Bau eines eigenen Galeriegebäudes entschied, was Grillmeyer auf den „Unwille[n] des Fürsten, die Bilder aus ihrem privaten Bereich zu lösen“ zurückführt1001 .
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Fink 1967, S. 34. Dies konnte sowohl der alltägliche Kontakt und Gebrauch sein als auch der zeremonielle, sich nur zu bestimmten Anlässen wiederholende, Gebrauch (in diesem Fall entstanden Bindungen auch aufgrund von Erinnerungs- und Traditionswerten); Pomian weist auf diesen Gebrauch in Bezug auf mittelalterliche Schatzkammern hin, vgl. Pomian 1998, S. 33. Vgl. Luckhardt: Museum – Fürstliche Sammlung – Öffentlichkeit, S. 10. Die Sammlungsbetreuung wurde durch die damit beauftragten Angestellten völlig übernommen, welche auch in Zusammenhang mit den Beschlagnahmungen sowie der Wiederbeschaffung von Objekten durch die französischen Besatzer die Hauptrolle spielten, vgl. Fink 1967, S. 90ff. Grillmeyer, S. 253-254.
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Auch die kontinuierlich abnehmende Wertung von Porträts innerhalb der nach und nach stärker öffentlich gemachten Sammlungsräume1002 kann als Hinweis auf abnehmende Bindungen der Fürsten zu diesen Beständen gedeutet werden. Diese Entwicklung ist in Zusammenhang mit den in den Wohnräumen weiterhin stark vertretenen Porträts zu betrachten1003 , so dass nicht von einem grundsätzlichen Verlust von Wertzuschreibungen auszugehen ist. Ihnen wurden weiterhin persönliche und Erinnerungswerte zugeschrieben1004 , für die neuen Galerien und Museen war jedoch der Kunstwert ausschlaggebendes Auswahlkriterium. Die schrittweise Lösung dieser Sammlungsbestände von ihren adligen Gründern wird in der Regel als Errungenschaft des für die Kultur Verantwortung übernehmenden Bürgertums angesehen. Biskup/Kohlrausch schreiben beispielsweise: „Zugleich aber suchte sich im 19. Jahrhundert die Monarchie in den sich neu herausdifferenzierenden Bereich der ‚Kultur‘ einzuschreiben und so eine enge Verbindung von Monarchie und Nation zu postulieren. Das funktionierte aber nur indem die Monarchie die bürgerliche ‚Hülle‘ des Museums akzeptierte.“1005
Sie gehen davon aus, dass diese Museen „mit erheblichem Selbstbewusstsein von der Monarchie unabhängig als öffentliche Museen ausgebaut“1006 wurden. Diese Betrachtungsweise übersieht, dass es die Regenten selbst waren, welche eine Öffnung dieser Sammlungsteile und deren fachliche Betreuung angestrebt hatten und dass diese bis zum Ende der Monarchie dem – nicht zuletzt geschmacklichen – Urteil der Fürsten unterlagen. Von Aretin betont dagegen ebendiesen Einfluss und beschreibt die Kunstpflege als Hauptaufgabe der Monarchen im 19. Jahrhundert1007 . Auch dies 1002
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Die Herzogsporträts befanden sich nicht mehr in den Galerieräumen und wurden in den Sammlungsinventaren Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel nicht aufgeführt, stattdessen wurden Künstlerporträts aufgenommen, vgl. Fink 1967, S. 54 und S. 76. Wedemeyer/Willemsen stellen einen starken Zuwachs an Porträts im Braunschweiger Residenzschloss zwischen 1837 und 1911 fest, Wedemeyer/Willemsen, S. 471; „Das Portrait bestimmt mit 218 Bildern somit den Charakter der Bildersammlung des Residenzschlosses ... In einem Kunstmuseum wäre eine solche Dominanz der Portraits ungewöhnlich [...]“, Wedemeyer/Willemsen, S. 474; Steckhahn über das 1886 erstmalig bezogene Schloss Cumberland: „Überall im Schloss hingen Familienporträts und sonstige Gemälde, die man aus Hannover gerettet hatte.“, Steckhahn, S. 62-64. „Der Adel interpretierte seine eigene Wohnkultur als Erbe der Vorfahren sowie als Verpflichtung gegenüber den Nachfahren. Sichtbarster Ausdruck dieses auf Herkunft gegründeten Selbstverständnisses waren die zahlreichen, in Öl gefertigten Ahnenporträts an den Wänden.“, Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert, S. 119; vgl. von Dissow, S. 156. Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 29. Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 29. „Als im 19. Jahrhundert die politische Macht der Landesfürsten immer mehr zugunsten der Ministerialregierungen und der Landtage erodierte, verlagerte sich der Schwerpunkt der monarchischen Tätigkeit auf die Kunstpflege.“, Aretin, Cajetan von: Vom Umgang mit gestürzten Häuptern: Zur Zuordnung der Kunstsammlungen in den deutschen Fürstenabfindungen 1918-1924, in: Biskup/Kohlrausch, S. 182.
378 | S AMMLUNGEN DES A DELS ist aber kritisch zu betrachten, da der von den Fürsten bereits zuvor beschrittene Weg einer Institutionalisierung von Sammlungsbestandteilen zu einer schrittweisen Lösung von Bindungen geführt hat. Erst diese ließ eine stärkere Vereinnahmung der Bestände durch Vertreter des Bürgertums zu. Zusammengefasst ist festzustellen, dass diese Sammlungsteile durch die adligen Familien weiterhin genutzt wurden – wie beispielsweise im Zusammenhang mit Repräsentationsaufgaben deutlich wurde – sie daher noch immer der fürstlichen Kontrolle unterlagen, die persönlichen Bindungen zwischen Adel und Objekten jedoch abnahmen. Wenn Sheehan schreibt: „Sammlungen boten den Rahmen für die zeremonielle Zurschaustellung, die im Mittelpunkt des höfischen Lebens stand, und zugleich waren sie Orte der Versenkung und Ruhe, an die sich der Fürst zurückziehen konnte“1008 , verdeutlicht er damit die zweiseitige, nämlich einerseits nach außen orientierte, andererseits individuelle Funktion von Sammlungen zur Identitätsbildung. Je stärker jedoch Sammlungsteile aus Gründen der Professionalisierung aus dem Lebensumfeld der Fürsten herausgenommen wurden, desto eingeschränkter wurde deren Nutzung zur persönlichen Identitätsbildung. Während also die museal genutzten Sammlungsteile stärker nach ihrem Kunstwert beurteilt wurden, waren zur Auswahl der innerhalb der Wohnsitze verbliebenen Objekte weiterhin persönliche Werte Voraussetzung. Aus heutiger Sicht werden diese persönlichen Werte im Zusammenhang mit dem vorrangig institutionell verstandenen Sammlungsbegriff wenig geschätzt, für Adelssammlungen kommt ihnen jedoch eine bedeutende Rolle zu1009 . Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass diese Entwicklung ebenfalls Auswirkungen auf die Bindungen der Dinge untereinander hatte. Groys spricht in Bezug auf die Ausstattung von Kirchen und Schlössern im Gegensatz zu heutigen Museen von „organischen Einheiten“1010. Das Wohnumfeld des Hochadels war davon geprägt, dass es aus einem festen Zusammenspiel von Architektur, Wandschmuck, Einrichtung, Dekoration und Nutzung bestand1011 . Wedemeyer/Willemsen beschreiben dies für das erst im 19. Jahrhundert errichtete Braunschweiger Residenzschloss: ein „[...] Schlossbau als Gesamtkunstwerk, mit seiner funktionalen und durch die Bildinhalte 1008 1009
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Sheehan, S. 39. Büttner erwähnt „Erinnerungsstücke an Mitglieder des Welfenhauses“ auch im Zusammenhang mit der Wolfenbütteler Kunstkammer Augusts (II.) von BraunschweigWolfenbüttel und stellt fest: „Da diese Sammlung von den wichtigsten ‚Museologen‘ der Zeit, Valentini und Sandrart, in ihren Kompendien nicht erwähnt wird, scheint sie aber überregional nicht bedeutend gewesen zu sein.“, Büttner, S. 33. Groys, S. 50. Vgl. Kotzurek, S. 34; auch die Kunst- und Wunderkammern oder Kunstkabinette innerhalb des direkten Lebensbereiches des Hochadels bildeten eine solche Einheit, deren sinnliche Komponente Ecker/Stange/Vedder betonen, Ecker/Stange/Vedder, S. 35; die von Ottomeyer in Bezug auf Möbel der Biedermeierzeit getroffene Aussage scheint in diesem Zusammenhang passend: „Ohne große Übertreibung lässt sich behaupten, dass ein Möbelstück mit Resten des Originalbezuges es erlaubt, den ganzen Raum zu rekonstruieren, für den es ursprünglich konzipiert wurde; so verbindlich waren die seit über einem Jahrhundert tradierten Prinzipien und Ziele der Inneneinrichtung für Typenbildung, Anordnung, Oberflächengestaltung und Farbkomposition.“, Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 112.
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der Reliefs und Bauornamente sprechenden Architektur und Ausstattung mit dem Mobiliar, den Beleuchtungskörpern und der Wandfarbigkeit.“1012 Zusammenfassend ist festzustellen, dass nur ein geringer Teil der Sammlungen des Hochadels vor 1918 mit dem heutigen Sammlungsbegriff vereinbar ist und wissenschaftliche Beachtung erfährt. Gerade durch die Anwendung eines dynamischeren Sammlungsbegriffes wird jedoch deutlich, dass das Sammeln und der Umgang mit Sammlungen wesentlicher Bestandteil des höfischen Lebens war. Das Anhäufen von Objekten hatte innerhalb dieses Lebens einen großen Stellenwert und war in Art und Menge der Objekte abhängig von Alter und Stellung der/des Adligen. Eng verbunden war das Streben nach quantitativer Ausdehnung von Besitz einerseits mit dem Wunsch nach finanzieller Sicherheit und andererseits, mit den verschiedenen Formen diesen Wohlstand zu zeigen, um die eigene persönliche sowie gesellschaftliche Position innerhalb und als Teil des Familienverbandes deutlich zu machen. Um ebendiese Stellung (auch der Familie) zu erhalten, waren Maßnahmen der Bewahrung selbstverständlich. Maßnahmen des Entsammelns standen diesem Streben nicht entgegen, da als Ziel nicht Unveränderlichkeit der Bestände, sondern Erhalt des „Glanzes der Familie“ im Vordergrund stand. Die enge Einbindung der Sammlungen in das Leben des Hochadels sowie die Verknüpfung persönlicher und familiärer Bestände führten zu selbstverständlichen Ding-Mensch-Bindungen. Für diejenigen Bestände, welche nach heutiger Auffassung vorrangig als Sammlungen des Adels gelten, kann jedoch im Zuge ihrer Institutionalisierung eine Lockerung dieser Bindungen festgestellt werden. 3.4.2 Sammlungen des Adels nach 1918 Die Entmachtung des Adels führte zu grundlegenden Veränderungen in dessen Sammlungsbeständen sowie dem Verhalten gegenüber diesen. Das Jahr 1918 stellte sowohl eine politischen Zäsur als auch die Weiterführung bereits eingeleiteter gesellschaftlicher Entwicklungen dar, welche die Stellung des Adels veränderten1013 . Direkte Folgen, den Besitz der ehemals regierenden Familien betreffend, mussten zunächst als Bruch wahrgenommen werden, waren jedoch längerfristig erst mit dem Abschluss der Auseinandersetzungsverträge im Verlauf der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts absehbar1014 . Die Zwischenkriegszeit war für den Adel nicht ausreichend, um den Resultaten dieser Folgen eine sichere und geregelte neue Form zu geben1015 . So war die Zeit von 1918 bis in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges von 1012 1013
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Wedemeyer/Willemsen, S. 23. Bereits seit dem 19. Jahrhundert hatte sich die gesellschaftliche Situation des Adels verändert; die stärkste Veränderung in Bezug auf die Sammlungen des Hochadels war die beschriebene Institutionalisierung von Sammlungsbeständen, welche durch die Einrichtung und den Bau neuer Museen weitgehend abgeschlossen war. Diese Auseinandersetzungen hatten zum Ziel, das private Vermögen der vormals regierenden Häuser vom Staatsvermögen zu trennen, welches den neu gegründeten Staaten zukam, vgl. Günther, S. 4; vgl. Obenaus. Zollitsch spricht von einer Zwischensituation zwischen der Notwendigkeit zur Veränderung und der Kontinuität alter Verhaltensmuster, Zollitsch, S. 229; vgl. auch von Hoyningen-Huene, S. 414.
380 | S AMMLUNGEN DES A DELS starker Dynamik geprägt. Ab 1945 werden Teile der Sammlungsbestände des Adels immer häufiger als Geschäftsbereiche der Familienunternehmen in die Öffentlichkeit gerückt. Diese bleiben – ebenso wie zahlenmäßig nicht schätzbare weitere Objektbestände – im Privatbesitz der adligen Familien1016 . Sie werden daher rechtlich als Privatsammlungen behandelt. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Beständen findet – auch im Zusammenhang mit der Erforschung von Sammlungen und der Sammlungsentwicklung – bisher nicht statt. Die bedeutendste direkte Veränderung für die bis 1918 regierenden Familien ergab sich durch den Verlust der Residenzen und damit verbundene Objektabgaben im direkten Lebensumfeld. Des Weiteren wurden diejenigen Bestände, welche aus heutiger Sicht als Sammlungen des Adels betrachtet werden und deren Abspaltung durch die Institutionalisierung bereits vorbereitet worden war, sofort oder schrittweise aufgegeben. Über diese materiellen Verluste hinaus führten Veränderungen in der Lebensweise des Hochadels1017 zur Auflösung derjenigen Funktionsebenen von Objekten, welche untrennbar mit dem Herrschaftsanspruch verbunden waren. Die folgenden Überlegungen gehen der Frage nach, ob sich Aspekte der oben beschriebenen Charakteristika der Sammlungen des Hochadels vor 1918 erhalten haben und welche Veränderungen sie im Verlauf des 20. Jahrhunderts erfuhren. Es soll damit festgestellt werden, welche Bedeutung diesen Beständen, einerseits für die Bewahrung des kulturellen Erbes und andererseits für die Entwicklung des deutschen Hochadels im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert, zukommt. Die Anmerkungen zu den Sammlungen des Adels vor 1918 sind vor diesem Hintergrund als „Schablone“ für den Untersuchungszeitraum zu betrachten und ermöglichen Aufschlüsse auf einem nahezu unerforschten Gebiet. Anhäufen II Während für das höfische Leben Macht und Stellung untrennbar mit Besitzerweiterung verbunden waren, stand den vormals regierenden Familien ab 1918 ein Teil dieses Besitzes nicht mehr zur Verfügung. Die enorme Anhäufung von Dingen war darüber hinaus wesentlicher Kritikpunkt am Adel als herrschendem Stand1018 und hat schließlich im Verlauf des 20. Jahrhunderts sowie über die Wende zum 21. Jahrhundert hinaus eine Demokratisierung erfahren. Die wirtschaftlich gehobene Stellung der ehemals regierenden Häuser1019 war zwar in den Jahrzehnten nach ihrer Entmachtung noch immer sichtbar, hob sich je1016 1017
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Zum Teil verwaltet durch Familienstiftungen. Bezogen auf ehemals herrschende Häuser als auch mediatisierte Familien, welche gleichermaßen beispielhaft genannt werden. Sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im Umgang mit ihren Sammlungen können diese Adelsgruppen im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis heute immer weniger unterschieden werden; zu Gemeinsamkeiten bezüglich des Privatfürstenrechtes vgl. Schulze, S. VI. In besonderem Maß galt diese Kritik dem Kaiserhaus, welche durch die Flucht Wilhelms (II.) von Preußen zudem gesteigert wurde, vgl. Kohlrausch, S. 83f. Riehl zählt auf: zwei Kaiser (Österreich, Deutschland), drei Könige (Bayern, Sachsen und Württemberg), fünf Großherzöge (Baden, Hessen, Oldenburg, MecklenburgStrelitz, Mecklenburg-Schwerin, dort Thron nicht besetzt, Sachsen-Weimar), fünf Herzöge (Braunschweig, Anhalt, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg-Gotha, Sachsen-
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doch nicht mehr im vorherigen Maß vom Reichtum bürgerlicher Familien – wie beispielsweise einiger Industriellenfamilien – ab1020 . Dies gilt in ähnlicher Form für wohlhabende standesherrliche Familien, obwohl diese durch die Revolution keine direkten materiellen Einbußen hatten und ihren Standard halten konnten1021 . Diese Entwicklung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg weiter fortgeführt, und heute treten selbst diejenigen Adelsfamilien, die noch immer über herausragende Vermögensbestände verfügen – im Vergleich zu Prominenten aus der Wirtschaftsbranche, aus Film oder Sport – kaum in Erscheinung, es sei denn als Vertreter eines dieser genannten Bereiche1022. Besitzerhalt und traditionelle Lebensweisen sind für diese Familien noch immer eng miteinander verknüpft1023 , die unendliche Ausdehnung des Besitzes steht dagegen jedoch nicht mehr im Vordergrund. Das Anhäufen als charakteristische Tätigkeit des Adels musste 1918 zunächst zum Erliegen kommen. Stattdessen war zumindest für die ehemals regierenden Häuser diese Zeit erstmals von gemeinsamem Verlust geprägt und es war nicht absehbar, inwieweit bisherige Lebensgewohnheiten überhaupt aufrechterhalten werden konnten1024 . Realität war die offizielle Abschaffung der Titel, der Wegfall von Versorgungsmöglichkeiten für nachgeborene Söhne, unverheiratete und verwitwete Damen1025 , das absehbare Ende bisheriger Erbregelungen1026 sowie ein wesentlicher
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Meiningen) und fünf regierende Fürsten (Reuß, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen, in Personalunion mit Schwarzburg-Rudolstadt, Lippe, Schaumburg-Lippe, Waldeck-Pyrmont), Riehl, S. 12 und S. 34. Vgl. Abelshauser/Faust/Pezina, S. 90; Fuhrmann/Meteling/Rajkay/Weipert weisen beispielsweise auf Bürgervillen mit bis zu 20 Zimmern hin; vgl. Fuhrmann/Meteling/ Rajkay/Weipert, S. 110; noch 1910 hatte die Anzahl der wohlhabenden Adelsfamilien die der wohlhabenden Industriellen überstiegen, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 360. Vgl. Rogasch, S. 22; vgl. Wienfort 2006, S. 83; die Familie Thurn und Taxis verfügte über ein Vermögen von ca. 270 Mio. Mark, Wienfort 2006, S. 16 und wird von Rosenholm mit einem Vermögen von 2,3 Millarden Dollar 2008 als wolhabendstes Adelshaus Deutschlands genannt, Rosenholm, S. 34; Malinowski beziffert die Apanage des Erbprinzen aus diesem Haus 1916 auf 60.000 Mark im Jahr, 1939 auf 84.000 Mark jährlich (ohne zusätzliche Zahlungen zur Unterhaltung von Autos u.ä.), Malinowski 2003, S. 289; vgl. Grillmeyer, S. 221f. Vgl. Wienfort 2006, S. 30; vgl. Reif 2001, S. 21; vgl. Reif 1987, S. 34. Vgl. Wienfort 2006, S. 160. Malinowski beschreibt diesen Verlust als gesellschaftlich und materiell und spricht von einem „Orientierungsverlust“, Malinowski 2003, S. 201; auch von Bieberstein betont den für den Adel abrupten und kompletten Verlust, vgl. von Bieberstein, S. 418 und S. 420. Zur Verdeutlichung der Versorgungsproblematik sei hier erwähnt, dass Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg in ihrem Ehevertrag von 1913 als Witwe eine fürstliche Residenz, deren Instandhaltung sowie eine Apanage von 200.000 Goldmark zugesichert wurde, vgl. Borek, S. 37; dies war nach 1918 keinesfalls zu leisten, und infolge des Todes ihres Mannes 1953 kam es zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, welche eine Erhöhung der Apanage auf zunächst 3.000 DM und schließlich 4.500 DM zur Folge hatte, vgl. Borek, S. 93f; in einem Gespräch vom 20.10.1960 sprach Ortrud von Hannover von 100 Pensionären, die versorgt werden mussten, Protokoll Gespräch mit
382 | S AMMLUNGEN DES A DELS Einschnitt in die bisherige finanzielle Versorgung1027 . Von Biebersteins Feststellung, „[d]ie Adeligen haben damals sehr deutlich empfunden, dass es sich bei dem Sturz der Monarchie und des Adels als eines Herrschaftsstandes um den Abschluss einer Epoche handelte [...]“1028, ist daher auch auf das Bewusstsein bezüglich eines veränderten Verhältnisses zu Besitz und Sammlungen zu verstehen. Ein – zumindest vorübergehendes – Verlassen des bisherigen Wohnsitzes mitsamt den oben beschriebenen angehäuften Objekten ließ daran keinen Zweifel1029 . Angesichts des verhältnismäßig friedlichen Hergangs der Revolution sowie des weiterhin bestehenden Wohlstands der ehemals regierenden Häuser geht die Forschung über diesen Bruch weitgehend hinweg und fokussiert stattdessen auf die veränderte politische Situation und die stärkere Entfernung von Kleinadel und Hochadel zueinander. Laut Biskup/Kohlrausch „zogen [die Fürsten] aus den Residenzschlössern ihrer Hauptstädte in ihre Landsitze und Villen um, blieben aber im Reich.“1030
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Ortrud Prinzessin von Hannover: Borek, Ingeborg: Meine Unterredung mit Prinzessin Ortrud am 20. Oktober 1960 um 12 Uhr, unveröffentlichter Privatbesitz; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt auch selbst finanzielle Probleme aufgrund von Gehältern und Pensionen, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221; in der öffentlichen Wahrnehmung war dieses Problem noch Jahrzehnte später ebenfalls bekannt, die Aller-Zeitung schrieb über die Situation der Welfen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts: „Um die Pensionäre in dieser Zeit unterhalten zu können, wurde fast der gesamte Kronschmuck geopfert.“, Aller-Zeitung, 12. September 1962: Rückblick auf ein Leben: Herzogin Viktoria Luise wird 70; zu dieser Problematik allgemein, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 27. Vgl. Malinowski 2003, S. 201; Reif spricht davon, dass „dem System familialer Besitzsicherung [...] die Grundlagen entzogen“ wurden, Reif 1999, S. 52; was wiederum Auswirkungen auf die Versorgung von Angehörigen hatte, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 27. Beispielsweise stoppten die Zahlungen des Bayerischen Staates an das bayerische Königshaus zum 1. Dezember 1918, erst 1922 erhielt die Familie Ausgleichszahlungen, vgl. Weiss, Dieter J.: Kronprinz Rupprecht von Bayern – Thronprätendent in einer Republik, in: Schulz/Denzel, S. 452; der Wegfall sämtlicher Zahlungen durch die Staaten war durch die Entmachtung für alle ehemals regierenden Familien selbstverständliche Realität. Von Bieberstein, S. 32-33. Der Verlust von Wohnsitzen und diesen zugehörigen Dingen ist grundsätzlich als elementare Veränderung zu verstehen: „Ohne den lebenslangen Kultivationsprozess anhand von vorgefundenen, veränderten, mitgenommenen und zurückgelassenen Räumen und Dingen wäre eben menschliche Existenz undenkbar. Und die Wegnahme aller Dinge, die den Kultivationsprozess tragen, würde einen Menschen wirklich im Innersten treffen.“, Lang, Alfred: Vorwort, in: Csikszentmihalyi/Rochberg-Halton, S. 9; Putnam/Swales stellen fest, dass bereits der Moment, in dem die mögliche Weggabe eines Objektes ins Bewusstsein dringt, die herkömmliche bekannte Lebenswelt (kurzfristig) stört, Putnam /Swales, S. 284. Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 12; ebenso verharmlosend beschreibt Machtan das Verlassen Braunschweigs durch das Herzogspaar: „Dann empfahl er sich – auf sein Privatschloss nach Blankenburg am Harz.“, Machtan, S. 12; über den baye-
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Von einem – in dieser Formulierung nahezu idyllisch wirkenden – Umzug kann jedoch angesichts einer ungewissen Zukunft mit ungewissen Besitzverhältnissen kaum die Rede sein1031 . In Bezug auf die grundsätzlich im Zusammenhang mit vorherigen sowie nachfolgenden Generationen zu betrachtenden Sammlungen und das Ziel der Erhaltung des Glanzes der Familie durch das Familienoberhaupt muss der Bruch stattdessen als unwiderruflicher Einschnitt in jahrhundertealte Traditionen verstanden werden. Malinowski weist darauf hin, dass für den Adel die Geschehnisse 1918 als größerer Zusammenbruch verstanden wurden als diejenigen 19451032 . Auch wenn aus geschichtswissenschaftlicher Sicht die Lebensweise des Adels nach 1918 starke Kontinuitäten aufweist und gesellschaftliche Veränderungen verstärkt erst nach 1945 sichtbar wurden, erklärt sich diese Verlustempfindung durch das Wissen des Adels um die Traditionsbrüche, die erst mit den nachfolgenden Generationen unvermeidlich sichtbar wurden. Der häufig beschriebene Rückzug ins Privatleben1033 war zunächst Sicherheit gebende Notwendigkeit, statt selbstgewählter Abschottung. Die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen den ehemals regierenden Häusern und den neuen Staaten können nach dieser ersten Phase des Verlusts als einzige entscheidende Handlung des Anhäufens verstanden werden. Mit der Revolution war zunächst sämtlicher inländischer Besitz der Fürsten beschlagnahmt worden1034. Bis zum Sommer 1919 waren die Möglichkeiten der Wiedererlangung dieser Besitztümer völlig unklar. Die Weimarer
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rischen König schreibt er: „Der König wollte einfach nicht belästigt werden [...]“, Machtan, S. 254; diese Beispiele machen deutlich, dass es sich bei aktuellen Publikationen zur Adelsgeschichte nicht immer um neutrale Forschungsarbeiten handelt. Zunächst muss von einer Flucht gesprochen werden, vgl. von Bieberstein, S. 419; Riehl beschreibt den Hergang der Revolution mitsamt der Abdankung und deren direkten Folgen für sämtliche deutschen Fürsten, vgl. Riehl. Malinowski 2003, S. 202; auch Reif stellt fest: „In der Revolution von 1918/19 kulminierten die Verlust- und Gefährdungserfahrungen des Adels zum noch nie erlebten Schock.“, Reif 1999, S. 52; von Hoyningen-Huene sieht 1918 als „einschneidenste Zäsur“, von Hoyningen-Huene, S. 2; Erklärungen, welche eine Art „Alleinschuld“ des Adels an der Revolution feststellen und die als drastisch empfundene Umbruchsituation negieren, greifen zu kurz, indem die kulturhistorische Entwicklung des Adels außer Acht gelassen wird, vgl. Machtan: „Der Zerfall der Monarchie in Deutschland war keine Naturkatastrophe, kein Schicksalsschlag, sondern zum Gutteil Resultat der aktiven und passiven Ruinierung dieser Institution durch ihre vornehmsten Protagonisten.“, Machtan, S. 351. Vgl. Wienfort 2006, S. 154; vgl. Malinowski 2003, S. 60; Abelshauser/Faust/Pezina, S. 91; Dilcher beschreibt diesen bereits für das 19. Jahrhundert, was jedoch nicht als allgemeingültig für den gesamten Hochadel verstanden werden kann, vgl. Dilcher, S. 82; Reif verbindet diese Entwicklung mit der Zeit nach 1945, Reif 2001, S. 21. Schulte, Karl-Anton: Was geschieht mit dem Fürstenvermögen? Unterlagen für die Stellungsnahme zum Volksentscheid am 20. Juni 1926, M. Gladbach, o.J. [1926] S. 6; in Preußen regelten die Bekanntmachung betr. Beschlagnahme des preußischen Kronfideikommissvermögens vom 13.11.1918 und die Bekanntmachung betr. Beschlagnahme des Vermögens des preußischen Königshauses vom 30.11.1918 diese Maßnahmen, vgl. Günther, S. 26.
384 | S AMMLUNGEN DES A DELS Reichsverfassung schrieb jedoch schließlich den grundsätzlichen Schutz von Eigentum fest und sah entschädigungslose Enteignungen nur in Ausnahmen vor1035 . Der Rechtsweg wurde als geeignete Maßnahme zur Feststellung der Entschädigungshöhe betrachtet1036 . Für die Familien des Hochadels waren Rechtsstreitigkeiten, wie oben beschrieben, kein ungewöhnlicher Weg der Besitzerweiterung1037 und boten daher beste Möglichkeiten, die Verluste zu mildern. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen war zunächst nicht abzusehen, und auch wenn die Familien weite Teile des beschlagnahmten Besitzes als ihnen zustehend bewerteten1038 , blieb er ihnen für einige Jahre entzogen. Sie sahen sich mit der Übernahme und Nutzung desselben durch die neuen Staaten konfrontiert1039 und wussten gleichzeitig, dass dieser Besitz Grundlage ihrer bisherigen Lebensweise gewesen war. Die Bemühungen um Rückgewinnung durch die ehemaligen Regenten sind vor diesem Hintergrund als Anhäufungsmaßnahmen (und nicht als Maßnahmen der Bewahrung) zu verstehen. Dass die Prozesse über Jahre andauerten und mit wenigen Ausnahmen in Vergleichen endeten1040 , hatte seinen Grund nicht allein in hartnäckigen Verhandlungen, sondern auch in der bereits vor 1918 bekannten Schwierigkeit der Trennung von Staats- und durch die Weimarer Verfassung geschütztes privates Familienvermö-
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„Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt.“, Artikel 153, Absatz 2, Weimarer Reichsverfassung. „Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen.“, Artikel 153, Absatz 2, Weimarer Reichsverfassung; vgl. Hampe, August: Die Abfindungsansprüche des Herzogl. Hauses Braunschweig vom Standpunkte des Rechts und der Billigkeit. Eine Aufklärungsschrift vom Senatspräsidenten Hampe, Landtagsabgeordneten, Braunschweig 1921, S. 8; vgl. von Aretin, S. 162; von Aretin weist zudem darauf hin, dass es sich bei den Entschädigungen nicht um einen vollen Wertausgleich handelte, sondern der zukünftige Bedarf im Vordergrund stand, von Aretin, S. 162. Diese waren auch nach 1918 nicht auf Auseinandersetzungen mit den direkten Nachfolge-Staaten beschränkt, beispielsweise stritt das Haus Hannover von 1924-1933 mit dem Preußischen Staat um Auszahlungen aus dem so genannten „Welfenfonds“, vgl. Former, Peter: Die Entschädigung des Welfenhauses durch den Braunschweiger Staat und Preußen, in: Biegel, S. 151f. Vgl. Schmidt, Burckhardt: Der Herzogsprozess. Ein Bericht über den Prozess des welfischen Herzogshauses gegen den Freistaat Braunschweig um das Kammergut (1921/25), Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch, im Auftrage des Braunschweigischen Geschichtsvereins, herausgegeben von Horst-Rüdiger Jarck, Band 12, Wolfenbüttel 1996, S. 11. In Braunschweig wurde beispielsweise das Schloss umgehend vom Arbeiter- und Soldatenrat genutzt, Schmidt, S. 29; auch Teile der Domänen wurden genutzt, verpachtet und Besitzteile aus ihnen wurden veräußert, vgl. Schmidt, S. 30; für das Herzogshaus war dies als klares Signal zu verstehen, dass sämtlicher inländischer Besitz verloren war; vgl. für das den ehemaligen Großherzog von Mecklenburg Bock, S. 14ff. Diese Ausnahmen waren Preußen und Thüringen, vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 148.
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gen1041 . Sowohl die Staaten als auch die Adelshäuser stellten Ansprüche auf gewinnbringenden Landbesitz1042 . Auch in Bezug auf Schlösser und deren Inhalt sowie in Bezug auf die institutionalisierten Sammlungsteile gab es in den meisten Fällen sowohl Gründe, diese dem Staatseigentum zuzurechnen, jedoch ebensolche, die für eine Zusprechung zum Privatvermögen sprachen1043 . Die Motivation der ehemaligen Fürsten, diesbezüglich Eigentumsrechte zu erstreiten, lag einerseits in einer finanziellen Absicherung, andererseits im Versuch der Identitätssicherung begründet. Schlösser und Mobiliar, Bibliotheken und Museen sowie Entschädigungen für bereits entfernte Mobilien waren notwendig zur Wiederherstellung bisheriger Lebensweisen, deren Rückgewinnung zudem maßgeblich für das Selbstverständnis dieser hochadligen Familien war. „[Dieses] Selbstverständnis von Familie und Rang war von außen schwer angreifbar, solange nur eine ökonomische Grundlage, die eine entsprechende
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Die Bemühungen um diese Trennung ging auch von den Fürsten selbst aus, allerdings kam es vor 1918 zu keiner grundlegenden Lösung dieser komplizierten Angelegenheit, vgl. Schulte, S. 4f; vgl. von Aretin, S. 167; das Domänenvermögen ist diesbezüglich als Staatsvermögen zu betrachten, Hausfideikommisse, Schatullvermögen und Hausschätze als Privatvermögen, Schulte, S. 4; in diesem Zusammenhang ist auch die so genannte Zivilliste zu betrachten, welche dem Herrscher zur Verfügung stand, um seine Unterhaltskosten zu begleichen und die auch Kosten im Zusammenhang mit Repräsentationspflichten umfasste. Auch Apanagen an Familienangehörige konnten in dieser staatlichen Zuwendung an den Herrscher enthalten sein und Überschüsse flossen in sein Privatvermögen ein, vgl. Günther, S. 18 und S. 20; je nach Größe des Staates unterschied sich die Belastung des Staatsvermögens durch diese Zahlungen (1914 wurden in Preußen 0,4% des Staatsvermögens für die Zivilliste aufgewandt, in Braunschweig 3,6%), da die Ausgaben – wie Apanagen, Ausstattungs- und Repräsentationsausgaben – für den Herrscher unabhängig von der Größe seines Territoriums ähnlich hoch waren, vgl. Günther, S. 22f und Tabelle I: Die Höhe der Zivilliste in den deutschen Einzelstaaten, Günther, S. 145ff; vgl. auch Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 28; vgl. auch von Aretin, S. 164ff; in Braunschweig ist die Verfassung von 1832 in diesem Zusammenhang zu sehen, vgl. Pollmann, Klaus Erich: die Braunschweigische Verfassung von 1832, Hannover 1982, S. 14ff. Forderung von Forsten und Domänen sowie Betrieben. In der Regel ging in den Verträgen zunächst das gesamte Domanium an den Staat und in der Folge wurden die den Fürsten zu übertragenden Vermögensteile als Ausnahmen aufgeführt sowie eine finanzielle Entschädigung festgelegt, Günther, S. 39. Die Unterscheidung liegt in der Betonung der geschichtlichen Bindungen (sprechen für Eigentum des Herzogshauses) oder der öffentlich-rechtlichen Bindungen (sprechen für Eigentum des Staates), Schmidt, S. 24; laut von Aretin war es zwar möglich, den reinen Privatbesitz der letzten Regenten vom Staatsbesitz zu trennen, jedoch die seit Jahrhunderten zusammengetragenen Hausvermögen waren diesbezüglich problematisch: „Deren ursprünglich private Hausvermögen hatten sich mit dem Staatsverständnis im 19. Jahrhundert zu einem Herrschaftskapital gewandelt, dessen Nutzungen die Fürsten den Staatszwecken zur Verfügung gestellt, das sie aber zumeist nicht auf den Staat übertragen hatten.“, von Aretin, S. 163f.
386 | S AMMLUNGEN DES A DELS Traditionspflege ermöglichte, vorhanden war [...] und solange es eine Gesellschaft gab, die diese Maßstäbe akzeptierte.“1044 Beide Voraussetzungen waren den Familien erstmals entzogen worden. Es ist daher für die Entwicklung des Hochadels im 20. Jahrhundert von grundlegender Bedeutung, dass die Fürstenabfindungen die Rückkehr der ehemals regierenden Familien in eine gewohnte Umgebung – oder das Verbleiben in einer solchen – ermöglichten. 1928 ging Günther von 60 Schlössern aus, die im Besitz der Fürsten verblieben sowie 15 weiteren, für welche Nutzungsrechte bestanden1045 . Die Residenzschlösser gingen jedoch bis auf wenige Ausnahmen an die neuen Staaten1046 . Bezüglich der institutionalisierten Sammlungsbestände mussten sowohl von Seiten der Staaten als auch von Seiten der Fürstenhäuser vor allem die hohen Erhaltungskosten betrachtet werden1047 . „Im Gegensatz zu den ertragbringenden Domänen war das Eigentum an den Kunstsammlungen für die Staatlichkeit irrelevant. Dennoch bildeten sie einen Teil der kulturellen Identität des Landes. Selbst wenn die Republiken nicht Eigentümer waren, mussten sie daher bestrebt sein, zumindest die öffentliche Zugänglichkeit der Sammlung zu wahren.“1048
Eine Schließung dieser Sammlungsbestandteile war für die ehemals regierenden Familien auch nach 1918 ohnehin kein erklärtes Ziel1049. Aus dieser Situation heraus kam es in einigen Fällen zur Überführung der Bestände in Stiftungen, welche sowohl durch die Staaten als auch durch die Adelshäuser geführt wurden (und zum Teil noch werden)1050 . Es kam außerdem zu Übernahmen durch die Staaten – beispielsweise im 1044 1045
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Dilcher, S. 80. Günther, S. 104; vgl. Tabelle VI. Die Auseinandersetzung betr. Residenz-, Lust- und Jagdschlösser zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern, Günther, S. 166ff. Günther, S. 52; die Aussage von Hoyningen-Huenes, die neuen Staaten hätten „zumeist die Versorgung der Bediensteten und die Finanzierung der ‚Lastobjekte‘ wie Schlösser, Gärten und Sammlung“ übernommen, von Hoyningen-Huene, S. 48, ist in Anbetracht zahlreicher Schlösser, die im Besitz der Familien blieben sowie der Sonderlösungen für die institutionalisierten Sammlungen nicht ganz korrekt. Vorrangig die Residenzschlösser wurden jedoch von den Staaten übernommen. Eine Abgabe war laut von Aretin im Sinne der Fürsten, da sie auf diese Weise die hohen Unterhaltungskosten an die Staaten abgeben konnten, von Aretin, S. 163; die Staaten waren allerdings nicht in der Lage, entsprechende Wertausgleichszahlungen zu leisten, weshalb die Domänen für sie wichtiger waren, vgl. von Aretin, S. 168; im Falle der Welfen ging Hampe davon aus, dass die Verwaltungskosten ein Grund für den Staat sein könnten, die Sammlungen dem Herzogshaus zu überlassen, Hampe, S. 7. Von Aretin, S. 164. Vgl. Hampe, S. 7. Beispielsweise 1923 Wittelsbacher Ausgleichsfonds und Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft, vgl. von Aretin, S. 170ff; vgl. Weiss, S. 453; für Braunschweig galt das Gesetz über die Errichtung einer Museums- und Bibliotheksstiftung, 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig 26. Oktober 1925, Nr. 117, S. 262, folgend: Muse-
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Fall von Bibliotheken – sowie zu frühen Verkäufen ganzer Sammlungsbestände an diese1051 . Insgesamt können diese Anhäufungsmaßnahmen des Hochadels als erfolgreich bezeichnet werden, da den Familien trotz großer Verluste (neben bedeutenden Schlössern gilt dies vor allem für Landbesitz1052 ) umfassende Bestände zugesprochen wurden, welche „Sammlungen, Bibliotheken, Kunstgegenstände, Mobiliarien, Hausschmucksachen“1053 beinhalteten und laut Günther in ihrem Wert kaum erfasst werden konnten1054 . Die gerichtlichen Auseinandersetzungen hatten wesentlichen Anteil daran, dass der Hochadel seine ökonomische Stellung nicht verlor1055 . Erneute Verluste, welche hochadlige Familien – ehemals regierende Häuser sowie standesherrliche Häuser – im Verlauf und der Folge des Zweiten Weltkriegs erlitten1056 , konnten dagegen weder angefochten, noch später rückgängig gemacht werden. Wienfort macht deutlich, dass dies für den Hochadel nicht allein in materiellen Verlusten spürbar war: „Land- und mobiler Besitz der Flüchtlinge aus den Ostprovinzen ging diesen vollständig verloren, und diese grundsätzliche Bedingung stellte
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ums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig; vgl. Günther, S. 40; in Hessen brachte man 1928 auch das Schloss Fasanerie in die neue Kurhessische Hausstiftung mit ein, vgl. Rogasch, S. 199; die Bibliothek und die Kupferstichsammlung des Hauses Reuß wurden in eine Stiftung überführt, welche vom Staat verwaltet wurde, vgl. Sommerpalais Greiz (ehemals Haus Reuß): http://www.sommerpalais-greiz.de/museum/ sammlungskonzept/; auch im Falle des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha kam es zu einer Stiftungsgründung, vgl. Sandner, S. 202. Vgl. Günther, S. 40; Friedrich August (August II.) Großherzog von Oldenburg verkaufte die größten Teile seiner Gemäldegalerie an den Staat und überließ diesem außerdem eine Kupferstich- und Münzsammlung, Riehl, S. 216. Mit wenigen Ausnahmen – wie beispielsweise Preußen – ging wertvoller Grundbesitz vor allem an die Staaten, vgl. Günther, S. 121ff; im Falle Braunschweigs forderte das Herzogshaus von insgesamt 74 Domänen 7 für sich, vgl. Hampe, S. 6; Demel sieht im Landverlust die prägendste Entwicklung für den Adel, Demel, S. 88. Günther, S. 107. Die Schätzung eines kommunistischen Abgeordneten namens Neubauer auf 500 Mio. Reichsmark bezeichnet Günther als „äußerst willkürlich“, Günther, S. 107. Von Bedeutung war vor allem der – wenn auch enorm dezimierte, dennoch finanziell wesentliche – Grundbesitz, da den ehemaligen Fürsten zugesprochene Geldzahlungen weitgehend durch die Inflation entwertet wurden, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 26 und S. 51; weitere Gründe für diese Entwicklung sind nicht durchgeführte Maßnahmen wie Bodenreform u.ä., vgl. Reif 1999, S. 112. Die Nachfahren der sächsischen Könige waren stark von diesen Verlusten betroffen, vgl. Riehl, S. 158; ebenso die Familie der Herzöge von Anhalt, vgl. Riehl, S. 235; auch die Familie der Herzöge von Sachsen-Coburg und Gotha waren betroffen und behielten von den nach 1918 verbliebenen 20000 Hektar Grundbesitz nur ca. 500 Hektar, vgl. Riehl, S. 263; auch deren Familienstiftungen waren betroffen, vgl. Sandner, S. 209; die Familie des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin wurde 1945 aus Schloss Ludwigslust vertrieben, vgl. Bock, S. 84ff; vgl. Riehl, S. 208; vgl. Steckhahn, S. 89; der ehemalige Herzog von Braunschweig floh mit seiner Familie aus Schloss Blankenburg und verlor das zugehörige Land, vgl. Schmidt, S. 164.
388 | S AMMLUNGEN DES A DELS die Flüchtlinge aus sämtlichen sozialen Schichten zunächst gleich.“1057 Das Gesetz über den Lastenausgleich von 19521058 wurde mit dem Ziel der Existenzsicherung verabschiedet und konnte damit weder den materiellen Schaden ausgleichen noch der Bedeutung des verlorenen Besitzes gerecht werden1059 . In Österreich beschlagnahmter Besitz wurde jedoch teilweise zurückgegeben1060 . Wie stark der Wunsch nach Rückgewinnung verlorener Bestände blieb, zeigt sich in den Versuchen, auch nach der Wiedervereinigung in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Immobilien oder Einzelobjekte zurück in den Familienbesitz zu überführen. Diese Fragen waren ein kritischer Bestandteil der im Zuge der Wiedervereinigung getroffenen Vereinbarungen zwischen BRD und DDR1061 . Seit 1994 regelt das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz die Problematik, ohne sie jedoch völlig klären zu können: während mobiler Besitz unter Auflagen zurückzugeben ist, gilt dies nicht für Immobilien und Land1062 . Beispielhaft für die komplizierte Sachlage sowie die widersprüchlichen Interessen von Adelsfamilien und Öffentlichkeit ist die Rückgabe von ca. 6.000 Objekten an die Wettiner durch den Freistaat Sachsen, die gleichzeitig mit dem durch Zahlung einer Entschädigungssumme ermöglichten Ver-
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Wienfort 2006, S. 86; Louis Ferdinand von Preußen im Interview: „Ein Drittel unseres Landbesitzes liegt in der Zone, zwei Drittel liegen in den Ostprovinzen. Er ist enteignet.“, Spiegel, 10. April 1957. Gesetz über den Lastenausgleich, 14. August 1952, online abrufbar: http://www. gesetze-im-internet.de/lag/; folgend Lastenausgleichsgesetz (LAG). Vgl. Wienfort 2006, S. 87. 1958 erhielt das Haus Sachsen-Coburg und Gotha den 1945 durch die Sowjetunion beschlagnahmten Besitz von Österreich zurück, vgl. Sandner, S. 247. Mit diesen beschäftigt sich ausführlich Paffrath, Constanze: Macht und Eigentum. Die Enteignungen 1945-1949 im Prozess der deutschen Wiedervereinigung, Köln, Weimar, Wien 2004 (zugleich Dissertation „Der ‚Restitutionsausschuss‘ im Prozess der Wiedervereinigung. Konflikt zwischen staatspolitischer Notwendigkeit und verfassungsrechtlicher Wertentscheidung?“, Gerhard-Mercator-Universität Duisburg); die „Gemeinsame Erklärung“ vom 15. Juni 1990 legte die Enteignungen dieser Zeit juristisch fest, Paffrath, S. 8f; ermöglicht wurde dies durch eine Erweiterung des Grundgesetzes, Paffrath, S. 163f; Rogasch erwähnt die verbreitete Meinung, das Nicht-Antasten der Bodenreform sei Voraussetzung für die Wiedervereinigung gewesen, Rogasch, S. 42; dies hinterfragt Paffrath in ihrer Arbeit kritisch. Demel weist – explizit auf den Adel bezogen – darauf hin, dass keine Rückgewinnung von Land, sondern allenfalls Entschädigungen erwirkt werden konnten, Demel, S. 122; Rogasch erwähnt die Bedeutung der Gesetzgebung für den Rückgewinn beweglicher Sachen, aber auch die Befürchtung der Länder, die adligen Familien könnten ebendiese baldmöglichst ins Ausland verkaufen, Rogasch, S. 42; Hipp stellt fest, dass nach § 5 AusgLeistG bewegliche Sachen, die zwischen 1945 und 1949 enteignet wurden, grundsätzlich zurückzugeben seien, es aber Regelungen zur weiteren öffentlichen Zugänglichkeit für solche Objekte gibt, die sich in institutionellen Sammlungen befinden und gezeigt werden, Hipp, S. 63f; von Bieberstein weist darauf hin, dass EALG und AusgLeistG den Staat nicht bei der Suche nach mobilen Wertgegenständen verpflichten, so dass sich diese enorm schwierig gestalten, vgl. von Bieberstein, S. 453f.
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bleib von ca. 12.000 Objekten in den sächsischen Museen beschlossen wurde1063 . Infolgedessen kam es darüber hinaus zu weiteren Forderungen sowie zu stark kritisierten Verkäufen durch das Adelshaus1064 . Das Haus Sachsen-Coburg und Gotha einigte sich 2001 dagegen gütlich mit dem Freistaat Thüringen und erhielt im Ausgleich für „Kunst- und Archivvermögen im Wert von ca. 400 Millionen DM und Immobilien im Wert von 130 Millionen DM“1065 , welche dem Land verbleiben, Waldgebiete1066 . Das Land Mecklenburg-Vorpommern einigte sich gütlich mit der Erbin des letzten Großherzogs von Mecklenburg1067 . Im Gegensatz zu den Auseinandersetzungen der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts sind diese Regelungen jedoch nur eingeschränkt als Anhäufungsmaßnahmen im Sinne einer Sammeltätigkeit zu verstehen, sondern stattdessen stärker als unternehmerische Transaktionen zu bewerten. Bindungen der Familien zu Teilen dieses Besitzes sind jedoch nicht grundsätzlich auszuschließen. Sowohl die Tätigkeit des Anhäufens als auch das Umfeld der hochadligen Familien änderten sich damit sowohl nach 1918 als auch im Zuge des Zweiten Weltkrieges in einer Form, die dem Adel nur beschränkt Einflussmöglichkeiten zugestand. 1918 waren vorrangig die bis zu diesem Zeitpunkt regierenden Familien betroffen, die Brüche um 1945 konnten sowohl ehemals regierende als auch standesherrliche Familien betreffen. Die durch die Auseinandersetzungsverträge realisierbare Rückkehr in frühere Wohnsitze ist in diesem Zusammenhang – auch für diejenigen Familien, welche zeitweilig im Exil gelebt hatten1068 – wesentlich, da nur diese ein erneutes Leben in Fülle ermöglichten. Dagegen konnten die Verluste im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg den völligen Bruch mit traditionellen Lebensweisen bedeuten. In den Wohnsitzen, welche weiterhin im Besitz der Adelsfamilien waren/sind, blieben die auf Quantität ausgelegten Sammlungen bestehen. Kunsthandwerk (vor allem Porzellan), Gemälde und Möbel sind bis heute zahlreich in Samm1063 1064
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Vgl. FAZ auf FAZ.net, 11. Dezember 2006: Porzellan-Restitution. Adel verpflichtet nicht. Vgl. Art 01/2007: Altmann, Susanne: „Unredliche“ Forderungen. Museen: Klamme Adelshäuser erheben Besitzansprüche, S. 112; vgl. Art 06/2007: Altmann, Susanne: Die unersättliche Fürstenfamilie. Rückgabe: Die Wettiner setzen Dresdner Kunstsammlungen mit neuen Forderungen zu, S. 118-119; auch das Haus MecklenburgSchwerin veräußerte 1999 Objekte, welche dieses zuvor zurückerhalten hatte. Diese waren zuvor zwar museal untergebracht, allerdings vorrangig in Depots, vgl. Graf 1999; vgl. Bock,S. 104. „Darunter ist das Schloss Friedenstein in Gotha mit dem Schlossmuseum, der Kunstkammer, der Gemäldesammlung, dem Kupferstich- und Münzkabinett, dem Museum der Regionalgeschichte und Volkskunst, der Universitäts- und Forschungsbibliothek und den Beständen des Staatsarchives; ferner das Museum der Natur in Gotha und mehrere Wohn- und Geschäftshäuser.“, Sandner, S. 258. Sandner, S. 258. Bock, S. 104ff. Friedrich August von Oldenburg kehrte aus dem dänischen Exil in die ehemalige Sommerresidenz Rastede und das Schloss Eutin zurück, vgl. Riehl, S. 216; Adolf Fürst zu Schaumburg-Lippe hatte mit seiner Familie das Land verlassen, vgl. Riehl, S. 323; Friedrich Franz (IV.) Großherzog von Mecklenburg(-Schwerin) war nach Kopenhagen ins Exil gegangen, vgl. Bock, S. 14ff; vgl. Riehl, S. 207.
390 | S AMMLUNGEN DES A DELS lungen des Adels zu finden1069 . Diese Objekte garantier(t)en in großer Anzahl weiterhin ein als standesgemäß empfundenes Leben1070 . Außerhalb der Wohnbereiche verschwand die Quantität der Dinge des Adels im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer stärker aus dem gesellschaftlichen Bewusstsein. Wenn auch die Kleidung des Adels, welche jeder Einzelne im Laufe der Zeit anhäuft,, um zu jeder Gelegenheit die passende Garderobe tragen zu können (die zudem noch immer bei ausgewählten Festlichkeiten mehrfach zu wechseln ist) bis heute einen gewissen Stellenwert hat1071 , unterscheidet dies den Adel jedoch nicht mehr vom Rest der Bevölkerung. „Echter“ Schmuck – wenn möglich Familienschmuck – sowie ererbte Orden1072 dagegen noch immer. Mit dem Leben in Fülle in direktem Zusammenhang steht eine bis 1918 selbstverständliche großzügige Raumsituation, die nur durch den (Rück-) Erhalt eines oder mehrerer Schlösser weiterhin genutzt werden konnte. Gerade die enorme Quantität der angehäuften Objekte, schränkte diese jedoch nun ein, da Objekte aus verlorenen Wohnsitzen zusammengebracht werden mussten. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Adel schließlich Raumknappheit in den verbliebenen Schlössern1073 . Mit dem Verlust oder Verkauf weiterer Immobilien im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde der mobile Besitz noch stärker an wenigen Stellen komprimiert. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Wohnsitze war stark dezimiert worden, die Möglichkeit, neue Schlösser zu errichten, war finanziell in der Regel nicht mehr gegeben1074. Über die von ihm genannte Zahl von mehr als 25.000 Schlössern und Burgen in Deutschland schreibt Rosenholm: „Sie alle sind Überbleibsel aus vergangenen Zeiten, in denen Kaiser, Könige, Grafen und Fürsten ihre Machtsphäre und ihr Territorium zu sichern beziehungsweise auszuweiten versuchten.“1075 Nur ein Teil dieser „Überbleibsel“ blieben im Besitz der adligen Familien, bis heute hat sich diese Anzahl stark verringert. Sowohl Objektverluste als auch diese Verringerung der Immobilien führt zu einer Einschränkung der Möglichkeiten, Objekte je nach Belieben an verschiedenen
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Vgl. Rogasch, S. 30f. Wilhelm (II.) von Preußen ließ 50 Güterwaggons mit Objekten aus Berlin ins holländische Exil bringen, Schalenberg, S. 189. Von Brühl, S. 101, S. 80 und 96; von Brühl widmet zudem mehrere Seiten der Beschreibung der „richtigen“ Garderobe, von Brühl, S. 183ff und von Brühl, S. 193ff. Von Brühl, S. 80, S. 89 und S. 190. Die Aufnahme von Wohnungslosen mit zugehöriger Raumknappheit wird in zahlreichen Biographien des Adels als einschneidendes Erlebnis thematisiert; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330; ebenfalls thematisiert im autobiographischen Roman [Gräfin von] Plessens, Plessen, S. 16. Die Möglichkeit des Wittelsbacher Kronprinzen, sowohl die Hälfte des Schlosses Leutstetten als auch das Schlossgut Eiwanowitz in Mähren, das Leuchtenberg-Palais in München sowie Schloss Berchtesgaden nutzen zu können, war eine der Ausnahmen. Renovierungskosten sowie das Ausbezahlen der Geschwister führten jedoch zu finanziellen Belastungen, vgl. Weiss, S. 454f. Rosenholm, S. 107.
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Standorten einzusetzen1076 . Die vor 1918 bereits immer stärker institutionalisierten Bestände waren nun – wenn sie überhaupt noch dem Einflussbereich der Adelshäuser unterlagen – völlig in eigenständige Institutionen überführt, so dass diesbezüglich keine Standortwechsel zwischen Ausstattungs- und Museumsobjekten mehr möglich waren. Der Wunsch nach weiterer Anhäufung erfuhr nicht allein durch diese veränderte Raumsituation eine Einschränkung: auch die Nutzungsmöglichkeiten hatten sich gewandelt. Die Revolutionen in Russland und Deutschland sowie die Weltkriege lockerten das enge verwandtschaftliche Netz des europäischen Hochadels. Zudem konnte sich der Hochadel trotz einer weiterhin gesicherten Existenz bereits 1918 nicht mehr davor verschließen, dass sich die Welt verändert hatte. Reisen, Gastgeschenke und die Freude am Sammeln kamen zwar nicht völlig zum Erliegen1077 , eine Selbstverständlichkeit im bisherigen Ausmaß waren diese zuvor typischen Elemente adligen Verhaltens jedoch nicht mehr. Die ökonomische Situation1078 sowie der aus dieser und als Abgrenzung zu anderen gesellschaftlichen Gruppen entstehende „Kargheitskult“1079 sprachen dem nach unendlicher Ausdehnung strebenden Anhäufen vorheriger Jahrhunderte entgegen. Rogasch fasst treffend zusammen: „Zwischen den Weltkriegen wurde, wenigstens im Hochadel, so gut wie gar nicht gesammelt.“1080 Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zeigten einige Adelsfamilien wieder Interesse am Anhäufen von Beständen in Form zeitgenössischer
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Einen Hinweis darauf, dass die Verwendung sowohl aus anderen Wohnsitzen stammender Objekte als auch neuer Objekte eingeschränkt noch immer möglich war, gibt die private Korrespondenz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg: sie erwähnt für die Villa Weinberg in Gmunden gekaufte und dort verwendete Objekte, welche aus vorherigen Wohnsitzen stammten, zu Braunschweig und Lüneburg: Brief, 8. August 1960. Gräfin Keller schreibt von Geschenkekisten, die man mit ins Exil genommen hatte, von Keller, S. 343; zudem berichtet sie von der Einschränkung der Geschenke, die Wilhelm (II.) von Preußen im Exil erhalten sollte; so konnte man beispielsweise Tiere (v.a. Pferde) nicht annehmen, da man die Mittel für Haltung und Pflege (Personal) nicht hatte, von Keller, S. 356; Gräfin Brühl betont die Notwendigkeit von Gastgeschenken, welche meist aus Silber, Porzellan oder Haustextilien bestehen, von Brühl, S. 235; Geschenke innerhalb der Familien waren noch immer üblich, beispielsweise verschenkte Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg regelmäßig Schmuckstücke (welche sie z.T. selbst durch ihre Mutter erhalten hatte) an ihre Tochter sowie ihre Schwiegertochter und andere Personen, vgl. Borek, S. 91; Schlüter: Bericht, 23. Februar 1980. Beispielsweise wurden viele Adlige durch den Familienverband unterstützt, vgl. Malinowski 2003, S. 265; bisherige Versorgungswege in Form von Beamtentum und Militär konnten diese nicht mehr auffangen. Malinowski 2003, S. 94ff; dieser wurde zwar von den hochadligen Häusern weniger stark ausgelebt als vom Kleinadel, ließ diese jedoch nicht unbeeinflusst. Rogasch, S. 36.
392 | S AMMLUNGEN DES A DELS Kunst1081. Wie in früheren Jahrhunderten wird diese in Bestehendes integriert und findet sich in den Wohnräumen1082 . Da das Anhäufen des Adels zur reinen Privatangelegenheit wurde, gibt es kaum Möglichkeiten, die Fortführung traditioneller Sammlungsmuster zu überprüfen. Ohne vom Einzelfall auf eine Regel schließen zu wollen, sind jedoch diesbezügliche Hinweise von Interesse. Beispielsweise erwähnt Steckhahn, trotz der Betonung, dass der heutige Chef des Welfenhauses, Ernst August (V.) Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, in einer von seinen Vorgängern völlig zu unterscheidenden Zeit aufwuchs, dass dieser schon früh zum Sammler wurde: „Zu seinen Hobbys gehörte das Sammeln von kleinen Plastiken aus Glas, Kupfer oder Gold wie auch das von passender zeitgenössischer Malerei und Zeichnungen.“1083 Damit griff er übliche Sammlungsgegenstände von Kindheitssammlungen des Adels auf. Es ist jedoch nicht nachzuvollziehen, inwieweit dies noch immer als charakteristische Tätigkeit hochadliger Familien zu betrachten ist; ebenso wenig inwiefern die Gesamtfamilie am gemeinsamen Sammeln Anteil nimmt und welche Veränderungen diese frühen Sammlungen im Laufe des Lebens der einzelnen Personen erfahren. Durch die seit 1918 eingeschränkteren Möglichkeiten des Anhäufens sind Erbschaften diesbezüglich noch immer wichtig. Gleichzeitig gehören die Veränderungen des Erbrechts nach 1918 für die hochadligen Familien zu den entscheidendsten Einschnitten in bisherige Verhaltensmuster. Bereits die auf die entmachteten Fürsten folgende Generation war von diesen Veränderungen stark betroffen. Beispielsweise stand einigen ehemaligen Regenten ein lebenslanges Wohnrecht in Schlössern zu, welche im Zuge der rechtlichen Auseinandersetzungen an die neuen Staaten gefallen waren1084 . Konnten derart die direkten Folgen der Entmachtung gemildert werden, wurden sie in der nachfolgenden Generation umso deutlicher. 1081
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Bekannt für ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst ist Gloria Gräfin von SchönburgGlauchau Prinzessin (Fürstin) von Thurn und Taxis, vgl. Rogasch, S. 234; weitere von ihm genannte Adelsfamilien, welche zeitgenössische Kunst sammeln, sind die Familie des Fürsten zu Schaumburg-Lippe, die Familie von Reden, die Familie WaldburgWolfegg und Waldsee sowie die Familie von Walderdorff, Rogasch, S. 180, S. 244, S. 246 und S. 218 (die Familien von Reden und von Walderdorff gehören nicht dem Hochadel an). Rogasch über Gloria von Thurn und Taxis: „Sie setzt das Mäzenatentum der Familie fort und sammelt zeitgenössische Kunst [...], die sie eigenwillig mit Möbeln und Kunstwerken vergangener Jahrhunderte kombiniert.“, Rogasch 234; dem ist entgegenzusetzen, dass Sammeln des Adels nicht grundsätzlich mit Mäzenatentum gleichzusetzen ist und zudem die Kombination aktueller Objekte mit bestehenden Beständen nicht als „eigenwillig“, sondern als „traditionell“ zu bezeichnen ist. Steckhahn, S. 210. Wilhelm (II.) König von Württemberg hatte ein lebenslanges Wohnrecht für die Schlösser Bebenhausen und Friedrichshafen, Riehl, S. 174; die kronprinzliche Familie (Preußen) hatte ein Nutzungsrecht für Cecilienhof bei Potsdam, das Kaiserpaar für Schloss (Bad) Homburg, das jedoch durch das Leben im Exil nicht genutzt wurde, vgl. Günther, S. 167; Carl Eduard Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha Duke of Albany Prinz von Großbritannien und Irland erhielt für sich und seine Familie ein Wohnrecht
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Wesentlich war auch die Auflösung der Fideikommisse1085 , welche infolge der Weimarer Reichsverfassung sowie endgültig durch die entsprechende Gesetzgebung der Nationalsozialisten 1938/39 durchgesetzt wurde. Bereits ab 1919 und spätestens zum 1. Januar 1939 wurden damit die derart gebundenen Vermögensteile in der Hand des aktuellen Besitzers frei1086 . Die Weitergabe des Erbes an den erstgeborenen Sohn war nun keine Selbstverständlichkeit mehr, so dass Geschwister von dieser Form des Anhäufens profitieren konnten. Allerdings führ(t)en Erbteilungen zwangsläufig zu einer Verminderung des zu vererbenden Bestandes. Die Fideikommisse hatten erheblich zum Erhalt der ökonomischen Stellung des Hochadels beigetragen1087 und damit Anteil daran, die jeweiligen Gesamtfamilien als solche zu erhalten. Der Wegfall dieser Erbregelungen schwächte besonders diesen Aspekt der Erhaltung des Ansehens eines Familienverbundes1088 . Einige Familien brachten aus diesen Gründen wesentliche Teile früherer Fideikommisse in Stiftungen ein 1089, so dass sie völlig aus dem herkömmlichen System des Erbens herausfielen und stattdessen einen mit den institutionalisierten Sammlungen vergleichbaren Stellenwert erhielten. Noch immer spielt daher das Anhäufen durch Erbschaften für den Hochadel eine Rolle1090 , vor al-
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auf der Veste Coburg, welches mit dem Tod seines Sohnes 1998 endete, vgl. Sandner, S. 202 und S. 252; zu weiteren Regelungen dieser Art, vgl. Günther, S. 166ff; eine Ausnahme war das Nutzungsrecht für Schloss Arolsen bis zum Aussterben im Mannesstamm, welches Friedrich Fürst von Waldeck-Pyrmont zugesprochen wurde, vgl. Riehl, S. 347 und Günther, S. 172. Vgl. Kapitel 2.3.2. Beispielsweise bereits 1919 der bayerische Hausfideikommiss, welcher in das Privatvermögens Ludwigs (III.) König von Bayern eingebracht wurde, vgl. von Aretin, S. 174; in Baden ging der aufgelöste Hausfideikommiss in das Privatvermögens Friedrichs (II.) Großherzog von Baden über, vgl. von Aretin, S. 177. Vgl. Dilcher, S. 85. „Die eklatante Benachteiligung der nachgeborenen Töchter und Söhne [...] geschah allein zu dem Zweck, den Glanz und die Macht der Gesamtfamilie besser aufrechterhalten zu können. Hatten die Angehörigen des Familienverbandes bisher wenigstens ideel [sic] Anteil am Familieneigentum gehabt und z.T. Renten daraus bezogen, so fiel jetzt das Fideikommiß des Familienverbandes als Privateigentum an denjenigen, der [...] gerade Chef der Familie war. Die Abschaffung des Fideikommiß wirkte sich in erbrechtlicher Hinsicht in Zukunft gerechter gegenüber den direkten Nachgeborenen [...] aus. Andererseits entrechtete diese Regelung alle übrigen Mitglieder des Familienverbandes.“, von Hoyningen-Huene, S. 41-42. Beispielsweise Schloss Glücksburg 1926, vgl. Rogasch, S. 203; ebenso 1928 die Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’sche Stiftung für Kunst und Wissenschaft und die Stiftung der Herzog von Sachsen-Coburg und Gotha’schen Familie, vgl. Sandner, S. 204. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg stattete ihren Witwensitz z.T. mit Möbeln aus dem Welfenhaus aus, Borek, S. 26; Gräfin Brühl erwähnt Schmuck und Kleidung als übliche Erbstücke, von Brühl, S. 190f; ein außergewöhnliches Erbe trat Ernst August (III.) von Hannover 1934 an, nachdem das Hausgut Calenberg, welches 1866 von Preußen beschlagnahmt worden war, an seine Familie zurückgegeben worden war, vgl. Steckhahn, S. 180; nach 1945 fielen Teile preußischen Besitzes an Hessen, vgl.
394 | S AMMLUNGEN DES A DELS lem in Bezug auf eine dauerhafte Bestandserweiterung in Form von Sammlungen ist diese jedoch nicht mehr mit der Zeit vor 1918 vergleichbar. Es wird deutlich, dass sich das Verhältnis adliger Familien gegenüber ihrem Besitz (in Form von Ausstattungsgegenständen und Kunstobjekten) vor allem durch äußere Einflüsse gewandelt hat. Das Anhäufen als Voraussetzung des Sammelns konnte aufgrund der durch die Entmachtung hervorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen – sowie im Fall der ehemals regierenden Familien aufgrund stark veränderter Besitzverhältnisse – nach 1918 sowohl materiell als auch ideell nie wieder den vorherigen Stellenwert einnehmen. Die historische Forschung stellt vielfach fest, dass der Hochadel gewisse Standards seiner bisherigen Lebensweise halten konnte, mit der alleinigen Ausnahme der Auseinandersetzungsverhandlungen wurde allerdings das Anhäufen als für den Adel charakteristische Eigenschaft stark eingeschränkt. Welche Formen des Anhäufens jedoch im Privaten noch immer fortgeführt werden, wurde bisher nicht erforscht und kann auch an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden. Zeigen II Mindestens zwei Bereiche des Zeigens mussten nach 1918 für den Hochadel eine starke Einschränkung erfahren: das repräsentative Zeigen sowie das Zeigen zur Verdeutlichung bestehender Hierarchien. Das ohnehin schwer zu untersuchende private Zeigen ist für die nun zu Privatpersonen gewordenen hochadligen Familien kaum nachweisbar. Während für die Zeit ihrer Herrschaft die Repräsentation im Vordergrund der Forschungen steht, gilt das Interesse für die Zeit nach 1918 – wenn auch viel eingeschränkter – dem öffentlichen Zeigen. Allerdings musste der Hochadel lernen, dass das Zeigen als Bestandteil einer über Jahrhunderte von Quantität geprägten Sammelaktivität durch die veränderte gesellschaftliche Position mit Problemen behaftet sein kann. Das repräsentative Zeigen erfuhr durch die Entmachtung der deutschen Fürsten eine direkte und unwiderrufliche Einschränkung, da die Grundlagen für dieses nicht mehr gegeben waren: Wilhelm (II.) von Preußen bezog mit Auguste Viktoria von Preußen und wenigen eng vertrauten Angestellten eine Gästewohnung in Schloss Amerongen1091 . Das ehemalige Braunschweigische Herzogspaar fand in der so genannten „Villa Weinberg“ in Gmunden seinen neuen Wohnsitz, nachdem diese von Resten der vorherigen Nutzung als Lazarett befreit worden war1092 . Für diejenigen Familien, die in ihren Wohnsitzen bleiben konnten, hatte sich zwar das entsprechende „Zubehör“ nicht verändert, Möglichkeiten zur Darstellung von Größe, Macht, Reichtum oder Überlegenheit gab es jedoch auch für diese zunächst kaum noch1093.
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Biehn, S. 119; der Besitz des Gesamthauses Hessen wurde durch den Tod von Margaret Campbell Geddes Prinzessin von Hessen und bei Rhein (und damit dem Erlöschen der Linie Hessen-Darmstadt) 1997 wieder zusammengeführt und zum Teil in Schloss Fasanerie gezeigt, vgl. Rogasch, S. 199. Vgl. von Keller, S. 340ff. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221 und S. 250. „Mit den Revolutionen von 1918 in Deutschland und in der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie verloren die Schlösser ihre Funktion als Macht- und Herrschaftszentren des deutschen Hochadels.“, Hüttl/Lessing, S. 71.
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Der (Wieder-)Bezug von Wohnsitzen, die als angemessener empfunden wurden – teilweise ermöglicht durch die Auseinandersetzungsverträge – ist auch diesbezüglich nicht hoch genug zu bewerten, bedeutete dennoch aber keine Rückkehr in die Zeit vor 1918. Der Bezug des Schlosses Doorn ermöglichte Wilhelm (II.) von Preußen laut Riehl, „weiterhin den Kaiser zu spielen“1094 . Treffender ist jedoch die Formulierung der Internetseite des heute als Museum fungierenden Schlosses: „Prächtige Möbel, Gemälde und Silber ermöglichen es dem fürstlichen Asylanten nach seinem Stil zu leben. Sie bilden die Kulisse für die tagtägliche Hofkultur in Taschenformat.“1095 Die Welt des Hochadels schrumpfte tatsächlich: Schauplätze, Anlässe und Rezipienten bisheriger repräsentativer Maßnahmen waren stark reduziert. Die Familienchefs lebten nach den Auseinandersetzungsverträgen in der Regel in den der jeweiligen Familie verbliebenen Schlössern mitsamt ihrer Einrichtung, während für Geschwister und weitere Verwandte – neben der Notwendigkeit einen Beruf zu ergreifen – auch Veränderungen der Wohnsituation prägend waren1096 . Die Vorstellung eines standesgemäßen Lebens hatte sich zwar nicht plötzlich gewandelt1097 und Teile der Sammlungen des Adels übernahmen als Zeichen der Zugehörigkeit und/oder des Wohlstands1098 weiterhin repräsentative Aufgaben. Deren Ausmaß hatte jedoch stark abgenommen, da die Höfe mitsamt ihrer kulturellen Aufgabe als solche nicht mehr existierten1099 . Weder Macht noch Stellung einer Familie mussten gegenüber anderen demonstriert werden, allerdings blieb das Bestreben der Darstellung eines angemessenen Lebens in entsprechendem Wohlstand bestehen. Zu diesem Zweck konnten/können Sammlungsbestände eingesetzt werden, um Geschmack, Alter sowie eine frühere Position der Familie zu betonen1100 .
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Riehl, S. 123. Huis Doorn: http://www.huisdoorn.nl/dui/; Toom/Coene sprechen von einer „Miniaturausgabe des kaiserlichen Hofes“, Toom/Coene, S. 56; Malinowski weist darauf hin, dass der Hochadel versuchte, das bisherige Leben im Kleinen aufrechterhalten zu können, sieht darin jedoch mehr und mehr eine Vergangenheitsinszenierung, Malinowski 2003, S. 254; auch der Hinweis Weiss’, Rupprecht Herzog von Bayern, Franken und in Schwaben Pfalzgraf bei Rhein Kronprinz von Bayern habe bis 1933 einen Lebensstil geführt, der an den eines Monarchen erinnere, aber nunmehr mit eingeschränkten Mitteln erhalten werden musste, macht diese Veränderung deutlich, Weiss, S. 455. Vgl. Malinowski 2003, S. 289; eine standesgemäße Versorgung von Angehörigen war jedoch häufig problematisch und konnte auch zu Auseinandersetzungen innerhalb der Familien führen, vgl. Malinowski 2003, S. 90; beispielsweise gab es diesbezüglich (rechtlich ausgetragene) Streitigkeiten zwischen Ernst August (IV.) von Hannover und seiner Mutter Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, vgl. Borek, S. 93f. Laut Reif blieb bis 1933 der Anspruch des Adels, die Elite des Landes zu bilden, ungebrochen, Reif 2001, S. 20. Vgl. von Dissow, S. 148. Vgl. Wienfort 2006, S. 9. Beispielsweise erwähnt von Dissow bei der Beschreibung eines Schlosses selbstverständlich auch die Einrichtung im Allgemeinen sowie ausgewählte Möbelstücke im Besonderen, von Dissow, S. 143.
396 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ein luxuriöses Leben war/ist jedoch nicht (mehr) Standard für hochadlige Personen . Mit Herrscherpositionen verbundene zeremonielle Handlungen und hierarchisch geregelte Abläufe in entsprechenden Räumen mit ihrem Zubehör waren nicht mehr die Regel und nahmen im Verlauf der Jahrzehnte weiter ab1102 . Möglichkeiten, sich selbst und die Familie standesgemäß zu repräsentieren, boten und bieten sich weiterhin durch die Ausrichtung von Festlichkeiten1103 . Diese waren/sind gleichzeitig repräsentatives sowie stabilisierendes Element innerhalb einer für den Adel stark veränderten Gesellschaft1104 . Notwendiger Hintergrund sind dabei die zugehörige „Bühne“ in Form ausreichenden Raumes1105 und entsprechende „Requisiten“ aus den Sammlungsbeständen. Die durch solche Zusammenkünfte gepflegten „gesellschaftlichen Beziehungen auf oberster Ebene bildeten auch nach 1918 ein wesentliches Kapital der europäischen Dynastien.“1106 Festlichkeiten konnten jedoch in Aufwand und Öffentlichkeitswirksamkeit nicht an die Zeit vor 1918 anknüpfen und fielen diesbezüglich ebenso gegenüber denjenigen noch regierender europäischer Häuser zurück1107 . Sowohl im Zusammenhang mit Feierlichkeiten als auch davon unabhängig, werden zudem neue Repräsentationsmöglichkeiten, die sich durch die Presse bieten, angenommen1108 . In diesen stehen nun die jeweiligen Personen – ihre Erscheinung und Kleidung – im Vordergrund1109 . 1101
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Prunk kann dem entgegengesetzt sogar verpönt sein, vgl. Malinowski 2003, S. 90. Steckhahn sieht das abnehmende Repräsentationsbedürfnis als Grund dafür an, dass Ernst August (III.) von Hannover mit seiner Familie nach dem Tod Ernst Augusts von Cumberland nicht in Schloss Cumberland wohnte, Steckhahn, S. 163. Vgl. von Bieberstein, S. 105f; vgl. Biegel, der das große Interesse der Presse an der Hochzeit Ernst Augusts (IV.) von Hannover und Ortruds von Hannover 1951 erwähnt, Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 51; zu diesem Anlass war es möglich, Karten zu erwerben und es gab einen großen Zuschauerandrang, Steckhahn, S. 183. „In an essentially static age, unchanging ritual might be a genuine reflection of, and reinforcement to, stability and consensus. But in a period of change, conflict or crisis, it might be deliberately unaltered so as to give an impression of continuity, community and comfort, despite overwhelming contextual evidence to the contrary.“, Cannadine, S. 105. Auf die Verbindung von Schlossbesitz und Einladungen, v.a. auch der Familie, weist auch de Saint Martin hin, de Saint Martin, S. 97; ebenso auf die Bedeutung des Schlosses als Schauplatz von Familienfeiern wie Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen, de Saint Martin, S. 100; Steckhahn beschreibt diese am Beispiel der Welfen, Steckhahn, S. 174; Sandner am Beispiel des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha, Sandner, S. 204. Weiss, S. 454. Vgl. Cannadine, S. 162. Sinclair stellt fest, dass vor allem adlige Frauen des 20. Jahrhunderts Presse, Film und Fernsehen zur Selbstrepräsentation nutzten, Sinclair, S. 26; Frauen und nachgeborene Söhne mussten in einem ungleich stärkeren Maß als die Familienoberhäupter auf die Veränderungen nach 1918 reagieren, ihre Möglichkeiten zur Nutzung herkömmlicher Repräsentationsmechanismen wurden stark eingeschränkt. „Da die Welfen familiäre Feierlichkeiten wie etwa Taufen und Hochzeiten öffentlich wirkungsvoll in Szene zu setzen verstanden, waren diese freudigen Ereignisse will-
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Abbildung 15: Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, Altersporträt in repräsentativer Garderobe, 1960er Jahre
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Zum Verhalten abgesetzter Herrscher des 19. Jahrhunderts stellt Mehrkens Eigenschaften fest, welche auch für die Zeit nach 1918 zum besseren Verständnis dieses Verhaltens hochadliger Familien herangezogen werden können: „Bezogen auf die abgesetzten Monarchen ließe sich folgern, dass Monarchen trotz Verlusts der objektiven Herrschaftsposition von der nachhaltigen Ausstrahlung ihrer formalen Macht profitieren konnten. Ihre oft über Jahre angeeigneten und eingeübten Strategien der Selbstrepräsentation, ihre Erfahrung mit Medien (oder darin, diese zu vermeiden), ihr Ansehen und Repertoire an Kontakten und Herrschaftswissen schufen die Grundlage für Machtausübung auch im von den Betroffenen häufig als defizitär empfundenen Leben nach Thron und Krone.“1110
Die Öffentlichkeit war/ist des Weiteren noch immer an den Adelshäusern interessiert, wobei sich das Interesse auf noch regierende europäische Häuser, auf ehemals regierende deutsche Häuser und standesherrliche Häuser verteilt1111 . Das Interesse
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kommene Anlässe für umfangreiche Foto- und Fernsehberichterstattungen [...]“, Steckhahn, S. 174. Mehrkens, S. 40; auch Cannadine stellt in Bezug auf die Repräsentation britischer Monarchen zwischen 1870 und 1914 eine parallel zu geringerer politischer Aktivität verlaufende stärkere Betonung der Außenwirkung fest, Cannadine, S. 120. Vgl. Wienfort, Monika: Monarchie und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik der 1950er Jahre: Die Wahrnehmung der Thronwechsel in Belgien und Großbritannien in der deutschen Presse, in: Biskup/Kohlrausch, S. 141 und S. 143; Wienfort geht zudem davon aus, dass durch die Teilhabe am Leben europäischer Herrscherfamilien, welche durch Massenmedien möglich wurde, die Monarchie in Deutschland auch „gesellschaftlich-kulturell“ überflüssig wurde, Wienfort 2008, S. 157; Sinclair sieht den Hochadel in einer Sonderstellung zwischen sozialer und kultureller Position, die noch
398 | S AMMLUNGEN DES A DELS schlägt sich neben den Presseberichten in der Kaufbereitschaft bei Verkäufen von Objekten aus Adelsbesitz nieder. Auch wenn die Gründe für derartige Verkäufe vielfältig sind1112 , ist in einigen Fällen die Vermarktung groß angelegter Auktionen mit Repräsentationsmethoden vergleichbar: die Demonstration von massenweise abzugebenden Objekten verschiedenen Alters weist unmissverständlich auf lange Traditionen und den Wohlstand der jeweiligen Familie hin. Der Kunstmarkt unterstützt dies durch zeitgemäßes Marketing und profitiert selbst vor allem von der Tatsache, dass diese Objekte neu in den Handel eintreten. Auch hier spielt die für die Repräsentation wichtige Entscheidung von Zeigen und Nicht-Zeigen eine Rolle in der Bewertung der Sammlungen. Eine weitere Prägung erhalten Zeigen und Nicht-Zeigen jedoch durch die Befürchtungen der adligen Familien, von Seiten des Kulturgüter- und Denkmalschutzes zu starke Einschränkungen zu erfahren1113 . Hatte das Zeigen für den Hochadel vor 1918 grundsätzlich positive Auswirkungen, kann es seitdem zu Kritik und Nutzungseinschränkungen führen, was wiederum das Verhältnis der Familien zu ihren Sammlungsbeständen beeinflusst hat. Das Ziel der Familien musste/muss, innerhalb einer sich stark verändernden Zeit nach 1918 und verstärkt nach 1945, eine Kombination aus Tradition und Modernität sein: der Adel selbst war/ist nicht mehr in der Lage, Maßstäbe zu setzen, wodurch es notwendig wurde, eine Position zwischen Abgrenzung und Anpassung zu finden1114 . Die offizielle Abschaffung des Adels1115 zeigte zwar nicht unmittelbare Auswirkungen auf dessen Selbstverständnis, eine öffentliche Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsschichten durch die Demonstration von quantitativ und qualitativ herausragenden Sammlungsbeständen war jedoch seit 1918 nicht mehr möglich. Durch den Verlust der Machtposition war der Hochadel darauf angewiesen, neue Verbindungen einzugehen, welche politischer oder gesellschaftlicher Art sein konnten. Besitz spielte in diesem Zusammenhang zwar eine nicht unwesentliche Rolle, dessen Einsatz zur Verdeutlichung einer – wie auch immer definierten – höherstehenden Position stand allerdings dem Wunsch nach neuen Netzwerken entgegen. Die Verdeutlichung hie-
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immer von Interesse ist, und verlorenem politischen und gesellschaftlichen Einfluss, Sinclair, S. 205; vgl. Cannadine, S. 102 und S. 142ff. Auf diese wird in Bezug auf das Entsammeln weiter unten eingegangen werden. Graf Douglas weist auf diese Problematik hin, welche er vor allem im KultgSchG (vgl. Kapitel 2.1) sieht, unveröffentlichtes Gespräch mit Dr. Christoph Graf Douglas (Kunstvermittler), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Graf Douglas; Heinrich von Hannover teilt diese Ansicht, unveröffentlichtes Gespräch mit Heinrich Prinz von Hannover, Sommer 2011, folgend: Gespräch von Hannover. Adelsfamilien können selbst beeinflussen, wie stark sie die Traditionen oder die Anpassung betonen, vgl. Wienfort 2006, S. 143; diese Entscheidung zur Neuorientierung ist eine der Hauptaufgaben des Adels nach 1918, vgl. Malinowski, Stephan: „Führertum“ und „Neuer Adel“. Die Deutsche Adelsgenossenschaft und der Deutsche Herrenklub in der Weimarer Republik, in: Reif: Adel und Bürgertum in Deutschland II, S. 177. Beschluss der Abschaffung von Privilegien, Artikel 109, Weimarer Reichsverfassung (Ausführung durch die Länderverfassungen); Aufhebung aller Vorrechte von Geburt, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 14; privatrechtliche Belange waren jedoch nicht betroffen, vgl. von Hoyningen-Huene S. 31.
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rarchischer Verhältnisse innerhalb des Adels hatte zwar indirekt weiterhin Bestand, unterlag jedoch ebenfalls einer grundlegenden Veränderung: Durch den Wegfall der Tätigkeitsfelder an den Höfen und im Militär1116 sowie Verluste von Ländereien waren weniger wohlhabende adlige Familien – vor allem der Kleinadel – stark von den politischen Umwälzungen betroffen. Der Kampf um Macht und Einfluss war damit innerhalb des Adels weitgehend beendet1117 . Wohlhabende Familien engagierten sich teilweise karitativ, um verarmten Familien zu helfen: „Die immensen Gräben zwischen äußerlich vollkommen ungebrochenem adligen Reichtum und Einfluss, Abstieg und Misere verliefen zwischen verschiedenen Adelsgruppen, verstärkt jedoch auch quer durch einzelne Familien.“1118 Die Sammlungen spielten zwar, neben den Wohnsitzen, nach wie vor eine zentrale Rolle zur Verdeutlichung von Abgrenzung und Zusammengehörigkeit, das detaillierte System der Hierarchien – mitsamt seinen Auswirkungen auf Zugänglichkeiten und Privilegien – konnte aber auf Dauer nicht aufrechterhalten werden. Die nun meist abseits der großen Zentren liegenden Wohnsitze der hochadligen Familien1119 trugen bereits durch ihre Lage ein abgrenzendes Element in sich1120. Das Zeigen des Inneren beschränkt/e sich auf ausgewählte Personen. Zeigen und NichtZeigen waren/sind damit nicht mehr Bestandteil eines festgeschriebenen Systems, sondern stattdessen Ausdruck gegebener Zugehörigkeit und selbst gewählter neuer Verbindungen1121 . Stärker denn je muss/te sich das Zeigen diesbezüglich auf die 1116 1117
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In Bezug auf das Militär waren vor allem preußische Adlige betroffen, vgl. Wienfort 2006, S. 26; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 52. Bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts war die Trennung zwischen Landadel und Hofadel immer stärker geworden, vgl. Wienfort 2006, S. 33; vgl. Demel, S. 100; die Bemühung um Abgrenzung bezog sich daher stärker auf die höherstehenden Familien und ihre Stellung zum Kaiser sowie ihre Positionen als Regenten der deutschen Staaten; der Feststellung Schildts, die Rangunterschiede der Adligen untereinander seien mit dem Wegfall sämtlicher Vorrechte des Adels durch die Weimarer Reichsverfassung verschwunden, ist zwar rechtlich korrekt, tatsächlich wurden diese Unterschiede jedoch durch fehlende Aufstiegsmöglichkeiten nun endgültig festgeschrieben, vgl. Schildt, Axel: Der Putsch der „Prätorianer, Junker und Alldeutschen“. Adel und Bürgertum in den Anfangswirren der Weimarer Republik, in: Reif: Adel und Bürgertum in Deutschland II, S. 106. Malinowski 2001, S. 175. Ausnahmen bildeten auch diesbezüglich vor allem standesherrliche Familien, beispielsweise lebt die Familie Thurn und Taxis noch immer in Schloss St. Emmeram im Zentrum Regensburgs. Malinowski spricht, v.a. auf den Hochadel bezogen, von einem „Abtauchen“, welches außerdem in einer häufig von den Chefs der Häuser gelebten politischen Zurückhaltung deutlich wurde, Malinowski 2003, S. 210f; Abelshauser/Faust/Pezina sehen ebenfalls die Verknüpfung eines Rückzugs ins Privatleben mit dem Leben auf dem Land, Abelshauser/Faust/Pezina, S. 91; die Aussage Sinclairs, dass sich der Adel „mehr und mehr auf seine Güter zurück[zog], um sich dort den verletzten Gefühlen ererbter Überlegenheit hinzugeben“ wird dieser komplexen Situation nicht gerecht, Sinclair, S. 115. Beispielsweise betont Biegel die Veränderung im alltäglichen Leben Ernst Augusts (III.) von Hannover und seiner Familie: „Regelmäßige Besuche, Teilnahme an sportli-
400 | S AMMLUNGEN DES A DELS Vergangenheit der Familie ausrichten, was – abhängig von momentanem Wohlstand und Umfeld – sowohl durch umfangreiche Ahnengalerien als auch durch ein einzelnes Familienservice möglich ist1122 . Die Möglichkeit, ein noch immer als standesgemäß empfundenes Wohnumfeld aufrechtzuerhalten, verdeutlicht/e innerhalb der nun stark von materiellem Wohlstand abhängigen Adelshierarchie eine gehobene Stellung. Noch immer können Sammlungsbestandteile momentane Misserfolge des Einzelnen kaschieren. Auf Dauer ist dies jedoch aufgrund der heute auch auf individueller Leistung beruhenden Versorgungslage der Familien nicht mehr möglich. So lange jedoch der Erhalt eines Schlosses als Familiensitz gelingt, wird dies noch heute als wesentliches Merkmal der Zugehörigkeit zum Adel wahrgenommen1123 , auch wenn moderne Villenanlagen von Prominenten in der öffentlichen Meinung einen ähnlichen Stellenwert einnehmen. Den Charakter privaten Zeigens erhielten immer stärker diejenigen Festlichkeiten und Einladungen, welche allein dem Adel oder adligen Verwandten gelten1124 . Davon, dass es weiterhin vielfältige Formen privaten Zeigens innerhalb der Familien sowie innerhalb des weiteren persönlichen Umfeldes gibt, ist auszugehen1125 . Vor allem als ein die Generationen verbindendes Element ist das private Zeigen von Familienbesitz Voraussetzung zur Aufrechterhaltung des gemeinsamen kulturellen Gedächtnisses1126 . Die Grenzen zwischen privatem und öffentlichem Zeigen sowie hierarchisch motiviertem Zurschaustellen verschwammen aber vor allem nach 1945 immer mehr, was mit der in Kapitel 2.3 beschriebenen Professionalisierung in Bezug auf kulturellen Besitz einhergeht. Als beispielsweise Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg im Rahmen der Kinderfreiplatzspende persönlich Kindergruppen
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chen, kulturellen und gesellschaftlichen Veranstaltungen waren ebenso selbstverständlich wie zahlreiche sonstige Aktivitäten. Dabei ging es oftmals recht zwanglos und familiär zu, wie es der nach 1918 neu gewonnenen Lebenseinstellung von Victoria Luise und Ernst August wohl durchaus entsprochen haben dürfte.“, Biegel, Gerd: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, in: Biegel, S. 43. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt Porträts in Blankenburg, welche bewusst die Verbindung zu Österreich betonen sollten, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253; Rogasch betont, dass es auf Schloss Birstein keine herausragenden Kunstwerke, aber viele Objekte zur Familiengeschichte gibt, Rogasch, S. 174; auch von Alvensleben betont die Bedeutung des Schlosses Birstein als Lebensmittelpunkt der Familie, von Alvensleben/von Koenigswald, S. 146. Vgl. Rosenholm, S. 11. „Doch zu herbstlichen Jagdgesellschaften, runden Geburtstagen, Hochzeiten und anderen Familienfesten lassen es sich die Besitzer [des Schlosses Birstein] nicht nehmen, im Sinne ihrer Vorfahren auch tageweise fürstlichen Glanz in die historischen Gemäuer einkehren zu lassen.“, Rogasch, S. 175; vgl. Wienfort 2006, S. 19; obwohl Ernst August (IV.) von Hannover bereits seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr in Schloss Marienburg lebte, lud er dorthin zu Familienfeiern ein, vgl. Steckhahn, S. 181. Für die meisten Familien blieben Landbesitz und Schlösser das Lebensumfeld, wodurch dies möglich blieb, vgl. Wienfort 2006, S. 77. Vgl. Wienfort 2006, S. 134.
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durch Schloss Marienburg führte, konnten ihr persönliches Engagement und die professionelle Eingliederung dieser Veranstaltung in ein Gesamtprogramm nicht voneinander getrennt werden1127. Dass dieses Angebot – gewollt oder nicht – gesellschaftliche Hierarchien zwischen Kindern aus armen Verhältnissen und dem Überfluss eines voll ausgestatteten Schlosses deutlich machte, ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen1128 . Man kann vermuten, dass auch die Führung des amerikanischen Kommandanten Captain Tragle durch das Schloss Blankenburg 1945 – mitsamt einer Besichtigung der Waffensammlung – für Ernst August (III.) von Hannover1129 mit dem Selbstbewusstsein eines seit Jahrhunderten bestehenden Adelsgeschlechts verknüpft war und weniger mit der demütigen Haltung gegenüber einem Vertreter der Besatzungsmacht. Dies wird unterstützt durch die Anekdote, er habe einem britischen Colonel auf dessen Aussage, er könne ihn sofort erschießen lassen, geantwortet: „Es ist sicherlich keine geläufige Vorstellung, dass ein Colonel der englischen Armee einen Prinzen von Großbritannien und Irland erschießen lässt.“1130 Beispiel für eine professionalisierte Haltung des Adels gegenüber dem familieneigenen Kulturbesitz ist die öffentliche Präsentation von Sammlungsbeständen seit den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie die nach 1945 vermehrt zu beobachtende Öffnung von Schlössern zur Besichtigung1131 . Die Öffnung der Schlösser 1127
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Die Kinderfreiplatzspende ermöglichte Kindern gefallener, verletzter oder arbeitsloser Väter die Unterbringung in Familien, kombiniert mit dem Aufenthalt in einem Ferienlager. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg empfing Kinder in Schloss Marienburg und führte sie dort selbst, vgl. Freise, Helmar: Ein Herz für Kinder. Victoria Luise und die Niedersächsische Kinderfreiplatzspende, in: Biegel, S. 155ff; ein ähnliches von Louis Ferdinand von Preußen initiiertes Programm ermöglichte ab 1952 Kindern Ferien auf der Burg Hohenzollern, vgl. Kirschstein, S. 34; unabhängig von einem karitativen Programm werden alle Neuwieder Schulkinder von der Fürstin persönlich durch das Schloss Neuwied geführt, vgl. Rogasch, S. 224. Auch die Aussage Gräfin Brühls, der Rittersaal des Ururgroßvaters sei ein „Anziehungspunkt für alle Kunsthistoriker und Historiker, die sich auch nur ansatzweise mit Stil und Bauweise des Barock beschäftigen“, von Brühl, S. 47, drückt Überlegenheit aus. Von Hannover, W., S. 15. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 323. Bereits 1930 wurde in Schloss Cumberland in Gmunden durch das Haus Hannover ein Museum eingerichtet, vgl. Steckhahn, S. 163; in den 30er Jahren öffnete das „Zähringer Museum“ im Neuen Schloss Baden Baden, vgl. Piesker, S. 27; zu nach 1945 geöffneten Schlössern gehört beispielsweise Schloss Glücksburg, welches jedoch auch noch immer bewohnt wird, vgl. Rogasch, S. 203; infolge von Renovierungen nach 1945 wurde in der Wasserburg Anholt ein Museum eröffnet, vgl. Rogasch, S. 160; vgl. Wasserburg Anholt (Haus Salm): http://www.wasserburg-anholt.de/index.php/de/; Schloss Eutin öffnete 1961, vgl. Rogasch, S. 197, vgl. Schloss Eutin (Haus Oldenburg): http://www.schloss-eutin.de/historie.html; ebenso Schloss Fasanerie, vgl. Rogasch, S. 198; auch die Welfen öffneten in dieser Zeit ein Museum in Schloss Marienburg, vgl. Steckhahn, S. 185; ebenso nutzte man den Fürstenbau der Veste Coburg als Museum, da der damalige Chef des Hauses, Friedrich Josias Prinz von SachsenCoburg und Gotha sein Wohnrecht nicht nutzte, vgl. Sandner, S. 263; in England ist
402 | S AMMLUNGEN DES A DELS verlief nicht gleichförmig, sondern brachte verschiedene Formen des Zeigens hervor. Die Abstufung reichte von einer völligen Abspaltung der Schlösser mitsamt ihrer Sammlungen von den nun außerhalb dieses Umfelds lebenden Familien1132 über die teilweise Öffnung ausgewählter Bereiche bis hin zu privateren Führungen der Bewohner durch ihren Wohnsitz1133. Nach der Öffnung von Sammlungsteilen einige Jahrhunderte zuvor lässt sich in dieser Zeit zum zweiten Mal das Bestreben des Adels nach einem öffentlichen Zeigen von Besitz feststellen. Allerdings waren nun nicht Wissenschaft, Lehre, das Angebot zur Teilhabe sowie Repräsentation entscheidend für diesen Schritt, sondern vor allem wirtschaftliche Gründe und die Notwendigkeit, sich beruflich sowie gesellschaftlich neu zu positionieren1134 : „Nach 1945 hat sich die Zahl der Burgen und Schlösser in Privatbesitz, die der Öffentlichkeit wenigstens teilweise als Privatmuseen zugänglich sind, stetig erhöht. Zahlreiche Schlösser können nur mit Hilfe des Denkmalschutzes und einer wenigstens teilweise kommerziellen Nutzung erhalten werden.“1135
Bereits länger existierenden Schlossmuseen erfuhren seit der Nachkriegszeit Veränderungen und es kam zu Schließungen und Neueröffnungen. Diejenigen Schlösser, welche der Öffentlichkeit bis heute zugänglich blieben, mussten sich weitgehend an moderne Geschäftsstandards anpassen, nicht grundsätzlich aber an moderne Muse-
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eine wesentlich stärkere Öffnungswelle von Schlössern in der Nachkriegszeit zu beobachten, so dass 1966 bereits 599 Schlösser und Herrenhäuser der Öffentlichkeit zugänglich waren, vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 17ff. De Saint Martin stellt in Bezug auf Frankreich fest, dass nach 1945 kaum noch Familien dauerhaft in ihren Schlössern lebten; häufig werden auch Nebengebäude bewohnt, de Saint Martin, S. 95; dies ist auch in Deutschland in ähnlicher Form zu beobachten. Wie z.B. zeitweise im Schloss Birstein, vgl. Rogasch, S. 174, Gräfin Brühl beschreibt, in ihrer Familie sei es die Aufgabe von Kindern gewesen, Reiseführer der eigenen Region auswendig zu lernen, um Führungen für Besucher machen zu können, von Brühl, S. 29. Vgl. Wienfort 2006, S. 134 und S. 157; vgl. Rogasch, S. 36; dass nun vor allem wirtschaftliche Interessen im Vordergrund stehen mussten, zeigt sich auch durch die ebenfalls starke Nutzung von Schlössern als Hotels, vgl. Wienfort 2006, S. 158; laut de Saint Martin werden Schlosshotels – zumindest in Frankreich – vor allem von NichtAdligen betrieben (was wiederum auf Verkäufe und Verpachtungen aus finanziellen Gründen hinweist), de Saint Martin, S. 104; in England waren die Schlossöffnungen seit den 50er Jahren bereits von stärker touristisch geprägtem Unternehmergeist einer jüngeren Generation geprägt, vgl. Mandler, S. 55. Wienfort 2006, S. 157; vgl. Rogasch, S. 36; bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde diese Problematik erkannt, über die Einkünfte aus dem verbliebenen Grundbesitz der ehemals regierenden Familien schreibt Günther: „Ja, in einigen Fällen [Hervorhebung U.S.] dürfte die Höhe der Einkünfte sogar noch zu einer teilweisen [Hervorhebung U.S.] Deckung der Schlossunterhaltungskosten usw. ausreichen.“, Günther, S. 103.
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umsstandards1136 . Bereits 1967 und bezogen auf englische Schlösser beschrieb Edward Montagu of Beaulieu, dass auf lange Sicht nur eine professionelle und auf das Erlebnis der Besucher orientierte Führung von Schlossmuseen erfolgreich sein könne1137 . Im Vordergrund stand und steht ein Einblick in das Leben des Adels, jedoch nicht die Zugänglichkeit original erhaltener Räume1138 . Während er jedoch außerdem das Interesse der Besucher an einem Einblick in das private Leben des Adels – im Gegensatz zu einem expliziten Interesse an Einzelobjekten – betonte1139 , spielen beide Aspekte in Deutschland eine immer geringer werdende Rolle. Stattdessen ist die „Vereinnahmung“ von Burgen und Schlössern als Kulisse für Urlaube und Hochzeiten eine sichere Einnahmequelle der Besitzer1140 . In der Regel ist der Museumsbetrieb heute ein den unternehmerischen Tätigkeiten der Familie angegliedertes – und durch diese ermöglichtes – Betätigungsfeld1141 , 1136
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Die Schlösser können jedoch mit den gleichen Problemen konfrontiert werden, beispielsweise schloss die Familie Waldburg-Wolfegg und Waldsee ihre Sammlungen, nachdem die Führungen vermutlich zur Planung eines später erfolgreichen Diebstahls genutzt wurden, Rogasch, S. 248; Beispiel für eine gelungene Umsetzung beider Aspekte – der Führung eines modernen Unternehmens und eine modern museal betreute Sammlung ist das Haus Thurn und Taxis, vgl. Haus Thurn und Taxis: http://thurnund taxis.de und Rogasch, S. 234; ebenso die Familie der Grafen von Schönborn, vgl. Haus Schönborn: http://www.schoenborn.de und vgl. Rogasch, S. 240; beide Familien gehören zu den standesherrlichen Familien, was bedeutet, dass sie nicht direkt von den Vermögensveränderungen 1918 betroffen waren. Lord Montagu of Beaulieu, S. 27 und S. 85f; Edward Montagu of Beaulieu vertrat eine Form der Öffnung von Schlössern, die – wie er selbst feststellte – an kommerziellen Erlebnisangeboten in den USA orientiert ist, Lord Montagu of Beaulieu, S. 138; sein Mitarbeiterstab war wenig geschichts- oder kunstwissenschaftlich geprägt, Lord Montagu of Beaulieu, S. 135; dies blieb jedoch sowohl in der Literatur als auch beim Adel nicht ohne Kritik, vgl. Sinclair, S. 181. Beispielsweise richtete er in Beaulieu in der ehemaligen Bibliothek eine Gemäldegalerie ein, Lord Montagu of Beaulieu, S. 54. Lord Montagu of Beaulieu, S. 25. Vgl. als geringe Auswahl beispielweise das Angebot von Schloss Marienburg, Schloss Marienburg (Haus Hannover): http://www.schloss-marienburg.de/heiraten-schlossmarienburg.htm; das Angebot von Schloss Glücksburg, Schloss Glücksburg (Haus Schleswig-Holstein): http://www.schloss-gluecksburg.de/heiraten.html; das Angebot von Schloss Bückeburg, Schloss Bückeburg (Haus Schaumburg-Lippe): http://www. schloss-bueckeburg.de/page/page_ID/198?PHPSESSID=8dd4b6762d61660a3b667812 87dddc0e; das Angebot von Schloss St. Emmeram, Schloss St. Emmeram (Haus Thurn und Taxis): http://www.thurnundtaxis.de/events/vermietung/vermietung.html; diese Schlösser befinden sich noch immer im Besitz der adligen Familien; vgl. auch de Saint Martin, S. 104. „Das bedeutet, dass die einzelnen Familien aus den Wirtschaftsbereichen, in denen sie Gewinne erzielen, permanent Gelder in die Kultur stecken [...]“, Rogasch, S. 25; dies wird beispielsweise deutlich an der Vermarktung des Schlosses Bückeburg durch Alexander zu Schaumburg-Lippe, welches als Filmlocation sowie für Rockkonzerte und Märkte genutzt wird, allerdings auch einen Museumsbereich hat, vgl. Rosenholm, S.
404 | S AMMLUNGEN DES A DELS was auf der Internetseite der seit 1993 der Öffentlichkeit zugänglichen Burg Bentheim deutlich wird: „Zwar definiert sich die Fürstliche Familie heute als eine moderne Unternehmerfamilie, sie fühlt sich aber auch – über das ökonomische Handeln hinaus – verpflichtet, einen Beitrag zur historischen und kulturellen Identität ihrer Region zu leisten.“1142 An diesem Beispiel zeigen sich gleichzeitig die heute an eine fürstliche Familie gestellten gesellschaftlich-kulturellen Erwartungen: die Eingliederung in Kapitalismus und Demokratie sowie eine kulturelle Beteiligung, welche die bereits erfolgte Institutionalisierung und Überführung von Beständen aus Adelsbesitz in fachliche Hände mit den nach 1918 verbliebenen Sammlungsteilen wiederholt. Eröffnungen von Schlossmuseen, deren Überarbeitung sowie Neustrukturierungen in Form von Stiftungen in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sind Reaktionen auf diese Erwartungshaltung1143 . Die derart verwalteten Bestände werden als Ergänzung der in Museen gezeigten Sammlungen zur Regionalgeschichte verstanden, weniger jedoch als private Bestände adliger Familien1144 . Besser noch als durch die Öffnung von Burgen und Schlössern werden die Erwartungen kultureller Beteiligung der Adelsfamilien durch Leihgaben an Institutionen in öffentlicher Hand erfüllt1145 . Die Objekte stehen in diesen Fällen deutlich im
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30; auf der Internetseite der Familie Schönborn taucht Schloss Weissenstein in der Rubrik „Geschäftsbereiche“ gemeinsam mit den Bereichen Weingüter, Collegium Musicum, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Sägewerk, Teichwirtschaft und Gastronomie auf, Haus Schönborn: http://www.schoenborn.de/geschaeftsbereiche.html. Burg Bentheim (Haus Bentheim): http://www.burg-bentheim.de/index.php?newwpID= 102702&MttgSession=a3f082ee377850b5ec6fb8cd26e452d9; in Frankreich bietet die Öffnung eines familieneigenen Schlosses indirekte Einnahmen in Form von Steuervergünstigungen, vgl. de Saint Martin, S. 103. Beispielsweise wurde Schloss Eutin mit Schlossgarten und Inventarbeständen 1992 in eine Stiftung eingebracht, vgl. Rogasch, S. 197; in Schloss Callenberg ist seit 1998 ein Museum der Stiftung der Familie von Sachsen-Coburg und Gotha untergebracht, vgl. Rogasch, S. 182; mit Hilfe öffentlicher Gelder eröffneten in Schloss Sayn in den 90er Jahren ein Eisenkunstguss-Museum sowie museal genutzte Fürstenräume, vgl. Rogasch, S. 238; 1996 wurde die Stiftung Schloss Weissenstein gegründet, vgl. Rogasch, S. 240; teilweise stehen diese Veränderungen jedoch auch in Verbindung zu den Folgen der Wiedervereinigung. So schreibt Röhrbein beispielsweise: „Folglich wird das Historische Museum [Hannover] seine landesgeschichtliche Arbeit und Sammeltätigkeit für den Zeitraum bis zur Gründung des Landes Niedersachsen auf das Gebiet des Königreichs Hannover, für das es außerdem umfangreiche Sammlungen auf der Marienburg und im Fürstenhaus Herrenhausen-Museum gibt, und auf den Raum der Provinz Hannover beschränken [...]“, Röhrbein, Waldemar R.: Vorwort, in: Rohr, Alheidis von: Niedersächsische Landesgeschichte im Historischen Museum Hannover, Hannover 1985, S. 7-12. Beispielsweise werden Objekte aus dem noch bewohnten Schloss Neuwied als Leihgaben zur Verfügung gestellt, vgl. Rogasch, S. 224; als Dauerleihgaben vergab das Haus Hannover Objekte an das Historische Museum in Hannover, so beispielsweise drei Kutschen und einen Schlitten, die von Rohr 1985 als „eine der Hauptattraktionen des Historischen Museums“ bezeichnet, Rohr: Niedersächsische Landesgeschichte, S. 249ff; vgl. auch Steckhahn, S. 213; sowie an die Universität Göttingen, vgl. Universi-
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Vordergrund vor den Leihgebern, welche häufig nicht namentlich genannt werden (wollen). Diese Zurückhaltung ist eng verknüpft mit der von Konflikten belasteten Haltung von Eigentümern zu den Denkmalschutzbestimmungen1146 . Sie liegt aber auch in der Haltung der Museen begründet, welche den Kunstwert in den Vordergrund stellen, je nach Konzeption auch die Provenienz als Geschichtswert betonen, den ehemals regierenden Häusern jedoch häufig kritisch gegenüberstehen1147 . Komplette Ausstellungen aus Leihgaben adliger Häuser sind selten, die Ausstellung „Schatzhäuser Deutschlands. Kunst in adligem Privatbesitz“ 2004-2005 im Haus der Kunst in München1148 war diesbezüglich eine Ausnahme. Bewahren II Das öffentliche Zeigen, eine Eingliederung in die Tourismus- und „Event“-Branche sowie kulturelle Angebote gehören heute zu den Bemühungen adliger Familien, um Schlösser und Inventar zu erhalten. Bereits vor Jahrzehnten beschrieb Edward Montagu of Beaulieu diese – in England ebenso wie in Deutschland festzustellende – Entwicklung: „A degree of commercialism has, of course, been necessary but it has been necessary not to enable me to lead a life of luxury, but to keep the estate prosperous and healthy and to enable me to continue to live in my family’s home.“1149 Dass jedoch die heute bekanntesten Vertreter des Hochadels durch ihre unternehmerischen Tätigkeiten noch immer in der Lage sind, ein Leben in Luxus – oder zumindest Wohlstand – zu führen, mag der Grund dafür sein, dass Schwierigkeiten des traditionellen Bewahrens familieneigener Besitztümer in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen werden. Demels Aussage gibt die weit verbreitete Meinung wieder, der
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tät Göttingen: http://www.uni-goettingen.de/de/38812.html; zahlreiche Objekte der Hohenzollern sind als Leihgaben in Berlin zu sehen, vgl. Rogasch, S. 210; nachdem das bereits vor 1918 als Museum genutzte Schloss Monbijou durch den Vermögensausgleich an den Staat ging, beließ das Haus Hohenzollern sämtliche Objekte vor Ort, mit der Auflage, das Schloss weiterhin als Museum zu nutzen, woran sich trotz starker Umstrukturierungen nichts änderte, vgl. Luh, S. 200 und S. 209; noch heute sind Teile der Bestände als Leihgaben des Hauses Hohenzollern in Berlin zu sehen, Luh, S. 214. Vgl. Rogasch, S. 45f; Graf Douglas sieht in der Gesetzeslage (v.a. dem KultgSchG) eine „doppelte Belastung“, Gespräch Graf Douglas; es ist auf eine zurückhaltende Haltung des Adels auf Grund der Gesetzeslage hinzuweisen, ebenso sieht Graf Spreti diese als problematisch an, Gespräch Graf Spreti. Nicht zuletzt, weil nach wie vor die Gefahr besteht, dass die entliehenen Objekte aufgrund eines Verkaufs durch die adligen Eigentümer den öffentlichen Sammlungen wieder entzogen werden. In diesen Fällen ist jedoch meist der Einsatz, das entsprechende Kunstwerk zu erwerben, groß, wie am Beispiel der so genannten „Grauen Passion“ 2004 und Altarbildern des „Meisters von Meßkirch“ 2012, beide aus dem Besitz des Hauses Fürstenberg, für die Staatsgalerie Stuttgart und die Kunsthalle Karlsruhe sichtbar wurde, vgl. Pfeiffer-Poensgen, Isabel: Editorial: Tafelbilder der Renaissance, in: arsprototo – das Magazin der Kulturstiftung der Länder 2/2013, S. 3, vgl. Sauerländer, Willibald: Letzte Klänge Altdeutscher Malerei, in: arsprototo 2/2013, S. 20. Vgl. Rogasch. Lord Montagu of Beaulieu, S. 22.
406 | S AMMLUNGEN DES A DELS Hochadel gäbe sich als Kulturbewahrer, versuche aber eigentlich, damit die eigenen Einnahmen zu erhöhen: „Als neue Kollektividentität bietet sich allenfalls eine Rolle als selbsternannter Wahrer des ‚nationalen‘ kulturellen Erbes an, wie die vor allem von Standesherren mit Leihgaben bestückte Münchner Ausstellung ‚Deutschlands Schatzhäuser‘ von 2004/05 nahelegt. Auch sie dient eingestandenermaßen nicht zuletzt dem Zweck, Touristen anzulocken und Staatszuschüsse zu erhalten, damit die Besitzer ihre Schlösser erhalten oder sanieren können.“1150
Tatsächlich stellt die Erhaltung von Schlössern sowohl die besitzenden Familien als auch den Denkmalschutz vor erhebliche finanzielle Schwierigkeiten1151. Die Beteiligung des Denkmalschutzes bringt die Familien zwangsläufig in die Rolle von Bewahrern allgemeinen Kulturgutes, obwohl der Adel das Bewahren von Besitz für die Familie immer in den Vordergrund stellt/e1152 . Der Adel sah sich diesbezüglich im 20. Jahrhundert mit großen Herausforderungen konfrontiert1153 , was ihm bereits früh bewusst war1154 . Beim Erhalt eines familieneigenen Schlosses stehen heute meist die Pflichten gegenüber den Rechten im Vordergrund1155 . Die bewahrende Übergabe ausgewählter Sammlungsbestände von Generation zu Generation wird nicht zuletzt durch die Auflösung der Fideikommisse erheblich erschwert1156 , was je nach Auflösungsbestimmungen früher oder später zum Tragen kam1157 . „Einige ihrer erbrechtlichen Bestimmungen [...] haben allerdings in entsprechenden privatrechtlichen Vereinbarungen, Familienstatuten, Stiftungen oder Hausgesetzen bis in die Gegenwart überlebt.“1158 In der direkten Folgezeit der Revolution von 1918 waren die ehemals regierenden Familien noch davon überzeugt gewesen, dass sie besser als die neuen Staaten in der Lage seien, Sammlungen zu bewahren. Der neue Staat Braunschweig hatte bereits direkt nach 1918 Objekte aus dem Residenzschloss Braunschweig entfernt und ver1150 1151
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Demel, S. 73. Dies gilt, wie bereits erwähnt, auch für den Adel in Großbritannien sowie für den Adel in Frankreich, vgl. de Saint Martin, S. 98; Piesker erwähnt Erhaltungskosten des Hauses Baden für das Neue Schloss Baden Baden von mehreren Hunderttausend DM pro Jahr und weist darauf hin, dass einige der insgesamt 105 Räume ohne elektrisches Licht und dazu nicht beheizbar seien, Piesker, S. 27. Von Bieberstein beschreibt den Familienbesitz als höchstes Gut einer Adelsfamilie und die Erhaltung desselben als Pflicht des Einzelnen, von Bieberstein, S. 174. Vgl. Zollitsch, S. 221; zu Unterhaltungskosten kamen zusätzlich Pensions- und Apanagezahlungen, vgl. Günther, S. 127f. Vgl. Hampe, S. 5; vgl. von der Goltz-Greifswald, S. 94. De Saint Martin macht deutlich, dass dem Erben bereits seit der Kindheit die Last dieses Erbes bewusst ist, de Saint Martin, S. 109f. Vgl. Demel, S. 73; die Verknüpfung dieses Rechtsinstituts mit Bewahrungsmöglichkeiten und die durch dessen Auflösung entstandenen Schwierigkeiten sind im Bewusstsein des Adels noch heute fest verankert, Gespräch Graf Spreti; Gespräch von Hannover. Vgl. Kapitel 2.3. Wienfort 2006, S. 73.
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kauft und auch aus Schloss Blankenburg waren Objekte entfernt worden. Das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg klagte die verbliebenen beweglichen Sachen ein, forderte für die bereits entfernten Objekte Schadensersatz und verlangte – gemäß der gängigen Behandlung von Objektbeständen durch den Adel – Bestandsverzeichnisse1159 . Im Zuge der rechtlichen Auseinandersetzungen mit dem neuen Braunschweigischen Staat äußerte das Haus zudem Bedenken, dass die in Museum und Bibliothek zusammengetragenen Objekte als Reparationskosten durch die Sieger des Ersten Weltkrieges eingefordert werden könnten und man dies verhindern könne, wenn sie im Besitz des Hauses verblieben1160. Durch die Gründung einer gemeinsamen Stiftung wurde in diesem Fall eine Kompromisslösung gefunden, und die Befürchtungen bestätigten sich zunächst nicht. Auch diese Stiftung ist jedoch ein Beispiel für die später gravierenden finanziellen Probleme und diesbezüglichen Erhaltungsschwierigkeiten der Adelsfamilien1161 . Im Zuge des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie in Kooperation mit dem damaligen Denkmalpfleger Dr. Seeleke tatsächlich erneut als Bewahrer für diese Objekte aktiv. Sowohl in ihrem Privateigentum verbliebene Sammlungsteile – beispielsweise aus Schloss Herrenhausen – als auch Bestände aus dem Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig wurden im Keller des Schlosses Blankenburg eingelagert, um sie vor Bombenangriffen zu schützen1162 . Es wird deutlich, dass diese Zeit erstmals von einer gemeinsamen grundsätzlichen Angst vor Verlust (durch Zerstörung oder Beschlagnahmung) geprägt war. Seit der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges kann für diejenigen Familien, welche noch über größere Sammlungsbestände verfügen konnten, eine stärkere Diversität im Umgang mit denselben festgestellt werden. Es folgte eine insgesamt gesteigerte Aktivität bezüglich des gesamten Besitzes, die Eingliederung der Sammlungen in die Unternehmensstruktur, aber auch der völlige Rückzug ins Private. Trotz eines in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts großen Interesses am Leben hochadliger Familien1163 wurden ab diesem Zeitpunkt das Auftreten Einzelner oder die Berichterstattung über Festlichkeiten prestigeträchtiger als die Präsentation von Sammlungen. Wenn Rogasch feststellt, man könne „adelskritisch einwenden, dass diese kleine Gruppe diese Aktivität [das Bewahren ihres Kunstbesitzes] eigentlich nur an den Tag legt, um ihren Status zu betonen und zu bewahren“1164 , ist dem nur eingeschränkt zuzustimmen. Die Betonung einer gehobenen gesellschaftlichen Stellung ist heute nach außen nur in geringem Maß durch den Erhalt dieser Bestände möglich und stattdessen stärker von allgemeineren Statussymbolen abhängig. Inner1159 1160 1161 1162
1163 1164
Vgl. Schmidt, S. 79; der Erstellung von Bestandslisten wurde gerichtlich stattgegeben, vgl. Schmidt, S. 104. Hampe, S. 7. Vgl. Kapitel 4.1.2 und 4.1.4. Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 319 und S. 325; vgl. Schröter, S. 102; vgl. Reckewell, Roger/Reimann, Wolfgang/Thoms, Hilde: Schloss Blankenburg. Krone einer Region, Blankenburg 2007, S. 29; vgl. Döring, Thomas: Herzogliches Museum – Landesmuseum – Herzog Anton Ulrich-Museum: 1887 bis 1954, in: Luckhardt: Das Herzog Anton Ulrich-Museum und seine Sammlungen, S. 287. Vgl. Spiegel, 10. April 1957. Rogasch, S. 26.
408 | S AMMLUNGEN DES A DELS halb des Hochadels spielen die ererbten Objekte, neben der Wahrung von Traditionen und Verhaltensgrundsätzen, jedoch noch immer eine Rolle1165 . Allerdings unterscheiden sich die Bewertungskriterien, welchen sie unterliegen, stark von den heute allgemeingültigen Bewertungen von Kulturgut: „Tatsächlich sind es nicht die ästhetischen Eigenschaften, der Stil der Objekte, Möbel oder Bilder, die geschätzt und angepriesen werden, sondern ihre Geschichte und Herkunft: Aufmerksamkeit und Bewunderung richten sich weniger auf die Louis XV-Kommode oder den LouisPhillippe-Sessel im kleinen Salon als auf die Kommode, die von C.’s Großmutter stammt oder auf den Sessel, auf dem die Herzogin von R. saß, die aus dem Schloß X. stammt.“1166
Eine Vorrangstellung im kulturellen Bereich basierte darüber hinaus für den Adel – wie bereits beschrieben – nicht zuletzt auf Quantität. Diese konnte nach 1918, durch die eingeschränkten Anhäufungsmöglichkeiten sowie Verluste, nur mit Hilfe von Bewahrungsmaßnahmen erhalten werden. Eine, für die Zeit nach 1918 noch immer angestrebte, Vorrangsstellung1167 kann nach 1945 nicht mehr für den gesamten Hochadel nachgewiesen werden und scheint sich weiter abzuschwächen. Mittlerweile ist jedoch ein überproportional großer Anteil adliger Personen im Kulturbereich tätig. Noch weniger als zuvor war der unveränderte Erhalt das Ziel des Adels. Dieser war ohnehin durch die genannten Veränderungen 1918 und im Zweiten Weltkrieg nicht möglich. Man versuchte, die verbliebenen Wohnsitze den aktuellen Gegebenheiten anzupassen, was Aus- und Umbauten zur Folge hatte1168 . Die häufig an einem 1165
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1168
„Die Möbel, das Silber mit dem Familienwappen, die Bücher, Familienarchive, Genealogien etc. werden in den meisten Fällen sorgfältig bewahrt und gepflegt.“, de Saint Martin, S. 98. De Saint Martin, S. 98; vgl. auch de Saint Martin, S. 99; dies bestätigt auch Graf Spreti, der die Erhaltung von Ensembles betont, welche wichtiger seien als einzelne hochrangige Kunstwerke, Gespräch Graf Spreti. „Die Erhaltung von Qualität und Hierarchie in Gesellschaftsordnung und Herrschaftsbildung, Abwehr der Massen [...] kurz: der westlich-liberalen und östlichrätedemokratischen Fiktion der Gleichheit. Basis dieser neuen Eliten, Kern der notwendig gewordenen neuen Führungsauslese, sollte die Kultur werden, ein die nationalen Eigenarten übergreifendes europäisch-abendländisches Kulturkonzept.“, Reif 2001, S. 18. Vgl. von Hannover, W., S. 10; vgl. Steckhahn, S. 165; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 152; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, die beschreibt, dass z.B. Küchen und Abwaschräume zu Wohnzimmern umgebaut wurden, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253; Gräfin Brühl beschreibt „Absonderlichkeiten“, von Brühl, S. 38-39; auch Kriegszerstörungen forderten Wiederaufbau, und die Öffnung einiger Schlösser für die Öffentlichkeit führte zu Umbauten, beides konnte Jahrzehnte in Anspruch nehmen, so z.B. in Schloss Sayn der Familie Sayn-WittgensteinSayn, vgl. Rogasch, S. 236ff; Wienfort sieht diese Umbauten als Maßnahmen zur Repräsentation an, Wienfort 2006, S. 83, in den meisten Fällen waren die verbliebenen Schlösser jedoch in einem Zustand, der Modernisierungsmaßnahmen forderte, die zudem stärker der Bequemlichkeit denn der Repräsentation geschuldet waren.
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Ort zusammengetragenen mobilen Bestände aus verschiedenen Schlössern konnten zu erheblichem Platzmangel führen1169 , so dass größere Objektmengen in ungenutzten Gebäudeteilen untergebracht werden mussten1170 . Der Wegfall der aufwändigen Hofhaltungen – und die damit einhergehende Reduzierung des Personalstabs – führte dazu, dass diesen Beständen kaum Pflege zukam. Ungeheizte Räume und mangelhafte Lagerbedingungen konnten zu starken Schäden, Schädlingsbefall und Verschmutzung führen1171. In Kapitel 3.3 wurde anhand der Depotsituation einiger Museen bereits die Schwierigkeit der Lagerung großer Objektbestände deutlich. Dieses Problem wurde im Falle der Adelssammlungen nach 1918 nicht erkannt: Die Familien selbst waren aufgrund der umfassenden Veränderungen ihrer Lebensweise mit dieser Aufgabe schlichtweg überfordert. Die Umsetzung der zumeist in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts verabschiedeten Denkmalschutzgesetze ist noch heute durch die enorme Menge der zu schützenden Objekte sehr schwierig, so dass der Fokus stark auf Baudenkmalen liegt. Sie kamen außerdem erst zum Tragen, nachdem Sammlungsbestände des Adels bereits seit Jahrzehnten unzureichenden Lagerungsbedingungen ausgesetzt gewesen sein konnten. Dieser Zustand kann bis heute andauern. Die Öffnung von Teilen der Schlösser brachte dagegen Möglichkeiten einer musealen Behandlung der Objekte mit sich. Deren Umsetzung ist je nach finanziellen Möglichkeiten, baulichen Gegebenheiten und weiterer Nutzung des Hauses – beispielsweise noch immer als Wohnsitz der jeweiligen Familie – sehr unterschiedlich1172 . Diese Schlösser und deren Eigentümer stehen jedoch vor den gleichen Erhaltungsproblemen wie jedes Museum, so dass das Bewahren durch die mit diesem 1169
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Ernst August (III.) von Hannover brachte 1926 beispielsweise 14 Umzugswagen aus Gmunden in das bereits voll ausgestattete Schloss Blankenburg, vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 28; vgl. Steckhahn zum Schloss Marienburg, Steckhahn, S. 201; der nicht als Museumsinventar genutzte Ausstattungsbestand des Fürstenbaus der Veste Coburg wurde in die Schlösser Callenberg und Greinburg gebracht, vgl. Sandner, S. 263. Gräfin Brühl beschreibt beispielsweise Dachböden, wo „alte, aber durchaus wertvolle Möbel, für die man zurzeit einfach keinen Raum und keine Verwendung hatte“ untergebracht waren, von Brühl, S. 74. Zahlreiche Objekte, die 2005 durch das Haus Hannover verkauft wurden, wiesen solche Schadensbilder auf, vgl. Billerbeck, Heike: Restaurierungsbericht zum Gemälde Hermann Tunica: „Herzog Wilhelm mit Gefolge“ (GE 00490-00), Richard Borek Stiftung, 2007-2009, und Sensburg, Thomas: Restaurierungsbericht zum Rahmen des Gemäldes Hermann Tunica: „Herzog Wilhelm mit Gefolge“ (GE 00490-00), Richard Borek Stiftung, 2009. „Und was sie von unseren staatlichen Schlössern unterscheidet: Sie sind noch bewohnt. Manche dieser Schatzhäuser, etwa Schloss Büdingen oder Burg Eltz, sind seit 800 Jahren und mehr als 30 Generationen im Besitz von ein und derselben Familie.“, Rogasch, S. 21; diesbezüglich ist anzumerken, dass es sich bei der Familie der Grafen zu Eltz nicht um eine hochadlige Familie handelt; Schloss Büdingen ist im Besitz der Fürsten zu Ysenburg, vgl. Schloss Büdingen (Haus Ysenburg): http://www.schlossbuedingen.de/index.php?q=schlossmuseum.html; auch Edward Montagu of Beaulieu betont den Unterschied zwischen bewohnten Schlössern und Museen, Lord Montagu of Beaulieu, S. 11.
410 | S AMMLUNGEN DES A DELS verbundenen Kosten nur mit Hilfe eines wirtschaftlich arbeitenden Unternehmens möglich wird und damit auch auf ständige Veränderung und Modernisierung angewiesen ist: „[d]ie edlen Krieger von einst müssen sich im Kampf um die Erhaltung ihrer Güter in unedle Geschäftsleute moderner Zeit verwandeln.“ 1173 Diese Problematik betrifft jedoch nicht alle Bestände: Diejenigen Sammlungsteile, welche in den Wohnbereichen Platz fanden, wurden genutzt und entsprechend ihrer Funktion gepflegt. Diese Nutzung, beispielsweise als Dinge des Wohnens, kann sowohl den Alltag betreffen als auch auf ausgewählte Anlässe – wie Festlichkeiten – beschränkt bleiben1174 . Sie kann zudem persönliche Hintergründe, wie eine Bewahrung als Erinnerungsobjekt, haben1175 . Noch heute leben hochadlige Familien in dieser Form mit Teilen ihrer Sammlungen, wobei diesbezüglich nach wie vor die Nutzung vor deren Unveränderlichkeit steht1176 und weitere Veränderungen durch erneute Generationenwechsel wahrscheinlich sind. Entsammeln II Bereits während der gerichtlichen Auseinandersetzungen in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts war sowohl den neuen Staaten als auch den ehemals regierenden Familien bewusst, dass Ländereien und Forsten zu den „bringenden“, Sammlungen und Schlösser zu den „zehrenden“ Besitztümern gehören1177. Die Feststellung Wienforts, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch Adelsfamilien eher Schlösser als Land verkauft wurden1178 , ist daher wirtschaftlich betrachtet keine Überraschung. Nach 1173
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Sinclair, S. 182-183; vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 11 und S. 69; ebenso war auch der Adel abhängig von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung, was von Alvensleben 1955 in Bezug auf die Familie Pappenheim feststellt: „Die Aufwärtsbewegung der wirtschaftlichen Verhältnisse erlaubt Instandsetzung der Bauten, des Inventars, der Schlossräume und Kunstwerke“, von Alvensleben/von Koenigswald, S. 26. Beispielsweise werden im Rittersaal der Wasserburg Anholt noch immer Familienfeste der Familie Salm-Salm gefeiert, vgl. Rogasch, S. 163. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt in einem Brief einen Koffer mit Uniformen, welche von Gmunden nach Braunschweig gebracht werden sollten, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 23. Februar 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. In einem Brief erwähnt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg z.B. einen alten Sessel, der neu bezogen wurde, zu Braunschweig und Lüneburg: Brief, 8. August 1960. Hampe, S. 5; Reif sieht daher im Landbesitz die „[g]rundlegende Vorraussetzung für die Selbstbehauptung des Adels in der modernen Welt [...]“, Reif 1999, S. 9. Wienfort 2006, S. 161; dies ist trotz der von Deutschland zu unterscheidenden Entwicklung des Adels in England ebenso zu betrachten, vgl. Sinclair, S. 178; es kam jedoch in beiden Ländern gleichermaßen – vor allem durch die Wirtschaftskrise – auch zu Landverkäufen durch den Adel, vgl. Sinclair, S. 131f; dies begründet Mandler mit einer geringer werdenden Bindung des [englischen] Adels zum Land, aber auch mit den zu erzielenden wirtschaftlichen Vorteilen von Landbesitz, Mandler, S. 46 u. S. 56f; vgl. von Hoyningen-Huene, S. 28; beispielsweise verkaufte auch Ernst August (III.) von Hannover bereits 1933 die Forsten bei Hasselfelde sowie 1938 die Domänen Gebhardshagen und Lichtenberg, vgl. Schmidt, S. 164; der finanzielle Druck, welcher zum
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1918 wurde der Hochadel mehr und mehr dazu gezwungen, seinen Platz in einer immer stärker vom Kapitalismus geprägten Gesellschaft zu finden. Trotzdem ist es den Familien gelungen, große Sammlungsbestände in ihrem Besitz zu erhalten. Diese wurden/werden teilweise rein privat genutzt. Weitere Teile sind der Öffentlichkeit zugänglich. Darüber hinaus gab/gibt es Sammlungsteile ohne jegliche Nutzung. Ebendiese Sammlungsteile haben sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch Verlust oder Verkauf von Schlössern vergrößert, da sich die Familien in beiden Fällen nicht selten um den Erhalt des Inventars bemühten. Sinclair berichtet über flüchtende Adelsfamilien, welche 1945 mit zweihundert Wagen in den Westen zogen1179 , das Haus Hannover konnte vor dem Verlust des Schlosses Blankenburg zahlreiches Inventar in das Schloss Marienburg bringen1180 , und die Familie Thurn und Taxis brachte zwischen 1930 und 1970 das Inventar aus mehreren veräußerten Häusern in Schloss St. Emmeram unter1181 . Auch im Neuen Schloss Baden Baden wurden zahlreiche Objekte zusammengetragen, die aus 1918 verlorenen Schlössern stammten1182. Es ist davon auszugehen, dass – ebenso wie in der Vergangenheit – auch ab 1918 abgenutzte Objekte aus den in den Wohnräumen untergebrachten Beständen ersetzt wurden, was jedoch quantitativ kaum zu Veränderungen geführt haben wird. Somit blieben diese großen Objektbestände weitgehend funktionslos, wodurch des Weiteren die zu deren Lagerung genutzten Räumlichkeiten keiner anderweitigen Nutzung zugeführt werden konnten. Der Verkauf von nicht mehr genutzter Schlossausstattung war bereits vor 1918 in solchen Fällen nicht unüblich gewesen. Auktionen waren zu diesem Zweck geeignete Maßnahmen und wurden auch im 20. Jahrhundert aus diesen Gründen initiiert 1183 . Beispielsweise verauktionierte Adalbert Prinz von Preußen größere Mengen der Einrichtung seiner Villa Adelheidswert in Bad Homburg, als er 1933 in die Schweiz auswanderte1184 . Nachdem Ernst August (III.) von Hannover mit seiner Familie in Schloss Marienburg eingezogen war, wurden dort Wohnräume neu eingerichtet und schließlich nicht mehr gebrauchte Objekte 1950 durch das Auktionshaus Hünerberg in Braunschweig versteigert1185 .
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Verkauf auch dieser „bringenden“ Besitztümer führte, darf diesbezüglich nicht außer Acht gelassen werden. Sinclair, S. 160. Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 325. Darauf wies Graf Spreti hin, Gespräch Graf Spreti. Vgl. Piesker, S. 27. Edward Montagu of Beaulieu beschreibt dieses Entsammeln pragmatisch: „It is scarcely possible to imagine the chaos and work involved in clearing out a stately home which has not been cleared out for sixty or seventy years. All the furniture had to be sorted out, part to stay in the house, the remainder to be moved up to my mother’s house at the other end of the village. I was busy converting part of the house into a flat for myself [...]“, Lord Montagu of Beaulieu, S. 52. 1939 verkaufte er das gesamte Anwesen an das Haus Preußen, vgl. Kirschstein, S. 92f; damit wählte er erneut ein traditionelles Vorgehen, welches die Familie bei nötigen Verkäufen als Käufer favorisierte. „Mein Mann sortierte unter unserem Besitz das aus, was für die Einrichtung geeignet war.“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330; vgl. Auktionskatalog Hünerberg
412 | S AMMLUNGEN DES A DELS Ebenso blieb der Verkauf von Objekten nach dem Tod von Familienmitgliedern – wie Witwen oder Personen ohne Nachkommen – üblich1186 . Mit Auflösung der Fideikommmisse wurden Verkäufe infolge von Todesfällen weiter begünstigt, da die Aufteilung der Erbmasse nur durch Verzicht1187 einzelner Erbberechtigter verhindert werden konnte. Welche Auswirkungen diese veränderten Erbregelungen haben konnten, beschreibt von Alvensleben am Beispiel des Schlosses der Familie Schönborn in Pommersfelden in zwei Tagebuchaufzeichnungen von 1938 und 1958. 1938 stellt er fest: „Kaum vorstellbar, was hier an Wert und künstlerischer Erfindungsgabe angehäuft ist, an kostbar eingelegten Fußböden und Intarsien in Silber und Elfenbein, an stuckierten und gemalten Plafonds, an Wandbekleidungen und Wirktapeten, an einzigartigen Möbeln und Möbelbespannungen, Tischen und Schränken mit Edelsteinen inkrustiert, an angehäuften Porzellanen, die in ganzen Schiffsladungen aus China kamen, an Kronleuchtern, Kunstuhren, Gemälden, Bildwerken und sonstigen kaum erklärbaren Prunkgegenständen.“1188
Dieser Eindruck hatte sich 1958 völlig gewandelt: „Eine Enttäuschung ... Inzwischen erfolgte nach dem Tode des damaligen Besitzers Erbteilung. Die Söhne übernahmen das Beste in ihre Häuser Wiesentheid und Heußenstamm. Den Rest stellte die Mutter, Gräfin Ernestina, museal zusammen und lebt nun zurückgezogen in sehr einfachen Gemächern. Der Zauber ging verloren. Deutschland büßte etwas Unersetzliches ein.“1189
Es kam darüber hinaus seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts sowie nach 1945 vermehrt zu rein finanziell begründeten Verkäufen kunsthistorisch wertvoller Objekte1190, welche seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erneut zunahmen1191. Waren
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1950: Kunstauktionshaus Hünerberg & Co. G.m.b.H. Braunschweig: Auktion XI. Aus dem Besitz seiner königlichen Hoheit des Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg. Gemälde, Handzeichnungen, Silber, Porzellan, Möbel, Textilien, Waffen und Rüstungen, 20. und 21. April 1950; in der Presse wurde der Verkauf als notwendige Maßnahme zur Versorgung der 120 ehemaligen Angestellten bezeichnet, Neue Post, 20. Mai 1950: Herzog unter dem Hammer. Nach dem Tod Friedrich Augusts (III.) König von Sachsen im Jahr 1932 wurden 1935 Teile der Ausstattung seines Wohnsitzes Schloss Sibyllenort versteigert, vgl. Auktionskatalog 1935: Versteigerung wegen Auflösung des Schloßhaushaltes im Schloss Sibyllenort (Schlesien) 1935; Borek beschreibt die Auflösung des Hausstandes der 1980 verstorbenen Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, vgl. Borek, S. 115ff. Entweder direkt infolge des Erbfalles oder indirekt durch Zustimmung zu einem von der Familie formulierten Hausgesetz; vgl. Rosenholm, S. 48f. Von Alvensleben/von Koenigswald, S. 66. Von Alvensleben/von Koenigswald, S. 67. Vgl. Rogasch, S. 36; von Holst nennt den Verkauf eines Gemäldes von Lancret durch die Hohenzollern, eines Gemäldes von Lippi durch den ehemaligen Großherzog von Sachsen-Weimar, von Holst, S. 232; die Wettiner verkauften 1939 eine Meißener Lö-
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zuvor vorrangig Edelmetalle – welche auch heute noch in Adelssammlungen zu finden sind1192 – als finanzielle Rücklage genutzt worden, garantierten nun neben diesen1193 auch Objekte mit hohem Kunstwert attraktive Preise, was bis heute der Fall ist. Verkäufe dieser Art sind beispielhaft für die Unterschiede zwischen dem Sammlungserhalt durch den Adel und den Bewahrungsgeboten des kulturellen Erbes: während die Öffentlichkeit gerade Verkäufe solcher kunsthistorisch wertvollen Objekte kritisiert, zieht der Adel den Verkauf eines hochpreisigen Objekts der Zerschlagung eines Ensembles zunächst vor1194 . In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts lagen den Verkäufen nicht zuletzt finanzielle Einbußen durch agrarpolitische Umstrukturierungen1195 sowie durch die Weltwirtschaftskrise1196 verursachte Probleme zugrunde. Durch die starke Einschränkung
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win, die 2011 durch das Auktionshaus Lempertz von einem Privatsammler erneut veräußert wurde, Auktionskatalog Lempertz 2011: Porzellan. Keramik, Köln, 17. November 2011, Lempertz Auktion 986, Los 59; die Kunstchronik informierte 1926 über Auktionen von Porzellanen des Hauses Wettin, Möbel Rüstungen und Porzellan der Grafen Brühl sowie Gemälden der Fideikommiss-Galerie der Welfen, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 48/49, 6./13. März 1926, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, Wochenschrift für Kenner und Sammler, 59. Jahrgang, Neue Folge XXXV, April 1925 bis März 1926, Leipzig, S. 744; zu Verkäufen des ehemaligen Großherzogs von Mecklenburg in dieser Zeit vgl. Bock, S. 50. Verkauf des Gemäldes „Einschiffung nach Kythera“ von Watteau durch die Hohenzollern; Verkauf des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ aus dem Besitz der Welfen; das Haus Fürstenberg verkaufte im Verlauf der 80er und 90er Jahre schrittweise Bestände der Donaueschinger Bibliothek sowie zu Beginn des 21. Jahrhunderts Gemälde; die Wettiner veräußerten den 1945 versteckten und erst nach Jahrzehnten wiedergefundenen Gold- und Silberschatz, vgl. Welt online, 25. September 2005; das Haus Bayern veräußerte 2006 ein als „Bayerisches Königsservice“ bekanntes 290-teiliges Prunkservice, Auktionskatalog Neumeister 2006: Das Bayerische Königsservice. Sonderauktion am 28. Juni 2006, München 2006; vgl. Die Zeit online, 21/2006, 19. Mai 2006: Herstatt, Claudia: Mit Hasen und Fasanen bestochen; die Familie Schönborn verkaufte 1995 die Bronzefigur eines Merkurs des Künstlers Johann Gregor van der Schardt, vgl. Hipp, S. 390. Vgl. Rogasch, S. 23. Beispielsweise verkaufte Ernst August (III.) von Hannover 1926 Teile der welfischen Münzsammlungen, vgl. Steckhahn, S. 159. Graf Spreti gibt diesbezüglich das fiktive Beispiel eines komplett möblierten Raumes mit einem Tizian „über der Kommode“, für welches seiner Meinung nach die Erhaltung des Raumensembles wichtiger ist als die Erhaltung des einzelnen Tizians, der daraufhin „abgespalten in einem Museum hängt“, Gespräch Graf Spreti. Vgl. Zollitsch, der außerdem anmerkt, dass man versuchte, Familienbesitz im Ganzen zu erhalten und diejenigen Objekte veräußerte, die eigentlich Teil der Versorgung weiterer Familienmitglieder waren, Zollitsch, S. 221. Am Beispiel Rupprechts von Bayern macht Weiss die Auswirkungen der Krise auf bis zu diesem Zeitpunkt noch aufrechterhaltene Formen der Hofhaltung deutlich, vgl. Weiss, S. 457; auch Sinclair sieht in der Wirtschaftskrise einen grundlegenden Wendepunkt bezüglich der Vermögenslage des Adels, Sinclair, S. 131f.
414 | S AMMLUNGEN DES A DELS repräsentativen Zeigens waren außerdem deren Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Beispielsweise verkaufte das Haus Baden dem Staat 1930 über 500 Gemälde sowie 25.000 Blätter aus dem Kupferstichkabinett1197. Als eines der bekanntesten Beispiele dieser Verkäufe ist die Veräußerung des so genannten „Welfenschatzes“ zu nennen1198 . Die Möglichkeit dieser Art Verkäufe war bereits in den Vermögensauseinandersetzungen in Betracht gezogen worden; so sprach sich der Vertreter Ernst Augusts (III.) von Hannover, Geheimrat Prof. Dr. Paul Knoke „[g]egen die Maßgeblichkeit der Vermögensverhältnisse für eine Vergleichsregelung [...] aus, da es dem Herzogshause nicht zumutbar sei, sich von dem als letzte Reserve dienenden Reliquienschatz Heinrichs des Löwen zur Entlastung des braunschweigischen Staates restlos zu trennen.“1199 Durch die Inflation vorauszusehende Verkäufe wurden von den neuen Staaten aber auch als günstige Möglichkeit betrachtet, Immobilien und Einzelobjekte selbst erwerben zu können1200 . Tatsächlich sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts einige Objekte in das Eigentum von Bund und Ländern übergegangen, in vielen Fällen allerdings nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten, die erforderliche Summe aufzubringen1201 . Hatte man sich dagegen auf die Gründung gemeinsamer Stiftungen geeinigt, konnten Veräußerungen im Vorfeld verhindert werden1202 . Es ist jedoch festzuhalten, dass – wie bereits vor 1918 – für den Hochadel Sammlungsbestände auch Wertanlagen waren, welche dementsprechend zur Beschaffung finanzieller Mittel veräußert werden konnten. Darüber hinaus erschien den neuen Staaten diese Möglichkeit als nicht ungewöhnlich. Einnahmen aus Verkäufen konnten Grund1197 1198
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Vgl. von Aretin, S. 180. Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 151; vgl. von Holst, S. 232; von Zeitgenossen wurde dieser Verkauf als schwerer, aber finanziell notwendiger Schritt beschrieben, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250; vgl. Denkschrift: Weshalb hat der Vorstand der Museums- und Bibliotheks-Stiftung von Haus und Land Braunschweig den Verkauf des Vermeerschen Bildes „Das Mädchen mit dem Weinglase“ seinen Patronen einstimmig empfohlen? Eine an den Herrn Braunschweigischen Minister für Volksbildung eingereichte Denkschrift, Braunschweig 1930, S. 4. Vgl. Schmidt, S. 131. „In der fortschreitenden Geldentwertung sieht man sowohl eine für den Staatshaushalt immer günstiger werdende Möglichkeit, die vertragsmäßig vereinbarten Geldbeträge an die Fürsten zu entrichten, als auch die immer größer werdende Wahrscheinlichkeit, dass sich die Fürsten, zum allmählichen Verkauf eines Teils der ihnen übereigneten Substanzwerte zwecks Bargeldbeschaffung für Personal-, Bauunterhaltungs- und Haushaltungskosten an den meist mit Vorkaufsrecht ausgestatteten Staat gezwungen sehen könnten.“, Günther, S. 82; die „Gefahr“ von Verkäufen ins Ausland war ebenso bekannt wie der wissenschaftliche Wert auch derjenigen Teile der Adelssammlungen, welche bis dahin noch nicht erforscht worden waren, vgl. Günther, S. 131. Vgl. von Holst, S. 236 und S. 254. Vgl. von Aretin zu den Wittelsbacher Stiftungen (beispielsweise erhielt der Staat Bayern die Nutzungsrechte für die kurfürstlichen Sammlungen, für welche Verkäufe ausgeschlossen wurden), von Aretin, S. 175; im Falle der Museums- und Bibliotheksstiftung in Braunschweig kam es jedoch durch finanzielle Engpässe sowohl des Hauses Hannover als auch des Staates Braunschweig beinahe zum Verkauf eines Gemäldes von Jan Vermeer, vgl. Denkschrift Braunschweig 1930.
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stock einer neuen Existenz adliger Familien sein1203 . Familienangehörige, die sich der bisherigen Versorgungssysteme des Adels nicht mehr sicher sein konnten, nutzten Sammlungen als Vermögensanlage. Beispielsweise sah Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg ihren, aus Verlobungs- und Hochzeitsgeschenken bestehenden sowie aus dem Erbe ihrer Mutter stammenden, Schmuckbestand als Altersversorgung sowie als „Notvorsorge“ an1204 . Weitere Verkäufe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts, welche Sammlungsteile unterschiedlichster Art betreffen, waren/sind Teil einer durch Verschuldung notwendigen Neustrukturierung von Familienvermögen. Beispielsweise sah sich Gloria von Thurn und Taxis nach dem Tod ihres Mannes zu Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts gezwungen, das mit Schulden und Erbschaftssteuern belastete Unternehmen des Hauses zu übernehmen1205 . Durch den radikalen Verkauf sowohl von Unternehmenszweigen (Bank, Brauerei, Sägewerk) als auch von Sammlungsteilen gelang ihr dessen Sanierung. Eine neuntägige, durch das Auktionshaus Sotheby’s durchgeführte Hausauktion und die Abgabe von ausgewählten Objekten an das Land Bayern ermöglichten den Ausgleich der Erbschaftssteuern und anderer nötiger Zahlungen1206. Die Familie von Baden versuchte 1995, durch eine Hausauktion die wachsenden Schulden zu tilgen und verkaufte darüber hinaus Schloss Kirchberg am Bodensee sowie einen Yachthafen und zwei Campingplätze1207 . Und auch Bernhard Prinz von Baden entschloss sich zu weiteren ähnlichen Schritten, als er 1998 zum Generalbevollmächtigten des Familienvermögens wurde und die von Schulden belastete Finanzlage der Familie öffentlich machte1208 . Auf die Funktion von Sammlungsgut als Mittel für „Notverkäufe“ weist auch Rogasch hin, der in Bezug auf die Bestimmungen des Abwanderungsschutzes die Befürchtungen des Adels erwähnt, durch die Beschränkungen keine geeigneten Käufer zu finden, falls ein Verkauf durch Probleme des Familienunternehmens nötig werden sollte1209 . Wie bereits in Bezug auf das öffentliche Zeigen von Sammlungsbeständen beschrieben, haben die unternehmerischen Tätigkeiten der hochadligen Familien heute vielfältige Auswirkungen auf die Behandlung der verbliebenen Sammlungsbestände. Während einerseits Teile der erzielten Gewinne zum Erhalt dieser Bestände genutzt werden, ist vor allem bei der jüngeren Generation der Familien verstärkt der Versuch 1203 1204 1205 1206
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Die Gründung des Internats Schloss Salem durch Max von Baden soll durch den Verkauf von Schmuck seiner Frau ermöglicht worden sein, vgl. Steckhahn, S. 84. Borek, S. 88 und S. 91; die Notwendigkeit solcher Versorgungsbestände wird deutlich durch die Tatsache, dass sie keine Krankenversicherung hatte, Borek, S. 92. Vgl. Rosenholm, S. 36. Vgl. Piesker, S. 14; vgl. Braunschweiger Zeitung, 23. Februar 2010: Ulf Vogler: Von der wilden Lady zum Papst-Fan. Gloria von Thurn und Taxis wird 50 – Äußerung übers „Schnackseln“ brachte Kritik. Vgl. Piesker, S. 28. Vgl. Rosenholm, S. 38; infolge des 1919 geschlossenen Vergleiches zwischen dem Haus Baden und dem Staat Baden kam es wiederholt zu Unklarheiten bezüglich der Eigentumsverhältnisse einiger Objekte, so auch erneut im Zusammenhang mit diesem Verkauf, vgl. von Aretin, S. 175ff; vgl. Rogasch, S. 231. Rogasch, S. 46.
