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German Pages 649 [650] Year 2014
Beiträge zur historischen Theologie Herausgegeben von
Albrecht Beutel 171
Beate Kobler
Die Entstehung des negativen Melanchthonbildes Protestantische Melanchthonkritik bis 1560
Mohr Siebeck
Beate Kobler, geboren 1972; Studium der Evang. Theologie und Altphilologie (Latein) in Tübingen und Bonn; 2000 1. Kirchl. Examen; 2000–2001 wiss. Mitarbeiterin am Institut für Spätmittelalter und Reformation, Tübingen (Lutherregister); 2002–2004 Promotionsförderung durch die Studienstiftung des Dtsch. Volkes; 2004–2007 Vikariat in StuttgartWeilimdorf; 2007–2011 Repetentin am Evang. Stift, Tübingen; 2012 Promotion; seit Febr. 2013 Pfarrerin an der Martinskirche, Sindelfingen.
e-ISBN PDF 978-3-16-152697-8 ISBN 978-3-16-152636-1 ISSN 0340-6741 (Beiträge zur historischen Theologie) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abruf bar. © 2014 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und straf bar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen gesetzt und auf alterungsbeständiges Werk druckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.
Im Andenken an Professor Dr. Joachim Mehlhausen (1935–2000)
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2010 fertiggestellt und im Juli 2012 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde sie überarbeitet unter Berücksichtigung der in der Zwischenzeit erschienenen Textbände von Melanchthons Briefwechsel und einer Auswahl der zahlreichen Veröffentlichungen, die seit dem Melanchthon-Jahr 2010 entstanden sind. All denen, die zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Da sind zunächst Herr Professor Dr. Karl-Heinz zur Mühlen und Herr Professor Dr. Joachim Mehlhausen zu nennen, die in mir während meines Studiums in Bonn und Tübingen die Freude an der Kirchengeschichte geweckt und gefördert haben. Dem Andenken von Professor Mehlhausen, der im Jahr 2000 allzu früh aus unserer Mitte gerissen wurde, ist diese Arbeit gewidmet. Durch die Gespräche im Zuge meiner Zulassungsarbeit über Nikolaus von Amsdorf wurde ich auf Melanchthon und das negative Melan chthonbild aufmerksam. Dieses Interesse wurde verstärkt, als ich in meiner Zeit als studentische Hilfskraft Herrn Professor Dr. Ulrich Köpf bei der Vorbereitung eines Vortrags über »Melanchthon in der Kirchen- und Dogmengeschichte des 19. Jahrhunderts« unterstützen durfte. Ihm gilt mein Dank dafür, daß er sich als Doktorvater auf »mein« Thema eingelassen und die Durchführung stets unterstützt hat, sei es in Gesprächen oder durch die Möglichkeit, meine Ergebnisse im Doktorand(inn)en-Kolloquium zur Diskussion zu stellen. Darüber hinaus danke ich Herrn Professor Dr. Volker Henning Drecoll für all die ermutigenden Worte in der Zeit unserer Zusammenarbeit im Evangelischen Stift, für die Möglichkeit, meine Arbeit in ihrer Endphase im Kreise seiner Doktorand(inn)en vorzustellen und zu diskutieren, und für das Zweitgutachten. Den Mitarbeiter(inne)n der Universitätsbibliothek Tübingen habe ich dafür zu danken, daß sie meine Literaturrecherche stets freundlich und kompetent unterstützt haben. Zudem danke ich der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die meine Arbeit mit einem Promotionsstipendium in den Jahren 2002 bis 2004 finanziell gefördert und mir viele auch für meine Arbeit hilfreiche Kontakte beschert hat. Dr. Heike Krauter-Dierolf und meinem Schwiegervater Professor Dr. Helmut Kohl danke ich für das sorgfältige Lesen, Korrekturvorschläge und hilfreiche Anregungen.
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Vorwort
Herzlich danke ich ferner Herrn Professor Dr. Albrecht Beutel für die zügige Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe »Beiträge zur historischen Theologie« sowie Herrn Dr. Henning Ziebritzki und Frau Susanne Mang vom Verlag Mohr Siebeck für die freundliche und kompetente Betreuung. Für Druckkostenzuschüsse danke ich der Forschungsstiftung für Spätmittelalter und Reformation, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und der Calwer Verlag-Stiftung. Über die genannten hinaus haben mich während der langen Zeit meiner Arbeit viele Menschen unterstützt, ermutigt und begleitet: meine Familie, Freundinnen und Freunde und nicht zuletzt die Mitglieder des Doktorandinnen- und Habilitandinnen-Stammtisches der Evangelisch-Theologischen Fakultät. Auch ihnen allen danke ich von Herzen! Der größte und herzlichste Dank aber gebührt meinem Mann Thomas Kohl, der mich auf vielfältige Weise unterstützt hat – als Gesprächspartner und erster kritischer Leser oder beim Formatieren der Arbeit, vor allem aber dadurch, daß er in mir den Glauben daran wachgehalten hat, daß die Arbeit tatsächlich fertig werden kann. Sindelfingen, im Februar 2014
Beate Kobler
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII Erläuterungen zu Textgestaltung und Zitierweise . . . . . . . . . . XXV
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Teil 1
Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530
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Kapitel 1: Die Kritik an Melanchthons Widerlegung des Urteils der Pariser Theologen von 1521 . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthon im Zuge der Wittenberger Bewegung 1521/22 . . . . . . . . . . 17 2.1 Die Kritik an Melanchthon im Zusammenhang mit Luthers Abwesenheit von Wittenberg (Mai bis September 1521) . . . . 18 2.2 Melanchthons Förderung gottesdienstlicher Neuerungen und die Kritik des sächsischen Kurfürsten (Ende September bis Dezember 1521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Melanchthons Haltung zu Karlstadts »Revolution« und seine dadurch verursachte Infragestellung von altgläubiger Seite (Dezember 1521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.4 Die Zwickauer Propheten und die Kritik an Melanchthon ( Jahreswechsel 1521/22) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5 Die Ereignisse bis zu Luthers Rückkehr nach Wittenberg und die fortgesetzte Infragestellung Melanchthons von altgläubiger Seite ( Januar bis März 1522) . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.6 Luthers Rückkehr nach Wittenberg Anfang März 1522 . . . . 29
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Inhaltsverzeichnis
2.7 Melanchthons spätere Erwähnungen der Ereignisse von 1521/22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.8 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Kapitel 3: Die Kritik an Melanchthon durch Vincentius Obsopoeus im Jahr 1526 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Der Plan einer Schulgründung in Nürnberg . . . . . . . . . 32 3.2 Die Vorwürfe des Obsopoeus und Melanchthons Reaktion . . 32 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Kapitel 4: Die Kritik an Melanchthon im Zuge der Visitation in Kursachsen im Jahr 1527 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 4.1 Die Visitation in Kursachsen und die Rolle Melanchthons . . . 37 4.1.1 Die Vorgeschichte der Visitation bis zum Sommer 1527 37 4.1.2 Der Verlauf der Visitation und die Rolle Melanchthons 38 4.1.3 Die Hintergründe von Melanchthons Verhalten bei der Visitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4.2 Die Kritik an Melanchthons Haltung bei der Visitation . . . . 48 4.2.1 Die Reaktionen der Altgläubigen auf die Visitation . . 48 4.2.2 Die Kritik an Melanchthon aus den eigenen Reihen . . 50 4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Kapitel 5: Die Kritik an Melanchthon im Jahr 1529 . . . . . . . . 86 5.1 Der Speyerer Reichstag im März und April 1529 . . . . . . . 86 5.1.1 Der Reichstag und die Rolle Melanchthons . . . . . . 86 5.1.2 Die Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Speyerer Reichstags . . . . . . . . . . . . . . . . 95 5.2 Die Zeit zwischen Speyerer Reichstag und Marburger Religionsgespräch: Evangelische Bündnispläne und das Vorhaben eines Religionsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . 98 5.2.1 Die Bemühungen Philipps von Hessen um ein Religionsgespräch und die Sichtweise in Kursachsen . . 98 5.2.2 Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen Speyerer Reichstag und Marburger Religionsgespräch . 107 5.3 Das Religionsgespräch in Marburg Anfang Oktober 1529 . . . 108 5.3.1 Das Gespräch und die Rolle Melanchthons . . . . . . . 108 5.3.2 Die Kritik an Melanchthons Verhalten beim Marburger Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.4 Die Zeit zwischen Marburger Gespräch und Augsburger Reichstag (Oktober 1529 bis Anfang 1530) . . . . . . . . . . 112 5.4.1 Melanchthons Verhältnis zu den Zwinglianern in der Zeit nach dem Religionsgespräch . . . . . . . . . . . . . . 112 5.4.2 Zwinglianische Kritik an Melanchthon . . . . . . . . 114
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Exkurs: Melanchthons Verhältnis zu den Zwinglianern in den Jahren vor 1529 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Melanchthons Einschätzung der Zwinglianer in den Jahren vor 1529 und seine Rolle im (ersten) Abendmahlsstreit . . 117 2. Die Einschätzung Melanchthons von seiten der Zwinglianer bis 1529 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Kapitel 1: Die Ereignisse des Jahres 1530 und die Rolle Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1.1 Das Ausschreiben zum Reichstag und die Vorbereitungen in Kursachsen ( Januar bis April 1530) . . . . . . . . . . . . . 125 1.2 Die erste Phase des Reichstags: Von der Ankunft der Protestanten in Augsburg bis zur Übergabe der »Confessio Augustana« (Mai und Juni 1530) . . . . . . . . . 128 1.2.1 Die Ankunft der Protestanten in Augsburg . . . . . . . 128 1.2.2 Die Arbeit an einem Bekenntnis für den Kaiser im Mai und Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1.2.3 Melanchthons Sorgen während der ersten Phase des Reichstags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1.2.4 Melanchthons erste Kontakte zu Altgläubigen zwischen Anfang und Mitte Juni . . . . . . . . . . . . 131 1.2.5 Die Ankunft des Kaisers am 15. Juni und der Streit um das Predigtverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1.2.6 Sonderverhandlungen Melanchthons zwischen 16. und 22. Juni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 1.2.7 Die Eröffnung des Reichstags am 20. Juni und erste Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1.2.8 Die Übergabe der »Confessio Augustana« am 25. Juni . 139 1.3 Die zweite Phase des Reichstags: Die Zeit nach der Übergabe der »Confessio Augustana« bis zur Verlesung der »Confutatio« ( Juli 1530) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1.3.1 Die Entstehung der altgläubigen Widerlegung zur CA . 141 1.3.2 Erneute Sorgen Melanchthons nach der Übergabe der CA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1.3.3 Hoffnung auf offizielle Verhandlungen über die Glaubensfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
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1.3.4 Weitere Gespräche und Sonderverhandlungen Melanchthons mit Altgläubigen zwischen Ende Juni und Anfang August . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1.3.5 Melanchthons erneute Sorgen Mitte bis Ende Juli . . . 153 1.3.6 Die Verlesung der »Confutatio« am 3. August und die Zusage von Ausschußverhandlungen am 5. August . . . 154 1.4 Die dritte Phase des Reichstags: Einigungsverhandlungen (August 1530) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1.4.1 Weitere Sonderverhandlungen Melanchthons mit Campeggio und erneute Bestechungsversuche zwischen 4. und 7. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1.4.2 Die Abreise Philipps von Hessen am 6. August . . . . . 156 1.4.3 Die Verhandlungen des Fürsten-Ausschusses vom 7. bis zum 13. August . . . . . . . . . . . . . . . 156 1.4.4 Der Kontakt Melanchthons zu Christoph von Stadion am 13. August . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 1.4.5 Die Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses vom 14. bis zum 21. August . . . . . . . . . . . . . . 158 1.4.6 Berichte über die Verhandlungen und Kritik an den protestantischen Delegierten . . . . . . . . . . . . . . 169 1.4.7 Altgläubige Bemühungen um einen kleineren Ausschuß 173 1.4.8 Die Verhandlungen des Sechser-Ausschusses vom 23. bis zum 28. August . . . . . . . . . . . . . . 174 1.4.9 Erneute Kritik der Nürnberger Gesandten . . . . . . 179 1.5 Die vierte Phase des Reichstags: Verhandlungen auf Initiative König Ferdinands und das Ende des Reichstags (September 1530) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1.5.1 Weitere Sonderverhandlungen Melanchthons Anfang September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1.5.2 Der Vermittlungsversuch von Hieronymus Vehus ab 10. September . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1.5.3 Ein Vermittlungsversuch von vier kaiserlichen Unterhändlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1.5.4 Das Ende des Reichstags . . . . . . . . . . . . . . . . 183 1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Kapitel 2: Das Verhältnis zwischen Lutherischen und Zwinglianern vor dem Augsburger Reichstag und in seinem Verlauf . . . . . . 185 2.1 Bleibende Ablehnung der Zwinglianer durch die Kursachsen . 185 2.2 Melanchthons Umgang mit zwinglianischen Einigungsversuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
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Kapitel 3: Die Inhalte der gegen Melanchthon gerichteten Kritik . 191 3.1 Kritik an Melanchthons Rolle beim kursächsischen Hof . . . . 192 3.2 Kritik im Zusammenhang mit der Rolle Luthers beim Reichstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 3.2.1 Kritik Luthers an der mangelnden Kommunikation mit seinen Kollegen in Augsburg . . . . . . . . . . . 192 3.2.2 Kritik im Zusammenhang mit Luthers Autorität . . . . 194 3.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.3 Kritik an der »Confessio Augustana« . . . . . . . . . . . . . 195 3.3.1 Die protestantische Kritik an der »Confessio Augustana« 196 3.3.2 Altgläubige Kritik an der »Confessio Augustana« . . . . 210 3.3.3 Zusammenfasssung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3.4 Kritik an Melanchthons Kontakten zu Altgläubigen . . . . . . 211 3.4.1 Die Kritik von protestantischer Seite . . . . . . . . . . 211 3.4.2 Kritik von altgläubiger Seite . . . . . . . . . . . . . . 216 3.5 Die Kritik an Melanchthons Milde und Nachgiebigkeit gegenüber den Altgläubigen – der Vorwurf der Unbeständigkeit . . 218 3.5.1 Die protestantische Kritik an Melanchthons Milde und Nachgiebigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3.5.2 Altgläubige Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit . . 227 3.6 Die inhaltliche Kritik an einzelnen Zugeständnissen . . . . . 228 3.6.1 Die Kritik an Zugeständnissen in bezug auf die Glaubensartikel der CA . . . . . . . . . . . . . . . . 228 3.6.2 Die Kritik an Zugeständnissen bei den Mißbrauchsartikeln der CA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 3.6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3.7 Übergreifende Kritik am protestantischen Vorschlag und am Vorgehen der protestantischen Delegierten . . . . . . 244 3.7.1 Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Schrift . . . . . . 244 3.7.2 Der Vorwuf der Zweideutigkeit vieler Aussagen . . . . 244 3.7.3 Der Vorwurf der Eigenmächtigkeit der protestantischen Ausschußmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3.8 Der Vorwurf des Schadens für die lutherische Sache, des Abfalls, des Verrats am Evangelium und der Bestechlichkeit . . . . . . 247 3.8.1 Die Kritik von protestantischer Seite . . . . . . . . . . 247 3.8.2 Kritik von altgläubiger Seite . . . . . . . . . . . . . . 249 3.9 Kritik an Melanchthons Überzeugungen . . . . . . . . . . . 249 3.9.1 Kritik an Melanchthons positiver Einschätzung des Kaisers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3.9.2 Kritik an Melanchthons Einschätzung der Altgläubigen 250
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3.9.3 Kritik an Melanchthons Willen zur Einheit mit den Altgläubigen und seinem Glauben an den möglichen Erfolg von Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . 251 3.9.4 Kritik an Melanchthons Bemühen um die Wahrung des zeitlichen Friedens . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 3.10 Kritik an Melanchthons Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . 256 3.10.1 Kritik an Melanchthons Sorgen und seiner Ängstlichkeit und die Vorwürfe der Schwachheit, Kleinmütigkeit und mangelnden Glaubensstärke . . . . . . . . . . . . . . 256 3.10.2 Die Vorwürfe der Vernunftorientiertheit und Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 3.10.3 Weitere Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3.11 Altgläubige Kritik an Melanchthons Unnachgiebigkeit . . . . 268 3.12 Die Kritik am Umgang Melanchthons mit den Zwinglianern . 268
Kapitel 4: Melanchthons Umgang mit Kritik und die dagegen gerichteten Vorwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 4.1 Melanchthons Umgang mit der protestantischen Kritik . . . . 270 4.2 Die Kritik an Melanchthons Umgang mit den Vorwürfen . . . 272 Kapitel 5: Die Kritiker Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.1 Die protestantischen Kritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.1.1 Luther und Dietrich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 5.1.2 Vertreter der in Augsburg anwesenden lutherischen Reichsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 5.1.3 Vertreter der Zwinglianer . . . . . . . . . . . . . . . 278 5.1.4 Vertreter der noch unentschiedenen, aber den Protestanten zuneigenden Reichsstädte Ulm und Augsburg . . . 278 5.1.5 Ausländische, der Reformation zuneigende Kritiker . . 279 5.1.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5.2 Altgläubige Kritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Kapitel 6: Zusammenfassung zur Kritik des Jahres 1530 . . . . . . 280 6.1 Die Bedeutung der Vorwürfe des Jahres 1530 für das negative Melanchthonbild . . . . . . . . . . . . . . . 280 6.1.1 Die von protestantischer Seite erhobene Kritik . . . . . 280 6.1.2 Die von altgläubiger Seite erhobene Kritik . . . . . . . 283 6.2 Das Verhältnis von altgläubiger und protestantischer Kritik . . 283 III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Kapitel 1: Kritik an Melanchthons Kontakten zu Vertretern Frankreichs in den Jahren 1534 und 1535 . . . . . . . . . . . . 284
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Kapitel 2: Kritik an Melanchthons »Loci« von 1535 . . . . . . . . 290 Kapitel 3: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Wittenberger Konkordie im Mai 1536 . . . . . . . . . . . . 292 Kapitel 4: Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre in den Jahren 1536 und 1537 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Kapitel 5: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Bundestags von Schmalkalden im Februar 1537 . . . . . . . 299 Kapitel 6: Gerüchte über Wittenberger Lehrdifferenzen und entsprechende Kritik an Melanchthon von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Mai 1537 . . . . . . . . . . . 301 Kapitel 7: Kritik an Melanchthon im Rahmen seines Streits mit Jakob Schenck im Jahr 1537 . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 Kapitel 8: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang eines an ihn gerichteten Briefes von Sadoleto im Juni 1537 . . . . . . 306 Kapitel 9: Kritik von Veit Amerbach an Melanchthon in den Jahren 1537 bis 1542 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Kapitel 10: Kritik an Melanchthon durch Johannes Agricola – die antinomistischen Streitigkeiten in den Jahren 1537 bis 1540 . 310 Kapitel 11: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Falles »Simon Lemnius« im Jahr 1538 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Kapitel 12: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Friedensverhandlungen in Frankfurt im Frühjahr 1539 . . . 313 Kapitel 13: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Reichsreligionsgespräche in den Jahren 1540 und 1541 . . . . 314 13.1 Kritik im Zuge des Wormser Religionsgesprächs . . . . . . . 314 13.2 Kritik im Zuge des Regensburger Religionsgesprächs . . . . . 316 13.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Kapitel 14: Kritik an Melanchthons »Loci« von 1541 . . . . . . . . 319 Kapitel 15: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der »Kölner Reformation« von 1543 . . . . . . . . . . . . . . . 319 Zusammenfassung zur Kritik der Jahre 1534 bis 1546 . . . . . . . 324
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IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560 . . . . . 325 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Kapitel 1: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang seiner Rückkehr nach Wittenberg nach dem Schmalkaldischen Krieg im Sommer 1547 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Kapitel 2: Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« im Frühjahr und Sommer 1548 . . . . . . . . . . . . . 332 2.1 Die Ereignisse in Kursachsen bis zum Ende des Augsburger Reichstags Ende Juni 1548 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 2.2 Die Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« und an seinem Brief an von Carlowitz . . . . . . . . 335 2.2.1 Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 2.2.2 Kritik an Melanchthons Brief an von Carlowitz . . . . 340 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Kapitel 3: Kritik an Melanchthon im Zuge des sogenannten Adiaphoristischen Streits in den Jahren nach 1548 . . . . . . . . 342 3.1 Die Ereignisse in Kursachsen im Zuge der Umsetzung des »Augsburger Interims« nach Ende des Augsburger Reichstags . 342 3.2 Kritik an Melanchthon und seinen Wittenberger Kollegen im Rahmen der Umsetzung des »Augsburger Interims« . . . . 347 3.2.1 Die Kritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 3.2.2 Die Inhalte der Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 Kapitel 4: Kritik an der Wittenberger Lutherausgabe in den Jahren 1549 bis 1558 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 Kapitel 5: Kritik an Lehraussagen Melanchthons von seiten der Flacianer in den 1550er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5.1 Kritik an konkreten Lehraussagen . . . . . . . . . . . . . . 375 5.2 Mit Lehrfragen zusammenhängende Kritikpunkte . . . . . . 379 Kapitel 6: Kritik an Melanchthon im Rahmen der Osiandrischen Streitigkeiten in den Jahren 1551 und 1552 . . . . . . . . . . . . 380 6.1 Kritik durch Osiander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 6.2 Weitere Kritiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Kapitel 7: Kritik der Flacianer an der »Confessio Saxonica« von 1551 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