416 | S AMMLUNGEN DES A DELS zu beobachten, die Sammlungen selbst in wirtschaftlich arbeitende Unternehmen zu verwandeln oder sie in diese zu integrieren: „Die jetzt noch amtierenden Chefs der einzelnen Häuser pflegen das Erbe ihrer Vorfahren zwar nicht nur zum Wohlergehen der eigenen Nachkommen, sondern auch zum Nutzen und Ansehen der Region [...] Doch ihre Kinder hängen überwiegend einem eher bürgerlichen Eigentumsbegriff an, der auch verstärkt nach der Rentabilität der Kunstschätze fragt.“1210
Als 2005 Ernst August (VI.) und Christian von Hannover große Bestände der welfischen Sammlungen im Schloss Marienburg versteigern ließen, wurde als Grund keine finanzielle Notlage genannt, sondern das Vorhaben, eine Familienstiftung zu gründen, um das Schloss besser nutzen zu können. Große Bestände ungenutzter Objekte werden aus wirtschaftlicher Sicht gleichzeitig als ungenutztes Kapital und Belastung betrachtet1211 . Als im Ausland tätiger Investment-Banker verkörpert Ernst August (VI.) von Hannover einen neuen Typus zukünftiger Familienchefs: „Will man Bilanz ziehen, so ist [...] nicht zu übersehen, dass viele deutsche Fürstenhäuser dabei sind, ihren Lebensstil zu verändern und sich wirtschaftlich und gesellschaftlich im 21. Jahrhundert neu zu positionieren.“1212 Durch den generell starken Einfluss von Objekten auf die öffentliche Wahrnehmung sowie die Selbstwahrnehmung, welcher zudem für adlige Familien durch den historischen Familienbezug noch gesteigert wird, sind Veränderungen und Abgaben in der umgebenden Objektwelt nötige Voraussetzung für eine solche Neupositionierung1213 . Auch inhaltlich hat dies Auswirkungen auf die Entsammlungspraxis des Hochadels. Beispielsweise bot eine Auktion mit Objekten „aus wittelsbacherischen und habsburgischen Nachlässen“ des Auktionshauses Neumeister in München 2014 nahezu ausschließlich die für die Familien
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Rogasch, S. 23; dieser hier angesprochene Generationenwechsel hat in vielen Familien mittlerweile stattgefunden; auch de Saint Martin sieht eine Verbindung zwischen beruflicher Weiterentwicklung und geringerem Interesse an traditionellen Lebensweisen, vgl. de Saint Martin, S. 275; im Falle des Hauses Baden war ein Wechsel in der Hausverwaltung entscheidend, nachdem der Hauptbevollmächtigte in Pension ging, nahm der aus der Wirtschaft stammende Sonnfried Weber seinen Platz ein und bemühte sich um ein modernes Management, vgl. Piesker, S. 28. Dass Objekte, deren ehemaliger persönlicher Wert zwar noch bekannt ist, jedoch nicht mehr gelebt wird, auch belastend sein können beschreibt auch Stagl, S. 48. Rogasch, S. 46; damit greifen Verkaufshintergründe, welche nicht mehr in Tradition der adligen Familien stehen, sondern die von Ressler als gängige Motivationen zum Kunstverkauf beschrieben werden: „Die meisten Leute verkaufen Kunstwerke, weil sie sie geerbt haben und nichts damit anzufangen wissen, oder weil sie dringend Geld brauchen, oder weil sich ihr Geschmack verändert hat und sie sich andere Kunstwerke kaufen wollen.“, Ressler, S. 35. „[...] both personal and cultural transformation involves changes in objects and in how they are kept. The ‚putting-away‘ or ‚not-keeping‘ of objects is therefore an inescapable and sometimes painful aspect of self-transformation [...]“, Putnam/Swales, S. 281.
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bisher noch immer bedeutenden Porträts an1214 . Dies ist ein deutliches Zeichen für sich abschwächende Bindungen. Begünstigt wird diese Art der Verkäufe durch ein seit einiger Zeit andauerndes Kaufinteresse, welches auch dem Kunsthandel stabile Erfolge garantiert1215 . Neben als „Event“ geplanten Hausauktionen, welche – meist mit aufwändiger medialer Vorbereitung und Katalogpublikation – vor Ort, in den Schlössern der Adelsfamilien durchgeführt werden, gibt es ebenfalls Verkäufe, welche Objekte unterschiedlicher Herkunft in einer Auktion zusammenfassen1216. Gute Beziehungen der Familien zum Kunsthandel tragen außerdem zu beidseitig zufriedenstellenden Geschäften bei 1217 . Ebenso kann deren Bekanntheitsgrad Käufer anziehen, so dass auch der Verkauf zeitgenössischer Kunst durch Gloria von Thurn und Taxis in der Presse ähnlich bewertet wurde wie der Verkauf von alten Sammlungsbeständen1218 . Sowohl kunsthistorisch bedeutende Einzelstücke als auch seit Jahrzehnten ungenutzte Objekte können durch diese Zusammenarbeit und das weit verbreitete Interesse unterschiedlicher Käuferschichten gute Gewinne erzielen1219 . Gleichzeitig ist die
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Auktionskatalog Neumeister 2014: Neumeister Alte Kunst. Aus wittelsbacherischen und habsburgischen Nachlässen. Auktion 365. 24. September 2014, München 2014. Graf 1999, S. 522. Vgl. Rogasch, S. 45; als wenige von zahlreichen Beispielen vgl. Auktionskatalog Christie’s 2008: European Noble and Private Collections, 24.-25. Juni 2008, Amsterdam; Auktionskatalog Christie’s 2009: European Noble and Private Collections, 15.16. Dezember 2009, Amsterdam; Auktionskatalog Sotheby’s 2011: Treasures. Princely Taste, 6. Juli 2011, London; vgl. Auktionskatalog Neumeister 2014. Diese Beziehungen sind u.a. durch zahlreiche Vertreter dieser Familien gefestigt, welche selbst im Kunsthandel tätig sind, vgl. Graf 1999, S. 524; vgl. Rogasch, S. 45; vgl. de Saint Martin, S. 254. Beispielsweise verkaufte sie 2005 bei Phillips de Pury in New York 130 Kunstwerke zeitgenössischer Kunst, vgl. Spiegel 38/2005; vgl. auch Braunschweiger Zeitung, 23. Februar 2010; im Gegensatz dazu erwähnt Sladeczek diesen Verkauf als selbstverständliche Möglichkeit von Privatsammlern, um Platz für neue Werke zu schaffen, Sladeczek, S. 48f. Sowohl der steigende Wunsch nach Luxus als auch nach Nostalgie und die Verbindung beider Aspekte mit dem Adel tragen dazu bei, dass die Käuferschicht wächst; zur Verbindung von Nostalgie, Objekten und Adel, vgl. Fischer, V., S. 86 und S. 170; die Provenienz ist diesbezüglich jedoch entscheidend und bringt Vorteile für den Hochadel, während nicht nur dieser aus finanziellen Gründen verkauft. Beispielsweise ließ die Familie von Henniges im Sommer 2009 Möbel des Rittergutes Lucklum versteigern, um einen Hofladen sowie ein Reitgut zu eröffnen, die Versteigerung von Porträtgemälden des Rittersaales 2010, welche durch Kopien ersetzt wurden, war dagegen weniger erfolgreich als erhofft, Auktionskatalog Kastern 2010: 130. Kunstauktion, 1. Teil, 24. April 2010. Herzöge – Ritter – Landkomture. Gemälde des Deutschordens aus dem Rittergut Lucklum, Hannover 2010; vgl. Braunschweiger Zeitung, 10. Februar 2010: Preißker, Stephanie: Historische Bilder unter dem Hammer; vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14. April 2010: Auktion in Hannover. Wertvolle Gemäldesammlung aus Niedersachsen wird zerschlagen; das Rittergut steht unter Denkmalschutz, die
418 | S AMMLUNGEN DES A DELS stark variierende Qualität des Angebotes einer der Gründe für die Bandbreite zwischen Kritik und Desinteresse der Fachwelt an diesen Verkäufen1220 , die im Einklang mit den Bestimmungen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes getätigt werden. Verkauft werden kann nur, was nicht im Sinne des Denkmalschutzes als „Zubehör“ oder „Ensemble“ in Verbindung mit einem architektonischen Denkmal geschützt ist1221 . Durch Bestimmungen des Denkmalschutzes kann heute darüber hinaus, ausschließlich für eingetragene, bewegliche Denkmale, die Verpflichtung bestehen, den Eigentümerwechsel anzuzeigen1222 , ohne dass dieser jedoch eingeschränkt wird. Innerhalb Deutschlands unterliegen derartige Verkäufe zudem keinen Einschränkungen des Kulturgüterschutzes und Verkäufe auf dem lukrativeren internationalen Kunstmarkt können nur dann unterbunden werden, wenn das jeweilige Objekt in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen oder ein entsprechendes Eintragungsverfahren eingeleitet wurde1223 . Es ist insgesamt festzustellen, dass die Entsammlungsmaßnahmen im Verlauf des 20. Jahrhunderts bis heute einer Entwicklung unterliegen, während sie nach 1918 noch stark von traditionellem Verhalten geprägt waren. Die Abgabe von Sammlungsteilen hat sich nach 1918 zudem stark auf den Verkauf derselben konzentriert, wohingegen das öffentliche Verschenken oder Tauschen von Objekten eng mit einer nun verlorenen Machtposition des Adels verbunden gewesen ist und allein bei noch in das politische System eingebundenen europäischen Fürstenhäusern zu beobachten ist1224 . Während Einzelverkäufe als Bestandteil von Sammlungen wahrgenommen
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Gemälde sind aber nicht als Zubehör geschützt, und deren Ersatz durch Kopien wurde akzeptiert. Die Berichterstattung gibt diesbezüglich kaum eine wissenschaftliche Auseinandersetzung, sondern stattdessen gezielt gegensätzliche Standpunkte wieder, so dass der Eindruck entsteht, allein die Boulevardpresse habe ein Interesse an diesem Thema: „Er [der Hochadel] macht höchstens von sich reden, wenn eines seiner Mitglieder im großen Stil Tafelsilber oder Gemälde verkaufen muss, doch auch dann ist das eher ein Thema der Klatschpresse.“, von Brühl, S. 12. Vgl. Kapitel 2.1.3. § 11, Absatz 1, DSchG ND. § 1, Absatz 1 und § 4, Absatz 1, KultgSchG; die Eintragungspraxis ist jedoch auch im Fall von Objekten aus Adelsbesitz umstritten und Hipp nennt als Beispiel den Verkauf der Merkur-Bronze von Johann Gregor van der Schardt an das Getty-Museum aus der Sammlung des Grafen Schönborn-Wiesentheid in Schloss Weißenstein bei Pommersfelden, welche sie als ein Hauptwerk des Künstlers bezeichnet, Hipp, S. 390f. Z.B. Geschenk eines Gemäldes von Hobbema an die National Gallery Ottawa durch Beatrix Prinzessin von Oranien-Nassau Prinzessin zur Lippe-Biesterfeld Königin der Niederlande, vgl. von Holst, S. 10; am Beispiel des Fürstentums Liechtenstein ist jedoch eine den deutschen Adelsfamilien ähnliche Entwicklung zu betrachten, welche Verkäufe unterschiedlicher Art beinhaltet (aus finanziellen Gründen, aus Gründen geringer Nutzung etc.), vgl. Art 04/2004: Christmann, Holger: Rückkehr aus dem Exil: Der Fürst von Liechtenstein verlagert Teile seiner erlesenen Kunstsammlung nach Wien, S. 117f; vgl. Art 04/2008: Péus, Camilla: Entrümpeln im Zwergstaat. Sale: Liechtensteins Fürst lässt Möbel bei Christie’s versteigern, S. 116; vgl. Weltkunst 05/2008: Flemming, Dorothee von: Amsterdam. Aus fürstlichem Besitz, S. 98; vgl.
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werden, gibt es in Bezug auf umfangreiche Schlossauktionen auch kritische Stimmen innerhalb des Adels1225 . Bindungen II Nach 1918 erfuhren die Sammlungen des Hochadels entscheidende Veränderungen, welche maßgeblich mit einer starken Einschränkung des Anhäufens sowie des repräsentativen Zeigens in Verbindung stehen. Für die Zeit nach 1945 ist zudem die Einbindung von Sammlungsteilen in die Unternehmensstruktur mitsamt der Erwartung von Rentabilität zu nennen. Dies führte dazu, dass die vor 1918 häufige persönliche Prägung der Sammlungsbestandteile durch den jeweiligen Chef des Hauses stärker in den Bereichen des Zeigens, Bewahrens und Entsammelns als im Bereich des Anhäufens deutlich wird1226. Begünstigt wird die Entwicklung durch die Abschaffung gesonderter Erbregeln und damit die weniger starke Konzentration auf eine einzelne Sammlerpersönlichkeit.Während zudem ausgedehnte Reisen in früherer Zeit als Vorbereitung späterer Regierungstätigkeit auch zum Anhäufen eigener Sammlungen in der Heimat genutzt wurden, bereiten Auslandsaufenthalte heute auf internationale geschäftliche Karrieren vor1227, die Verbindungen zum Erbe eher zu lockern scheinen. Boten Sammlertätigkeiten vor 1918 die Möglichkeit, als eigenständige Persönlichkeit gleichzeitig aus der Familie hervorzutreten als auch deren Ansehen zu erhöhen, liegen diese Möglichkeiten nun stärker im Unternehmensbereich. Dies wird gefördert durch früher eingeleitete Generationswechsel, welche nicht erst mit dem Tod des aktuellen Hauschefs erfolgen, sondern – auch aus steuerlichen Gründen – im Zusammenhang mit der Ausbildung und Erfahrung der nächsten Generation stehen1228 .
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Weltkunst 13/2009: Herstatt, Claudia: Kleines Fürstentum, große Sammlung, S. 41; vgl. Point de Vue, Sémaine du 11 au 19 février 2008: Meylan, Vincent: Videgrenier chez le prince de Liechtenstein, S. 26f; die Sammlungen wurden schließlich eng in die Unternehmensstruktur eingebettet, vgl. Haus Liechtenstein: http://www.fuerstenhaus. li/de/fuerstliche_unternehmen/; darüber hinaus werden jedoch im Gegensatz zu den Sammlungen der deutschen Familien die Entsammlungsmaßnahmen ergänzt durch vom Fürsten ausgewählte Ankäufe, welche durchaus repräsentativen Charakter haben, vgl. Weltkunst 13/2009: Kleines Fürstentum, große Sammlung, S. 36ff; vgl. Art 04/2004, S. 117. Dies betont beispielsweise Heinrich von Hannover, Gespräch von Hannover. Beispielsweise gestaltete Ernst August (III.) von Hannover das zuvor fast ein Jahrhundert unbewohnte Schloss Marienburg zum neuen Wohnsitz der Familie um, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 329f; Ernst August (IV.) von Hannover richtete gemeinsam mit seiner Frau im Schloss ein Museum ein, vgl. Steckhahn, S. 185; Ernst August (V.) von Hannover tritt in Bezug auf Schloss Marienburg kaum in die Öffentlichkeit, bemühte sich jedoch nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung um die Rückgewinnung des Schlosses Blankenburg, vgl. Steckhahn, S. 213; Ernst August (VI.) von Hannover ließ große Teile der Sammlungen aus Schloss Marienburg 2005 versteigern, 2012 wurde bekannt, dass er Teile dieses Geschäftszweiges nun selbst übernehmen werde, Hannoversche Allgemeine Zeitung online, 31. Juli 2012: Gallop, Kim: Mauritz von Reden verlässt Marienburg. Vgl. Wienfort 2006, S. 161. Vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 117.
420 | S AMMLUNGEN DES A DELS Trotz dieser Entwicklungen nehmen Teile der Sammlungen noch immer großen Raum im Leben der adligen Familien ein: sowohl beruflich als auch privat. Rogasch nennt Silber, Porzellan und Möbel als weit verbreitete Gattungen innerhalb dieser Sammlungen1229 , was deutlich macht, dass Bindungen bis heute vor allem zu den Nutzgegenständen aufrechterhalten werden konnten. Möglichkeiten, einen Familiensitz zu nutzen und auf diese Weise tagtäglich mit den gewachsenen Sammlungsbeständen in Kontakt zu stehen, fördert diese Bindungen1230 . Jedoch können Gebrauchsgegenstände ebenfalls in modernen Wohnungen genutzt werden und die meisten Familien, die noch immer ihre Schlösser bewohnen, teilen sich diese mit geschäftlichen Einrichtungen, Hochzeitsgesellschaften, Restaurants und Touristen. Heute sind es somit nicht vorrangig neue Objekte, die als Bindeglied zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart fungieren und somit individuelle und familiäre Identität miteinander verknüpfen. Stattdessen gelingt dies durch den Versuch, Ererbtes in eine moderne Lebens- und Geschäftswelt zu integrieren. Die Bindung zum Einzelobjekt derart genutzter Sammlungsbestände nimmt durch stärkere Professionalisierung und Übertragung von Aufgaben an Fachpersonal tendenziell ab. Ausgewählte Objekte können jedoch als Bestandteil beibehaltener oder neu begründeter Traditionen die gemeinsame Identität der Familien stützen1231. 1229 1230
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Rogasch, S. 30f. Beispielsweise leben folgende Familien noch immer in ihren Schlössern: die Familie der Fürsten von Isenburg lebt in Schloss Birstein, vgl. Rogasch, S. 172; vgl. Schloss Birstein (Haus Isenburg): http://www.isenburg.de/; die Familie des Fürsten zu Waldeck und Pyrmont lebt in Schloss Arolsen, vgl. Rogasch, S. 164; vgl. Stadt Bad Arolsen: http://www.bad-arolsen.de/stadtportal/486-0-residenzschloss.html; die Familie Thurn und Taxis lebt in Schloss St. Emmeram, vgl. Rogasch, S. 232; vgl. Schloss St. Emmeram (Haus Thurn und Taxis): http://www.thurnundtaxis.de/willkommen/will kommen.html; die Familie zu Wied lebt in Schloss Neuwied, vgl. Rogasch, S. 224; vgl. Rhein-Zeitung online, 11. Januar 2012: so ein Schloss ist kalt, feucht und mühsam; die Familie der Fürsten zu Schaumburg-Lippe lebt in Schloss Bückeburg, vgl. Rosenholm, S. 30; vgl. Sueddeutsche.de vom 17. Mai 2010: Reden wir über Geld (23): A. zu Schaumburg-Lippe; die Familie von Schönborn nutzt Schloss Weissenfels halbjährig als Wohnsitz, vgl. Schloss Weissenstein (Haus Schönborn): http://www.schoen born.de/weissenstein.html. Zur Neubegründung von Traditionen vgl. Hobsbawn, Eric: Introduction: Inventing Traditions, in: Hobsbawn/Ranger, S. 1-14; Traditionen dieser Art können die Verwendung eines Objektes zu einem sich wiederholenden Anlass sein, beispielsweise die Nutzung der Hochzeitskrone des Hauses Hannover noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vgl. Steckhahn, S. 205; die Krone befindet sich im Besitz des englischen Königshauses, wird aber zu entsprechenden Anlässen (letztmalig 1981) an das Haus Hannover verliehen, vgl. Royal Magazin: http://blog.royal-magazin.de/german/ hannover/hannover-brautkrone.htm; auch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt in einem Brief die Hochzeit im Schloss und die Nutzung einer Brokatschleppe der Urgroßmutter der Braut, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Briefkarten im Umschlag, Braunschweig Riddagshausen Stresemannstr. 5, 4. Juli 1975, unveröffentlichter Privatbesitz; sie selbst trug 1913 zu ihrer Verlobung ein Diadem, welches ihre Tochter Friederike von Griechenland 1936 ebenfalls zur
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Der Umgang mit familieneigenen Sammlungsbeständen sowie die Sensibilität für diese gehörten auch im 20. Jahrhundert zur adligen Erziehung und können noch heute diesbezüglich eine wichtige Rolle spielen1232 . Noch immer haben Familie und Familienerbe einen großen Stellenwert, häufig arbeiten beispielsweise mehrere Generationen sowie mehrere Vertreter einer Generation im gemeinsamen Betrieb zusammen. Derart trägt zwar nach wie vor jeder Einzelne dazu bei, das Ansehen der Familie aufrechtzuerhalten, ein völliges Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse hinter dieses Ziel – in Form von Erbverzicht und strenger Heiratspolitik – findet man jedoch kaum noch1233 . Das Verständnis der Familie als dem Individuum uneingeschränkt übergeordnete Instanz hat keine allgemeine Gültigkeit mehr, weshalb auch der Familienbesitz nicht mehr allein als solcher – sondern als Besitz jedes Einzelnen – betrachtet wird1234 . Damit sehen sich die hochadligen Familien mit der Herausforderung konfrontiert, die Hausgesetze der heutigen Zeit anpassen zu müssen1235 .
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Verlobung mit Paul König (damals Kronprinz) von Griechenland trug sowie deren Tochter Sophia Prinzessin von Griechenland Prinzessin von Schleswig-HolsteinSonderburg-Glücksburg Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg Königin von Spanien 1962 zur Hochzeit mit Juan Carlos König (damals Kronprinz) von Spanien und deren Schwiegertochter Letizia Ortiz Königin von Spanien 2004 (als erste Bürgerliche) zur Hochzeit mit Felipe (VI.) König (damals Kronprinz) von Spanien; bei ihrer eigenen Hochzeit 1913 trug Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg die Prinzessinnenkrone der Preußen, welche direkt nach den Feierlichkeiten zurück in den Hofschatz gebracht wurde, vgl. Former: Die Hochzeit von Victoria Luise und Ernst August, S. 104; vgl. Lübbe, der Traditionen als „orientierungssichernde, handlungsleitende kulturelle Selbstverständlichkeiten“ bezeichnet, Lübbe, S. 46. Welf Heinrich Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland erwähnt die Ermunterung seines Vaters, sich an der Platzierung von Möbeln und Gemälden in Schloss Blankenburg zu beteiligen, was das Interesse an Einrichtungstätigkeiten bei ihm förderte, vgl. von Hannover, W., S. 11; Gräfin Brühl erwähnt, dass man „sanft oder weniger sanft allmählich an seine Lebensaufgabe herangeführt wird“, von Brühl, S. 208. Vgl. Gespräch Graf Spreti; Rosenholm sieht aber in der „Einstellung, den Besitz als ‚Familienvermögen‘ anzusehen, [...] nach wie vor ein wichtiges Mentalitätsmerkmal, das den Adel vom Bürgertum unterscheidet.“, Rosenholm, S. 38; Rogasch sieht mehr und mehr das Verständnis eines bürgerlichen Eigentumsbegriffs bei der jüngeren Generation, Rogasch, S. 23; Beispiel für diese Problematik ist der Konflikt, der sich aus Verkäufen von Schmuck durch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg entwickelte, da verkaufte Teile laut Aussage ihres Sohnes, des damaligen Chefs des Hauses, dem Hausvermögen zugehörig waren, Blanke, Kurt Dr.: Brief an Rechtsanwalt Dr. habil. Hans Merkel, 8. Juli 1975 (in Kopie), unveröffentlichter Privatbesitz. Dies kann Auswirkungen auf die Sammlungen haben: Sammler stoßen in ihrem Umfeld häufig auf Unverständnis mit dem Wunsch, die Sammlungen als „externen Teil ihrer Identität“ nach ihrem Tod zu erhalten, Stagl, S. 50; „Das Prinzip ‚Adel verpflichtet‘ hat zahlreiche Auswirkungen sowohl auf die Lebensweise (z.b. bedingt durch die Akzeptanz des Unteilbarkeitsprinzips des Eigentums), als auch auf rechtliche, politische oder ökonomische Verhaltensweisen ... Das Gespür für Ehre, aber auch die Vorliebe für ehrenamtliche und uneigennützige Tätigkeiten bildeten das Kernstück des Werte-
422 | S AMMLUNGEN DES A DELS Je schwächer aber der Familienverband in seiner Bedeutung wird, desto schwieriger ist es, die einzelnen Sammlungsbereiche als Gesamtes zu verstehen und zu erhalten. So lange sich die hochadligen Familien als Einheit betrachteten, waren die Sammlungen gemeinsamer Teil ihrer Identität, und daher unendlich erhaltenswert. Sobald die Familienmitglieder aber als Individuen fungieren, übernehmen die Sammlungen diese Aufgabe nicht mehr grundsätzlich. Die Aufgabe, das Familienerbe in seiner Substanz zu bewahren, wird heute vor allem auf wirtschaftlicher Ebene erfüllt1236 und teils durch Erhalt von Einzelobjekten. Die Vermehrung des „Glanzes“ der Familie durch neue Sammlungsbestände ist nur noch vereinzelt sichtbar und wird stellenweise ersetzt durch ein breiter gefächertes kulturelles Engagement. Dass derartiges Engagement und moderne Marketingmaßnahmen noch immer mit dem Ansehen einer Familie – gemäß dem früheren Selbstverständnis eines Fürsten als „Landesvater“ – vereinbar sind, zeigt die Familie zu Schaumburg-Lippe, die auf ihrer Internetseite „ab sofort lebenslänglich freien Eintritt in das Schloss, das Mausoleum und die Hofreitschule“1237 für alle Bückeburger anbietet. Ding-Mensch-Bindungen können somit noch heute dazu beitragen, trotz unumgehbarer Veränderungen, Aspekte der seit Jahrhunderten gewachsenen Lebenswelt des Adels aufrechtzuerhalten.
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systems und der traditionellen Bestimmungen des Adels, die jeder Generation von der vorigen weitergegeben und eingeschärft wuden, allerdings mit abnehmendem Erfolg und zunehmender Verweigerung seitens der Betroffenen.“, de Saint Martin, S. 128. Vgl. Rosenholm, S. 46. In folgenden Aussagen wird deutlich, dass die Grundhaltung des Substanzerhaltes und der Eigenverantwortung der einzelnen Erbnehmer noch immer die gleiche ist wie vor 1918, allerdings der Fokus mehr auf finanzieller Ebene (also dem Wirtschaftsunternehmen) als auf dem „Glanz“ der Familie (also den Sammlungen) liegt: „I find from traditional experience that someone in the family does a lot, then someone does nothing, then someone does a lot again. What my son will do, don’t ask me, but I shall leave it satisfactory to my mind, in a condition where he will hardly need to spend a penny on it, apart from routine maintenance.“, Lord Montagu of Beaulieu, S. 110; „Der Erbe übernimmt nicht nur den Besitz, sondern vor allen Dingen Verantwortung, nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Und dazu gehört, den Besitz zu erhalten. Immerhin bleibt der einzelne Adlige dabei selbstbestimmt. Er übernimmt zwar eine ordentliche Portion Unfreiheit, aber er darf bei seiner Aufgabe durchaus Visionen verfolgen, er darf sich gerne selbst verwirklichen ... Er darf den Besitz seiner Väter nicht veruntreuen, er muss dafür sorgen, dass der Rubel rollt und der Betrieb genug Geld erwirtschaftet, um alle Kosten zu decken, aber niemand hat ihm sein Leben vorgelegt. Er steht zwar in einer langen Reihe gleichnamiger Ahnen, doch er muss sich selbst und sich mit seiner Aufgabe in der Zeit, in der er am Ruder ist, eigens definieren.“, von Brühl, S. 209. Schloss Bückeburg (Haus Schaumburg-Lippe): http://www.schloss-bueckeburg.de/ page/page_ID/36?PHPSESSID=a68fba93cec743a78125543710b3af68.
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Abbildung 16: Postkarte, die Friederike von Griechenland (damals von Hannover) mit einem Diadem zeigt, das noch heute genutzt wird, 1936
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Von Aretin geht davon aus, dass die Kunstsammlungen (gemeint sind die institutionalisierten Sammlungen) der ehemaligen Herrscherhäuser, vor allem nach dem Verlust der Herrscherposition, grundlegende identitätsbildende Aufgaben übernahmen, da sie weiterhin einen gehobenen Status der Familien verdeutlichten1238. Da jedoch die Bindungen zu diesen Sammlungsteilen durch deren professionelle Verwaltung bereits vor 1918 abgenommen hatten und sie nach 1918 in der öffentlichen Wahrnehmung mehr und mehr als kultureller Allgemeinbesitz wahrgenommen wurden, ist dem nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Stattdessen fielen/fallen diese identitätsbildenden Aufgaben umso stärker denjenigen Sammlungsteilen zu, welche im unmittelbaren Umfeld der Familien verblieben1239. Derart in das alltägliche Leben integrierte Sammlungen können als „letzte, oft unbewusste Absicherung gegen Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit [dienen]. Sie fungieren als Abwehr im Dienst der Selbstbehauptung. Sie sind magische Mittel, um existentielle Zweifel zu verleugnen. Vor allem aber sind sie Zeugen für Glaubwürdigkeit.“1240 In der Zeit nach 1918 können diese Funktionen vor allem für die ehemals herrschenden Familien dem als existenziell zu bezeichnenden Verlust gesellschaftlicher Stellung und bisheriger Lebensaufgaben entgegengewirkt haben1241 . Je stärker sich die hochadligen Familien jedoch – vor allem nach 1945 – in ein bürgerliches Lebenskonzept einfügen, je schwächer traditionelle Ding-Mensch-Bindungen werden und je seltener Kontakt zu den Objekten der verbliebenen Sammlungsteile ist, desto
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Von Aretin, S. 182f. In Kapitel 3.1 wurde bereits verdeutlicht, welche Objektgruppen zum Erhalt der Identität hochadliger Familien von besonderer Bedeutung sind. Muensterberger, S. 83. Die so mögliche Abgrenzung zu anderen Gesellschaftsschichten war des Weiteren ein Garant für Sicherheit, vgl. Muensterberger, S. 368; vgl. Stagl, S. 38.
424 | S AMMLUNGEN DES A DELS stärker werden kompensatorische Verhaltensweisen in Gang gesetzt1242 , die das Selbstverständnis des Hochadels – und damit das Verhältnis zu ihrem Erbe – verändern. Die Identität des Individuums gewinnt gegenüber der Gruppenidentität der hochadligen Familie an Bedeutung1243 . Nur lebendige Ding-Mensch-Bindungen, die im Fall des Hochadels am stärksten in noch immer bewohnten Schlössern und Burgen zum Tragen kommen – wo wiederum starke Ding-Ding-Bindungen zu finden sind – eignen sich zum Erhalt bisheriger Identitätsmuster1244 . Doch auch dort, wo Generationenorte noch immer als Wohnsitze fungieren, wird es durch die Notwendigkeit, diese wirtschaftlich zu vermarkten, schwieriger, bisherige Gruppenidentitäten zu bewahren: „Der Schritt vom Generationen- zum Gedenk- und Erinnerungsort [...] erfolgt mit dem Abbrechen, Zerbrechen von kulturellen Bedeutungs-Rahmen und gesellschaftlichen Kontexten. Wie die Gebrauchsgegenstände, die ihren ursprünglichen Funktions- und Lebenszusammenhang verloren haben, als Relikte vom Museum aufgenommen werden, unterliegen auch Lebensformen, Haltungen, Handlungen und Erfahrungen einer ähnlichen Metamorphose, wenn sie aus dem Zusammenhang lebendiger Aktualität heraustreten und zu Erinnerungen werden.“1245
Das Gruppengedächtnis hochadliger Familien überlagert sich daher immer stärker mit dem historischen Gedächtnis, auf dessen Bewahrung es nun angewiesen ist. Da das historische Gedächtnis grundsätzliche Voraussetzung für sämtliche Identitäten ist1246 , kann dieser Vorgang als Verlust einer wesentlichen Abgrenzungsmethode des 1242
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Vgl. Lübbe, S. 46; zu nennen ist hier beispielsweise ein auf mediale Repräsentation ausgelegtes Verhalten einzelner Adliger; auch Wienfort sieht traditionelle Verhaltensweisen und die Selbstpräsentation in den Massenmedien als zwei voneinander getrennte Lebenswege heutiger Adelsfamilien, vgl. Wienfort 2006, S. 154; sozusagen als „Mittelweg“ ist die aus wirtschaftlichem Interesse erwachsene Nutzung moderner Medien – wie dem Internet – zu nennen, die ebenfalls zur Lösung von Bindungen führen, jedoch auch ein neuer Weg zur Intensivierung ebensolcher Bindungen sein kann. „Bei Verlust der Sicherheit, die kulturelle Traditionen liefern, ändert sich [...] möglicherweise der Mechanismus der Sozialintegration seinem Wesen nach: An die Stelle legitimierter Tradition [...] als Medium der Identitätskonstruktion tritt möglicherweise verstärkt die Selbstreflexivität des Individuums, das nun seine Identität über konfligierende normative Anforderungen hinweg konstruieren muss.“, Georg, S. 27. „Auch wenn Schlösser oft keinen großen ökonomischen Wert mehr aufweisen und wenig oder keinen finanziellen Gewinn abwerfen und, laut Aussage der Betroffenen, häufig Ursache von Ausgaben, ‚Belastungen‘ oder Schulden sind, können sie bedeutende symbolische Gewinne bringen. Sie können in bestimmten Fällen sogar einen transzendenten Ort für ihre Bewohner darstellen, die sich weniger als Besitzer, sondern als Verwalter mit der Pflicht betrachten und geben, dieses nicht in materielle und symbolische Werte trennbare Erbe zu unterhalten und weiterzugeben.“, de Saint Martin, S. 98. Assmann, S. 338; vgl. de Saint Martin, S. 105f. „Nur durch Leistungen des historischen Bewusstseins sind wir in dynamischen Kulturen überhaupt in der Lage zu sagen, wer wir sind. Das historische Bewusstsein ist das Medium kultureller Identitätsvergewisserung.“, Lübbe, S. 43.
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Hochadels verstanden werden. Die Verknüpfung historisch gewachsener Identität mit den Sammlungen des Hochadels löst sich, wenn die zur Erhaltung der Sammlungsbestände wesentlichen Ding-Mensch-Bindungen1247 nicht aufrechterhalten werden. Die Sammlungen des Hochadels nach 1918 rückten vor allem nach der Abspaltung der institutionalisierten Sammlungen aus dem Blickfeld der Wissenschaft, da sie nicht der heutigen Auffassung von Sammlungen entsprechen. Zudem kann eine weitgehende Nichtbeachtung durch ihren Status als Privatsammlungen sowie einem geringen wissenschaftlichen Interesse am Adel im 20. Jahrhundert begründet werden. Tatsächlich erfuhr das Sammeln innerhalb der Adelsfamilien durch deren nach 1918 veränderte gesellschaftliche Stellung erhebliche Veränderungen. Das Anhäufen als Hauptelement des Sammelns ist in seinem Umfang nicht mehr mit der Zeit vor 1918 vergleichbar. Die weiteren Aspekte eines dynamischen Sammlungsbegriffes, nämlich Zeigen, Bewahren, Entsammeln sowie die Möglichkeit, Ding-MenschBindungen zu bilden, sind dagegen noch immer wesentliche Bestandteile von Adelssammlungen. Sie sind jedoch nicht mehr wesentliches Element zur Demonstration von Status und Reichtum, sondern stattdessen notwendige Elemente zum Erhalt einer traditionellen Lebensweise, die allerdings noch immer den Anspruch finanzieller Absicherung und familiären Wohlstandes hat. Noch immer werden zum Erreichen dieser Ziele sowohl Maßnahmen des Bewahrens als auch des Entsammelns eingesetzt. Noch immer hat der Erhalt des „Glanzes der Familie“ Vorrang vor der Unveränderlichkeit der Bestände, was im Verlauf des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts zur Reduktion ehemals scheinbar unerschöpflicher Bestände geführt hat. Die Eingliederung von Sammlungsteilen in unternehmerische Tätigkeiten sowie die – als unumgehbare Folge der Abschaffung adliger Herrschaft schrittweise erfolgte – veränderte Lebensweise führte dazu, dass enge Ding-Mensch-Bindungen des Kollektivs zu den verbliebenen Sammlungsbeständen nicht mehr grundsätzlich angenommen werden können1248 . Diese Bindungen haben allein für diejenigen Familien Bestand, welche traditionelle Wohnsitze auch heute als solche nutzen und/oder Sammlungen in ihren Alltag integrieren können (was gleichzeitig bedeutet, dass enge Ding-Ding-Bindungen vorliegen)1249 . De Saint Martin fasst die Bedeutung dieses kulturellen Kapitals – in Kombination mit traditionellem sozialen Kapital – für die heutige Identität des Adels zusammen, wobei jedoch beim von ihr genannten Begriff des Schlosses dessen Inhalt, nämlich die Vielzahl der Dinge, welche wiederum Sammlungen bilden, mitgedacht werden muss: „Die Fähigkeit, sich Raum und Geschichte zu eigen zu machen, hängt jedoch nicht allein vom spezifisch adligen, symbolischen Kapital ab, und die Nachkommen derjenigen aristokratischen 1247
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Sax weist darauf hin, dass das direkte Zusammenleben mit Sammlungen zu veränderten Verhaltensmustern gegenüber den Objekten führt, welches das Selbstverständnis als „Treuhänder“ für diese Sammlungen einschließt, Sax 1999, S. 68f. Diese können von individuellen Bindungen abgelöst werden, vgl. Kapitel 3.1. Die Festellung von Selle/Boehe, „dass die Sammlung der Dinge ein Instrumentarium der Selbstversicherung, des Kontinuitätsstrebens und der einzelnen oder paarweisen Anstrengung der Lebensbewältigung im Rahmen eines biographischen oder gesellschaftlichen Raum-Zeit-Kontinuums darstellt“, unterstützt dies, Selle/Boehe, S. 250.
426 | S AMMLUNGEN DES A DELS Familien, die gleichzeitig über ein bedeutendes ökonomisches und kulturelles Erbe sowie einen großen Namen und ein ausgedehntes Beziehungsgeflecht verfügen, sind in der besten Position, den Raum, und hier vor allem das Schloss, und die Geschichte zu nutzen, indem sie eine Lesart vorschlagen, die legitim erscheint und die es ihnen erlaubt, den größtmöglichen symbolischen Nutzen daraus zu ziehen.“1250
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S AMMLUNGEN DER
UND
G RÜNDE
DES
S AMMELNS – D IE B EDEUTUNG
D INGE – E RGEBNIS „Wenn ein Gegenstand nicht mehr am Austausch teilnimmt, wenn er, was auf dasselbe hinausläuft, jede Bedeutung verloren hat und möglicherweise auch jede Nützlichkeit, wird er zu Abfall. Solange er dagegen Bestandteil einer Sammlung bleibt, ist er auch Träger von Bedeutung, Zeichenträger, Semiophor.“1251 K. POMIAN
Die Forderung der Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes nach einer „besonderen Bedeutung“ der zu schützenden Objekte sowie die Feststellung, dass die Erhaltungsabsichten des Adels sich nicht grundsätzlich mit denjenigen des kulturellen Erbes decken, führten dazu, nach einer Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz zu fragen. Durch den Wechsel der Perspektive vom Menschen hin zum Objekt und dessen Biographie können Informationen abgerufen werden über dessen Herkunft, Nutzung, Wertung sowie Beziehungen zwischen Menschen und Dingen, welche Voraussetzung für Bedeutung sind. Ding-Mensch-Bindungen können durch Nutzung und Wertzuschreibungen gefestigt werden und schließlich zur Entstehung von Bedeutung führen. Heute verlorengegangene Nutzungen oder Wertzuschreibungen sind jedoch kein Zeichen dafür, dass entsprechende Dinge bedeutungslos sind, und sollten daher für eine solche Untersuchung ebenso wenig im Vordergrund stehen wie eine Trennung von Kunst und Nicht-Kunst1252 . Die Vorstellung einer Biographie der 1250
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De Saint Martin, S. 125-126; von Hoyningen-Huene sieht im Erhalt des Grundbesitzes den Hintergrund der Identität des Adels, von Hoyningen-Huene, S. 78f und S. 181, dem ist in Hinblick auf materielles Kapital zuzustimmen, es wurde jedoch deutlich, dass differenzierter zu betrachten ist, um welche Art von Grundbesitz es sich handelt und ob mit diesem (Im-)Mobilien verknüpft sind; auch Conze/Wienfort betonen die seit Ende des 19. Jahrhunderts immer deutlichere Bedeutung des Grundbesitzes für den Adel, vgl. Conze/Wienfort, S. 5; der Sammlungsbesitz wird dagegen nicht beachtet. Pomian 1998, S. 81. Eindrucksvolles Beispiel der veränderten Wertzuschreibung bedeutender Objekte sind die von Marek untersuchten Effigies, welche nach dem Gebrauch zunächst unbeachtet blieben, in England bereits 1606 (und damit 19 Jahre vor dem letztmaligen Gebrauch einer Effigie nach dem Tod Jakobs (I.) König von Schottland König von England und Irland) restauriert werden sollten und daraufhin wieder dem Verfall preisgegeben wur-
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Dinge beinhaltet die Akzeptanz der diesen – ebenso wie Menschen – zugehörigen Endlichkeit. Die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe wird vor diesem Hintergrund um neue Sichtweisen erweitert: Neben der Auswahl einzelner Dinge zu einem möglichst unveränderten Erhalt können Maßnahmen zur Verlängerung biographischer Wandelbarkeit für andere Objektgruppen zum – wenn auch in unbestimmter Zukunft endlichen – Erhalt führen1253 . In Bezug auf den Hochadel können durch diesen Perspektivenwechsel vielschichtige Bedeutungsebenen von Dingen festgestellt werden. Objekte als Mittel sozialen Verhaltens fungieren in der Lebenswelt des Adels als Statussymbole und Kommunikationsmittel. Die Möglichkeit der Beeinflussung von Markt und Moden diente der Abgrenzung, und auch nach 1918 boten verbliebene Objektbestände Stabilität und Unabhängigkeit von Trends. Das persönliche Gedächtnis ist ebenso wie das kollektive Gedächtnis auf Objekte der Erinnerung angewiesen. Diese sind Träger der Signifikanz von Personen, Ereignissen und Orten aus Vergangenheit oder Gegenwart. Für die generationsübergreifende Gemeinschaft hochadliger Familien sind Erinnerungsorte von herausragender Bedeutung. Durch Verlust solcher Immobilien oder räumliche Distanz zu diesen nach 1918 nahmen indiviudelle Erinnerungen gegenüber kollektiver Erinnerung zu. Das allgemeine historische Gedächtnis wird daher auch für die Gruppe des Adels wesentlicher. Porträts des Adels entstanden zu jeder Zeit in jeweils zeitgemäßen Medien als Manifestationen politischer Macht und sozialer Stellung. Auch nach 1918 konnten Fotografie und Film zu diesem Zweck eingesetzt werden. Noch heute erfüllen die bildlich präsenten Ahnen eine Vorbildfunktion und traditionsbewusste Adlige posieren häufig vor Porträts ihrer Vorfahren. Von der Ausstattung intimer Räume bis zu halböffentlichen Schwellenräumen tragen die Dinge des Wohnens zur Identitätsbildung bei. Vor 1918 wurden die Hierarchien des Hoflebens maßgeblich durch Wohnobjekte verdeutlicht. Denjenigen Familien, welche bis heute Aspekte eines solchen Wohnumfelds nutzen können, gelingt die Fortführung traditioneller Lebenskonzepte. „Ein Adelsgeschlecht konnte seine Geschichtlichkeit nur dann erfahren, wenn sich Angehörige desselben über Generationen hinweg ihrer Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Herkunft bewußt gewesen sind. Auf einem solchen Zusammengehörigkeits- und gemeinsamen Herkunftsbewußtsein beruhte die Tradition. Sie wurde in mündlicher, schriftlicher oder bildlicher Gestalt zur adeligen Familien- oder Hausüberlieferung.“1254
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den, Marek, S. 47-54; weder damals noch heute werden diese als Kunstwerke wahrgenommen, sind aber heute als Ausstellungsstücke in Westminster Abbey zu besichtigen, Marek, S. 22. Diese Sichtweise ist auch in Hinblick auf immaterielle Kutlurgüter, die sich Konservierungsprozessen entziehen, von Interesse. Schmid, Karl: Welfisches Selbstverständnis, in: Adel und Kirche. Gerd Tellenbach zum 65. Geburtstag dargebracht von Freunden und Schülern, herausgegeben von Josef Fleckenstein und Karl Schmid, Freiburg, Basel, Wien 1968, S. 397.
428 | S AMMLUNGEN DES A DELS Es ist festzuhalten, dass Objekte maßgeblich zu dieser Traditionsbildung beitrugen. Die Objekte im Umfeld des Hochadels waren/sind damit maßgeblich an der Bildung und Festigung der Identität hochadliger Familien – und damit an der Stabilisierung einer bis 1918 herrschenden Gruppe – beteiligt1255 . De Saint Martin stellt fest, „daß die Aufmerksamkeit und das Interesse, welches den Aristokraten und dem Umstand entgegengebracht wird, daß die Nachfahren des Adels [...] weiterhin einen Unterschied zwischen sich und denen sehen, die nicht aus der gleichen Gruppe hervorgegangen sind [...], zu einem guten Teil daher kommt, dass dem von ihnen oft im Überfluß gehaltenen und dank fortwährender Bemühungen erhaltenen symbolischen und sozialen Kapital Wert beigemessen wird.“1256
Durch die gesamtgesellschaftlich herausragende historische Rolle des Adels sind die Objekte damit als Teil dieses Kapitals auch im Sinne des kulturellen Erbes für die Allgemeinheit von Bedeutung: ihnen kommt eine Vermittlerrolle zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu1257 . Auch für die Zeit nach 1918 können die beschriebenen Bedeutungsebenen der Objekte des Adels weiterhin nachgewiesen werden, so dass deren, die Identität bewahrende, Rolle zur Erhaltung großer Bestände dieses Teils des kulturellen Erbes geführt hat. Tendenzen hin zu stärker individuell erfahrener Bedeutung innerhalb der Gruppe des Hochadels lassen jedoch darauf schließen, dass diese Form der Bewahrung zukünftig abnehmen wird. Die Untersuchung von Bedeutungsebenen der Dinge aus Adelsbesitz verdeutlicht die Problematik, diese durch Kulturgüter- und Denkmalschutz zu erfassen: sowohl Dingen als Mittel sozialen Verhaltens als auch Erinnerungsobjekten und Dingen des Wohnens wird häufig nicht der heute maßgebliche Kunstwert zugesprochen. Dies gilt auch für Porträts aus Adelsbesitz, wenn sie nicht von einem anerkannten Künstler stammen. Zudem werden Objektgruppen, die typische Sammlungsbestandteile des Hochadels bilden, bereits durch ihre Menge als nicht schützenswert eingestuft: „Massenkulturgüter sind deshalb aus dem Anwendungsbereich eines Kulturgutschutzgesetzes auszuschließen. Dies betrifft insbesondere die handwerksmäßig hergestellten Kulturwaren, wie z.B. Möbel oder Porzellan. Solche Stücke können nur im Einzelfall von besonderer Bedeutung für den deutschen Kulturbesitz sein, z.B. weil von einer bestimmten Gattung nur noch wenige Einzelstücke existieren oder sie aus anderen, etwa historischen Gründen wie im Fall des Welfen-Silberzimmers, wichtig geworden sind.“1258 1255
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„Die Familien- und Besitzorientierung des Adels gehört fraglos zu den Kernelementen adeliger Identität und, daraus abgeleitet, adeliger Lebensführung.“, Conze, Eckart: Deutscher Adel im 20. Jahrhundert. Forschungsperspektiven eines zeithistorischen Feldes, in: Schulz/Denzel, S. 26. De Saint Martin, S. 22. Pomian beschreibt dies als Vermittlung zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem, wobei das Unsichtbare sowohl eine den jeweiligen Gegenstand erworbenen Person, ein vergangenes Geschehen, die Vergangenheit an sich oder ein exotischer Ursprung sein kann, vgl. Pomian 1998, S. 42. Hipp, S. 411; bezeichnend ist, dass Hipp hier vom „deutschen Kulturbesitz“ spricht statt, das kulturelle Erbe Deutschlands anzusprechen; in Bezug auf den Verkauf des Hauses Baden betont Hipp dagegen, die gewachsene „Einheit von Kunstschätzen, die
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Die Fokussierung des Kulturgüter- und Denkmalschutzes auf kunsthistorisch wertvolle Einzelobjekte aus Adelsbesitz ist vor dem Hintergrund der festgestellten Bedeutungsebenen jedoch zu kritisieren. „Die Dinge des täglichen Lebens haben Geschichte wie kaum etwas anderes, weil sie kollektive und persönliche Lebenswerkzeuge sind, in denen sich Zeit, Erfahrung, Vertrautheit, Lebenserinnerungen akkumulieren und sich eben nicht nur ein Tauschwert realisiert ... Dinge erweisen sich als Vermittlungsinstanzen gesellschaftlicher Geschichte und Kultur ebenso wie als Träger individueller Erfahrungsgeschichten und Vermittlungen zwischen Menschen.“1259
An Entstehung und Erhalt der Bedeutung von Dingen in Adelsbesitz sind neben Ding-Mensch-Bindungen, die aufgrund der Quantität der Gesamtbestände vielfältigen Ding-Ding-Bindungen beteiligt. Kulturgüter- und Denkmalschutz betrachten die Objektbestände der genannten Bedeutungsebenen jedoch nicht als – in ihrer Gesamtheit zu schützende – Sammlungen. Sie setzen einen hohen Einzelwert jedes Sammlungsobjekts voraus1260 oder fokussieren auf einen Sammlungsbegriff, der sich an heutigen institutionellen Sammlungen orientiert1261 . Die Betrachtung des Sammelns sowie von Sammlungen zeigt jedoch, dass diese Sammlungsdefinition zwar den Grundsätzen der Idee des kulturellen Erbes Rechnung trägt, jedoch nicht allgemeingültig auf Sammlungen in ihrer historischen Entwicklung und „gelebten“ Bandbreite angewendet werden kann. Allgemeingültig ist festzustellen, dass Sammeln durch die Auswahl von Dingen geprägt wird, die zur Erfüllung einer gemeinsamen Funktion in Verbindung zu anderen Dingen gebracht werden. Die Tätigkeit des Sammelns hat Einfluss auf die Identität des Sammlers und bleibt wie diese wandelbar. Sie ist damit abhängig von zeitlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, welche anhand der Sammlungen – oder Teilen aus diesen – ablesbar sind1262 . Sammlungen fördern den
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das Haus Baden in unvergleichlicher Weise über ca. 800 Jahre angesammelt hatte.“, Hipp, S. 413, und stellt fest, dass eine gesamte Unterschutzstellung anzustreben gewesen wäre, was die Unsicherheit gegenüber den Beständen aus Adelsbesitz, welche jedoch immer erst nach einem größeren Verkauf zum Tragen kommt, auch auf rechtswissenschaftlicher Seite deutlich macht. Selle/Boehe, S. 39-40. Anhang I, Fußnote (2), VO 116/2009 und Anhang, Endnote (2), VO 3911/92. Hipp, S. 75. Pomian sieht in den Sammlungen Repräsentanten des Unsichtbaren und verdeutlicht deren durch den unvermeidbaren Wandel sichtbare kulturhistorische Bedeutung: „Über eine lange Zeit gesehen ist die Geschichte der europäischen Sammlungen also weit mehr als eine Aufzählung von Sammlern und von den Dingen, die sie gesammelt haben. Es ist eine Geschichte von den Europäern zur Ferne, aus der die Schätze kommen; zur Vergangenheit, die sich mit Hilfe der aufgefundenen Überreste immer besser rekonstruieren lässt; zum Universum, das gleichgesetzt wird mit einer Ganzheit, die sich offenbart in den Raritäten und Kuriositäten; zu der Natur, die allmählich messbar und erkennbar wird; zu der Kultur, die man nach Meinung der einen nur beschreiben und darlegen, nach Meinung anderer quantifizieren und erklären kann, wobei die Natur ebenso wie die Kultur in steigendem Maß als Ganzheiten aufgefasst werden, die sich in der Zeit entfalten; schließlich zur Zukunft. All dies sind nun Gestalten des Unsicht-
430 | S AMMLUNGEN DES A DELS Aufbau von Ding-Mensch- sowie Ding-Ding-Bindungen, was ihre identitätsbildende Bedeutung stärkt. Ihre Bestimmung und Nutzung kann jedoch von denjenigen des Sammelvorgangs abweichen. In jedem Fall übernehmen Sammlungen Funktionen, die zur – zeitweisen – Singularisation der einzelnen Objekte sowie einer örtlichen Konzentration derselben führen. Diese Konzentration kann Ortswechsel einschließen, wenn sie dem Sammlungszweck dienen. Des Weiteren ist die Vorstellung eines grundsätzlich unvereinbaren Gegensatzes von Sammlungsbeständen und deren Gebrauch nicht haltbar1263 . Insgesamt ist festzustellen, dass Sammlungen als dynamische Gebilde zu verstehen sind, welche die Tätigkeiten des Anhäufens, Zeigens, Bewahrens und Entsammelns beinhalten sowie zur Bildung von Bindungen führen. In der Forschung wird der Sammlungsbegriff durch Institutionen geprägt, deren Ziele den Forderungen des kulturellen Erbes entsprechen. Öffentliche/Institutionelle Sammlungen verfolgen das vorrangige Ziel des Erhalts unseres Kulturerbes, weshalb die Tätigkeit des Anhäufens immer mit dem Zweck der Bewahrung verknüpft ist. Das Anhäufen ist zudem durch wissenschaftliche Vorgaben, aber auch durch Finanzierungsschwierigkeiten und Platzmangel, stark reglementiert1264 . Das Zeigen der Sammlungsbestände beinhaltet den Zugang für die Forschung und deren Öffnung für die Allgemeinheit. Der immer stärker werdende Trend einer Orientierung an Erlebnis und „Event“ trägt dazu bei, dass die Öffnung auf ausgewählte Teile der Sammlungen beschränkt bleibt. Die starke Konzentration auf die Tätigkeit des Bewahrens hat die Tabuisierung von Entsammlungsmaßnahmen zur Folge. Gleichzeitig führt die Vorstellung konsequenter Homogenität als Voraussetzung von Sammlungen sowie einer mit dieser verbundenen unveränderlichen Bewahrung zur Verschleierung der Tatsache, dass auch museale Sammlungen aufgrund ihrer Herkunft und/oder historischen
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baren, die nacheinander erscheinen, ohne dass die späteren die früheren verdrängen. Die Geschichte der Sammlungen in Europa ist in Wirklichkeit eine Geschichte der Beziehungen zwischen den Europäern und dem Unsichtbaren.“, Pomian 1994, S. 125126; die Repräsentation des Unsichtbaren ist laut Pomian die Gemeinsamkeit aller Sammlungen, Pomian 1998, S. 43. Diese Meinung vertritt Alsop: „Meanwhile, the true essence of human collecting in all its many forms has always been gathering wholly superfluous numbers of objects belonging to chosen categories, without the least need for so many objects of the particular category ... The truth is that collecting not only transmutes all sorts of objects from things of use into ends in themselves; in addition, collecting is an end in itself as an activity.“, Alsop, S. 71. „Ihm [dem Museum] wächst nichts regelmäßig zu. Es kann im Sinne einer Denkmalpflege für bewegliches Kulturgut aus der Zahl der von Zerstörung und Verfall verschonten Objekte überhaupt nur jene zu erlangen und zu sichern suchen, von deren Existenz es zufällig Kenntnis erhält und die in sein Sammlungsprogramm hineingehören. Es kann sie aber nur erwerben, wenn es finanziell dazu in der Lage ist und sie auch räumlich unterbringen kann. Die Imonderabilien mit den Ziel- und Wunschvorstellungen des Sammelplans in Einklang zu bringen, gehört zu den nicht immer leichten Aufgaben des Museumswissenschaftlers.“, Röhrbein 1985, S. 7.
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Entwicklungen heterogene Gebilde sind1265 . Infolgedessen bleiben die aus heutiger Sicht als unpassend empfundenen Objekte für den Besucher unsichtbar, obwohl die Zugänglichkeit eines der Hauptziele der Idee des kulturellen Erbes ist. Trotz unabwendbarer Entwicklungen auch in diesen Sammlungen vermitteln institutionelle Sammlungen heute vor allem den Eindruck von gewollter Unveränderlichkeit1266 . Das Entstehen von Bindungen ist in diesen Sammlungen möglich, für die Besucher aber aufgrund eingeschränkter Nutzungsmöglichkeiten der Objekte schwierig. Bedeutung wird durch eine den Wert betonende Präsentation des Einzelobjekts zwar suggeriert, jedoch durch das Fehlen des Kontextes – in Form von Ding-DingBindungen sowie Bindungsmöglichkeiten zu Menschen – kaum erfahrbar1267 . Für Objekte können diese Sammlungen daher zur dekontextualisierten biographischen Endstation werden1268 . Die Betrachtung von Privatsammlungen zeigt vor allem die enorme Bandbreite des Sammelns auf. Hintergrund des Anhäufens ist für diese vor allem der Wunsch nach Bindungen, welche durch individuelle Funktionen der Sammlungen entstehen können. Die Tätigkeit des Anhäufens ist ein für Privatsammlungen wichtiges Element, das sich im heutigen Konsumverhalten widerspiegelt. Aber auch das Zeigen übernimmt wesentliche Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens und kann diesbezüglich eng mit dem Nicht-Zeigen und dem bewussten Entzug von Objekten aus der Sphäre allgemeiner Nutzungsmöglichkeiten verknüpft sein. Die Freiheit im Umgang mit den Sammlungsbeständen sowie individuelle Prägungen spielen für Privatsamm1265
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„Viele museale Sammlungen verdanken ihre Existenz jedoch nicht dem ästhetischen Sammeln. Oftmals gleichen sie eher einem Sammelsurium als einem Werk.“, Heisig: Sammeln und Ent-Sammeln, S. 20. Erst die strenge Strukturierung erkennt diese ehemals heterogenen Gebilde als Sammlungen nach heutigem Standard an: „Die Genese der Bestände in den Kunstmuseen ist ja auch abenteuerlich genug; was Kriege, Eroberungen und Raubzüge zusammenwürfelten und die Geschmacksentscheidungen von mehreren Generationen unterschiedlichster Käufer ergänzten, kann nicht unbesehen als vermittlungswürdiger Bestand anerkannt werden.“, Grasskamp 1981, S. 90-91. Pomian weist auf diese Möglichkeit der Bedeutungssteuerung durch die Art des Zeigens hin: „Er [der Semiophor] wird dem Betrachter gezeigt, damit dieser ihn zu irgendetwas in Beziehung setzt, das momentan nicht da oder prinzipiell unsichtbar ist, das heißt, damit er seine Bedeutung erfasst. Dabei geht er zwar aus von den inhärenten Merkmalen des Gegenstands, diese werden jedoch gleichsam gefiltert durch den sozialen Ort, an dem er sich befindet, durch die Nähe anderer Gegenstände, den verbalen Kontext, die Form der Ausstellung, die Zusammensetzung des Publikums und schließlich noch durch das Verhalten derer, die ihn ausstellen, und derer, die ihn betrachten.“, Pomian 1998, S. 86. „Die Reduktion der Kulturvorstellung auf das zu sammelnde Kulturgut, auf das herausragende Objekt, hat zu einer Abwertung jener Kulturpraktiken geführt, die als flüchtige, nicht materialisierte Formen der Kultur vor und noch während der Industrialisierung das alltägliche Leben prägten.“, Grasskamp 1981, S. 82-83; nicht nur für die von Grasskamp benannte Zeit, sondern grundsätzlich kann die fehlende Möglichkeit, mit den ausgewählten Objekten auch die zu diesen bestehenden Bindungen zu erhalten, zum Verlust von Kulturgut – trotz des Erhalts von Einzelobjekten – führen.
432 | S AMMLUNGEN DES A DELS ler eine große Rolle. Vor diesem Hintergrund verfolgen Bewahrungsabsichten vorrangig die Sicherung der Sammlung nach ihrem Tod. Zu Lebzeiten sind die Nutzung der Objekte ebenso wie Entsammlungsmaßnahmen jederzeit möglich, wenn sie den aktuellen Interessen dienen. Ding-Mensch-Bindungen können vielfältig sein, jedoch jederzeit abbrechen oder reaktiviert werden. Privatsammlungen erweitern – zumindest für den Zeitraum einer Generation – das kulturelle Erbe um Aspekte der Alltagskultur. Sie ermöglichen damit nicht selten die anschließende längere Bewahrung von Einzelobjekten oder Objektgruppen durch institutionelle Sammlungen, welche grundsätzlich langsamer auf Veränderungen reagieren. Des Weiteren werden Privatsammlungen vor dem Hintergrund der schwierigen finanziellen und räumlichen Situation institutioneller Sammlungen auch auf dem Gebiet der Kunst bedeutender. Die Unterschiede zwischen öffentlichen und privaten Sammlungen haben entscheidenden Einfluss auf die Biographien der gesammelten Dinge. Eine Betrachtung beider Sammlungsbereiche zeigt auf, dass diese sich in Bezug auf den Erhalt des kulturellen Erbes ergänzen können. Darüber hinaus können institutionelle Sammlungen in Bezug auf eine lebendigere und flexiblere Nutzbarkeit der Objekte, welche zu engeren Ding-Mensch-Bindungen führen können, Anregungen aus dem Bereich privater Sammlungen aufnehmen1269. Vor allem in Hinblick auf die immer größer werdenden Bestände institutioneller Sammlungen, die zu einer starken Einschränkung des Anhäufens führen, gehören auch Entsammlungsmaßnahmen zu den künftigen Aufgabenbereichen der öffentlichen Sammlungen. Bisher von der Forschung beachtete Teile von Adelssammlungen sind häufig bereits in öffentliche Sammlungen integriert. Es handelt sich um Sammlungsbereiche, die schon vor 1918 teilweise institutionalisiert und nach 1918 schrittweise der öffentlichen Hand übertragen wurden. Große Teile des heutigen Adelsbesitzes werden nicht als Sammlungen betrachtet, da sie nicht der – eingeschränkten – Definition institutioneller Sammlungen entsprechen. Rein rechtlich handelt es sich um Privatsammlungen. Es muss zudem festgestellt werden, dass sie trotz ihrer Quantität und Heterogenität sämtliche Kriterien dynamischer Sammlungen erfüllen: Das Anhäufen dient/e einer von Quantität geprägten Lebensweise, die auch eng mit dem Zeigen verknüpft war. Bewahrungsmaßnahmen sind/waren selbstverständlicher Aspekt der Verknüpfung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jede Generation kann/konnte – auch durch Entsammlungsmaßnahmen – eigene Akzente setzen. Vielfältige Ding-Mensch- und Ding-Ding-Bindungen unterstütz(t)en die mehrere Generationen verbindende Lebensweise und die Bildung/Bewahrung von Identität. In ihren Funktionen waren Adelssammlungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts einer Entwicklung unterworfen, die bis heute deutliche Veränderungen zur Zeit vor 1918 erkennbar werden lässt. Diese haben Auswirkungen auf die Behandlung der 1269
Dies formuliert in Bezug auf die Notwendigkeit einer Stärkung von Forschungsmöglichkeiten in Sammlungen auch die wissenschaftliche Kommission Niedersachsen: „Schließlich kann ‚sammlungsbezogene Forschung‘ auch Konsequenzen für den Objektbestand der Sammlung selbst haben, indem etwa forschungsgestützt entschieden wird, die Sammlung durch spezielle Objekte zu erweitern oder auch bestimmte Objekte abzugeben. Insofern führt ‚sammlungsbezogene Forschung‘ zu Veränderungen in der Sammlung selbst und hält die Sammlung dynamisch.“, Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen, S. 16.
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Sammlungen: Vor 1918 übernahmen die Adelssammlungen vorrangig Funktionen der Herrschaft1270, nach 1918 war/ist der Erhalt von Identität die wesentliche Aufgabe. In beiden Fällen ist der Erhalt des „Glanzes der Familie“ das wichtigste Ziel. Das Anhäufen spielte in diesem Zusammenhang vor 1918 eine wesentliche Rolle und wurde nach 1918 stark eingeschränkt. Das Zeigen diente vor 1918 vor allem der Repräsentation sowie der Abgrenzung und verfolgte schließlich Ziele des öffentlichen Zeigens. Nach 1918 erfuhr auch das Zeigen starke Einschränkungen, wobei wiederum das öffentliche Zeigen im Verlauf des 20. Jahrhunderts eine immer wichtigere Rolle übernahm. Sowohl vor als auch nach 1918 dienten Bewahrungsmaßnahmen dem Funktionserhalt der Sammlungen. Dabei stand die Nutzung des Gesamtbestandes immer vor der Bewahrung des Einzelobjektes und Entsammlungsmaßnahmen waren Teil des Umgangs mit den Sammlungsbeständen. Es waren/sind vor allem Objekte betroffen, deren Nutzung nicht mehr gewährleistet war und darüber hinaus spielten/spielen finanzielle Gründe eine Rolle. Beides nahm nach 1918 zu. Die vor 1918 starken Bindungen waren wesentlich an der Bildung von Einzel- und Gruppenidentitäten sowie deren Verknüpfung miteinander beteiligt. Nach 1918 können die Sammlungen zwar noch immer diese Funktionen übernehmen, die Bindungen nehmen jedoch insgesamt ab. Während Einzelobjekte immer stärker an der Herausbildung von Einzelidentitäten beteiligt sind, wird die Verknüpfung von individueller und Gruppenidentität schwächer, wobei jedoch Gesamtbestände von Sammlungen noch immer Gruppenidentitäten stärken können. In Bezug auf das kulturelle Erbe übernahmen Adelssammlungen vor 1918 – und bereits vor der Herausbildung des allgemeinen Erhaltungsziels – die wesentlichen Aufgaben des Anhäufens, Bündelns, Zeigens und Bewahrens. Nachdem jedoch nach 1918 die institutionalisierten Sammlungsteile endgültig von diesen abgespalten wurden, blieben die restlichen Sammlungsbestände weitgehend unbeachtet, was allerdings nicht mit einer Bedeutungslosigkeit gleichgesetzt werden darf. Gerade die durch den Adel selbst erhaltenen Sammlungsbestände haben auch – als Teile des historischen Gedächtnisses – für die Allgemeinheit Bedeutung und sind damit Bestandteil unseres Kulturerbes. Vielfältige Ding-Ding-Bindungen ermöglichen noch heute die Erfahrung eines in institutionellen Sammlungen nicht nachbildbaren Kontextes. Die lebendige/dynamische Sammeltätigkeit des Adels ermöglichte den Erhalt von Bedeutungsebenen bis heute, was wiederum Auswirkungen auf den Erhalt der Bestände hatte. Halbwachs weist aber darauf hin, dass „[j]edes kollektive Gedächtnis [...] eine zeitlich und räumlich begrenzte Gruppe zum Träger [hat].“1271 Veränderungen in den Ding-Mensch-Bindungen des Adels weisen auf diese Endlichkeit des momentan noch bestehenden kollektiven Gedächtnisses hin, was durch sich wandelnde und umfassendere Entsammlungsmaßnahmen bereits deutlich wird. Weder der durch institutionelle Sammlungen geprägte Sammlungsbegriff noch der in den Gesetzen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes verwendete werden jedoch dieser – durch Quantität und Kontext der Objekte in Adelsbesitz geförderten – Verknüpfung von Bindungen, Bedeutung und Erhaltung gerecht. Die in der Gesetzeslage geforderte besondere Bedeutung ist nicht mit der Betonung von Wertzuschreibungen des verwendeten Sammlungsbegriffes in Einklang zu bringen, so dass 1270 1271
Grasskamp bezeichnet sie als „Attribute der Herrschaft“, Grasskamp 1981, S. 76. Halbwachs, S. 73.
434 | S AMMLUNGEN DES A DELS dieser den Erhalt von Adelssammlungen nicht fördert. Darüber hinaus werden die Grenzen musealer Sammlungen zum Erhalt unseres kulturellen Erbes deutlich, so dass alternative Bewahrungsmaßnahmen notwendig werden. Die Sammlungen des Adels können diesbezüglich, entscheidende Anregungen geben, wenn ihrem Erhalt auch außerhalb der Besitzerfamilien Interesse entgegengebracht wird. Die folgende Betrachtung der Entwicklung von Sammlungsbeständen des Hauses Hannover nach 1918 soll die deutlich gewordene Problematik einer scheinbaren Einbindung von Adelsbesitz in den praktizierten Umgang mit Kulturerbe exemplarisch aufzeigen. Die Untersuchung ausgewählter Objekt-Biographien soll dazu beitragen, die Diskrepanz zwischen weitgehender Nicht-Beachtung eines großen Teils der Adelssammlungen und scharfer Kritik am Verkauf derselben zu klären. Durch das Aufzeigen der Bedeutungsvielfalt von Objekten aus Adelsbesitz am konkreten Beispiel sollen neue Perspektiven auf den Status von Adelssammlungen als kulturelles Erbe entwickelt werden. Es ist zu hinterfragen, inwieweit bisherige dynamische Sammlungsaktivitäten auch in Zukunft zu „lebendigen“ Bindungen führen und zum Erhalt dieses kulturellen Erbes beitragen können.
Kapitel 4: Objekte der Welfen – Biographien und Bedeutung „Ab wann ist ein Haus ein Haus? Wenn ein Sohn, also ein Erbe bzw. Nachfolger da ist? Und wie bleibt ein Haus ein Haus in den Generationen, die auf seine Gründung folgen? Läßt sich ein Haus sichern? Und was macht das Haus zum Haus, wenn es eine Firma ist?“ 1 E. PLESSEN
W ELFENBESITZ
NACH
1918
Die einleitende Kontroverse um die Verauktionierung großer Bestände aus dem Besitz des Hauses Hannover führte dazu, das kulturelle Erbe, den Kulturgüter- und Denkmalschutz, die Bedeutung der Dinge sowie den Sammlungsbegriff in Hinblick auf Adelsbesitz zu betrachten. Es wurde deutlich, dass die Sammlungen des Hochadels sich trotz ihrer Bedeutung im Sinne des kulturellen Erbes aufgrund ihrer Besonderheiten – Quantität und Heterogenität als Folge einer für den Adel typischen Sammelkultur – nur schwer in derzeitige Erhaltungsmöglichkeiten integrieren lassen. Die sich lösenden Bindungen der Adelsfamilien zu ihrem Besitz führen dazu, dass der traditionelle Erhalt durch diese nicht als Selbstverständlichkeit für die Zukunft vorausgesetzt werden kann. Die bis 1918 lebendige Sammeltätigkeit mit identitätsbildender Bedeutung musste Veränderungen erfahren und weicht heute immer stärker einem wirtschaftlich orientierten Besitzverhalten, das Kulturpflege zwar häufig einschließt, allerdings aus dem Bereich des Privaten ins Geschäftliche verlagert. In diesen Zusammenhang kann auch die in Kapitel 1 thematisierte Auktion im Schloss Marienburg im Jahr 2005 gestellt werden. Diese hat Umfang und Vielfalt des welfischen Mobilienbesitzes aufgezeigt und verdeutlicht, dass die in Kapitel 3.1 in ihrer Bedeutung hervorgehobenen Dinge als Mittel sozialen Verhaltens, der Erinnerungskultur, Porträts sowie Dinge des Wohnens zahlreich vorhanden sind/waren. Die in Kapitel 3.4 veranschaulichten typischen Verhaltensweisen im Umgang mit Sammlungen des Adels prägten auch die Sammlungen der Welfen2. Ebenso sind die nach 1918 und 1945 verstärkt zu beobachtenden Veränderungen an diesen ablesbar, und 1 2
Plessen, Elisabeth: Das Haus als Firma, in: Kultur des Eigentums, S. 549. Was an zahlreichen Beispielen des Kapitels 3.4 deutlich wurde.
436 | S AMMLUNGEN DES A DELS die vor 2005 im Schloss Marienburg verwahrten Objekte sind damit Zeugen der wechselhaften Geschichte der Welfen vor 1918 sowie im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Wiederholt wurde das Haus Hannover in der Vergangenheit für Verkäufe kritisiert, die Zeichen für sich lösende Bindungen sein können. Die Sammlungen des Hauses Hannover sollen daher im Folgenden zur beispielhaften Verdeutlichung der bisherigen Untersuchung herangezogen werden. Die wechselhafte Geschichte dieser ehemals regierenden Familie ermöglicht einen Einblick in biographische Wendepunkte von Objekten aus Adelsbesitz seit 1918. Durch die exemplarische Untersuchung der sich verändernden Lebensweise des Adels ist es möglich, die Auswirkungen auf das Verhältnis der Familien zu ihrem Besitz im Detail zu erfassen. Schwierigkeiten der Erhaltung sowohl durch die Familie als auch aus Sicht des Kulturgüter- und Denkmalschutzes können verdeutlicht werden. Ausgewählte Objekt-Biographien sollen darüber hinaus neue Perspektiven auf die Vielfalt von Adelssammlungen eröffnen, deren Bedeutungsebenen sowie ihre Erhaltungsmöglichkeiten. Es ist zu hinterfragen, inwieweit eine lebendige Sammeltätigkeit Voraussetzung für die Erhaltung ist und in welcher Form Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie institutionelle Sammlungen tätig werden können. Nur wenige ehemals regierende Häuser wurden in ihrer Entwicklung nach 1918 wissenschaftlich untersucht3, und auch das Haus Hannover fand diesbezüglich vor allem Berücksichtigung in der Presse. Einzelne Verkäufe riefen starke Reaktionen hervor, die auch eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen Objekten und deren Geschichte beinhalteten. Dies gilt in besonderem Maße für das so genannte „Evangeliar Heinrichs des Löwen“, den so genannten „Welfenschatz“ sowie das Silberservice Friedrich Wilhelms von Westphalen. Weitere Objekte, welche sich bereits seit der Zeit vor 1918 in musealer Verwahrung befinden, erfuhren in Einzelfällen innerhalb dieser institutionellen Sammlungen Beachtung. Häufig steht jedoch die historische Einbindung in den Kontext der Adelssammlungen hinter einer kunsthistorischen Beschreibung zurück. Biographische Stationen, auch nach 1918, werden zwar in der Regel erwähnt, die Einordnung in den Zusammenhang einer sich wandelnden Sammeltätigkeit und/oder veränderter Bedeutungsebenen und deren Ursachen fehlt jedoch. Dies gilt ebenfalls für Publikationen zu Bauwerken aus (ehemals) welfischem Besitz: In der Regel beziehen sich diese auf die Bau- und Umbauphasen und geben meist nicht einmal Auskunft über einen Besitzerwechsel. Einrichtungsgegenstände werden kaum erwähnt. Eine Ausnahme bildet die Untersuchung zur „Braunschweiger Hofkultur 1830-1918“ durch Wedemeyer/Willemsen4, welche, über die im Titel genannte Zeitspanne hinaus, detailreiche Informationen zu Bau und Ausstattung des Residenzschlosses in Braunschweig auch nach 1918 bietet. Die vorliegende Arbeit möchte, im Rahmen ihrer Fragestellung, diese bisherigen Forschungen um einen Überblick zur Entwicklung der welfischen Sammlungen nach 1918 ergänzen.
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Von Rohr stellt fest, dass sich zahlreiche Familienarchive adliger Häuser in Staatsarchiven befinden oder in Familienbesitz verblieben, vgl. von Rohr 1977, S. 21; das Familienarchiv des Hauses Hannover wird im Niedersächsischen Staatsarchiv bewahrt, verblieb jedoch im Eigentum des Hauses. Einsicht ist nur mit Genehmigung des Chefs des Hauses möglich und wird selten gewährt. Auch diese Arbeit verzichtet auf die Auswertung dieser Bestände. Wedemeyer/Willemsen.
O BJEKTE DER W ELFEN – B IOGRAPHIEN UND B EDEUTUNG
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B IOGRAPHISCHE W ENDEPUNKTE „If one recalls the history of the Brunswick family over the last hundred and twenty years, the split between England and Hanover in 1837, the defeat of the Hanoverians in the war against Prussia of 1866 and their subsequent exile from Germany, the events of 1918 and of 1945, this exhibition [Victoria & Albert Museum 1952, Anm. U.S.] will be seen in its true perspective. Taking these circumstances into consideration, it can be said that its quality and extent were as remarkable as they were gratifying.“5 L.G.G. RAMSEY
Die Geschichte des Hauses Hannover mitsamt dessen Besitz ist nach 1918 stark von politischen und gesamtgesellschaftlichen Wendepunkten geprägt: Revolution, Wirtschaftskrise, nationalsozialistische Herrschaft, Zweiter Weltkrieg, Nachkriegszeit und deutsche Teilung sowie Wiedervereinigung. Darüber hinaus ist es jedoch für das Verständnis der Bindungen dieser Familie zu ihren Sammlungen nötig, auf zwei wesentliche Entwicklungen vor 1918 hinzuweisen: der Verlust des Königreiches Hannover 1866 und in dessen Folge die Problematik um die Thronfolge für das Herzogtum Braunschweig nach dem Tod Wilhelms von Braunschweig 1884, welcher zudem zur Zusammenführung des Besitzes in der Hand einer Linie der Welfen führte 6. Der Verlust des Königreichs Hannover 1866 und seine Folgen Gemeinsam mit den Regenten des Kurfürstentums Hessen, des Herzogtums Nassau und der freien Stadt Frankfurt gehörte die in Hannover regierende Königsfamilie zu den Verlierern der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich7. Diese fand nach der Niederlage der Österreicher bei Königgrätz und dem Kapitulationsver-
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Ramsey, S. 93. Beide Ereignisse können an dieser Stelle nicht umfassend, sondern vor allem in Hinblick auf ihre Relevanz für die Besitzverhältnisse des Hauses Hannover untersucht werden. Vgl. Bertram, S. 129; man sprach infolge von den „Depossedierten“, welche „im Unterschied zu den rechtlichen Absicherungen der Standesherren durch Art. 14 der Wiener Bundesakte von 1815 in der Regelung ihrer Rechte nur auf ihre privaten Hausgesetze verwiesen“ waren, von Hoyningen-Huene, S. 12-13; in Hessen-Kassel sowie Nassau sah die Bevölkerung dies vorwiegend positiv, in Hannover und Frankfurt dagegen kritisch, vgl. Nöll von der Nahmer, Robert: Bismarcks Reptilienfonds. Aus den Geheimakten Preußens und des deutschen Reiches, Mainz 1968, S. 17f; für ausführlichere Informationen vgl. auch Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869; Aschoff, Hans-Georg: Die Welfen. Von der Reformation bis 1918, Stuttgart 2010.
438 | S AMMLUNGEN DES A DELS trag Hannovers vom 29. Juli 18668 ihren abschließenden Höhepunkt. Im Juni war Georg (V.) von Hannover bereits zu einem Jagdschloss seines Schwiegervaters nahe Jena aufgebrochen, von wo aus er schließlich in das bereits besiegte Österreich weiterreiste9. Für den konservativ und traditionell eingestellten Georg (V.) von Hannover, der stark an der Geschichte der Welfen interessiert war und an deren von Gott gegebenen Stellung glaubte10, war der Verlust Hannovers nicht dauerhaft zu akzeptieren: „Die Tradition der Welfen fortzusetzen und den Ruhm ihres Namens zu mehren, hielt er für eine verpflichtende Aufgabe.“11 In zweifacher Hinsicht verlangte daher der Schritt ins österreichische Exil und das mit diesem verbundene Zurücklassen seines Königreiches, mitsamt der meisten repräsentativen Immobilien12, kompensatorische Maßnahmen. Diese bestanden zunächst in dem Versuch, möglichst umfangreichen Besitz vor der Einverleibung durch Preußen zu bewahren. Gleichzeitig sollte ein offizieller Verzicht auf den Thron in Hannover vermieden werden.
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Der Vertrag legte fest, dass Georg (V.) von Hannover das Königreich Hannover nicht mehr betreten durfte, vgl. Aschoff, S. 260; vgl. Bertram, S. 127. 9 Laut Bertram zögerte er zunächst, die Einladung Franz Josephs (I.) Erzherzog von Österreich König von Böhmen König von Ungarn König von Kroatien-Slawonien und Dalmatien Kaiser von Österreich nach Wien anzunehmen, entschied sich jedoch für diesen Schritt, der das Verhältnis zu Preußen weiter belasten musste, Bertram, S. 128. 10 Vgl. Bertram, S. 86 und S. 101; vgl. Brosius, Dieter: Die Blindheit König Georgs V., in: Keindorf/Moritz, S. 14f, der das feststehende konservative Weltbild des Königs u.a. mit dessen Blindheit begründet; vgl. zum Geschichtsinteresse Georgs (V.) von Hannover und diesbezüglichen Projekten während seiner Regierungszeit (welche einerseits familiengeschichtlich relevante Orte betrafen, andererseits den Ausbau der Denkmalpflegeeinrichtungen des Landes), Keindorf, Gudrun/Moritz, Thomas: Vorwort, in: Keindorf/Moritz, S. 7f. 11 Bertram, S. 86; „Eine solche Entthronung stellte eine schwerwiegende Verletzung des monarchischen Prinzips dar. Die Fürsten besaßen ihre Throne ‚von Gottes Gnaden‘. Sie der Throne zu berauben, bedeutete einen Eingriff in die göttliche Vorsehung.“, Nöll von der Nahmer, S. 22-23; vgl. Stickler, S. 405. 12 Im Dezember 1866 wurde dem königlich-hannoverschen Haus-Ministerium die Verwaltung der Schlösser, Gärten und Gebäude (sowie der Jagden) entzogen, bevor das Ministerium selbst aufgelöst wurde, vgl. Klopp, S. 31; bestätigt durch § 3, Vertrag über die Vermögensverhältnisse Sr. Majestät des Königs Georg V., unterzeichnet in Berlin am 29. September 1867 von den Bevollmächtigten (für Hannover Staatsminister a.D. von Windhorst, für Preußen der Geheime Legationsrat König und der Geheime Oberfinanzrat Wollny), abgedruckt in: Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869, S. 50-55, folgend: Vermögensvertrag Hannover 1867; es handelte sich zahlreiche Schlösser, wie das Leineschloss und das nie bezogene Welfenschloss in Hannover, die Schlösser in Celle, Göhrde und Hannoversch Münden: „In der einstigen Residenzstadt Hannover und auch in den ehemals zum Königreich Hannover gehörenden Regionen des Landes Niedersachsen sind die sichtbaren Erinnerungen an die Dynastie der Welfen – Schlösser, Theater- und Verwaltungsbauten, Museen, Denkmäler und anderes mehr – trotz mancher Verluste noch heute überaus zahlreich [...]“, Brosius, Dieter: Das „angestammte Herrscherhaus“: Welfische Traditionspflege nach der preußischen Annexion Hannovers 1866, in: Biskup/Kohlrausch, S. 59.
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Wesentliche Grundlagen – auch für die Zeit nach 1918 – legte diesbezüglich ein im September 1867 abgeschlossener Vermögensvertrag13. Nöll von der Nahmer sieht diese Regelung in der engen Verwandtschaft zwischen den Häusern Hannover und Preußen sowie in der Beziehung des Hauses Hannover zum englischen Thron begründet14, und Bringmann hält den Wunsch Preußens, auf diesem Weg auf das nach England verbrachte Vermögen zugreifen zu können, für den ausschlaggebenden Grund, einen solchen Vertrag zu schließen15. Die Voraussetzungen für die rechtliche Vermögensregelung waren bereits im ersten Artikel des Kapitulationsvertrages von Langensalza geschaffen worden, welcher festlegte, dass das Privatvermögen/das Hausvermögen dem König zur freien Verfügung verbleibe16. Klopp führt dazu aus, dass sich in Hannover das Domanium des Königreiches (und damit auch die Verpflichtungen gegenüber dem Land) aus Besitz zusammengeführter Welfenlinien sowie aus Privatkäufen zusammensetzte, was durch Hausverträge der Jahre 1636, 1640, 1646 und 1688 festgelegt wurde17: „Es folgt daraus, dass die Fürstenhäuser, welche sich im Besitze der Landeshoheit befanden, verpflichtet waren, die Ausgaben für die Ausübung der Landeshoheit zunächst aus den Aufkünften ihres Eigenthums zu decken. Es folgt aber auch daraus, daß da, wo diese Landeshoheit ihnen entzogen wurde, auch ihr Eigenthum ihnen voll und ungeschmälert zurückgestellt werden mußte.“18
Da Preußen Georg (V.) von Hannover nun als Privatperson betrachtete, war es nach Sichtweise des Zeitgenossen (sowie Archiv- und Hofrates in Hannover) Klopp, somit verpflichtet, „ihm sein volles Privateigenthum auszuliefern. Sie [die Krone Preußen] war [...] dazu verpflichtet, nach den allgemeinen Grundsätzen des menschlichen Rechtes, nach der positiv nachgewiesenen Qualität des hannöverschen Domaniums als Familien-Fideicommis des königlichen Hauses, nach der Analogie der Thatsachen des Rheinbundes, und gemäß der Capitulation von Langensalza.“19
13 Vgl. Vermögensvertrag Hannover 1867. 14 Nöll von der Nahmer, S. 23 u. S. 26. 15 Bringmann, Wilhelm: Die braunschweigische Thronfolgefrage. Eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung der Rechtmäßigkeit des Ausschlusses der jüngeren Linie des Welfenhauses von der Thronfolge in Braunschweig 1884-1913, Europäische Hochschulschriften: Reihe 3, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, Band 377, Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris 1988 (zugleich Dissertation Universität Hamburg 1988), S. 47. 16 Vgl. Klopp, S. 16; vgl. Bertram, S. 131; vgl. Steckhahn, S. 36; der Kapitulationsvertrag sprach Georg (V.) von Hannover jedoch nicht das Kronvermögen zu, so dass in den Vermögensverhandlungen geklärt werden musste, was genau zum Privat- und was zum Kronvermögen gehörte, wovon auch das Welfenmuseum, das Münzkabinett und die Bibliothek betroffen waren, vgl. Jaitner, S. 398ff. 17 Klopp, S. 16f; vgl. auch Schulze, S. 365ff. 18 Klopp, S. 18. 19 Klopp, S. 20.
440 | S AMMLUNGEN DES A DELS Schnath weist dem entgegengesetzt darauf hin, dass im Gegensatz zu Preußen „die hannoverschen Verfassungsgesetze nicht klar genug definierten, was als Kron- bzw. Privatvermögen des Königs zu gelten habe ... Während das Hausgesetz von 1836 diesen Vermögenstitel auf ein Minimum beschränkte [...], werde nun nach der Entthronung alles, was von den Vorfahren ererbt worden sei an Kapitalien, Mobilien, Immobilien [...] Privatvermögen.“20
Er stellt für die Zeit vor der Absetzung durch Preußen drei Kategorien des Vermögens Georgs (V.) von Hannover fest, welche in den Verhandlungen zum Vertrag berücksichtigt werden mussten. Es handelte sich erstens um uneingeschränkt als Privatvermögen anzuerkennende Vermögensteile wie solche, die er bereits vor der Thronbesteigung besessen hatte, und aus laufenden Mitteln erworbene Objekte. Zweitens gab es das Haus- und Familiengut aus Fideikommissen und (zum Teil institutionalisierten) Sammlungen. Schließlich war ein weiterer Besitzteil, nämlich Fideikommissbesitz wie Domänen, Schlösser, die Silberkammer und die Bibliothek, auch mit dem Land verbunden21. Zum Vermögen des Königs gehörten auch Wertpapiere mit einem Wert von ca. 9 Millionen Talern, welche er nach England hatte bringen lassen, sowie um 600.000 Pfund englischer Stocks. Beides wurde zunächst durch Preußen beschlagnahmt22. Die hier kurz skizzierten Hintergründe zum Besitz Georgs (V.) von Hannover sowie die unterschiedlichen Haltungen gegenüber diesem unterstreichen die Problematik der Vermögensverhältnisse deutscher Fürsten, welche erneut nach 1918 zum Tragen kam. Durch den Verlust des Thrones 1866 kam es für das Haus Hannover zu einer Vermögensregelung, welche dazu führte, dass Teile des Besitzes dieser Familie nach 1918 weitgehend unangetastet blieben. Der Vertrag legte eine, zunächst von Preußen verwahrte, Abfindungssumme von 16 Mio. Talern fest, von welcher Georg (V.) von Hannover jedoch nur Zinserträge zukommen sollten23. Des Weiteren sollte das Schloss Marienburg als Privateigentum Maries von Hannover unangetastet bleiben24. Das Schloss Herrenhausen „nebst Zubehör“ und die Domäne Calenberg gehörten zwar ebenfalls weiterhin der Familie, blieben allerdings „so lange in preußischer Verwaltung, bis Seine Majestät der König Georg V. auf die hannöversche Königs-
20 Schnath, S. 222. 21 Schnath, S. 224. 22 Klopp, S. 20f und S. 25; § 2, Vermögensvertrag Hannover 1867 spricht Georg (V.) von Hannover die englischen Stocks zu, die Wertpapiere lieferte er im November 1867 an Preußen aus, vgl. Klopp, S. 66; vgl. Bringmann, S. 47. 23 Die Geldsumme sollte er als Abfindung für verlorene Einnahmequellen erhalten, davon 11 Mio. Taler in preußischen Staatspapieren und 5 Mio. Taler Courant als Barsumme, beides jedoch zunächst unter preußischer Verwahrung mit einer halbjährlichen Auszahlung der auf die 5 Mio. Taler anfallenden Zinsen, § 4, Vermögensvertrag Hannover 1867; vgl. Nöll von der Nahmer, S. 26; vgl. Steckhahn, S. 36; vgl. Bringmann, S. 47; vgl. Jaitner, S. 400. 24 Vgl. Bertram, S. 131; vgl. Zimmermann, Paul: Ernst August. Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Hannover 1929, S. 12; Schloss Marienburg wurde jedoch unter preußische Verwaltung gestellt, da man dort eine welfische Verschwörung vermutete, vgl. Klopp, S. 41.
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krone für Sich und Seine Erben ausdrücklich verzichtet.“25 Dies zu vermeiden war jedoch ausgesprochenes Ziel Georgs (V.) von Hannover, welcher betonte, der mit Preußen geschlossene Vermögensvertrag sei kein Dokument der Anerkennung der Annexion, sondern allein ein Vertrag zur Vermögensregelung26. Da er keine Möglichkeit hatte, das einzig verfügbare Schloss Marienburg zu nutzen und zudem die festgelegte Abfindungssumme zunächst unter preußischer Verwahrung blieb, war § 7 des Vermögensvertrages von besonderem Wert für ihn und seine Familie. Ihm verblieb: „1. der gesammte bewegliche lebende oder leblose Inhalt sämmtlicher königlichen Schlösser, Gärten und zur Hofhaltung bestimmten Gebäude, namentlich also auch derjenigen Schlösser, Gärten und zur Hofhaltung bestimmten Gebäude, welche Allerhöchstdemselben nicht vorbehalten sind, soweit dieser Inhalt nicht unbestrittenes Staatseigenthum ist. Zu diesen seiner Majestät dem Könige Georg V. verbleibenden Objecten gehören: a) die in der Anlage 3 ad 1-12 verzeichneten Sammlungen; b) alle zur Hofhaltung bestimmten Inventarien und Ameublements mit alleiniger Ausnahme der Inventarien des Hoftheaters in Hannover; c) das Silbergeräth (die sogenannte Silberkammer) mit dem Silbercapitale; d) der gesammte Juwelenschatz; e) alle auf das königliche Haus und die demselben verbleibenden Besitzthümer bezüglichen Documente und Acten, deren Ausscheidung durch beiderseits zu ernennende Bevollmächtigte bewirkt werden soll. Seiner Majestät dem Könige Georg V. verbleiben ferner: 1. Das mit Seiner Hoheit dem Herzoge zu Braunschweig und Lüneburg gemeinschaftliche Allfürstlich Braunschweigisch-Lüneburgische Allodium; 2. Das im § 12 des Königlich Hannoverschen Gesetzes vom 24. März 1857, betreffend die Einführung eines neuen Finanz-Capitels der Landes Verfassung erwähnte Vermögen der Königlichen Schatullcasse und der zugehörigen sogenannten kleinen englischen Casse; 3. Das Königliche Ernst-August-Fideicommiß, bestehend aus Capitalien, Juwelen, Silbergeräth, Kunstwerken usw.; 4. Alle von seiner Majestät dem Könige Georg V. vor und nach Seiner Thronbesteigung aus Seinen Privatmitteln (einschließlich der jährlichen Bedarfssumme) erworbenen beweglichen Gegenstände, sowie die Baarbestände und Werthpapiere Allerhöchstseiner Hand- und Schatullcasse.“27
Die Regelung ermöglichte der Familie unter anderem, die 1866 zum Schutz vor preußischer Beschlagnahme in einem Gewölbe des Leineschlosses eingemauerten Objekte der Silberkammer nach Österreich zu überführen28. Wie sämtlicher mobiler Besitz wurden auch die als Sammlungen bezeichneten (institutionalisierten) Bestände Georg (V.) von Hannover zugesprochen. Sie waren im Gegensatz zu Domänenbesitz in den Verhandlungen kaum behandelt worden29. So konnten das Münzkabinett, der
25 § 1, Vermögensvertrag Hannover 1867. 26 Ein am 10. Oktober 1867 von Staats- und Justizminister a.D. Windhorst verfasstes juristisches Gutachten sollte dies unterstützen, vgl. Klopp, S. 55; vgl. Bringmann, S. 47; vgl. von Alvensleben/Reuther, S. 20; die Erhaltungskosten waren bis 1923 jedoch von der Welfenfamilie zu tragen, vgl. von Alvensleben/Reuther, S. 79. 27 § 7, Vermögensvertrag Hannover 1867; vgl Jaitner, S. 400. 28 Vgl. Bertram, S. 119. 29 Schnath, S. 224f.
442 | S AMMLUNGEN DES A DELS Reliquienschatz (der so genannte „Welfenschatz“) und – durch Marie von Hannover persönlich – das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ nach Österreich gelangen30. Für die zukünftigen Generationen war auch von Bedeutung, dass sämtliche dem Fideikommiss des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg zugehörigen Gegenstände diesem verblieben und gemäß der bisherigen Regeln der Unteilbarkeit und Vererbbarkeit nach den Regeln der Primogenitur weiterbestanden31. Es wird deutlich, dass die Stellung Georgs (V.) von Hannover und seiner Familie (sowohl gesellschaftlich als auch finanziell) als Vertreter des Hochadels zunächst in keinster Weise in Frage gestellt oder angetastet wurde32. Im Gegensatz zu dieser Haltung legte im Frühjahr 1868 die Verordnung der Beschlagnahme des königlichen Vermögens33 fest, dass sämtliche Georg (V.) von Hannover zugesprochenen „Werthobjecte“ auf preußischem Boden, inklusive des aus England zurückgeführten Vermögens und der aus diesem zu beziehenden Zinsen, beschlagnahmt wurden34. Begründet wurde dieser Schritt, der für die Welfen enorme finanzielle Auswirkungen hatte35, mit antipreußi-
30 Vgl. Jaitner, S. 401; vgl. Schnath, S. 225ff; vgl. Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 14; der „Welfenschatz“, das Evangeliar sowie die Münzsammlung und einige Gemälde, die nach Österreich überführt wurden, befanden sich vorher im Welfenmuseum, vgl. Ausstellungskatalog Hannover 1956: Sonderausstellung im Kestner-Museum, 3. Dezember 1956 - 17. März 1957, Welfenschatz, Schatz der goldenen Tafel, Lüneburger Ratssilber, Hildesheimer Silberfund, Hannover 1956, S. 18; „[...] ein als unbedeutend ausgesonderter Teil [des Welfenschatzes], darunter über 50 Reliquien ohne Gefäß, in Taschen, Seidenstoffen, Leinen oder Papier, die in Schachteln gelegt werden, bleibt im Welfenmuseum zurück.“, Kötzsche, S. 12. 31 § 11, Vermögensvertrag Hannover 1867. 32 Vgl. Nöll von der Nahmer, der sogar davon ausgeht, dass die Einkommenssituation sowohl Georgs (V.) von Hannover als auch der zwei weiteren entthronten Fürsten besser war als zu Zeiten ihrer Regierung, Nöll von der Nahmer, S. 26 u. S. 57f; diese war also nicht allein abhängig von seiner Rolle als König, welche ohnehin bereits während seiner Regierungszeit vielfältig angezweifelt wurde, vgl. Bertram, S. 87; Bringmann vermutet hinter dem Erhalt einer finanziell sowie standesgemäß zufriedenstellenden Lösung den Wunsch Preußens, die „Welfentreuen“ in Hannover zu besänftigen, Bringmann, S. 48. 33 Verordnung der Beschlagnahme des königlichen Vermögens, 2. März 1868, abgedruckt in: Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869, S. 120-123, folgend: Beschlagnahmeverordnung Hannover 1868. 34 § 1, Beschlagnahmeverordnung Hannover 1868, davon waren auch diejenigen Objekte betroffen, die bereits an Dritte weitergegeben worden waren; ein Gesetzesentwurf über diese Beschlagnahmung wurde sowohl im preußischen Haus der Abgeordneten als auch im Herrenhaus angenommen und zwei diesbezügliche Gesetze wurden am 15. Februar 1869 sanktioniert, vgl. Klopp, S. 197ff u. S. 210; Proteste Georgs (V.) von Hannover an die Souveräne Europas blieben weitgehend ohne Reaktion, vgl. Klopp, S. 146 und S. 211; vgl. Nöll von der Nahmer, S. 50f; vgl. Zimmermann, P., S. 12; vgl. Bringmann, S. 48; betroffen waren auch Welfenmuseum, Kupferstichkabinett und Bibliothek, vgl. Jaitner, S. 402. 35 Schnath spricht von einem Verlust von 20 Mio. Talern, Schnath, S. 229.
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schen Aktionen, welche von Georg (V.) von Hannover organisiert worden seien36. Des Weiteren hatte dieser nie die Annexion Hannovers durch Preußen anerkannt37. Nach dem Tod Georgs (V.) von Hannover 1878 hielt Ernst August, der sich Herzog von Cumberland Herzog zu Braunschweig-Lüneburg nannte und den Zusatz königliche Hoheit trug, die Ansprüche seines Vaters auf den Thron in Hannover aufrecht38. Die im gleichen Jahr mit Thyra von Dänemark geschlossene Ehe betonte, auch über zehn Jahre nach dem Verlust des Thrones, die Stellung des Hauses Hannover innerhalb des europäischen Hochadels. Die Haltung Ernst Augusts von Cumberland wurde von Preußen als Argument genutzt, die Beschlagnahmung des Vermögens aufrechtzuerhalten. Marie von Hannover sowie ihre damals unverheirateten Töchter erhielten jedoch ab diesem Zeitpunkt eine jährliche Apanage aus dem so genannten „Welfenfonds“39. Erst 1892 wurde das Vermögen schließlich freigegeben40. Betroffen waren von der veränderten Situation auch Objektbestände wie beispiels36 Die Frage nach Form und Ausmaß dieser Aktionen wird an dieser Stelle nicht weiter untersucht, in der Literatur jedoch unterschiedlich bewertet: Nöll von der Nahmer geht davon aus, dass bereits aus Wien durch die welfische Familie eine Untergrundbewegung in Hannover organisiert wurde. Er geht außerdem auf die so genannte „Welfenlegion“ ein, Nöll von der Nahmer, S. 30ff; vgl. auch Zimmermann, P., S. 13; vgl. auch Bringmann, S. 123f; Bringmann geht davon aus, dass aber selbst Otto Fürst von Bismarck Herzog zu Lauenburg von der Ungefährlichkeit dieser Gruppierung überzeugt war, Bringmann, S. 124; Aschoff betont, dass gerade die Beschlagnahme antipreußische Propaganda der „Welfentreuen“ hervorrief und „auch von Kreisen, die dem entthronten König nicht nahestanden, als ein offenkundiges Unrecht empfunden“ wurde, Aschoff, S. 262. 37 Vgl. Aschoff, S. 261; dies war nicht ungewöhnlich, wie auch Mehrkens feststellt: „Längst nicht alle entthronten und exilierten Monarchen fanden sich nämlich mit ihrem Schicksal ab, das lässt sich unter anderem daraus ersehen, wie vehement sich die Regenten gegen einen Thronverzicht wehrten [...]“, Mehrkens, S. 39. 38 Vgl. Aschoff, S. 263f; vgl. Zimmermann, P., S. 13f; vgl. Bringmann, S. 57; Bringmann beschreibt die Problematik des entsprechenden Notifikationsschreibens und dessen Rezeption darüber hinaus ausführlich, vgl. Bringmann, S. 68ff und S. 77ff. 39 Vgl. Nöll von der Nahmer, S. 60; 1878 regten die preußischen Minister für Justiz, Finanzen und Kultus ein Ende der Beschlagnahme an, ebenso war dies bereits 1872 von Seiten der preußischen Finanzverwaltung in Hannover der Fall gewesen, beides wurde jedoch abgelehnt, vgl. Bringmann, S. 49. 40 Vgl. Schnath, S. 230; vgl. Aschoff, S. 265; vgl. Nöll von der Nahmer, S. 54; vgl. Jaitner, S. 402; allerdings war die Summe durch Herabsetzung des Zinssatzes preußischer Staatsanleihen in der Zwischenzeit verringert worden, vgl. Nöll von der Nahmer, S. 60; zur strittigen Verwendung des beschlagnahmten Vermögens durch Preußen vgl. Nöll von der Nahmer, S. 55ff und S. 60ff; z.T. wurden aus diesem Vermögen auch Gehälter und Pensionen aus hannoverschen Diensten übernommener Bediensteter beglichen sowie Verwaltungskosten für Anlagen wie Herrenhausen, vgl. Nöll von der Nahmer, S. 71; diese waren jedoch laut § 5, Vermögensvertrag Hannover 1867 durch Preußen zu begleichen; trotz der Einschränkungen verbesserte sich die finanzielle Situation der Familie durch den Erhalt der Zinsen, vgl. Steckhahn, S. 70; wenige Tage vor der gesetzlich verankerten Aufhebung der Beschlagnahmung hatte Ernst August von Cumberland die Erklärung abgegeben, dass er „keinerlei feindselige Unternehmungen fördern oder gutheißen würde“, Bringmann, S. 52.
444 | S AMMLUNGEN DES A DELS weise die Kupferstich-Sammlung, die Bibliothek und die Objekte des Welfenmuseums, das infolge der preußischen Annexion Hannovers aufgelöst und an verschiedenen Stellen untergebracht worden war41. Durch einen Vertrag Ernst Augusts von Cumberland mit der Provinz Hannover und Preußen kam es zum Verbleib dieser Bestände als Leihgaben im Provinzialmuseum42. Trotz der finanziellen Einschränkungen, welche sich durch die Beschlagnahmung von Vermögensteilen durch Preußen ergaben, war es Georg (V.) von Hannover und seiner Familie möglich, sich im Ausland ein standesgemäßes Leben aufzubauen43. Als erster Wohnsitz diente ihm (und seinem Sohn) zunächst eine Villa in Hietzing, welche Wilhelm von Braunschweig gehörte44. Etwas später zog er in das Palais Lothringen, in direkter Nähe des Schlosses Schönbrunn, um und konnte dieses sowie Nachbargebäude zu weiterem Ausbau erwerben45. Ab 1868 wurde die Villa Thun (später Königinvilla genannt und Witwensitz Maries von Hannover) in Gmunden zum Sommersitz der Familie46. Der Anspruch einer angemessenen Lebensführung fand hier schließlich seine Umsetzung in der Etablierung eines Hoflebens sowie im Einfluss nehmenden Engagement (mitsamt der Vergabe großzügiger Geschenke) Georgs (V.) von Hannover im städtebaulichen und kirchlichen Bereich47. Teil dieses von Gabe und Gegengabe geprägten Verhaltens waren auch festliche Empfänge als Willkommensgruß nach Abwesenheit der Familie sowie die Benennung von Straßennamen nach dieser48. Während die Hofhaltung in Österreich dazu diente, die Stellung Georgs (V.) und Maries von Hannover trotz des Thronverlustes zu verdeutlichen, kam auch in Hannover die repräsentative Darstellung des Königs nicht zu einem sofortigen Ende: einem Porträtgemälde des Königspaares, welches den betenden König in typischer (seine Blindheit kaschierenden) Pose zeigt, können Stellvertreterfunktionen zuge41 Vgl. Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 59f; vgl. Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000, S. 44ff; vgl. Schnath, S. 229f. 42 Vgl. Schnath, S. 230; ergänzt wurden sie später durch die Fideikommiss-Galerie, vgl. Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 60; Stuttmann bezeichnet diese als „großen Teil des Gemäldebestandes“ des Hauses Braunschweig-Lüneburg, Stuttmann, Ferdinand: Meisterwerke der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover, Honnef (Rhein), o.J. (1960), S. 12. 43 Vgl. Aschoff, S. 263; interessant ist der Vergleich zur Untersuchung Grillmeyers, der die Bemühungen der Familie Thurn und Taxis beschreibt, auch nach der Mediatisierung ein den regierenden Familien gleichgesetztes Leben zu führen, wobei soziokulturelle Maßnahmen einen hohen Stellenwert hatten, vgl. Grillmeyer, S. 235. 44 Vgl. Zimmermann, P., S. 13. 45 Vgl. Aschoff, S. 260; vgl. Zimmermann, P., S. 13; vgl. Steckhahn, S. 35f; das Anwesen wurde daraufhin Palais Cumberland genannt. 46 Vgl. Zimmermann, P., S. 13; ab 1878 wurde Gmunden zum ständigen Wohnsitz der Familie, ab 1879 lebte sie in der Villa Klusemann, vgl. Zimmermann, P., S. 15. 47 Vgl. Spitzbart, Ingrid: König Georg V. von Hannover und seine Familie im Gmundener Exil, in: Keindorf/Moritz, S. 67f. 48 Vgl. Spitzbart, S. 70, S. 72 und S. 74.
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schrieben werden. Es fand in der Kapelle des Celler Schlosses Aufstellung, welche Georg (V.) von Hannover hatte restaurieren lassen. Der Einweihung konnte er jedoch durch seinen Exilaufenthalt nicht mehr selbst beiwohnen49. Die in Österreich neu etablierte Hofhaltung wurde durch Ernst August von Cumberland fortgeführt. Sie fand eine letzte Steigerung in der 1886 abgeschlossenen Errichtung des Schlosses Cumberland in Gmunden, welches wesentliche repräsentative Aufgaben der exilierten Familie übernahm 50: „Der Herzog richtete einen Hofstaat mit über 170 Funktionsträgern ein; es entwickelte sich ein Hofleben, das dem eines regierenden Hauses ähnlich war.“51 Sowohl die Errichtung historistischer Bauten als auch die bewusste Auseinandersetzung mit Aufgaben der Heimat- und Denkmalpflege waren bereits in Hannover Bausteine welfischer Repräsentation und der Betonung auf Geschichte und Tradition fußender Macht52. Ein Schlossneubau stärkte die neue Verbindung der Familie in Österreich bei gleichzeitiger Demonstration ihrer historisch gewachsenen Position. Diese Aufgabe verdeutlichen zahlreiche Fotos, die vom Schloss, dessen Inneneinrichtung sowie ausgewählten Sammlungsbeständen angefertigt und veröffentlicht wurden53: „Der überwiegende Teil dieser Bilder weist einerseits durch seinen Inhalt immer wieder auf die Bedeutung der Welfen in der Vergangenheit hin. Andererseits wird aber auch der hohe Rang des Fürstenhauses Braunschweig und Lüneburg in der Gegenwart herausgestellt. Sie dienen damit als publizistische Instrumente, in der Darstellung des Selbstbewusstseins und des Selbstverständnisses der Welfen unter Herzog Ernst August von Cumberland.“54
Wie bereits Georg (V.) von Hannover, war Ernst August von Cumberland sehr an der Geschichte der Welfen interessiert55. Neben der Fotografie waren Kunstwerke, Einrichtungs- und Erinnerungsstücke, die teilweise der Forschung und/oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, Elemente der Selbstversicherung einer politisch entmachteten Familie. Das repräsentative Schloss Cumberland, mitsamt seiner Aus49 Vgl. Busch, R., S. 23f; die Blindheit Georgs und sein Verständnis einer ihm von Gott gegebenen Herrscherposition standen in enger Wechselwirkung zueinander und fanden auch Ausdruck in ebensolchen Porträts, vgl. Busch, R., S. 21. 50 „Schloss Cumberland ist [...] der größte und bedeutendste Schlossbau des Historismus in Oberösterreich.“, Steckhahn, S. 60. 51 Aschoff, S. 265; vgl. auch Steckhahn, S. 92f; vgl. auch zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 85. 52 Zu einer solchen Funktion von Bauwerken unter Georg (V.) von Hannover vgl. Moritz, Thomas: „Hannoversche Identitätsstiftungen“, Geschichte und Bauwerke als Instrumente der Macht im Königreich Hannover unter Georg V., in: Keindorf/Moritz, S. 113-127; in Hannover mussten die Welfen ihre Position nach der durch die Personalunion mit England verursachten Abwesenheit neu verdeutlichen, Georg (V.) von Hannover hatte seit seiner Übernahme der Regierung 1851 bewusst Bauwerke zu diesem Zweck errichten lassen (ohne dass, laut Moritz, die kalkulierte Wirkung eindeutig belegbar sei), Moritz, S. 116ff. 53 Auch die weiteren österreichischen Besitzungen wie die Villa Clusemann, die Königinvilla und weitere Gebäude wurden derart in die Öffentlichkeit gerückt, Steckhahn, S. 45f. 54 Steckhahn, S. 46. 55 Vgl. Steckhahn, S. 65.
446 | S AMMLUNGEN DES A DELS stattung und vollständigem Hofstaat, ermöglichte das Aufrechterhalten standesgemäßen Lebens und bildete die Bühne, welche für die Rollen einer königlichen Familie im Sozialgefüge des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts benötigt wurde56. Bezüglich ihrer Funktion als Elemente sozialen Verhaltens ist außerdem den zahlreichen Geschenken so genannter „Welfentreuer“ Bedeutung zuzumessen: „Häufige Besuche in Wien und später in Gmunden am Traunsee, das fast den Charakter einer Wallfahrtstätte annahm, hielten den Kontakt zu ihm [dem Welfenhaus] aufrecht; Glückwünsche und Geschenke zu Geburtstagen, Jubiläen oder zum Jahreswechsel erreichten Georg V. und seine Angehörigen in großer Zahl; der Dank erfolgte prompt, in Wendungen, die sich in nichts von der zeremoniellen Sprache eines regierenden Herrschers unterschieden.“57
Die Objekte, die keineswegs immer von hohem materiellem Wert waren, sondern beispielsweise häufig Fotografien, ermöglichten es, bisherige Verhaltensweisen von Gabe und Gegengabe aufrechtzuerhalten58. Als Gegengabe dienten ebenfalls nicht selten Fotografien, wie Aufnahmen des Schaubuffets zur Silberhochzeit Georgs (V.) und Maries von Hannover, welche gleichzeitig repräsentative Zwecke erfüllten59. Die stark an die Rolle als Landesherr in Hannover geknüpfte Identität des Adelshauses konnte auf diese Weise, trotz des tatsächlichen Verlusts dieser Aufgabe, erhalten bleiben. Entsprechende Aufgaben als Mittel sozialen Verhaltens sowie der Erinnerung erfüllten Objekte auch für die nächste Generation. Zur Silberhochzeit im Dezember 1903 erhielten Ernst August von Cumberland und seine Frau Thyra von Dänemark durch „Welfentreue“ aus Hannover einen Tafelaufsatz in Form eines „Lebens- oder Glücksschiffes“. Das Silberobjekt verbindet in der Form eines Schiffes das Pferd als Wappentier der Familie mit der Aufschrift „Hannovera“ und wies auf deren – wenn auch nicht ausgeführte – Position als Könige von Hannover und Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg hin60. Weitere Erinnerungsobjekte aus Hannover betonten die Signifikanz sowohl der verlorenen Stellung als auch des Ortes. Auf diese Weise waren sie Teil der Legitimation einer strikten Haltung bezüglich des nie geleisteten Thronverzichts. Stadtansichten und Fotografien sowie Familienporträts
56 Die „Bühne“ bot gleichzeitig den passenden Rahmen für Familienfeierlichkeiten, so z.B. die 1900 geschlossene Hochzeit Marie-Luises Prinzessin von Cumberland Prinzessin von Großbritannien und Irland Prinzessin von Baden mit Max von Baden, zu welcher zahlreiche Persönlichkeiten des Hochadels anwesend waren, vgl. Steckhahn, S. 80. 57 Brosius 2008, S. 64; vgl. auch Keindorf, Gudrun: „...es ist indeß der Todestag unserer Armee... Der 27. Juni 1866 – das Ende?“, in: Keindorf/Moritz, S. 65. 58 „Interessant ist die Gruppe der Männer und Frauen aus dem Königreich Hannover, die sich mit Portraits und Alben dem exilierten Monarchenpaar in Erinnerung brachten und aus der Ferne ihre Ergebenheit bezeugten.“, von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 9 und S. 11. 59 Vgl. Weltkunst 03/1999, S. 468. 60 Vgl. Steckhahn, S. 86f; vgl. Bungarten, Gisela: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 64.
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sind diesbezüglich von besonderer Bedeutung61. Von Dewitz’ Aussage, dass „[d]ie Fotografie [es] möglich [...] machte, sich die gesamte europäische Familie auch in der Abgeschiedenheit des Exils zu vergegenwärtigen“62, ist zu unterstreichen. Sie ist darüber hinaus zu ergänzen um die Vergegenwärtigung früherer Generationen der Familie in Form von Porträtgemälden sowie Dingen mit Symbolcharakter: ein Nachguss des Braunschweiger Löwen zierte beispielsweise die Terrasse in Gmunden63. Diesbezüglich sind auch diejenigen Dinge zu nennen, die einerseits ein standesgemäßes Wohnen ermöglichten, andererseits ganz persönliche Lebensgewohnheiten aufrechterhielten. Darüber hinaus kann auch für die Zeit im österreichischen Exil eine noch immer lebendige Sammeltätigkeit des Hauses Hannover festgestellt werden. Das Anhäufen kam nicht zum Erliegen, sondern fand neue Schwerpunkte: Neben den oben genannten Geschenken, welche beispielsweise die Bestände der Silberkammer stetig vergrößerten, sowie dem neuen Sammelgebiet der Fotografie, wuchsen auch traditionelle Sammlungsbereiche wie Bibliothek und Münzkabinett weiter an64. Man nutzte das Zeigen von Sammlungsteilen an ausgewählten Festtagen zur repräsentativen Zurschaustellung der welfischen Stellung. Zur Silberhochzeit Georgs (V.) und Maries von Hannover 1868 beeindruckten das oben genannte Schaubuffet mit Silbergerät sowie der als „Welfenschatz“ bekannte Reliquienschatz die geladenen Gäste aus Hannover65. Dieses repräsentative Zeigen fand mit Schloss Cumberland und dessen Ausstattung einen neuen Höhepunkt und schloss bewusst auch Kunstwerke ein66. Neben diesen traditionellen Formen der Repräsentation erhielt das öffentliche Zeigen einen wichtigen Stellenwert und trug ebenfalls zur Demonstration von Reichtum und Stellung der Familie bei. Georg (V.) von Hannover knüpfte im Exil an seinen Umgang mit Sammlungen in Hannover an67. Dort war 1862 das Welfenmuseum 61 „Überall im Schloss hingen Familienporträts und sonstige Gemälde, die man aus Hannover gerettet hatte.“, Steckhahn, S. 62 und 64; vgl. von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 11. 62 Von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 16. 63 Von Dewitz: Eine königliche Sammlung von Fotografien, S. 13. 64 Vgl. Zimmermann, P., S. 34f. 65 Die Feier fand mit 2.000 Gästen als Stehempfang im Kursaal in Wien statt: „Demonstrativ ließen sie die fünf Bögen der Längswand in der Art eines Schaubuffets mit Teilen ihres Silbers, das sie nach Aufhebung der Sequestration 1867 ausgeführt hatten, dekorieren.“, auch die Geschenke zur Silberhochzeit wurden ausgestellt, Weltkunst 03/1999, S. 468; vgl. Jaitner, S. 401; vgl. Schnath, S. 228; man knüpfte damit auch an eine traditionelle Verwendungsmöglichkeit von Geschenken an, vgl. Seelig: Huldigungspräsente, S. 25. 66 „In Gmunden hatte er sich ein neues Domizil aufgebaut. Mit dem dortigen Schloss schuf er nicht nur einen Mittelpunkt des Welfenhauses, sondern aus ihm entfaltete sich durch seine umfangreichen und seltenen Kunstschätze, Schriften und Büchersammlungen ein vielbeachtetes Zentrum des deutschen Kunst- und Geisteslebens“, Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 85. 67 Bereits in Hannover nutzte Georg (V.) von Hannover kulturelles Engagement zur Steigerung von „Rang und Ansehen“ sowohl der Residenz als auch der Familie, vgl. Mlynek, Klaus/Röhrbein, Waldemar R. (Hrsg.): Geschichte der Stadt Hannover, Band 2, Vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, Hannover 1994, S. 327.
448 | S AMMLUNGEN DES A DELS eröffnet worden, in welchem sich auch der so genannte „Welfenschatz“ befunden hatte68. Dieser war mit weiteren hochrangigen Kunstobjekten 1866 nach Österreich gebracht worden und wurde ab 1869 als Leihgabe im Museum für Kunst und Industrie in Wien gezeigt69. Des Weiteren waren große Sammlungsbestände in Hannover verblieben und wurden dort – integriert in das Provinzialmuseum – öffentlich gezeigt70. Ernst August von Cumberland entdeckte schließlich die Möglichkeiten von Publikationen, um auf die Sammlungen der Welfen aufmerksam zu machen71. Die Überführung wesentlicher Sammlungsbereiche nach Österreich, um sie vor preußischem Zugriff zu schützen, war bereits eine Maßnahme des Bewahrens gewesen. Zeitweise wurde darüber hinaus der Transport dieser Objekte nach London erwogen, wozu bereits von der englischen Regierung die zollfreie Einfuhr gewährt worden war. In diesem Zusammenhang wurde auch die Ausstellung des „Welfenschatzes“ im South Kensington Museum ins Auge gefasst72. Diese Pläne kamen jedoch nicht zur Ausführung, und Ernst August von Cumberland verknüpfte Zeigen und Bewahren stärker mit seinem eigenen Alltag und Umfeld. So stellte Zimmermann über dessen Leben im Exil fest: „Dabei war das Leben des Herzogs keineswegs leer und inhaltslos. Er fand innere Befriedigung in eifriger Beschäftigung mit wissenschaftlichen und künstlerischen Bestrebungen allerlei Art. Er verfolgte in eifrigem Studium die Geschichte seines Hauses und sammelte Erinnerungsstücke, die sich auf sie bezogen, in einem kleinen Schloßmuseum an.“73
Ein Anbau an Schloss Cumberland (das so genannte „Prinzenstöckl“) beherbergte die, mittlerweile durch Bestände des 1884 verstorbenen Wilhelm von Braunschweig ergänzte, Königliche Ernst August-Fideicommiss-Bibliothek74 sowie Kunstschätze, die dort betreut und gepflegt wurden75. Der Anbau an Schloss Cumberland ermöglichte direkte Ding-Mensch-Bindungen zu Sammlungsbereichen, welche zum Teil 68 Bereits 1852 kam es zur Gründung des Familienmuseums, 1861 zur Zusammenführung mit dem Welfenmuseum, 1862 erweitert durch Münzsammlung, Waffensammlung, Teile der Silberkammer sowie die Gemäldesammlung, vgl. Mlynek/Röhrbein, S. 330; vgl. Katenhusen, Ines: 150 Jahre Niedersächsisches Landesmuseum Hannover, in: Festschrift Hannover 2002. Das Niedersächsische Landesmuseum Hannover. 150 Jahre Museum in Hannover. 100 Jahre Gebäude am Maschpark. Festschrift zum Jahr des Doppeljubiläums, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2002, S. 23ff. 69 Vgl. Steckhahn, S. 38; vgl. Zimmermann, P., S. 52; vgl. Jaitner, S. 402. 70 Vgl. Trudzinski, S. 44ff; vgl. Katenhusen, S. 27. 71 Beispielsweise die Publikationen der Münzsammlung von Fiala und Neumann sowie der Katalog der Bildnisminiaturen von Dr. Williamson sowie Kataloge der Büchersammlung von Hofrat H. Buck, vgl. Zimmermann, P., S. 34f; vgl. Steckhahn, S. 68. 72 Vgl. Jaitner, S. 403. 73 Zimmermann, P., S. 34. 74 Steckhahn, S. 65f; vgl. Zimmermann, P., S. 35. 75 Zimmermann spricht in Bezug auf die Münzsammlung von „fürsorglicher Pflege“, Zimmermann, P., S. 34; für die Bibliothek wurden zwei Bibliothekare beschäftigt, vgl. Steckhahn, S. 66; der „Welfenschatz“ wurde ebenfalls wissenschaftlich betreut, vgl. Jaitner, S. 403f.
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erst viele Jahre später als die Familie selbst nach Gmunden gelangten. Auch die erst 1892 durch die Aufhebung der Beschlagnahmung durch Preußen zurückerhaltenen Objekte76 konnten derart in das direkte Lebensumfeld der Familie integriert werden. Anfragen zur Ausstellung des „Welfenschatzes“ aus Gotha und Düsseldorf sowie Hannover wurden in der Folgezeit abgelehnt und auch die Ausstellung der Reliquien in Wien kam 1906 zu einem Ende77. Ab 1907 wurde stattdessen das Wiener Palais Cumberland zu einem privaten Sammlungsbau umgestaltet und nahm beispielsweise den „Welfenschatz“ sowie die Münz- und Medaillensammlung auf78. Ernst August von Cumberland nutzte seine Sammlung, um – gerade im Exil – den Glanz seiner Familie weiter aufrechtzuerhalten. Steckhahn stellt fest, dass „[d]er Hof des Herzogs Ernst August von Cumberland, der selbst nicht die Last des Regierens zu tragen hatte, [...] rückblickend als Stätte von Kunst und Kultur bezeichnet werden [kann].“79 Diesbezüglich sind jedoch Ursache und Wirkung zu vertauschen: nicht, weil er nicht regieren musste, waren Kunst- und Kulturpflege möglich, sondern Kunst und Kultur waren umso nötiger, weil er nicht regieren konnte. Den DingMensch-Bindungen sowie den Tätigkeiten des Sammelns kommt demzufolge wesentliche Bedeutung zum Erhalt welfischer Identität zu, die auf diesem Weg auch nach außen getragen werden konnte: „Durch die Neuerrichtung des Schlosses und seine Sammlungstätigkeit vermittelte der Herzog ein Bild seines Selbstverständnisses, das er von sich und seiner bedeutenden und traditionsreichen Familie besaß.“80 Für zahlreiche Dinge aus dem Besitz der Welfen wurde der Thronverlust 1866 zu einem entscheidenden Wendepunkt. Dieser hatte zur Folge, dass Objektbestände fernab des Ortes, für welchen sie gefertigt wurden, neue Funktionen – und zum Teil neue Bedeutung – erhielten. Dies gilt beispielsweise für Mobiliar, das ursprünglich für Schlösser und Wohnsitze in Hannover hergestellt oder erworben worden war sowie für Objekte aus dem ehemaligen Besitz Wilhelms von Braunschweig, welche als Erbe an die Welfen im Exil gefallen waren81. Obwohl der Transfer ins österreichische Exil als typischer Ortswechsel für Dinge des Wohnens gewertet werden kann, bedeutete dieser biographische Wendepunkt eine Funktionserweiterung für die Objektgruppe. Als Erinnerungsobjekte rückten sie, neben der Erinnerung an vergangene Generationen, nun auch die Heimat der Familie sowie deren ehemalige Machtposition stärker in den Fokus. Ihre Bedeutung intensivierte sich, denn sie garantierten eine Kontinuität der Lebensweise, die für die Bewahrung der welfischen Identität Voraussetzung war.
76 Zu diesen gehörte beispielsweise die Bibliothek, vgl. Steckhahn, S. 66. 77 Vgl. Jaitner, S. 404. 78 Doch auch diese Sammlungsteile kehrten 1920 durch Verkauf des Palais in das direkte Umfeld der Familie im Schloss Cumberland zurück, vgl. Steckhahn, S. 68; vgl. Jaitner, S. 404; vgl. Schnath, S. 237. 79 Steckhahn, S. 99. 80 Steckhahn, S. 70. 81 Wilhelm von Braunschweig hatte sein Privatvermögen an Ernst August von Cumberland vererbt, sein Privatbesitz in Schlesien fiel dagegen an (Friedrich August) Albert König von Sachsen. Barvermögen u.a. ging an den ehem. Staatsminister Dr. Windthorst, Geheimrat Dr. Büel und Oberfinanzrat Kniep, vgl. Zimmermann, P., S. 22f.
450 | S AMMLUNGEN DES A DELS Einige außergewöhnliche Besitztümer – unter anderem der so genannte „Welfenschatz“ – hatten bereits in ihrer Vergangenheit einschneidende biographische Entwicklungen durchlaufen, welche durch die Ereignisse ab 1866 und deren Folgen um weitere Wendepunkte ergänzt wurden. Die Funktionen dieser Objekte – in Bezug auf öffentliches Zeigen und mit diesem verknüpfte Repräsentation – knüpften an diejenigen vor 1866 an. Das Leben der Welfen im Exil führte zu einer Neubewertung von Ding-Mensch-Bindungen, welche auf den Funktionsänderungen von Dingen beruhten. Ein Bedeutungsgewinn für eine Gruppe von Objekten sowie Bedeutungsverluste oder die Minderung von Bedeutung für andere (nämlich in Hannover zurückgebliebene) sind eine konsequente Folge dieser Entwicklung. Die Braunschweigische Thronfolgefrage nach 1884 Der Tod Wilhelms von Braunschweig im Oktober 1884 führte durch dessen Kinderlosigkeit zu einer erneuten Anspannung des Verhältnisses zwischen dem Haus Hannover und Preußen82. Preußen erhielt Oels in Niederschlesien als erledigtes Thronlehen zurück83, auf den Braunschweigischen Thron erhob jedoch Ernst August von Cumberland Ansprüche. Während die Thronfolge aus Sicht der Welfen diesen eindeutig als Nachfolger Wilhelms von Braunschweig auf dem dortigen Thron vorsah, empfand Preußen dies als Gefahr und Provokation84. Preußen warf der Familie die „Nichtanerkennung der deutschen Reichsverfassung“ vor und die Besteigung des Thrones in Braunschweig durch den Hannoveraner Zweig der Welfen wurde an den ausdrücklichen Verzicht auf den Thron in Hannover geknüpft85. Ernst August von Cumberland stützte sich dagegen auf das braunschweigische Staatsgrundgesetz von 1832, welches festlegte, dass der jeweils Erstgeborene des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg (welches sich aus der älteren braunschweigischen und der jüngeren hannoverschen Linie zusammensetzte) erbberechtigt war86. Das Hausgesetz des Hauses Hannover von 1836 bestätigte die wechselseitige Thronfolge der Häuser in Hannover und Braunschweig87, was zudem durch Anerkennungsurkunden von 1863
82 Dieses Thema wurde im 19. Jahrhundert vielfältig in der Literatur beachtet, vgl. Literaturangaben von Bringmann, Bringmann, S. 11-19. 83 Vgl. Bringmann, S. 32; der Privatbesitz in Oels, inklusive des Schlosses, wurde, wie erwähnt, an Albert von Sachsen vererbt, vgl. Bringmann, S. 105. 84 Vgl. Bringmann, S. 27 und S. 54. 85 Vgl. Zimmermann, P., S. 17. 86 „Die Regierung wird vererbt in dem fürstlichen Gesammthause Braunschweig-Lüneburg nach der Linearerbfolge und dem Rechte der Erstgeburt [...]“, § 14, NLO; vgl. Bringmann, S. 27; vgl. Biegel, Gerd: Die Braunschweigische Thronfolgefrage 1884-1913, in: Biegel, S. 112. 87 „Ebenmässig geht das Herzogthum Braunschweig, wenn der Mannsstamm der HerzoglichBraunschweig-Wolfenbüttelschen Linie früher ausstürbe, mit Ausschluss jeder weiblichen Thronfolge, auf die Königliche Mannslinie, und zwar auf den regierenden König über, und kann eine abermalige Trennung der wiedervereinigten Gesammtlande niemals wieder Statt haben.“, Viertes Capitel, § 3, Hausgesetz Hannover 1836; vgl. auch Bringmann, S. 28; vgl. auch Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 112.
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abgesichert werden sollte88. Preußen argumentierte dagegen, dass durch die veränderte Situation in Hannover diese Erbregeln nicht mehr gültig seien89. Die verwandtschaftlich enge Beziehung zwischen Hannover und Braunschweig hatte dazu geführt, dass auch in preußischen Überlegungen zu Hannover das Herzogtum Braunschweig schon vor 1866 eine Rolle gespielt hatte90. Nach der Einverleibung Hannovers durch Preußen war ein Konflikt bezüglich der braunschweigischen Thronfolge vorauszusehen und Preußen prüfte rechtliche Argumente einer Einverleibung Braunschweigs91 sowie die Möglichkeit, dort eine Regierung der Hohenzollern zu etablieren92. Ernst August von Cumberland versuchte dagegen, die Braunschweigische Frage von Hannover zu trennen, und war davon überzeugt, dass die welfischen Erbregelungen nicht in Frage zu stellen waren93. Durch ein Notifikationsschreiben nach dem Tod seines Vaters und folgende kritische Reaktionen, sowohl in Preußen als auch bei Wilhelm von Braunschweig und anderen Fürsten94, wurde jedoch deutlich, dass eine völlige Trennung dieser Sachverhalte nicht möglich war. Es war zudem durch die beidseitig feststehende Haltung absehbar, dass diese Problematik nicht durch eine schnelle Lösung behoben werden würde95. In direkter Folge des Todes Wilhelms von Braunschweig sollte daher ein Regentschaftsrat in Braunschweig zwischen Hannover und Preußen vermitteln. Dieser sollte außerdem die Eigenständigkeit Braunschweigs sichern, auch wenn es Schwierigkeiten in der Wahl des Thronerben geben sollte oder dieser am Antritt seines Amtes gehindert 88 Vgl. Bertram, S. 102; diese waren zudem 1864 vom Braunschweigischen Landtag genehmigt worden, vgl. Bringmann, S. 28; vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 112. 89 Das Erbrecht sei mit Hannover verknüpft gewesen, damit staatlich und nicht privatfürstenrechtlich und somit auf die preußische Krone übergegangen, außerdem sei es aufgehoben, da durch den Verlust Hannovers die wechselseitige Erbfolge nicht mehr möglich sei, vgl. Bringmann, S. 54. 90 Laut Bringmann beschäftigte sich Otto von Bismarck bereits 1865 mit dieser Frage, Bringmann, S. 29. 91 Z.B. inwieweit man gegen Braunschweig vorgehen könne, da sich Georg (V.) von Hannover noch mit Preußen im Kriegszustand befände oder inwieweit dieser durch seine Absetzung auch sein Erbrecht bezüglich Braunschweig verloren habe, Bringmann, S. 32; Anfang der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts gab es zudem Überlegungen zum direkten Einmarsch in Braunschweig, die jedoch fallengelassen wurden, Bringmann, S. 36f; Bringmann geht außerdem davon aus, dass die welfische Thronbesteigung in Braunschweig auch deshalb verhindert werden sollte, weil man einem regierenden Herzog die beschlagnahmten Gelder nicht länger hätte vorenthalten können, Bringmann, S. 50; auch die Braunschweigische Landesversammlung beschäftigte sich mit der Thonfolge und suchte nach vertraglichen Lösungen, die jedoch Wilhelm von Braunschweig nicht für nötig hielt, da er die Thronfolge durch die Erbregelungen als gesichert ansah, vgl. Bringmann, S. 63f; vgl. auch Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 113. 92 Vgl. Bringmann, S. 53, S. 62 und S. 66f. 93 Dies verdeutlichte er 1871 in einem Schreiben an seinen Vater, vgl. Bringmann, S. 72. 94 Vgl. Bringmann, S. 68f; vgl. Zimmermann, P., S. 14. 95 Laut Bringmann versuchte Preußen bewusst, eine einvernehmliche Lösung zu verhindern, vgl. Bringmann, S. 55f.
452 | S AMMLUNGEN DES A DELS würde96. Ein Regentschaftsratsgesetz von 1879 festigte diese Regelung97 und führte schließlich dazu, dass sich in unmittelbarer Folge des Todes Wilhelms von Braunschweig dieser Regentschaftsrat bildete98. Der Rat war vor allem auf Deeskalation bedacht, was dazu führte, dass die weitgehende Eigenständigkeit Braunschweigs zum vorrangigen Ziel wurde99. Die von Preußen übernommene militärische Oberhoheit über Braunschweig wurde daher gebilligt100. Das Regierungsantrittspatent Ernst Augusts von Cumberland wurde dagegen vom Staatsministerium mit Verweis auf den Regentschaftsrat nicht unterzeichnet101 . 1885 bestätigte der Bundesrat diese Haltung und unterstützte den preußischen Antrag, indem er Ernst August von Cumberland den Thron in Braunschweig verwehrte. Als Begründung führte man an, er stehe durch seine Haltung gegenüber Preußen sowie seine Ansprüche auf die preußischen Gebietsteile des ehemaligen Königreichs Hannover dem Frieden im Reich entgegen102 . Die vorsichtige Haltung des Regentschaftsrates gegenüber Preußen legte nahe, dass man in der Wahl eines Regenten preußische Vorschläge berücksichtigen würde. So kam es schließlich im Oktober 1885 zur Wahl Albrechts Prinz von Preußen, für welchen sich Otto von Bismarck persönlich eingesetzt hatte103. Als der Regent 1906 starb, kam es trotz des schnellen Vorschlags eines Regentschaftskandidaten erneut zur Diskussion um die Thronfolge. Der Landtag sollte den von Preußen gebilligten Vorschlag des Regentschaftsrates bestätigen und so Friedrich Wilhelm Prinz von Preußen (einen Sohn des verstorbenen Regenten) an die Stelle seines Vaters treten lassen104 . Stattdessen kam es jedoch zu Überlegungen einer erneuten Einschaltung des Bundesrates mit der Fra96
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Vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 114; vgl. Zimmermann, P., S. 19; vgl. Bringmann, S. 39; bereits 1878 hatte die Braunschweigische Regierung die Einsetzung eines solchen in Berlin vorgeschlagen und Preußen machte deutlich, dass es in dieser Frage keine alleinigen Entscheidungen Braunschweigs dulden würde, vgl. Bringmann, S. 80 und S. 82f; Bringmann weist jedoch darauf hin, dass die Befugnisse Berlins diesbezüglich beschränkt waren und die Durchsetzung dieser Haltung daher schwierig war, vgl. Bringmann, S. 84ff. Vgl. Bringmann, S. 89; vgl. weitere Informationen zu diesem Gesetz, welches die Landesverfassung ergänzte, Bringmann, S. 98; Bringmann beschreibt zudem Maßnahmen Preußens zur Kontrolle Braunschweigs sowie zur Hinderung Ernst Augusts von Cumberland an einer möglichen Machtübernahme in Braunschweig, Bringmann, S. 89ff; vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 114 und S. 116. Für weitere rechtliche Fragen bezüglich des Regentschaftsrates vgl. Bringmann, S. 98ff. Laut Bringmann hätte sich die Braunschweigische Regierung durch den geleisteten Treueeid hinter Ernst August von Cumberland stellen müssen, vgl. Bringmann, S. 161. Vgl. Bringmann, S. 92f. Vgl. Bringmann, S. 96f; dies war auch im Sinne des Bundesrates, welcher einer Thronbesteigung Ernst Augusts von Cumberland nicht zugestimmt hätte, da man Unsicherheit im Reich befürchtete, vgl. Bringmann, S. 113 und S. 118. Vgl. Bringmann, S. 128. Vgl. Bringmann, S. 170f; vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 116; Bringmann erwähnt, dass dieser selbst sich als nicht rechtmäßig auf dem Braunschweigischen Thron sah, vgl. Bringmann, S. 41; dies ist jedoch nicht zu belegen. Vgl. Bringmann, S. 175.
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ge, ob noch immer eine Interimslösung nötig sei oder ob die Welfen den Thron in Braunschweig nun einnehmen könnten105. Nachdem Preußen deutlich gemacht hatte, dass ein neuer Bundesratsbeschluss aus preußischer Sicht nicht nötig sei, kam es in Braunschweig zu einer erstmals leicht kritischen Haltung gegenüber Preußen 106 . 1906 schlug Ernst August von Cumberland zudem erstmals die Lösung vor, dass sowohl er als auch sein ältester Sohn zugunsten seines jüngeren Sohnes Ernst August (III.) von Hannover auf die Regierung in Braunschweig verzichten könnten, und dieser wiederum auf Hannover verzichten würde. Dies wurde jedoch von Preußen nicht akzeptiert107. Anfang 1907 kam es schließlich erneut zur Anrufung des Bundesrates in dieser Frage, jedoch mit dem gleichen Ergebnis wie 1885, so dass noch immer eine welfische Regierung in Braunschweig unmöglich blieb108. Es war jedoch deutlich geworden, dass eine rein preußische Regierung in Braunschweig keine Mehrheit mehr finden würde. Die Diskussion wurde mit Antritt der Regentschaft durch Johann Albrecht Herzog von Mecklenburg im Mai 1907 beendet109. Dieser war weniger stark von Preußen beeinflusst und leitete eine welfenfreundlichere Politik ein110 . Schließlich erfolgte eine Annäherung von Welfen und Preußen jedoch nicht auf dem politischen Weg, sondern wurde eingeleitet durch die respektvolle Haltung Wilhelms (II.) von Preußen, nachdem ein Sohn Ernst Augusts von Cumberland im Mai 1912 auf preußischem Boden durch einen Verkehrsunfall zu Tode gekommen war111 . Ein darauf folgender Dankesbesuch des jüngeren Welfensohnes Ernst August (III.) von Hannover am Potsdamer Hof führte zur Begegnung zwischen ihm und der Kaisertochter Victoria Luise (später zu Braunschweig und Lüneburg)112. Deren Hochzeit ein Jahr später konnte das Problem der Braunschweigischen Thronfolge zum Abschluss bringen113 : 105 Für eine ausführliche Beschreibung der Vorgänge vgl. Bringmann, S. 178ff. 106 Vgl. Bringmann, S. 187ff. 107 Auch dem Landtag brachte Ernst August von Cumberland diesen Vorschlag vor und betonte, dass seine Haltung gegenüber Hannover mit der Reichsverfassung vereinbar sei. Der Landtag hatte zuvor einen völligen Verzicht sowohl Ernst Augusts von Cumberland als auch aller Agnaten auf Hannover verlangt, vgl. Bringmann, S. 190ff. 108 Vgl. Bringmann, S. 197 und S. 203. 109 Vgl. Zimmermann, P., S. 42; vgl. Bringmann, S. 205ff; vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 116. 110 Vgl. Bringmann, S. 209; diese sowie eine diplomatischere Haltung Ernst Augusts von Cumberland und ein stärkeres Selbstbewusstsein in Braunschweig führten zu einer langsamen Entwicklung in Richtung einer zukünftigen welfischen Regierung, Bringmann, S. 219f; vgl. Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 116. 111 Vgl. Steckhahn, S. 110ff; vgl. Riehl, S. 242f. 112 Diese Liebesgeschichte wird in der Literatur ausführlich beschrieben, vgl. Steckhahn, S. 114ff; vgl. von Keller, S. 286ff; vgl. Kirschstein, S. 186ff; vgl. auch zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 73ff. 113 Römer betont, dass die Verbindung zwischen Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg und Ernst August (III.) von Hannover unweigerlich die Braunschweigische Thronfolgefrage lösen musste und dies auch von der Bevölkerung früh erkannt wurde, Römer, Christof: Die Wiederbegründung einer regierenden Dynastie in Braunschweig, in: Biegel, S. 119f; Enttäuschungen auf Seiten der „Welfentreuen“ gab es jedoch, als deutlich wurde,
454 | S AMMLUNGEN DES A DELS „So war die Hochzeit von Victoria Luise also weit mehr als eine persönliche Entscheidung oder gar – wie so oft in diesen Fällen – eine politische Zweckheirat. Es war vielmehr ein Ereignis von nationaler Bedeutung, das zu vielfältigen und gegensätzlichen Reaktionen in Politik, Presse und Öffentlichkeit führte.“114
Ernst August von Cumberland verzichtete in Folge der Hochzeit zu Gunsten seines Sohnes auf den Thron in Braunschweig, dieser wiederum verpflichtete sich zur Treue gegenüber Preußen, indem er in den dortigen Militärdienst eintrat115. Ende Oktober 1913 beschloss die Landesversammlung nach Verlesung der Verzichturkunde Ernst Augusts von Cumberland, dass sein Sohn die Regierung antreten könne116. Der Bundesrat gestattete diese Lösung offiziell am 27. Oktober 1913117 , und „[o]hne auf Hannover verzichten zu müssen, trat Ernst August am 3. November 1913 die Herrschaft über das Herzogtum Braunschweig an.“118 Ernst August (III.) von Hannover, der 1913 den Thron des Herzogtums Braunschweig bestieg und diesen 1918 wieder verlor, war 1887 geboren worden und im oben skizzierten Umfeld des österreichischen Exils aufgewachsen. Der Verlust einer aus Sicht der Familie durch Gott gegebenen Aufgabe war für ihn ebenso prägend wie der erfolgreiche Versuch, weiterhin ein standesgemäßes Leben zu führen, welches die Stellung der Familie verdeutlichte. Seine Hochzeit mit der Tochter des Kaisers bedeutete eine Aufwertung der Welfen im Reich119 und ermöglichte durch die Lösung der Braunschweigischen Thronfolgefrage den Beginn eines neuen Kapitels der Geschichte des Hauses Hannover. Ernst August (III.) von Hannover trat aus dem Leben im Exil erstmals in die Position eines Regenten.
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dass dies an der Hannoverschen Frage nichts ändern würde, vgl. Römer, S. 123; neben dieser hatten bereits zwei weitere Hochzeiten zur Versöhnung Preußens mit ehemaligen Fürsten von 1866 annektierten Gebieten beigetragen: Wilhelm (II.) von Preußen hatte Auguste Viktoria, geb. Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg geheiratet und Friedrich Karl von Hessen war mit Margarethe, geb. Prinzessin von Preußen verheiratet, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1975, S. 122. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 21. Vgl. Bringmann, S. 212. Biegel weist darauf hin, dass diese Lösung deutlich macht, wie stark die Braunschweigische Frage tatsächlich von der Hannoverschen Frage abhängig war, Biegel: Die Braunschweigische Thronfolgefrage, S. 117; vgl. Römer, S. 124; vgl. Bringmann, S. 215. Vgl. Römer, S. 126. Bertram, S. 134. „[...] als am 1. November die bedeutungsvolle Urkunde, mit der Herzog Ernst August die Regierung des Herzogtums übernahm, durch die rasch arbeitende Presse rings Verbreitung fand, da leuchtete schon allenthalben in den Augen die herzliche Freude darüber, dass ein deutscher Fürst, für dessen Reichstreue sein Wort bürgt, seinen Einzug in die Löwenstadt halten, und dass ihm zur Seite die einzige Tochter des Kaisers, die Herzogin Victoria Luise erscheinen werde [...].“, Frankenberg, Hermann von: Der Einzug des Herzogspaares, in: Broschüre Braunschweig o.J. [1913]: Zur Erinnerung an den Einzug des Herzogspaares Ernst August Victoria Luise in Braunschweig am 3. November 1913, herausgegeben von Gallun & Rummert, Braunschweig o.J. [1913], S. 3.
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Auch in der Braunschweigischen Thronfolgefrage spielte Besitz des Hauses Hannover eine Rolle. Nicht unerheblich war die Tatsache, dass Ernst August von Cumberland Erbe des Privatvermögens Wilhelms von Braunschweig war120 . Für die jeweiligen Objekte bedeutete der Ortswechsel einen biographischen Wendepunkt: Sie wurden sowohl aus den gewachsenen Beständen in Braunschweig in die Bestände in Gmunden überführt, als auch mit den aus dem hannoverschen Zweig der Welfen stammenden Sammlungsteilen zusammengebracht. Es entstanden völlig neue Ding-Ding-Bindungen, welche nun den gesamtwelfischen Machtanspruch verkörpern sollten. Die Bestände konnten damit zum standesgemäßen Leben der Welfenfamilie in Österreich beitragen und gleichzeitig die direkte Erbfolge des braunschweigischen Zweigs der Welfen auf denjenigen aus Hannover verdeutlichen. Besonders verkörpert wurde dies durch Schloss Richmond in Braunschweig, welches zu dieser Erbmasse gehörte. Das Erbe unterstützte zudem die Vorstellung, zum Antritt der Thronfolge in Braunschweig verpflichtet zu sein, welche Ernst August von Cumberland deutlich zum Ausdruck brachte121 . Die unverzügliche Übernahme der Aufgaben eines Monarchen durch seinen Erben, um eine Vakanz des Thrones in jedem Fall zu vermeiden, war fest mit dem Selbstverständnis des Adels verankert: „Die Krone ging grundsätzlich nach der Thronfolgeordnung mit dem Ableben eines Monarchen ipso jure und im Augenblick des Todes des Herrschers auf den neuen Fürsten über ohne dass es einer Antrittserklärung bedurfte.“122 Dies bedeutete für Ernst August von Cumberland, dass er sich in der Ausübung seiner Position als Herzog zu Braunschweig und Lüneburg gehindert sah, obwohl er dieses Amt nach seinem Verständnis innehatte und sich verantwortlich fühlte123. Die gesamten Sammlungsbestände wurden daher auch genutzt, um die eigene Position gegenüber Preußen zu betonen und die Übernahme des Herzogtums durch Ernst August (III.) von Hannover vorzubereiten. Durch bewussten Einsatz ausgewählter Objekte sollte der Anspruch des Hauses auf den Thron herausgestellt werden. Beispielsweise wurde 1913 eine Sammlung von Porträt-Kunstblättern (nach Stichen und Ölgemälden) publiziert, die „Welfenfürsten der Braunschweig-Wolfenbüttelschen Lande“ zeigten und somit die Geschichte der Welfen auf dem Braunschweigischen Thron betonten124. Trotz der Versöhnung mit Preußen blieb es wich120 121 122 123
Vgl. Bringmann, S. 73. Vgl. Bringmann, S. 97. Bringman, S. 107. Dies brachte Ernst August von Cumberland auch nach dem Beschluss des Bundesrates 1885 sowie erneut in einer Erklärung im Oktober 1913 zum Ausdruck, Bringmann, S. 109 und S. 143; Bringmann teilt die Ansicht, dass ihm der Thron in Braunschweig zugestanden hätte: „Weder aufgrund einer Bestimmung der Reichsverfassung noch aufgrund anderer Rechtsvorschriften durfte die Thronbesteigung des Herzogs von Cumberland von einem ausdrücklichen Verzicht auf Hannover abhängig gemacht werden. Was Bundesfürsten im Stillen dachten, ging niemanden etwas an. Das Reich war lediglich berechtigt, Thronfolger abzuwehren, die tatsächlich den Frieden im Bundesgebiet durch Worte oder Taten störten.“, Bringmann, S. 120. 124 Steckhahn, S. 68; darüber hinaus wurde die Fotografie werbewirksam eingesetzt: bereits zur Verlobung wurden Fotografen eingeladen sowie eine Fotoserie in Postkartenform vertrieben, vgl. Steckhahn, S. 117f; von der Hochzeit selbst wurden jedoch keine Foto-
456 | S AMMLUNGEN DES A DELS tig, gegenüber der Kaiserfamilie die Stellung des Hauses Hannover herauszustellen. Bei einem Besuch Auguste Viktorias von Preußen mit ihrer Tochter in Gmunden wurden diese durch die Sammlungen geführt, und man präsentierte unter anderem das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“125 : „Des Welfenherzogs Herrschaftsanspruch und Selbstbewußtsein fanden Ausdruck in jener Miniatur, in der eine Krönung Heinrichs des Löwen und Mathildes dargestellt ist.“126 Diesbezüglich stellte man sich in direkte Nachfolge des berühmten Vorfahren. Der Einzug Ernst Augusts (III.) von Hannover und Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg in Braunschweig sowie in anderen Städten des Herzogtumes wurde mit den für den Anlass üblichen Feierlichkeiten begangen127 , wozu Dinge als Mittel sozialen Verhaltens genutzt wurden. Die Teilnahme der Bevölkerung in Braunschweig war groß, wobei nicht allein die Huldigung der Welfen im Vordergrund stand, sondern auch das Selbstbewusstsein einer Stadt/Region128 , die ihre Eigenständigkeit gegenüber Preußen bewahrt, beziehungsweise wiedererlangt, hatte. Auch in diesem Zusammenhang spielten Dinge zur Verdeutlichung dieser Haltung eine Rolle: beispielsweise wurde in der Auslage der Firma Hamburger & Littauer die Quadriga des Residenzschlosses aus 6.000 Taschentüchern nachgebildet129 und damit ein Symbol welfischen Selbstbewusstseins in einem Akt der Aneignung auf die Bevölkerung übertragen. Die Sammlungen der Welfen wurden durch die Übernahme des Thrones um die Bestände im Herzogtum Braunschweig ergänzt. Auch für diese hatte die nichtwelfische Regentschaft eine Phase biographischer Veränderungen bedeutet, da es zu einer Vermischung der bisher genutzten Ausstattungsgegenstände mit solchen kam, welche die Regenten einbrachten130. Beispielsweise gab Johann Albrecht von Mecklenburg 1911 eine Reihe von japanischen Rauchgefäßen aus Emaille in Auftrag, die für das „Japanische Zimmer“ im Braunschweigischen Residenzschloss bestimmt wa-
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grafien angefertigt, stattdessen farbige Zeichnungen, die als Postkarten erworben werden konnten, vgl. Steckhahn, S. 135; in völlig anderer Weise hatte die Mode der Welfenfamilie politischen Symbolcharakter: die in Gmunden in der Familie der Welfen beliebten Lederhosen wurden zum Zeichen „Welfentreuer“ in Hannover, von Dissow, S. 60. Vgl. Steckhahn, S. 125; vgl. Former: Die Hochzeit von Prinzessin Victoria Luise mit Ernst August, S. 94. Schmid, S. 413. Genaue Beschreibung der Feierlichkeiten in Braunschweig bei Steckhahn, S. 139ff; 40.000 Personen aus Vereinen etc. wurden bewusst gestellt, über 100.000 Personen waren nach Braunschweig gereist, um den Einzug zu sehen, vgl. von Frankenberg, S. 3-5; vgl. Fotos in: Broschüre Braunschweig o.J. [1913]; auch in weiteren Städten wurde in der Folgezeit der Besuch feierlich begangen, beispielsweise in Blankenburg und Wolfenbüttel, vgl. Steckhahn, S. 143; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg, S. 118f. Das von preußischem Gebiet umschlossene Herzogtum Braunschweig hatte ca. 495.000 Einwohner und wies zahlreiche Industriezweige (Wurst- und Konservenfabriken, Brauereien, Maschinenbau, Bergbau, Salzgewinnung u.a.) auf, vgl. Riehl, S. 237. Broschüre Braunschweig o.J. [1913], o.S. Vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 27ff.
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ren131. Auch Porträtgemälde der Regenten ergänzten die Darstellungen der welfischen Familienmitglieder. Das Residenzschloss, welches Ernst August (III.) von Hannover mit seiner Thronbesteigung 1913 übernahm, war damit ein sowohl vom braunschweigischen Zweig der Welfen als auch vom Geschmack der nichtwelfischen Regenten geprägtes Umfeld. Abbildung 17: Rauchgefäß (Unterseite mit Inschrift) für das von Johann Albrecht von Mecklenburg eingerichtete „Japanische Zimmer“ im Residenzschloss Braunschweig, 1911
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Durch den europäischen Hochadel und die Bevölkerung überreichte Geschenke zur Hochzeit brachten er und seine Frau wiederum eigene Objekte in diese Bestände ein: „Der Wert der Hochzeitsgeschenke [...] wurde auf über zehn Millionen Mark geschätzt ... Teppiche, wundervolle alte Schränke, Silbergefäße, Porzellane, eine Schreibtischgarnitur mit Jagdemblemen, ein prachtvoller Fächer, eine Unmenge prächtiger Juwelen und vieles mehr konnten bestaunt und bewundert werden.“132 131 Sie verfügen über die Inschrift „Herzogliches Residenz-Schloss Braunschweig MCMXI“. Auch für das Schloss Blankenburg hatte er ähnliche Gefäße bestellt, vgl. Wedemeyer/ Willemsen, S. 465. 132 Former: Die Hochzeit von Victoria Luise und Ernst August, S. 105; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg zählt genau auf: „Das Geschenk meines Vaters an mich war ein Diadem und ein Halsband aus Perlen, das meiner Mutter eine Tiara aus Brillanten. Das englische Königspaar schenkte einen gewaltigen Goldpokal, mir eine Brosche in Brillanten mit einer Brillantenquaste als Anhänger, Ernst August eine komplette Juwelenausstattung. Von der Königin-Mutter Alexandra von England erhielt ich eine Smaragdbrosche. Der Zar übergab mir einen Halsschmuck aus Aquamarinen und Diamanten. Das italienische Königspaar sandte altsilberne Gefäße. Königin Wilhelmina von Holland eine antike Standuhr, die Königin-Witwe aus Spanien eine getriebene silberne Truhe, der König von Dänemark eine massive Silberkanne, die Königin von Schweden eine Dose
458 | S AMMLUNGEN DES A DELS Abbildung 18: Die Versöhnung Preußens mit den Welfen symbolisierende Uhr, Geschenk zur Hochzeit Ernst Augusts (III.) von Hannover mit Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, Lameyer/Garvens, 1913
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Darüber hinaus erhielt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg von preußischer Seite ein Heiratsgut in Form von Geld, Schmuck, Kleidung und anderen „Kleinodien“133. Wie bereits im Fall der Geschenke „Welfentreuer“ an Georg (V.) von Hannover und seine Familie, sind auch einzelne dieser Hochzeitsgeschenke von symbolischer Bedeutung. Beispielsweise überreichte die Landschaft und Ritterschaft des Fürstentums Lüneburg eine Uhr mit der Darstellung zweier sich die Hände reichender Reiter, deren Helme mit Löwe und Adler verziert sind, und wiesen damit auf die Versöhnung Preußens mit der Familie der Welfen hin. Derartige Objekte übernahmen Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens, da sie die neu erworbene Stellung verdeutlichten, und waren ebenso Objekte der Erinnerung an die vergangene Zeit des Konfliktes. Sie sind heute wesentliche Elemente des historischen Gedächtnisses. Wesentlich für Ding-Mensch-Bindungen über das neue Wohnumfeld des Schlosses in Braunschweig hinaus war die Möglichkeit, Sammlungsbestände früherer Welfen-Generationen in Braunschweig und Umgebung in das Leben der eigenen Generation integrieren zu können: Beispielsweise besichtigte Ernst August von Cumberland bei einem Besuch seines Sohnes 1917 Bibliothek und Archiv in Wolfenbüttel sowie
aus blauer Emaille, der Sultan einen Teppich, von der alten Baronin Rothschild erhielt ich einen prachtvollen Fächer mit meinen Initialen, von dem Chicagoer Industriellen Vincent Armour ein mächtiges Stück klaren Bergkristalls. Die Stadt Berlin übergab einen gelben Täbris als Geschenk, Bad Homburg 51 Imitationen altrömischer Glasgefäße, der Preußische Städtetag und die Ostfriesische Ritterschaft prächtige alte Schränke, die Ritterschaft des Herzogtums Braunschweig ein Paar Silberleuchter, das Zieten-Husarenregiment ein Silberbrett. Eine Deputation des Herzogtums Braunschweig überreichte ein Schmuckstück [...]“, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 95-96. 133 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 90.
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das Herzogliche Museum in Braunschweig134. Auch der gemeinsame Besuch des Vaterländischen Museums in Braunschweig durch Ernst August von Cumberland und seine Frau Thyra von Dänemark zeigte das historische Interesse der Familie135 sowie den Wunsch nach Bindungen dieser Art. Die Lösung der Braunschweigischen Thronfolgefrage zugunsten Ernst Augusts (III.) von Hannover bedeutete zusammenfassend, dass es „letztlich auch zu einer Vereinigung aller den Linien Braunschweig und Hannover verbliebenen Kunstwerke“136 kommen konnte. Das Haus Hannover verfügte nun über den Besitz im Herzogtum Braunschweig sowie den Privatbesitz in Gmunden und im preußischen Hannover. 4.1.1 Entmachtung und Situation nach der Entmachtung Die Situation änderte sich 1918 erneut: als erster deutscher Fürst kam Ernst August (III.) von Hannover als Herzog zu Braunschweig und Lüneburg am 8. November den Forderungen des Arbeiter- und Soldatenrates nach und dankte ab137 . Die Gefahr des Besitzverlustes war bereits während der revolutionären Ereignisse deutlich, wobei in der Anmerkung Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, während dieses Vorgangs sei nichts gestohlen worden138, die sichere Annahme deutlich wird, dass es sich beim Inventar des Schlosses trotz des Machtwechsels um das Eigentum der Welfenfamilie handele. Tatsächlich blieben die Revolutionäre insgesamt bezüglich des Adelsbesitzes weitgehend zurückhaltend139. Der Besitz der ehemals regierenden Familien wurde beschlagnahmt, diese wurden jedoch nicht enteignet, was Kaufhold darauf zurückführt, dass bereits zu diesem Zeitpunkt die Frage nach dem Besitz der Fürsten nicht als politisches, sondern allein als ökonomisches Problem betrachtet wurde140. Im weiteren Verlauf der politischen Ereignisse und in Hinblick auf die Ver134 135 136 137
Vgl. Zimmermann, P., S. 46f; vgl. Steckhahn, S. 154. Vgl. Steckhahn, S. 150 und S. 154. Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 14. Vgl. Aschoff, S. 285ff; vgl. Braunschweiger Zeitung, 8. Juni 2007: Diestelmann, Dieter: Ernst August verzichtet auf den Thron. Friedliche Revolution in Braunschweig – Arbeiter und Soldatenrat übernimmt die Herrschaft im Braunschweiger Land; vgl. Riehl, S. 239 und S. 249; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 217f; vgl. Diestelmann, Dieter: Kleine Braunschweiger Stadtgeschichte, Regensburg 2006, S. 111. 138 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 217f. 139 Gräfin Keller erwähnt, dass „in den Novembertagen 1918“ die Hochzeitsschleppe Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg sowie „die zweite Courschleppe aus rotem Moirée antique“ aus dem Berliner Schloss gestohlen wurden, von Keller, S. 294; Machtan beschreibt für Berlin zwar Plünderungen, macht jedoch ebenso deutlich, dass keine drastischen Zerstörungsakte die Regel waren, vgl. Machtan, S. 297; wenige Tage später wurde sogar eine Wache zum Schutz des Berliner Stadtschlosses abgestellt, vgl. Machtan, S. 298. 140 Vgl. Kaufhold, Karl Heinrich: Fürstenabfindung oder Fürstenenteignung? Der Kampf um das Hausvermögen der ehemals regierenden Fürstenhäuser im Jahre 1926 und die Innenpolitik der Weimarer Republik, in: Schulz/Denzel, S. 262; auch von Hoyningen-Huene weist darauf hin, dass der Umgang bezüglich des Adelsbesitzes in Hinblick auf Enteig-
460 | S AMMLUNGEN DES A DELS fassung vom 6. Januar 1922 orientierte man sich in Braunschweig stark an der Weimarer Reichsverfassung141 . Dennoch erfuhr die vermögensrechtliche Situation des Adels, dessen Sonderrechte nach und nach verschwanden, in der Folgezeit wesentliche Veränderungen142 , die auch Ernst August (III.) von Hannover und seine Familie betrafen. Trotz des gemäßigten Verhaltens gegenüber dem Vermögen der ehemals regierenden Familien waren die Residenzschlösser mit dem Verlust ihrer Funktion als Wohnsitze des Adels einer unmittelbaren Wandlung unterworfen. Diese ist als wesentlicher biographischer Wendepunkt mit zum Teil unumkehrbaren Folgen für Räume und Ausstattung zu betrachten. „Der zunächst regierende Arbeiter- und Soldatenrat [in Braunschweig] betrachtete den an Immobilien und Mobilien zurückgelassenen herzoglichen Besitz zunächst ohne weiteres als Staatseigentum.“143 Er nutzte das Schloss zu Versammlungszwecken und machte Pläne zu einer musealen Nutzung144, und „[d]ie Kunstschätze aus den Schlössern wurden daraufhin zu einem Teil dem Museum unterstellt.“145 Bereits in der frühen Planungsphase fand also eine Trennung in „Kunstschätze“ und weitere Ausstattungsgegenstände statt und „[z]wischen 1918 und 1919 wurde [...] nahezu die Hälfte der beweglichen Innenausstattung an Bedürftige abgegeben, verkauft oder aber Landesinstitutionen übergeben.“146 Das Verzeichnis derjenigen Gegenstände aus dem Schlosse Braunschweig
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nung und Verstaatlichung wesentlich schonender ausfiel als befürchtet, von HoyningenHuene, S. 136; Rosenberg macht deutlich, dass nicht allein der Adel, sondern auch Großindustrielle um ihren Besitz fürchteten und sich die Frage nach möglichen Enteignungen nicht allein auf die Behandlung der ehemals regierenden Herrscher richtete, Rosenberg, S. 8; dass in einigen Gebieten eine grundlegende Bodenreform ausblieb, hält Rosenberg für einen Grund des Scheiterns der Weimarer Republik, Rosenberg, S. 34; eine Ausnahme bildete die im Sommer 1919 vollzogene Enteignung der Herzöge von SachsenCoburg und Gotha, welche jedoch nicht aufrechterhalten wurde, Sandner, S. 202f. Weimarer Reichsverfassung; Verfassung des Freistaates Braunschweig, 6. Januar 1922, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 109. Jahrgang, Nr. 8, 16. Januar 1922, S. 55-67, folgend: Verfassung Braunschweig 1922; vgl. von HoyningenHuene, S. 34. Vgl. von Hoyningen-Huene, S. 407f; vgl. Abelshauser/Faust/Pezina, S. 90. Döring, S. 268. Vgl. Schmidt, S. 29; eine sofortige Umnutzung war Teil des revolutionären Umsturzes, in Berlin soll beispielsweise Karl Liebknecht in der Nacht des 9. November im Bett des Kaisers übernachtet haben, vgl. Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 11; ähnliche Ereignisse können für Braunschweig als Zeichen der Aneignung angenommen werden. Schmidt, S. 29. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2007: Eberle, Martin: Die Residenz zwischen den Kriegen. Mit Kammerspielen, Naturhistorischem Museum, Schloss-Museum sowie Kunstausstellungen wurde das Schloss Volksbildungsstätte; ein Teil wurde zudem verauktioniert, vgl. Schmidt, S. 30; Krebs/Schüller beschreiben die Aufteilung des Mobiliars in vier Kategorien, nämlich in Objekte, denen ein Kunstwert zugesprochen wurde und die dem Museum übergeben werden sollten, in solche mit Kunstwert ohne weitere Verwendungsangabe, in solche, die verkauft werden sollten und solche, die ohne Angabe
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u.s.w., welche gegen Widerruf an Reichs- und Landesbehörden leihweise abgegeben sind147 listet nahezu 2.500 Objekte unterschiedlichster Art (vom Papierkorb über Gläser und Möbel bis zu Gemälden) auf, welche an 37 Stellen verliehen wurden. Neben dem Vaterländischen Museum, dem Landesmuseum sowie dem Naturhistorischen Museum, dem Finanzamt, der Braunschweigischen Staatsbank und der Landeseinwohnerwehr wurden Objekte an ein Mütter- sowie ein Säuglingsheim abgegeben, ebenso an Bankfilialen in Orten wie Braunlage, Seesen und Hasselfelde und an eine „Autogarage Schmidt“148 . Nur für 29 Objekte wurde die Rückgabe vermerkt149. Neben einer derartigen, gemilderten, Form revolutionärer Zerstörung (durch Umnutzung) von Zeichen des Adels betonte man die neu gewonnene Überlegenheit vor allem in Form der Musealisierung dieser Objekte: 20 ehemalige Wohn- und Staatsräume (vom Treppenhaus über Vor- und Ministerzimmer bis zu Schlafzimmer, Audienzzimmer, Thron- und Festsaal) wurden als Schlossmuseum eingerichtet150. Das „Museum für fürstliche Kultur“ wurde am 7. März 1920 eröffnet151. Gemeinsam mit dem Naturhistorischen Museum, Teilen des Finanzamtes152, der Reichswehr und mit den Kammerspielen153 war es Bestandteil einer kulturellen und institutionellen Nutzung, welche bewusst bisherige Ding-Mensch-Bindungen unmöglich machte. Diese Umnutzung ehemaliger Residenzen und weiterer Wohnsitze zu so genannten „Museumsschlössern“ stellte damit die Umwandlung von Nutzgegenständen zu Kulturgütern dar, was einer Neutralisierung der Objekte gleichkommt154 . Groys all-
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einer Werteinschätzung im Schloss verblieben, Krebs, Tekla Annetta/Schüller, Carola: Eine Sitzgarnitur nach Entwurf von Peter Joseph Krahe aus dem ehemaligen Hoftheater Braunschweig. Werktechnik, kunst- und kulturhistorischer Kontext und Objektgeschichte, Facharbeit zum Diplom im Fach „Kunsthistorische Grundlagen der Restaurierung“, Hildesheim 2004, S. 65. Verzeichnis derjenigen Gegenstände aus dem Schlosse Braunschweig u.s.w., welche gegen Widerruf an Reichs- und Landesbehörden leihweise abgegeben sind (NSTA WF 2 Neu 382), folgend: Verzeichnis Leihgaben Schloss Braunschweig. Verzeichnis Leihgaben Schloss Braunschweig. Verzeichnis Leihgaben Schloss Braunschweig. Rundgang im Museumsführer mitsamt Beschreibung der Einrichtung, Meier, Paul Jonas: Das Braunschweiger Schloss-Museum, Braunschweig 1922, S. 9-14; Eberle nennt 21 Räume, Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2007. Döring, S. 268. Zur Aufteilung vgl. Meier, S. 3; vgl. auch Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 143. Das Schlossmuseum wurde 1935 mit dem Einzug der SS Junkerschule ins Schloss aufgelöst, vgl. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2007. Vgl. Schalenberg, S. 198; vgl. Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 30; nach dem 2. Weltkrieg spitzte sich die neutralisierende Umnutzung von Schlössern bzw. deren „Übernahme“ durch neue Machthaber weiter zu, wie Windt am Beispiel des Schlosses Schönhausen zu DDR-Zeiten aufzeigt, vgl. Windt, Franziska: Monarchisches Erbe – Schloss Schönhausen in der DDR: Ein preußisches Lustschloss als Präsidentensitz und Gästehaus der DDR, in: Biskup/Kohlrausch, S. 217-237; vgl. auch Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 30; „Der in den zwanziger Jahren geprägte Begriff der ‚Museumsschlösser‘, der sich an Dehios Vorstellung vom Denkmal als ‚historisch geworde-
462 | S AMMLUNGEN DES A DELS gemeinere Aussage zu Objekten in institutionellen Sammlungen ist diesbezüglich treffend: „Hier, im Museum, werden sie nun zu ästhetischen Signifikanten der Vergangenheit: Ihre Anwesenheit im Museum bezeichnet ihre Abwesenheit in der Realität. Sie sind Kunst, weil sie keine Funktion mehr in der Wirklichkeit haben.“155 Denn sowohl in Braunschweig als auch in anderen Städten handelte es sich bei diesen Schlossmuseen keineswegs um eine unveränderte Bewahrung der vorgefundenen Bestände, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt wurden durch Objektarrangements neue Ding-Ding-Bindungen geschaffen156. Diese Umwandlung von lebendigen Sammlungen zu musealem Kulturgut wurde schnell vollzogen157. Bereits 1922 konnte Meier feststellen: „Wie in allen ehemaligen deutschen Residenzstädten, ist auch in Braunschweig das Schloß nach der Revolution vom November 1918 für Museumszwecke eingerichtet worden.“158 Die Aussage verdeutlicht, dass es sich um neu zusammengestellte Sammlungsbestände handelte, anstatt einer möglichst unveränderten Darstellung bisheriger Dingwelten des Adels159. Statt einer solchen erfolgte die Aneignung der als wertvoll erachteten Objekte als Kulturgut für die gesamte Bevölkerung: „Dementsprechend hatte die Regierung gleich in der ersten Zeit nach der Revolution umfassende Maßregeln für peinliche Erhaltung und Pflege dieser Kunstschätze getroffen. Sie dem Volke als eine Kulturschöpfung ersten Ranges zu bewahren, wird auch weiter ihre Sorge sein.“160 Sowohl Gemälde als auch Möbel und andere Ausstattungsgegenstände werden im Museumsführer hervorgehoben, wobei zwar die unterschiedliche Qualität der Porträtmaler erwähnt, jedoch nicht negativ bewertet wird161. Die Beschreibung veraunschaulicht, dass ein Wandel fürstlicher Porträtgemälde von Symbolen der Familienverbundenheit mit engen Ding-Mensch-Bindungen zu kulturgeschichtlichen Lehrobjekten stattgefunden hatte. Denn zunächst betont Meier zwar den privaten
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nem Kulturorganismus‘ anlehnte und namentlich auf den Tagungen der Denkmalpfleger [...] entschieden propagiert wurde, war insofern ein Argument für die Bewahrung der ‚organisch gewachsenen Einheit‘ und gegen den Abtransport der Interieurs durch die fürstlichen Eigentümer.“, Schalenberg, S. 187; die bewusste Veränderung der bisherigen Einrichtung steht jedoch im Gegensatz zum Verständnis dieser „gewachsenen Einheit“. Groys, S. 154. Beispielsweise wurden Objekte des Berliner Kunstgewerbemuseums in das Schloss Charlottenburg gebracht. vgl. Schalenberg, S. 190; in der Münchener Residenz ergänzten Vitrinen die ursprünglichen Interieurs, vgl. Schalenberg, S. 194; 1935 kam es zudem zu einem Tausch, durch welchen 169 Objekte, die ursprünglich aus der Münchener Residenz stammten und sich seit 1929 als Leihgaben im Stadtmuseum befanden, diesem überlassen wurden gegen ein Porträt Ludwigs (I.) von Bayern von Franz von Lenbach, vgl. Ottomeyer: Von Stilen und Ständen in der Biedermeierzeit, S. 94. Auch wenn Former neben den Befürwortern auch Kritiker erwähnt, Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 143. Meier, S. 3. Trotzdem lobt Meier, dass die Verantwortlichen „diesen jetzt nahezu dasselbe Aussehen gegeben haben, das sie besaßen als sie noch bewohnt waren.“, Meier, S. 3. Meier, S. 9; des Weiteren bezeichnet er das Schlossmuseum als „eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges“, Meier, S. 3. Vgl. Meier, S. 4 und S. 9.
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Charakter der Gemälde, indem er erwähnt, dass sich „nahezu ausschließlich fürstliche Bildnisse des Herzogshauses und der diesem verwandtschaftlich verbundenen fremden Häuser“162 im Schlossmuseum befanden, wobei er hinzufügt: „[...] und das ist schon immer der Fall gewesen; für Bilder anderer Art diente das Museum und vordem die Galerie in Salzdahlum“163 . Schließlich fokussiert er aber in Bezug auf die 21 Gemälde des Hofmalers Johann Georg Ziesenis auf deren neue Bildungsfunktion, indem er feststellt, „dass man Ziesenis nirgends so gut kennen lernen kann, als hier.“164 Tatsächlich hatte man jedoch direkt nach dem Machtwechsel ausgewählte Gemälde aus dem Schloss in das damalige Landesmuseum (das heutige Herzog Anton Ulrich-Museum) gebracht165 , so dass der von Meier beschriebene Eindruck einer reinen Porträtsammlung die Verhältnisse vor dem Machtwechsel nicht korrekt wiedergibt, selbst wenn der Bestand an Porträts dort tatsächlich sehr groß gewesen ist. Gleichzeitig war durch diese Maßnahme die Trennung in kunsthistorische (als hochwertig betrachtete Gemälde im damaligen Landesmuseum) sowie historische Objekte (Ausstattungsgegenstände im Schlossmuseum) vollzogen worden, die noch heute die Betrachtung von Kunst aus Adelsbesitz erschwert. Die Museumsgründungen können als Beispiel des im Nachhinein als problematisch zu bewertenden Umgangs der neuen Regierungen mit den übernommenen Gütern betrachtet werden: „Es galt, sich nach dem politischen Systemwechsel der ‚Hinterlassenschaften‘ der Monarchie anzunehmen, und zwar nicht nur der materiell fassbaren wie der Schlösser und der in ihnen stehenden königlich-kaiserlichen Betten, sondern auch der ‚strukturell kulturellen‘.“166 Während die bereits stark von ihren Besitzern abgespaltenen institutionellen Sammlungen verhältnismäßig einfach in das neue System übertragbar waren, war dies im Fall der noch stark von Ding-MenschBindungen geprägten Sammlungsbereiche schwieriger. Der Feststellung Biskups/Kohlrauschs, dass es im Gegensatz zur Zerstörung adliger Güter im Zuge der Französischen Revolution, „1918 möglich [war], den Monarchen abzusetzen und die von der Monarchie bis dahin selbstverständlich genutzten, aber offenbar als nationalen Besitz betrachteten ‚Kulturgüter‘ als solche zu erhalten“167, ist daher nur eingeschränkt zuzustimmen. Gerade die Tatsache, dass man einen (großen) Teil der vom Adel geprägten Dinge aufgrund der bereits stark entwickelten Idee des kulturellen Erbes und aufgrund einer verhältnismäßig harmlos verlaufenden Revolution nicht zerstören konnte, gleichzeitig ein unveränderter musealer Erhalt jedoch weder finanziell, noch ideell möglich war, bildet die Basis der noch heute zu stellenden Frage eines angemessenen Umgangs mit diesem Teil des kulturellen Erbes. Die nach 1918 durch die neuen Regierungen eingerichteten Schlossmuseen müssen vor dem Hintergrund einer noch unsicheren gesellschaftlichen Situation gesehen 162 163 164 165
Meier, S. 4. Meier, S. 4. Meier, S. 6. Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 143; auch in Berlin wurden ausgewählte Objekte aus dem Stadtschloss in Museen untergebracht, vgl. Machtan, S. 298; die Sammlungen des Charlottenburger Schlosses wurden dagegen durch Objekte aus dem Kunstgewerbemuseum ergänzt, vgl. Schalenberg, S. 190. 166 Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 13. 167 Biskup/Kohlrausch: Das Erbe der Monarchie, S. 29.
464 | S AMMLUNGEN DES A DELS werden, welche neben den politischen Neuerungen auch starke Kontinuitäten aufwies168. Die Monarchie hatte durchaus noch Anhänger169 und der (Hoch-)Adel konnte – wenn auch weniger präsent – wesentliche Lebensgewohnheiten aufrechterhalten. Die Kultur spielte als Element zukünftiger Elitenbildung eine nicht unerhebliche Rolle170. Parallel hatte sich eine nach Moderne strebende „öffentliche“ Kulturlandschaft entwickelt, deren Ziele in Konflikt mit traditionellen Strömungen standen171 . Neue Förderer traten an die Stelle der Adelsfamilien und neue Strömungen der Architektur und Fotografie drangen in die Lebensbereiche vieler Menschen172 . Diese Entwicklungen sowie Alltags- und Existenzprobleme führten zu einer distanzierten Haltung gegenüber den nun zugänglichen Objekten. Zudem waren die Vermögensauseinandersetzungen bei Einrichtung dieser Museen häufig noch nicht abgeschlossen. Diese trugen schließlich zum Eindruck eines „leidenschaftslosen“ gesellschaftlichen Umbruches bei: zwar sollten die bisherigen Lebensräume der nun abgesetzten Monarchen nicht als rein positive Kulturleistungen präsentiert werden (wie beispielsweise Meier sie verstand), doch stellte man sie ebenso wenig als Zeichen einer überwundenen Unrechtsherrschaft zur Schau. Die neutrale Betrachtung mit dem Fokus auf kunsthistorischen Aspekten ermöglichte dagegen die Bereitstellung der Bestände als „Kulturgut für Alle“173 . 168 Schildt weist darauf hin, dass große Bevölkerungsteile die Weimarer Republik als zu überwindende Zwischenlösung ansahen, vgl. Schildt, S. 105; die Vorstellung von weiteren Rechten für die Massen ängstigte zudem das besitzende Bürgertum ebenso wie den Adel, vgl. Wienfort 2006, S. 47. 169 Vgl. Hofmann, S. 241; vgl. Kohlrausch, S. 66; zur Teilnahme des Adels an den Eliten der Weimarer Republik vgl. auch Reif 2001, S. 7 und S. 14ff; zahlreiche Stellen im Verwaltungsbereich wurden nicht neu vergeben, sondern blieben von den gleichen Personen besetzt wie vor der Revolution, vgl. Rosenberg, S. 17; vgl. auch Abelshauser/Faust/Pezina, S. 90; die Hofbeamten in Braunschweig wurden in neuen Verwaltungsposten eingesetzt (der Staat übernahm zudem die Pensionszahlungen für ehemalige Hofbeamte), Gesetz über die Übernahme von Staatsverpflichtungen gegenüber den ehemaligen Hofbeamten und über die Vertretung der ehemaligen Hofstatt, 28. Juli 1919, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 106. Jahrgang, Braunschweig, 18. August 1919, Nr. 103, S. 269-272, folgend: Staatsverpflichtungsübernahmegesetz Braunschweig; vgl. Schmidt, S. 31. 170 Treffpunkte und Instrumente waren die (v.a. großstädtischen) Salons und Klubs wie z.B. der Deutsche Herrenklub, vgl. Reif 2001, S. 18; vgl. Malinowski 2001, S. 178 und S. 198f; vgl. Malinowski 2003, S. 422ff. 171 Vgl. Willett, John: Die Weimarer Jahre. Eine Kultur mit gewaltsamem Ende, Stuttgart 1986 (Originalausgabe: The Weimar Years: A Culture Cut Short, London 1984), S. 7; „Die anhaltende Wirkung der Tradition sollte zwar nicht unterschätzt werden, doch wurden alle Gebiete der Kunst von einem neuen Geist durchdrungen.“, Willett, S. 56. 172 Vgl. Willett, S. 14, S. 63ff und S. 70ff. 173 „Die museale Nutzung war sozialpsychologisch gleichsam ein abfederndes Versöhnungsangebot. In einer durch Revolution, Inflation und insgesamt ungewohnte politische Rahmenbedingungen aufgewühlten Zeit boten die nunmehr im Zeichen staatlich verwalteter Kunst stehenden Schlösser sowohl die Möglichkeit zu historischer Verortung wie zu einer Distanzierung von den vormals übermächtigen fürstlichen Erbauern und Samm-
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Während bereits die Flucht der Herzogsfamilie zu gelockerten Ding-MenschBindungen führte, wurden sämtliche Bindungen der nun im Schloss zu Museumsobjekten gewordenen Dinge weiter abgeschwächt. Dies gilt gleichermaßen für Bindungen zu den in das damalige Landesmuseum verbrachten Objekten. Nur zu einer verhältnismäßig geringen Anzahl von Möbeln und Einrichtungsgegenständen aus dem mit dem Herzogtum Braunschweig verbundenen Besitz konnten durch die Familie der Welfen nach 1918 kontinuierlich Ding-Mensch-Bindungen aufrechterhalten werden. Dabei handelte es sich um diejenigen Objekte aus dem Residenzschloss Braunschweig, die der Familie direkt als Privatbesitz zugesprochen wurden und welche sie als Ausstattung des neuen Wohnsitzes nutzte174. Damit veränderten sich deren Standort und Funktion, welche nun stärker von Erinnerungsaspekten geprägt war. Einige dieser Dinge des Wohnens verblieben seit dieser Zeit in der Villa Weinberg, wo sie zum Teil noch bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts von Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg genutzt wurden. Durch die Rückkehr nach Gmunden konnte Ernst August (III.) von Hannover darüber hinaus zwar Bindungen zum Besitz seiner Eltern, der weitgehend unverändert geblieben war, reaktivieren175. Da er mit seiner Familie allerdings nicht im Schloss Cumberland lebte, sondern stattdessen in der Villa Weinberg ein verhältnismäßig einfaches Leben führte176, waren nur wenige dieser Besitztümer aus dem Gmundener Schloss im eigenen Alltag fest verankert. Regelmäßige Besuche an den Wochenenden hielten dennoch den Kontakt zum höfischen Leben aufrecht177 . Für das Familienleben – insbesondere das Leben der Kinder – erschien der nun deutlich weniger streng reglementierte Alltag zunächst befreiend und sorglos, was
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lern.“, Schalenberg, S. 198; ein aussagekräftiges Beispiel für diese Neutralisierung der ehemaligen Sammlungen des Adels bildet das Schloss Monbijou, dessen Entwicklung Luh ausführlich beschreibt. Obwohl dieses bereits vor 1918 als Museum genutzt wurde, zielte die Auswahl der Objekte darauf ab, Bindungen zur Familie der Hohenzollern deutlich zu machen. Nach der Umgestaltung zur Neueröffnung 1927 (welche beispielsweise den Ausbau von fest im Raum verankerten Vitrinen und Bücherschränken beinhaltete) lag der Fokus nun auf einer rein historischen und kunsthistorischen Betrachtung der verbliebenen Objekte, vgl. Luh, S. 200-212. Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250. Für Ernst August von Cumberland, dessen Frau und die unverheiratete Tochter war der Umbruch 1918 in direkter Folge harmlos verlaufen. Die Auswirkungen waren vergleichbar mit denjenigen für mediatisierte Familien in Deutschland. Für ihn führten die Veränderungen, neben dem Verlust der Vorrechte, auch zur wiederhergestellten Gleichstellung mit den bis 1918 souveränen Häusern, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 14; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221; im Gegensatz dazu wurde der Besitz des in Österreich bis 1918 regierenden Hauses (ausgenommen die eindeutig als Privatbesitz feststellbaren Besitzteile) entschädigungslos enteignet, vgl. Günther, S. 136; vgl. Obenaus, S. 45ff. Seine Frau betonte das Familiäre des Hauses, welches sie in Gegensatz zu den Räumlichkeiten eines Schlosses setzte, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250; vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 40; allerdings hatte man noch immer Personal, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 252. Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250.
466 | S AMMLUNGEN DES A DELS möglicherweise Auswirkungen auf ein späteres Verhältnis zum Braunschweigischen Besitz hatte. Auch auf die Braunschweigische Herzogsfamilie traf daher die Feststellung Hoyningen-Huenes zu, dass „[d]ie ersten zehn Jahre der Republik [...] für viele Mitglieder des deutschen Adels durch den Konflikt gekennzeichnet [waren], traditionellen ‚Anspruch‘ und reales ‚Sein‘ vor sich, der Familie und der Öffentlichkeit in Einklang zu bringen.“178 Auf eine erste Phase der Entspannung, die scheinbar durch Zufriedenheit über das neu gewonnene Familienleben – aber auch durch den Verlust von Besitz – geprägt war179, folgten seit 1921 auf gerichtlichem Weg Bemühungen Ernst Augusts (III.) von Hannover um die Rückerstattung von Teilen des durch die Entmachtung beschlagnahmten Vermögens. 1923 änderte sich die Situation durch den Tod Ernst Augusts von Cumberland erneut. Sämtlicher Besitz kam nun in der Hand Ernst Augusts (III.) von Hannover zusammen. Dazu gehörten Schloss Marienburg sowie Schloss Herrenhausen in Hannover (laut Vermögensvertrag von 1867), Schloss Richmond in Braunschweig (aus dem Erbe Wilhelms von Braunschweig) und das von Ernst August von Cumberland selbst errichtete Schloss Cumberland. Durch die preußische Verwaltung der Schlösser Marienburg und Herrenhausen blieb die Situation bezüglich dieses Teils des Erbes kompliziert180 . Zudem war die Verbindung des Erben zu Hannover eine rein politisch-ideelle, gelebt hatte er dort nie. Die Feststellung, dass der Tod Ernst Augusts von Cumberland eine Zäsur darstellte, ist daher auch in Hinblick auf die Bindung zu den ererbten Objekten von Bedeutung: „Mit ihm war der letzte Angehörige des Welfenhauses, der noch im Königreich geboren und aufgewachsen war, dahingegangen.“181 Die bis zu diesem Zeitpunkt noch umfangreiche Hofhaltung im Schloss Cumberland fand in der Folgezeit ein Ende und 1930 wurde das Schloss als welfisches Haus- und Familienmuseum genutzt182 : „Ob die lange Prozessdauer, die wirtschaftlich ungünstigen Verhältnisse wie Inflation, Entwertung, die teuren Umbaukosten in Blankenburg, der nachgelassene Ertrag der Domänen, die 178 Von Hoyningen-Huene, S. 77-78. 179 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221 und S. 250; diesbezüglich weist Malinowski darauf hin, dass der Hochadel zunächst darüber erleichtert war, einem ähnlichen Schicksal wie dem der russischen Zarenfamilie entgangen zu sein, und daraufhin versuchte, Teile des bisherigen Lebens wieder aufzunehmen, vgl. Malinowski 2003, S. 211f; Ausführungen wie diejenigen Machtans betrachten die Zeit jedoch zu wenig differenziert: „Dieses Gefühl der inneren Befreiung scheint echt gewesen zu sein. Denn am Tag darauf, als auch die Reichsmonarchie endgültig kollabierte, brachte Ernst August sogar seine ‚Freude über den Zusammenbruch‘ zum Ausdruck. Das berichtet sein Schwager, Prinz Max von Baden, der letzte Kanzler des Kaiserreichs. In dessen Sonderzug konnte sich die Familie des Herzogs noch am Abend des 9. November nach Süddeutschland und wenig später nach Österreich absetzen, wo sie fortan glücklich auf den Besitzungen des Welfenoberhauptes weiterlebte.“, Machtan, S. 12; den Aspekt der finanziellen Unsicherheit betont Kirschstein, S. 190f. 180 Laut von Alvensleben/Reuther blieb Herrenhausen bis 1934 unter preußischer Verwaltung, von Alvensleben/Reuther, S. 20. 181 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 249. 182 Vgl. Spitzbart, S. 79; vgl. Steckhahn, S. 163.
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kostspielige Hofhaltung bzw. die Hofverwaltung in Gmunden der Grund oder die Gründe waren, diese Hofhaltung in Gmunden aufzulösen ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen.“183
Die Bindung zu Braunschweig war stattdessen stärker, wodurch erneut die gelebte Verpflichtung des Adels gegenüber ererbter Machtpositionen deutlich wird. Denn nur in Braunschweig hatte Ernst August (III.) von Hannover regiert. Das kleine Schloss Richmond wurde daher vorübergehend durch ihn und seine Frau genutzt184 . Diese Nutzung führte zu einer verbesserten Pflege von Teilen der Parkanlagen, für welche Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg eigens Blumen aus Potsdam liefern ließ185. Es ist festzuhalten, dass die erste Phase nach der Entmachtung 1918 für die welfische Familie bezüglich ihres Besitzes von großer Instabilität geprägt war, obwohl das österreichische Eigentum unangetastet blieb. Die noch ungeklärten Verhältnisse in Bezug auf den Besitz in Hannover und Braunschweig führten dazu, dass große Teile der Sammlungen nicht genutzt werden konnten. Bindungen mussten unweigerlich abbrechen und zahlreiche Objekte wurden neuen Nutzungen zugeführt (zum Teil als museales Kulturgut). Ernst August (III.) von Hannover als Vertreter der jüngeren Generation musste (zunächst) jeglichen eigenen Einfluss auf Sammlungsbestände aufgeben. Zu einem engeren Kontakt zu den Sammlungen in und um Schloss Cumberland durch Etablierung eines eigenen Hoflebens kam es, trotz der Möglichkeit zur Reaktivierung von Bindungen, nicht. 4.1.2 Die gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg und dem Braunschweigischen Staat – Voraussetzungen und Folgen Die Bemühungen Ernst Augusts (III.) von Hannover bezogen sich im Verlauf der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts vorrangig auf die Vermögensregelungen mit dem neuen Braunschweigischen Staat sowie mit dem Preußischen Staat bezüglich des so genannten „Welfenfonds“186 . Während und in direkter Folge der Entmachtungen war keine Regelung zur Handhabung des Vermögens der ehemaligen Regenten getroffen worden:
183 Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 152; vgl. Spitzbart, S. 79; tatsächlich konzentrierte sich Ernst August (III.) von Hannover in dieser Zeit bereits auf eine Rückkehr nach Blankenburg und die Aufgabe des Hoflebens in Gmunden ist nicht allein finanziell zu begründen. 184 Vgl. Adriani, S. 10; vgl. Tute, S. 28; das so genannte „Williams Castle“ und die Herzogliche Villa auf dem Gelände des Richmond-Parks waren Anfang des 20. Jahrhunderts (vor der Machtübernahme Ernst Augusts (III.) von Hannover in Braunschweig) abgerissen worden, vgl. Tute, S. 28. 185 Tute, S. 28. 186 Das Haus Hannover stritt von 1924-1933 mit dem preußischen Staat um Auszahlungen aus dem „Welfenfonds“, vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 151f; vgl. Kirschstein, S. 191; vgl. Aschoff, S. 287.
468 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Man begnügte sich mit den Abdankungen der ehemaligen Herrscher, fasste aber keine Entschlüsse über ihr Vermögen. Entweder hätte man den Besitz der Fürstenhäuser vollständig konfiszieren, oder man hätte einen Teil der Güter und so weiter den Fürsten belassen und den Rest für Staatseigentum erklären können. So blieb die ganze Frage ungeklärt, und in den späteren Jahren sollten daraus die peinlichsten Schwierigkeiten für die deutsche Republik erwachsen.“187
In Braunschweig war die Aussage der Revolutionäre, veröffentlicht in ihrem Mitteilungsblatt Volksfreund vom 10. November 1918, zunächst eindeutig gewesen: „Damit sind alle herzoglichen Domänen und Güter zum Eigentum der Republik erklärt und alle persönlichen Titel und Vorrechte aufgehoben.“188 Im Frühjahr 1919 erklärte der Volkskommissar für Inneres und Finanzen, Sepp Oerter, zudem, jegliche Entschädigungen an das Herzogshaus seien überflüssig189. Bereits zu dieser Zeit stieß die Haltung jedoch auf Gegenwehr, beispielsweise durch den Juristen und Politiker August Hampe190 . Die Weimarer Reichsverfassung sah schließlich den allgemeinen Schutz des Eigentums vor, beschäftigte sich jedoch nicht mit demjenigen der ehemaligen Fürsten im Speziellen und beließ die Lösung dieser Aufgabe weitgehend bei den Einzelstaaten191 . Aus dieser Situation ergaben sich jahrelange Rechtsstreitigkeiten, welche poli-
187 Rosenberg, S. 38-39; vgl. Schulte, S. 5f. 188 Bekanntmachung der Revolutionsregierung im Volksfreund, 10. November 1918: Volksfreund. Republikanisches Organ für Braunschweig und Umgegend. Braunschweig, Sonntag, 10. November 1918, abgedruckt in: Broschüre Braunschweig 1922: Die Ansprüche des ehemaligen Herzogshauses. Die Gegenschrift des Staatsministeriums auf die Klage des ehemaligen herzoglichen Hauses mit dem Gutachten des Obergerichtspräsidenten Dr. Hettling, Wolfenbüttel 1848, S. 45-48, folgend: Volksfreund 1918; unterstützt durch: Gesetz über die Weitergeltung der bisherigen Landesgesetze und Einrichtungen, Braunschweig, 13. November 1918, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 105. Jahrgang, Braunschweig, 16. November 1918, Nr. 60, S. 263, folgend: Weitergeltungsgesetz Braunschweig; entsprechend kam es zu Verpachtungen und Verkäufen auch auf diesem Gebiet, vgl. Schmidt, S. 30; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 143. 189 Schmidt, S. 31f. 190 Vgl. Schmidt, S. 32; vgl. Hampe. 191 „Die Reichsverfassung hat naturgemäß die Mängel nicht beseitigen können, die von Anfang an der deutschen revolutionären Entwicklung eigentümlich waren. Die Verfassung ließ die Einzelstaaten bestehen, sie schützte die traditionellen Beamtenrechte und die Unabsetzbarkeit der Richter. Sie klärte weder das Verhältnis der neuen Republiken zu den alten Fürstenhäusern auf vermögensrechtlichem Gebiet noch die Beziehungen zwischen Staat und Kirche.“, Rosenberg, S. 80; auch Schulte kritisiert, dass es diesbezüglich nicht auf Gesetzesebene zu einer Lösung kam, stellt aber auch fest, dass entsprechende – für die ehemaligen Fürsten ungünstigere – Gesetze gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen hätten, Schulte, S. 6 und S. 10.
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tisch sowie wirtschaftlich für Teile der Bevölkerung schwer verständlich sein mussten192 . 1926 schrieb Schulte: „Diese Auseinandersetzung muss unter Berücksichtigung der seit 1918 bestehenden neuen Lage, im Geiste der heutigen Staatsordnung erfolgen. Sie muss auch den Lebensnotwendigkeiten der Länder und der allgemeinen Notlage des deutschen Volkes einerseits Rechnung tragen, andererseits aber die Beachtung der berechtigten Ansprüche der Fürstenhäuser auf ihren reinen Privatbesitz wie bei anderen Staatsbürgern und eine angemessene Lebenshaltung gewährleisten.“193
Die nicht ganz einfach zu klärende Frage nach einer „angemessenen Lebenshaltung“ für die ehemaligen Fürsten ging somit nicht allein von diesen selbst aus, sondern war Teil einer weit verbreiteten Haltung gegenüber den Vermögensauseinandersetzungen. Quantität und Heterogenität der Vermögen, welche vorwiegend „aus Sachgütern, besonders aus landwirtschaftlich nutzbarem Land, aus Wäldern, aus Gebäuden und aus Sammlungen“194 bestanden, verstärkten die Schwierigkeiten der Lösung des Problems. Die schwierige Klärung der preußischen Vermögensverhältnisse und einige geschlossene Vergleiche lösten schließlich die Forderung der Kommunisten und Sozialdemokraten nach der grundlegenden Enteignung aller Fürsten aus195. Eine solche wäre laut Weimarer Reichsverfassung „zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage“196 möglich gewesen197. In dieser Frage kam es im Juni 1926
192 V.a. die Wirtschaftskrise mit Inflation führte zu einer schwierigen Lage verschiedener Bevölkerungsschichten, die in Teilen der Mittelschicht zu einer positiven Haltung gegenüber der Monarchie führten, in ärmeren Bevölkerungskreisen jedoch das Unverständnis gegenüber dem Umgang mit den Fürstenvermögen verstärkten, vgl. Rosenberg, S. 91 und S. 129; vgl. Günther, S. 83; positive Auswirkungen durch Kredite und Schuldenerlass hatte die Inflation auf die Großindustrie, welche noch stärker als zuvor zur neuen Geldelite wurde, vgl. Rosenberg, S. 106. 193 Schulte, S. 5; auch Günther verweist auf diese „angemessene Lebenshaltung“, er betont jedoch v.a. die im Vergleich zu den Ansprüchen der Fürsten für ihn höher zu bewertenden Bedürfnisse der neuen Staaten, Günther, S. 115. 194 Kaufhold, S. 283. 195 „Vor dem Hintergrund der durch die Inflation herbeigeführten sozialen Not mußten Gerichtsurteile auf Unverständnis und Empörung stoßen, die 1924 und 1925 in dem einen oder anderen Fall die Länderregierungen zur Zahlung hoher Rückgabe- bzw. Abfindesummen veranlaßten.“, Mlynek/Röhrbein, S. 444; vgl. Kaufhold, S. 262f und S. 275; vgl. Günther, S. 96ff; vgl. Schulte, S. 2 und S. 8; vgl. Rosenberg, S. 185; Rosenberg erwähnt auch, dass die in den Gerichten noch zahlreichen pro-monarchisch eingestellten Entscheidungsträger in dieser Frage v.a. entgegen der Meinung der Arbeiterschaft entschieden, Rosenberg, S. 184. 196 Artikel 153, Absatz 2, Weimarer Reichsverfassung. 197 „Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen.“, Artikel 153, Absatz 2, Weimarer Reichsverfassung; vgl. auch Kaufhold, S. 279.
470 | S AMMLUNGEN DES A DELS zu einem Volksentscheid, der jedoch nicht erfolgreich war198 . Kaufhold weist darauf hin, dass eine solche radikale Enteignung gleichzeitig die Wiederherstellung der Monarchie unmöglich gemacht hätte199 . Diese war jedoch zumindest für Teile der Bevölkerung noch immer eine Option (ohne gleichzeitig ausdrücklicher Wunsch zu sein). Auch der Reichstag beschäftigte sich mit einer einheitlichen Behandlung allen Fürstenvermögens, welche nachträgliche Gültigkeit selbst für bereits abgeschlossene Verhandlungen haben sollte200 . Diese wurde allerdings unnötig, nachdem im Oktober 1926 auch die preußischen Vermögensverhältnisse geklärt waren201. Die lange Klärungsphase sowie die Details der Auseinandersetzungen führen aus derzeitiger Sicht zu dem Gefühl, dass die Zwischenkriegszeit in dieser Frage keine Gewinner zuließ202. Auch wird den gerichtlichen Beschlüssen bis heute zum Teil geringe Akzeptanz entgegengebracht, da große Teile des Besitzes ideell untrennbar mit dem Amt des Regenten verknüpft werden203 . Schalenberg betont dabei, vor allem in Bezug auf die heute als Kulturgüter betrachteten Objekte, eine ideelle sowie juristische Unklarheit über diesbezügliche Eigentumsverhältnisse204 , die noch immer spürbar ist. Günther betont die Unmöglichkeit der genauen Trennung von Privat- und Staatsvermögen zur damaligen Zeit, aber auch, dass „eine Erzielung gegenseitiger Verständigung und größtmöglichen dauernden Befriedigungsbewusstseins“ im Vordergrund standen205 . Von Aretin sieht dagegen „in der Art und Weise, wie diese Streitigkeiten im Vergleichswege erledigt wurden, ein unvollendetes Element der 198 4.-7. März 1926 Volksbegehren und 20. Juni 1926 Volksentscheid, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S.; 19,8 Mio. Ja-Stimmen wären notwendig gewesen, immerhin 12,5 Mio. Ja-Stimmen wurden abgegeben. Im Wahlbezirk Südhannover-Braunschweig wurden knapp 40% Ja-Stimmen gezählt, womit man über dem Gesamtdurchschnitt, jedoch unter dem geforderten Anteil von 50% lag, vgl. Former: Die Entschädiung des Welfenhauses, S. 148ff; zum gescheiterten Volksentscheid vgl. Schmidt, S. 147-159; vgl. Mlynek/Röhrbein, S. 444; vgl. Günther, S. 32ff; Rosenberg erwähnt 14,5 Mio. Ja-Stimmen, Rosenberg, S. 185. 199 Vgl. Kaufhold, S. 280. 200 Vgl. Schmidt, S. 144. 201 Vgl. Schmidt, S. 159; vgl. Günther, S. 37. 202 Beide Seiten mussten durch die Inflation große Verluste hinnehmen, die Zuschreibung von Teilen Schlesiens zu Polen bedeutete zudem Gebietsverluste auch für den Adel, vgl. von Hoyningen-Huene, S. 379; vgl. Kaufhold, S. 282; auch in Braunschweig spaltete die Frage die Parteien nachhaltig, vgl. Schmidt, S. 160. 203 Hampe forderte allerdings bereits 1921 Verständnis für das Fürstenhaus: „Niemandem, der durch fremde Gewalt von Haus und Hof vertrieben wird, kann man es verdenken, wenn er von dem neuen Besitzer wenigstens Schadensersatz für das verlorene Eigentum fordert ... Warum in aller Welt macht man es eigentlich mit unserem ehemaligen Herzoge und unserem Herzoglichen Haus anders? Das erklärt sich aus einem doppelten Grunde: einmal aus der völligen Unkenntnis der Bevölkerung über die Rechtsverhältnisse und dann aus der vermeintlich unsinnigen Höhe der Abfindungsforderung.“, Hampe, S. 2; Schmidt beurteilt den Vergleich in Braunschweig als fair für beide Seiten, vgl. Schmidt, S. 167. 204 Schalenberg, S. 187. 205 Günther, S. 112.
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Revolution.“206 Laut Schulte führten die Regelungen in unmittelbarer Folge der Auseinandersetzungen weitgehend zu Zufriedenheit207. Dahingegen sah Günther noch 1928 die Notwendigkeit eines allgemeingültigen Gesetzes, welches die Vermögensfrage rein volkswirtschaftlich zugunsten der neuen Staaten klären sollte: „Darin läge aber dann der bisher unterbliebene und deshalb nachzuholende Revolutionsakt.“208 Auch der noch heute häufig in Zusammenhang mit dem Besitz des Adels geforderte Verzicht der Familien aus ethischen Gründen wurde von Günther formuliert 209. Wie bereits im Falle des Umgangs mit den übernommenen Schlössern kann man zusammenfassend in Hinblick auf die rechtliche Auseinandersetzung mit den Fürstenvermögen feststellen, dass das Ziel der Weimarer Republik, ein Rechtsstaat zu werden, über dem Wunsch einer unwiederbringlichen Niederlage des Adels stand210 . Günther stellte bereits in seiner Untersuchung 1928 fest, dass Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit dem Vermögen der entmachteten Fürsten nicht immer korrekt verwendet wurden. Dies ist noch heute zutreffend und führt zu einer falschen Einschätzung der Situation. Daher soll die Erklärung Günthers an dieser Stelle zusammenfassend wiedergegeben werden. Er weist darauf hin, dass der Besitz der Fürsten 1918 in der Regel beschlagnahmt wurde. Die Auseinandersetzungen waren „Regelungen von Rechtsverhältnissen“, welche bisher gemeinsam genutzte Güter in privaten Besitz der ehemaligen Fürsten und Besitz der Staaten aufteilten. Dabei kam es häufig zu Vergleichen, also zu gemeinsam verhandelten Kompromisslösungen, welche nicht selten Abfindungen für die Fürstenhäuser enthielten, da Ansprüche auf etwas festgestellt wurden, das in seiner eigentlichen Form nicht mehr erfüllbar war211 . Die Auseinandersetzungen bezüglich des Fürstenvermögens behandelten die Trennung von Staats- und Privatvermögen, wobei das landesherrliche Domanium im 206 Von Aretin, S. 161; die Auseinandersetzungen waren rein rechtlich, jedoch nicht politisch motiviert, Günther, S. 84; allerdings wurden finanzwirtschaftliche Fragen ebenso wie historische Fragestellungen in die Auseinandersetzungen einbezogen, vgl. Günther, S. 114. 207 Unzufriedenheit führt er allein auf die Entwertung des Kapitalvermögens durch die Inflation zurück, Schulte, S. 6; auch die Staaten seien selbst an Vergleichen interessiert gewesen, da bei Gerichtsurteilen deutlich wurde, dass viele Beweise für eine starke Begünstigung der Fürstenhäuser sprachen, Schulte, S. 7; die Bevölkerung zeigte erst mit zunehmender Not durch die Inflation sowie mit den Bemühungen einiger Parteien zu Enteignungsmaßnahmen größeres Interesse an den weitgehend bereits abgeschlossenen Auseinandersetzungen, Schulte, S. 8. 208 Günther, S. 117. 209 Günther, S. 119; Günther fordert eine „Märtyrerrolle“ des Adels und bringt in diesem Zusammenhang auch die Enttäuschung über die Rolle des Kaisers zum Ausdruck, Günther, S. 119. 210 Vgl. von Aretin, S. 182; vgl. Günther, S. 24; die Weimarer Reichsverfassung hatte entsprechende Weichen gestellt, so dass die Einzelstaaten damit rechneten, dass auf Enteignungen ohnehin rechtliche Schritte folgen würden, welche ggf. ungünstiger ausfallen konnten als eine direkte rechtliche Auseinandersetzung, vgl. Günther, S. 82. 211 Günther, S. 2ff; „Eine Enteignung liegt vor, wenn der Staat kraft Gesetzes ermächtigt ist – gegen Zahlung einer Entschädigung – Privateigentum der Staatsbürger teilweise oder gänzlich sich selbst zu übereignen.“, Günther, S. 3.
472 | S AMMLUNGEN DES A DELS Vordergrund stand, welches sich aus Land und Immobilien – nicht zuletzt den Schlössern mitsamt ihres Inhalts – zusammensetzte212 . Die Welfen bildeten diesbezüglich keine Ausnahme. Auch in deren Fall war die Frage nach einer rechtmäßigen Teilung von Staatsgut und Privateigentum der Fürstenfamilie schwierig213 . Beispielsweise war das Kammergut, zu welchem, neben 48 Domänen, auch Forsten, Jagden, Fischereien, Anteile an den Unterharzer Bergwerken, die Saline Schöningen und die Porzellanmanufaktur Fürstenberg gehörten, nicht eindeutig der einen oder anderen Seite zuzuschreiben214. Die Hofstatt gehörte laut Neuer Landschaftsordnung von 1832 nicht zum Kammergut, war diesem jedoch gleichzusetzen, weshalb zu überlegen war, ob es diesem auch zuzuordnen war215 . Schmidt führt in diesem Zusammenhang aus: „Obwohl § 169 Abs. 2 NLO ohne Ausnahme von den Herzoglichen Schlössern sprach und in dem Landtags-Abschied des 11. Ordentlichen Landtags vom 14.11.1864 im Anhang ausdrücklich die Schlösser zu Braunschweig, Wolfenbüttel und Blankenburg zu den zur Herzoglichen Hofstatt gehörenden Grundstücken gezählt wurden, wurde nämlich auch vertreten, dass das Blankenburger Schloss als Fideikommiss vom Kammergut unabhängiges Privateigentum des Herzogshauses sei, weil es in dieser Weise auf die Braunschweiger Herzöge übergegangen sei, als diese 1597 die Grafschaft Blankenburg als erledigtes Lehen übernommen hätten.“216
Schließlich ist als dritter strittiger Komplex derjenige der institutionalisierten Sammlungen – das Museum in Braunschweig sowie die Bibliothek und das Landeshauptar212 Vgl. Günther, S. 4 und S. 6. 213 Zur grundlegenden Problematik, welche beispielsweise durch die Vermischung von Privatbesitz und öffentlichem Besitz, durch die Verwendung von Zöllen und Steuern entstand, vgl. Günther, S. 8ff; Günther führt verschiedene Vermögensteile auf: das privatwirtschaftliche Vermögen, das Verwaltungsvermögen, die Finanzregalien, eine Kasse für landesherrliche Ausgaben, eine Kasse für staatliche Ausgaben sowie eine private Schatullkasse, darüber hinaus nahm die Zivilliste eine Sonderrolle ein, Günther, S. 9ff; diese waren so stark verwoben, dass eine genaue Trennung nicht möglich war und die geschlossenen Vergleiche Kompromisslösungen darstellten, Günther, S. 13; die juristischen und historischen Hintergründe der Frage würden an dieser Stelle zu weit führen. Wesentlich für die vorliegende Arbeit ist das Aufzeigen der bis heute nachklingenden Schwierigkeit, diesbezüglich eine zufriedenstellende Lösung zu finden. 214 Erträge aus dem Kammergut waren für die „Bedürfnisse“ des Fürsten verwendet worden, Überschüsse jedoch an den Staat gegangen. Für eine ausführliche Behandlung dieser Frage vgl. Schmidt, S. 12ff; vgl. Pollmann, S. 18; § 161, NLO; § 169, NLO; Hampe führt aus, dass das Eigentum immer beim Herzogshaus gelegen habe, nur die Nutzung rechtlich insofern festgelegt wurde, dass auch Staatskosten aus diesem Eigentum zu bezahlen waren, Hampe, S. 2. 215 „Die sämmtlichen herzoglichen Domainen, Forsten, Jagden und Fischereien, die damit verbundenen Gefälle und Gerechtsame, so wie die heimfallenden Lehne, ferner die Bergund Hüttenwerke, die Salinen, Glas- und Ziegelhütten, Steinbrüche, Kalk- und Gypsbrennereien, Braunkohlengruben und Torfstiche, die Porzellanfabrik und die Münze sollen das Kammergut bilden.“, § 162, NLO; vgl. Schmidt, S. 20. 216 Schmidt, S. 21.
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chiv in Wolfenbüttel – zu nennen. Auch diese hätten zum Kammergut gezählt werden können, was jedoch nicht eindeutig geklärt war217. Kammergut, Hofstatt und institutionalisierte Sammlungen waren je nach Betonung der geschichtlichen Bindungen oder der öffentlich-rechtlichen Bindungen dem Gesamthaus BraunschweigLüneburg oder dem Staat zuzuordnen218. „Wesentlich für das Verständnis der Fürstenabfindungen nach 1918 ist, dass die Hausvermögen damit in den Sog der Staatsrechtslehre gerieten. Mit der Vorstellung eines über den Landesfürsten angesiedelten Staates versuchten Staatsrechtler zunehmend auch die Hausvermögen für den Staat zu reklamieren ohne zu hinterfragen, ob diese staatsrechtliche Auslegung auch zivilrechtlich von einem Erwerbsvorgang begleitet war.“219
Wesentlich war daher auch die Frage, ob der Herzog als Person oder das Haus als Gesamtgemeinschaft als Eigentümer angesehen wurde220. In beiden Fällen war das Haus, nämlich Ernst August (III.) von Hannover sowie seine Verwandten und Nachkommen, von den Ergebnissen der Verhandlungen unmittelbar betroffen, da in Braunschweig bis 1918 die Apanagen sowohl durch den Regenten als auch den Staat getragen worden waren221. Verantwortungen für Geldzahlungen jeglicher Form (wie Apanagen und Renten) waren jedoch insgesamt schwer festzulegen und gehörten zu den stark umstrittenen Elementen der Auseinandersetzungen222. Mit der gerichtlichen Vertretung des Hauses wurde bereits 1919 Prof. Dr. Paul Knoke beauftragt, welcher der Obersten Verwaltung des (ehemaligen) Herzogs vor-
217 Vgl. Schmidt, S. 21. 218 „Diejenigen, die die geschichtlichen Wurzeln dieses Vermögens betonten, sprachen sich für das herzogliche Eigentum aus, das mit rechtlichen Bindungen zugunsten des Staates belastet war. Diejenigen aber, die die öffentlich-rechtliche Bindung des Eigentums in den Vordergrund stellten, mussten umgekehrt zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um vom Staat untrennbares Vermögen, also Eigentum des Staates handelte, das zugunsten des Herzogshauses belastet war.“, Schmidt, S. 24; Hampe betonte beispielsweise die geschichtliche Entwicklung: „Bei uns in Niedersachsen haben die Herzöge den Grundbesitz nicht durch ihre Fürstengewalt, sondern umgekehrt, die Fürstengewalt infolge ihres großen Grundbesitzes in Land erworben.“, Hampe, S. 2. 219 Von Aretin, S. 166; des Weiteren führt von Aretin aus: „Auch die Behandlung der Hausvermögen der mediatisierten Fürsten, die nach Artikel 27 der Rheinbundsakte vom 12. Juli 1806 ihre Domänen als Privateigentum hatten behalten dürfen, ließ eine rigorose Umsetzung der Verstaatlichungslehren als unbillig erscheinen.“, von Aretin, S. 168. 220 Vgl. Schmidt, S. 25; aus diesem Grund traten als Kläger schließlich sowohl die Verwaltung des Herzoglichen Hauses (vertreten durch Knoke u.a.) auf, als auch Ernst August (III.) von Hannover für sich und seine Söhne (sowie vor 1923 für Ernst August von Cumberland), vgl. Schmidt, S. 78. 221 Vgl. Günther, S. 19; betroffen waren insgesamt 11 Hausmitglieder, vgl. Günther, S. 58. 222 Vgl. Günther, S. 58; Günther nennt diese neben den Unterhaltungskosten für Immobilien als Hauptausgabepunkt der ehemaligen Fürsten und sieht daher die Möglichkeit, diese aus dem den Fürsten zugesprochenen Grundbesitz abdecken zu können, als ein Ziel der Auseinandersetzungen an, Günther, S. 127ff.
474 | S AMMLUNGEN DES A DELS stand223. Als entschiedener Gegner der Ansprüche des Gesamthauses BraunschweigLüneburg ist dagegen Sepp Oerter zu nennen, der zunächst als Volkskommissar für Inneres und Finanzen fungierte und seit Sommer 1920 Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig war224. Die Verhandlungen begannen intensiv im Herbst/ Winter 1920225 . Bereits zu diesem Zeitpunkt spielten Mobilien für das Haus eine wichtige Rolle, so dass man, neben anderen Punkten, für diese eine Nutzungsentschädigung forderte sowie Entschädigungen für bereits veräußertes Mobiliar226 . Im November 1921 reichte das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg schließlich Klage ein mit der Forderung einer Geldzahlung sowie Zinsen auf die landesfürstliche Rente (abzüglich der Repräsentationskosten)227. Der Rückerhalt von Ausstattungsgegenständen stand neben diesen finanziellen Ansprüchen im Vordergrund, auch weil man von Abtransporten aus den Schlössern wusste228. Das Haus hatte zur schnelleren Abwicklung beschlossen, erst einmal vor allem Mobilien einzuklagen, wobei explizit Gobelins, Silber, Porzellan und Wäsche aufgeführt wurden229. Dies gelang – im Gegensatz zur Bewilligung der geforderten Geldsumme – problemlos, da derartige Gegenstände als Bestandteil der Privatvermögen der ehemaligen Regenten angesehen wurden230. Ausdrücklich forderte man die Rückführung der aus Schloss Blankenburg entfernten Objekte231. Von Beginn an forderte man auch den Rückerhalt des Schlosses Blankenburg und begründete Geldforderungen, neben dem nötigen Unterhalt der Familie, auch mit den entsprechenden Erhaltungskosten232. Bewusst wurden, nun 223 Vgl. Schmidt, S. 32 und S. 46; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 144. 224 Allerdings Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts aufgrund von Bestechungsvorwürfen aus der USPD ausgeschlossen wurde, vgl. Schmidt, S. 107; vgl. Oerter, Sepp: Ich – Sepp Oerter – klage an, die Zentralleitung der U.S.P.D. in Berlin, die Parteiinstanzen der U.S.P.D. in Braunschweig, die Landtagsfraktion der U.S.P.D. in Braunschweig, den Minister Grotewohl in Braunschweig, des infamsten politischen Meuchelmordes, Braunschweig 1922; später war er Mitglied der NSDAP. 225 Für ausführliche Informationen bezüglich der Verhandlungen vgl. Schmidt, vgl. Hampe, vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses. 226 Vgl. Schmidt, S. 47. 227 Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 145; 4. November 1921 Zustellung der Klageschrift, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S. 228 1921 erfuhr man von der Entfernung von Mobiliar aus Schloss Blankenburg, vgl. Schmidt, S. 76. 229 Vgl. Schmidt, S. 76; man benötigte diese Gegenstände, wie oben erwähnt, zur Einrichtung des damaligen Wohnsitzes, der Villa Weinberg, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 145. 230 Entscheidung des Landgerichtes im Sommer 1922, vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 145; vgl. Günther, S. 77; Günther weist darauf hin, dass selten genaue Auflistungen von Einzelobjekten angefertigt wurden, so dass diese Bestände schwer einzuschätzen sind, Günther, S. 76. 231 Vgl. Schmidt, S. 79. 232 Vgl. Hampe, S. 5 und S. 7; die Unterhaltungskosten sah auch Günther als wesentliches Element, welches in den Auseinandersetzungen insofern zu berücksichtigen war, dass nicht eine Seite zu viele dieser zehrenden Vermögensteile erhielte, wie es beispielsweise
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nicht mehr benötigte, Repräsentationskosten aus den (Renten-) Forderungsberechnungen herausgenommen, hielt jedoch die Rückkehr Ernst Augusts (III.) von Hannover und dessen Familie aufgrund ihrer zu erwartenden Ausgaben trotzdem als förderlich für die Wirtschaft der Region233. Gefordert wurden 4 Forstamtsbezirke, 7 von 74 Domänen, das Schloss Blankenburg, das Gestüt Bad Harzburg sowie gegebenenfalls die Bibliothek in Wolfenbüttel und das Museum in Braunschweig (wobei die Forsten und Domänen „bringende“, die weiteren Punkte so genannte „zehrende“ Vermögen waren)234. Nachdem im Dezember 1921 die erste Verhandlung bezüglich der Klage des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg beim Landgericht stattgefunden hatte235, wurde – die Bekanntmachung der Revolutionsregierung von 1918 bestätigend – in der Verfassung des Freistaates Braunschweig vom 6. Januar 1922 das Kammergut als Staatseigentum festgelegt236. Eine auf die Klage reagierende Broschüre des Staatsministeriums vom Oktober 1922 führt diesbezüglich aus, die Welfen haben ihr Privatvermögen zur Erlangung der Souveränität eingebracht und „[d]as den Staatszwecken gewidmete souveräne Gut wird in Braunschweig Kammergut genannt. Es ist dem öffentlich-rechtlichen souveränen Zwecke gewidmet. Es ist jedem privatrechtlichen Eingriff entzogen.“237 Der Kompetenzgerichtshof hatte jedoch durch die unklare Haltung der Neuen Landschaftsordnung in dieser Frage keine Möglichkeit gesehen, die Klage abzuweisen238 . Die folgenden Verhandlungen kreisten immer wieder um die Frage nach Privat- oder Staatseigentum des Kammergutes sowie um die Frage, ob Ernst August (III.) von Hannover sein Anrecht auf dieses verloren habe, was zu der Notwendigkeit von Entschädigungen führen würde. Doch auch diese wurden durch die Broschüre des Staatsministeriums mit dem Argument in Frage gestellt, der Ver-
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im Fall Preußens geschehen sei (der Staat erhielt zahlreiche Schlossanlagen), Günther, S. 124f. Vgl. Hampe, S. 5; beiden Überlegungen liegt zugrunde, dass die Entschädigungen sich am zukünftigen Bedarf orientieren sollten, da ein Wertausgleich durch die Staaten nicht zu leisten war, vgl. von Aretin, S. 162. Vgl. Hampe, S. 5; Hampe informiert zudem über die Erträge der einzelnen Forsten und Domänen, vgl. Hampe, S. 5f. 19. Dezember 1921, vgl. Schmidt, S. 86 und Zeittafel im Anhang, o.S. „Alles Staatsgut ist Eigentum des Volkes. Kammergut war und ist Staatsgut. Das Staatsgut steht unter dem Schutz des Volkes.“, Abschnitt III, Artikel 7, Absatz 1, Verfassung Braunschweig 1922; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 144; vgl. Schmidt, S. 62ff. Broschüre Braunschweig 1922, S. 5; vgl. auch Broschüre Braunschweig 1922, S. 2 und S. 6; die Broschüre befasste sich vor allem mit den Geldforderungen (mit Verweis auf die Zivilliste) und wies diese vehement zurück: „Die Inhaberschaft des Thrones ist die Voraussetzung der Geltendmachung ... Das Land kann jederzeit einen anderen Souverän ernennen. Diesem ist dann, wenn sonstige Änderungen nicht vorliegen, die Summe zuzuweisen. Die Summe kann sich nie vererben nach privatrechtlichen Grundsätzen, sie geht über nur mir dem Throne.“, Broschüre Braunschweig 1922, S. 14; vgl. Broschüre Braunschweig 1922, S. 16f. 30. Januar 1922 Verhandlung vor dem Kompetenzgerichtshof sowie dessen Urteil, vgl. Schmidt, S. 92 und Zeittafel im Anhang, o.S.
476 | S AMMLUNGEN DES A DELS lust öffentlicher Rechte könne nicht zu privaten Entschädigungen führen239. Im Juni 1923 fällte das Landesgericht schließlich ein Teilurteil, welches das Haus als juristische Person anerkannte, das Kammergut als Privateigentum ansah und damit Entschädigungen für gerechtfertigt hielt: „Es wies die Zahlungsklage ab, gab aber der Klage auf Vorlage eines Inventarverzeichnisse[s], auf Auskunft und Unterlassung statt. Die Entscheidung über den Antrag auf Rückschaffung oder Herausgabe von Inventargegenständen, die von den zu erteilenden Auskünfte[n] abhängig war, behielt sich das Gericht ausdrücklich vor [...].“240
Beide Seiten waren jedoch mit dem Ausgang nicht zufrieden und legten Berufung ein241 . Das Landgericht schlug vor, sich um einen Vergleich zu bemühen, über welchen schließlich verhandelt wurde242. Das Urteil des Landgerichtes fand sich jedoch insofern in den Vertragsentwürfen wieder, als dass Teile des als Privateigentum bestätigten Kammergutes aufgelistet wurden, welche dem Gesamthaus BraunschweigLüneburg als Eigentum verbleiben sollten243. Ein erster Vergleichsentwurf wurde vom Landtag abgelehnt, wodurch das Oberlandesgericht zuständig wurde, welches im Dezember 1924 erstmalig über die Angelegenheit verhandelte244. Im Frühjahr/ Sommer 1925 wurde erneut über einen Vergleich verhandelt245, der am 23.6.1925 schließlich geschlossen wurde246. Im Oktober beriet sich der Landtag in mehreren Sitzungen über den vorgelegten Vergleichsvorschlag und stimmte ihm am 17.10.1925 zu247. Am 23.10.1925 wurde daraufhin das Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staate und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause verabschiedet und in Folge in der Braunschweigischen Gesetzund Verordnungssammlung veröffentlicht248. Es bestätigte den Auseinanderset239 Broschüre Braunschweig 1922, S. 29; 22. Juni 1922 2. Verhandlung vor dem Landgericht, 12.Oktober 1922 Zwischenurteil des Landgerichts, 18. Januar 1923 2. Verhandlung vor dem Landgericht, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S. 240 Schmidt, S. 104; 14. Juni 1923, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S.; erhalten ist ein Inventar, das im Jahr 1922 (und damit nach der ersten Abgabe von Objekten) angefertigt worden war, Inventar Schloss Braunschweig 1922 (NSTA WF 3 Neu 907), folgend: Inventar Braunschweig 1922; vgl. auch Wedemeyer/Willemsen, S. 15. 241 Vgl. Schmidt, S. 110. 242 Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 145; vgl. Schmidt, S. 113. 243 Schmidt, S. 113. 244 Vgl. Schmidt, S. 118 und S. 120; 15. April 1924 Vertragsentwurf, 25. September 1924 Ablehnung durch den Landtag, 13. Dezember 1924 1. Verhandlung vor dem Oberlandesgericht, 13. März 1925 2. Verhandlung vor dem Oberlandesgericht, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S. 245 Größter Diskussionspunkt war die Rentenzahlung für den ehemaligen Herzog, vgl. Schmidt, S. 131ff. 246 Vgl. Günther, S. 31; vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang, o.S. 247 Vgl. Schmidt, S. 135ff und Zeittafel im Anhang, o.S.; vgl. Günther, S. 31; das Ergebnis war mit 24 zu 22 Stimmen sehr knapp, vgl. Günther, S. 32. 248 Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig; 26. Oktober 1925 Verkündigung in der Gesetz- und Verordnungssammlung, vgl. Schmidt, Zeittafel im Anhang o.S.; auch nach Ab-
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zungsvertrag, der zwischen dem Staat und „dem Gesamthause BraunschweigLüneburg“ sowie „dem Herzoge Ernst August zu Braunschweig und Lüneburg für sich und seine minderjährigen Söhne, die Prinzen Ernst August, Georg Wilhelm, Christian und Welf-Heinrich, Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg“249 getroffen worden war und hob entsprechende Vorschriften der Neuen Landschaftsordnung sowie weiterer betroffener Rechtsschriften auf250. Wie auch in anderen Staaten listet der Vertrag allein diejenigen Güter auf, welche das Haus erhielt, so dass auf dessen Basis keine direkte Gegenüberstellung möglich ist251 . Der Vergleich sprach dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg folgenden Besitz zu: „das Schloß Blankenburg nebst den in und bei Blankenburg belegenen, zur ehemaligen Hofstatt bebauten und unbebauten Grundstücken“252, „die obere Mühle [...] zu Blankenburg nebst Zubehör“253, diverse Forstamtsbezirke254 und Güter255 sowie das Gestüt Bündheim-Harzburg mit Zubehör256. Der Staat erhielt bezüglich dieses Grundbesitzes ein Vorkaufsrecht257 , und das Haus verpflichtete sich zur Über-
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schluss des Vertrages blieben die Auseinandersetzungen öffentliches Thema. Finanzielle Aspekte wurden geregelt und in der Presse kam es zu Diskussionen über mögliche Bestechungen: Die Prozesskosten wurden dem Staat zu Lasten gelegt, das Herzogshaus verzichtete aber beispielsweise auf die Rückerstattung der Vergleichskosten, vgl. Schmidt, S. 139f; zu den Bestechungsvorwürfen vgl. Schmidt, S. 140f; 1985 wurde das Gesetz aufgehoben, da es als gegenstandslos angesehen wurde, Art. 12, Nr. 10, Niedersächsisches Rechtsvereinfachungsgesetz, 30. Juli 1985, in: Nds. GVBl. 1985, S. 246. § 1, Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig. §§ 1 und 2, Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig. Eine Zusammenstellung der nachvollziehbaren Aufteilungen findet sich bei Günther, vgl. Tabelle III. Die Auseinandersetzung betr. Feld- und Forstgrundstücke zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern, S. 149ff, Tabelle V. Die Auseinandersetzung betr. Parks, Gärten, Alleen, Plätze zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern, S. 162ff, Tabelle VI. Die Auseinandersetzung betr. Residenz-, Lust- und Jagdschlösser zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern, S. 166, Tabelle VII. Die Auseinandersetzung betr. andere Wohnlichkeiten, Wirtschafts- und Nebengebäude und dgl. zwischen den Staaten und ihren ehemaligen Fürstenhäusern, S. 173ff. § 1 a), Auseinandersetzungsvertrag, enthalten im Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staate und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause, 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig 26. Oktober 1925, Nr. 116, S. 256-262, folgend: Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. § 1 b), Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. Heimburg, Blankenburg, Wienrode und Hasselfelde, ein Teil des Forstamtsbezirkes Stiege, Forsten bei Gebhardshagen, Lichtenberg und Hessen mit Gehöften und dem Jagdhaus Windenhütte, § 1 c), Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig; Teile der Forsten waren bereits 1924 verkauft worden, gingen nun aber auf das Herzogshaus über, § 2, Absatz 2, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. Gebhardshagen, Heimburg, Hessen, Lichtenberg mit einigem Zubehör, § 1 d), Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. § 1 e), Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. § 3, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig.
478 | S AMMLUNGEN DES A DELS nahme sämtlicher in dessen Verwaltung beschäftigter Beamter mitsamt deren Ansprüchen auf Gehälter und Pensionen258. Mit 23% der Gesamtlandesfläche erhielt der Braunschweigische Staat vergleichsweise viel Land259 . Wie in den meisten Fällen war zudem das dem Haus zugesprochene Land schlechter als das dem Staat zugesprochene260 . Da jedoch als Datum des Inkrafttretens der 1. Januar 1925 festgelegt wurde, erhielt das Haus Erstattungskosten für den Ertrag der Forsten. „Als Vorschuß auf diese Zahlung hat der Staat an das Gesamthaus am 1. Oktober 1925 den Betrag von 120 000 RM zu entrichten.“261 Der Abschluss des Vertrages nach der Inflationszeit war für das Haus günstiger262. Die Gerichtskosten wurden vom Staat übernommen263. Das gesamte Vermögen des Hauses musste von nun an versteuert werden264 und man leistete Verzicht auf sämtlichen weiteren Besitz in Form von Land, Rentenund Apanagezahlungen, Ausstattungskosten oder Nutzungsrechte265 . Dieser Verzicht wurde laut Vertrag durch Ernst August (III.) von Hannover und seine Söhne anerkannt, musste jedoch darüber hinaus in beglaubigten Erklärungen von weiteren Familienmitgliedern vorgelegt werden266 . Die Zusammenfassung der Auseinandersetzungen hat gezeigt, dass bereits zu einem frühen Zeitpunkt Ausstattungsgegenstände wie Möbel und Silber sowie – auch materiell wertvolle – Gobelins in den Verhandlungen für das Haus eine wichtige Rol-
258 § 7, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; es handelte sich um insgesamt 24 Personen, Anlage 7 b), Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; auch Pensionen für Hofbeamte hatte das Herzogshaus zu übernehmen, § 8, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; diesbezüglich handelte es sich um 12 Personen, Anlage 7 a, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; dazu kamen 35 „Ruhegehaltsempfänger“, Anlage 8, Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig; Günther berechnet diese Kosten mit einer Gesamtsumme von jährlich 361.171 RM, Günther, S. 128. 259 Neben dem Landbesitz, der ihm als Privatbesitz zugestanden wurde, erhielt Ernst August (III.) von Hannover 3,6% der Gesamtlandesfläche, vgl. Günther, S. 46f. 260 Günther, S. 121f. 261 § 12, Absatz 3, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 262 Vgl. Günther, S. 59; allerdings hatte sich in Braunschweig auch das Privatvermögen Ernst Augusts (III.) von Hannover durch die Inflation stark verringert, vgl. Günther, S. 126. 263 § 13, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 264 Vgl. Günther, S. 79; zu den dem Haus im Vergleich zugesprochenen Vermögensteilen: „Er wird vom Staate wie anderes Privateigentum behandelt und weder bevorzugt noch ganz oder zum Teile zu besonderen Steuern oder Lasten herangezogen werden.“, § 2, Absatz 4, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 265 § 6, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 266 Ernst August (III.) von Hannover musste für seine Tochter Friederike von Griechenland (damals noch unverheiratet) verzichten, außerdem verzichteten seine Ehefrau Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, seine Mutter Thyra von Dänemark, seine Schwestern Marie-Luise von Baden, Alexandra Prinzessin von Hannover Prinzessin von Cumberland Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin und Olga Prinzessin von Hannover Prinzessin von Cumberland; § 6, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig.
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le spielten267. Allein die Ernst August (III.) von Hannover als Privateigentum zugestandenen Objekte aus dem Residenzschloss in Braunschweig füllten 22 Wagen eines Sonderzuges ins österreichische Exil268. Nach Abschluss der Verhandlungen wurden diese ergänzt durch „den Silberbestand der ehemaligen Herzoglichen Hofstatt in 11 Kisten und einem Korb [...] und im Dezember 347 Möbel- und Einrichtungsgegenstände, ca. 70 Gemälde und 7 Gobelins“269 , welche in das zurückerhaltene Schloss Blankenburg gebracht wurden270. Dies war eine Auswahl, die der ehemalige Herzog laut Auseinandersetzungsvertrag bis zum 1. Juli 1926 treffen konnte271 . Auf „Ersatz wegen abhanden gekommener und veräußerter beweglicher Sachen der ehemaligen Hofstatt“ wurde ausdrücklich verzichtet272 . Günther weist darauf hin, dass die Auflistung einzelner Wohn- und Ausstattungsgegenstände aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Privatbesitz der Fürsten in den Auseinandersetzungsverträgen selten ist: Diese „[...] Vermögensobjekte stehen deshalb so stark im Hintergrund, weil sie in den allermeisten Staaten überhaupt gar nicht Vertragsverhandlungen unterworfen waren. Da sie fast überall dem Schatullgut oder anderen frei verfügbaren Privatvermögensteilen angehören, also nicht mit Auseinandersetzungsmasse sind, finden wir in den Verträgen nur spärliche Erwähnungen oder gar nichts über sie.“273
Für die Ernst August (III.) von Hannover zugestandenen Objekte wurden die Vermögensauseinandersetzungen zum erneuten biographischen Wendepunkt. Ein Teil dieser Objekte wurde bereits zu einem frühen Zeitpunkt in die Bestände in Gmunden 267 Die Forderungen bezogen sich ausdrücklich auf in den Wohnräumen genutzte Objekte und nicht auf die institutionalisierten Sammlungen. Von Aretins Aussage, „Im Übrigen verlangten die entthronten Fürstenhäuser neben ihrem persönlichen Privateigentum die Mobilien ihres Hausvermögens heraus und damit in erster Linie die Kunstsammlungen.“, von Aretin, S. 163, fokussiert daher zu stark auf diesen und vernachlässigt die Bedeutung der im Wohnumfeld genutzten Objektgruppen. 268 Schmidt, S. 30. 269 Schmidt, S. 144; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 148; vgl. Sander, der die Gobelins als „vielleicht das Kostbarste, was das Blankenburger Schloß überhaupt besitzt“ bezeichnet, Sander, Gustav: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. 270 Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 148; Wedemeyer/Willemsen führen 63 Gemälde auf, welche am 19. Dezember 1925 nach Blankenburg verbracht wurden, 91 weitere Gemälde waren für Mai 1926 zum Abtransport bestimmt, Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, S. 479-493. 271 „Die zur Zeit in der Verfügungsgewalt des Staates befindlichen beweglichen Sachen der ehemaligen Hofstatt verbleiben dem Gesamthause nach einer von ihm bis zum 1. Juli 1926 zu treffenden Auswahl, bei der es auf den Bedarf und die Wünsche des Staates nach Möglichkeit Rücksicht nehmen wird.“, § 5, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; diesbezüglich ist jedoch zu bedenken, dass er nur aus denjenigen Objekten auswählen konnte, die noch vorhanden waren. 272 § 6, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 273 Günther, S. 77; vgl. Günther, S. 76.
480 | S AMMLUNGEN DES A DELS eingegliedert und trug so größtenteils zum Lebensumfeld der Familie in der Villa Weinberg bei. Während auf diese Weise neue Ding-Ding-Bindungen entstehen mussten, wurden bisherige Ding-Mensch-Bindungen wiederaufgenommen und intensiviert. Diesen Objekten kamen in Form von Porträts und Dingen des Wohnens sowohl als Mittel sozialen Verhaltens (vorrangig zur Aufrechterhaltung einer auf ein Minimum beschränkten „Bühne des standesgemäßen Lebens“) sowie als Erinnerungsträger maßgeblich identitätsbewahrende Funktionen zu. Für die erst nach Ende der Verhandlungen an das Haus zurückerstattete Objektgruppe war die Phase einer völlig neuen Nutzung nach der Entmachtung (beispielsweise als Museumsgut274) wesentlich länger und intensiver. Durch die Überführung in die Räumlichkeiten Schloss Blankenburgs wurden jedoch bisherige Nutzungs- und Bedeutungsebenen wieder aufgegriffen. Die Objekte ergänzten die noch im Schloss vorhandenen Bestände, wodurch ebenfalls neue Ding-Ding-Bindungen zum Tragen kamen. Stärker als in Gmunden genutzte Objekte, wurden diese zu „Requisiten“ standesgemäßen Lebens, konnten jedoch auch Erinnerungsträger sein. Für die dauerhaft aufrechtzuerhaltende Identität der Fürstenfamilie spielten sie eine wesentliche Rolle, da sie die Verbindung zum Herzogtum Braunschweig symbolisieren konnten. Die lange Zeit der Verhandlungen sowie Veränderungen im Schloss Blankenburg (durch Abtransporte, Umbaumaßnahmen, zusätzliche Objekte aus Braunschweig, den Bezug des „Großen Schlosses“ statt des „Kleinen Schlosses“) sind jedoch sowohl in den Objektbiographien als auch für das Haus Hannover als unumstößliche Wendepunkte zu verstehen. Ein direktes Anknüpfen an die Zeit vor der Entmachtung war nicht möglich. Der Rückerhalt von Schloss Blankenburg sowie von zahlreichen Objekten der Sammlungen kann allerdings als eine Art „Rückeroberung“ früherer Identitätsbestandteile betrachtet werden. Eine Sonderrolle spielten im Zusammenhang mit den gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg sowie dem neuen Staat Braunschweig von Beginn an die institutionalisierten Sammlungsbestände in Museum und Bibliothek. Obwohl diese Teil der frühen Forderungen des Hauses waren, war deren Funktion als öffentliche Sammlungen unter staatlicher Obhut selbst für Unterstützer der Welfen offensichtlich275. Allerdings sprach sich Hampe trotzdem für den Verbleib im Besitz des Hauses aus, mit dem Hinweis auf die hohen Unterhaltungskosten, welche der Staat zu übernehmen hätte mit der Gefahr, diese als Kriegsschuld zu verlieren: „Auch darf man einen anderen Gesichtspunkt nicht übersehen. Es herrscht die größte Besorgnis, dass die Feinde zur Deckung ihrer ungeheuren Kriegsforderungen erbarmungslos einen Teil des Staatsgutes hinnehmen werden. Am meisten gefährdet sind dabei natürlich die Kunstschätze der Länder, da sie keine lebensnotwendigen Werte ausmachen. Vor dieser Gefahr würden Museum und Bibliothek weit besser geschützt sein, wenn sie dem Staate nicht gehörten, sondern im Privateigentum ständen.“276
274 Zahlreiche dieser Objekte waren vorher in der Ausstellung des Schlossmuseums gezeigt worden, vgl. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2007. 275 Beispielsweise Emil Bartels, Finanzpräsident, vgl. Schmidt, S. 40f. 276 Hampe, S. 7.
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Tatsächlich waren die hohen Unterhaltskosten für beide Seiten problematisch, dennoch stellte ihre öffentliche Zugänglichkeit eine wichtige Entwicklung dar, deren Rücknahme kaum denkbar war277. Darüber hinaus war bereits in der Neuen Landschaftsordnung 1832 die Unveräußerlichkeit der Sammlungen festgelegt worden, was deren Wert für die Öffentlichkeit sowie die enge Verbindung zum Staat verdeutlichte278. Hampe sprach davon, dass die Sammlungen auch im Besitz der Welfen weiterhin öffentlich zugänglich bleiben und möglicherweise in Zukunft durch weitere Objekte – wie beispielsweise den „Welfenschatz“ – ergänzt würden279. Ob es dazu gekommen wäre, ist ungewiss. Einerseits gehörten die Objekte des „Welfenschatzes“ zu denjenigen, welche in Gmunden für Wissenschaftler zugänglich waren, so dass eine öffentliche Ausstellung auch in Braunschweig denkbar gewesen wäre. Andererseits wurde an anderer Stelle der spätere Verkauf bereits angedeutet, was den Ausstellungsplänen widersprach. Rückblickend sieht Fink in der Zeit nach 1918 „die ernsthafteste Bedrohung“ dieser institutionalisierten Sammlungsbestände280. Das heutige Herzog Anton Ulrich-Museum und ursprüngliche Herzogliche Museum war in Folge der Revolution zum Braunschweigischen Landesmuseum geworden und „[d]ie Fortsetzung der Kunstpflege im Sinne der Fürsten war eine wichtige museale Aufgabe auch der neuen Zeit.“281 Durch die komplizierte Frage nach den Eigentumsverhältnissen war jedoch eine Aufteilung der Bestände im Bereich des Möglichen: „Außer Zweifel stand dabei, dass sowohl das welfische Fürstenhaus wie der Staat mit erheblichen Aufwendungen an Entstehung und Erhaltung des Museums beteiligt gewesen waren und daher begründete Ansprüche an Teile desselben hatten. Nicht geklärt war auf herzoglicher Seite die Art der fideikommissarischen Bindungen. Bisher war angenommen worden, die bei der langen Auseinandersetzung über das Erbe Ferdinand Albrechts I. zu Braunschweig und Lüneburg-Bevern im 18. Jahrhundert aktenkundig gewordenen Rechtsnormen gälten für die gesamten älteren Bestände. Genauere Untersuchungen, die für die Abgrenzung gegen die staatlichen Ansprüche erforderlich gewesen wären, hätten vermutlich eine verschiedene Rechtslage für die einzelnen Teile der Sammlungen ermittelt. Sie hätten viel Zeit beansprucht, eine lange Periode
277 Von Aretin fasst diese in allen Ländern auftauchende Problematik zusammen: „Die Kunstsammlungen dienten dem splendor familiae und der Würde des Familienoberhaupts. Im Gegensatz zu den ertragbringenden Domänen war das Eigentum an den Kunstsammlungen für die Staatlichkeit irrelevant. Dennoch bildeten sie einen Teil der kulturellen Identität des Landes. Selbst wenn die Republiken nicht Eigentümer waren, mussten sie daher bestrebt sein, zumindest die öffentliche Zugänglichkeit der Sammlungen zu wahren.“, von Aretin, S. 164; vgl. auch Günther, S. 131; laut von Aretin lag die Aussicht auf eine dauernde Nutzungsüberlassung an den Staat durch die ehemaligen Fürsten ebenfalls in den hohen Bewahrungskosten begründet, von Aretin, S. 163; diese waren Argument auf beiden Seiten. 278 § 222, NLO; dieser Paragraph wurde mit Gründung der Museums- und Bibliotheksstiftung aufgehoben, § 5, Museums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig. 279 Hampe, S. 7. 280 Fink 1967, S. 122. 281 Vgl. Fink 1967, S. 123; vgl. Döring, S. 268.
482 | S AMMLUNGEN DES A DELS der Unsicherheit für das Museum zur Folge gehabt und am Ende vermutlich zu seiner Aufteilung geführt.“282
Mit den Verhandlungen zu einem Vergleich griff man die Möglichkeit auf, beide Institutionen in eine gemeinsam vom Staat und vom Gesamthaus BraunschweigLüneburg getragene Stiftung einzubringen283. Die wesentlichen Eigenschaften der Stiftung wurden bereits im Auseinandersetzungsvertrag festgelegt284 und zeitgleich wurde das Gesetz über die Errichtung einer Museums- und Bibliotheksstiftung285 verabschiedet. Der Staat und das Haus teilten sich gleichberechtigt die Unterhaltungskosten sowie die Sitze des Stiftungsvorstandes286 . Das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg wählte die Namen „Herzog Anton Ulrich-Museum“ sowie „Herzog August-Bibliothek“, welche trotz Kritik angenommen wurden287. Bedienstete, die bereit waren, in den Dienst der Stiftung zu treten, wurden übernommen288 . Diese Lösung blieb jedoch in der Folgezeit nicht frei von Problemen: „Von einer gedeihlichen Entwicklung des Museums konnte nicht die Rede sein. Vielmehr prägten Stagnation, ja Auszehrung die folgenden Jahre. Die Leistung des finanziell schwächsten Patrons, des Herzogshauses, bestimmte auch die des anderen Patrons.“289 Durch die Weltwirtschaftskrise 1930/31 kam es zu Zahlungsschwierigkeiten von Seiten des Hauses, was zur Folge hatte, dass sowohl für dieses als auch für den Staat die Unterhaltungszahlungen verringert wurden – nicht ohne Folgen für die ohnehin finanziell und personell unterbesetzten Institutionen290. In diesem Zusammen282 Fink 1967, S. 124-125. 283 Vgl. Schmidt, S. 114; diese Lösung war bereits 1920 durch Heinrich Jasper vorgeschlagen worden, vgl. Schmidt, S. 43; vgl. Döring, S. 268f; später erneut durch den Oberlandesgerichtspräsidenten Levin, vgl. Fink 1967, S. 125. 284 Verwaltung durch den Vorstand, der zu gleichen Teilen aus Staatsvertretern und Vertretern des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg bestehen sollte, Übernahme der Kosten zu gleichen Teilen, § 9, Absatz 1 und 2, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig; zu diesem Zeitpunkt standen auch Überlegungen im Raum, das Vaterländische Museum ebenfalls in die Stiftung einzubringen, § 9, Absatz 3, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 285 Museums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig. 286 Vgl. Günther, S. 67; vgl. Fink 1967, S. 125; die beiden Direktoren hatten jedoch keinen Sitz im Vorstand, vgl. Döring, S. 270. 287 Vgl. Fink 1967, S. 125; vgl. Schmidt, S. 160; vgl. Döring, S. 269. 288 § 3, Museums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig. 289 Döring, S. 270. 290 Vgl. Fink 1967, S. 126; es kam diesbezüglich zu einer weiteren gerichtlichen Auseinandersetzung, welche das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg zu Zahlungen gegenüber der Museums- und Bibliotheksstiftung verpflichtete, vgl. Schmidt, S. 160f; die jährlichen Ausgaben für die Stiftung waren auf 120.000 RM geschätzt worden. Zur Bestreitung des Anteils von 60.000 RM war dem Welfenhaus die Domäne Lichtenberg übertragen worden. Deren Einnahmen waren jedoch auf ca. 36.500 RM zurückgegangen, während die Stiftung gleichzeitig 140.000 RM jährlich benötigte. Die fehlenden 34.000 RM konnte oder wollte das Haus nicht über längere Zeit aus sonstigen Einkünften bereitstellen, vgl. Denkschrift Braunschweig 1930, S. 4; vgl. Döring, S. 277.
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hang wurde der Verkauf des Gemäldes „Das Mädchen mit dem Weinglas“ von Jan Vermeer erwogen. Nachdem ein amerikanischer Sammler Ernst August (III.) von Hannover ein Angebot von 800.000 Reichsmark gemacht hatte, legte dieser die Angelegenheit dem Stiftungsvorstand vor291. Die Satzung der Stiftung verlangte den einstimmigen Beschluss des Vorstandes sowie die Zustimmung der Mitgliederversammlung des Gesamthauses und des Braunschweiger Landtages, schloss Verkäufe jedoch nicht grundsätzlich aus292. Nachdem sich der Vorstand nach Einschalten mehrerer weiterer Interessenten und einer drastischen Erhöhung des Angebotes für einen Verkauf ausgesprochen hatte293, wurde dieser 1931 durch das Veto des Landtages verhindert294. 1932 kam es schließlich zu einer weiteren, die Objekte betreffenden, Entscheidung, indem die vorgeschichtlichen Sammlungsteile aus dem Museum ausgegliedert wurden und es zu einer reinen Kunstsammlung wurde295. Die finanzielle Situation der Stiftung blieb – nicht zuletzt wegen der finanziellen Lage der Welfen – kritisch und führte wiederholt zu Konflikten bis hin zur Klage des Staates gegen die Reduzierung der jährlichen Zahlungen durch das Gesamthaus BraunschweigLüneburg296. Vertraglich verankert kam es im Sommer 1942 schließlich zur völligen Ablösung der institutionalisierten Sammlungen des Herzogtums Braunschweig von diesem, indem die Familie aus der gemeinsamen Stiftung mit dem Staat Braunschweig ausstieg: „Damit vollzog sich eine bedeutende Umgestaltung der vom Herzogsvergleich betroffenen Vermögensgüter, weil die Verbindung zwischen Herzogshaus und Land endgültig gelöst wurde.“297 Bereits mit der Stiftungsgründung war die 291 Denkschrift Braunschweig 1930, S. 3. 292 Vgl. Denkschrift Braunschweig 1930, S. 4. 293 „Wird aber das amerikanische Geld zum sichern Unterhalt und zur zielbewussten Förderung einer sonst dahinsiechenden deutschen Anstalt verwandt, so kann auch vom Standpunkte der Erhaltung unseres Kulturguts niemand behaupten, dass der Verkauf des Bildes, das gewiss sehr kostbar ist, mit dem uns aber immerhin nicht in dem Maß inner Pietätsverhältnisse verbinden, wie mit manchen anderen, deshalb nicht zu verantworten sei, weil es mutmaßlich ins Ausland geht. Im deutschen Vaterlande fehlen eben leider heute die Mittel, die zur vollen Erhaltung unseres Kunstbesitzes notwendig wären [...]“, Denkschrift Braunschweig 1930, S. 11. 294 Laut Fink hatte der damalige Direktor der Sammlung, Eduard Flechsig, entscheidenden Anteil an der Abwendung des Verkaufs, Fink 1967, S. 126; ausführlich zum geplanten Verkauf des Gemäldes berichtet Döring, vgl. Döring, S. 277ff. 295 Vgl. Fink 1967, S. 127; vgl. Döring, S. 271. 296 Vgl. Schmidt, S. 160ff; vgl. Döring, S. 280. 297 Schmidt, S. 162; dies hatte ein Änderungsgesetz sowie die Änderung der Stiftungssatzung zur Folge, welche auch darauf eingeht, dass die Rechte und Pflichten des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg auf den Braunschweigischen Kulturverband übergegangen waren, Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Museums- und Bibliotheksstiftung, 26. Juni 1943, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 130. Jahrgang 1943, Stück 6, Braunschweig, 19. Juli 1943, Nr. 11, folgend: Museums- und Bibliotheksstiftungsänderungsgesetz Braunschweig; vgl. Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung in Braunschweig, 10. Februar 1944, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, Stück 2, Braunschweig, 24. Februar 1944, Nr. 2, folgend: Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung Braunschweig; vgl. Döring, S.
484 | S AMMLUNGEN DES A DELS Verknüpfung der Sammlungen mit dem Staat betont worden, die nun ergänzt wurde: „Die in der Stiftung vereinigten Sammlungen sind mit dem Lande Braunschweig und den Städten Braunschweig und Wolfenbüttel untrennbar verbunden und bleiben der Förderung der Wissenschaft, Kunst, Erziehung und Volksbildung gewidmet.“298 Die Abgabe der institutionalisierten Sammlungsteile hatte durch deren schrittweise Entwicklung keine direkten Auswirkungen auf Ding-Mensch-Bindungen. Allerdings bedeutete sie die Aufgabe eines für die Repräsentation des Hauses entscheidenden Objekt-Bestandes. Die Bereitschaft, diesen Verlust anzunehmen, war größer als diejenige zur Aufgabe des Schlosses Blankenburg, was die Bedeutung der Dinge als Mittel sozialen Verhaltens und Erinnerungsträger, der Familienporträts und Dingen des Wohnens verdeutlicht. Die Bewahrung dieser, die Identität der Familie wahrenden, Objektbestände im unmittelbaren Lebensumfeld stand vor dem Wunsch nach Repräsentation durch öffentliches Zeigen (und damit auch vor der Übernahme einer, dem Adel heute immer wieder zugeschriebenen, Rolle als Kulturbewahrer). Erst 1933 kam der 1924 begonnene Prozess gegen den preußischen Staat zum Abschluss und führte zur Auszahlung des „Welfenfonds“, aus dem seit 1923 keine Zinsen mehr gezahlt worden waren299. Der Preußische Staat wurde wegen des erlittenen Wertverlusts zur Aufwertung des Fonds verpflichtet300 und die Familie erhielt weitere Vermögensteile, wie das Hausgut Calenberg, zurück301 . Damit war die finanzielle Grundlage einer als angemessen betrachteten Lebensweise gelegt. 4.1.3 Rückerhalt und endgültiger Verlust des Schlosses Blankenburg Zur Hofstatt Blankenburg gehörten laut Auseinandersetzungsvertrag folgende Grundstücke und Gebäude: „a) Das Schloß zu Blankenburg, b) der Schloßgarten, c) ein Wohngebäude im Schlosse (sog. Traiteurhaus), d) ein Stallgebäude und Wagenremise, e) das Herzogliche Gartenschloß mit Nebengebäuden, f) der sog. Lustgarten daneben, g) der Tiergarten mit der Luisenburg und die in demselben liegenden Wiesen und Plantagen, h) zwei Wildschuppen, i) das Wohngebäude für den Wildaufseher, k)302 der sog. Altfrauengarten im Tiergarten, l) der sog. Kramersche Garten,
298
299 300 301 302
288; Fink nennt den Zeitpunkt 1943/44, Fink 1967, S. 127; in Bezug auf den zuvor abgewendeten Gemäldeverkauf ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Verkäufe auch mit Änderungsgesetz und Änderung der Stiftungssatzung nicht ausgeschlossen wurden und damit diese Möglichkeit nicht in der Beteiligung des Herzogshauses begründet gewesen war, vgl. § 4, Museums- und Bibliotheksstiftungsänderungsgesetz Braunschweig und § 9, Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung Braunschweig. § 5, Museums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig; kursive Einfügungen stellen Änderungen der Stiftungssatzung von 1944 dar; § 2, Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung Braunschweig. Vgl. Aschoff, S. 287; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 151; vgl. Steckhahn, S. 158; vgl. Jaitner, S. 410. Vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 152; vgl. Steckhahn, S. 158. Steckhahn, S. 180. Der Buchstabe j) taucht in der Auflistung nicht auf.
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m) das sog. Dempewolffsche Haus mit kleinem Garten, n) der Fasanengarten, o) der sog. von Pawelsche Garten, p) der sog. Küstergarten, q) der sog. Kirchengarten oder Stadtpredigergarten, r) das vormals Ribbentropsche Grundstück, s) die Stadtmauer nordwestlich und östlich des Schlosses, t) die im sog. Rosenwinkel belegenen Grundstücke als: das vormals städtische Armenhaus Nr. 27, das Fischersche Grundstück Nr. 28 und das Hartzersche Grundstück Nr. 29 nebst der aufgehobenen Straßenfläche vom Rosenwinkel, u) das vormals Karfunkelsche Grundstück, v) ein Ackerstück auf Gattenstedter Flur belegen, früher zur Pfarre von Gattenstedt gehörig, w) das Jagdschloß Totenrode.“303
Schloss Blankenburg war, vor allem seit Übernahme und Ausbau durch Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel, immer wieder eng mit den Regenten des Herzogtums Braunschweig verbunden gewesen304. Nach einem Brand 1713 richtete Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel sowohl eine Bildergalerie als auch eine Bibliothek ein305 . Er ließ die Luisenburg errichten und den Tiergarten erweitern, außerdem den Terrassengarten anlegen sowie Umbauten im Schloss vornehmen306 . „Das Schloß mit seinen 190 herrschaftlichen Zimmern und 85 weiteren Räumen, der kleine und große Lustgarten mit seinem Theater, den kunstvollen Terrassen mit ihren spielenden Wasserkünsten und dem angrenzenden Tiergarten, sowie das kleine Schloß mit seinem herrlichen Gartensaale sah dann gar fröhliche Feste solange Blankenburg die Residenz des jungen Fürstenpaares [Ludwig Rudolf und Christine Luise] bildete.“307
Christine Luise zu Braunschweig und Lüneburg nutzte das Schloss nach dem Tod ihres Mannes als Witwensitz308. Während des Siebenjährigen Krieges lebten dort Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine Frau Philippine Charlotte Prinzessin von Preußen Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg309 . Im 19. Jahrhundert wurde es erneut verstärkt genutzt durch Wilhelm von Braunschweig, der auch Umbauten
303 Anlage 1, Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig. 304 Vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 5; auch Anton Ulrich und Rudolf August von BraunschweigWolfenbüttel waren zeitweise im Schloss Blankenburg gewesen, jedoch nicht so eng mit diesem verbunden wie Ludwig Rudolf von Braunschweig-Wolfenbüttel, vgl. Schröter, S. 94. 305 Welche jedoch nach seinem Tod ins Collegium Carolinum verbracht wurde, so dass der Saal zur Zeit der Nutzung durch Ernst August (III.) von Hannover und Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg nur noch Teile der Ausstattung und wenige Bücher beherbergte; auch die Bildergalerie blieb nicht vor Ort, der Raum wurde zur Zeit Wilhelms von Braunschweig durch Soldaten genutzt, vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S. 306 Vgl. Schröter, S. 95; als Ludwig Rudolf Herzog zu Braunschweig und Lüneburg wurde, verlegte er seine Residenz jedoch nach Wolfenbüttel, vgl. Schröter, S. 95. 307 Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S. 308 Vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 24; vgl. Schröter, S. 96. 309 Vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 24.
486 | S AMMLUNGEN DES A DELS durchführen ließ310 . Vor allem als Jagdschloss blieb Schloss Blankenburg auch zur Zeit der nicht-welfischen Regenten mit dem Herzogtum Braunschweig verbunden311 , und am 16. Mai 1914 hatten schließlich Ernst August (III.) von Hannover und Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erstmals Einzug in Blankenburg gehalten312 . Sie hatten sich häufig im so genannten „Kleinen Schloss“ aufgehalten313. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg beschreibt vor dem Hintergrund dieser engen Verbindung, der Welfen allgemein und ihrer Familie im Besonderen, zum Schloss Blankenburg die Rückkehr dorthin als selbstverständlich: „Es lag nahe, dass wir es wieder für uns einrichteten. Im gewissen Sinne war es während unserer braunschweigischen Zeit für uns die Hauptwohnung gewesen.“314 Man hatte es damals „wohnlicher“ gefunden als das Residenzschloss in Braunschweig315 und kehrte nun dorthin zurück. Damit zog die Familie den bereits bekannten Wohnsitz dem Schloss Marienburg, welches seit dem Tod Ernst Augusts von Cumberlands ebenfalls im Besitz Ernst Augusts (III.) von Hannover war, sowie dem seit 1930 als Museum genutzten Schloss Cumberland vor316 . Während die Familie aber zur Zeit der Regierung in Braunschweig das „Kleine Schloss“ genutzt hatte, wurde nun – da dieses bewohnt war – das „Große Schloss“ für die Nutzung umgebaut317 . Das ursprünglich auch „Fürstliches Gartenhaus“ genannte Gebäude des „Kleinen Schlosses“ war im 18. Jahrhundert zunächst aus Holz errichtet und Ende des Jahrhunderts mit Wänden aus Stein versehen worden318. Im 19. Jahrhundert hatte man den großen Saal in den oberen Geschossen verkleinert und 1914 einen Verbindungsgang geschaffen319 . Meier/Steinacker kommen in ihrer Beschreibung, welche sich auf das Jahr 1914 bezieht, zum Schluss: „Das Innere ist schmucklos.“320 Im Schloss Blankenburg (ob im „Kleinen“ oder im „Großen Schloss“ ist nicht bekannt) befanden sich zu dieser Zeit 11 der insgesamt 13 aus dem Besitz der Welfen im 1927 erschienenen Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke vermerkten Ob310 Vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 24; vgl. Schröter, S. 96. 311 Vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 27; vgl. Schröter, S. 97ff; vgl. Otte, S. 130. 312 Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 27; vgl. Schröter, S. 100. 313 Auch während des Ersten Weltkrieges verbrachte die Familie viel Zeit in Blankenburg, vgl. Otte, S. 133 und S. 140. 314 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 252. 315 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 252. 316 Laut Steckhahn war das im Vergleich zu seinem Vater geringere Repräsentationsbedürfnis einer der Gründe für diese Entscheidung, Steckhahn, S. 163. 317 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253; vgl. Steckhahn, S. 165. 318 Meier, Paul Jonas (Hrsg.)/Steinacker, Karl: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Landes Braunschweig, im Auftrage des Braunschweigischen Staatsministeriums, herausgegeben von Paul Jonas Meier, sechster Band. Die Bau und Kunstdenkmäler des Kreises Blankenburg, bearbeitet von Karl Steinacker, Wolfenbüttel 1922, S. 100f. 319 Meier/Steinacker, S. 101f; Reckewell/Reimann/Thoms erwähnen verschiedene kleinere Umbaumaßnahmen bereits zu dieser Zeit, Reckewell/Reimann/Thoms, S. 27. 320 Meier/Steinacker, S. 101.
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jekte. Bei diesen handelte es sich um ein „Bildnis der Herzogin Marie zu Braunschweig und Lüneburg in ganzer Figur“ von Heinrich Füger321, ein „Bildnis des Prinzen Heinrich von Preußen“ sowie ein „Bildnis Herzog Karl Wilhelm Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg“, beide von Anton Graff322 . Des Weiteren ein Altarflügel von Wolf Huber323, Silbergerät der Schlosskapelle (zwei Kelche nebst Patenen, eine Weinkanne, eine Oblatendose, zwei Leuchter)324 und weitere Ausstattungsobjekte der Schlosskapelle, wie ein Altar mit Altarwand, die Kanzel, das Lesepult, der Taufstein, der Opferstock und ein Kruzifix aus Elfenbein325. Darüber hinaus wurden aufgeführt „5 große Glas-Humpen mit Emailmalerei“326 , ein „Hamburger Kachelofen“327 sowie drei Uhren, nämlich eine Standuhr „aus vergoldetem Silber, Prunkstück mit Diamanten, Topasen, Karneolen, Amethysten und Rubinen reich geschmückt, den Giebel krönt eine Büste der Diana. Auf einer schönen Barockkartusche der Name des Meisters Andreas Lehmer, wahrscheinlich Augsburger Arbeit aus dem Anfange des XVIII. Jahrh.“328 und zwei Augsburger astronomische Uhren aus dem 16. und 17. Jahrhundert329. Aufwändige Umgestaltungen für das „Große Schloss“ waren bereits zur Zeit der Regierung Ernst Augusts (III.) von Hannover geplant gewesen: „U.a. sollte der Kasernenflügel vollständig niedergerissen und neu aufgebaut werden. Ein zweiter Turm war an seiner Westseite geplant, Wasserkünste sollten wieder den Lustgarten beleben u. dergl. mehr.“330 Während der Vermögensverhandlungen war man daher davon ausgegangen, dass Schloss Blankenburg nur durch die Umsetzung zumindest einiger dieser Umbaupläne für die Familie des ehemaligen Herzogs zu nutzen war331. Hofbaurat Prof. Dr. Bürger bewertet die ab 1926 begonnenen Maßnahmen als notwendig, um „einem Verfall der Gebäude vorzubeugen und alte Bausünden wieder gut zu machen.“332 Explizit erwähnt er geborstene Pfeiler in „Altem Flügel“ und Turmflügel, Heizungs- und Elektroarbeiten, Ausbesserungen an Türen, Fenstern, Dächern und Dachrinnen, umfassende Feuerschutzmaßnahmen, die Erneuerung eines hölzernen Treppenhauses aufgrund von Schwammschäden, den Einbau neuer Bäder und Verbindungen zwischen Turmflügel und angrenzenden Gebäudeteilen333. Des Weite-
321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332
Nr. 74, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 5. Nr. 81 und Nr. 82, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 5-6. Nr. 103, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 6. Nr. 490, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 25. Nr. 512, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 27. Nr. 513, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 27. Nr. 544, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 28. Nr. 639, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 33. Nr. 641 und Nr. 642, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 33. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S. Hampe, S. 7. Bürger, Georg Prof. Dr. (Hofbaurat): Bauarbeiten und bauliche Veränderungen am Schloß seit 1926, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. 333 Bürger, o.S.
488 | S AMMLUNGEN DES A DELS ren wurden Küchen und Abwaschräume zu Wohnzimmern umgestaltet334. Die Kinder erhielten eigene Wohnbereiche mit Wohn- und Schlaf- sowie Badezimmern335 . Während Bürger betont, dass die Umbauten unter großer Rücksicht auf die alte Substanz des Schlosses durchgeführt wurden, „neue Räume überhaupt nicht kenntlich sind“, „Gemälde und Wandschmuck [durch weiße Wände] zur vollsten Wirkung gebracht“ werden konnten und darüber hinaus „[i]n den gewölbten Räumen des 1. Geschosses [...] die geschmacklose Deckenbemalung entfernt“ wurde 336, spricht Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg davon, dass „nicht alles ganz stilecht“ renoviert worden sei337. Da die aufwändigen Modernisierungsmaßnahmen von einheimischen Firmen durchgeführt wurden338 , bewahrheitete sich die während der Auseinandersetzungsverhandlungen als Argument für den Rückerhalt des Schlosses angeführte wirtschaftliche Verbesserung der Region339. Zeitgleich mit den Umbaumaßnahmen brachte man Möbel und Ausstattungsgegenstände aus Gmunden nach Blankenburg und die Familie hielt sich wieder regelmäßig dort auf340. 1933/34 bezogen Ernst August (III.) von Hannover, seine Frau und Kinder schließlich dauerhaft das Schloss341 und auch die Oberste Verwaltung des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg wurde aus Gmunden in das Blankenburger Schloss verlegt342. Zum Leben der Welfenfamilie in Blankenburg gehörten neben der Verwaltung des Hauses auch ein Schlossverwalter, ein Leibkammerdiener, Maschinisten, Kraftwagenführer und weitere Schlossangestellte343. Das Leben war damit weniger familiär als in Gmunden, konnte jedoch gleichzeitig nicht vollständig an die Zeit vor 1918 anknüpfen, nicht zuletzt, da Ernst August (III.) von Hannover zum reinen Privatmann geworden war344 . 1931 ließ er seinen Nachnamen von „Braunschweig-Lüneburg“ in „Hannover“ ändern345 . Gesellschaftliche Kontakte nach 334 335 336 337 338 339 340 341
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Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253. Von Hannover, W., S. 10; vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 152. Bürger, o.S. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253. Vgl. Bürger, o.S.; zur Finanzierung kam es u.a. zu Landverkäufen, vgl. Reckewell/ Reimann/Thoms, S. 29. Vgl. Steckhahn, S. 166. Man pendelte zwischen Gmunden und Blankenburg; vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 43. Vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 28f; vgl. Sander: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, o.S.; vgl. von Hannover, W., S. 9; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 254; vgl. Steckhahn, S. 163; laut Schnath sah sich die Familie zu diesem Schritt auch durch die erschwerten Bedingungen der Geldüberweisung durch die Devisengesetzgebung gezwungen, Schnath, S. 245; seit 1931 wohnte bereits der Schlosswächter im Torflügel, Bürger, o.S. Vgl. Bürger, o.S.; vgl. Steckhahn, S. 166. Diese waren im Traiteurhaus und im Remisengebäude untergebracht, vgl. Bürger, o.S. Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253f. Vgl. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005; vgl. Münzing, Rainer: Geschichte der Welfen in Niedersachsen und angrenzenden Gebieten. Ihre Burgen, Schlösser, Denkmäler und andere Zeugnisse ihrer Geschichte, herausgegeben 2011 von der Heraldischen Gruppe „Zum Greifen“, Vechelde 2011, Seite 5.
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Braunschweig sowie nach Hannover waren jedoch trotz der neuen Position für die Familie selbstverständlich346 . Wie bereits beschrieben, bedeutete der Rückerhalt des Schlosses Blankenburg sowie einzelner Objekte aus dem Braunschweiger Schloss eine entscheidende Veränderung für zahlreiche Objektbiographien. Ihre rein auf die Vergangenheit ausgerichtete Existenz als Ausstellungsstücke oder eine temporäre Funktionslosigkeit kamen zum Ende. Teilweise konnten frühere Funktionen (als Mittel sozialen Verhaltens, Erinnerungsobjekte, in ihrer Besonderheit als Porträt oder als Dinge des Wohnens) wiederbelebt werden. Wesentlich für die Biographie dieser Dinge, und auch deren Bedeutung, war die erneute Nutzung. Während bei Nichtnutzung Quantität Bedeutungslosigkeit unterstreicht, konnten zu dieser Zeit größere Objektgruppen typische Funktionen von Sammlungen des Adels erneut übernehmen. Beispielsweise wiesen die zahlreichen Geweihe im Rittersaal347 auf die Bedeutung des Ortes als Jagdschloss der Welfen hin, womit gleichzeitig ein Hinweis auf den noch immer wichtigen Besitz der Forsten verbunden war. Auch die Menge an Waffen und Rüstungen trug zur Versicherung der geschichtlichen Verankerung der Familie und deren ehemaliger Macht bei348 . Große Teile dieses Sammlungszweiges stammten aus dem herzoglichen Zeughaus in Braunschweig und waren Mitte des 19. Jahrhunderts nach Blankenburg gebracht worden349 . Das Schloss und seine Ausstattung ermöglichten zudem die Wiederaufnahme früherer Selbstverständlichkeiten und fungierten derart als Mittel sozialen Verhaltens. So wurde das so genannte „Kaiserzimmer“ als Gästezimmer zur Beherbergung von Verwandten genutzt350 und mit der Ausrichtung von Konfirmationsfeierlichkeiten knüpfte man an frühere Feste im Schloss Blankenburg an351 . Die für Dinge in Sammlungen des Adels grundsätzlich wichtigen Erinnerungsfunktionen wurden ergänzt um Erinnerungen an die Zeit der Regentschaft in Braunschweig. Vor allem Objekte aus dem Residenzschloss Braunschweig erfüllten diese Funktion. Das der Öffentlichkeit zugängliche so genannte „gelbe Zimmer“ bezog auch die Erfahrung der Entmachtung in diese Erinnerung mit ein: „Heute weckt das gelbe Zimmer, wenn wir in der Nähe des Fensters auf der Tapete die mit Bleifeder geschriebenen Namen der Mitglieder der herzogl. Familie und den 9. November 1918 lesen, nochmals die Erinnerung an jenen Tag, da das Herzogspaar auf Veranlassung des sogenannten Soldatenrates das Schloß verlassen mußte, nach dem es dann erst am 4. November 1925 zurückkehren sollte.“352 346 Vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 43. 347 Vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. 348 Im Vestibül und im Rittersaal, vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. 349 Meier/Steinacker, S. 75. 350 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.; vor 1918 hatte man häufig Besuch gehabt, Reckewell/Reimann/Thoms, S. 27. 351 Von Hannover, W., S. 12; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 27; vgl. Schröter, S. 100. 352 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.; weitere Erinnerungsobjekte waren ein Korkmodell des Braunschweiger Schlosses sowie ein Gemälde der „weißen
490 | S AMMLUNGEN DES A DELS Auch aus Schloss Cumberland in Gmunden waren vereinzelt Objekte nach Blankenburg gebracht worden353 und erinnerten an die Zeit des österreichischen Exils. Sie fügten sich ein in zahlreiche, auf die Geschichte der Familie hinweisende, Einzelobjekte, wie beispielsweise Möbelstücke mit dem Monogramm Christine Luises zu Braunschweig und Lüneburg, oder Memorabilia, wie die von Sander erwähnten Ballschläger, mit welchen Maria Theresia von Österreich gespielt haben soll354. Erinnerungsfunktionen übernahmen grundsätzlich auch Familienporträts, wobei besonders mit der Geschichte Blankenburgs verbundene Personen an die Tradition des Ortes anknüpften: Beispielsweise erwähnt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg Gemälde Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel und seiner Frau Christine Luise zu Braunschweig und Lüneburg355. Darüber hinaus trugen die Bildnisse der weitläufigen Familie zur Stabilisierung der Identität der Welfen in der Gegenwart bei356 . Diese stammten aus verschiedenen Schlössern und wurden nun in Blankenburg zusammengeführt: Beispielsweise positionierte man Porträtgemälde, welche aus dem Erbe Wilhelms von Braunschweigs stammten und in dessen Schloss Sybillenort gehangen hatten, im Kaisersaal an prominenter Stelle357. Zugleich setzte man sämtliche Porträtgemälde dieses Raumes in direkte Verbindung zur zukünftigen Welfengeneration, indem auf einer Staffelei ein Gemälde präsentiert wurde, welches die im Jahr 1914 im Braunschweiger Dom vollzogene Taufe des damaligen Erbprinzen Ernst August (IV.) Prinz von Hannover Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland zeigte358 . Die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verdeutlichten auch die Dinge des Wohnens, welche sowohl Möbel aus Schloss Blankenburg als auch solche aus weiteren Schlössern mit den das tägliche Leben betreffenden Modernisierungsmaßnahmen verbanden. Wie bereits das Residenzschloss in Braun-
353 354 355 356
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Frau“, einer mit dem Fürstenhaus verwandten Dame, welche der Legende nach als Geisterfrau zurückgekehrt sei, vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. Sander erwähnt einen Marmortisch im Ankleideraum, Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. Meier/Steinacker, S. 73ff; Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253; Gemälde ihrer Töchter hingen des Weiteren im Spielzimmer, Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloss, o.S. „Zahlreiche kostbare Gemälde schmücken die Wände der einzelnen Gemächer ... Alle zeugen von dem großen Verwandtenkreis des Braunschweiger Fürstenhofes, der sich durch die Heiraten der drei Töchter Ludwig Rudolfs auf fast alle regierenden Fürstenhäuser Europas erstreckte.“, Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.; beispielsweise waren Gemälde Maria Theresias von Österreich, der Enkelin Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel, mehrfach vertreten, des Weiteren Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine Frau Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg, deren Tochter Auguste Dorothea Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel und der Sohn Leopold Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel, auch Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel und als Bronzebüste Friedrich Wilhelm von Braunschweig, vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. Vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. Vgl. Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.
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schweig, hatte Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg das Schloss zunächst als „unwohnlich“ empfunden359, so dass die selbst zusammengestellten Dinge des Wohnens von großer Bedeutung für diesen neuen Lebensabschnitt waren. Angesichts der schwierigen finanziellen Situation stand die Nutzung der vorhandenen Sammlungsbestände im Vordergrund vor dem Anhäufen weiterer Objekte. Selbst wenn es vereinzelt zu Ankäufen gekommen sein mag360, waren diese nicht zu vergleichen mit der stetigen Sammlungserweiterung vor 1918. Durch aus Braunschweig nach Blankenburg verbrachte Objekte sowie zahlreiches Inventar, das man aus Gmunden mitgebracht hatte, war das Schloss angefüllt mit Möbeln, Ausstattungsgegenständen und Kunstwerken361, so dass auch aus diesem Grund das Anhäufen als typisches Element des Sammelns zum Erliegen kommen musste. Das Zeigen blieb dagegen fester Bestandteil des Umgangs mit den Sammlungsbeständen. Im Torflügel, im Kirchenflügel sowie im alten Flügel waren einige Räume der Öffentlichkeit zugänglich362 : „Das Blankenburger Schloß mit seiner so abwechslungsreichen Vergangenheit und seinen zahlreichen wertvollen Kunstschätzen gehört zu den Hauptsehenswürdigkeiten des Städtchens, und kein Fremder sollte daher versäumen, dem früheren Sitz der Blankenburg-Reinteiner Grafen, der späteren Residenz des ,reichsunmittelbaren Fürstentums‘ und dem jetzigen Wohnsitz des letzten Herzogs zu Braunschweig und Lüneburg einen Besuch abzustatten.“363
Diese öffentlich zugänglichen Räume verknüpften erstmals nach 1918 die Herausbildung eines historischen Gedächtnisses mit der privaten Erinnerung der Familie364 . Darüber hinaus knüpfte Ernst August (III.) von Hannover an die in Österreich praktizierte Form des öffentlichen Zeigens durch Leihgaben an institutionelle Sammlungen
359 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 253. 360 Sander erwähnt ein „neuerdings“ in der Schlosskapelle gezeigtes Gemälde, was auf einen solchen Neuerwerb hinweist, Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. 361 Friemuth veröffentlicht Auszüge der Aufzeichnungen des britischen Kunstschutzoffiziers Felix Harbord, der über Schloss Blankenburg u.a. schrieb: „[...] im Innern ähnelte es einem riesigen, überfüllten Möbellager [...]“, Harbord, Felix: Erlebnisse als Kunstschutzoffizier im besetzten Deutschland 1945. Unveröffentlichtes Manuskript. Archiv Friemuth, in: Friemuth, Cay: Die geraubte Kunst. Der dramatische Wettlauf um die Rettung der Kunstschätze nach dem Zweiten Weltkrieg (Entführung, Bergung und Restitution europäischen Kulturgutes 1939-1948), mit dem Tagebuch des britischen Kunstschutzoffiziers Robert Lonsdale Charles, herausgegeben in Zusammenarbeit mit Kurt Seeleke im Auftrag der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Braunschweig 1989, S. 122; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 28. 362 Bürger, o.S. 363 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. 364 Sander erwähnt die Erinnerungsfunktion für den Besucher: „[...] so wecken die zahlreichen Gemälde, sowie die reichen Kunstschätze der drei anderen Flügel in uns die Erinnerung an längst vergangene Zeiten.“, Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.
492 | S AMMLUNGEN DES A DELS an, indem beispielsweise ein Elfenbeinkunstwerk im Landesmuseum in Braunschweig gezeigt wurde365. Zuständig für die Führung von Besuchern waren in Blankenburg der Schlossverwalter sowie der Haushofmeister. Dessen Position war außerdem mit der Bauverwaltung verknüpft, welche, trotz der zum Teil einschneidenden Veränderungen im Schloss, auch bewahrende und die Substanz erhaltende Funktionen übernahm366. Zu den zahlreichen Baumaßnahmen gehörte beispielsweise auch die Instandsetzung des Aussichtsschlösschens Luisenburg, welches sich in einem sehr schlechten Zustand befand367. Bewahrungsmaßnahmen für Objekte aus dem Herzog Anton UlrichMuseum übernahm Ernst August (III.) von Hannover mit seiner Familie während des Zweiten Weltkrieges, indem es diese – sowie Objekte aus weiteren Museen und Kirchen – im Schloss Blankenburg versteckte368 . Auch Objekte aus Schloss Herrenhausen lagerte man aus Schutz vor Kriegsschäden im Schloss Blankenburg ein. Der gute Kontakt der Familie zum Landeskonservator Kurt Seeleke, der sich mit größtem Einsatz um den Schutz des Braunschweigischen Kulturgutes bemühte, führte dazu, dass das Schloss zum Ende des Krieges nicht in die Verteidigungslinie einbezogen wurde und daher keine starken Schäden durch Bombardierungen entstanden369. Robert Lonsdale Charles fasste diese Beziehung zusammen: „Schön zu sehen, wie sehr die Braunschweigs ihn [Seeleke] schätzten, ganz unabhängig von der Tatsache, glaube ich, dass er ihre ganzen Sammlungen gerettet hat. Er ist ein wunderbarer Mann!“ 370 Finanzielle Schwierigkeiten, die in Folge der langen Auseinandersetzungen und der Weltwirtschaftskrise entstanden waren, mussten – nicht zuletzt in Hinblick auf die Umbauten im Schloss Blankenburg – jedoch auch zu Entsammlungsmaßnahmen zur Geldbeschaffung führen. Kunsthistorisch wertvolle Sammlungsbestände waren diesbezüglich am besten geeignet, so dass es, parallel zu den Umbaumaßnahmen, zum Verkauf des so genannten „Welfenschatzes“ kam371. Die Rückkehr nach Blankenburg war trotz der friedlichen und familiären Zeit in Gmunden ein bedeutender Schritt, sowohl für die Familie als auch im Sinne biographischer Wendepunkte für Sammlungsbestände, und ermöglichte die Wiederaufnahme eines standesgemäßen Lebens. Dieses knüpfte an das in Jagd- und Lustschlössern weniger von Etikette bestimmte Leben des Hochadels an und konnte dabei auf die 365 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S. 366 Vgl. Sander, Gustav: Von den Schloßverwaltern, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. 367 Vgl. Bürger, o.S.; vgl. Meier/Steinacker, S. 102. 368 Diese wurden z.T. durch Christian Oskar von Hannover aus dem unsicher gewordenen Hochbunker in der Salzdahlumer Straße abgeholt, schließlich eingemauert und im Juni 1945 mit Hilfe der Briten wieder abtransportiert, vgl. Friemuth, S. 122 und S. 170; vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 29; vgl. Schröter, S. 102; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt Gemälde von Ruisdael, Steen, Holbein, Vermeer, Rembrandt u.a., zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 319; vgl. Kapitel 3.4. 369 Vgl. Friemuth, S. 175. 370 Lonsdale Charles, Robert: Das Tagebuch des britischen Kunstschutzoffiziers Robert Lonsdale Charles (vom 10. August 1945 - 22. November 1945), in: Friemuth, S. 275. 371 Vgl. Kapitel 4.1.4.
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Elemente eines gewohnten Lebensumfelds zurückgreifen. Schloss Blankenburg war und ist durch seine Geschichte eng mit der Familie der Welfen verbunden und bot dieser, im Inneren durch die noch vorhandenen Sammlungsteile und im Äußeren durch die gleichzeitig überlegene Distanz sowie Zugehörigkeit symbolisierende Lage, beste Bedingungen der Identitätsbewahrung durch entsprechende Bindungen: „Wer einmal in Blankenburg gewesen ist, wird verstehen, wie sehr wir es lieben. Das mächtige burgartige Schloss hoch über der Stadt mit den schönen Blicken aus allen Fenstern in alle verschiedenen Himmelsrichtungen, ist das Wahrzeichen von Blankenburg und seiner Umgebung.“372 Die Bindungen wurden verstärkt durch die bewusste Verknüpfung ererbter und selbst hinzugefügter Bestandteile, wie sie in den Umbauten, aber auch gestalterischen Tätigkeiten wie dem Anlegen eines Alpengartens deutlich wurden373. Der Umzug nach Blankenburg und die mit diesem verbundenen Maßnahmen bezüglich der Sammlungsbestände fügen sich in die traditionellen Bemühungen eines jeden Chefs eines hochadligen Hauses ein, durch eigene Gestaltung eines Wohnsitzes Vergangenheit und Gegenwart derart zu verknüpfen, dass der Glanz der Familie in aktueller Art und Weise verdeutlicht wird. Diese typischen Sammelaktivitäten, welche sich durch die Rückkehr nach Blankenburg deutlich zeigten, erfuhren erneute Veränderungen durch die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges. Erneut kam es zu einem einschneidenden biographischen Wendepunkt für die welfischen Sammlungen. Neben den Maßnahmen zur Bewahrung eigener und musealer Objekte vor Kriegsschäden veränderte sich das Leben im Schloss durch die Aufnahme von Flüchtlingen und die Einrichtung eines Lazaretts374 . Die Aufforderung durch deutsche Militärs, das Schloss zu räumen, da es als Verteidigungsposten genutzt werden müsse, konnte abgewendet werden. Unweigerlich wäre das Schloss in diesem Fall zum Ziel alliierter Angriffe geworden375 . Am 20. April 1945 wurde Blankenburg schließlich von amerikanischen Truppen eingenommen, die durch britische Truppen abgelöst wurden376. Das Vorrücken der sowjetischen Armee führte schließlich dazu, dass Ernst August (III.) von Hannover zum zweiten Mal gezwungen war, seinen Wohnsitz aufzugeben. Zusammen mit seiner Familie siedelte er in das, weiterhin im britischen Sektor liegende, Schloss Marienburg, über377. Mit Hilfe der britischen Besatzer war es möglich, umfangreiche Sammlungsteile aus Schloss Blankenburg dorthin zu über372 Von Hannover, W., S. 9. 373 „Aber nicht nur zur Gartenarbeit nahm mich mein Vater mit. Ich durfte auch mithelfen beim Um- und Einräumen von Zimmern. Natürlich war ich auch sehr stolz, wenn er mich um meinen Rat fragte, wo ich meinte, dass ein Sofa oder ein Sessel ja sogar ein Bild platziert werden sollten, und weckte somit mein Interesse für das Einrichten von Wohnungen.“, von Hannover, W., S. 11. 374 Vgl. von Hannover, W., S. 13f; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 318f; zur Auslagerung von Museumsgut nach Blankenburg, vgl. Döring, S. 287. 375 Vgl. von Hannover, W., S. 14f; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 319. 376 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 320ff. 377 Vgl. Schmidt, S. 164; auch die Domänen Heimberg und Hessen gingen verloren, da sie der Sowjetisch besetzten Zone angehörten, vgl. Schmidt, S. 164; die Welfenfamilie war diesbezüglich keine Ausnahme, kaum Adlige blieben in der SBZ bzw. der DDR, die Landverluste waren diesbezüglich groß, vgl. Wienfort 2006, S. 25 und S. 86f.
494 | S AMMLUNGEN DES A DELS führen, da man wusste, dass die russische Armee diese beschlagnahmen und zum Teil in die Sowjetunion bringen würde378 . Die Hilfestellung der Briten war diesbezüglich nicht selbstverständlich, sondern eng verknüpft mit dem Einsatz des Kunstschutzoffiziers Felix Harbord379 . Gemeinsam konnte so der völlige Bruch bestehender Ding-Mensch-Bindungen zwischen der Familie der Welfen und den Sammlungsbeständen aus Schloss Blankenburg verhindert werden. Ab dem 25. Juni bis zur Sperrung der letzten Verbindungsstraße zwischen Schloss Blankenburg und Schloss Marienburg am 23. Juli 1945 wurden wesentliche Teile der Sammlungen an ihren neuen Standort gebracht380 . Nicht unerhebliche Bestände blieben jedoch zurück381 . Schröter spricht davon, dass die „kunsthistorisch wertvolle Inneneinrichtung des Blankenburger Schlosses“ in das Schloss Marienburg überführt wurde382 . Diese Aussage ist insofern unvollständig, als dass – wie beschrieben – auch Objekte aus den Schlössern Braunschweig, Cumberland und Herrenhausen383 im Schloss Blankenburg aufbewahrt wurden und die Überführung heterogene Sammlungsbestände umfasste, welche nicht allein aus kunsthistorischer Sicht ausgewählt wurden.
378 Bestände des Berliner Schlosses, welche die Kriegsschäden überstanden hatten, wurden durch die Rote Armee in die Sowjetunion gebracht, vgl. Luh, S. 215. 379 Die enge Verbindung der Welfen zum britischen Königshaus trug indirekt zu dieser Hilfestellung bei, vgl. Friemuth, S. 121f; „Noch immer hat das Land einen Welfenherzog, der, hätte in England das salische Thronfolgerecht gegolten, heute an Stelle Elisabeths II. König von England wäre – ein Umstand, der seinen Eindruck auf die englischen Besatzer nicht verfehlt und wohl mit dafür verantwortlich ist, dass dem kleinen, aber im Bewusstsein der Engländer so wichtigen Lande Braunschweig ein eigener Kunstschutzoffizier zugeteilt wird.“, Friemuth, S. 164; dieser, Robert Lonsdale Charles, arbeitete eng mit dem Landeskonservator Kurt Seeleke zusammen, vgl. Friemuth, S. 164ff. 380 Friemuth spricht von 30 Armeelastern, die zum Transport eingesetzt wurden, Friemuth, S. 122; Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg davon, dass „unsere Wagen ... mehrfach“ fuhren, zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 325; Welf Heinrich von Hannover erwähnt dagegen, „[d]ie britische Militärregierung verpflichtete hannoversche Möbeltransportfirmen zum Abtransport eines großen Teils unseres Schlossinventars.“, von Hannover, W., S. 16; vgl. Museumspublikation Blankenburg: Wegweiser durch das Museum Kleines Schloß Blankenburg (Harz), Text: Hans Bauerfeind, Blankenburg 1989, S. 24; darüber berichtete Jahre später noch die Presse: „Vierzehn Tage dauerte der Umzug auf die Marienburg, vierzehn Tage lang brachten englische Militärlastwagen ununterbrochen das herzogliche Mobiliar, Kisten und Koffer in das neue Domizil an der Leine. Die von deutschen Truppen gesprengte alte Brücke über den Fluss wurde von britischen Pionieren durch eine moderne Leichtmetallbrücke ersetzt. Die telefonische Verbindung zum Buckingham-Palast hatte das ihre getan.“, Neue Post, 20. Mai 1950. 381 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 325; Friemuth spricht von ca. 20%, v.a. Möbel, Friemuth, S. 123. 382 Schröter, S. 102; auch die Aussage in den Memoiren Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg fokussiert auf dem Wert der Kunstgegenstände, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 325; Welf Heinrich von Hannover erinnert sich, dass „vorwiegend antike Gegenstände vorgesehen waren“, von Hannover, W., S. 16. 383 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 325.
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Schloss Blankenburg wurde nach 1945 zunächst als Genesungsheim und später als Baufachschule genutzt. Ende der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde es durch den Verband deutscher Konsumgenossenschaften der DDR übernommen, dessen Fachschule ab 1959 in das Schloss einzog384. Nach der Wiedervereinigung bemühte sich das Haus Hannover um die erneute Rückgabe des Schlosses385. Die rechtliche Auseinandersetzung war langwierig und endete damit, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht die Rückgabeforderung zurückwiesen386 . Die Auseinandersetzungen führten dazu, dass das Schloss ab 1991 nicht mehr genutzt wurde, was sich auch nach dem Ankauf durch die GBS GmbH mit dem Ziel des Freizeitprojektes „Planet Harz“ nicht änderte, so dass Einbrüche und Leerstand zu Zerstörungen im Inneren führten387. Seit 2005 bemüht sich der Verein „Rettung Schloss Blankenburg e.V.“ um die Erhaltung des Bauwerks und seit 2008 ist es im Besitz der „Großes Schloss Blankenburg GmbH“388 . Zahlreiche Veranstaltungen begleiten die Restaurierungsarbeiten, standesamtliche Trauungen sind im Schloss möglich und ein Café sowie Ausstellungen beleben das Gebäude neu389 . Im „Kleinen Schloss“ wurde ein Museum mit Exponaten zur Geschichte der Stadt und des Schlosses in verschiedenen Jahrhunderten eingerichtet390 . Heute wird der Festsaal für Veranstaltungen genutzt und kann für Feiern angemietet werden, während im Erdgeschoss die Tourist- und Kurinformation untergebracht ist391. Während Schloss Blankenburg erst in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgegeben werden musste, hatte sich die Familie bereits seit 1938 stückweise von österreichischem Besitz getrennt. Einen großen Teil dieser Besitztümer – einschließlich Schloss Cumberland – hatte Ernst August (III.) von Hannover seiner Tochter Friederike von Griechenland übertragen, die seit 1938 mit dem griechischen Thronfolger verheiratet
384 Vgl. Schröter, S. 102. 385 „Die Enteignung seines Großvaters war nach Ansicht von Ernst August rechtswidrig. Er fordert deshalb vom Verwaltungsgericht die Feststellung, dass sein Großvater seit seiner Abdankung als Herrscher des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg 1918 nur noch britischer Staatsbürger gewesen sei. Die deutsche Staatsbürgerschaft sei an den Braunschweiger Thron gebunden gewesen und mit der Abdankung verfallen, heißt es in der Klageschrift.“, Welt online, 8. März 2000: Ernst August klagt Schlösser ein. Prinz von Hannover verlangt Rückgabe enteigneten Vermögens; vgl. Steckhahn, S. 213. 386 Vgl. Welt online, 28. August 2004: Urteil über Welfen-Immobilien fällt erst in zwei Wochen. 387 Vgl. Braunschweiger Zeitung, 28. März 2008: Dartsch, Katja: Welfenschloss kommt unter den Hammer. 388 Vgl. Reckewell/Reimann/Thoms, S. 30ff; vgl. Verein Rettung Schloss Blankenburg: http://www.rettung-schloss-blankenburg.de/; die Sanierungskosten wurden 2008 laut Presse auf 50 Mio. Euro geschätzt, vgl. Braunschweiger Zeitung, 28. März 2008. 389 Verein Rettung Schloss Blankenburg. 390 Vgl. Museumspublikation Blankenburg. 391 Stadt Blankenburg: http://www.blankenburg-tourismus.de/de/kleines-schloss.html.
496 | S AMMLUNGEN DES A DELS war392 . Hintergrund war die Hoffnung, dass sie als Mitglied eines regierenden Königshauses in der Lage sein würde, diese zu erhalten, was teilweise in Form einer Familienstiftung gelang: Die welfischen Besitztümer in Österreich wurden bis 1955 öffentlich verwaltet, nach Abschluss des Staatsvertrages wurde die Herzog von Cumberland-Stiftung gegründet, die bis heute durch den jeweiligen Chef des Hauses verwaltet wird und vor allem Forstflächen und einen Wildpark umfasst393. Schloss Cumberland war jedoch seit 1938 nicht mehr für die Welfenfamilie verfügbar. Es wurde zunächst durch die Nationalsozialisten als Gauschulungsburg genutzt, von 1940 bis 1945 als Kriegslazarett und in direkter Folge des Krieges als Tuberkulosestation. Als Krankenhaus für Tuberkulosepatienten diente es bis 1972 und wurde schließlich 1973 zu einer Landespflege- und Betreuungsanstalt394. Objekte aus Schloss Herrenhausen hatte man während des Krieges nach Blankenburg bringen lassen, um diese vor Zerstörungen zu bewahren. Dieses Vorgehen stellte sich als richtig heraus, da das Schloss durch die Bombenangriffe der Alliierten 1943 zerstört wurde395 . Es war nicht mehr nutzbar und 1961 wurde das Gelände mitsamt des Galeriegebäudes und der Orangerie an die Stadt Hannover verkauft396. Das Schlossgebäude wurde von 2009 bis 2012 nach historischen Plänen, jedoch mit moderner Innenstruktur, wiedererrichtet und dient heute als Tagungs- und Veranstaltungszentrum397 . Das so genannte Fürstenhaus in Herrenhausen blieb im Besitz der Familie, dort verblieben Teile der Ausstattung des Schlosses, einiges wurde jedoch mittlerweile verkauft398. Nach Österreich, Braunschweig und Blankenburg wurde 1945, erstmals nach 1866, das ehemalige Königreich Hannover erneut zum Wohnsitz der Welfen. Schloss Marienburg war – abgesehen von einigen Monaten, welche Marie von Hannover dort verbracht hatte – noch nie bewohnt worden und blieb als neue Unterkunft zunächst von Übergangslösungen geprägt. Neben der Familie Ernst Augusts (III.) von Hannover waren dort auch Flüchtlinge untergebracht399. Da man von der Beschlagnahmung von Kunstwerken durch die Russen und Amerikaner wusste, blieb zudem die Angst 392 Steckhahn, S. 170; Bungarten nennt die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Zeitpunkt der Übergabe des Schlosses an Friederike, Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 66. 393 Vgl. Steckhahn, S. 171f. 394 Für Informationen zur Nutzung des Schlosses, vgl. Oberösterreichische Landespflegeund Betreuungsanstalt: http://www.lpbz-ooe.at/691.htm; erst 1979 wurde Schloss Cumberland durch das Land Oberösterreich gekauft; laut Steckhahn gehörte es nicht zur welfischen Familienstiftung und ging zunächst in den Besitz der Republik Österreich über, Steckhahn, S. 172; de Winter geht davon aus, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg verkauft wurde, de Winter, S. 153. 395 Vgl. Schloss Herrenhausen: http://www.schloss-herrenhausen.de/schloss/geschichte/. 396 Vgl. von Alvensleben/Reuther, S. 6; vgl. Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 16. 397 Vgl. Schloss Herrenhausen: http://www.schloss-herrenhausen.de/schloss/. 398 Hannoversche Allgemeine Zeitung online, 3. März 2007: Benne, Simon: Das Tafelsilber der Welfen. Was vom Schloss übrig blieb. 399 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330; vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 49f.
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vor weiteren Verlusten zunächst bestehen400. Im Dezember 1945 kam es zu einer Überführung von Objekten nach England durch den Kurator des englischen Königshauses (und später als Spion entlarvten) Anthony Blunt, welche laut Friemuth in Rückforderungen englischen Fideikommissgutes und laut Steckhahn in dem Wunsch Ernst Augusts (III.) von Hannover nach einem Schutz vor Beschlagnahmungen begründet lag401. Laut Steckhahn sind auf diesem Weg Objekte nach England verbracht worden, welche durch den Kulturgüterschutz mit einem Ausfuhrverbot belegt und teilweise bereits im Frühjahr 1946 wieder zurück in Deutschland waren402 . Die Zeit des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und die unmittelbare Nachkriegszeit hatten dazu geführt, dass die Sammlungen der Welfen nun im einzigen noch verbliebenen Schloss Marienburg403 konzentriert waren. Diese Veränderung (nur wenige Jahre nach dem Ausstieg der Familie aus der Museums- und Bibliotheksstiftung in Braunschweig) hatte nachhaltige Folgen für die noch verbliebenen Sammlungsteile. Die Notwendigkeit, die aus verschiedenen Schlössern zusammengetragenen Objekte neu im Schloss zu positionieren und ein neues Wohnumfeld zu schaffen, stand im Vordergrund. Für neue Anhäufungsmaßnahmen gab es angesichts der Objektmenge und der erneuten finanziellen Einbußen404 keinen Anlass. Man knüpfte jedoch sofort an das traditionelle öffentliche Zeigen an: Nicht zuletzt als Dank für die Unterstützung der britischen Besatzer während des Umzugs in das Schloss Marienburg oder/und aufgrund der guten Verbindung zum englischen Königshaus war die Familie bereit, eine Ausstellung Harbords zum Thema höfischer Wohnkultur in der Herrenhäuser Orangerie mit Möbeln und Gemälden zu unterstützen405. Auch die Beziehung zum Landeskonservator Seeleke war in der Folgezeit des Krieges weiterhin gut, so dass dieser ohne Vorankündigung zum Schloss Marienburg fuhr, um dort Objekte zur Ausstellung in Schloss Richmond auszuwählen406. 1952 zeigte eine Ausstellung im Victoria & Albert Museum in London „Treasures of the House of Brunswick“ ab dem 16. Jahrhundert407. In der Reaktion auf diese Ausstellung kam es zu einer Bewertung der gezeigten Objekte nach historischem und kunsthistorischem Wert, wobei Ramsey ersteren hervorhebt, indem er zu folgendem Urteil kommt: „As the guide to the exhibition pointed out, the Dukes of Brunswick do not seem to have numbered any serious collectors of works of art, and the inclusion of the term ‚treasures‘ in the title seemed to many somewhat of an over-statement. What we saw were the family portraits, the
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Steckhahn, S. 169. Friemuth, S. 123; Steckhahn, S. 169. Schmuck, Silberobjekte, das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“, Steckhahn, S. 170. Zur ehemaligen Vielfalt von Schlössern in welfischem Besitz, jedoch ohne Nennung des Zeitpunkts der Aufgabe derselben (beispielsweise 1866, 1918 oder zu einer anderen Zeit) vgl. Trunz, Helmut: Welfenschlösser in Nord- und Westdeutschland, Holzminden 2006. Von Bedeutung war v.a. auch der Waldverlust, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 329. Die Ausstellung wurde im September 1945 eröffnet, Friemuth, S. 130ff. Lonsdale Charles, Eintrag vom 22. November 1945, S. 290f. Vgl. Ramsey; vgl. Weltkunst 03/1999, S. 468.