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Kapitel 8: Kritik an Melanchthons Haltung im Streit um das Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386 8.1 Kritik aus dem reformierten Lager . . . . . . . . . . . . . . 386 8.2 Kritik aus dem lutherischen Lager . . . . . . . . . . . . . . 387 8.2.1 Kritik an Melanchthons Schweigen . . . . . . . . . . 387 8.2.2 Inhaltliche Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre . 388 8.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Kapitel 9: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Versuche, Flacius und ihn miteinander auszusöhnen . . . . . . . . . . . . 394 Kapitel 10: Kritik von Johannes Freder . . . . . . . . . . . . . . . 395 Kapitel 11: Kritik im Zuge des Wormser Religionsgesprächs 1557 . 396 Kapitel 12: Vorwürfe von Justus Velsius . . . . . . . . . . . . . . 397 Kapitel 13: Kritik im Zuge des »Frankfurter Rezesses« vom März 1558 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 Kapitel 14: Kritik an Melanchthon im Weimarer Konfutationsbuch von 1558/59 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Kapitel 15: Kritik an Melanchthons Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 Kapitel 16: Kritik von Andreas Musculus im Zuge des zweiten antinomistischen Streits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Kapitel 17: Neuerliche Kritik von Johannes Agricola . . . . . . . . 404 Kapitel 18: Kritik am »Corpus doctrinae« Melanchthons von 1560
405
Kapitel 19: Melanchthons Umgang mit Vorwürfen in den 1550er Jahren und die Kritik daran . . . . . . . . . . . . . . . . 406 Zusammenfassung zur Kritik der Jahre 1547 bis 1560 . . . . . . . 407 V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen . . . . . 409 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 Kapitel 1: Melanchthons Haltung zu Astrologie, Voraussagen und Weissagungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 1.1 Die Herkunft der astrologischen Neigungen Melanchthons und ihre Weitergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 1.2 Melanchthons theoretische Aussagen zur Astrologie und ihre praktische Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . 413 1.2.1 Die Astrologie als Wissenschaft . . . . . . . . . . . . 413
XVIII
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1.2.2 Die Astrologie in ihrem Verhältnis zur Astronomie . . 414 1.2.3 Die Wirkung der Gestirne als Grundlage der Astrologie 415 1.2.4 Das Verhältnis der Sterne zu anderen Einflüssen auf die Welt und die Menschen . . . . . . . . . . . . 420 1.2.5 Der vielfache Nutzen der Astrologie . . . . . . . . . . 423 1.2.6 Die Zuverlässigkeit der Astrologie . . . . . . . . . . . 424 1.2.7 Das Verhältnis von Astrologie und Christentum . . . . 426 1.3 Melanchthons Glaube an Vorzeichen und Weissagungen . . . 427 1.3.1 Melanchthons Glaube an Vorzeichen . . . . . . . . . . 427 1.3.2 Melanchthons Glaube an Weissagungen . . . . . . . . 429 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431
Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen . 433 2.1 Gegen Melanchthon persönlich gerichtete Kritik . . . . . . . 433 2.2 Kritik an der Astrologie insgesamt . . . . . . . . . . . . . . 435 2.2.1 Der Bezug der allgemeinen Astrologie-Kritik zu Melanchthon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 2.2.2 Die inhaltliche Kritik an der Astrologie . . . . . . . . 441 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Teil 2
Auswertung Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe . 451 Kapitel 1: Die Kritik an Melanchthons Theologie . . . . . . . . . 451 1.1 Kritik an konkreten Lehraussagen . . . . . . . . . . . . . . 451 1.1.1 Trinitätslehre und Christologie . . . . . . . . . . . . 452 1.1.2 Anthropologie – das Verständnis des freien Willens . . 452 1.1.3 Rechtfertigung und neuer Gehorsam . . . . . . . . . 456 1.1.4 Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 1.1.5 Sakramente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 1.2. Kritik an Melanchthons Umgang mit den Kirchenvätern . . . 471 1.3 Grundsätzliche Etikettierungen und Infragestellungen der Theologie Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 1.3.1 Die »Nähe« theologischer Aussagen zur altgläubigen Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 1.3.2 Der Einfluß von Philosophie und Humanismus auf Melanchthons Theologie . . . . . . . . . . . . . . 477
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XIX
1.3.3 Melanchthons »Abweichen« von Luther und vom lutherischen Lehrkonsens . . . . . . . . . . . . . . . 481 Exkurs: Die Kritik an Melanchthons Umgang mit der »Confessio Augustana« . . . . . . . . . . . . . . . 485
Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthons kirchenpolitischem Agieren – Infragestellung seines Verhaltens und seiner Zugeständnisse gegenüber Altgläubigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 2.1 Melanchthons Kontakte zu Altgläubigen und sein Verhalten in Gesprächen mit ihnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 2.1.1 Protestantische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 2.1.2 Altgläubige Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 2.2 Melanchthons Einschätzung von Altgläubigen und sein Kaiserbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 2.3 Melanchthons Nachgiebigkeit gegenüber Altgläubigen . . . . 491 2.4 Konkrete Zugeständnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 2.4.1 Zugeständnisse bei äußerlichen Zeremonien . . . . . . 492 2.4.2 Zugeständnisse beim Laienkelch . . . . . . . . . . . . 498 2.4.3 Das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion . . . . 501 2.4.4 Das Zugeständnis der weltlichen Autorität des Papstes . 506 2.4.5 Zugeständnisse bei den Klöstern . . . . . . . . . . . . 507 2.4.6 Zugeständnisse bei der Messe . . . . . . . . . . . . . 508 2.4.7 Zugeständnisse bei der Priesterehe . . . . . . . . . . . 509 2.4.8 Zugeständnisse bei der Heiligenverehrung . . . . . . . 509 2.4.9 Der Verzicht auf Aussagen zum Fegefeuer . . . . . . . 510 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 Kapitel 3: Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen . 512 Kapitel 4: Die Kritik an Melanchthons Umgang mit anderen Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 4.1 Melanchthons Verhältnis zu Menschen in seinem Umfeld . . . 513 4.1.1 Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 4.1.2 Die sächsischen Kurfürsten . . . . . . . . . . . . . . 514 4.1.3 Melanchthons Schüler . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 4.2 Melanchthons Umgang mit Andersdenkenden und Schwärmern und seine Haltung in innerprotestantischen Auseinandersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 4.2.1 Melanchthons Umgang mit Zwinglianern und Calvinisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 4.2.2 Melanchthons Verhalten in weiteren innerprotestantischen Auseinandersetzungen und gegenüber Abweichlern in den eigenen Reihen . . . . . . . . . . 518 4.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
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Kapitel 5: Die Kritik an Melanchthons Persönlichkeit und Überzeugungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 5.1 Die Vorwürfe der Zweideutigkeit, Unredlichkeit und Heuchelei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 5.1.1 Lehrfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 5.1.2 Zugeständnisse in Verhandlungen mit Altgläubigen . . 521 5.2 Die Vorwürfe der Nachgiebigkeit, der Unbeständigkeit und des Wankelmuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 5.3 Die Vorwürfe der Ängstlichkeit, des Kleinmuts, der übergroßen Sorgen und mangelnden Glaubensstärke . . . . . . . . . . . 525 5.4 Der Vorwurf der Vernunftorientiertheit . . . . . . . . . . . 527 5.5 Der Vorwurf der Fixierung auf irdischen Frieden, Einheit und Ruhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 II. Die Kritiker Melanchthons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 Kapitel 1: Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 1.1 Kollegen an der Universität Wittenberg . . . . . . . . . . . . 533 1.1.1 Martin Luther . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 1.1.2 Johannes Agricola . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 1.1.3 Die sogenannten Gnesiolutheraner Amsdorf, Flacius und Gallus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 1.1.4 Veit Amerbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 1.1.5 Weitere Wittenberger Universitätskollegen . . . . . . . 539 1.2 Studenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 1.3 Gäste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 1.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 Kapitel 2: (Kur)Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 2.1 Der kursächsische und der sächsische Hof . . . . . . . . . . . 544 2.1.1 Ernestiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 2.1.2 Albertiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 2.2 Theologen und Gelehrte im Gebiet des (Kur)Fürstentums . . 547 2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 Kapitel 3: Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548 3.1 Territorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 3.2 Reichsstädte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 3.2.1 Lutherisch geprägte Reichsstädte . . . . . . . . . . . 551 3.2.2 Reichsstädte unter zwinglianischem Einfluß . . . . . . 554 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554
Inhaltsverzeichnis
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Kapitel 4: Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 1. Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 2. Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 a) Wörterbücher und Lexika . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 b) Bibliographien und Forschungsberichte . . . . . . . . . . . 576 3. Sonstige Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610
Abkürzungen Die im Text, in den Anmerkungen und im Quellen- und Literaturverzeichnis verwendeten Abkürzungen richten sich nach der vierten Auflage der RGG und, falls sie dort nicht verzeichnet sind, nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE (zusammengestellt von Siegfried M. Schwertner, Berlin / New York 21994). Für die in diesen beiden Werken nicht berücksichtigten Quellenausgaben zur Reformationszeit werden – größtenteils in Anlehnung an die einschlägige Literatur – folgende Abkürzungen verwendet1: Melanchthon: MSA SupplMel
Melanchthons Werke in Auswahl [Studienausgabe] Supplementa Melanchthoniana. Werke Philipp Melanchthons, die im Corpus Reformatorum vermißt werden
Bucer: BDS BC
Erasmus: LB ASD OE
Bucers Deutsche Schriften Bucers Briefwechsel – Correspondance
Opera omnia emendatoria et auctiora 2 Opera omnia, 2. Abteilung: Adagiorum Chilias Prima 3 Opus epistolarum
Weitere Quellenwerke: ADRG OG PC PKMS UB
Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert Osiander Gesamtausgabe Politische Correspondenz der Stadt Straßburg Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen Urkundenbuch zu der Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530
1 Die ausführlichen bibliographischen Angaben sind dem Literaturverzeichnis zu entnehmen. 2 Diese Abkürzung leitet sich vom lateinischen Namen Leidens, des Erscheinungsortes der Ausgabe, »Lugduni Batavorum« ab (vgl. dazu ASD 2/2, 515). 3 Vgl. zu dieser Abkürzung ASD 2/2, 513.
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Abkürzungen
allgemein: BW Briefwechsel
Bei der Seitenzählung alter Drucke werden folgende Abkürzungen verwendet: a Vorderseite b Rückseite
Erläuterungen zu Textgestaltung und Zitierweise Im folgenden sollen einige schon für den Einleitungsteil relevante Hinweise zu den verwendeten Quellenausgaben und zur Gestaltung der Anmerkungen gegeben werden. Bei allen edierten Quellen gilt der Grundsatz, nach Möglichkeit die neueste kritische Ausgabe zu verwenden. Bei Melanchthon ist man in weiten Teilen nach wie vor auf die aus dem 19. Jahrhundert stammende Werkausgabe im Corpus Reformatorum (CR) angewiesen, nur eine Auswahl von Texten wurde in den Supplementbänden zum Corpus Reformatorum (SupplMel) und in der Studienausgabe (MSA) (neu) ediert. Die Briefe Melanchthons (und seiner Korrespondenzpartner) werden zwar seit 1978 in einer neuen Ausgabe ediert, die Textbände von »Melanchthons Briefwechsel« (MBW) sind allerdings erst zur Hälfte erschienen. Da jedoch für alle Briefe Regesten mit zuverlässigen Angaben zu Datum und Empfänger vorliegen, wird bei der Zitation eines Briefes immer die zugehörige MBW-Nummer genannt und im Anschluß daran der exakte Stellennachweis aus der im Moment neuesten kritischen Edition, das heißt entweder aus den vorliegenden MBW-Textbänden, aus dem »Corpus Reformatorum« oder aus einer anderen Veröffentlichung. Dieses Vorgehen hat den Vorteil, daß künftige Benutzerinnen und Benutzer unter der entsprechenden MBW-Nummer auch die gegenwärtig noch nicht in der neuen Edition zugänglichen Briefe in den noch erscheinenden Bänden nachschlagen können. Die in den Anmerkungen enthaltenen Literaturhinweise bestehen im Normalfall aus dem Nachnamen des Autors und einem Kurztitel. Für oft benutzte Quelleneditionen werden (die üblichen oder oben verzeichneten) Abkürzungen verwendet. Die ausführlichen bibliographischen Angaben können in beiden Fällen dem Literaturverzeichnis entnommen werden. Wenn in den Anmerkungen mehrere Titel aufgezählt werden, ist die Reihenfolge in der Regel chronologisch. Zeitgenossen Melanchthons werden in den Anmerkungen recte geschrieben, spätere Forscher erscheinen in Kapitälchen. Ausgaben des 16. Jahrhunderts werden dann in VD 16 nachgewiesen, wenn sie nicht im Literaturverzeichnis verzeichnet sind. Zeilenangaben werden nur dann verwendet, wenn sie in den Ausgaben enthalten sind. Die Schreibweise der Eigennamen richtet sich nach der neuen Ausgabe von Melanchthons Briefwechsel, für die Buchstaben A bis K insbesondere nach den Regesten-Bänden 11 und 12. Für die dort nicht verzeichneten Personen folge
XXVI
Erläuterungen zu Textgestaltung und Zitierweise
ich der vierten Auflage der RGG. Bei der ersten Nennung im Text wird der Vorname genannt, bei weiteren Nennungen wird darauf verzichtet, sofern keine Verwechslungsgefahr besteht. Bei den in den Anmerkungen genannten Verfassern und Adressaten von Briefen wird auf Vornamen verzichtet. Zu allen in meiner Arbeit vorkommenden Personen aus der Reformationszeit und aus späteren Jahrhunderten gebe ich bei der ersten Nennung wenn möglich die Lebensdaten an. Wo diese nicht zu ermitteln waren, wird dies nicht gesondert vermerkt.
Einleitung Philipp Melanchthon war eine der bedeutendsten Persönlichkeiten des 16. Jahrhunderts und hat »als Humanist und Theologe, als philosophisch und naturwissenschaftlich versierter Lehrer und Autor von Lehrbüchern, als Historiker und Politikberater, als Bildungsreformer und Reformator« Unschätzbares für Kirche und Gesellschaft geleistet.1 Daß dies allgemein bekannt ist, ist der MelanchthonForschung vergangener Jahrhunderte zu verdanken, im 20. Jahrhundert insbesondere Gelehrten wie Heinz Scheible oder Timothy Wengert.2 Trotz seiner offensichtlichen Verdienste wurde Melanchthon allerdings immer wieder teils heftig kritisiert, und wird es bis heute. Im Fokus der Kritik stehen verschiedene Aspekte seiner Theologie sowie seine Persönlichkeit, und viele Vorwürfe haben sich im Lauf der Jahrhunderte zu Stereotypen, Klischees und Mythen verdichtet, die keinen Bezug mehr zu konkreten Ereignissen haben und unhinterfragt weitergegeben werden. Vor diesem Hintergrund kann man vom Vorliegen eines negativen Melanchthonbildes sprechen. Ein solches ist zwar heute nicht mehr so verbreitet wie in vergangenen Jahrhunderten, in vielen Veröffentlichungen, seien sie nun wissenschaftlicher oder populärwissenschaftlicher Natur, von protestantischen oder katholischen Verfassern, ist es allerdings immer noch zu spüren.3 Dies äußert sich zum Beispiel darin, daß viele Beiträge zu Melanchthon – auch im Jubiläumsjahr 2010 – auf negative Stereotypen und Klischees rekurrieren.4 Die wichtigsten Aspekte des negativen Melanchthonbildes der vergangenen Jahrhunderte sind folgende: Im Blick auf seine Person gilt Melanchthon als Leisetreter 5 und wird als ängstlicher,6 rein über die Vernunft gesteuerter,7 zu sehr
1
Dingel / Kohnle, Vorwort, in: Philipp Melanchthon, 10. Vgl. z. B. die Aufsatzbände von Scheible und Wengert, die beide im Melanchthonjahr 2010 erschienen sind: Scheible, Aufsätze zu Melanchthon und Wengert, Philip Melanchthon, Speaker of the Reformation. 3 Vgl. Flogaus, Luther versus Melanchthon?, 6; Frank / Köpf, Vorwort, in: Melan chthon und die Neuzeit, 7 und Scheible, Einführung, 21. 4 Vgl. Wengert, The Day Melanchthon Got Mad, 419 ff.; Ders., Beyond Stereotypes, 9 ff.; Kremers, Melanchthon, 13 f.; Scheible, Melanchthon-Forschung, 97 und Thönissen, Nötiger Streit, 72. 5 Vgl. zur changierenden Beurteilung Melanchthons als Leisetreter und zur negativen Konnotation des Begriffs im Quellenteil, Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 a). 6 Ängstlichkeit ist eines der am weitesten verbreiteten und am wenigsten hinterfragten Epitheta Melanchthons, mit dessen Hilfe er oft von anderen Personen der Reformationsge2
2
Einleitung
an Einheit, Frieden und Ruhe interessierter,8 allzu nachgiebiger, wankelmütiger und leicht zu verunsichernder Mensch dargestellt; 9 vor allem auf katholischer Seite kommt die Bezeichnung Melanchthons als zweideutiger Heuchler 7
schichte wie Martin Luther oder Landgraf Philipp von Hessen (1504–1567) abgehoben wird und das bis in die Gegenwart hinein begegnet (vgl. Schneider, Melanchthon-Bild, 217 und Scheible, Luther und Melanchthon, 144); z. B. bei Abraham Calov (1612–1686) (vgl. Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 11), Philipp Jakob Spener (1635–1705) (vgl. Wallmann, a. a. O., 16), Johann Friedrich Mayer (1650–1712) (vgl. Mayer, De lenitate Melanchthonis, 6 und 15), Ernst Salomo Cyprian (1673–1745) (vgl. Cyprian, Historia, 95, 177 und 193 f.), Johann Lorenz von Mosheim (1694/95–1755) (vgl. Fitschen, Mosheim, 101–103 und 105), Maximilian Albrecht von Landerer (1810–1878) (vgl. von Landerer, Melanchthon, 278 und 281), Gustav Kawerau (1847–1918) (vgl. Kawerau, Agricola, 150 und Ders., Würdigung Melanchthons, 134), Karl Hartfelder (1848–1893) (vgl. Hartfelder, Der Aberglaube Melanchthon’s, 236, 243 f., 251, 257 und 267), Adolf von Harnack (1851–1930) (vgl. von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte 3, 817, Anm. 1 und 895), Einar Billing (1871–1939) (vgl. Aurelius, Melanchthonbild, 12), Wilhelm Pauck (1901–1981) (vgl. Pauck, Luther und Melanchthon, 26 ff.) und Wilhelm Maurer (1900–1982) (vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 1, 159). 7 Vorwürfe dieser Art begegneten v. a. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, z. B. bei Theodor Brieger (1842–1915) (vgl. Brieger, Melanchthon und Melanchthonianismus, 137) und Rudolf Thiel (1894–1967) (vgl. Thiel, Luther, 340 f. und 581). 8 Dieses Klischee findet sich in allen Jahrhunderten, wenn auch in unterschiedlicher Zuspitzung. Im 17., Anfang des 18., im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts richtete es sich gegen Melanchthons Friedens- und Einheitsstreben als Grund für seine Nachgiebigkeit gegenüber den Altgläubigen (vgl. z. B. Johann Lorenz von Mosheim (vgl. Fitschen, Mosheim, 101 f. und 104), Karl Theodor Keim (1825–1878) (vgl. Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 163 und 168) und Wilhelm Gußmann (1854-?) (vgl. Gussmann, Ratschläge 1, 5, 57, 106, 123 f. und 395, Anm. 19). In späteren Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts wurde entsprechende Kritik im Blick auf Melanchthons Entgegenkommen gegenüber Zwinglianern und Reformierten geäußert (z. B. von Johann Georg Walch (1693–1775); vgl. Walch, Introductio in libros symbolicos, 185 f. und 194). Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Kritik dieser Art selten und Melanchthons Friedensstreben wurde zunehmend in seiner Vorbildfunktion hervorgehoben; vgl. z. B. Harms, Der liebenswerte Magister, 170; Larsen, Melanchthons oekumenische Bedeutung, 178; Koch, Melanchthon, Zwingli und die Astrologie, 29; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 132; Hansen, Melanchthon, 86; Scheible, Art. Melanchthon, 395, Z. 35 ff.; Wriedt, Melanchthon, 294; Stolt, Vorwort zum Tagungsband »Philipp Melanchthon und seine Rezeption in Skandinavien« (1998), 8 f. und den Leserbrief des Brettener Oberbürgermeisters Paul Metzger (* 1944) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 30. 10. 1999 [abgedruckt bei Wenz, Streit zwischen Philippisten und Gnesiolutheranern, 64]. Ähnliche Äußerungen finden sich auch schon bei Abraham Calov im 17. Jahrhundert (vgl. Appold, Melanchthonbild bei Calov, 87). 9 Vgl. z. B. die protestantischen Historiker Christian August Salig (1691–1738) (vgl. Salig, Historie, 335 und 614); Friedrich Lezius (1859–1939) (vgl. Lezius, Charakteristik, 125); Julius Seebaß (1889–1963) (vgl. Seebass, Luther als Seelsorger, 74); Herbert von Hintzenstern (1916–1996) (vgl. von Hintzenstern, Melanchthon und die Universität Jena) oder Oliver Olson (* 1927) (Olson, Flacius, 26) und die katholischen Gelehrten Johann Adam Möhler (1796–1838) (vgl. Möhler, Kirchengeschichte 3, 177 und Köpf, Melanchthon in der Kirchen- und Dogmengeschichtsschreibung, 157) und Hartmann Grisar (1845–1932) (Grisar, Luther 2, 311 und 313; Ders., Luther 3, 211 und Ders., Melanchthons Nachgiebigkeit, 265 und 267); zudem Schneider, Melanchthon-Bild, 217 und Scheible, Luther und Melanchthon, 145.