498 | S AMMLUNGEN DES A DELS contents of the plateroom, comprising mostly table plate of the late Seventeenth, Eighteenth and Nineteenth Centuries, and a few pieces of furniture.“408
Zu dieser Einschätzung kam er trotz der Ausstellung heute selten erhaltener Silbermöbel, deren Anfertigung für ein so kleines Herzogtum er als erstaunlich heraushebt409. Betont wird vor allem die Porträtkunst sowie die Verknüpfung der Welfen zum britischen Königshaus410. Die Verluste, welche die Familie durch die Ereignisse seit 1866 erlitten hat, wurden in diese Bewertung ebenso wenig einbezogen wie die Abspaltung der institutionellen Sammlungen, in welche nach 1918 auch Objekte aus dem Residenzschloss Braunschweig verbracht worden waren. Neben der Unterstützung von Ausstellungsprojekten gehörten auch Leihgaben des Hauses Hannover in einigen öffentlichen Sammlungen in Hannover und Braunschweig zum öffentlichen Zeigen: dies betraf beispielsweise Antiken im KestnerMuseum411 und bis 1955 die mittelalterlichen Bestände des Welfenmuseums412. Darüber hinaus unterstützte die Familie das Vaterländische Museum sowie das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig zeitweise413. In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde zudem im Schloss Marienburg ein Museum eingerichtet414. Ortrud von Hannover, die Frau Ernst Augusts (IV.) von Hannover, die gelernte Bibliothekarin war und im Schloss Glücksburg gearbeitet hatte, kümmerte sich um diese Aufgabe415 . Die Aussage Schröters, dass „[a]ls wertvolle Sachzeugen [...] seither in der Ausstellung wie im Fundus der Marienburg Möbel, Gemälde, Porzellan, Waffen und Fahnen aus dem Blankenburger Schloss enthalten sind“416, ist insofern zu ergänzen, dass bis 2005 dort auch Objekte aus dem Residenzschloss in Braunschweig, aus Schloss Cumberland in Gmunden sowie aus Schloss Herrenhausen zu finden waren. Eine wissenschaftliche Betreuung im Sinne der Idee des kulturellen Erbes fand jedoch nicht statt417.
408 Ramsey, S. 90; Millar kommt zu dem Urteil: „The selection of pictures from the collection of the Duke of Brunswick and Lüneburg contains no masterpiece of European painting.“ sowie: „The purely German pictures are a mediocre lot.“, Millar, Oliver: The Brunswick Art Treasures at the Victoria and Albert Museum: The Pictures, in: The Burlington Magazine, Vol. 94, No. 594 (Sep. 1952), S. 266 und S. 268. 409 Ramsey, S. 91. 410 Ramsey, S. 90ff; Millar, S. 266. 411 Stuttmann, S. 10. 412 Vgl. Kapitel 4.1.4 zu diesem Bestand. 413 Vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin und Braunschweiger Bürgerin, S. 44. 414 Vgl. Steckhahn, S. 185; „Die Marienburg wurde mit großer Liebe und nicht geringen Kosten zu einem Schloßmuseum ausgebaut, das zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten in der weiteren Umgebung Hannovers zählt. Seine Räumlichkeiten bergen geschichtliche und kunstgeschichtliche Kostbarkeiten hohen Ranges.“, Broschüre Fürstenhaus: Broschüre Fürstenhaus Herrenhausen-Museum, Hannover o.J., S. 28. 415 Vgl. Steckhahn, S. 185. 416 Schröter, S. 102. 417 Vgl. Steckhahn, S. 201.
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Ortrud von Hannover beteiligte sich auch an der Einrichtung des FürstenhausMuseums in Herrenhausen418. Das Fürstenhaus gehörte ursprünglich zu den PalaisBauten, welche dem Hofadel ermöglichten, in der Nähe der Königsfamilie zu leben. Georg (I.) von Hannover machte es einer seiner unehelichen Töchter zum Geschenk, aber „[n]ach mehrfachem Besitzwechsel und damit verbundenen Erweiterungs- und Ausbauarbeiten ging das Anwesen [...] wieder in den Besitz der Krone über.“419 Bereits nach 1866 beherbergte es die fürstliche Porträtsammlung. Nachdem das Fürstenhaus im Zweiten Weltkrieg weitgehend von Zerstörungen verschont blieb, bot sich die Möglichkeit, es erneut als Sammlungsstandort einzurichten420. Seit 1955 war es öffentlich zugänglich, „mit sehenswerten Beständen vor allem Möbeln und Gemälden, darunter die berühmte Herzberger Jagdtapete, aus Schlössern des Hauses Braunschweig-Lüneburg.“421 In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden umfassende Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt422 und in zehn Räumen Objekte der Welfen aus den Schlössern Herrenhausen, Blankenburg, Herzberg und Marienburg gezeigt. Der Museumsbetrieb wurde jedoch eingestellt, und seit 2011 nutzt Ernst August (VI.) von Hannover eine seit 2000 ausgebaute Wohnung in einem Teil der Immobilie als temporären Wohnsitz423 . Neben den genannten Formen des öffentlichen Zeigens seit 1945 war die erste Zeit im Schloss Marienburg auch von Entsammlungsmaßnahmen geprägt424 . Maßnahmen des Bewahrens beschränkten sich auf einen respektvollen Umgang gegenüber den noch immer als Mittel sozialen Verhaltens, als Erinnerungsobjekte und Dinge des Wohnens genutzten Objekte sowie gegenüber den Porträts. Vor allem die enorme Menge der im Schloss Marienburg untergebrachten Sammlungsbestände machte jedoch umfassende Pflegemaßnahmen unmöglich. Durch den Verlust Schloss Blankenburgs und vor allem nach dem Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover 1953 kam es darüber hinaus zu einer distanzierteren Haltung der Familie zu ihrem Sammlungsbesitz. Die erneute, und durch das fluchtartige Verlassen des Schlosses Blankenburg nicht planmäßig erfolgte, Veränderung in den Beständen führte zu zahlreichen neuen Ding-Ding-Bindungen und zur Herauslösung von Objekten aus ihren herkömmlichen oder seit Jahrhunderten gewachsenen Ortsbindungen. Auch die Ding-Mensch-Bindungen wurden durch diese völlig neue Situation und das Leben in einem Schloss, das bisher nicht durch die beteiligten Personen genutzt worden war, stark gelockert. Während Ortsveränderungen sowohl für Menschen als auch für Objekte in Bezug auf Adelssammlungen keine Seltenheit waren und bei gezielter Auswahl sogar Bindungen stärken konnten, waren diese Verände-
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Vgl. Steckhahn, S. 185. Broschüre Fürstenhaus. Vgl. Broschüre Fürstenhaus. Röhrbein, Waldemar R., in: Welfisches Hannover. Steinerne Zeugen im Sucher. FotoBildband mit Texten von Waldemar R. Röhrbein und Fotos von Eckard Schrader, Göttingen 2004, S. 48. 422 Broschüre Fürstenhaus. 423 Hannoversche Allgemeine Zeitung, 7. April 2011: Kaune, Stefanie: Erbprinz Ernst August von Hannover zieht ins Fürstenhaus. 424 Vgl. Kapitel 4.1.4.
500 | S AMMLUNGEN DES A DELS rungen im Fall der Welfen wiederholt von Unfreiwilligkeit geprägt425. Plessens Hinweis, dass Schloss Marienburg als Stammsitz der Welfen aus dem 19. Jahrhundert stammt, obwohl die Familie selbst bis ins 9. Jahrhundert zurückzuverfolgen ist426 , verdeutlicht den Verlust an Bindungen, den diese durchlebte. Schloss Blankenburg war dagegen als „Generationenort“ ein bedeutendes Bindeglied zu früheren Jahrhunderten gewesen und das letzte Schloss, welches bewusst durch einen Chef des Hauses zu seinen Zwecken umgestaltet worden war. 4.1.4 Die Verkäufe nach 1918 Obwohl Entsammlungsmaßnahmen traditioneller Bestandteil von Adelssammlungen waren, sollen an dieser Stelle Verkäufe der Welfen nach 1918 als biographische Wendepunkte der veräußerten Objekte gesondert betrachtet werden, da diese wiederholt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind. Diese sollen kurz beschrieben und in den Kontext der jeweiligen Objektbiographie(n) sowie der Situation der Familie eingeordnet werden. Ebenso werden die Verkäufe in den Zusammenhang der jeweils gültigen Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen gestellt und bezüglich ihrer Auswirkungen auf die Sammlungsbestände der Welfen sowie für die Öffentlichkeit untersucht werden. Dabei steht weniger die Vollständigkeit sämtlicher dieser Verkaufsmaßnahmen im Vordergrund als der Versuch, eine Entwicklung festzustellen, die Rückschlüsse auf eine mögliche Bedeutungsveränderung der Bestandteile welfischer Sammlungen zulässt. Die Verkäufe werden chronologisch geordnet aufgelistet, wobei in Einzelfällen der Zeitpunkt ihres Bekanntwerdens (durch Weiterverkauf im Kunsthandel) herangezogen wird, da der eigentliche Veräußerungszeitpunkt nicht bekannt ist. Verkäufe der 20er und 30er Jahre Neben den Folgen der politischen Umwälzungen von 1918 hatten die Maßnahmen zur Auflösung von Fideikommissen und weiterem gebundenen Vermögen Auswirkungen auf den Besitz der Welfen427. Dieser war vielfältig durch entsprechende 425 Dies wird auch in der Haltung Ernst Augusts (III.) von Hannover in Bezug auf den Verlust des Schlosses Blankenburg deutlich, vgl. Friemuth, S. 122. 426 Plessen 2006, S. 545. 427 Dieser war vielfältig gebunden, wie Jaitner für die Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich macht: „1861 existierten das Kronfideikommiß des Gesamthauses BraunschweigLüneburg, das Schatullfideikommiß, das Juwelen- und Kostbarkeitenfideikommiß, das am 26. Mai 1843 errichtete Ernst-August-Fideikommiß (Juwelen, Silber, Porzellane, Gemälde, Bibliothek) und das Familienmuseum laut Hausgesetz vom 30. Januar 1858.“, Jaitner, S. 395; dabei „handelte es sich [...] um Hausvermögen, da das Haus als solches, d.h. die korporative Genossenschaft mit juristischer Persönlichkeit, Eigentümer der Gesamtheit aller Vermögensgegenstände (Grund und Boden wie bewegliche Sachen) war.“, Jaitner, S. 406; zusammenfassend wird die Rechtslage bezüglich der welfischen Fideikommisse dargelegt in: Antwort der Landesregierung auf Kleine Anfrage des Abgeordneten Wernstedt, betr.: Aufklärung über Geschichte und Eigentumsverhältnisse am Evangeliar Heinrichs des Löwen, Hannover 1985, abgedruckt in: Schnath, Georg: Besitzgeschichte des Helmarshausener Evangeliars Heinrichs des Löwen (1188-1935), in:
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Vermögensregelungen und das Hausgesetz von 1836428, welches am 7. Mai 1920 durch ein neues Hausgesetz abgelöst wurde429, gebunden und strukturiert. Das Vermögen war daher von den (in Folge des Artikels 155 der Weimarer Reichsverfassung) gebotenen Auflösungsmaßnahmen430, insbesondere dem preußischen Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen vom 23. Juni 1920431 maßgeblich betroffen: „Das in Preußen [und damit auch im ehemaligen Königreich Hannover, Anm. U.S.] befindliche Hausvermögen einschließlich der standesherrlichen Hausgüter [...] ist bis zum 1. April 1923 von den beteiligten Familien aufzulösen. Ist die Auflösung binnen dieser Frist nicht geregelt, so erfolgt die Zwangsauflösung der Hausvermögen im Verordnungswege durch das Staatsministerium.“432
Laut Auflösungsamt Celle galten 1922 und 1923 die durch die Gesetzeslage geforderten Auflösungsbestimmungen für das Vermögen der Welfen als erfüllt433 . Die Inhalte der Fideikommisse waren mit dem 1920 beschlossenen Hausgesetz freies Vermögen in der Hand des Hauses und unterlagen hinsichtlich der Behandlung und des Verkaufs zugehöriger Objekte ausschließlich den Beschlüssen Ernst Augusts von Cumberland (nach seinem Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover) als Chef des Hauses sowie der Mitgliederversammlung (bestehend aus dem Chef sowie den Agnaten)434. Gleichzeitig waren die frühen 20er Jahre des 20. Jahrhunderts für Ernst August (III.) von Hannover und seine Familie geprägt von der Unsicherheit bezüglich der Auseinandersetzungen um den mit dem Herzogtum Braunschweig verbundenen Besitz, welche erst 1925 abgeschlossen wurden. Ernst August von Cumberland konnte dagegen bis zu seinem Tod 1923 die Hofhaltung im Schloss Cumberland erhalten.
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Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek, herausgegeben von Paul Raabe, Band 7, Frankfurt am Main 1987, S. 256-265. „Das Vermögen der bisherigen Königlichen Schatull-Casse soll von der Gültigkeit dieses Hausgesetzes an in ein Familien-Fideicommiss der jetzt regierenden Königlichen Linie übergehen, über dessen Einkünfte dem Könige die freie Disposition zusteht, dessen Substanz aber, wenn auch verändert, doch nicht vermindert, auch mit Schulden nicht beschwert werden darf, so lange der Mannsstamm der jetzigen Königlichen Familie blüht.“, Zwölftes Capitel, §1, Hausgesetz Hannover 1836, in: Schulze, S. 506. Vgl. Jaitner, S. 406; vgl. Schnath, S. 238. Art. 155, Weimarer Reichsverfassung. Gesetz Aufhebung Standesvorrechte 1920. Teil II, § 3, Gesetz Aufhebung Standesvorrechte 1920. Laut Jaitner wurde dies am 25. September 1922 bestätigt, Jaitner, S. 407. Jaitner, S. 407; der Gesamthausfideikommiss wurde in der Hand der juristischen Person „Gesamthaus“ frei, der Ernst August-Fideikommiss in der Hand „Spezialhaus Linie Ernst August“ und der Hannoversche Kronschatullfideikommiss in der Hand „Haus Hannover“, vgl. Schnath, S. 238f; vgl. Niedersächsisches Landesarchiv, Vorwort Oberlandesgericht Celle (vor 1945): http://aidaonline.niedersachsen.de/ (Suche Oberlandesgericht Celle Fideikommisse).
502 | S AMMLUNGEN DES A DELS Beide waren von der Weltwirtschaftskrise betroffen435. Auch die Kosten an Personalund Ruhegehältern belasteten die finanzielle Situation der Familie. Nach dem Auseinandersetzungsvertrag 1925 betrugen diese allein in Deutschland 361.171 Reichsmark jährlich, wozu außerdem 300.000 Reichsmark Apanagezahlungen für zehn Hausmitglieder sowie die Kosten für die Museums- und Bibliotheksstiftung kamen436. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich führten außerdem die nach 1918 für die Familie fälligen Steuern zu weiteren Belastungen437. „Die 20er Jahre sollten sich rückblickend als eine Phase großer finanzieller Unsicherheit herausstellen, war doch die wirtschaftliche Existenz der Familie in Frage gestellt. So kam es damals zu einer grundlegenden Neustrukturierung der Vermögensverhältnisse und des Hofes.“438 Gemäß der traditionell in finanziell schwierigen Situationen genutzten Edelmetall- und Schmuckbestände kam es daher Anfang der 20er Jahre vor allem zu Verkäufen von Silber- und Juwelenobjekten, aber auch zum Verkauf von Immobilienbesitz439. Bestandteile der Silberkammer wurden zwischen 1923 und 1925 an Wiener Antiquariate veräußert440. Ein achtarmiger Silberleuchter, welcher 1763 im Auftrag Georgs (II.) von Hannover entstanden war, kam beispielsweise 1924 zum Verkauf und tauchte später mehrfach im Kunsthandel auf441 . 1926 veräußerte man Teile des Münzschatzes442 . 1928 wurden Teile eines Tafelservices Georgs (III.) Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg König von
435 Jaitner erwähnt ein Vermögen des Herzogs von Cumberland von 100 Mio. Mark 1919, welches hauptsächlich in Wertpapieren bestand und daher durch die Inflation entwertet wurde, Jaitner, S. 405. 436 Vgl. Günther, S. 128; demgegenüber standen Einnahmen durch die Forsten von 75.000 RM, Günther, S. 128; Schnath spricht von Pensionslasten von 354.000 RM in den Jahren 1928/29, Schnath, S. 242; auch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erwähnt die hohen Pensionskosten, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 221. 437 Vgl. Jaitner, S. 405. 438 Steckhahn, S. 156 und S. 158; auch Sinclair weist auf die Wirtschaftskrise als Wendepunkt für den Adel sowie dessen Notwendigkeit, Besitz zu verkaufen hin, Sinclair, S. 131f. 439 Jaitner erwähnt außerdem Gobelins, ein illuminiertes Stundenbuch sowie Immobilienverkäufe in Wien, vgl. Jaitner, S. 408f; so z.B. das Palais Cumberland, vgl. Steckhahn, S. 68; vgl. Jaitner, S. 404; vgl. Schnath, S. 239. 440 Vgl. Jaitner, S. 408f; vgl. Trudzinski, S. 62. 441 Er befand sich zwischenzeitlich im Besitz Hubert de Givenchys, wurde 1993 versteigert und 2011 für 5.753.250 GBP erneut versteigert, vgl. Auktionskatalog Christie’s 2011: Christie’s, The exceptional Sale 2011, 7. Juli 2011, London, Los 52; er war damit das teuerste Silberobjekt, das bis zu diesem Zeitpunkt bei einer Auktion versteigert wurde. Weitere Leuchter dieser Art befinden sich im National Trust in Anglesea Abbey sowie im Museum of Fine Arts Boston, vgl. Weltkunst 08/2011. 442 Vgl. Steckhahn, S. 159 und S. 203.
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Großbritannien und Irland aus dem 18. Jahrhundert verkauft. 19 Objekte aus diesem Service befinden sich heute im Louvre443 . Derartige Verkäufe von Sammlungsgegenständen sowie Baudenkmalen durch Angehörige des Adels waren bereits kurz nach der Revolution 1918 von den neuen Machthabern erwartet worden, so dass in Österreich das Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung444 erlassen worden war. Dieses verbot die generelle Ausfuhr „von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Antiquitäten, Gemälde, Miniaturen, Zeichnungen und Werke der Graphik, Statuen, Reliefs, Medaillen und Münzen, Gobelins und andere ältere kunstgewerbliche Werke, archäologische und prähistorische Gegenstände, Archivalien, alte Handschriften und Drucke u. dgl.)“445. Ausnahmen konnten jedoch „in rücksichtswürdigen Fällen“ gewährt werden446. Der Verkauf dieser Objekte sowie von Baudenkmalen war dagegen nur dann verboten, wenn sich diese im Eigentum oder Besitz von „Körperschaften des öffentlichen Rechtes, öffentlichen Anstalten oder Fonds oder von Stiftungen“ befanden447 oder den Kron- und Familiengütern des ehemaligen kaiserlichen Hauses zugehörig waren448 . Das Gesetz beschäftigte sich damit allein mit dem Abwanderungsschutz (3. Ebene). Verkäufe von Objekten aus den Sammlungen der Welfen, welche sich in Österreich befanden, waren damit bis zum Inkrafttreten des Denkmalschutzgesetzes von 1923 unproblematisch, so lange sie im Land verblieben. Dieses Bundesgesetz vom 25. September 1923, betreffend Beschränkungen in der Verfügung über Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Denkmalschutzge-
443 Ramsey erwähnt den Verkauf englischen Silbers aus dem Besitz Ernst Augusts von Cumberland, Ramsey, S. 93; 1979 kamen Teile dieses Tafelservices in Monaco zur Auktion, vgl. Weltkunst 03/1999, S. 468. 444 Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, 5. Dezember 1918, Gesetzesblatt für den Staat Deutschösterreich, 20. Stück, Nr. 90, S. 128129; online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb&datum=1918&page =150&size=45; folgend: Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918; zugehörig wurde 1919 eine Vollzugsanweisung verabschiedet: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 10. Jänner 1919, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, 10. Januar 1919, Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, 13. Stück, Nr. 28, S. 55-56, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb&datum= 1919&size=45&page=131, folgend: Vollzugsanweisung Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1919; vgl. Obenaus. 445 § 1, Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918. 446 § 4, Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918; vgl. Regelung zur Durchführung einer bewilligten Ausfuhr § 2, Vollzugsanweisung Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1919. 447 § 2, Satz (1), Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918. 448 § 2, Satz (2), Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918.
504 | S AMMLUNGEN DES A DELS setz)449, ergänzte die bisherige weiterhin gültige Gesetzeslage um Maßnahmen zum Bestandsschutz (1. Ebene) sowie, in einzelnen Fällen, des Kontexterhaltes (4. Ebene). Es fand Anwendung „auf unbewegliche und bewegliche Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Denkmale) [...], wenn ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist. Die für Denkmale getroffenen Bestimmungen gelten auch für Gruppen und Sammlungen von Gegenständen, die vermöge ihres geschichtlichen, künstlerischen oder kulturellen Zusammenhanges ein einheitliches Ganzes bilden, wenn ihre Erhaltung als Einheit im öffentlichen Interesse gelegen ist.“450
Im Falle von privatem Eigentum oblag es dem Bundesdenkmalamt zu entscheiden, ob ein solches vorlag451 . Wurde das öffentliche Interesse festgestellt, waren Zerstörung und Veränderung an den jeweiligen Objekten nur mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes möglich452. Die Veräußerung derart geschützter Einzelobjekte in Privatbesitz war dagegen durch das Gesetz nicht verboten, musste jedoch den Behörden mitgeteilt werden453 . Objekte aus einer Gruppe oder Sammlung durften allerdings nur mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes verkauft werden454 . Das Gesetz enthielt des Weiteren die Möglichkeit, Sicherungsmaßnahmen durchzuführen, wenn eine unerlaubte Veräußerung befürchtet wurde455, und erlegte den Eigentümern eine Auskunftspflicht gegenüber den Behörden auf456 . Für Ernst August (III.) von Hannover waren daher Verkäufe der Objekte, die sich in Österreich befanden, innerhalb Österreichs auch nach 1923 möglich, so lange diese nicht durch das Bundesdenkmalamt unter Schutz gestellt worden waren. Trotz der enormen Quantität der Objekte in Welfenbesitz waren diese frühen Verkäufe jedoch nicht völlig ohne Wirkung auf die Sammlungsbestände: Die Silberkammer war, gerade in der Zeit des Exils, wiederholt zum Zweck des repräsentativen Zeigens genutzt worden. Eine bewusste Verringerung dieses Sammlungszweiges deutet darauf hin, dass der repräsentative Nutzen des Besitzes gegenüber anderen Funktionen – wie beispielsweise der Abwendung finanzieller Probleme – abnahm. Für die Objekte selbst bedeuteten diese Verkäufe den Abbruch von zum Teil seit ihrer Fertigung bestehenden Ding-Ding-Bindungen. Auch die gewachsenen DingMensch-Bindungen wurden abrupt beendet. Allerdings ist eine Schwächung dieser 449 Bundesgesetz vom 25. September 1923, betreffend Beschränkungen in der Verfügung über Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Denkmalschutzgesetz), 25. September 1923, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1923, ausgegeben am 5. Oktober 1923, 103. Stück, Nr. 533, S. 1725-1727; online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=bgb&datum=1923&page=1777& size=45; folgend: Denkmalschutzgesetz 1923. 450 § 1, Abschnit (1), Denkmalschutzgesetz 1923. 451 § 2, Abschnitt (2), Denkmalschutzgesetz 1923. 452 § 5, Abschnitt (1), Denkmalschutzgesetz 1923. 453 § 5, Abschnitt (2), Denkmalschutzgesetz 1923. 454 § 6, Abschnitt (1), Denkmalschutzgesetz 1923. 455 § 7, Abschnitt (1), Denkmalschutzgesetz 1923. 456 § 12, Denkmalschutzgesetz 1923.
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Bindungen auch im Zusammenhang mit dem Tod Ernst Augusts von Cumberland zu betrachten und es wird deutlich, dass die durch Exil und Entmachtung zweifach erlebte Störung einer auf Kontinuität basierenden Lebensweise des Adels mit diesem Generationswechsel Auswirkungen auf Ding-Mensch-Bindungen hatte. Die frühen Verkäufe aus dem Bestand der Münzsammlung sind dagegen als typische Entsammlungsmaßnahmen im Sinne einer lebendigen Sammlungstätigkeit zu werten, da es sich um den Verkauf von Dubletten und weniger in die Sammlung passender Objekte handelte457. Neben den traditionell zur Geldbeschaffung genutzten Silberverkäufen, welche in diesem Fall auch auf eine geringere Wertung des repräsentativen Zeigens hinweisen, kam es Mitte der 20er Jahre zu weiteren Verkäufen, deren vorrangiger Zweck der Finanzbeschaffung durch sich lösende Bindungen und eine Übertragung des öffentlichen Zeigens auf institutionelle Sammlungen unterstützt wurde. 1925 erwarb der Provinziallandtag in Hannover 178 von 797 Gemälden aus dem ehemaligen „Königlichen Welfenmuseum“458. In diesem Zusammenhang kam es darüber hinaus zum Verkauf des Porträtgemäldes „Edward VI. als Kind“ von Hans Holbein an einen amerikanischen Käufer459, und weitere Objekte aus diesem Gemäldebestand wurden in Berlin veräußert460. Darunter befanden sich beispielsweise das „Porträt eines Mannes“ von Diego Velázquez461, die Darstellung „Madonna mit Kind, Heiligen und 457 Vgl. Leschhorn, Wolfgang: Zur Geschichte der ehemals königlichen Münzsammlung zu Hannover, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 81. 458 Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 60; darunter Werke von Cranach, Holbein, Poussin u.a., vgl. Stuttmann, S. 15; vgl. Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 14. 459 Vgl. Katenhusen, S. 34; laut Stuttmann kaufte der amerikanische Sammler Mellon das Gemälde, Stuttmann, S. 15; Bungarten nennt einen Kaufpreis von 1,25 Mio. RM, Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 60; diese Summe nennt auch die Kunstchronik, die als Käufer den „Schwiegersohn des englischen Königs, Lord Lascelles“ nennt und an anderer Stelle nur von einem Verkauf nach London spricht, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 7, 16. Mai 1925: Sammlungen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, Wochenschrift für Kenner und Sammler, 59. Jahrgang, Neue Folge XXXV, April 1925 bis März 1926, Leipzig, S. 118. 460 Der Verkauf fand über verschiedene Berliner Händler statt, u.a. über Cassirer, Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926]: Alte und Neuere Meister der Fideikommiss-Galerie des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg, 27.-28. April, Berlin o.J. [1926], bei Cassirer wurden 206 Gemälde versteigert, vgl. Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926]; das Auktionshaus Lepke verauktionierte im März 1925 Gemälde aus diesem Bestand: „Sie gelangten vor einigen Wochen in den Besitz zweier Berliner Kunsthändler und kommen jetzt unmittelbar aus deren Hand zur Versteigerung.“, Auktionskatalog Lepke 1925: Gemälde aus der ehemaligen Galerie eines deutschen Fürstenhauses, Rudolph Lepke’s KunstAuctionshaus Berlin, 31. März 1925, Katalog 1931, o.S. 461 Es war über die Sammlungen Wallmoden und Hausmann in den Besitz Georgs (V.) von Hannover gekommen und hatte sich seit 1878 in Hannover im Museum befunden. Über Leo Blumenreich, der als Direktor des Kunstsalons Cassirers in Berlin tätig war, gelangte es in den internationalen Kunsthandel, von dort in die Sammlung Jules S. Bach in New
506 | S AMMLUNGEN DES A DELS Stiftern“, Sebastiano del Piombo zugeschrieben462 , zwei kleine Anthony van Dyck zugeschriebene Ölskizzen auf Holz mit der Darstellung eines Mannes mit Pferd463 , die Bildnisse „Charles de Cossé, Comte de Brissac“ sowie eines Mannes mit schwarzem Federhut, beide Corneille de Lyon zugeschrieben464, welche sich heute im Metropolitan Museum of Art in New York befinden. Die Gemälde waren Bestandteil der Fideikommiss-Galerie des Provinzialmuseums in Hannover, in das sie nach der 1892 erfolgten Aufhebung der Beschlagnahmung von Sammlungsteilen Georgs (V.) von Hannover durch Preußen eingegliedert worden waren465 . Die Veränderungen für das Museum kamen nicht völlig überraschend, da das Haus bereits im Zusammenhang mit einer durch das Museum angestrebten Reform deutlich gemacht hatte, dass zunächst die Vermögensauseinandersetzungen abzuwarten seien, bevor entsprechende Entscheidungen getroffen werden konnten466 . Im Sommer 1924 kündigte Ernst August (III.) von Hannover schließlich den Leihvertrag mit dem Provinzialmuseum mit der Option auf Ankauf der nahezu gesamten Fideikommiss-Galerie467. Seit dem Tod seines Vaters Ende 1923 war nun der gesamte Be-
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York und schließlich in das Metropolitan Museum, vgl. Metropolitan Museum of Art Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/searc h/437874?rpp=30&pg=1&ft=hanover&pos=1&imgNo=0&tabName=object-information. Ebenfalls aus den Sammlungen Wallmoden und Hausmann stammend und über die Auktion bei Cassirer 1926 in den Besitz Josephine Biebers in New York und schließlich in das Metropolitan Museum gelangt, vgl. Metropolitan Museum of Art - Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/437646?rpp= 20&pg=1&ft=hanover&pos=3&imgNo=0&tabName=object-information. Beide aus der Sammlung Hausmann in den Besitz der Welfen gelangt und 1925 über Cassirer an die Familie Bieber in New York verkauft und schließlich in das Metropolitan Museum gelangt, vgl. Metropolitan Museum of Art - Sammlungsdatenbank: http://www. metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/436263?rpp=20&pg=1&ft=hano ver&pos=16&imgNo=0&tabName=object-information. Beide aus der Sammlung Hausmann in den Besitz der Welfen gelangt und 1925 über Paul Bottenwieser (Berlin) und Maurice Brozek (Paris) in die Sammlung Jules S. Bach und schließlich in das Metropolitan Museum gelangt, vgl. Metropolitan Museum of Art Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/searc h/435946?rpp=20&pg=1&ft=hanover&pos=4&imgNo=0&tabName=object-information. Vgl. Stuttmann, S. 12. Katenhusen nennt das Jahr 1921 für diese Überlegungen, Katenhusen, S. 34; zu diesem Zeitpunkt war auch von einem möglichen Museum in Schloss Marienburg die Rede, Katenhusen, S. 34; Trudzinski spricht von Museumsreformplänen 1923, vgl. Trudzinski, S. 58; laut Kunstchronik kam die Kündigung des Leihvertrages unerwartet und setzte das Museum, das in einer Reformphase steckte, unter Druck, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925: Sammlungen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, Wochenschrift für Kenner und Sammler, 59. Jahrgang, Neue Folge XXXV, April 1925 bis März 1926, Leipzig, S. 232. Katenhusen nennt einen Kaufpreis von 1 Mio. RM, Katenhusen, S. 34; vgl. Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 60; vgl. Trudzinski, S. 62; Stuttmann hält den Preis von 1 Mio. RM gemessen an der Menge und Qualität der Fideikommiss-Galerie für ge-
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sitz auf ihn übergegangen, was auch zu weiteren materiellen Belastungen führte468 . Die Verbindung des in Österreich geborenen und aufgewachsenen Chefs des Hauses zu den in Hannover institutionell verwalteten Sammlungsteilen war gering. Zudem war dessen Auseinandersetzung mit dem Staat Braunschweig zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht abgeschlossen, ein erster Vergleichsentwurf war vom Landtag abgelehnt worden, so dass seine finanzielle Situation weiter ungeklärt war469. Zu einem von Ernst August (III.) von Hannover angebotenen Komplettankauf durch das Museum kam es jedoch nicht. Dieses war an 179 Gemälden, inklusive dem Porträt „Edward VI. als Kind“ (das als eines der Hauptwerke des Museums im Holbein-Saal präsentiert wurde470) interessiert471. Die Verhandlungen wurden zwischen dem Landesdirektorium Hannover und dem Haus Hannover geführt472 und die im Februar 1925 getroffene Ankaufsentscheidung des Provinziallandtages schloss das oben genannte Werk Hans Holbeins schließlich aus473. Ergänzt wurde der Gemäldeverkauf schließlich – ebenfalls 1925 – durch die urgeschichtlichen, ethnographischen und naturwissenschaftlichen Sammlungszweige der Fideikommiss-Galerie474 . Ähnlich wie in Österreich gab es zu diesem Zeitpunkt auch in Deutschland bereits Schutzmaßnahmen, die Verkäufe – insbesondere ins Ausland – von „Gegenstände[n], die einen geschichtlichen, wissenschaftlichen, oder künstlerischen Wert haben“475, einschränkten. Die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken mit ih-
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rechtfertigt und bezeichnet die Ablehnung des Angebots als „unverständlich“, Stuttmann, S. 15. „Mit dem Tod seines Vaters veränderten sich die Lebensumstände des Herzogs zum dritten Mal grundlegend. Der frühere große Reichtum des ‚alten Herrn‘ war durch dessen mittlerweile unzeitgemäß große Hofhaltung sowie die jetzt unter seinem Sohn erfolgte Vermögensabgabe und die Geldentwertung der Inflationszeit erheblich zusammengeschmolzen. Verbindlichkeiten waren jedoch über den Tod des Herzogs von Cumberland hinaus weiterhin zu bedienen.“, Steckhahn, S. 156. Vgl. Schmidt, S. 117ff. Vgl. Trudzinski, S. 61. Die Kunstchronik nennt Einzelwerke von Holbein, Pesne und Ziesenis, die Ernst August (III.) von Hannover für sich beanspruchte, sowie eine Ankaufssumme von 1.910.000 RM für die ausgewählten 179 Gemälde, außerdem, dass eigentlich die „200 wichtigsten Bilder“ übernommen werden sollten, jedoch die „Herzogliche Verwaltung die Verkaufsverhandlungen gleichzeitig nach verschiedenen Seiten hin führte“, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 233. Vgl. Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 232f. Vgl. Katenhusen, S. 34; auf dieses Gemälde entfielen 1 Mio. RM und damit mehr als die Hälfte der Gesamtsumme, der Ankauf der restlichen Gemälde erfolgte laut Kunstchronik „zu fast durchweg sehr geringen Preisen“, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 233; die verbleibende Summe von 910.000 RM nennt auch Stuttmann, Stuttmann, S. 15; laut Trudzinski lagen die Preise jedoch deutlich über den Schätzpreisen des Museums, Trudzinski, S. 63. Katenhusen, S. 34. § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920.
508 | S AMMLUNGEN DES A DELS ren zugehörigen Ausführungsbestimmungen vom 11. Dezember 1919476 sowie die bis Ende 1925 gültige Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken vom 8. Mai 1920477 bildeten den rechtlichen Rahmen. Die Verordnung von 1919 verbot, als Vorläufer des heutigen Kulturgüterschutzgesetzes, die Ausfuhr von Werken, die in einem Verzeichnis vermerkt waren, da „deren Verbringung in das Ausland einen wesentlichen Verlust für den nationalen Kunstbesitz bedeuten würde.“478 Ausnahmen waren jedoch nach sorgfältiger Prüfung möglich 479. Veräußerung und Veränderungen von eingetragenen Objekten, welche sich allein auf das Inland bezogen, waren zwar nicht genehmigungspflichtig, mussten jedoch gemeldet werden480 . Die Verordnung von 1920 machte sowohl die Ausfuhr als auch die Veräußerung von Objekten im Besitz institutioneller Sammlungen sowie von Objekten, die Bestandteil der Vermögensbindungen des Adels waren, genehmigungspflichtig481. Genehmigungsbehörde war die Landeszentralbehörde, welche die erteilte Genehmigung auch an Bedingungen knüpfen konnte482. Diese Möglichkeit wurde im Fall der Fideikommiss-Galerie genutzt: „Als Gegenleistung für die von ihr erteilte Genehmigung, Teile der Fideikommiss-Galerie ins Ausland verkaufen zu dürfen, sicherte die herzogliche Verwaltung zu, die im sogenannten Welfenmuseum befindlichen Sammlungen mittelalterlicher Kunst für 30 Jahre unangetastet im Museum zu belassen.“483 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass das einzeln ins Ausland verkaufte Gemälde Holbeins noch 1927 im Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke auftaucht484 . Die Auswirkungen dieser Verkäufe auf die Sammlungsbestände der Welfen sind insgesamt als gering zu betrachten, wohingegen der Verlust des Porträts „Edward VI. als Kind“ für die Öffentlichkeit als schwerwiegender zu bewerten ist485. Durch das 476 Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919; Ausführungsbestimmungen 1919; vgl. Kapitel 2.1.5. 477 Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920; vgl. Kapitel 2.1.5. 478 § 1, Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. 479 § 3, Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919. 480 § 4, Ausführungsbestimmungen 1919. 481 § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920. 482 § 1, Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920. 483 Katenhusen, S. 34-35; Bungarten: Das Welfenmuseum in Hannover, S. 60; vgl. Trudzinski, S. 64; vgl. Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 233. 484 Unter den laufenden Nummern 100, 101 und 102 sind jeweils Gemälde Holbeins vermerkt. Die Nummern 101 „Bildnis des Melanchthon“ und 102 „Bildnis des Prinzen Eduard, Sohn Heinrichs VIII.“ mit dem Vermerk „Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg, Provinzialmuseum Hannover“, Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927, S. 6; das „Bildnis des Melanchthon“ verblieb im Provinzial-Museum, vgl. Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 233. 485 Informationen zu diesem Gemälde bei Trudzinski; allerdings informierte die Kunstchronik 1925 weitgehend neutral über diesen Verkauf, wohingegen der Ankauf der 178 Gemälde für das Museum sehr positiv bewertet wurde, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 232f; dagegen sprach das Hannoversche Tageblatt noch vor Abschluss der Verkäufe von dem Gemälde als das „zweifellos wertvollste Stück der Sammlung“ und hatte Vertrauen in den Kulturgüterschutz: „Durch diese
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mittlerweile fast 60 Jahre andauernde Leben der Familie im österreichischen Exil, das für Ernst August (III.) von Hannover allein durch seine Militärzeit sowie die fünfjährige Regierungszeit in Braunschweig unterbrochen worden war, muss zwangsläufig zu einer distanzierteren Haltung gegenüber diesem Teil des Besitzes geführt haben. Der Versuch, die kompletten Gemäldebestände der FideikommissGalerie an das Museum abzugeben, zeugt von dem Wunsch nach einer möglichst unkomplizierten Übertragung von Verantwortlichkeiten. Die etwa ein halbes Jahr nach dem Tod des letzten in Hannover geborenen Welfen begonnenen Verhandlungen knüpften damit auch an den traditionellen Umgang mit Sammlungsteilen Verstorbener an, auch wenn der verstorbene Ernst August von Cumberland nicht selbst Initiator dieser Bestände gewesen war. Dessen Bindungen zu Hannover waren jedoch stärker als die seines Sohnes. Gleichzeitig kann der erfolgreiche Verkauf des Holbein-Gemäldes als Beginn einer Entwicklung gesehen werden, welche verstärkt kunsthistorisch wertvolle Einzelobjekte oder Ensembles in den Fokus finanziell motivierter Verkäufe rückt486. Der Verkauf von Gemälden an das Provinzialmuseum führte zu ausschließlich geringen Veränderungen in direkten Ding-Mensch-Bindungen, da sich deren räumliche Situation nicht veränderte, sondern allein der Eigentümer wechselte. Dessen Bindungen zu diesem Teil seines Besitzes waren durch die preußische Beschlagnahmung 1867 erschwert und durch die Überführung in das Provinzialmuseum nach Aufhebung der Beschlagnahmung 1892 nicht wieder reaktiviert worden. Dies gilt in gleichem Maße für die in Berlin veräußerten Gemälde sowie das Porträt des englischen Prinzen von Hans Holbein. Durch diese Abspaltung stellte der Verkauf jedoch einen Bruch der Ding-Ding-Bindungen dar sowie für die entfernten Objekte der mit Museumspersonal und Öffentlichkeit aufgebauten Ding-Mensch-Bindungen. Allerdings waren deren Biographien bereits von wechselnden Bindungen geprägt, nachdem die Sammlungsbestände zunächst zusammengetragen, dann beschlagnahmt und schließlich in das Provinzialmuseum übertragen worden waren.
Entschließung durch die Provinzialverwaltung ist nicht die Gefahr geschaffen, daß dieses Bild oder andere wertvolle Stücke dieser Sammlung ins Ausland verkauft werden. Denn auf Veranlassung des Oberpräsidenten der Provinz Hannover ist die Sammlung in die gemäß der Reichsverordnung vom 8. Mai 1920 über den Schutz von Denkmälern und Kunstwerken beim Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gewährte Schutzliste eingetragen worden. Demgemäß dürfen Bilder der FideikommißGalerie nicht ohne Genehmigung der Staatsregierung veräußert, verpfändet, wesentlich verändert oder aus dem Reichsgebiete ausgeführt werden. Die Staatsregierung wird dafür sorgen, daß kein für den nationalen Kunstbesitz wertvolles Stück ins Ausland verkauft wird.“, (Hannoversches) Tageblatt, 13. März 1925, abgedruckt in: Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000, S. 68-69. 486 Die Kunstchronik nennt das Gemälde „[d]as auf dem Kunstmarkt wertvollste Werk der Cumberländer Galerie“ und betont damit die finanzielle Wertigkeit, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 7, 16. Mai 1925, S. 118; vgl. Steckhahn, S. 158f; Schnath betont die finanzielle Bedeutung des Verkaufs, Schnath, S. 240.
510 | S AMMLUNGEN DES A DELS Für das Gemälde Holbeins – ursprünglich ein Geschenk des Malers an Heinrich (VIII.) König von England und Irland487 – bedeutete die Veränderung ebenfalls (nur) einen weiteren Wendepunkt in seiner Geschichte. Es ist nicht eindeutig geklärt, wie genau seine Reise nach Hannover verlief und seit wann es sich dort befand, allein von 1844 bis 1925 kann man seinen Verbleib genau nachvollziehen488. Die DingMensch-Bindungen sind in diesem Fall ebenfalls von starken Veränderungen geprägt: während sie zunächst sehr privater Natur waren489, wandelte sich dies durch die Ausstellung in Hannover, die zu einer viel größeren Zahl an Bindungen führte, welche jedoch zeitlich begrenzter und weniger emotional und von (kunst-) wissenschaftlichem Interesse, Neugier und Kunstgenuss geprägt waren490. Für die in Berlin verauktionierten Gemälde kam es zum völligen Abbruch bisheriger Bindungen. Der Auktionskatalog der Galerie Cassirer machte jedoch deutlich, dass es sich bei 79 der dort versteigerten 206 Gemälde um ehemals der Sammlung Hausmann zugehörige Objekte handelte491 . Diese Mitte des 19. Jahrhunderts durch Georg (V.) von Hannover erworbenen Bestände weisen kaum direkte Ding-MenschBindungen zur Familie der Welfen auf und wurden nahezu die gesamte Zeit öffentlich gezeigt. Allerdings befanden sich auch Gemälde aus der ehemaligen Galerie des Schlosses Salzdahlum in dieser Sammlung, welche Hausmann bei der durch die französischen Besatzer durchgeführten Verkäufe erworben hatte492 . Der Katalog stellt fest: „Nachdem mit der Sammlung Hausmann der vorbildliche Grundstock gelegt war, konnte eine Provinzialgalerie hohen Ranges zusammengestellt werden. Aus älteren Beständen wurden 487 Das Gemälde wurde am 1. Januar 1539 als Geschenk von Hans Holbein Heinrich (VIII.) von England übergeben, was – wie andere traditionelle Neujahrsgeschenke sowie die zugehörigen Gegengaben – in den Hofakten protokollarisch festgehalten wurde, vgl. Trudzinski, S. 17 und S. 26ff. 488 Vgl. Trudzinski, S. 42f; auch in dieser Zeit durchlief es mehrere Ortswechsel vom Königlichen Schloss über das Welfenmuseum bis ins Provinzialmuseum, vgl. Trudzinski, S. 43f. 489 „Das Bild des jungen Thronfolgers war nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern für die Augen des Vaters und derer, denen das Zeremoniell Zugang erlaubte zu dessen engerem Kreis.“, Trudzinski, S. 26. 490 Was Trudzinski anschaulich macht: „Es erfährt dabei den Eintritt in die Öffentlichkeit [...], es wird ins Auge der Pioniere der kunstwissenschaftlichen Holbein-Forschung gerückt, von photographischen Apparaten aufgenommen und von Druckmaschinen vervielfältigt, es begleitet, zunächst als eins von vielen – herausragenden und beiläufigen – Objekten, die Gründungsphase der hannoverschen Museumsgeschichte, es steigt dabei im Rang, nicht nur im Bewusstsein von maßgeblichen und/oder gewissenhaften Museumsleuten, sondern es dringt dank gemeinsamer Bemühungen von Wissenschaft, Forschung, Museum, Verlagen und Presse in das Bewusstsein der Öffentlichkeit, es wird zu einer der Hauptsehenswürdigkeiten von Hannover.“, Trudzinski, S. 43. 491 Vgl. Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926], o.S. 492 5 Gemälde stammten aus Salzdahlum (Bassano, Brosamer, Cranach Schule, Cranach Nachfolger, unbekannt 17. Jahrh.), eines aus der Bibliothek in Wolfenbüttel (Cranach), vgl. Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926], o.S.
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Bildnisse fürstlicher Persönlichkeiten, dekorative Stücke, die bisher die Schlösser des Fürstenhauses geziert hatten, herbeigeschafft und mit den Hausmannschen Bildern glücklich vereint.“493
Für Ernst August (III.) von Cumberland lag dieser Bezug zu den Schlössern der Vorfahren jedoch vor allem durch die Zeit des österreichischen Exils bereits lange zurück. Die Motive, welche stattdessen Bindungen hätten ermöglichen können, stammten vorrangig aus dem Bereich der Genre- und Landschaftsmalerei oder der christlichen Ikonographie. Nur knapp 15% der Gemälde aus dieser Auktion waren Porträts, davon zeigten nur 3 das Abbild von Personen aus einem näheren verwandtschaftlichen Bereich494. Der Auktionskatalog des Auktionshauses Lepke umfasst 94 Gemälde und vermerkt, die von Hausmann „gesammelten Bilder überwiegen in unserem Auktionskatalog“495 . Auch hier kamen nur 20% Porträts zum Verkauf, davon zeigten nur zwei verwandte Personen496. Sowohl das Porträt „Edward VI. als Kind“ als auch die Fideikommiss-Galerie in ihrer Gesamtheit waren/sind in Bezug auf die Biographie der Dinge sowie auf die Entwicklung von (Adels-)Sammlungen interessant. Die Sammlungsbestände waren stark vom Geschmack des jeweiligen Besitzers abhängig und damit eng mit dem Haus Hannover verbunden497. Als Teil des Welfenmuseums wurden sie in das Interesse des Adels an einer Öffnung ausgewählter Sammlungsbereiche einbezogen. Stark unterstützt durch die Folgen des Thronverlustes 1866, führte diese Öffnung – und die mit ihr verbundene Übergabe von Verantwortlichkeiten an Fachpersonal – zu einer Lösung von Bindungen, die schließlich im Verkauf resultierte. Die Möglichkeit des Erhalts dieser Bestände war durch das Komplettangebot – in Verbindung mit bestehenden Kulturgüterschutzbestimmungen – gegeben498. In den wirtschaftlich schwierigen frühen 20er Jahren des 20. Jahrhunderts, und damit nur wenige Jahre nach der Entmachtung des Adels, trat jedoch diese Bedeutung hinter den kunsthisto-
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Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926], o.S. Vgl. Auktionskatalog Cassirer o.J. [1926], o.S. Auktionskatalog Lepke 1925, o.S. Auktionskatalog Lepke 1925, o.S. „Sie reichte bis in die Zeiten des kunstliebenden Herzogs Johann Friedrich von Hannover (1625-1679) zurück und war sowohl für die Geschichte von Dynastie im allgemeinen wie für ihre Einstellung zur Kunst und zum Kunstsammeln in anderthalb Jahrhunderten von Interesse. Besonders aufschlußreich für die Geschmacksbildung des 19. Jahrhunderts waren die zahlreichen Ankäufe des blinden Georg V. und seiner Gemahlin, der Königin Marie. In der Fidei-Commiss-Galerie war eine Reihe privater Sammlungen des Landes aufgegangen.“, Stuttmann, S. 12. 498 Vor diesem Hintergrund ist keinesfalls davon zu sprechen, dass sich der Provinziallandtag „unter [...] Druck zum Ankauf von 178 Gemälden“ entschloss, „[d]a ein Verkauf der gesamten Sammlungsbestände [...] ins Ausland drohte“, wie Steckhahn es formuliert, Steckhahn, S. 158; tatsächlich waren v.a. politische Gründe hinderlich für den Ankauf, da auch die Übernahme der 178 Gemälde nur „gegen die Stimmen der Linken mit geringer Mehrheit“ beschlossen wurde, Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 13, 27. Juni 1925, S. 233.
512 | S AMMLUNGEN DES A DELS rischen Wert der Einzelobjekte zurück499. Da aber Objektgruppen in der Lage sind, auf Leerstellen hinzuweisen und die Verkäufe (auch durch die Berliner Auktionskataloge) gut dokumentiert sind, ist es noch immer möglich, durch den heutigen Bestand Einblick in die Entwicklung dieses Sammlungsbereiches der Welfen zu erhalten. Zu den am stärksten beachteten Verkäufen aus Adelsbesitz zählt der Verkauf des so genannten „Welfenschatzes“. Der aus Reliquien und ihren, zum Teil kostbar gestalteten, Behältnissen aus dem 11. - 15. Jahrhundert bestehende „Welfenschatz“ war als Kirchenschatz der Stiftskirche St. Blasius in Braunschweig zusammengetragen worden500. Bereits 1482 hatte man das erste Inventar des Bestandes angefertigt, in den folgenden Jahrhunderten kam es jedoch zu Erweiterungen sowie Abgaben (sowohl durch Diebstahl als auch durch Entnahmen Anton Ulrichs von BraunschweigWolfenbüttel)501. Das Stiftskapitel erwog 1669 aus finanziellen Gründen einen Verkauf, dem Rudolf August von Braunschweig-Wolfenbüttel zustimmte, welcher jedoch nicht zustande kam502 . Einen grundlegenen biographischen Wendepunkt erfuhr der Reliquienschatz, als er zum Ausgleich für militärische Hilfe während der Eroberung Braunschweigs 1671 an Johann Friedrich Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Calenberg übergeben wurde503 . Obwohl mit der Kapelle des Leine499 Stuttmann spricht davon, dass diese „Galerie, die zur Gründerzeit sehr eindrucksvoll gewesen wäre, [...] in den Jahren nach 1918 ihren Sinn verloren hatte.“, Stuttmann, S. 12; es gab jedoch auch Stimmen, die auf die Bedeutung hinwiesen: „Es ist auch ein historisch nicht uninteressanter Besitz: das Beste darauf hat der letzte blinde König von Hannover 1857 durch die Erwerbung der Sammlung des Bergrates Bernhard Hausmann an sich gebracht ... Als während der französisch-westfälischen Usurpation die einst so berühmte Galerie von Salzdahlum (heute ein Grundstock des Braunschweiger Museums) teilweise verschleudert wurde, als die Sammlungen des Feldmarschalls Grafen Wallmoden und des Staatsministers von Hacke aufgelöst wurden, wußte Hausmann sich viel Gutes zu sichern ... Hoffentlich gelingt es den deutschen Kunstfreunden, auch von diesem Teil der alten Welfen-Sammlung das Beste für Deutschland zu erhalten.“, Hannover Kurier, Mittwoch, 18. März 1925, abends, abgedruckt in: Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000, S. 69-70. 500 Vgl. Kötzsche, S. 5; und ausführlich zu den einzelnen Stiftungen, vgl. Kötzsche, S. 6ff; vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 44. 501 Vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 44f; vgl. de Winter, S. 12 und S. 141; vgl. Kötzsche, S. 9f; vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930: Der Welfenschatz. Katalog der Ausstellung im Schlossmuseum Berlin, Berlin 1930, S. 20f; vgl. Boockmann, S. 79; zu Diebstählen und Abgaben vgl. Boockmann, S. 90f. 502 Es kam schließlich nur zum Verkauf von Messgewändern des Stiftes, vgl. de Winter, S. 144; vgl. Kötzsche, S. 10; vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 21; vgl. von Holst, S. 36; vgl. Boockmann, S. 100ff; Boockmann weist darauf hin, dass schon das frühe Inventar angefertigt wurde, da man Veräußerungen in Betracht zog, Boockmann, S. 19. 503 Es handelte sich um 143 Objekte; vgl. Bungarten: Der Verkauf des Welfenschatzes, S. 45; vgl. Kötzsche, S. 62; vgl. Ausstellungskatalog 1930, S. 21; vgl. Boockmann, S. 91 und S. 103; Boockmann weist darauf hin, dass diese Anzahl inklusive der textilen Reli-
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schlosses in Hannover der neue Standort noch immer einen religiösen Bezug hatte, änderte sich neben den Eigentumsverhältnissen auch die Bewertung der Objekte: der künstlerische Wert der Reliquienbehältnisse sowie deren materieller Wert rückten im Gegensatz zum religiösen Wert der Reliquien selbst in den Vordergrund504 . „Es kann aus heutiger Sicht kein Zweifel darüber bestehen, dass seine Überführung nach Hannover und seine sichere Verwahrung in einer Zeit, die noch keine musealen Schutzräume für derartige Kunstwerke kannte, den später so genannten Welfenschatz gerettet hat.“505 Dennoch kam es zu weiteren Verlusten – beispielsweise durch Einschmelzen einzelner Reliquiare – während des 17. und 18. Jahrhunderts506 . Während des Siebenjährigen Krieges und der napoleonischen Zeit schickte man den Schatz aus Angst vor Beschlagnahmung auf Reisen und brachte ihn erst 1816 zurück507 . Schließlich wurde er nach Eröffnung des Welfenmuseums seit 1862 dort aufbewahrt und konnte von ausgewählten Personen besichtigt werden508 . Gleichzeitig wurde er durch Veröffentlichungen mit Abbildungen einem breiteren Publikum bekannt 509. Trotz einer räumlichen Eingliederung in das Welfenmuseum blieb dem „Welfenschatz“ eine Sonderstellung, die sich in der Besucherordnung niederschlug510. Im Vermögensvertrag zwischen Preußen und dem entmachteten Georg (V.) von Hannover wurde der Objektbestand 1867 eindeutig erwähnt und Georg (V.) von Hannover als Privatvermögen zugesprochen511. Während der Zeit des österreichischen Exils wurde der „Welfenschatz“ zeitweise (von 1869 bis 1906) im Museum für Kunst und Industrie in Wien gezeigt, befand sich daraufhin im Palais Cumberland, jedoch zwischen 1918
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quienbehältnisse gezählt wurde, ohne diese kam man auf eine Anzahl von 82, vgl. Boockmann, S. 125; einige Reliquien sowie die Paramente des Schatzes verblieben jedoch im Blasiusstift, vgl. Jaitner, S. 392; vgl. de Winter, S. 144; vgl. Boockmann, S. 91; dem Stift wurden in den Folgejahren als Ausgleich Steuerschulden erlassen, vgl. Kötzsche, S. 63; vgl. Boockmann, S. 92 und S. 103. Aus dieser Zeit stammt ein weiteres Verzeichnis der Objekte, vgl. Boockmann, S. 83. Boockmann, S. 105. Vgl. Boockmann, S. 95ff. Zunächst brachte man ihn nach Stade und Glücksstadt (Siebenjähriger Krieg), schließlich nach England (Napoleonische Kriege), vgl. Jaitner, S. 393; vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 45; vgl. de Winter, S. 145; vgl. Kötzsche, S. 12; vgl. Boockmann, S. 124; nach der Rückkehr nach Hannover wurde der Welfenschatz zunächst im königlichen Archiv und schließlich wieder in der Schlosskirche aufbewahrt, vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 22. Vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 45; vgl. de Winter, S. 145; vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 22; zuständig war Oberhofkommissar Teichmann, der ebenfalls die Silberkammer, die Juwelen sowie das Familienmuseum betreute und diese Zuständigkeit auch weiter innehatte, als der Reliquienschatz in den Räumlichkeiten des Welfenmuseums untergebracht wurde, vgl. Jaitner, S. 394. Vgl. Jaitner, S. 394; seit 1885 forschte Neumann zum Welfenschatz, vgl. Schnath, S. 233. Vgl. Jaitner, S. 398. Vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 46; vgl. Kötzsche, S. 12 und S. 63; vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 22; vgl. von Holst, S. 36.
514 | S AMMLUNGEN DES A DELS und 1921 in der Schweiz und anschließend bis sich die Verkaufsabsichten konkretisierten im Schloss Cumberland512. Die Familie der Welfen trennte sich im Januar 1930 von diesem Besitz, indem sie ihn komplett an eine Kunsthändlergruppe aus Frankfurt am Main veräußerte: „Ähnlich wie das Braunschweiger Stiftskapitel 1669, war nun das welfische Fürstenhaus selber durch hohe Vermögenseinbußen und drohende Steuerverschuldung gezwungen, seinen Kirchenschatz zu verkaufen.“513 Es handelte sich zu diesem Zeitpunkt noch immer um 82 Objekte514 . Bereits 1928 hatte man versucht, den Reliquienschatz über den, bereits mit Silberverkäufen beauftragten, Kunsthändler Glückselig & Sohn aus Wien in den USA zu verkaufen und erhoffte sich eine Verkaufssumme von 34-42 Mio. Reichsmark, welche jedoch nicht zu erzielen war515 . Es kam daraufhin zu Verhandlungen mit dem Provinzialmuseum und der Landesdirektion Hannover, die trotz starken öffentlichen Interesses zunächst scheiterten516 . Das Haus entschied sich schließlich im Herbst 1929 für den Verkauf an das Händlerkonsortium, von dem es jedoch bis Ende des Jahres zurücktreten konnte, so dass es zuvor noch zu direkten Verhandlungen mit der Stadt Hannover kam517. Der „Welfenschatz“, der Berggarten, der Große Garten sowie die Herrenhäuser Allee (inklusive Unterhaltungskosten518 ) sollten an Hannover 512 Vgl. Steckhahn, S. 65; vgl. Kötzsche, S. 13; vgl. Aschoff, S. 260; vgl. Schnath, S. 230ff; nach 1869 kam es zu Restaurierungen, vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 22; vgl. Schnath, S. 232; 1912 wurde der Schatz in einer Ausstellung mit dem „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ 40 Museumsleuten gezeigt, vgl. Jaitner, S. 404; vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 46; vgl. de Winter, S. 146; vgl. Kötzsche, S. 12; vgl. Schnath, S. 236; es ist davon auszugehen, dass die Auslagerung in die Schweiz 1918 aus Sorge vor Beschlagnahmungen im Zusammenhang mit dem Ende der Monarchie durchgeführt wurde, der Ausstellungskatalog Hannover 1956 erwähnt Sicherheitsgründe, vgl. Zeittafel, Ausstellungskatalog Hannover 1956, o.S.; Versuche von Seiten Hannovers, den Schatz als Leihgabe für das Provinzialmuseum zu erhalten, scheiterten, vgl. Kötzsche, S. 12f; vgl. Schnath, S. 236; laut Leschhorn gab es bereits 1921 ein Angebot zum Kauf des Welfenschatzes, das jedoch abgelehnt wurde, Leschhorn, S. 81. 513 Boockmann, S. 125. 514 Anhand eines Inventares von 1697 und einer Untersuchung 1891 ist festzustellen, dass in dieser Zeit kein Stück verlorenging, Boockmann, S. 125; auch in der Folgezeit wurde der Bestand nicht mehr reduziert. 515 Vgl. Jaitner, S. 410; auch Schnath nennt 1928 als Beginn der Verkaufsabsichten, Schnath, S. 240; auch Former nennt diesen Zeitraum, vgl. Former: Die Entschädigung des Welfenhauses, S. 151; die geforderten 42 Mio. RM übertrafen die Schätzungen von Wissenschaftlern um ein Vielfaches, die von 8 Mio. RM bzw. laut Direktor des preußischen Schlossmuseums von 14-16 Mio. RM ausgingen, vgl. Schnath, S. 242. 516 Jaitner nennt als Gründe die Ablehnung Preußens sowie die „dubiose Art“ des nun eingeschalteten Händlers Dr. Gaetten, Jaitner, S. 411f; Stuttmann bezeichnet diese Ablehnung (wie bereits die Ablehnung des Komplettangebotes zum Kauf der Fideikommiss-Galerie) als „unverständlich“, Stuttmann, S. 15. 517 Jaitner, S. 412f; vgl. Schnath, S. 242. 518 Beide Gärten standen unter preußischer Verwaltung, welche 1923 schließlich auch die Kosten zur Pflege übernommen hatte, vgl. von Alvensleben/Reuther, S. 79.
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veräußert werden, wofür 3,5 Mio. Reichsmark sofort gezahlt werden sollten und weitere zu einem Prozent verzinste 5,5 Mio. Reichsmark erst nach 30 Jahren. Darüber hinaus hätte Hannover Pensionszahlungen übernommen, die das Haus zu leisten hatte. Nach einer Zustimmung des Magistrates wurde diese Möglichkeit allerdings durch die städtischen Kollegien abgelehnt, so dass im Januar 1930 der Verkauf an die Frankfurter Händler gültig wurde519. Diese versuchten durch Verkaufsausstellungen in Deutschland und den USA wiederum Käufer zu finden, was stückweise gelang und zur Auflösung des Objektverbandes durch Verkauf an verschiedene amerikanische Museen, einige Privatsammler520 sowie schließlich an den Preußischen Staat für die Berliner Museen führte521 . Erst 2005 kamen einige Textilienreste aus dem 519 Es hätte sich um eine Gesamtsumme von 10 Mio. RM gehandelt, vgl. Jaitner, S. 413; vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 46; vgl. de Winter, S. 148f; vgl. Kötzsche, S. 13; vgl. Schnath, S. 243; vgl. Die Zeit, 7. Mai 2009; Bungarten nennt eine Verkaufssumme an das Händlerkonsortium von 8 Mio. RM, Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 46; vgl. Schnath, S. 242; die Stiftung Preußischer Kulturbesitz weist darauf hin, dass die genaue Ankaufssumme aufgrund einer Stillschweige-Vereinbarung nicht bekannt sei, man jedoch 8 Mio. RM annehmen könne, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Pressemitteilung, 29. Mai 2009: Welfenschatz kein NS-Raubgut. 520 Die Objekte gingen an Museen (z.B. das Focke-Museum in Bremen) sowie vereinzelt an weitere Sammlungen, außerdem an Privatkäufer (de Winter nennt einen schwedischen Bankier und möglicherweise den Baron von Rothschildt-Goldschmidt) sowie einen Händler, vgl. de Winter, S. 149ff; 9 Objekte gingen an das Cleveland Museum of Art, vgl. de Winter, S. 149f; weitere Objekte an das Art Institute of Chicago, vgl. Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Pressemitteilung, 29. Mai 2009. 521 1935 wurden die restlichen 42 Objekte an den Preußischen Staat für die Berliner Museen veräußert, wo sie sich bis 1939 im Schlossmuseum befanden, bevor sie kriegsbedingt nach Friedrichshain evakuiert wurden. 1945 brachte die Amerikanische Armee diese Teile des Welfenschatzes aus dem Salzbergwerk Kaiseroda zunächst nach Frankfurt, dann nach Wiesbaden, wo ein Art Central Collecting Point eingerichtet wurde. 1948 übernahm das Land Hessen durch Militärgesetz die treuhänderische Verwaltung, welche 1955/56 [Angaben variieren, Anm. U.S.] durch Vereinbarung auf das Land Niedersachsen überging. Anfang der 50er Jahre kam es zu Ausstellungen in Berlin und Hannover. 1957 ging der Schatz in das Eigentum der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über, verblieb jedoch bis 1963 in der Burg Dankwarderode in Braunschweig, bevor er zunächst im Schloss Charlottenburg gezeigt und später in das neu gestaltete Kunstgewerbemuseum in Berlin verbracht wurde, vgl. Zeittafel, Ausstellungskatalog Hannover 1956, o.S.; vgl. Kötzsche, S. 14 und S. 64; vgl. de Winter, S. 152; 2008 erhoben die Erben der jüdischen Kunsthändler Ansprüche auf Restitution, da der Verkauf an den Preußischen Staat unter dem Druck des NS-Regimes zustande gekommen sei und zu einem zu geringen Verkaufspreis geführt habe. Die mit dieser Frage beauftragte Limbach-Kommission entschied im März 2014, der Verkauf sei rechtmäßig gewesen. Weitere Restitutionsforderungen wurden jedoch angekündigt. Diese Problematik soll hier nicht weiter verfolgt werden, da für die vorliegende Arbeit der Verkauf durch die Welfen im Vordergrund vor der weiteren Biographie der Objekte steht. Darüber hinaus sprengt die Erforschung der Hintergründe dieses Weiterverkaufs den Rahmen dieser Arbeit. In der Presse wurde ausführlich berichtet, vgl. Berliner Zeitung, 8. Mai 2009: Preuss, Sebastian: Unter Verdacht. Ist der Welfen-
516 | S AMMLUNGEN DES A DELS 12. - 15. Jahrhundert zur Auktion, die einstmals der Aufbewahrung von Reliquien gedient hatten. Sie waren in einer späteren Holzkassette mit der Aufschrift „Stoffreste aus dem Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg“ bewahrt worden522. Schnath nennt eindeutig die „Sanierung und Stabilisierung der Finanzen des Hauses“523 als Grund für den Verkauf dieses Objektverbandes, und auch Schmidt erwähnt „finanzielle Schwierigkeiten“ infolge der Weltwirtschaftskrise, welche dazu geführt hatten, dass Ernst August (III.) von Hannover sich zu diesem Verkauf entschloss, „um seinen Verpflichtungen gerecht zu werden“524 . Auch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg weist auf diesen Grund hin 525. Aus zeitgenössischer Sicht wurde die insgesamt in Deutschland finanziell schwierige Lage außerdem auch in Bezug auf den Ausgang der Verhandlungen mit Hannover betont: „Im deutschen Vaterlande fehlen eben leider heute die Mittel, die zur vollen Erhaltung unseres Kunstbesitzes notwendig wären; das tiefbetrübende Schicksal des Welfenschatzes, für dessen Erwerb trotz jahrelanger Bemühungen des Herzogs Ernst August weder das Reich, noch Preußen, noch die Stadt Hannover die Mittel aufgebracht haben, ist dafür ein in die Augen springender Beweis.“526
In Zusammenhang mit früheren Angeboten für den „Welfenschatz“ und das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ hatte die Verwaltung des Welfenhauses bereits im Frühjahr 1923 beim Bundesdenkmalamt Wien erfragt, ob eine Ausfuhr genehmigt würde527 . Dies war der Zeitpunkt, zu dem bereits Silberverkäufe getätigt wurden. Wie für diese oben beschrieben, galt das Gesetz zum Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeu-
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schatz Raubkunst? Sein Verlust könnte das Kunstgewerbemuseum ruinieren; Braunschweiger Zeitung, 8. Mai 2009: Jasper, Martin: Wer seinen Schatz nicht hütet... Die bittere Geschichte des Welfenschatzes – Akademie prüft Rückgabe-Forderung; Braunschweiger Zeitung, 1. Juni 2009: Braunschweig: Neue Runde im Streit um WelfenSchatz; FAZ auf FAZ.net, 8. Mai 2009: Bahners, Patrick: Der Welfenschatz im Radio. Ein Raubkunstfall wird lanciert; FAZ auf FAZ.net, 30. Mai 2009: Preußen-Stiftung. Keine Rückgabe des Welfenschatzes; FAZ auf FAZ.net, 2. Juni 2009: Bahners, Patrick: Zum Welfenschatz-Streit. Wer trägt die Beweislast?; FAZ auf FAZ.net, 3. Juni 2009: Welfenschatz. Ein zunehmend scharfer Ton; Focus online, 11. Mai 2009: NS-Raubkunst. Erbitterter Kampf um den Welfenschatz; Kunstmarkt.com, 2. Juni 2009: Firsching, Ulrich Raphael: Keine Restitution des Berliner Welfenschatzes; Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Pressemitteilung, 29. Mai 2009; Sueddeutsche.de, 2. Juni 2009: Zielcke, Andreas: Streit um Welfenschatz. Man glaubt es nicht; Tagesspiegel.de, 31. Mai 2009: Parzinger, Hermann: „Beim Welfenschatz ist der Kauf korrekt abgelaufen“ – Interview; Die Zeit, 7. Mai 2009: Koldehoff, Stefan: NS-Raubkunst. Wem gehört der Welfenschatz? Los 3901, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 234 und Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. I, S. 24f. Schnath, S. 240. Schmidt, S. 160f. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 250. Denkschrift Braunschweig 1930, S. 11. Jaitner, S. 408; vgl. Schnath, S. 239.
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tung528 . Des Weiteren wurden bei Verbringungen ins Ausland die entsprechenden Objekte durch die Steuerbehörden mit Abfuhrausgaben belegt529, und aus diesem Grund stellte man, auch über den „Welfenschatz“ hinaus, Überlegungen zur Ausfuhrgenehmigung verschiedener Objekte an. Laut Jaitner „zeigte sich [das Bundesdenkmalamt] kompromißbereit, und man einigte sich darauf, alle Gegenstände welche für Österreich von Wichtigkeit seien, für die Ausfuhr zu sperren.“530 Der „Welfenschatz“ wurde noch im gleichen Jahr unter Schutz gestellt, wogegen die Familie jedoch Widerspruch einlegte531. Ab September 1923 wurden die bisherigen Schutzmaßnahmen des Kulturgüterschutzes durch das Denkmalschutzgesetz532 ergänzt, das in Bezug auf den „Welfenschatz“ vor allem in Hinblick auf den Erhalt von Objektgruppen533 relevant war. Eine Entscheidung zog sich jedoch bis 1925 hin. Schließlich kam man laut Jaitner und Schnath unter Einbezug des Auswärtigen Amtes sowie des Finanzministeriums zu einem gemeinsamen Protokoll534 , das eine Ausfuhr grundsätzlich möglich machte, da man die Objekte geschichtlich stärker mit der Familie der Welfen als mit Österreich verknüpft sah535 . Der Erhalt des „Welfenschatzes“ in Österreich wurde nur als Wunsch formuliert536 . Die Ausfuhrabgabe konnte durch die Abgabe von Objekten ausgeglichen werden, und im Fall einer Verbringung ins Ausland waren acht Kunstgegenstände als Leihgaben an den Staat abzugeben, die nach Ablauf von zehn Jahren in Staatsbesitz übergingen537. 1927 wurde der „Welfenschatz“ zur Aufbewahrung in einer Bank in die Schweiz gebracht538. In den Verhandlungen zur Ausfuhr kam zum Tragen, dass Ernst August (III.) von Hannover nach dem Tod seines Vaters Ende 1923 und durch die Entwicklungen der Vermögensauseinandersetzungen mit dem Staat Braunschweig eine Rückkehr nach Deutschland in Erwägung zog, was zur folgenden Lösung führte:
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Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918. Vgl. Schnath, S. 238. Jaitner, S. 409. Vgl. Jaitner, S. 408; in diesem Zusammenhang wies auch das Auswärtige Amt Überlegungen zur Exterritorialität des welfischen Kunstbesitzes zurück: „Exterritorialität komme nicht in Betracht, da sie bis 1919 nicht aufgrund des Völkerrechts besessen, sondern durch kaiserliche Courtoise gewährt worden sei. Daher fänden die österreichischen Gesetze auf die Welfenfamilie volle Anwendung.“, Jaitner, S. 409. Denkmalschutzgesetz 1923. § 1, Abschnitt (1), Denkmalschutzgesetz 1923. Jaitner, S. 409; Schnath, S. 239. Jaitner, S. 409. Vgl. Jaitner, S. 409; vgl. Schnath, S. 239. In diesem Zusammenhang nennt Seelig die Übergabe einiger Huldigungspräsente der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg an das Kunsthistorische Museum Wien, welche später durch Tausch ins Österreichische Museum für angewandte Kunst gelangten, Seelig, Lorenz: Katalog der Huldigungspräsente für die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg, in: Kulturstiftung der Länder. Patrimonia 350, S. 37f. Vgl. Jaitner, S. 409-410; zu diesem Zeitpunkt bestand der Schatz aus den später veräußerten 82 Objekten, vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 46; vgl. Schnath, S. 240; de Winter spricht von 85 Objekten, vgl. de Winter, S. 12; vgl. Kötzsche, S. 13.
518 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Bei einer Verlegung des ordentlichen dauernden Wohnsitzes ins Ausland durch den Chef des Welfenhauses – dies geschah Ende 1934 durch Verlegung der obersten Verwaltung von Gmunden nach Blankenburg am Harz – wird die Bundesregierung der abgabe- und gebührenfreien Verbringung des Reliquienschatzes ins Ausland kein Hindernis in den Weg legen.“539
Der (kunst-) historische Wert des „Welfenschatzes“ ist unumstritten: Die – auch qualitative – Bandbreite der Objekte aus mehreren Jahrhunderten zeigte einerseits Entwicklungsstufen der Goldschmiedekunst540, andererseits war/ist der Reliquienschatz wichtiges Zeugnis mittelalterlicher Religiosität541. Darüber hinaus wird der „Welfenschatz“ immer wieder als einziger großer Kirchenschatz Deutschlands bezeichnet, der über Jahrhunderte mit einem Fürstenhaus verbunden war542. Eine Feststellung, die bereits der Ausstellungskatalog von 1930 deutlich macht: „Jedoch dokumentiert die übliche Bezeichnung ‚Welfenschatz‘ stärker die Sonderstellung, die der Schatz unter den bestehenden Kirchenschätzen Deutschlands einnimmt. Denn er ist seiner Entstehung und Geschichte nach zuengst mit dem Welfenhause verknüpft, während die bekannten mittelalterlichen Schätze von Trier, Essen, Aachen, Köln, Hildesheim, Halberstadt und Quedlinburg an das Geschick des Baues gebunden blieben, für den sie geschaffen wurden. Auch dass hier ein Herrscherhaus, die Welfen oder genauer die Brunonen und Welfen [...], fast als alleiniger Stifter der kostbaren Heiligtümer auftritt, dürfte ein Sonderfall sein.“543
Darüber hinaus ist durch die Fertigung von Objekten aus diesem Schatz auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens eine doppelte Bindung zur Region nachzuweisen544 . Über Jahrhunderte hinweg blieben die Objekte des Schatzes – trotz zahlreicher Standortwechsel – in ihrer Gesamtheit unberührt, so dass sich starke Ding-DingBindungen bildeten. Diese wurden zudem durch den religiösen Hintergrund der Objekte verstärkt, auch wenn dieser mehr und mehr in den Hintergrund trat545 . 539 Jaitner, S. 409-410; vgl. Schnath, S. 240. 540 Vgl. Kötzsche, S. 5. 541 „Im Glanz der edlen Metalle und in der kunstvollen Gestalt der Reliquienbehälter, in ihrem Bildschmuck und in ihrer einstigen kultischen Bedeutung spiegelt sich die Verehrung wider, die die Menschen der Reliquie im Mittelalter entgegengebracht haben. Erst darin erschließt sich der Sinn des einzelnen Gegenstandes in diesem Schatz und in seinem geschichtlichen Zusammenhang.“, Kötzsche, S. 5. 542 Kötzsche, S. 5; Jaitner, S. 391. 543 Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 3. 544 Vgl. de Winter, S. 12. 545 Beispielsweise blieb 1867 bei der Überführung des Schatzes nach Österreich „ein als unbedeutend ausgesonderter Teil, darunter 50 Reliquien ohne Gefäß, in Taschen, Seidenstoffen, Leinen oder Papier, die in Schachteln gelegt werden, [...] im Welfenmuseum zurück.“, Kötzsche, S. 12; Kötzsche erwähnt zudem einen Schädel, welcher zwischen 1671 und 1697 aus dem Kuppelreliquiar verschwand, Kötzsche, S. 38; dies verdeutlicht den Wert, welcher den Behältnissen im Gegensatz zu den Inhalten zugeschrieben wurde; da sich die Anzahl der 1930 veräußerten Objekte mit derjenigen aus dem Inventar des 17. Jahrhunderts deckte, scheint es sich diesbezüglich um einen dem Schatz später zugeordneten (oder nie inventarisierten) Bestand gehandelt zu haben.
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Nur eines der frühen Reliquiare, das Armreliquiar des Hl. Blasius, verblieb 1671 in der Stiftskirche und kam 1829 ins heutige Herzog Anton Ulrich-Museum546 , wo sich durch Ankäufe aus dem Kunsthandel heute weitere Objekte des ehemaligen Reliquienschatzes befinden547. Dieser geringe Teil eines ehemals großen Objektverbandes befindet sich durch die momentane Ausstellung in der Burg Dankwarderode in unmittelbarer Nähe des ursprünglichen Aufbewahrungsortes und gleichzeitig an einem eng mit den Welfen verbundenen Ort. Den Stellenwert einer solchen direkten Verbindung betont von Holst, der die zeitweise Rückkehr größerer Teile des Schatzes nach Braunschweig nach dem Zweiten Weltkrieg beschreibt: „Seine derzeitige Aufstellung in einem Saal der von Heinrich dem Löwen gegründeten Burg Dankwarderode, unmittelbar neben dem Braunschweiger Dom, vermeidet museale Nüchternheit und darf als vorbildlich gelten.“548 Bindungen zu den andernorts aufbewahrten Teilen des „Welfenschatzes“ fehlen jedoch, so dass der Gesamtbestand nicht mehr erfahrbar, wenn auch wissenschaftlich gut untersucht, ist. Der nicht realisierte Komplettankauf, und der mit diesem zusammenhängende Verbleib der Bestände in Hannover, hätte nicht nur diesen Verlust der Ding-DingBindungen verhindern können, sondern auch die Bindungen zu den Welfen weiterhin erfahrbar gemacht549. Direkte Ding-Mensch-Bindungen zu den Mitgliedern des Hauses Hannover waren dagegen grundsätzlich von einer Haltung geprägt, welche die Öffentlichkeit mit einbezog und weniger persönlich begründet war. Entstanden als Kirchenschatz, scheinen die Stiftungen der Welfen als Investition in einen zu religiösen, finanziellen und repräsentativen Zwecken nutzbaren Bestand getätigt worden zu sein, der im Verlauf der Geschichte je nach Bedarf genutzt wurde: bereits die Stiftungen dienten der Repräsentation im Diesseits sowie einer hoffnungsvollen Position im Jenseits. Die scheinbar sorglosen Entnahmen einzelner Objekte durch Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel verweisen auf eine selbstverständliche Nutzung derselben als Geschenke, und die Übergabe an Johann Friedrich von BraunschweigCalenberg ist als Kombination aus finanziellem und repräsentativem Nutzen zu bezeichnen. Das öffentliche Zeigen im Welfenmuseum Mitte des 19. Jahrhunderts und als Leihgabe im Museum für Kunst und Gewerbe in Wien, gefolgt von einer anschließenden Phase des Nicht-Zeigens und der Aufbewahrung im Palais Cumberland verdeutlichen die Aufgaben des „Welfenschatzes“ als Mittel sozialen Verhaltens. Die Folgen der nach 1918 abgeschafften Privilegien des Adels ließen erneut finanzielle Belange in den Vordergrund treten, welche schließlich zum Verkauf führten. Bereits 546 Vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 44; vgl. de Winter, S. 144; vgl. Kötzsche, S. 5 und S. 11; vgl. Ausstellungskatalog Berlin 1930, S. 21. 547 Eine Reliquienmonstranz, ein Kästchen mit Emailplatte des Evangelisten Matthäus und ein bemaltes Kästchen, vgl. Bungarten: Verkauf des Welfenschatzes, S. 48; vgl. Ausstellungskatalog Braunschweig 1989: Erwerbungen aus zwei Jahrzehnten. Kunstwerke vor 1900 – eine Auswahl, Ausstellung im Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig, 6. Oktober - 26. November 1989, Braunschweig 1989, S. 34. 548 Von Holst, S. 36. 549 Zur Zeit des Verkaufs war die Öffentlichkeit interessiert an einem Komplettankauf und dem Verbleib in Hannover, dies betont auch Schnath, Schnath, S. 242; bereits die Beendigung der Leihdauer im Museum für Kunst und Gewerbe in Wien wurde in der Öffentlichkeit kritisiert, vgl. Schnath, S. 236.
520 | S AMMLUNGEN DES A DELS während der Vergleichsverhandlungen mit dem Staat Braunschweig hatte man die Möglichkeit dieses Verkaufs erwähnt550 , wodurch deutlich wird, dass das Haus den Schatz nach 1918 wieder als solchen, und damit als Kapital und Finanzreserve, ansah. Die Durchführung dieses radikalen Schrittes bezeichnet das Ende einer Symbiose, welche einerseits den Objektbestand in einer, sich nur gering verändernden, Gesamtheit bewahrte und andererseits als Zeichen welfischen Reichtums und Kunstbesitzes gewertet werden kann. Im öffentlichen Gedächtnis blieb und bleibt die Verbindung durch die Bezeichnung „Welfenschatz“ weiterhin bestehen551 . Zusammenfassend ist festzustellen, dass größere Teile dieses ehemaligen Kirchenschatzes zwar öffentlich zugänglich sind, die Zerstreuung des Gesamtverbandes sowie die Präsentation der Einzelteile als vorrangig kunsthistorisch wertvolle Objekte jedoch einen Verlust darstellt. Es wird deutlich, dass, stärker als im Verkauf selbst, vor allem in der Zerstreuung der Grund für zerstörte Bindungen (der Objekte untereinander, des größten Teiles der Objekte zu ihrem Aufbewahrungsort und DingMensch-Bindungen des Schatzes zur Öffentlichkeit) zu finden ist. Für die Allgemeinheit sind daher möglichst in enger Verbindung zueinander stehende Teile des ehemals großen Verbandes wie diejenigen in Berlin von herausragender Bedeutung. Dies spiegelt sich in der Diskussion um eine mögliche Restitution dieser Bestände an die Erben der in den 30er Jahren tätigen Kunsthändler552 ebenso wider wie im Interesse an Ausstellungen von Teilen des „Welfenschatzes“ (beispielsweise 2007 in München553). Neben der Veräußerung von Kunstobjekten durch die Welfen kam es in den 20er und 30er Jahren auch zur Abgabe von Land und Immobilien innerhalb Deutschlands. Bereits 1921 erwarb die Stadt Hannover den Georgengarten sowie den Welfengarten und das Georgspalais (Wallmodenschlösschen), 1936 ebenfalls den Großen Garten sowie den Berggarten554. 1933 wurden die Forsten des Bezirks Hasselfelde veräußert, 550 Vgl. Schmidt, S. 131. 551 Zur Ausstellung „Treasures of the House of Brunswick“ in London 1952 schreibt Ramsey, der Titel suggeriere die Ausstellung des Welfenschatzes, „[b]ut in fact this mediaeval treasure of the cathedral of Brunswick passed out of the hands of the Dukes of Brunswick between the wars [...]“, Ramsey, S. 90. 552 „Der im Berliner Kunstgewerbemuseum bewahrte Bestand des ‚Welfenschatzes‘ umfasst 44 Werke der Schatzkunst aus dem 11. bis 15. Jahrhundert, vor allem Reliquiare und Tragaltäre. Unter ihnen befinden sich zahlreiche Objekte von höchstem kunstgeschichtlichem Rang. Kein anderer deutscher Kirchenschatz spiegelt die Entwicklung der Goldschmiedekunst des Mittelalters in vergleichbarer umfassender Weise.“, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Pressemitteilung, 29. Mai 2009; gleichzeitig stehen in diesem Zusammenhang aber auch „Standortvorteile“ auf dem Spiel, was deutlich wird, wenn in der Presse davon berichtet wird, der „Welfenschatz“ sei „das Herzstück“ des Kunstgewerbemuseums, sein Verlust könne das Haus runinieren u.ä., vgl. Berliner Zeitung, 8. Mai 2009; vgl. Kunstmarkt.com, 2. Juni 2009; vgl. Die Zeit, 7. Mai 2009. 553 FAZ auf FAZ.net, 28. August 2007: Nationalmuseum München. Schwupps, da hat ihn der Wal verschluckt. 554 Von Alvensleben/Reuther, S. 6; vgl. Steckhahn, S. 159; laut Steckhahn lagen die Kosten für Großen Garten, Berggarten, Herrenhäuser Allee, Wasserkünste sowie weitere Grund-
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1934 übernahm die Braunschweig GmbH das Gestüt Bündheim und 1938 kam es zum Verkauf der Domänen Gebhardshagen und Lichtenberg555. Diese, nach dem Umzug nach Blankenburg durchgeführten, Verkäufe können ebenfalls durch finanzielle Bedürfnisse begründet werden. Für die Familie bedeuteten sie eine Verkleinerung ihres Einflussbereiches und damit eine stärkere Lösung von ihrer früheren Funktion als Landesherren. Ebenfalls 1934 kaufte die Stadt Braunschweig Schloss Richmond, nachdem dieses bereits seit 1925 vermietet worden war556 . Die Welfenfamilie hatte das Schloss zwischenzeitlich zwar genutzt, als Wohnsitz war es aber zu klein und durch die Rückkehr nach Blankenburg wurde kein Domizil in Braunschweig benötigt. Zudem waren die Umbauten des Blankenburger Schlosses kostspielig, so dass der Verkauf nahelag. Für Schloss Richmond selbst bedeutete der Verkauf jedoch starke Veränderungen, die mit dem Bau der Reichsjugendakademie begannen, der die Parkfläche deutlich verringerte557: „Schloss Richmond diente bis in die Kriegsjahre den verschiedensten Stellen, sich selbst verfremdet, als Unterkunft. Die Wände wurden ohne Rücksicht auf Dekor und Farbe mit Tapeten überklebt und mit Kalk überstrichen. Nach dem Kriege gelang es dank der Initiative verantwortungsbewusster Bürger [...] das schwer gefährdete Kleinod zu retten und zu restaurieren ... Von der alten Innenausstattung ist nichts erhalten. Die heutige Möblierung konnte aus eigenen Beständen der Stadt und aus den großzügig gewährten Leihgaben der Herzoglichen Familie bestritten werden.“558
Der Verkauf der Immobilien hatte – mit Ausnahme des zeitweise genutzten Schlosses Richmond – durch die ohnehin bestehende Distanz und geringe Nutzung wenig Einfluss auf das Leben der Familie. Die Sammlungsbestände wurden kaum durch diese berührt. Da die Herrenhäuser Gärten sowie Schloss Richmond durch die Städte Hannover und Braunschweig angekauft wurden, war dies grundsätzlich ein Gewinn für die Allgemeinheit. Allerdings waren die Veränderungen im Umfeld Schloss Richmonds nun stärker und einschneidender, als dies vor dem Verkauf der Fall gewesen war. Für die 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts sind zusammenfassend finanzielle Gründe für die Verkäufe der Welfen zu benennen. Durch die, für den ehemals regierenden Adel neuen, steuerlichen Belastungen nach 1918, die weiterhin zu zahlenden Versorgungskosten sowie die Weltwirtschaftskrise waren diese Verkäufe für die Weiterführung einer als standesgemäß betrachteten Lebensweise unerlässlich. Zahlreiche Adelsfamilien, welche nicht auf entsprechende Bestände zurückgreifen konn-
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stücke in Herrenhausen bei 750.000 RM, Steckhahn, S. 159f; vgl. Röhrbein, S. 64; Berggarten und Großer Garten waren bereits Teil der Verhandlungen um den „Welfenschatz“, vgl. Jaitner, S. 413. Vgl. Schmidt, S. 164. Vgl. Tute, S. 29f; vgl. Adriani, S. 10. Vgl. Tute, S. 30; vgl. Adriani, S. 10. Adriani, S. 10.
522 | S AMMLUNGEN DES A DELS ten, waren gezwungen, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben (was gleichzeitig eine völlige Auflösung der Sammlungen bedeuten musste). Es wurden zunächst Objekte aus den traditionell zur Geldbeschaffung genutzten Bereichen verkauft, dazu solche, deren Bindungen durch räumliche Distanz ohnehin gelockert waren. Schließlich griff man auf die Funktion des „Welfenschatzes“ als Finanzreserve zurück. Dessen Verkauf ist als größter Einschnitt in die Sammlungen der Welfen zu betrachten, der zudem für die Allgemeinheit durch die Zerstreuung des Objektbestandes weitreichende Folgen hatte. Zu betonen ist jedoch auch, dass die öffentliche Hand, sowohl durch die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen als auch durch die Ablehnung von Ankaufsangeboten für Gesamtbestände, eine maßgebliche Rolle bei diesen Verkäufen spielte559. Damit zeigt sich, dass die von Günther im Zusammenhang mit den Fürstenauseinandersetzungen geforderten Vorkaufsrechte der Staaten560 im politischen und wirtschaftlichen Klima der Weimarer Republik wenig Vorteile boten und die Zerstreuung von Kulturgut nicht hätten verhindern können. Verkäufe der 50er und 60er Jahre Nach den Verkäufen der 20er und 30er Jahre kamen diese zunächst zu einem Stillstand. Dies ist einerseits damit zu erklären, dass sich die Situation bezüglich der ehemals gebundenen Vermögensteile erneut änderte561 . Da diese durch das Hausgesetz von 1920 in der Hand des Hauses (als juristischer Person, statt einer Einzelperson) frei geworden waren, wurde diese Auflösung im Zusammenhang mit der neuen Gesetzgebung von 1938 und deren Durchführungsverordnung von 1939562 nicht anerkannt. Infolgedessen wurde das Vermögen nun in der Hand Ernst Augusts (III.) von Hannover (als Einzelperson) frei, wobei gleichzeitig eine Sperrfrist bezüglich besonders wertvoller Gegenstände verhängt wurde, „während der die alten Verfügungsbeschränkungen fortbestanden und Sicherungsmaßnahmen hinsichtlich der Schutzforstbildung, der Sicherung der Kunstschätze sowie der Gehalts- und Pensionsansprüche zu treffen waren. Dies hatte zur Folge, dass der Inhaber des Vermögens gewissen Vermögensbeschränkungen durch den Fideikommißsenat unterlag. Erst am 6. Februar 1968 wurde der Auflösungsschein erteilt.“563
559 Ankäufe von Teilen erfolgten meist zu einem verhältnismäßig ungünstigeren Preis als die zunächst geforderte Gesamtsumme wie am Beispiel der Fideikommiss-Galerie deutlich wurde. 560 „Für alle sachverständigerseits nachgewiesenen künstlerisch, wissenschaftlich oder historisch wertvollen Objekte, welche im fürstlichen Privateigentum auch weiterhin verbleiben [...] ist staatliches Vorkaufsrecht ebenso zu fordern, wie staatliches Weiterverkaufsrecht nach vollzogener Veräußerung an den Staat.“, Günther, S. 130-131. 561 Vgl. zusammenfassend: Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 262f. 562 Verordnung Fideikommissauflösung 1938; Gesetz Erlöschen Fideikommisse 1938; Verordnung Fideikommissauflösung 1939. 563 Jaitner, S. 407; vgl. Schnath, S. 239; vgl. Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 263; Niedersächsisches Landesarchiv, Vorwort Oberlandesgericht Celle (vor 1945): http://aidaonline.niedersachsen.de/ (Suche Oberlandesgericht Celle Fideikommisse); Einsicht in die entsprechenden Akten wurde der Autorin nicht gewährt.
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Der entsprechende Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig besagte, dass die Hausvermögen der Häuser Braunschweig-Lüneburg, Hannover sowie Ernst Augusts (I.) von Hannover aufgelöst wurden. Es wurde des Weiteren festgehalten, dass der Erbe verpflichtet war, „nach Kräften den Kulturbesitz der aufgelösten Hausgüter an Ort und Stelle zu pflegen und zu erhalten. Veräußerungen oder Veränderungen sind im Benehmen mit dem Niedersächsischen Kultusminister durchzuführen.“564 Die Formulierung, dass Verkäufe aus den 1968 aufgelösten Fideikommissen der Welfen „im Benehmen“ mit dem niedersächsischen Kultusministerium (seit 1974 dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das 1990 in Ministerium für Wissenschaft und Kultur umbenannt wurde565) möglich seien, gibt keine Auskünfte darüber, wie eng der Austausch diesbezüglich war566. Es bleibt daher unklar, ob eine grundsätzliche Meldepflicht der Welfen für sämtliche Verkäufe von Objekten aus ehemaligen Fideikommissen bestand, oder ob diese auf ausgewählte Bestände und/oder eine festgelegte Menge beziehungsweise einen festgelegten Wert beschränkt blieb. In der Antwort der Niedersächsischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage (im Zusammenhang mit dem Verkauf des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“) wird deutlich, dass „das Gericht kein Veräußerungsverbot ausgesprochen und Veräußerungen auch nicht von einer Genehmigung abhängig gemacht hat.“567 Bezüglich des Besitzes anderer Adelsfamilien bestanden bereits seit der Auflösung von 1938/1939 eindeutige Veräußerungsverbote, so beispielsweise im Fall der Thurn und Taxis’schen Hofbibliothek568. Neben diesen Veränderungen der rechtlichen Situation bezüglich der ehemals gebundenen Vermögensteile ist auch von einer veränderten finanziellen Situation auszugehen: diese hatte sich nach Abschluss der Umbauarbeiten in Blankenburg und im Zuge der getätigten Veräußerungen etwas gefestigt. Allerdings kam es noch Anfang der 40er Jahre zum finanziell begründeten Ausstieg aus der Museums- und Bib564 Zitiert in Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 264; unterstützt wurde dieser Beschluss durch eine Erklärung Ernst Augusts (IV.) von Hannover vom 30. Januar 1986 mit dem Wortlaut: „Das Gesamthaus Braunschweig-Lüneburg, das Haus Hannover und das Haus der Speziallinie des Königs Ernst-August von Hannover, vertreten durch den Chef des Hauses, Seine Königliche Hoheit Dr. Ernst-August Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, zugleich Testamentsvollstrecker über den Nachlaß weiland Seiner Königlichen Hoheit Ernst-August Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, fühlen sich verpflichtet, nach Kräften ihren Kulturbesitz an Ort und Stelle zu pflegen und zu erhalten. Veräußerungen oder Veränderungen sind im Benehmen mit dem Niedersächsischen Kultusminister durchzuführen.“, zitiert in Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 264. 565 Im Folgenden wird jeweils der für die beschriebene Zeit richtige Name des Ministeriums verwendet. 566 Einblick in entsprechende Akten war leider nicht möglich; juristisch setzt der Begriff „im Benehmen“ jedoch einen Austausch vor der jeweiligen Handlung voraus, welcher möglichst zu einer einvernehmlichen Lösung kommt. Ein Ignorieren dieses Austauschs macht die Handlung zunächst rechtswidrig, allerdings ist diese nicht grundsätzlich nichtig, da es auch nachträglich zum Einvernehmen kommen kann. 567 Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 264. 568 Vgl. Beschluss BayObLG 2004; vgl. Kapitel 2.3.
524 | S AMMLUNGEN DES A DELS liotheksstiftung in Braunschweig, welche jedoch weitere Entlastung erbrachte. Im Zuge der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde des Weiteren die bis dahin strittige Frage der Eigentumsverhältnisse der ehemaligen königlichen Bibliothek in Hannover beendet. Diese ging endgültig in das Eigentum des Landes Niedersachsen über 569. Nach der allmählichen Abgabe des österreichischen Besitzes sowie dem Verlust des Schlosses Blankenburg diente Schloss Marienburg der Familie als Wohnsitz. Dort war nun ein großer Teil des beweglichen Besitzes konzentriert. Vor diesem Hintergrund kam es im April 1950 zu einer Versteigerung von ca. 550 Objekten der Familie durch das Auktionshaus Hünerberg in Braunschweig570. Die Auktion fand in den Räumen des Herzog Anton Ulrich-Museums statt, ein Eintrittsgeld von 2 DM wurde zu Gunsten der Museums- und Bibliotheksstiftung erhoben und das Interesse war sehr groß571. Verkauft wurden Objekte aus sämtlichen Bereichen einer Schlossausstattung. Der Auktionskatalog verweist auf Schlossinventare und macht damit deutlich, dass es sich vorrangig um Objekte handelte, welche aus denjenigen Schlössern stammten, die sich nicht mehr im Besitz der Welfen befanden572. Die Feststellung, „[e]rhebliche Beschädigungen sind angegeben. Die Nichtangabe verbürgt aber keinesfalls das Nichtvorhandensein einer Beschädigung“573, lässt vermuten, dass sich diese nicht in einwandfreiem Zustand befanden. Dies erklärt möglicherweise die insgesamt eher geringen Schätzpreise großer Teile des Angebots. Silber aus dem Besitz Jérôme Bonapartes (Los 193) wurde mit einem Preis von 25.000 DM am höchsten taxiert, gefolgt von der Darstellung eines Bauernpaares von Pieter Bruegel, d.Ä. (Los 80) mit einem Preis von 18.000 DM, zwei Feldharnischen (Lose 507 und 508) für je 15.000 DM sowie einem „Porträt Juliane Königin von Dänemark“ von Antoine Pesne (Los 90a) für 14.000 DM574. Alle weiteren Lose lagen in ihrer Schätzung unter 10.000 DM, wobei die günstigsten Schätzungen bei 10 DM lagen und knapp 70% aller angebotenen Objekte unter 199 DM geschätzt wurden575. 569 Laut Niedersächsischer Landesbibliothek „wurde [die Bibliothek] 1947 durch das neu gegründete Land Niedersachsen übernommen und trägt seitdem den Namen ‚Niedersächsische Landesbibliothek‘. Bald darauf löste die Landesregierung die noch immer schwebende Eigentumsfrage durch finanzielle Abfindung der Welfendynastie.“, Niedersächsische Landesbibliothek: http://www.gwlb.de/ueber_uns/Geschichte/index3.htm; de Winter spricht von einer Abgabe der „königlichen Handschriften-Bibliothek“ um 1945, de Winter, S. 153; Katenhusen erwähnt die Bibliothek dagegen im Zusammenhang mit der Übernahme der Mittelaltersammlung 1955, Katenhusen, S. 49; ebenso Steckhahn, S. 202. 570 Vgl. Auktionskatalog Hünerberg 1950. 571 Vgl. Auktionskatalog Hünerberg 1950, S. 1 und S. 3. 572 „Die Katalogangaben, Zuschreibungen und Herkunft, Gewichte und Maße wurden aus den von Fachleuten sorgfältig geführten Inventarverzeichnissen der verschiedenen Schlösser übernommen, können aber von uns keinesfalls garantiert werden.“, Auktionskatalog Hünerberg 1950, S. 2. 573 Auktionskatalog Hünerberg 1950, S. 2. 574 Auktionskatalog Hünerberg 1950, Katalogteil. 575 Nur knapp 4% der Objekte lagen in einer Preisspanne über 2.000 DM. Diese (sowie folgende Auswertungen zu der Auktion der Welfen 2005, des Hauses Thurn und Taxis 1993 und des Hauses Baden 1995) beziehen sich auf die Angaben der Auktionskataloge. Dabei
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Vorrangig wurden Gemälde (zum Teil den aus dem Provinzialmuseum Hannover übernommenen Beständen der Fideikommiss-Galerie zugehörig), Porzellan, Waffen und Möbel veräußert576 . Aber auch Zeichnungen, Druckgraphik, Buchkunst, Hausrat, Silber, Textilien, Varia und ein Musikinstrument wurden angeboten. Unter den Gemälden befanden sich nur vier Porträtgemälde, von welchen nur das oben genannte Porträt von Juliane Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern Königin von Dänemark und Norwegen, einer Tochter Ferdinand Albrechts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, einen engen Verwandtschaftsbezug aufweist. Die meisten Gemälde stellten Genre-Szenen, Landschaften sowie religiöse Motive dar, bei einigen blieb der Maler unbenannt. Im Bereich des Silbers handelte es sich vorrangig um Silber aus dem Besitz Wilhelms von Braunschweig. Das so genannte „JérômeSilber“ war von den Welfen im 19. Jahrhundert erworben worden577. Zahlreiche verkaufte Porzellanobjekte stammten aus Meißen, ein kleiner Teil war chinesischer Herkunft. Bei den Textilien handelte es sich fast ausschließlich um Vorhänge, aber auch Bezugsstoffe. Des Weiteren wurden einige Kaminuhren veräußert. Aus heutiger Sicht ist aus dem Bereich der Möbel vor allem ein Tisch der Manufaktur Stobwasser hervorzuheben. Bei einigen Objekten ist die Provenienz angegeben, so findet sich beispielsweise der Hinweis auf den ehemals „persönlichen Besitz Ihrer Majestät der Königin Marie von Hannover“578. Bei über einem Drittel der angebotenen Objekte (vorrangig bei Porzellan, Möbeln, Waffen, Textilien und Varia) fehlt im Katalog eine Altersangabe, weitere 30% der Objekte stammten aus dem 19. Jahrhundert (vor allem Gemälde, Silber und Hausrat), ca. 14% aus dem 18. Jahrhundert (vor allem Zeichnungen), ca. 11% aus dem 17. Jahrhundert (vor allem Druckgraphik). Der Grund für diesen Verkauf ist, angesichts der eher geringen Schätzpreise im Vergleich zu den Verkäufen der 20er und 30er Jahre, nicht ausschließlich im finanziellen Bereich anzusiedeln, obwohl finanzielle Gründe in der Presse in den Vordergrund gestellt wurden579. Nachdem die Familie 1945 von Blankenburg ins Schloss Marienburg übergesiedelt war, hatte sie das Schloss zunächst mit Flüchtlingen ge-
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wurden die Schätzpreise herangezogen und zum Vergleich auch in Euro umgerechnet. Für die Errechnung der prozentualen Anteile der verschiedenen Gattungen und Entstehungszeiten wurden Objekte (nicht Losnummern) herangezogen. Diese Berechnungen ermöglichen eine Vergleichbarkeit und weisen auf Tendenzen hin, geringe Abweichungen im Bereich von 1-2% sind möglich. Im Fall der Auktion des Hauses Thurn und Taxis wurde Bd. VI der Auktion nicht berücksichtigt, da es sich ausschließlich um den Verkauf von Wein handelte, welcher nicht mit den anderen Auktionen vergleichbar ist. Knapp 19% der Objekte waren Gemälde, knapp 17% Porzellan, 16% Möbel und knapp 14% Porzellan. Weltkunst 03/1999, S. 469. Auktionskatalog Hünerberg 1950, Katalogteil. Revue, o.J.: Der Herzog zu Braunschweig und Lüneburg hat kein Geld; Neue Post, 20. Mai 1950; „[...] um Lastenausgleichsabgabe bezahlen zu können, musste der Herzog zum erstenmal in den ‚Welfenschatz‘ [...] greifen: eine Auktion in Braunschweig erbrachte im April 1950 rund 245 000 DM.“, Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Dezember 1980: Schmidt, Josef: Sie erlebte Glanz und Niedergang. Herzogin Viktoria Luise ist tot.
526 | S AMMLUNGEN DES A DELS teilt580, so dass der Verkauf stärker mit der schrittweisen Übernahme sämtlicher Räumlichkeiten in Verbindung steht. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg beschrieb dies als „Aussortieren“581. Die Einrichtung des bis 1945 weitgehend unbewohnten Schlosses Marienburg war durch diejenigen Objekte ergänzt worden, welche aus Schloss Blankenburg gerettet werden konnten. Unter diesen hatten sich auch Objekte aus den Schlössern Braunschweig, Cumberland in Gmunden und Herrenhausen befunden. Die Popularität von regierenden und ehemals regierenden Adelsfamilien im Ausund Inland stieg in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges wieder an und diese wurden in den 50er Jahren immer stärker zu Prominenten, vergleichbar mit „Stars“ aus der Film- und Musikbranche582 . Das derart gesteigerte Interesse an der Familie der Welfen ermöglichte eine solche Auktion. Es ließ, zusammen mit dem langsam steigenden Wohlstand der Bevölkerung und den teils geringen Schätzpreisen der angebotenen Objekte, neben Händlern auch Privatpersonen zu Käufern werden. Angesichts des qualitativ nicht außergewöhnlichen Angebots stand dem Verkauf zudem keine Beschränkung durch Kulturgüter- oder Denkmalschutz entgegen: gültig waren noch immer die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken von 1919 mit dem Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke, welches auch während des Zweiten Weltkrieges fortgeführt worden war583 . Die Verordnung über den Schutz 580 Vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330; vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin, Braunschweiger Bürgerin, S. 49f. 581 Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 330. 582 Vgl. Interview Louis Ferdinand von Preußen: „Wir können nur von uns persönlich sagen, dass wir überall sehr nett behandelt werden, dass auf Bahnfahrten oder irgendwo ganz unbekannte Menschen kommen. Oder der Schaffner kommt und will ein Autogramm haben.“, Spiegel, 10. April 1957; seit den 50er Jahren wurden auch internationale Ereignisse der Monarchie im TV übertragen, und Wienfort stellt fest, dass auch in der deutschen Presse keine Ablehnung gegen die Monarchie deutlich wurde, Wienfort 2008, S. 142 und S. 150; die Welfen waren sich dieser Wirkung durchaus bewusst, so schreibt Georg Wilhelm von Hannover: „Wir setzen die Reihe der Beiträge, durch die wir unseren Lesern Gelegenheit geben wollen, am Leben und Wirken der Angehörigen des hannoverschen Königshauses Anteil zu nehmen, mit den beiden folgenden Artikeln fort [...]“, Informationen des Marienburg-Kreises 1959, S. 2; gleichzeitig wurde dieses Interesse jedoch auch als Störung empfunden, was ein weiterer Artikel deutlich macht, vgl. Harling, Otto von: Persönlichkeitsschutz gegen Pressefreiheit?, in: Informationen des Marienburg-Kreises 1959, S. 9-13. 583 Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919; ergänzt und verlängert durch folgende Gesetze und Verordnungen: Ausführungsbestimmungen 1919; Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920; Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1925; Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1927; Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken, 24. Dezember 1929, RGBl. 1929, S. 244; online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex? aid=dra& datum=1929&page=294&size=45, folgend: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1929; Verordnung des Reichspräsidenten zur Anpassung einiger Gesetze und Verordnungen an die veränderte Lage von Wirtschaft und Finanzen (Anpassungsverordnung), Sechster Teil: Ausfuhr von Kunstwerken, 23. Dezember 1931, RGBl. 1931, S. 786, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1931&size=
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von Denkmalen und Kunstwerken aus dem Jahr 1920584 war dagegen seit 1925 nicht mehr gültig. Selbst wenn Objekte dieses Verkaufs von der Sperrfrist der Fideikommissauflösung betroffen gewesen waren, ist davon auszugehen, dass eine Veräußerung durch die zuständigen Behörden ermöglicht wurde, da keinem der Objekte ein Wert zugesprochen wurde, der dem Verkauf entgegengestanden hätte. Die Auswirkungen dieses Verkaufs auf die Sammlungen der Welfen waren insgesamt gering. Die Gemälde, welche aus der ehemaligen Fideikommiss-Galerie stammten, hatten bereits durch Beendigung des Leihvertrages mit dem Provinzialmuseum Hannover und dem teilweisen Verbleib dieses Objektverbundes im Museum einen Ortswechsel erfahren und bisherige Ding-Ding-Bindungen verloren. Durch die Konzentration von Ausstattungsgegenständen verschiedener Schlösser im Schloss Marienburg hatten viele dieser Objekte keine Funktion und wurden dort ausschließlich gelagert. Zum ersten Mal nach 1918 kann man von einer Entsammlungsmaßnahme sprechen, wie sie beispielsweise bei Übernahme eines Schlosses durch eine neue Generation üblich war. Grundsätzlich wurden diejenigen Objekte ausgesondert, die nicht mehr genutzt wurden und/oder in großen Mengen vorhanden waren. Auch für die Öffentlichkeit kann aus heutiger Sicht nicht von einem großen Verlust gesprochen werden, wenn auch Objekte wie das „Jérôme-Silber“ sowie Silber aus dem Besitz Wilhelms von Braunschweig sowie vereinzelte Gemälde von (kunst-) historischem Interesse sind585. Durch den Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover im Januar 1953 kam es zu einem erneuten Generationenwechsel in der Welfenfamilie. Der neue Chef des Hauses, Ernst August (IV.) von Hannover, war wenige Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges geboren worden und hatte nur die ersten Kindheitsjahre zur Zeit der Monarchie verlebt586. Den Rest seiner Kindheit verbrachte er in der zwangloseren Atmosphäre der Villa Weinberg in Gmunden sowie im Schlossinternat Salem587 , welches von seinem Onkel, Max von Baden588 , gegründet worden war. Als junger Erwachsener kehrte er mit seiner Familie nach Blankenburg zurück, studierte jedoch in Freiburg, Berlin, Oxford und Göttingen Nationalökonomie sowie Rechtswissen-
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45&page=884, folgend: Anpassungsverordnung 1931; Verordnung über Ausfuhr von Kunstwerken 1932. Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920. In der Presse war allerdings die Rede von der „bedeutendsten europäischen Auktion seit Kriegsende“, Revue, o.J.; auch war die Rede davon, es werde „ein großer Teil der Kunstschätze“ verkauft, Neue Post, 20. Mai 1950; diese Einschätzungen waren nicht gerechtfertigt; diese veränderte Sichtweise steht vermutlich im Zusammenhang mit den insgesamt großen Kulturgutverlusten während des Krieges. Otte bezeichnet seine Geburt als letzte wichtige Staatsaktion in Braunschweig vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Seine Paten waren Oberhäupter europäischer Staaten, Otte, S. 130f. Vorher wurde er durch Hauslehrer unterrichtet und war seit 1924 mit seinem Bruder Georg Wilhelm von Hannover in Hameln im Internat gewesen, bevor er 1928 nach Salem ging, vgl. Steckhahn, S. 176; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 279. Max von Baden war mit Marie-Luise von Baden, einer Schwester Ernst Augusts (III.) von Hannover, verheiratet.
528 | S AMMLUNGEN DES A DELS schaften (und schloss die Studien mit einer Promotion ab)589 . Während des Zweiten Weltkrieges war er zunächst im Westen und schließlich in Russland eingesetzt, wo er 1943 durch einen Lungenschuss verletzt wurde590 . 1944 kam es zu seiner zeitweisen Internierung durch die Gestapo591 . 1945 war er an der Überführung großer Teile des Besitzes aus Schloss Blankenburg in das Schloss Marienburg beteiligt. 1951 wurde seine Hochzeit mit Ortrud von Hannover gefeiert und durch Presseberichte öffentlich begleitet592 . In den Jahren nach dem Tod seines Vaters ließ er sich mit seiner Frau im Hausgut Calenberg nieder593 . „Als Chef des Welfenhauses legte er Wert auf Familien- und Traditionsbewusstsein. Einerseits lud er oftmals zu mehr privat gehaltenen Familienfeiern oder öffentlichen Veranstaltungen auf das Schloss Marienburg. Andererseits unterstützte er Verbände oder Vereine, die, wie etwa der 1952 gegründete Welfenbund, dem Haus Braunschweig und Lüneburg nahe standen.“594
Trotz des Traditionsbewusstseins ist seine Haltung gegenüber dem (Kunst-)Besitz von einer stärker professionellen Haltung gekennzeichnet, womit eine Tendenz, die, im Vergleich zu Ernst August von Cumberland bereits bei seinem Vater Ernst August (III.) von Hannover sichtbar war, weitergeführt wurde. Sein Engagement in Hinblick auf niedersächsische Geschichtsforschung595 ist sowohl in diesem Zusammenhang zu betrachten als auch in den Kontext des traditionellen Geschichtsinteresses seiner Vorfahren zu setzen. Unstimmigkeiten mit seiner Mutter führten zu einem Bruch und gerichtlichen Auseinandersetzungen um Apanagezahlungen596. Auch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg verließ in den 50er Jahren Schloss Marienburg und ließ sich in einem angemieteten Haus in Braunschweig nieder597 . Sie ergänzte das Mobiliar des Mietshauses durch Möbel- und Ausstattungsstücke, die sie aus Schloss Marienburg mitgebracht hatte598 . Das Interesse an ihr war groß, so dass bereits ihr Einzug durch Nachbarn und Schaulustige beobachtet wurde599 . In den folgenden Jahren beschäftigte sich die Presse vor allem mit dem angespannten Verhältnis der ehemaligen 589 Vgl. Steckhahn, S. 176f. 590 Vgl. Steckhahn, S. 177; vgl. von Hannover, W., S. 13. 591 Vgl. Steckhahn, S. 178; vgl. von Hannover, W., S. 13; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 312ff. 592 Vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin, Braunschweiger Bürgerin, S. 51; Steckhahn fasst die historischen Ereignisse, die dieser erlebte, zusammen und erwähnt seine Geburt in der Kaiserzeit, die Ausbildung während der Weimarer Republik, das Studium sowie Dienst in der Wehrmacht zur Zeit des Nationalsozialismus sowie die Übernahme der Familiengeschäfte in der Nachkriegszeit, Steckhahn, S. 175. 593 Vgl. Steckhahn, S. 180. 594 Steckhahn, S. 181. 595 Vgl. Steckhahn, S. 182. 596 Vgl. Borek, S. 39. 597 Vgl. Biegel: Victoria Luise – Kaisertochter, Herzogin, Braunschweiger Bürgerin, S. 51; vgl. Borek, S. 9; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 349f. 598 Borek, S. 26. 599 Borek, S. 13.
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Herzogin zu ihren Kindern, welche sowohl ihr Auftreten in der Öffentlichkeit, vor allem aber die Höhe ihrer Apanage, zum Thema hatten600 .Vor diesem Hintergrund kam es seit den 50er Jahren immer wieder zu Schmuckverkäufen, beispielsweise 1953 in einer Auktion bei Christie’s. Darunter befand sich eine Diamantbrosche, die für 1.700 Pfund verkauft wurde601. Möglicherweise handelt es sich bei dieser um ein Schmuckstück, das einmal der Schwiegermutter Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, Thyra von Dänemark, gehört hatte602 . Erneut können diese Verkäufe finanziell begründet werden und Schmuck gehört zu den traditionell durch den Adel zur Geldbeschaffung veräußerten Objekten. Eine Ausfuhr ins Ausland war möglich, da diese Objekte nicht ins Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke eingetragen waren. Für die Allgemeinheit stellte dies keinen nennenswerten Verlust dar, da es sich um vorrangig persönliche Stücke handelte. Für die Familie kann der Verkauf als weiteres Zeichen für den Übergang in ein privateres Leben, das weniger stark von Repräsentation geprägt war, gelten. Durch den direkten Kontakt von Schmuck am Körper der Trägerin sowie dessen Funktion als Erinnerungsträger an ausgewählte Ereignisse (beispielsweise einen Anlass, zu welchem der Schmuck geschenkt worden war, aber auch Anlässe, zu welchen dieser getragen wurde) können enge Ding-Mensch-Bindungen entstehen. Diese sind jedoch in der Regel (mit Ausnahme ausgewählter Erbstücke oder traditioneller Schmuckstücke, die eng mit der Position der Familie verknüpft sind) auf eine Person beschränkt, so dass der Verkauf aus Familiensicht wenig spürbar, für Einzelne – beispielsweise Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg – jedoch verlustreich gewesen sein kann. Diese veräußerte mehrfach Schmuck sowie Wertpapiere aus finanziellen Gründen603. Ein weiterer Schritt zur Übergabe von Sammlungsteilen an die öffentliche Hand war, nach der Abgabe von Teilen der Fideikommiss-Galerie, der Verkauf der mittelalterlichen Sammlung 1955, die sich als Leihgabe im Niedersächsischen Landesmuseum (ehemals Provinzial-Museum) in Hannover befand. Im Zusammenhang mit dem Verkauf der Fideikommiss-Galerie 1925 war für diese Bestände ein Leihvertrag für 30 Jahre abgeschlossen worden, der nun auslief. Die Bestände wurden durch das Land Niedersachsen übernommen und sind heute in der Landesgalerie des Landes-
600 Vgl. Borek, S. 37ff; die im Ehevertrag von 1913 festgelegten 200.000 Goldmark sowie eine Residenz konnte das Haus 1956 nicht mehr leisten, vgl. Borek, S. 37f; vgl. Borek, S. 93; Kirschstein bezeichnet die Apanage als knapp, Kirschstein, S. 193. 601 Vgl. Royal Magazin: http://blog.royal-magazin.de/german/hannover/hannover-kronju welen.htm. 602 Vgl. Royal Magazin. 603 Die Kaisertochter und ehemalige Herzogin hatte erhebliche Probleme, sich in ein „bürgerliches Leben“ einzufügen und die notwendigen Dinge des Lebens in den Vordergrund zu stellen, um die Kosten nicht über die Einnahmen durch ihre Apanage steigen zu lassen, vgl. Borek, S. 91f.
530 | S AMMLUNGEN DES A DELS museums in Hannover zu sehen604. Teil dieses Ankaufs waren die so genannte „Goldene Tafel“ sowie Skulpturen Tilman Riemenschneiders605. Der Verkauf war weniger stark finanziell begründet als eine logische Fortführung der Übergabe von Verantwortung an die Öffentlichkeit für diese seit fast einem Jahrhundert institutionell betreuten Objekte606 . Eine Überführung der Objekte in das Schloss Marienburg hätte, angesichts der dort herrschenden Fülle, keinen Sinn gemacht, zumal sie dort keine Funktion hätten erfüllen können. Eine Verlängerung des Leihvertrages wäre ebenso wenig von Nutzen gewesen, nachdem bereits die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Museums- und Bibliotheksstiftung aufgegeben sowie Teile der Herrenhäuser Anlagen an die Stadt Hannover verkauft worden waren. Der Verkauf auf dem Kunstmarkt, wäre – selbst wenn er gewünscht gewesen wäre, was unwahrscheinlich ist – durch den Wert der Objekte für die Allgemeinheit nicht möglich gewesen, da das Oberlandesgericht Braunschweig für diese, von der Sperrfrist der Fideikommissauflösung betroffenen Objekte, eine Verkaufsgenehmigung erteilen musste. Für den Verkauf an das Land Niedersachsen wurde diese Genehmigung erteilt607 . Dieser Verkauf an eine öffentliche Einrichtung, die ohnehin Standort der Objekte gewesen ist, bedeutete einen Gewinn für die Allgmeinheit. Für die Familie der Welfen waren die Bindungen zu diesen Beständen, im Vergleich zu den im Schloss Marienburg befindlichen Objekten, gering, so dass man nicht von einem Bruch sprechen kann, sondern stattdessen von einer kontinuierlichen Weiterführung eines bereits begonnenen Rückzuges aus der öffentlichen Kunstpflege. Für die Objekte selbst bedeutete der Verkauf keine direkte Veränderung, sowohl der Standort als auch DingDing-Bindungen blieben gewahrt. Anfang der 60er Jahre kam es zu Einzelverkäufen, die durch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg getätigt wurden. Das Auktionshaus Hünerberg erhielt Anfang 1961 einen Tisch, der mit einem Limit von 500 DM versteigert werden sollte. Die Provenienz sollte im Katalog genannt werden, um einen besseren Preis zu erzielen608 . Für 2.500 DM wurde im November desselben Jahres ein Flügel Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg durch „Piano Triest“ in Braunschweig verkauft609 . Diese Verkäufe sind nicht mit den Verkäufen durch den Chef des Hauses 604 Bungarten nennt eine Ankaufsumme von 3 Mio. DM, Bungarten, S. 61; diese nennt auch Steckhahn, Steckhahn, S. 202; vgl. Katenhusen, S. 49; vgl. Trudzinski, S. 64; vgl. Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 16; vgl. Schnath, S. 230. 605 Vgl. Katenhusen, S. 49. 606 Sie waren bereits Teil des Welfenmuseums gewesen. 607 Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 263; diese erwähnt, dass „[d]as Oberlandesgericht Braunschweig [...] im Verlauf des Auflösungsverfahrens mehrfach Genehmigungen für den Verkauf von Kunstgegenständen erteilt [hat]“, nennt jedoch nur den hier beschriebenen Verkauf an das Land Niedersachsen als Beispiel, Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 263. 608 Schreiben an Eduard Hünerberg: Schreiben an Eduard Hünerberg, Kunstauktionshaus Braunschweig, 17. Februar 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. 609 Triest, Ferdinand: Schreiben von Ferdinand Triest, Piano Triest, Braunschweig, 9. November 1961, unveröffentlichter Privatbesitz.
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vergleichbar und rein finanziell begründet. Die Objekte unterlagen keinen Beschränkungen des Kulturgüterschutzes und können auch nicht als Verlust für die Allgemeinheit gewertet werden. Ebenfalls im Jahr 1961 kam es zum Verkauf des Schlossgeländes in Herrenhausen an die Stadt Hannover610, wodurch die in den 20er Jahren durch die Stadt erworbenen Gartenanlagen ergänzt wurden. Das Schloss selbst war 1943 zerstört worden. Das während des Zweiten Weltkrieges stark beschädigte Schloss Braunschweig wurde dagegen im Jahr des Hannoveraner Ankaufs abgerissen611. Das Interesse von Presse und Bevölkerung am Adel hatte diesbezüglich keine (positiven) Auswirkungen auf die Haltung von Politik und Denkmalpflege. Das Schloss in Braunschweig war seit 1918 nicht mehr im Besitz der Welfen, welche jedoch noch immer über Immobilien (über Schloss Marienburg hinaus) verfügten. Anfang der 60er Jahre kam auch die so genannte Villa Weinberg, in welcher Ernst August (III.) von Hannover nach 1918 mit seiner Familie gelebt hatte, zum Verkauf612. Ein Jahr nach Erteilung des Auflösungsscheines für die Fideikommisse der Welfen wurde 1969 die Königliche Ernst August-Fideikommiss-Bibliothek nach Hamburg verbracht, um beim Auktionshaus Hauswedell in Hamburg zur Versteigerung zu kommen. In zwei Auktionen mit 2.050 und 3.440 Losen wurden 1970 und 1971 insgesamt 80.000 Bände aus diesem Sammlungsbestand verkauft613 . Wenn auch diese Objekte nicht in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen waren614 , ist davon auszugehen, dass das Niedersächsische Kultusministerium über den Verkauf informiert war, da der Auflösungsschein der Fideikommisse die Welfenfamilie dazu verpflichtete, Veräußerungen aus diesen Beständen „im Benehmen“ mit dem Ministerium durchzuführen. Ein konkretes Veräußerungsverbot gab es nicht. Die Übernahme der ehemals königlichen Bibliothek durch das Land Niedersachsen für das Landesmuseum in Hannover in den 40er Jahren könnte jedoch dafür gesprochen haben, dass in der Veräußerung einer weiteren Bibliothek der Welfen kein großer Verlust für die Allgemeinheit gesehen wurde. Die Verauktionierung bedeutete jedoch die Zerstreuung der Objekte, so dass sowohl für die Allgemeinheit als auch für die Welfenfamilie ein traditioneller Sammlungsbestand unwiderruflich aufgelöst wurde. Zahlreiche und langfristige Ding-Ding-Bindungen wurden damit abgebro610 Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 16. 611 „Ein besonderer baulich künstlerischer Wert ist nach Meinung wirklicher Experten dem Schloss nicht zugesprochen ... Niemand wird dem Lande Niedersachsen zumuten können [...] ausgerechnet den Wiederaufbau einer Schlossruine zu betreiben.“, Hecht, Konrad: Zum Abbruch des Braunschweiger Schlosses, 1961, zit. in: Beseler, Hartwig: Denkmalpflege als Herausforderung (Vortrag in Ulm 1968), in: Beseler, S. 27-48 und S. 41. 612 Dies führte zu weiteren Konflikten zwischen Ernst August (IV.) von Hannover und seiner Mutter Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg, Brief, 3. Mai 1959; zu Braunschweig und Lüneburg, Brief, 8. August 1960; zu Braunschweig und Lüneburg, Telegramm, Oktober 1960; vgl. Borek, S. 58. 613 Steckhahn nennt das Datum 1969, Steckhahn, S. 202; vgl. Hauswedell & Nolte Auktionen: http://www.hauswedell-nolte.de/index.php?idcatside=4. 614 Seit 1955 galt das KultgSchG.
532 | S AMMLUNGEN DES A DELS chen. Es ist anzunehmen, dass die Ding-Mensch-Bindungen sich durch geringfügige oder ganz zum Erliegen gekommene Nutzung bereits stark gelockert hatten. Grundsätzlich wäre jedoch eine Pflege der Bindungen durch Nutzung der Bibliothek weiterhin möglich gewesen. Da Bücher zu den traditionellen Sammelgebieten des Adels gehören, ist dieser Verkauf als wichtiger Schritt zu einer Abkehr von typischen Sammelaktivitäten des Adels zu verstehen. Im Vergleich zu den umfangreichen Verkäufen der 20er und 30er Jahre waren die Veräußerungen der 50er und 60er Jahre weniger Aufsehen erregend. Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges hatten zu einer insgesamt neuen Haltung gegenüber dem Kulturerbe geführt, welche stark vom Wunsch nach Erneuerung geprägt war und Denkmalpflege in moderne Stadtplanung einbettete. Gleichzeitig rückte eine neue oberflächliche Popularität des Adels diesen als ehemaligen Herrscherstand weiter in den Hintergrund. Für die Welfen wurde die Phase starker Umbrüche abgelöst von einem finanziell gesicherterem Leben und der Konzentration des (beweglichen) Besitzes im Schloss Marienburg615 . Die erste Entsammlungsmaßnahme nach 1918 in Form einer Auktion 1950 führte erstmals zu einer leicht kritischen Haltung in der Presse, die zuvor die finanziell begründeten Verkäufe der 20er und 30er Jahre als der Zeit geschuldet akzeptiert hatte. Zudem bedeutete der Tod des letzten Braunschweigischen Herzogs einen Generationswechsel: Mit Ernst August (IV.) von Hannover war die Zeit repräsentativen Verhaltens endgültig abgeschlossen. Er lebte im Schlossgut Calenberg und war der erste Vertreter der Welfen, der gegenüber dem Besitz des Hauses eine stärker professionelle Haltung einnahm und das historische Interesse mit seinem privaten Interesse, anstelle einer nach außen gerichteten Wirkung, verknüpfte. Als Wendepunkt und Verlust im Sinne einer traditionellen Sammeltätigkeit ist der Verkauf der Königlichen Ernst August-Fideikommiss-Bibliothek zu werten. Verkäufe der 70er und 80er Jahre Die Familiensituation der Welfen änderte sich in den 70er Jahren zunächst nicht. Die Unstimmigkeiten des Familienoberhauptes Ernst August (IV.) von Hannover mit seiner Mutter Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg führten jedoch zu Einzelverkäufen, die nicht im Interesse des Chefs des Hauses standen. Zudem kamen in den 70er und 80er Jahren einige Objekte auf den Markt, welche möglicherweise bereits in den verkaufsreichen 20er und 30er Jahren durch die Familie veräußert worden waren. Diese Unklarheit wird durch eine seit dieser Zeit zu beobachtende Haltung der Welfen verstärkt, welche zu einer diskreteren Abwicklung von Verkäufen führte. Einzelstücke kamen nun vermehrt bei internationalen Auktionen zum Aufruf. Darüber hinaus setzte Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg die seit dem Tod ihres Mannes begonnenen Verkäufe von Schmuckstücken aus finanziellen Gründen fort616 . 615 Ausgenommen sind weitere Immobilien, die jedoch für die Sammlungen weniger relevant sind als die Schlösser Cumberland, Braunschweig, Blankenburg und Herrenhausen. 616 Das Haus hatte ihr 1960 angeboten, den Schmuck zu kaufen und ihr ein Tragerecht einzuräumen, sie selbst wollte diesen jedoch „für Notzeiten“ unabhängig von Geldentwertungen behalten, Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief, 17.
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Im Winter 1974 wurde Schmuck durch die Galerie Stüker in Bern in mehreren Auktionen verkauft617. Diejenigen Objekte, welche sich im Privatbesitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg befanden, unterlagen keinen Kulturgüterschutzbestimmungen. Es ist jedoch nicht völlig eindeutig, ob diejenigen Objekte, welche Ernst August (IV.) von Hannover zum Hausvermögen zählte, auch fideikommissarisch gebunden waren und demzufolge nur „im Benehmen“ mit dem zuständigen Ministerium in Hannover hätten verkauft werden dürfen. Gerade diese Schmuckstücke, die zum Teil als Geschenke zur Hochzeit Ernst Augusts (III.) von Hannover und Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg in deren Besitz kamen, sind für die Öffentlichkeit durchaus interessant. Ebenso könnte eine noch vollständige Schmucksammlung der Tochter des letzten deutschen Kaisers, welche zudem mit dem letzten Herzog zu Braunschweig und Lüneburg verheiratet war, Aufschluss über die Bedeutung von Geschenken, die Modeentwicklung und die Rolle der adligen Frau im 20. Jahrhundert geben. Eine solche Sammlung hatte jedoch immer auch den Zweck materiellen Kapitals, so dass sie heute nur anhand von Beschreibungen nachvollzogen werden kann. Die Schmuckverkäufe durch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg – wie auch weitere Verkäufe durch sie, die von den Verkäufen durch den Chef des Hauses getrennt betrachtet werden müssen – geben einen guten Einblick in die Lebenssituation einzelner Adliger nach 1918, ihren Besitz und den Umgang mit demselben. Die schwieriger gewordenen Maßnahmen zur Absicherung von Angehörigen zwangen diese dazu, von ihnen (durchaus auch zum Zweck der finanziellen Absicherung) zusammengetragene Objekte zu veräußern. Gleichzeitig wurde jedoch auch die Tradition der Weitergabe als Geschenk aufrechterhalten. Im Fall Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg war der Schmuckbesitz zum Ende ihres Lebens durch diese beiden Formen des Einsatzes von Objekten als Mittel sozialen Verhaltens stark dezimiert: „Die ursprünglich ansehnliche Ausstattung bestand in ihren großen Stücken überwiegend aus Verlobungs- und Hochzeitsgeschenken oder stammte aus dem Nachlass der Kaiserin. Seit den 30er Jahren war der Bestand in ununterbrochener Folge durch Schenkungen in und außerhalb der Familie, in allen Größen, zusammengeschrumpft. Besonders zahlreich waren die Stücke, die die Tochter erhielt (darunter ein Brillant-Diadem und Perlreihen der Kaiserin). Zu den Geschenken, die Prinz und Prinzessin Ernst August empfingen, gehörten das als Diadem umgearMärz 1960, unveröffentlichter Privatbesitz; dies macht einerseits ein gewisses persönliches Interesse der Familie an diesen Objekten deutlich, andererseits auch die strikte Trennung in Privat- und Hausvermögen; auch das so genannte „Braunschweig-Diadem“ galt als Hausvermögen, so dass sie dieses nicht veräußern konnte, vgl. Borek, S. 93; zur Bedeutung des Hausschmuckes der Welfen, der bereits nach Ende der Personalunion mit England zu Auseinandersetzungen geführt hatte, vgl. Royal Magazin. 617 Auktionen 127-136 im November und Dezember 1974. Dieser Verkauf führte zu weiteren Spannungen zwischen Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg und Ernst August (IV.) von Hannover, da diejenigen Schmuckstücke, die sie zu ihrer Hochzeit erhalten hatte, als Hausvermögen gezählt wurden, dies geht aus Briefen hervor: Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief, 17. Juli 1975, unveröffentlichter Privatbesitz; Blanke: Brief, 8. Juli 1975.
534 | S AMMLUNGEN DES A DELS beitete Brillant-Collier und eine Perlreihe der Kaiserin. Den wertvollsten Anteil erhielt Prinz Georg Wilhelm (1946/47). Hierzu zählten u.a. ein Collier de chien mit 14 Reihen Perlen mit Brillant-Spangen, eine Brillant-Corsage (von Kaiser Franz Joseph) und nicht zuletzt das Smaragd-Diadem der Kaiserin. Einen weiteren Aderlass erlitt das Schmuck-Vermögen durch den Verlust der Herrn Backhaus übergebenen Stücke. Unter ihnen das Spitzen-Diadem der Kaiserin, der Aquamarin-Schmuck vom Zaren, ein Band-Diadem in Brillanten von Kaiser Franz Joseph, die vom Herzog von Cumberland geschenkte Brillant-Smaragd-Corsage mit Anhänger, die von Herzog und Herzogin Cumberland geschenkten Brillant-Anhänger, das BrillantSaphier-Armband [sic] aus dem Nachlass der Kaiserin u.a.m. [...] Schließlich hatten Ew. Königliche Hoheit nach 1953 wiederholt verkauft [...]. Zu diesen Stücken zählten die große Brillantbrosche mit Perlen von Königin Marie-Christine und der Jagdschmuck der Kaiserin. Ich fasse zusammen. Der Schmuck war mehr als dezimiert ... Erhalten geblieben war das sogenannte kleine Diadem [...]“618.
Zu einem Verkauf dieses Diadems, welcher ab 1979 forciert wurde, kam es jedoch nicht, da kein Käufer gefunden werden konnte619 . In einem Brief aus dem Nachlass Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg vom Frühjahr 1976 ist darüber hinaus von einem geplanten Verkauf von Fächern aus ihrem Besitz an das Braunschweigische Landesmuseum die Rede620 . Verkäufe dieser Art sind ebenso zu bewerten wie der Schmuckverkauf aus dem Jahr 1974. Sotheby’s London bot 1977 in einer „Objects of vertu“-Auktion einen silbernen Tafelaufsatz an, der zum Anlass der Hochzeit Ernst Augusts von Cumberland mit Thyra von Dänemark angefertigt worden war621 . Welfentreue Hannoveraner hatten den Tafelaufsatz durch Carl Lameyer herstellen lassen und nach verspäteter Fertigstellung
618 Schlüter: Bericht, 23. Februar 1980. 619 Zahlreiche Schriftstücke aus der Korrespondenz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg beziehen sich auf diesen Verkauf, der die Dringlichkeit ihrer finanziellen Probleme deutlich macht; im Juli 1979 schreibt Leonhard Schlüter: „Angesichts dieser Verhältnisse fassten Ew. Königliche Hoheit vor kurzem den Entschluss, das sog. Kleine Diadem zu veräussern. Dabei wurde von folgenden Bedingungen ausgegangen: 1. Es muss ein angemessener Preis erzielt werden. Er liegt nach zwei neuen Taxaten (Krings und Merker) zwischen DM 92 000,- und 125 000.“, Schlüter, Leonhard: Brief, Hannover, 31. Juli 1979, unveröffentlichter Privatbesitz; Anfang 1980 schlug Wilhelm Karl Prinz von Preußen vor, das Diadem über ein international tätiges Auktionshaus anzubieten, Preußen, Wilhelm Karl Prinz von: Brief, 4. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz; Dr. Merkel informierte Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg im Februar darüber, dass noch kein Käufer für das Diadem gefunden sei, Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 18. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz; einen Monat später informiert Anwalt Dr. Merkel sie erneut darüber, dass der Verkauf noch nicht gelungen sei, Merkel, Hans Dr.: Briefe, Augsburg, 5. März 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. 620 Schlüter, Leonhard: Brief, Hannover, 24. April 1976, unveröffentlichter Privatbesitz; „[...] als Verkaufserlös für Fächer werden 12.000 DM angesprochen“, Schlüter: Bericht, 23. Februar 1980. 621 Vgl. Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 66; vgl. Steckhahn, S. 202.
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1879 (die Hochzeit hatte 1878 stattgefunden) übergeben622. 1979 erwarb das Historische Museum Hannover das Objekt über einen Frankfurter Kunsthändler623 . Ein internationaler Verkauf von Objekten, die nicht in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen waren, war auch zu diesem Zeitpunkt unproblematisch. Sofern das Objekt aus ehemaligem Fideikommissbestand stammte, musste die Veräußerung zudem „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst erfolgt sein, ein behördliches Veräußerungsverbot bestand jedoch nicht. In Bezug auf die Sammlungen der Welfen bedeutet dieser Verkauf – obwohl es sich um einen der traditionellen Silberverkäufe handelt und auch Geschenke traditionell zum einschmelzbaren oder veräußerbaren Vermögensbestand gehörten – einen Bruch mit bisherigen Bindungen. Die Geschenke so genannter „Welfentreuer“ waren für das Selbstverständnis sowohl Georgs (V.) von Hannover als auch seines Sohnes Ernst August von Cumberland während der Zeit des österreichischen Exils ein wesentlicher Teil ihrer Identität und eine Verbindung zum Königreich Hannover. Wiederholt wurden silberne Tafelaufsätze an die Familie im Exil verschenkt, womit man an die Zeit der Regentschaft in Hannover anknüpfte: „Diese silbernen Tafelaufsätze waren seitens der Geschenkgeber zwar primär als Tischschmuck, aber durchaus auch als Demonstrationsobjekte gedacht.“624 Von Rohr bezeichnet sie als „Zeugnis des erwünscht sichtbaren königlichen Anspruchs“ im Exil625 . Für Ernst August von Cumberland war zudem die kurz nach dem Tod seines Vaters stattfindende Hochzeit mit Thyra von Dänemark wichtiger Anlass, um die noch immer standesgemäße Position des Hauses zu verdeutlichen. Der Verkauf eines solchen Objektes verdeutlicht dessen Funktionsverlust als Mittel sozialen Verhaltens: die Bestätigung der familiären Position durch treue Anhänger aus Hannover war für die Identität der Welfen weniger wichtig geworden, so dass sich die Ding-MenschBindungen lösen konnten. Dies spricht für einen frühen Verkauf des Objektes in den 20er oder 30er Jahren, da Ernst August (III.) von Hannover sich stärker mit dem Herzogtum Braunschweig verbunden sah, was auch in der Rückkehr ins Schloss Blankenburg – statt Schloss Marienburg – deutlich wurde. Auch der Verkauf der Ernst August Fideikommiss-Galerie war bereits ein Zeichen der Lösung dieser Bindungen. Zudem wurden vor allem in dieser frühen Phase vermehrt Silberobjekte zum Geldgewinn veräußert. Ernst August (IV.) von Hannover suchte dagegen stärker den Bezug zum Land Hannover und dessen Geschichte, was sich beispielsweise durch die Einrichtung eines Museums im Schloss Marienburg zeigte. Dennoch ist am Verkauf der Königlichen Fideikommiss-Bibliothek ablesbar, dass auch er sich von Besitzteilen aus der hannoverschen Linie seiner Familie trennen konnte. Der Ankauf durch das Historische Museum Hannover ermöglichte den Erhalt des Objekts für die Region und die Allgemeinheit. Da der Tafelaufsatz von Hannoveranern in Auftrag gegeben worden war, bedeutet dies die Möglichkeit zur Wiederauf-
622 Vgl. Steckhahn, S. 202. 623 Vgl. Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 66; vgl. Steckhahn, S. 202. 624 Der Tafelaufsatz zeigt vier Figuren (symbolisch für Salzsiederei, Imkerei, Schafzucht und Fischerei) unter einer Eiche, Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 64. 625 Weltkunst 03/1999, S. 470.
536 | S AMMLUNGEN DES A DELS nahme alter Bindungen und leistet damit einen wertvollen Beitrag zur Vermittlung der regionalen Geschichte. In Bezug auf die möglichen Hintergründe ähnlich zu bewerten ist der Verkauf eines Tafelaufsatzes der Lüneburger Ritterschaft, welcher anlässlich der Hochzeit Georgs (V.) von Hannover mit Marie von Hannover 1843 übergeben worden war626 . Der Tafelaufsatz war durch Knauer & Lameyer in Hannover hergestellt worden und wurde 1980 in England verauktioniert627 . Das Objekt befindet sich heute im Museum Lüneburg (zum Zeitpunkt des Ankaufs Museum des Fürstentums Lüneburg)628. Wie auch der 1977 in London verauktionierte Tafelaufsatz unterlag dieser keinen Rechtsvorschriften des Kulturgüter- oder Denkmalschutzes, welche dem Verkauf entgegengestanden hätten. Im Gegensatz zum vorher genannten Objekt stammte dieser 1980 verkaufte Tafelaufsatz jedoch noch aus der Zeit der Regentschaft der Welfen in Hannover. Damit stand aus Sicht der Familie diesbezüglich nicht die Unterstützung „Welfentreuer“ im Exil im Vordergrund, sondern die Huldigung der Untertanen während der Regentschaft. Das Geschenk ist damit weniger als freiwillige Gabe denn als erwartete Abgabe zu verstehen. Dennoch weist auch dieser Verkauf auf gelockerte Bindungen zu Objekten mit Bezug zum ehemaligen Königreich Hannover hin. Der Ankauf durch eine öffentliche Einrichtung ermöglicht jedoch nun den Aufbau regionaler Bindungen. Ebenfalls im Jahr 1980 bot das Auktionshaus Sotheby’s in Genf ein im 18. Jahrhundert entstandenes Silberservice an, das Friedrich Wilhelm von Westphalen in seiner Funktion als Fürstbischof von Hildesheim erworben hatte629. Aus dem insgesamt wesentlich größeren Bestand erwarben der Silberhändler Helmut Seling sowie der Kunsthändler Albrecht Neuhaus jeweils etwa 120 Teile, welche sich heute im Bayerischen Nationalmuseum in München und dem Roemer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim befinden630. Eine Summe von 80.000 DM, welche durch die Friedrich626 Vgl. Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 64; vgl. Steckhahn, S. 202. 627 Vgl. Steckhahn, S. 202; ein weiterer Tafelaufsatz, ebenfalls durch Knauer & Lameyer hergestellt, wurde durch die Ostfriesische Landschaft zum gleichen Anlass übergeben. Dieser so genannte „Upstalsboom“ befand sich laut von Rohr 1999 in Schloss Marienburg, Weltkunst 03/1999, und laut Jahresbericht der Ostfriesischen Landschaft von 2009 noch im Besitz der Welfen, Ostfriesische Landschaft, Jahresbericht 2009, online abrufbar: http://www.ostfriesischelandschaft.de/fileadmin/user_upload/Struktur-der-OL/Doku mente/JB2009.pdf, S. 11. 628 Vgl. Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 64. 629 Vgl. Adamski, Heinz-Josef: Das Tafelsilber des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen, in: Die Diözese Hildesheim in Vergangenheit und Gegenwart. Zeitschrift des Vereins für Heimatkunde im Bistum Hildesheim, 49. Jahrgang, Hildesheim 1981, S. 65; der Einlieferer blieb unbekannt, vgl. Steckhahn, S. 159. 630 Adamski nennt eine Angebotssumme von Seling für 122 Stücke von 6,5 Mio. DM an das Bayerische Nationalmuseum München sowie 1,7 Mio. DM für das Main-FränkischeMuseum Würzburg sowie das Roemer-Pelizaeus-Museum Hildesheim, wofür jeweils ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde, Adamksi, S. 68; für den Ankauf des Hildesheimer Museums stellten das Land Niedersachsen sowie, gegen einigen Widerstand, auch die Stadt
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Weinhagen-Stiftung sowie das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst bereitgestellt wurde, ermöglichte während der Versteigerung den Ankauf von sechs Objekten (eine Wasserkanne mit Schüssel, eine Kaffeekanne, ein Milchkännchen, zwei Anbietschalen), die durch die Friedrich-Weinhagen-Stiftung als Leihgaben ins Roemer-Pelizaeus-Museum gelangten631. Etwa 370 Objekte, vorrangig Besteck, gelangten in Privatbesitz und wurden zum Teil verstreut632. Das Besteck wurde 1995 in Genf erneut angeboten und mit Hilfe der Siemens Kunststiftung für das Bayerische Nationalmuseum angekauft633. Eine Lavabogarnitur kam 2008 im Kunsthandel zum Verkauf und wurde durch das Bayerische Nationalmuseum erworben634 . Die Geschichte des Services begann Mitte des 18. Jahrhunderts: Als Friedrich Wilhelm von Westphalen 1763 sein Amt als Fürstbischof antrat, residierte er, im Gegensatz zu seinen Vorgängern, in Hildesheim und bemühte sich um die Ausstattung einer standesgemäßen Hofhaltung635: „Der neue Landesherr war von dem Bestreben erfüllt, mit einer glanzvollen Hofhaltung in Hildesheim selbst zu repräsentieren und somit – gerade nach der langen Abwesenheit eines am Ort selbst residierenden Souveräns – die Unabhängigkeit des Hochstifts endgültig zu demonstrieren. Eine solche Initiative war angesichts der latenten Gefahr der Säkularisation, insbesondere einer Einverleibung durch das benachbarte Kurfürstentum Hannover, durchaus naheliegend.“636
Zudem wollte er ein bleibendes Inventar für die fürstbischöfliche Residenz schaffen637. In diesem Zusammenhang erwarb er das umfangreiche silberne Tafelservice
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Hildesheim Gelder zur Verfügung. Des Weiteren spendeten einige Institutionen. Für den Ankauf in Bayern wurden ebenfalls öffentliche Gelder eingesetzt, die Angebotssumme wurde jedoch außerdem verringert, vgl. Adamski, S. 74; zur ausführlichen Ankaufsgeschichte vgl. Adamski, S. 70ff. Vgl. Adamski, S. 66 und S. 68. Walz 2007, S. 72; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 107. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 107; vgl. Weltkunst 13/2009: Nur für höchste Gäste, S. 44ff. Weltkunst 13/2009: Nur für höchste Gäste. Vgl. Walz 2007, S. 70; vgl. Adamski, S. 75; vgl. Nolte, Josef: Kontinuierliche Selbstverweltlichung. Skizzen zur Hildesheimer Domherrenkultur in der Endphase des geistlichen Fürstentums von 1750-1810, in: Boetzkes/Seelig, S. 37; „Zu seiner Zeit wurde das Hildesheimer Silberservice nicht als eine besondere, herausragende Augsburger Arbeit bewertet. Sie galt vielmehr als eine eher durchschnittliche, einem Duodezfürsten angemessene Anschaffung, die sich nicht mit entsprechenden Servicen der Kurfürsten-, Königsoder Kaiserhäuser messen lassen konnte und durfte.“, Walz 2007, S. 70 und S. 72; Faust vertritt diesbezüglich eine andere Meinung: „Das Service verlieh der fürstbischöflichen Tafel einen Glanz, der selbst an den benachbarten Höfen der mächtigen Welfen seinesgleichen suchte.“, Faust, Ulrich: Hildesheim als Residenz der letzten beiden Fürstbischöfe 1763-1825, in: Boetzkes/Seelig, S. 17. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 95. Das Inventar sollte also an die Position, nicht an die Person gebunden sein. Es umfasste neben dem Silberservice (welches jedoch 43% der dafür verwendeten Geldsumme aus-
538 | S AMMLUNGEN DES A DELS aus Augsburg638 . Eine Inventarisierung aus dieser Ankaufszeit erleichtert die Zuordnung der Einzelobjekte, die in ihrer Gestaltung nicht völlig homogen sind639 . Das Service wurde in der Folgezeit durch den nachfolgenden Fürstbischof (Franz Egon Freiherr von Fürstenberg) genutzt, auch nachdem das Hochstift Hildesheim an Preußen und schließlich an England gefallen war640. Nach seinem Tod gelangte es 1825 jedoch an das Königshaus Hannover641, wo es aufgrund der Abwesenheit Georgs (IV.) als König von Hannover und König von Großbritannien und Irland in Personalunion zunächst zwar inventarisiert, jedoch kaum genutzt wurde642 . Als Ernst August (I.) von Hannover 1837 die Königskrone übernahm, änderte sich dies: er ließ ausgewählte Teile mit der Gravur „EAR“ versehen643 und nutzte das Service für festliche
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machte) auch Kupfer, Zinn, Leinen, Nägel, Tapeten, Pferde, Kutschen und ein bischöfliches Ornat, Faust, S. 14f; vgl. Hofmann/Klingebiel, S. 46 und S. 48; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 95; vgl. Adamski, S. 75. „Zum Kernbestand der Augsburger Lieferung gehörten 3 kunstvolle Tafelaufsätze, 8 Terrinen, 64 unterschiedlich geformte Platten und Schüsseln, 2 Kredenzplatten, 2 Rechauds, 120 Teller, 72 Essbestecke sowie 36 Dessertbestecke, 6 Saucieren und 4 Weinkühler. Die Grundausstattung wurde durch einige Teile aus dem Familienbesitz des Fürstbischofs ergänzt. Zu nennen sind 4 Tischleuchter, 2 Kredenzplatten, eine Lavabogarnitur sowie eine Fontäne mit Becken. Nicht sicher geklärt ist die Herkunft von 8 mehrarmigen Leuchtern und 2 weiteren Terrinen. Vermutlich handelt es sich dabei teilweise auch um Geschenke. Im Gesamten umfasste das Service etwa 460 Stücke.“, Walz 2007, S. 70; vgl. Faust, S. 16; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 98; es wurde später ergänzt, so dass beim Verkauf 1980 ca. 600 Objekte angeboten wurden, die einen Preis von ca. 5 Mio. Franken erzielten, vgl. Walz 2007, S. 72; vgl. Adamski, S. 65; für ausführliche Informationen zur Ankaufsgeschichte durch Friedrich Wilhelm von Westphalen vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 96ff. Das Service wurde durch verschiedene Händler geliefert und durch Familienbesitz des Fürstbischofs ergänzt, vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 97; vgl. Adamski, S. 76; die Uneinheitlichkeit ergab sich auch aus der Mitarbeit zahlreicher Handwerker und die Ergänzung durch bereits fertige Objekte, die aufgrund der Zeitknappheit einbezogen wurden. Dies war kein ungewöhnliches Verfahren, Walz 2007, S. 70; das Geschirr zeigt Stempel aus drei Fertigungsperioden: 1759/61, 1761/63, 1763/65 und auch Faust weist darauf hin, dass bereits gefertigte Objekte für die Lieferungen verwendet wurden, vgl. Faust, S. 17. Vgl. Walz 2007, S. 72; vgl. Seelig, S. 99. „[...] das im Zuge der Durchführung des Reichsdeputationshauptschlusses vom Jahre 1803 nach dem Tode des letzten Hildesheimer Fürstbischofs Franz Egon von Fürstenberg im Jahre 1825 von der hannoverschen Regierung in Besitz genommen worden war.“, Adamski, S. 65; vgl. Faust, S. 15; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100; vgl. Baumstark, Reinhold/Boetzkes, Manfred: Vorwort, in: Boetzkes/Seelig, S. 9; vgl. Adamski, S. 76; vgl. Weltkunst 03/1999, S. 469. Vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100; weitere Objekte aus dem Besitz des Fürstbischofs wurden veräußert, vgl. Walz 2007, S. 72; dies war kein ungewöhnliches Vorgehen; vgl. Kapitel 3.4. Vgl. Adamski, S. 76; vgl. Walz 2007, S. 72.
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Anlässe644 . Seelig weist jedoch darauf hin, dass man das Silberservice nicht mit anderen Beständen vermischte, sondern als eigenen Komplex betrachete645. Nach der Annexion Hannovers durch Preußen wurde das Silberservice 1867 nach Österreich gebracht, da es als Teil der beweglichen Schlossausstattung Georg (V.) von Hannover zugesprochen worden war646. Ein Jahr später, zur Silberhochzeit Georgs (V.) und Maries von Hannover, wurden Teile des Services, zusammen mit anderen Silberobjekten in einem Schaubuffet gezeigt647 und „1889 zeigte Ernst August Herzog von Cumberland, der Sohn Georgs V. von Hannover, u.a. die drei Tafelaufsätze des Hildesheimer Services auf der großen Goldschmiedeausstellung im Wiener Palais Schwarzenberg.“648 Im Zusammenhang mit der Verauktionierung des Services 1980 gab das Haus Hannover eine Erklärung ab, die besagte, dass die Objekte bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts verkauft worden seien649. Dieser Zeitpunkt scheint nachvollziehbar, da aus finanziellen Gründen im Verlauf der 20er Jahre einige Silberverkäufe getätigt wurden. Innerhalb Österreichs stand diesen zudem keine Beschränkung durch Kulturgüter- und Denkmalschutz entgegen650. Laut Seelig wurden damals nur Teile veräußert, das Service jedoch zu einem nicht genannten Zeitpunkt nach London gebracht und dort aufbewahrt651 , und de Winter sieht den Zeitpunkt des Verkaufs um 1945652. Beides wäre ebenfalls möglich gewesen, wenn das Silberservice – gemeinsam mit dem „Welfenschatz“ und dem weiteren Vermögen – durch die oben erwähnte Vereinbarung mit der österreichischen Regierung ausgeführt worden wäre, was ab 1925 möglich war653. Entweder über Blankenburg und, im Zuge der Flucht, Schloss 644 Vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 645 Vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 646 § 7, Satz 1, Vermögensvertrag Hannover 1867; vgl. Walz 2007, S. 72; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 647 Vgl. Walz 2007. S. 72; vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 648 Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100; vgl. Walz 2007, S. 72. 649 Vgl. Walz 2007, S. 72; vgl. Steckhahn, S. 159; vgl. Adamski S. 65. 650 Adamski zitiert zudem einen Artikel der Süddeutschen Zeitung (13.11.1980: „Welfenhaus läßt Hildesheimer Tafelsilber von Sotheby [sic] versteigern/kein Veto aus Niedersachsen“), welcher einen Anbieter aus Österreich erwähnt sowie den Verwalter Fritz Hüttmayer der Cumberland-Stiftung in Gmunden, welcher seit langem im Dienst sei und das Silber nicht kenne. Er nennt jedoch auch Hinweise, die einen Verbleib des Services bis in die 70er Jahre in Schloss Marienburg stützen, vgl. Adamski, S. 68. 651 Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 652 Zusammen mit der Münzsammlung sowie der Handschriftenbibliothek, de Winter, S. 153. 653 Adamskis Aussage, „Zweifelhaft erscheint, daß die österreichische Regierung – angesichts der in ihrem Lande streng gehandhabten Gesetze hinsichtlich der Ausfuhr von Kunstgut – die Genehmigung erteilt hat, einen Silberschatz von so hoher Qualität außer Landes zu bringen.“, Adamski, S. 68, ist in diesem Zusammenhang zu widersprechen, da diese Genehmigung auch für den „Welfenschatz“ erteilt wurde und zudem eine Überführung von Kulturgut im Zusammenhang mit einer Verlegung des Wohnsitzes nach Blan-
540 | S AMMLUNGEN DES A DELS Marienburg oder zu einem früheren Zeitpunkt hätte es nach England gelangt sein können654. Da das Silber allerdings 1843 in einen Fideikommiss eingebracht worden war655 , ist ein Verkauf nur zwischen 1922 und 1938/1939 ohne gerichtliche Zustimmung möglich gewesen. Ebenso konnte dieser nach 1968 wieder durchgeführt worden sein, dann allerdings nur „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Kultusministerium (ab 1974 dem Niedersächsischem Ministerium für Wissenschaft und Kunst, ab 1990 für Wissenschaft und Kultur). Da das Service nicht in die Liste national wertvoller Objekte eingetragen war, könnte es außerdem – unabhängig vom Verkaufszeitpunkt durch die Welfen – zu einem unbekannten Zeitpunkt in die Schweiz verbracht worden sein656. Bis zur Versteigerung des Silberservices war dieses der Öffentlichkeit zudem nicht bekannt. Erst im Zuge der Sotheby’s Auktion 1980 entstand das Interesse, die Objekte für die Allgemeinheit zu erlangen und zu bewahren. Auch in Hildesheim erwachte der Wunsch, dieses für die Stadt zu erhalten, wozu jedoch die finanziellen Mittel fehlten. „OB Klinge hatte inzwischen einen Vorstoß beim Niedersächsischen Ministerpräsidenten Dr. Albrecht unternommen, den er bat, die Rechtslage prüfen zu lassen und gegebenenfalls eine einstweilige Verfügung gegen die Versteigerung des fürstbischöflichen Tafelsilbers zu erwirken. Seiner Meinung nach sei das im Verlauf der Säkularisation enteignete Kirchengut nicht in den Besitz des Welfenhauses, sondern des Königreiches Hannover gekommen. Rechtsnachfolger des Königreiches aber sei heute das Land Niedersachsen.“657
Angesichts der Tatsache, dass bis zum Zeitpunkt des Verkaufs kein Interesse an diesem Service bestanden hatte, welches zur Erforschung des Standortes sowie zu einer Prüfung möglicher anwendbarer Kulturgüter- oder Denkmalschutzmaßnahmen hätte führen können658, erscheint dieses Vorgehen wenig nachvollziehbar. Es deckt sich jedoch mit der verbreiteten Meinung, Adelshäuser seien zu Unrecht Eigentümer von
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kenburg möglich wurde; des Weiteren schreibt er: „In seiner Eigenschaft als britischer Staatsbürger habe Prinz von Hannover den Schatz, ohne mit den geltenden deutschen Gesetzen in Konflikt zu geraten, in die Schweiz – ob auf dem Umwege über das Fürstentum Monaco? – überführen lassen können.“, Adamski, S. 68; auch diese Aussage zeugt von geringer Kenntnis der rechtlichen Bestimmungen des Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes, da eine Ausfuhr ohnehin nur dann problematisch gewesen wäre, wenn das Service Bestandteil der Liste national wertvoller Kulturgüter gewesen wäre, was jedoch nicht der Fall war. Im Gegensatz zu weiteren Verkäufen spielt die Frage nach dem Verkaufszeitpunkt in der Literatur zum Silberservice eine völlig untergeordnete Rolle. Weltkunst 03/1999, S. 469. Seit 1919 galt die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, vgl. Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919, und ab 1955 das Gesetz zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, vgl. KultgSchG. Adamski, S. 65; diese Frage erübrigt sich, da das Service – wie erwähnt – 1867 per Gesetz Georg (V.) von Hannover als Privatbesitz zugesprochen wurde. Bei entsprechenden Recherchen zu Besitztümern Friedrich Wilhelms von Westphalen wäre die Existenz des Bestandes nachvollziehbar gewesen.
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Sammlungsbeständen. Maßnahmen der Denkmalpflege, wie Forschungsaufträge oder Inventarisierungen, resultieren aus dieser Haltung selten, da diese erst dann angestoßen werden, wenn entsprechende Objekte veräußert werden sollen. Je nach Verkaufszeitpunkt des Objektverbandes sind die Auswirkungen auf die Sammlungen der Welfen stärker oder schwächer einzustufen: Bei einem Verkauf in den 20er Jahren sind diese geringer zu bewerten als bei einem Verkauf 1980. Da es sich bei der Inbesitznahme des Services im 19. Jahrhundert nicht um einen bewussten Erwerb, eine Auftragsarbeit oder ein familiäres Erbe handelte, waren die Bindungen zunächst wenig ausgeprägt. Dies wird bestätigt durch die zunächst geringe Nutzung, was sich erst einige Jahre später durch Ernst August (I.) von Hannover und die von ihm in Auftrag gegebene Gravur einiger Teile änderte. Das Service übernahm seitdem repräsentative Aufgaben, blieb jedoch als Bestandteil der Silberkammer immer auch Finanzreserve. Wie bereits mehrfach erwähnt, waren die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts von finanziellen Schwierigkeiten geprägt, so dass ein Verkauf zu dieser Zeit vor allem als Nutzung (und gleichzeitig notwendige Reduzierung) dieses finanziellen Rückhaltes zu werten ist. Wäre jedoch das Service nach dem Tod Ernst Augusts von Cumberland durch Ernst August (III.) von Hannover zunächst nach Blankenburg und schließlich 1945 in das Schloss Marienburg überführt worden, hätte es als Bestandteil der wechselvollen Geschichte der Welfen im 20. Jahrhundert stärkere Bindungen zu den mittlerweile insgesamt reduzierten Sammlungsbeständen entwickelt. Zudem hätte es in diesem Zusammenhang als Zeichen der ehemaligen politischen Macht der Familie in ihrer Funktion als Könige von Hannover fungiert. Ein Verkauf zu diesem Zeitpunkt wäre damit als weitere Lösung der Familie von ihrer historischen Position zu werten. Dass der Schwerpunkt der historischen Bindungen jedoch tatsächlich auf dem Erwerb des Services durch Friedrich Wilhelm von Westphalen in seiner Position als Fürstbischof von Hildesheim liegt, spiegelt sich auch im Ankaufsinteresse Hildesheimer Museen wider, während in Hannover folgerichtig kaum Interesse an einem Erwerb entstand659. Obwohl die Zerschlagung des Services durch die Auktion 1980 zu einem dauerhaften Verlust von Ding-Ding-Bindungen führte und Ding-Mensch-Bindungen zum Gesamtbestand daher heute nicht mehr möglich sind660 , führte die Überführung großer Bestände in institutionelle Sammlungen erstmals zu längerfristigen Bindungsmöglichkeiten für die Allgemeinheit. Die noch immer große Anzahl der Einzelobjekte erleichtert diese Bindungen und steigert zudem den (kunst-)historischen Wert der Gesamtmenge: „Das Hildesheimer Tafelservice kann als das weitaus vollständigste unter den erhaltenen Augsburger Silberservicen des 18. Jahrhunderts gelten.“661 Das Service war jedoch bis zum Verkauf nicht im Gedächtnis der Allgemeinheit gewesen 659 Auch in der Literatur spielt der Besitz durch die Welfen nur eine untergeordnete Rolle, was deutlich macht, dass historisch dem Hildesheimer Fürstbischof wesentlich stärkere Bindungen zugeschrieben werden als der Welfenfamilie; das Interesse des Bayerischen Nationalmuseums ist dagegen kunsthistorisch durch die Fertigung in Augsburg begründet. 660 Laut Adamski wurde die Entscheidung, das Service nicht als Ganzes anzubieten, erst kurz vor der Auktion getroffen, Adamski, S. 66. 661 Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 95; vgl. Walz 2007, S. 72; vgl. Seelig: Augsburger Tafelservice des 18. Jahrhunderts, S. 85.
542 | S AMMLUNGEN DES A DELS und rückte erst durch diesen ins Interesse der Öffentlichkeit662. Es „[...] wurde ein deutsches Tafelsilber des Rokoko, vorwiegend Augsburger Provenienz angeboten, das es in einer solchen Reichhaltigkeit und Qualität nirgendwo mehr gibt, und von dessen Vorhandensein niemand wußte.“663 Auch Seelig betont den Aspekt der Vollständigkeit: „Dank der Vereinbarung des Jahres 1802 und des späteren Übergangs an das Welfenhaus, das im 19. Jahrhundert den wohl umfangreichsten Silberbestand in Deutschland sein eigen nannte, blieb das vormals hildesheimische Service – neben dem Bamberger Service – als einziges fürstbischöfliches Tafelsilber in wesentlichen Teilen erhalten.“664
Durch einen Vergleich des Inventars von 1763-65 mit dem Auktionskatalog von 1980 ist dies nachvollziehbar665. Baumstark/Boetzkes weisen darauf hin, dass die erworbenen Teile des Silberservices in Hildesheim und München verschiedene Funktionen erfüllen: während der Besucher in Hildesheim Bindungen über die Rückführung an seinen ursprünglichen Bestimmungsort sowie die Einbindung in die historische Entwicklung von Stadt und Hochstift entwickeln kann, betont die Münchener Sammlung den kunsthistorischen Aspekt und die Goldschmiedekunst Augsburgs666 . In einer Sonderausstellung zum 2000jährigen Stadtjubiläum Augsburgs war es 1985 zudem möglich, das Service in Form einer Rekonstruktion seiner ehemaligen Funktion als Tafelservice zu betrachten667 , was einerseits – wenn auch zeitlich begrenzt – Ding-Ding-Bindungen und andererseits, durch die Betonung des ursprünglichen Kontextes, das Entstehen von Ding-Mensch-Bindungen begünstigte sowie auf ehemalige Bindungen durch Nutzung hinwies: „Das Hildesheimer Ensemble ist als künstlerisches wie als funktionales Gebilde allein unter dem Gesichtspunkt seiner Verwendung adäquat zu erfassen. Den generellen Rahmen der Benutzung wie der Aufstellung auf der Tafel bildete der ‚Service á la francaise‘, der gegen Ende des 17. Jahrhunderts am Hof Ludwigs XIV. aufkam und bis zum frühen 19. Jahrhundert insbesondere das höfische Tafelzeremoniell bestimmte.“668
662 Vgl. Baumstark/Boetzkes, S. 6. 663 Adamski, S. 65. 664 Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100; „Seinerzeit Ausdruck für die Prachtentfaltung eines eher bescheidenen Fürstenhofes, ist das von Einschmelzungen und Zerstörung weitgehend verschonte Hildesheimer Silberservice heute das einzige in sich geschlossene und im Kern komplett erhaltene Belegstück für die Blütezeit höfischer Tischsitten.“, Weltkunst 13/2009: Nur für höchste Gäste. 665 Vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 100. 666 Baumstark/Boetzkes, S. 6. 667 Vgl. Baumstark/Boetzkes, S. 6. 668 Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 102; Seelig beschreibt ausführlich, wie das Service gedeckt und genutzt wurde, was auch Auswirkungen auf dessen heutigen Zustand hat, beispielsweise wurde nur eine kleine – direkt dem Fürstbischof zugehörige – Tafel mit dem kostbaren Service gedeckt, so dass nur wenige
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Darüber hinaus kam es zu weiteren Ausstellungen 1988 im Rahmen der Kunst- und Antiquitätenmesse in Hannover, 1994 im Bayerischen Nationalmuseum und schließlich 1995 im Roemer-Pelizaeus-Museum in Hildesheim669. Der Verkauf des Silberservices Friedrich Wilhelms von Westphalen hat damit zwar zum Verlust ständiger Ding-Ding-Bindungen des Gesamtbestandes geführt, gleichzeitig jedoch die Bedeutung derartiger Silberbestände im Zusammenhang mit dem Amt des Fürstbischofs, mit der Person Friedrich Wilhelms von Westphalen, im Rahmen der Säkularisation und als Repräsentations- sowie Finanzmittel der Welfen für die Allgemeinheit deutlich werden lassen. Diese Bedeutung konnte/kann durch die Wissenschaft weiter untersucht und veröffentlicht werden. Nach dem Tod Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg Ende 1980 kam es zu mehreren Versteigerungen von Schmuck sowie Büchern, Postkarten und Fotografien aus ihrem Nachlass durch das Auktionshaus Exner in Hannover sowie das Antiquariat Brandes in Braunschweig670. Des Weiteren wurden einige Kleidungsstücke und Silberobjekte dem Braunschweigischen Landesmuseum angeboten671 und Erinnerungsstücke an Personen ihrer Umgebung verteilt672. Diese Verkäufe und Abgaben sind als typisches Vorgehen nach dem Tod eines Familienmitglieds zu werten. All diese Objekte unterlagen keinerlei Kulturgüteroder Denkmalschutzbestimmungen und wurden auf dem freien Kunstmarkt veräußert.
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Platten starke Gebrauchsspuren aufweisen, vgl. Seelig: Katalog des Tafelservices des Hildesheimer Fürstbischofs, S. 103f. Baumstark/Boetzkes, S. 8. Durch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg war der Anwalt Dr. Hans Merkel mit der Nachlassverwaltung beauftragt, ihre Kinder waren über diese Vollmacht informiert, Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 14. November 1980, unveröffentlichter Privatbesitz; eine Auktion durch das Auktionshaus Exner veräußerte vorrangig Hausrat im Wert von 20 - 2.500 DM, Exner, Roland A.: Abrechnung, Hannover, 16. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz; weitere Auktionen boten Schmuck und Kleinobjekte an, Auktionskatalog Exner 1981: Versteigert werden die gesamten Juwelen aus dem Privatbesitz Ihrer Königlichen Hoheit Viktoria Luise Herzogin zu BraunschweigLüneburg, Prinzessin von Preußen, Tochter des letzten deutschen Kaisers, 11. Dezember 1981; Exner, Roland A.: Versteigerungsvertrag, Hannover, 16. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz; Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 30. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz; Auktionskatalog Brandes 1981: Sonderauktion am Sonnabend, 24. Oktober 1981, Brandes: Nachlass-Bibliothek I.K.H. Viktoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Prinzessin von Preussen (1892-1980). Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 22. April 1981, unveröffentlichter Privatbesitz; Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 16. Juni 1981, unveröffentlichter Privatbesitz; die Presse berichtete über den Ankauf von silbernem Spielzeug durch das Braunschweigische Landesmuseum und über Interesse des Historischen Museums Hannover, Einzelobjekte durch die Auktion zu erwerben, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26./27. September 1981: Jäckel, Christine: Auch über den Miederknüpfer ist die Zeit hinweggegangen. Bei einer Auktion kommt der Kleinkram unter den Hammer. Borek, S. 116f.
544 | S AMMLUNGEN DES A DELS Wenn auch jede Abgabe den Verlust persönlicher Bindungen bedeutet, hatten diese Verkäufe auf die Sammlungen der Welfen keine Auswirkungen. Abbildung 19: Durch das Auktionshaus Exner verauktionierte GrandelnBrosche aus dem Nachlass Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Der persönliche Besitz einzelner Familienmitglieder wurde streng von dem des Hauses getrennt, wobei nur letzterer von Interesse für Ernst August (IV.) von Hannover als Chef des Hauses war673 . Die Auktionen zeigten jedoch ein Interesse der Öffentlichkeit am Erwerb von Objekten aus Adelsbesitz, wobei in diesem Fall die Beliebtheit Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg ein weiterer Ankaufsreiz gewesen sein wird. Zu vergleichen mit den Verkäufen der Tafelaufsätze in den Jahren zuvor, ist ein weiterer Silberverkauf: im englischen Kunsthandel kam 1981 ein silbervergoldeter Münzhumpen aus dem 17. Jahrhundert zum Verkauf, der vermutlich als Geschenk zum 80. Geburtstag Augusts (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel übergeben worden war. 1983 wurde dieser durch das Braunschweigische Landesmuseum erworben674 . Der Verkauf ist in eine Reihe von Veräußerungen einzelner Objekte einzuordnen, die einerseits eine stetige finanzielle Einnahmequelle darstellten und andererseits als Entsammlungsmaßnahmen verstanden werden können. Die Veräußerung auf dem 673 In der Presse wurde dies fälschlicherweise als Desinteresse gewertet, beispielsweise berichtete Frau im Spiegel „Herzogin Viktoria Luises Schmuckkoffer lag im Safe einer Bank in Braunschweig. Das Haus Hannover zeigte kein Interesse.“, Frau im Spiegel, 11. Dezember 1981: Herzogin Viktoria Luise. Das Erbe der Kaisertochter brachte kein Glück; in einer weiteren Ausgabe der Zeitschrift wird Ernst August zitiert, er wolle „den Plunder“ nicht haben, Frau im Spiegel, o.J. [1981]: Domin, Franc: Viktoria Luise – ihr Nachlass wird jetzt versteigert; dies berichtete auch die FAZ, FAZ, 6. Oktober 1981: Fetische. 674 Vgl. Steckhahn, S. 202f.
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freien Kunstmarkt bietet diesbezüglich die besten Möglichkeiten. Beschränkungen durch Richtlinien des Kulturgüter- oder Denkmalschutzes bestehen für diese Objekte in der Regel nicht. Einzeln genommen bedeutet die Abgabe keine wesentliche Veränderung in den Sammlungen der Welfen. Die kontinuierliche Trennung von Objekten, welche ehemals als Geschenke verehrt worden waren, macht jedoch stark geschwächte Bindungen zu diesem Teil der Familiengeschichte deutlich: über ein halbes Jahrhundert nach dem Verlust der letzten Regentschaft und über ein Jahrhundert nach dem Verlust des Königreiches Hannover scheinen die Huldigungsbezeugungen ehemaliger Untertanen ihre Funktion als Mittel sozialen Verhaltens sowie als Teile einer Erinnerungskultur verloren zu haben. Durch die Möglichkeit, einige Jahre später über den Kunstmarkt das Objekt für die Allgemeinheit zu erwerben, wurde die Sammlung des Braunschweigischen Landesmuseums dagegen um ein weiteres Element der Regionalgeschichte bereichert. Ebenfalls 1981 versteigerte Christie’s in London einen Prunkharnisch675, der sich im Besitz Friedrich Ulrichs Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel befunden hat und später von seinem jüngeren Bruder Christian Herzog zu Braunschweig und Lüneburg Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel getragen wurde. Der Harnisch wird auf die Zeit um 1610 datiert und war ein Geschenk eines walisischen Prinzen für den Braunschweigischen Herzog. Er wurde von Ronald Lauder für dessen Privatsammlung erworben, in welcher er sich noch immer befindet676 . 2012 wurde die Rüstung bei einer Ausstellung von „Highlights“ aus Lauders Sammlung in der Neuen Galerie in New York gezeigt677. Der Harnisch war nicht in die Liste national wertvoller Kulturgüter eingetragen, war jedoch vermutlich Bestandteil der gebundenen Vermögensmasse und muss daher, wenn er nicht bereits vor 1938/1939 durch die Welfen veräußert wurde, entweder mit gerichtlicher Erlaubnis oder ab 1968 „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Kultusministerium (ab 1974 Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst, ab 1990 für Wissenschaft und Kultur) verkauft worden sein. Bereits 1950 wurden beim Verkauf durch das Auktionshaus Hünerberg Militaria verkauft. Die Bindungen zu diesem sehr umfangreichen Teil der welfischen Sammlungen waren vermutlich nach dem Verlust des Schlosses Blankenburg, wo Teile dieses Sammlungsbereichs ihren festen Platz eingenommen hatten, geringer geworden und hatten anschließend weiter abgenommen. Dennoch ist der Verkauf eines Objektes, das nachweislich durch einen Vorfahren getragen worden war und welches zudem in einem Porträtgemälde identifizierbar ist, als Verlust für die Sammlungen anzusehen. Sowohl in seiner Funktion als Prunkharnisch, als auch als Erbstück, das erneut getragen wurde, war es Mittel sozialen Verhaltens gewesen. In späterer Zeit hat es als Teil der Waffensammlung repräsentative Aufgaben übernommen und hätte 675 Auktionskatalog Christie’s 1981: Important Antique Arms and Armour, 18. November 1981, London. 676 Laut diversen Internetseiten betrug der Kaufpreis 418.000 GBP, vgl. How to spend it: http://howtospendit.ft.com/arts-giving/7868-armour; Blou in art info: http://blouinartinfo. com/news/story/272223/armor-and-the-man. 677 Vgl. Architectural Digest, Dezember/Januar 2012: Viel Glanz, viel Gloria, S. 126.
546 | S AMMLUNGEN DES A DELS in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts sowohl Teil der Erinnerungskultur als auch im Rahmen einer öffentlichen Ausstellung erneut Mittel sozialen Verhaltens sein können. Durch seine Qualität und seine europäische Herkunft ist der Verkauf in eine Privatsammlung in den USA auch als Verlust für die Allgemeinheit zu betrachten, der zwar durch jede öffentliche Ausstellung gemildert, aber nicht aufgehoben wird. 1983 kam es zum Verkauf der welfischen Münzsammlung, bestehend aus über 40.000 Münzen und Medaillen, an die Deutsche Bank678. 2010 übernahm schließlich das Land Niedersachsen die Sammlung679 . Die Sammlung ging zurück auf den Ankauf von Teilen der Münzsammlung des Abtes von Loccum Mitte des 18. Jahrhunderts durch die Welfen in Hannover680. Die erfolgte Angliederung an die Bibliothek macht deutlich, dass der Ankauf nicht in erster Linie der Erweiterung des Schatzes als Bestand finanzieller Sicherheit diente, sondern Instrument und Quelle der welfischen Geschichtsforschung war681. Nach kriegsbedingten Auslagerungen fand die Münzsammlung ihren Platz im Welfenmuseum, was erneut deren geschichtsbetonten Zweck verdeutlichte682. Wie auch „Welfenschatz“ und „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ wechselte die Münzsammlung 1867 ihren Standort nach Österreich. Erst 1907 kam es jedoch zur Einrichtung eines Münzkabinetts in Penzing, welches auch wissenschaftlich betreut und vergrößert wurde683. Mit dem Verkauf der Villa in Penzing mussten die Bestände erneut umziehen und wurden nach Gmunden verbracht684. Zu diesem Zeitpunkt lehnten die Welfen ein erstes Verkaufsangebot ab685. In den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Teile aus diesem Bestand, bei denen es sich allerdings vorrangig um Dubletten handelte, veräußert. Durch die, im Zusammenhang mit dem Verkauf des „Welfenschatzes“ beschriebenen, Verhandlungen mit den österreichischen Denkmalschutzbehörden war eine Ausfuhr nach Deutschland im Zusammenhang mit dem Umzug nach Blankenburg möglich. Von dort gelangte die Münzsammlung schließlich 1945 ins Schloss Marienburg686. Da die Deutsche Bank die Bestände der Öffentlichkeit zugänglich machte, war der Verkauf ohne behördliche Einschränkungen möglich. Auch eine Eintragung 678 Vgl. Leschhorn 2007, S. 81; vgl. Steckhahn, S. 203; vgl. Welt online, 12. Februar 2010: Dittmar, Peter: Kunst und Börse haben vieles gemeinsam. Heute versucht Lehman Brothers, ihre Sammlung zu Geld zu machen. Mit trüben Aussichten; de Winter datiert den Verkauf, gemeinsam mit dem Verkauf des Hildesheimer Tafelsilbers sowie der Handschriftenbibliothek auf 1945, de Winter, S. 153. 679 Vgl. Die Welt berichtete über einen Verkaufspreis 1983 von 16,2 Mio. DM sowie 5 Mio. Euro 2010, Welt online, 12. Februar 2010. 680 Vgl. Leschhorn 2007, S. 80. 681 Vgl. Leschhorn 2007, S. 80. 682 Während des Siebenjährigen Krieges war die Sammlung in Stade untergebracht, kam 1803 in die Bank of England und schließlich 1816 zurück nach Hannover, wo sie 1862 eigenständiger Teil des Welfenmuseums wurde, vgl. Leschhorn 2007, S. 80. 683 Durch Eduard Fiala, vgl. Leschhorn, S. 81; vgl. Steckhahn, S. 68. 684 Vgl. Steckhahn, S. 68. 685 Leschhorn 2007, S. 81. 686 Vgl. Leschhorn 2007. S. 81.
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in die Liste national wertvoller Kulturgüter änderte nichts an der Veräußerungsmöglichkeit innerhalb Deutschlands, verhindert aber seitdem die Zerschlagung der Sammlung687. Aufgrund der wiederhergestellten öffentlichen Zugänglichkeit war der Verkauf grundsätzlich für die Allgemeinheit von Vorteil. Für die Sammlungen der Welfen bedeutete er jedoch starke Einbußen. Das Münzkabinett gehörte zu denjenigen Sammlungsteilen, die über eine lange Zeit bis ins 20. Jahrhundert hinein von einer lebendigen Sammeltätigkeit geprägt waren und sogar noch zu dieser Zeit vergrößert wurden. Die Sammlung war vom Zeitpunkt der ersten Ankäufe an mit der Geschichte der Welfen verbunden und trug zu deren Dokumentation und Erforschung bei. Allein diese Tatsache führte zu zahlreichen Bindungen, welche durch die Nähe der Objekte zum Wohnort der Familie, sowohl in Gmunden als auch in den Schlössern Blankenburg und Marienburg, gefördert wurden. Der Verkauf ist ein deutliches Zeichen für eine Abkehr welfischer Geschichtsförderung. Die Frage nach dem Zeitpunkt des Verkaufs ist wesentlicher Bestandteil der Diskussionen um den Verkauf des so genannten „Evangeliar Heinrichs des Löwen“. Dieses kam im Winter 1983 zur Auktion durch Sotheby’s in London688 und wurde für 32,5 Mio. DM gemeinsam von den Ländern Niedersachsen und Bayern sowie der Stiftung Preußischer Kulturbesitz angekauft689. Laut Spiegel handelte es sich um „ein außergewöhnliches Kunstmarktereignis“, da „eine mittelalterliche Handschrift dieses Werts [...] in Auktionssälen wohl noch nie gesehen worden“690 war. Der Ankauf kam unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit zustande, während gleichzeitig der hohe Ankaufspreis stark kritisiert wurde691 . Nach Überlegungen zu einem geeigneten Aufbewahrungsort fiel die Wahl schließlich auf die Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel692, wo es sich seitdem befindet. „Das Evangeliar Heinrichs des Löwen, der von dem Mönch Hermann angefertigte fulgens auro liber, ist in dem im 12. Jahrhundert kulturgeschichtlich bedeutenden Benediktinerkloster Helmarshausen [...] im Auftrag des Herzogs entstanden.“693 Es wird um 1188 datiert und mit der Weihe des Marienaltars der Stiftskirche St. Blasius 687 Leschhorn 2007, S. 81; die 2008 in der Presse wiedergegebenen Bedenken, die Sammlung könne zerschlagen werden, haben sich daher nicht erfüllt, vgl. Welt online, 1. Dezember 2008: Banken. Soll Niedersächsisches Münzkabinett verkauft werden?; vgl. Datenbank national wertvollen Kulturgutes: http://www.kulturgutschutz-deutschland.de/DE/ 3_Datenbank/Kulturgut/Niedersachsen/09703.html?nn=1003270&block=AllesDruckvers ion. 688 Vgl. de Winter, S. 153; vgl. Schmidt, S. 131; der Schätzpreis lag bei 2 - 4 Mio. GBP, vgl. Spiegel 49/1983: Kunstmarkt: Blitzend von Gold. 689 Vgl. Spiegel 23/1986: Niedersachsen. Schöner Gegenstand. 690 Spiegel 49/1983. 691 Vgl. Klössel, Barbara: Das Evangeliar Heinrichs des Löwen – Zur Eigentumsgeschichte, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 96; Luckhardt bezeichnet sowohl den Verkauf des Evangeliars als auch des Hildesheimer Tafelsilbers als Verkäufe, die starkes Aufsehen erregten, Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 16. 692 Vgl. Klössel, S. 98. 693 Schnath, S. 179.
548 | S AMMLUNGEN DES A DELS in Braunschweig in Verbindung gebracht694. Durch fünfzig ganzseitige Miniaturen sowie 1.200 Initialen gehört die Handschrift zu den am kostbarsten ausgestatteten Büchern des Mittelalters695 . Das Evangeliar hatte sich seit dem 16. Jahrhundert im Prager Domkapitel befunden696 und war 1861 von Georg (V.) von Hannover, der sich stark für die Zeit des Mittelalters interessierte, angekauft worden697. Zudem betonten seine Berater den Wert der Handschrift für die Geschichte der Welfen698. „Indem der König für den Ankauf des Evangeliars Mittel der Kronkasse verwandte, erwarb er es zu seinem privaten Eigentum.“699 Laut Schnath bezeichnete er es als „herrlichen Schatz“700 und ließ es gemeinsam mit dem „Welfenschatz“ in der Schlosskirche in Hannover aufbewahren701. Diese Entscheidung wurde möglicherweise auch davon beeinflusst, dass der originale Buchdeckel in Prag gegen den heutigen Deckel ausgetauscht worden war, welcher Reliquien enthält702, und somit eine Verbindung zum Reliquienschatz herstellte. Gemeinsam mit diesem befand sich das Evangeliar seit 1862 im Welfenmuseum, wo es besichtigt werden konnte und wissenschaftlich betreut wurde703. Im Zuge der Absetzung Georgs (V.) von Hannover wurde ihm das Evangeliar als Privateigentum zugesprochen704. Man überreichte es Marie von Hannover persönlich im Schloss Marienburg und sie führte es auf ihrer Reise ins Exil 1867 mit sich nach Österreich705. Vermutlich wurde es 1868 zur Silberhochzeit gemeinsam mit dem „Welfenschatz“ gezeigt, wurde jedoch ab 1869 nicht mit diesem an das Museum für Kunst und Gewerbe in Wien verliehen706. Der Verwahrung – zunächst in Penzing und später in Gmunden – schenkte man besondere Aufmerksamkeit707 .
694 Vgl. Schnath, S. 183. 695 Vgl. Schnath, S. 184. 696 Vgl. Klössel, S. 98; es ist unklar, wie es von Braunschweig nach Prag gekommen war, möglicherweise befand es sich dort bereits seit Ende des 15. Jahrhunderts, vgl. Schnath, S. 187ff. 697 Georg Culemann führte den Ankauf für Georg (V.) von Hannover durch, vgl. Klössel, S. 98; für eine ausführliche Beschreibung der Ankaufsgeschichte vgl. Schnath, S. 195ff; Schnath nennt einen Ankaufspreis von 10.000 Talern, welche aus der Kronkasse gezahlt wurden, Schnath, S. 200 und S. 204. 698 Vgl. Schnath, S. 199. 699 Schnath, S. 208. 700 Schnath, S. 204. 701 Vgl. Schnath, S. 204 und S. 213. 702 Vgl. Schnath, S. 184ff. 703 Für den Reliquienschatz – und damit auch für das Evangeliar – galt allerdings eine eigene Besucherordnung, zudem war das Evangeliar in einer abschließbaren Kassette verwahrt, vgl. Schnath, S. 216f. 704 Vgl. Klössel, S. 98; vgl. Schnath, S. 217 und S. 225. 705 Vgl. Schnath, S. 225ff. 706 Vgl. Schnath, S. 228 und S. 231. 707 Es wurde sowohl durch die verschließbare Kassette als auch später durch einen Panzerschrank geschützt und wissenschaftlich sowie konservatorisch betreut, vgl. Schnath, S. 231f.
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„Durch die Publikation von Neumann [welche 1890 erschien und sich mit dem ‚Welfenschatz‘ befasste, Anm. U.S.] gelangte auch das Evangeliar stärker ins Bewußtsein der Öffentlichkeit. Der Herzog von Cumberland hat diese Tendenzen gefördert, indem er Wissenschaftlern den Zugang zu der Handschrift erlaubte und Neumanns Absicht, eine kunsthistorische Untersuchung und Faksimileedition vorzulegen, unterstützte.“708
In den 20er und frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts kam es zu einer erneuten wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Evangeliar709 , in den folgenden Jahrzehnten wurde dessen Aufenthaltsort dagegen nicht mehr bekannt gegeben710 . „Bis zu seiner Auktionierung galt der Codex als wichtigste deutsche Handschrift in Privatbesitz [...]“711. Trotz vieler Spekulationen bleibt unklar, ob das Evangeliar zum Zeitpunkt des Verkaufs Eigentum der Welfen war und ob es zu Unrecht aus Deutschland ausgeführt wurde712 . Der Verkauf durch Sotheby’s war für das Auktionshaus auch im Falle einer illegalen Ausfuhr aus Deutschland legal, da der Verkauf geschmuggelter Gegenstände in Großbritannien nicht verboten ist und der Verstoß gegen ausländische Exportbestimmungen nicht verfolgt wird. Aschoff sieht in diesem Verkauf 1983 „einen Höhepunkt“ der seit den 20er Jahre verstärkten Veräußerungen von Kulturgut durch die Welfen713 und auch Steckhahn erwähnt das Jahr 1983 als Jahr des Verkaufs durch die Familie714. Es gibt jedoch diverse, sich zum Teil ähnelnde, jedoch in Details unterscheidende Vermutungen zum Verkaufszeitpunkt, die hier kurz dargestellt werden sollen. Zum Zeitpunkt der Verauktionierung war beispielsweise davon die Rede, das Evangeliar sei 1945 im Zusammenhang mit der Flucht aus Blankenburg und dem Umzug in das Schloss Marienburg nach England gebracht und an englische Verwandte verpfändet worden715 . De Winter geht dagegen davon aus, dass es sich bis 1935 in jedem Fall im Eigentum der Welfen befand und vor 1938 zunächst in die Schweiz und von dort nach England gebracht wurde716 . Dort sei es dem British Museum bereits 1945 angeboten worden,
708 Schnath, S. 234; es wurden Fotografien angefertigt, welche auf Anfrage 1906 auch Hannover zur Verfügung gestellt wurden, vgl. Schnath, S. 235. 709 Vgl. Klössel, S. 96; vgl. Schnath, S. 245; vgl. Spiegel 49/1983; vgl. Die Zeit, 6. Mai 1977. 710 Vgl. Klössel, S. 96; vgl. Schnath, S. 246; vgl. Die Zeit, 6. Mai 1977. 711 Klössel, S. 96. 712 Die vorliegende Arbeit möchte diesbezüglich (wie auch in Bezug auf andere hier vorgestellte Verkäufe) keine „Kriminalarbeit“ leisten. Im Vordergrund steht die Darlegung einer Entwicklung von Verkäufen aus Adelsbesitz, welche sowohl die für den Adel spürbaren rechtlichen und gesellschaftlichen Veränderungen als auch die jeweils gültigen rechtlichen Vorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes mit einbezieht. 713 Aschoff, S. 287. 714 Vgl. Steckhahn, S. 203. 715 Der Buckingham Palast soll eine Beteiligung bestätigt haben, ohne weitere Auskünfte zu erteilen, vgl. Klössel, S. 98; vgl. Spiegel 23/1986; der Spiegel berichtete im Zusammenhang mit der Auktion, der Einlieferer sei ein Personenkreis, der das Evangeliar direkt nach dem Zweiten Weltkrieg erworben habe, Spiegel 49/1983. 716 De Winter, S. 152f.
550 | S AMMLUNGEN DES A DELS 1965 habe es sich jedoch im Besitz Friederikes von Griechenland befunden717 . Schmidt stellt fest: „[Es] spricht vieles dafür, dass der Herzog nicht davor zurückgeschreckt ist, das Evangeliar dennoch schon unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zu verkaufen [...]. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass das Herzogshaus Eigentümer geblieben sei, das Evangeliar nur beliehen oder ausländischen Verwandten, die sich finanziell beteiligt hätten, Miteigentumsrechte eingeräumt habe [...].“718
Schnath, der bei seinen Untersuchungen auf das welfische Hausarchiv (mit Unterlagen bis 1945) zugreifen konnte, geht davon aus, dass sich das Evangeliar nach dem Umzug nach Blankenburg dort befunden habe 719. 1945 sei es zunächst mit in das Schloss Marienburg, allerdings in direkter Folge nach England gebracht und dem British Museum zum Kauf angeboten worden720. Eine Verbringung nach England zu diesem Zeitpunkt ist wahrscheinlich, ebenso eine Rückkehr nach Deutschland etwas später721. Unklar bleibt, wann es endgültig das Land verließ722 . Laut Spiegel gab es 1967 eine Erklärung des Anwalts der Welfen, die besagte, dass sich das Evangeliar 717 De Winter bezeichnet dies sowie die Angebotssumme von 25.000 Pfund als Gerüchte, de Winter, S. 153; auch der Spiegel erwähnt ein Angebot für das British Museum, Spiegel 49/1983. 718 Schmidt, Fußnote S. 131. 719 In den 30er Jahren entstand eine Fotografie des Widmungsbildes durch den Hoffotografen Karl Greve, Schnath, S. 245. 720 „Auf nicht bekanntem Wege ist es dann wohl umgehend nach London geschafft und dem Leiter des Warburg Instituts, Professor Fritz Saxl (1890-1948), übergeben worden, der sich zusammen mit den Professoren Anthony Blunt (1907-1983) vom Warburg Institut und Francis Wormald (1904-1972), damals Keeper des Departments of Manuscripts des British Museum, für eine Erwerbung des Codex durch das Museum einsetzte. Die Trustees des Museums lehnten jedoch einen Ankauf ab [...]“, Schnath, S. 246; in diesem Zusammenhang seien 1945 Schwarz-Weiß-Fotos des Evangeliars entstanden, Schnath, S. 246; die Aussage der Zeit, dieses Ankaufsangebot habe Anfang des Zweiten Weltkrieges stattgefunden, ist unwahrscheinlich, vgl. Die Zeit, 6. Mai 1977; vgl. NDR-TVProduktion: Adel ohne Skrupel – Die dunklen Geschäfte der Welfen, ausgestrahlt von der ARD am 18. August 2014. 721 Laut dem Journalisten Martin Bailey existiert eine Quittung, dass das Evangeliar 1946 zurück nach Deutschland kam, vgl. NDR-TV-Produktion: Adel ohne Skrupel – Die dunklen Geschäfte der Welfen. 722 Laut Spiegel versicherte der Handschriftenexperte von Sotheby’s, Christopher de Hamel, das Evangeliar sei seit 1949 nicht mehr in Deutschland gewesen, andere – nicht benannte – Personen hätten es jedoch in den 50er Jahren in Schloss Marienburg gesehen, Spiegel 49/1983; die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete 2005, Georg (VI.) König von Großbritannien und Irland Kaiser von Indien habe die Welfen durch Aufbewahrung von Kunstobjekten, unter welchen sich auch das Evangeliar befand, in England unterstützt, jedoch alle Objekte zurückgegeben. Dies belege eine Liste im englischen Staatsarchiv, aus der aber auch hervorgehe, dass sich das englische Königshaus für den Ankauf von Objekten interessiert habe, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005.
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1955 bereits im Ausland befunden habe723. Diese Erklärung, welche zum damaligen Zeitpunkt nicht vollständig veröffentlicht worden sei, habe aber auch besagt, dass es bis 1977 Eigentum Ernst Augusts (V.) von Hannover gewesen sei, sich jedoch „in der Verfügungsgewalt“ des damaligen Chefs des Hauses Ernst Augusts (IV.) befunden habe724. Eine NDR-TV-Produktion berichtet wiederum über ein geheimes Memo über Verhandlungen zwischen dem Land Niedersachsen und den Welfen, welches besage, das Evangeliar habe sich im Eigentum einer Interessengemeinschaft befunden, an der das Haus Hannover beteiligt gewesen sei725 . Die ungeklärte Frage nach Belegenheitsort und Eigentumsverhältnissen verkompliziert die Untersuchung möglicher Einwirkungen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes. Nachdem eine Ausfuhr des Evangeliars aus Österreich und schließlich nach Deutschland – gemeinsam mit dem „Welfenschatz“ – durch Verhandlungen mit den zuständigen österreichischen Behörden möglich geworden war726 , unterlag es den deutschen Rechtsvorschriften zum Kulturgüter- und Denkmalschutz. Es galt zunächst die Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken von 1919, die 1955 durch das Gesetz zum Schutze deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung abgelöst wurde727 . Erst 1961 wurde es jedoch in die zugehörige Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen und durfte demzufolge ab diesem Zeitpunkt nicht ins Ausland exportiert werden. 1967 wurde die Eintragung rückgängig gemacht, da sich das Buch bereits im Ausland befunden haben soll, was allerdings 1972 erneut revidiert wurde 728. 723 Spiegel 23/1986; ein späterer Spiegelartikel bestätigt diese Vermutung, indem er feststellt, das Evangeliar sei 1945 aus Sicherheitsgründen nach England verbracht worden und habe sich 1961 noch dort befunden, sei jedoch noch immer Eigentum der Welfen gewesen, Spiegel 01/1995: Affären: Evangeliar auf Abwegen; das Jahr 1955 wurde aufgrund des KultgSchG genannt, was allerdings unverständlich ist, da entsprechende Rechtsvorschriften bereits vorher bestanden und maßgeblich nicht deren Inkrafttreten, sondern eine Eintragung in entsprechende Listen ist; auch die Zeit berichtet über die Einführung dieser Vorschriften durch das KultgSchG und erwähnt in diesem Zusammenhang die Eintragung des Evangeliars auf der entsprechenden Liste national wertvollen Kulturgutes und einen Schutz ab 1955, was nicht korrekt ist, Die Zeit, 6. Mai 1977. 724 Spiegel 23/1986; dies gehe aus Akten hervor, welche erst 1983 in das Niedersächsische Staatsarchiv kamen und nur mit Zustimmung der Welfen eingesehen werden dürfen. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang (vor allem durch den SPD-Politiker Rolf Wernstedt) die damalige CDU-Regierung in Niedersachsen, welche den Verkauf ermöglicht habe, Spiegel 23/1986; auch hier verfehlt die Kritik die eigentliche Frage danach, warum das Evangeliar nicht bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt unter Schutz gestellt wurde, unabhängig davon, ob dieser durch ehemalige Fideikommissbindungen ohnehin bestand. 725 NDR-TV-Produktion: Adel ohne Skrupel – Die dunklen Geschäfte der Welfen. 726 Durch ein gemeinsames Protokoll fanden laut Jaitner und Schnath entsprechende Gesetze daher keine Anwendung. Aktuell waren zu diesem Zeitpunkt das Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918 und das Denkmalschutzgesetz 1923, Jaitner, S. 409; Schnath, S. 239. 727 Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919 und KultgSchG. 728 Vgl. Klössel, S. 96; vgl. Braunschweiger Zeitung, 1. September 2007: Parr, Thomas: Bebilderter Schatz: Das Evangeliar; vgl. Die Zeit, 6. Mai 1977; der Antrag auf die Löschung
552 | S AMMLUNGEN DES A DELS Das Evangeliar gehörte – wie auch der „Welfenschatz“ – zum Kronfideikommiss der Könige von Hannover und damit zum Hausgut des Gesamthauses BraunschweigLüneburg729. Auch in diesem Zusammenhang ist der Zeitpunkt der Abgabe der Handschrift maßgeblich für die rechtlichen Hintergründe: während ein Verkauf von ehemals fideikommissarisch gebundenem Vermögen zwischen 1922 und 1938 allein von der Zustimmung des Hauses selbst abhängig war, unterlagen diese Besitzteile von 1939 (ab Inkrafttreten der Fideikommissauflösungsbestimmungen von 1938/39) bis 1968 einer Sperrfrist und durften nur mit gerichtlicher Zustimmung veräußert werden730 . In diese Zeit wäre jedoch der geplante Verkauf an das British Museum 1945 gefallen. Ab 1968 war der Verkauf wiederum „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Kultusministerium (ab 1974 dem Niedersächsischem Ministerium für Wissenschaft und Kunst, ab 1990 für Wissenschaft und Kultur) möglich. Das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ hätte damit zeitweise sowohl einem Ausfuhrverbot als auch einem Verkaufsverbot unterliegen können, was chronologisch wie folgt zusammengefasst werden kann: Von 1922 an war ein Verkauf aus Sicht der vermögensrechtlichen Bindungen zwar möglich, das Evangeliar unterlag jedoch dem österreichischen Denkmalschutz, welcher erst 1925 eine Ausfuhr aus Österreich ermöglichte. Von 1925 bis 1938/39 wären Verkauf und Ausfuhr rechtlich uneingeschränkt möglich gewesen. Von 1938/39 bis 1961 war die Ausfuhr aus Deutschland legal, ein Verkauf jedoch nur mit Zustimmung des Fideikommisssenates möglich. 1961 war diese noch immer Voraussetzung für einen Verkauf, die Ausfuhr aus Deutschland jedoch ebenfalls genehmigungspflichtig. 1967 bis 1968 blieb es weiterhin bei der Genehmigungspflicht für den Verkauf, eine Ausfuhr war jedoch wieder möglich. Ebenfalls legal blieb die Ausfuhr in den Jahren 1968 bis 1972, in welchen außerdem der Verkauf, allerdings „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Kultusministerium, möglich gewesen ist. Nach 1972 war wiederum die Ausfuhr des
einer Eintragung kann nach mindestens 5 Jahren gestellt werden, wenn „sich die Umstände wesentlich verändert“ haben, § 7, Satz 1, KultgSchG; eine Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010 beschäftigt sich indirekt mit dieser Problematik, die auch daraus entsteht, dass bei unbekanntem Aufbewahrungsort unklar ist, welches Bundesland die Eintragung durchzuführen hat. Die Konferenz weist darauf hin, dass in Fällen eines unbekannten Aufenthaltsortes von Objekten dasjenige Land zur Eintragung zuständig ist, in welchem sich der Geschäfts- oder Wohnsitz des Eigentümers oder Besitzers befindet, Empfehlung der Kultusministerkonferenz 2010, S. 4; am 31. Juli 2014 wurde die Eintragung erneut eingeleitet, vgl. Datenbank national wertvollen Kulturgutes: http://www. kulturgutschutz-deutschland.de/DE/3_Datenbank/Kulturgut/Niedersachsen/09406.html? nn=1003270&block =AllesDruckversion. 729 Vgl. Jaitner, S. 395. 730 „Hinsichtlich solcher Gegenstände [von besonderem Wert für die Öffentlichkeit] hatte der Fideikommißsenat vor Erteilung des Auflösungsscheines Vorsorge für ihre ordnungsgemäße Erhaltung zu treffen, soweit sie infolge des Erlöschens gefährdet erschienen und ihre Erhaltung im öffentlichen Interesse lag.“, Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 262.
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Evangeliars genehmigungspflichtig731 und der Verkauf „im Benehmen“ mit dem genannten Ministerium732 möglich. Da ein Verkauf zwischen 1925 und 1939 aufgrund der 1945 geführten Ankaufsgespräche mit dem British Museum unwahrscheinlich ist733 und dem Fideikommisssenat nie ein Antrag auf Verkaufserlaubnis bezüglich des Evangeliars vorgelegt wurde734 , ist ein Verkauf nach 1968 anzunehmen. Ebenso ist eine Ausfuhr der Handschrift aus Deutschland vor 1961 oder zwischen 1967 und 1972 anzunehmen. Die Ausfuhr zu einem anderen Zeitpunkt wäre illegal gewesen und hätte seit Inkrafttreten des Kulturgüterschutzgesetzes 1955 mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden können735. Auch ein Verkauf oder Ortswechsel innerhalb Deutschlands hätte 1961 bis 1967 und nach 1972 – also nach Eintragung in die Liste national wertvollen Kulturgutes – den Behörden mitgeteilt werden müssen736 . Deutschland hatte zum Zeitpunkt des Verkaufs die UNESCO Konvention von 1970, welche unter anderem die Ahndung illegaler Ausfuhr zum Thema hat (und explizit Bücher und historisch bedeutende Dokumente erwähnt737), nicht ratifiziert738 . Die deutsche Gesetzgebung hätte zudem mit dem so genannten Kulturgutsicherungsgesetz, welches zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften 1998 erlassen wurde, die hier vorliegende Problematik als Folge dieses Verkaufsbeispiels entschärfen können. Die Ri 93/7, auf welche sich das Gesetz vorrangig bezieht, sieht eine nachträgliche Unterschutzstellung von illegal ausgeführtem Kulturgut vor, die das deutsche Gesetz jedoch nicht übernommen hat739. Rietschel führt das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ als Beispiel dafür an, dass dies als Versäumnis zu werten ist: „Das Beispiel des Evangeliars Heinrichs des Löwen verdeutlicht die Problematik. Dieses zweifelsohne zum Kern des deutschen nationalen Kulturgutes zählende Werk aus dem 12. Jahrhundert wäre gewiss als solches eingestuft worden, sofern die Behörden von seinem Verbleib gewusst hätten.“740 Wenn sie auch fehlerhaft davon ausgeht, der Verbleib des Evangeliars sei seit 1866 nicht mehr bekannt gewesen741, macht sie doch die Veränderungen des Kulturgüterschutzes durch die Europä731 Die/Der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien entscheidet nach Anhörung eines Sachverständigen-Ausschusses über die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung, § 5, KultgSchG. 732 Ab 1974 dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, ab 1990 dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur. 733 Zudem hatte Schnath die Möglichkeit der Erforschung der Hausarchive bis 1945, so dass ein solcher Verkauf der Öffentlichkeit bekannt sein müsste. Es hätte keinen Grund gegeben, diesen „geheim zu halten“, was auch der öffentliche Umgang mit dem Verkauf des „Welfenschatzes“ zeigt. 734 Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985, S. 264. 735 § 16, Absatz 1, KultgSchG; bereits der Versuch ist strafbar, § 16, Absatz 2, KultgSchG. 736 Dies gilt sowohl für den Eigentümer als auch für den Besitzer, § 9, KultgSchG. 737 Artikel 1, Absatz g), UNESCO Konvention 1970. 738 Die Ratifizierung erfolgte erst 2007, vgl. Kapitel 2.1.1. 739 Ein Versäumnis, das durch das KultgSchG2016 ausgeräumt wird, Kapitel 2, Abschnitt 1, § 8 KultgSchG2016. 740 Rietschel, S. 126. 741 Rietschel, S. 126.
554 | S AMMLUNGEN DES A DELS ische Gemeinschaft, aber auch das Versäumnis des Gesetzes von 1998 an diesem Beispiel deutlich: „Sofern dieser Fall sich nach 1993 zugetragen hätte, hätte der Besitzer vor dem Export nach London nach der VO 3911/92 eine Ausfuhrgenehmigung beantragen müssen. Diese hätte er wohl nicht erhalten, stattdessen hätten die deutschen Behörden das Eintragungsverfahren eingeleitet und das Evangeliar wäre geschützt gewesen. Hätte der Besitzer hingegen ohne Ausfuhrgenehmigung das Objekt unrechtmäßig nach London geschmuggelt, so hätte nur dank der nachträglichen Eintragung dennoch die Rückführung nach Deutschland gesichert werden können.“742
Der Fall des Verkaufs des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ ist ein Beispiel für die komplizierte Rechtslage von Kulturgut im Allgemeinen und von Kulturgut aus Adelsbesitz im Besonderen. Zahlreiche Fragen bleiben ungeklärt, so beispielsweise, warum – auch unabhängig von der bestehenden Sperrfrist bezüglich des gebundenen Vermögens – ein Eintrag in das Verzeichnis national wertvollen Kulturbesitzes erst 1961 erfolgte. Unabhängig von den Ausfuhrbestimmungen und dem Aufenthaltsort des Evangeliars hätten wiederum bei einem Verkauf zu jeder Zeit nach 1938/1939 die entsprechenden Behörden Kenntnis von diesem haben oder entsprechend gegen einen solchen (beziehungsweise auch nachträglich gegen den Eigentümer oder Besitzer) vorgehen müssen. Durch den Ankauf des Evangeliars durch die öffentliche Hand und dessen Verbleib in einer der Öffentlichkeit zugänglichen Einrichtung führte der Verkauf zum Gewinn eines als Hauptwerk romanischer Buchmalerei bekannten Werkes743 für die Allgemeinheit. Nachdem es über eine lange Zeit nicht öffentlich zugänglich war und somit keinerlei Möglichkeit zum Aufbau von Bindungen bestand, ist dies nun erstmals möglich. Die Aufbewahrung in der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel sowie die Anfertigung von Faksimiles für weitere ausgewählte Orte (wie beispielsweise den Braunschweiger Dom) unterstützt dies und ermöglicht des Weiteren den Aufbau von Ding-Ding-Bindungen. Obwohl das Evangeliar vorher nicht eng mit Wolfenbüttel verbunden war und eine Aufbewahrung in Hannover aufgrund dessen Verbindung mit dem ehemaligen Welfenmuseum ebenfalls ihre Berechtigung gehabt hätte, wurde derart eine für das Objekt optimale Umgebung gefunden, welche sämtliche Ebenen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes (vom Bestandserhalt über die Erreichbarkeit sowie die regionale Verbundenheit bis hin zu Ansätzen eines Kontexterhaltes durch Ding-Ding-Bindungen sowie die historische Verbundenheit der Institution mit der Geschichte des Objekts) bestmöglich erfüllt. Für die Familie der Welfen bedeutet der Verkauf einen mit dem Verkauf des „Welfenschatzes“ vergleichbaren Verlust. Die historische Verbindung des Objektes zur Familie reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück und wurde seit dem 19. Jahrhundert wieder vestärkt. Allerdings liegt in diesem späten Rückerwerb auch die Wurzel für gelockerte emotionale Bindungen: der Ankauf des Evangeliars war eng mit dessen Ausstellung im Welfenmuseum verbunden, welches einerseits repräsentative Aufga742 Rietschel, S. 126. 743 So beispielsweise auch in der Presse erwähnt, vgl. Braunschweiger Zeitung, 1. September 2007; vgl. Spiegel 49/1983.
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ben erfüllen und die Verbindung der Welfen zu ihrer Region stärken sollte. Durch die wenige Jahre später erfolgte Absetzung Georgs (V.) von Hannover wurden diese Funktionen untergraben und die seit dem Kauf ebenfalls deutlichen materiellen Werte des Evangeliars traten im Exil stärker in den Vordergrund. „[B]ereits 1863 wurde sein Wert auf 20.000 Rtr., also das Doppelte des Kaufpreises geschätzt.“744 Von Generation zu Generation verstärkte sich diese Tendenz durch stärkere räumliche Distanz zum ehemaligen Königreich Hannover. In den Vermögensauseinandersetzungen Ernst Augusts (III.) von Hannover mit dem Braunschweigischen Staat wurde das Evangeliar als eines der Objekte genannt, welche bei finanziellen Schwierigkeiten verkauft werden müssten745. Nachdem auch der „Welfenschatz“ veräußert worden war, mit dem es in den ersten Jahren nach dem Ankauf 1861 in Verbindung stand, ist vermutlich dieser Verkauf ebenfalls in Betracht gezogen und nie aufgegeben worden. Dafür sprechen die Verhandlungen mit dem British Museum 1945 und der Rückzug des Objektes aus der Öffentlichkeit. Während finanzielle Gründe beim Verkauf des „Welfenschatzes“ nachvollziehbar waren, führte die unklare Verkaufsgeschichte des Evangeliars zu einer nachhaltigen Veränderung der öffentlichen Wahrnehmung von Adelsbesitz. Es ist schwer verständlich, warum ein Objekt einerseits für die Allgemeinheit als derart wertvoll betrachtet wird, dass es für Millionenbeträge erworben werden konnte, dieses jedoch den Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen entzogen blieb. Die scheinbare Unmöglichkeit, diesbezüglich zu einem für die Öffentlichkeit nachvollziehbaren Konsens zu kommen, trug zu einem heute weit verbreiteten Bild bei, welches davon ausgeht, Adelsfamilien veräußerten aus rein finanziellen Gründen Objekte, die eigentlich öffentliches Eigentum sein sollten. Das historisch gewachsene Verhältnis des Adels zu seinem Besitz mitsamt den Veränderungen nach 1918 sind spätestens seit diesem Zeitpunkt völlig in den Hintergrund getreten. Ebenso die Frage danach, warum es dem Staat nicht gelungen ist, dieses Objekt des kulturellen Erbes vor einer Veräußerung im Ausland zu schützen, obwohl der Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie die ehemaligen Vermögensbindungen des Adels diesem diesbezüglich sämtliche Instrumente zur Verfügung stellen746 .
744 Schnath, S. 220. 745 Vgl. Schmidt, S. 131. 746 Der Spiegel beschäftigte sich mit ebendieser Problematik und stellt fest: „Aufgeworfen wird auch, an einem besonders spektakulären und zugleich heiklen Fall, die Frage, wie es denn die Deutschen mit jenem ‚Schutz‘ ihres ‚Kulturgutes gegen Abwanderung‘ halten, den ein Bundesgesetz von 1955 verbietet“ (wobei anzumerken ist, dass es bereits vor diesem Bundesgesetz entsprechende gültige Rechtsvorschriften gab). Sowohl die Weigerung des Welfenhauses, aufschlussreiche Informationen zum Verbleib des Evangeliars zu geben, als auch die Streichung des Objektes von der Liste national wertvollen Kulturgutes durch die Niedersächsische Landesregierung werden kritisiert. Der Autor kommt allerdings folgerichtig zu dem Schluss: „Dem öffentlichen Anspruch, bedeutende Kunstwerke nicht als bloße Privatdinge zu behandeln, sondern sie im Lande und zugänglich zu halten, steht allerdings das Recht auf Eigentum entgegen. Auch den Fürstenhäusern kann wohl nicht einfach weggenommen werden, was ihnen nach den Auseinandersetzungen der zwanziger Jahre verblieben ist.“, Spiegel 49/1983.
556 | S AMMLUNGEN DES A DELS Weniger publikumswirksam – und entsprechend weniger gut dokumentiert – waren des Weiteren einige Schmuckverkäufe der 80er Jahre. So soll beispielsweise 1984 eine Brosche verkauft worden sein, die Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg als Hochzeitsgeschenk des österreichischen Kaisers erhalten hatte747. Es handelte sich um eine Diamant-Brosche mit Mittelteil und zwei großen Gehängen, welche sie im Anschluss entfernen ließ, um sich daraus Ohrringe fertigen zu lassen748. Wie bereits die durch Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg selbst durchgeführten Schmuckverkäufe, waren auch diejenigen nach ihrem Tod vermutlich finanziell begründet. Diese Schmuckstücke unterlagen keinen Kulturgüter- oder Denkmalschutzestimmungen und selbst bei einer ehemaligen fideikommissarischen Bindung ist eine einvernehmliche Haltung des zuständigen Ministeriums anzunehmen. Schmuckverkäufe aus dem Nachlass Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg sind einerseits als übliche Maßnahmen nach dem Tod von Familienmitgliedern anzusehen, andererseits können sie auch Zeichen der durch langjährige Streitigkeiten gelockerten Bindungen sein (dies ist jedoch abhängig davon, wer den Schmuck verkaufte). Einzeln betrachtet haben daher die Schmuckverkäufe wenig Auswirkungen auf die Sammlungen, vor dem Hintergrund familiärer Spannungen sind sie jedoch Zeichen gelockerter Ding-Mensch-Bindungen aufgrund gestörter Mensch-MenschBindungen. 1987 verstarb Ernst August (IV.) von Hannover als letzter Chef des Hauses, der noch in der Zeit der Monarchie geboren worden war. Sein Sohn Ernst August (V.) von Hannover, der dem Haus bis heute vorsteht, kam dagegen erst nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt und vertritt damit eine völlig andere Generation und Zeit als seine Vorgänger. Während sein Vater bereits keine Bindungen zum Residenzschloss Braunschweig hatte aufbauen können, hat Ernst August (V.) von Hannover auch die Schlösser Cumberland und Blankenburg nicht mehr als Wohnsitze seiner Familie kennengelernt. „Der heutige Chef des Welfenhauses repräsentiert eine völlig andere Generation als der Großvater und der Vater ... Das heutige Familienoberhaupt der Welfen ist in einer völlig anderen Zeit groß geworden. Im Bewusstsein um die große Tradition seiner Familie prägten ihn ein neuartiger, freier Lebensstil und Modernität.“749
Wie bereits sein Vater besuchte Ernst August (V.) von Hannover das Internat Schloss Salem und er wurde insgesamt durch seine Erziehung auf die Aufgabe als Oberhaupt der Welfen vorbereitet. Beruflich schlug er jedoch einen anderen Weg ein, indem er in Großbritannien und Kanada Landwirtschaft studierte750 . In der Presse vor allem 747 Vgl. Royal Magazin – Schmuck und Juwelen der Deutsche[n] Fürstenhäuser/Royal Jewels – Jewellery and Treasure of Royals and Aristocracy: www.royal-magazin.de/ german/hannover/; der Preis soll 600.000 DM betragen haben. 748 Die gleiche Brosche mit größerem Mittelteil soll sie laut Royal Magazin durch ihren Schwiegervater zur Geburt ihres Sohnes Ernst August (IV.) von Hannover erhalten haben, Royal Magazin. 749 Steckhahn, S. 209. 750 Vgl. Steckhahn, S. 210.
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durch extravagante Auftritte sowie seine zweite Ehe mit Caroline Prinzessin von Monaco Prinzessin von Hannover bekannt, bescheinigt ihm Steckhahn große Zuverlässigkeit bezüglich seines Umgangs mit Leihgaben in regionalen Museen751. Laut Heinrich von Hannover ist eine veränderte Haltung bezüglich der Verkäufe seit Übernahme der Geschäfte durch seinen Bruder auch rechtlich begründet: er weist darauf hin, dass ihr Vater, Ernst August (IV.) von Hannover „nie Besitzer [war], [er] hatte nur Niesbrauch und nicht das Erbe.“, dieses war direkt auf seinen Bruder übergegangen752. Da Ernst August (V.) von Hannover jedoch erst 1954 geboren wurde, sein Großvater aber 1953 verstorben war, kann diese Regelung erst Jahre später, mit zunehmender Reife des Erben, Auswirkungen auf den Umgang mit den Sammlungsbeständen gehabt haben. Obwohl diese durch das Nießbrauchsrecht erst mit dem Tod Ernst August (IV.) von Hannover völlig zum Tragen gekommen sein können, deuten die Verkäufe seit den späten 70er Jahren auf diesen Einfluss hin. Ein Jahr nach diesem endgültigen Generationenwechsel wurden im Rahmen der Kunst- und Antiquitätenmesse Herrenhausen 1988 mehrere Objekte aus dem Besitz der Welfen gezeigt. Im Angebot der Galerie Neuse aus Bremen befand sich ein weiterer Tafelaufsatz, der – wie oben bereits beschrieben – 1903 als Geschenk aus Anlass der Silberhochzeit von Ernst August von Cumberland und Thyra von Dänemark bei Lameyer in Hannover hergestellt worden war753. „Das höchst prachtvolle Geschenk [...] zeigt in einem aufwendigen allegorischen figürlichen Programm das ‚Lebens- oder Glücksschiff‘ des Herzogs Ernst August, der ein altertümlich, nordisch wirkendes Schiff mit Pferdekopf, dem alten Sachsenzeichen und hannoverschen Wappentier, als Gallionsfigur sicher durch sturmbewegte Wogen steuert.“754
Es wurde durch das Historische Museum Hannover erworben755. Darüber hinaus bot der Würzburger Kunsthändler Albrecht Neuhaus ein Paar Zuckerstreuer aus dem Besitz Georgs (II.) von Hannover aus dem 18. Jahrhundert an756 und Georg Britsch aus Bad Schussenried ein Steinschloss-Jagdgewehr August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel, ebenfalls aus dem 18. Jahrhundert757. Wann sich die Welfen von diesen Objekten getrennt haben, ist nicht bekannt. Der Verkauf des Tafelaufsatzes ist zu vergleichen mit den oben beschriebenen Verkäufen ähnlicher Objekte: dieses als Mittel sozialen Verhaltens und Teil einer Erinnerungskultur ehemals vielfältig genutzte Objekt hatte im Verlauf des 20. Jahrhunderts seine Funk751 Steckhahn, S. 213. 752 Braunschweiger Zeitung, 27. März 2007: Leser fragen Prinz von Hannover. 753 Der Entwurf stammt von Karl Gundelach, Messekatalog Hannover 1988: 20. Kunst- und Antiquitätenmesse Herrenhausen 1988, Hannover 1988, S. 23. 754 Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 65. 755 Vgl. Bungarten: Hochzeitsgeschenke Welfentreuer, S. 66. 756 Durch Balthasar Friedrich Behrens gefertigt, Messekatalog Hannover 1988, S. 161. 757 Das Gewehr zeigt Porträts von August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel und seiner Gemahlin Elisabeth Sophie Marie, Prinzessin zu Braunschweig und Lüneburg, Messekatalog Hannover 1988, S. 64f.
558 | S AMMLUNGEN DES A DELS tion verloren oder war bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts aus finanziellen Gründen veräußert worden. In diesem Fall ist jedoch der frühe Verkauf unwahrscheinlich, da es Ernst August von Cumberland persönlich erhalten hatte und vermutlich nicht selbst wieder abgegeben hat. Die Abgabe der Zuckerstreuer aus Silber ist dagegen als typischer Silberverkauf zu werten. Objekte dieser Art sind in Adelssammlungen zahlreich vertreten. Der Verkauf des Steinschlossgewehres aus dem Besitz August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel ist aufgrund seiner persönlicheren Komponente schwerwiegender und Hinweis auf einen Bedeutungswandel. Das Gewehr erfüllte als Element der für den Adel bedeutenden Jagd sowie durch die Porträtverzierungen ebenfalls sowohl Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens als auch zur Erinnerung. Sehr enge Ding-Mensch-Bindungen zum Besitzer sind wahrscheinlich. Der Verkauf verdeutlicht die gelockerten Bindungen zu Personen des Braunschweigischen Familienzweiges ebenso wie die Abnahme von Bedeutung ehemals identitätsstiftender Tätigkeitsfelder wie der Jagd. Wenn auch das Gewehr seit langem seine Funktion zur Ausübung der Jagd verloren hatte, bildet es deren Geschichte, Entwicklung und Bedeutung für die Familie ab und hätte diesbezüglich als Erinnerungsobjekt genutzt werden können. Wie bereits die vorangegangenen Einzelverkäufe sind auch diese Beispiele für eine stetige Lösung von Funktionen und Bindungen, welche keine abrupten Veränderungen im Sammlungsgefüge verursachten, aber in ihrer Gesamtheit und Dauer auf ein verändertes Selbstbild der Welfen hinweisen. Die Verkäufe der 70er und vor allem der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts können in drei Gruppen zusammengefasst werden: Es wurden einerseits Einzelobjekte veräußert, die vorrangig aus dem Bereich der Geschenke durch Untertanen stammten. Für Silberobjekte gehörte der Verkauf zur Geldbeschaffung zu deren traditionellen Funktionen innerhalb von Adelssammlungen. Dennoch kann hier ein deutlicher Bruch bisheriger Bindungen festgestellt werden, der zur Trennung von diesen Huldigungsbezeugungen führte und eine Distanzierung früherer Herrschaftsfunktionen durch die Familie widerspiegelt. Die Abgabe von Objekten wie dem Prunkharnisch Friedrich Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel und dem Steinschlossgewehr August Wilhelms von Braunschweig-Wolfenbüttel, welche für die Familiengeschichte und die Erinnerung der Ahnen bedeutend waren, zeigt eine deutliche Veränderung in der Haltung der Welfen zu ihren Sammlungsbeständen. Es handelt sich hier um eine Form von Entsammlungsmaßnahmen, die stärker auf die kontinuierliche Abgabe von Sammlungsbeständen als auf deren „Umgestaltung“ fokussiert. Bei einer zweiten Gruppe von Verkaufsobjekten handelte es sich um den Nachlass der 1980 verstorbenen Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg. Diese Veräußerungen fallen eindeutig in den Bereich typischer Entsammlungsmaßnahmen, wie sie traditionell für Adelssammlungen üblich waren. Die dritte Gruppe sowohl kunsthistorisch als auch materiell sehr wertvoller Objekt(verbände) rückt eine – auch für einige Einzelobjekte feststellbare – unklare Verkaufsgeschichte in den Vordergrund des öffentlichen Interesses. Sowohl das Silberservice des Hildesheimer Fürstbischofs als auch das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ waren im 19. Jahrhundert (im Falle des Evangeliars erneut) in den Besitz der Welfen gelangt und wurden in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf dem internationalen Kunstmarkt angeboten. Während ein Verkauf des Silberservices bereits in
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den 20er Jahren auf dem österreichischen Kunstmarkt nicht unwahrscheinlich ist und finanzielle Hintergründe hat, weist der Verkauf des Evangeliars nicht nur auf ein geringer werdendes Interesse an der eigenen Familiengeschichte hin, sondern auch auf gravierende Probleme des Kulturgüter- und Denkmalschutzes, deren Schutzmaßnahmen nicht griffen. Im Gegensatz dazu garantierten diese den reibungslosen Verkauf der Münzsammlung an eine institutionelle Sammlung in Deutschland. Zahlreiche der in dieser Zeit veräußerten Objekte wurden durch Ankäufe öffentlicher Sammlungen für die Allgemeinheit zugänglich. Allerdings ließ sich eine Zerstreuung dieser Sammlungsteile innerhalb Deutschlands in den meisten Fällen nicht vermeiden, ebenso wie die Lösung bestehener Ding-Ding-Bindungen sowie des Kontextes einer Adelssammlung. Verkäufe der 90er Jahre und ab dem Jahr 2000 Nach dem erneuten Wechsel der Generationen, der direkte Bindungen zur Zeit der Monarchie nicht mehr zulässt, setzten die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sowie die Zeit nach dem Jahr 2000 die in den vorherigen Jahrzehnten begonnenen diskreteren Einzelverkäufe fort. Das Haus Hannover, beziehungsweise dessen Chef, trat nicht mehr direkt als Verkäufer auf, so dass nicht immer nachzuweisen ist, ob einzelne Objekte bereits in früherer Zeit verkauft worden waren. Wahrscheinlich ist jedoch eine sukzessive Abgabe von Besitztümern, welche gleichermaßen finanziell begründet ist und als, die Bestände dezimierende, Entsammlungsmaßnahme verstanden werden kann. Eine wachsende Distanz zum Familienerbe ist dafür ursächlich. Einzelverkäufe, die sowohl aus finanziellen Gründen als auch aus sich lösenden Bindungen resultierten, sollen hier nur knapp aufgeführt werden. Sie unterlagen keinen Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen. Diese sind allerdings durch die VO 3911/92 ab 1993 durch Ausfuhrbeschränkungen aus der Europäischen Gemeinschaft ergänzt worden758. Die Verordnung verlangt für die in ihrem Anhang ausführlich beschriebenen Kategorien von Kulturgütern bei einer Ausfuhr aus der Europäischen Gemeinschaft eine Ausfuhrgenehmigung. Eine solche wäre für die hier beschriebenen Objekte nur dann nötig gewesen, wenn diese einen Wert von über 50.000 Ecu gehabt hätten759 . Darüber hinaus kann für ehemals fideikommissarisch gebundene Objekte eine Zustimmung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vorausgesetzt werden, da es sich nicht um Objekte handelte, welchen ein herausragender Wert für die Öffentlichkeit zugeschrieben wird. Die Auswirkungen auf die Sammlungen der Welfen sind aufgrund der noch immer großen Bestandsmenge als gering einzustufen. Beispielsweise kam 1995 in London ein Paar vergoldeter Helmkannen und Waschbassins zur Versteigerung. Diese stammten aus dem frühen 18. Jahrhundert und waren von Conrad Hölling für Georg (I.) von Hannover gefertigt worden760 . 1997 bot Christie’s in New York ein Ensemble mit Tischbrunnen, Schwenkkessel und Weinkühler an, welches ebenfalls Anfang des 18. Jahrhunderts gefertigt wurde 758 Vgl. VO 3911/92. 759 Für Goldschmiedearbeiten liegen die Altersvorgaben bei 50-100 Jahren, welche erfüllt wären, die Wertvorgabe jedoch bei 50.000 Ecu, Anhang, Kategorie 14, VO 3911/92. 760 Auktion Sotheby’s London 24./25. Mai 1995; vgl. Weltkunst 03/1999, S. 468.
560 | S AMMLUNGEN DES A DELS (von Lewin Dedeke in Celle) und in der Auktion keinen Käufer fand. Wesentlich bedeutender waren für die Familie der Welfen Rüstungsteile, die zum Teil aus dem 16. Jahrhundert stammen und sich seit ihrer Entstehung in Familienbesitz befunden hatten. Ihr Verkauf in den späten 90er Jahren ist daher als wesentlicher Einschnitt in die Sammlungen und als Verlust für die Öffentlichkeit in Deutschland zu werten. Sie wurden an private Händler veräußert und teilweise durch den Kunsthändler Peter Finer angekauft761 und weiterveräußert. Auf diesem Weg gelangte eine Prunkrüstung Heinrichs (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel aus dem 16. Jahrhundert in die Memorial Art Gallery of the University of Rochester, New York 762. Wie auch diese Einzelverkäufe, fand der Verkauf der in Herrenhausen angesiedelten Gartenbibliothek an britische Investoren im Jahr 2000 ohne großes Interesse der Öffentlichkeit statt763. Erst als die Bestände im Herbst 2005 durch das Auktionshaus Reiss & Sohn verauktioniert werden sollten, änderte sich dies. Angeboten wurden insgesamt 742 Lose in den Kategorien „Handschriften“ und „Alte Drucke“764. Bei den Handschriften handelt es sich sowohl um Entwürfe zu gestalterischen Maßnahmen der Gärten als auch um Informationen zu einzelnen Pflanzen, ergänzt durch Fotos und Herbarien765. Bei den Druckwerken handelt es sich um Fachliteratur sowie Materialbeispiele766. Die Versteigerung wurde wegen eines eingeleiteten Verfahrens zur Einstufung der Bibliothek als national wertvolles Kulturgut abgesagt767. Dies war nur möglich, da der vorherige Käufer sie nicht außer Landes gebracht hatte768 und sie in Deutschland veräußert werden sollte. Die Gartenbibliothek wurde durch das Land Niedersachsen erworben. Bereits vor Absage der Versteigerung hatte die Niedersäch-
761 Ergänzt durch im Rahmen der Auktion 2005 angebotene Rüstungen. 762 Vgl. Weltkunst 01/2006: Kamps, Markus: Grandioses Kostümtheater, S. 40-41; vgl. Apollo 02/2007: Acquisition of the month: A renaissance partial armour from the Brunswick Armoury, S. 18-19. 763 FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005: Rose-Maria Gropp: Die Blumen der Welfen: Auktion der Gartenbibliothek Herrenhausen abgesagt; „Wir dürfen mit Recht dankbar sein, daß die Sammlung aus dem Ausland für den deutschen Markt gewonnen werden konnte und so interessierten Kreisen mit diesem Katalog bestmöglich zugänglich gemacht wird.“, Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, o.S.; die Hannoversche Allgemeine Zeitung berichtete 2005, die Bibliothek sei „vor zwei Jahren“ abgeholt worden, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005. 764 Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005. 765 Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, S. 1. 766 Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, S. 26. 767 FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005; das Verfahren musste durch Hessen eingeleitet werden, da jeweils das Bundesland, in welchem sich die Objekte momentan befinden, entsprechend handeln muss; eingetragen ist die Bibliothek mittlerweile im Länderverzeichnis Niedersachsens, vgl. Datenbank national wertvollen Kulturgutes: http://www. kulturgutschutz-deutschland.de/DE/3_Datenbank/Kulturgut/Niedersachsen/09807.html? nn=1003270&block=AllesDruckversion. 768 Eine Ausfuhr aus der Europäischen Union hätte an der VO 3911/92 scheitern müssen.
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sische Landesbibliothek mit dem Auktionshaus Reiss & Sohn um einen Komplettankauf verhandelt, ohne zu einem Ergebnis gekommen zu sein769 . Die Herrenhäuser Gärten entstanden seit Mitte des 17. Jahrhunderts, als Johann Friedrich zu Braunschweig-Calenberg dort für seine neue Sommerresidenz den Berggarten und den Großen Garten anlegen ließ770 . Prägende Gestalter der Anlagen waren Friedrich Karl von Hardenberg sowie Johann Christoph Wendland. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es schließlich zur Einrichtung eines Bibliothekspavillons in einem ehemaligen Wohnhaus771. Zur Zeit der Veräußerung durch die Welfen unterlag die Gartenbibliothek keinen Schutzmaßnahmen des Kulturgüter- oder Denkmalschutzes. Bei ehemals fideikommissarisch gebundenem Vermögen musste der Verkauf allerdings „im Benehmen“ mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kultur durchgeführt worden sein. Die Familie hatte sich bereits seit den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts stückweise von Besitz in Herrenhausen getrennt, so dass der Verkauf der Gartenbibliothek ein konsequenter Schritt war. Ding-Mensch-Bindungen hatten sich seit über einem Jahrhundert gelockert, da die Welfen Herrenhausen nach dem Verlust des Königreiches Hannover nie ausgiebig genutzt hatten. Gleichzeitig zeigte dieser Schritt jedoch – wie bereits der Verkauf der Königlichen Ernst August Fideikommiss-Bibliothek einige Jahrzehnte zuvor – eine weitere Entfernung von traditionellen Sammlungsgebieten des Adels auf. Der Ankauf durch das Land Niedersachsen ermöglichte eine wissenschaftliche Erschließung der Bestände, die bis zur Erstellung des Auktionskataloges 2005 seit 1888 nicht in ihrer Gesamtheit erfasst worden waren772. Da es sich seit der Entstehung der Bibliothek um einen wissenschaftlichen Sammlungsbereich handelte, ist in diesem Fall der Verkauf keine Abkehr von einer bisherigen Nutzung, sondern ermöglicht eine solche: „Die Königliche Garten-Bibliothek aus dem ehemaligen Besitz des welfischen Königshauses legt Zeugnis ab von der Geschichte einer der wohl bedeutendsten Gartenanlagen Europas. Durch sie wird nicht nur der Geist absoluter und aufgeklärter Weltanschauung lebendig, sondern sie belegt insbesondere in eindrucksvoller Weise, nicht zuletzt durch zahlreich vorhandenes und von der Forschung bisher nicht erschlossenes Handschriftenmaterial, die Entwicklung der modernen Botanik im Zeitalter seit Linné.“773 Während Ding-Ding-Bindungen durch den geschlossenen Verkauf erhalten bleiben (was bei einer Verauktionierung nicht der Fall gewesen wäre), ist es durch wissenschaftliche Nutzung möglich, neue DingMensch-Bindungen aufzubauen. Die Bibliothek kann darüber hinaus wichtige Aufschlüsse über die Bedeutung von Gärten und Pflanzen im Zusammenhang mit der Erforschung der Bedeutung der Dinge des Adels geben. Die Einwirkung des Kulturgüterschutzes hat in diesem Fall zu einer Neubelebung der Bestände führen können. Der Zeitpunkt des Eingreifens wurde in der Presse allerdings nicht zu Unrecht kritisiert und mit dem allgemein gesteigerten Interesse der Öffentlichkeit am Besitz der
769 770 771 772 773
FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005. Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, o.S. Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, o.S. Vgl. Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, o.S. Auktionskatalog Reiss & Sohn 2005, o.S.
562 | S AMMLUNGEN DES A DELS Welfen durch die für Oktober 2005 geplante Auktion im Schloss Marienburg in Verbindung gebracht774. 2001 bot die Galerie Neuse im Rahmen der Kunst- und Antiquitätenmesse Herrenhausen erneut einen silbernen Tafelaufsatz an, welcher Ende des 18. Jahrhunderts für Georg (III.) von Hannover gefertigt worden war775. Er wurde durch die Firma e.on erworben und dem Historischen Museum Hannover als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Der Verkauf ist mit den oben beschriebenen Veräußerungen von Silberobjekten vergleichbar. Ein Verkauf durch die Welfen bereits 1928 ist wahrscheinlich, hätte jedoch auf dem deutschen Kunstmarkt auch 2001 in keinem Widerspruch zu sämtlichen Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutztes gestanden. Da sich das Objekt nun in einer institutionellen Sammlung befindet und sowohl DingMensch- als auch Ding-Ding-Bindungen innerhalb der welfischen Sammlungsbestände bereits durch frühere Verkäufe gelöst worden waren, war die (möglicherweise erneute) Veräußerung ein Gewinn für die Allgemeinheit. Im Jahr 2005 kam es schließlich zu einer Reihe von Objektabgaben, welche sich von den bisher stark von Silberverkäufen dominierten Abgaben deutlich unterschieden. Das Haus Hannover trat nicht offen als Verkäufer auf. Beispielsweise wurde im Frühjahr durch Sotheby’s der „Calenberger Altar“ des Meisters der Goslarer Sibyllen veräußert776 , der durch ein Museum in Boston erworben wurde. Über den Londoner Kunsthandel kam es 2005 zum Verkauf dreier Ringe in einer Schatulle aus dem Besitz Ernst Augusts (I.) von Hannover. Die Motiv-Ringe mit Bezug zu Georg (III.) von Hannover sowie dem Hosenbandorden wurden durch das Herzog Anton UlrichMuseum in Braunschweig angekauft 777. Da diese Verkäufe in unmittelbarer zeitlicher Nähe zur folgend beschriebenen Auktion im Schloss Marienburg durchgeführt wurden, ist von Verkäufen „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur auszugehen. Dies ist für ehemals fideikommissarisch gebundenen Besitz nötig. Es handelt sich um Objekte, die alle nicht in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen waren. Nach VO 3911/92 kann jedoch auch die Ausfuhr aus der Europäischen Union genehmigungspflichtig gewesen sein 778. Als Verkaufsgründe sind gelo774 „Müßig ist angesichts des Stands der Dinge die Frage, warum diese Erkenntnis nicht früher den zuständigen Vertretern des Landes Niedersachsen gedämmert ist, denen die Gartenbibliothek schließlich bis dahin vor der Nase stand.“, FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005. 775 Der Preis lag bei 1,2 Mio. DM, Die Zeit 17/2001: Herstatt, Claudia: Hoch im Norden. Neues vom Handel mit dem Alten. 776 Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 21. 777 Prof. Luckhardt bedauert diese „Umwege“ der Verkaufsgeschichte und hätte sich einen direkten Verkauf durch das Welfenhaus an Institutionen im Land Niedersachsen gewünscht, unveröffentlichtes Gespräch mit Prof. Dr. Jochen Luckhardt (Direktor des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Prof. Luckhardt. 778 Für den „Calenberger Altar“ galt folgender Wortlaut der VO 3911/92: „Bilder und Gemälde, die vollständig von Hand auf und aus allen Stoffen hergestellt sind.“ sowie ein
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ckerte Bindungen, wie sie im Folgenden für die im Oktober 2005 verauktionierten Objekte beschrieben werden, zu nennen. Im Herbst 2005 fand – durch Presse und Öffentlichkeit stark beachtet – im Schloss Marienburg eine mehrtägige Hausauktion statt, welche bereits als Einstieg in diese Arbeit vorgestellt wurde779. Vom 5. bis 15. Oktober wurden über 20.000 Objekte780 aus sämtlichen Bereichen von Adelssammlungen angeboten781. Organisiert und durchgeführt mit Hilfe des Kunstberaters Graf Douglas wurde die Versteigerung vom Auktionshaus Sotheby’s782, das bereits in den 90er Jahren für die Häuser Thurn und Taxis und Baden ähnliche Hausauktionen veranstaltet hatte783 . Als Verkäufer traten die Söhne des Chefs des Hauses, Ernst August (V.) von Hannover, Ernst August (VI.) und Christian von Hannover auf. Ernst August (VI.) von Hannover waren zuvor die Besitzrechte „an den beweglichen Kunstgütern auf der Marienburg“ übertragen worden784. Eine Stellungnahme der Familie machte deutlich, dass diese den Verkauf unterstützte785. Als Grund nannten die Verkäufer das Ziel, eine Familienstiftung zur weiteren Erhaltung des Schlosses Marienburg zu gründen786 . Die Erhaltungskosten
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Wert von mindestens 150.000 Ecu, Anhang, Kategorie 3, VO 3911/92; für den Prunkharnisch und die Ringe ist die Einordnung in eine Kategorie der Verordnung schwieriger, legt man die Kategorie für „Objekte wie Spielzeug, Glas, Goldschmiedearbeiten, Möbel und Einrichtungsgegenstände, Musikinstrumente, Uhren, Keramik, Tapisserien, Teppiche, Tapeten und Waffen“ zugrunde, wäre eine Genehmigung bei einem Wert von mindestens 50.000 Ecu nötig gewesen, Anhang, Kategorie 14, VO 3911/92. Mögliche Wiederholungen an dieser Stelle ergeben sich aus der Notwendigkeit einer umfassenden Beschreibung, um diesen Verkauf auch in Hinblick auf den biographischen Wendepunkt der veräußerten Objekte untersuchen zu können. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005; davon waren etwas mehr als 3.000 Objekte im mehrbändigen Auktionskatalog zusammengefasst, die restlichen Objekte wurden als Konvolute über einen unbebilderten, knappen, Zusatzkatalog veräußert. Die genannte Summe kommt nur zustande, wenn beispielsweise Mappenwerke nicht als ein Objekt gezählt werden, sondern jedes einzelne Blatt als solches gewertet wird. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005; der Katalog nennt die Bereiche Gemälde Alter Meister, Waffen und Rüstungen, Keramik und Glas, Silber und Vitrinenobjekte, Uhren, Skulpturen und Kunsthandwerk, Möbel und Dekorationen, Gemälde des 19. Jahrhunderts, Orientalisches Kunsthandwerk, Militaria, Textilien, Tafeltücher und Livreen sowie Druckgraphik, Auktionskatalog Sotheby’s 2005. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005. Auktionskatalog Sotheby’s 2005; Auktionskatalog Sotheby’s 1993; Auktionskatalog Sotheby’s 1995; Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 20; damit weichen die Welfen von den laut Wienfort in den „großen Adelsfamilien“ noch immer gängigen Erbtraditionen ab, vgl. Wienfort 2006, S. 163; vgl. Artnet, 4. Mai 2005. Welt online, 5. Oktober 2005. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005; vgl. Welt online, 19. April 2005; vgl. Welt online, 30. Juli 2005; vgl. Welt online, 2. Oktober 2005; vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 22; vgl. FAZ, 2. Oktober 2005; bisher habe die Familie selbst die Kosten für die Erhaltung des Schlosses getragen, welche nun durch die Stiftung über-
564 | S AMMLUNGEN DES A DELS des Schlosses wurden diesbezüglich angeführt787. Es war auch die Rede davon, diese „originalgetreu wieder einzurichten“788 . Das Auktionsergebnis von 44 Millionen Euro übertraf den finanziellen Erfolg früherer Adelsauktionen789 . Auch die Schätzpreise wurden teilweise stark überboten790 . Die große Bandbreite an Objekten und Preisen sowie die Tatsache, dass viele Objekte noch nie oder seit nahezu einem Jahrhundert nicht mehr auf dem Kunstmarkt waren791 , führte zu einer breit gefächerten Käuferschicht, die sich aus Privatpersonen, Sammlern sowie Vertretern von Institutionen aus dem In- und Ausland zusammensetzte792. Die Presse berichtete über ungefähr 5.000 Besucher der Auktion und 200 Bieter, darunter auch Prominente sowie der
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nommen werden sollen, vgl. Bunte 19/2005: Opel, I. von/Waldburg, M.: Zwei Prinzen und ihr [...]; die FAZ berichtet von „mehreren hunderttausend Euro im Jahr“, FAZ, 6. Oktober 2005; vgl. Plessen 2006, S. 545f; auf einer Fehlinformation basiert jedoch die Aussage, auch die Schlösser Blankenburg und Cumberland seien noch im Besitz der Welfen und sollten durch die Familienstiftung erhalten werden, FAZ, 6. Oktober 2005. Der Spiegel 38/2005; Welt online betonte die Menge der ererbten Objekte: „Sie alle leiden unter der Last, zuviel geerbt zu haben. In ihren Schlössern haben sich viele Dinge angesammelt, die nicht mehr gebraucht werden: alte Möbel und Porzellan, Gläser und Silber, Uniformen und historische Waffen [...]“, Welt online, 25. September 2005. Vgl. FAZ, 6. Oktober 2005; die Presseinformation von Sotheby’s erwähnte nur, dass das neogotische Inventar des Schlosses nicht verkauft werde, Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005. Vgl. Spiegel online, 15. Oktober 2005; Spiegel online, 16. Oktober 2005: WelfenAuktion bringt 44 Millionen Euro; vgl. Sueddeutsche.de, 16. Oktober 2005: Ende der Versteigerung. Königlich versilbert; vgl. Welt online 17. Oktober 2005; Artnet nennt 16 Mio. für die Auktion des Hauses Thurn und Taxis sowie ca. 39,7 Mio. für die Auktion des Hauses Baden, Artnet, 19. Oktober 2005: Spessardt, Henrike von: Welfen-Auktion auf Schloss Marienburg erzielte 44 Mio. Euro. Niedersachsen gab alles; teuerstes Los waren russische Porzellanvasen für 1,4 Millionen Euro, vgl. FAZ, 15. Oktober 2005. Braunschweiger Zeitung, 5. Oktober 2005; vgl. FAZ, 15. Oktober 2005; was jedoch bereits im Vorfeld erwartet worden war, vgl. Bunte 19/2005; vgl. FAZ 19. April 2005; vgl. FAZ, 6. Oktober 2005; vgl. Welt online, 30. Juli 2005; dies führte auch zu Kritik und zur Vermutung, die Schätzpreise seien bewusst niedrig gehalten worden, um später umso höhere Zuschläge zu erreichen, vgl. Stern.de, 7. Oktober 2005; vgl. Welt online, 30. September 2005: Stürmer, Michael: Das Haus Hannover macht Kasse; vgl. Welt online, 8. Oktober 2005; die Welt machte darauf aufmerksam, dass „unwissende Käufer“ zu hohe Preise zahlten, Welt online, 12. Oktober 2005; Heinrich von Hannover hielt die Preise, v.a. für Gemälde, jedoch insgesamt für zu niedrig, Gespräch von Hannover; auch Prof. Ottomeyer hielt den Verkaufspreis für einige Objekte für zu niedrig, unveröffentlichtes Gespräch mit Prof. Dr. Hans Ottomeyer (damals Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Prof. Ottomeyer. Vgl. Welt online, 30. Juli 2005; vgl. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005; auch Graf Spreti betont den Anreiz für Käufer, Nachbesitzer eines ehemals regierenden Hauses zu sein, Gespräch Graf Spreti; auch Graf Douglas betont diesen Aspekt, Gespräch Graf Douglas. Dies wurde bereits im Vorfeld erwartet, vgl. FAZ, 2. Oktober 2005; die Käufer kamen aus 39 Ländern, Spiegel online, 16. Oktober 2005; vgl. Welt online, 17. Oktober 2005.
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Bruder des momentanen Chefs des Hauses Hannover, Heinrich von Hannover793 . Über die Hälfte der ca. 1.500 nach Deutschland verkauften Objekte blieben in Niedersachsen794. Bereits im Vorfeld der Auktion hatte das Land Niedersachsen deutlich gemacht, dass es keine Mittel für Ankäufe zur Verfügung stellen könne795. Des Weiteren wurde die Bedeutung der angebotenen Bestände in Frage gestellt796. Die Geschichte der angebotenen Objekte setzt sich aus zahlreichen Objektbiographien zusammen und bildet zusammengenommen die Geschichte der welfischen Sammlungen bis ins 21. Jahrhundert: Objekte aus den verschiedenen Schlössern, aus unterschiedlichen Herrschaftsbereichen, von den Sammlungen der Frühen Neuzeit bis zur Zeit des letzten regierenden Herzogs Anfang des 20. Jahrhunderts und Gebrauchsgegenstände dieser Zeitspanne waren über die in diesem Kapitel beschriebenen Stationen in das Schloss Marienburg gelangt und wurden nun veräußert797 . Die Objekte boten/bieten vielfältige Beispiele der in Kapitel 3.1 beschriebenen Bedeutungsebenen: eines von zahlreichen Beispielen für Silberobjekte, die als Geschenke überreicht worden waren, ist ein silbervergoldetes Taufbecken zur Geburt Ernst Augusts (IV.) von Hannover aus dem Jahr 1914798. Beispiele für als Zeichen der Abgrenzung dienende Kleidung sind Mäntel mit Orden, die Ernst August (I.) von Hannover getragen hat799. Dies sind nur drei Objekte aus einer großen Gruppe, welche als Mittel sozialen Verhaltens fungierten. Der Erinnerungskultur dienten, neben zahlreichen Porträtgemälden, auch solche, die ausgewählte Orte oder Begebenheiten zeigen. Beispiel dieser Gemäldegruppe ist die „Ansicht des Braunschweiger Residenzschlosses“ aus dem 19. Jahrhundert800. Auch Kleinobjekte übernahmen derartige Aufgaben der Erinnerung: diesbezüglich sind unter anderem Lackdosen mit Darstellungen Friedrich Wilhelms von Braunschweig zu nennen, die ihn zusammen mit Andreas Hofer und Ferdinand von Schill als Freiheitshelden darstellen801. Weitere Beispiele sind Porzellanvasen mit to-
793 Braunschweiger Zeitung, 5. Oktober 2005; weniger wertvolle Objekte bot man bewusst an, da man mit Käufern aus der Region rechnete; Braunschweiger Zeitung, 15. Oktober 2005: Auktion tausender Kunstschätze des Welfenhauses geht zu Ende; vgl. FAZ, 15. Oktober 2005; Spiegel online, 16. Oktober 2005. 794 Artnet, 19. Oktober 2005; Spiegel online, 16. Oktober 2005; vgl. Welt online, 17. Oktober 2005; Graf Douglas wies im Zusammenhang mit der Auktion in Baden darauf hin, dass auch bei der Thurn und Taxis-Auktion ca. 80% der Lose in Bayern geblieben seien, so dass von einem Ausverkauf ins Ausland keine Rede sein könne, vgl. Piesker, S. 33. 795 Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005; Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 796 Beispielsweise durch den Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kultur Lutz Stratmann (CDU), FAZ, 5. Oktober 2005. 797 Die Vielfalt betont mit zahlreichen Beispielen ein Artikel der Weltkunst, Weltkunst 10/2005: Matuschek, Oliver: Aus Welfen-Besitz, S. 91. 798 Los 2651, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 99. 799 St. Patricks Orden, Los 3914, und Bathorden, Los 3915, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 235. 800 Los 1753, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 261. 801 Los 2068, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 26.
566 | S AMMLUNGEN DES A DELS pographischen Motiven802. Die angebotenen Porträts sind vielfältig und zeigen Mitglieder des Welfenhauses verschiedener Epochen. Als kleine Auswahl seien genannt: Friedrich (IV.) zu Braunschweig und Lüneburg (1574-1648)803 , August Ferdinand Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern Herzog zu Braunschweig und Lüneburg (1677-1704)804 und Georg (V.) von Hannover (1819-1878)805. Eine weitere Kategorie von Porträts zeigt darüber hinaus mit den Welfen verwandte Personen, aus welcher als Beispiel für zahlreiche weitere Franz (I.) Stephan Herzog von Lothringen und Bar Großherzog der Toskana Kaiser des Heiligen Römischen Reiches806 genannt werden soll. Ebenso vielfältig sind die angebotenen Dinge des Wohnens, die von Stühlen über Tische und Schränke bis zu Kinderwagen, Leuchtern, Geschirr und Backformen reichten807. Abbildung 20: Schnupftabakdose (Lackmalerei auf Papiermaché) mit Darstellung Friedrich Wilhelms von Braunschweig, Andreas Hofer und Ferdinand von Schill, Lackwarenmanufaktur Stobwasser, Anfang 19. Jh.
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
802 Beispielsweise Vasen mit Ansichten Berlins, die Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg zur Erinnerung an ihre Kindheit dienen konnten, Los 2751, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 112. 803 Los 13, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 25. 804 Los 73, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 34. 805 Los 1824, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 271. 806 Verheiratet mit Maria Theresia von Österreich, Tochter Elisabeth Christines Prinzessin von Braunschweig-Wolfenbüttel Erzherzogin von Österreich Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches und damit Enkelin Ludwig Rudolfs von Braunschweig-Wolfenbüttel, Los 187, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 51. 807 Lose 1401-1621, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 220-249 sowie Lose 30473148, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 152-165 sowie ausgewählte Lose aus den Bereichen Silber und Keramik.
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Die Objekte verdeutlich(t)en darüber hinaus sämtliche Eigenschaften der Sammlungen des Adels: das Anhäufen und das Leben in Fülle wird anschaulich durch die große Menge an Besteck808 und Tischwäsche809. Typische Objekte des Zeigens waren Tafelaufsätze wie beispielsweise derjenige aus dem Besitz Ernst Augusts (I.) von Hannover810. Sitzmöbel mit sichtbar erneuertem Bezug sind Beispiele von Maßnahmen des Bewahrens811. Auf diese weisen auch reparierte Schäden einer Gruppe von zwölf Stühlen hin, die ebenso auf mögliche Gründe für das Aussortieren zugehöriger Exemplare verweisen. Selbst Maßnahmen des Entsammelns lassen sich anhand dieses Beispiels nachvollziehen: die Gruppe gibt anhand von Inventarangaben Aufschluss über die ehemals größere Menge dieser Sitzmöbel812. Ding-Ding-Bindungen sind in solchen Objektgruppen offensichtlich, werden jedoch auch durch die enorme Menge gleicher, ähnlicher oder in ihrer Nutzung zusammengehöriger Objekte deutlich. Beispielsweise im Bereich der Militaria, der Küchenutensilien oder auch der Tischwäsche in Kombination mit Geschirr, Glaswaren und Bestecken. Ding-MenschBindungen sind durch die oben beschriebenen Bedeutungsebenen vielfältig sichtbar, sowohl in den Porträts als auch in den zahlreichen mit Monogrammen oder Wappen versehenen Objekten sowie in Kleidungsstücken, Spielsachen und Devotionalien. Außergewöhnliche Objektbiographien können im Zusammenhang mit der Auktion nachvollzogen werden. So beispielsweise diejenige eines Gemäldes, welches „Christus, von Engeln getragen“ zeigt813. Das Gemälde gelangte aus den Sammlungen Wallmoden und Hausmann in den Besitz der Welfen, verblieb zunächst im Provinzial-Museum, war Teil der oben beschriebenen, auch finanziell begründeten Entsammlungsmaßnahme zahlreicher Gemälde aus der ehemaligen Fideikommiss-Galerie und wurde in diesem Zusammenhang 1926 in Berlin bei Cassirer angeboten, jedoch nicht versteigert. Daraufhin gelangte es ins Schloss Blankenburg, von dort ins Schloss Marienburg und zur Auktion 2005. Über einen italienischen Kunsthändler wurde es erneut bei Sotheby’s eingeliefert, in New York verauktioniert und gelangte so ins Metropolitan Museum New York814 . Die Vorbereitungen zu diesem großen Verkauf begannen bereits 2004, als die beiden Prinzen Kontakt zum Kunstvermittler Graf Douglas aufnahmen815. Mit die808 Vgl. u.a. Bestecke aus dem Besitz Georgs (V.) von Hannover, Lose 2540-2546, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 86-87. 809 Vgl. u.a. Tischwäsche aus dem Besitz Wilhelms von Braunschweig, Lose 4067-4074 und 4082-4085, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 253-255. 810 Los 2206, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 43. 811 So beispielsweise Stühle, ein Armlehnstuhl sowie ein Kanapee aus dem 19. Jahrhundert, Los 3112, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 161. 812 Los 3120, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 162; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 233ff. 813 Los 459, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 95. 814 Vgl. Metropolitan Museum of Art - Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum.org/ collection/the-collection-online/search/441965?rpp=30&pg=1&ft=hanover&pos=24& imgNo=0&tabName=object-informationhttp://www.metmuseum.org/collection/the-coll ection-online/search/441965?rpp=30&pg=1&ft=hanover&pos=24&imgNo=0&tabName =object-information. 815 Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005.
568 | S AMMLUNGEN DES A DELS sem wurde eine erste Auswahl derjenigen Bestände getroffen, die weiterhin im Besitz der Familie verbleiben sollten. Im direkten Vorfeld der Auktion wurden schließlich durch das Auktionshaus Sotheby’s zur Katalogerstellung sämtliche zum Verkauf bestimmten Objekte in eine Lagerhalle bei Amsterdam abtransportiert, um dort begutachtet, fotografiert und teilweise restauratorisch behandelt zu werden816. Das im Katalog festgehaltene Ergebnis dieser, unter starkem Zeitdruck durchgeführten, Arbeiten verzichtet bis auf wenige Ausnahmen auf ausführliche Beschreibungen und Informationen817 . Zahlreiche Angaben sind fehlerhaft818. Eine vorherige Inventarisierung im Schloss Marienburg – beispielsweise durch regionale Wissenschaftler oder Angestellte des Denkmalschutzes – wurde dagegen nicht durchgeführt 819. Wie bereits beim Beispiel des Hildesheimer Silberservices wurden auch für die Auktion 2005 zusammengehörige Objektgruppen mit dem Ziel einer besseren Verkaufschance getrennt und einzeln angeboten820. In einem unbebilderten Zusatzkatalog wurden darüber hinaus so genannte „Kellerlose“ – das heißt, beschädigte, materiell wenig wertvolle Objekte in größeren Konvoluten – angeboten821. In der Presse wurde bereits einige Monate vor der Versteigerung ausführlich über diese berichtet. Das Interesse an den jungen Prinzen, die zu diesem Zeitpunkt in New York studierten, war groß822. Es wurde deutlich, dass die Übertragung des Besitzes an die jüngere Generation zu umfassenden Veränderungen führen musste, und es war die Rede davon, dass „große Teile aus dem Besitz des Könighauses [sic] Hanno-
816 Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 20f; vgl. FAZ, 6. Oktober 2005; Kritik an diesem Vorgehen kam beispielsweise aus der Familie, die grundsätzlich ihre Zustimmung zum Verkauf gegeben hatte, FAZ, 21. April 2005: Heinrich von Hannover wundert sich über Sotheby’s. 817 Auktionskatalog Sotheby’s 2005, vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005. 818 Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 21; darüber berichtete auch die FAZ: „Wer weiß, welche Entdeckungen da bis zum 15. Oktober noch zu machen sind. Einige Überraschungen erlebte Sotheby’s sogar nach der Katalogisierung. Ein Porzellankännchen etwa, das sich bei unbedeutendem japanischen Porzellan versteckt hatte, wurde erst jetzt von den Spezialisten als wertvolles Stück Meißen erkannt, das August der Starke der Kurfürstin Sophie von Hannover geschenkt haben könnte; statt 300 Euro soll es jetzt bis zu 40000 Euro wert sein.“, FAZ, 8. Oktober 2005: Kegel, Sandra: Provenienz ist alles: Die Welfenpreise purzeln in die Höhe; diese fehlerhafte Dokumentation bemängelt auch Heinrich Prinz von Hannover, Gespräch von Hannover; ebenso Dr. Meiners und Prof. Busch, unveröffentlichtes Gespräch mit Dr. Jochen Meiners (Direktor des Bomann-Museums Celle) und Prof. Ralf Busch (Bomann-Museum Celle), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Dr. Meiners/Prof. Busch. 819 Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 21; vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005; Prof. Biegel betont, dass die Bestände in Schloss Marienburg im Ganzen nicht zugänglich gewesen seien, unveröffentlichtes Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Biegel (ehemals Direktor des Braunschweigischen Landesmuseums), Frühjahr 2011, folgend: Gespräch Prof. Biegel. 820 Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 21. 821 Vgl. auch FAZ, 15. Oktober 2005. 822 Artnet, 4. Mai 2005; vgl. Bunte 19/2005.
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ver“823 abgegeben würden. Man erwartete eine Veränderung des Schlosses Marienburg, damit es mehr Touristen anlocken könne, und es wurde von dessen Umwandlung in ein „Neuschwanstein des Nordens“ gesprochen824. Im Frühjahr 2005 ging man davon aus, dass Museen aus der Region während der Auktion ein Erlass des Aufgeldes gewährt würde825 . Statt dieser Lösung kam es zur Möglichkeit von Vorabkäufen: „Durch den Einsatz des Ministeriums [für Wissenschaft und Kultur, Anm. U.S.] bot sich eingeladenen Museumsleitungen am 15. Juni 2005 die Gelegenheit zu einer Vorbesichtigung in einer Lagerhalle in Amsterdam, wohin das Auktionsgut zur Katalogisierung gebracht worden war. Es standen wenige Stunden für eine Durchsicht zur Verfügung: nur wenige Werke schienen dabei von öffentlichem Interesse. Immerhin war ein Vorabkauf möglich, auch von noch separat angebotenen Objekten, und so konnten dank der Vermittlung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur und der Finanzierung niedersächsischer Stiftungen wenig später einige herausragende Werke als Erwerbungen präsentiert werden.“826
823 Artnet, 4. Mai 2005; der Erlös wurde auf 12 Mio. Euro geschätzt, Artnet, 4. Mai 2005. 824 Braunschweiger Zeitung, 29. April 2005: Welfenschloss als „Neuschwanstein des Nordens“; Welt online, 30. Juli 2005; Braunschweiger Zeitung, 5. Oktober 2005; 2006 wurde über den bevorstehenden Umbau und Renovierungsarbeiten berichtet, darüber hinaus seien nun bisher nicht öffentliche Räume zugänglich, Braunschweiger Zeitung, 7. April 2006: Nach Auktion wollen Prinzen Marienburg zu Touristenattraktion machen; 2007 berichtete die Braunschweiger Zeitung allerdings, es sei lediglich ein Besuchercafé eingerichtet und die Elektrik erneuert worden, Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007; ebenso wurde allerdings berichtet, das Schloss sei nun so eingerichtet, wie es einmal vorgesehen war, Braunschweiger Zeitung, 6. November 2007; heute werden außerdem Arrangements für Hochzeiten und andere Feierlichkeiten angeboten und es werden vor allem Busreisende empfangen, vgl. Schloss Marienburg (Haus Hannover): http://www.schlossmarienburg.de/heiraten-schloss-marienburg.htm; die Presse berichtet, diese Angebote seien gut genutzt, Hannoversche Allgemeine Zeitung online, 25. März 2010: Schloss Marienburg will Ertrag erhöhen. 825 Artnet, 4. Mai 2005. 826 Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 17; Artnet berichtete: „Bereits im Vorfeld zu der Auktion hatten niedersächsische Stiftungen rund 50 Neuerwerbungen aus dem Hause Hannover mit mehr als 500.000,- Euro finanziert, die zukünftig im Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig, dem Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover, vor allem aber im Braunschweigischen Landesmuseum zu sehen sein werden. Das Haus Hannover gewährte Museen im ehemaligen Hoheitsbereich des Hauses dafür einen bereits auf der ersten Pressekonferenz im Mai angekündigten Kaufrabatt.“, Artnet, 19. Oktober 2005; vgl. Braunschweiger Zeitung, 18. Juni 2005: Jasper, Martin: Schätze der Welfen: Museen dürfen sich was wünschen; gleichzeitig wurden die Bedingungen der Vorbesichtigung kritisiert und vermutet, es seien nicht alle Objekte zugänglich gewesen, vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 2005: Fuchs, Thorsten: Welfen sind Thema im Landtag.
570 | S AMMLUNGEN DES A DELS Es kam jedoch im Zusammenhang mit dieser Möglichkeit des Vorabkaufes nicht zum Ankauf größerer Bestände827. Finanziert wurden die Ankäufe vorrangig durch Stiftungen der Region828. Auch an ausländische Käufer waren vorab kunsthistorisch wertvolle Werke veräußert worden, beispielsweise – wie oben beschrieben – der „Calenberger Altar“ an das Museum of Fine Arts in Boston829. Die offizielle Vorbesichtigung der Auktion fand in 130 Räumen des Schlosses Marienburg statt830. Mit über 8.000 Interessierten, davon zahlreiche Vertreter des Adels, war bereits diese sehr gut besucht831. Die Auktion setzte einen Trend erfolgreicher Verkäufe von Adelsbesitz fort und profitierte im Bereich der günstigeren Angebote vom großen Interesse privater Käufer, ein Objekt aus ehemals königlichem Besitz zu erwerben. Sowohl im Vorfeld als auch während und nach der Auktion war das Medieninteresse am Verkauf groß. Die in der Presse wiedergegebene Meinung reichte von neutraler Berichterstattung über Kritik bis hin zu spöttischen Kommentaren832. Auch die Beurteilung der Qualität des Angebots wies eine enorme Spanne auf: die Welt sprach von ca. 20% qualitätvollen Objekten, aber auch „viel Plunder“833 . Bereits im Frühjahr 2005 wurde darauf hingewiesen, dass keines der angebotenen Objekte in die Liste national wertvoller Kulturgüter eingetragen war und kein in diese Liste eingetragenes Objekt das Land verlasse834 . In diesem Zusammenhang gab es jedoch auch kritische 827 In der Presse wurde diesbezüglich mehrfach Graf Douglas zitiert, der feststellte, die Museen hätten wenig Interesse gezeigt, vgl. Welt online, 16. Oktober 2005: Vowinkel, Heike: Alles muss raus – Endspurt bei Welfen-Auktion auf Schloss Marienburg. 828 Heinrich von Hannover weist darauf hin, dass einzelne Landesmuseen gern gekauft hätten, jedoch diesbezüglich keine eigenen finanziellen Mittel hatten, Gespräch von Hannover. 829 Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 18. 830 Vgl. Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007; vgl. FAZ, 2. Oktober 2005. 831 Vgl. FAZ, 5. Oktober 2005; vgl. Spiegel online, 5. Oktober 2005; Stern.de, 5. Oktober 2005: Kunstschätze. Königliche Güter unterm Hammer. 832 Vgl. Kapitel 1.2; vgl. Spiegel, 38/2005; bei Spiegel online war die Rede von einem „fürstlichen Ramschtag“, Spiegel online, 15. Oktober 2005; Welt online berichtete: „Sotheby’s versteigert jetzt Kunst und Krimskrams der Fürsten von Hannover.“, Welt online, 25. September 2005; des Weiteren berichtete man, die Prinzen „verscherbeln auf einer Art Edelflohmarkt einen Teil ihres Erbes [...]“, Welt online, 2. Oktober 2005; von „Kunst, Kitsch und Krimskrams“ war auch im Nachhinein die Rede, Welt online, 28. August 2007; ebenso von Schloss Marienburg als „luxuriöse Abstellkammer“, Braunschweiger Zeitung, 6. November 2007. 833 Welt online, 12. Oktober 2005. 834 Vgl. Artnet, 4. Mai 2005; vgl. Welt online, 19. April 2005; vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005; laut Zeit online wies Graf Douglas in diesem Zusammenhang darauf hin, dass von keinem anderen Königshaus mehr Objekte in die entsprechende Liste eingetragen seien als von den Welfen, Zeit online 40/2005; „Legal ist der Verkauf in jedem Fall [...]. Darüber, dass keine Objekte von der Liste unveräußerlicher nationaler Kulturgüter außer Landes gingen, wache der Zoll, teilte das niedersächsische Finanzministerium mit.“, Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005; die Formulierung „unveräußerlicher nationaler Kulturgüter“ ist hier irreführend, da diese nicht ausgeführt, jedoch innerhalb Deutschlands durchaus veräußert werden dürfen; auch der Spiegel macht deutlich,
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Stimmen bezüglich der Verbringung sämtlicher Objekte in die Niederlande835, und es kamen Vermutungen auf, dies habe keine organisatorischen Gründe gehabt, sondern sei eine Möglichkeit gewesen, eine nachträgliche Eintragung einzelner Werke in diese Liste zu verhindern836. Festzuhalten ist jedoch, dass der Verkauf nicht maßgeblich durch Kulturgüter- oder Denkmalschutzmaßnahmen eingeschränkt wurde. Bezüglich der ehemaligen Bindungen durch Fideikommisse muss er „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur stattgefunden haben, da dieses sonst hätte einschreiten können. Die Presse griff die Frage nach ausreichenden Kulturgüterschutzmaßnahmen auf: „Umstritten ist, ob mit der Auktion nicht auch wertvolle Kulturgüter verhökert werden. Während Kunsthistoriker vor dem Ausverkauf des Welfenbesitzes warnten, hatte Niedersachsens Kulturminister [sic] Lutz Stratmann (CDU) betont, bei der Auktion kämen nicht viele Stücke von ‚tatsächlich herausragender Bedeutung‘ unter den Hammer.“837
Die Auktion wurde schließlich zum Anlass genommen, das verbleibende – hauptsächlich neogotische – Inventar als Zubehör des Baudenkmals Marienburg unter Denkmalschutz zu stellen838. Die nicht ganz eindeutige Definition des „Zubehörs“ im deutschen Denkmalschutzrecht gibt einen Hinweis darauf, warum diese Unterschutzstellung erst im Zusammenhang mit dem Verkauf großer Teile der dort untergebrachten Objekte erfolgte. Ebenso kann die Frage, ob nicht weitere – nun verkaufte Objek-
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dass bezüglich der Kulturgüterschutzbestimmungen einige Unklarheit herrscht: „Kulturgüter allerersten Ranges dürfen übrigens gar nicht veräußert werden – da würde der Denkmalschutz protestieren.“, Spiegel 38/2005; diese Formulierung erweckt den Eindruck einer automatischen Unterschutzstellung von Kulturgütern, es gibt jedoch durchaus die Möglichkeit, dass schützenswerte Objekte aus verschiedenen Gründen nicht in die entsprechende Liste eingetragen sind, aus diesem Grund nicht durch das KultgSchG geschützt werden und auch nicht in den Bereich des Denkmalschutzes fallen. Vgl. Artnet, 4. Mai 2005; z.B. auch aufgrund der dortigen Lagersituation, Gespräch Dr. Meiners/Prof. Busch. „Zahlreiche andere Kunstschätze wie Waffen und Honthorst-Gemälde seien ebenfalls vorab außer Landes geschafft worden.“, Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. Spiegel online, 5. Oktober 2005. Die FAZ berichtete bereits im Vorfeld, dass diese Einrichtungsgegenstände nicht verauktioniert werden sollten: „Nicht veräußert werden das ursprüngliche neogotische Inventar von Schloss Marienburg, einem romantisierenden Bau des neunzehnten Jahrhunderts, und die Möblierung des Fürstenhauses in Herrenhausen.“, FAZ, 19. April 2005; auch die Welt fokussierte auf die Einrichtung des Schlosses Marienburg, indem sie berichtete: „Niedersächsische Museumsexperten hatten die Auktion als Ausverkauf deutscher Kulturgüter kritisiert. Sotheby’s dagegen versicherte zum Ende der Versteigerung noch einmal, die Kunstgegenstände stammten nicht von der Marienburg, sondern aus enteigneten Schlössern des ältesten deutschen Fürstengeschlechts.“, Welt online, 17. Oktober 2005; Stern.de berichtete darüber hinaus, es seien Objekte aus der Auktion herausgenommen worden, da sie zur ursprünglichen Einrichtung des Schlosses Marienburg gehörten, Stern.de, 7. Oktober 2005; diese Information findet sich auch auf Welt online, 8. Oktober 2005.
572 | S AMMLUNGEN DES A DELS te – durch diese Gesetzgebung hätten geschützt werden können, mit Blick auf ebendiese beantwortet werden. Wesentlich ist laut Melchinger beispielsweise, dass an der gemeinsamen Erhaltung von Baudenkmal mitsamt entsprechender Zubehörteile ein öffentliches Interesse bestehe839. Für ein solches ist wiederum eine Kenntnis dieser Objekte Voraussetzung. „Hinzu kommt ein zeitlicher Aspekt. Das Ausstattungsstück muss zwar nicht notwendig aus der gleichen historischen Epoche stammen wie die Hauptsache selbst (bspw. ist auch die Barockausstattung einer romanischen Kirche mit dieser zusammen geschützt), das bewegliche Zubehör muss jedoch mit dem Kulturdenkmal bereits während einer historisch gewordenen Epoche verbunden worden sein.“840
Bis heute ist jedoch das Interesse an der Entwicklung des Adels nach 1918 im Allgemeinen und deren Sammlungen im Besonderen gering. Aus dieser Sicht bilden die aus verschiedenen Schlössern der Welfen in das letzte verbliebene Schloss Marienburg gebrachten Objekte mit dem Schloss selbst keine Einheit, obwohl gerade diese Entwicklung das Leben der Familie, ihre Sammlungen sowie entsprechende Wechselwirkungen entscheidend geprägt hat und diese Bestände damit maßgebliche Hinweise auf die Entwicklung des Adels im 20. Jahrhundert geben können. Graf stellte im Zusammenhang mit dem Verkauf von Schlossobjekten aus dem Besitz des letzten Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin und Karls Graf von Maldeghem 1999 zudem fest: „Ahnengalerien und Sammlungen von Familienporträts in Schlössern sind „Denkmalzubehör“ par excellence, die zum Baudenkmal passen wie der Schlüssel zum Schloss.“841 Selbst wenn die 2005 durch die Welfen veräußerten Porträtgemälde ihren Platz nicht ursprünglich im Schloss Marienburg hatten, ist diese Aussage auf den dort verkauften Gemäldebestand zu übertragen: durch den Verlust der Schlösser Braunschweig und Blankenburg sowie die Abgabe des Schlosses Cumberland ist die enge Verbindung von Gemälde und Ort auf das Schloss Marienburg übergegangen, denn nur dort konnten weiterhin ihre Funktion als Erinnerungs- und Stellvertreterobjekte wahrnehmen, bis diese von Seiten der Familie nach und nach immer weniger abgerufen wurde. Kleeberg/Eberl weisen darauf hin, dass das Denkmalschutzgesetz des Landes Thüringen neben dem Schutz von Zubehör die Möglichkeit bietet, „Gegenstände der bildenden Kunst, deren Zugehörigkeit zu einem bestimmten Ort historisch begründet ist und der Verbleib an Ort und Stelle im öffentlichen Interesse liegt“842, zu schützen, wobei diese Möglichkeit – selbst wenn es sie in Niedersachsen gäbe – zahlreiche historisch relevante Objekte ausschließen würde, die keine „Gegenstände der bildenden Kunst“ sind. Dennoch ist zu vermuten, dass ein vielfältigerer Bestand in diesem Zusammenhang hätte geschützt werden können. Neben der nachträglichen Unterschutzstellung der als Zubehör gewerteten Objekte waren die oben genannten Silbermöbel bereits seit einiger Zeit in die Liste national
839 Melchinger, S. 50. 840 Melchinger, S. 50. 841 Zur Versteigerung am 24. März 1999 bei Christie’s in Amsterdam, bei welcher das Inventar der Schlösser Ludwigslust und Niederstrotzingen veräußert wurde, Graf 1999. 842 Kleeberg/Eberl, S. 195.
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wertvollen Kulturgutes eingetragen843 . Laut Graf Spreti müssen diese nun auch im Schloss Marienburg verbleiben, was er bemängelt, da sie ebenso wenig als Zubehör gelten können wie andere – verkaufte – Objekte844. Unabhängig von Kulturgüterschutzmaßnahmen kam es zur Beschlagnahmung von einigen historischen Waffen, da für diese kein Waffenschein vorlag845 . In Bezug auf die umfangreichen Sammlungen in Adelsbesitz ist darauf hinzuweisen, dass die Denkmalschutzgesetze nur im Rahmen wirtschaftlicher Zumutbarkeit angewendet werden können846 . Dass umfangreichere Schutzmaßnahmen gleichzeitig auch die nötige Übernahme von Verantwortung durch die öffentliche Hand bedeuten, beschreibt Heskia am Beispiel einer Sammlung aus dem 18. Jahrhundert und gibt damit möglicherweise einen entscheidenden Hinweis auf den Grund der diesbezüglichen Zurückhaltung der zuständigen Stellen: der in finanzielle Not geratene Kardinal Alessandro Albani wurde für die Veräußerung von Teilen seiner Sammlung nach Dresden stark kritisiert, was dazu führte, dass weitere Verkäufe außerhalb Roms unmöglich wurden847 . Aus Mangel an privaten Käufern „ergab sich quasi ein Kaufzwang für den Kirchenstaat ... An dieser Begebenheit kann man bereits einen Mechanismus der Konstituierung eines Sammlermuseums erkennen, wie er noch heute funktioniert. Der private Sammler stößt an die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit und ist dazu gezwungen, die Sammlung zur Gänze oder teilweise abzustoßen, wobei Ausfuhrbeschränkungen die Verfügungsgewalt des Sammlers entscheidend einschränken können. Sind die Werke der Sammlung prominent genug, kann aber der Sammler selbst Druck auf den Staat ausüben, ihm die Sammlung abzukaufen, ein eigenes Museum dafür zu errichten und auf Dauer zu erhalten.“848
Es ist nicht eindeutig zu klären, inwieweit von Seiten des Bundes oder des Landes Niedersachsen Interesse an einer kompletten Übernahme des Schlosses mitsamt seiner Bestände bestanden hätte849 . Ebenso wenig, ob das Haus Hannover diese Möglichkeit eines Komplettverkaufs in Betracht gezogen hat850. Laut Luckhardt gab es
843 Vgl. Datenbank national wertvollen Kulturgutes: http://www.kulturgutschutz-deutsch land.de/DE/3_Datenbank/Kulturgut/Niedersachsen/09907.html; laut Steckhahn hatte Ernst August (V.) von Hannover versucht, diese Möbel zu verkaufen, wurde jedoch per Gerichtsbeschluss daran gehindert, Steckhahn, S. 212. 844 Gespräch Graf Spreti. 845 Vgl. FAZ, 2. Oktober 2005. 846 § 7, Absatz 1, DSchG ND; vgl. Kapitel 2.1.3. 847 Vgl. Heskia, S. 73f. 848 Heskia, S. 74. 849 Da das Land Niedersachsen jedoch aufgrund von fehlenden Haushaltsmitteln Ankäufe während oder im Vorfeld der Auktion ausschloss, ist dies unwahrscheinlich. 850 Laut Heinrich von Hannover war dies nicht der Fall mit der Begründung, dass die Familie dort nicht selbst leben wolle (er nennt Beispiele in anderen Bundesländern, in welchen vergleichbare Lösungen eines Ankaufs durch das Land mit Wohnrecht für die Verkäufer gefunden wurden), Gespräch von Hannover; Graf Douglas erwähnt Vorschläge, die Hälfte des Besitzes an das Land zu verkaufen und die andere Hälfte im Eigentum der Welfen
574 | S AMMLUNGEN DES A DELS 2001 das Angebot des Welfenhauses, Schloss Marienburg mitsamt des kompletten Inhalts zu erwerben, wofür eine Summe von 200 Mio. Euro verlangt worden wäre851 . Auch Graf Douglas betont, dass er sich mehrere Jahre darum bemüht habe, gemeinsame Lösungen zu finden, um das Schloss mitsamt den Beständen zu erhalten852 . Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Verkauf einer so großen Menge von Objekten einen entscheidenden Einschnitt in der Geschichte der welfischen Sammlungen markiert. Wenn auch der Anlass finanzielle Hintergründe (Gründung einer Familienstiftung) hatte, kann ein Verkauf in diesem Ausmaß nicht auf diesen Grund reduziert und als typische Sammlungsaktivität des Adels betrachtet werden (wie sie beispielsweise in der kritischen Phase der 20er und 30er Jahre durchgeführt wurden). Besser vergleichbar sind typische Entsammlungsmaßnahmen wie zuletzt 1950 die Auktion durch das Auktionshaus Hünerberg. Allerdings werden bei genauerem Hinsehen deutliche Unterschiede augenscheinlich: während bei der Auktion 2005 ca. 20.000 Objekte veräußert wurden, handelte es sich 1950 um ca. 550 Objekte. 1950 wurden prozentual wesentlich größere Mengen an Porzellan und Möbeln – und damit typische repräsentative Gebrauchsgegenstände – angeboten853. Bei der Auktion 2005 wurden nahezu komplette Sammlungsbereiche, wie beispielsweise Militaria854 , abgestoßen. Die Auktion der Familie Thurn und Taxis ist diesbezüglich stärker mit der Auktion von 1950 vergleichbar, da bei dieser Möbel und Porzellan sogar die größten Objektbereiche bildeten855 . Bei der Auktion des Hauses Baden bil-
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zu belassen, welche jedoch durch das Land abglehnt wurden, da man gar nichts ankaufen wollte, da Ankäufe politisch nicht duchsetzbar gewesen seien, Gespräch Graf Douglas. Gespräch Prof. Luckhardt; Graf Douglas spricht dagegen davon, dass es Angebote gegeben habe, die 1/5 des jetzigen Erlöses betragen haben, Gespräch Graf Douglas. Gespräch Graf Douglas; wenn auch in den Fällen Thurn und Taxis sowie Baden Ankaufslösungen der Länder gefunden wurden, war auch im Fall Baden ein Gesamtankauf problematisch: bereits seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts waren finanzielle Schwierigkeiten der Familie bekannt und es gab ein Ankaufsangebot, das jedoch nicht zum Abschluss kam. Im Vorfeld der Auktion 1995 kam es zu einem Angebot an das Land Baden-Württemberg über 80 Mio. DM für sämtliches Inventar. Die Verhandlungen waren auch hier schwierig, es kam jedoch zur Anfertigung einer Expertise durch Museumsdirektoren und dem Ankauf von Objekten im Wert von 46 Mio. Mark (sowohl ausgewählte kunsthistorisch bedeutende Einzelstücke als auch Inventar für öffentlich verwaltete Schlösser sowie eine frühe Kunstkammer), für welche u.a. Sponsoren gewonnen wurden, vgl. Piesker, S. 25, S. 28 und S. 30ff; die Kunstkammer war laut Graf bereits im Vorfeld unter vorläufigen Denkmalschutz gestellt worden, vgl. Graf 1999. Ca. 17% des Angebots entfielen 1950 auf den Bereich Porzellan, ca. 14% auf den Bereich Möbel. Im Vergleich dazu machte der Bereich des Porzellans 2005 9%, der Bereich der Möbel 7% aus. 2005 entfielen 22% des Angebots auf den Bereich Militaria, bei der Auktion 1950 waren dies 16%; die Abstoßung dieses Bereiches wurde also 1950 bereits begonnen und 2005 abgeschlossen. 33% des Angebotes waren Möbel, 21% Porzellan, gefolgt von 13% Hausrat. Alle anderen Bereiche lagen unter 10% des Angebots; aus (kunst-)historischer Sicht ist der Verkauf von Raumausstattungen aus St. Emmeram wie beispielsweise dem Erzherzog Joseph Appartement, dem Prüfeninger Appartement, einem ehemaligen Schreibzimmer, dem Ba-
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dete der Bereich Hausrat knapp vor den Möbeln und gefolgt von Porzellan den größten Anteil der verkauften Objekte856 . Auch im Bereich der Gemälde ist ein deutlicher Unterschied erkennbar: während die Menge mit 17% bei der Auktion 2005 und 19% 1950 ähnlich groß war, differierten die Inhalte enorm. Wie bereits beschrieben, handelte es sich 1950 bei den angebotenen Gemälden vorrangig um Genreszenen und Landschaften, während nahezu keine Porträts verkauft wurden. 2005 war der Anteil der Porträts dagegen dominierend, wobei darüber hinaus die Dargestellten häufig einen (engen) verwandtschaftlichen Bezug zu den Verkäufern aufwiesen. Bei der Auktion der Familie Thurn und Taxis entfiel dagegen nur ein Anteil von 7% des Gesamtangebots auf Gemälde, welche eine ausgewogene Mischung aus Porträts und weiteren Inhalten bildeten. Dies ist vergleichbar mit der Auktion des Hauses Baden, bei welcher 9% der veräußerten Objekte Gemälde waren, wobei auch hier der Anteil von Porträts sowie weiteren Darstellungen ausgeglichen erscheint. Offensichtlich sind auch Unterschiede bezüglich der Schätzpreise (trotz der zu bedenkenden veränderten Situation von 1950 bis 2005 und den entsprechend gestiegenen Preisen): während bei der Hünerberg-Auktion knapp 70% der Objekte in einem Preisbereich von (umgerechnet) 1 bis 99 Euro lagen, ist diese Preisspanne 2005 nicht vertreten. Weitere 26% lagen 1950 in einem Preisbereich von umgerechnet 100 bis 199 Euro, welcher 2005 34% ausmachte. Der größte Preisbereich 2005 war mit 59% derjenige von 1.000 bis 9.999 Euro, auf welchen 1950 nur 4% des Angebots entfielen. Die teuersten Objekte lagen 1950 im Bereich von 10.000 bis 49.999 Euro, machten jedoch nur 1% des Angebots aus, wohingegen 2005 noch immerhin 6% auf diese Spanne entfielen und je 1% auf die Preisspannen von 50.000 bis 99.999 Euro, 100.000 bis 500.000 Euro und über 501.000 Euro entfielen. In diesem Zusammenhang ist die Auktion des Hauses Thurn und Taxis mit beiden Auktionen der Welfen vergleichbar, jedoch mit einer Tendenz zu geringeren Preisen als 2005: immerhin noch 6% entfielen auf eine Preisspanne von 1 bis 99 Euro, 52% auf die Spanne von 100 bis 999 Euro und 38% auf die Spanne von 1.000 bis 9.999 Euro. Nur insgesamt 6% lagen über 10.000 Euro. Die Auktion des Hauses Baden weist diesbezüglich stärkere Ähnlichkeiten zur frühen Auktion der Welfen auf, indem 46% des Angebots in einem Schätzpreisbereich von 1 bis 99 Euro lagen. Noch 39% entfielen auf den Bereich von 100 bis 999 Euro und nur 14% auf den Bereich von 1.000 bis 9.999 Euro. Der Anteil der Objekte über 10.000 Euro und vor allem über 50.000 oder sogar 100.000 Euro war verschwindend gering. Die Preisentwicklung ist auch als Entwicklung des Kunstmarktes auf dem Gebiet der Adelssammlungen zu bewerten. Dass 2005, trotz der erwähnten Fehlerhaftigkeit des Kataloges, nur für ca. 2% der angebotenen Objekte keine Entstehungszeit angegeben ist, während dies 1950 auf ca. 38% der Objekte zutraf, ist vermutlich der Professionalisierung des Auktionsbetriebes zuzuschreiben. Bei beiden Auktionen ist der Anteil der aus dem 19. Jahrhundert
rock Esszimmer, dem Fürstin Margarete Appartement, dem Fürst Albert Appartement, dem Jagdsalon und anderer Räume als großer Verlust zu werten (worauf auch Prof. Ottomeyer hinweist, Gespräch Prof. Ottomeyer), Abgaben dieser Art zur Neunutzung vorhandener Räume stehen jedoch durchaus in der Tradition von Entsammlungsmaßnahmen des Adels, vgl. Auktionskatalog Sotheby’s 1993, Bd. I. 856 18% des Angebots waren Hausrat, 17% Möbel und 12% Porzellan.
576 | S AMMLUNGEN DES A DELS stammenden Objekte am größten, gefolgt von Objekten des 18. Jahrhunderts857. Dies gilt ebenso für die Auktionen der Häuser Thurn und Taxis und Baden858 . Man kann durch den Vergleich der Auktion 2005 mit derjenigen der Welfen von 1950 sowie den Auktionen der Häuser Thurn und Taxis sowie Baden in den 90er Jahren feststellen, dass es sich tatsächlich um eine groß angelegte Entsammlungsaktion handelte. Diese wurde im Vergleich zur Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges jedoch nicht nur durch eine Weiterentwicklung des Kunstmarktes stark professionalisiert, sondern es bestand darüber hinaus eine wesentlich größere Bereitschaft zur Abgabe hochwertiger und vor allem ehemals bindungsreicher Objekte. Selbst im Vergleich zu den zeitlich nahe liegenden Auktionen der anderen Häuser, welche in der Presse ähnlich kritisch betrachtet wurden, ist eine Radikalisierung feststellbar. Diese bezieht sich vor allem auf die gestiegenen Preise beziehungsweise das Angebot hochwertigerer Objekte, aber auch auf die Bereitschaft, eng mit der Familie und deren ehemaliger Stellung verknüpfte Objekte abzustoßen859 . Porträtgemälde sind diesbezüglich ein eindrucksvolles Beispiel. Besonders in diesem Bereich – jedoch ebenso in weiteren festzustellen – überwiegt die Trennung von Objekten aus dem ehemaligen Fürstentum Braunschweig und dem Besitz des dort regierenden Familienzweigs860. Ebenso wie in den Auktionen der Häuser Thurn und Taxis und Baden wurden während der Auktion der Welfen 2005 zahlreiche Geschenke veräußert. Damit setzte die Familie die bereits beschriebene Reihe dieser Verkäufe fort. Da Objekte dieser Art ebenso von den beiden anderen Familien angeboten wurden, kann festgestellt werden, dass die entsprechenden Bindungen durch den Verlust von Machtund Sonderstellungen im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer stärker geschwächt
857 Auktion 2005: 57% des Angebots stammte aus dem 19. Jahrhundert und 19% aus dem 18. Jahrhundert; 1950: 31% des Angebots stammte aus dem 19. Jahrhundert und 14% aus dem 18. Jahrhundert. 858 Thurn und Taxis: 61% des Angebots stammte aus dem 19. Jahrhundert und 19% aus dem 18. Jahrhundert; Baden: 54% des Angebots stammte aus dem 19. Jahrhundert und 21% aus dem 18. Jahrhundert; die Auktion des Hauses Thurn und Taxis verweist jedoch durch ausgewählte Kunstwerke des 19. Jahrhunderts sowie des 20. Jahrhunderts auf eine längere lebendige Sammeltradition, welche Entsammlungsmaßnahmen einschließt, Auktionskatalog Sotheby’s 1993, Bd. II und Bd. IV; dies wird bestätigt durch heutige Sammeltätigkeiten Glorias von Thurn und Taxis, deren Sammlung 2005 erneut durch eine Entsammlungsaktion gestrafft wurde, Artnet, 9. November 2005: Spessardt, Henrike von: Wenn der Palazzo platzt; Heinrich von Hannover weist darauf hin, dass die Auktion des Hauses Thurn und Taxis bewusst auf Ziermöbel des 19. Jahrhunderts fokussiert habe. Darüber hinaus seien Teile der durch das Land Bayern angekauften Objekte im Schloss belassen worden, Gespräch von Hannover. 859 Oben beschriebene Objekte der verschiedenen Bedeutungsebenen fanden sich ebenfalls (jedoch in geringerer Menge) in der Auktion des Hauses Thurn und Taxis, vgl. Auktionskatalog Sotheby’s 1993, Bd. II. 860 Auch Heinrich von Hannover betont, dass der Verlust von Objekten aus diesem Familienzweig besonders groß sei, Gespräch von Hannover; dies bedauert auch Prof. Biegel, Gespräch Prof. Biegel.
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wurden. Die ehemals ebendiese Stellung bestätigenden Objekte haben für die Familien ihre Funktion verloren861 . Der Verlust von Funktionen der verkauften Objekte ist insgesamt offensichtlich. Schloss Marienburg wurde durch die Welfen nur selten genutzt. Auch zu den öffentlich gezeigten Objekten bestand keine enge Bindung mehr. Nicht nur die enorme Fülle der aus den verschiedenen Schlössern dorthin verbrachten Objekte führte zu einem Funktionsverlust, sondern vor allem die geographische Distanz zwischen der Familie und ihrem Besitz. Es ist davon auszugehen, dass die beiden Prinzen, welche als Verkäufer auftraten, einen großen Teil der von ihnen angebotenen Objekte vorher noch nie gesehen hatten862. Über zwei Generationen hatten sich bisherige Bindungen lösen können. Das Verlassen des Schlosses durch Ernst August (IV.) von Hannover führte zu einem ersten Bruch, der jedoch durch die geographische Nähe und den ebenfalls eng mit dem Haus verbundenen Wohnsitz Gut Calenberg gemildert wurde. Obwohl er selbst vorrangig in Gmunden aufgewachsen war und später im Schloss Blankenburg gelebt hatte, war die Flucht in das Schloss Marienburg 1945 ein für ihn prägendes Erlebnis gewesen. Die Beteiligung an der Überführung zahlreicher Objekte hatte bisherige Bindungen festigen können. Die Einrichtung eines Schlossmuseums im Schloss hielt diese aufrecht und erfüllte die Funktion des öffentlichen Zeigens der Sammlungsbestände. Ernst August (V.) von Hannover löste sich dagegen immer stärker von diesem Umfeld. Er war dort nicht aufgewachsen, lebte bereits zur Zeit seiner Ausbildung im Ausland und bewegte sich durch seine Ehe mit Chantal Hochuli und später der zweiten Ehe mit Caroline von Hannover stärker im „internationalen Jetset“ als im „welfischen Niedersachsen“. Seine Söhne wuchsen entsprechend auf, wobei die Trennung der Eltern weiter zu einer Entfernung der Wurzeln beigetragen haben könnte, nicht zuletzt, da sie vorrangig bei ihrer bürgerlichen Mutter aufwuchsen. Die weitgehende Nichtbeachtung sowie die Funktionslosigkeit863 von großen Beständen hinterließ ihre Spuren. Nicht wenige Objekte waren beim Verkauf in einem desolaten Zustand, der auf über Jahre andauernde schlechte Bedingungen der Lagerung hinweist. Dies wurde beispielsweise an einem Gemälde, welches „Wilhelm von Braunschweig mit Gefolge“ darstellt, deutlich: „An seinem letzten Standort im Schloss Marienburg bei Hildesheim hat das Gemälde in einem feuchten Raum gestanden. Schäden an der Unterkante von Zierrahmen und Gemälde lassen auf einen Wasserschaden schließen.“864 Auch „[d]er Rahmen befindet sich in schlechtem Zustand. Aufgrund unsachgemäßer Lagerung ist es zu einem Feuchtigkeitsschaden ge861 Der Aussage Pieskers, dass diese Objekte von vornherein selten Funktionen für die Beschenkten erfüllten, ist jedoch nicht zuzustimmen: „Unter den Hammer kamen viele Geschenke, die einst die badischen Städte dem Landesfürsten aus Anlass von Geburtstagen und Regierungsjubiläen gemacht hatten und mit denen die Beschenkten nicht immer viel hatten anfangen können.“, Piesker, S. 51. 862 Diese kaum vorhandenen Bindungen wurden bereits im Mai 2005 bei einer Pressekonferenz deutlich, vgl. Artnet, 4. Mai 2005. 863 Graf Douglas erwähnt, es seien nicht einmal alle Kartons ausgepackt gewesen, die 1945 aus Blankenburg in das Schloss Marienburg gebracht worden waren, und die Bindungen seien abgeschwächt, Gespräch Graf Douglas. 864 Billerbeck, Punkt 4, Schadensfeststellung.
578 | S AMMLUNGEN DES A DELS kommen. So ist am unteren Rahmenbereich bis zu einer Höhe von ca. 20 cm die komplette Fassungsschicht vom Träger gelöst [...]“865 Abbildung 21: Darstellung Wilhelms von Braunschweig mit Gefolge (Zustand 2005, vor Restaurierung), Hermann Tunica, 1850
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Vor allem die so genannten „Kellerlose“, die in Konvoluten in einem gesonderten Katalog ohne Bilder angeboten wurden, wiesen zum Teil irreparable Schäden auf. Die Kosten für einen sachgemäßen Erhalt und/oder Restaurierungsmaßnahmen des Gesamtbestandes sind kaum abschätzbar866 . Eine Neunutzung des bis zu diesem Zeitpunkt nur teilweise genutzten Schlosses Marienburg867 ist vor diesem Hintergrund ein verständliches Ziel und ist als Hinwendung Ernst Augusts (VI.) von Hannover zu seinem Besitz zu werten: laut Körner „ist es ein Erfahrungssatz der Denkmalpflege, dass ungenutzte Baudenkmäler dem Verfall eher preisgegeben sind als genutzte; nur die funktionale Integration eines Baudenkmals in die Gegenwart vermag auf Dauer die materielle Erhaltung zu sichern.“868 Die durch eine Familienstiftung angestrebte neue Konzeption, welche weiterhin eine Öffnung für die Allgemeinheit vorsah, sollte den Erhalt des Schlosses sichern, da eine erneute Nutzung als Wohnsitz ausgeschlossen war869 . In diesem Zusammenhang erwähnt Bungarten die 865 Sensburg 2009, 3.1. Beschreibung der Oberflächen. 866 Die Kosten für Konservierungs- und Restaurierungsmaßnahmen übersteigen häufig deutlich die Zuschlagspreise der Objekte im Rahmen der Auktion, vgl. auch Weltkunst 01/2006. 867 „Doch sonst steht das 150 Jahre alte, kalte (unbeheizbare) Prunkschloss leer, es fehlt an Leben. Das wollen die Prinzen ändern.“, Bunte 19/2005. 868 Körner, S. 39. 869 Welche am ehesten den Erhalt sichern würde, denn „auch die Art der Nutzung ist für die Sicherung des Erhaltungsinteresses bedeutsam: Denkmalschutz und Denkmalpflege streben die bestimmungsgemäße Nutzung von Baudenkmälern an, weil zum einen die ursprüngliche Nutzung Bestandteil der geschichtlichen Bedeutung ist, deretwegen das
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Aufgabe der umfangreichen Ausstattungsgegenstände zugunsten der Idee, ein „Neuschwanstein des Nordens“ zu erschaffen870. Im Rückblick wird jedoch deutlich, dass nicht ein solches aufwändiges Konzept den Verkauf forderte, sondern dieser vor allem ungenutztes (sowohl emotionales als auch finanzielles) Kapital abstieß, dessen Neunutzung erhebliche Kosten verursacht hätte871. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, dass man vor einigen Jahren noch mit der Fülle der Objekte geworben hatte, welche nun kritisiert wurde: „Sie [die Räume] bilden darüber hinaus den prächtigen Rahmen für eine überwältigende Fülle von Gegenständen der Kunst und des Kunstgewerbes – Gemälde, Möbel, Waffen, Fahnen und anderen Erinnerungsstücken – aus den sieben Jahrhunderten, in denen die Welfen in den Landen Hannover und Braunschweig herrschten sowie – in Personalunion von 1714 bis 1837 – das Königreich Hannover regierten.“872
Die tatsächliche Neunutzung bezieht sich möglicherweise stärker auf die verbleibenden Sammlungsteile, welche nicht im Schloss Marienburg gezeigt werden, sondern nun wieder für die Familie selbst Funktionen übernehmen873 . Ernst August (VI.) und
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Denkmal erhaltenswert erscheint, zum anderen die ursprünglich bestimmungsgemäße Nutzung in der Regel auch die schonendste Nutzung darstellt.“, Körner, S. 39. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 22. Dieser Eindruck wurde auch durch die Betonung eines Lagerzustandes der Objekte in Schloss Marienburg erweckt, was von der Presse zum Teil aufgenommen, jedoch auch in Frage gestellt wurde; die Braunschweiger Zeitung sprach im April 2005 von 20.000 Objekten, welche in Schloss Marienburg eingelagert seien, Braunschweiger Zeitung, 29. April 2005; im Mai schrieb die Braunschweiger Zeitung: „Während sie [die Prinzen] bekräftigen, vor allem Lager-Bestände aus den Kellern der Marienburg zum Verkauf freigegeben zu haben, spricht ihr Onkel, Heinrich Prinz von Hannover, am Telefon von ‚Totalausverkauf‘.“, Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005; die Prinzen selbst wurden in Bunte zitiert: „Die Gemälde und anderen wertvollen Gegenstände stehen im Keller herum, den Großteil bekommt die Öffentlichkeit nicht zu sehen, aber wir müssen sie verwalten. Da haben wir uns entschieden, uns von einigen Objekten zu trennen.“, Bunte 19/2005. Broschüre Fürstenhaus, S. 28; Die Presse kritisierte diese Fülle, vgl. Braunschweiger Zeitung, 6. November 2007; auch Heinrich von Hannover kritisierte die veraltete museale Einrichtung, sieht jedoch im radikalen Verkauf keine Verbesserung: „Das gesamte Museums-Inventar ist bis auf ganz wenige Ausnahmen verkauft worden! Eigentlich ist die Marienburg heute vom Interieur her gesehen kunsthistorisch unbedeutend. Das Museum auf der Marienburg ist 25 Jahre lang vom Konzept nicht geändert worden. Seit 25 Jahren ist es die Privatschatulle unseres Bruders. Man hat 25 Jahre die Aufgaben liegengelassen und hat jetzt auf einen Schlag in acht Tagen alles verkauft.“, Braunschweiger Zeitung, 27. März 2007. „Erfrischend naiv und beängstigend ehrlich gab Ernst-August zum Besten, Graf Douglas habe ihnen manche der Stücke, die sie beim Aussuchen der zu bewahrenden Teile der Sammlung gar nicht so schön gefunden hätten, als kunsthistorisch wichtige Preziosen nahe gebracht.“, Artnet, 4. Mai 2005.