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hinzu.10 Hinsichtlich seiner Theologie wird Melanchthon vorgeworfen, er sei in verschiedenen Lehrfragen von Martin Luther (1483–1546) abgewichen und habe daher die reformatorische Lehre verraten11 – ein Vorwurf, der von Kritikern insbesondere an der imputativen Fassung seiner Rechtfertigungslehre12 und an seiner Annäherung an die oberdeutsche Abendmahlsauffassung festgemacht wird. Im Blick auf das Abendmahl wird ihm etwa vorgehalten, er habe das zentrale protestantische Bekenntnis, die von ihm selbst verfaßte »Confessio Augustana«, zugunsten der »Sakramentierer« verfälscht und sei zum Calvinismus abgefallen.13 Besonderen Anstoß nehmen Kritiker aller Jahrhunderte zudem an dem (ihnen allzu groß erscheinenden) Einfluß von Humanismus und Philosophie auf Melanchthons Theologie und machen ihn für einen angeblichen Rückfall der reformatorischen Theologie in eine neue Scholastik verantwortlich.14 10 Vorwürfe dieser Art finden sich vor allem im 19. und 20. Jahrhundert; vgl. Wiedenhofer, Zum katholischen Melanchthonbild, 431 und Ders., Katholizismus und Melanchthon, 65. 11 So unterschied etwa die lutherische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts in der Nachfolge des lutherischen Theologen Leonhard Hutter (1563–1616) »zwischen dem frühen Melanchthon, der mit Luther übereinstimmte . . ., und dem späten Melanchthon nach Luthers Tod, der sich als Apostat auf die Seite der Reformierten schlug und nicht pro collega et fratre orthodoxo Luthers angesehen werden« könne – so der Theologe Johann Konrad Dannhauer (1603–1666) (Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 11). Im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts erlebte der Vergleich Melanchthons mit Luther und die damit einhergehende Abwertung seiner Theologie eine besondere Blüte, v. a. innerhalb der Ritschlschen Schule (vgl. Stupperich, Melanchthon-Verständnis, 254 f.) und im Zuge der sogenannten Luther-Renaissance, z. B. bei Karl Holl (1866–1926) und Emanuel Hirsch (1888–1972) (vgl. die Belege in der folgenden Anm.). 12 Kritik an Melanchthons Fassung der Rechtfertigungslehre findet sich vor allem auf protestantischer Seite bei Vertretern der sogenannten Luther-Renaissance Anfang des 20. Jahrhunderts und bei ihren Schülern; z. B. bei Holl (vgl. Holl, Luther, 70, 128 und 125, Anm.), bei Hirsch (vgl. Hirsch, Theologie des Osiander, 228) und bei Hans Joachim Iwand (1899–1960) (vgl. Iwand, Luthers Theologie, 49 ff.); vgl. dazu auch Lohse, Luther und das Augsburger Bekenntnis, 146 und Scheible, Melanchthonbild Holls, 238. 13 Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre wurde vor allem im 17. und 18. Jahrhundert geäußert, z. B. von Heinrich Varenius († 1635) (vgl. Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 15), Abraham Calov (vgl. Appold, Melanchthonbild bei Calov, 83 ff.), Johann Friedrich Mayer (vgl. Mayer, De lenitate Melanchthonis, 38 und Gummelt, Äußerungen zu Melanchthon im Werk Mayers, 98), Ernst Salomon Cyprian (vgl. Cyprian, Historia, 176 und 183), Johann Georg Walch (vgl. Walch, Introductio in libros symbolicos, 186, 191 und 193) und Johann Melchior Goeze (1717–1786) (vgl. Goeze, Nothwendige Erinnerungen, 105 und 107). 14 Vorwürfe im Hinblick auf einen zu großen Einfluß von Humanismus und Philosophie wurden vom 17. bis ins 21. Jahrhundert hinein immer wieder erhoben, sowohl auf protestantischer wie auf katholischer Seite, und das Klischee »Luther zerschlägt die Philosophie und Melanchthon baut sie wieder auf« nahm spätestens seit dem 18. Jahrhundert einen festen Platz in der Philosophie- und Theologiegeschichte ein (vgl. Schneider, Philosophiegeschichtsschreibung, 117). Folgende Kritiker äußerten sich zu diesem Thema: im 17. Jahrhundert z. B. Gottfried Arnold (1666–1714) (Arnold, Ketzer-Historie 2, Buch 16, Kap. 9: 4, S. 94; 5, S. 95; 6, S. 95; 9, S. 97 und 11, S. 98 und dazu Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus,
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Hochphasen erlebte ein solch negatives Melanchthonbild vor allem in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts,15 im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert16 sowie am Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.17 19 ff.); im 19. Jahrhundert z. B. Albrecht Ritschl (1822–1889) (vgl. zu Ritschls Kritik Kawerau, Würdigung Melanchthons, 134; Stupperich, Melanchthon-Verständnis, 253; Flogaus, Luther versus Melanchthon?, 7 und Rieger, Troeltsch und Melanchthon, 168 f. und 186) und Ernst Troeltsch (1865–1923) (vgl. zu Troeltschs Kritik Stupperich, Melanchthon-Verständnis, 254; Ders., Melanchthon und Rieger, Troeltsch und Melanchthon, 169); im 20. Jahrhundert z. B. Hanns Rückert (1901–1974) (Rückert, Stellung der Reformation, 94 und Ders., Melanchthon, 142 ff.) und Richard Rudolph Caemmerer (1904–1984) (Caemmerer, The Melanchthonian Blight, 328 und dazu Hammer, Melanchthonforschung 2, 778, Nr. 3539); im 21. Jahrhundert z. B. Hans-Matin Barth (* 1939) (Barth, Frömmigkeit Melanchthons, 85, 88 f. und 94). Im 19. und 20. Jahrhundert äußerten ähnliche Kritik auch katholische Historiker; vgl. z. B. Johann Joseph Ignaz von Döllinger (1799–1898) (Döllinger, Die Reformation 1, 349–408 und 3, 274–333 und dazu Wiedenhofer, Katholizismus und Ders., Melanchthon, 69) und Hartmann Grisar (Grisar, Luther 3, 224 und Ders., Melanchthons Nachgiebigkeit, 264 und dazu Wiedenhofer, Zum katholischen Melanchthonbild, 444). 15 Die letzten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts waren geprägt durch den Versuch, dem nach Luthers Tod zerstrittenen und in unterschiedliche Lehrtraditionen – vor allem der Philippisten und der Gnesiolutheraner – auseinandergefallenen Luthertum in der Konkordienformel von 1577 eine gemeinsame Lehrgrundlage zu geben. Melanchthon wurde darin zwar nicht namentlich genannt, einige seiner Ansichten und Lehren wurden jedoch verurteilt (vgl. folgende Artikel der »Solida Declaratio« von 1577: Artikel 2 zum freien Willen [BSLK, 866–912; bes. 907, Z. 21 ff. und 910, Z. 26 ff.]; Artikel 7 zum Abendmahl [BSLK, 970–1016; z. B. 971, Z. 8 ff. und 1011, Z. 12 ff.] und Artikel 10 zu den Zeremonien [BSLK, 1053–1063]; zum Bezug der Artikel auf Melanchthon neben den entsprechenden Anmerkungen in BSLK Staedke, Abendmahl, 107; Mehlhausen, Streit, 125; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 124 und 131 f.; Lohse, Reformation, 110, Anm. 10 und Wallmann, Konkordienformel, 1606). Zudem setzten viele Kritiker, die Melanchthon bereits zu seinen Lebzeiten angegriffen hatten, ihre Kritik nach seinem Tod fort. Johannes Wallmann (* 1930) spricht daher zu Recht von einer »gnesiolutherischen Verketzerung« Melanchthons Ende des 16. Jahrhunderts (Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 16). 16 Die negative Sicht auf Melanchthon setzte sich im 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts fort, und zwar sowohl im Rahmen der lutherischen Orthodoxie wie auch bei Vertretern des (radikalen) Pietismus, und das, obwohl sich die Repräsentanten dieser beiden Richtungen sonst keineswegs einig waren (vgl. Wallmann, Lutherische Orthodoxie, 700); vgl. zur Orthodoxie Hannemann, Melanchthon im Urteil, 170. Melanchthon-kritische Vertreter der lutherischen Orthodoxie waren z. B. Abraham Calov, Johann Konrad Dannhauer, Johann Friedrich Mayer und Ernst Salomon Cyprian; entsprechende Vertreter des Pietismus waren z. B. Johann Michaelis (*1638) mit seinem Buch »Lutherus redivivus« von ca. 1696 und Gottfried Arnold mit seiner »Ketzer-Historie« von 1699/1700). Unabhängig davon, daß es sich höchstwahrscheinlich um eine Legende handelt, ist der Bericht, der Wittenberger Theologieprofessor Leonhard Hutter habe Anfang des 17. Jahrhunderts das neben seinem Katheder hängende Bild Melanchthons heruntergerissen und mit Füßen getreten, nachdem Melanchthon im Rahmen einer theologischen Diskussion verteidigt worden war, symptomatisch für das negative Melanchthonbild der lutherischen Orthodoxie. Von diesem Vorfall berichten z. B. Mayer, De lenitate Melanchthonis, 38; Palmer, Melanchthon, 50; Schmidt, Melanchthon, 668; Mix, Luther und Melanchthon, 460; Ellinger, Melanchthon, 612; Hannemann, Melanchthon im Urteil, 163 und Schröter, Melanchthon als evangelischer
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Eine umfassende Darstellung der Entwicklung des negativen Melanchthonbildes in der Rezeptionsgeschichte fehlt leider, und sie wäre wohl von einer Einzelperson auch gar nicht zu leisten, sondern würde die Arbeit einer ganzen Forschungsgruppe erfordern. Aspekte der Geschichte des negativen Melanchthonbildes finden sich allerdings in den zahlreichen Arbeiten zur Rezeption Melanchthons, die vor allem seit dem 400. Geburtstag Melanchthons 1897 häufig anläßlich von Jubiläen erschienen sind und sich meist einzelnen Personen oder Epochen widmen.18 Die vorliegende Arbeit setzt die Existenz eines negativen Melanchthonbildes in der Rezeptionsgeschichte voraus und konzentriert sich auf die Frage, wann und wie dieses Melanchthonbild entstanden ist. Diese Frage wurde in der Forschung bisher lediglich am Rande gestellt und dann allzu schnell beantwortet. Es ist Konsens, daß die negative Beurteilung Melanchthons ihren Anfang zu seinen Lebzeiten nahm,19 die genauen Umstände, Zeiten und Verantwortlichen 17
Christ, 165; eine Rekonstruktion des Zustandekommens dieser Legende findet sich bei Mahlmann, Praeceptor, 164–174. 17 Zum einen waren es Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts der Ritschlianismus und (in seiner Folge) Vertreter der sogenannten Luther-Renaissance – sowohl in Deutschland als auch in Skandinavien –, die ausgehend vom Vergleich mit Luther Melanchthons historische Bedeutung zurückstuften und Teile seiner Theologie einer radikalen Kritik unterzogen (vgl. Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 12). Zum anderen wurde Melanchthon in der Zeit des Nationalsozialismus teilweise heftig kritisiert, weil er in einer »Zeit der Entscheidung« vielen als negatives Beispiel für ungute Kompromisse und mangelndes Bekenntnis galt – eine Sichtweise, die durch die Gegenüberstellung zu »Helden« wie Luther, Nikolaus von Amsdorf (1483–1565) oder Flacius untermauert wurde (vgl. z. B. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 6.1.1., bes. Anm. 860; Nebe, Reine Lehre, 3 und 6 f.; Stoll, Interim!, 5; von Hase, Gestalt der Kirche Luthers, passim und Loewenich, Interim, 405 f.). Allerdings gab es auch Kritik an Melanchthon von Personen, die dem Nationalsozialismus in gewisser Hinsicht nahestanden, wie z. B. Mathilde Ludendorff (1877–1966) oder Wilhelm Stapel (1882–1954), und die vor allem Melanchthons Einheitsstreben problematisierten (vgl. Ludendorff, Frevel an Luther, passim und Stapel, Wider das Geschlecht der Melanchthoniden, in: Deutsches Volkstum. Monatsschrift für das deutsche Geistesleben 2 (1928), 889– 896; hier 895 [nach Hammer, Melanchthonforschung 2, 695 f., Nr. 3318]). 18 Vgl. Brieger, Melanchthon und Melanchthonianismus (1897); Kawerau, Würdigung Melanchthons (1897); Hoffmann, Luther und Melanchthon (1938); Stupperich, Melanchthon-Verständnis (1952); Buttler, Melanchthonbild (1960); Hannemann, Melanchthon im Urteil (1960); Schneider, Melanchthon-Bild (1960); Gericke, Der umstrittene Melanchthon (1962); Müller, Melanchthon-Forschung (1985); Aurelius, Melanchthonbild (1998); Lehmann, Melanchthon-Jubiläum 1897 (1998); Pfisterer, Melanchthon in der Vermittlungstheologie (1998); Schäfer, Ritschls Melanchthonbild (1998); Gestrich, Luther und Melanchthon (1999); Czaika, Rezeption Melanchthons (2008) und Ludwig, Zwischen Philippismus und orthodoxem Luthertum (2011); ferner die zahlreichen Beiträge in den Tagungsbänden »Philipp Melanchthon und seine Rezeption in Skandinavien« (1998), »Melanchthonbild und Melanchthonrezeption in der lutherischen Orthodoxie und im Pietismus« (1999) und »Melanchthon und die Neuzeit« (2003); zum katholischen Melanchthonbild Wiedenhofer, Zum katholischen Melanchthonbild (1980) und Ders., Melanchthon und Katholizismus (1997). 19 Vgl. Dingel, Frankfurter Rezeß, 121, Anm. 1.
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sind allerdings nicht so klar, wie viele Forscher vermuten lassen. Es wird häufig pauschal auf die Spätzeit der Reformation nach dem Tod Luthers und dem Schmalkaldischen Krieg sowie auf die innerlutherischen Streitigkeiten verwiesen, und vor allem die Person des Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) wird für das negative Melanchthonbild verantwortlich gemacht.20 Ob diese Urteile zutreffen, wird die folgende Untersuchung zu erweisen haben. Hierfür bedürfen folgende Fragen einer näheren Klärung: Welche Vorwürfe wurden während Melanchthons Lebenszeit geäußert? Und welche Entwicklung nahmen sie im Lauf der Jahrzehnte? Wann und unter welchen Umständen entstand die Kritik seiner Zeitgenossen? Welche Ereignisse im Leben Melanchthons prägten das negative Bild in besonderer Weise? Wann und wo erreichte das Ansehen Melanchthons seine Tiefpunkte? Welche Kritiker sind für die Entstehung eines negativen Melanchthonbildes verantwortlich zu machen? Waren es wirklich nur Flacius und seine Anhänger oder auch andere? Und ist das negative Melanchthonbild vor allem auf die »schmähliche Beurteilung . . . von böswilligen Gegnern«, auf die »Verunglimpfung« durch Feinde und auf den »Hass fanatischer Zeitgenossen« zurückzuführen, wie das etwa Klaus Harms (1906–1972), Irene Dingel (* 1956) und Heinz Scheible (* 1931) behaupten,21 oder lassen sich auch andere Hintergründe benennen und weitere Motivationen für die Kritik ausmachen? Welche Motivationen finden sich immer wieder und welche sind eher personengebunden und damit individueller Natur? Welche Ideale bildeten den Hintergrund der Vorwürfe? Schließlich die Frage: Wurden Vorwürfe bereits zu Melanchthons Lebzeiten zu Stereotypen und Klischees, oder ist das eine spätere Entwicklung? Und lassen sich Klischees – wie Wengert behauptet – als Konstrukte der Protagonisten Melanchthon und Luther erklären, »appropriate to the Renaissance, an age that modeled itself on classical examples from the past«, die erst in den Händen späterer Historiker des 19. und 20. Jahrhunderts zu »incontrovertible truths from the past« wurden? 22 Es wäre interessant und überaus lohnend, das in diesem Satz angesprochene Verhältnis von zeitgenössischer und späterer Kritik zu untersuchen, mögliche Entwicklungslinien nachzuzeichnen oder Abbrüche festzustellen. Dies ist in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht zu leisten, auch nicht in Ansätzen, und muß daher vorerst ein Desiderat der Forschung bleiben.23 20 Vgl. Harms, Der liebenswerte Magister, 169; Wengert, Beyond Stereotypes, 12; Czaika, Rezeption Melanchthons, 410 f.; Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 796 und Scheible, Melanchthon-Forschung, 93. 21 Harms, Der liebenswerte Magister, 169; Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 796 und Scheible, Einführung, 21. 22 Wengert, Beyond Stereotypes, 13. 23 Das gilt für die Erforschung der Melanchthonrezeption insgesamt, die wesentlich schlechter beleuchtet ist als etwa diejenige Luthers (davon zeugt z. B. schon die unterschiedliche Länge der Abschnitte »Wirkungsgeschichte« in den TRE-Artikeln zu Melanchthon und zu Luther; vgl. Scheible, Art. Melanchthon, 395, Z. 13–38 und Mostert, Luther, 567–
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Es geht in der vorliegenden Untersuchung also darum, die Wurzeln des negativen Melanchthonbildes in seiner Lebenszeit zu erhellen. Angesichts der Fülle an Quellenmaterial zur Reformationszeit ist die Arbeit allerdings gezwungen, hierfür verschiedene Fokussierungen und Beschränkungen vorzunehmen: Wie bereits erwähnt, konzentriert sich die Untersuchung zum ersten auf die Lebenszeit Melanchthons bis zum Jahr 1560, da spätestens mit seinem Tod die Rezeptionsgeschichte beginnt. Kritik späteren Datums wird nur in Einzelfällen aufgenommen, und zwar zum einen, wenn es sich um das Referat früherer Kritik handelt, wie zum Beispiel in Gedenkreden oder der Melanchthon-Biographie von Joachim Camerarius (1500–1574),24 zum anderen, wenn die Vorwürfe von Kritikern stammen, die schon vorher als solche aufgetreten sind, und die Vorwürfe damit eine Ergänzung und Erläuterung zu früheren Äußerungen darstellen. Zum zweiten beschränkt sich die Arbeit auf edierte Quellen. Dies ist dadurch zu rechtfertigen, daß der weitaus größte und bedeutendste Teil des Quellenmaterials aus der Reformationszeit ediert ist, auch wenn sicher aus Archiven noch weitere interessante Aspekte – etwa zur Einschätzung Melanchthons durch die ernestinischen oder albertinischen Fürsten – zutage gefördert werden könnten. Zum dritten legt die Untersuchung den Schwerpunkt auf die protestantischen Kritiker Melanchthons, wobei auch die Anhänger Ulrich Zwinglis (1484–1531) und Johannes Calvins (1509–1564), die Oberdeutschen und Vertreter von radikalen Strömungen zum protestantischen Lager gerechnet werden.25 Diese Konzentration ist sinnvoll, da das negative Melanchthonbild in der Geschichte des Protestantismus besonders ausgeprägt ist und es daher naheliegt, an dessen Wurzeln nach seiner Entstehung zu fragen. Zudem war das 16. Jahrhundert eine Zeit, die von der Konfrontation zwischen den sich ausbildenden Konfessionen des Protestantismus und des römischen Katholizismus beherrscht war und in der daher die Kritik der Gegenseite zum einen wenig aussagekräftig ist, war sie doch häufig lediglich Kontroverspolemik. Zum anderen war sie für die Stellung innerhalb des protestantischen Lagers oft eher ein gutes Zeichen, denn, wurde man von der Gegenseite kritisiert, dann hatte man die protestantische Botschaft wohl klar genug zum Ausdruck gebracht. Kritik aus den eigenen Reihen hingegen ist ein eigentümliches Phänomen, und der faktische Einfluß und die besondere Bedeutung Melanchthons stehen auffällig quer zu der schon früh gegen ihn geäußerten Kritik. Auch wenn Vertreter radikaler Strömungen zum protestantischen Lager gerechnet werden, wird Kritik von ihnen 594) und daher einem weiten und weithin unbeackerten Feld gleicht, das der weiteren Bearbeitung harrt (vgl. Sträter, Vorwort, in: Melanchthonbild und Melanchthonrezeption, 9; ähnliche Einschätzungen auch bei Hannemann, Melanchthon im Urteil, 170; Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 11 und Peters, Rezension, 237). 24 Vgl. dazu unten, S. 9 –11. 25 Vgl. zu diesem Protestantismus-Begriff Wallmann, Protestantismus, 1727.