580 | S AMMLUNGEN DES A DELS Christian von Hannover erklärten, sie strebten einen Wohnsitz in Hannover an874 . Tatsächlich wurde infolge der Auktion das Museum im Fürstenhaus geschlossen und dort eine Wohnung eingerichtet, und zumindest Ernst August (VI.) von Hannover trat in den letzten Jahren vermehrt bei öffentlichen Ereignissen der Region auf. Er hat zudem die Geschäftsführung des Schlosses Marienburg selbst übernommen875. Es scheint, als haben die rigorosen Entsammlungsmaßnahmen die bisher geringen Bindungen zum Gesamtbestand in gestärkte Bindungen zum verbleibenden Bestand wandeln können. Wie bereits in früheren Jahrhunderten hat eine neue Generation nicht mehr Benötigtes veräußert, um sich einen neuen Wohnsitz einzurichten. Allerdings waren die dafür aufgegebenen Sammlungsbestände, im Gegensatz zur bisherigen Vorgehensweise, die letzten noch in einem Schloss der Welfen vorhandenen und wurden nun unwiderruflich zerstreut. Für das Haus Hannover bedeutet dies einen bewussten radikalen Bruch mit bisherigen Sammlungstraditionen876. Graf Douglas weist im Interview mit der Zeitschrift Bunte auf diesen Generationswechsel hin, den er jedoch als zeitgemäß bezeichnet877. Schloss Marienburg selbst wird weiterhin nicht als Wohnort genutzt878. Das neue Konzept, das vor allem auf Busreisen und „Events“ fußt, wird gut angenommen. Für die Allgemeinheit ist ein Objektbestand verloren gegangen, der sowohl für die Erforschung von Adelssammlungen bis 1918 als auch deren Entwicklung nach 1918 aufschlussreich war: „Sammlungen wie historische Schlossinventare sind beziehungsreiche Gesamtheiten, in denen sich die einzelnen Gegenstände in vielfältiger Weise aufeinander und auf die Geschichte der Familie, die sie zusammengetragen hat, beziehen. Wird eine solche Sammlung in einer Auktion aufgeteilt, so wird eine einzigartige Geschichtsquelle unwiderruflich zerstört.“879
Die Bestände boten darüber hinaus umfangreiche Beispiele zum Verständnis der Bedeutung der Dinge für den Adel und dessen kulturelle Entwicklung über Jahrhunderte hinweg. Für die Erforschung der Geschichte der Welfen im Besonderen wurde ein bedeutender Bestand aufgelöst. Bereits im Vorfeld stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung folgerichtig fest:
874 Bunte 19/2005. 875 Der bisherige Verwalter, Mauritz von Reden, verließ dagegen das Schloss, vgl. Bild.de, 31. Juli 2012: Carstens, C./Henning, J.: Verwalter weg! Erbprinz sorgt sich um Marienburg. 876 „An acht Auktionstagen gehen 400 Jahre Militär- und Waffengeschichte, mehr als 2000 Ölgemälde einer über Jahrhunderte gewachsenen Bildersammlung, ungezählte Grafiken, Drucke, Silbersachen und Porzellane an private Sammler über.“, Braunschweiger Zeitung 26. Juni 2007. 877 Bunte 19/2005; auch Graf Spreti erwähnt, dass diese Verkäufe als zeitgemäß empfunden werden, weist aber auch darauf hin, dass es den Familien trotzdem schwerfällt, diesen Schritt zu gehen, Gespräch Graf Spreti; diesen Zwiespalt zwischen „Bruch“ und „Befreiung“ betont auch Graf Douglas, Gespräch Graf Douglas. 878 Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 25. März 2010. 879 Graf 1999; Röhrbein bezeichnete Schloss Marienburg als die „[a]ls Schloßmuseum bedeutendste Sehenswürdigeit in der Umgebung Hannovers.“, Röhrbein 2004, S. 132.
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„Es sind die Welfen, die es tun – das älteste Adelsgeschlecht Europas, aus dessen Mitte einst Heinrich der Löwe gegen Barbarossa aufstand; die Welfen, denen im siebzehnten Jahrhundert die Kurfürstenwürde zufiel und die Anfang des achtzehnten Jahrhunderts den englischen Königsthron als Erbe erhielten [...] Es geht dieses Mal um Privatbesitz königlicher Herkunft.“880
Zahlreiche Ding-Mensch- sowie umfangreiche Ding-Ding-Bindungen wurden durch den Verkauf gelöst881 . Die Diskrepanz zwischen starker Kritik am Verkauf durch Experten sowie großem Interesse am Ankauf von Einzelobjekten durch Bewohner der Region und dem weitgehenden Desinteresse an einem Komplettankauf882 ist ein weiteres Zeichen für eine noch immer skeptische Haltung von Gesellschaft und Politik gegenüber der Erhaltung von Zeichen des Adels883. Allein in Form kunsthistorisch als kostbar bewerteter Objekte ist deren Erhaltung vertretbar884 . Zudem ist eine gemeinsame – das Gebiet der ehemaligen Welfenherrschaft überspannende – regionale Identität nicht stark genug, um entsprechende Maßnahmen in Gang zu setzen. Der Erwerb von Kulturgütern mit öffentlichen Geldern ist stark von politischen Fragen und politischem Klima
880 FAZ, 19. April 2005; in einem anderen Artikel betonte die FAZ, dass zahlreiche Objekte aus dem 17. und 18. Jahrhundert, und damit aus der Zeit der Personalunion, stammten, FAZ, 5. Oktober 2005. 881 Bezüglich der Ding-Ding-Bindungen betont Prof. Luckhardt, dass die Objekte durch den jahrzehntelangen Verbleib im Schloss Marienburg zu einer Sammlung geworden seien, Gespräch Prof. Luckhardt. 882 Laut Braunschweiger Zeitung bedauerten sowohl Ernst August (VI.) und Christian von Hannover als auch ihr Onkel Heinrich von Hannover, „dass es nicht zu einer konzertierten Aktion des Landes Niedersachsen gekommen sei, um wertvolle landesgeschichtliche Objekte vor der Auktion aufzukaufen“, Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005; im Vorfeld der Auktion des Hauses Baden hatte das Land Baden-Württemberg für mindestens 30 Mio. DM durch verschiedene Ministerien Objekte angekauft, Spiegel 28/1995; im Zusammenhang mit der Auktion des Hauses Thurn und Taxis hatte es eine Regelung gegeben, Steuerschulden in Form von Objekten abzugelten, vgl. Braunschweiger Zeitung, 13. Mai 2005. 883 Dieses Haltung ist darüber hinaus von Unwissenheit geprägt, so erwähnt Artnet, die angebotenen Objekte haben „jahrzehntelang auf den Dachböden und in den Kellern der Häuser Schloss Marienburg, Schloss Blankenburg, Schloss Cumberland sowie der königlichen Villa am Traunsee bei Oberösterreich“ geruht, ohne darauf einzugehen, dass die Objekte alle in Schloss Marienburg gelagert worden waren und vor Verlust oder Abgabe der anderen Schlösser durchaus genutzt wurden, Artnet, 4. Mai 2005. 884 In der Presse war die Rede davon, Fachleute kritisierten „eine Zerschlagung des Gesamtkunstwerkes“, Braunschweiger Zeitung, 5. Oktober 2005; von einem Gesamtkunstwerk kann in diesem Zusammenhang nicht die Rede sein, allerdings vom Erhalt eines nahezu lebendigen Sammlungsgefüges, welches mehrere Jahrhunderte zurückreicht, vor allem aber die Zeit seit der Entmachtung Georgs (V.) von Hannover und erneut seit der Entmachtung Ernst Augusts (III.) von Hannover illustriert.
582 | S AMMLUNGEN DES A DELS abhängig885, was der Idee des kulturellen Erbes an sich entgegensteht. Selbst der Erforschung entsprechender Bestände scheint wenig Interesse entgegengebracht zu werden, und die Weltkunst fast treffend zusammen: „Bei allem Reden von ‚Dachboden- und Kellerware‘ bleibt der Nachgeschmack, daß hier kaum wissenschaftlich auf ihre Bedeutung für die Landes- und Kulturgeschichte erforschte Bestände in alle Winde zerstreut worden sind.“886 Einzelobjekte konnten 2007 durch die Ausstellung „Welfenschätze“ des Herzog Anton Ulrich-Museums gemeinsam präsentiert werden887. Weitere 2005 erworbene Objekte sind darüber hinaus im Schlossmuseum Braunschweig zu sehen. Auch das Deutsche Historische Museum in Berlin888, das Historische Museum Hannover889 sowie weitere Museen im In- und Ausland erwarben Einzelobjekte. Zahlreiche Objekte tauchten in den folgenden Jahren erneut im Kunsthandel auf890. 885 „Wenn auf der einen Seite das Blindengeld gestrichen wird, konnte das Land auf der anderen Seite nicht für eine hohe Millionensumme Ankäufe vornehmen.“, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14. Oktober 2005: Böhm, Ekkehard: Eins, zwei, drei – vorbei. 886 Weltkunst 01/2006; hier wird auch die Bedeutung von Ausstattungsgegenständen gegenüber kunsthistorischen „Highlights“ erwähnt. 887 Ausstellungskatalog Braunschweig 2007; vgl. Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007; zu diesem Zeitpunkt waren die Rollen in der Öffentlichkeit klar verteilt: das Museum hatte die Objekte „gerettet“, die Welfen hatten einen „Totalausverkauf“ veranstaltet, vgl. Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007; die Braunschweiger Presse berichtete in den folgenden Jahren wiederholt über weitere Objekte in Braunschweiger Museen, so z.B. über einen geschliffenen Deckelpokal aus dem Besitz Carls (I.) von BraunschweigWolfenbüttel im Herzog Anton Ulrich-Museum, vgl. Braunschweiger Zeitung, 13. August 2007: Parr, Thomas: Pokal für braunschweigisch-preußische Liebe; ebenso zwei Girandolen aus dem Besitz Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel im Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweiger Zeitung, 30. August 2007: Parr, Thomas: Girandolen – Armleuchter, die Funken sprühen; vgl. auch Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007. 888 Stern.de, 7. Oktober 2005. 889 Hannoversche Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 2005: Wagner-Scheper, Astrid: Aus der Burg in die Stadt. 890 Beispielsweise das oben genannte Gemälde mit der Darstellung des verstorbenen Christus und Engeln, vgl. Metropolitan Museum of Art - Sammlungsdatenbank: http:// www.metmuseum.org/collection/the-collection-online/search/441965?rpp=30&pg=1&ft =hanover&pos=24&imgNo=0&tabName=object-information; ebenso im Besitz des Metropolitan Museums befinden sich zwei silberne Trommeln von Franz Peter Bunsen, vgl. Metropolitan Museum of Art - Sammlungsdatenbank: http://www.metmuseum.org/coll ection/the-collection-online/search/506174?rpp=30&pg=1&ft=hanover%2Bdrum&pos=1 &imgNo=0&tabName=object-information; auf der Palm Beach Messe Miami wurde 2006 ein Porträt Sophie Charlottes Prinzessin zu Mecklenburg Kurfürstin von Braunschweig und Lüneburg Königin von Großbritannien und Irland Königin von Hannover und Ehefrau Georgs (III.) von Hannover von Nathaniel Dance angeboten, vgl. FAZ auf FAZ.net, 8. Februar 2006: Crüwell, Constanze: Prinzessin unter Palmen: Die „Palm Beach!“; bei einer Auktion im Palais Kinsky 2009 wurde ein Bildnis Josephs (I.) König von Böhmen Kroatien und Ungarn Kaiser des Heiligen Römischen Reiches von Gerard Du Chateaus angeboten (jedoch laut Internetplattform Artnet weder bei dieser, noch bei
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Die groß angelegte Auktion 2005 bildete zwar den Höhepunkt der Verkäufe durch das Haus Hannover, jedoch nicht deren Endpunkt. Wie bereits in den Jahren zuvor, wurden und werden weiterhin vereinzelt Objekte auf dem Kunstmarkt angeboten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sollen an dieser Stelle Einzelbeispiele kurz genannt werden. Vorgehen und Intention sind jedoch bei diesen Verkäufen ähnlich. Beispielsweise bot die Galerie Neuse, parallel zur Auktion im Schloss Marienburg, zur 50. Kunst-Messe München sechs silberne Deckelschüsseln aus dem Haus Hannover an891 . Wann diese durch die Welfen verkauft wurden, ist unklar – verglichen mit den zahlreichen durch die Auktion veräußerten Objekten sind die Auswirkungen des Verkaufs für die Sammlung wie auch für die Öffentlichkeit gering. Im Dezember 2005, also zwei Monate nach der großen Auktion im Schloss Marienburg, kam durch Sotheby’s London das „Porträt des 24jährigen Prinzen Charles Louis“ von Anthonys van Dyck zum Verkauf892. Das Gemälde entstand 1641 und zeigt Karl (I.) Ludwig Pfalzgraf bei Rhein (Kurfürst der Pfalz). Dieser war ein Bruder Sophies von Hannover und ist damit ein Beispiel für die Funktion von Porträts, auch abwesende Familienangehörige stellvertretend zu repräsentieren. Ebenso wie die Einzelverkäufe im Vorfeld der Hausauktion diente diese Veräußerung weiterhin der Abstoßung von nicht mehr benötigten Objekten mit höchstmöglichem Gewinn. Der internationale Kunstmarkt ist diesbezüglich am besten geeignet. In der Presse werden derartige Objektabgaben jedoch kritisch betrachtet, indem berichtet wird: „Experten fühlen sich jetzt in ihren Befürchtungen bestätigt, die Welfen würden wichtige Kunstschätze auch außer Landes verkaufen.“893 Laut Graf Douglas gehörte das Gemälde jedoch weder Ernst August (IV.) noch Ernst August (V.) von Hannover und daher einem anderen Zweig der Familie894 . Wer der Eigentümer eines Objektes ist, ist jedoch für die Bewertung des Objektes als kulturelles Erbe unerheblich. Das Gemälde war allerdings nicht in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen und gilt auch nicht als Zubehör des denkmalgeschützten Schlosses Marienburg. Ersteres wäre vermutlich problemlos möglich gewesen. Seit wann sich das Gemälde außerhalb Deutschlands befunden hat, ist nicht bekannt. Es ist bei dieser Veräußerung davon auszugehen, dass sie „im Benehmen“ mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur stattfand. Wie bereits im Fall des „Calenberger Altars“ kann die Ausfuhr aus der Europäischen Union jedoch nach VO 3911/92 genehmigungspflichtig gewesen sein 895. Vor allem nach der Auktion im Herbst desselben Jahres sind die Auswirkungen dieses Verkaufs auf die Sammlungen der Welfen gering, es ist jedoch unklar, woraus sich diese – abgesehen von Schloss Marienburg und dem dort verbliebenen Inventar – heute zusammensetzen. Aus kunsthistorischer
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einer vorherigen Auktion des Dorotheums verkauft), vgl. FAZ auf FAZ.net, Oktober 2009: Scheyerer, Nicole: Kunst und Antiquitäten. Rotes Haarband. FAZ auf FAZ.net, 8. Oktober 2005: Sachs, Brita: Zum Jubiläum musizieren die Engel: Die fünfzigste Ausgabe der Kunst-Messe München. Vgl. Bungarten: Grosse Versteigerung auf der Marienburg, S. 21; vgl. Weltkunst 01/2006. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2005: Fuchs, Thorsten: Gelangte Welfenkunst heimlich ins Ausland? Hannoversche Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2005. Anhang, Kategorie 3, VO 3911/92.
584 | S AMMLUNGEN DES A DELS Sicht wäre das Porträt für nahezu jede Gemäldesammlung ein Gewinn, so dass der Verkauf im Sinne des kulturellen Erbes für die Allgemeinheit einen gewissen – wenn auch nicht unersetzlichen – Verlust darstellt. Auch in den folgenden Jahren kam es zu weiteren Veräußerungen (beziehungsweise Angeboten des Kunstmarktes von zu früheren Zeitpunkten durch die Welfen veräußerten Objekten), die an dieser Stelle kurz zusammengefasst werden sollen, da die gelockerten Bindungen sowie die finanziellen Gründe dieser Verkäufe bereits dargelegt wurden. Die Objekte sind nicht in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen, müssen möglicherweise „im Benehmen“ mit dem Niedersächsichen Ministerium für Wissenschaft und Kultur verkauft worden sein und benötigten möglicherweise bei einem Verkauf außerhalb der Europäischen Union eine Ausfuhrgenehmigung nach VO 3911/92 beziehungsweise VO 116/2009. Im Frühjahr 2009 bot das Auktionshaus Schloss Ahlden eine PerkussionsDoppellaufflinte aus dem Besitz Ernst Augusts (I.) von Hannover an. Laut Katalog wurde diese direkt aus dem Besitz der Welfen erworben und wurde ehemals im Jagdzimmer des Schlosses Herrenhausen aufbewahrt. Aus dem Katalog geht nicht hervor, wann das Gewehr von den Welfen veräußert worden ist896. Im gleichen Jahr kamen im Rahmen einer Auktion der Sammlung von Yves Saint Laurent und Pierre Bergé in Paris vierzehn Silbergefäße der Welfen zum Verkauf897: „Ihre Existenz war im Allgemeinen nicht bekannt; sie gehörten zu den Kunstwerken, die das Welfenhaus nach der Abdankung 1866 in ihr Exil nach Österreich mitgenommen hatte. Das Ensemble spiegelt überwiegend die Herrschaft der Herzöge im Fürstentum Lüneburg. Die Werke stellen nämlich Geschenke und Huldigungspräsente der Ämter und Städte zum Regierungsantritt dar [...]“898 .
Drei dieser Objekte konnten mit der Beteiligung der Kulturstiftung der Länder durch das Land Niedersachsen erworben werden und werden nun im Herzog Anton UlrichMuseum Braunschweig und im Bomann-Museum Celle ausgestellt. Wann die Objekte von den Welfen veräußert wurden, ist unklar. Erneut handelt es sich um verkaufte Geschenke, welche die Welfen zur Zeit ihrer Herrschaft erhalten hatten. Diese verloren nach und nach ihre Funktion für die Familie, wohingegen das Interesse an derartigen Objekten sowohl durch ihren kunsthistorischen, als auch den historisch-kulturellen Wert für die Region der ehemaligen Welfenherrschaft steigt899 . Während ersterer Wert vermutlich der Grund für den Ankauf 896 Auktionskatalog Schloss Ahlden 2009: Kunstauktionshaus Schloss Ahlden. Große Kunstauktion Nr. 140. 1. Mai – 2. Mai 2009. 897 Vgl. Wanka, Johanna: Grußwort, in: Kulturstiftung der Länder. Patrimonia 350, S. 5; in der Presse war die Rede von Silberobjekten aus „der Schatzkammer der Welfen“, Sueddeutsche.de, 22. Februar 2009: Willms, Johannes: Yves Saint-Laurents Schätze. Milliardäre im Minutentakt. 898 Wanka, S. 5. 899 Schmieglitz-Otten spricht diesbezüglich von einer „Sensation“: „Es ist europaweit einzigartig, dass ein zusammengehöriger Bestand an Objekten dieser Art aus einer Provenienz erhalten geblieben ist, da das einst an allen bedeutenden Fürstenhöfen vorhandene
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in die Sammlung Saint Laurent/Bergé war, führte die Kombination dieser Werte zum Ankauf eines Teils der Objekte für niedersächsische Museen: „Drei dieser Silberarbeiten wurden nun für Celle und Braunschweig zu musealem Gut, das die Repräsentation fürstlicher Herrschaft und Hofhaltung der Frühen Neuzeit ermöglicht. Diese Stücke dienen auch zur Erinnerung an verlorene Werke und erlauben bei Einbettung in den richtigen musealen Kontext die Veranschaulichung ihrer Funktion im Rahmen der höfischen Tafelkultur.“900
Ein Verkauf, der stärker Aufsehen erregte, fand ebenfalls 2009 statt. Im Herbst wurde durch das Auktionshaus Bolland & Marotz in Bremen das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis an einen unbekannten Käufer veräußert901 . Das Gemälde gilt als einziges Porträt des Preußenkönigs, für welches er Modell gesessen hat. Es entstand 1763 während eines Besuches bei seiner Schwester Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg im Schloss Salzdahlum902. „Für seine Schwester hatte Friedrich II. in der privaten Atmosphäre eine Ausnahme von seiner Ablehnung gegen das Modellsitzen gemacht, die er in Briefen an Voltaire mehrfach formuliert hatte.“903 Bereits um 1900 befasste sich die Forschung mit dem außergewöhnlichen Porträt. Es kam darüber hinaus mehrfach zur Ausstellung, beispielsweise 1937 im Landesmuseum in Hannover904. Die Provenienz des Gemäldes ist im Katalog wie folgt angegeben: „Johann Georg Ziesenis; Hofgemäldekonservator Plincke; 1851 König Ernst August von Hannover; 1914 vorübergehend in der Fideicomissgalerie des Hauses Braunschweig-Lüneburg im Provinzialmuseum Hannover; Herzogin Victoria Luise von Preußen (Schloss Blankenburg); Privatbesitz Deutschland.“905
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Huldigungssilber zugleich eine Finanzreserve darstellte, sodass durch Verkäufe und Einschmelzungen heute nur noch wenige Einzelstücke vorhanden sind.“, Schmieglitz-Otten, S. 85. Brüderle/Luckhardt, S. 98. Los 709, Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009: Auktion 10. Oktober 2009, der Zuschlagspreis betrug 670.000 Euro, vgl. FAZ, 13. Oktober 2009: Jetzt versteigert: das jugendliche Porträtbild des Alten Fritz; der Schätzpreis lag bei 450.000 Euro, vgl. Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009; öffentliche Institutionen wie die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten hatten bereits im Vorfeld mitgeteilt, dass sie nicht mitbieten werden, vgl. Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009: Extrem wertvoll. Ölgemälde Friedrich der Große kommt unter den Hammer/Schlösserstiftung bietet nicht mit. Stührholdt, Sabine: Katalogbeschreibung Los 709: Ziesenis, Johann Georg: Friedrich II. König von Preußen, in: Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009. Welt online, 10. Oktober 2009: Kultur: Versteigerung. Porträt von Friedrich II. bringt über eine halbe Million. Stührholdt, S. 114f; dort war es laut Potsdamer Neueste Nachrichten letztmalig in der Öffentlichkeit zu sehen, Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009. Stührholdt; Stührhold erwähnt weitere Fassungen, welche im Besitz Philippine Charlottes zu Braunschweig und Lüneburg, des englischen Königshauses sowie der Nichten Friedrichs (II.) von Preußen waren. Die FAZ erwähnt Kopien des Gemäldes in Heidelberg und
586 | S AMMLUNGEN DES A DELS Der Verkauf des Gemäldes durch das Bremer Auktionshaus Bolland & Marotz, statt auf dem internationalen Kunstmarkt, ist das Ergebnis der Maßnahmen des Kulturgüterschutzes, welcher die Eintragung des Kunstwerkes in die Liste national wertvoller Kulturgüter veranlasste, so dass es seitdem nicht außer Landes gebracht werden darf906. Das Beispiel macht deutlich, dass diese Maßnahme allein dem Zweck des Abwanderungsschutzes dient, jedoch keinerlei Auflagen zur öffentlichen Zugänglichkeit des Gemäldes beinhaltet. Momentan ist es zudem in der Online-Datenbank der Verzeichnisse national wertvollen Kulturgutes nicht zu finden. Die Verkäufe der 90er Jahre setzten diejenigen der 80er Jahre fort, wobei vorrangig Einzelobjekte über den internationalen Kunstmarkt veräußert wurden. Als entscheidender Einschnitt kann dagegen der Verkauf 2005 im Schloss Marienburg verstanden werden, durch welchen zahllose Bindungen sowie ein enormer Objektbestand sowohl für die Familie als auch für die Forschung verloren gingen. Ein erneuter Generationenwechsel hat zu diesem Schritt geführt und macht deutlich, dass sich traditionelle Maßnahmen des Erhaltens heutigen wirtschaftlichen Gegebenheiten beugen müssen. Gesamtbetrachtung der Verkäufe In der Gesamtbetrachtung der Verkäufe durch das Welfenhaus nach 1918 ist festzustellen, dass diese in ihrer Motivation sowie der Art der veräußerten Objekte eine Entwicklung durchliefen. In den 20er und 30er Jahren standen vorrangig finanzielle Gründe hinter den Verkäufen, welche durch die neue gesellschaftliche Situation nach 1918 verursacht wurden. Entsprechend gelangten traditionell vor allem Silberobjekte auf den Kunstmarkt. Es konnten jedoch auch, durch räumliche Trennung bedingte, Schwächungen von Bindungen beobachtet werden, die zu Veräußerungen führten. Die Abgabe der Fideikommiss-Galerie an das Provinzialmuseum in Hannover ist darüber hinaus auch als Übergabe von Verantwortung zu verstehen und zeigt gleichzeitig ein Vorgehen, welches für die Welfen bis 2005 nicht untypisch war: es gab – trotz der Ausnahmen des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ und des Tafelsilbers Friedrich Wilhelms von Westphalen – regelmäßig Angebote an die öffentliche Hand. Erst nachdem das Museum den Ankauf des Holbein-Gemäldes abgelehnt hatte, wurde dieses beispielsweise ins Ausland verkauft. Nach Abschluss der Vermögensverhandlungen stand die Umstrukturierung des Schlosses Blankenburg als neuem Wohnsitz im Vordergrund der familiären Bemühungen. Der Verkauf des „Welfenschatzes“ trug zur Umsetzung dieser Pläne bei und bedeutete die bewusste Aufgabe eines bedeutenden Hausschatzes. Diese Entscheidung verdeutlicht die große Bedeutung, die man dem „Neuanfang“ in Blankenburg zumaß. Durch die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges konnte dieser jedoch nur Potsdam und berichtet über eine Verwechslung bereits zur Entstehungszeit: „Um sicherzugehen, dass ihr der Maler das Original übergab, drückte Philippine Charlotte ihr Siegel auf die Rückseite der unbemalten Leinwand. Aber Ziesenis, so berichtet sein Biograph Johann Dominik Fiorillo, hatte die Leinwand doppelt in den Rahmen gespannt, so dass er der Herzogin eine Kopie des Bildes abliefern und die Originalfassung selbst behalten konnte.“, und betont, dass das originale Gemälde „ohne Siegel“ zur Versteigerung komme, FAZ, 13. Oktober 2009: Jetzt versteigert: das jugendliche Porträtbild des Alten Fritz. 906 Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009.
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zeitlich bedingt gelingen. Erst die Konzentration des verbliebenen Besitzes im Schloss Marienburg führte 1950 zu einem weiteren größeren Verkauf in Form einer als Entsammlungsmaßnahme zu verstehenden Auktion. Der Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover und die Übernahme der Familiengeschäfte durch seinen Sohn Ernst August (IV.) von Hannover bedeutete auch bezüglich der Verkäufe einen Generationenwechsel. Während die Abgabe von Leihgaben an das Niedersächsische Landesmuseum in Hannover die logische Konsequenz aus dem in den 20er Jahren eingeschlagenen Weg war, kamen nun wiederum gut verkäufliche Einzelobjekte wie Schmuck und Silberobjekte auf den Kunstmarkt. Diese boten eine regelmäßige Einnahmequelle, weisen jedoch auch auf sich lösende Bindungen vor allem zum ehemaligen Herrschaftsbereich hin. Vor allem seit Übernahme der Geschäfte durch Ernst August (V.) zeichnen sich einige der Verkäufe durch eine unklare Verkaufsgeschichte aus. Es ist nicht nachweisbar, ob dies ein bewusstes Vorgehen war, oder ob es sich um in früherer Zeit verkaufte Objekte handelte, welche nach einer angemessenen Zeit in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts auf den internationalen Kunstmarkt gelangten. Es handelte sich diesbezüglich um das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ und das Silberservice des Hildesheimer Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen. Das Evangeliar, welches in enger Beziehung zur Geschichte der Welfen im Mittelalter steht, hatte sich über einen langen Zeitraum nicht im Besitz der Welfen befunden. Ebenso wie das Silberservice gelangte es erst im 19. Jahrhundert in die Sammlungsbestände. Sowohl die Aufgabe der Königlichen Fideikommiss-Bibliothek 1969 als auch der Gartenbibliothek 2000 sind Beispiele für die Abkehr von typischen Sammeltraditionen des Adels. Neben weiteren Einzelverkäufen in den 90er Jahren führte diesbezüglich die Großauktion im Schloss Marienburg 2005, welche durch Ernst August (VI.) von Hannover veranlasst wurde, an einen Wendepunkt in der Geschichte der welfischen Sammlungen, der die Auswirkungen sich lösender Bindungen von Adelsfamilien zu ihrem Besitz ebenso verdeutlicht wie die Schwierigkeit ihrer Bewahrung in heutiger Zeit: „So ist es über die Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche und politischer Verwerfungen auch den Welfen nicht gelungen, ihren überaus großen und bedeutenden Kunst- und Kulturbesitz über die Jahrhunderte hindurch zu erhalten. Zahlreiche Kunstschätze gingen verloren oder wurden aus unterschiedlichen Gründen verkauft.“907 Die Bandbreite der Auswirkungen dieser Verkäufe auf die Objekte selbst reicht von kaum wahrnehmbarem Besitzerwechsel bis hin zum Verlust zahlreicher DingDing-Bindungen. Während beispielsweise die Übernahme der Fideikommiss-Galerie durch eine öffentliche Sammlung, in welcher sich die Bestände bereits befunden hatten, geringe Auswirkungen hatte, bedeutete der Verkauf des „Welfenschatzes“, neben dem Verlust örtlicher Bezüge, auch denjenigen von Ding-Mensch-Bindungen sowie der Bindungen von Objekten untereinander. Diese waren seit Jahrhunderten gewachsen und sind nun unumkehrbar getrennt. Ähnlich ist der Fall der Auktion 2005 zu werten, da Teile der dort veräußerten Ausstattungsgegenstände über sehr lange Zeit gemeinsam verwahrt worden waren. Sämtliche veräußerten Objekte haben
907 Hannover, Heinrich Prinz von: Grusswort, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2007, S. 11.
588 | S AMMLUNGEN DES A DELS darüber hinaus eine Wandlung von funktionsreichen Objekten des Adels zu Sammler- oder Museumsobjekten erfahren. Die Verkäufe wurden in den Zusammenhang des Kulturgüter- und Denkmalschutzes gebracht, ohne jedoch die genauen Hintergründe immer beleuchten zu können. Schütte weist darauf hin, dass durch spektakuläre Verkäufe, aufgrund derer ehemals in Deutschland verwahrte Kulturgüter dauerhaft ins Ausland gelangten, eine erneute Diskussion um „nationalen Substanzverlust“ entfacht wurde908. Drei Monate vor dem Verkauf des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ behandelte im September 1983 eine Große Anfrage der SPD-Fraktion die Frage nach Möglichkeiten zur Verbesserung des Abwanderungsschutzes und führte zur kritischen Betrachtung des Kulturgüterschutzgesetzes von 1955, blieb aber ohne entscheidende Folgen909. Auch Bernsdorff/Kleine-Tebbe nehmen Verkäufe des Adels im Allgemeinen und die Auktion des Hauses Baden im Besonderen zum Anlass, die Möglichkeiten des Kulturgüterschutzes zu kritisieren und fokussieren dabei auf den Abwanderungsschutz910. Das Beispiel der Silbermöbel im Schloss Marienburg macht die Problematik des Abwanderungsschutzes deutlich. Bereits Ramsey hatte die Möbel im Zusammenhang mit ihrer Ausstellung im Victoria & Albert Museum in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts hervorgehoben: er wies einerseits darauf hin, dass diese kostbaren Möbel für ein vergleichsweise kleines Herzogtum gefertigt worden waren, und auch darauf, dass nur wenige vergleichbare Stücke erhalten sind911. Beides verdeutlicht die Bedeutung der Sammlungen der Welfen auch aus kunsthistorischer Sicht. Weitere Hinweise auf biographische Wendepunkte der Möbel machen darüber hinaus ihren Charakter als Geschichtsquellen deutlich912. Hipp stellt fest, dass die Möbel „wegen ihres hohen künstlerischen Wertes in das Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes eingetragen“913 wurden. Erst die Beantwortung der Klage des Eigentümers gibt jedoch wichtige Hinweise auf die Bewertung von Objekten aus Adelssammlungen als schützenswertes kulturelles Erbe, welche auch auf zahlreiche weitere Objekte übertragbar wären: „Das Gericht urteilte, für die den Begriff des national wertvollen Kulturgutes prägenden Merkmale seien die künstlerische Eigenart, der (kunst-)historische Rang und der kulturelle Wert der Objekte ebenso von Bedeutung wie ihre Einzigartigkeit oder Seltenheit sowie ihre Bedeutung für die kulturelle Entwicklung in Deutschland. Insoweit könne der Umstand, dass die Objekte – wie es beim Silberzimmer der Fall sei – über Generationen in Besitz eines deutschen Herrscherhauses gestanden haben und sich als Zeugnisse höfischen Lebens in Fachkrei908 Schütte, S. 3562. 909 Vgl. Schütte, S. 3562. 910 In diesem Zusammenhang erwähnen sie, dass im Vorfeld der Auktion 7 Objekte aus dem Besitz der Familie von Baden in die Liste national wertvoller Kulturgüter eingetragen wurden, Bernsdorff/Kleine-Tebbe, S. VII. 911 Ramsey, S. 91. 912 Beispielsweise: Fertigung durch Drentwett, der einer der bekanntesten Augsburger Goldschmiede der Zeit war. Gravur G.R. für Georg (II.) von Hannover, welche über eine Inschrift graviert wurde, die August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel hinterlassen hatte, vgl. Ramsey, S. 92. 913 Hipp, S. 76.
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sen oder in der interessierten Öffentlichkeit besonderer Bekanntheit erfreuen, ausschlaggebend für ihre Schutzwürdigkeit sein.“914
Vor allem der Hinweis auf ihre Rolle als „Zeugnisse höfischen Lebens“ ist aufzugreifen und auf weitere Objektgruppen – auch in ihrer in Kapitel 3.4 als wichtig herausgestellten Menge – zu übertragen. Diesbezüglich ist jedoch der Bestandsschutz sowie der Kontexterhalt dem Abwanderungsschutz vorzuziehen. Inwieweit dies für die Sammlungen der Welfen noch möglich ist, bleibt unklar. Rogasch weist im Rahmen der Ausstellung „Schatzhäuser Deutschlands“ nur darauf hin, dass das Haus Hannover noch immer über viel Silberbesitz sowie über eine von drei Antikensammlungen in adligem Privatbesitz verfüge915. In der Betrachtung der Abgaben aus Sammlungsbeständen wurde deutlich, dass sich die öffentliche Wahrnehmung von Kunst in Adelsbesitz im Verlauf des 20. Jahrhunderts – und besonders im Zusammenhang mit den großen Schlossauktionen seit den 90er Jahren – stark gewandelt hat. Während heute in Bezug auf den „Welfenschatz“ im öffentlichen Diskurs der Eindruck vermittelt wird, die hauptsächliche Verknüpfung der Familie zu diesem sei in seinem Verkauf begründet, stand noch in den 50er Jahren das Zusammentragen desselben im Vordergrund916. Aus heutiger Sicht sind die Gründe der Verkäufe in den Hintergrund getreten, die Objektabgabe wird losgelöst von der gesellschaftlichen Entwicklung des Adels betrachtet917 . Es erscheint der Allgemeinheit als Widerspruch, dass Verkäufe der Welfen – und auch die Auktion 2005 – zumindest teilweise finanziell begründet werden, da bekannt ist, dass die Familie über Vermögen verfügt. Die aktuell veröffentlichte Liste der wohlhabendsten deutschen Familien listet Ernst August (V.) von Hannover mit einem Vermögen von 300 Mio. Euro auf Platz 401918. In dieser Hinsicht würde eine verstärkte Kommunikation Abhilfe schaffen: Die Kosten für Restaurierungen der 2005 veräußerten Objekte, zuzüglich Instandhaltungs- und Modernisierungskosten des Schlosses Marienburg im Rahmen eines musealen Ausbaus sind kaum abschätzbar. Aufgrund des schlechten Zustandes können allein die Restaurierungskosten für Gemälde mitsamt ihrer Rahmen pro Objekt auf 3.000 bis 10.000 Euro geschätzt werden. Auch für Möbelstücke ist eine Schätzung der Restaurierungskosten pro Objekt auf etwa 2.000 bis 6.000 Euro nicht übertrieben. Festzuhalten ist damit, dass das Haus Hannover zwar durchaus in der Lage wäre, größere Objektbestände zu bewah914 Hipp, S. 76. 915 Rogasch, S. 30f. 916 Zum Schatz der goldenen Tafel in einem Ausstellungskatalog des Kestner-Museums: „Von ihm sind nur wenige Kunstwerke erhalten, sicher aber wird er einst mit seinen 88 Stücken an Bedeutung dem Welfenschatz kaum nachgestanden haben. Auch er verdankt sein Entstehen dem welfischen Herzogshaus.“, Ausstellungskatalog Hannover 1956, o.S. 917 Die Welt schreibt beispielsweise Georg (V.) von Hannover „Sentimentalitäten“ zu, die ihn zur Gründung des Welfenmuseums verleitet hätten, während Ernst August (III.) von Hannover bescheinigt wird, mit ihm haben die Verkäufe begonnen, Welt online, 28. August 2007, ohne dass diese jedoch in den Kontext der veränderten Situation des Adels nach 1918 gestellt werden. 918 Braunschweiger Zeitung, 6. September 2014: Liste der 500 Wohlhabendsten – Porsche ist die reichste Familie.
590 | S AMMLUNGEN DES A DELS ren und Schloss Marienburg stärker museal auszurichten, ein Erhalt des Gesamtbestandes nach musealen Standards jedoch nicht ohne weiteres möglich gewesen wäre. Die Aufwendung derart großer Geldmittel ist vor dem Hintergrund der nachweislich stark gelockerten Bindungen zu diesem Teil des Besitzes und der Übergabe des Schlosses an die nächste Generation nicht zu erwarten. Die Übernahme zahlreicher Objekte durch öffentliche Institutionen hat insgesamt dazu geführt, die über Jahrhunderte tragende, bewahrende Rolle der Welfen in der allgemeinen Wahrnehmung hinter die Verkäufe zurücktreten zu lassen. „Mit dem Verlust der Kunstwerke ging ein Schwund an Präsenz des Welfenhauses in seinem Stammland einher. Kunst als Mittel der Darstellung in der Öffentlichkeit und als Zeugnis eigener Tradition verlor an Interesse, vielleicht auch Zeichen einer Zeit, in der materielle über ideelle Vorstellungen dominieren. Bewahrer der Werke einer regionalen und darüber hinaus internationalen welfischen Tradition sind im öffentlichen staatlichen Auftrag zum Zweck der Bildung für Alle nunmehr die Museen.“919
Die traditionellen Bindungen und Eigenschaften von Sammlungen des Adels können diese jedoch nicht aufrechterhalten. Die Rolle des Landes Niedersachsen, der Stadt Hannover sowie öffentlicher Einrichtungen ist in der Historie der durch die Welfen verkauften Objekte wesentlich920 . Trotz zahlreicher Objektübernahmen kam es jedoch nicht zu einer konzentrierten Zusammenfassung welfischen Besitzes, wie sie beispielsweise durch die Übernahme des Schlosses Marienburg der Fall gewesen wäre. Dass die Kombination aus sich lösenden Bindungen durch die Familie der Welfen und das geringe Engagement des Landes Niedersachsen in Bezug auf die Auktion 2005 für die Bewahrung der welfischen Sammlungen als Kulturgut problematisch ist, fasste Brandt in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zusammen: „Wo war etwa die schnelle, konzertierte und gut munitionierte Reaktion der niedersächsischen Museumschefs auf die Verkaufspläne von Ernst August? Warum schwieg der Minister so lange? Warum hat niemand zu konsequenten Gesprächen über die Frage geladen, wo das problemlose Entrümpeln einer mit Hinterlassenschaften aus fünf Schlössern befrachteten Privatburg aufhört und wo der Ausverkauf der Landesgeschichte beginnt?“921
Problematisch in der Zusammenarbeit der öffentlichen Hand mit den Welfen scheint auch eine, zahlreichen Adelshäusern gemeine, Scheu zu sein, die eigenen Sammlungsbestände schonungslos der Forschung zugänglich zu machen. Als Grund für die Zurückhaltung ist die Angst zu nennen, durch den Abwanderungsschutz des Kulturgüterschutzgesetzes Einschränkungen zu erfahren, welche die Funktion von Samm-
919 Luckhardt: Eine Einleitung zu den Schätzen der Welfen, S. 18. 920 „Das finanziell weniger gesegnete Bundesland Niedersachsen, das noch bis heute keine Stiftung staatlicher Schlösser und Gärten kennt, hat in der Vergangenheit dem Welfenhaus immer wieder Zuschüsse gewährt und im Rahmen seiner Möglichkeiten manche finanzielle Aufwändung getätigt.“, Steckhahn, S. 201. 921 Hannoversche Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2005: Brandt, Hendrik: Adel vernichtet.
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lungen als finanziellen Rückhalt gefährden922. Der häufig beschriebene Rückzug ins Privatleben923 ist auch vor diesem Hintergrund zu betrachten: nachdem das Anhäufen mit dem Ziel eines von Quantität geprägten Besitzes über Jahrhunderte hinweg praktiziert worden war, hat der Hochadel seit 1918 bis heute gelernt, dass das Zeigen desselben Probleme verursacht. „Will man der heimlichen Abwanderung von Kulturgütern wie etwa dem Hildesheimer Silber der Welfen oder dem Augsburger Sakramentar der Fürstenberg, die leider nicht im Gesamtverzeichnis aufgeführt waren, als sie Deutschland (vorübergehend) verließen, so muss man den Veräußerern auf dem deutschen Kunstmarkt den vollen Erlös ebenso problemlos und vorwurfsfrei zukommen lassen wie in der Schweiz und in England, die dort ja auch ungeschoren bleiben.“924
Ist auch dieser Meinung Schüttes nicht uneingeschränkt zuzustimmen, da sich die Adelshäuser den gleichen Gesetzen unterwerfen müssen wie jeder andere Privatsammler, haben die Verkaufsgeschichten dennoch deutlich gemacht, dass eine verbesserte Kommunikation, eine größere Offenheit des Adels sowie ein stärkeres Interesse der öffentlichen Hand an einem Erhalt derartiger Bestände zusammenwirken müssen. 4.1.5 Biographische Wendepunkte – Zusammenfassende Bemerkungen Bereits die Entmachtung Georgs (V.) von Hannover sowie die Problematik der Braunschweigischen Thronfolgefrage hatten in den Beständen der Welfen zu nachhaltigen Veränderungen geführt. Verluste, Beschlagnahmungen und Ortswechsel führten zum Verlust von Bindungen der Bestände in Hannover, aber auch zu intensivierten Bindungen derjenigen Objekte, die im Exil in Österreich genutzt wurden. Die Sammlungen dort erfüllten nun zudem den Zweck, die bisherige Stellung der Familie wahren zu können und ein standesgemäßes Leben zu ermöglichen. Während das Leben im Exil für die dorthin mitgenommenen Bestände zwar wesentliche Veränderungen bedeutete, konnten typische Objektbiographien für Dinge des Adels weiter aufrechterhalten werden. Diese Idealbiographien kamen jedoch nach 1918 schrittweise zu einem Ende. Die Zeit von 1918 bis heute führte schließlich zu weiteren grundlegenden Veränderungen im Besitz der Welfen, welche die vorherigen lebendigen Sammeltätigkeiten beeinflussen mussten. Durch Umzüge, Kriegsverluste, Funktionsverluste und Verkäufe erfuhren zahlreiche Objektbiographien unwiderrufliche Wendepunkte, die nicht selten den Abbruch bisheriger Ding-Mensch- sowie Ding-Ding-
922 Gespräch von Hannover. 923 Vgl. Wienfort 2006, S. 154; vgl. Malinowski 2003, S. 60; Abelshauser/Faust/Pezina, S. 91; Dilcher beschreibt diesen bereits für das 19. Jahrhundert, was jedoch nicht als allgemeingültig für den gesamten Hochadel verstanden werden kann, vgl. Dilcher, S. 82; Reif verbindet diese Entwicklung mit der Zeit nach 1945, Reif 2001, S. 21. 924 Schütte, S. 3564-3565.
592 | S AMMLUNGEN DES A DELS Bindungen bedeuteten925. Als wesentlich ist in diesem Zusammenhang die immer häufigere Bewertung und Funktion als museales Kunstobjekt zu nennen. Als Mittel sozialen Verhaltens übernahmen die Bestände der Welfen nach 1918 zunächst im österreichischen Exil weitere Aufgaben, wobei die in Deutschland zurückgelassenen Objekte bereits zu diesem Zeitpunkt enorme biographische Wendepunkte erlebten. Mit der Rückkehr nach Deutschland konnten für Bestände im Schloss Blankenburg und später im Schloss Marienburg Aufgaben in diesem Bereich reaktiviert werden. Da das Haus Hannover noch immer über Objektbestände verfügt, kann ein kleinerer Teil der ehemals sehr großen Sammlungen noch immer als Mittel sozialen Verhaltens fungieren. Dies gilt ebenso für die Funktion als Erinnerungsobjekte. Diese war in der ersten Zeit nach 1918, auch im österreichischen Exil, wesentlich. Für die Familie Ernst Augusts (III.) von Hannover wurden jedoch mit dem Umzug nach Blankenburg Erinnerungsfunktionen bedeutender. Mit dem Verlust des Schlosses, dem Leben im Schloss Marienburg sowie dem Auszug aus diesem verringerte sich jedoch die Anzahl der Erinnerungsobjekte für Ernst August (IV.) von Hannover rapide. Porträts erfüllten ebenfalls in derjenigen Phase, in welcher Schloss Blankenburg Wohnsitz war, erneut den Zweck der Repräsentation von Ahnen, wie es bereits zur Zeit der Regentschaft der Fall gewesen war. Im Schloss Marienburg war dies abgeschwächter der Fall, da dieses völlig neu als Wohnsitz hergerichtet werden musste und weniger starke Bezüge zur eigenen Vergangenheit aktivieren konnte. Dagegen erfüllten die Dinge des Wohnens stabil ihre Aufgabe eines standesgemäßen Lebens. Die Vorstellung eines solchen hat sich jedoch im Verlauf des 20. Jahrhunderts weiterentwickelt, so dass alte Bestände mit moderneren Anforderungen in Bezug treten mussten. Dies ermöglicht jedoch am stärksten den Erhalt dieser Funktion, die so lange bestehen bleibt, wie Teile aus alten Beständen genutzt werden. Die Welfen haben ihre lebendige Sammeltätigkeit nach 1918 zunächst weiterführen können, nach und nach wurde diese jedoch immer stärker eingeschränkt. Während Anhäufungsmaßnahmen, nach dem Rückerhalt von Besitz durch die Auseinandersetzungsverträge mit dem Braunschweigischen Staat, aus finanziellen Gründen nahezu zum Erliegen kamen, konnte das Zeigen von Besitz noch lange Zeit fortgeführt werden. Sowohl in Österreich als auch in den Schlössern Blankenburg und Marienburg hatte dieses sowohl private als auch repräsentative Aufgaben. Heute überwiegt die Aufgabe des öffentlichen Zeigens, die allerdings durch die starke Reduktion der Bestände, im Rahmen der Auktion 2005, eine einschränkende Veränderung erfuhr. Die Maßnahmen des Bewahrens waren nach 1918 immer schwieriger durchzuführen. Auch hier ist die Zeit im Schloss Blankenburg als Ausnahme zu betrachten. Während das Leben der Familie an möglichst viele Punkte desjenigen vor 1918 anknüpfen konnte, war es möglich, auch die Sammlungen entsprechend zu nutzen und zu bewahren. Der Umzug in das Schloss Marienburg bedeutete nicht nur den weiteren Verlust von Sammlungsbeständen, sondern auch die Notwendigkeit einer kompletten Neuanpassung an ein unbekanntes Wohnumfeld und die Problematik zu stark konzentrierter Bestände. Ein reines Bewahren derselben war für die Familie 925 Neben der hier vorgestellten tendenziellen Entwicklung wäre eine Erforschung der Sammlungsbiographie anhand von Inventaren und Publikationen wie derjenigen zu den Kunstdenkmälern des Kreises Blankenburg im Vergleich mit dem Katalog zur Auktion 2005 sowie weiteren bekannten Verkäufen detailliert möglich.
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nicht möglich. Aus diesem Grund wurden die vorrangig finanziell begründeten Verkäufe nun von Entsammlungsmaßnahmen begleitet. Durch immer schwächer werdende Bindungen, vor allem der jüngeren Generationen, kam es schließlich 2005 zu einer Entsammlungsmaßnahme, welche zwar keinen Endpunkt für die welfischen Sammlungen bedeutet, jedoch deutlich macht, dass diese an einem entscheidenden Wendepunkt angelangt sind. Die Motive des Bewahrens – wie Traditionsbewusstsein und vor allem die ausgiebige Nutzung der Bestände – sind hinter die Motive des Verkaufens – wie finanzielle Belastung durch die Erhaltung des Schlosses Marienburg und eine emotionale Belastung durch ungenutzte Bestände – sowie die Einbindung in eine moderne Unternehmensstruktur zurückgetreten. Bezüglich der im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer stärker beachteten und häufig kritisierten Verkäufe aus Adelsbesitz926 scheint die Kritik nicht nur in einem möglichen Verlust des Objektes/der Objekte begründet zu sein. Stattdessen scheint der biographische Wendepunkt selbst, nämlich der Statuswechsel des Objektes aus dem Bereich der Kunst oder der historischen Quelle in den Bereich der Ware, aus dem Blickwinkel heutiger – statischer – Sammlungen, bedrohlich, wohingegen die Neutralisierung der Objekte im musealen Kontext als „Rettung“ erscheint. Kopytoff macht jedoch deutlich, dass diese Trennung ohnehin nicht aufrechtzuerhalten ist: „Singularity, in brief, is confirmed not by the object’s structural position in an exchange system, but by intermetted forays into the commodity sphere, quickly followed by reentries into the closed sphere of singular ‚art‘. But the two worlds cannot be kept separate for very long: for one thing, museums must insure their holdings. So museums and art dealers will name prices, be accused for the sin of transforming art into a commodity, and, in response, defend themselves by blaming each other for creating and maintaining a commodity market.“927
Obwohl der Adel höchst kritisch gegenüber jeglicher Art des Handels war, kennt dieser die beschriebene Problematik des Wechsels von Objekten zwischen „Kunst“ und „Ware“ nicht. Das Beispiel des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ macht dies besonders deutlich: zur Zeit Heinrichs des Löwen war es Zeichen von Macht und Religiosität, im 19. Jahrhundert wurde es zurückerworben und wurde im Welfenmuseum öffentlich gezeigt, später hat es die Familie als eine Art Schatz im Exil verwahrt und schließlich – zu einem nicht bekannten Zeitpunkt – als Finanzquelle verkauft. Seine Biographie durchlief damit, ebenso wie diejenige der Besitzerfamilie, völlig verschiedene aber als gleichwertig bewertete Stationen. Ebenso wie diese Transformation ist der Moment vor der möglichen Abgabe eines Objektes, nämlich der Moment, in welchem sich Ding-Mensch-Bindungen insofern entwickeln, dass eine Entscheidung zwischen „Behalten“ und „Weggeben“ getroffen wird, bisher wenig beachtet worden. Putnam/Swales weisen diesbezüglich auf den Zusammenhang dieser Momente zur Identitätsentwicklung hin: „Our exploration has drawn attention to keeping and not-keeping as moments in the re-making of self. They are independent, and not just in the sense that the keeping of one thing may be 926 In Bezug auf die Welfen sieht Rogasch hier den Wendepunkt der Beachtung in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, Rogasch, S. 40. 927 Kopytoff, S. 82-83.
594 | S AMMLUNGEN DES A DELS dependent on the not-keeping of another. The keeping or not-keeping of an object cannot be considered in isolation because the practices that it supports define psychic order and social relationships.“928
Die Verkäufe des Adels nach 1918 sind somit wesentliche Hinweise auf dessen soziokulturelle Entwicklung, „[d]enn Sammlungsstücke sind [...] Insignien sozialer Zugehörigkeit, wenn nicht gar Überlegenheit.“929 Die Betrachtung der Chronologie von Verkäufen vor dem Hintergrund der politisch, gesellschaftlich und privat bedingten Entwicklungen des Hauses Hannover ermöglicht daher eine Rekonstruktion sich verändernder Ding-Mensch-Bindungen, deren Wechselwirkungen nicht ohne Konsequenz für die Bedeutung der Dinge in Adelsbesitz bleiben. Wie die kurzen Hinweise zur Biographie des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ gezeigt haben, können detaillierte Objektbiographien in Bezug auf diese Wechselwirkungen zu weiteren Erkenntnissen führen. Aus diesem Grund sollen im Folgenden an fünf Beispielen derartige Biographien zusammengefasst und in Bezug zur Biographie der Familie der Welfen gestellt werden.
4.2
O BJEKTBIOGRAPHIEN „Objects can be understood only through looking at the cultural contexts which originally produced them and the new circumstances into which they later moved. The histories of many objects are composed of shifts of context and perspective.“930 Y. MARSHALL/C. GOSDEN
Bereits das vorangegangene Kapitel hat deutlich gemacht, inwiefern die Veränderungen der Lebensumstände des Hauses Hannover Auswirkungen auf Einzelobjekte und Gesamtbestände ihrer Sammlungen hatten. Die genannten biographischen Wendepunkte führten zu grundlegenden Neubewertungen von Objekten. Diese waren für Lösungen von Bindungen verantwortlich. Zur Verdeutlichung dieser einschneidenden Ereignisse und der Wechselwirkungen der betroffenen Ding-Mensch-Bindungen sollen im Folgenden – im Sinne des in Kapitel 3.1.1 beschriebenen Perspektivwechsels – wesentliche Aspekte ausgewählter Einzelbiographien aus den Sammlungen der Welfen aufgegriffen werden. Dies soll dazu beitragen, die Vielfalt der biographischen Möglichkeiten von Objekten aus Adelsbesitz aufzuzeigen und diese in Hinblick auf mögliche Veränderungen durch die Ereignisse nach 1918 zu untersuchen931. 928 929 930 931
Putnam/Swales, S. 290. Pomian 1998, S. 63. Marshall/Gosden, S. 174. Dabei wird bewusst eine rein zufällige Reihenfolge der Objekte gewählt, welche diese nicht in eine chronologische oder thematische Ordnung setzt, sondern für jedes Objekt allein die Perspektive der entsprechenden Biographie einnimmt.
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4.2.1 Das so genannte „Cumberland-Service“ Die Biographie des „Cumberland-Services“ begann mit Bekanntwerden der Hochzeitspläne Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (damals von Preußen) und Ernst August (III.) von Hannover (damals von Cumberland). Am 10. Februar 1913 wurde ihre Verlobung in Karlsruhe öffentlich bekannt gegeben932. Neben den Vorbereitungen, die das Kaiserhaus sowie das Haus Hannover für das bevorstehende Ereignis treffen mussten, hatten auch verschiedene Gruppen in der Bevölkerung die Aufgabe, ein angemessenes Geschenk zu wählen. Die Landesdirektion in Hannover entschied sich für die Neuanfertigung eines aufwändigen Porzellanservices, womit die immaterielle Phase dieser Objektgruppe begann, die auch am Tag der Hochzeit am 24. Mai 1913 noch keine materielle Gestalt angenommen hatte933. Erst für September 1914 findet sich im Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg folgender Eintrag: „Landesdirektorium der Provinz Hannover [...]. Zusammenstellung des Prunkservices für Se. Kgl. Hoheit den Prinzen Ernst August zu Braunschweig und Lüneburg.“934 Es folgt die Auflistung der gewünschten Teilobjekte, welche einen Tafelaufsatz nach dem Entwurf von Josef Wackerle, 50 Suppen-, 300 Speise- und 150 Dessertteller, 50 halbmondförmige Teller, 15 ovale und 20 runde Platten, 5 eckige Gemüseschüsseln, 15 runde „Compotschüsseln“, 5 Salatschüsseln, 5 Fruchtschalen, 5 Konfektschalen, 15 Saucieren sowie 12 Salzfässer umfasste935 . Festgelegt wurden auch die Dekore, die „feinste Blumenmalerei & reichst. Verg[oldung]936 ebenso einschlossen wie Vogelmuster, „stil. Landschaften“ und (nachträglich eingetragen) „Pferde“937. Entwerfer, Modelleure und Feinmaler waren daran beteiligt, den Objekten ihre Gestalt zu geben. Die aufwändige Handarbeit führ-
932 Zur Verlobung am 10. Februar 1913 vgl. von Keller, S. 287f; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 80ff. 933 „Besonders erleichtert [über die Verbindung des Paares, Anm. U.S.] muss der Landtag der Provinz Hannover gewesen sein, gemessen an seinem überaus kostbaren Hochzeitsgeschenk; es war so aufwendig gestaltet, daß es leider nicht rechtzeitig fertig wurde. Verschämt ersuchte man im Glückwunschbrief an das hohe Brautpaar um Nachsicht: „Euere Königlichen Hoheiten bitten wir deshalb diese Gabe – ein Nymphenburger Tafelservice – auch später gnädigst entgegennehmen zu wollen.“, Arcanum 1988: Arcanum. Zeitschrift für Porzellan und Glas, herausgegeben von Walter Garbs, Nr. 17: Cumberland. Sonderausstellung in Zusammenarbeit mit der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Nymphenburg, Hannover, den 15. März 1988, S. 2; Krafft, Barbara: 1747. 1997. 250 Jahre PorzellanManufaktur Nymphenburg, München 1997, S. 166f. 934 Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg: Punkt 562 (Auszug in Kopie), zur Verfügung gestellt durch das Archiv der Porzellanmanufaktur Nymphenburg, München; rätselhaft ist hier die Bezeichnung Ernst Augusts (III.) von Hannover als „Prinz“, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits als Herzog regierte. Die Bezeichnung wäre korrekt, wenn das Service nicht 1914, sondern im September 1913 in Auftrag gegeben worden wäre (was auch in Hinblick auf die Hochzeit im Mai 1913 verständlicher wäre). 935 Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg. 936 Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg. 937 Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg.
596 | S AMMLUNGEN DES A DELS te zum Entstehen von „individuellen“ Objekten, welche sich in klein(st)en Details voneinander unterscheiden. Laut einem 1922 erschienenen Artikel in der Zeitschrift Die Kunst war die genaue Ausführung der Manufaktur überlassen, was die groben Angaben des Auftragsbuches erklärt, „[...] nur sollten in sinniger Weise die Beziehungen des alten Welfengeschlechtes zu den Spendern zum Ausdruck gebracht werden.“938 Ein Wunsch, der sowohl im Tafelaufsatz als auch in zwei Tellerserien umgesetzt wurde939. Der Vergleich von Auftragsbuch, dem genannten Artikel von 1922 sowie dem heutigen Bestand zeigt, dass es bereits in dieser immateriellen Phase der Objektbiographie einen Wendepunkt gab, da Abweichungen zur Bestellung festgestellt werden können. Dies wird in der folgenden Beschreibung der einzelnen Bestandteile des Objektverbandes deutlich. Abbildung 22: Figur des steigenden Pferdes aus dem Tafelaufsatz des „Cumberland Services“, Josef Wackerle, Porzellanmanufaktur Nymphenburg, 1914-1921
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Der Tafelaufsatz besteht aus einer in ihrer Grundform ovalen Platte mit einer Größe von 73 x 62 x 8 cm sowie einem steigenden Pferd. Die Platte steht auf vier aus Rocaillen gebildeten Füßen und zeigt weitere plastische Dekorationselemente als Abschluss am unteren Rand. Der gekehlte Rand ist an vier Stellen in das Grundoval eingezogen. Ebenso wie dieser Rand und Teile der abschließenden Dekorationselemente sowie der Füße weist die Plattenfläche ein in Gold aufgetragenes Muster auf. Dieses Muster teilt die Fläche optisch in fünf Felder, davon vier außen liegende sowie ein Feld in der Plattenmitte. Die vier äußeren Felder zeigen verschiedene Blumen (vorwiegend Rosen) sowie Schmetterlinge in Aufglasurmalerei. Das steigende 938 Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice der Staatlichen Porzellanmanufaktur Nymphenburg, in: Die Kunst. Monatshefte für freie und angewandte Kunst, XXIII. Jahrgang, Heft 4, Januar, München 1922, S. 94. 939 Vgl. Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 96f.
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Pferd ist auf einem in seiner Grundform rechteckigen Sockel platziert, welcher wiederum auf vier Rocaillefüßen steht. Die Ränder des Sockels sind ungleichmäßig geschwungen und zur Mitte eingezogen. An seinen Seiten befinden sich Blumen- und Schmetterlingsmalereien sowie plastische Dekorationselemente in Form von Blattwerk und Blumen. Sowohl diese Elemente als auch die Ränder weisen in Gold aufgetragene Verzierungen auf. In ovaler Form steht auf der Vorderseite des Sockels in goldfarbener Schrift geschrieben: „Vierundzwanzigster Mai Neunzehnhundertdreizehn“. Auf einer Ecke des Sockels sitzt ein braunhaariger Putto, der auf ausgestreckten Armen eine Krone hält. Die Krone kann als vereinfachte Darstellung der Braunschweigischen Herzogskrone gedeutet werden. Putto und Dekorationselemente, wie beispielsweise palmenartige Blätter, bilden gemeinsam mit dem in eine großzügige und mit Gold verzierte Kartusche eingefassten Wappen des Hauses Hannover940 den stabilisierenden Unterbau unter dem Bauch des Pferdes. Das Pferd ist in steigender Pose mit eng an den Hals angelegtem Kopf gestaltet. Die Figur ist farblich stark reduziert auf einen Grau-Braun-Ton für Mähne und Schweif, einen blasseren Grauton für die Hufe und die Fellstruktur sowie einen etwas dunkleren Ton für die Augen und Rot für das Innere des geöffneten Mauls. Die asymmetrische Form des Sockels mitsamt den Dekorationselementen vermittelt in Kombination mit Malerei und Goldstaffage den Eindruck von Lebendigkeit, so dass der Kontrast zwischen dekorativem Sockel und naturalistisch gestaltetem, farbig reduziertem Pferd gemindert wird941. Mit Sockel ist dieser Teil des Tafelaufsatzes 65 cm hoch. Der Entwurf für den Tafelaufsatz stammt vom Bildhauer Josef Wackerle, der seit 1905 für die Porzellanmanufaktur Nymphenburg tätig war 942. Die Suppen- und Speiseteller haben einen Durchmesser von 26 cm. Der größere Teil dieser Teller wurde durch Blumenmalereien mit Insekten sowie einen mit Goldstaffage verzierten Rand dekoriert. Ein kleinerer Teil der Speiseteller zeigt dagegen ein aufwändiges Dekor mit Paradiesvögeln in stilisierter Landschaft sowie einem Rautenmuster/Weidengeflecht mit stilisierten Blumen am Rand, welches durch vier goldverzierte Kartuschen mit innenliegenden Blumen unterbrochen wird. Auch diese Teller sind durch einen Goldrand eingefasst.
940 Es handelt sich um das innere Wappen (ohne die dem Königreich Großbritannien und Irland zugehörigen Bestandteile), bestehend aus zwei „Leoparden“ für Braunschweig, den aufsteigenden Löwen für Lüneburg, das Sachsenross sowie, mittig eingefügt, die Krone des Heiligen Römischen Reiches. 941 „Ein künstlerisch besonders feiner Zug war es, die Wirkung des Aufsatzes nach zwei Richtungen hin zu teilen: Als Plastik von kräftig monumentaler Art wirkt das Pferd in vertikaler Richtung; für den Beschauer, der an der Festtafel Platz genommen hat, jedoch tritt die intimere Horizontalwirkung der Unterplatte, die den glücklichen Übergang zum Service vermittelt, in Erscheinung.“, Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 100. 942 Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg; parallel zu dieser Tätigkeit lehrte Wackerle an der Kunstgewerbeschule in Berlin, der Münchener Kunstgewerbeschule sowie der Münchener Kunstakademie, vgl. Porzellanmanufaktur Nymphenburg: http:// www.nymphenburg.com/de/kunst-design/kuenstler/josef.wackerle.
598 | S AMMLUNGEN DES A DELS Abbildung 23: Speiseteller (Blumenmalerei mit Insekten) aus dem „Cumberland Service“, Porzellanmanufaktur Nymphenburg, 1914-1921
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Die Desserteller sind mit 23 cm Durchmesser etwas größer als im Auftragsbuch vermerkt. Bei diesen verteilen sich – wie im Auftrag vorgesehen – die verwendeten Dekore in gleichen Teilen auf die Anzahl der Teller. Ein Teil greift das beschriebene Dekor der Paradiesvögel wieder auf. Abbildung 24: Dessertteller (steigendes Pferd) aus dem „Cumberland Service“, Porzellanmanufaktur Nymphenburg, 1914-1921
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Weitere Dessertteller der gleichen Tellerform zeigen mittig ein, an das Sachsenross angelehntes, steigendes Pferd in stilisierter Landschaft vor blau-grauem beziehungsweise rosafarbenem Himmel. Unterhalb des Pferdes befindet sich jeweils ein in zarte
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Zweige gewundenes Spruchband mit der Aufschrift: „1913 Nec aspera terrent“943 , dem Wahlspruch der Welfen, sowie den Initialen „WJ.“. Der Rand ist mit Goldstaffage sowie einzelnen Blüten geschmückt. „In diese fast wappenartige Darstellung gelang es dadurch Leben und beziehungsreiche Mannigfaltigkeit zu bringen, daß man die zarten Landschaften stets mit Hannoveraner Motiven wechseln ließ.“944 Abbildung 25: Dessertteller (topographische Darstellungen, hier: Residenzschloss Braunschweig) aus dem „Cumberland Service“, Porzellanmanufaktur Nymphenburg, 1914-1921
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Eine dritte Variante der Dessertteller ist mit 21 cm Durchmesser etwas kleiner und weist eine flachere Tellerform auf. Sie zeigen außerdem ein reduzierteres Bild mit jeweils mittig angeordneten und detailreich ausgeführten topographischen Darstellungen aus dem Gebiet des ehemaligen Königreichs Hannover945 sowie jeweils sechs 943 Auch Schwierigkeiten schrecken uns nicht. 944 Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 97; dargestellt sind kleine Landschaftsausschnitte. 945 Die dargestellten Orte sind auf der Rückseite der Teller bezeichnet: Marienburg, Residenzschloss Braunschweig, Stade Schiffertor, Leinepartie, Herrenhausen Großer Garten, Herzberg, Schloss Söder Portal, Waterlooplatz, Gothardikirche Hildesheim, Insel Norderney, Marienrode Kirche, Stadt Lingen, Schloss Fürstenau, Herrenhausen Einfahrt Hannover, Alte Kirche Marienhafe, Stadt Bentheim, Dom vom Herrenteichwall Osnabrück, Hämelschenburg, Klosterkirche Neuwerk, Kloster Frenswegen, Osnabrück vom Musenberg, Schloss Herrenhausen, Neues Rathaus, Königliches Schloss zu Celle, Sommerpalais Georgengarten, Salzderhelden, Schloss Gifhorn, Schloss Lützburg, Alte Werrabrücke mit Schloss Hannover[sch]-Münden, Iburger Schloss, Lüneburg vom Walle, Hoftheater Hannover, Emden an der Ems, Fürstenhof (Geburtsort I.K.H. des Herzogs von Cumberland), Haasertor Osnabrück, Kloster Wienhausen Celle, Ruine Hardenberg, Marktplatz in Einbeck, Provinzialmuseum, Leer, Schloss Goedens Ostfriesland, Weender Tor, Christuskirche Hannover, Kloster Lüne, Anatomisches Theater Göttingen, Provinzi-
600 | S AMMLUNGEN DES A DELS Blumenarrangements am Rand. Auch diese Teller sind durch einen Goldrand eingefasst. Sie weisen darüber hinaus eine leicht reliefartige (farbig nicht hervorgehobene) Korb-Struktur auf der Tellerfläche auf. Die halbmondförmigen Teller (23 x 12 cm) zeigen das gleiche Dekor mit Goldstaffage, Blumen- und Insektenmalerei wie Suppen- und ein Teil der Speiseteller. Dies gilt ebenso für die großen ovalen Platten (45,7 x 33,5 cm) mit Henkel und plastischen Dekorationselementen sowie für die runden Platten (34 cm Durchmesser), die eckigen (Gemüse-)Schüsseln (33 x 33 cm Diagonale, in der Mitte mit 22 x 22 cm eingezogen), die kleinen runden (Kompott-)Schüsseln (23,5 cm Durchmesser) und die großen (Salat-) Schüsseln (27 cm Durchmesser). Für 1/3 der großen ovalen Platten sowie die Hälfte der großen runden Platten wählte man jedoch, ebenfalls abweichend vom Auftragseintrag, das Vogelmotiv. Ebenso entfallen auf je die Hälfte der flachen Frucht- und Konfektschalen auf Füßen (29 x 26 cm, 14,5 cm hoch) das Blumen- sowie das Vogeldekor, obwohl im Auftrag nur das Blumenmuster angegeben war. Deren Form geht, wie auch die des Tafelaufsatzes, auf Entwürfe Josef Wackerles zurück946. Sie vermitteln in ihrer Größe zwischen dem aufragenden Tafelaufsatz und dem Rest des Services. Die Saucieren in Rautenform auf Fuß mit geschwungenen seitlichen Henkeln (23 x 17 cm, 8 cm hoch) und die ovalen Salzfässchen auf Füßchen (8 x 4,5 cm, 5 cm hoch) weisen ausschließlich die Blumenmalerei auf. Abweichend zu den Angaben im Auftragsbuch existieren des Weiteren Mokkatassen mit Untertassen947. Die Mokkatassen wirken durch eine wesentlich klarere Form sowie eine stärkere Betonung der Vergoldung im Verhältnis zur Blumenmalerei948 nicht völlig zugehörig zum Rest des Services. Die Wahl der Formen und Dekorationen war maßgeblich von der erdachten Idealbiographie des Services abhängig: „Für das Schloß in Braunschweig mit seiner alten, prunkvollen Einrichtung konnte nur ein Service im alten Stil in Frage kommen, sollte es sich als harmonisches Glied dem ganzen Ensemble einfügen.“949 Die Wahl des bereits bestehenden Rokoko-Services von Nymphenburg950 bildete den formalen Rahmen, der durch die Serien der Vögel, des steigenden Pferdes sowie die auch in ihrer Form abweichend gestalteten Teller mit topographischen Motiven aufgelockert wurde. „Dieses Rokoko-Service aus der Schaffenszeit Franz Anton Bustellis war das erste ‚Churfürstliche Hofservice‘ der Porzellan Manufaktur Nymphenburg. Da es damals als verpönt galt, frische Blumen als Dekoration bei Tisch zu verwenden – könnten sie doch während des Essens
946 947 948 949 950
al Ständehaus Hannover, Dom Hildesheim, Hameln, Schloss Richmond [gezeigt ist das so genannte „Williams Castle“, nicht das heute noch existierende Schloss Richmond]; vgl. auch Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 96f. Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg. Diese sowie die umfangreichere Verwendung des Vogelmotivs erwähnt bereits der Artikel in „Die Kunst“ 1922, vgl. Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 96. Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 97. Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 94. „Es ist dies ein altes lebhaftes Nymphenburger Blumenmuster in kräftigen Farben, belebt von prächtigen Schmetterlingen und anderen Insekten, umsäumt von einer reichen und äußerst zarten Goldspitzenkante.“, Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 96.
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verwelken – entwarf Joseph Zächenberger 1765 eine farbenfrohe und festliche Bemalung mit Blumenbouquets, einzelnen Blumen, Schmetterlingen und Insekten, eingefasst von einer feinen Goldspitzenkante. Ende des 18. Jahrhunderts wurde es als Hofservice vom BAYERISCHEN KÖNIGSSERVICE von Dominikus Auliczek abgelöst.“951
Die Vogeldekoration war ein ebenfalls bereits früher verwendetes, „Frankenthaler Vögel“952 genanntes, Dekor. Die Idealbiographie des Services sah eine Würdigung dieses umfangreichen Objektbestandes durch über den Aufwand einer solchen Produktion kenntnisreiche Nutzer vor. Bis zu fünfzig Personen sollten bis zu elf Gänge von den einzelnen Porzellanobjekten genießen953 . Es wurden diesbezüglich Gruppen festgelegt, welche in besonders enger Beziehung zueinander stehen: die große Gruppe der Teller, wiederum unterteilt in verschiedene Formen, Größen und Motive; die Gruppe der Schüsseln; Zubehör wie Salieren und Saucieren und schließlich als Einzelobjekt, das jedoch in Bezug zu jedem anderen Teil der Tafel steht, der Tafelaufsatz. Diese Idealbiographie sah neben den vielfältigen Ding-Ding-Bindungen der Serviceteile untereinander auch Bindungen derselben zu zahlreichen weiteren Objekten eines höfischen Umfeldes vor. Ein ausreichend großer Raum für eine entsprechend große Tafel mit Bestuhlung wurde vorausgesetzt, um das Service für die volle Anzahl der Personen (durch geschultes Personal) decken zu können. Die Beleuchtung durch Kerzen- oder elektrifizierte Leuchter verschiedener Formen und Materialien sollte im Glanz des Porzellans und der vergoldeten Elemente reflektiert werden. Möglicherweise hätten sich die als Dekor gemalten Blumen in echtem Blumenschmuck im Raum widerspiegeln können. Es war davon auszugehen, dass Landschaftsmotive, welche Orte des ehemaligen Königreiches Hannover zeigen, auch in Gemälden oder Stichen im Gebäude zu finden sein würden. Der Kontakt mit Tafelleinen und vor allem mit zahlreichen Speisen war beim zu erwartenden Effekt des Services mitzudenken: beispielsweise werden die Farben auf der großen hellen Fläche des Leinens in ihrem Eindruck verstärkt und sich langsam leerende Schüsseln und Teller geben nur schrittweise den Blick auf darunterliegende Malereien frei. Nicht zuletzt war davon auszugehen, dass direkte Berührungen der nutzenden Menschen die visuellen Eindrücke durch eine haptische Komponente ergänzen würden. Insgesamt war das Service derart konzipiert, dass es sich in Bezug auf Pracht und Umfang gleichzeitig in den höfischen Raum einfügen und innerhalb desselben eine besondere Rolle übernehmen sollte. Dieser besondere Stellenwert, welcher in der Idealbiographie des „Cumberland-Services“ mitgedacht wurde, setzt sich aus den 951 Porzellanmanufaktur Nymphenburg: http://www.nymphenburg.com/de/produkte/service/ cumberland. 952 Krafft 1997, S. 166. 953 „In die Zeiten vor dem 9. November 1918, in jene vor dem 1. August 1914 müssen wir uns versetzen, wenn wir das Prunkservice, das die Nymphenburger Manufaktur für den Braunschweiger Hof zur Ausführung brachte, einer Betrachtung und Würdigung unterziehen wollen. Denn ein reiches Deutschland und höfischer Prunk mit monarchistischer Tradition sind die Voraussetzungen, die ein derartiges Werk erst ermöglichen und ihm das unbedingt nötige Relief geben konnten.“, Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice, S. 94.
602 | S AMMLUNGEN DES A DELS – in Kapitel 3.1 beschriebenen – Bedeutungsebenen der Dinge des Adels zusammen. Bereits seine Funktion als Geschenk von Vertretern eines ehemaligen Herrschaftsbereiches ließ es zum Mittel sozialen Verhaltens werden: als ehemals dem Königreich Hannover, 1913 jedoch seit einigen Jahrzehnten Preußen zugehöriger, Landesteil war ein Geschenk zur Hochzeit der preußischen Prinzessin mit dem welfischen Prinzen obligatorisch. Die Serie der Teller mit topographischen Motiven betonte die Herkunft des Geschenkes. Die später dem Auftrag zugefügte Serie der Teller mit „Pferden“ – die zweifelsfrei mit dem Sachsenross in Verbindung gebracht werden können – weist auf die noch immer starke Verbindung zur ehemaligen Herrscherfamilie hin. Dies wird unterstützt durch den Tafelaufsatz mit steigendem Pferd, Wappen und der durch den Putto getragenen Krone. Der Tafelaufsatz verweist außerdem auf eine Machtposition der Welfen, welche durch die an die Hochzeit gebundene Lösung der Braunschweigischen Thronfolgefrage erneut gefestigt wurde. Der Umfang und die Ausgestaltung des Services qualifizierten dieses damit auch für die späteren Nutzer als Mittel sozialen Verhaltens: ein Anknüpfen an glanzvolle Zeiten der Welfen auf dem Thron in Braunschweig wurde auch an entsprechenden Feierlichkeiten gemessen. Ein Leben in Fülle war auch 1913 für den Hochadel noch möglich und zur Betonung des Standes der Familie unerlässlich. Als Geschenk zur Hochzeit war das Service darüber hinaus dafür vorgesehen, Erinnerungsfunktionen zu erfüllen. Diese wären ergänzt worden durch Erinnerungen an Feierlichkeiten, zu welchen das Service genutzt werden sollte. Erinnerungen hätten auch in den einzelnen Objekten des Gesamtbestandes gespeichert werden können. Die topographischen Darstellungen erinnerten zudem nicht nur an die Rolle der Welfen als Könige in Hannover, sondern waren darüber hinaus auch in der Lage, bei einzelnen Nutzern ganz individuelle Erinnerungen an die jeweilige Ortschaft zu wecken. Wie auch Porträts können derartige Darstellungen – vor allem in der Kombination mit der Darstellung des Sachsenrosses – Stellvertreterfunktionen übernehmen. Während die Welfen keine Macht mehr über das Gebiet ihres ehemaligen Königreiches hatten, wären Teile desselben sozusagen in das nun wieder welfisch regierte Herzogtum Braunschweig transportiert worden. Die Funktionen von Serviceteilen als Dinge des Wohnens sind offensichtlich. Der Kontakt während der Benutzung vollzieht sich weitgehend indirekt über die Speisen, was jedoch die Intimität desselben nicht schmälert (es ist durchaus möglich, durch unansehnliches oder verschmutztes Geschirr den Eindruck des Essens völlig zu verändern). Darüber hinaus ist auch dem Geschirr eine Funktion innerhalb der hierarchisierenden Ordnung der Dinge des Wohnens eigen: von Bediensteten verwahrt, aufgetragen und gereinigt, dürfen es nur die zur Tafel geladenen Personen nutzen, wobei deren Position und der Ablauf der Nahrungsaufnahme wiederum geregelt sind. Die Biographie des „Cumberland Services“ wich bereits von ihrem Beginn an von der Idealbiographie mit den hier beschriebenen Funktionen ab. Die Planungsphase und Herstellung des aufwändigen Geschenks nahm mehrere Jahre in Anspruch. Die materielle Phase seiner Biographie hatte zum feierlichen Einzug des Herzogspaares in Braunschweig im November 1913 noch nicht begonnen. Zur Geburt und Taufe des Thronfolgers 1914 und auch drei weiterer Kinder war das Service noch nicht vollständig. Die Produktionsphase überdauerte den Ersten Weltkrieg und war damit erst nach der Entmachtung Ernst Augusts (III.) von Hannover und dessen Flucht ins österreichische Exil abgeschlossen:
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„Und plötzlich, im Jahre 1921, wird in das welfische Exil im österreichischen Gmunden am Traunsee, wo man wegen der schlechten Zeiten ziemlich spartanisch lebt, die versprochene Service-Ausstattung von 700 Einzelteilen für 11 Gänge und 50 Personen geliefert, eine luxuriöse, über alle Maßen kostbar gemalte, künstlerisch wie handwerklich einzigartige Schöpfung aus edelstem Porzellan, ein Objekt von ungeheurem Wert, für das man eigentlich überhaupt keine Verwendung mehr haben konnte.“954
Für das umfangreiche Service stand eine Nutzung in der vom ehemaligen Herzogspaar bewohnten Villa Weinberg in Gmunden außer Frage. Anlass hätten 1923 Geburt und Taufe des letzten Kindes der Familie – Welf Heinrich von Hannover – geboten. Platz und Ausstattung für Feierlichkeiten fanden sich jedoch ausreichend in Schloss Cumberland, dem Wohnsitz Ernst Augusts von Cumberland, so dass die Verwendung des Services zu diesem Anlass unwahrscheinlich ist. Die Zeit war zudem geprägt von Veränderung und einer unsicheren Zukunft: seit 1921 dauerten die rechtlichen Auseinandersetzungen um das Vermögen mit dem Braunschweigischen Staat an. Im April des gleichen Jahres war Auguste Viktoria von Preußen, letzte deutsche Kaiserin und Mutter Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg verstorben. 1923 verstarb Ernst August von Cumberland. Die politische Situation in Deutschland war zudem noch instabil. Das Service konnte dennoch Erinnerungsfunktionen ausüben und der 1922 erschienene, oben zitierte, Artikel in der Zeitschrift Die Kunst weist darauf hin, dass es zumindest für die interessierte Fachwelt Möglichkeiten gegeben haben muss, das Service zu begutachten. Damit hatte es bereits kurz nach seiner Fertigstellung eine biographische Wandlung durchlaufen, welche den Schwerpunkt seiner Funktion von manueller Nutzung zur Betrachtung unter dem Aspekt seines Kunstwertes verschob. Nachdem die Vermögensauseinandersetzungen mit einer Rückgabe des Schlosses Blankenburg an Ernst August (III.) von Hannover beendet worden waren, hatte dies auch Auswirkungen auf das „Cumberland Service“: Möbel und Ausstattungsstücke wurden dorthin gebracht, bevor die Familie das Schloss wieder regelmäßig bewohnte. Diese Objekte stammten zum Teil aus dem ehemaligen Residenzschloss in Braunschweig und zum Teil aus Schloss Cumberland. Zumindest der Tafelaufsatz wurde in Schloss Blankenburg in den 30er Jahren genutzt, indem man ihn in der Bibliothek aufstellte, wie Sander bemerkt: „Auf dem Tisch steht ein Tafelaufsatz aus Nymphenburger Porzellan, eine Platte mit dem Sachsenroß, ein Geschenk des Landes Hannover zur Hochzeit des Herzogspaares am 24. Mai 1913.“955 Ohne Verbindung zu weiteren Teilen des Services stand der Tafelaufsatz zu dieser Zeit in Verbindung mit einer heterogenen Gruppe von Objekten im gleichen Raum: Die Bibliothek war mit großen Bücherschränken ausgestattet, wurde durch Kronleuchter aus Hirschgeweihen beleuchtet und verfügte über Gemälde und zwei Statuen. Die Gemälde zeigten Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine Ehefrau Elisabeth Juliane zu Braunschweig und Lüneburg sowie August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die plastischen Arbeiten bestanden aus 954 Arcanum 1988, S. 2; der Auftrag selbst umfasste ohne den Tafelaufsatz 645 Objekte, vgl. Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg, mit den Mokkatassen kann man von rund 700 Objekten sprechen. 955 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.
604 | S AMMLUNGEN DES A DELS einem Porträt Luises Prinzessin zu Mecklenburg Königin von Preußen mit ihrer Schwester sowie einer Büste Wilhelms von Braunschweig956. Die Räumlichkeiten waren laut Bürger der Öffentlichkeit zugänglich, so dass die Auswahl des Tafelaufsatzes vermutlich nicht nur aus privatem Geschmack gewählt worden ist. Diese demonstrative Zurschaustellung des Sachsenrosses in Verbindung mit der – wenn auch kleinen und vereinfachten – Herzogskrone zeigt ein neu erwachtes Selbstbewusstsein der Familie zu dieser Zeit957 . Wie in Kapitel 4.1.3 festgestellt wurde, war diese kurze Zeit im Schloss Blankenburg geprägt von der Wiederaufnahme traditioneller Verhaltensweisen in Bezug auf die Sammlungsbestände. Es ist daher durchaus möglich, wenn auch nicht belegt, dass auch der Rest des Services genutzt wurde 958. Für den Tafelaufsatz war jedoch die öffentliche Ausstellung eine mehrfache Neubewertung: als Ausstellungsstück wurde er stärker als Kunstobjekt, denn als Teil 956 Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, o.S.; Meier/Steinacker erwähnen 1922 ein Gemäldepaar mit Darstellungen Anton Ulrichs von BraunschweigWolfenbüttel und Elisabeth Julianes zu Braunschweig und Lüneburg in Blankenburg, beides Brustbilder „ziemlich von vorn“, ca. 64 x 80,5 - 82 cm groß. Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wird beschrieben: „[b]laue Augen, grau-braune große Lockenperücke, matt-blauer Mantel über einem Panzer, Spitzenhalstuch“, Elisabeth Juliane zu Braunschweig und Lüneburg wird beschrieben: „blaue Augen, braunes Lockenhaar, roter, duch eine über die Schulter ziehende Perlenschnur zusammengehaltener Hermelin“, Meier/Steinacker, S. 77; von August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel wird, neben einem Kinderbildnis sowie einem Bildnis mit seiner Gemahlin Elisabeth Sophie Marie zu Braunschweig und Lüneburg, ein 102 x 129 cm großes Gemälde beschrieben: „[b]laue Augen, weiße, noch lange Lockenperücke, schwarze Rüstung, blauer Hermelin, darunter die Rechte mit Kommandostab, blaues Band des Elefantenordens, die Linke auf dem über einem Felsen ruhenden Helm. Unbestimmter, gelb-brauner Hintergrund. bez. Rechts unten: Peint par de Largillierre 1701. Prachtstück.“, Meier/Steinacker, S. 78; es kann jedoch aufgrund der Umgestaltungen nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass es sich um ebendiese Gemälde handelte. 957 Dieses wurde gefördert durch die Rückkehr in ein standesgemäßes Umfeld, welches zudem durch Modernisierungen auf den Stand der Zeit gebracht worden war. Möglicherweise erhoffte sich die Familie zudem durch den Erfolg der Nationalsozialisten, zu deren führenden Persönlichkeiten sie zu dieser Zeit Kontakt hatte, ein Wiedererstarken des Adels, vgl. Malinowski zum Verhältnis des Adels zum Nationalsozialismus, Malinowski 2003, S. 476ff und S. 509; vgl. zur Beschreibung der Treffen mit nationalsozialistischen Persönlichkeiten zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 265ff und S. 273ff; insgesamt ist diese Verbindung noch kaum historisch ausgewertet, ein NDR-Film führte laut eigenen Angaben erstmals Archivmaterial an, das erste Aufschlüsse über die Rolle der Welfen als Unternehmer während der Zeit des Nationalsozialismus gibt und feststellt, dass sich die Familie durchaus an die Gegebenheiten anpasste und aus diesen Nutzen zog, vgl. NDR-TV-Produktion; 1938 heiratete darüber hinaus die Tochter Friederike von Griechenland (damals von Hannover) den späteren König von Griechenland, und die Möglichkeit dieses Schrittes bedeutete den Anschluss der Welfen an eine noch lebendige Monarchie. 958 Ein Anlass hätte die Konfirmation Welf Heinrichs von Hannover 1938 in Schloss Blankenburg sein können, vgl. von Hannover, W., S. 12.
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eines prunkvollen Nutzgeschirrs betrachtet. Dies wurde durch die Präsentation – mit Gemälden und zwei von jeher als Einzelplastiken geschaffenen Porträts – verstärkt. In seiner Symbolik fungierte er jedoch als Mittel sozialen Verhaltens und auch die Übernahme von Erinnerungsfunktionen war möglich. Verlauf und Ende des Zweiten Weltkrieges hatten weitere Auswirkungen auf das „Cumberland Service“. Die Funktion des Schlosses als Lazarett und Wohnort für Flüchtlinge trat vor diejenige eines zu besichtigenden Schlosses in den Vordergrund. Die Gefahr der Beschädigung war durch Bombenangriffe oder Beschuss groß959, wovon das Service durch die Vielzahl der Einzelteile und das grundsätzlich durch Stöße und Erschütterung gefährdete Material Porzellan besonders betroffen war. Gemeinsam mit zahlreichen weiteren Objekten war das Service 1945 Teil der Flucht vor russischer Besatzung und gelangte ins Schloss Marienburg. Es ist unwahrscheinlich, jedoch nicht völlig auszuschließen, dass es nach diesem Zeitpunkt noch einmal in seiner Funktion als Speiseservice genutzt wurde. Nach dem Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover 1953 ist davon jedoch nicht mehr auszugehen. Öffentlich gezeigt wurde das Service im Schloss Marienburg nicht. Die in Arcanum begleitete Sonderausstellung 1988 zeigte Objekte der Porzellanmanufaktur Nymphenburg mit dem entsprechenden Dekor (darunter auch Kaffeekannen und Terrinen, die das Hochzeitsgeschenk nicht enthielt), jedoch nicht das Original. Der Autor schreibt dazu: „Und so verliert sich denn die Spur dieses großartigen Porzellan-Ensembles in der Abgeschlossenheit der privaten Sphäre der braunschweigischen Familie.“960 Möglicherweise wurde der Tafelaufsatz aufgrund einer massiven Beschädigung der Platte nicht mehr gezeigt. Diese war schräg von der Mitte einer Längsseite zur anderen Längsseite durchgebrochen. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Schaden bereits vor oder während der Ausstellung in Blankenburg entstanden ist, auszuschließen ist dies jedoch nicht. Als Beschädigungszeitpunkt anzunehmen ist die Zeit des Zweiten Weltkrieges oder der Transport in das Schloss Marienburg. Es kam zu Restaurierungsmaßnahmen, die jedoch zu keinem befriedigenden Ergebnis führten: „Eine Stabilisierung und Überbrückung der Bruchstellen erfolgte mit eingegipsten Eisenarmierungen auf der Unterseite“961. Genutzt wurde außerdem ein „brauner Klebstoff“962. 2005 wurden – laut Katalog – 489 Teile des „Cumberland Services“ als Losnummer 2899 im Schloss Marienburg verauktioniert. Band I des Kataloges, der „[d]ie Geschichte des Hauses Hannover und die Höhepunkte der Auktion“ behandelt, bildet das Pferd als Teil des Tafelaufsatzes ohne Platte sowie eine Auswahl aus Tellern, halbmondförmigen Tellern, Salieren, Saucieren, Mokkatassen, einer großen Platte mit Henkel und Blumendekor sowie Tellern mit dem steigenden Pferd ab. Integriert in dieses Arrangement ist ein großer silberner Tafelaufsatz mit dreizehn959 Das Schloss wurde nicht grundsätzlich beschossen, es gab jedoch vereinzelte Vorkommnisse, vgl. von Hannover, W., S. 15. 960 Arcanum 1988, S. 3. 961 Kiffe, Elke: Restaurierungsbericht Große Platte/Tafelaufsatz (PO 00675-01), Richard Borek Stiftung, 2009, S. 2; die Eisenteile waren 2005 stark korrodiert, so dass man vermuten kann, dass sich die Platte bereits seit längerer Zeit in diesem Zustand befunden hat, vgl. Kiffe, S. 2. 962 Kiffe, S. 2.
606 | S AMMLUNGEN DES A DELS flammigem Kandelaber sowie der Darstellung des Hl. Georgs mit dem Drachen963 , welcher den (reduziert dargestellten) Tafelaufsatz des Porzellanservices „blass aussehen lässt“ und in keiner Verbindung zum Service steht. Die Beschreibung ist knapp gehalten: „A Nymphenburg service for the occasion of the wedding of Ernst August of Hanover and Princess Victoria Louise of Prussia in 1913“964. Datiert wird das Service auf 1913. Der Schätzwert lag bei 40.000 - 60.000 Euro965 . Auch die Beschreibung im Katalogteil ist nicht ausführlicher. Dort finden sich zwei sehr kleine Fotos, welche vier Teller mit topographischen Motiven sowie einen Teller mit Vogelmuster zeigen und eine etwas größere Abbildung, die jedoch nur einen Ausschnitt aus dem in Band I gezeigten Arrangement wiederholt966. Das Service wurde durch die Richard Borek Stiftung erworben und erreichte somit zum ersten Mal in seiner Biographie seinen ursprünglichen Bestimmungsort Braunschweig. Der 2005 veräußerte Umfang zeugt von Verlusten gegenüber dem ursprünglichen Bestand. Zwei der Suppenteller, ein Speiseteller, je ein Dessertteller mit topographischem Motiv sowie mit der Darstellung des springenden Pferdes, einundzwanzig halbmondförmige Teller, eine große runde Platte, zwei eckige (Gemüse-) Schüsseln, fünf kleine (Kompott-)Schüsseln, drei große (Salat-)Schüsseln und drei Saucieren gehören nicht mehr zum Bestand. Dies macht einen Verlust von 6,1 % aus. Die Zerstörung dieser Objekte ist wahrscheinlich, kann jedoch nicht nachgewiesen werden. Es ist ebenfalls möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass sie vom Gesamtbestand abgespalten wurden. Da sich auch beschädigte Objekte im Bestand des auf der Auktion versteigerten Services befanden, ist aber davon auszugehen, dass die Zerstörung der vermissten Teile zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein muss. Möglicherweise während einem der Transporte von Gmunden nach Blankenburg beziehungsweise von Schloss Blankenburg in das Schloss Marienburg. Neben der genannten alten Restaurierung der Platte des Tafelaufsatzes wies diese einen größeren Ausbruch am unteren Rand auf. Weitere Objekte wie Mokkatassen, Untertassen, Teller und große Platten mit Henkeln wiesen Abbrüche, kleine Risse und ähnliche Beschädigungen auf. Der weitaus größere Teil (etwa 95%) befand sich jedoch in einem guten Zustand. Ab 2007 wurde die Platte des Tafelaufsatzes erneut restauratorisch behandelt. Die korrodierten Eisenmontierungen wurden entfernt, die Platte neu zusammengesetzt und Ausbrüche angefügt967. 2011 erfolgten weitere Restaurierungen von Kleinobjekten, in deren Zusammenhang Einzelteile angeklebt und kleine Fehlstellen in Malerei und Goldstaffage retuschiert wurden968. Im Zuge dieser Maßnahmen kam es zum Verlust einer Mokkatasse, die nicht mehr restauriert werden konnte und durch eine Neuanfertigung der Porzellanmanufaktur Nymphenburg nach alten Plänen sowie den Erhalt der Scherben dokumentiert wurde. Die Objekte sind nicht öffentlich ausgestellt, jedoch für die Wissenschaft zugänglich. Sie werden als Gesamtbestand aufbewahrt, wobei eine Betrachtung jederzeit 963 964 965 966 967 968
Los 2899, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. I, S. 269. Los 2899, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. I, S. 269. Los 2899, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. I, S. 269. Los 2899, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. III, S. 130. Kiffe, S. 6ff. Skasa-Lindermeir, Beate: Restaurierungsbericht Porzellanobjekte aus dem „Cumberland Service“ (PO 00675), Richard Borek Stiftung, 2011.
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möglich ist. Sie erfüllen damit, zumindest für ausgewählte Personen, eine visuelle Funktion. Das Service kann zudem, durch die Option einer wissenschaftlichen Erforschung, Teil eines historischen Gedächtnisses werden. Ding-Ding-Bindungen bestehen weiterhin, Ding-Mensch-Bindungen zu Einzelpersonen sind möglich. Die Biographie des „Cumberland Services“ macht deutlich, wie groß die Abweichungen zu Idealbiographien von Objekten aus Adelsbesitz durch die Ereignisse ab 1918 sein können. Die Biographie dieses großen Bestandes wich zu jeder Zeit von seiner Idealbiographie ab. Dennoch konnte das Service in den Sammlungen der Welfen zeitweise Funktionen übernehmen, die aber durch wiederholte Umzüge und, mit diesen verbunden, sich verändernde Wohnsituationen stark eingeschränkt wurden. Unter dem Namen „Cumberland“ bietet die Porzellanmanufaktur noch heute ein Tafelservice an, welches Form und Dekor der Blumenserie des „Cumberland Services“ nutzt: „CUMBERLAND trägt das weltweit aufwendigste Blumendekor, das heute noch auf Porzellan realisiert wird: Für die Bemalung eines einzigen Tellers benötigt ein Maler bis zu drei Wochen.“969 Eine 43 x 43 x 6 cm große „Platte (rund und tief)“ wird im Online-Shop für 19.800 Euro angeboten970. Einzelobjekte – vor allem Teller – sind regelmäßig in Porzellanauktionen zu finden. 4.2.2 Das so genannte „Mantuanische Onyxgefäß“ Eine im Vergleich zum oben vorgestellten „Cumberland Service“ um ein Vielfaches längere Biographie weist das so genannte „Mantuanische Onyxgefäß“ auf. Diese bis ins letzte Detail vorzustellen, würde den Umfang dieses Kapitels sprengen und die Geschichte des Objektes wurde bereits an anderer Stelle ausführlich beschrieben971 . Dennoch sollen ausgewählte biographische Stationen dargelegt werden, da diese auf die Besonderheiten von Sammlungen aus Adelsbesitz nach 1918 hinweisen können. Das „Mantuanische Onyxgefäß“ ist ein 15,3 cm hohes, aus Sardonyx geschnittenes Gefäß mit einem Durchmesser von 6,5 cm. Die Farbschichten (Weiß bis zu verschiedenen Brauntönen) des fünfschichtigen Steins werden durch den Steinschnitt sichtbar972 . Als Relief gearbeitet sind Figurenszenen erkennbar, die antike Götter zeigen973.
969 Porzellanmanufaktur Nymphenburg. 970 Porzellanmanufaktur Nymphenburg: http://www.nymphenburg.com/de/shop/best.of.sea sonals.2014/cumberland/15000.html. 971 Vgl. u.a. Bruns, Gerda/Fink, August: Das Mantuanische Onyxgefäß, Kunsthefte des Herzog Anton Ulrich-Museums, Heft 5, Braunschweig 1950; Wenzel, Michael: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004, S. 130-133. 972 Kulturerbe Niedersachsen: http://kulturerbe.niedersachsen.de/viewer/piresolver?id=isil_ DE-MUS-026819_opal_herzanulm_kunshe_Gem300; Herzog Anton Ulrich-Museum: http://www.3landesmuseen.de/Antike.690.0.html. 973 „Dargestellt sind verschiedene antike Gottheiten, darunter als Hauptszene die Fruchtbarkeitsgöttin Demeter in einem von Schlangen gezogenen Wagen, den sie mit dem mythischen Helden Triptolemos teilt, der für eine Verbreitung ihres Kultes über den Erdkreis sorgte.“, Kulturerbe Niedersachsen; vgl. Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 130.
608 | S AMMLUNGEN DES A DELS Eine Fruchtgirlande bildet den oberen Abschluss des Steinschnitts, die Dar stellung „verschiedener Kultgegenstände“974 den unteren. Abbildung 26: Das so genannte „Mantuanische Onyxgefäß“, 1. Jh. n. Chr.
Foto: Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Kunstmuseum des Landes Niedersachsen (Museumsfotograf)
Die Biographie des Gefäßes begann Mitte des 1. Jahrhunderts nach Christus 975 . Es ist nicht bekannt, wer das Gefäß anfertigte und wo es sich zu Beginn seiner Biographie befand976. Als Salbölgefäß stand es in direktem physischen Kontakt zu den Menschen, die es nutzten, sowie dem verwendeten Öl. Es erfüllte damit eine praktische Aufgabe. Durch seine Form und die bildlichen Darstellungen wurde diese um eine visuelle Funktion ergänzt. Möglicherweise übernahm es zudem eine politische Funktion, wenn man das Bildprogramm als Allegorie auf den Herrschaftsantritt Kaiser Neros977 oder auf den Beginn der Mitregentschaft Caracallas978 verstand: „Mitglieder des römischen Kaiserhauses ließen sich in der Spätantike gern in göttlicher Gestalt darstellen und verehren.“ 979 In jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass das Gefäß zu einem besonderen Anlass angefertigt wurde, da dem verwendeten Stein ein hoher materieller Wert zugeschrieben wurde980. Aus diesem Grund sind Erinnerungsfunktionen an diesen Anlass als weitere Aufgabe des Gefäßes anzunehmen. Eine Idealbiographie sah vermutlich eine pflegliche Behandlung, die Nutzung sowie den Einsatz des Objektes als Mittel sozialen Verhaltens vor. 974 Kulturerbe Niedersachsen. 975 Vgl. Herzog Anton Ulrich-Museum; um 200 nach Christus, Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, Hannover 1981, S. 6. 976 Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. 977 Vgl. Kulturerbe Niedersachsen; vgl. Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 130. 978 Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. 979 Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. 980 Vgl. Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6.
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Die folgenden Abschnitte der Biographie sind für einen sehr langen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten nicht nachweisbar. Zu einem nicht bekannten späteren Zeitpunkt veränderte man die Form des Objektes, um es als Kännchen nutzen zu können. Eine aufgebrachte Metallfassung machte dies möglich. Diese hatte durch Reduzierungen des Steins auch Auswirkungen auf die Darstellungen981. Die Gestalt des Gefäßes wurde damit irreversibel verändert. Seit frühestens Mitte des 15. Jahrhunderts war das „Mantuanische Onyxgefäß“ im Besitz Isabella d’Estes Prinzessin von Ferrara Markgräfin von Mantua982 und erhielt durch diese biographische Station seinen heutigen Namen. Die Sammlungen Isabella d’Estes von Mantua befanden sich in ihren Gemächern im Untergeschoss des weitläufigen Palastes von Mantua, dem Palazzo Ducale. Dort hatte sie sich ein „studiolo“ sowie einen vorgelagerten Raum, die so genannte „grotta“ einrichten lassen983. Das Gefäß befand sich somit einerseits in unmittelbarer Nähe zu weiteren Objekten dieser Sammlung sowie in einem Gebäudekomplex mit einer großen Anzahl unterschiedlichster (Kunst-)Objekte verschiedener Epochen. Es ist davon auszugehen, dass es im Umfeld seiner gebildeten Besitzerin, die zudem engen Kontakt zu Künstlern wie beispielsweise Andrea Mantegna pflegte, eine hohe Wertschätzung erfuhr. Ding-Ding-Bindungen zu weiteren Objekten der Antike sind wahrscheinlich, da Isabella d’Este von Mantua diese in Original und Kopie sammelte984 . Es ist unwahrscheinlich, dass das „Mantuanische Onyxgefäß“ zu dieser Zeit noch als Gefäß genutzt wurde. Somit stand spätestens seit diesem Zeitpunkt sein Kunstwert im Vordergrund vor einer physischen Nutzung und die Biographie des Objektes wich von dessen Idealbiographie ab. Als Bestandteil einer Sammlung erfüllte es Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens. Im Gegensatz zum „Cumberland Service“, dessen früheste schriftliche Erwähnung noch vor dem Beginn seiner materiellen Biographie liegt, stammt das erste (erhaltene) schriftliche Zeugnis des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ aus dem Jahr 1452985 und entstand damit etwa 1.400 Jahre nach dem Objekt selbst. Es handelt sich um ein nach dem Tod Isabella d’Estes von Mantua angefertigtes Inventar ihrer Sammlungen, welches über 1.500 Objekte auflistet. 72 dieser Objekte waren Behältnisse986. Möglicherweise änderte das Objekt nach dem Tod seiner Besitzerin den Standort innerhalb des Palazzo Ducale, es blieb jedoch im Besitz der Familie Gonzaga987 . Direkte Ding-Mensch-Bindungen waren weiterhin möglich, sind jedoch aufgrund der insgesamt prächtigen und vielfältigen Ausstattung des Palastes nicht in dem Maß anzunehmen wie zu den Lebzeiten der Sammlerin. 981 Vgl. Kulturerbe Niedersachsen. 982 Laut Fink hatten die Gonzaga (Isabella d’Este von Mantua war die Ehefrau Gianfrancescos (II.) Gonzaga Markgraf von Mantua), das Gefäß durch einen persischen König als Geschenk erhalten, Fink, August: Die Schicksale des Onyxgefäßes, in: Bruns/Fink, S. 14. 983 Vgl. Italian Renaissance Learning Ressources - Isabella d’Este Collects: http://italian renaissanceresources.com/units/unit-8/essays/isabella-deste-collects/. 984 Italian Renaissance Learning Ressources - Isabella d’Este Collects. 985 Vgl. Fink 1950, S. 13; vgl. Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. 986 Italian Renaissance Learning Ressources - Isabella d’Este Collects. 987 Fink 1950, S. 13.
610 | S AMMLUNGEN DES A DELS Am 30. Juli 1630 erfuhr die Biographie des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ einen dramatischen Wendepunkt: durch Erbfolgekriege zwischen Österreich und Frankreich nach dem Aussterben der regierenden Gonzaga-Linie kam es zur Plünderung des Palazzo Ducale in Mantua und zur Zerstörung zahlreicher Sammlungsteile. Besonders mit Goldfassungen versehene Gefäße waren betroffen, da nur dem Gold das Interesse der Plünderer galt und diese häufig zerschlagen wurden. Der Franzose Claude Letouf de Pradines Baron de Sirot kaufte das „Mantuanische Onyxgefäß“ einem Soldaten, der ebenfalls nur am Gold interessiert war, für eine geringe Summe ab, verschenkte es kurze Zeit später aber an Franz Albrecht Herzog von SachsenLauenburg als Dank für dessen Einschreiten in eine Streitigkeit988 . Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg ließ ihm 2.000 Dukaten zukommen, nachdem er eine Schätzung hatte durchführen lassen, die einen sehr viel höheren Wert festgestellt hatte. Zudem verlangte er durch den Schatzmeister der Gonzaga eine Expertise989. Nachdem sich das Gefäß über einhundert Jahre im Besitz der kunstsinnigen Gonzaga befunden hatte und, innerhalb eines ausgewählten Sammlungsbestandes, vor allem als Kunstobjekt betrachtet worden war, erfuhr es nun innerhalb kurzer Zeit mehrfache Bewertungswechsel. Zunächst wäre es beinahe zerstört worden, da sein Wert allein am Wert seiner Metallfassung bemessen wurde. Durch das Einschreiten einer Person, die den Kunstwert des Objektes über diesen Materialwert stellte, kam es nicht zu diesem Ende der Objektbiographie und das Gefäß wurde als Dankesgabe, und damit als Mittel sozialen Verhaltens, genutzt. Das Interesse an einer Schätzung und die Übergabe einer Geldsumme als Gegengabe machten es zur Ware und stellten einen finanziellen Wert in den Vordergrund. Die Expertise des Schatzmeisters gab erneut schriftlich Auskunft über das Objekt und trägt als Quelle zur Betonung seines historischen Wertes bei. Nachdem die wichtige Ding-Mensch-Bindung zu Isabella d’Este von Mantua mit ihrem Tod zum Ende kam, blieben zumindest zur GonzagaFamilie Bindungen bestehen, die nach deren Aussterben abbrachen. Sämtliche, seit langem gewachsene Ding-Ding-Bindungen fanden mit der Plünderung des Palazzo Ducale ebenfalls einen Endpunkt. Obwohl es in der folgenden biographischen Phase des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ den Plan gab, dieses zu verkaufen, befand es sich noch immer im Besitz Franz Albrechts von Sachsen-Lauenburg, als dieser 1642 starb. Es ist unklar, wo es sich in der Zwischenzeit befunden hatte. Das Leben Franz Albrechts von Sachsen-Lauenburg war von seinen militärischen Diensten in zahlreichen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt. Sein Einschreiten in die oben erwähnte Streitigkeit während 988 Damit bestand erstmals indirekt eine Verbindung zu den Welfen, da die Mutter Franz Albrechts von Sachsen-Lauenburg eine Tochter Julius’ von Braunschweig-Wolfenbüttel war. Durch eine Affäre mit der Ehefrau Friedrich Ulrichs von BraunschweigWolfenbüttel stand er jedoch zum Hof in Braunschweig in keiner guten Verbindung, vgl. Allgemeine Deutsche Biographie – Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg: Artikel „Franz Albrecht, Herzog von Sachsen-Lauenburg“ von Julius Opel, in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 293–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Franz_Albrecht&ol did=2203302. 989 Vgl. Fink 1950, S. 13f.
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des Einsatzes in Mantua hatte ihm nicht nur das Gefäß eingebracht, sondern führte auch dazu, dass er 1631 den kaiserlichen Dienst verlassen musste. Somit waren Ding-Biographie und menschliche Biographie zu diesem Zeitpunkt eng miteinander verknüpft. 1632 diente er der Gegenseite – den Schweden – und wurde des Mordes an Gustav Adolf (II.) König von Schweden bezichtigt, da er zum Zeitpunkt dessen Todes in der Nähe gewesen war. In der Folgezeit diente er unter den Sachsen und stand auch in Kontakt zu Albrecht von Wallenstein990. Nach dessen Tod 1634 stand er wiederum im Verdacht einer Beteiligung und wurde verhaftet, allerdings nicht verurteilt. Auf einige ruhigere Jahre folgte ab 1639 ein erneuter Dienst für Kursachsen. Ab 1641 kämpfte er in Schlesien und starb dort schließlich in schwedischer Gefangenschaft991 . Das Leben Franz Albrechts von Sachsen-Lauenburg war vom Militär geprägt: „Er verstand sich auf Werbung und Ausrüstung eines Regiments, stellte auch als Frontoffizier seinen Mann, aber eigne taktische oder gar strategische Fähigkeiten sind nicht zu erkennen. Seine Militärfreudigkeit war teils Gewinnsucht, teils naive Erlebnislust, die auch sein Privatleben beherrschten.“992 Es ist zu vermuten, dass das „Mantuanische Onyxgefäß“ im Besitz Franz Albrechts von Sachsen-Lauenburg vorrangig als Wertobjekt finanzieller Art bewertet und behandelt wurde. Enge Ding-Mensch-Bindungen sowie zahlreiche Ding-DingBindungen, wie sie in Mantua bestanden haben, sind für diese Zeit unwahrscheinlich, obwohl die enge Verknüpfung der beiden Biographien zu einer Ding-MenschBindung geführt haben kann. Nach dem Tod Franz Albrechts von SachsenLauenburg wurde es zum Streitobjekt zwischen dessen Frau (Christine Margarete Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow Herzogin von Sachsen-Lauenburg Herzogin von Mecklenburg-Schwerin), die Erbin seines Vermögens war, und einem seiner Brüder, der laut einem zweiten – und später als Fälschung erkannten – Testament das dort erwähnte „mantuanische Geschirr“ erhalten sollte993. Dass das Gefäß Teil oder sogar Auslöser einer derartigen Täuschung war, zeugt vom Wert, den man ihm in dieser Zeit beimaß und davon, dass es in der Familie des Verstorbenen bekannt war. Die vor allem matierelle Bewertung änderte sich in der Folgezeit nicht: „[a]uch für Christine Margarete ist das Erbstück nur ein möglichst bald abzustoßender Sachwert.“994 Trotz einiger prominenter Interessenten besaß sie das Gefäß jedoch bis zu
990 Albrecht von Wallenstein (eigentl. Waldstein) Herzog von Friedland und Sagan Herzog zu Mecklenburg Fürst zu Wenden Graf von Schwerin Herr von Rostock Herr von Stargard. 991 Informationen zum Leben Friedrich Albrechts von Sachsen-Lauenburg finden sich im online-Geschichtsportal Geschimagazin: http://geschimagazin.wordpress.com/2013/01/ 09/der-wechselhafte-und-schillernde-franz-albrecht-von-sachsen-lauenburg/; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie – Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg; vgl. Neue Deutsche Biographie – Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg: Duch, Arno, „Franz Albrecht, Herzog von Sachsen-Lauenburg“, in: Neue Deutsche Biographie 5 (1961), S. 366-368 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/ppn122811364.html. 992 Neue Deutsche Biographie – Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg. 993 Fink 1950, S. 14. 994 Fink 1950, S. 15.
612 | S AMMLUNGEN DES A DELS ihrem Tod 1666995. Zu den am Kauf Interessierten gehörte laut Fink auch die österreichische Kaiserinwitwe996: Die Witwe des 1637 verstorbenen Ferdinands (II.) Erzherzog von Österreich König von Böhmen König von Ungarn und Kroatien Kaiser des Heiligen Römischen Reiches war Eleonora Gonzaga Prinzessin von Mantua Prinzessin der Toskana Erzherzogin von Österreich. Dass diese sich für das Gefäß interessierte, macht deutlich, wie wichtig Ding-Mensch-Bindungen einerseits für die Biographien von Objekten und andererseits für menschliche Biographien sind. Sie hatte dieses in ihrer Kindheit am Hof in Mantua sicher gekannt und schätzte vermutlich sowohl den Kunstwert des Objektes als auch einen persönlichen Erinnerungswert. Zu diesem Ankauf kam es jedoch nicht. Einige Jahre später kam es zum ersten direkten Kontakt des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ zu den Welfen, da Christine Margarete von Mecklenburg-Schwerin mittlerweile in Wolfenbüttel, in der Nähe ihrer Schwester, Sophie Elisabeth Prinzessin von Mecklenburg-Güstrow Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, lebte, die mit August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel verheiratet war. Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel interessierte sich für das Objekt, es gelangte jedoch auf dem Erbweg 1666 an seine Stiefmutter Sophie Elisabeth zu Braunschweig und Lüneburg997. Es ist unklar, warum das „Mantuanische Onyxgefäß“ nie, wie geplant, verkauft wurde. Ding-Mensch-Bindungen zu seiner damaligen Besitzerin, Christine Margarete von Mecklenburg-Schwerin, sind jedoch anzunehmen, selbst wenn deren Grundlage finanzielle Wertmaßstäbe waren. Möglicherweise hatten sich diese im Laufe der Zeit außerdem geändert und wurden durch Wertzuschreibungen als Kunstobjekt ergänzt. August (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel war ein gebildeter Herrscher, und obwohl er als Begründer der heutigen Herzog August-Bibliothek vor allem als Büchersammler bekannt ist, haben sich seine Sammlungen nicht auf diese beschränkt. Durch Reisen in Italien könnte ihm das „Mantuanische Onyxgefäß“ sogar bekannt gewesen sein. Es ist jedenfalls anzunehmen, dass dieses im Umfeld eines kunstsinnigen Hofes eine neue Wertschätzung erfuhr und neue Funktionen ausüben konnte. Das Interesse zahlreicher Personen führte dazu, dass es für seine Besitzerin zum Statussymbol, und damit zum Mittel sozialen Verhaltens, wurde. Seit sich das Gefäß im Besitz Sophie Elisabeths zu Braunschweig und Lüneburg befand, ist die wiederbelebte Wertschätzung als Kunst- und Sammlungsobjekt nachweisbar. Ihr Sohn Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel erwähnte, dass es „als sonderbarer Schatz wohlverwahrlich aufgehoben werde“998. Nachdem er es als Teil des Erbes seiner Mutter erst auf dem Wege des Prozesses gegen seine
995 Laut Fink war die Familie Barberini an einem Kauf interessiert, um es dem Papst zu schenken, und Sibylle Prinzessin von Sachsen Kronprinzessin von Dänemark und Norwegen Herzogin von Sachsen-Altenburg, um es Johann Georg (I.) Kurfürst von Sachsen zu schenken, der es möglichweise durch Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg gekannt haben könnte. Auch Ludwig (XIV.) von Frankreich bot sie das Gefäß an, Fink 1950, S. 15. 996 Fink 1950. S. 15. 997 Vgl. Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. 998 Fink 1950, S. 16.
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Schwester erhalten hatte999 , wurde jedoch erneut ein Verkauf erwogen. Erneut interessierte sich ein Mitglied der Familie Gonzaga für das Objekt: Eleonora Magdalena Gonzaga Prinzessin von Mantua-Nevers Erzherzogin von Österreich war die Witwe Ferdinands (III.) Erzherzog von Österreich König von Böhmen König von Ungarn und Kroatien Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Sie wurde 1630 geboren und kann daher das „Mantuanische Onyxgefäß“ nicht selbst in Mantua kennengelernt haben. Dass sie trotzdem Interesse an einem Ankauf hatte, macht deutlich dass DingMensch-Bindungen auch über Generationen vermittelt werden können. Möglicherweise hafteten dem Objekt für sie Erinnerungsfunktionen an oder es übernahm Stellvertreterfunktionen des in seiner früheren Form nicht mehr erlebbaren Hofes in Mantua. Zum Verkauf an sie kam es nicht und auch der Plan, die Statthalterschaft in Tirol im Tausch gegen das Gefäß zu erhalten, wurde nicht umgesetzt1000 . Fink nimmt in dieser Phase erstmalig eine historische Bewertung des Objekts an1001 . Diese Annahme ist jedoch im Hinblick auf die an der Antike interessierte Isabella d’Este von Mantua in Frage zu stellen. Dennoch ist die Eingliederung des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ in die Kunst- und Wunderkammer Ferdinand Albrechts (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel in Bevern als erneuter biographischer Wendepunkt zu werten. In diesem Umfeld waren erneut Ding-Ding-Bindungen möglich. Gleichzeitig begünstigte der neue Standort ein wissenschaftliches Interesse an diesem, seit etwa 50 Jahren fast ausschließlich finanziell bewerteten, Objekt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung hatte 1682 eine schriftliche Ausarbeitung zur Folge1002 , und es ist festzuhalten, dass zwar nicht das historische Interesse am Objekt neu war, dieses jedoch einen gesteigerten historischen Wert durch die Bezeichnung des Objektes als Salbölgefäß König Salomos zur Folge hatte1003. Neu war zudem die Zuschreibung eines wissenschaftlichen Wertes. Der Tod Ferdinand Albrechts (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel 1687 führte zu weiteren biographischen Veränderungen: während die Ding-Ding-Bindungen zunächst weiter aufrechterhalten werden konnten, da die Kunstkammer als fideikommissarisch gebundenes Vermögen in ihrer Gesamtheit erhalten werden musste, kamen Ding-Mensch-Bindungen durch erneute Erbstreitigkeiten zum Erliegen. 1689
999 1000 1001
1002 1003
Vgl. Büttner, S. 38; vgl. Fink 1950, S. 16; vgl. Kapitel 3.4. Fink 1950, S. 16; Fink 1967, S. 17; Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6; Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 130. „Jetzt begibt sich etwas Neues in der Geschichte des Onyx: sein Besitzer stellt die Frage nach der historischen Bedeutung des Gefäßes.“, Fink 1950, S. 16; über Ferdinand Albrecht (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel schreibt Fink: „[...] er als erster hat Sinn für die Mischung der verschiedenen Anziehungskräfte gehabt, die von dem kleinen Werk ausgehen: der Stein ein rares Naturerzeugnis, technisch schwierig und kunstvoll seine Bearbeitung, rätselhaft sein Bildschmuck; das Gefäß Denkmal einer längst vergangenen Kultur, stummer Zeuge wechselvoller Geschichte, kostbarer Überrest einer alten berühmten Kunstsammlung, seit ihrer Auflösung vielbegehrter und immer höher eingeschätzter Kapitalwert.“, Fink 1950, S. 17. Dazu ausführlich Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 132-133; vgl. Fink 1950, S. 17. Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 130.
614 | S AMMLUNGEN DES A DELS wurde das Mantuanische Onyxgefäß nach Wolfenbüttel überführt1004 . Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im für das Gefäß unruhigen 17. Jahrhundert wurde die oben erwähnte Metallfassung – welche in Mantua beinahe zum Ende der Biographie des Objekts geführt hätte – erneuert1005 . Erst Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel gelang es 1767, die ebenfalls Erbberechtigten finanziell abzufinden und die Kunstkammer in eigene Bestände zu integrieren1006. Das Kunst- und Naturalienkabinett Carls (I.) von BraunschweigWolfenbüttel (weitergeführt von Karl Wilhelm Ferdinand von BraunschweigWolfenbüttel) in Braunschweig ermöglichte bereits im Vorfeld der offiziellen Eingliederung eine Reaktivierung der wissenschaftlichen Bewertung des Gefäßes1007 . Es handelte sich um eine museale Einrichtung, die einer ausgewählten Öffentlichkeit zugänglich war. Erneut waren Ding-Ding-Bindungen möglich. Durch die fachliche Betreuung des Kabinetts sind auch neue Ding-Mensch-Bindungen wahrscheinlich, diese waren jedoch nun nicht mehr privater, sondern beruflicher Natur. Das Gefäß befand sich zeitweise allerdings auch im Schloss Salzdahlum, wo es „in einem Spiegelschrank [stand], um von allen Seiten sichtbar zu sein“1008, was die Bewunderung der Besitzer für dieses Objekt verdeutlicht. Zumindest in dieser biographischen Phase wurden die Funktionen des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ als Mittel sozialen Verhaltens und Erinnerungsobjekt um solche als Ding des Wohnens ergänzt. Erst der Beginn des 19. Jahrhunderts brachte einen neuen biographischen Wendepunkt: Um es vor dem Zugriff der französischen Truppen zu schützen, wurde das „Mantuanische Onyxgefäß“ 1806 – zusammen mit weiteren Objekten – verpackt. Die Herzogsfamilie führte diese ausgewählten Stücke mit sich über Rostock und Flensburg nach Glückstadt, wo sie zunächst bei Friedrich Karl Ferdinand Prinz von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern Herzog von Braunschweig-Bevern Zuflucht suchte1009 . Durch das Bündnis Napoleon Bonapartes mit Dänemark musste das „Mantuanische Onyxgefäß“ aber erneut den Standort wechseln: Bruchsal, die Ostsee, Schweden und England sind weitere Stationen, wobei es mehrfach versteckt wurde, so beispielsweise laut einer Anekdote in der Jackentasche eines Oberstleutnants und aus der Ostsee gerettet werden musste1010 . Nach dem Tod Karl Wilhelm Ferdinands von Braunschweig-Wolfenbüttel (ebenfalls 1806) kamen erneute Verkaufsgedanken auf, wurden aber nicht umgesetzt1011 . Im Zuge der französischen Besatzung und zeitweisen Auflösung des Herzogtums Braunschweig kam es zu einem Angebot des Intendanten Martial Daru, das Gefäß für den Nachlass von einer halben Million Franken auf die Kontribution zu übergeben, was Friedrich Wilhelm von Braun1004 1005 1006
1007 1008 1009 1010 1011
Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 130. Vgl. zur Schilderung der Abläufe dieser Begebenheiten Fink 1950, S. 13. Der Wert der Kunstkammer wurde mit 100.000 Talern für das Onyxgefäß und 1.000 Talern für den gesamten Rest bewertet, Fink 1950, S. 18; vgl. Fink 1967, S. 18f; vgl. Büttner, S. 42. 1765 wurde eine erneute wissenschaftliche Untersuchung angefertigt, aber zunächst nicht veröffentlicht, Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 132f. Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums, S. 6. Vgl. Fink 1950, S. 18. Fink 1950, S. 19; Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 131. Vgl. Fink 1950, S. 19.
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schweig als Erbe seines Vaters aber ausschlug1012 . Erst 1814 gelangte das Gefäß zurück nach Braunschweig und nur ein Jahr später starb auch Friedrich Wilhelm von Braunschweig. Die Bindungen zu den Herzögen, welche durch die institutionelle Verwahrung geringer geworden waren, konnten in der Zeit der Flucht und Besatzung reaktiviert werden. In dieser unsicheren Zeit hatte das „Mantuanische Onyxgefäß“ im Rahmen politischer Verhandlungen erneut wesentliche Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens übernommen. Diese lösten sich jedoch, ebenso wie die engeren DingMensch-Bindungen, infolge der Rückkehr nach Braunschweig und durch den Tod Friedrich Wilhelms von Braunschweig erneut. Die im ehemaligen Paulinerkloster untergebrachten Sammlungen wurden vorrangig durch Fachpersonal betreut. Gemeinsam mit weiteren Objekten gelangte das „Mantuanische Onyxgefäß“ während der Regierung Karls (II.) von Braunschweig jedoch erneut aus den musealen Räumen in eine private Umgebung, da sich dieser ausgewählte Bestände in das Residenzschloss Braunschweig bringen ließ. Karl (II.) von Braunschweig floh schließlich am 7. September 1830 vor einem Aufstand der Bevölkerung, bei dem auch das Schloss in Brand geriet, aus Braunschweig und nahm das „Mantuanische Onyxgefäß“ mit sich. Da man vermutete, das Gefäß sei bei diesem Brand zerstört worden1013 , folgte eine Phase der ausschließlichen Ding-Mensch-Bindung des geflohenen Herzogs zu diesem Objekt. Es erfüllte für ihn sowohl Erinnerungsfunktionen als auch finanzielle Sicherheit und Statuserhalt im Genfer Exil. Karl (II.) von Braunschweig vererbte 1873 seinen Besitz der Stadt Genf. Als Teil eines Fideikommisses gelang es den Welfen jedoch 1874, das Gefäß zurück nach Braunschweig zu holen. Der Goldbeschlag war nun verschwunden1014 , womit es physisch den heutigen Zustand erreicht hatte. Mit dem aufgrund von Platzmangel dringend benötigten Neubau des Museums 1887 hatte es außerdem seinen heutigen Standort erreicht. Als Museumsobjekt, das nach wissenschaftlichen, historischen und KunstWerten betrachtet und genutzt wurde/wird, ist es seit dieser Zeit Teil eines Objektbestandes, der sowohl Ding-Ding-Bindungen als auch Ding-Mensch-Bindungen zulässt. Diese Bindungen sind allerdings aufgrund der, physisch und räumlich, distanzierten Haltung, weniger eng, als dies durch direkten Kontakt und eine persönliche Sammlung möglich wäre. Obwohl die Folgen der Braunschweigischen Thronfolgefrage sowie der Regierungsantritt Ernst Augusts (III.) von Hannover zu neuen Besitzverhältnissen führten, hatte dies keine nennenswerten Auswirkungen auf die Biographie des „Mantuanischen Onyxgefäßes“. Ebenso wenig wurde diese durch den Verlauf des Ersten Weltkrieges und die Ereignisse 1918 beeinflusst. Die Vermögensauseinandersetzungen der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts, in deren Folge das Museum in die Museumsund Bibliotheksstiftung eingebracht wurde, hätten zu einem erneuten biographischen Wendepunkt führen können, was jedoch nicht der Fall war. Allerdings verursachten die finanziellen Probleme dieser Zeit grundsätzlich erschwerte Bedingungen für den Museumsbestand. Unzureichende Lagerbedingungen, klimatische Schwankungen
1012 1013 1014
Fink 1950, S. 18. Fink 1950, S. 19; vgl. Fink 1967, S. 116; vgl. Wenzel: Katalogtext Das Mantuanische Onyxgefäß, S. 131. Vgl. Fink 1950, S. 19f.
616 | S AMMLUNGEN DES A DELS und ähnliche Probleme, die den Zustand von Gemälden oder Arbeiten auf Papier nachhaltig verändern können, konnten dem Steingefäß jedoch nichts anhaben. Einen letzten entscheidenden Einschnitt erfuhr die Biographie des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ schließlich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges. 1943 wurden zahlreiche Objekte in einen Hochbunker in der Salzdahlumer Straße in Braunschweig ausgelagert, und auch an anderen Stellen lagerten die Objekte des Museums in Kisten verpackt: „Seit 1943, dem Jahr des massiven Einsetzens des Bombenkrieges über Deutschland [...], verfolgte man, um das Risiko von Verlusten zu mindern, die Strategie einer dezentralen Auslagerung. Sie wurde immer weiter verfeinert. Sammlungsteile wurden in verschiedenen kleinen Orten und Schlössern im Lande Braunschweig deponiert [...]“1015 .
Seit Frühjahr 1944 lagerte man auch Sammlungsteile in das Schloss Blankenburg aus, wohin wegen einer im Frühjahr 1945 befohlenen Räumung des Bunkers in der Salzdahlumer Straße auch zahlreiche Hauptwerke gelangten, die im Keller vermauert wurden1016 . Als kurz vor Kriegsende Schloss Blankenburg in die Verteidigungslinie einbezogen werden sollte, versuchten der Landeskonservator Kurt Seeleke und Mitglieder des Hauses Hannover dies zu verhindern. Bei einem Gespräch mit dem Kommandanten General Walter Lucht im April 1945 soll Seeleke (nach eigener Erzählung) diesem das „Mantuanische Onyxgefäß“ gereicht haben mit der Aufforderung, er solle es an die Wand werfen, wenn es ihm nichts bedeute1017 . Dazu kam es nicht und Schloss Blankenburg wurde nicht beschossen. Auf seiner Homepage weist das Herzog Anton Ulrich-Museum auf diese Episode hin, indem es die „abenteuerliche Geschichte mit einem spektakulären ‚Auftritt‘ in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges“1018 erwähnt. Nach Ende des Krieges kam diese abenteuerliche Geschichte zu einem Ende, indem das „Mantuanische Onxygefäß“ erneut seinen Platz im Museum einnehmen konnte. Die zahlreichen biographischen Änderungen, Bindungen und Gefahren wurden abgelöst durch eine weitgehend gleiche Position, abgeschirmt von Berührungen und – durch zeitweise Schließungen des kunstgewerblichen Sammlungsbestandes – zwischenzeitlich auch abgeschirmt von Betrachtern. Während der Sanierung des Haupthauses des Herzog Anton Ulrich-Museums wurde das Gefäß jedoch als eines der Hauptwerke in der Ausstellung „Epochal“ in der Burg Dankwarderode gezeigt. Das Herzog Anton Ulrich-Museum bezeichnet das „Mantuanische Onyxgefäß“ als „eine [...] Art ‚Hausreliquie‘ des Museums“ sowie als „Hauptstück und Mittelpunkt der Antikensammlung [...], das zu den weltweit spektakulärsten Kunstwerken der Glyptik allein aufgrund seiner Größe und des hervorragenden Erhaltungszustandes zu rechnen ist.“1019 Die Internetrepräsentanz des Kulturerbes Niedersachsen spricht von
1015 1016 1017 1018 1019
Döring, S. 286. Vgl. Döring, S. 287. Vgl. Döring, S. 287; vgl. Friemuth, S. 174. Herzog Anton Ulrich-Museum. Herzog Anton Ulrich-Museum.
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einer „kaum zu ermessende[n] Wertschätzung“ und verbindet diese mit einer „legendären Identifikation mit dem Salbölgefäß König Salomos.“1020 Teil der heutigen biographischen Station des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ ist auch dessen Präsenz in den neuen Medien. Es erreicht bei einer Internetsuche mehrere Hundert Treffer und weist damit darauf hin, dass „Highlight-Objekte“ heute auch auf diesem Weg bekannt werden und bleiben, ohne dass eine physische DingMensch-Bindung entstehen muss. Wenn Bruns/Fink 1950 feststellen, „[d]as Hauptinteresse des Publikums hat meist den bewegten Schicksalen des Gefäßes gegolten, das seit Jahrhunderten mit der Geschichte des braunschweigischen Fürstenhauses verbunden gewesen ist. Aber daneben darf seine Bedeutung als Kunstwerk und als geschichtliches Dokument nicht übersehen werden.“1021 , machen sie deutlich, dass alle diese Ebenen, welche durch die Betrachtung der Objektbiographie deutlich werden, die Bedeutung des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ ausmachen. Wenn Fink allerdings den Schluss zieht, dass die „maßlosen Schätzungen des Marktwertes des Onyxgefäßes ... eine Illusion [waren]“1022 und dies dafür verantwortlich macht, dass es nie zu einem Verkauf gekommen ist, muss darauf hingewiesen werden, dass möglicherweise nicht falsche Preisvorstellungen, sondern die vielfältigen Bindungen des Objektes zu seinen Besitzern zu diesem biographischen Verlauf beigetragen haben. Es hat seine jeweiligen Funktionen nie verloren und wurde in verschiedener Form wertgeschätzt. Die Biographie des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ hat zudem deutlich gemacht, dass Teile von Adelssammlungen grundsätzlich gewissen Gefahren ausgesetzt waren, die durch den Tod des jeweiligen Besitzers sowie durch kriegerische Auseinandersetzungen verursacht wurden. Immer wieder wurde eine Zerstörung jedoch verhindert. Darüber hinaus hat das Gefäß zahlreiche menschliche Biographien zum Teil nachhaltig verändert, indem es zu Erbstreitigkeiten führte, Begehrlichkeiten weckte, den Status des Besitzers erhöhte, wissenschaftliches Interesse anregte und möglicherweise im Zweiten Weltkrieg dazu beitrug, weitere Sammlungsbereiche und sogar Menschenleben vor der Zerstörung durch feindlichen Beschuss zu retten. Ebendiese Wechselwirkungen führen zu seiner unumstrittenen Bedeutung. 4.2.3 Das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis 1763 beginnt die Biographie des „Porträts Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis. Friedrich (II.) von Preußen war zu Besuch bei seiner Schwester Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg im Schloss Salzdahlum. Diese beauftragte Ziesenis, ihren Bruder zu porträtieren. Das Gemälde war eines von unzähligen Porträtgemälden, welche an den Höfen des 18. Jahrhunderts entstanden. Und „Z[iesenis] ist ein typischer Vertreter einer Künstlerfamilie wie sie an fast allen kleinen absolutist. Höfen in Deutschland tätig waren.“1023 Auch der Anlass eines Famili1020 1021 1022 1023
Kulturerbe Niedersachsen. Bruns/Fink, S. 2. Fink 1950, S. 20. Lexikon der Kunst – Band V: Architektur. Bildende Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie, Band V: T-Z, Leipzig 1978, Ziesenis, Johann
618 | S AMMLUNGEN DES A DELS enbesuches war nicht außergewöhnlich: Friedrich (II.) von Preußen besuchte Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg aufgrund der geografischen Nähe von Berlin/Potsdam nach Braunschweig/Salzdahlum regelmäßig1024 . Porträts waren darüber hinaus beliebte Geschenke1025 , weshalb der Auftrag, neben dem in einer einzigen Porträtsitzung entstandenen Gemälde eine weitere Fassung anzufertigen, um sie dem verehrten Bruder zum Geschenk zu machen, ebenso wenig außergewöhnlich war wie der Wunsch, das Original selbst zu behalten. Die Idealbiographie sah also den Nutzen als persönliches Erinnerungs- und Stellvertreterobjekt für Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg vor. Ebenso sollte das Porträt den Status der Herzogin als Verwandte des preußischen Königs betonen. Da Carl (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel und seine Frau Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg insgesamt an Kunst und Kultur interessiert waren und diese förderten, ist davon auszugehen, dass einem solchen Porträt zudem ein Kunstwert zugesprochen wurde. Man ging davon aus, dass dieses Gemälde – zusammen mit anderen Porträts – von Generation zu Generation weiterhin seinen Platz in einem der welfischen Schlösser einnehmen würde, um seine Erinnerungs-, Stellvertreter- und Statusfunktionen auch für die Nachkommen zu erfüllen. Mögliche Ortswechsel und die Option auf einen Austausch des Rahmens gehörten zu dieser Idealbiographie. Neben der dem Gemälde innewohnenden Bindungen zum Hersteller – Ziesenis – und dem Dargestellten – Friedrich (II.) von Preußen – bestanden enge Bindungen der Auftraggeberin – Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg – zu diesem Werk. Da Porträts in der Regel in einen räumlichen Zusammenhang mit weiteren Bildnissen, aber auch mit Möbeln und Ausstattungsobjekten gesetzt wurden, waren Ding-Ding-Bindungen ebenso wie das Aufrechterhalten von Ding-MenschBindungen durch die nachfolgenden Generationen ebenfalls Teil der Idealbiographie. Indirekte Ding-Ding-Bindungen bestanden bereits seit Beginn der Objektbiograpie zu weiteren Porträts Friedrichs (II.) von Preußen. Beispielsweise hatte Antoine Pesne in seiner Funktion als preußischer Hofmaler diesen bereits mehrfach dargestellt: als Kind (allein und gemeinsam mit seiner älteren Schwester Wilhelmine Prinzessin von Preußen Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth), als erwachsener
1024
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Georg, S. 719; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie – Johann Georg Ziesenis: „Ziesenis, Johann Georg“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 213, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ziesenis,_Johann_Georg&ol did=2265771; für ausführliche Informationen zu Leben und Werk Johann Georg Ziesenis vgl. Schrader. „Die Herzogin sah er ziemlich oft, da ihre Hauptstadt nicht weit entfernt lag. Er nannte sie Lottine oder Lotte und machte ihr kleine Geschenke.“, Gaxotte, Pierre: Friedrich der Grosse, Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1977 (Originalausgabe: Frédéric II, Paris 1972), S. 281; bei einem dieser Besuche könnte Friedrich (II.) von Preußen übrigens das „Mantuanische Onyxgefäß“ gesehen haben. Vgl. Börsch-Supan, Helmut: Die Bildnisse des Königs, in: Benninghoven, Friedrich/Börsch-Supan, Helmut/Gundermann, Iselin: Friedrich der Grosse, Ausstellung des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz anläßlich des 200. Todestages König Friedrichs II. von Preußen, Berlin 1986, S. XIII.
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Kronprinz und als König1026 . Bereits auf den Kinderbildern, noch im Kleidchen und mit einem Hündchen spielend beziehungsweise mit einer Trommel und die Hand seiner Schwester haltend, wird er mit der Schärpe und dem Bruststern des Schwarzen Adlerordens dargestellt. Auf späteren Bildnissen werden diese Attribute ergänzt durch mit Hermelin besetzte Mäntel, Uniform oder Rüstung. Die herausragende Position des Dargestellten wurde hervorgehoben. Altersbilder des Königs zeigen meist strenge, sehr schmale Gesichtszüge. „Demgegenüber ist durch zahlreiche Beschreibungen von Zeitgenossen, die den König gekannt haben, hinlänglich bekannt, daß kaum eines der verbreiteten Bildnisse seine überaus lebendige, den Ausdruck rasch wechselnde Physiognomie getreu wiedergibt [...]“1027. Im Vergleich zu diesen Bildnissen wich die Biographie des „Porträts Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis bereits seit seinem Entstehen von der Idealbiographie eines solchen Gemäldes ab. Das 59 x 48 cm große Bildnis bleibt in Teilen skizzenhaft, zeigt den König in einfacher blauer Uniform, der Bruststern wird zwar dargestellt, ist jedoch nicht vollständig ausgeführt. Der Hintergrund des Porträts ist einfarbig und ohne jede Andeutung einer Umgebung. Das „Flüchtige“ des Gemäldes wird darauf zurückgeführt, dass Friedrich (II.) von Preußen eine Abneigung gegen Porträtsitzungen empfand und das Gemälde von Ziesenis als das einzige gilt, welches während seiner Regierungszeit direkt nach dem Modell entstand1028 . Auf ebendiese Begebenheit ist auch die starke Lebendigkeit der Darstellung mit etwas vollerem Gesicht, detailreicher Augenpartie sowie kleinen „Schönheitsmakeln“, welche in sämtlichen anderen Porträts in dieser Form nicht wiedergegeben werden, zurückzuführen1029. Dieser Umstand verstärkt die Ding-Mensch-Bindung des Gemäldes zum Dargestellten. Friedrich (II.) von Preußen war zum Beginn der Objektbiographie 51 Jahre alt und seit 23 Jahren König von Preußen. Anfang des Jahres 1763 hatte er als einer der drei mächtigsten Herrscher der Zeit mit Maria Theresia von Österreich und Katharina (II.) von Russland den Frieden von Hubertusburg geschlossen: somit war der Siebenjährige Krieg beendet, Polen wurde unter den drei Mächten aufgeteilt und Preußen hatte seine 1740 eroberten Gebiete in Schlesien halten können. Friedrich (II.) von Preußen war seit 30 Jahren mit Elisabeth Christine von Preußen verheiratet. Sie war eine Schwester Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, dem Ehemann derjenigen Schwester, welche er in Salzdahlum besuchte. Dort war auch seine Ehe geschlossen worden1030 . Eine Reise mit seiner Frau stand jedoch au1026
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Vgl. Börsch-Supan, S. XII; für die Bildnisse als Kind saß er dem Maler Modell, später lehnte er dies ab, vgl. Schrader, S. 106; vgl. Bildtafeln bei Hildebrandt, Arnold: Das Bildnis Friedrichs des Großen. Zeitgenössische Darstellungen, Berlin, Leipzig 1942. Börsch-Supan, S. XIII; vgl. Schrader, S. 116. Vgl. Schrader, S. 103f und S. 106; vgl. Stührhold, S. 114; vgl. Knoll, Gerhard: Bemerkungen zum wiedergefundenen Ziesenis-Portrait, in: Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009, S. 115; vgl. Meier, S. 5; vgl. Allgemeine Deutsche Biographie – Johann Georg Ziesenis; vgl. Börsch-Supan, S. XIII; Hildebrandt bezweifelt dies, Hildebrandt, S. 118. Vgl. Schrader, S. 109. Zum Verhältnis Friedrichs (II.) zu Elisabeth Christine von Preußen und seiner Abneigung ihr gegenüber seit dem ersten Kennenlernen, die zudem von seiner Familie (z.B.
620 | S AMMLUNGEN DES A DELS ßer Frage, da er das gemeinsame Eheleben nach dem Tod seines Vaters nicht mehr aufrechterhielt1031 . Der König lebte in Schloss Sanssouci sowie dem Potsdamer Stadtschloss. Ziesenis porträtierte Friedrich (II.) von Preußen zu einem Zeitpunkt großen politischen Erfolgs und persönlicher Unabhängigkeit1032 . Dargestellt ist er als bescheidene, menschliche Persönlichkeit, was der Selbstinszenierung des Königs als „erstem Diener im Staate“ entsprach, der seine Aufgabe als König des Soldatenstaates Preußen nie freiwillig gewählt hätte und dessen Interessen auf dem Gebiet der Musik und Philosophie lagen1033 . Dessen ungeachtet trat er direkt nach Übernahme der Regierung als harter Machtpolitiker und Soldatenkönig in Erscheinung, was beispielsweise in der Annexion Schlesiens deutlich wurde1034 . Es ist unklar, inwieweit der Maler in seiner Darstellung frei war, und Meier bescheinigt ihm Probleme mit der Situation: „Ziesenis ist nicht ganz von dem Vorwurf freizusprechen, daß er ungleich gearbeitet hat; besonders scheint ihn der Zwang, den ihm der Auftrag einer fürstlichen Person auferlegte, oft gelähmt zu haben, was nirgends mehr zu Tage tritt, als bei dem Bildnis Friedrichs des Großen, dem einzigen zu dem der König selbst [...] gesessen hat [...]“1035 Johann Georg Ziesenis war nur vier Jahre jünger als Friedrich (II.) von Preußen. Er war 1760 als „kurfürstlich hannoverscher Hofmaler und Dekorateur“ Georgs (II.) von Hannover, der in Personalunion Großbritannien und Hannover regierte, nach Hannover gekommen1036 . Vorher war Ziesenis bereits in Mannheim und Zweibrücken an den Höfen sowie für weitere Adelsfamilien tätig gewesen1037. Vor allem aufgrund der – durch die Personalunion
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1034 1035 1036 1037
auch Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg) geteilt wurde, vgl. Gaxotte, S. 121f, S. 127 und S. 280. Die Ehe war seinerseits von Beginn an ungewollt. Sie blieb kinderlos, was als Indiz für die in den letzten Jahren immer häufiger ausgesprochenen Vermutungen, Friedrich (II.) von Preußen sei homosexuell gewesen, herangezogen wird, vgl. beispielhaft Sueddeutsche.de, 23. Januar 2012: Der schwule Fritz. Hildebrandt spricht dagegen von ihm als „vom Schicksal fast Zermalmten“, den man jedoch nicht im Porträt finden könne, bewertet das Porträt jedoch im Gegensatz zu den ausgeführten Porträts trotzdem als dem Dargestellten näher, es versage aber „nach der psychischen Seite völlig“, Hildebrandt, S. 119. „Friedrich war von Hause aus ein Schöngeist, ein ‚Philosoph‘ (heute würde man sagen ein Intellektueller) und ein Humanist.“, Haffner, Sebastian: Preußen ohne Legende, München 1980 (Originalausgabe: Hamburg 1979), S. 82; zur Selbstinszenierung Friedrichs (II.) von Preußen vgl. Luh, Jürgen/Pečar, Andreas: Repräsentation und Selbstinszenierung Friedrichs des Großen, Öffentliche Tagung des Interdisziplinären Zentrums zur Erforschung der Europäischen Aufklärung an der Martin Luther-Universität HalleWittenberg und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg im Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte vom 28. - 29. September 2012, online abrufbar: http://www.perspectivia.net/content/publikationen/friedrich300-collo quien/friedrich _repraesentation/pecar_repraesentation. Vgl. Haffner, S. 128 und S. 136. Meier, S. 5. Vgl. Schrader, S. 26. Vgl. Schrader, S. 22ff.
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bedingten – Abwesenheit Georgs (II.) von Hannover arbeitete er hauptsächlich für den Hofadel sowie auch für verschiedene Fürstenhäuser (in Europa) und war am Hof in Braunschweig/Salzdahlum beliebt1038. „Er war nahezu ausschließlich Bildnismaler [...]“ und „steht zwischen Barock und beginnendem Klassizismus ... Die Dargestellten stehen meist vor realen oder Phantasielandschaften, bzw. in Bezug zur Person vor Stadt- und Architekturbildern ... Am englischen Hof in Hannover nahm Z. ab 1760 schließlich Einflüsse des bürgerl. engl. Bildnisses auf und kam zu einer freieren Behandlung des Dargestellten.“1039
Das „Porträt Friedrichs des Großen“ ist dasjenige Bildnis, das diese freie Behandlung am stärksten zeigt. Es ist laut Schrader eine von nur sechs Ölskizzen Ziesenis’, dessen Werk (gemeinsam mit seiner Werkstatt) etwa 430 Porträts umfasst1040 . Diese Hintergründe trugen zum weiteren Verlauf der Biographie des Bildnisses bei. Alle Beteiligten waren sich der Bedeutung dieses einzigen direkt nach dem Abbild entstandenen Porträts bewusst1041 . Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg hatte die Leinwand mit ihrem Siegel versehen, um nicht vom Künstler betrogen zu werden, und beschwerte sich darüber, dass sie große Geduld benötige, da er ihr das Original noch nicht herausgegeben hatte1042 . Es wird darüber hinaus berichtet, Ziesenis habe das Original durch den Trick behalten, die Leinwand, welche Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg gesiegelt hatte, gedoppelt zu haben, so dass das Original auf die ungesiegelte Leinwand gemalt wurde1043 . Wie auch immer es dazu gekommen sein mag: Ziesenis behielt die Ölskizze, während er der Auftraggeberin ein ausgeführtes Porträt übermittelte. Die Ding-Mensch-Bindungen des Porträts zum Künstler waren bereits durch den Schaffensprozess eng. Nicht völlig eindeutig ist jedoch seine Motivation, das Original zu behalten und damit dessen weitere Funktion: wenn er es aufgrund der Besonderheit, einen der wichtigsten Männer der Zeit porträtiert zu haben, behielt, war die Bindung enger, als wenn er dies mit dem Ziel tat, das Porträt erfolgreich zu verkaufen, was aber wahrscheinlicher ist1044 . Ding-Ding-Bindungen zu anderen Gemälden 1038 1039 1040
1041 1042 1043 1044
Vgl. Schrader, S. 28ff. Lexikon der Kunst Band V, S. 719. Schrader erwähnt zwei weitere Werke, die in der Forschung als Skizzen gedeutet, von ihr aber als ausgeführte Werke des Altersstils bezeichnet werden. Zwei dieser weiteren Ölskizzen zeigen die Porträts Karl Wilhelm Ferdinands von BraunschweigWolfenbüttel als Erbprinz, sowie dessen Frau, Augusta Prinzessin von Hannover Prinzessin von Großbritannien Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg. Beide sind jedoch verschollen, Schrader, S. 41. Vgl. Schrader, S. 103; vgl. Stührholdt, S. 114. Dies geht aus einem Brief Philippine Charlottes zu Braunschweig und Lüneburg an Friedrich (II.) von Preußen hervor, welchen Schrader zitiert, Schrader, S. 103. Überliefert ist dies durch Johann Domenicus Fiorillo, der von Schrader zitiert wird und dessen Bericht sie bewertet, Schrader, S. 104f; vgl. FAZ, 13. Oktober 2009. Laut Fiorillo habe sich Ziesenis gekränkt gefühlt, da Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg ihn durch Verwendung ihres Siegels habe überprüfen wollen, was jedoch vor allem in Verbindung mit ihrem Brief unwahrscheinlich ist. Fiorillo ver-
622 | S AMMLUNGEN DES A DELS im Besitz des Künstlers waren vermutlich eher flüchtig, da diese nicht zum dauerhaften Verbleib in seinem Atelier oder Wohnraum blieben. Für Ziesenis war das Gemälde eine Ware, der allerdings persönliche Erinnerungen anhafteten. Ziesenis fertigte vollständig ausgeführte Exemplare des Porträts (teils als Kniestücke) an, von welchen eines seiner Auftraggeberin zukam1045 . Für dieses galt zunächst die dem Original angedachte Idealbiographie: Der private Hintergrund der Auftragsvergabe führte dazu, dass es mit großer Wahrscheinlichkeit in den Privaträumen Philippine Charlottes zu Braunschweig und Lüneburg seinen Platz fand. Porträts der Familie und ihrer Verwandten befanden sich zur Regierungszeit Carls (I.) von Braunschweig-Wolfenbüttel, nach dessen Umgestaltung der Bildergalerie in Salzdahlum auch im Spiegelsaal und dem Speisesaal1046 . In der Bildergalerie selbst hat es sich nie befunden1047. Philippine Charlotte schrieb 1764 an ihren Bruder von der begeisterten Aufnahme des Porträts durch die Betrachtenden, welche Kopien desselben verlangten1048 . Weitere Exemplare befanden sich daraufhin im Besitz Georgs (III.) von Hannover, der ein Cousin Friedrichs (II.) von Preußen war, und im Besitz der Nichten des preußischen Königs1049 . 1770 fertigte Egidius Verhelst einen Stich nach dem Porträt an und betonte erneut die Einzigartigkeit dieses Porträts1050 . Das Original gelangte vermutlich direkt aus dem Besitz des Malers in denjenigen des Hannoveraner Hofgemäldekonservators Plincke1051 . Enge Ding-Mensch- oder Ding-Ding-Bindungen können für diese Zeit nicht angenommen werden, da das Gemälde für Plincke ausschließlich beruflichen Zwecken diente. Der materielle Wert war jedoch für ihn gegenüber Ziesenis aufgrund des zeitlichen Abstands weniger groß. Schließlich gelangte das „Porträt Friedrichs des Großen“ 1851 an Ernst August
1045
1046 1047
1048 1049
1050 1051
legt die Anekdote und damit die Entstehung des Gemäldes zudem in die Jahre 17701775, vgl. Schrader, S. 104f; Schrader sieht stärker den Geschäftssinn des Malers als Grund an, Schrader, S. 110. Heute befinden sich zwei Exemplare in Heidelberg und in Potsdam, vgl. FAZ, 13. Oktober 2009; vgl. Katalognummern 172 (172a-o) bei Schrader, S. 226f; bei den Gemälden in Potsdam handelt es sich um auf Kniestücke erweiterte Porträts, vgl. Katalognummern 172f und 172g bei Schrader, S. 228; in Frankfurt befindet sich ebenfalls ein solches auf ein Kniestück erweitertes Porträt, vgl. Katalognummer 172e bei Schrader, S. 227. Vgl. Fink 1967, S. 54. „Die Kunst des Ziesenis [...] wird in der Galerie ignoriert. Es sind damals viele Bilder von ihm in Salzdahlum, aber nur in den Wohnräumen.“, Fink 1967, S. 76; vgl. Schrader, S. 106; möglicherweise handelt es sich um die Fassung, welche sich heute in Heidelberg befindet, Schrader, S. 108. Schrader, S. 102f. Vgl. Schrader, S. 110 und Katalognummern 172k und 172l, S. 228; Stührholdt, S. 114; der 1900 verfasste Artikel der Allgemeinen Deutschen Biographie zu Ziesenis erwähnt drei Exemplare: „[...] die in der Prinzeß Marie-Kammer des königl. Schlosses in Berlin, im königl. Schlosse zu Schönhausen und im Wittwenpalais zu Weimar aufbewahrt werden“, Allgemeine Deutsche Biographie – Johann Georg Ziesenis. Schrader, S. 101; Stührhold, S. 114. Möglicherweise hatte Plincke dieses aus dem Nachlass Ziesenis’ übernommen, vgl. Schrader, S. 108.
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(I.) von Hannover1052 . Es war nicht ungewöhnlich, dass Sammlungsbedienstete Gemälde, die sie selbst erworben oder anderweitig erhalten hatten, ihren Arbeitgebern zum Kauf anboten1053 . Als Sohn Sophie Dorotheas Prinzessin von Hannover Prinzessin von Braunschweig und Lüneburg Prinzessin von Großbritannien Königin von Preußen und Enkel Georgs (I.) von Hannover war Friedrich (II.) von Preußen auch mit dem Königshaus Hannover verwandtschaftlich verbunden. Verwandtschaftliche Beziehungen dieser Art – besonders zu bedeutenden historischen Personen – wurden grundsätzlich durch Bildnisse hervorgehoben. Damit erreichte das Porträt einen biographischen Wendepunkt, der seine Biographie wieder der erdachten Idealbiographie anglich, wenn auch in einem anderen Zweig der Welfenfamilie. Ernst August (I.) von Hannover war der erste König nach Ende der Personalunion mit England. Der englische Thron war ihm durch die dortige Thronfolge, welche auch Frauen berücksichtigte, verwehrt. Er war 1837 mit Antritt der Regentschaft bereits 66 Jahre alt und blieb in Hannover aufgrund seines konservativen Regierungsstils unbeliebt. Das Porträt des berühmten Preußenkönigs wurde in seinem Besitz zum Mittel sozialen Verhaltens, da die Betonung der Verwandtschaft seinen Status, sowohl als Person als auch als Regent, betonte. Eine Identifikation war für Ernst August (I.) von Hannover auch daher möglich, da er selbst die meiste Zeit seines Lebens als Militär tätig war. Ob das Gemälde darüber hinaus auch einen persönlichen Wert hatte, der DingMensch-Bindungen begünstigte, ist unklar. Da er es erst im Jahr seines Todes ankaufte, waren diese ohnehin nicht von langer Dauer. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass Ding-Ding-Bindungen durch die Eingliederung in den welfischen Gemäldebestand entstanden. Vermutlich wurde es im Leineschloss, das als Residenz diente, aufbewahrt. Der Erbe Ernst Augusts (I.) von Hannover, Georg (V.) von Hannover, hatte durch seinen Onkel (dem Bruder seiner Mutter, Karl (II.) Herzog von Mecklenburg) Einblick in das peußische Militär. Er stand Preußen kritisch gegenüber und sympathisierte mit Österreich, was den Verlust des Königreiches Hannover zur Folge hatte. Es ist daher davon auszugehen, dass das „Porträt Friedrichs des Großen“ keine Funktion zur Verdeutlichung seines Status übernahm. Ebenso wenig hatte es einen positiven persönlichen Wert für ihn. Es befand sich daher auch nicht im 1861 gegründeten Welfenmuseum1054. Das Porträtgemälde blieb vermutlich, gemeinsam mit zahlreichen weiteren Sammlungsbeständen, 1866 in Hannover, als Georg (V.) von Hannover ins österreichische Exil ging. 1867 gehörte es zu den Beständen, die ihm laut Vermögensvertrag zugesprochen wurden1055 . Es gab jedoch keine Veranlassung für Georg (V.) von Hannover, dieses Gemälde nach Österreich bringen zu lassen, bevor dies ohnehin durch die Beschlagnahmung des Besitzes nicht mehr möglich war. Vermutlich blieb es im Leineschloss, das durch die preußische Verwaltung genutzt wurde. In diesem Fall könnte es eine neue Wertschätzung erfahren haben und es wurde ihm ein politischer Wert zugesprochen. Neue Ding-Mensch-Bindungen sind zu diesem Zeitpunkt möglich gewesen. 1052 1053 1054 1055
Losnummer 709, Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009. Vgl. Fink 1967, S. 75. Vgl. Welfen-Museum (Anhänge), dort finden sich Auflistungen der dort ausgestellten Gemälde. Vgl. Kapitel 4.1.
624 | S AMMLUNGEN DES A DELS Als Teil des Ernst August-Fideikommisses ist es vermutlich nach Aufhebung der Beschlagnahmung durch Preußen 1892 leihweise ins Provinzial-Museum Hannover gekommen. Damit wurde ihm erstmals vorrangig ein Kunstwert sowie ein historischer Wert zugesprochen. Ding-Mensch-Bindungen waren im musealen Umfeld nicht unmöglich, jedoch weniger persönlich als in der Nutzung als Teil des Lebensoder Arbeitsumfeldes. Ding-Ding-Bindungen blieben dagegen weiterhin aufrecht oder wurden neu geknüpft. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war das Gemälde Inhalt einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung, in deren Zusammenhang die fehlende Überhöhung des Königs kritisiert wurde1056 : „Ziesenis’ Ölskizze wurde nach ihrem Wiederauftauchen Ende des 19. Jahrhunderts als Darstellung des großen, vom Siebenjährigen Krieg gezeichneten Heldenkönigs abgelehnt. Sie entsprach weder den Darstellungen von Chodowiecki noch dem inzwischen von Schadow und Adolph Menzel erfundenen heroischen Friedrichbild. Beider Auffassungen galten als authentisch nachempfunden.“1057 Seit Anfang des 20. Jahrhunderts trägt das Gemälde den Inventarhinweis: „Fidei Commiss-Galerie Kat. Eisenmann Nr. 613 v. Kat. 1905“1058, so dass dieser Standort ihm eine dauerhafte physische Markierung gegeben hat. 1912 war es Teil der Ausstellung der Berliner Akademie der Künste1059 , womit es eine Phase der rein künstlerischen Bewertung erfuhr. Für das Jahr 1914 kann es daraufhin in der FideikommissGalerie im Provinzialmuseum in Hannover festgestellt werden1060 . Dort befand es sich noch 1922, was Meier in seiner Publikation zum Schlossmuseum in Braunschweig erwähnt1061 . Auch der dem Werk durch Meier zugewiesene Kunstwert war nicht uneingeschränkt positiv1062 . Vermutlich gehörte das Porträt zu denjenigen Objekten, welche 1925 nach Beendigung des Leihvertrages und abgewickeltem Ankauf von Teilen des Bestandes an die Welfen zurückgegeben wurden1063 . Diese Objekte gelangten in das, durch die Vermögensauseinandersetzungen wieder im Eigentum Ernst Augusts (III.) von Hannover befindliche, Schloss Blankenburg1064 . Sander erwähnt das Gemälde 1935 nicht, beschreibt aber das Kaiserzimmer, welches der Öffentlichkeit nicht zugänglich war, da es als Gästezimmer diente: „Zahlreiche kostbare Gemälde schmücken die Wände 1056 1057 1058 1059 1060 1061 1062 1063 1064
Vgl. Schrader, S. 101; vgl. Stührholdt, S. 114. Knoll, S. 115. Stührholdt, S. 114. Vgl. Knoll, S. 115. Katalognummer 172 bei Schrader, S. 226; Losnummer 709, Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009. Meier, S. 5. Meier, S. 5. Vgl. Kapitel 4.1.4. Damit befand es sich in unmittelbarer Nähe zum „Cumberland Service“; da Meier/ Steinacker es 1922 nicht erwähnen, kann davon ausgegangen werden, dass es sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht im Schloss Blankenburg befand und die hier beschriebenen biographischen Stationen durchlief, vgl. Meier/Steinacker; das Schloss gehörte erst mit Wirkung des Auseinandersetzungsvertrages vom 23. Oktober 1925 wieder der welfischen Familie, vgl. Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig.
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der einzelnen Gemächer ... Alle zeugen von dem großen Verwandtenkreis des Braunschweiger Fürstenhofes [...]“1065 . Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn das Gemälde in diesem Umfeld oder in den privaten Räumen der Familie seinen Platz gefunden hätte. Für Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg könnte das Porträt dieses wichtigen Vertreters ihrer Herkunftsfamilie erneut einen persönlichen Wert mit engen Ding-Mensch-Bindungen gehabt haben. Je nach Standort im Schloss Blankenburg sind auch Ding-Ding-Bindungen möglich gewesen, können jedoch nicht vorausgesetzt werden. Das Gemälde erfüllte zu dieser Zeit Erinnerungsfunktionen und war Mittel sozialen Verhaltens. 1937 war das „Porträt Friedrichs des Großen“ im Landesmuseum Hannover ausgestellt und zu diesem Zeitpunkt letztmalig für die Öffentlichkeit zu sehen1066 . Erst nach dieser Ausstellung änderte sich die Rezeption langsam dahingehend, dass die persönliche Darstellung des Königs wieder positiv bewertet wurde1067 . Das Gemälde erfüllte zu diesem Zeitpunkt Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens, indem es, als Teil einer lebendigen Sammeltätigkeit, vorübergehend öffentlich gezeigt wurde. Wie auch das „Cumberland Service“ und ab der letzten Kriegsphase auch das „Mantuanische Onyxgefäß“, war das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis während des Zweiten Weltkrieges besonders gefährdet, beschädigt oder zerstört zu werden. Da jedoch Schloss Blankenburg nicht nennenswert beschädigt wurde, ist dies nicht anzunehmen. Abbildung 27: Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg mit dem „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis, 1970er Jahre
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
1065 1066 1067
Sander: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloss, o.S. Vgl. Stührholdt, S. 115; Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009. 1942 beurteilte Hildebrandt die Skizze erstmals positiv, zu einer tatsächlichen Neubewertung kam es jedoch erst durch Börsch-Supan 1987, Schrader, S. 101f; vgl. Stührholdt, S. 115.
626 | S AMMLUNGEN DES A DELS In der 1942 erschienenen Publikation von Hildebrandt wird es abgebildet und als Standort ist „Schloß Blankenburg am Harz“ angegeben1068 . Es ist daher davon auszugehen, dass das Gemälde 1945 gemeinsam mit zahlreichen anderen Beständen vor dem Zugriff der Roten Armee ins Schloss Marienburg gebracht wurde. Auch dort könnte es im Umfeld Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg Teil der Schlossausstattung gewesen sein. Dies ist wahrscheinlich, da ein Foto nahelegt, dass es sich nach ihrem Umzug 1956 (von Schloss Marienburg nach Braunschweig) in ihrem Besitz befunden hat. Jedes ihrer Objekte im angemieteten Wohnhaus hatte für sie großen Wert als Erinnerungs- und Statusobjekt. Auch war die Verbindung zu ihren preußischen Verwandten nach Streitigkeiten mit ihren Kindern sehr stark. Demzufolge ist von einer engen Ding-Mensch-Bindung auszugehen. In hohem Alter ließ sie sich neben diesem Porträt fotografieren1069 , womit diese Bindung zusätzlich betont wird. Da es sich bei dem „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis um Hausvermögen gehandelt hat, muss dieses nach dem Tod Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg 1980 in den Besitz des damaligen Chefs des Hauses Ernst August (IV.) von Hannover gelangt sein1070 , wenn es nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt veräußert wurde. Wo es sich seitdem befand, ist unklar. Im Oeuvrekatalog zu Ziesenis verwendet Schrader jedoch nicht den Vermerk „Verbleib unbekannt“, sondern „Privatbesitz“, so dass es sich noch im Besitz des Hauses Hannover befunden haben könnte1071 . Inwieweit es zu diesem Zeitpunkt Funktionen für die Familie erfüllte, ist nicht nachvollziehbar. Teil des öffentlichen Zeigens war es nicht mehr. Vermutlich rückten jedoch in dieser Phase materielle Werte in den Vordergrund. Am 10. Oktober 2009 kam das Porträt durch das Auktionshaus Bolland & Marotz zur Versteigerung1072 und wurde damit erneut zur Ware. Allerdings wurde/wird dem Gemälde zu/seit diesem Zeitpunkt ein großer historischer Wert zugesprochen, der 1068 1069
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Hildebrandt, S. 118. Auf dem Cover ihres Buches „Ein Leben als Tochter des Kaisers“ ist sie vor einem Porträt ihres Vaters Wilhelm (II.) von Preußen zu sehen, vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984; zur Bedeutung derartiger „Doppelporträts“ vgl. Kapitel 3.1.4. Sie gelangten über den Testamentsvollstrecker Dr. Hans Merkel in dessen Besitz, der in seiner Abrechnung die „Übernahme der Einrichtungsgegenstände, soweit sie dem Hause Hannover gehörten“ erwähnt, Merkel, Hans Dr.: Abrechnung über Auslagen des Testamentsvollstreckers Dr. habil. Hans Merkel, Augsburg, vom 17. Dezember 1980 21. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Katalognummer 172 bei Schrader, S. 226; im Vorwort dankt sie „SKH Ernst August Prinz von Hannover“, so dass dieser Kontakt nachgewiesen werden kann, Schrader, Vorwort, o.S.; dieser wird zwar als Besitzer der Katalognummer 168 ausdrücklich erwähnt, allerdings nur in Verbindung mit der Angabe „Hannover, Fürstenhaus Herrenhausen-Museum“, Katalognummer 168 bei Schrader, S. 220; weitere Gemälde, welche sich später im Katalog zur Auktion 2005 finden, werden als „Privatbesitz“ angegeben, so dass dies die gängige Bezeichnung für Gemälde im Schloss Marienburg gewesen zu sein scheint, vgl. als Beispiele Katalognummern 160h und 169 bei Schrader, S. 214 und S. 221 sowie Losnummern 518 und 567, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 103 und S. 109. Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009.
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sich ebenso aus der Bedeutung des Dargestellten, aus dessen ungewohnter Darstellung1073 sowie aus der besonderen Entstehungsgeschichte speist. Ebenso wird dessen hoher Kunstwert anerkannt. Der ihm zugesprochene materielle Wert äußert sich im Schätzwert von 450.000 Euro1074 sowie im Hammerpreis von 670.000 Euro1075 . Dieser hohe Preis war dafür verantwortlich, dass die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg sich nicht an der Auktion beteiligte, obwohl für diese der historische und wissenschaftliche Wert enorm ist1076. Dieser wird auch durch die Einschätzung des Gemäldes als national wertvolles Kulturgut und die Eintragung in die entsprechende Liste hervorgehoben1077 . Es wurde von einem unbekannten privaten Käufer erworben1078 . Eine erneute persönliche Ding-Mensch-Bindung kann vermutet werden. Das Gemälde ist durch seine wissenschaftliche Bearbeitung sowie die Bedeutung des Dargestelten Teil des historischen Gedächtnisses geworden. Trotz einer frühen Abweichung der Biographie des „Porträts Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis von seiner Idealbiographie wurde es zu einem späteren Zeitpunkt im Sinne einer solchen behandelt und kehrte in den gleichen Objektbestand zurück, in welchem es sich auch hätte befinden können, wenn es in den Besitz seiner Auftraggeberin gelangt wäre. Wie für Porträts typisch, erfuhr es im Laufe seiner Biographie zahlreiche Umbewertungen aus persönlichen Gründen und wird heute enger mit der Geschichte des Dargestellten als mit derjenigen der Welfen als Auftraggeber und ehemalige Eigentümer in Verbindung gebracht. Neben verschiedenartigen Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens waren auch Erinnerungsfunktionen Teil seiner Objektbiographie. 4.2.4 Das so genannte „Braunschweig-Diadem“ Das so genannte „Braunschweig-Diadem“ ist ein reich verzierter Brillant-Kopfschmuck, bestehend aus einem schmalen, am oberen Ende zur Mitte hin spitz zulaufenden, aus kleinen Blättchen gebildeten Rand, einem unter dieser Spitze angeordneten großen Stein und zwei seitlich darunter liegenden größeren Steinen, die je von einer volutenartigen Form umschlossen werden. Weitere kleinere Steine bilden florale Elemente, die den Rest des Diadems ausfüllen. Der Beginn der (bekannten) Biographie dieses Schmuckstücks liegt in der Zeit zwischen 1796 und 1810. In diesem Zeitraum war Joséphine de Beauharnais1079 mit Napoleon Bonaparte verheiratet1080. Sie ist auf zahlreichen Gemälden mit Diademen 1073 1074 1075 1076 1077 1078 1079 1080
FAZ, 13. Oktober 2009; Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009. Vgl. Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009. Vgl. FAZ, 13. Oktober 2009. Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009. Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009. Vgl. FAZ, 13. Oktober 2009. Joséphine (Marie Joseph Rose) de Tascher de la Pagerie Comtesse de Beauharnais Kaiserin von Frankreich Herzogin von Navarre. Laut Hartwieg handelt es sich um Familienschmuck der Familie Bonaparte, dieses ist jedoch aufgrund der Form des Diadems stilistisch ins ausgehende 18. Jahrhundert zu datieren. Die Familie Bonaparte gehörte zudem nicht dem Hochadel an. Es ist zu vermuten, dass das „Braunschweig-Diadem“ für Joséphine de Beauharnais angefertigt
628 | S AMMLUNGEN DES A DELS dargestellt, davon mehrfach mit einem dem „Braunschweig-Diadem“ sehr ähnlichen Kopfschmuck. In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts war die französische Mode Ausdruck der durch die Revolution veränderten Gesellschaft. Nach der künstlichen Opulenz des Rokoko, welche sich unter anderem in hoch aufgetürmten Frisuren niederschlug, war die Damenmode von einer neuen Natürlichkeit geprägt, die vor allem im fließenden Chemisenkleid Ausdruck fand1081 . Auch die Haare wurden vergleichsweise natürlicher getragen1082 , wobei Haarbänder, Reifen und Diademe zum vorrangigen Schmuck wurden1083 . Damit griff die Mode auf antike Vorbilder zurück: das Diadem ist vergleichbar mit dem wenig später durch Napoleon Bonaparte aufgegriffenen Lorbeerkranz. Als Teil dieser Modeentwicklung war das „BraunschweigDiadem“ Zeichen der napoleonischen Zeit und der Selbstinszenierung des neuen französischen Kaisertums. Ding-Ding-Bindungen zu Kleidung sowie weiteren Schmuckstücken sind damit für diese biographische Phase des Diadems wesentlich. Damit erfüllte das „Braunschweig-Diadem“ zunächst die Erwartung seiner Idealbiographie, die repräsentative Aufgaben in Kombination mit entsprechender Kleidung vorsah und damit auch wichtige Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens erfüllte. Joséphine de Beauharnais war modebewusst und bereits nach der offiziellen Trennung von ihrem ersten Ehemann (Alexandre Vicomte de Beauharnais) 1785 Teil der Pariser Gesellschaft1084 . Sie lebte über ihre Verhältnisse in Luxus und wurde als Mätresse Paul Barras’, einem Mitglied des Direktoriums, auch während der Revolutionszeit erneut Teil des gesellschaftlichen Lebens: „An herausragender Stelle gehörte sie zu den Damen, die direkt die neue Gesellschaft und indirekt die neue Politik beherrschten.“1085 Als Ehefrau Napoleon Bonapartes profitierte Joséphine de Beauharnais vor allem in finanzieller Hinsicht und in Form von Geschenken von dessen Erfolgen1086. Spätestens seit sie durch diesen 1804 zur französischen Kaiserin gekrönt worden war, wurde sie aufgrund ihrer Position (trotz ihrer Herkunft und Vor-
1081
1082 1083
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1085 1086
wurde. Anzunehmen ist die Zeit nach Napoleon Bonapartes Staatsstreich End 1799. Völlig auszuschließen ist Hartwiegs Anmerkung jedoch nicht, vgl. Hartwieg, Wilhelm: Die Geschichte des Braunschweigischen Diadems der Herzogin Viktoria Luise, in: Braunschweigisches Jahrbuch, im Auftrage des Braunschweigischen Geschichtsvereins, herausgegeben von Hans Goetting, Band 38, Wolfenbüttel 1957, S. 156. Vgl. Kyoto Costume Institute: Mode. Vom 18. bis 20. Jahrhundert, Köln 2004, S. 42; „Als Dernier Cri galt urbanisierte Natürlichkeit. Die schlichten, perfekt geschnittenen Kleider aus leichtem Musselin waren für die geschmeidige Figur Roses [Joséphine de Beauharnais] wie geschaffen [...]“, Herre, Franz: Joséphine. Kaiserin an Napoleons Seite, Regensburg 2003, S. 32. Vgl. Herre, S. 32. Vgl. Jacques-Louis David: Bildnis Madame Récamier, 1800; Herre beschreibt mehrfach Joséphines de Beauharnais Kleidung, die durch ein Diadem, z.T. „aus Diamanten“ vervollständigt wurde, Herre, S. 168, S. 175 und S. 184. Zum Leben Joséphines de Beauharnais nach 1785, vgl. Herre, S. 32ff; zeitweilig lebte sie auf Martinique, Herre, S. 36ff; sie kehrte während der Revolution 1790/91 nach Paris zurück und war dort zeitweilig gemeinsam mit ihrem Mann, der 1794 hingerichtet wurde, inhaftiert, vgl. Herre, S. 39ff. Herre, S. 61. Vgl. Herre, S. 71ff.
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geschichte) modisches Vorbild, auch für adlige Damen ihrer Zeit1087 . Für sie war das Diadem als modisches Accessoire ein Mittel sozialen Verhaltens, das sowohl ihren Status als auch ihren Geschmack verdeutlichte. Da es als Geschenk ihres Mannes Napoleon Bonaparte in ihren Besitz gelangte, fungierte es zudem als Gabe, die nicht nur die Verbindung zwischen Ehemann und Ehefrau symbolisierte, sondern auch zur Repräsentation Joséphines de Beauharnais durch Napoleon Bonapartes Einfluss beitrug und gleichzeitig zur Repräsentation Napoleon Bonapartes durch die Schönheit seiner Frau. Grundsätzlich kann für Schmuckstücke dieser Art eine Ding-Mensch-Bindung zur Trägerin vorausgesetzt werden, die durch die physische Nähe herausgebildet wird1088. Als Geschenk war das Diadem darüber hinaus ein Erinnerungsobjekt und konnte den Anlass der Gabe, Gefühle zum Schenkenden oder Anlässe, zu welchen sie das Schmuckstück getragen hat, reaktivieren. Allerdings ist festzustellen, dass Joséphine de Beauharnais zahlreiche Schmuckstücke dieser Art besaß: Schmuck war ihr grundsätzlich sehr wichtig, und als sie nach einem Aufenthalt in Italien im Winter 1797/98 nach Paris zurückkehrte, trug sie ihren „mit Gold und Juwelen gefüllten Schmuckkoffer [...] mit sich.“1089 Die Ehe verlief darüber hinaus nicht glücklich, war von Affären geprägt und blieb kinderlos1090 . Aus diesem Grund kam es 1810 zur Scheidung von Napoleon Bonaparte1091 . In der Folgezeit lebte Joséphine de Beauharnais zunächst in Schloss Évreux, dass keine Hofhaltung mit entsprechender Garderobe zuließ, weshalb sie gern auf Reisen ging1092 . Von 1811 bis zu ihrem Tod im Jahr 1814 war Schloss Malmaison bei Paris ihr Wohnsitz1093 . Ob Joséphine de Beauharnais das „Braunschweig-Diadem“ nach der Scheidung von Napoleon Bonaparte noch getragen hat, ist nicht bekannt, jedoch möglich, und Herre beschreibt ein Fest, das sie zur Geburt des Sohnes Napoleon Bonapartes 1811 gab: „Auf ihm erschien Joséphine in einer Hofrobe aus Silberlamé und mit einem funkelnden Diadem [...]“1094 . Da der Verkauf von Schmuck und anderen Besitztümern nach dem Tod von Familienmitgliedern nicht unüblich war und Joséphine de Beauharnais darüber hinaus Schulden hinterließ, ist eine Veräußerung des Diadems nach ihrem Tod 1814 wahrscheinlich. Laut Herre beliefen sich die Schulden auf drei Millionen Franc, ein Wert, den ihr Schmuck gehabt habe: „Hortense [ihre Tochter aus erster Ehe, Anm. U.S.],
1087 1088 1089
1090 1091 1092 1093 1094
Vgl. Herre, S. 88f, S. 112, S. 135f, S. 165, S. 179, S. 181, S. 199 und S. 217. Herre beschreibt, dass sie Schloss Malmaison sehr bewusst einrichtete, wodurch deutlich wird, dass sie Bindungen zu Dingen aufbaute, vgl. Herre, S. 116. Herre, S. 86; die Liebe zu Dingen führte sie immer wieder in finanzielle Probleme: „Sie konnte nie genug bekommen: an Pflanzen, Tieren, Bildern, Möbeln und – vor allem – an Putz und Tand, Garderobe und Schmuck.“, Herre, S. 120; vgl. auch Herre, S. 121; „Sie besaß vierzehn Schmuckgarnituren mit Diamanten, Smaragden, Rubinen, Topasen und anderen Steinen. Sie galt als die am üppigsten geschmückte Herrscherin Europas.“, Herre, S. 181. Vgl. Herre, S. 67ff. Vgl. Herre, S. 230ff. Vgl. Herre, S. 241ff. Dieses hatte sie 1799 erworben, vgl. Herre, S. 100; vgl. Herre, S. 247ff. Herre, S. 247.
630 | S AMMLUNGEN DES A DELS die ihn erbte, musste etliches verkaufen [...]“1095 Hortense de Beauharnais1096 war mit Napoleon Bonapartes Bruder Louis Bonaparte verheiratet gewesen, der seit 1806 König von Holland war. Auch diese Ehe war nicht glücklich und endete 1810 1097 . Nach dem Sturz Napoleon Bonapartes erhielt sie den Titel einer Herzogin von Saint Leu, und ihre jährliche Apanage1098 konnte durch den Verkauf des Erbes ihrer Mutter aufgewertet werden. Den nach Begleichen der Schulden verbliebenen Betrag teilte sie mit ihrem Bruder Eugène de Beauharnais Herzog zu Leuchtenberg Fürst von Eichstätt Vizekönig von Italien Großherzog von Frankfurt. Das „BraunschweigDiadem“ könnte nach dem Tod Joséphines de Beauharnais auch in dessen Besitz übergegangen sein. Dieser war von Napoleon Bonaparte adoptiert worden, wurde 1805 Vizekönig von Italien und 1810 Großherzog von Frankfurt1099 . 1817 erhielt er – aufgrund des Scheiterns Napoleon Bonapartes – durch seinen Schwiegervater, Maximilian (I.) Joseph von Bayern, den Titel des Herzogs von Leuchtenberg und des Fürsten von Eichstätt1100 . Falls sich das „Braunschweig Diadem“ in seinem Besitz befunden hat, könnte es von seiner Ehefrau, Auguste de Beauharnais Prinzessin von Bayern Herzogin zu Leuchtenberg und Fürstin zu Eichstätt, getragen worden sein. Dass sich im Besitz Eugènes de Beauharnais Schmuck aus dem Nachlass seiner Mutter befunden hat, ist nachweisbar: Über seine Tochter Joséphine de Beauharnais Prinzessin von Leuchtenberg Prinzessin von Eichstätt Königin von Schweden gelangten Diademe Joséphines de Beauharnais in den Schmuckbestand des schwedischen Königshauses, welches diese noch heute nutzt1101 . Eine solche Weitergabe von Generation zu Generation hätte der Idealbiographie des Schmuckstückes entsprochen. Da es jedoch nicht zu den derart vererbten Objekten gehört, ist ein früher Verkauf nach dem Tod Joséphines de Beauharnais wahrscheinlich. Zu diesem Zeitpunkt erfuhr das „Braunschweig-Diadem“ in jedem Fall eine grundlegende biographische Veränderung und die Folgezeit war vermutlich von geringeren Ding-Mensch-Bindungen geprägt. Das Diadem konnte zwar weiterhin als Erinnerungsträger fungieren, seine Funktion als Mittel sozialen Verhaltens in Form eines modischen Accessoires wurde jedoch aufgrund der veränderten politischen Situation und der Neuerungen in der Mode, geringer. Erstmals wurde der finanzielle Wert des Schmuckstückes wichtiger.
1095 1096 1097 1098 1099 1100 1101
Herre, S. 271. Hortense de Beauharnais Königin von Holland Herzogin von Saint Leu. Zu dieser Ehe vgl. Herre, S. 131ff und S. 207. Ihre Jahrespension lag bei 400.000 Franc, vgl. Herre, S. 265 und S. 271. Vgl. Herre, S. 193 und S. 202f. Vgl. Herre, S. 264. Die heutige Generation des schwedischen Königshauses ist regelmäßig mit Diademen aus dem Besitz Joséphines de Beauharnais zu sehen, beispielsweise trägt Victoria Kronprinzessin von Schweden Herzogin von Västergötland ein Diadem aus Stahl und Messing sowie das bereits von ihrer Mutter und ihren Tanten zur Hochzeit getragene Kamee-Diadem, vgl. Gala: Königliche Hochkaräter, online abrufbar: http://www.gala. de/beauty-fashion/fashion/royaler-schmuck-koenigliche-hochkaraeter_29216_225717i6697051.html und http://www.gala.de/beauty-fashion/fashion/royaler-schmuck-koe nigliche-hochkaraeter_29216_225717-i4847120.html.
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Zu einem unbekannten Zeitpunkt gelangte das „Braunschweig-Diadem“ in den Besitz Moritz Elimeyers, der von 1865 bis 1909 als sächsischer Hofjuwelier tätig war1102 . Zwei der drei großen Brillanten fehlten1103 aus unbekanntem Grund. Diese Tatsache macht deutlich, dass es zumindest zeitweise nicht als Schmuckstück tragbar war. Möglicherweise wurde es nach dem Scheitern Napoleon Bonapartes und dem Tod Joséphines de Beauharnais (sowohl modisch als auch historisch) so gering geschätzt, dass man die Brillanten einzeln verkaufte und deren materiellen Wert dem des gesamten Schmuckstückes vorzog. Das Frühjahr 1913 kann schließlich als entscheidender Wendepunkt in der Biographie des „Braunschweig-Diadems“ bezeichnet werden, welcher sich heute auch in seiner Bezeichnung widerspiegelt. Nach Bekanntgabe der Verlobung der Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg (damals von Preußen) mit Ernst August (III.) von Hannover (damals von Cumberland) am 10. Februar 1913 erfüllte das Schmuckstück die Bedingungen, welche der Herzoglich-Braunschweigische Staatsminister Adolf Hartwieg und der damalige Regent Johann Albrecht von Mecklenburg an ein Hochzeitsgeschenk für das Paar stellten. Von dessen Zukunft als Braunschweigischem Herzogspaar ging man bereits zu diesem Zeitpunkt aus. „Die Zeit bis zur Hochzeit war nur noch kurz, und es schien nicht möglich, bis dahin ein neues Diadem anfertigen zu lassen. Man mußte vielmehr nach einem fertigen Diadem Ausschau halten.“1104 Das Diadem wurde mit dem Ziel, es als Geschenk präsentieren zu können, durch den Braunschweigischen Staat erworben. Die fehlenden Brillanten ersetzte der Braunschweigische Hofjuwelier Hermann Jürgens1105 und zur würdigen Übergabe ließ man eine Kassette anfertigen, welche die Wappen Braunschweigs und Preußens zeigte. Im Vorfeld der Hochzeit stellte man das Geschenk im Herzoglichen Museum in Braunschweig öffentlich aus: „Die Ausstellung erfolgte an dem Platz, an dem sonst das so wertvolle Onyxgefäß stand. Das Diadem wurde dort Tag und Nacht bewacht und von einer sehr großen Menge von Besuchern besichtigt.“1106 Das „Braunschweig-Diadem“ wurde somit, nachdem es zwischenzeitlich zur Ware geworden war, zum Ausstellungsobjekt, bevor es als Gabe genutzt wurde. In jeder dieser biographischen Phasen diente es als Mittel sozialen Verhaltens: im Warenaustausch führte es zum Entstehen von (kurzfristigen) Mensch-Mensch-Bindungen, es erhöhte zur Zeit der Ausstellung den Status der sich als großzügig präsentierenden Schenkenden und festigte gleichzeitig Mensch-Mensch-Bindungen zwischen der Braunschweigischen Regierung und dem zukünftigem Herzogspaar. Diesbezüglich spielte auch die Biographie des Objektes eine Rolle. Zwar lag dessen Ankauf vor allem in der Lieferfähigkeit begründet, es ist jedoch davon auszugehen, dass man ihm durch die früheren Besitzverhältnisse auch einen historischen Wert zumaß. Zwar sollten keine revolutionären Entwicklungen zu einem Regierungswechsel in Braunschweig führen, aber die erhoffte und erwartete Übernahme des Thrones durch Ernst 1102 1103 1104
1105 1106
Hartwieg, S. 156; vgl. Steckhahn, S. 135. Hartwieg, S. 157; vgl. Steckhahn, S. 135. Vgl. Hartwieg, S. 156; Former berichtet, Johann Albrecht von Mecklenburg habe die Auswahl des Geschenkes getroffen, Former: Die Hochzeit von Victoria Luise und Ernst August, S. 105. Hartwieg, S. 157; vgl. Steckhahn, S. 135. Hartwieg, S. 157.
632 | S AMMLUNGEN DES A DELS August (III.) von Hannover, welche durch die Hochzeit möglich wurde, war dennoch für die Anhänger der Welfen in Braunschweig eine befreiende Entwicklung. Das „Braunschweig-Diadem“ erhielt damit eine symbolische Bedeutung: Friedrich Wilhelm von Braunschweig hatte zum Fall Napoleon Bonapartes beigetragen, und nun sollte das Diadem der ehemaligen französischen Kaiserin die zukünftige Braunschweigische Herzogin, die zudem preußische Prinzessin war, schmücken. Damit wurde sowohl die Überwindung der französischen als auch der von Preußen dominierten Herrschaft symbolisiert. Dass den Schenkenden die Funktion des Diadems als Mittel sozialen Verhaltens für die Mensch-Mensch-Bindungen zu ihrem zukünftigen Herzog bewusst war, zeigt sich in Zweifeln, die kurz vor der Hochzeit diesbezüglich aufkamen: Nachdem im März 1913 durch den Braunschweigischen Landtag der Erwerb eines Hochzeitsgeschenkes genehmigt worden war und die Finanzkommission den Vorschlägen Hartwiegs zugestimmt hatte, überlegten die Schenkenden, ob die Gabe, welche sich hauptsächlich an Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg richtete, nicht vor allem an Ernst August (III.) von Hannover als Mitglied des Welfenhauses hätte gerichtet sein sollen1107 . Am Vortag der Hochzeit, dem 23. Mai 1913, als das Diadem offiziell überreicht wurde1108 , thematisierte Hartwieg dieses Problem in seiner Ansprache. Er betonte, dass man sich die Thronbesteigung eines Welfen in Braunschweig wünsche1109 . In seinem Tagebuch hielt Hartwieg fest: „Das Diadem hat außerordentlich viel Freude bereitet. Prinzessin und Kaiserin waren sehr entzückt. Prinz Ernst August sagte nicht viel [...]“1110 Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg selbst berichtet, dass eine „Deputation des Herzogtums Braunschweig“ ein Diadem überreichte, „das einst die Kaiserin Josephine getragen hatte“1111 . Das „Braunschweig-Diadem“ fügte sich in eine Reihe von Schmuckstücken ein, die sie zur Hochzeit geschenkt bekam1112 . Diademe gehörten Anfang des 20. Jahrhunderts zum typischen Schmuck einer adligen Frau aus regierendem Haus zu ausgewählten Anlässen und werden noch heute durch Vertreterinnen von Fürstenhäusern zu solchen getragen1113 . Damals wie heute sind sie Mittel sozialen Verhaltens, wobei diesem Schmuck Anfang des 20. Jahrhunderts eine größere Rolle der Abgrenzung zukam als heute. Beispielsweise kritisierte Gräfin Keller 1903 im Zusammenhang mit steigendem Luxus auch in Privat1107 1108
1109 1110 1111 1112
1113
Hartwieg, S. 157f. Laut Hartwieg durch Staatsminister Hartwieg, Oberbürgermeister Retemeyer und Landsyndikus Klaue, Hartwieg, S. 159; Steckhahn berichtet dagegen, es sei durch den Regenten Johann Albrecht von Mecklenburg überreicht worden, Steckhahn, S. 135. Hartwieg, S. 159. Hartwieg, S. 158. Zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 95-96. Diadem und Perlenhalsband vom Kaiser, Brilliant-Tiara von der Kaiserin, Diamant und Aquamarin-Halsschmuck vom Zaren, ein Brilliant-Diadem und eine JuwelenAusstattung vom englischen Königspaar, vgl. Former: Die Hochzeit von Victoria Luise und Ernst August, S. 105; vgl. Kirschstein, S. 188; vgl. zu Braunschweig und Lüneburg 1984, S. 95. Vgl. Gala: Königliche Hochkaräter; Gräfin Brühl weist darauf hin, dass zu den Winterbällen das „Diadem der Familie“ getragen werde, von Brühl, S. 89.
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häusern, dass die Anzahl der Diademe auffallend zunehme1114 . Heute ist die Verwendung von Modeschmuck-Diademen bei Hochzeiten sehr weit verbreitet, womit das traditionelle Verhalten des Adels kopiert wird1115. Das „Braunschweig-Diadem“ wurde als Hochzeitsgeschenk erneut zum Erinnerungsstück mit Ding-Ding-Bindungen zu weiteren Geschenken und Schmuckstücken seiner Trägerin. Darüber hinaus entwickelte sich eine enge Ding-Mensch-Bindung zu Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, die bis zu ihrem Tod 1980 bestehen blieb. Bereits während der Feierlichkeiten im Rahmen der Hochzeit trug sie es laut Hartwieg mittags zur Familientafel1116. Ebenso ist sie auf Fotografien mit dem Schmuckstück abgebildet, welche direkt nach Regierungsantritt ihres Mannes im November 1913 entstanden waren und zwischen 1913 und 1918 auf Postkarten verbreitet wurden. Erneut ist die Rolle des Diadems als Mittel sozialen Verhaltens zu erwähnen, da diese Postkarten als Teil der Repräsentation des Herzogspaares in Braunschweig zu betrachten sind. Dass Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg das Diadem trug, welches als Hochzeitsgeschenk der Braunschweigischen Regierung überreicht worden war, musste in der Bevölkerung positiv aufgenommen werden und unterstrich das Bild der volksnahen Herzogin, die nun als Mitglied des Welfenhauses in Braunschweig auftrat. Die Biographie des Diadems hatte sich damit seiner Idealbiographie wieder stark angenähert. Abbildung 28: Postkarte, die Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg mit dem so genannten „Braunschweig-Diadem“ zeigt, 1913
Foto: Archiv der Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Es ist davon auszugehen, dass Schmuckstücke, denen ein hoher materieller Wert zugesprochen wurde, 1918 bereits auf der Reise ins österreichische Exil mitgeführt 1114 1115
1116
Von Keller, S. 235. Beispielsweise erwähnt Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg in einem Bericht über eine Hochzeit 1975, die Braut habe ein „reizendes Diadem“ getragen, zu Braunschweig und Lüneburg: Briefkarten, 4. Juli 1975. Hartwieg, S. 159.
634 | S AMMLUNGEN DES A DELS wurden. In jedem Fall galten sie als Privatbesitz des Herzogspaares und blieben damit, auch unabhängig vom Ausgang der Vermögensauseinandersetzungen, im Besitz Ernst Augusts (III.) von Hannover und Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg. Die Möglichkeiten, das Diadem in Gmunden zu tragen, waren auf ausgewählte Anlässe in Schloss Cumberland beschränkt. Möglicherweise änderte sich dies, nachdem der Umzug nach Blankenburg erfolgt war, da zu diesem Zeitpunkt das Selbstbewusstsein der Familie wieder gestärkt wurde und Familienfeiern erneut in größerem Rahmen gefeiert werden konnten. Das „Braunschweig-Diadem“ behielt seine Funktion als Erinnerungsobjekt bei und blieb – ebenso wie umfangreiche weitere Schmuckbestände – sowohl nach der Aufgabe Schloss Blankenburgs als auch nach ihrem Umzug nach Braunschweig 1956 im persönlichen Besitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg. Nur kurzfristig befand es sich in den Händen eines Vertrauten, welchem sie Schmuck zur Verwahrung als Altersvorsorge übergeben hatte. Es wurde jedoch 1962 zurückgegeben, nachdem innerhalb ihres Freundeskreises bekannt geworden war, dass diese Person Schmuckstücke veruntreut hatte1117 . Auf Fotos aus den 60er Jahren ist Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg erneut mit dem Diadem zu sehen. Sie trug es in Kombination mit einem langen Abendkleid, Orden und Schärpe in Begleitung ihres Neffen Louis Ferdinand von Preußen. Diese Nutzung, kurz nachdem sie das Schmuckstück beinahe verloren hatte, kann als Demonstration einer engen Ding-Mensch-Bindung gewertet werden. Als Mittel sozialen Verhaltens erfüllte es in dieser Zeit zudem den Zweck, Stärke gegenüber ihrem Sohn Ernst August (IV.) von Hannover zu demonstrieren. Das Verhältnis zu diesem war, seit er Chef des Hauses geworden war, schwierig. Das „Braunschweig-Diadem“ spielte in den Auseinandersetzungen zwischen Mutter und Sohn eine wesentliche Rolle: Ernst August (IV.) von Hannover wies wiederholt darauf hin, dass es sich bei diesem Diadem, als Geschenk der Braunschweigischen Regierung, um Eigentum des Hauses handele. Es hätte damit in seinen Besitz übergehen müssen und von seiner Frau Ortrud von Hannover getragen werden können. Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg weigerte sich jedoch, auf das Diadem zu verzichten. Es kam schließlich zu einer Vereinbarung zwischen ihr und ihrem Sohn, die Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg, im Gegenzug zur Anerkennung des „BraunschweigDiadems“ als Teil des Hausvermögens, ein lebenslanges Nutzungsrecht einräumte. Zur Herausnahme aus dem Safe war jedoch die Zustimmung beider Parteien nötig1118 . Die Vereinbarung betraf des Weiteren eine Erhöhung der ApanageZahlungen, da Ernst August (IV.) von Hannover nach wie vor den Verkauf des Dia1117
1118
Schlüter: Bericht, 23. Februar 1980; Borek listet ein Spitzendiadem der Kaiserin, den Aquamarinschmuck des Zaren, der ebenfalls ein Hochzeitsgeschenk gewesen ist, ein Banddiadem des österreichischen Kaisers, eine Brillant-Smaragd-Corsage Ernst Augusts von Cumberland, ein Brillant-Saphir-Armband der Kaiserin und weitere Schmuckstücke auf, die Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg durch Herrn Backhaus „verlor“, Borek, S. 88 und S. 91. Vereinbarung Braunschweig-Diadem: Vereinbarung zwischen Ihrer Königlichen Hoheit Viktoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Prinzessin von Preussen, und Seiner Königlichen Hoheit Ernst August Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Chef des Hauses Hannover und des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg, o. D.; vgl. Borek, S. 110.
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dems befürchtete. Seine Mutter hatte wiederholt Schmuck veräußert und versuchte, das so genannte „kleine Diadem“ zu verkaufen1119 . 1971 erwähnte Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg in einem Schreiben an Herrn Dr. jur. Werner Hofmeister, dass das „Braunschweig-Diadem“ noch in ihrem Besitz sei1120 . 1977 erschienen anlässlich ihres 85. Geburtstages in der Presse Fotografien, die sie mit dem Diadem zeigen1121 . Diese waren zwar bereits zu einem früheren Zeitpunkt aufgenommen worden, betonten aber dennoch ihre Stellung als Tochter des Kaisers, die auch in ihren Büchern betont wurde (und damit Teil eines „Marketing-Konzeptes“ war). Die Öffentlichkeit war durch diese bewusste Inszenierung am „Braunschweig-Diadem“ interessiert, was besonders nach dem Tod Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg deutlich wurde. So berichtete die Süddeutsche Zeitung 1981 im Zusammenhang mit Verkäufen ihres Nachlasses: „Noch vor ihrem Tod soll die Herzogin, die mit ihrem ältesten Sohn, dem Welfenherzog Ernst August, nicht in bestem Einvernehmen lebte, erklärt haben, das Diadem sei ihr persönlich, nicht dem Welfenhaus, vom Braunschweigischen Volk zur Hochzeit geschenkt worden, und sie werde es nicht hergeben. Aber die Herzogin ist tot, und weder ihr Nachlassverwalter noch der Auktionator wissen, wo sich das kostbare Schmuckstück befindet: „Wahrscheinlich hat es die Welfenfamilie.“1122
Die Zeitschrift Frau im Spiegel berichtete im Rahmen einer für die Klatschpresse typischen Berichterstattung, Ortrud von Hannover habe das „Braunschweig-Diadem“ beansprucht1123 . Des Weiteren berichtete die Presse: 1119 1120 1121
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Schlüter: Bericht, 23. Februar 1980; vgl. Borek, S. 93. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Durchschlag Brief an Herrn Dr. jur. Werner Hofmeister, 24. November 1971, unveröffentlichter Privatbesitz. Vgl. Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 14. September 1977: Schmidt, Seff: Kaisertochter Viktoria Luise wurde 85. Wieder Krach im Welfenhaus: Ernst August gratulierte nicht; vgl. Frau. Die aktuelle Illustrierte, 15. September 1977: Was sich die Herzogin zum 85. Geburtstag wünscht; vgl. tz, 13. September 1977: Kamberger, Friederike: Kaiser Wilhelms Tochter Viktoria Luise feiert großen Geburtstag. Mit 85 noch Waldlauf. Süddeutsche Zeitung, 24. September 1981: Schmidt, Josef: Viktoria Luise hinterließ keinen Welfenschatz. Nachlass der Kaisertochter wird versteigert/Kein einziges der 200 bis 300 Stücke „hochbedeutend“; im Dezember 1981 kam es zu einer Schmuckauktion des Auktionshauses Exner in Hannover mit 47 Losen, von welchen das günstigste Objekt, ein Münzanhänger, auf 300 DM geschätzt wurde und das teuerste Objekt, ein „Demi Parure“ (zerlegbarer Ohrschmuck sowie eine Brosche), auf 280.000 DM, Auktionskatalog Exner 1981; gemessen an ihrem ursprünglichen Schmuckbesitz, der dem adliger Frauen aus (ehemals) regierenden Häusern angemessen war, ist das Angebot der Auktion als bescheiden zu bezeichnen. Hohe Preise wurden vor allem für diejenigen Objekte erzielt, die das Monogramm Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg zierte (was den Erinnerungswert steigert), die teureren Stücke, wie auch die Demi Parure, wurden unter Schätzwert veräußert. Frau im Spiegel, 22. Februar 1981: Schmidt, Alf: Herzogin Viktoria Luise. Prozesse um Schmuck und Apanage.
636 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Die persönlichen Schmucksachen der Herzogin, die ein Millionenvermögen wert sein sollen, und das brillantbesetzte Diadem, ein Geschenk des Herzogtums Braunschweig zu ihrer Vermählung, das angeblich zehn Millionen Mark teuer sein soll, wurden nicht gefunden. Um das Diadem rankten sich bereits Legenden. Es sei ins Ausland gebracht und dort sichergestellt worden.“1124
Das „Braunschweig-Diadem“ war damit zu einem Objekt des Populärinteresses geworden. Im Zusammenhang mit einem noch immer großen Interesse am Adel, gemeinsam mit großem Interesse an Mode im Allgemeinen, besteht diese Funktion des Diadems noch immer. Die Internetseite Royal Magazin zeigt einige Fotos desselben und berichtet, Ernst August (IV.) von Hannover habe das Diadem nach dem Tod seines Vaters 1953 von Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg zurückgefordert und nach deren Tod sei der Banksafe, in dem es sich hätte befinden sollen, leer gewesen. Unter den Schmuckstücken, die ihr Sohn Christian Oskar von Hannover geerbt und dann veräußert habe, habe es sich nicht befunden. Man habe das Diadem 1980 auf 10 Mio. DM geschätzt1125. Es heißt weiter, dass weder Ortrud von Hannover noch die zweite Ehefrau Ernst Augusts (IV.) von Hannover, Monika Gräfin zu Solms-Laubach Prinzessin von Hannover Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, das Diadem getragen haben sollen. Ebenso wenig sei die erste Ehefrau Ernst Augusts (V.) von Hannover, Chantal Hochuli mit diesem gesehen worden: „Deshalb war es eine grosse Überraschung, als Prinzessin Caroline von Hannover, als erste Dame des Hauses, im Jahr 2004, das Diamant Diadem der Kaisertochter anlässlich der Hochzeit des Kronprinzen in Dänemark trug, scheinbar ist das herrliche Diadem wieder im Besitz der Familie.“1126 Tatsächlich war das „Braunschweig-Diadem“ seit 1913 immer Eigentum des Hauses Hannover und im Besitz Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg, als Teil dieser Familie. Nach ihrem Tod ging es vermutlich in den Besitz Ernst Augusts (IV.) von Hannover über, der ein Nießbrauchsrecht am Hausvermögen hatte. Ortrud von Hannover verstarb im selben Jahr, weshalb sie es nie getragen haben kann. Bereits ein Jahr später, 1981, heiratete Ernst August (IV.) von Hannover erneut, es bleibt jedoch unklar, ob Monika von Hannover das Diadem jemals trug. 1987 wurde Ernst August (V.) von Hannover Chef des Hauses und das „Braunschweig-Diadem“ ging spätestens zu diesem Zeitpunkt in seinen Besitz über. Er war noch bis 1997 mit Chantal Hochuli verheiratet. Erst Caroline von Hannover wurde allerdings wieder mit dem „Braunschweig-Diadem“ gesehen. Im Gegensatz zu Monika von Hannover und Chantal Hochuli gehört sie dem Hochadel an, was möglicherweise Einfluss auf die Nutzung genommen haben könnte. Das „Braunschweig-Diadem“ erfüllt heute als genutztes Erbstück mit Erinnerungsfunktionen sowie zu ausgewählten Anlässen als Mittel sozialen Verhaltens die Erwartungen seiner Idealbiographie. Es ist damit Teil eines noch immer lebendigen Sammlungsbestandes der Welfen. 1124
1125 1126
Unbekannte Tageszeitung, 26. September 1981: Weger, Ernst: Nachlass von Viktoria Luise wird versteigert. Brillantbesetztes Diadem nicht dabei. 400 Exponate auf drei Auktionen in Hannover. Die Internetseite enthält keine Quellenangaben, vgl. Royal Magazin, online abrufbar: http://blog.royal-magazin.de/german/hannover/viktoria-luise-diadem-josephine.htm. Royal Magazin.
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Indem das Haus Hannover dieses Schmuckstück 2013 dem Braunschweigischen Landesmuseum für dessen Ausstellung „1913 – herrlich moderne Zeiten?“1127 als Leihgabe zur Verfügung gestellt hat, wurde das „Braunschweig-Diadem“ darüber hinaus erneut als Objekt mit historischem Wert öffentlich gezeigt. Diese Objektbiographie macht deutlich, dass sich öffentliche Zugänglichkeit und Nutzung im Sinne der Sammeltradition des Adels nicht ausschließen. 4.2.5 Ein Stuhl nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe Während das „Cumberland Service“ als (zu spät fertiggestelltes) Hochzeitsgeschenk für Victoria Luise zu Braunschweig und Lüneburg und Ernst August (III.) von Hannover, das „Mantuanische Onyxgefäß“ als historisches Zeugnis und Kunstobjekt, das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis aufgrund des Dargestellten und das „Braunschweig-Diadem“ durch das Populärinteresse am Glanz des Hochadels in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihrer Biographien in das Interesse der Öffentlichkeit traten, bleibt die Biographie des hier vorgestellten Stuhles nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe weitgehend unbeachtet. „Es handelt sich um einen Stuhl „auf 4 konischen, sich verjüngenden, leicht ausgestellten Beinen. Am Übergang zur Zarge mit angeschnitzten Blattmanschetten versehen. Die Beine sind außenseitig mit einfassenden vergoldeten Stegen geschmückt. Die Zargen sind gerade ausgeführt und mit geschnitzten Appliken belegt. Diese nehmen die Stege der Beine auf und führen sie volutenförmig um eine ebenfalls applizierte Blüte herum. Die Zargen führen 2 Akanthusblattranken, die mittig im Berührungspunkt eine kleine Blüte tragen. Die Innenwinkel zwischen Beinen und Zarge schmückt ein kleines fächerförmiges Blattornament. Der Stuhl ist umlaufend durch eine vergoldete Leiste horizontal unterteilt. Rechts und links wird über dieser Leiste durch 2 beschnitzte Verbindungsbretter der Übergang zum Rückenpfosten hergestellt. Sie zeigen wiederum eine geschwungene Akanthusranke. Im Übergang zum Rückenpfosten umschließt eine Ranke ein appliziertes Löwengesicht. Die Rückenpfosten sind im unteren Bereich mit geschnitzten Akanthusblättern ummantelt. Den Abschluss bilden zapfenartige Knäufe mit angeschnitzten Blättern und Knoten. Die Rückenlehne wird durch einen kreisrunden Rahmen mit umlaufendem Steg und innen liegender Perlschnur gebildet. Die Flächen des Stuhls sind farbig gefasst. Die Schnitzereien und Applikationen sind vergoldet.“1128 1127
1128
Zimmermann, Ole: Katalogtext Diadem, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2013: Buck, Meike/Ohnezeit, Maik/Pöppelmann, Heike (Hrsg.): 1913 – herrlich moderne Zeiten?, Braunschweigisches Landesmuseum, 5. Mai 2013 – 3. September 2014, Braunschweig 2013, S. 37. Sensburg, Thomas: Restaurierungsbericht zu einem klassizistischen Stuhl von Peter Joseph Krahe (MÖ 524-000), Richard Borek Stiftung, 2007, S. 8; „[...] auf vier auswärts geschwungenen, sich verjüngenden Beinen mit dreieckigem Querschnitt und bandartiger Kanteneinfassung. Die Vorderbeine sind zusätzlich mit einem großen, herabwachsenden Blatt verziert. Die dazwischen gesetzen Zargenbretter zeigen Medaillons und Blattschmuck. Die im Gegenschwung zu den Beinen gebogenen runden Rücklehnenpfosten werden von fleischigen Blättern umhüllt und enden in einem Blattkapitell mit zapfenartigem Aufsatz. Sie rahmen das runde Rücklehnenpolster mit Perl-
638 | S AMMLUNGEN DES A DELS Der Stuhl wurde aus Lindenholz sowie im Bereich des Sitzrahmens aus Nadelholz gefertigt, seine Einzelteile verzapft und zum Teil verleimt, die „Ornamente und Stege der Füße und Rückenpfosten sind angeschnitzt.“1129 Der Stuhl ist vollständig farbig gefasst: „Die Beine, Zargen, Rückenpfosten und Rückenlehne zeigen in den Flächen und Tiefen eine weißlich-gelbe Farbfassung. Die Tiefen der vergoldeten Bereiche der Seitenbretter sind mit einer grünen Farbfassung hinterlegt.“1130 Die Biographie dieses aufwändig beschriebenen Sitzmöbels begann im 1. Viertel des 19. Jahrhunderts mit dem Entwurf Peter Joseph Krahes zu einem Ensemble aus achtzehn Stühlen und sechs Sesseln1131 für das Hoftheater am Hagenmarkt in Braunschweig, welches sich nicht weit entfernt vom als „Grauer Hof“ bezeichneten Schloss befand1132 . Krahe war seit 1803 Leiter des Bauwesens im Herzogtum Braunschweig. Sein Werk wird als „aufs Äußerste vereinfachter, strenger, sehr geschlossen wirkender Klassizismus“1133 bezeichnet. Die Entwurfszeichnung zu den Möbeln des Ensembles ist erhalten und befindet sich im Besitz des Städtischen Museums in Braunschweig1134 . Krebs/Schüller gehen von einer originalen Fassung der Möbelstücke in Weiß und Silber sowie einem ersten Bezugsstoff aus hell-blauem Seidendamast aus1135 . Wie auch Schlossausstattungen häufig Veränderungen infolge der Übernahme durch einen neuen Besitzer erfuhren, macht das Beispiel des Stuhles auf ein ähnli-
1129 1130 1131
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bandeinlage, das seinerseits durch seitliches Blattwerk mit den Pfosten verbunden ist.“, Wedemeyer/Willemsen, S. 285. Sensburg 2007, S. 10. Sensburg 2007, S. 11. Abbildungen und Beschreibungen der Möbel sowie der Entwurfszeichnung in: Wedemeyer/Willemsen, S. 285ff; ergänzt um eine umfassende stilistische Einordnung ebenso in: Krebs/Schüller, S. 15 und S. 105ff (jedoch ohne den hier beschriebenen Stuhl). Krebs/Schüller datieren das Ensemble auf 1825/26, Krebs/Schüller, S. 6; Wedemeyer/Willemsen datieren die Entwurfszeichnungen auf 1820, Wedemeyer/Willemsen, S. 287; Meier schreibt das Möbelensemble Entwürfen Krahes für Jérôme Bonaparte in seiner Funktion als König Westphalens (1807-1813) zu, Meier, S. 13; Schmitz erwähnt die Möbelgruppe kurz und schreibt sie Entwürfen Catels für Jérôme Bonaparte zu (kannte daher die Entwurfszeichnungen Krahes nicht) und bildet einen Sessel sowie einen Stuhl ab, Schmitz, Hermann: Deutsche Möbel des Klassizismus. Deutsche Möbel vom Mittelalter bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von Otto von Falke und Hermann Schmitz, Band III. Bauformen-Bibliothek, Band XIV, Stuttgart 1923, S. XXXIII und S. 135; zur bisherigen Forschungslage in Bezug auf weitere Möbel des Ensembles vgl. Krebs/Schüller, S. 7. Lexikon der Kunst – Band II: Architektur. Bildende Kunst. Angewandte Kunst. Industrieformgestaltung. Kunsttheorie, Band II: G-Lh, Leipzig 1978, Krahe, Peter Joseph, S. 712; für zusammengefasste Informationen zur Tätigkeit Krahes vgl. Krebs/Schüller, S. 9ff. Vgl. Krebs/Schüller, S. 9 und S. 15. Krebs/Schüller, S. 24 und S. 35; ob die ursprüngliche Fassung eine Metallauflage aus Silber oder Gold hatte, konnte jedoch in deren Arbeit nicht eindeutig geklärt werden, Krebs/Schüller, S. 23.
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ches Vorgehen im Fall des Hoftheaters in Braunschweig aufmerksam. Während der französischen Besatzung regierte Jérôme Bonaparte das Königreich Westphalen, in welchem das Herzogtum Braunschweig aufgegangen war. Er residierte in Kassel, nahm jedoch großen Einfluss auf die Schlösser Salzdahlum und Braunschweig, da er das Residenzschloss in Braunschweig ausbauen wollte und Salzdahlum für den Abriss bestimmte. Zahlreiche Sammlungsteile wechselten zu dieser Zeit den Standort, sowohl zwischen den Schlössern als auch durch Abtransport nach Kassel oder Frankreich1136 . Auch das Theater blieb nicht unbeeinflusst von dieser Zeit: „In französischer Besatzungszeit unter der Herrschaft von König Jérôme und in der darauf folgenden Zeit wurde das Theatergebäude stark vernachlässigt [...]“1137 . Friedrich Wilhelm von Braunschweig kehrte nach Ende der Besatzung nur kurz nach Braunschweig zurück und fiel 1815 im Kampf gegen französische Truppen. Karl (II.) von Braunschweig war als erstgeborener Sohn erbberechtigt, lebte jedoch, da er noch ein Kind war, unter der Vormundschaft Georgs (IV.) von Hannover in England. Erst 1823 übernahm er die Regierungsgeschäfte1138 . Obwohl Karl (II.) von Braunschweig zunächst eine mehrjährige Reise antrat, kam es bereits Anfang der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts zu Umgestaltungen des „Grauen Hofes“1139. Dieses Streben nach Erneuerung und einer eigenen Prägung seines Umfeldes setzte sich 1826 mit der Entscheidung fort, das Theater am Hagenmarkt zum Hoftheater zu erheben und es umfassend durch Baumaßnahmen zu erneuern1140. Aufgrund „der in einem hohen Maße übereinstimmenden Ornamentik [...] mit den zeichnerischen Entwürfen Krahes für Decke, Wände und Theatervorhang“ 1141 kann der Stuhl (als Teil des Ensembles) diesen Erneuerungsmaßnahmen zugeordnet werden. Seine Idealbiographie war damit eng mit den weiteren Möbelstücken gleicher Machart sowie mit dem Theaterbau verbunden. Da bei der Einrichtung von Schlössern, aber auch bei Bauprojekten im Umfeld des Hofes wie dem hier beschriebenen, persönlich von Karl (II.) von Braunschweig beauftragten Theaterumbau im Allgemeinen großer Wert darauf gelegt wurde, die Räume einheitlich auszustatten, waren enge Ding-DingBindungen fester Bestandteil dieser Idealbiographie. Während eine Veränderung der Aufstellung in anderen Räumen oder einem anderen Schloss bei Schlossmobiliar Teil einer solchen Biographie hätte sein können, war dies für die Möbel des Theaters nicht vorgesehen. Ebenso wenig war von einer Trennung der zusammengehörigen Möbelstücke auszugehen. Möglich war diese im Sinne der Idealbiographie nur aufgrund der Aussonderung eines beschädigten Teils. Die Möbelstücke sind zur Benutzung entworfen und angefertigt worden. Als Mobilien – im wahrsten Sinne des Wortes – sind häufige physische Ding-Mensch-Beziehungen Teil ihrer Idealbiographie. 1136 1137 1138 1139 1140
1141
Vgl. Fink 1967, S. 95ff. Krebs/Schüller, S. 32. Vgl. Diestelmann, S. 100f. Vgl. Krebs/Schüller, S. 39. Krebs/Schüller weisen darauf hin, dass dieser Ausbau „trotz der geographischen Entfernung zum Schloss dennoch zu den Bauprojekten des Hofes zu zählen ist“, Krebs/Schüller, S. 32; Karl (II.) von Braunschweig war stark am Theater interessiert und nahm auch Einfluss auf den Spielplan, vgl. Krebs/Schüller, S. 32. Krebs/Schüller, S. 33; beschreibender Vergleich der Ornamentik, Krebs/Schüller, S. 36ff.
640 | S AMMLUNGEN DES A DELS Die aufwändige Gestaltung des Ensembles ermöglicht eine Zuordnung dieser Möbelstücke zur herzoglichen Loge des Theaters1142 , womit sie vergleichbare Funktionen wie Schlossmöbel zu erfüllen hatten. Der Theaterraum des 18. und frühen 19. Jahrhunderts kann als „Gesellschaftsraum“ verstanden werden, welcher sich bei Anwesenheit des Herrschers auf diesen ausrichtete1143 : „So war es [das Theater] auch Bestandteil des höfischen Zeremoniells und Mittel zur Machtdemonstration und Bestätigung des Herrschers.“1144 Wie am Hof waren der Raum sowie die Mobilien einer hierarchischen Gliederung unterworfen, deren Höhepunkt im Braunschweiger Hoftheater die herzogliche Loge war1145 . Als Bestandteil dieses erweiterten Hoflebens kann der hier beschriebene Stuhl als Ding des Wohnens verstanden werden, wenn er auch nicht in den Wohnräumen des Schlosses untergebracht war. Als Ding des Wohnens hatte der Stuhl sowohl eine praktische Funktion als auch weitere Aufgaben innerhalb der Sammlungen des Adels zu erfüllen. Zu diesen gehörten Repräsentation, Komfort und die Festigung einer auf Hierarchien basierenden Lebensweise. Repräsentative Aufgaben konnte der Stuhl durch die aufwändige Gestaltung und Dekoration erfüllen. Die Polsterung bot dem Benutzer eine komfortable Sitzfläche. Die Rolle des Möbelstückes in der Hierarchie des Hofes und dessen Umfeld wurde durch die Anfertigung von Stühlen und Sesseln derselben Gruppe deutlich, wobei dem Stuhl ein geringerer Rang zukam. Er gehörte aber zur ranghöchsten Möbelgruppe innerhalb des Theaters. Die ersten Jahre der Biographie des Stuhles verliefen, wie die Idealbiographie es vorgesehen hatte. Als Höhepunkt dieser Phase nennen Krebs/Schüller die von Karl (II.) von Braunschweig initiierte und besuchte Uraufführung von Goethes „Faust“ (1. Teil)1146 . Allerdings kam es bereits 1830 zu einem ersten biographischen Wendepunkt durch die Flucht Karls (II.) von Braunschweig im Zusammenhang mit revolutionären Ausschreitungen1147 . Die Ereignisse führten zu einem Brand, welcher den Nordflügel, den Mitteltrakt und Teile des Südflügels des „Grauen Hofes“ betraf. Es kam zu umfangreichen Zerstörungen, aber auch zu Plünderungen von Ausstattungsgegenständen1148 . Das Hoftheater war von diesen nicht betroffen, mögliche DingMensch-Bindungen zu Karl (II.) von Braunschweig mussten jedoch abbrechen. Gleichzeitig gibt der Schlossbrand Hinweise auf die Bedeutung von Ausstattungsobjekten, welche durch den erfolgreichen Versuch, Teile der geplünderten Gegenstände zurückzuerhalten, offensichtlich wird. Es wurde des Weiteren eine Aufstellung angefertigt, die beschädigte und unbeschädigte Ausstattungsteile auflistete1149. Diese Liste wird von Krebs/Schüller herangezogen, um die Anfertigung des Ensembles für das Hoftheater (im Gegensatz zu früheren Forschungen, welche von 1142 1143 1144 1145 1146 1147 1148
1149
Krebs/Schüller, S. 57. Vgl. Krebs/Schüller, S. 45f. Krebs/Schüller, S. 46. Vgl. Krebs/Schüller, S. 48. Krebs/Schüller, S. 58. Auf welcher er das „Mantuanische Onyxgefäß“ mit sich führte. Vgl. Moderhack, Richard: Braunschweig. Das Bild der Stadt in 900 Jahren. Geschichte und Ansichten, herausgegeben von Gerd Spies, Band I: Braunschweigs Stadtgeschichte, Braunschweig 1985, S. 77; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 37. Wedemeyer/Willemsen, S. 37.
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einer Aufstellung im Schloss ausgegangen waren) zu belegen: Diese erwähnt kein entsprechendes Ensemble, jedoch einige Stühle und Sessel, die weiß lackiert und teilvergoldet waren, von welchen wiederum insgesamt sieben Stühle mit blauem Bezug angegeben werden1150 . Es ist daher nicht auszuschließen, wenn auch unwahrscheinlich, dass einzelne Stühle gleicher Machart nicht im Theater, sondern im Schloss Aufstellung gefunden hatten und sich unter diesen auch der hier beschriebene Stuhl befand1151 . Nachdem Wilhelm von Braunschweig die Regierung übernommen hatte, kam es 1834 zu erneuten von Carl Theodor Ottmer ausgeführten Renovierungs- und Umgestaltungsmaßnahmen im Innenraum des Theaters, welche auch die Logen betrafen1152. Die vorher von den Farben Silber und Blau dominierten Dekorationen wurden nun in Rosa und Gold ausgeführt, was vermutlich zu einem neuen Bezug der Möbelstücke mit einem rosafarbenen Samtbezug und möglicherweise zu einem Austausch der Versilberungen durch Vergoldungen geführt hat1153. In den folgenden Jahrzehnten kam es zu weiteren Ausbesserungs- und Umbaumaßnahmen im gesamten Theater, das jedoch schließlich 1861 letztmalig für eine Aufführung genutzt und 1864 abgerissen wurde1154 . In der Zwischenzeit war am Bohlweg ein Schlossneubau errichtet worden. Bereits in direkter Folge des Brandes hatte es Pläne für einen solchen gegeben, welchen daraufhin mehrere Entwürfe durch Carl Theodor Ottmer (zum Teil in Zusammenarbeit mit Peter Joseph Krahe) gefolgt waren. 1833 hatte man den Grundstein gelegt und 1835 das Richtfest gefeiert, womit die Inneneinrichtung in Angriff genommen werden konnte1155. Ende 1837 wurden auch Objekte aus anderen Schlössern zur Einrichtung herangezogen1156 . Ob man bereits zu diesem Zeitpunkt einen Teil des Ensembles aus dem Hoftheater in die neuen Schlossräume verbrachte, ist unklar. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass dies für die gesamte Möbelgruppe entweder kurz vor dem Abriss oder zu diesem Zeitpunkt 1864 der Fall war. Alternativ könnten die Objekte in einem externen Lager bewahrt worden sein. Im Februar 1865 zerstörte erneut ein Brand Teile des Braunschweiger Schlosses. Es war „im Nordflügel ausgebrochen und breitete sich [...] bis in den Mitteltrakt des Hauptflügels aus. Sogar das angrenzende Audienzzimmer wurde noch verwüstet, während Thronsaal, Weißer
1150
1151 1152 1153 1154 1155
1156
Krebs/Schüller gehen dieser Frage genau nach und gehen nicht von einer Aufstellung des Ensembles im „Grauen Hof“ aus, wenn auch eine Aufstellung im Gartensaal oder Musiksaal „formal nicht ausgeschlossen“ werden kann, Krebs/Schüller, S. 40. Wedemeyer/Willemsen waren von einer Aufstellung im Gartensaal oder einem Raum beim Schlossgarten ausgegangen, vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 285. Krebs/Schüller, S. 35 und S. 58f. Krebs/Schüller, S. 60. Krebs/Schüller, S. 61. Zur ausführlichen Beschreibung des Schlossneubaus vgl. Wedemeyer, Bernd: Das ehemalige Residenzschloß zu Braunschweig. Eine Dokumentation über das Gebäude und seinen Abbruch im Jahre 1960, Braunschweig 1993 (Originalausgabe: 1986) und Wedemeyer/Willemsen, S. 37ff. Wedemeyer/Willemsen, S. 53.
642 | S AMMLUNGEN DES A DELS Saal und der gesamte Südflügel [...] vom Feuer verschont blieben. Gänzlich zerstört wurden das Innere des Nordflügels und der Nordabschnitt des Hauptflügels auf allen Geschossen.“1157
Der hier beschriebene Stuhl sowie mindestens weitere fünf Stühle und vier Sessel blieben (entweder außerhalb des Schlosses oder innerhalb desselben) unversehrt. Es ist nicht nachweisbar, welcher Nutzung der Stuhl als Teil des Gesamtensembles direkt vor und nach diesem zweiten Feuer unterlag. Dass die direkten DingDing-Bindungen innerhalb des Ensembles gewahrt blieben, ist wahrscheinlich. Inwieweit es jedoch zu physischen Ding-Mensch-Bindungen kam und ob diese außerdem auf Erinnerungswerten und/oder repräsentativen Aufgaben basierten, ist nicht nachvollziehbar. Sollten sich die Möbelstücke zur Zeit des Brandes noch nicht im Inneren des Schlosses befunden haben, ist deren Integration in den Schlossraum nach dem Brand anzunehmen, da Ausstattungsobjekte benötigt wurden. Es kam bis 1868 zu umfassenden Neumöblierungen, wobei einerseits der stark zerstörte Nordflügel neu eingerichtet wurde, andererseits im Haupt- und Südtrakt verbrannte oder abgenutzte Möbelstücke ausgetauscht wurden1158 . Etwa zwanzig Jahre nach dem zweiten Schlossbrand erhielt der Stuhl seine erste physische Prägung, die ihn unwiderruflich mit dem Schloss in Braunschweig verbindet. Diese Kennzeichnung, ein Brandstempel mit den Buchstaben „H.R.Schl.“ für „Herzogliches Residenzschloss Braunschweig“ stammt aus der Zeit um 1885-1895 und wurde auf der Vorderzarge innen angebracht1159 . „Der H.R.Schl.-Stempel tritt ohne Nummernfolge und ohne schriftliche Notierung auf, weswegen er nur mittelbar datiert werden kann. Er hatte die Funktion, die zur Hofstatt gehörenden Möbel zu kennzeichnen.“1160 Der genaue Standort des Möbelstücks ist aufgrund des fehlenden Inventars jedoch auch für diese Zeit nicht nachweisbar. Dass der Stuhl diesen innerhalb der Schlossräume wechselte, ist möglich, da Wilhelm von Braunschweig 1884 verstorben war und es in diesem Zusammenhang zu Umstrukturierungen gekommen sein könnte. Infolge der Braunschweigischen Thronfolgefrage bewohnte Albrecht von Preußen bis 1906 das Schloss in Braunschweig. Ab 1907 folgte ihm Johann Albrecht von Mecklenburg als Regent und Bewohner nach. Dieser richtete infolge einer Ostasienreise, von der er 1910 zurückkehrte, ab 1911 ein „Japanisches Zimmer“ im ersten Stock des Schlosses ein1161 , was zu einem weiteren Wendepunkt des Stuhles führte. Während weitere Möbelstücke – vier Sessel und fünf Stühle – des Ensembles für diesen Raum mit neuen Polsterungen in veränderter Form sowie neuen Seiden-Bezügen versehen und neu in Weiß und Gold gefasst wurden1162 , kam es spätestens zu diesem Zeitpunkt zur Separierung des hier beschriebenen Objekts von der Gruppe. Eine direkte Ding-Mensch-Bindung des Regenten zu den neu verwendeten Möbelstücken ist nachweisbar: Durch die bewusste Auswahl und die Erinnerungsfunktionen des ge1157 1158 1159 1160 1161 1162
Wedemeyer, S. 54; vgl. Krebs/Schüller, S. 61. Wedemeyer/Willemsen, S. 381. Krebs/Schüller weisen den Stempel auch für sämtliche weiteren erhaltenen Möbelstücke des Ensembles nach, Krebs/Schüller, S. 62. Wedemeyer/Willemsen, S. 14-15. Vgl. Krebs/Schüller, S. 62ff. Vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 285; vgl. Krebs/Schüller, S. 63f.
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samten Zimmers in Bezug auf seine Asienreise schrieb er diesen einen persönlichen Wert zu. Sie blieben Mittel sozialen Verhaltens und Dinge des Wohnens und wurden darüber hinaus zu Erinnerungsobjekten. Die Einrichtung des „Japanischen Zimmers“ schuf zudem neue Ding-Ding-Bindungen, da sich auch zwei Sofas sowie einige Einrichtungsgegenstände (beispielsweise neu angefertigte Weihrauchschalen aus Japan) in diesem befanden. Der hier beschriebene Stuhl verlor spätestens zu diesem Zeitpunkt Ding-Ding-Bindungen zu weiteren Möbeln des Ensembles, falls diese bis dahin zusammen verwendet worden waren, und vermutlich auch seine Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens und Ding des Wohnens. Nach der Machtübernahme Ernst Augusts (III.) von Hannover im Jahr 1913 bestand das „Japanische Zimmer“ weiter und seine Einrichtung ist durch das in den Jahren 1911/12 bis 1917 entstandene „Möbel-Inventar des Residenz-Schlosses zu Braunschweig“1163 belegt. Die Einträge des Inventars beziehen sich auf Markierungen der Mobilien durch einen Schlag/Brandstempel mit der Bezeichnung „H.S.B.“ für „Herzogliches Schloss Braunschweig“ sowie einer laufenden Nummer. Die Auflistung hält für das „Japanische Zimmer“ vier Sessel und fünf Stühle „mit japanischer Seide bezogen“ fest1164 . Darüber hinaus waren für den Raum zwei Sofas mit japanischer Seide, ein Tisch mit weißer Marmorplatte, zwei kleine runde Tische mit Glasplatte, ein Aschenbecher „Bronze mit bunter [sic] Mosaik“, eine Vasenlampe mit Bronzefuß, ein Wandschrank mit Spiegelwand und eine japanischen Schreibkommode im Inventar vermerkt1165. Der hier vorgestellte Stuhl trägt auf der rechten Zarge innen den Stempel „H.S.B. 4312“, der auch auf dem abnehmbaren Sitzkissen angebracht wurde. Das Inventar verzeichnet unter der Nummer 4311 einen „Sessel, hellblauer Bezug“1166 sowie darunter zur Nummer 4312 „desgl. vergoldetes Gestell, gepolsterte Lehne“1167 . Irritierend ist hier, dass der Stuhl als „Sessel“ geführt ist, obwohl in der Bezeichnung weiterer Möbel des Ensembles im „Japanischen Zimmer“ zwischen Sesseln und Stühlen unterschieden wird. Durch die Nummerierung ist eine Verwechslung jedoch ausgeschlossen. Diese unterschiedliche Bezeichnung macht aber deutlich, dass man das Ensemble nicht mehr als zusammengehörig ansah, die Ding-Ding-Bindungen waren abgebrochen. Ob der Sessel/Stuhl der Nummer 4311 ehemals zum gleichen Bestand gehörte, ist aufgrund der knappen Beschreibung nicht nachvollziehbar. Die Bezeichnung des blauen Bezuges für beide Möbelstücke spricht dafür, der Zusatz „vergoldetes Gestell“ nur für den hier beschriebenen Stuhl jedoch dagegen. Da, wie beschrieben, die Veränderungen im Hoftheater 1834 zu einem Neubezug des Ensembles mit rosafarbenem Samt geführt hatten, hier der Stuhl jedoch mit blauem Bezug erwähnt wird, wirft das Inventar weitere Fragen auf: entweder war es bereits 1834 zu einer Verbringung von einzelnen Möbelstücken in das Schloss gekommen, und der hier beschriebene Stuhl ist das einzige dieser Möbelstücke, das den Brand überstand, oder 1163 1164 1165 1166 1167
Inventar Braunschweig 1917: Möbel-Inventar des Residenz-Schlosses zu Braunschweig 1917 (NSTA Wolfenbüttel, 3 Neu 904); vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 15. Nummern 1189-1193 und 1194-1197, in: Inventar Braunschweig 1917. Nummern 1186-1188 und 1198-1200 sowie zwei Objekte ohne Nummern, in: Inventar Braunschweig 1917. Inventar Braunschweig 1917. Inventar Braunschweig 1917.
644 | S AMMLUNGEN DES A DELS es kam in der Zwischenzeit zu einem neuen blauen Bezug für diesen. Die Möglichkeit einer früheren Trennung des Ensembles ist daher nicht auszuschließen und wird aufgrund der von Krebs/Schüller für die im „Japanischen Zimmer“ verwendeten Möbel nachweisbare chronologische Abfolge von Bezugsstoffen wahrscheinlich1168 . Als Ortsangabe des Stuhles im Inventar von 1917 ist die Bezeichnung „Waffenkammer, II. Stock. Vorrat“1169 angegeben. Dieser Vorratsraum befand sich im Südflügel des zweiten Stockwerkes in einem großen, zum Garten gerichteten, Raum1170 . In diesem Raum befanden sich zudem ein „2 türiger hell gestrichener Schrank“ sowie ein dunkel gestrichener Schrank, ein „Divan mit rotem Bezug“, sowie drei weitere mit grün kariertem, farbig gemustertem und braun kariertem Bezug, eine „Chaiselongue mit hellblauem Bezug“, zwei „Sessel hierzu passend“, zwei weitere Sessel mit vergoldetem Gestell und blauem Bezug, ein Sessel mit vergoldetem Gestell und rotem Samtbezug, zehn Eichenstühle „mit Ebenholz ausgelegt, Sitz und Lehne hellblaues Polster“1171 . Möglicherweise gehörten die zwei weiteren Sessel, welche ein vergoldetes Gestell und einen blauen Bezug aufwiesen, ebenfalls zum Ensemble, dies ist jedoch ebenso wenig wie für den Stuhl der Nummer 4311 nachweisbar. Eine Nutzung ist für diese Zeit unwahrscheinlich. Der beschriebene Stuhl wurde stattdessen rein passiv – als Vorrat – genutzt. Das Möbelinventar von 1917 vermerkt unter „Abgang“ den Übertrag auf ein Inventar, das 1922 angefertigt wurde1172 . Diese erneute Inventarisierung führte zu einer weiteren physischen Veränderung, da der Stuhl auf der Rückzarge innen links eine mit weißer Farbe und Schablone aufgetragene Bezeichnung „S.B.“ für „Schloss Braunschweig“ sowie die Nummer „399“ erhielt1173 . Unter der Nummer 399 ist der Stuhl nun als „antiker Stuhl von Joseph Krahe“1174 geführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde also die Bezeichnung als „Stuhl“ korrigiert sowie eine Verbindung hergestellt zu Peter Joseph Krahe als Entwerfer des Möbelstückes. Kein anderes Objekt in diesem Verzeichnis wurde als von Krahe entworfen identifiziert, damit wurde ihm erstmals auch ein historischer Wert zugesprochen. Auch der Standort hatte sich verändert: der Stuhl befand sich nun im „I. Stock, Herzogs Korridor“1175, was bedeutet, dass er im Bereich des im Nordflügel der Belétage neu eröffneten Schlossmuseums gezeigt wurde1176 . Der historische Wert, der dem Stuhl bereits durch die Identifikation als Möbel nach Entwurf Peter Joseph Krahes zugeschrieben wurde, erhielt durch den Einbezug in einen musealen Rahmen ei1168
1169 1170 1171 1172
1173 1174 1175 1176
Krebs/Schüller konnten an den für das „Japanische Zimmer“ verwendeten Stühlen Bezugsstoffe in folgender Reihenfolge nachweisen, bevor sie für diese Verwendung neu gepolstert und neu bezogen wurden: hell-blauer Seidendamast, rosafarbener Samt, hellgrüner Stoff, grüner Damast, Krebs/Schüller, S. 94f. Inventar Braunschweig 1917. Vgl. Grundriss, in: Wedemeyer/Willemsen, S. 508f. Nummern 4302 bis 4310 sowie 4313 bis 4325, in: Inventar Braunschweig 1917. Das Inventar entstand im Zusammenhang mit den Vermögensauseinandersetzungen des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg mit dem Braunschweigischen Staat, nachdem dies durch das Gesamthaus gefordert worden war. Vgl. Inventar Braunschweig 1922. Inventar Braunschweig 1922. Inventar Braunschweig 1922. Meier erwähnt den Stuhl in seinem Rundgang jedoch nicht, vgl. Meier.
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ne Bestätigung. Erneut änderten sich die Ding-Ding-Bindungen komplett. Der Stuhl befand sich nun in einem Raum mit einer „Truhenbank, antik, eichen geschnitzt, dunkel gebeizt“, einer als „antik“ bezeichneten „Kommode, eingelegt, nussbaum gebeizt“, einem „Kabinettsschrank“, einem „Schrank, Palisander 2türig“, einem „Konsoltisch, Palisanderholz“, einer „elektr. Lampe mit Porzellanfuß“ sowie „Zugroleaux“ und „Deckenbeleuchtungen“1177 . Im Rahmen des Schlossmuseums, das die Lebensgewohnheiten der ehemaligen Herzöge vermitteln sollte, erfüllte der Stuhl nun eine Aufgabe als Mittel sozialen Verhaltens sowie Erinnerungsfunktionen im Sinne eines kollektiven Gedächtnisses, wurde aber nicht mehr als Ding des Wohnens genutzt. Direkte Ding-Mensch-Bindungen waren gering. Der Stuhl war zum neutralisierten Objekt des Adels geworden, nachdem er infolge der Entmachtung Ernst Augusts (III.) von Hannover in den Besitz des Braunschweigischen Staates übergegangen war. Auch die im „Japanischen Zimmer“ untergebrachten Möbelstücke des Ensembles verblieben im Schloss, wurden Teil des Schlossmuseums und von Meier als Möbel nach Entwürfen Peter Joseph Krahes erwähnt1178 . Das Inventar von 1917 verzeichnet auch für diese die Überschreibung in das 1922 erstellte Inventar mit dem Vermerk der neuen Inventarnummern1179 . Diese wiederholen sich im Verzeichnis von 1922 unter der Ortsbezeichnung „Japanisches Zimmer I. Stock“, jeweils mit dem Zusatz „mit japanischer Seide bezogen“1180 . Die bestehende Einrichtung des Zimmers wurde ergänzt durch zahlreiche weitere Objekte, wie in Vitrinen untergebrachte Porzellane, eine Blumenschale, Bronzeleuchter und mehr1181 . Auch diesen Objekten wurde als Teil des Museums erstmals ein wissenschaftlich-historischer Wert zugesprochen und sie waren Teil der neutralisierenden Überwindung von Zeichen des Adels. In diese Zeit fällt die Publikation von Hermann Schmitz, welche die (undatierten) Abbildungen eines Sessels und eines Stuhles aus dem Ensemble zeigt1182 . Der Sessel weist die Fassung und den Bezug derjenigen Möbelstücke des „Japanischen Zimmers“ auf, der Stuhl ist dagegen in einem deutlich schlechteren Zustand, zeigt Schäden an den Beinen und einen zerschlissenen Bezugsstoff mit floraler Stickerei. Die Polsterung ist als originale Polsterung zu erkennen. Ob es sich um den hier beschriebenen Stuhl handelt, ist unklar. Krebs/Schüller halten den Bezug jedoch nicht für den Originalbezug, sondern vermuten in diesem eine spätere Phase mit grünem Bezug und nehmen einen Zustand vor 1900 an1183. Die Sessel und Stühle aus dem „Japanischen Zimmer“ gelangten 1938 ins Landestheater Braunschweig (ab 1947 Braunschweigisches Staatstheater), wo sie mehr1177 1178 1179 1180
1181 1182 1183
Nummern 395 bis 398 und 400 bis 401 sowie zwei Positionen ohne Nummern, in: Inventar Braunschweig 1922. Vgl. Meier, S. 12f. 771 bis 776 und 768 bis 771, Inventar Braunschweig 1917. Inventar Braunschweig 1922; möglicherweise wurden sie vorher noch einmal neu gefasst und an den Armlehnen mit der gleichen Seide über die bestehene Seide neu bezogen, Krebs/Schüller, S. 66. Nummern 777 bis 794 sowie drei weitere Positionen ohne Nummer, in: Inventar Braunschweig 1922. Schmitz 1923, S. 135. Krebs/Schüller, S. 62.
646 | S AMMLUNGEN DES A DELS fach umgestaltet wurden, und von diesem schließlich 1983 in den (Depot-)Bestand des Braunschweigischen Landesmuseums1184 . Inwieweit andere Teile des Ensembles durch den Brand 1865 zerstört, beschädigt und aussortiert oder infolge der Entmachtung 1918 an eine der mit Objekten aus dem Schloss bedachten Einrichtungen abgegeben wurden, kann nicht nachvollzogen werden1185 . Beschädigungen oder Zerstörungen sind jedoch wahrscheinlich. Für den hier beschriebenen Stuhl markiert das Ende der Vermögensauseinandersetzungen des ehemaligen Herzogshauses mit dem Staat Braunschweig einen erneuten biographischen Wendepunkt. Er gehörte zu denjenigen Objekten, welche zwischen Dezember 1925 und Juni 1926 aus dem Braunschweiger Schloss ins Schloss Blankenburg gelangten. Dort erhielt er seine letzte Markierung, den auf der Rückzarge innen rechts aufgebrachten Stempel „H.S.Bl.“ mit der Nummer 2121. Auch für diesen Ort ist nicht bekannt, wo er aufbewahrt und inwieweit er genutzt wurde, so dass keine definitive Aussage über Ding-Ding- und Ding-MenschBindungen sowie Nutzungen im Sinne der für Adelssammlungen typischen Bedeutungsebenen getroffen werden können. Wie für die weiteren in diesem Kapitel beschriebenen Objekte, barg auch für den nach Blankenburg transportierten Stuhl die Zeit des Zweiten Weltkrieges erneut die Gefahr von Beschädigung oder Zerstörung. Diese Zeit hinterließ jedoch keine nachweisbaren Spuren. 1945 war der Stuhl Teil der ins Schloss Marienburg transportierten Objektbestände. Es ist sehr unwahrscheinlich, jedoch nicht völlig auszuschließen, dass sich bis zu diesem Zeitpunkt weitere – nicht als solche identifizierte – Objekte des ehemals großen Ensembles ebenfalls in Schloss Blankenburg befunden hatten und nur dieser Stuhl beim Umzug ins Schloss Marienburg mitgenommen werden konnte. Viele Möbel verblieben in Blankenburg und ihr weiterer Verbleib nach Einmarsch der Roten Armee ist ungewiss. Wahrscheinlicher ist, dass er bereits im Schloss Blankenburg als Einzelmöbel betrachtet wurde. Da man ihn als solches nicht dort zurückließ, könnte man vermuten, dass er zuvor genutzt worden war und sich Ding-Mensch-Bindungen entwickelt hatten, ohne dies mit Sicherheit behaupten zu können. Auch für den Standort Schloss Marienburg ist nicht bekannt, wo genau innerhalb des Schlosses sich der Stuhl befand, welcher Wert ihm zugeschrieben wurde und ob neue Ding-Mensch-Bindungen geknüpft wurden. Für sechzig Jahre bleibt die Biographie des Objektes völlig unklar. Da der Stuhl jedoch im heutigen Zustand keinen Bezug aufweist, muss es entweder im Schloss Blankenburg oder im Schloss Marien1184
1185
„Die nach diesem Entwurf ausgeführten, unter Kat. Nr. 172 besprochenen vier von ehemals sechs vorhandenen Sesseln und die 5 Stühle (von 18) unter Kat. Nr. 173 haben 1830 den Brand des Grauen Hofes, nach ihrer Übernahme in das Ottmerschloß 1865 den dortigen Brand, die Plünderungen 1918, nach 1944 die Wirren der Zeit und bis 1982 die Verwendung als Requisiten im Staatstheater Braunschweig überstanden.“, Wedemeyer/Willemsen, S. 287; vgl. Wedemeyer/Willemsen, S. 22 und S. 285ff; im Gegensatz zum hier beschriebenen Stuhl weisen sie einen weiteren Zahlenstempel in Rot auf, welcher um 1926 aufgebracht wurde, Krebs/Schüller, S. 67; Krebs/Schüller beschreiben des Weiteren genau die weiteren biographischen Stationen dieser Möbelstücke, die hier nicht detailliert verfolgt werden sollen, vgl. Krebs/Schüller, S. 67ff. Auch aufgrund der ungenauen Beschreibung im Verzeichnis Leihgaben Schloss Braunschweig.
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burg neue Nutzungspläne gegeben haben, die einen Neubezug vorsahen, der aber nicht zur Ausführung kam. Es ist allerdings davon auszugehen, dass für den Stuhl eine längere Zeitspanne im Schloss Marienburg von weitgehender Nichtbeachtung geprägt war. Das Möbelstück war Klimaschwankungen ausgesetzt, die zu wesentlichen Beschädigungen führten. Er erfüllte vermutlich keine Funktion, so dass diese biographische Phase erheblich von der Idealbiographie abwich. 2005 wurde er in einem schlechten Zustand, ohne das Polster der Rückenlehne sowie ohne Bezug des Sitzpolsters, Teil der auf Schloss Marienburg durchgeführten Auktion. Gemeinsam mit einem weiteren Polsterstuhl sowie einem gepolsterten Fußhocker bildete er Los 15021186 . Die Bezeichnung der Losnummer ignoriert den Stuhl, indem nur „A fine French walnut fauteuil à la Reine, late 18. century/Schöner Fauteuil ‚à la Reine‘ aus Nussholz, Französisch, spätes 18. Jahrhundert“1187 angegeben wird. Die zugehörige Abbildung zeigt einen gepolsterten Armlehnsessel, den hier beschriebenen Stuhl, den oben genannten weiteren Polsterstuhl sowie den Fußhocker. Der Armlehnsessel war jedoch beim Verkauf nicht mehr Teil des Loses. Der Schätzpreis für das Möbelkonvolut betrug 3.000 - 5.000 Euro1188 . Der Wert des Objektes war zu diesem Zeitpunkt ein reiner Handelswert, der darüber hinaus eher gering eingeschätzt wurde. Weder die Verbindung zu Peter Joseph Krahe, noch zum Schloss in Braunschweig oder den zu diesem Zeitpunkt bereits im Besitz des Braunschweigischen Landesmuseum befindlichen Möbeln des ehemals größeren Ensembles waren bekannt. Die physischen biographischen Zeichen, welche die Verbindung zum Braunschweiger Schloss deutlich machen, führten schließlich zum Ankauf durch die Richard Borek Stiftung in Braunschweig, in deren Besitz er sich heute befindet. In diesem Umfeld sind neue Ding-Ding-Bindungen zu weiteren aus dem Braunschweiger Schloss stammenden Objekten möglich. Dem Stuhl wird sowohl ein historischer Wert als auch ein Kunstwert zugesprochen. 2007 erfuhr das Möbelstück schließlich eine erneute physische Veränderung durch die aufgrund des schlechten Zustandes1189 nötigen Restaurierungsmaßnahmen. Die Voruntersuchungen zur Restaurierung stellten fest, dass es sich – im Gegensatz zu den im Besitz des Braunschweigischen Landesmuseums erhaltenen Möbeln des Ensembles – bei der heutigen Fassung um die originale Farbgebung des Stuhles handelt, welche ausschließlich durch einen transparenten Überzug – vermutlich als Schutz – überpinselt wurde1190 . Die erhaltene Polsterung der Sitzfläche weist eben1186 1187 1188 1189
1190
Los 1502, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 233. Los 1502, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 233. Los 1502, Auktionskatalog Sotheby’s 2005, Bd. II, S. 233. „Der Stuhl befindet sich in einem schlechten Zustand. Große Teile der polychromen Fassung und der Vergoldung haben sich vom geschwundenen Trägerholz gelöst und sind verloren oder drohen abzufallen [...] Die Leimverbindungen an den Stuhlzargen haben sich gelöst.“, Sensburg 2007, S. 21. Auf dem Trägerholz wurde ein Kreidegrund als Trägerschicht und darüber die farbige Fassung aufgebracht, im Bereich der Mattvergoldungen wurde auf den Kreidegrund eine orangefarbene Polimentschicht und darauf die Goldauflage aufgebracht, im Bereich der Glanzvergoldung wurde auf den Kreidegrund eine rote Polimentschicht und darauf die Goldauflage aufgebracht, Sensburg 2007, S. 12 und S. 17; die Arbeit Krebs/Schüllers stellt ebenfalls als Erstfassung „eine zweifarbige Gestaltung der Ober-
648 | S AMMLUNGEN DES A DELS falls als einziges der erhaltenen Möbelstücke des Ensembles die originale Form auf1191. Die originalen Bestandteile des Stuhles wurden im Zuge der Restaurierung gesichert, Fehlstellen reversibel retuschiert und fehlende Teile wurden nachgefertigt1192 . Damit wurde der Stuhl sowohl an seinen Entstehungsort zurückgeführt als auch in einen dem originalen Aussehen nahen Zustand gebracht. Abbildung 29: Stuhl nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe, 1. Viertel 19. Jh., Zustand nach Restaurierung
Foto: Richard Borek Stiftung, Braunschweig
Der Stuhl nach einem Entwurf Peter Joseph Krahes ist Beispiel für eine Objektbiographie, welche sowohl Phasen im Sinne seiner Idealbiographie erfuhr als auch solche ohne jegliche Nutzung. Des Weiteren wurden ihm Werte als Ding des Wohnens, als Mittel sozialen Verhaltens und als historisches Objekt zugeschrieben, die sich zum Teil abwechselten und/oder wiederholten. Zu einer seiner Idealbiographie entgegenstehenden Nutzung, wie es für weitere Teile des Ensembles im Staatstheater Braunschweig der Fall war, kam es nicht. Wie auch diese wurde er schließlich Teil einer institutionellen Sammlung, womit die für Dinge des Wohnens wesentlichen (auch physischen) Ding-Mensch-Bindungen zu einem Ende kamen, seine Erhaltung jedoch sichergestellt ist.
1191
1192
flächen“ mit einer „Weißfassung“ sowie einer „Metallauflage“ fest, konnte jedoch nicht feststellen, „[o]b es sich hierbei um eine Gold- oder Silberauflage handelte“, Krebs/Schüller, S. 23 und S. 30; sie vermuten jedoch aus stilistischer Vergleichbarkeit mit weiteren Einrichtungselementen des Theaters eine Silberauflage, Krebs/Schüller, S. 35. Diese ist bei Krebs/Schüller beschrieben, ebenso die Feststellung, dass die im Braunschweigischen Landesmuseum erhaltenen Objekte diese Polsterung nicht mehr aufweisen, Krebs/Schüller, S. 23f. Sensburg 2007, S. 22ff.
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4.2.6 Objektbiographien – Zusammenfassende Bemerkungen Die hier vorgestellten Objektbiographien führen neben der offensichtlichen Heterogenität von Adelssammlungen auch deren durch gemeinsame Standorte, Bindungen und Nutzungen hergestellte Gemeinsamkeit vor Augen. Porzellan, antikes Gefäß, Porträtgemälde, Schmuck und Möbelstück stammen aus unterschiedlichen Zeiten, gelangten auf verschiedenen Wegen in die Sammlungen der Welfen und wiesen voneinander abweichende Nutzungsmöglichkeiten auf, traten jedoch mit den gleichen Menschen in Kontakt und erfüllten ähnliche Funktionen. Alle beschriebenen Biographien waren von sämtlichen typischen Sammelaktivitäten des Adels maßgeblich geprägt, waren somit Teil einer Anhäufung, wurden auf verschiedene Art und Weise gezeigt, erfuhren Maßnahmen der Bewahrung und an mindestens einem Punkt der Biographie auch Maßnahmen der Entsammlung, die jedoch nicht in jedem Fall ausgeführt wurden. Bindungen waren für alle genannten Objekte wesentlich. Keines der Objekte wurde für seine gesamte bisherige Biographie gemäß seiner ursprünglich erdachten Idealbiographie verwendet. Für alle können Wechsel von Ding-Mensch- und Ding-Ding-Bindungen und Schwankungen in den ihnen zugeschriebenen Werten festgestellt werden. Am Beispiel des „Porträts Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis und des „Braunschweig-Diadems“ wird deutlich, dass vor allem enge persönliche Ding-Mensch-Bindungen zur Erhaltung und Nutzung führten, wobei Erinnerungsfunktionen besonders hervorzuheben sind. Das „Braunschweig-Diadem“ erfüllt als einziges Objekt noch heute Funktionen gemäß seiner Idealbiographie. Es ist zudem als einziges der beschriebenen Objekte noch immer im Besitz der Welfen. Durch die Perspektive der Objektbiographien ist es möglich, frühere Bindungen der Objekte sowohl zu Personen als auch zu anderen Dingen nachzuvollziehen. Erst durch deren Feststellung können Bedeutungen erkannt werden. Beispielsweise sind das „Cumberland Service“ und das „Braunschweig-Diadem“ im Zusammenhang mit weiteren Hochzeitsgeschenken zu betrachten. Das „Braunschweig-Diadem“ muss zudem im Kontext eines umfangreichen Schmuckbestandes verstanden werden, welcher nach 1918 – und vor allem nach 1945 – schrittweise immer kleiner wurde. Das „Porträt Friedrichs des Großen“ gibt wesentliche Hinweise auf die Beziehung Friedrichs (II.) von Preußen zu seiner Schwester Philippine Charlotte zu Braunschweig und Lüneburg, aber auch allgemeiner des Adels zu Porträtgemälden von Verwandten sowie einer völlig von dieser unterschiedenen Bindung der Allgemeinheit zu solchen Objekten. Des Weiteren ist an ihm durch seinen kürzlichen Verkauf die Wechselwirkung zwischen Markt und historischem Interesse ablesbar, welche beständiger Teil der Biographie des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ war. Dieses zeigt jedoch auch die zwischen emotionaler Bindung und materiellem Wert schwankenden Bewertungen eines typischen Kunstkammerobjektes auf. Der Stuhl nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe war Teil eines Ensembles, aus welchem immerhin zehn Objekte nachweislich erhalten geblieben sind. Er gibt dabei Auskunft über das originale Aussehen der weiteren neun verbliebenen Möbelstücke. Die Biographie zeigt jedoch auch, dass gerade diejenigen Möbelstücke, welche ihr originales Aussehen durch eine Neunutzung verloren, intensiver DingMensch-Bindungen sowie Ding-Ding-Bindungen aufrechterhalten konnten. Erneut wird deutlich, dass Nutzung für die Sammlungen des Adels vor Unveränderlichkeit
650 | S AMMLUNGEN DES A DELS stand und zur Erhaltung geführt hat. Die spätere Nutzung als Requisiten des Staatstheaters Braunschweig konnte dagegen aufgrund eines von Ding-Mensch-Bindungen unabhängigen Gebrauchs nicht wesentlich zum Erhalt beitragen. Diesen grundsätzlichen Zusammenhang verdeutlicht auch Gillman: „We may not always choose to keep things as they were (think of the adaptation of buildings in Europe over centuries), but in making changes we will want to pay attention to aesthetic value and the value of knowledge.“1193
Die Objekte als Reste von Sammlungen des Adels, welche weder im Sinne des Kulturgüterschutzes, noch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung bisher als Sammlungen anerkannt werden, verweisen in der Betrachtung ihrer Biographien stark auf materiell nicht mehr vorhandene oder nicht zugängliche Sammlungsteile. Diese Verweise sind vor allem mit Hilfe der für Adelssammlungen häufig erhaltenen Inventare möglich, deren Zweckbestimmung das „Wiederauffinden und Reidentifizieren“ ist1194: „Das einzelne Ding ist, unabhängig von seiner materiellen Beschaffenheit, das gleichsam Zugrundeliegende, das „subjectum“ im traditionellen Sinn, das, einem Schatze oder Wahrheit des Philosophen nicht unähnlich, ans Licht gezogen werden soll.“1195 „Ans Licht gezogen“ werden mit Hilfe der Inventare auch biographische Eckdaten, die helfen, Sammlungsbestände zu rekonstruieren. Durch die Existenz einzelner Objekte und dieser Hilfsmittel entstehen umfassende Verweise, die als Stellvertreter für die nicht auffindbaren Objekte dienen können1196 . Damit repräsentieren sie „jenen Ausschnitt der Welt [...], dem sie ursprünglich entnommen worden sind“1197 , auch dann noch, wenn weitere Teile der ehemals größeren Sammlung nicht mehr in direkter Beziehung zu ihnen stehen. Es können daher die verbleibenden Objekte durchaus als Sammlungsbestände angesehen werden, welche Bedeutungsträger sowohl der Zeit vor als auch nach 1918 sind. Die Betrachtung der Objektbiographien vermittelt auch Einblicke in die Entwicklung der Lebensbedingungen der Welfen vor und nach 1918. Alle vorgestellten Objekte befanden sich beispielsweise während des Zweiten Weltkrieges im Schloss Blankenburg, was erneut dessen herausragende Rolle in der Geschichte der Welfen hervorhebt. Dort sind letztmalig wesentliche Bedeutungsebenen von Sammlungsobjekten konzentriert feststellbar, was vorrangig durch danach schwindende Bindungen hervorgerufen wurde. Auch schwindende Nutzungsmöglichkeiten im Sinne der jeweiligen Idealbiographien führten zu geringeren Bindungen und Schwierigkeiten der Bewahrung. In diesen Fällen kann eine Übernahme von Objekten in institutionelle Sammlungen Bewahrungsmöglichkeiten sowie Ding-Ding-Bindungen schaffen. Die Biographien weichen jedoch ab diesem Zeitpunkt grundlegend von den Idealbiogra1193 1194 1195 1196
1197
Gillman, S. 194. Ketelsen, S. 104. Ketelsen, S. 108. „Jeder Eintrag wird mit einer Ziffer versehen, die zum Ausdruck bringt, dass sich das Inventar aus einer kontinuierlichen Folge von Einträgen zusammensetzt. Am Ende dieser Operation ist das einzelne, für sich herausgestellte Ding als Bestandteil einer es umfassenden Vielheit bestimmt [...]“, Ketelsen, S. 117. Stagl, S. 41.
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phien der Objekte ab und Ding-Mensch-Bindungen, die grundsätzlich ein Garant für Erhaltungsmöglichkeiten sind, werden durch einen theoretischen Erhaltungswunsch im Sinne der Idee des kulturellen Erbes ersetzt. Diese Problematik ist mit Heideggers Feststellung zur „rechten Bewahrung des Werkes“ vergleichbar und sollte in der Frage nach zukünftigen Erhaltungsmodellen von Sammlungen des Adels mitgedacht werden: „Die Weise der rechten Bewahrung des Werkes wird erst und allein durch das Werk selbst mitgeschaffen und vorgezeichnet. Die Bewahrung geschieht in verschiedenen Stufen des Wissens mit je verschiedener Reichweite, Beständigkeit und Helligkeit. Wenn Werke dem bloßen Kunstgenuss dargeboten werden, ist noch nicht erwiesen, dass sie als Werke in der Bewahrung stehen ... Selbst die sorgfältige Überlieferung der Werke, die wissenschaftlichen Versuche zu ihrer Rückgewinnung erreichen [...] nie mehr das Werksein selbst, sondern nur eine Erinnerung daran. Aber auch diese kann dem Werk noch eine Stätte bieten, von der aus es Geschichte mitgestaltet. Die eigenste Wirklichkeit des Werkes kommt dagegen nur da zum Tragen, wo das Werk in der durch es selbst geschehenden Wahrheit bewahrt wird.“1198
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„Die Öffentlichkeit heute verbindet [...] die in den Kunstsammlungen sichtbare kulturelle Identität nur mehr mit dem Staat und nicht mehr mit einer gestürzten Dynastie. Der deutlich privat-familiäre Bezug eines Teils der Kunstobjekte wird heute u.a. dazu gebraucht, einen emotionalen Bezug zum Kunstwerk herzustellen, stellt aber die Annahme staatlichen Eigentums nicht in Frage. Eigentums- oder Einflussrechte der vormaligen Herrscherfamilien begegnen damit mitunter einem Unverständnis, in dem sich auch die innere Ablösung von der Monarchie und die gelungene Etablierung der Republik zeigt. Dieses Unverständnis beruht auf einem Nebeneffekt der einvernehmlichen Fürstenabfindungen.“ 1199 C. VON ARETIN
Vorherige Kapitel dieser Arbeit haben deutlich gemacht, dass Veränderungen in der Lebensweise des Adels nach 1918 maßgeblichen Einfluss auf die Bindungen der Familien zu ihren Sammlungen hatten und noch immer haben. Für die Welfen und ihre Sammlungen konnte diese Entwicklung mitsamt ihren Auswirkungen anhand konkreter Ereignisse nachvollzogen werden.
1198 1199
Heidegger, S. 69-70. Von Aretin, S. 183.
652 | S AMMLUNGEN DES A DELS Grundlegende Veränderungen, welche sich bis in die heutige Zeit auswirken, sind bereits für die Zeit vor 1918 festzustellen: die Entmachtung Georgs (V.) von Hannover 1866 und das Leben der Familie im Exil führten zu sich lösenden Ding-MenschBindungen in Bezug auf Objekte, die nicht mehr Teil des aktuellen Lebensbereiches waren. Andererseits wurden ausgewählte Erinnerungsobjekte für die Familie zum Bedeutungsträger und die veränderte Situation führte zur Bewertung ausgewählter Objektbestände als Finanzreserve mit zunächst auch repräsentativen Funktionen. Davon betroffen waren vor allem diejenigen Sammlungsbestände, welche bereits in Hannover, beispielsweise innerhalb des Welfenmuseums, auch durch die Allgemeinheit Wertzuschreibungen erfahren hatten. Dazu gehörten das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ und der „Welfenschatz“. Bestände wie Möbel und Ausstattungsgegenstände erfüllten jedoch weiterhin herkömmliche Funktionen und wiesen typische Objektbiographien auf. Insgesamt kann festgestellt werden, dass sich zu dieser Zeit bereits Wertzuschreibungen veränderten, die Behandlung der Sammlungen jedoch weiterhin die typischen Elemente einer lebendigen Sammlung des Adels beinhaltete. Die Lösung der Braunschweigischen Thronfolgefrage wirkte bezüglich dieser Sammlungsaktivitäten durch die Möglichkeit der Regierungsübernahme im Herzogtum Braunschweig stabilisierend und erweiterte die Sammlungen um noch uneingeschränkt traditionell genutzte Bestände. Der Besitz der hannoverschen Linie der Welfen wurde mit demjenigen der braunschweigischen Linie in einem Familienzweig zusammengeführt. Eine intakte lebendige Sammeltätigkeit ist für die Zeit nach 1918 jedoch nicht mehr uneingeschränkt nachweisbar. Die Veränderungen für die Sammlungen gingen über ihre bisherige Dynamik hinaus, weil die Familie biographische Wendepunkte von Objekten nicht mehr ausschließlich selbst bestimmen konnte. Mehrfache Umzüge sowie die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges lagen nicht in der Entscheidungsgewalt der Familie: Objektverluste und finanzielle Einbußen trafen sie daher umso härter. Parallel führten durch äußere Einflüsse bedingte Veränderungen der Lebensgewohnheiten zu Funktionsverlusten, welche wiederum den Abbruch bisheriger Ding-Mensch-Bindungen zur Folge hatten. Verluste und finanziell begründete Verkäufe ließen schließlich auch Ding-Ding-Bindungen sowie Idealbiographien abbrechen. Für diese Entwicklung sind mehrere Stufen zu unterscheiden: während die gesamte Familie direkt nach 1918 in Österreich lebte, konnten Objekte noch Funktionen als Mittel sozialen Verhaltens übernehmen und als Erinnerungsobjekte fungieren, als Porträts den Bezug zur Familie aufrechterhalten und als Dinge des Wohnens zu einem standesgemäßen Leben beitragen. Diese Bedeutungsebenen waren jedoch vorrangig durch die durch Ernst August von Cumberland genutzten Sammlungsteile im Schloss Cumberland gegeben, weniger jedoch im direkten Alltagsleben Ernst Augusts (III.) von Hannover und seiner Familie. Im Zusammenhang mit typischen Veränderungen beim Übergang einer älteren Generation auf eine jüngere war die Übernahme Schloss Cumberlands jedoch nicht das Ziel Ernst Augusts (III.) von Hannover. Dieser konzentrierte sich einerseits auf den Rückgewinn von Besitz und Sammlungsbeständen in Deutschland auf rechtlichem Weg und andererseits auf eine Neupositionierung der Familie durch Unternehmertum. Neben dem Anhäufen durch Rückgewinn war diese Zeit vor allem durch finanziell begründete Verkäufe geprägt. Als nächste Phase der welfischen Sammlungen ist die Zeit im Schloss Blankenburg zu nennen, die gleichzeitig als bedeutendste Phase der traditionellen Samm-
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lungsbehandlung nach 1918 zu verstehen ist. Durch die bewusste Auswahl von Objektbeständen aus dem Braunschweiger Schloss, gezielte Umbaumaßnahmen in Blankenburg und die Mitnahme von Beständen aus Schloss Cumberland wurden Ding-Mensch-Bindungen aufrechterhalten und/oder reaktiviert. Die Objekte fungierten als Mittel sozialen Verhaltens, Erinnerungsobjekte und Dinge des Wohnens. Porträts stellten erneut Verbindungen zu vorherigen Generationen der Familie her, wobei sich Ernst August (III.) von Hannover, Bezug nehmend auf seine Funktion als Herzog von Braunschweig, bewusst auch in die Tradition des braunschweigischen Familienzweiges stellte. Im Sinne lebendiger Sammlungen übernahmen die Objekte wieder Funktionen des Zeigens, und es wurden im Rahmen des Alltagslebens Bewahrungsmaßnahmen getroffen. Die Bestände waren zudem an die Bedürfnisse der neuen Generation angepasst worden. Durch die im Zuge der Folgen des Zweiten Weltkrieges nötige Aufgabe Schloss Blankenburgs und den Umzug ins Schloss Marienburg kam diese Phase der Regeneration zu einem jähen Abbruch. Die Zeit im Schloss Marienburg war zunächst von den Umständen der Nachkriegszeit geprägt. Eine traditionelle Behandlung von Sammlungsbeständen konnte dort nur eingeschränkt ein zweites Mal wieder aufgenommen werden. Zahlreiche Ding-Mensch-Bindungen kamen seit dieser Zeit durch Nichtnutzung zu einem Ende. Es folgte wenige Jahre später durch den Tod Ernst Augusts (III.) von Hannover ein erneuter Generationswechsel, der den Beginn der vierten feststellbaren Phase markiert. Diese wurde deutlich mit der Aufgabe des Schlosses als Wohnsitz durch Ernst August (IV.) von Hannover und der weitgehenden Trennung in Sammlungsbestände, welche öffentlich gezeigt wurden, und solche, die rein privat genutzt wurden. Gezielte Objektabgaben führten die finanziell begründeten Verkäufe fort, wurden jedoch weniger stark als solche kommuniziert. Diese geringere Kommunikation, auch durch Ernst August (V.) von Hannover, stand in Wechselwirkung mit einer sich verändernden öffentlichen Wahrnehmung, welche dem Adel die Rolle als Kulturbewahrer zuschreibt und zugleich kritisch feststellt, dass er diese nicht ausfüllt. Die Aufgaben der Objekte als Mittel sozialen Verhaltens wandelten sich und waren weniger deutlich erkennbar. Dies gilt auch für die Aufgaben der Dinge des Wohnens, der Erinnerungsobjekte und Porträts, die möglicherweise noch privat aufrechterhalten wurden/werden, aber keinen Stellenwert mehr im allgemeinen Bewusstsein haben. Das Ende dieses Zeitraums markiert die radikale Entsammlungsmaßnahme in Form einer Auktion 2005 im Schloss Marienburg. Diese Maßnahme, initiiert von Ernst August (VI.) von Hannover, scheint ein neues Interesse am Familienbesitz ermöglicht zu haben. Ob die neue Beschäftigung mit den verbliebenen Beständen im Schloss Marienbur – sowie weiteren unbekannten Sammlungsteilen – zur Reaktivierung von Ding-Mensch-Bindungen sowie Bedeutungsebenen führen wird, ist noch nicht absehbar. Die genannten biographischen Wendepunkte sowohl der Familie als auch der Sammlungsobjekte waren teils Auslöser, teils Ergebnis sich lösender Bindungen der Familie zu ihrem Besitz und hatten nachhaltige Auswirkungen. Die bis 1918 lebendige Sammeltätgkeit ist heute einem wirtschaftlich orientierten Besitzverhalten gewichen. Auch der Bereich der Kulturpflege ist in diesem Bereich angesiedelt, jedoch nach der Einrichtung des Museums im Schloss Marienburg und der öffentlich zugänglichen Räume im Fürstenhaus in Herrenhausen in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts immer stärker abgeflacht. Im Verkauf 2005 kulminierten bei Außenstehen-
654 | S AMMLUNGEN DES A DELS den Ängste eines völligen Abbrechens kultureller Traditionen und verbanden sich mit Hoffnungen auf eine professionelle Neuaufnahme derselben. Beides hat sich bisher nicht bestätigt, da Bereiche des Schlosses Marienburg weiterhin öffentlich zugänglich blieben, eine aufwertende Beschäftigung mit den Sammlungen jedoch nicht feststellbar ist. Das Fürstenhaus-Museum wurde allerdings für die Öffentlichkeit geschlossen. Die exemplarische Veranschaulichung biographischer Wendepunkte von Sammlungsobjekten aus dem Besitz der Welfen hat verdeutlicht, dass schrittweise und punktuell die identitätsstiftenden Bindungen der Familie durch ein allgemeines Interesse im Sinne des kulturellen Erbes ersetzt wurden. Zahlreiche Einzelobjekte wechselten in den Bereich institutioneller Sammlungen und wurden entsprechend als museale Objekte neu bewertet. Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen wirkten jedoch nur in Einzelfällen auf diese biographischen Entwicklungen ein. Obwohl Wienforts Feststellung, dass sich „[d]ie größte Kontinuität [...] vermutlich unter den Familien des dynastischen Adels, also den ehemals regierenden Häusern und bei den südwestdeutschen Standesherren [findet]“1200 , grundsätzlich zuzustimmen ist, gilt dies für die folgende Aussage, „Grundbesitz und Vermögen sind hier intakt geblieben, und damit geht die Beibehaltung eines traditionellen Lebensstiles vielfach einher“1201 , in Bezug auf die Sammlungen der Welfen in ihrer Entwicklung von 1918 bis heute nicht. Während die Beschreibung der biographischen Wendepunkte der welfischen Sammlungen im Kontext der biographischen Veränderungen der Familie zur Verdeutlichung einer allgemeinen Entwicklung beitrug, konnten ausführlichere Biographien von Einzelobjekten diese aus einer anderen Perspektive beleuchten. Diese Objektbiographien machten auch auf die biographischen Gemeinsamkeiten von Objekten aus Adelssammlungen aufmerksam, welche deren starke Heterogenität überwinden. Trotz der bereits in ihrer Gattung begründeten Unterschiede eines Porzellanservices, eines antiken Gefäßes, eines Porträtgemäldes, eines Diadems sowie eines Stuhls aus verschiedenen Entstehungszeiten konnten neben gleichen Standorten auch gleiche Funktionen verdeutlicht werden. Das „Cumberland Service“ ist beispielhaft für den Abbruch von Idealbiographien, der durch historische Entwicklungen verursacht wurde. Allein Erinnerungswerte und, in eingeschränkter Form, seine Nutzung als Mittel sozialen Verhaltens, konnten zu seiner Bewahrung führen, die jedoch – nicht zuletzt aufgrund seines Materials – nie gesichert war. Für das „Mantuanische Onyxgefäß“ führte der ihm durch die Wissenschaft zugeschriebene Kunstwert seit seiner Eingliederung in eine institutionalisierte Sammlung zu einer unveränderten Bewahrung, die allein im Zweiten Weltkrieg bedroht war. Die Anekdote seines Einsatzes zur „Rettung“ Schloss Blankenburgs 1945 ist jedoch heute derjenige biographische Wendepunkt, der hervorgehoben wird und Interesse weckt: der einzige Moment also, in welchem das Gefäß aus seiner neutralisierten Museumsatmosphäre enthoben wurde, so dass erneut biographische Veränderungen möglich waren.
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Wienfort 2006, S. 160. Wienfort 2006, S. 160.
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Das „Porträt Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis ist dagegen ein Beispiel sich stark verändernder Ding-Mensch-Bindungen, die abhängig von Wertzuschreibungen sind. Zunächst wurde dem Porträt kein außergewöhnlich hoher Kunstwert zugeschrieben, es blieb aber durch seine Funktion als Erinnerungsobjekt und Vermittler zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bedeutend, bis ebendiese Funktionen abnahmen und der ihm zugeschriebene Kunstwert dagegen stark anstieg. Wie auch das „Mantuanische Onyxgefäß“ verdeutlicht seine Biographie, dass Kulturgüter im Laufe ihrer Biographien wiederholt auch zur Ware werden können, ohne dass dies ihre Bedeutung schmälert. Ein persönliches, aufgrund seiner Größe und seiner Funktion als „Mobilie par excellence“, von Umzügen unberührtes Schmuckstück wie das „BraunschweigDiadem“ konnte bis heute seine Bedeutung für die Familie bewahren. Seine Biographie verdeutlicht die bisher wenig beachtete Bedeutung von Schmuck für den Adel. Sowohl das Porträt als auch das Diadem zeigen zudem auf, dass sich Ding-MenschBindungen in Objekte einschreiben und in diesen weitergetragen werden können. In diesen Fällen fungieren Dinge als direkte Vermittler zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Biographie des von seinem Ensemble getrennten Stuhls nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe war dagegen von ständigen Wendepunkten geprägt, die frühere Ding-Mensch-Bindungen nicht mehr sichtbar werden ließen. Der Kontextverlust, der sich aus mehreren Standortwechseln ergab und schließlich in der Überführung ins Schloss Marienburg wiederholt wurde, führte zum Funktionsverlust und dazu, dass dem Objekt kaum Werte zugeschrieben wurden. Seine Bedeutung als Ding des Wohnens und Stellvertreter für ein Objektensemble wurde jedoch durch die Feststellung ehemaliger Ding-Ding- und Ding-Mensch-Bindungen erneut sichtbar. Wesentlich ist darüber hinaus die Feststellung von Wechselhaftigkeit und Dynamik, die Objektbiographien im Allgemeinen eigen sind, so lange sie durch DingMensch-Bindungen mit menschlichen Biographien verknüpft bleiben. In diesem Zusammenhang kann Veränderung zum Erhalt führen, welcher grundsätzlich durch persönliche Ding-Mensch-Bindungen gefördert wird. Diesbezüglich muss die museale Bewahrung hinterfragt werden, die sich allein auf die Idee des kulturellen Erbes beruft. Die Bewertung allein nach wissenschaftlichen Kriterien ist darüber hinaus unmöglich: ein materieller Wert, wie er im Falle des „Mantuanischen Onyxgefäßes“ immer offen formuliert wurde, bleibt auch bei Objekten in institutionellen Sammlungen bestehen und ein auf Bindungen beruhender persönlicher Einfluss der Entscheidungsträger ist ebenfalls nicht völlig auszuschließen. Die Objektbiographien geben darüber hinaus Hinweise auf die historische Entwicklung ihrer Besitzer, verdeutlichen Bindungen von Menschen untereinander und Bedeutungsebenen von Objektgruppen. Sie können Hinweise auf weitere Objekte geben, selbst wenn diese nicht mehr existieren oder stark verändert sind. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die verbleibenden Objekte noch immer als Sammlungsbestände zu betrachten sind, da sie als Stellvertreter für Verlorenes fungieren können. Der Überblick über die Sammlungen der Welfen nach 1918 gibt des Weiteren Hinweise auf die in Kapitel 1 vorgestellte Kritik am Verkauf von Sammlungsbeständen im Jahr 2005: Der scheinbare Statuswechsel der Objekte vom Kulturerbe zur Ware wird aufgehoben durch die Feststellung, dass der Adel selbst diese Unterschei-
656 | S AMMLUNGEN DES A DELS dung nicht vornimmt, da dessen traditionelle Nutzungsmöglichkeiten für Sammlungen weiter gefasst sind als die des kulturellen Erbes. Da für das Haus Hannover (im Gegensatz zu weiteren Adelshäusern) die Sammlungen bisher kein wesentlicher Bestandteil der wirtschaftlichen Unternehmen wurden, wurden sie nach ebendiesen traditionellen Gesichtspunkten – nicht aber nach denjenigen des kulturellen Erbes – bewertet. Das Zusammenspiel traditioneller Entsammlungstätigkeit mit sich lösenden Bindungen und einer auf Bewahrung abzielenden Erwartungshaltung der Öffentlichkeit hat zu einer von Kritik begleiteten radikalen Maßnahme geführt. Während diese Erwartungshaltung der Kulturpflege von außen an das Haus Hannover herangetragen wird, sind gleichzeitig deutliche Brüche der öffentlichen Kulturpflege von 1918 bis heute feststellbar. Auffällig ist der Verlust von ehemals welfischen Beständen, welche durch die Auseinandersetzungsverträge dem Staat zugesprochen worden waren1202 . Gerade vor diesem Hintergrund, in Kombination damit, dass diese Verträge nicht im öffentlichen Gedächtnis verankert sind, erscheinen Verkäufe von Kulturgut durch den Adel als bedrohliche Ereignisse. Von Rohr hatte bereits 1985 in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung der Bestände im Schloss Marienburg und im Fürstenhaus-Museum Herrenhausen aufmerksam gemacht: „Die meisten hannoverschen Schlösser und Adelssitze wuren im II. Weltkrieg zerstört. Geblieben sind wenigstens in wiederaufgebautem oder restauriertem Zustand im Stadtzentrum das Leineschloß und das Wangenheim-Palais und in Herrenhausen die Galerie, Orangerie und der Garten sowie die beiden Sommersitze des Adels, in denen heute das Wilhelm-Busch-Museum und das Herrenhausen-Museum untergebracht sind. Von der Innenausstattung der hannoverschen Schlösser sind bis auf die Wandmalereien und die Büsten in der Galerie nur einzelne Möbelgruppen oder Stücke erhalten, insbesondere im Schloß Marienburg bei Nordstemmen und im Herrenhausen-Museum.“1203
Es entsteht durch diese Entwicklung der Eindruck, die adligen Familien seien im Besitz nahezu sämtlicher Bestände gewesen, da diejenigen Sammlungsteile, die im öffentlichen Besitz verblieben und bis heute erhalten sind, in der Regel nur bei gleichzeitiger Erhaltung des Kontextes als Adelssammlungen wahrnehmbar wären. Dieser Umstand ist auch mit einer noch heute feststellbaren Ablehnung von Adelskultur verbunden, welche dazu führt, dass die in öffentlichen Sammlungen befindlichen Objekte durch die vorrangige Zuschreibung wissenschaftlicher Werte und eine entspre1202
1203
Durch Verkäufe, Abgaben und vor allem Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Auf die Verluste des Zweiten Weltkrieges als Ursache des Wunsches der heutigen Generation nach Wiederherstellung von Altem weist auch Graf Spreti hin. Er sieht darin das heutige Interesse an den Sammlungen der Welfen mitbegründet, Gespräch Graf Spreti; auch Luh weist in seiner Untersuchung zum Hohenzollern-Museum auf die Verluste hin: „Von den mehr als 11.000 Objekten des Hohenzollern-Museums überstand mit etwa 6.000 wohl gerade einmal etwas mehr als die Hälfte den Weltkrieg und die Nachkriegszeit – obwohl das Inventar zum größten Teil seit September 1940 in Kisten verpackt und ausgelagert worden war [...]“, Luh, S. 214-215; der Bestand im Berliner Schloss ging durch Bombardierungen und Abtransport durch die Rote Armee weitgehend verloren, Luh, S. 215. Von Rohr 1985, S. 255.
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chende Präsentation „neutralisiert“ oder, wie Luh feststellt, nicht als Zeugen der Adelskultur, sondern als Beispiele der Entwicklung des Kunstgewerbes und der Wohnkultur allgemein verstanden werden1204 . Auf diese Weise wurden sie offensichtlich in das System der neuen Staaten übertragen, jedoch nicht in dieses integriert, so dass Grasskamps Aussage auch auf unsere Zeit übertragbar ist: „Der unverhohlene Beutecharakter der Sammlungen, das Museum als Sammelplatz von Siegestrophäen aus dem erfolgreichen Kampf gegen Adel und Kirche, das sind Aspekte, die der historischen Ausrichtung der Kunstmuseen das Gewicht politischer Erfahrung verliehen.“1205
Seit Ende des 20. Jahrhunderts spiegelt sich das wiedererwachte Interesse an den Zeichen des Adels jedoch vor allem in der Rekonstruktion zerstörter Schlossbauten – wie im Falle der Welfen in Braunschweig und Herrenhausen1206 – wider. Diese Bauten sollen als neue kulturelle Zentren im Dienst der Allgemeinheit stehen und beherbergen nur zum Teil zusammengetragene Sammlungsbestände (wie im Fall des kleinen Schlossmuseums in Braunschweig). Auch in diesen Fällen steht damit der Wunsch der Aneignung durch die heutige Generation vor dem Wunsch nach Erhaltung der originalen Bestände im Schloss Marienburg, des Schlosses Blankenburg oder kleinerer Schlösser wie beispielsweie in Herzberg 1207. Diese Entwicklung, wurde bereits in Bezug auf Schlosshotels und „Events“ im Schlossumfeld beschrieben. Gleichzeitig wird jedoch die positiv bewertete Symbolkraft dieser Immoblien deutlich, deren Verlust städtebauliche Lücken hinterlassen hatte, die zu schließen waren. Für die Immobilien ist damit möglich, was für die Sammlungen bisher nicht gelang: die Annahme von Zeichen des Adels als wesentliche Elemente heutiger kultureller Identität. Die Sammlungen der Welfen erfuhren seit 1918 zahlreiche Wendepunkte, welche zum Teil unwiderrufliche Veränderungen hervorriefen. Der letzte wesentliche Wendepunkt – der Verkauf von ca. 20.000 Objekten 2005 – der gleichzeitig Ausgangspunkt dieser Arbeit war, hat vor Augen geführt, dass die über Jahrhunderte andauernden lebendigen Sammlungstätigkeiten der Familie in ihrer bisherigen Form an einen Endpunkt gelangt sind. Es ist im Hinblick auf die hier festgehaltenen Erkenntnis1204
1205 1206 1207
„Aufgrund der schweren Verluste, die die Berliner Museen in diesem Krieg erlitten haben, dokumentieren viele Objekte aus der Sammlung des Hohenzollern-Museums heute als einzig erhaltene Zeugen die Entwicklung des Kunsthandwerks und der Wohnkultur in ganz Deutschland. Mit anderen Worten: Die ‚politische Erbschaft‘ der Monarchie hat die Republik abgelehnt, sie nahm jedoch die Erbschaft des Hohenzollern-Museums als eine historisch-kulturelle an, um kunsthistorische und kunstgewerbliche Aspekte der Vergangenheit am Objekt versteh- und erlebbar zu machen.“, Luh, S. 216; die Übernahme der historisch-kulturellen Erbschaft beinhaltete jedoch damit nicht, die Kultur des Adels als solche erlebbar zu machen. Grasskamp 1981, S. 26. Vgl. Schlossmuseum Braunschweig, abrufbar unter: http://www.schlossmuseum-braun schweig.de/; vgl. Schloss Herrenhausen. Das Schloss ist im Besitz des Landes Niedersachsen und beherbergt Teile des Amtsgerichtes, vgl. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2009: Bürgermeister klagt an: Das Herzberger Welfenschloss verrottet.
658 | S AMMLUNGEN DES A DELS se zu hinterfragen, ob der Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie institutionelle Sammlungen diesbezüglich tätig werden können, ohne noch bestehende Bindungen (zu Standorten, Menschen und weiteren Objekten) zu lösen. Kann das wiedererwachte Interesse an Objekten der Adelskultur – die positive Annahme der Immobilien zur Festigung eigener Identitäten – genutzt werden, um noch bestehende Sammlungsbestände im Sinne einer lebendigen Sammeltätigkeit zu erhalten, oder ist der bisherige „neutralisierende“ Weg der einzig mögliche? Ist es möglich, neue Wege für deren Erhalt zu finden? Diesbezüglich wäre eine Erforschung noch bestehender Sammlungsbestände der Welfen ebenso erkenntnisreich wie weiterführende Forschungen auf dem Gebiet der Objektbiographien. Eine Erstellung des Gesamtbestandes von Objekten aus den Sammlungen der Welfen in öffentlichen Sammlungen (die in der Region beispielsweise durch das Braunschweigische Landesmuseum, das Herzog Anton Ulrich-Museum in Braunschweig, das Bomann-Museum in Celle, das Historische Museum in Hannover und das Museum im Schloss Wolfenbüttel zahlreich sind) wäre ein wichtiger Schritt. Forschungen zu den Schlössern Blankenburg und Marienburg in ähnlicher Form wie die Arbeit Wedemeyer/Willemsens für das Braunschweiger Schloss wären diesbezüglich ebenfalls kostbar. Forschungsvorhaben dieser Art sind jedoch nur durch die Mitarbeit des Hauses Hannover und die Öffnung entsprechender Archivbereiche möglich. Auch dies könnte für die Familie eine moderne Form kulturellen Engagements sein.
Kapitel 5: Ergebnis und Ausblick „Glücklich das Land, in dem Regierende und Fürstengeschlechter unter höchster öffentlicher Aufmerksamkeit darüber streiten, wem Gemälde, Bücher und Handschriften von unschätzbarem Wert gehören: dem Schlossherrn oder dem Volk.“ 1 E. ELITZ
Z USAMMENFASSENDE B EMERKUNGEN Menge und Vielfalt der 2005 durch Sotheby’s und den Kunstberater Graf Douglas verauktionierten Objekte aus dem Haus Hannover boten Anlass zum Streit um diese Teile des kulturellen Erbes, entfachten jedoch „nur“ eine Diskussion: Die Presse berichtete über die Verkaufsargumente von Ernst August (VI.) und Christian von Hannover, der Verkauf sei Beginn und Finanzierung eines modernen und wirtschaftlichen Konzepts zur Nutzung des Schlosses als Touristenattraktion. Die Argumente von Museumsdirektoren und einem Verwandten der beiden Prinzen, es handele sich um Objekte des kulturellen Erbes, welche als Quellen zur Erforschung der Landesgeschichte sowie zur Herausbildung einer regionalen Identität durch einen rein finanziell begründeten Verkauf der Öffentlichkeit verloren gingen wurden ebenso wiedergegeben; ergänzt durch die Meinung, deren Bewahrung sei in den Händen privater Käufer nicht gewährleistet und müsse eigentlich durch die Adelsfamilie selbst geleistet werden. Zu einem Streit zwischen „Regierenden und Fürstengeschlecht“ darüber, ob die in 4.740 Losen (plus die so genannten „Kellerlose“) verkauften Gemälde, Waffen, Rüstungen, Keramik- und Glas-, Silber- und Vitrinenobjekte, Uhren, Skulpturen, Möbel, Textilien und Druckgrafiken, die sich seit Jahrzehnten im Schloss Marienburg befunden hatten, welche zum Teil aus den Schlössern Blankenburg, Herrenhausen, Cumberland und Braunschweig und aus dem Besitz der Kurfürsten und Könige von Hannover, der Könige von England und der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg stammten, im Sinne des kulturellen Erbes erhalten, öffentlich zugänglich gemacht, an die Region oder ihren Aufbewahrungsort gebunden werden sollten, kam es jedoch nicht. Stattdessen informierte die Presse über die Haltung des Landes Niedersachsen: es waren keine Ankäufe geplant, ein Vorkaufsrecht für institutionelle Sammlungen führte nur zu wenigen Ankäufen, da diese bereits vergleichbare Objek1
Elitz, S. 6.
660 | S AMMLUNGEN DES A DELS te besäßen und die angebotenen Objekte nicht von herausragender Bedeutung seien. Dies wurde daran festgemacht, dass keines in die Liste national wertvollen Kulturgutes eingetragen sei. Der Hinweis auf ein Instrument des Kulturgüter- und Denkmalschutzes macht deutlich, dass diesem die alleinige Verantwortung der Auswahl schützenswerter Objekte übertragen wird. Die Situation scheint damit eindeutig zu sein und keinen Streit zuzulassen: ein umfangreiches und auf historischen Vorläufern basierendes Netz rechtlicher Vorschriften auf Landes-, Bundes- und Europa-Ebene sowie weltweit gültiger internationaler Abkommen, ergänzt durch zahlreiche nicht rechtsverbindliche Richtlinien, regelt diese Aufgabe. Nötige Eingriffe in Eigentümerrechte werden durch das öffentliche Interesse begründet2 und durch die Wahrung wirtschaftlicher Zumutbarkeit gemildert. Ob man davon ausgeht, dass der Kulturgüter- und Denkmalschutz bezüglich des beschriebenen Verkaufs nicht aktiv wurde, da die veräußerten Objekte nur von geringer Bedeutung seien, oder im Umkehrschluss feststellt, dass die Objekte von geringer Bedeutung seien, weil der Kulturgüter- und Denkmalschutz nicht eingeschritten ist: in beiden Fällen greift die Argumentation zu kurz. Die Idee des kulturellen Erbes geht davon aus, dass die gesamte Menschheit der Gegenwart und Zukunft Erbnehmer aller aus der Vergangenheit überkommener Güter ist. Daraus ist ein öffentliches Interesse sowie, damit verbunden, der Anspruch auf Mitbestimmung über das Schicksal dieser Objekte und das Recht auf (beschränkte) Eingriffe in das Eigentumsrecht abzuleiten. Die jetzige Generation ist verpflichtet, möglichst umfangreiche Bestände dieses Erbes in die Zukunft zu überführen. Das Erbe muss angenommen und vergrößert werden, was eng mit der Zuschreibung von Werten verknüpft ist. Die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ermöglicht die Herausbildung eines kollektiven Gedächtnisses und ist damit Teil unserer Identität3. Die Rechtsvorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes sind Instrumente dieser Idee, die heute vor allem die Aufgabe des Einschränkens erfüllen. Sie ersetzen jedoch nicht die ständige Aufgabe der Auswahl derjenigen Güter, welche geeigneter Erhaltungsmaßnahmen bedürfen4. Die Unmöglichkeit der Festschreibung einer sol2 3
4
Laut Artikel 14, GG sind Einschränkungen zugunsten des Gemeinwohls zulässig. Dies beantwortet die in Kapitel 1 gestellte Frage – Was genau beinhaltet die Vorstellung der „Verpflichtung zum Erhalt des (kulturellen) Erbes“ in Hinblick auf ihren Gegenstand sowie notwendige Maßnahmen und wen betrifft sie?: Inhalt der Vorstellung sind sämtliche aus der Vergangenheit überkommene Güter, notwendige Maßnahmen können rechtlicher Art sein, müssen jedoch permanent an aktuelle Gegebenheiten angepasst werden, wofür alle Erbnehmer – die Gesamtheit der Menschen – sowohl Rechte als auch Pflichten übernehmen und damit verantwortlich sind. Die in Kapitel 1 gestellte Frage – Haben Politik und öffentliche Einrichtungen eine „Aufsichtspflicht“ bezüglich des Erhalts von bedeutendem Kulturgut und wie kann diese ausgeführt werden? – ist damit insofern zu beantworten, dass eine „Aufsichtspflicht“ allgemeingültig ist und generell allen Erbnehmern – also der Allgemeinheit – obliegt. Zwar sind Politik und öffentliche Einrichtungen als Vertreter der Allgemeinheit diesbezüglich besonders gefordert, sind jedoch in der Erfüllung dieser Aufgabe auf Hinweise und Anregungen angewiesen, welche – nicht nur, aber vor allem – durch die Fachwissenschaft angeregt werden sollten.
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chen Auswahl für mehrere Generationen ist Hintergrund der weiten Definitionen von Kulturgut in sämtlichen Rechtsvorschriften5. Darüber hinaus fokussieren zahlreiche dieser Rechtsvorschriften auf den Abwanderungsschutz6. Dies liegt jedoch vor allem in einer juristischen Notwendigkeit begründet, die aufgrund der Beteiligung mehrerer Staaten in der Natur der Sache liegt. Zudem weist diese Tatsache darauf hin, dass auch der Kulturgüter- und Denkmalschutz nicht frei von wirtschaftlichen Interessen ist, die beispielsweise mit dem Kunsthandel sowie dem Tourismus verbunden sind. Die geographische Bindung von Kulturgut darf allerdings nicht isoliert von den weiteren Konsequenzen der Idee des kulturellen Erbes betrachtet werden. Wesentlich sind dabei Maßnahmen zum Schutz vor Zerstörung und der Pflege7. Auch der Gewährleistung einer öffentlichen Zugänglichkeit8 sowie einer besseren Nutzungsmöglichkeit durch Kontexterhalt9 muss Rechnung getragen werden. Mehrere Faktoren haben dazu geführt, dass Objektbestände in Adelsbesitz bisher nur vereinzelt Inhalt der Überlegungen zur Weitergabe des kulturellen Erbes an die nächste Generation waren. Einerseits hatten die infolge der Revolution 1918 entstandenen Staaten im Zuge von rechtlichen Auseinandersetzungen große Teile dieser Bestände übernommen und in institutionelle Sammlungen überführt, was zunächst als ausreichend erachtet wurde. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt, trotz langwieriger Versuche, die typischen rechtlichen Vermögensbindungen des Adels aufzulösen, viele dieser Fideikommisse und Hausgüter noch wirksam, und ihre Funktion, auch Teile des kulturellen Erbes zu schützen, verlängerte der Gesetzgeber Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts auch nach deren Auflösung durch rigorose Maßnahmen, welche alle Ebenen des Kulturgüterschutzes umfassten. Damit beruhte der Schutz des kulturellen Erbes aus Adelsbesitz seit 1918 einerseits auf der Bewahrung von Objekten in institutionellen Sammlungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, und andererseits auf dem Erhalt von Beständen im Besitz der Familien, welcher sowohl öffentlich zugängliche als auch private Anteile enthielt. Bereits in der direkten Folge des Machtwechsels 1918 liegt zudem eine Ursache für die Problematik des Erhalts von Adelssammlungen begründet. Die Aneignung und teilweise Zerstörung des Besitzes überwundener Herrschaften ist Teil des revolutionären Aktes. Ebendieser kam aber weder 1918 noch in der Folgezeit zur Vollendung. Es kam zu geringen Plünderungen und zur Beschlagnahmung sämtlichen Besitzes. Die starke Idee des kulturellen Erbes verhinderte jedoch weitgehend Zerstörungen, während darüber hinaus die Verfassung der Weimarer Republik durch die Verankerung des Eigentumsschutzes zur rechtlichen Regelung der Besitzverhältnisse und Rückgabe von Teilen des Besitzes an die Familien führte. Der direkte Umgang 5
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Die in Kapitel 1 gestellte Frage – Welcher Art von Kulturgut kommt eine Bedeutung zu, die einen Eingriff in das Recht auf Eigentum (und dessen Veräußerung) erlauben könnte oder sogar nötig werden lässt? – ist damit nicht zu beantworten, da die Auswahl einer ständigen Überprüfung unterliegt und von Generation zu Generation neu bewertet werden muss. 3. Ebene = räumliche Nähe der Objekte/geographische Bindung. 1. Ebene = Erhaltung der Objekte. 2. Ebene = Erreichbarkeit der Objekte. 4. Ebene = Erhaltung des Kontextes.
662 | S AMMLUNGEN DES A DELS mit den Objekten aus Adelsbesitz war damit nicht von Zerstörungswillen, sondern von überlegener Neutralität geprägt: es kam zur Abgabe an Behörden sowie weitere Einrichtungen und zur Einrichtung von Schlossmuseen, welche die vorgefundenen Räumlichkeiten neu präsentierten10. Objekte, die als Kunstwerke von hoher Qualität bewertet wurden, entfernte man aus diesen und überführte sie in Kunstmuseen. Diese hatten die neuen Staaten, komplett oder in Zusammenarbeit mit den ehemals herrschenden Familien, übernommen. Die Schlossmuseen sollten einen geleiteten Blick auf die Wohnkultur des Adels ermöglichen, während die Kunstmuseen Objekte als einzelne Kunstwerke neutralisiert präsentierten. In Braunschweig kam es bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zur Auflösung des Schlossmuseums. Das Schloss selbst wurde nach der teilweisen Zerstörung durch Bombenangriffe 1961 abgerissen. In Hannover hatte es durch die vorrangig behördliche Nutzung ehemaliger Wohnsitze nach der Entmachtung Georgs (V.) von Hannover durch Preußen kein derartiges Schlossmuseum gegeben. Damit war im ehemaligen Herrschaftsbereich der Welfen das kulturelle Erbe aus Adelsbesitz, das sich in öffentlicher Hand befand, nach 1945 auf Einzelobjekte und Rauminstallationen in historischen sowie Kunstmuseen reduziert. Ausnahmen bieten das Museum im Schloss Wolfenbüttel sowie die Ausstellungsflächen im Schloss Celle, welche wissenschaftliche Betreuung und Schlossumfeld verbinden. Die auf ehemals herzogliche Sammlungen zurückgehenden Bestände des Herzog Anton Ulrich-Museums und der Herzog August-Bibliothek zeigen wertvolle Bereiche von Adelssammlungen, sind jedoch heute Teil eines institutionellen Sammlungswesens, welches sich durch Weiterentwicklung von den Merkmalen der Adelssammlung entfernen musste. Einzelobjekte können noch heute in diese Institutionen überführt werden. Sämtliche Museen stehen heute aber vor dem Problem geringer Ankaufsetats, voller Depots, Wettbewerbsdruck und Ausstellungsaufgaben. Eine Überführung großer Bestände, wie derjenigen, die 2005 durch die Welfen verkauft wurden, in diese Museen ist nicht möglich. Wesentlich für die Entwicklung des Adels war des Weiteren der Zweite Weltkrieg mit großen Objektverlusten in allen Bereichen. Die Nachkriegszeit war von einem radikalen Erneuerungsstreben geprägt, welcher wenig Raum für die Kultur des Adels ließ, die parallel dazu Teil der Populärkultur wurde. Die schließlich in der Entwicklung des Kulturgüter- und Denkmalschutzes vor allem nach den Verlusten des Zweiten Weltkrieges immer weiter gefassten Bereiche schützenswerter Objekte machen es heute nötig, die in den Rechtsvorschriften geforderte (besondere) Bedeutung immer enger auszulegen. Zudem sehen sich die zuständigen Schutzbehörden bei gleichbleibend geringer personeller Ausstattung mit immer größeren Aufgabengebieten konfrontiert. Nur für in mehrerer Hinsicht hoch bewertete Objekte, denen beispielsweise sowohl kunsthistorische als auch historische, ästhetische und materielle Werte zugeschrieben werden, kommt es zur Überführung in die Museen. Diese sind damit zu Schutzräumen von „Highlight-Objekten“ geworden und verfügen nicht selten in ei10 Das von Schalenberg erwähnte, in den 20er Jahren weit verbreitete Argument der „organisch gewachsenen“ Einheit, welches „gegen den Abtransport der Interieurs durch die fürstlichen Eigentümer“ eingesetzt wurde, Schalenberg, S. 187, ist damit zu entkräften, da es sich eben nicht um die reine Übernahme der gewachsenen Bestände handelte.