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nur dann aufgenommen, wenn sie sich gegen Melanchthon persönlich richtete und nicht etwa gegen die »Wittenberger« im allgemeinen, denn auch hier waren in vielen Fällen die Fronten infolge von Auseinandersetzungen so verhärtet, daß die Kritik ähnlich wie auf altgläubiger Seite dem Reflex des Dagegenhaltens entsprang und daher wenig Aussagekraft hat. Trotz der grundsätzlichen Konzentration auf protestantische Kritik werden an ausgewählten Stellen Vorwürfe von Vertretern der Altgläubigen aufgenommen, sofern sie wichtige Aspekte zum Verständnis der Entstehung und der Hintergründe protestantischer Kritik beitragen. Dies ist der Fall, wenn Kritik von altgläubiger Seite in eine ähnliche Richtung ging wie protestantische Vorwürfe und damit von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus verwandte Vorwürfe zustandekamen. In einigen Fällen ist davon auszugehen, daß sich protestantische und altgläubige Vorwürfe gegenseitig beeinflußten oder altgläubige Kritik der Auslöser für protestantische Kritik war. Außerdem wird altgläubige Kritik in Situationen erwähnt, in denen Melanchthon von beiden Seiten kritisiert wurde, jedoch mit unterschiedlichem Inhalt, wenn sein Verhalten etwa von den Altgläubigen als zu hart empfunden wurde, während er den eigenen Leuten als zu nachgiebig erschien. Dieses Sitzen zwischen den Stühlen, das Stehen zwischen den Fronten erlebte Melanchthon immer wieder und es hat seine Selbsteinschätzung stark geprägt. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich also auf die protestantische, in edierten Quellen zugängliche Melanchthonkritik, die zu seinen Lebzeiten geäußert wurde. »Kritik« wird dabei weit gefaßt, so daß Vorwürfe sehr unterschiedlicher Art zur Sprache kommen – die Palette reicht von kleineren persönlichen Unstimmigkeiten und Spötteleien bis zu schwerwiegenden öffentlichen Vorwürfen, von sachlicher Kritik bis zu Verleumdungen, von Angriffen gegen Lehraussagen bis zur Infragestellung der Persönlichkeit Melanchthons. Auf diese Weise soll ein möglichst umfassendes Bild dessen sichtbar werden, woran Melanchthons Zeitgenossen in bezug auf ihn Anstoß nahmen. Die vorliegende Arbeit hat nicht das Ziel, die gegen Melanchthon vorgebrachten Vorwürfe (von heute aus) zu bewerten und als berechtigt bzw. unberechtigt zu erweisen, und sie soll sich – sofern dies möglich ist – nicht von apologetischen oder kirchenpolitischen Interessen leiten lassen. Es geht vielmehr darum, das Zustandekommen des negativen Melanchthonbildes aus dem historischen Kontext heraus nachvollziehbar und verständlich zu machen und die Leserinnen und Leser dadurch in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Bild zu machen.26 Um dies zu gewährleisten, werden im ersten und größten Teil der Arbeit die einzelnen Ereignisse, in deren 26 Dieser Ansatz ist der von Ferdinand Christian Baur (1792–1860) begründeten historisch-kritischen Geschichtsschreibung verpflichtet; vgl. dazu Köpf, Melanchthon in der Kirchen- und Dogmengeschichtsschreibung, 164 f.; ferner Lembert, Luthers Fehler, 33; Aner, Melanchthons Haltung, 66; Wengert, Beyond Sereotypes, 14 und Köpf, Der Reformator Melanchthon, 26.
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Zusammenhang Kritik geäußert wurde, und die Positionen der jeweiligen Kritiker ausführlich dargestellt. Dies geschieht in chronologischer Reihenfolge mit Ausnahme der Vorwürfe gegenüber Melanchthons astrologischen Neigungen, die sich an keinem konkreten Ereignis festmachen lassen und daher in einem eigenen Kapitel behandelt werden. Als Quellen für die Vorwürfe werden, wenn möglich, direkte Zeugnisse der Kritik aus den Jahren bis zu Melanchthons Tod 1560 herangezogen. Da viele Vorwürfe nur mündlich erhoben wurden und viele direkte Zeugnisse verloren gegangen sind, müssen weitere Quellen herangezogen werden. Die gewichtigsten sind sicher Melanchthons eigene Berichte über und Reaktionen auf die Kritik, wie sie sich vor allem in seinen Briefen, dieser spezifisch humanistischen literarischen Gattung,27 finden. Von ihnen sind glücklicherweise viele erhalten, und fast alle liegen in gedruckter Form vor, nahezu die Hälfte von ihnen sogar schon in der neuen kritischen, von Heinz Scheible herausgegebenen Ausgabe von »Melanchthons Briefwechsel« (MBW). Bei Melanchthons eigenen Äu ßerungen ist selbstverständlich eine gewisse Vorsicht geboten, denn er war seinen Briefpartnern gegenüber zwar meist sehr offen und – soweit es zu erkennen ist – ehrlich, vor allem wenn es sich um enge Vertraute wie zum Beispiel Joachim Camerarius oder Veit Dietrich (1506–1549) handelte, vieles konnte und wollte er seinen Briefen aber aus Angst vor ungebetenen Lesern nicht oder nur in Andeutungen oder (griechischen) Verschlüsselungen anvertrauen.28 Zudem ist damit zu rechnen, daß Melanchthon Kritik überspitzte oder verzerrte, weil er etwa die mangelnde Berechtigung der Vorwürfe oder die Unglaubwürdigkeit der Kritiker erweisen wollte – dies wird an den Stellen zu verifizieren sein, an denen abgesehen von Melanchthons Berichten auch direkte Zeugnisse der Kritik erhalten sind. Neben Melanchthons eigenen Aussagen sind Berichte seiner Zeitgenossen und Freunde über die gegen ihn vorgebrachte Kritik heranzuziehen; es handelt sich dabei meist um beiläufige Äußerungen, vor allem in Briefen. Interessant sind aber auch Gedenkreden, die nach seinem Tod gehalten wurden,29 und die 1566 erschienene Melanchthon-Biographie von Camerarius. Diese erste Biographie Melanchthons, der der »Rang einer einzigartigen zeitgenössischen Quelle«30 zukommt und die vom 16. bis ins 18. Jahrhundert überaus einflußreich war,31 wurde in der Forschung bisher vernachlässigt, was sicher 27
Vgl. Köpf, Humanismus, 264. Vgl. z. B. Melanchthon an Besold 22. 1. 1551 [MBW 5985; CR 7, 726 f., Nr. 4844; hier 726]: » ταύτα οὐκ ἔστιν ἐπιστολικά«. 29 Ergiebig sind hier vor allem die Reden der beiden Melanchthonschüler Veit Örtel (1501–1578) und Jakob Heerbrand (1521–1600) vom 21.4. und 15. 5. 1560 [CR 10, 187–206, Nr. 7136 und CR 10, 293–313, Nr. 7140]. 30 Scheible, Einführung, 29. 31 Vgl. Wengert, Camerarius, 115; den Katalog zur Dauerausstellung im Wittenberger Melanchthonhaus mit dem Titel »Ad fontes! Zu den Quellen!«, 152 und Rhein, Vorwort, in: Camerarius, Das Leben Philipp Melanchthons. 28
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auch daran liegt, daß sie nicht in einer kritischen Ausgabe und erst seit kurzem in deutscher Übersetzung vorliegt.32 Daher wurde die in ihr dargestellte Melanchthon-Kritik noch kaum zur Kenntnis genommen; dabei ist Camerarius’ Werk gerade in dieser Hinsicht eine überaus wertvolle Quelle, auch wenn er die meisten Kritiker »nicht der namentlichen Nennung für würdig erachtete«.33 Da Camerarius und Melanchthon zeit ihres Lebens in intensivem persönlichem und brieflichem Austausch gestanden hatten,34 wußte Camerarius neben zahlreichen biographischen Einzelheiten auch um die Kritik an seinem Freund und sie zu widerlegen, war eines der wichtigsten Motive für seine Biographie. Seine Schrift wurde zwar vor allem durch Kritiker ausgelöst, die nach Melanchthons Tod in den 1560er Jahren auftraten 35 und damit für die vorliegende Arbeit nur am Rande von Interesse sind, er berichtete allerdings auch von früherer Kritik und liefert damit wichtige Zusatzinformationen für bestimmte Ereignisse. Auch wenn davon auszugehen ist, daß er parteilich und befangen war, Einzelheiten vergaß, Zusammenhänge bewußt verschwieg und Dinge ungenau oder verzerrt wiedergab,36 spricht einiges dafür, daß Camerarius’ Auflistung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe (zumindestens im Hinblick auf ihr Vorhandensein und ihre ungefähre Ausrichtung) relativ verläßlich ist. Denn er war zum einen der Überzeugung, daß Fehler zu jeder großen Persönlichkeit hinzugehören und daher nicht verschwiegen werden sollten,37 zum anderen war er aufgrund der Konzeption seines Werkes als Apologie gezwungen, vorhandene Vorwürfe zu benennen, um Melanchthon von ihnen freisprechen und zum 32 »De vita Philippi Melanchthonis narratio« wurde 1777 von Georg Theodor Strobel (1736–1794) und 1819 von Johann Christian Wilhelm Augusti (1772–1841) herausgegeben. Im folgenden wird auf die zuletzt genannte Ausgabe zurückgegriffen. Die deutsche Übersetzung von Volker Werner erschien 2010, mit einer Einführung und Anmerkungen von Heinz Scheible. 33 Scheible, Einführung, 21; vgl. a. a. O., 28. Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 349: »me ne nomina quidem istorum exprimere scribendo libet« (hier wohl in bezug auf die Melanchthon-Kritiker Tilemann Heshusen (1527–1588), Nikolaus Gallus (1516–1570) und Friedrich Staphylus (1512–1564); vgl. dazu die Anmerkung in der Ausgabe von Augusti; Näheres zur Kritik von Heshusen und Gallus im Auswertungsteil, Abschnitt II, Kap. 1.2, Anm. 50 und Kap. 1.1.3.3). Entsprechend hatte Camerarius auch »in seiner Edition der Briefe Melanchthons an ihn . . . die intimen oder gefährlichen . . . Ereignisse und Personen unkenntlich gemacht« (Scheible, a. a. O., 21). 34 Vgl. zu ihrer Freundschaft Scheible, Einführung, 21 ff. und unten im Auswertungsteil, Abschnitt II, Kap. 1.1.5, Anm. 50. 35 Vgl. z. B. Camerarius, De vita Melanchthonis, 349 und 369. 36 Vgl. Camerarius’ eigene Aussagen zu seiner Befangeheit in »De vita Melanchthonis«, 102: »Quibus si quid forte admiscebitur, quod exilius et levius alicui videatur, venia dabitur mihi, qui, fieri potest, ut propter mirificum summi amoris sensum erga Philippum Melanchthonem, quaedam aestimem carius, quam mereantur«; zudem a. a. O., 104 und 224; Stählin, Humanismus, 15 f. und Scheible, Einführung. 37 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 87, 222, 348 und 376 und dazu Stählin, Humanismus, 14 f.
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Kampf gegen seine Feinde aufrufen zu können.38 Ohne es zu wollen und entgegen seiner Absicht hat Camerarius so allerdings zur weiteren Verbreitung der Vorwürfe und zur Bildung von Stereotypen und Klischees beigetragen.39 Um Aussagen über Entwicklungen innerhalb des negativen Melanchthonbildes, Kontinuitäten und Diskontinuitäten treffen zu können, ist es notwendig, die im ersten Teil der Arbeit dargestellten zeitgenössischen Vorwürfe in einem zweiten Teil nach inhaltlichen Kriterien zusammenzustellen Abschließend folgt ein kurzer Überblick über die protestantischen Kritiker Melanchthons, in dem unter anderem nach gemeinsamen Motivationen und Hintergründen gefragt wird.
38 Vgl. zur Entstehung und Charakterisierung der Biographie Melanchthons auch im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.4; zudem Wengert, Camerarius, 115 ff. und Scheible, Einführung. 39 Vgl. Wengert, The Day Melanchthon Got Mad, 420 und Ders., Beyond Stereotypes, 13.
Teil 1
Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext Einleitung Der erste Hauptteil der Arbeit bietet eine umfassende Darstellung der vielfältigen Kritik, die gegen Melanchthon im Lauf seines Lebens vor allem aus den Reihen der eigenen Leute erhoben wurde. Die unterschiedlichen Kritikpunkte werden in chronologischer Reihenfolge und unter Berücksichtigung ihres jeweiligen historischen Kontextes geschildert, das heißt im Zusammenhang der Ereignisse, in deren Rahmen sie geäußert wurden. Die Abschnitte I bis IV behandeln die Vorwürfe, die in den Jahren zwischen 1521 und Melanchthons Tod 1560 gegen ihn vorgebracht wurden. Da es dabei um sehr unterschiedliche Ereignisse und Kritikpunkte ging, variiert die Länge der einzelnen Kapitel. Die Vorwürfe der frühen Jahre aus der Zeit von 1521 bis zum Augsburger Reichstag 1530 werden ausführlicher dargestellt als die Kritik der Spätzeit, da erstere zum einen weitaus weniger bekannt sind und zum anderen die Grundlage für alle späteren Vorwürfe darstellen. Ein zweiter Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den heftigen Angriffen gegen Melanchthon in der Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg, zum einen weil diese das Melanchthonbild späterer Jahrhunderte in besonderer Weise prägten, zum anderen weil sie einen Kulminationspunkt der Kritik darstellen. Insgesamt macht der Gang durch Melanchthons Leben deutlich, daß er nicht erst gegen Ende seines Lebens angegriffen wurde, sondern daß die Kritik alle Phasen seines Lebens begleitete. Entsprechend äußerte sich auch Melanchthon selbst des öfteren und beklagte, kein Jahr vergehe ohne irgendwelche Vorwürfe.1 Abschnitt V trägt im Anschluß an diesen Gang durch Melanchthons Leben in einem eigenen Teil die kritischen Äußerungen in bezug auf Melanchthons astrologische Neigungen zusammen, da sich diese keinem bestimmten historischen Ereignis zuordnen lassen. 1 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31. 8. 1535 [MBW 1616; MBW T 6, 439–441; hier 440, Z. 21 f.]; an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204; hier 201, Z. 2 ff.]; an Georg von Anhalt ca. 27. 12. 1546 [MBW 4523; CR 6, 462 f., Nr. 3810; hier 463]; an Seidemann 28. 7. 1548 [MBW 5237; CR 7, 89, Nr. 4311]; an Buchholzer 28. 11. 1552 [MBW 6654; CR 7, 1144 f., Nr. 5275; hier 1144]; an Bording 11. 3. 1558 [MBW 8548; CR 9, 481 f., Nr. 6476; hier 482].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Den einzelnen Kapiteln dieser fünf Abschnitte liegt folgender Aufriß zugrunde: Ein erster Teil schildert das Ereignis, in dessen Zusammenhang die Kritik vorgebracht wurde, wobei der Fokus auf Melanchthons Rolle sowie den Hintergründen seines Verhaltens und seiner Äußerungen liegt. Diese Darstellung soll dazu dienen, Melanchthons Position und das Zustandekommen der Kritik nachvollziehbar und verständlich zu machen. Als Grundlage hierfür werden in erster Linie die Quellen herangezogen. Daneben wird an entsprechender Stelle auch auf einschlägige Forschungsbeiträge verwiesen, eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Forschungsliteratur unterbleibt jedoch, da sie nicht das vorrangige Ziel dieser Arbeit ist. Ein zweiter Teil benennt die Kritik, die gegen Melanchthon im Zusammenhang des jeweiligen Ereignisses – in einigen Fällen auch in späteren Jahren – erhoben wurde, und unterzieht sie bei größerem Umfang einer ersten Systematisierung. In diesem Teil wird zudem auf den Ablauf der Streitigkeiten, die Motivation der Kritiker und auf Melanchthons Umgang mit der Kritik eingegangen, sofern sich Aussagen darüber machen lassen. Ein dritter Teil schließlich faßt das Kapitel zusammen, indem nach der Bedeutung der Kritik für das negative Melanchthonbild und teilweise auch nach ihrer Berechtigung gefragt wird – es geht hierbei allerdings nicht um eine abschließende Bewertung der Vorwürfe, sondern um den Versuch, das Zustandekommen des Konflikts und die verschiedenen Positionen zu verstehen.
I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530 Kapitel 1: Die Kritik an Melanchthons Widerlegung des Urteils der Pariser Theologen von 1521 Die erste Kritik an Melanchthon, von der wir wissen, stammt aus dem Jahr 1521. Im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen Martin Luther und der altgläubigen Seite wurde Melanchthons Einmischung in den Streit sowohl von Luther als auch von der theologischen Fakultät in Paris kritisiert, wenn auch mit völlig gegensätzlichem Inhalt. Die kritische Äußerung Luthers gegenüber Melanchthon ist zwar (im Vergleich mit späteren Vorwürfen) unspektakulär, sie soll hier aber dennoch genannt werden, da sie so etwas ist wie das unscheinbare Anfangsglied in einer Kette von Vorwürfen gegenüber Melanchthons zurückhaltender Art und Ausdrucksweise, mit denen er bis ans Ende seines Lebens konfrontiert war. Auch die altgläubige Kritik an Melanchthon ist für sich betrachtet unauffällig und gehört in den Bereich des damals Normalen, ist aber dennoch bemerkenswert, weil Melanchthon 1521 zum ersten Mal für ein und dieselbe Äußerung sowohl aus den eigenen Reihen als auch von altgläubigen Gegnern kritisiert wurde und ihm eine solche Zweiseitigkeit der Kritik – daß dieselbe Aussage von altgläubiger Seite als zu hart, aus den eigenen Reihen jedoch als zu schwach eingestuft wurde – in seinem Leben immer wieder begegnete und ihn beschäftigte. Doch nun zum Kontext1 und zu den Einzelheiten der Kritik: Herzog Georg von Sachsen (1471–1539) hatte bereits im Sommer 1519 nach der Leipziger Disputation zwischen Luther und Johannes Eck (1486–1543) die Pariser Universität um ihr Urteil in diesem Streit gebeten, die dortige theologische Fakultät hatte sich allerdings Zeit gelassen und erst im Mai 1521 ihre Entscheidung in der Sache Luthers gefällt. Ihr Verdammungsurteil über Luther war kurz darauf gedruckt und schnell über die Grenzen Frankreichs hinaus verbreitet worden.2 Melanchthon wußte bereits Mitte Juni vom Pariser Urteil und berichtete von 1
Vgl. hierzu Kawerau, WA 8, 255–266. Die Schrift mit dem Titel »Determinatio theologicê Facultatis Parisien[sis] super Doctrina Lutheriana hactenus per eam visa« ist in ihrer lateinischen Fassung gedruckt in CR 1, 366–388, Nr. 110, in der deutschen Übersetzung Luthers in WA 8, 268–290. 2
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
einem Wittenberger Nachdruck. Er verurteilte die Schrift der Pariser und plante eine Entgegnung,3 ein Vorhaben, das er Anfang Juli in die Tat umsetzte.4 Als Luther auf der Wartburg Mitte Juli zusammen mit dem Pariser Urteil auch Melanchthons Entgegnung vorliegen hatte, freute er sich über die Schrift und nahm sich vor, sie zusammen mit dem Pariser Urteil ins Deutsche zu übersetzen und mit eigenen Anmerkungen versehen herauszugeben.5 Zugleich dachte er allerdings auch über eine eigene Entgegnung an die Pariser nach.6 Anfang August waren Luthers Übersetzungen fertig, wurden nach Wittenberg geschickt, und die Schriftensammlung konnte im Oktober die Druckerei verlassen.7 Luthers Überlegungen hinsichtlich einer eigenen Erwiderung an die Pariser machen bereits deutlich, daß er mit Melanchthons Schrift nicht uneingeschränkt zufrieden war. Diese Vermutung bestätigt sich durch seine kommentierenden Anmerkungen, die neben lobenden auch folgende kritische Worte enthalten: »Denn ob mein lieber Philippus yhn [sc. den Parisern] woll meysterlich hat geantworttet, hat er doch sie tzu senffte angerurt und mit dem leychten hoffel ubir lauffen: ich sehe wol, ich muß mit den pawr exen ubir die groben bloch kummen unnd sie recht waldrechenn, Sie fulen sonst nit«.8 Luther war also der Ansicht, Melanchthon sei mit den Parisern zu sanft verfahren und seine Angriffe seien nicht tief genug gegangen. Seine eigenen Äußerungen stellte er im Gegensatz dazu als grobe Vorgehensweise dar, die er aber im Blick auf die Adressaten für angemessener hielt. Über die Reaktion Melanchthons auf diese Kritik ist nichts bekannt; da aber Luthers Schrift veröffentlicht wurde, dürfte es als sicher gelten, daß er sie zur Kenntnis genommen hat. Gleichzeitig mit der Anfrage Luthers wurde Melanchthons Schrift auch von altgläubiger Seite kritisiert, zum einen generell in Gestalt einer Gegenschrift der Pariser Professoren,9 zum anderen in einem persönlichen Brief von Johannes Krafft, dem Subpedellen der Pariser theologischen Fakultät. Er erinnerte 3 Vgl. Melanchthon an Spalatin 14. 6. 1521 [MBW 146; MBW T 1, 298 f.; hier 298, Z. 6 ff.]. 4 Melanchthons Schrift trägt den Titel »Adversus furiosum Parrisiensium Theologastorum decretum Philippi Melanchthonis pro Luthero apologia« und ist gedruckt in MSA 1, 141–162, Nr. 7, Luthers Übersetzung in WA 8, 295–312; vgl. zur Datierung Capito an Aleander 13. 7. 1521 [Friedensburg, Briefwechsel 1, 497–499, Nr. 14; hier 498]. 5 Vgl. Luther an Melanchthon 13. 7. 1521 [MBW 151; MBW T 1, 304–311; hier 307, Z. 21 ff.]: »Tuam in asinos Parrhisienses Apologiam cum illorum insania statui vernaculae donare adiectis annotationibus« [vgl. WA 8, 290–294] und an Spalatin 15. 7. 1521 [WA Br 2, 364 f., Nr. 420; hier 364, Z. 32 ff.]: »Vidi parrhisiensium sophistarum decretum cum Philippi Apologia & ex corde gaudeo«. 6 Vgl. Luther an Melanchthon 3. 8. 1521 [MBW 158; MBW T 1, 326–331; hier 331, Z. 108 ff.]: »Responde, quaeso, an consultum videatur Quercubus et Bedis Sorbonicis me respondere. Nam id negocii me sollicitat, ut nomen meum quoque in eos impetum faciat, an veritati latius patrocinari oporteat; e vestro enim spiritu mihi petenda video consilia«. 7 Vgl. Luther an Spalatin 6. 8. 1521 [WA Br 2, 377–379, Nr. 426; hier 378]. 8 Luthers Widerlegung des Pariser Urteils [WA 8, 290, Z. 28–294; hier 292, Z. 11 ff.]. 9 Der Titel dieser Schrift lautete »Determinatio secunda almae facultatis theologiae Pari-
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Melanchthon an ihre gemeinsame Studienzeit in Tübingen und gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß er sich gemeinsam mit Luther gegen die bisher unumstrittenen Pariser Professoren gestellt hatte. Er ermahnte Melanchthon, die Pariser Theologen hinfort zu ehren, und berichtete vom Zorn der Professoren gegen Luther und Melanchthon.10 Auch auf diese Kritik sind uns keine Stellungnahmen Melanchthons bekannt. Die Worte seines ehemaligen Studienkollegen scheinen ihn nicht so schwer getroffen zu haben, daß er sie einer Erwähnung in einem seiner Briefe für würdig erachtet hätte. Das lag wohl auch daran, daß bei einer Einmischung in den Streit zwischen Luther und der altgläubigen Seite mit Kritik aus Paris zu rechnen gewesen war und diese eine normale altgläubige Reaktion war.
Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthon im Zuge der Wittenberger Bewegung 1521/22 Die Ereignisse in Wittenberg während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg in den Jahren 1521 und 1522, die auch unter dem Titel »Wittenberger Bewegung« bekannt sind, sind in Melanchthons Leben von zentraler Bedeutung, mußte er doch zeitweilig die Führung der reformatorischen Bewegung in Wittenberg übernehmen und erlebte damit seine erste große »Bewährungsprobe«11. In dieser Zeit wurde er zum ersten Mal in seinem Leben mit Vorwürfen wegen seines unsicheren und ängstlichen Verhaltens konfrontiert, die neben Luther auch von weiteren Zeitgenossen geäußert wurden, was in der Forschung bisher wenig beachtet wurde. Es stellt sich allerdings die Frage, ob man daraus wie Bernhard Lohse (1928–1997) in bezug auf die gesamte Zeit der Abwesenheit Luthers schließen kann, daß Melanchthon seiner Aufgabe nicht gewachsen war.12 Der folgende Durchgang durch die einzelnen Ereignisse der Jahre 1521 und 1522 zeigt, daß Vorwürfe hinsichtlich Melanchthons Unsicherheit und Ängstlichkeit zwar von verschiedenen Zeitgenossen geäußert wurden, jedoch lediglich in der Anfangszeit der Abwesenheit Luthers und in bezug auf die Zwickauer Propheten. Ferner wird deutlich, daß Melanchthon in anderen Zusammenhängen der Wittenberger Bewegung gegenteiliger Kritik von seiten des Kurfürsten ausgesiensis super apologiam Philippi Melanchthonis pro Luthero scriptam«; vgl. dazu Luther an Spalatin 17. 9. 1521 [WA Br 2, 391 f., Nr. 431; hier 392, Z. 29 f.] und Kawerau, WA 8, 264. 10 Vgl. Krafft an Melanchthon vor 21. 10. 1521 [MBW 176; MBW T 1, 374 f.; hier 374, Z. 8 ff. und 375, Z. 20 ff.]. 11 Benckert, Mensch des Maßes, 199. 12 Vgl. Lohse, Melanchthon in seinen Beziehungen zu Luther, 404: »Nicht nur wegen seiner Jugend, sondern vor allem aufgrund seiner noch ungeklärten theologischen Position und auch wegen seiner ängstlichen Natur war Melanchthon der Aufgabe, die ihm zufiel, nicht gewachsen« und ließ sich, »zuweilen zögernd, mitreißen, ohne die Tragweite der entstehenden Probleme voll zu überschauen«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
setzt war, daß nämlich die reformatorischen Erkenntnisse mit seiner Mithilfe zu schnell und ohne die Genehmigung des Kurfürsten umgesetzt worden seien. Das heißt, Melanchthon scheint während Luthers Abwesenheit nicht dauerhaft ängstlich und unsicher gewesen zu sein, sondern trieb auch forsch und keineswegs unsicher Neuerungen voran.
2.1 Die Kritik an Melanchthon im Zusammenhang mit Luthers Abwesenheit von Wittenberg (Mai bis September 1521) Als Luther im Frühjahr 1521 zum Reichstag nach Worms gereist war, dort durch das Wormser Edikt geächtet worden war und deshalb das folgende dreiviertel Jahr auf der Wartburg verbringen mußte, klaffte ein großes Loch in Wittenberg. Luther fehlte sowohl als Lehrer an der Universität als auch und vor allem als Prediger an der Stadtkirche. Die zurückgebliebenen Gelehrten und Theologen waren gezwungen, diese Lücke zu schließen. Obwohl ihnen dies zunächst auch gut gelang, beklagte insbesondere Melanchthon gegenüber dem kursächsischen Sekretär Georg Spalatin (1484–1545) immer wieder Luthers Abwesenheit, bekundete seine Sehnsucht nach ihm und betonte die Unersetzlichkeit Luthers für Wittenberg und die Kirche insgesamt. Als Melanchthon von Luthers schlechtem Gesundheitszustand erfuhr, verstärkte dies noch seine Sorgen, da er nun einen vollständigen Verlust Luthers fürchtete.13 Auch Luther ist in seinen Briefen anzumerken, daß er sich um Wittenberg und seine Stellvertreter an Universität und Stadtkirche sorgte,14 trotzdem betonte er seinen Kollegen gegenüber seine eigene Entbehrlichkeit und verwies sie auf ihre Fähigkeiten und den ihnen auferlegten Auftrag in Universität und Kirche.15 Da er wußte, daß an seinem eigenen unsicheren Schicksal derzeit nichts zu ändern war, sollten sich seine Kollegen nicht um ihn sorgen, sondern sich vielmehr um die Fortführung seines Reformationswerkes in Wittenberg kümmern. Ihm war bewußt, daß er damit hohe Anforderungen an seine Wittenberger Freunde stellte. Da er insbesondere bei Melanchthon die Neigung kannte, sich zu überarbeiten und dadurch die Gesundheit aufs Spiel zu setzen, ermahnte er ihn, sich trotz der 13
Vgl. Melanchthon an Spalatin 11. 6. 1521 [MBW 145; MBW T 1, 297; hier Z. 6 ff.]; 6. 7. 1521 [MBW 150; MBW T 1, 303 f.; hier 303, Z. 9 ff. und 304, Z. 17 ff.]; Ende Juli 1521 [MBW 155; MBW T 1, 319 f.; hier 320, Z. 21 f.]; Anfang September 1521 [MBW 163; MBW T 1, 337 f.; hier 338, Z. 18] und nach Mitte September 1521 [MBW 168; MBW T 1, 349 f.; hier 350, Z. 24 f.]. 14 Vgl. Luther an Melanchthon 26. 5. 1521 [MBW 141; MBW T 1, 286–292; hier 289, Z. 33 ff.]. 15 Vgl. Luther an Melanchthon 12. 5. 1521 [MBW 139; MBW T 1, 280–285; hier 281, Z. 1 und 282, Z. 17 ff.]; 26. 5. 1521 [MBW 141; MBW T 1, 286–292; hier 289, Z. 48 ff.]; 13. 7. 1521 [MBW 151; MBW T 1, 304–311; hier 307, Z. 26 und 310, Z. 104 ff.] und 3. 8. 1521 [MBW 158; MBW T 1, 326–331; hier 330 f., Z. 102 ff.]; vgl. auch Luther an Amsdorf 9. 9. 1521 [WA Br 2, 390 f., Nr. 430; hier 391, Z. 24 f.].
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vielen anstehenden Aufgaben zu schonen.16 Für Melanchthons Klagen konnte er jedoch kein Verständnis auf bringen, verurteilte sie vielmehr als Kleinmut und mahnte ihn statt dessen, sich Gott gegenüber für seine Gaben dankbar zu erweisen.17 Zudem kritisierte er, Melanchthon sei zu ungeduldig im Ertragen des Kreuzes, lasse seinen Gefühlen allzu großen Raum, sei empfindlich und überschätze ihn, das heißt Luther, in seiner Bedeutung.18 Ähnlich wie Luther scheint sich auch Spalatin in dieser Zeit kritisch über Melanchthon geäußert und ihm mangelnde Tapferkeit vorgeworfen zu haben.19
2.2 Melanchthons Förderung gottesdienstlicher Neuerungen und die Kritik des sächsischen Kurfürsten (Ende September bis Dezember 1521) Bis September 1521 scheinen die Dinge in Wittenberg in ruhigen Bahnen verlaufen zu sein, Anfang Oktober jedoch begann die erste Phase der Unruhen, in deren Mittelpunkt Fragen der Messe standen. Melanchthon unterstützte die Veränderungen und sah sich deshalb immer wieder mit dem Unmut des Kurfürsten konfrontiert. Seit 1519 war in Wittenberg viel über die Messe und ihre Mißbräuche wie die Meßopfervorstellung und Privatmessen diskutiert worden, allerdings hatte sich Luther stets zurückhaltend gegenüber allzu schnellen Neuerungen im Gottesdienst geäußert. Seine Haltung zur Abschaffung von Mißbräuchen hatte sich allerdings während seines Aufenthaltes auf der Wartburg geändert, und so hatte er sich Anfang August in einem Brief an Melanchthon für eine Einführung des Laienkelchs und die Abschaffung der Pri 16 Vgl. Luther an Melanchthon 13. 7. 1521 [MBW 151; MBW T 1, 307, Z. 27 ff.] und 9. 9. 1521 [MBW 165; MBW T 1, 339–346; hier 346, Z. 134 ff.]. 17 Vgl. Luther an Melanchthon 26. 5. 1521 [MBW 141; MBW T 1, 290, Z. 66 ff.]: »Unum non credo tibi, nempe quod scribis vos errare sine pastore, hoc enim esset omnium tristissimum et acerbissimum auditu; donec enim tu, Amsdorffi et alii adestis, sine pastore non estis. Noli sic loqui, ne Deus irascatur et ingrati inveniamur. O utinam omnes ecclesiae saltem collegiatae haberent quartam vestri partem in verbo verbique ministris! Agite gratias Domino qui illuminavit vos!«. 18 Vgl. Luther an Melanchthon 13. 7. 1521 [MBW 151; MBW T 1, 306, Z. 3 ff.]: »Displicuerunt literae tuae duplici nomine: primum quod impatientius te ferre crucem intelligo nimiumque indulges affectibus ac tener es tuo more, deinde quod me extollis nimio; et erras vehementer, dum tanta mihi tribuis, quasi pro causa dei adeo sim sollicitus. Confundit ac discruciat me tua egregia ista suspicio mei, cum ego hic insensatus et induratus sedeam in ocio, proh dolor parum orans, nihil gemens pro ecclesia Dei«. 19 Spalatins Briefe sind verlorengegangen, so daß wir die Vorwürfe aus Melanchthons Zurückweisungen erschließen müssen; vgl. an Spalatin 11. 6. 1521 [MBW 145; MBW T 1, 297, Z. 9 ff.]: »Porro quam tu meam epistolam legeris in qua sic deiecto animo esse videar, non possum coniicere. Utut autem habet, scias me positurum animam citius quam fidem tum erga caussam hanc tum erga Martinum« und 14. 6. 1521 [MBW 146; MBW T 1, 298 f.; hier 298, Z. 4 ff.]: »Quod ad me attinet, non est, ut metuas, ne parum fortiter hos Satanae insultus feram; quanquam tu nescio quid iam suspicaris, sed falso«.
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vatmessen nach seiner Rückkehr ausgesprochen.20 Dieses Votum Luthers wurde jedoch nicht erst nach seiner Heimkehr in die Tat umgesetzt, sondern die Anfänge einer Meßreform fallen bereits in die Zeit seiner Abwesenheit im Herbst 1521: Zum einen empfing Melanchthon am 29. September in der Stadtkirche im Kreise einiger Schüler – allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit – das Abendmahl unter beiderlei Gestalt – das erste evangelische Abendmahl in Wittenberg – und wiederholte dies in den nächsten Wochen.21 Melanchthon stand zu dieser Entscheidung, aber die Neuerungen scheinen ihn auch etwas überfordert zu haben. Dies wird an Äußerungen in einem Brief am Tag nach der Abendmahlsfeier deutlich, in dem er sich mit einem Schiff in den Wellen verglich. Dementsprechend sehnte er sich nun noch stärker als in den vergangenen Monaten nach Luthers Rückkehr.22 Zum anderen drängte ein Teil der Wittenberger Augustinermönche auf die Durchführung einer Meßreform. Besonders Gabriel Zwilling (ca. 1487–1558) prangerte in seinen Predigten im Kloster die Mißbräuche der Messe an und erreichte auf diesem Weg eine große Öffentlichkeit, da Luther an der Stadtkirche von meist unbedeutenden Predigern vertreten wurde und sich deshalb viele Wittenberger regelmäßig zu den Gottesdiensten ins Augustinerkloster begaben.23 Auch Melanchthon hörte des öfteren die Predigten Zwillings.24 Anfang Oktober beschlossen die Augustiner, die Privatmessen abzuschaffen und statt dessen mindestens einmal pro Woche einen Meßgottesdienst mit Predigt und Abendmahl unter beiderlei Gestalt zu feiern.25 Melanchthon stand den Reformen der Mönche nicht unaufgeschlossen gegenüber: Er besuchte am 8. Oktober zusammen mit drei anderen Universitätsangehörigen die Augustiner und beriet mit ihnen die Lage, die durch ihre Ankündigung, die Privatmessen abzuschaffen, entstanden war.26 Am folgenden Tag wandte sich Melanchthon in einem Brief an den Generalvikar des Augustinerordens Wenzeslaus Linck (1483–1547), schilderte ihm die Veränderungen der Augustiner bei der Messe und bat ihn, die Reform zu erlauben.27 Die Maßnahmen der Augustiner waren durch den Prior des Klosters Konrad Helt († 1548) vor den sächsischen Kurfürsten Fried20 Vgl. Luther an Melanchthon 1. 8. 1521 [MBW 157; MBW T 1, 322–326; hier 324, Z. 50 ff.] und Kawerau, WA 8, 398 f. 21 Vgl. Helmann an Heß 8. 10. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 15–19, Nr. 4 ; hier 17]; zum Zusammenhang zwischen dem in Anm. 20 genannten Brief Luthers und Melanchthons Handeln Maurer, Der junge Melanchthon 2, 179 f. und 195. 22 Vgl. Melanchthon an Heß 30. 9. 1521 [MBW 169; MBW T 1, 350–352; hier 351, Z. 7 ff.]. 23 Vgl. Ulscenius an Capito 6. 10. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 14 f., Nr. 3 ] und Scheible, Melanchthon, 61, 63 und 65. 24 Vgl. Helmann an Heß 8. 10. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 16]. 25 Vgl. Scheible, Melanchthon, 63. 26 Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 184. 27 Vgl. Melanchthon an Linck 9. 10. 1521 [MBW 173; MBW T 1, 358–360; hier 359 f.].
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rich den Weisen (1483–1525) gelangt. Dieser hatte darauf hin Universität und Stiftskapitel – und damit auch Melanchthon – getadelt, weil sie die bisherigen Vorgänge nicht gemeldet hatten, und bat sie, dafür zu sorgen, daß in Zukunft nichts Unrechtes mehr vorfalle.28 Am 12. Oktober tagte dann ein von Friedrich eingesetzter Ausschuß, in dem die Wittenberger Professoren mit den Augustinern verhandelten.29 Melanchthon verfaßte einen Bericht über diese Sitzung, der dem Kurfürsten am 20. Oktober zugestellt wurde. Darin wurden die Augustiner in Schutz genommen, und die Professoren baten Friedrich unter anderem, in seinem Herrschaftsbereich den Mißbrauch der Messe abzuschaffen.30 Durch die Verhandlungen wurde die Reform der Mönche allerdings nicht gestoppt, sondern diese machten in der Folgezeit ihre Ankündigungen wahr und hielten keine Privatmessen mehr ab; einige Augustiner legten sogar ihr Ordenskleid ab.31 Auch Melanchthon setzte sich weiter für eine Reform der Messe ein: Er verkündete beispielsweise in einer Vorlesung, die Kommunion unter beiderlei Gestalt werde bald eingeführt.32 Der Kurfürst tadelte Universität und Stiftskapitel nun noch einmal, weil sie nicht gegen die Mönche vorgegangen waren bzw. die von diesen vorgenommene Einstellung der Privatmessen nicht rechtzeitig berichtet hatten. »Melanchthon als der besondere Vertrauensmann der Klosterleute mußte sich durch diese Anklage hauptsächlich getroffen fühlen; seine Kollegen werden ihm das wohl auch zu verstehen gegeben haben«.33 Melanchthon ergriff trotz dieser erneuten Kritik weiterhin Partei für die Reformen: Anfang November stellte er Thesen über das Altarsakrament auf und Anfang Dezember war er maßgeblich an einem Gutachten der Wittenberger Professoren für den Kurfürsten über die Reform der Messe beteiligt.34 Melanchthon war zwar von der Mäßigung seiner Aussagen überzeugt, war sich aber trotzdem des Vertrauens des Kurfürsten in seine Person nicht mehr sicher.35 Verständlicherweise wurde infolge dieser Situation bei Melanchthon und auch bei ande28 Vgl. die Instruktion Friedrichs von Sachsen für Brück 10. 10. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 26 f., Nr. 8 ] und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 184. 29 Vgl. Scheible, Melanchthon, 64. 30 Vgl. den Bericht für Friedrich von Sachsen 20. 10. 1521 [MBW 174; MBW T 1, 360– 370] und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 185. 31 Es kam dabei sogar so weit, daß die konservativen Augustinermönche von den reformatorisch Gesinnten mit Gewalt daran gehindert wurden, die Messe zu lesen; vgl. Kawerau, WA 8, 402 und Scheible, Melanchthon, 65 f. 32 Vgl. Burer an Rhenanus 19. 10. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 32–35, Nr. 15; hier 34]. 33 Maurer, Der junge Melanchthon 2, 192; vgl. zu Friedrichs Tadel seine Instruktion für Beyer 26. 10. 1521 [MBW 177; MBW T 1, 375–380]. 34 Vgl. Melanchthons »Propositiones de missa« [MSA 1, 163–167, Nr. 7] und das Gutachten der Wittenberger Professoren vor 7. 12. 1521 [MBW 185; MBW T 1, 390–398]. 35 Vgl. Melanchthon an Spalatin ca. 7. 11. 1521 [MBW 180; MBW T 1, 383 f.; hier 383, Z. 16 ff.]: »Mitto tibi meas Θέσεις de missa, in quibus non puto te desideraturum modestiam. Quanquam, si sciam studia mea laboresque non probari illustrissimo Principi, etiam hac hora hinc soluturus sim«.