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ner Art Zweiklassensystem zusätzlich über zahlreiche, geringer bewertete, Depotobjekte. Parallel dazu können Schlossmuseen der öffentlichen Hand konzentriert auf diejenigen Bestände zurückgreifen, die eine ausgewählte Epoche der Adelsherrschaft wiedergibt. In der Regel bietet sich diejenige Zeit an, welche auch durch die erhaltene Architektur des Schlosses repräsentiert wird. Darüber hinaus bietet sich die Zeit des Barock aufgrund der eindrucksvollen Prunkentfaltung auf dem Höhepunkt der Macht zahlreicher Höfe an, um das Interesse der Besucher an ebendieser Vorstellung von Adel (König, Kaiser und Prinzessin) zu erfüllen11. Das heißt, obwohl die Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen Adelssammlungen umfassender schützen könnten, geschieht dies praktisch aufgrund von finanziellen und politischen Gründen nicht. Auch eine veränderte Sammlungsdefinition in den Schutzvorschriften würde daran nichts ändern, da der Umgang mit dem sowohl materiellen als auch immateriellen kulturellen Erbe insgesamt an einen Punkt gelangt ist, an dem die Grenzen der Bewahrungsmöglichkeiten deutlich werden. Die von enormer Heterogenität und Quantität geprägten Bestände, die sich heute noch in Adelsbesitz befinden können – und bis 2005 auch Eigentum der Welfen waren –, können in diesem Wettbewerb der Kulturgüter um Aufnahme in den immer knapperen und selektiveren Platz der institutionellen Schutzorte nicht gewinnen. Ihre Bewahrung als Ganzes durch vollständige Übernahme durch die öffentliche Hand ist ebenfalls nicht möglich, da sie der heutigen Sammlungsdefinition, welche vor allem von zielgerichteter Zusammentragung und geordneter Bewahrung geprägt ist, nicht entsprechen. Der immer von den bereitgestellten Mitteln der Regierenden sowie der personellen Ausstattung und Ausbildung der Mitarbeiter abhängige Denkmalschutz konnte zudem für Adelssammlungen bisher selbst den ersten Schritt der Denkmalpflege, nämlich die Erfassung und Erschließung des Schutzobjektes, nicht durchführen. Parallel zu diesen Entwicklungen seit 1918 – und von diesen beeinflusst – kam es zur Vorstellung, der Adel, der noch immer Teile seines Besitzes bewahrt(e), täte dies für die Allgemeinheit im Sinne des kulturellen Erbes. Diese Sichtweise stellte den Adel als Kulturbewahrer großer heterogener Bestände neben die institutionellen Sammlungen als Bewahrer ausgewählter Objekte und Objektgruppen12. Sowohl die Zusammenfassung traditioneller Handlungsweisen des Adels in Verbindung mit seinem Selbstbild als auch die Untersuchung der Sammlungen des Adels, zeigt allerdings, dass sich dessen Umgang mit den Objektbeständen nicht mit einer Bewahrung im Sinne der Idee des kulturellen Erbes deckt. Zwar ist auch für 11 „Indem damit die Historie den Bedürfnissen der Gegenwart angepasst wird, bedeutet Nostalgie tendenziell den Verlust von Geschichte. Nicht das Fremde wird in der Vergangenheit gesucht, an dem die Gegenwart und ihr ‚Realitätsprinzip‘ sich durch das ganz Andere und Unabgegoltene relativieren, abarbeiten und zusätzlich definieren konnte, sondern das Vertraute.“, Fischer, V., S. 258. 12 Es wird damit die in Kapitel 3 aufgeworfene Frage – warum es bisher nicht gelungen ist, eine befriedigende Lösung im Umgang mit diesen Besitztümern zu erarbeiten – beantwortet: Es handelt sich um ein Zusammenspiel aus distanzierter Haltung gegenüber Adelsbesitz, der geringen Möglichkeiten der öffentlichen Hand zur Kompletterhaltung sowie einer dem Adel übertragenen Bewahrungsverpflichtung, welche jedoch weder rechtlich noch historisch begründet werden kann.
664 | S AMMLUNGEN DES A DELS den Adel die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wesentlich, dies liegt jedoch im Wunsch des Erhalts von Glanz und Ansehen mit Hilfe der Sammlungen allein für die Familie begründet13. Veränderungen in Bestand und Umfang stehen diesem Ziel ebenso wenig entgegen wie eine (auch physische) Nutzung der Objekte. Die Sammlungen sind maßgeblich an der Herausbildung und dem Erhalt der Identität von Adelsfamilien beteiligt. Damit sind sie Teil der Selbstlegitimation des Adels, welche sich vor allem aus der Zugehörigkeit zur Familie und deren Position speist. Weder der unveränderte Erhalt, noch die Kulturpflege um ihrer selbst willen sind jedoch selbstverständliche Folgen dieses Prozesses. Der Erhalt von Objekten ist an deren Funktionen geknüpft, welche zu Wertzuschreibungen und Ding-Mensch-Bindungen und mit diesen gemeinsam zur Herausbildung von Identitäten führen. Es ist möglich, mehrere derartige Bedeutungsebenen von Objekten aus Adelsbesitz festzustellen. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist der Verzicht auf eine Trennung zwischen Kunst und Nicht-Kunst, da diese Kategorisierung keine Auswirkungen auf die Entstehung von Bedeutung hat14. Vielfältig ist die Bedeutung von Objekten als Mittel sozialen Verhaltens, da das Selbstbild des Adels stark von Abgrenzung zu Nicht-Adligen, den Gemeinsamkeiten innerhalb des Adels sowie dessen Hierarchisierung geprägt ist. Objekte bilden Bühne und Requisiten dieser Lebensweise, ebenso ist das Konzept von Gabe und Gegengabe Bestandteil zwischenmenschlichen Verhaltens innerhalb dieser Hierarchie. Für den stark mit der Vergangenheit verknüpften Adel sind zudem Objekte als Erinnerungsträger von zentraler Bedeutung. Durch traditionelle Handlungen, die mit Hilfe von Objekten ausgeführt werden, spielen diese auch eine Rolle in der Herausbildung eines Gruppengedächtnisses. Als Erinnerungsobjekt fungieren auch Porträts, welchen jedoch als Darstellungen des Menschen darüber hinaus eine global verständliche Bedeutung innewohnt. Dies erleichtert ihren Einsatz als Stellvertreter. Dem Adel gelang es bis heute, jeweils zeitgemäße Formen von Porträts zu nutzen. Als Mittel sozialen Verhaltens und Erinnerungsobjekte übernahmen die Dinge des Wohnens für den Adel wichtige Funktionen. Durch den ständigen, auch physischen, Kontakt zu diesen Objekten und deren Beeinflussung des menschlichen Alltags konnten sich enge Ding-Mensch-Bindungen entwickeln, die ebenso wie die anderen genannten Objekt-
13 Die in Kapitel 1 gestellte Frage – Welche Einschränkungen gelten diesbezüglich für den Adel und haben dazu geführt, dass bis heute Bestände erhalten geblieben sind, deren Verkäufe nun die hier vorgestellte Diskussion entfachen (in diesen Zusammenhang fällt die Frage nach der „Tradition“ als Motivation und der Aufgabe des „Bewahrers“ für den Adel)? – ist somit dahingehend zu beantworten, dass der Adel den gleichen Einschränkungen unterliegt wie jeder weitere private Eigentümer mit Ausnahme zusätzlicher Schutzmaßnahmen im Zusammenhang mit der Auflösung von Fideikommissen und Hausgütern, welche noch aktiv sein können. Diese betreffen jedoch nur ausgewählte Bestände, während große Sammlungsteile Teil einer traditionellen Lebensweise des Adels sind, welche unter anderem in einer lebendigen Sammeltätigkeit aufrechterhalten wird/wurde. 14 Kunstwerke haben aus sich heraus bereits eine Bedeutung, die jedoch allgemeingültig ist und im Zusammenhang mit der Bewahrung von Kulturgut durch einzelne Personen oder Gruppen nicht zwangsläufig zum Tragen kommt.
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gruppen wesentlich zur Herausbildung und Festigung der Identität des Adels beigetragen haben15. Je nach Entwicklung der einzelnen Familien und dem Erhaltungsstand ihrer Sammlungen sind diese Bedeutungen noch immer aktiv. Diese Familien halten noch immer eine dynamische Sammeltätigkeit aufrecht, die jedoch seit 1918 in jedem Fall Veränderungen erfahren hat. Während vor 1918 das Anhäufen Voraussetzung für standesgemäßes Leben war, musste dieses nach 1918 Einschränkungen erfahren, die sowohl finanziell als auch räumlich begründet sind. Sammlungen waren immer auch mit der Funktion des Zeigens verbunden, welche wiederum in repräsentatives, privates und öffentliches Zeigen unterteilt werden kann. Vor 1918 überwog das repräsentative Zeigen (zu welchem das öffentliche Zeigen auch genutzt werden konnte), während das öffentliche Zeigen nach 1918 schrittweise eine Vorrangstellung einnahm. Bewahrungsmaßnahmen gehörten von jeher zur Behandlung von Sammlungen, wobei diese stärker auf die Bewahrung von Funktionen als auf Unveränderlichkeit der Objektbestände ausgelegt waren. Dies gilt nach 1918 nach wie vor, allerdings können wesentlich weniger Mittel zu diesem Zweck aufgewendet werden. Durch den Wegfall eines Teils der repräsentativen Pflichten war die physische Erhaltung zudem nicht mehr für alle Bestände notwendig. Die öffentliche Zugänglichkeit von ausgewählten Beständen erlegt den Familien darüber hinaus für diese Objekte Erhaltungsmaßnahmen auf, welche an diejenigen der Idee des kulturellen Erbes angeglichen sind. Dies bindet Mittel, die an anderer Stelle nicht mehr zur Verfügung stehen. Entsammlungsmaßnahmen waren immer eine Möglichkeit, abgenutzte und nicht mehr benötigte Objekte auszusondern. Auch nach dem Tod von Familienmitgliedern wurden Objekte verkauft, um den Nachlass zu regeln. Diese Entsammlungsmaßnahmen sind nach 1918 stark finanziell bedingt und liegen außerdem in wirtschaftlichen Umstrukturierungen begründet. Inventare, die sowohl für Bewahrungs- als auch für Entsammlungsmaßnahmen eine wichtige Quelle darstellen, belegen zudem, dass es sich bei diesen Sammlungen tatsächlich um eine geordnete Menge und nicht eine ungeordnete Masse handelt/e. Durch die Entmachtung und später den Zweiten Weltkrieg verursachte Veränderungen der Lebensbedingungen und eine Professionalisierung der Familienunternehmen von Generation zu Generation führten zu einem Wandel der Bindungen zwischen Einzelpersonen und Sammlungsobjekten. Die Voraussetzungen zur Erfüllung eines standesgemäßen Lebens und des Erhalts von Glanz und Ansehen der Familie haben sich verändert. Der von Pomian geprägte Begriff der „Repräsentation des Unsichtbaren“ trifft auf Adelssammlungen nur in denjenigen Fällen noch zu, in welchen 15 Die in Kapitel 3 gestellte Frage – Welches Bedeutungsmodell steht für den Adel neben dem Modell des kulturellen Erbes und dessen Umsetzung auf rechtlicher Ebene? Gibt es möglicherweise Überschneidungen, die im weiteren Umgang mit Adelsbesitz genutzt werden können? – ist damit insofern beantwortet, als dass die Objekte auf mehreren Ebenen Bedeutung zur Herausbildung und Festigung der Identität des Adels haben/hatten. Diesbezüglich gibt es in Hinblick auf das Gruppengedächtnis adliger Familien und das allgemeine historische Gedächtnis Überschneidungen, die zu einem gemeinsamen Erhaltungsinteresse führen. Darüber hinaus ist das öffentliche Zeigen Bestandteil der Sammeltradition des Adels und ging im Verlauf des 20. Jahrhunderts Verbindungen mit dem Tourismus ein, welche auch für den Erhalt des kulturellen Erbes genutzt werden können.
666 | S AMMLUNGEN DES A DELS dieses „Unsichtbare“ – nämlich der Familienverband aus vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Generationen – noch als solcher wahrgenommen wird. Viele Objekte haben im Zuge dieser langsam fortschreitenden Entwicklung ihre Funktion verloren, was zur Lösung von Bindungen geführt hat. Für stärker traditionell orientierte Familien und vor allem solche, deren Lebensumfeld noch immer von einem Schloss geprägt ist, können diese Bindungen jedoch noch intakt sein16. Für alle Familien gilt jedoch, das durch die Auflösung traditioneller Vermögensbindungen wie Fideikommisse und Hausgüter der Sammlungserhalt erschwert wird: der Wegfall dieser Rechtsinstitute war/ist maßgeblich an den Entwicklungen zur Auflösung der Sammlungen beteiligt. Die Perspektive der Objektbiographien macht diese enge Verzahnung der Objekte zu einem entsprechenden Umfeld sowie zu weiteren Objektbeständen deutlich. Nur in ihrem Verband und einem räumlichen Kontext, der zumindest Teil der jeweiligen Idealbiographie sein könnte, ist es möglich, die stark auf Masse ausgerichtete Sammlungskultur des Adels zu verdeutlichen. Auch Ding-Ding-Bindungen können in ihrer Vielfalt nur auf diesem Weg aufrechterhalten und dargestellt werden. Die Betrachtung der Objektbiographien weist außerdem auf die Bedeutung der Bestände im Sinne des kulturellen Erbes hin. Das Zusammenspiel ihrer Funktionen, der ihnen zugeschriebenen Werte und der umfangreichen Ding-Mensch- und DingDing-Bindungen ermöglicht den Einblick in die kulturelle Entwicklung des Adels sowohl vor 1918 als auch im Verlauf des 20. Jahrhunderts. Der Stellenwert des Adels in der Vergangenheit sowie der Einfluss der Kultur des Adels auf die gesamtkulturelle Entwicklung lässt diese Objekte zu Trägern eines historischen Gedächtnisses werden. Die Objektbestände waren maßgeblich an der Entwicklung und Festigung der Identität des Adels beteiligt und haben somit Bedeutung als Akteure einer gesamtgesellschaftlichen Geschichtsentwicklung. Sie repräsentieren Ausschnitte der Vergangenheit, in Form des soziokulturellen Umfelds adliger Familien, und können auf ihre Aufgaben in dieser ebenso verweisen wie auf Orte, an welchen sie sich befunden haben, Objekte und Menschen, mit denen sie in Wechselwirkung standen. Gesteht man den Adelssammlungen diese neue Funktion zu, werden sie erneut Repräsentanten des 16 Die in Kapitel 3 gestellte Frage - Welche Rolle spielen Quantität und Kontext der Objekte in Adelsbesitz? Welchen Platz kann Adelsbesitz zwischen den beiden Polen Privatsammlung und Museumssammlung einnehmen, und muss auf den Begriff der Sammlung diesbezüglich verzichtet werden? – wird durch die Betrachtung traditionellen Sammelns des Adels beantwortet: die quantitative Ausdehnung von Adelssammlungen war für diese eine wesentliche Voraussetzung zur Erfüllung ihrer Aufgaben, was durch die Betrachtung des Kontextes dieser Objekte (und damit der zahlreichen Ding-Ding-Bindungen) deutlich wird. Heutige Adelssammlungen sind rechtlich betrachtet und in ihrer Ausrichtung reine Privatsammlungen, die jedoch in ihrer Entwicklung sowie durch zahlreiche Objektbiographien Bedeutung auch für die Allgemeinheit haben. Dies ist eine Gemeinsamkeit mit institutionellen Sammlungen. Teile dieser Sammlungen können zudem durch Maßnahmen des öffentlichen Zeigens Strukturen institutioneller Sammlungen übernommen haben. Grundsätzlich zeichnen sie sich aber durch eine dynamische Definition des Sammlungsbegriffes aus, was jedoch den Begriff der Sammlung nicht ausschließt, sondern diesem – im Gegenteil – im eigentlichen Sinne entspricht.
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Unsichtbaren. Ihre Heterogenität ermöglicht, diese Aufgabe umfassend zu erfüllen, da nur diese die Repräsentation eines Querschnittes durch ehemalige Bestände garantiert. Vor diesem Hintergrund erklärt sich die Diskussion zum Verkauf der Welfen 2005. Der Adel selbst betrachtet seinen Besitz heute als Teil einer Unternehmensstruktur, die Teile des zehrenden Bestandes zugunsten der profitableren Bereiche abstoßen muss. Museumsdirektoren kritisieren, der Adel nähme die Rolle des Kulturbewahrers nicht mehr wahr, obwohl ihm diese tatsächlich von außen zugeschrieben wurde und er sie daher nie eingenommen hat. Sie erkennen die Bedeutung der erhaltenen Bestände und kritisieren die mit Hilfe von Kunsthandel und Tourismus deutlich werdende wirtschaftliche Nutzung dieser Objekte. Sie nehmen damit sozusagen die Minimalversion der allgemeinen Aufgabe einer Aufsichtspflicht wahr. Die politischen Vertreter sehen durch die umfangreiche Gesetzeslage jedoch keinen Handlungsbedarf, auch weil zusätzliches Engagement vor dem Hintergrund früherer Ankäufe und geringer öffentlicher Akzeptanz für Ausgaben im Kulturbereich politisch nicht durchsetzbar wäre. Die zuständigen Schutzbehörden haben neben der eindeutigen Anwendung der bestehenden Gesetze keine Kapazitäten, um der Aufgabe einer ständigen Überprüfung der Auswahl schützenswerter Güter zusätzlich nachzukommen. Die Untersuchung der welfischen Sammlungen verdeutlicht, wie es zu dieser Situation kommen konnte, und unterstreicht die Besonderheit der Bestände, die in möglichen Erhaltungskonzepten berücksichtigt werden muss. Heutige Bestände in Adelsbesitz sind nicht nur Ergebnis einer dynamischen Sammeltätigkeit, die Privatsammlungen Einzelner zu sich ständig wandelnden Familiensammlungen zusammenschloss, sondern sind auch geprägt durch Folgen historischer Ereignisse vor und nach 1918. Für die Zeit nach 1918 können zudem Regierende, Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie die Wissenschaft nicht allein als außenstehende Beobachter betrachtet werden. Stattdessen prägten auch deren Bewertungen und Entscheidungen die Entwicklung der Bestände bis heute mit. Der Verlust des Königreiches Hannover 1866 sowie die Problematik der Braunschweigischen Thronfolgefrage nach 1884 führten bereits vor 1918 zu Veränderungen der Sammlungsstruktur und bestehender Ding-Mensch-Bindungen, welche bis heute nachwirken. Der Vermögensvertrag von 1867 und die Beschlagnahmungen durch Preußen hatten eine Veränderung in der Bewertung ausgewählter Objekte zur Folge: für die vorher im Welfenmuseum ausgestellten Bestände des „Welfenschatzes“ sowie das „Evangeliar Heinrichs des Löwen“ rückten beispielsweise materielle sowie Kunstwerte vor Erinnerungswerte und ihre Funktion als Mittel sozialen Verhaltens. Wenn auch weiterhin Objekte in Form von Leihgaben sowie (eingeschränkt) auch innerhalb des Einflussbereiches der Welfen öffentlich zugänglich waren17, wurde kein dem Welfenmuseum vergleichbares Projekt verfolgt. Bindungen zu zurückgelassenen Beständen wie denjenigen der Fideikommiss-Galerie sowie dem gesam17 Leihgaben befanden sich beispielsweise im Provinzialmuseum in Hannover und zeitweise im Museum für Kunst und Gewerbe in Wien. Später wurden der „Welfenschatz“ sowie die Münz- und Medaillensammlung im Palais Cumberland gezeigt, das Schloss Cumberland wurde 1930 Haus- und Familienmuseum.
668 | S AMMLUNGEN DES A DELS ten Komplex des nur kurz bewohnten Schlosses Marienburg mussten zwangsläufig gelockert werden. Die Verhinderung der Regierungsübernahme in Braunschweig führte zu einer Veränderung der dortigen Bestände durch die nicht-welfischen Regenten, was am Beispiel des Stuhles nach einem Entwurf von Peter Joseph Krahe beispielhaft aufgezeigt werden konnte. Zudem kam es zu einer Abtrennung des Privatbesitzes Wilhelms von Braunschweig von diesen. Beide Ereignisse hatten gemeinsam eine Verteilung der Bestände auf Hannover, Braunschweig und Gmunden zur Folge, die über die in Adelssammlungen üblichen, bewusst vorgenommenen, Standortwechsel von Objekten hinausging. Dies wiederholte sich infolge der Entmachtung Ernst Augusts (III.) von Hannover 1918, die zudem zu einer teils irreversiblen Umnutzung von Sammlungsbeständen führte und des Weiteren Bindungen kappte, die später nur zu einem Teil der Bestände wieder aufgenommen werden konnten. Der Verlust des Schlosses Blankenburg 1945, welches als Wohnort wesentlich an einer Reaktivierung herkömmlicher Sammelaktivitäten beteiligt war, ist schließlich als vierte schwerwiegende Einwirkung von außen auf die Sammlungen innerhalb eines Jahrhunderts zu werten. Wesentlich ist, dass diese biographischen Wendepunkte nicht selbst durch die Familie bestimmbar waren. Sie bedeuteten neben Objektverlusten außerdem jeweils den zeitweisen Verlust uneingeschränkter Verfügungsgewalt über die Sammlungsbestände. Eine solche Freiheit der Behandlung ist jedoch bestimmendes Moment für die Wahrnehmung von Eigentum, dessen abgrenzende Funktionen und damit allgemein für Privat- und Adelssammlungen. Dies hat wiederum Auswirkungen auf deren Nutzung und damit auf deren Erhalt: beide sind durch Einschränkungen des Handlungsspielraumes nicht mehr gewährleistet. Sich abschwächende Bindungen durch Funktionsverluste und der Abbruch von Idealbiographien resultierten ebenso aus den genannten Einwirkungen von außen wie finanziell bedingte Verkäufe, die neben Ding-Mensch-Bindungen auch Ding-DingBindungen auflösten. Ein sich abschwächendes Engagement bezüglich der Abgabe von Sammlungsbeständen an die öffentliche Hand im Verlauf des 20. Jahrhunderts, die Weigerung, Standorte preiszugeben, und die als undurchsichtig kritisierten Verkäufe der Welfen ab den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts können diesbezüglich als Versuch des Wiedererlangens einer uneingeschränkten Nutzung gelten. Zu dieser gehörten für den Adel immer auch das bewusste Nicht-Zeigen (welches später zu biographischen Lücken führt) sowie die Singularisation. Es zeigt sich, dass aufgezwungene Bewahrungsmaßnahmen nicht zur Erhaltung führen, sondern stattdessen, aus Furcht vor Einschränkungen der Eigentumsnutzung, sogar zur Folge haben können, dass Objekte der Allgemeinheit vorenthalten werden18. Die immer höher bewertete Möglichkeit des Nicht-Zeigens, im Gegensatz zum vorher für die Sammlungen wesentlichen Zeigen, trug gleichzeitig dazu bei, dass der Adel nur noch in geringem Maße als soziale Gruppe in Erscheinung tritt und die Sammlungen weniger stark mit dem historischen Gedächtnis verknüpft sind. Aber auch das Gruppengedächtnis des Adels beziehungsweise einer adligen Familie wurde 18 „Yet, if they become duties that we wish to fulfill at the expense of our property rights, they must be of our own choice, not imposed duties corresponding to another’s rights.“, Gillman, S. 194.
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durch die (emotionale wie geographische) Entfernung jüngerer Generationen von ihrem Besitz geschwächt. Damit ist die den Objekten eingeschriebene Geschichte sämtlicher mit diesen zu früheren Zeiten verbundenen Menschen nicht mehr in jedem Fall lesbar. Ein radikaler Entsammlungsschritt, wie derjenige 2005 durch die Welfen, ist Folge einer solchen Entwicklung. Zusammenfassend können äußere Einwirkungen sowie von Generation zu Generation stärkere Anpassungen auf diese als Gründe für veränderte Nutzungen und sich lockernde Bindungen verstanden werden. Eine veränderte Haltung gegenüber den Sammlungen – wie oben beschrieben – ist das Ergebnis und resultiert/e auch in immer umfassenderen Objektabgaben. Für die Zeit nach 1918 muss jedoch beim Blick auf die Sammlungsentwicklung neben der sich verändernden Beziehung der Welfen zu ihrem Besitz auch die Haltung der neuen Regierungen mitbetrachtet werden. Mit der Entmachtung der Fürsten kam diesen die oben erwähnte Aufsichtspflicht zu, die für den Umgang mit dem kulturellen Erbe maßgeblich ist. Diese war jedoch zunächst schwer mit einer durch Zerstörung von Zeichen symbolisierten Überwindung bisheriger Regimes in Einklang zu bringen, welche für revolutionär herbeigeführte Machtwechsel bedeutsam sind19. Folge dieses Zwiespaltes war eine kategorisierende Bewertung von Dingen des Adels als unvollendetes Element der Revolution20. Diese Aufteilung der Bestände legte bereits die Basis für die noch heute gültige Wahrnehmung und Behandlung von Adelssammlungen: Nach ihrem Kunstwert bewertete Objekte wurden in die institutionalisierten Sammlungsbereiche überführt. Als materiell wenig wertvoll und durch ihre Quantität als weniger bedeutend eingestufte Ausstattungsgegenstände wurden an unterschiedlichste Institutionen abgegeben. Ausgewählte Objekte, denen ein historischer Wert zur Veranschaulichung des Lebens der entmachteten Familie zugeschrieben wurde, integrierte man in das neu gegründete Schlossmuseum. Das heißt, Kunstwerke wurden angeeignet, Ausstattungsgegenstände entwertet und der Schlossraum mitsamt beispielhaften Mobilien neutralisiert21. Auf eine Enteignung der ehemaligen Herrscher, die zunächst im Rahmen der Revolution als folgerichtig erschienen war22, musste verzichtet werden, da der, durch 19 Pazzini weist auf die Notwendigkeit der Symbolbildung durch Inszenierung hin, um die Wirkung der früheren (in seinem Beispiel verstorbenen) Personen zu überwinden: „In dem Moment, wo ich das, was da auf mich gekommen ist, als Gabe erkenne, als ein Mehr als vorher, trete ich den Versuch an, die Gabe zu bearbeiten, nach ihrer Veranlassung zu suchen und – im Extrem – sie wieder loszuwerden, was auch heißen kann, sie in einen sicheren Besitz zu verwandeln.“, Pazzini, Karl-Josef: Die Toten bilden. Über eine Aufgabe des Museums, in: Ecker, Gisela/Stange, Martina/Vedder, Ulrike (Hrsg.): Sammeln, Ausstellen, Wegwerfen, Königstein 2001, S. 50 und S. 50ff. 20 Vgl. von Aretin, S. 161. 21 Sturm spricht diesbezüglich von einer Hyperrealität der Objekte, welche zunächst aus dem eigentlichen Kontext entfernt, dann konserviert oder restauriert werden, um sie erneut in einen Kontext einzubetten, Sturm, Eva: Museifizierung und Realitätsverlust. Musealisierung – Museifizierung: verwandte Begriffe, in: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990, S. 103. 22 Wie im Zuge der Revolution im „Volksfreund“ öffentlich deutlich gemacht wurde.
670 | S AMMLUNGEN DES A DELS die Weimarer Verfassung bewusst vorgesehene, Eigentumsschutz rechtliche Auseinandersetzungen bezüglich des Besitzes der ehemals regierenden Familien nötig machte. Es ist zu betonen, dass diese in Braunschweig – wie auch in vielen anderen Fällen – durch einen Vergleich beendet wurden. Das Ergebnis wurde damit der neuen Regierung nicht aufgebürdet, sondern von dieser mitgetragen. Später hat sich die Allgemeinheit – und damit im Sinne des kulturellen Erbes die Gemeinschaft der Erbnehmer – zudem gegen die so genannte „Fürstenenteignung“ entschieden, welche zu diesem Zeitpunkt noch möglich gewesen wäre23. Gleichzeitig trieb man die Auflösung der Fideikommisse und Hausgüter voran, obwohl man sich der Folgen auch für die Sammlungen bewusst war. Auch Hinweise auf die Folgen der Vermögensauseinandersetzungen und auf eine notwendige wissenschaftliche Erforschung der in den Privatbesitz der Adelsfamilien übergehenden Bestände gab es bereits damals24. Schon 1919 gaben die Regierenden Teile ihrer Aufsichtspflicht an den Kulturgüter- und Denkmalschutz ab, in dem sie diesem rechtliche Mittel zur Seite stellten. Die Vorschriften enthielten in geringem Maße Möglichkeiten des Bestandsschutzes, fokussierten aber bereits damals auf dem Abwanderungsschutz. Angesichts der für die Adelsfamilien häufigen Verbindungen zum Ausland, war dies zunächst ein bewusster und folgerichtiger Weg. Dies gilt ebenso für Österreich, wo sich wesentliche Teile des welfischen Besitzes befanden. Diese Rechtsvorschriften wurden sowohl durch Österreich als auch in Deutschland jedoch nicht ausgeschöpft, sondern sozusagen als Verhandlungsbasis genutzt, die erreichte, dass für die Genehmigung der Ausfuhr herausragender Objektbestände andere Objekte in staatlichen Besitz übergingen. Das heißt, die Überführung ausgewählter Bestände in das Eigentum der öffentlichen Hand wurde als wichtiger beurteilt als die Bindung von „Highlights“ innerhalb des Landes, aber außerhalb der öffentlichen Kontrolle. Dies erscheint als sinnvolles Vorgehen, das dazu geführt hat, beispielsweise große Teile der Fideikommiss-Galerie in Hannover zu halten. Im Falle des „Welfenschatzes“ hat diese Haltung zwar zum Verkauf desselben geführt, die Argumentation, dass dieser geschichtlich stärker mit der Familie der Welfen als mit Österreich verknüpft war, ist jedoch auch mit Hinweis auf eine heute weniger nach Bindungen als nach Prestige fragenden Eintragungspraxis in die Liste national wertvoller Kulturgüter, zunächst positiv zu bewerten. Nicht die Ausfuhr aus Österreich, sondern erst die Entscheidung gegen einen Ankauf in Hannover führte zur Zerstreuung des Objektverbandes.
23 Per Volksentscheid 1926. 24 „Unbedingtes Zugangs- und Benutzungsrecht zu allen Sammlungen, Bibliotheken, Archiven usw., soweit sie nicht intim-familiären Charakters sind (Sammlungen von Familienkorrespondenzen z.B.), sollten ausnahmslos den Zwecken gewissenhafter Aufräumungsoder wissenschaftlicher Forschungsarbeiten ohne Schwierigkeit eingeräumt werden. Erst bei Beachtung aller dieser und ähnlicher Gesichtspunkte würde es möglich sein, viele zum Teil wegen ihrer Originalität äußerst wertvolle (z.B. auch Handschriften-, Waffen-, Porzellansammlungen) aber noch allgemein unbekannte Sammlungsschätze nicht nur den Volksbildungs- und wissenschaftlichen Arbeitszwecken zu erschließen, sondern auch ihre kulturelle, heimatgeschichtliche, nationale oder sozialpädagogische Bedeutung gebührend zu würdigen.“, Günther, S. 131.
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Nach Abschluss der Vermögensauseinandersetzungen war das Verhältnis der Welfen zu den neuen Regierungen, zum Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie zu den Vertretern der Kunst- und Kulturwissenschaft zunächst von Kommunikation geprägt. Dies äußerte sich neben den oben genannten Vereinbarungen in Ankaufsangeboten, der – wenn auch schwierigen – Zusammenarbeit in der Museums- und Bibliotheksstiftung, der Publikation von Sander über das Schloss Blankenburg und in der Zusammenarbeit zum Schutz von Objekten während des Zweiten Weltkrieges. In der öffentlichen Wahrnehmung wurde die Familie, vor allem in Blankenburg und Braunschweig, positiv bewertet. Verkäufe durch die Welfen wurden damals vor dem Hintergrund der insgesamt schwierigen finanziellen und wirtschaftlichen Situation betrachtet, die man auch dafür verantwortlich machte, dass die öffentliche Hand Angebote zum Ankauf von Objektbeständen (wie dem „Welfenschatz“) nicht annahm. Bereits damals hatte dies jedoch seinen Grund auch in starken politischen Strömungen, welche sich bewusst gegen die Übernahme von Objekten aus Adelsbesitz entschieden und die verhinderte Enteignung der ehemals regierenden Familien als Makel einer nicht vollendeten Revolution betrachteten. Eine solche Haltung setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Behandlung der Besitztümer des Adels in der sowjetisch besetzten Zone und der DDR fort. Auch in der BRD kam es zu Veränderungen, die, neben dem allgemeinen Erneuerungsstreben, in diesem Zusammenhang verstanden werden müssen. Der Abriss des Braunschweiger Residenzschlosses ist diesbezüglich als unmissverständliches Zeichen zu werten. Durch den Ausstieg der Welfen aus der Museums- und Bibliotheksstiftung und schließlich 1955 durch den Verkauf der bis zu diesem Zeitpunkt verliehenen Objekte an das Historische Museum Hannover hatten die Welfen schließlich die Verantwortung für bereits institutionalisierte Bestände selbständig abgegeben. Somit war das neue Land Niedersachsen allein für die in den Museen bewahrten Objekte zuständig. Diese waren jedoch durch ihre Neutralisierung kaum mehr als Bestandteile von Adelssammlungen erkennbar, während gleichzeitig Teile der immobilen Zeichen verschwunden waren und man in der öffentlichen Wahrnehmung davon ausgehen musste, allein der Adel selbst sei nun noch im Besitz von entsprechendem Kulturgut25. Erneut befanden sich jedoch aus Sicht des Kulturgüter- und Denkmalschutzes (wie bereits nach 1918) scheinbar ausreichend große Bestände im Eigentum der öffentlichen Hand. Vor diesem Hintergrund kann möglicherweise auch die Erteilung des Auflösungsscheins für die ehemals gebundenen Vermögen betrachtet werden. Diese Hintergründe waren jedoch nicht öffentlich bekannt. Die Verlagerung der öffentlichen Wahrnehmung der Welfen in den Bereich der Populärkultur, in welcher die Familie zudem seit dem Streit Victoria Luises zu Braunschweig und Lüneburg mit ihrem Sohn eher negativ dargestellt wurde, betonte stattdessen private Aspekte der Familie. Ihr Besitz schien völlig dem Einfluss der öffentlichen Hand entzogen. Nur in Einzelfällen wirkten Kulturgüter- und Denkmalschutz auf die Objektbiographien der welfischen Sammlungen ein. Durch die von der Familie getätigten Verkäu-
25 1955 wurde ebenfalls das Fürstenhaus-Museum eröffnet und auch ein Schlossmuseum im Schloss Marienburg zeigte Bestände in ihrem bisherigen Kontext.
672 | S AMMLUNGEN DES A DELS fe wurden jedoch weitere Einzelstücke26 in institutionelle Sammlungen überführt27. Diese Verkäufe wurden nicht grundsätzlich negativ bewertet, so dass noch 1950 eine Auktion mit Objekten aus Welfenbesitz in den Räumen des Herzog Anton UlrichMuseums stattfinden konnte. Wesentliche Veränderungen hätte 1978 das Denkmalschutzgesetz bringen können. Es kam aber für die Sammlungen der Welfen zu spät und geht zudem nicht explizit auf Bestände aus Adelsbesitz ein, obwohl man sich nach den Verlusten der öffentlichen Hand durch Kriegsschäden diesen besonders hätte annehmen können. Zu diesem Zeitpunkt waren die Sammlungen der Welfen bereits im Schloss Marienburg (und in geringerem Umfang im Fürstenhaus-Museum) konzentriert. Zum Teil waren sie bereits seit Jahrzehnten schlechten Lagerungsbedinungen ausgesetzt. Bereits damals mussten die Behörden wohl vor der enormen Masse kapitulieren und die öffentliche Zugänglichkeit ausgewählter Bestände in den beiden Häusern wurde von der Wissenschaft als ausreichend hingenommen. Der seit dem Verlassen des Schlosses Marienburg scheinbar professionelle Umgang mit den Sammlungen im Sinne des Kulturerbes war in Bezug auf die Welfen der Wendepunkt, welcher zum heute weit verbreiteten Missverständnis führte, der Adel sei Kulturgutbewahrer im Sinne des kulturellen Erbes. Stattdessen waren gerade ab diesem Zeitpunkt die Sammlungen stärker gefährdet, da sich Bindungen lösten, was auch an den Verkäufen ab dieser Zeit ablesbar ist. Der Verkauf 2005 muss vor diesem Hintergrund als Schock wahrgenommen werden28, ist tatsächlich aber der logische Endpunkt einer Entwicklung. Aufgrund der Bestimmungen der Fideikommissauflösung war die Kommunikation der Welfen zu den Behörden zudem nicht zu einem völligen Ende gekommen, fand jedoch nun unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Auch mit Ende der Sperrfrist der Fideikommissauflösung 1968 mussten Verkäufe aus diesen Beständen „im Benehmen“ mit dem zuständigen Ministerium durchgeführt werden. Die Objektbiographie des „Evangeliars Heinrichs des Löwen“ macht deutlich, dass vor allem diese zweigleisige Schutzpolitik des Kulturgüter- und Denkmalschutzes sowie der Fideikommissauflösung, aber auch die unwillige Umsetzung internationaler Vorschriften ins deutsche Recht Probleme verursacht. Die Einflussmöglichkeiten der Behörden sind seit dieser Zeit jedoch ebenso aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden wie das Verständnis für Verkäufe des Adels aus finanziellen Gründen. Diese geringe 26 Besonders häufig kam es zum Ankauf von ehemals durch Untertanen an die Welfen überreichten Geschenken, was deutlich macht, dass diese noch immer als Mittel sozialen Verhaltens fungieren können. Demzufolge muss der Verkauf solcher Objekte, welche durch die Allgemeinheit an die ehemaligen Fürsten übergeben wurden, Kritik und Empörung hervorrufen, da die Weitergabe von Geschenken durch den Schenkenden grundsätzlich als verletzend empfunden wird. 27 Bornheim erwähnt diesbezüglich auch die Vorteile des Kunstmarktes für die Museen, obwohl dieser häufig als Gegensatz dargestellt wird, Bornheim, S. 10. 28 Der Eindruck eines Schocks wird zudem gefördert durch die Unsicherheit, welche durch Rückführung großer Mengen von dem Markt für lange Zeit entzogenen Objekten entsteht. Dies muss durch die Allgemeinheit bzw. die Vertreter von Kulturgüter- und Denkmalschutz und Museumsdirektoren, die keinen Zugriff auf diese Objekte hatten, als Mangel wahrgenommen werden. Die Gruppe des Adels kann sich derart plötzlich wieder als soziale Gruppe von anderen Gruppen absetzen.
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Transparenz und mangelndes Interesse führten dazu, dass die Rolle des Kulturgüterschutzes, welcher den Verkauf des Evangeliars weder verhindern konnte noch diesbezüglich gegen den Eigentümer vorgegangen ist, im Gegensatz zu den vermeintlichen Verkäufern nicht negativ bewertet wurde. Seit Ende des 20. Jahrhunderts ist der Adel jedoch nicht nur erneut in das Interesse der Wissenschaft gerückt, ein allgemeines Interesse an den Zeichen des Adels zeigt sich auch in der Rekonstruktion zerstörter Schlossbauten sowie der Nutzung von Schlössern als Kulisse für Urlaub oder Hochzeiten. Die Aneignung der Bestände steht deutlich vor dem Wunsch nach Erhaltung von Originalbeständen29. Dass dies möglicherweise gerade durch die Fokussierung auf „Highlights“ gefördert wurde und durch das Zeigen von Gesamtbeständen verändert werden könnte, ist jedoch zu vermuten30. Die Aneignung kann dazu führen, die erhaltenen Bestände zur Herausbildung einer gesamtgesellschaftlichen Identität zu nutzen, da das Erleben einer gemeinsamen Geschichte von Mensch und Objekt zu Bindungen führt. Genutzt werden können diesbezüglich die Sammlungsbestände aus Adelsbesitz, die trotz der Verluste und Veränderungen im gesamten 20. Jahrhundert weiterhin Funktionen erfüllten und damit deren Bedeutung aufrechterhielten. Die aus Sicht kunsthistorischer Gattungen heterogenen Bestände weisen dabei starke Ähnlichkeiten auf, nicht nur durch gemeinsame Standorte, sondern auch durch die Übernahme 29 Beispielsweise titelt die Weltkunst im August 2014: „Ein Sommermärchen: Traumschlösser in Europa“ und widmet 47 Seiten diesem Thema. Einleitend stellt sie fest: „Die Zeiten der Adelsherrschaft und der Monarchien mit tatsächlicher Macht sind längst vorbei. Trotzdem faszinieren uns ihre Paläste und Residenzen. Sie erzählen Geschichten und blieben mit ihrer Aura lebendig. Vom Museum zum Ort des Kunsthandels, von der Filmkulisse zur Bühne für Kunst von heute: Eine Reise durch die Vielfalt unserer Schlösser.“ Von den „Residenzen der Kultur“ ist die Rede, wobei jedoch nicht Schlösser in Adelsbesitz im Vordergrund stehen, sondern solche, die für Konzerte und zeitgenössische Ausstellungen genutzt werden oder in die öffentliche Hand überführt wurden. Des Weiteren werden Schlösser als Sitze des Kunsthandels, Kulissen für Film und Fernsehen sowie Übernachtungsmöglichkeiten für jedermann vorgestellt, ebenso wie der zeitgenössische Künstler Erwin Wurm als Schlossherr, Weltkunst 08/2014: Unterwegs zu Europas Schlössern, S. 22-69. 30 Wenn auch der einzige Artikel der oben genannten Weltkunstausgabe, welcher detailliert auf die Sammelkultur des Adels eingeht, indem das Lustschloss Favorite von (Franziska) Sibylla Augusta Prinzessin von Sachsen-Lauenburg Markgräfin von Baden-Baden in Rastatt vorgestellt wird, zu Beginn folgende Fragen aufwirft: „Was für einen Sinn hat es eigentlich, die Mühen auf sich zu nehmen, zu weit entfernten Orten zu reisen, um sich ein altes Gebäude anzuschauen, Bilder von lange verstorbenen Malern und Potentaten, Porzellantellern, Vasen, Seidentapeten? Warum macht der Mensch so etwas? Was geht mich das Leben der Markgräfin Sibylla Augusta an?“ folgen zahlreiche Hinweise darauf, dass die Betrachtung von Originalsubstanz in ihrem Kontext Bedeutung erkennen lässt, und der Autor gibt einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung der Fülle von Adelssammlungen: „Beim Fortgang der Führung sehe ich das Schloss plötzlich aus dieser anderen Perspektive. Das abgestimmte Verhältnis kostbarer Materialien und Objekte hat seinen Sinn, denn der Horror vacui, der leere Raum, war in der höfischen Welt nicht vorstellbar. Einer Adelsdynastie ist er nicht erlaubt, die Sukzession duldet keine Lücke.“, Weltkunst 08/2014: Die Leidenschaft der frommen Witwe, S. 43 und S. 47.
674 | S AMMLUNGEN DES A DELS gleicher Funktionen. Die Betrachtung von Objektbiographien aus den Sammlungen der Welfen verdeutlicht sowohl diese früheren Funktionen als auch ihre heutige Bedeutung. Sie veranschaulicht allerdings auch, dass Biographien von Mobilien grundsätzlich Standortwechsel, Neu- und Umnutzungen, physische Veränderungen sowie veränderte Bindungen zu Menschen und Dingen aufweisen. Ihre physischen Veränderungen und bewusst eingeschriebenen Markierungen, gemeinsam mit schriftlichen Quellen, lassen Rückschlüsse auf diese Wendepunkte und Interaktionen mit den verbundenen Menschen zu, so dass die Einzelobjekte auf Objektgruppen verweisen können. Dabei erfuhren bestimmte Objektgruppen stärkere Schwankungen in ihrer Bewertung und Funktion als andere. Keines der Objekte wurde aufgrund des Kulturgüter- und Denkmalschutzes bis heute bewahrt. Im Fall des „Porträts Friedrichs des Großen“ von Johann Georg Ziesenis konnte dieser zwar die Abwanderung des Gemäldes ins Ausland verhindern, nicht aber dessen öffentliche Zugänglichkeit sicherstellen. Es ist somit die Aufgabe der Fachwissenschaft, derartige Biographien zu untersuchen und im gemeinsamen Dialog zu entscheiden, ob dem Erhalt von „Highlights“ in Form von Einzelobjekten und Objektgruppen in institutionellen Sammlungen der Erhalt großer heterogener Bestände aus Adelsbesitz zur Seite gestellt werden soll. Die beispielhafte Untersuchung der welfischen Besitztümer nach 1918 aus der Perspektive der Biographien der Dinge kann die festgestellten Bedeutungsebenen ebenso bestätigen wie die Elemente einer dynamischen Sammeltätigkeit. Sie stellt die insgesamt für Adelssammlungen festgestellten Erkenntnisse am Beispiel der Welfen in den Kontext historischer Ereignisse und ihrer Wahrnehmung durch die Öffentlichkeit, Regierende, den Kulturgüter- und Denkmalschutz sowie die Wissenschaft. Die Betrachtung von Objektbiographien hat jedoch auch gezeigt, dass diese nur in den seltensten Fällen gemäß ihren Idealbiographien verlaufen und ständigem Wandel unterworfen sind. Veränderte Ding-Mensch- und Ding-Ding-Bindungen resultieren daraus. Die Vorstellung einer Biographie der Dinge schließt zudem den Endpunkt einer solchen mit ein, so dass die Auflösung der Adelssammlungen als historische Entwicklung akzeptiert werden könnte. Dieser Position steht der Wunsch nach einer Bewahrung der Bestände aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung des Adels sowohl vor als auch nach 1918 entgegen, so dass die vorliegenden Ergebnisse dazu genutzt werden können, mögliche Lösungswege für den weiteren Erhalt dieser und ähnlicher Bestände zu finden. Die in Kapitel 4.3 gestellte Frage – Kann das wiedererwachte Interesse an Objekten der Adelskultur genutzt werden, um noch bestehende Sammlungsbestände im Sinne einer lebendigen Sammeltätigkeit zu erhalten oder ist der bisherige „neutralisierende“ Weg der einzig mögliche? – ist zum derzeitigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Es ist jedoch festzuhalten, dass die vorliegende Untersuchung zu einer Neubetrachtung genereller Fragen des Kulturgüterschutzes führen kann: den heutigen Formen der Bewahrung wird ein scheinbar gegensätzliches Modell gegenübergestellt. Dieses war über Jahrhunderte hinweg von Dynamik statt Statik, Veränderung statt Unveränderlichkeit, Nutzung statt Betrachtung, Bindungen statt Isolierung und Vielfalt statt Auswahl geprägt. Zudem ist die Diskussion um den Erhalt dieser Teile unseres kulturellen Erbes nicht mehr aufzuschieben, da die Folgen der gesellschaftlichen Veränderungen nach 1918 die Anwendung dieser Erhaltungskonzepte durch den Adel selbst
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schrittweise an einen Endpunkt führen. Während die Form der Bewahrung bisher offen bleibt, kann bereits festgestellt werden, dass sie nur unter Einbezug sowohl des Museums- als auch des Schlossraumes – das heißt in Zusammenarbeit der Adelsfamilien, der zuständigen Regierungsvertreter und Behörden des Kulturgüter- und Denkmalschutzes sowie der Wissenschaft – gelingen kann. Im Fall der Welfen könnte das langsam wieder anwachsende Engagement durch Ernst August (VI.) von Hannover in Bezug auf regionale Belange ebenso genutzt werden wie das Interesse der Öffentlichkeit, um den im Verlauf des 20. Jahrhunderts immer stärker abgeschwächten Dialog zu reaktivieren. Sowohl im Fall einer Akzeptanz des Endpunktes von Adelssammlungen als auch als Folge der Entscheidung für eine Erhaltung derselben ist eine wissenschaftliche Bearbeitung noch vorhandener Bestände – sozusagen als Minimalleistung im Sinne der Idee des kulturellen Erbes – nötig31. Auch wenn diese im Zuständigkeitsbereich der Denkmalschutzbehörden liegen, muss vor allem die Wissenschaft diesbezüglich aktiv werden und derartige Grundlagenforschungen nicht länger als „zweitklassig“ betrachten32.
5.1
E RHALTUNGSMÖGLICHKEITEN A USBLICK UND A NREGUNGEN
VON
A DELSSAMMLUNGEN –
„We value our heritage most when it seems at risk; threats of loss spur owners to stewardship.“33 D. LOWENTHAL
Als Abschluss dieser Arbeit sollen im Folgenden einige Anregungen für eine weiterführende Diskussion festgehalten werden, die gleichzeitig Hinweise auf mögliche Erhaltungskonzepte geben. Diese sind als Denkanstöße zu verstehen, deren (modifizierte) Durchführbarkeit am Einzelfall zu überprüfen sein wird. Sie akzeptieren sowohl die Grenzen des Erhalts durch die Adelsfamilien selbst als auch diejenigen der musealen Bewahrung und gehen über die Schutzmöglichkeiten des Kulturgüter- und
31 Eine intensivere Quellenrecherche als dies im Umfang der vorliegenden Arbeit möglich war, könnte diesbezüglich auch in Hinblick auf Objektbiographien weitere Erkenntnisse bringen. 32 Damit ist Grafs Aussage zuzustimmen, welche dieser bereits 1999 formuliert hatte: „Die Wissenschaft sollte sich, meine ich, mehr als bisher einmischen und das in Bezug auf private Sammlungen allzu verschwiegene Geschäft des Kulturgut- und Denkmalschutzes mit kritischem Sachverstand kontrollieren und die Resultate dieser Bemühungen öffentlich machen. Es wird sich nichts ändern, wenn es nicht mehr öffentliche Diskussion – auch in den Verbänden – gibt, und wenn es die Forschung nicht lernt, ihre Erhaltungsinteressen unmissverständlich zu artikulieren.“, Graf 1999, S. 525. 33 Lowenthal, S. 24.
676 | S AMMLUNGEN DES A DELS Denkmalschutzes hinaus, auch wenn diese durchaus innerhalb der bestehenden Gesetze ausgedehnt werden könnten. Forschungsaufgaben Forschungsprojekte zum Besitz der Welfen, die sich nicht allein auf die Vergangenheit beschränken, sondern auch für die Öffentlichkeit erfahrbar machen, welche Teile des Kulturerbes aus dem Einflussbereich der Welfen bis heute erhalten geblieben sind, sind Voraussetzung für Teilhabe an diesen Beständen. Beliebte Teile des Kulturerbes – wie bekannte Bauwerke34 – können damit auf unbekanntere Bereiche hinweisen. Eine Publikationsreihe könnte beispielsweise vom Großen zum Kleinen sowohl die erhaltenen Bauwerke als auch Einzelobjekte in Museums- und – soweit möglich – Privatbesitz vorstellen. Die Förderung des öffentlichen Bewusstseins in der Region, welche als Voraussetzung für weiteres Erhaltungsengagement nötig ist, könnte derart mit Werbemaßnahmen für institutionelle Sammlungen verknüpft werden. Gleichzeitig setzt diese Arbeit dringend nötige Inventarisierungsmaßnahmen um35 und zeigt mögliche Disbalancen – wie Bestände in Depots auf der einen und „leere (Schloss-)Räume“ auf der anderen Seite – auf. Es ist wichtig, dass Projekte dieser Art nicht an den Landesgrenzen haltmachen, sondern historische geographische Gegebenheiten berücksichtigen, die beispielsweise Schloss Blankenburg nicht von Schloss Marienburg trennen, auch wenn Trennungen dieser Art für die Profilierung der Museen notwendige Voraussetzungen waren und sind36. Eine Trennung der welfischen Einflussbereiche ist, auch in Hinblick auf die Zusammenführung der Bestände in eine Hand während des 20. Jahrhunderts, für die Forschung nicht vertretbar, obwohl diese auch im Zuge der Auktion 2005 durch bewusste Nicht-Nennung der Objekte aus Braunschweig in der entsprechenden Pressemitteilung forciert wurde. Die Forschung ist diesbezüglich in der Lage, auf übergreifende Bedeutungen hinzuweisen und damit Erhaltung sicherzustellen37. 34 Aufgrund der starken Beschäftigung des Denkmalschutzes mit Baudenkmalen könnte diesbezüglich auf bereits weitreichende Inventarisierungen zurückgegriffen werden. Gleichzeitig ist nicht zu ignorieren, dass diese sich aufgrund ihrer Präsenz im Alltag der Menschen als Träger regionaler Identität eignen. Allerdings könnten sie in dieser Fähigkeit dazu genutzt werden, auf weitere Bereiche des Kulturerbes hinzuweisen, wenn historische Bezüge offenkundiger werden; eine diesbezügliche Einflussnahme macht Gillman deutlich: „Heritage is not an objective fact about the world but a social construction, to which historical and religious narratives, customary law and particular individuals have contributed in important ways.“, Gillman, S. 66. 35 Welche Grundaufgabe des Denkmalschutzes sind und beispielsweise für die Bestände des Schlosses Marienburg vor 2005 nicht durchgeführt worden waren. 36 Dies macht Röhrbein deutlich, indem er festhält, dass das Historische Museum in Hannover sich auf das Gebiet des Königreichs Hannover beschränke, da für die anderen Teile Landesmuseen in Braunschweig und Oldenburg zuständig seien. Die im gleichen Zusammenhang genannte Rolle des Fürstenhaus-Museums in Herrenhausen und der Bestände in Schloss Marienburg machen deren Verlust für das kulturelle Erbe erneut deutlich, Röhrbein 1985, S. 11. 37 Die Presse wies in Bezug auf die Gartenbibliothek auf diese wichtige Rolle der Wissenschaft hin: „Endlich haben wir ein – nicht nur diffus aus womöglich individuellen Motiven
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Ein interdisziplinärer Ansatz, der sich auch mit den nicht rechtsverbindlichen Vorschriften des Kulturgüter- und Denkmalschutzes auseinandersetzt, kann dabei hilfreich sein. Beispielhaft zu nennen ist die in Kapitel 2.1 vorgestellte Rahmenkonvention des Europaratesüber den Wert des Kulturerbes für die Gesellschaft, die sich auch mit der Nutzbarkeit des kulturellen Erbes für die lebende Generation beschäftigt sowie auf die Notwendigkeit kultureller Bildung und Aufklärung hinweist. Auch die mittlerweile 50 Jahre alte Charta von Venedig, welche wichtige Aspekte des Kontexterhalts beinhaltet, ist diesbezüglich zu nennen38. Die Sammeltätigkeit des Adels als immaterielles Kulturgut Die Sammeltätigkeit des Adels, die bisher einen großen Beitrag zum Erhalt des kulturellen Erbes geleistet hat, könnte unter Berücksichtigung ihrer Dynamik, sozusagen als immaterielles Kulturerbe, anerkannt und entsprechend in Erhaltungskonzepte integriert werden. Eine unveränderliche Bewahrung sowohl der Objekte als auch der Bestände im Ganzen ist jedoch auch auf diese Art und Weise nicht möglich39. Dennoch könnte gerade die Förderung von sich an neue Situationen anpassenden DingBiographien deren Erhalt weiter ermöglichen. Und nur auf diesem Weg ist es möglich, dass, wie Graf fordert, der „besondere Ensemble-Charakter gewachsener Sammlungen, deren eigene Geschichtlichkeit sich in einem bedeutungsvollen Netz von Bezügen zwischen den Stücken und zu historischen Sammlerpersönlichkeiten [...] realisiert“40, immer wieder selbst erneuert. Auch wenn, wie beispielsweise im Fall der Welfen, Teile des gemeinsamen Gedächtnisses durch eine Entfernung der jungen Generation zu ihrem Erbe nicht mehr abrufbar sind, kann dieses gemeinsam mit der Bildung eines historischen Gedächtnisses reaktiviert werden, da Orte und Objekte durch die ihnen innewohnende Fähigkeit, Erinnerungsobjekt zu sein, an die Vergangenheit anknüpfen können41. Mandler gibt diesbezüglich einen entscheidenden Hinweis:
38 39
40 41
laut gewordenes, sondern offenkundig von Fachleuten vertretenes – Interesse der Öffentlichkeit daran, diese Bestände als Kulturgut zu sichern. Wenn dem so ist, dann muss dann freilich die Gesellschaft, für die der Staat handeln soll, auch zu ihrer Forderung stehen. Und das heißt nichts anderes, als in der aktuellen Situation wirtschaftlicher und sozialer Anspannung zu akzeptieren, dass die Rettung von kulturellem Gemeingut kein billiges Vergnügen ist, sondern ein Anliegen der Gemeinschaft, das sehr viel Geld kostet. Aufgerufen ist die öffentliche Hand, aber auch Mäzene im wahrsten Sinn des Wortes.“, FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005. Vgl. Europäische Kulturerbe-Rahmenkonvention und Charta von Venedig. Interessant ist in diesem Zusammenhang Gambonis Hinweis auf die in Japan praktizierte Haltung gegenüber dem kulturellen Erbe. Dort wird nicht grundsätzlich das Objekt bewahrt, sondern die Traditionen und Fertigkeiten stehen im Vordergrund. Heiligtümer werden daher in regelmäßigen Abständen abgerissen und traditionell neu aufgebaut, Gamboni, S. 348. Graf 2005, S. 182. Als Beispiel kann die von Sayn-Wittgenstein-Sayn beschriebene Behandlung der Burg Sayn dienen: „Nach 350 Jahren Verfall und Funktionslosigkeit drohte die einst mächtige Anlage ihre Rolle im Geschichtsbewusstsein der Bevölkerung, der Behörden und nicht zuletzt auch der Besitzerfamilie vollends zu verlieren. Wenn überhaupt noch wahrgenom-
678 | S AMMLUNGEN DES A DELS „[...] they made another key contention – that the house, its collections, the estate on which it sat, and its historic owner formed a ‚unity‘ which could not be broken without losing the ‚soul‘ of the national heritage. It was not enough to save the country house and its collection, the public had to save the owner and his landed estate as well.“42
Institutionelle Sammlungen können zudem entlastet werden, indem diesen eine weitere akzeptierte Bewahrung des kulturellen Erbes beiseite gestellt wird, was laut Sax nicht nur notwendig, sondern unter Einbehaltung einiger Kriterien auch möglich wäre: „There are many owned objects in which a larger community has a legitimate stake because they embody ideas, or scientific and historic information, of importance. For the most part it is neither practical nor appropriate that these things be publicly owned. It is, for example highly desirable that private individuals collect art according to their own tastes and have the enjoyment of it. The conjunction of legitimate private and public interests, however, suggest that ordinary, unqualified notions of ownership are not satisfactory for such objects. I propose that several qualifications are generally appropriate: a bar on destruction and on denial of access, and at least a presumption against grants of exclusive access to particular individuals (such as authorized biographers or favored researchers).“43
Ein Dialog mit dem Adel, für welchen das Sammeln und die Sammlungen nach 1918 vorrangig der Identitätssicherung dienten, der aber gleichzeitig ebendiese dynamische Sammeltätigkeit durch Einschränkungen des Kulturgüter- und Denkmalschutzes eingeschränkt sah, ist dafür unerlässlich. Gleichermaßen müssen Kulturgüter- und Denkmalschutz darüber nachdenken, ob durch einen solchen Dialog – wie bereits in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts – möglicherweise die Aufgabe von vereinzelten Ausfuhrbeschränkungen zugunsten gemeinsamer Erhaltungskonzepte größerer Bestände akzeptabel wäre. Vorkaufsrecht nach englischem Vorbild Wie bereits mehrfach erwähnt, wurde der Verkauf von Kulturgut aus Adelsbesitz bereits im Rahmen der Vermögensauseinandersetzungen als Folge der für den Adel wirtschaftlichen Veränderungen vorausgesehen. Ein Vorkaufsrecht der öffentlichen
men, waren die Ruinen für Besitzer, Betrachter und die benachbarte Bevölkerung ein Negativum, ein Schandfleck, Gefahrenherd und Zeichen wirtschaftlicher Armut des Ortes. Doch das Damoklesschwert behördlicher Abbruchbefehle, das über einigen exponierten Ruinenteilen schwebte, zwang erstmals zum Nachdenken und Überprüfen des Denkmalwertes ... So wurde aus einer Belastung für die Umwelt [...] innerhalb weniger Jahre eine Bereicherung nicht nur für den Ort und die Besitzerfamilie, sondern auch für den Tourismus am ohnehin an Attraktionen nicht armen Mittelrhein.“, Sayn-Wittgenstein-Sayn, S. 11-12. 42 Mandler, S. 56; auch Prof. Luckhardt betont, dass die Bewahrung durch die Familien selbst große Vorteile bietet, Gespräch Prof. Luckhardt; ebenso Graf, vgl. Graf 2005, S. 184. 43 Sax 1999, S. 9.
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Hand wurde damals als Lösung für diese Problematik in Betracht gezogen44. Ein solches wird auch heute in einigen europäischen Staaten wie beispielsweise England und Frankreich praktiziert45 und wurde am Beispiel Englands sowie der dort gültigen Waverley Kriterien in Kapitel 2.1 bereits kurz vorgestellt. Das Beispiel des so genannten „Badminton-Kabinetts“, welches als Auftragsarbeit für Henry Somerset-Scudamore 3rd Duke of Beaufort im 18. Jahrhundert im Badminton House zur Aufstellung kam und von dessen Erben 1990 in London versteigert wurde, zeigt, dass diese Möglichkeit nicht grundsätzlich den (Abwanderungs-)Schutz der Objekte ermöglicht. Nach der Versteigerung hatte man ein zweimonatiges Ausfuhrverbot verhängt und das Kabinett in der Tate Gallery ausgestellt. Die erforderliche Summe zum Ankauf konnte jedoch nicht aufgebracht werden, so dass der (Ver-)Kauf(s)akt gültig wurde. Darüber hinaus war es bereits vor der Versteigerung dem Victoria & Albert Museum für einen sehr viel geringeren Betrag angeboten worden, das ebenfalls den Kaufpreis nicht bezahlen konnte oder wollte. 2004 wurde das Kabinett, welches seit 1990 durch die neue Eigentümerin eingelagert worden war, erneut veräußert und durch Hans Adam (II.) Fürst von und zu Liechtenstein Herzog von Troppau und Jägerndorf Graf zu Rietberg erworben, der es im Wiener Palais Liechtenstein der Öffentlichkeit zugänglich machte46. Das Beispiel zeigt damit auch, dass trotz misslungenem Versuch, die Abwanderung zu verhindern, nun eine Lösung gefunden wurde, die im Sinne eines globalen kulturellen Erbes von größerem Nutzen ist als der Erhalt im Land ohne Möglichkeit der öffentlichen Zugänglichkeit. Durch die Integration in eine lebendige Adelssammlung sind zudem Reste eines Kontextes – wenn auch nur im übertragenen Sinne und nicht vergleichbar mit dem originalen Aufbewahrungsort – möglich. Als gelungenes Beispiel des Vorkaufsrechtes kann dagegen der verhinderte Verkauf von Dumfries House genannt werden, was nicht zuletzt wegen dessen Interieur gelang, aber auch aufgrund von Bindungen Charles’ Prince of Wales Duke of Rothesay Duke of Cornwall zur entsprechenden Immobilie47. Um das Problem der Finanzierung von national wertvollen (Einzel-)objekten, nämlich „exzeptionelle, für den deutschen Kulturbesitz unverzichtbare, d.h. unser nationales Erbe verkörpernde, als Zeugnis unserer nationalen Identität und unseres ge44 Allerdings hatte man hier auch den materiellen Wert im Sinn, was die Betonung des Wiederverkaufsrechts verdeutlicht: „Für alle sachverständigerseits nachgewiesenen künstlerisch, wissenschaftlich oder historisch wertvollen Objekte, welche im fürstlichen Privateigentum auch weiterhin verbleiben – auch soweit sie zum Schatullvermögen gehören –, ist staatliches Vorkaufsrecht ebenso zu fordern, wie staatliches Weiterverkaufsrecht nach vollzogener Veräußerung an den Staat.“, Günther, S. 130-131. 45 Schütte bezeichnet dies als vorbildlich, Schütte, S. 3565. 46 Gillman, S. 66ff. 47 „Strong responses both from the Art Fund and the Prince of Wales to the proposed Dumfries sale reflected sensibilities captured by all Waverley criteria: they wished to maintain historical associations (Waverley 1); to keep in Britain significant works of art and design (Waverley 2); and to stimulate the study of intentions and taste (Waverley 3). And indeed the sales were successfully averted when the Prince put together the neccessary funds, some £40 million, intending to build model housing within the extensive grounds.“, Gillman, S. 168.
680 | S AMMLUNGEN DES A DELS schichtlichen Selbstverständnisses unersetzliche Werke“48, zu lösen, schlägt Schütte einen „Nationalfonds mit ‚Eiserner Reserve‘ für Ankäufe im In- und Ausland, aber auch zur Vorfinanzierung von Erwerbungen“49 vor. Bei einer solchen Lösung könnte ein Vorkaufsrecht direkt umgesetzt werden und würde nicht – wie in England – vorrangig zu einer Ausfuhrverzögerung mit dem Zweck, in dieser Zeit Finanzierungsmöglichkeiten zu erarbeiten, führen. Mit Blick auf die als Ausgang dieser Arbeit dienende Auktion 2005 in deren Vorfeld es ebenfalls zu einem Vorkaufsrecht für ausgewählte institutionelle Sammlungen kam, sowie die Untersuchung weiterer Verkäufe durch die Welfen nach 1918 wird deutlich, dass ein Vorkaufsrecht, ebenso wie weitere Mittel des Abwanderungsschutzes, keine Lösung für das Problem der Bewahrung von Adelssammlungen anbietet. Wie die Betrachtung der biographischen Wendepunkte von Objekten aus dem Besitz der Welfen gezeigt hat und auch am Beispiel des „Badminton-Kabinetts“ deutlich wurde, sind Angebote des Adels an institutionelle Sammlungen oder Regierungsbehörden vor der Veräußerung auf dem Kunstmarkt eine gängige Vorgehensweise. Dies führt nur vereinzelt zum Erfolg. Zudem sind Ankäufe dieser Art stark an die Bedürfnisse der Museen gebunden, welche – wie beschrieben – wenig Kapazitäten zur Aufnahme von Objekten aus Adelssammlungen haben. Die in England mit dem Vorkaufsrecht verbundene Ausfuhrsperre, die auch nach der Versteigerung/dem Verkauf noch wirksam werden kann, ist jedoch hilfreich, um eine Grunderforschung des jeweiligen Objekts zu gewährleisten und darüber hinaus, zumindest für einen begrenzten Zeitraum, die Öffentlichkeit an diesem teilhaben zu lassen. Diese Teilhabe kann zudem zur Bildung von Verständnis für eventuelle Ausgaben zum Ankauf von Kulturgut genutzt werden, deren Akzeptanz gewährleistet sein muss, damit dieses System funktioniert50. Formen der Schlösserverwaltungen Während auch das Vorkaufsrecht stärker auf den Erhalt von Einzelobjekten als auf denjenigen von Gesamtbeständen fokussiert, bemühen sich verschiedene Konzepte von Schlösserverwaltungen um den Erhalt von Baudenkmalen mitsamt ihrer Ausstattung. Diese Konzepte reichen von Nicht-Regierungs-Organisationen zu staatlichen Programmen mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung. Als Beispiel der Einbindung von Schlössern in ein umfassendes Projekt zur Erhaltung des kulturellen Erbes durch Teilnahme der Allgemeinheit als Erbnehmer ist der englische National Trust zu nennen51. Auf der Internetseite des National Trust wird dessen Aufgabe knapp zusammengefasst: „We’re a UK conservation charity, protecting historic places and green spaces, and opening them up for ever, for everyone.“52 Die Idee des kulturellen Erbes ist klar erkennbar: sowohl die Bewahrung als 48 Schütte, S. 3565. 49 Schütte, S. 3565; beispielsweise hat Australien – angelehnt an den Weltkulturerbefonds – einen nationalen Kulturgüterfonds eingerichtet, vgl. Movable Cultural Heritage Act. 50 Auch Schütte weist darauf hin, dass Ausgaben möglich sein müssen, ohne dass von Verschwendung die Rede ist, vgl. Schütte, S. 3565. 51 Prof. Ottomeyer hält den National Trust für ein wichtiges Vorbild der Kulturpflege, Gespräch Prof. Ottomeyer. 52 National Trust: http://www.nationaltrust.org.uk/.
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auch die öffentliche Zugänglichkeit haben einen enormen Stellenwert. Das kulturelle Erbe wird sowohl in materieller Form von Gebäuden und Natur erhalten als auch in immaterieller Form von handwerklichen Fähigkeiten oder lokaler Lebensmittelproduktion53. Der National Trust ist eine Nicht-Regierungs-Organisation, welche auf Mitgliedschaften basiert, die einen Teil der Einnahmen, neben Spenden und wirtschaftlichen Unternehmen (wie beispielsweise Hotels und Gastronomie), ausmachen54. Das Vorgehen des National Trust basiert auf der Vorstellung der sich im direkten Lebensumfeld bildenden Identität, die sich durch gemeinsame Ziele und gemeinsam erlebte Emotionen festigen kann. Das Bewusstsein um ein gemeinsames nationales Erbe, das in seiner Vielfalt jeden ansprechen kann, soll vermittelt werden und führt im Umkehrschluss zur Beteiligung als (zahlendes) Mitglied, Spender oder freiwilliger Helfer55. Damit ist die Übernahme von Pflichten ebenso in die Erhaltung eingebunden wie das Recht, durch öffentliche Zugänglichkeit am eigenen kulturellen Erbe „nutzend“ teilhaben zu können. Der Anspruch von Transparenz, der durch die Veröffentlichung eines ausführlichen „Governance Handbook“, welches über die Struktur des National Trust informiert56, sowie der Strategie der nächsten Jahre57 erfüllt werden soll, unterstreicht diesen, auf gemeinsamer Identität basierenden, Ansatz. Der National Trust ist Eigentümer des von ihm verwalteten kulturellen Erbes. Bereits in den 30er und 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es zahlreiche Kooperationen von Eigentümern historischer Gebäude mit dem National Trust. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg haben auch zahlreiche Adelsfamilien ihre Schlösser an den Staat verkauft, der sie wiederum an die Vereinigung weitergab und den ehemaligen Eigentümern zum Teil ein Wohnrecht in ausgewählten Teilen der Gebäude einräumte58. Die Schlösser wurden so Schritt für Schritt an die Öffentlichkeit übergeben und eingebettet in den Kontext des gesamten kulturellen Erbes, dessen identitätsstiftende Wirkung direkt erfahrbar wird.
53 „We protect and open to the public over 350 historic houses, gardens and ancient monuments. But it doesn’t stop there. We also look after forests, woods, fens, beaches, farmland, downs, moorland, islands, archaeological remains, castles, nature reserves, villages - for ever, for everyone.“, National Trust: http://www.nationaltrust.org.uk/about-us/. 54 „We have over 3.7 million members and 61,000 volunteers. More than 17 million people visit our pay for entry properties, while an estimated 50 million visit our open air properties.“, National Trust: http://www.nationaltrust.org.uk/about-us/. 55 Ebendiese Weitläufigkeit wird jedoch auch kritisiert, so beispielsweise von Lowenthal, der die Aufnahme eines viktorianischen Wohnhauses für zu weitführend hält, Lowenthal, S. 15; dem ist entgegenzusetzen, dass die Idee des kulturellen Erbes ebendiese Weitläufigkeit beinhaltet. 56 National Trust: http://www.nationaltrust.org.uk/document-1355818563801/. 57 National Trust: http://www.nationaltrust.org.uk/strategy/. 58 Vgl. Sinclair, der dies zwar als Rückschritt der Adelsfamilien als „Hausverwalter“ erwähnt, diesen aber einer rein touristischen Vermarktung von Schlössern vorzieht, Sinclair, S. 181; vgl. Lord Montagu of Beaulieu, S. 101; Lowenthal betont die Entwicklung der Öffnung von „Stately Homes“ bereits im 19. Jahrhundert und den Vorteil einer langsamen Weiterentwicklung dieser Idee, S. 65.
682 | S AMMLUNGEN DES A DELS Die Beliebtheit des National Trust, die sich auch in den wachsenden Mitgliedszahlen ablesen lässt, zeigt die Aktualität eines solchen Konzeptes, das langlebiger als eine rein touristische Vermarktung ist59. Es ist jedoch zu bedenken, dass gerade die Betonung des Allgemeinerbes im Konzept des National Trust dem Verhältnis des Adels zu seinem Besitz entgegensteht, was in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts zu entsprechender Skepsis geführt hat60. Das Konzept greift für Sammlungen in Adelsbesitz nur dann, wenn diese in ihrer Gesamtheit mit der zugehörigen Immobilie durch die Familien veräußert werden sollen und diesen ein entsprechender Gegenwert gewährleistet wird. Eine weitere Organisation, die in Verbindung zur Erhaltung von Schlössern steht, ist die englische Historic Houses Association, die unter dem Motto „Supporting Britain’s family-owned historic houses, castles and gardens – and helping visitors to enjoy them“61 ebenfalls die Bewahrung sowie die öffentliche Zugänglichkeit des kulturellen Erbes zum Ziel hat. Allerdings sieht dieses Konzept vor, dass die Gebäude mitsamt ihrer Ausstattung weiterhin im Eigentum der Adelsfamilien verbleiben: „The Historic Houses Association (HHA) represents 1,570 of the UK’s privately and charitably owned historic houses, castles and gardens ... Around 500 of these properties open their doors to visitors for days out, special tours, school visits, film locations, weddings and events, or as memorable places to stay. 13 million people a year visit HHA Member properties and there are 38,000 Friends of the HHA.“62
Damit erreicht die HHA eine wesentlich größere Anzahl an Schlössern als der National Trust, wobei jedoch gleichzeitig die Teilhabe der Allgemeinheit an diesem Teil des kulturellen Erbes (trotz der enormen Besucherzahlen) geringer ist. Anders als der National Trust, der auf seinen Status als reine Nicht-RegierungsOrganisation und die Beteiligung der Mitglieder und Spenden als Finanzierung hinweist, zählt die HHA Lobbyarbeit zur Verbesserung der staatlichen Unterstützung zu ihren Aufgaben63. Des Weiteren bietet die Organisation Hilfestellungen jeglicher Art 59 Eine solche war in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts in England ebenfalls als Konzept der Erhaltung von Schlössern in Adelsbesitz vorangetrieben worden. Vertreter dieses Konzeptes war Edward Montagu of Beaulieu, der den National Trust als veraltet und nicht offen genug für das Publikum kritisierte, aber bereits folgerichtig feststellte, dass dessen Ziel die Erhaltung des Erbes, nicht die Unterhaltung von Touristen sei, Lord Montagu of Beaulieu, S. 89ff. 60 „The landowner was not a steward or a trustee for anyone but his own family. To admit that the nation as a whole had any share, however theoretical, in the houses and the estates of the landed aristocracy would be to lend aid and comfort to the nationalisers and confiscators. This line of thinking was responsible, for example, for the almost total resistance before the Second World War to the National Trust’s scheme to take over country houses.“, Mandler, S. 56. 61 Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/. 62 Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/what-we-do.html; auf einer weiteren Seite ist die Rede von 900 der Öffentlichkeit zugänglichen Mitgliedsstätten, Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/facts-and-figures.html. 63 Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/what-we-do.html.
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für die Eigentümer, „ranging from reducing their carbon footprint to dealing with carpet beetles“64, zudem eine Marketingplattform. Sie versteht sich damit als Bindeglied eines Netzwerkes aus Eigentümern, Beratern und Restauratoren65. Auch die HHA legt ihre Struktur offen66 und erleichtert damit das Verständnis und den Zugang für ihre Arbeit. Die Organisation arbeitet zudem mit dem Heritage Conservation Trust zusammen, der zunächst Gelder für notwendige Restaurierungsmaßnahmen zur Verfügung stellte und nun auch Zuschüsse für diejenigen Häuser anbietet, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen67. Dieser Aspekt finanzieller Erleichterungen darf nicht vernachlässigt werden. So führte beispielsweise die von der HHA gezielt betriebene Lobbyarbeit zu erheblichen Steuererleichterungen im Zusammenhang mit einer in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts neu eingeführten Steuergesetzgebung68. Die HHA bietet insgesamt vor allem Hilfe zur Selbsthilfe, die wirtschaftlichen Erfolg zum Ziel hat, um sich selbst erhalten zu können: „Heritage means business – enable Britain’s inspirational places to meet new challenges.“69 Dabei werden auch unkonventionelle Wege der Vermarktung, die sich bereits nach dem Zweiten Weltkrieg etabliert hatten, akzeptiert (beispielsweise die Verknüpfung des Schlosses mit einer Miniatureisenbahn, einem Zoo oder einem Automobilmuseum). Ebendiese Haltung beschreibt Edward Montagu of Beaulieu schon 1967 als einzige Möglichkeit:
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Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/what-we-do.html. Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/what-we-do.html. Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/about-the-hha/hha-governance.html. Heritage Conservation Trust: www.heritageconservationtrust.org.uk; Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/charitable-work/heritage-conservation-trust.html. 68 Mandler, S. 53; auch in Frankreich führen Steuererleichterungen zu Bewahrungsmaßnahmen sowie öffentlicher Zugänglichkeit: „Dabei muß natürlich berücksichtigt werden, daß eine Öffnung des Schlosses oder einiger Räumlichkeiten für das Publikum es den Besitzern durch das Gesetz vom 23. Dezember 1964 ermöglicht, alle für Restaurierung und Unterhalt anfallenden Kosten von ihrem zu versteuernden Einkommen abzusetzen, wenn das ‚private historische Denkmal‘, falls es dem Denkmalschutz untersteht, mindestens 40 bis 50 Tage im Jahr der Öffentlichkeit zugänglich ist, und daß durch das Gesetz vom 5. Januar 1988 private historische Denkmäler, die mindestens 80 bis 100 Tage im Jahr dem Publikum offenstehen, bei einer Übergabe an die nächste Generation keiner Besteuerung unterliegen; diese Gesetze haben den Schloßherren, durchaus auch gezwungenermaßen, die Entscheidung erleichtert, Besucher zuzulassen.“, de Saint Martin, S. 103; in Bezug auf die Situation in Deutschland kritisiert eine Resolution des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz aus dem Jahr 1998 die Abschaffung oder Einschränkung der Steuererleichterungen für Denkmaleigentümer, welche die Denkmalerhaltung gefährden, Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Resolution: Schutz und Pflege des Kulturellen Erbes brauchen wirksame Gesetze und steuerliche Förderung, Dresden 29. November 1998, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 266-267, folgend: Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz 1998. 69 Historic Houses Association: http://www.hha.org.uk/our-policies.html.
684 | S AMMLUNGEN DES A DELS „Unless we can adapt ourselves to the times and conditions in which we live we shall suffer a fate as final, if less dramatic, as the French feudal aristocracy at the end of the eighteenth century. If this happens our great country houses will become as empty and lifeless as many of the Chateaux of the Loire.“70
Diese Haltung, die rein touristische Maßnahmen als Folge eines falsch verstandenen Zeitgeistes für nötig zur Erhaltung des kulturellen Erbes ansieht, muss kritisch betrachtet werden. Sie ist jedoch nicht grundsätzliches Leitmotiv der HHA, deren vorrangigen Erfolg Mandler in der Außenwirkung der Hauseigentümer sieht: „They are no longer seen as enemies by the mass of the people, nor as targets for political or economic retribution, except perhaps in their relatively minor role as fox-hunters. In fact, except when they wish to be, they are no longer seen at all.“71
Die Historic Houses Association erreicht damit die Anerkennung der Sammeltätigkeit des Adels als immaterielles Kulturgut, welches akzeptiert, dass nicht alle Eigentümer gleichermaßen das kulturelle Erbe teilen, gleichzeitig aber auch ermöglicht, dass andere ein tieferes Verständnis für dessen Allgemeinheitsgedanken entwickeln72. Auch in Deutschland wurden seit dem Zweiten Weltkrieg Schlösserverwaltungen gegründet, welche entweder als Stiftungen oder als staatliche Einrichtungen organisiert sind. Zwei von zahlreichen Beispielen sind die 1946 gegründete Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen73 sowie die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg74. Diese Verwaltungen sind allein für Schlösser im Eigentum der öffentlichen Hand zuständig. Sie bieten bezüglich der Erforschung und Zusammenarbeit als auch der Vereinheitlichung der öffentlichen Zugänglichkeit zahlreiche Vorteile. In Bezug auf die in dieser Arbeit vorgestellte Problematik können bestehende Schlösserverwaltungen zudem besser in der Lage sein, komplette Immobilien mitsamt ihrer Ausstattung zu übernehmen, als dies für Behörden mit weniger spezifischem Aufgabenfeld der Fall ist. Die Vorteile der Schlösserverwaltungen liegen zudem bereits in deren Entstehung begründet. Beispielsweise hatte in Hessen eine Vorläuferorganisation der heutigen Verwaltung bereits direkt aus den ehemaligen Krongutverwaltungen Aufgaben übernommen, für welche seit 1918 Gelder des Haushaltes bereitgestellt wurden75. Die hessische Schlösserverwaltung ist, wie auch diejenigen anderer Bundesländer, 70 Lord Montagu of Beaulieu, S. 205. 71 Mandler, S. 54. 72 „More positively, those who have become professional heritage guardians have in the current generation developed a more genuine and deeper knowledge of their possessions, and fostered the same in the public. What began for many as a ruse or a dogde or a measure of desperations has inevitably matured into a cause, even a way of life – a hint, perhaps, of further adaptions to come.“, Mandler, S. 58. 73 Staatliche Schlösser und Gärten Hessen: http://www.schloesser-hessen.de/. 74 Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg: http://www.spsg.de/start seite/. 75 Vgl. Biehn, S. 119.
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dem Kultusministerium unterstellt, wohingegen die bayerische dem Finanzministerium unterstellt ist76. Ziele sind neben der Erhaltung auch die Vermittlung dieser Teile des kulturellen Erbes, wobei festzustellen ist, dass die Verwaltung sich – zusammen mit den bereitgestellten Geldern – wirtschaftlich trägt77. Biehn macht darauf aufmerksam, dass grundlegend zwischen Museen und Schlösserverwaltungen unterschieden werden muss, welche durch die Geschichte entwickelte Bestände (zum Teil nachvollziehbar anhand historischer Inventare) anstatt nach wissenschaftlichen Kriterien zusammengestellte Sammlungsteile zeigen: „Man sollte bei den größeren Objekten, den Schlössern, nach Möglichkeit vermeiden, von Schlossmuseen zu sprechen, denn das reiche Inventar der Schlösser besitzt einen anderen Charakter als die Sammlungen eines Museums. Museen haben sich erst seit dem 18. Jahrhundert durch Stiftung von fürstlichen Sammlungen für die Allgemeinheit oder durch großbürgerliches Mäzenatentum mit späteren Zukäufen entwickelt, während der Inhalt der Schlösser ein sozusagen im Laufe der Jahrhunderte entsprechend dem Wechsel der Lebensumstände der Bewohner, gewachsener Bestand ist. Die Objekte können nicht allein nach dem Maßstab künstlerischer Qualität gewürdigt werden, wie das heute weitgehend bei den Einzelobjekten der Sammlungen der größeren Museen und Galerien der Fall ist.“78
Im Zusammenhang der hier kurz vorgestellten unterschiedlichen Konzepte der Schlösserverwaltungen ist auch auf die in Kapitel 2.1.4 erwähnte Wörlitzer Resolution von 1994 hinzuweisen, welche ebenfalls die gewachsenen Bestände und die Notwendigkeit eines „sanften Tourismus“ betont. Obwohl sich diese Resolution hauptsächlich mit Schlössern im Eigentum der öffentlichen Hand beschäftigt, weist sie auch auf eine Nutzung von Schlössern durch die Eigentümerfamilien hin, die positiv bewertet wird und unterstützt werden sollte79. Schlösserverwaltungen können zudem die in der UNESCO Empfehlung 1978 (Kap. 2.1.4) betonten Aspekte der Notwendigkeit von Inventarisierungsmaßnahmen, der Unterstützung und Aufklärung privater Eigentümer zur Prävention von Sachschäden und der Verknüpfung von Bestandsschutz und wirtschaftlichem Nutzen80 umsetzen. Die Beispiele parallel agierender Organisationen in England weisen darauf hin, dass sich unterschiedliche Konzepte nicht ausschließen. Diese sowie die funktionierenden deutschen Beispiele belegen zudem, dass solche spezifischen Verwaltungen maßgeblich zum Erhalt dieses Teils des kulturellen Erbes beitragen können81.
76 Vgl. Biehn, S. 123. 77 Biehn, S. 124 und S. 126; die Wirtschaftlichkeit von Schlösserverwaltungen stellt auch Prof. Ottomeyer fest, Gespräch Prof. Ottomeyer. 78 Biehn, S. 124. 79 ICOMOS Resolution 1994. 80 UNESCO Empfehlung 1978. 81 Auch Prof. Ottomeyer sieht Schlösserverwaltungen in jedem Bundesland als wichtige Erhaltungsmöglichkeit an und betont diejenige in Thüringen als gutes Beispiel, Gespräch Prof. Ottomeyer; Heinrich von Hannover sieht in Schlösserverwaltungen die Möglichkeit, die Schlösser durch besonders geschultes Fachpersonal betreuen zu können sowie diese wirtschaftlich erfolgreich zu machen. Er nennt Bayern und Hessen als positive Beispiele,
686 | S AMMLUNGEN DES A DELS Das Schaudepot Neben dem Wunsch nach vollständigem Erhalt von Schlössern mitsamt ihrem Inventar hat diese Arbeit auch gezeigt, dass größere Sammlungsbestände, welche ohne die zugehörige Immobilie veräußert werden, in der Regel zerstreut werden. Volle Museumsdepots sind diesbezüglich einer der Gründe für die geringe Kaufmotivation der öffentlichen Hand. Auch die hohen Bewertungskriterien zur Aufnahme in institutionelle Sammlungen, die stärker nach einem Kunstwert als nach einem dokumentarischen Wert fragen82, sind Gründe für diese Zurückhaltung. Die Betrachtung biographischer Wendepunkte im Zusammenhang mit einer Bedeutung der Dinge hat jedoch deutlich gemacht, dass im Fall von Adelssammlungen häufig auch dokumentarische Werte zuschreibbar sind, deren Bedeutung zudem durch die großen Bestandsmengen besser verdeutlicht wird. Eine Möglichkeit, sowohl der Problematik der vollen und nicht zugänglichen Depots als auch derjenigen der Quantität und Heterogenität von Adelssammlungen zu begegnen, sind Schaudepots. Zahlreiche Museen greifen bereits auf diese Methode einer erweiterten allgemeinen Zugänglichkeit ihrer Bestände bei gleichzeitiger Raumknappheit zurück, wobei das Jüdische Museum in Wien83 sowie das Hofmobiliendepot in Wien als Beispiele genannt werden sollen84. Das Hofmobiliendepot ist direkt aus dem Möbellager der Habsburger hervorgegangen und noch heute werden einzelne Bestände genutzt (ebenso zur Ausstattung von Bundesministerien und Botschaften wie für Filmzwecke). Dieses Beispiel zeigt die Vielfältigkeit der Nutzungsmöglichkeiten solcher Depots, die wissenschaftliche und wirtschaftliche Funktionen der Bestände verbinden können. Im Fall von Adelssammlungen können in einer solchen Präsentation sowohl stilistische Entwicklungen von Möbeln und Ausstattungsgegenständen verdeutlicht werden als auch deren Beziehung zu den ehemaligen Eigentümern. Diesbezüglich eignen sich auch die großen Porträtbestände, welche ebenfalls derartige Entwicklungen im Bereich von Mode und Kunsthandwerk verdeutlichen können. Die Objekte können darüber hinaus ebenso nach wissenschaftlichen Sachgruppen als auch nach historischen Entwicklungen zusammengestellt werden, was zur Reaktivierung von Ding-Ding-Bindungen beitragen kann. Die Quantität der für den Besucher erlebbaren Bestände hebt die Neutralisierung von Museumskonzepten auf und erleichtert Ding-Mensch-Bindungen. Gleichzeitig können Schaudepots diejenigen Eigenschaften von Adelssammlungen (wie Quanität und Heterogenität) nutzen, welche weiteren musealen Nutzungen entgegenstehen. Weder eine Neutralisierung noch eine Überhöhung einzelner Objekte aus den Beständen ist möglich. Lücken müssen nicht – wie in einigen Schlossmuseen – durch Rekonstruktionen oder wenig authentische Ergänzungen geschlossen werden. Durch mögliche Ding-Ding-Bindungen werden kontextuale Bezüge gewahrt, und die Möglichkeit der Bündelung großer BestänGespräch von Hannover; Graf weist auf die Vorbildfunktion des National Trust hin, vgl. Graf 2005, S. 184. 82 Vgl. Beselers Hinweis auf das Monument/Denkmal im Gegensatz zum Dokument, vgl. Beseler 1983, S. 228-229. 83 Jüdisches Museum Wien: http://www.jmw.at/de/exhibitions/wien-und-die-welt-das-schau depot-des-jmw. 84 Hofmobiliendepot Wien: http://www.hofmobiliendepot.at/.
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de auf verhältnismäßig kleinem Raum erleichtert die oben genannte Notwendigkeit von Inventarisierungsmaßnahmen ebenso wie weiterführende Forschungen. Den Museen als Schutzorte für herausragende Beispiele aus Adelsbesitz könnte derart eine Art Objekt-Archiv zur Seite gestellt werden. Ein dynamisch genutztes Schaudepot, das Museen auch in Ausstellunsprojekten unterstützt, nimmt damit die Vorteile des von Heisig beschriebenen Regionalmagazins auf, minimiert aber durch die Spezifizierung seine Nachteile: „Zur Sicherung des kulturellen Erbes in der Region soll ein Regionalmagazin aufgebaut werden, dass die entsprechenden Standards für alle Museen in der Region bereithält. Dabei müssen die Kosten der Magazinierung in einem vernünftigen Verhältnis zum musealen Wert der Objekte stehen. Ein Regionalmagazin ist für die Museen immer mit Transportkosten verbunden. Deshalb muss verhindert werden, dass es als Abstellkammer genutzt wird, in die Museen ihre nicht mehr benötigten und aussortierten Dinge abschieben. Nur qualifizierte Sammlungen und bewertete Objekte dürfen Zugang in das zukünftige Regionalmagazin erhalten.“85
In Bezug auf Objekte aus dem ehemaligen Besitz der Welfen könnte ein solches Depot die Zusammenarbeit zahlreicher Museen vertiefen und damit an Projekte anknüpfen, welche dieses gemeinsame Erbe bereits in der Vergangenheit in Bezug zueinander gesetzt haben86. Derartige museumsübergreifende Maßnahmen, die auch Heisig als notwendige Voraussetzung für lebendige Sammeltätigkeit benennt, können neben einer besseren Zugänglichkeit für die Allgemeinheit auch Vorteile bezüglich gemeinsamer Marketingmaßnahmen und Forschungsprojekte erreichen: „Evaluierung und Bewertung, Qualifizierung sowie Objekttausch sind wesentliche Voraussetzungen, um die Museen langfristig zu einem regionalen Sammlungsnetzwerk zusammenzuführen. Ziel dieses Sammlungsverbundes ist es, die Sammlungsprofile zu schärfen, die Sammlungstiefe zu erhöhen, das kulturelle Erbe gemeinsam zu sichern und den Bewohnern und Gästen den Zugang zu den Sammlungen in einer Region zu erleichtern.“87 Ein solcher durch ein Schaudepot gestärkter Verbund könnte ebenso Bestände aus Adelssammlungen in privater Hand aufnehmen, die aus Gründen der Erhaltungskosten nicht länger in den Räumlichkeiten der Schlösser selbst bewahrt werden können. Des Weiteren könnte er dazu beitragen, diejenigen Schlösser auszustatten, die – wie beispielsweise Schloss Blankenburg – über nicht ausreichende Bestände verfügen. Inwieweit außerdem Möglichkeiten des Internets als Plattform für solche Bestände genutzt werden können, muss zudem untersucht werden. Das „lebendige Museum“ Das Beispiel des Hofmobiliendepots in Wien hat gezeigt, dass sich Nutzungsmöglichkeiten und eine museale Bewahrung nicht völlig ausschließen. Dies ist außerdem wesentlicher Bestandteil des Konzepts von „lebendigen Museen“. Beispielsweise 85 Heisig: Sammeln und Ent-Sammeln, S. 29. 86 Zu nennen ist das Projekt „Welfenspuren“ des Historischen Museums Hannover, des Bomann Museums Celle sowie des Braunschweigischen Landesmuseums, vgl. Welt online, 5. Mai 2000: Niedersächsische Museen auf den Spuren der Welfen. 87 Heisig: Sammeln und Ent-Sammeln, S. 27; vgl. auch Heisig: Sammeln und Ent-Sammeln, S. 22.
688 | S AMMLUNGEN DES A DELS zeigt das Tucherschloss in Nürnberg88 neben durch Vitrinen geschützten Exponaten auch Teile einer historischen Wohnkultur, die eine „Benutzung“ in Form von Berührung oder Ausprobieren nicht völlig ablehnen. Der Besucher wird nicht explizit dazu aufgefordert, in einem Armlehnstuhl Platz zu nehmen, daran gehindert wird er jedoch ebenso wenig. Das Konzept basiert auf dem Vertrauen auf angemessene Handhabung, wie sie auch durch den Adel in Bezug auf seine Bestände vorausgesetzt wurde. Die Endlichkeit der Dinge muss jedoch zwangsläufig als Teil einer solchen Nutzung akzeptiert werden. Eine solche Nutzung von Objekten einer „Reservesammlung“ für museumspädagogische Zwecke sieht auch Heisig in seiner Integration des Entsammelns in museale Sammlungskonzepte vor89. Sie kann maßgeblich zu DingMensch-Bindungen beitragen und verstärkt so die Teilhabe der Allgemeinheit am kulturellen Erbe90. Damit wird eine für Architektur weitgehend akzeptierte Veränderung durch Nutzung auf weitere Bereiche des kulturellen Erbes übertragen91. Dies ist im Sinne der Bedeutung der Dinge, da ein im Gebrauch realisierter Nutzen, der im Sinne der Schutzvorschriften des kulturellen Erbes meist als Missbrauch von Bedeutung verstanden wird, das Entstehen einer solchen tatsächlich unterstützen kann. Ein derartiges Konzept, das auch auf Schlossmuseen, die sich noch in Adelsbesitz befinden, angewendet werden kann, steht im Gegensatz zur neutralisierenden Präsentation von Einzelobjekten. Im Fall des Tucherschlosses wird dieses Konzept mit einer Erhaltung der Sammeltätigkeit des Adels verknüpft. Die ehemalige Eigentümerfamilie hat zwar die Immobilie (welche zudem aufgrund von Schäden weitgehend rekonstruiert werden musste) 1970 abgegeben, fungiert aber noch als Leihgeber von Exponaten und verfügt über ein Apartment im Schloss. Auf diese Weise werden privates Engagement der Familie, staatliche Kulturpflege und Teilhabe der Allgemeinheit verknüpft. Das Konzept des „lebendigen Museums“ ist jedoch auch auf Bestände übertragbar, wel88 Tucherschloss Nürnberg: http://www.museen.nuernberg.de/tucherschloss/das-haus/. 89 Heisig: Sammeln und Ent-Sammeln, S. 26. 90 Selle/Boehe weisen auf die Notwendigkeit von eigenen Gebrauchserfahrungen hin, die derart Art zumindest angedeutet und durch einen entsprechenden Kontext ergänzt werden können: „Niemand wird bestreiten, dass alten Dingen eine sinnlich wirksame Magie innewohnt. Sie faszinieren durch Andeutungen ihrer Geschichte, weisen Gebrauchsspuren auf, erzählen von Verfall und Vergänglichkeit. Die Faszination gelingt wahrscheinlich nur, weil wir eine Ahnung von der Zeit und den Menschen besitzen, oder weil wir aus eigenen Gebrauchserfahrungen und -sehnsüchten auf die frühere Aneignungsweise schließen. Sie erinnern an etwas, bloß weiß man nicht genau, an was. Es fehlt der Kontext der historischen Gebrauchswirklichkeit mit allen präzisen Bedeutungsinhalten, die ihnen im Umgang verliehen worden sind. Davon reden die Dinge nicht mehr.“, Selle/Boehe, S. 42. 91 „Unlike most culturally important objects, buildings of great architectural distinction are almost always employed as part of everyday life. For that reason they present especially perplexing issues when adaptations to new needs are proposed. No lucid person would suggest that a Rembrandt portrait needs an addition and that a pet dog or a few affectionate children should be painted in by a contemporary artist. Yet plans to modify an architectural masterpiece to fit it to the needs of tenants or the necessities of a new era are both common and rational.“, Sax 1999, S. 48; die Akzeptanz von Veränderung kann jedoch auch ohne direkte Eingriffe in ein Objekt vom Umgang mit Architektur übernommen werden.
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che allein in privatem Eigentum befinden und kann damit dazu beitragen, die enormen Kosten musealer Bewahrung zu reduzieren und trotzdem öffentliche Zugänglichkeit zu ermöglichen. Dass auch bei rein musealer Bewahrung und Präsentation mit herkömmlichen konservatorischen Einschränkungen erneut Wege eingeschlagen werden, die versuchen, den Eindruck von Adelssammlungen „neu zu beleben“, zeigen neu eröffnete Säle des Louvre in Paris, die laut Weltkunst „die verschwenderische Schönheit des Ancien Régime erlebbar machen“92. Eingerichtete und ausgestattete Räume zeigen Teile der Lebensumwelt des Hofes vom Ende des 17. Jahrhunderts bis Ende des 18. Jahrhunderts und damit von Ludwig (XIV.) von Frankreich bis zum Zeitpunkt der Französischen Revolution. „Für die Restrukturierung der neuen Säle verlässt der Louvre seine übliche Ausstellungspraxis, mischt Kunst mit Kunsthandwerk, beschert einen atmosphärischen Einblick in die spürbaren Veränderungen von Barock zu Rokoko und Neoklassizismus“93 und damit in die Sammlungsvielfalt des Adels. Das Konzept eingerichteter Räume in Museen ist nicht neu, jedoch in Bezug auf die Kultur des Adels in Deutschland (außerhalb von Schlossmuseen) nicht beliebt, verdient jedoch eine Neubewertung. Privates Engagement Sämtliche hier als Diskussionsgrundlage angesprochenen Konzepte – mit Ausnahme des Vorkaufsrechts, welches jedoch für in dieser Arbeit vorrangig untersuchte große Objektbestände kaum anwendbar ist – haben zur Folge, dass bisherige Erhaltungsgrundsätze neuen Anforderungen angeglichen werden müssen. Das heißt, dass einerseits die Vorstellung einer unveränderlichen Bewahrung aufgegeben werden muss und andererseits institutionelle Sammlungen nicht als alleinige Orte zur Bewahrung des kulturellen Erbes angesehen werden können. Darüber hinaus wird es außerdem nötig sein, private Finanzierungsmodelle zu akzeptieren, auch wenn diese das scheinbare Risiko einer Beeinflussung durch die Geldgeber beinhalten. Angesichts der Idee des kulturellen Erbes, welches auf der Vorstellung der Allgemeinheit als Erbnehmer basiert, ist jedoch diesbezüglich zu hinterfragen, ob nicht eine größere Beteiligung von Nicht-Regierungs-Organisationen als Vertreter ebendieser Allgemeinheit sogar von Vorteil sein kann. Beispiel für eine Kooperation der öffentlichen Hand mit Nicht-RegierungsOrganisationen ist die Stiftung Residenzschloss Braunschweig, die unter Beteiligung der Stadt Braunschweig sowie ortsansässiger Stiftungen gegründet wurde sowie geführt wird und den Betrieb des Schlossmuseums sicherstellen soll94. Über ein weite92 Weltkunst 09/2014: Weisbrod, Andrea: Ausstellungen: Es lebe der Luxus!, S. 74. 93 Weltkunst 09/2014: Weisbrod, S. 75. 94 Schlossmuseum Braunschweig: http://schlossmuseum-braunschweig.de/stiftung; vgl. Braunschweiger Zeitung, April 2010: Neue Stiftung Residenzschloss Braunschweig soll sichern; das Beispiel verdeutlicht auch, wie stark die Ressentiments institutioneller Sammlungen gegenüber derartigen Kooperationen sind, da beispielsweise das Braunschweigische Landesmuseum Bedenken gegenüber einer möglichen Einflussnahme von „LaienHistorikern“ und „vermögenden Bürgern“ äußerte, vgl. Braunschweiger Zeitung, 3. September 2010: Jasper, Martin: Sorge um die Zukunft der Landesgeschichte; die Presse greift diese unverständliche Haltung immer wieder auf und kommentierte z.B. den Ankauf von
690 | S AMMLUNGEN DES A DELS res Beispiel berichtet artnet im Zusammenhang mit der Auktion der Welfen 2005, während der es zum Ankauf eines Objekts durch einen amerikanischen Sammler kam, um es anschließend der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten zu schenken, mit der Auflage, eine Ausstellung mit Objekten seiner Sammlung in Berlin zu zeigen. Zu dieser trug er die Kosten, während die Sitftung die Arbeitskraft einbrachte. Artnet folgerte richtig: „Auch so können Partnerschaften zwischen Sammlern und Museen aussehen.“95 Die von Grasskamp erwähnte Hoffnung alleiniger Vorteile durch die ausschließliche Finanzierung kultureller Belange durch die öffentliche Hand kann nicht länger aufrechterhalten werden: „Im Gegensatz zu den scheinbaren Mäzenen ist die staatliche, regionale und städtische Kulturbürokratie die legitime Nachfolgerin des adeligen Mäzenatentums. Man kann das schlicht daran belegen, dass sie alle Aufgaben der Kulturfinanzierung übernommen hat, die einst dem Mäzen eigen waren: sie verwaltet die zur Verfügung stehenden Gelder, sie entscheidet über deren Verteilung, sie beruft das Personal und steuert den Geschmack. Der rein phänomenologischen Betrachtung entspricht die historische: es war ja auch ein Ziel der bürgerlichen Revolution, den Staat in die Verantwortung einer mäzenatischen Kulturpolitik eintreten zu lassen, weil dies, so die damit verknüpfte Hoffnung, nur Vorteile bringen konnte.“96
Beispiele wie der Erfolg des National Trust und der HHA in England belegen das Gegenteil. Adelssammlungen können heute durch die vielfältigen ihnen eingeschriebenen Bedeutungsebenen Funktionen der Bildung, aber auch des touristischen Vergnügens und der Teilhabe am kulturellen Erbe erfüllen, die es notwendig werden lassen, durch die Wissenschaft ein bestehendes öffentliches Interesse an die politischen Entscheidungsträger sowie die zuständigen Behörden des Kulturgüter- und Denkmalschutzes heranzutragen, aber auch neue Finanzierungsmöglichkeiten und neue Konzepte der Erhaltung zu realisieren. Nur auf diesem Weg ist es möglich, einen bedeutenden Teil deutscher Kultur zu erhalten oder, in Akzeptanz einer diesem eingeschriebenen Endlichkeit, zumindest wissenschaftlich zu erfassen.
Möbeln aus dem Bestand des Bomann-Museums Celle zur Ausstellung im Schlossmuseum Braunschweig mit Schlagwörtern wie „Herzögliche Sitzgruppe „Fyrstligg“. Jetzt im WSV nur 125 000 Euro!“, Cellesche Zeitung, 17. Januar 2011: Ende, Michael: Fürsten-Möbel zu fürstlichen Preisen. 95 Artnet, 19. Oktober 2005. 96 Grasskamp 1981, S. 98.
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698 | S AMMLUNGEN DES A DELS Haager Konvention, Zweites Protokoll: Second Protocol to the Hague Convention of 1954 for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed Conflict, Den Haag, 26. März 1999, online abrufbar: http://portal.unesco.org/en/ev.phpURL_ ID=13637&URL_DO=DO_TOPIC&URL_ SECTION=201.html. UNESCO Resolution 2006: UNESCO-Welterbe in Deutschland, Resolution der 66. Hauptversammlung, Hildesheim, 28.-29. Juni 2006, online abrufbar: http://www. unesco.de/reshv66.html?&L=0. UNIDROIT UNIDROIT Konvention: UNIDROIT Convention on stolen or illegally exported cultural objects, Rom, 24. Juni 1995, online abrufbar: http://www.unidroit.org/ instruments/cultural-property/1995-convention. Universität Bamberg Institut für Archäologie, Denkmalkunde und Kunstgeschichte: http://www.unibamberg.de/iadk/. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland Vereinigung der Landesdenkmalpfleger 1990: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Thesen der Landesdenkmalpflege, Wartburg, 2. März 1990, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege, Band 52, Bonn 1996, S. 209-210. Vereinigung der Landesdenkmalpfleger 2005: Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland: Inventarisation der Bau- und Kunstdenkmäler, November 2005, abgedruckt in: Denkmalschutz. Texte zum Denkmalschutz und zur Denkmalpflege. Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, Band 52, [o.O.] 2007, S. 376-380. Historische Gesetze, Empfehlungen und Informationen mit Auswirkungen auf den Kulturgüterschutz, auch zu Vermögensauseinandersetzungen und Fideikommissen Baden, Republik Auseinandersetzungsgesetz Baden: Gesetz über die Auseinandersetzung bezüglich des Eigentums an dem Domänenvermögen, 25. März 1919, in: Badisches Gesetzund Verordnungsblatt, Nr. 21, Karlsruhe 9. April 1919, S. 179-185. Braunschweig, Republik Volksfreund 1918: Bekanntmachung der Revolutionsregierung im Volksfreund, 10. November 1918: Volksfreund. Republikanisches Organ für Braunschweig und Umgegend. Braunschweig, Sonntag, 10. November 1918, abgedruckt in: Broschüre Braunschweig 1922: Die Ansprüche des ehemaligen Herzogshauses. Die Gegenschrift des Staatsministeriums auf die Klage des ehemaligen herzoglichen Hauses mit dem Gutachten des Obergerichtspräsidenten Dr. Hettling, Wolfenbüttel 1848, S. 45-48. Hampe, August: Die Abfindungsansprüche des Herzogl. Hauses Braunschweig vom Standpunkte des Rechts und der Billigkeit. Eine Aufklärungsschrift vom Senatspräsidenten Hampe, Landtagsabgeordneten, Braunschweig 1921. Broschüre Braunschweig 1922: Die Ansprüche des ehemaligen Herzogshauses. Die Gegenschrift des Staatsministeriums auf die Klage des ehemaligen herzoglichen
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Hauses mit dem Gutachten des Obergerichtspräsidenten Dr. Hettling, Wolfenbüttel 1848. Auseinandersetzungsgesetz Braunschweig: Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staate und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause, 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig, 26.Oktober 1925, Nr. 116, S. 255-262 (enthält: Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig). Auseinandersetzungsvertrag Braunschweig: enthalten im Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staate und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause, 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig, 26.Oktober 1925, Nr. 116, S. 256-262. Museums- und Bibliotheksstiftungsgesetz Braunschweig: Gesetz über die Errichtung einer Museums- und Bibliotheksstiftung, 23. Oktober 1925, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 112. Jahrgang, Stück 41, Braunschweig 26. Oktober 1925, Nr. 117, S. 262. Museums- und Bibliotheksstiftungsänderungsgesetz Braunschweig: Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Errichtung einer Museums- und Bibliotheksstiftung, 26. Juni 1943, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 130. Jahrgang 1943, Stück 6, Braunschweig, 19. Juli 1943, Nr. 11. Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung Braunschweig: Satzung der Museums- und Bibliotheksstiftung in Braunschweig, 10. Februar 1944, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, Stück 2, Braunschweig, 24. Februar 1944, Nr. 2. Anordnung Schutz von Kulturdenkmalen Braunschweig: Anordnung zum Schutze und zur Pflege von Kulturdenkmalen, 19. Januar 1945, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, Stück 1, ausgegeben zu Braunschweig am 12. Februar 1945, S. 1. Deutsches Reich Weimarer Reichsverfassung: Die Verfassung des Deutschen Reichs, 11. August 1919, RGBl. 1919, S. 1383ff, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/ anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=19190004&zoom=2&seite=00001383&ues= 0&x=19&y=10. Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken 1919: Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, 11. Dezember 1919, RGBl. 1919, S. 1961-1962, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum=1919 0004&seite=00001961&zoom=2. Ausführungsbestimmungen 1919: Ausführungsbestimmungen zur Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken, 11. Dezember 1919, RGBl. 1919, S. 1962-1963, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1919& page=2140&size=45. Verordnung über den Schutz von Denkmalen 1920: Verordnung über den Schutz von Denkmalen und Kunstwerken, 8. Mai 1920, RGBl. 1920, S. 913-914, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?apm=0&aid=dra&datum= 19200004&zoom=2&seite=00000913&ues=0&x=10&y=7.
700 | S AMMLUNGEN DES A DELS Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1925: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken vom 21. Dezember 1925, RGBl. 1925, S. 470, online abrufbar: http://alex. onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1925&page=522&size=45. Verzeichnis national wertvoller Kunstwerke 1927: Der Reichsminister des Innern: Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke, enthält: Verordnung über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 11. Dezember 1919 und Reichsgesetz vom 21. Dezember 1925, Berlin 1927. Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1927: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken vom 21. Dezember 1927, RGBl. 1927, S. 485, online abrufbar: http://alex.onb.ac. at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1927&page=537&size=45. Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken 1929: Gesetz über Ausfuhr von Kunstwerken, 24. Dezember 1929, RGBl. 1929, S. 244, online abrufbar: http://alex.onb.ac. at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1929&page=294&size=45. Anpassungsverordnung 1931: Verordnung des Reichspräsidenten zur Anpassung einiger Gesetze und Verordnungen an die veränderte Lage von Wirtschaft und Finanzen (Anpassungsverordnung), Sechster Teil: Ausfuhr von Kunstwerken, 23. Dezember 1931, RGBl. 1931, S. 786, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgicontent/alex?aid=dra&datum=1931&size=45&page=884. Verordnung über Ausfuhr von Kunstwerken 1932: Verordnung des Reichspräsidenten über die Ausfuhr von Kunstwerken vom 20. Dezember 1932, RGBl. 1932, S. 572, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1932 &page=646&size=45. Gesetz Fideikommissauflösung 1935: Gesetz zur Vereinheitlichung der Fideikommissauflösung, 26. Juni 1935, RGBl. Teil 1 1935, S. 785-788, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1935&page=927&size= 45. Verordnung Fideikommissauflösung 1935: Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Vereinheitlichung der Fideikommissauflösung, 24. August 1935, RGBl. Teil 1 1935, S. 1103-1108, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgicontent/alex?aid=dra&datum=1935&size=45&page=1245. Verordnung Fideikommissauflösung 1938: Verordnung über vorläufige Maßnahmen auf dem Gebiet der Fideikommissauflösung, 28. Juni 1938, RGBl. Teil 1 1938, S. 698, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=dra&datum=1938 &page=876&size=45. Gesetz Erlöschen Fideikommisse 1938: Gesetz über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen, 6. Juli 1938, RGBl, Teil 1 1938, Nr. 107, S. 825-832. Verordnung Fideikommissauflösung 1939: Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Gesetzes über das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen, 20. März 1939, RGBl. Teil 1 1939, S. 509-528. Deutschösterreich, Staat Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1918: Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, 5. Dezember 1918, Gesetzesblatt für den Staat Deutschösterreich, 20. Stück, Nr. 90, S. 128-129, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb&datum=1918&page= 150&size=45.
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Vollzugsanweisung Gesetz Verbot Ausfuhr und Veräußerung 1919: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 10. Jänner 1919, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, 10. Januar 1919, Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, 13. Stück, Nr. 28, S. 55-56, online abrufbar: http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?aid=sgb& datum=1919&size=45&page=13 1. Österreich, Republik Denkmalschutzgesetz 1923: Bundesgesetz vom 25. September 1923, betreffend Beschränkungen in der Verfügung über Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (Denkmalschutzgesetz), 25. September 1923, Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich, Jahrgang 1923, ausgegeben am 5. Oktober 1923, 103. Stück, Nr. 533, S. 1725-1727, online abrufbar: http:// alex.onb.ac.at/cgicontent/alex?aid=bgb&datum=1923&page=1777&size=45. Oldenburg, Großherzogtum Denkmalschutzgesetz Oldenburg: Denkmalschutzgesetz für das Großherzogtum Oldenburg, 18. Mai 1911, Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg, XXXVII. Band, ausgegeben den 27. Mai 1911, S. 959-970, No. 153. Preußen, Königreich Gesetz gegen Verunstaltung 1902: Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Juni 1902, Gesetzessammlung, S. 159, abgedruckt in: Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908, S. X. Gesetz gegen Verunstaltung 1907: Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden vom 15. Juli 1907, Gesetzessammlung, S. 260, abgedruckt in: Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908, S. X. Lezius, H. Dr.: Das Recht der Denkmalpflege in Preußen. Begriff, Geschichte und Organisation der Denkmalpflege nebst sämtlichen Vorschriften und Verordnungen der Verwaltungsbehörden einschließlich der Gesetzgebung gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden, Berlin 1908. Preußen, Staat Verordnung Familiengüter 1919: Verordnung über Familiengüter, 10. März 1919, Preußische Gesetzsammlung, Jahrgang 1919, Nr. 15, S. 39-44, online abrufbar: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/portal/Internet/finde/langDatensatz. php?urlID=1018&url_tabelle=tab_quelle. Sonstige Veröffentlichungen Schulze, Hermann: Die Hausgesetze der regierenden Deutschen Fürstenhäuser. Erster Band, Jena 1862.
702 | S AMMLUNGEN DES A DELS Riegl, Alois: Der Moderne Denkmalkultus. Sein Wesen und seine Entstehung, Wien, Leipzig 1903. Rakenius, Wilhelm: Die Hausgüter des hohen Adels und die gewöhnlichen Familienfidecommisse. Eine vergleichende Studie, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Hohen Juristischen Facultät der Ruprecht-Karls-Universität zu Heidelberg, Heidelberg o.J. (1905). Beyerle, Konrad: Ein Beitrag zum deutschen Fideikommissrecht, Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts, Bd. 58 = 2. F. Bd. 22, 1911. Koch, Josef Dr. jur.: Zur Entstehung der hannoverschen Familienfideikommisse, Hannover 1912. Schulte, Karl-Anton: Was geschieht mit dem Fürstenvermögen? Unterlagen für die Stellungnahme zum Volksentscheid am 20. Juni 1926, M. Gladbach, o.J. [1926]. Günther, Theodor: Das Problem der Vermögensauseinandersetzung mit den ehemaligen Fürstenhäusern, Inaugural-Dissertation zur Erlangung der staatswissenschaftlichen Doktorwürde der Hohen Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig, Leipzig 1928. Koehler, Karl Dr./Heinemann, Ernst Dr.: Das Erlöschen der Familienfideikommisse und sonstiger gebundener Vermögen. Gesetze und Verordnungen des Reichs auf fideikommissrechtlichem Gebiete nebst einem Überblick über das Fideikommissrecht und Erläuterungen der reichsrechtlichen Vorschriften, Berlin 1940. Sonstige historische Quellen Braunschweig, Herzogtum Catel, Louis: Beschreibung der in dem Königlichen Schlosse zu Braunschweig neu eingerichteten Zimmer, Braunschweig 1811. NLO: Neue Landschaftsordnung für das Herzogtum Braunschweig vom 12. Oktober 1832, online abrufbar: http://www.verfassungen.de/de/nds/braunschweig/braun schweig32-index.htm. Broschüre Braunschweig o.J. [1913]: Zur Erinnerung an den Einzug des Herzogspaares Ernst August Victoria Luise in Braunschweig am 3. November 1913, herausgegeben von Gallun & Rummert, Braunschweig o.J. [1913]. Frankenberg, Hermann von: Der Einzug des Herzogspaares, in: Broschüre Braunschweig o.J. [1913]: Zur Erinnerung an den Einzug des Herzogspaares Ernst August Victoria Luise in Braunschweig am 3. November 1913, herausgegeben von Gallun & Rummert, Braunschweig o.J. [1913], S. 3-5. Brief Kabinett des Herzogs: Brief Kabinett Seiner Königlichen Hoheit des Herzogs, 23. Dezember 1913, unveröffentlichter Privatbesitz. Inventar Braunschweig 1917: Möbel-Inventar des Residenz-Schlosses zu Braunschweig 1917 (NStA WF 3 Neu 904). Verzeichnis der Ölgemälde im Residenz-Schlosse zu Braunschweig 1911, ergänzt und abgedruckt in: Wedemeyer, Bernd/Willemsen, Eva-Maria: Braunschweiger Hofkultur 1830-1918. Ausstattung und Fragmente des ehemaligen Residenzschlosses, Osterwieck 2000, S. 470-493. Braunschweig, Republik Weitergeltungsgesetz Braunschweig: Gesetz über die Weitergeltung der bisherigen Landesgesetze und Einrichtungen, Braunschweig, 13. November 1918, in:
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Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 105. Jahrgang, Braunschweig, 16. November 1918, Nr. 60, S. 263. Staatsverpflichtungsübernahmegesetz Braunschweig: Gesetz über die Übernahme von Staatsverpflichtungen gegenüber den ehemaligen Hofbeamten und über die Vertretung der ehemaligen Hofstatt, 28. Juli 1919, in: Braunschweigische Gesetzund Verordnungssammlung, 106. Jahrgang, Braunschweig, 18. August 1919, Nr. 103, S. 269-272. Verfassung Braunschweig 1922: Verfassung des Freistaates Braunschweig, 6. Januar 1922, in: Braunschweigische Gesetz- und Verordnungssammlung, 109. Jahrgang, Nr. 8, 16. Januar 1922, S. 55-67. Inventar Braunschweig 1922: Inventar Schloss Braunschweig 1922 (NStA WF 3 Neu 907). Meier, Paul Jonas: Das Braunschweiger Schloss-Museum, Braunschweig 1922. Meier, Paul Jonas (Hrsg.)/Steinacker, Karl: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Landes Braunschweig, im Auftrage des Braunschweigischen Staatsministeriums, herausgegeben von Paul Jonas Meier, sechster Band. Die Bau und Kunstdenkmäler des Kreises Blankenburg, bearbeitet von Karl Steinacker, Wolfenbüttel 1922. Oerter, Sepp: Ich – Sepp Oerter – klage an, die Zentralleitung der U.S.P.D. in Berlin, die Parteiinstanzen der U.S.P.D. in Braunschweig, die Landtagsfraktion der U.S.P.D. in Braunschweig, den Minister Grotewohl in Braunschweig, des infamsten politischen Meuchelmordes, Braunschweig 1922. Denkschrift Braunschweig 1930: Weshalb hat der Vorstand der Museums- und Bibliotheks-Stiftung von Haus und Land Braunschweig den Verkauf des Vermeerschen Bildes „Das Mädchen mit dem Weinglase“ seinen Patronen einstimmig empfohlen? Eine an den Herrn Braunschweigischen Minister für Volksbildung eingereichte Denkschrift, Braunschweig 1930. Bürger, Georg Prof. Dr. (Hofbaurat): Bauarbeiten und bauliche Veränderungen am Schloß seit 1926, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o. S. Sander, Gustav: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg im Wandel der Zeiten, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. Sander, Gustav: Ein Rundgang durch das Blankenburger Schloß, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. Sander, Gustav: Von den Schloßverwaltern, in: Sander, Gustav: Heimatblätter für Blankenburg am Harz und Umgegend. Sonderheft: „Burg“ und „Schloß“ Blankenburg am Harz, Blankenburg-Harz o.J. [1935], o.S. Verzeichnis Leihgaben Schloss Braunschweig: Verzeichnis derjenigen Gegenstände aus dem Schlosse Braunschweig u.s.w., welche gegen Widerruf an Reichs- und Landesbehörden leihweise abgegeben sind (NStA WF 2 Neu 382). Hannover, Königreich Hausgesetz Hannover 1836: Königliches Hausgesetz für das Königreich Hannover vom 19. November 1836, abgedruckt in: Schulze, Hermann: Die Hausgesetze der regierenden Deutschen Fürstenhäuser. Erster Band, Jena 1862, S. 490-507.
704 | S AMMLUNGEN DES A DELS Welfen-Museum: Das Königliche Welfen-Museum zu Hannover im Jahre 1863, Hannover 1864. Preußen, Königreich Vermögensvertrag Hannover 1867: Vertrag über die Vermögensverhältnisse Sr. Majestät des Königs Georg V., unterzeichnet in Berlin am 29. September 1867 von den Bevollmächtigten (für Hannover Staatsminister a.D. von Windhorst, für Preußen der Geheime Legationsrat König und der Geheime Oberfinanzrat Wollny), abgedruckt in: Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869, S. 50-55. Beschlagnahmeverordnung Hannover 1868: Verordnung der Beschlagnahme des königlichen Vermögens, 2. März 1868, abgedruckt in: Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869, S. 120-123. Klopp, Onno: Das preußische Verfahren in der Vermögenssache des Königs von Hannover. Mit Acktenstücken, Wien 1869. Preußen, Staat Gesetz Aufhebung Standesvorrechte 1920: Gesetz über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen, 23. Juni 1920, Preußische Gesetzsammlung, Jahrgang 1920, Nr. 32, S. 367-382, online abrufbar: http://www.lwl.org/westfaelische-geschichte/que/normal/que4592.pdf. Sonstige Veröffentlichungen Moser, Friedrich Carl von: Teutsches Hof-Recht, 1. Band, Frankfurt und Leipzig 1761, online abrufbar über Digitale Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern: ubgoobi-pr2.ub.uni-greifswald.de. Moser, Friedrich Carl von: Teutsches Hof-Recht, 2. Band, Frankfurt und Leipzig 1761, online abrufbar über Digitale Bibliothek Mecklenburg-Vorpommern: ubgoobi-pr2.ub.uni-greifswald.de. Ohne Autorenangabe: Ein Prunkservice der Staatlichen Porzellanmanufaktur Nymphenburg, in: die Kunst. Monatshefte für freie und angewandte Kunst, XXIII. Jahrgang, Heft 4, Januar, München 1922, S. 94-100. Goltz-Greifswald, [o. Vorname] von der: Lebenswege und Berufe für den Adel in der Gegenwart, in: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung, 77. Jahrgang, Nr. 100, 28.Februar 1925 (1. Beiblatt), und Nr. 101, 1. März 1925 (1. Beiblatt), abgedruckt in: Abelshauser, Werner/Faust, Anselm/Pezina, Dietmar (Hrsg.): Deutsche Sozialgeschichte 1914-1945. Ein historisches Lesebuch, München 1985, S. 9396. (Hannoversches) Tageblatt, 13. März 1925, abgedruckt in: Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000, S. 68-69. Hannover Kurier, Mittwoch, 18. März 1925, abends: abgedruckt in: Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000, S. 69-70. Kunstchronik und Kunstmarkt, Herausgeber Alfred Kuhn, Nr. 7, 16. Mai 1925: Sammlungen, in: Kunstchronik und Kunstmarkt, Wochenschrift für Kenner und
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706 | S AMMLUNGEN DES A DELS Exner, Roland A.: Abrechnung, Hannover, 16. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Exner, Roland A.: Versteigerungsvertrag, Hannover, 16. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Briefkarte Villa Weinberg Gmunden, 17. April 1958, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 3. Mai 1959, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief, 17. März 1960, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 8. August 1960, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Telegramm Gmunden, Oktober 1960, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Villa Weinberg Gmunden, 23. Februar 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief Balkon Villa Weinberg Gmunden, 9. August 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Durchschlag Brief an Herrn Dr. jur. Werner Hofmeister, 24. November 1971, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Briefkarten im Umschlag, Braunschweig Riddagshausen Stresemannstr. 5, 4. Juli 1975, unveröffentlichter Privatbesitz. Braunschweig und Lüneburg, Victoria Luise Herzogin zu: Brief, 17. Juli 1975, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Abrechnung über Auslagen des Testamentsvollstreckers Dr. habil. Hans Merkel, Augsburg, vom 17. Dezember 1980 - 21. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 18. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Briefe, Augsburg, 5. März 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 14. November 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 22. April 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 16. Juni 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Merkel, Hans Dr.: Brief, Augsburg, 30. November 1981, unveröffentlichter Privatbesitz. Preußen, Wilhelm Karl Prinz von: Brief, 4. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Protokoll Gespräch mit Ortrud Prinzessin von Hannover: Borek, Ingeborg: Meine Unterredung mit Prinzessin Ortrud am 20. Oktober 1960 um 12 Uhr, unveröffentlichter Privatbesitz. Schlüter, Leonhard: Brief, Hannover, 24. April 1976, unveröffentlichter Privatbesitz. Schlüter, Leonhard: Brief, Hannover, 31. Juli 1979, unveröffentlichter Privatbesitz.
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Schlüter, Leonhard: Bericht 1965-1980 [zur Zusammenarbeit mit Victoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg], Hannover 23. Februar 1980, unveröffentlichter Privatbesitz. Schreiben an Eduard Hünerberg: Schreiben an Eduard Hünerberg, Kunstauktionshaus Braunschweig, 17. Februar 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. Triest, Ferdinand: Schreiben von Ferdinand Triest, Piano Triest, Braunschweig, 9. November 1961, unveröffentlichter Privatbesitz. Unbekannter Verfasser: Brief an Victoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg vom 3. Juni 1972, unveröffentlichter Privatbesitz. Vereinbarung Braunschweig-Diadem: Vereinbarung zwischen Ihrer Königlichen Hoheit Viktoria Luise Herzogin zu Braunschweig und Lüneburg, Prinzessin von Preussen, und Seiner Königlichen Hoheit Ernst August Prinz von Hannover, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Chef des Hauses Hannover und des Gesamthauses Braunschweig-Lüneburg, o.D. Sonstige Quellen Antwort auf Kleine Anfrage Hannover 1985: Antwort der Landesregierung auf Kleine Anfrage des Abgeordneten Wernstedt, betr.: Aufklärung über Geschichte und Eigentumsverhältnisse am Evangeliar Heinrichs des Löwen, Hannover 1985, abgedruckt in: Schnath, Georg: Besitzgeschichte des Helmarshausener Evangeliars Heinrichs des Löwen (1188-1935), in: Wolfenbütteler Beiträge. Aus den Schätzen der Herzog August Bibliothek, herausgegeben von Paul Raabe, Band 7, Frankfurt am Main 1987, S. 256-265. Auftragsbuch der Porzellanmanufaktur Nymphenburg: Punkt 562 (Auszug in Kopie), zur Verfügung gestellt durch das Archiv der Porzellanmanufaktur Nymphenburg, München. Beiner-Büth, Silke: Grenzen und Herausforderungen in den Depots des Museums für Hamburgische Geschichte, nicht veröffentlichter Vortrag im Rahmen des Treffens kulturfördernder Stiftungen der Kulturstiftung der Länder, 25. Juni 2012. Billerbeck, Heike: Restaurierungsbericht zum Gemälde Hermann Tunica: „Herzog Wilhelm mit Gefolge“ (GE 00490-00), Richard Borek Stiftung, 2007-2009. Broschüre Fürstenhaus: Broschüre Fürstenhaus Herrenhausen-Museum Hannover o.J. Genealogisches Handbuch des Adels: Genealogisches Handbuch des Adels, herausgegeben von der Stiftung Deutsches Adelsarchiv, bearbeitet unter Aufsicht des Deutschen Adelsrechtsausschusses, Limburg an der Lahn 2012-2014 (mehrere Bände). Harbord, Felix: Erlebnisse als Kunstschutzoffizier im besetzten Deutschland 1945. Unveröffentlichtes Manuskript. Archiv Friemuth, in: Friemuth, Cay: Die geraubte Kunst. Der dramatische Wettlauf um die Rettung der Kunstschätze nach dem Zweiten Weltkrieg (Entführung, Bergung und Restitution europäischen Kulturgutes 1939-1948, mit dem Tagebuch des britischen Kunstschutzoffiziers Robert Lonsdale Charles, herausgegeben in Zusammenarbeit mit Kurt Seeleke im Auftrag der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Braunschweig 1989. Hecht, Konrad: Zum Abbruch des Braunschweiger Schlosses, 1961, zit. in: Beseler, Hartwig: Denkmalpflege als Herausforderung (Vortrag in Ulm 1968), in: Beseler,
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Gespräch Prof. Luckhardt: unveröffentlichtes Gespräch mit Prof. Dr. Jochen Luckhardt (Direktor des Herzog Anton Ulrich-Museums Braunschweig), Frühjahr 2011. Gespräch Dr. Meiners/Prof. Busch: unveröffentlichtes Gespräch mit Dr. Jochen Meiners (Direktor des Bomann-Museums Celle) und Prof. Ralf Busch (BomannMuseum Celle), Frühjahr 2011. Gespräch Prof. Ottomeyer: unveröffentlichtes Gespräch mit Prof. Dr. Hans Ottomeyer (damals Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum), Frühjahr 2011. Gespräch Graf Spreti: unveröffentlichtes Gespräch mit Heinrich Graf von Spreti (Präsident Sotheby’s Deutschland, Chef Sotheby’s München), Frühjahr 2011. Internetseiten Blou in art info: http://blouinartinfo.com/news/story/272223/armor-and-the-man. Burg Bentheim (Haus Bentheim): http://www.burg-bentheim.de/index.php?newwp ID=102702&MttgSession= a3f082ee377850b5ec6fb8cd26e452d9. CIHA 2012 Programm: 33. Internationaler Kunsthistorikerkongress in Nürnberg vom 15.-20. Juli 2012 (CIHA), Pogramm, online abrufbar: http://www.ciha2012. de/programm/die-21-sektionen.html. Allgemeine Deutsche Biographie – Franz Albrecht von Sachsen-Lauenburg: Artikel „Franz Albrecht, Herzog von Sachsen-Lauenburg“ von Julius Opel, in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 293–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index. php?title=ADB:Franz_Albrecht&oldid=2203302. Allgemeine Deutsche Biographie – Johann Georg Ziesenis: „Ziesenis, Johann Georg“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 213, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ziesenis,_ Johann_Georg&oldid=2265771. Gala – Königliche Hochkaräter: http://www.gala.de/beauty-fashion/fashion/royalerschmuck-koenigliche-hochkaraeter_29216_225717-i6697051.html. http://www.gala.de/beauty-fashion/fashion/royaler-schmuck-koenigliche-hochka raet er_29216_225717-i4847120.html. Geschimagazin: http://geschimagazin.wordpress.com/2013/01/09/der-wechselhafteund-schillernde-franz-albrecht-von-sachsen-lauenburg/. Haus Liechtenstein: http://www.fuerstenhaus.li/de/fuerstliche_unternehmen/. Haus Thurn und Taxis: http://thurnundtaxis.de. Haus Schönborn: http://www.schoenborn.de/geschaeftsbereiche.html. http://www.schoenborn.de. Hauswedell & Nolte Auktionen: http://www.hauswedell-nolte.de/index.php? idcatside=4. Heritage Conservation Trust: www.heritageconservationtrust.org.uk. Herzog Anton Ulrich-Museum: http://www.3landesmuseen.de/Antike.690.0. html. Historic Houses Association (HAA): http://www.hha.org.uk/.
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Braunschweiger Zeitung, 15. Oktober 2005: Auktion tausender Kunstschätze des Welfenhauses geht zu Ende. Braunschweiger Zeitung, 7. April 2006: Nach Auktion wollen Prinzen Marienburg zu Touristenattraktion machen. Braunschweiger Zeitung, 21. Oktober 2006: Berger, Andreas: Proteste retteten Braunschweigs Vermeer. Museums- und Bibliotheksleiter wenden sich gegen den Verkauf ihrer Schätze – Präzedenzfall 1929. Braunschweiger Zeitung, 27. März 2007: Leser fragen Prinz von Hannover. Braunschweiger Zeitung, 8. Juni 2007: Diestelmann, Dieter: Ernst August verzichtet auf den Thron. Friedliche Revolution in Braunschweig – Arbeiter und Soldatenrat übernimmt die Herrschaft im Braunschweiger Land. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2007: Eberle, Martin: Die Residenz zwischen den Kriegen. Mit Kammerspielen, Naturhistorischem Museum, Schloss-Museum sowie Kunstausstellungen wurde das Schloss Volksbildungsstätte. Braunschweiger Zeitung, 26. Juni 2007: Teschner, Katrin: Welfenschätze aus der Auktion. Teil eins der neuen Serie – Rund zwei Jahre nach der spektakulären Versteigerung sind wertvolle Stücke in Braunschweig zu sehen. Braunschweiger Zeitung, 13. August 2007: Parr, Thomas: Pokal für braunschweigisch-preußische Liebe. Braunschweiger Zeitung, 30. August 2007: Parr, Thomas: Girandolen – Armleuchter, die Funken sprühen. Braunschweiger Zeitung, 1. September 2007: Parr, Thomas: Bebilderter Schatz: Das Evangeliar. Braunschweiger Zeitung, 6. November 2007: Thomas Parr: Schloss Marienburg. Braunschweiger Zeitung, 28. März 2008: Dartsch, Katja: Welfenschloss kommt unter den Hammer. Braunschweiger Zeitung, 8. Mai 2009: Jasper, Martin: Wer seinen Schatz nicht hütet... Die bittere Geschichte des Welfenschatzes – Akademie prüft RückgabeForderung. Braunschweiger Zeitung, 1. Juni 2009: Braunschweig: Neue Runde im Streit um Welfen-Schatz. Braunschweiger Zeitung, 12. Juni 2009: Bürgermeister klagt an: Das Herzberger Welfenschloss verrottet. Braunschweiger Zeitung, 10. Februar 2010: Preißker, Stephanie: Historische Bilder unter dem Hammer. Braunschweiger Zeitung, 23. Februar 2010: Ulf Vogler: Von der wilden Lady zum Papst-Fan. Gloria von Thurn und Taxis wird 50 – Äußerung übers „Schnackseln“ brachte Kritik. Braunschweiger Zeitung, April 2010: Neue Stiftung Residenzschloss Braunschweig soll sichern. Braunschweiger Zeitung, 3. September 2010: Jasper, Martin: Sorge um die Zukunft der Landesgeschichte. Braunschweiger Zeitung, 6. September 2014: Liste der 500 Wohlhabendsten – Porsche ist die reichste Familie. Bunte 19/2005: Opel, I. von/Waldburg, M.: Zwei Prinzen und ihr [...]. Cellesche Zeitung, 17. Januar 2011: Ende, Michael: Fürsten-Möbel zu fürstlichen Preisen.
714 | S AMMLUNGEN DES A DELS Dr. Christoph Graf Douglas – Kunstberatung Pressetext 2005: Kunst und Kultur mit Verantwortung vermitteln und bewahren. FAZ, 6. Oktober 1981: Fetische. FAZ, 19. April 2005: Gropp, Rose-Maria: Der Hammer fällt auf Marienburg. Von königlicher Herkunft. Die Welfen versteigern Teile ihres privaten Besitzes. FAZ, 21. April 2005: Heinrich von Hannover wundert sich über Sotheby’s. FAZ auf FAZ.net, 1. Oktober 2005: Rose-Maria Gropp: Die Blumen der Welfen: Auktion der Gartenbibliothek Herrenhausen abgesagt. FAZ, 2. Oktober 2005: Welfen-Schatz kommt unter den Hammer. FAZ, 5. Oktober 2005: Welfen-Auktion beginnt mit hohen Erlösen. FAZ, 6. Oktober 2005: Auktion der Welfenschätze. Schätzpreis 40.000, Hammerpreis 540.000. FAZ, 8. Oktober 2005: Kegel, Sandra: Provenienz ist alles: Die Welfenpreise purzeln in die Höhe. FAZ auf FAZ.net, 8. Oktober 2005: Sachs, Brita: Zum Jubiläum musizieren die Engel: Die fünfzigste Ausgabe der Kunst-Messe München. FAZ, 15. Oktober 2005: Auktionspassion: Fast 40 Millionen für die Welfen. FAZ auf FAZ.net, 8. Februar 2006: Crüwell, Constanze: Prinzessin unter Palmen: Die „Palm Beach!“ FAZ auf FAZ.net, 11. Dezember 2006: Porzellan-Restitution. Adel verpflichtet nicht. FAZ auf FAZ.net, 28. August 2007: Nationalmuseum München. Schwupps, da hat ihn der Wal verschluckt. FAZ auf FAZ.net, 8. Mai 2009: Bahners, Patrick: Der Welfenschatz im Radio. Ein Raubkunstfall wird lanciert. FAZ auf FAZ.net, 30. Mai 2009: Preußen-Stiftung. Keine Rückgabe des Welfenschatzes. FAZ auf FAZ.net, 2. Juni 2009: Bahners, Patrick: Zum Welfenschatz-Streit. Wer trägt die Beweislast? FAZ auf FAZ.net, 3. Juni 2009: Welfenschatz. Ein zunehmend scharfer Ton. FAZ auf FAZ.net, Oktober 2009: Scheyerer, Nicole: Kunst und Antiquitäten. Rotes Haarband. FAZ, 13. Oktober 2009: Jetzt versteigert: das jugendliche Porträtbild des Alten Fritz. FAZ auf FAZ.net, 19. März 2011: Sachs, Brita: Was der König kaufte, ersteigert der Direktor nimmermehr. FAZ, 28. April 2012: Maak, Niklas: Kunst auf Lager. Focus online, 11. Mai 2009: NS-Raubkunst. Erbitterter Kampf um den Welfenschatz. Frau. Die aktuelle Illustrierte, 15. September 1977: Was sich die Herzogin zum 85. Geburtstag wünscht. Frau im Spiegel, 22. Februar 1981: Schmidt, Alf: Herzogin Viktoria Luise. Prozesse um Schmuck und Apanage. Frau im Spiegel, 11. Dezember 1981: Herzogin Viktoria Luise. Das Erbe der Kaisertochter brachte kein Glück. Frau im Spiegel, o.J. [1981]: Domin, Franc: Viktoria Luise – ihr Nachlass wird jetzt versteigert. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26./27. September 1981: Jäckel, Christine: Auch über den Miederknüpfer ist die Zeit hinweggegangen. Bei einer Auktion kommt der Kleinkram unter den Hammer.
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Hannoversche Allgemeine Zeitung, 31. Mai 2005: Böhm, Ekkehard: Der Streit um die Welfenschätze. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2005: Brandt, Hendrik: Adel vernichtet. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 8. Oktober 2005: Fuchs, Thorsten: Gelangte Welfenkunst heimlich ins Ausland? Hannoversche Allgemeine Zeitung, 13. Oktober 2005: Fuchs, Thorsten: Welfen sind Thema im Landtag. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14. Oktober 2005: Böhm, Ekkehard: Eins, zwei, drei – vorbei. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 15. Oktober 2005: Wagner-Scheper, Astrid: Aus der Burg in die Stadt. Hannoversche Allgemeine Zeitung online, 3. März 2007: Benne, Simon: Das Tafelsilber der Welfen. Was vom Schloss übrig blieb. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 25. März 2010: Schloss Marienburg will Ertrag erhöhen. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 14. April 2010: Auktion in Hannover. Wertvolle Gemäldesammlung aus Niedersachsen wird zerschlagen. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 7. April 2011: Kaune, Stefanie: Erbprinz Ernst August von Hannover zieht ins Fürstenhaus. Hannoversche Allgemeine Zeitung online, 31. Juli 2012: Gallop, Kim: Mauritz von Reden verlässt Marienburg. Kölner Stadt-Anzeiger, 12. Dezember 1980: Schmidt, Josef: Sie erlebte Glanz und Niedergang. Herzogin Viktoria Luise ist tot. Kunstmarkt.com, 2. Juni 2009: Firsching, Ulrich Raphael: Keine Restitution des Berliner Welfenschatz. Neue Post, 20. Mai 1950: Herzog unter dem Hammer. Point de Vue, Sémaine du 11 au 19 février 2008: Meylan, Vincent: Vide-grenier chez le prince de Liechtenstein, S. 26-27. Potsdamer Neueste Nachrichten, 8. Oktober 2009: Extrem wertvoll. Ölgemälde Friedrich der Große kommt unter den Hammer/Schlösserstiftung bietet nicht mit. Revue, o.J.: Der Herzog von Braunschweig hat kein Geld. Rhein-Zeitung online, 11. Januar 2012: So ein Schloss ist kalt, feucht und mühsam. Sotheby’s Pressetext, 28. April 2005: Achttägige Schlossauktion auf dem Areal von Schloss Marienburg bei Nordstemmen 29. September bis 8. Oktober 2005 (mit Ausnahme vom 2. & 3. Oktober). Spiegel, 10. April 1957: Wenn ich Kaiser wär’. Ein Spiegel-Gespräch mit Dr. Louis Ferdinand Prinz von Preußen, Chef des Hauses Hohenzollern. Spiegel 49/1983: Kunstmarkt: Bitzend von Gold. Spiegel 23/1986: Niedersachsen. Schöner Gegenstand. Spiegel 01/1995: Affären: Evangeliar auf Abwegen. Spiegel 28/1995: Kunstmarkt: Drang zur Kokosnuss. Spiegel 38/2005, 17. September 2005: Knöfel, Ulrike: Das große Ausmisten. Spiegel online, 5. Oktober 2005: Mega-Auktion. Welfen entrümpeln ihr Schloss. Spiegel online, 15. Oktober 2005: Welfen-Auktion. Sotheby’s jubelt, Prinz Heinrich schimpft. Spiegel online, 16. Oktober 2005: Welfen-Auktion bringt 44 Millionen Euro.
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744 | S AMMLUNGEN DES A DELS Steckhahn, Peter: Welfenbericht. 150 Jahre Familiengeschichte der Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg dokumentiert in Photographie und Film, Göttingen 2008 (der Band erschien aus Anlass der Ausstellung „Vergessene Welfen – verlorene Vergangenheit im Braunschweigischen Landesmuseum). Stickler, Matthias: Abgesetzte Dynastien. Strategien konservativer Beharrung und pragmatischer Anpassung ehemals regierender Häuser nach der Revolution von 1918 – Das Beispiel Habsburg, in: Schulz, Günther/Denzel, Markus A. (Hrsg.): Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert, Büdinger Forschungen zur Sozialgeschichte 2002 und 2003, Deutsche Führungsschichten in der Neuzeit, Band 26, St. Katharinen 2004, S. 397-444. Stratil-Sauer, G. Dr.: Vorwort, in: Notring-Jahrbuch 1963: Kunst in Österreich. Erbe und Verpflichtung, Wien 1963, S. 6. Streinz, Rudolf: Internationaler Schutz von Museumsgut, Handbuch des Museumsrechts 4, Berliner Schriften zur Museumskunde, Opladen 1998. Stührholdt, Sabine: Katalogbeschreibung Losnr. 709: Ziesenis, Johann Georg: Friedrich II. König von Preußen, in: Auktionskatalog Bolland & Marotz 2009: Auktion 10. Oktober 2009, S. 114-115. Sturm, Eva: Museifizierung und Realitätsverlust. Musealisierung – Museifizierung: verwandte Begriffe, in: Zacharias, Wolfgang (Hrsg.): Zeitphänomen Musealisierung. Das Verschwinden der Gegenwart und die Konstruktion der Erinnerung, Essen 1990, S. 99-113. Stuttmann, Ferdinand: Meisterwerke der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover, Honnef (Rhein), o.J. (1960). Thompson, Michael: Die Theorie des Abfalls. Über die Schaffung und Vernichtung von Werten, Stuttgart 1981 (Originalausgabe: Rubbish Theory. The creation and destruction of value, Oxford 1979). Toom, Friedhild den/Coene, Steven: „Der Kaiser muss weg“. Wilhelms II. letzter Lebensabschnitt in den Niederlanden, in: Sehens Werte. Schlösser & Gärten in Hessen: Deutsche Kaiser in Hessen, Kulturerbe Hessen, Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Besuchermagazin 4/2008, S. 56-57. Trudzinski, Meinolf: Hans Holbein. Edward VI. als Kind. Ein Wiedersehen, Meisterwerke zu Gast in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover V, herausgegeben von Heide Grape-Albers, Hannover 2000. Trunz, Helmut: Welfenschlösser in Nord- und Westdeutschland, Holzminden 2006. Tute, Heinz-Joachim: Richmond – Der Park, in: Richmond. Bilder aus 225 Jahren Geschichte, Braunschweig 1993, S. 7-37. Urbach, Karina: Zwischen Aktion und Reaktion. Die süddeutschen Standesherren 1914-1919, in: Conze, Eckart/Wienfort, Monika (Hrsg.): Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2004, S. 323-351. Valter, Claudia: Kunst- und Naturalienkabinette in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Ausstellungskatalog Braunschweig 2004: 250 Jahre Museum. Von den fürstlichen Sammlungen zum Museum der Aufklärung, Herzog Anton UlrichMuseum Braunschweig. Kunstmuseum des Landes Niedersachsen. Ausstellung in der Burg Dankwarderode, 29. April - 22. August 2004, Braunschweig, München 2004, S. 21-30.
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Edition Kulturwissenschaft Michael Gamper, Ruth Mayer (Hg.) Kurz & Knapp Zur Mediengeschichte kleiner Formen vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart April 2017, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3556-0
Nikola Langreiter, Klara Löffler (Hg.) Selber machen Diskurse und Praktiken des »Do it yourself« Februar 2017, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3350-4
Michael Schetsche, Renate-Berenike Schmidt (Hg.) Rausch – Trance – Ekstase Zur Kultur psychischer Ausnahmezustände November 2016, 264 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3185-2
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Christiane Lewe, Tim Othold, Nicolas Oxen (Hg.) Müll Interdisziplinäre Perspektiven auf das Übrig-Gebliebene September 2016, 254 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3327-6
Elisabeth Mixa, Sarah Miriam Pritz, Markus Tumeltshammer, Monica Greco (Hg.) Un-Wohl-Gefühle Eine Kulturanalyse gegenwärtiger Befindlichkeiten Januar 2016, 282 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2630-8
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Felix Hüttemann, Kevin Liggieri (Hg.) Die Grenze »Mensch« Diskurse des Transhumanismus
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Sebastian Schinkel, Ina Herrmann (Hg.) Ästhetiken in Kindheit und Jugend Sozialisation im Spannungsfeld von Kreativität, Konsum und Distinktion Januar 2017, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. z.T. farbige Abb., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3483-9
Antje Dresen, Florian Freitag (Hg.) Crossing Über Inszenierungen kultureller Differenzen und Identitäten Januar 2017, ca. 280 Seiten, kart., ca. 32,99 €, ISBN 978-3-8376-3538-6
Gabriele Brandstetter, Bettina Brandl-Risi, Kai van Eikels Szenen des Virtuosen
Mai 2016, 390 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3079-4
Richard Weihe (Hg.) Über den Clown Künstlerische und theoretische Perspektiven April 2016, 284 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3169-2
Stephanie Wodianka, Juliane Ebert (Hg.) Inflation der Mythen? Zur Vernetzung und Stabilität eines modernen Phänomens (unter Mitarbeit von Jakob Peter) April 2016, 330 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3106-7
Dezember 2016, ca. 328 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1703-0
Stephanie Bung, Jenny Schrödl (Hg.) Phänomen Hörbuch Interdisziplinäre Perspektiven und medialer Wandel Dezember 2016, ca. 230 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3438-9
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