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ren der Wunsch nach Luthers Rückkehr immer stärker.36 Dieser war gezwungen, die Ereignisse in Wittenberg aus der Ferne zu beobachten. Trotzdem versuchte er im November und Dezember, Einfluß auf den Gang der Dinge zu nehmen. Zum einen mischte er sich im November mit seiner Schrift »De abroganda missa privata« in die Diskussionen ein. Er stellte sich darin hinter die Maßnahmen seiner Wittenberger Ordensbrüder und wollte Impulse für die weitere Gestaltung der Verhältnisse in Wittenberg geben. Allerdings scheint Spalatin, an den Luther sein Manuskript geschickt hatte, den Druck und die Weitergabe der Schrift an Luthers Freunde in Wittenberg verzögert zu haben.37 Zum anderen kam Luther am 3. Dezember heimlich nach Wittenberg und blieb dort bis zum 10. des Monats. Er wohnte bei Nikolaus von Amsdorf, traf sich dort mit Melanchthon und anderen Freunden, und sicher wurde viel über die Ereignisse in Wittenberg gesprochen. Luther äußerte sich gegenüber Spalatin erfreut über die in Wittenberg vorgefundenen Verhältnisse.38 Insgesamt stand er also hinter den Reformen, stärkte dadurch Melanchthons öffentliche Stellung in der Frage der Meßreform und wohl auch sein Selbstbewußtsein.39
2.3 Melanchthons Haltung zu Karlstadts »Revolution« und seine dadurch verursachte Infragestellung von altgläubiger Seite (Dezember 1521) Ähnlich wie Melanchthons Haltung hinsichtlich der Neuerungen beim Gottesdienst zog auch seine Unterstützung für Andreas Karlstadt (1486–1541) Kritik nach sich. Ende Dezember spitzte sich die Lage noch einmal zu, als Karlstadt und seine Anhänger in einer Art Revolution den Gottesdienst zu ändern versuchten.40 Karlstadt hatte bereits am 22. Dezember in der Schloßkirche angekündigt, er werde bei seiner nächsten Predigt an Neujahr jedem, der dies wolle, das Abendmahl unter beiderlei Gestalt reichen, die Liturgie und die Meßgewänder weglassen und nur die Einsetzungsworte lesen. Als der kurfürstliche Hof davon erfuhr, forderte er Karlstadt auf, die Messe wie bisher zu lesen, und verwies darauf, daß die Beratungen über die Reformen noch nicht abgeschlossen seien. Karlstadt ließ sich aber von seinem Vorhaben nicht abbringen, son36 Vgl. Melanchthon an Spalatin Ende Oktober 1521 [MBW 179; MBW T 1, 381 f.; hier 382, Z. 12 ff.]. 37 Die lateinische Schrift Luthers ist gedruckt in WA 8, 411–476; die deutsche Version erschien unter dem Titel »Vom Mißbrauch der Messen« und ist gedruckt in WA 8, 482–563. Die Schrift verließ erst im Januar 1522 die Druckerei; vgl. zu dieser Verzögerung Luther an Spalatin ca. 5. 12. 1521 [WA Br 2, 409–411, Nr. 4 43; hier 410, Z. 6 ff. und Z. 15 ff.] und Kawerau, WA 8, 407 f. 38 Vgl. Luther an Spalatin 5. 12. 1521 [WA Br 2, 410, Z. 18 f.]. 39 Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 195 f. und 200. 40 Vgl. zu diesem Abschnitt Ulscenius an Capito 1. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 135 f., Nr. 62; hier 135] und 2. 1. 1522 [Müller, a. a. O., 136 f., Nr. 63; hier 136] (die Datierung auf den 1.1. muß falsch sein, da Ulscenius in bezug auf seinen ersten Brief von heri spricht); zudem Maurer, Der junge Melanchthon 2, 204 und Scheible, Melanchthon, 68.
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dern setzte es sogar schon am ersten Weihnachtstag in die Tat um: Er hielt den Gottesdienst in der Stadtkirche in Straßenkleidung ab, verzichtete auf vorherige Beichte und Nüchternheit der Kommunikanten und gab jedem, der dies wollte, Brot und Wein in die Hand. An Neujahr und an weiteren Tagen wiederholte er sein spektakuläres Vorgehen. Zudem verlobte sich Karlstadt am 26. Dezember im Beisein vieler seiner Kollegen in einem Dorf bei Wittenberg mit der Tochter eines Landadeligen.41 Melanchthon billigte diesen Schritt Karlstadts durch seine persönliche Anwesenheit bei der Verlobungsfeier,42 und auch Luther drückte in einem Brief an Amsdorf sein Einverständnis aus.43 Die Nähe Melanchthons zu Karlstadt schadete seinem Ansehen außerhalb Wittenbergs, wie eine Aussage Herzog Georgs von Sachsen beweist, in der er auf die Unerfahrenheit Melanchthons abhob.44 Aus Aussagen Melanchthons dieser Zeit geht hervor, daß er durch die ganze Situation sehr beunruhigt war und seine Hoffnung nur auf die Hilfe Gottes setzte.45
2.4 Die Zwickauer Propheten46 und die Kritik an Melanchthon ( Jahreswechsel 1521/22) Am 27. Dezember bekam Melanchthon Besuch von seinem ehemaligen Schüler Markus Thomae, genannt Stübner, der zwei Freunde, die Tuchweber Nikolaus Storch (vor 1500 – nach 1536) und Thomas Drechsel, mitbrachte. Diese waren die »Wortführer der verarmten, reformatorisch gesinnten Handwerker in Zwickau« und infolge von Maßnahmen des Zwickauer Rates nach Wittenberg geflohen.47 Melanchthon berichtete dem Kurfürsten noch am selben Tag über seine Unterredung mit den drei Männern, an der auch Amsdorf teilgenommen hatte.48 Vielleicht wollte Melanchthon dadurch verhindern, noch einmal wie 41 Vgl. Ulscenius an Capito 1. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 135]; Maurer, Der junge Melanchthon 2, 205 und Scheible, Melanchthon, 69. 42 Vgl. den Bericht von Wilken kurz nach 6. 1. 1522 über die Ereignisse in Wittenberg [Müller, Wittenberger Bewegung, 151–164, Nr. 68; hier 155 f.] und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 205. 43 Vgl. Luther an Amsdorf 13. 1. 1522 [WA Br 2, 422–424, Nr. 4 49; hier 423, Z. 45 ff.]. 44 Vgl. Brück an Herzog Johann den Älteren von Sachsen zwischen 23. und 25. 12. 1521, in dem er über Aussagen Georgs von Sachsen berichtete [Gess, Akten und Briefe 1, 232–235, Nr. 274; hier 234, Z. 29 ff.]: »Dem [sc. Karlstadt] folgete villeicht das junge menlayn, magister Melanctonn; s[eine] g[naden] [sc. Georg] sorgete, es were den dingen noch vil zu jung, der es sich unterstunde«. 45 Vgl. Melanchthon an Spalatin 26./27. 12. 1521 [MBW 191; MBW T 1, 414 f.; hier 415, Z. 7 ff.]. 46 Dieser Name geht auf Luthers Benennung der drei Männer aus Zwickau als prophetae zurück; vgl. Luther an Amsdorf 13. 1. 1522 [WA Br 2, 423, Z. 61] und an Spalatin 17. 1. 1522 [WA Br 2, 443 f., Nr. 452; hier 443, Z. 4 und 444, Z. 18]. 47 Goeters, Zwickauer Propheten, 1951. 48 Vgl. Melanchthon an Friedrich von Sachsen 27. 12. 1521 [MBW 192; MBW T 1, 415– 417].
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im Oktober getadelt zu werden, er habe wichtige Vorgänge nicht gemeldet. Gegenüber Spalatin erklärte er, er habe nicht gewußt, an wen anderes er sich sonst hätte wenden können. Er war allerdings in Sorge, der Kurfürst könne seinen Bericht nicht ernstnehmen.49 Er legte dem Kurfürsten dar, er habe die Männer angehört und erstaunliche Dinge von ihnen erfahren: Sie seien durch die Stimme Gottes zum Lehren berufen, führten vertraute Gespräche mit Gott, könnten die Zukunft voraussehen und seien deshalb als Propheten und Apostel anzusehen.50 Aus Melanchthons Bewertung der Ereignisse wird deutlich, daß er sich zwar der Gefährlichkeit bewußt und dadurch sehr beunruhigt,51 gleichzeitig aber durch die Äußerungen der drei Zwickauer so stark beeindruckt war, daß er sich nicht dazu durchringen konnte, diese Männer zu verdammen. Er war sicher, daß irgendein Geist aus ihnen spreche, traute sich aber kein Urteil darüber zu, ob es sich dabei um den Geist Gottes oder den Geist des Teufels handelte. Eine Entscheidung über den Anspruch dieser Männer konnte seiner Meinung nach nur Luther fällen, zumal sie sich auch auf ihn berufen hatten. Deshalb war nach seiner Ansicht auch nur Luther in der Lage, diesen Männern gegebenenfalls Einhalt zu gebieten.52 Auch Amsdorf schrieb noch am selben Tag an Spalatin und äußerte ähnliche Eindrücke vom Gespräch mit den drei Zwickauern wie Melanchthon.53 In den folgenden Tagen verließen Storch und Drechsel Wittenberg, Stübner jedoch blieb, hielt sich bei Karlstadt und Melanchthon auf und diskutierte weiter mit ihnen.54 Dieser vertraute Umgang Melanchthons mit Stübner scheint in Wittenberg kritisch beäugt worden zu sein. Das wird zum einen aus einer Äußerung des Wittenberger Studenten Felix Ulscenius von Anfang Januar 1522 deutlich.55 Zum anderen versuchte Joachim Camerarius in seiner MelanchthonBiographie von 1566 so ausführlich, das Verhältnis zwischen Stübner und Melanchthon ins rechte Licht zu rücken – indem er betonte, Melanchthon habe die Lehre Stübners sofort durchschaut, ihn aber aufgenommen, weil er niemanden 49 Vgl. Melanchthon an Spalatin 27. 12. 1521 [MBW 193; MBW T 1, 417 f.; hier 418, Z. 3 ff.]. 50 Vgl. Melanchthon an Friedrich von Sachsen 27. 12. 1521 [MBW 192; MBW T 1, 417, Z. 11 ff.]; an die Vertreter Friedrichs von Sachsen, von Einsiedel und Spalatin, 1. 1. 1522 [MBW 202; MBW T 1, 427–429; hier 428, Z. 11 ff.] und im Rückblick an A. Praetorius 27. 3. 1560 [MBW 9272; CR 9, 1077 f., Nr. 6958; hier 1078]; zudem Ulscenius an Capito 2. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 136]. 51 Vgl. Melanchthon an Friedrich von Sachsen 27. 12. 1521 [MBW 192; MBW T 1, 416, Z. 4 ff. und 417, Z. 20 f.]. 52 Vgl. Melanchthon an Friedrich von Sachsen 27. 12. 1521 [MBW 192; MBW T 1, 417, Z. 14 ff.]; an Spalatin 27. 12. 1521 [MBW 193; MBW T 1, 418, Z. 6 ff.] und an von Einsiedel und Spalatin 1. 1. 1522 [MBW 202; MBW T 1, 428, Z. 23 f.]. 53 Vgl. Amsdorf an Spalatin 27. 12. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 138]. 54 Vgl. Ulscenius an Capito 2. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 136]. 55 Vgl. Ulscenius an Capito 1. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 135]: »Continuo eius lateri Philippus adhêret, ei auscultatur, admiratur adeoque summe veneratur«.
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unverhört verurteilen wolle –, daß man den Eindruck gewinnt, als reagiere Camerarius damit auf nicht genannte Vorwürfe gegen Melanchthon.56 Freilich waren in Wittenberg nicht alle so unsicher in ihrer Bewertung der Zwickauer wie Melanchthon. Es gab auch Stimmen, die an der Glaubwürdigkeit der drei Männer und ihrer Berufung zweifelten und für ein hartes Durchgreifen gegen sie eintraten.57 Deshalb fehlte auch vielen das Verständnis für Melanchthons Schwanken und seine Rufe nach Luther.58 Der Kurfürst antwortete am 31. Dezember auf Melanchthons und Amsdorfs Briefe und bestellte die beiden für den 1. Januar zu einer Unterredung nach Prettin.59 Amsdorf und Melanchthon begaben sich dorthin und verhandelten mit den Vertretern des Kurfürsten Hugold von Einsiedel (1462/63–1522) und Spalatin. Melanchthon berichtete hier noch einmal über seine Zusammenkunft mit den Zwickauer Propheten und fügte seinem Bericht an den Kurfürsten vom 27. Dezember noch folgende Eindrücke hinzu: In seinen Gesprächen mit Stübner habe er bemerkt, daß dieser in den wichtigsten Artikeln des Glaubens die Schrift recht verstehe. Problematisch sei diesen Männern aber die Berechtigung der Kindertaufe und das Verständnis des stellvertretenden Glaubens ( fides aliena). Damit seien zwei gewichtige Fragen aufgeworfen, die auch einem Gelehrten wie ihm zu schaffen machten. Schon Augustinus (354–430) habe über die Kindertaufe viel geschrieben, aber nichts ausgerichtet. Diese inhaltlichen Probleme bewegten ihn viel mehr als die Berufung der Zwickauer auf ihre persönlichen Gespräche mit Gott und Ähnliches. Die von diesen Männern angezettelte Verwirrung solle aber nicht durch Gewalt, sondern »mit schrifften und iudicio spiritualium hominum« beigelegt werden. Aus diesem Grunde bat er noch
56 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 74 f.: »Receperat autem eum [sc. Stübner] ad se Philippus Melanchthon, vel innata sibi bonitate, quum hominis eum misertum esset, vel ut certius cognosceret quid istud genus doceret. Censebat enim, neque admittendum neque rejiciendum quicquam temere, quod parum alicubi exploratum esse«; »tunc quoque fovebat apud se Marcum, quamvis perspicue cognovisset, inania esse omnia quae afferret, et dissentanea inter se, et pleraque nugatoria nonnulla etiam ejusmodi, ut non esse sana neque integra cum mente deprehenderetur«. 57 Vgl. Ulscenius an Capito 2. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 136]. 58 Vgl. Ulscenius an Capito 1. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 135 f.]: »Adcessit nos prêterea vir quidam [sc. Stübner] plurimi spiritus adeoque scripturê sacrê exercitatissimus, vt vel Melanchton ei sufficere nequeat. Ille tam graues adfert script[urae] locos, ut Vvittembergenses aliquantum perterritos reddiderit. Scripsit autem Philippus Principi, ut d. Martinum mitti huc curet, quod aut fiet, aut vir ille d. Martinum adcedet«; Melanchthon est »pene perturbatus, quod viro illi satisfieri a nullo possit. Scribere non cessat ad Martinum et ad principem, quo conueniendi ac confererdi [sc. conferendi] simul scripturam scripturê copia contingat«; Stübner, »quem adhuc Philippus judicare noluit aiens prophetam fuisse olim, qui plures eciam ferro jnterimisset«. 59 Vgl. Friedrich von Sachsen an Melanchthon und Amsdorf 31. 12. 1521 [MBW 195; MBW T 1, 420] und Ulscenius an Capito 2. 1. 1521 [Müller, Wittenberger Bewegung, 136].
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einmal darum, Luther zurückzuholen.60 Kurfürst Friedrich ließ Amsdorf und Melanchthon am 2. Januar durch von Einsiedel und Spalatin folgendes antworten: Er halte die Vorgänge für nicht so bedeutend wie Melanchthon und könne zudem selbst als Laie kein Urteil in den anstehenden Fragen fällen. Weitere Disputationen mit solchen Leuten halte er nicht für sinnvoll, da zum einen der Ruf Wittenbergs schon genug beschädigt sei und zum anderen in der Frage der Kindertaufe über das von Augustinus Festgelegte hinaus nichts zu sagen sei. Luther könne er aus politischen Gründen nicht zurückholen, denn er wolle das Wormser Edikt nicht verletzen und Luther nicht unnötig gefährden.61 Auf diese Antwort des Kurfürsten hin lenkte Melanchthon in allen Punkten ein.62 Melanchthon wie Amsdorf scheinen Luther auf der Wartburg über die Ereignisse in Wittenberg berichtet zu haben.63 Dieser antwortete beiden am 13. Januar und nahm zu den Ereignissen Stellung. In seinem Brief an Melanchthon verurteilte er zunächst dessen Unsicherheit beim Umgang mit den Zwickauer Propheten.64 Amsdorf gegenüber äußerte er, er sei skeptisch in bezug auf die Ansprüche dieser Männer.65 Er appellierte an Melanchthon und Amsdorf, solchen Menschen nicht blindlings zu glauben, und erinnerte sie an die entsprechenden Stellen aus der Bibel: an die Ausführungen des Mose über falsche Propheten in Dtn 13,1 ff., an die Regel »Prüft die Geister!« aus 1Joh 4,1 und an den Rat des Gamaliel aus Apg 5,38 f. Melanchthon gegenüber mahnte er, die Berufung (vocatio) der Männer zu prüfen, die im Gegensatz zur Zeit der Propheten gegenwärtig nur durch Menschen erfolgen könne, und auf das Zeichen Christi (signum filii hominis) an ihnen zu achten.66 Wegen der inhaltlichen Schwierigkeiten Melanchthons legte Luther in seiner Antwort an ihn ausführlich sein Verständnis der Kindertaufe und des stellvertretenden Glaubens dar.67 Gegenüber Spalatin stellte Luther klar, er sehe keinen Grund, wegen dieser Propheten nach Wittenberg zurückzukehren. Er wolle aber auch nicht, daß diese festgenommen
60 Vgl. Melanchthon an von Einsiedel und Spalatin 1. 1. 1522 [MBW 202; MBW T 1, 428; Zitat Z. 21 f.]; zur Frage der Kindertaufe Melanchthon an Memminger ca. 8. 7. 1524 [MBW 332; MBW T 2, 146–149; hier 149, Z. 59 f.]. 61 Vgl. den Auftrag Friedrichs von Sachsen an seine Vertreter 2. 1. 1522 [MBW 203; MBW T 1, 429–432]. 62 Vgl. Melanchthon an Friedrich von Sachsen 2. 1. 1522 [MBW 204; MBW T 1, 432 f.]. 63 Diese Briefe sind nicht mehr erhalten; sie lassen sich nur aus Luthers Antworten erschließen. 64 Vgl. Luther an Melanchthon 13. 1. 1522 [MBW 205; MBW T 1, 433–439; hier 435, Z. 10 f.]: »Venio ad prophetas, ac primo non probo tuam timididatem, cum et maiore tam spiritu quam eruditione polleas quam ego«. 65 Vgl. Luther an Amsdorf 13. 1. 1522 [WA Br 2, 423, Z. 64 f.]. 66 Vgl. Luther 13. 1. 1522 an Melanchthon [MBW 205; MBW T 1, 435, Z. 11 ff.] und an Amsdorf [WA Br 2, 423, Z. 61 ff.]. 67 Vgl. Luther an Melanchthon 13. 1. 1522 [MBW 205; MBW T 1, 436, Z. 42 – 439, Z. 115].
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werden. Spalatin solle daher den Kurfürsten ermahnen, nicht gewaltsam gegen sie vorzugehen.68 Der Kurfürst und Luther stimmten also in ihrem Rat, die Sache nicht zu hoch zu hängen, überein, und dieser bewährte sich auch, denn die von den Zwickauer Propheten ausgelöste Bewegung sollte eine Episode bleiben.69
2.5 Die Ereignisse bis zu Luthers Rückkehr nach Wittenberg und die fortgesetzte Infragestellung Melanchthons von altgläubiger Seite ( Januar bis März 1522) In den ersten Monaten des Jahres 1522 stand noch einmal die Frage einer Reform des Meßgottesdienstes im Vordergrund. Melanchthon war zwar durch die Ereignisse um die Zwickauer Propheten vorsichtig geworden, zog sich aber nicht zurück, sondern beteiligte sich weiter an den Diskussionen um Veränderungen im Gottesdienst.70 Die Augustiner setzten ihren Reformen im Januar einen Höhepunkt, indem sie Heiligenbilder und Kultgegenstände verbrannten und die meisten Mönche das Kloster verließen.71 Karlstadt predigte gegen Bilder und Heilige und forderte ihre Abschaffung.72 Da der kurfürstliche Hof von den guten Beziehungen zwischen Melanchthon und Zwilling wußte,73 bat von Einsiedel Anfang Februar Melanchthon, er solle mäßigend auf Zwilling einwirken.74 Melanchthon scheint dies des öfteren versucht zu haben, mußte aber in seinem Antwortschreiben an von Einsiedel bekennen, daß er mit seinen Aufrufen zu Mäßigung bei Zwilling und Karlstadt nicht weit gekommen war.75 Wohl konnte er sie auch nicht feurig und überzeugend zur Mäßigung aufrufen, war er doch in der Sache einer Meinung mit Karlstadt und Zwilling: Auch Melanchthon war beispielsweise für eine Abschaffung der Bilder, allerdings ohne Einsatz von Gewalt (modestius).76 Um dies zu erreichen, hoffte er wohl auf die neue Stadtordnung, die am 24. Januar erlassen wurde und unter anderem deutliche Eingriffe in die 68
Vgl. Luther an Spalatin 17. 1. 1522 [WA Br 2, 443, Z. 4 ff. und 444, Z. 12 f. 17 f.]. Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 210. 70 Vgl. Ulscesius an Capito 24. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 173]. 71 Vgl. Scheible, Melanchthon, 70. 72 Vgl. Ulscenius an Capito 24. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 172–174, Nr. 74; hier 172] und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 212. 73 Vgl. die Empfehlung Zwillings als Prediger nach Nürnberg durch Melanchthon 1. 2 . 1522 [MBW 207; MBW T 1, 441]. 74 Vgl. von Einsiedel an Melanchthon 3. 2 . 1522 [MBW 208; MBW T 1, 442 f.; hier 442, Z. 17 ff.]. 75 Vgl. Melanchthon an von Einsiedel 5. 2 . 1522 [MBW 209; MBW T 1, 443 f.; hier 444, Z. 3 ff.]. 76 Vgl. Melanchthons Denkschrift über Messe und Abendmahl Januar / Februar 1522 [MBW 206; MBW T 1, 440 f.; hier 440, Z. 21 f.] und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 212. 69
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gottesdienstlichen Formen vorsah. So sollten alle Bilder und Nebenaltäre aus den Kirchen entfernt werden, die neue Form der Meßliturgie sollte keinen Kanon mehr enthalten, und den Kommunikanten wollte man die Erlaubnis geben, Brot und Kelch in die Hand zu nehmen.77 Als weitere Option scheint Melanchthon aber auch in Erwägung gezogen zu haben, Wittenberg zu verlassen, um nicht für eventuelle Schandtaten verantwortlich gemacht zu werden.78 Melanchthons Hoffnungen auf gewaltlose Reformen gingen allerdings nicht in Erfüllung: Anfang Februar kam es zum Bildersturm in der Wittenberger Stadtkirche.79 Karlstadt war bereits am 3. Februar wegen seiner Predigten vom Kurfürsten verwarnt worden, nach dem Bildersturm wurden dann aber alle Professoren und Vertreter des Stifts nach Eilenburg zitiert und gerügt, weil Ärgernis entstanden war und mit der neuen Stadtordnung gegen den Befehl des Kurfürsten Neuerungen eingeführt worden waren. Im folgenden wurde zwar noch über die neue Ordnung verhandelt und eine revidierte Fassung erstellt, doch der Kurfürst versagte letztendlich auch dieser seine Zustimmung.80 Ende Februar äußerte sich Melanchthon gegenüber Spalatin frustriert über die Ereignisse der vergangenen Monate. Er war in seiner Hoffnung enttäuscht worden, das als gut Erkannte könne ohne großes Ärgernis umgesetzt werden.81 Seine mäßigende Position war auch außerhalb Wittenbergs nicht wahrgenommen worden, so daß er wiederum bei Herzog Georg von Sachsen in Mißkredit geriet, der dem sächsischen Kurfürsten empört über Nachrichten berichtete, in Wittenberg werde von Zwilling, Karlstadt und Melanchthon »gar verachtlich und misbrauchlich« gegen die Ehre Gottes vorgegangen.82 Friedrich distanzierte sich in seinem Antwortschreiben an Georg von den Vorkommnissen in Wittenberg und betonte: Wenn sich die drei angegriffenen Männer anders verhalten hätten, als es sich für Christen gehöre, stehe dies in ihrer Verantwortung. Nichts sei auf seine Veranlassung hin oder mit seiner Bewilligung geschehen.83
77 Die Ordnung hatte folgenden Titel: »Ain lobliche Ordnung der Fürstlichen stat Wittenberg« (vgl. Scheible, Melanchthon, 71); vgl. zu Melanchthons Hoffnungen auf die Ordnung seinen Brief an von Einsiedel 5. 2 . 1522 [MBW 209; MBW T 1, 444, Z. 8 f.]. 78 Vgl. Ulscenius an Capito 24. 1. 1522 [Müller, Wittenberger Bewegung, 173]: »Ve remur et Philippum nostrum ad festum τοῦ πασχα discessurum esse. Ait enim se non porro auctorem fore flagiciorum, quê eius prêtextu hic fiunt«. 79 Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 212 und Scheible, Melanchthon, 71. 80 Vgl. die Schriftstücke vom 10. und 13. 2 . 1522 [MBW 210–214; MBW T 1, 444–454] und Scheible, Melanchthon, 71–73. 81 Vgl. Melanchthon an Spalatin ca. 20. 2 . 1522 [MBW 216; MBW T 1, 454 f.; hier 455, Z. 7 ff.]. 82 Vgl. Georg von Sachsen an Friedrich von Sachsen 2. 2 . 1522 [Gess, Akten und Briefe 1, 260–262, Nr. 293; hier 260 f.; Zitat Z. 29 f.]. 83 Vgl. Friedrich von Sachsen an Georg von Sachsen 9. 3. 1522 [Gess, Akten und Briefe 1, 285–287, Nr. 314; hier 286].
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2.6 Luthers Rückkehr nach Wittenberg Anfang März 1522 Luthers Sicht auf die Vorgänge in Wittenberg änderte sich im Februar. Er war nicht mehr so gelassen wie in den Wochen zuvor, sondern beurteilte die Unruhen nun als Treiben des Teufels, der bisher allerdings noch nichts ausgerichtet habe. Gleichzeitig sah er in den Ereignissen eine zwangsläufige Folge der Verkündigung des Wortes Gottes. Durch diese Sicht der Dinge versuchte er, den Kurfürsten zu beruhigen.84 Als sich die Lage allerdings weiter verschärfte, kehrte Luther Anfang März gegen den Willen des Kurfürsten nach Wittenberg zurück85 und stellte dort durch seine berühmten Invocavit-Predigten die Ruhe wieder her. Er tadelte in ihnen allerdings nicht die Reformen an sich, sondern nur die Ungeduld und Lieblosigkeit ihrer Durchführung.86 Melanchthon ist in den Briefen der folgenden Wochen anzumerken, daß er durch Luthers Eingreifen sehr erleichtert war.87
2.7 Melanchthons spätere Erwähnungen der Ereignisse von 1521/22 Die Ereignisse der Jahre 1521 und 1522 und die in ihrem Zusammenhang gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe haben Melanchthon sehr stark geprägt: Die Schwierigkeiten bei den Reformen 1521 und 1522 beeinflußten ihn auch in späterer Zeit. So bekannte er von sich selbst, er sei durch die Wittenberger Bewegung bei der Einführung von Neuerungen vorsichtiger geworden und denke nun eher an die Schwachen.88 Auch in konkreten Fragen wie zum Beispiel der Abschaffung der Bilder änderte er seine Meinung.89 Einen besonders nachhaltigen Eindruck scheinen die Zwickauer Propheten bei Melanchthon hinterlassen zu haben. Er erinnerte sich an die Begegnung mit ihnen auch noch in späteren Jahren mit schmerzlichen Gefühlen und bereute sein eigenes Verhalten ihnen gegenüber. Aus diesem Grund vertrat er zum einen fortan in den von ihnen aufgeworfenen Fragen einen klaren Standpunkt,90 zum anderen bestimmten die Erfahrungen mit diesen »Schwärmern« von nun an seinen Umgang mit Andersdenkenden. Denn er betrachtete die Ereignisse aus der Distanz nicht mehr als 84
Vgl. Luther an Friedrich von Sachsen 24. 2 . 1522 [WA Br 2, 448 f., Nr. 454]. Vgl. Luther an Friedrich von Sachsen 5. 3. 1522 [WA Br 2, 453–457, Nr. 455; hier 455, Z. 47 f.]. 86 Vgl. Scheible, Melanchthon, 73. 87 Vgl. Melanchthon an Hummelberg 12. 3. 1522 [MBW 220; MBW T 1, 458 f.; hier 459, Z. 11 ff.] und an Spalatin 30. 3. 1522 [MBW 224; MBW T 1, 467; hier Z. 20]. 88 Vgl. Melanchthon an Schleupner 9. 3. 1523 [MBW 267; MBW T 2, 55 f.; hier 56, Z. 8 ff.]. 89 Vgl. Melanchthon an Oekolampad 14. 2 . 1524 [MBW 311; MBW T 2, 115 f.; hier 116, Z. 4 ff.] und Erasmus an Melanchthon 6. 9. 1524 [MBW 341; MBW T 2, 167–176; hier 171, Z. 73 f.]. 90 Vgl. seine klaren Äußerungen zur Kindertaufe in den Visitationsartikeln von 1527 [CR 26, 7–28; hier 19]. 85
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einzelne Episode, sondern sah in Storch die Wurzel aller Schwärmerei. Deshalb war er der Überzeugung, man hätte hart gegen die Zwickauer Propheten durchgreifen müssen, um so andere schwärmerische Bewegungen wie Wiedertäufer und Zwinglianer zu verhindern.91 Noch 1556 riet er einem Briefpartner unter Verweis auf seine Erfahrungen mit den Zwickauer Propheten, gegenüber Fanatikern äußerst skeptisch zu sein und sie scharf zu verurteilen, sollten sie bestimmte Kriterien nicht erfüllen.92 Die Ereignisse von 1521/22 waren also maßgeblich dafür veranwortlich, daß Melanchthon in den folgenden Jahren gegenüber Schwärmern aller Art eine unnachgiebige Position einnahm und sich gegen jede Form von Radikalität, Ärgernis, Störung des allgemeinen Friedens und Überbetonung der christlichen Freiheit wandte. Dies wurde durch den Bauernkrieg 1525 noch weiter verstärkt.93
2.8 Zusammenfassung Der Durchgang durch die verschiedenen Phasen der Wittenberger Bewegung in den Jahren 1521 und 1522 hat zum einen ergeben, daß Melanchthon in ihrem Zusammenhang von mehreren Seiten wegen seines unsicheren und ängstlichen Verhaltens kritisiert wurde. Zum anderen zeigte sich aber auch, daß er nicht auf alle Ereignisse dieses Jahres ängstlich reagierte und keineswegs durchgängig aus den eigenen Reihen angegriffen wurde, sondern daß es derartige Vorwürfe von Zeitgenossen nur in der Anfangszeit der Abwesenheit Luthers und in bezug auf die Zwickauer Propheten gab. Hinsichtlich seiner häufigen Klagen in den ersten Monaten der Abwesenheit Luthers, seiner Beunruhigung und seiner theologischen Hilflosigkeit gegenüber den Zwickauer Propheten ist die Kritik durchaus nachvollziehbar. Seine Unerfahrenheit wurde auch von altgläubiger 91 Vgl. Melanchthons Scholien zu den Sprüchen Salomos von 1529 [MSA 4, 305–464, Nr. 4 ; hier 378, Z. 18 ff. und 379, Z. 8 ff.]; seine Vorrede zu den »Sententiae veterum« für Myconius Januar / Februar 1530 [MBW 863; MBW T 4/1, 42–50; hier 48, Z. 56 f.]; die Briefe an Myconius Februar / M ärz 1530 [MBW 868; MBW T 4/1, 58–62; hier 60, Z. 7 ff.] und Albrecht von Preußen 18. 2 . 1543 [MBW 3170; MBW T 12, 93–95; hier 94, Z. 41 ff.]; den Korintherbrief-Kommentar von 1551 (gedruckt 1561) [CR 15, 1053–1220; hier 1160 f. zu 1Kor 14,3]; Predigten zum Matthäusevangelium von 1558 [CR 14, 529–1042; hier 766 f. zu Mt 7,16] und den Brief an A. Praetorius 27. 3. 1560 [MBW 9272; CR 9, 1078]. Vgl. zu Melanchthons Verantwortlichkeit für diese sogenannte Storchlegende Steinmetz, Melanchthon über Müntzer und Storch, 160–171. 92 Vgl. Melanchthon an Fischer 15. 6. 1556 [MBW 7860; CR 8, 781 f., Nr. 6013; hier 781]. 93 Vgl. Melanchthon an A. Blarer 14. 9. 1522 [MBW 236; MBW T 1, 489 f.; hier 490]; an Wittiger ca. Mitte November 1522 [MBW 245; MBW T 1, 506 f.] und 18. 11. 1523 [MBW 296; MBW T 2, 94 f.; hier 95]; an Baumgartner 14. 7. 1523 [MBW 280; MBW T 2, 71 f.; hier 72]; an T. Blarer Ende 1523 / A nfang 1524 [MBW 303; MBW T 2, 104 f.]; an Memminger ca. 8. 7. 1522 [MBW 332; MBW T 2, 148 f.]; an Erasmus 30. 9. 1524 [MBW 344; MBW T 2, 179–183; hier 181] und an den Zwickauer Rat 29. 3. 1527 [MBW 531; MBW T 3, 43 f.; hier 44].
I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530
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Seite wahrgenommen. Und es ist bemerkenswert, daß sogar Joachim Camerarius in seiner Melanchthon-Biographie zugestand, daß Melanchthon der Lage nicht gewachsen war und daß ohne eine Rückkehr Luthers vielleicht die Sache der Reformation gänzlich verloren gewesen wäre.94 Allerdings sollte man in bezug auf die Zwickauer Propheten zum einen »das damals selbstverständliche Rechnen mit übernatürlichen Ereignissen und . . . die völlige Unerfahrenheit mit schwärmerischen Bewegungen«,95 zum anderen »die Fixierung auf Luther als Zentralgestalt, der allein man das theologische Urteil über Wahr und Falsch zuerkannte«,96 in Rechnung stellen und mit Melanchthon an diesem Punkt nicht allzu hart ins Gericht gehen. Zudem ist es wichtig festzuhalten, daß Melanchthon zur selben Zeit trotz einer gewissen Beunruhigung mit Begeisterung an der Umsetzung der reformatorischen Erkenntnisse beteiligt war, als er zum Beispiel das erste evangelische Abendmahl feierte, sich gegenüber dem Kurfürsten für umfassende Reformen einsetzte und an Karlstadts Verlobung teilnahm. Ausschlaggebend für diese Beteiligung war sicher auch sein Wissen darum, daß Luther in diesen Fragen hinter ihm stand; dennoch ist sein forsches Verhalten nicht zu unterschätzen. Die Kritik von seiten des Kurfürsten in diesen Zusammenhängen scheint ihn zwar getroffen zu haben, hinderte ihn jedoch nicht daran, fortzufahren wie bisher. In Bezug auf seine Infragestellung durch Herzog Georg von Sachsen ist es fraglich, ob Melanchthon überhaupt davon erfahren hat; zudem gilt auch hier ähnlich wie bei der in Kapitel 1 geschilderten Kritik der Pariser theologischen Fakultät, daß in diesen Zeiten Kritik von seiten der Altgläubigen wie selbstverständlich dazugehörte.
Kapitel 3: Die Kritik an Melanchthon durch Vincentius Obsopoeus im Jahr 1526 Die nächsten Vorwürfe gegen Melanchthon stammen aus dem Jahr 1526 – aus den Jahren 1523 bis 1525 ist keine Kritik bekannt – und wurden von dem in Nürnberg lebenden Humanisten Vincentius Obsopoeus († 1539) vorgebracht. Sie richteten sich gegen Melanchthons Praxis, Schüler und Bekannte für Stellen zu empfehlen, und sind damit von ganz anderer Art als die bisher genannten. Sie werden im folgenden ausführlich zitiert, da sie in der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen wurden. 94
Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 76: »quum Philippus pondere rerum et negotiorum difficultate superaretur, neque iis quae sibi imponi indies graviora sentiebat par esset, et impendentium periculorum magnitudinem perspiceret: crebris suis aliorumque literis permovit Lutherum, ut Wittenbergam rediret«. »Et nisi hoc facere maturasset, res Wittenbergensis non modo graviter afflicta atque vexata, sed perdita et funditus diruta fuisset«. 95 Neuser, Abendmahlslehre, 161. 96 Leppin, Luther, 199.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
3.1 Der Plan einer Schulgründung in Nürnberg Der Rat der Stadt Nürnberg bemühte sich im Jahr 1524 intensiv darum, Melanchthon für die Gründung einer neuen Schule in der Reichsstadt zu gewinnen.97 Melanchthon lehnte dieses Ansinnen jedoch kategorisch ab.98 Aufgrund der Wirren des Bauernkriegs stellte der Rat seinen Plan einer Schulgründung zunächst zurück, griff ihn aber nach dem Sieg der Reformation in Nürnberg 1525 wieder auf und lud Melanchthon erneut ein, bei der Gründung und Organisation der neuen Schule zu helfen.99 Dieses Mal willigte Melanchthon ein100 und reiste Anfang November 1525 nach Nürnberg. Dort wurde eine Schulordnung entworfen und über Personalia verhandelt. Als Lehrkräfte waren Joachim Camerarius, Michael Roting (1494–1588) und Eobanus Hessus (1488–1540) vorgesehen,101 später kam noch der Astronom Johannes Schöner (1477–1547) hinzu. Als die Grundlagen für die neue Schule gelegt waren, trat Melanchthon Mitte Dezember den Rückweg nach Wittenberg an und widersetzte sich damit den neuerlichen Versuchen des Rates, ihn für die Leitung der Schule zu gewinnen. Im Mai 1526 kehrte er allerdings noch einmal zur feierlichen Eröffnung der Schule nach Nürnberg zurück.
3.2 Die Vorwürfe des Obsopoeus und Melanchthons Reaktion Im August 1526 konfrontierte Vincentius Obsopoeus Melanchthon mit schweren Vorwürfen, die in Zusammenhang mit seinem Aufenthalt in Nürnberg standen. Obsopoeus war 1524 für die Reformation gewonnen worden und stand seither mit Melanchthon in Brief kontakt.102 Von 1526 bis 1528 hielt er sich mit Unterstützung Willibald Pirckheimers (1470–1530) in Nürnberg auf und arbeitete an der Neuausgabe und Interpretation griechischer Texte.103 Obsopoeus scheint sich im Juli oder Anfang August 1526 brieflich an Melanchthons Schüler und Freund Kilian Goldstein (1499–1568) 104 in Wittenberg gewandt und bei ihm heftig über Melanchthons Verhalten in Nürnberg geklagt zu ha97 Vgl. zu diesem Abschnitt insgesamt Höss, Melanchthon, 22 ff. und Scheible, Melanchthon, 45–49. 98 Vgl. Melanchthon an Baumgartner 31. 10. 1524 [MBW 348; MBW T 2, 187–190; hier 188] und 3. 12. 1524 [MBW 357; MBW T 2, 203 f.; hier 203]. 99 Vgl. das Schreiben des Nürnberger Rates an Melanchthon 16. 9. 1525 [MBW 420; MBW T 2, 348 f.]. 100 Vgl. Melanchthon an den Nürnberger Rat 27. 9. 1525 [MBW 423; MBW T 2, 352]. 101 Vgl. Melanchthon an Agricola 20. 12. 1525 [MBW 432; MBW T 2, 364 f.; hier 365]. 102 Vgl. den einzigen erhaltenen Brief von Obsopoeus an Melanchthon vor 1526 von ca. Mitte Juni 1524 [MBW 329; MBW T 2, 142–144], in dem er um Begutachtung und Verbesserung eines Gedichtes bat. 103 Vgl. zu Obsopoeus Staehelin, Briefe und Akten 2, 171, Anm. 1. 104 Goldstein studierte seit 1521 in Wittenberg (vgl. DBE 4, 88 und Album Academiae Vitebergensis 1, 104).
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ben.105 Seine Kritik hatte sich wohl daran entzündet, daß er sich bei der Verteilung der Stellen am neuen Nürnberger Gymnasium übergangen fühlte. Deshalb machte er Melanchthon den Vorwurf, er habe sich bei seiner Empfehlung von Camerarius, Roting und Hessus durch die persönliche Freundschaft mit diesen Männern leiten lassen, und kam von daher zu der Behauptung, Melanchthon liebe nur das Seine und unterstütze ausschließlich seine eigenen Schüler.106 Ihn dagegen habe er verraten und verletzt: Er habe in Nürnberg schlecht über ihn gesprochen, sich über seine Trinkfreudigkeit lustig gemacht, ihm seine Bildung abgesprochen und dadurch andere von ihm entfremdet.107 Darüber hinaus muß Obsopoeus nicht näher bekannte Kritik an der Stadt Wittenberg und ihrer Universität geäußert haben.108 Goldstein leitete den Brief des Obsopoeus an Melanchthon weiter, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Melanchthon schrieb darauf hin sofort an Obsopoeus und versuchte, die Anschuldigungen aus der Welt zu schaffen.109 Er wies alle Vorwürfe energisch 105 Dieser Brief ist nicht erhalten, so daß die Inhalte aus Melanchthons Antwort erschlossen werden müssen. 106 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 462–465; hier 464, Z. 27 ff.]: »Ego vero quos commendavi Noricis alieno magis quam meo illis iudicio probari volui, neque quicquam debui ea in re privatae amicitiae quae mihi cum illis est caussa fecisse, cum ipsi nihil tale ambirent et delatam provinciam gravatim susciperent et aliis locis amplissimas conditiones haberent et domi suae honeste in ocio vivere possent. Quodsi vidissem, qua ratione etiam tibi prospici potuisset, profecto non fuissem tibi defuturus. Sed tu longe erras, si me plus ibi aut posse aut sumere debere existimas, quam apud exteros hospitem decet«; [Z. 50 ff.]: »Illa tibi libenter condono quae odiosissime congeris: nihil me praeter mea amare, nullos invitari praeter nostros συμφοιτητάς, tametsi non concedo tibi, ut animi mei sensum propius noris quam ego, nec sum tam truncus, quin videam, quantum mihi desit, et non modo huius scholae homines eruditos, sed literatos alios plerisque locis in Germania quibuscum est mihi notitia colo«; vgl. auch Melanchthon an Camerarius 7. 9. 1526 [MBW 494; MBW T 2, 481–485; hier 484, Z. 49 ff.]: »Neque enim ideo contumelia debet a me adfectus videri, quia praetulerunt ei alios professores vestri senatores«. 107 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 463, Z. 14 ff.]: »Eam erga te voluntatem meam . . . mutavi nunquam neque me unquam de te aliter loqui memini. Certe Noribergae apud Dominicum [sc. Schleupner] et alios saepe honorificam tui mentionem feci; de tuis poculis nunquam est seriis sermonibus apud amicos familiarissimos aut alios dictum, nam cum excusari illum tuum morem tum mutari posse sciebam. Deinde cur laederem te, a quo me amari certum habebam et qui mihi vicissim charus eras? Aut quam utilitatem, quos reditus ex tua ignominia captarem? Nec ego sum, si me recte novi, tam perverse malus, ut gratis iuvet laedere hominem bene de me sentientem«; [464, Z. 35 ff.]: »Verum non hoc quereris te non esse adiutum a me, sed plane proditum ac laesum . . . Semper enim eruditionem tuam praedicavi nec unquam dixi quidquam quod existimationem tuam imminueret. Nam sic hodie etiam affectus sum, ut, si necessario et suo tempore postules, non dubitem de meis etiam fortunulis suppeditare; tantum abest, ut aliorum voluntates abalienare abs te unquam studuerim«; zudem Melanchthon an Camerarius 7. 9. 1526 [MBW 494; MBW T 2, 483, Z. 48 f.]: »ausit [sc. Obsopoeus] adfirmare me dixisse Vincentium nullius esse hominem precii, nullas literas scire et hoc genus alia«. 108 Vgl. Melanchthon an Camerarius 7. 9. 1526 [MBW 494; MBW T 2, 484, Z. 58 ff.]: »Quam multa enim ibi manifeste falsa in me, in scholam nostram et hanc urbem, dum vult facetus esse, summa cum impudentia evomuit?«. 109 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 463, Z. 2 ff.]:
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zurück, erinnerte Obsopoeus an ihre lange Freundschaft und versicherte ihn seiner unverminderten Wertschätzung.110 Er erklärte sich zudem bereit, Obsopoeus für eine Stelle in Schlesien zu empfehlen.111 Allerdings merkt man dem Brieftext seine Enttäuschung über die Zweifel an seiner Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit ( fides) 112 und über das Vorgehen des Obsopoeus an, vor allem darüber, daß dieser sich mit seiner Kritik nicht – wie es ihrer Freundschaft entsprochen hätte – direkt an ihn, sondern zuerst an andere gewandt hatte.113 Melanchthon schickte diesen Brief nicht direkt an Obsopoeus, sondern zog seinen Freund Camerarius ins Vertrauen und ließ zunächst ihm den Brief an Obsopoeus zukommen.114 Darauf hin setzte sich Camerarius mit Obsopoeus in Nürnberg in Verbindung, überreichte ihm Melanchthons Brief und sprach mit ihm über die Vorwürfe. Camerarius berichtete Melanchthon Ende August über dieses Treffen: Obsopoeus habe abgestritten, Melanchthons Ruf beschädigt zu haben, und nur zugegeben, daß er bei Goldstein über Melanchthons Verhalten während seines Aufenthalts in Nürnberg geklagt habe – und dies seiner Ansicht nach zu Recht. Auf die Frage des Camerarius, warum er sich nicht direkt an Melanchthon gewandt habe, gab er an, die Gerüchte über dessen Krankheit hätten ihn davon abgehalten. Nun wolle er die Berechtigung seiner Vorwürfe gegen Melanchthon durch Zeugen erhärten.115 Trotz dieser Hartnäckigkeit des »Chilianus noster amanter fecit, quod literas mihi tuas in quibus fidem meam acerbissime accusas misit, ut meam apud te innocentiam defenderem meumque de te iudicium et animi inductionem exponerem . . . me apud tuum Chilianum eiusmodi literis proscindis, ut nihil in socerum credam Archilochum inimicius scripsisse«; [465, Z. 62]: »iniuria qua me afficis, dum tales epistolas in Germania spargis«. Im Brief an Camerarius 16. 8. 1526 [MBW 489; MBW T 2, 465 f.; hier 465, Z. 4 ] bezeichnete Melanchthon den Brief des Obsopoeus als στηλιτευτικὴ epistola, d. h. als einen Schmähbrief (vgl. Passow, Handwörterbuch 2/2, 1542). 110 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 463, Z. 10 ff. und 464, Z. 43 ff.]. 111 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 465, Z. 57 f.] und an Camerarius 10. 9. 1526 [MBW 495; MBW T 2, 485 f.; hier 486]. 112 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 463, Z. 3 ]; »fidem meam acerbissime accusas«; [Z. 5]: »fidem in discrimen venire, id vero cruciat«; [464, Z. 41 f.]: »Tu cum fidem mihi detrahis, non reliquis mihi, ut te per ullum numen rogare possim«; [Z. 46 f.]: »Non enim, si meae voluntati fortuna hactenus defuit, ideo fides mea in dubium est vocanda«; [465, Z. 59 ff.]: »si abs te impetro, ut mihi fidem habeas amicitiam nostram me religiose coluisse teque impense amare, magno me beneficio auctum esse existimabo« (Hervorhebungen durch Vf.in). 113 Vgl. Melanchthon an Obsopoeus 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 463, Z. 6 ff.]. 114 Vgl. den Brief von Melanchthon an Camerarius 15. 8. 1526, der zwar nicht erhalten ist, auf den Melanchthon aber im Brief an Camerarius 16. 8. 1526 [MBW 489; MBW T 2, 465, Z. 3 f.] hinwies. 115 Vgl. Camerarius an Melanchthon 27. 8. 1526 [MBW 490; MBW T 2, 466–468; hier 467, Z. 14 ff.]: »Fuit tamen eius orationis summa haec: se, quod ego dicerem, nunquam tuam famam ac dignitatem lacerasse, sed esse apud utrique amicissimum adolescentem de non ferendis iniuriis quibus a te affectus esset, ut sibi videretur, non iniuste conquestum. Ego cum rogavi, cur non potius tecum primum omnium super ea re expostulasset, respondit in caussa fuisse tuae aegrotationis rumores«; [468, Z. 28 ff.]: »Ipse tamen ad testes provocavit et, nisi
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Obsopoeus war Camerarius davon überzeugt, daß die Vorwürfe ungefährlich seien und bei Melanchthon kein Grund für irgendwelche Ängste – wohl in bezug auf die Schädigung seines Rufes – bestehe.116 Diese Worte des Camera rius scheinen auf Melanchthon eine besänftigende Wirkung gehabt zu haben, denn er berichtete in seiner Antwort Anfang September, daß er anfangs durch die Vorwürfe des Obsopoeus sehr bestürzt gewesen sei, jetzt aber seine Fassung wiedergewonnen habe. Auch die Drohung mit Zeugen beeindrucke ihn nicht, weil er davon überzeugt sei, daß Obsopoeus keinen geeigneten Zeugen finden werde.117 Camerarius solle sich nicht weiter um Obsopoeus bemühen. Wenn er sich noch einmal kritisch gegen ihn äußern sollte, müsse man allerdings einen neuen Plan fassen.118 Obsopoeus scheint sich auch weiterhin kritisch gegen Melanchthon geäußert zu haben. Hierüber ist allerdings nichts Näheres bekannt, und Melanchthon ließ sich durch diese neuerlichen Angriffe nicht mehr provozieren. Er war enttäuscht darüber, daß Obsopoeus sein Angebot einer Empfehlung nach Schlesien nicht annahm, sondern sich unzufrieden über diese Stelle geäußert hatte. Melanchthon scheint sich ab diesem Zeitpunkt mit Bemühungen für ihn zurückgehalten zu haben.119 planum faceret ea esse vera de quibus te insimulatum aegre ferres, permisit, ut pro nihili et nequam homine haberemus«. 116 Vgl. Camerarius an Melanchthon 27. 8. 1526 [MBW 490; MBW T 2, 468, Z. 38 ff.]: »Inveni sane ῥαγδαῖον ἄμαχον, πρᾶγμα μεῖζον ἢ ἐδόκουν. Verum qui tandem metus ob hoc esse, Philippe, potest? Ultro ipse proprio scelere quaerit alienationem«. 117 Vgl. Melanchthon an Camerarius 7. 9. 1526 [MBW 494; MBW T 2, 482, Z. 27 ff.]: »Venio ad inimici nostri querelas. Cuius . . . ementita criminatio me initio nonnihil commovit . . . Postea vero quam haec προπάθεια refrixit et hi motus tanquam venti quidam consiluerunt, cepi totam rem tanquam alienam fabulam vacuo animo spectare et considerare. Ibi, cum cogitarem satis esse culpa vacare nec me praestare vulgi sermones debere, facile deposui omnem ex animo molestiam«; [483, Z. 46 ff.]: »Quod ad testes provocat, facile fero . . . At enim cum nullum testem sui mendacii producere possit idoneum, si Catonem audimus, vici, opinor. Fertur enim Cato scripsisse: sic esse moribus maiorum traditum observatumque, ut, si quid inter duos actum esset neque tabulis neque testibus planum fieri posset, tum litem secundum eum dari solere qui ex his vir melior videretur. Ego autem qualis sim, viderint alii«. 118 Vgl. Melanchthon an Camerarius 7. 9. 1526 [MBW 494; MBW T 2, 484, Z. 63 ff.]: »Proinde, si placari non vult, sinas eum in malam rem valere nec cum eo amplius concertes. Sic enim permitto tibi hanc caussam, ut malim te facere quod te dignum est quam quod illo. Si quid in me scripserit, capiemus tum ex re consilium«. Diese Haltung bekräftigte Melanchthon auch an Camerarius 10. 9. 1526 [MBW 497; MBW T 2, 487 f.; hier 488, Z. 5 ff.]: »Nihil video caussae, cur diutius rixemur cum Pyrrhone [sc. Obsopoeus]. Ego si tibi ac Micae [sc. Roting] meam caussam possum probare, nihil amplius postulo. Et ut ille sibi unum Platonem pro universa multitudine esse dixit, ita ego vos mihi pro Areopagitico senatu esse statuo. Quare si vobis satisfacio, sinamus istum valere. Nos nobis καὶ ταῖς Μούσαις canamus«. 119 Vgl. Melanchthon an Spalatin 19. 9. 1526 [MBW 499; MBW T 2, 490; hier Z. 11 f.]: »[Obsopoeus] me nunc lacerat immanissimis scriptis« und an Camerarius Anfang Oktober 1526 [MBW 502; MBW T 2, 495 f.; hier 495, Z. 14 ff.]: »Scribit ad me [Brief fehlt], et quidem placaturus, ita contumeliose, nihil ut se dignius scribere potuerit. O facetum hominem!
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Camerarius muß sich in dieser Sache sehr für Melanchthon eingesetzt haben, denn noch Anfang 1528 bedankte sich Melanchthon bei Camerarius für die Verteidigung seiner Ehre gegenüber Obsopoeus. Gleichzeitig stellte er hier noch einmal heraus, daß er selbst sich nichts habe zuschulden kommen lassen und der Grund für die Kritik also nicht bei ihm liege.120
3.3 Zusammenfassung Obsopoeus fühlte sich bei der Stellenvergabe in Nürnberg übergangen und vermutete den Grund dafür in Melanchthons Empfehlungspraxis. Neben dieser konkreten Kritik an Melanchthon finden sich bei ihm allerdings auch grundsätzlichere Vorwürfe, als er ihm beispielsweise vorwarf, er liebe nur das Seine und unterstütze nur seine Schüler. Eine Beurteilung dieser Vorwürfe ist schwierig. Es ist zwar bekannt, daß sich Melanchthon zeit seines Lebens darum bemühte, möglichst vielen Gelehrten bei ihrem beruflichen Vorankommen zu helfen, ob sie nun enge Freunde oder weitläufige Bekannte waren, er konnte dabei allerdings nachvollziehbarerweise nicht alle Ansprüche und Erwartungen befriedigen. Möglicherweise wußte er, als es um die Besetzung der Lehrerstellen an der neuen Nürnberger Schule ging, nichts von entsprechenden Wünschen des Obsopoeus und konnte sie deshalb nicht berücksichtigen. Sein Versuch, ihn für eine Stelle in Schlesien zu gewinnen, zeigt auf jeden Fall, daß ihm am Vorankommen des Obsopoeus gelegen war.
Kapitel 4: Die Kritik an Melanchthon im Zuge der Visitation in Kursachsen im Jahr 1527 Die Ereignisse des Jahres 1527 bilden im Blick auf die Kritik an Melanchthon einen ersten Höhepunkt, da innerhalb der reformatorischen Bewegung erstmals viele verschiedene Personen als Kritiker auftraten und die Kritik dadurch auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde. Zudem bezogen sich die Vorwürfe erstmals auf Lehrfragen und bildeten damit einen der ersten Versuche von Lutheranhängern, Luther und Melanchthon auseinander zu bringen.121 Da . . . Tu credis hunc βωμολόχον sanum esse, mihi non videtur«. Melanchthon verwendete mit βωμολόχος ein heftiges Schimpfwort für seinen Kritiker (vgl. Erasmus, Adagia 3, 7, 65 [ASD 2/6, 460, Z. 664]: »Βωμολόχοι prouerbiali conuicio dicebantur scelesti et improbi«). 120 Vgl. Melanchthon an Camerarius 7. 1. 1528 [MBW 646; MBW T 3, 257–259; hier 258, Z. 7 ff.]: »De mea dignitate, quod scribis [Brief fehlt], est sane gratum me tibi pro tua summa erga me benevolentia curae esse. Quodsi autem dignitas est in recte factis potius, quemadmodum nos philosophi sentimus, quam in virtutis premiis, dignitatem, ut spero, retinebimus«. 121 Vgl. Wengert, Melanchthon and Luther, 62.
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die dabei angesprochenen grundlegenden Punkte der Lehre Melanchthons zudem im Lauf der folgenden Jahre immer wieder Anlaß für Kritik boten, werden in diesem Kapitel der historische Zusammenhang und die Hintergründe auf seiten der Kritiker, bei Melanchthon und Luther etwas ausführlicher als in den vorangegangenen Kapiteln zur Sprache kommen, zumal bisher keine Darstellung existiert, die das neueste Quellenmaterial berücksichtigt.
4.1 Die Visitation in Kursachsen und die Rolle Melanchthons 4.1.1 Die Vorgeschichte der Visitation bis zum Sommer 1527 Mitte der 1520er Jahre hatte sich die Reformation über weite Teile Deutschlands ausgebreitet, allerdings entsprach der Zustand vieler evangelisch gewordener Gemeinden noch nicht den Vorstellungen der Reformatoren: Bereits vor der Reformation waren viele Gemeinden sich selbst überlassen gewesen, weil die Bischöfe ihre Inspektionspflichten zunehmend vernachlässigt hatten. In den evangelisch gewordenen Gebieten war dann das hierarchische System der römischen Kirche vollends zusammengebrochen, und die päpstlichen Ordnungen waren außer Kraft gesetzt worden. Es gab keine Kontrollinstanz mehr, die über Lehre und Lebenswandel der Pfarrer und Prediger wachte, und es fehlte an verbindlichen äußeren Ordnungen, an die sich die Amtsträger und Gemeindeglieder halten konnten. Dies hatte vielerorts zum einen zur Folge, daß die neue Lehre von Anhängern des Papsttums vertreten wurde, die als unfähig oder fanatisch angesehen wurden, bzw. von Personen, die man als sittlich bedenklich oder aufrührerisch einstufte. Zum anderen führte der Mangel an Ordnungen in den Augen vieler Pfarrer und Prediger zur Zuchtlosigkeit unter den Gemeindegliedern. Schließlich war infolge des Wegfalls der römischen Strukturen auch die finanzielle Absicherung vieler Gemeinden zusammengebrochen. Es war also unumgänglich, verbindliche äußere Ordnungen und rechtliche Grundlagen für die evangelischen Gemeinden zu schaffen.122 1524 tauchte erstmals der Gedanke einer Visitation zur Lösung der geschilderten Probleme auf, als Herzog Johann Friedrich von Sachsen (1503–1554) bei Luther über die Aufwiegelung des Volkes durch einzelne schwärmerische Prediger klagte und ihn bat, durch Thüringen zu ziehen und untaugliche Prediger abzusetzen.123 Im folgenden Jahr bemühte sich der Zwickauer Prediger Nikolaus Hausmann (ca. 1479–1538) um die Durchführung einer Visitation: Er wandte sich in einer Denkschrift an Kurfürst Johann von Sachsen (1468–1532)
122 Vgl. zu diesem Abschnitt Luthers Vorrede zum »Unterricht der Visitatoren« [WA 26, 195–201; hier 196 f.] und Thiele / Brenner, WA 26, 175 ff. 123 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Luther 24. 6. 1524 [WA Br 3, 309–311, Nr. 754; hier 310].
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und bat auch Luther, sich beim Kurfürsten für eine Visitation einzusetzen.124 Luther kam diesen Bitten Hausmanns nach und wandte sich in der folgenden Zeit mehrmals an den Kurfürsten.125 Darauf hin wurden 1526 probeweise einige kleinere, regional begrenzte Visitationen durchgeführt, die jedoch von geringem Erfolg gekrönt waren. Die politischen Ereignisse des Jahres 1526, die Bündnisbestrebungen der evangelischen Stände und der Reichstag in Speyer, führten zu einer Unterbrechung der Visitation.126 Ende 1526 wandte sich Luther erneut an den Kurfürsten und bat ihn, eine umfassende Visitation anzuordnen. Um den Fortgang zu beschleunigen, stellte er sogleich Grundsätze auf, nach denen dabei verfahren werden sollte: Für die Visitation sah er vier Personen vor, von denen sich zwei um die Lehre und den Lebenswandel der Pfarrer und Prediger, die zwei anderen um Finanzfragen kümmern sollten.127 Johann willigte in diese Vorschläge ein, und einer Visitation stand nun nichts mehr im Wege.128 4.1.2 Der Verlauf der Visitation und die Rolle Melanchthons Am 13. Februar 1527 wurden den Vorschlägen Luthers gemäß von seiten der Universität Melanchthon und der Jurist Hieronymus Schurff (1481–1548), seitens der kurfürstlichen Regierung die Räte Hans von der Planitz († 1535) und Asmus von Haugwitz offiziell mit der Durchführung der Visitation beauftragt. Da nähere Angaben aus dieser Zeit fehlen, ist unklar, ob mit der Visitation in unmittelbarem Anschluß an diesen Auftrag begonnen wurde. Wenn dies der Fall gewesen sein sollte, unterbrach man sie wohl schon nach kurzer Zeit wieder, da den Visitatoren eine ausreichende Instruktion fehlte.129 Eine solche er124 Vgl. zu Hausmanns Eingabe an den Kurfürsten vom 2. 5. 1525 Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 34; Clemen, WA Br 3, 582, Anm. 2 und Stupperich, MSA 1, 215. Briefe von Hausmann an Luther aus dieser Zeit sind nicht erhalten, aber seine Bitten können aus Luthers Antwort an ihn vom 27. 9. 1525 [WA Br 3, 582, Nr. 926] rekonstruiert werden. 125 Vgl. Luther an Hausmann 27. 9. 1525 [WA Br 3, 582, Z. 5 ff.]. Luther wandte sich am 31. 10. 1525 an Johann von Sachsen [WA Br 3, 594–596, Nr. 937; hier 595], beklagte die Not der Gemeinden und forderte Johann zum Handeln auf. Johann antwortete am 7. 11. 1525 [WA Br 3, 613 f., Nr. 944] und bat Luther um konkrete Vorschläge zum Vorgehen. Diese machte Luther in seinem Brief an Johann 30. 11. 1525 [WA Br 3, 628 f., Nr. 950; hier 628]. 126 Vgl. Burkhardt, Geschichte, XXVI; Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 34; Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 24; Hammann, Nomismus und Antinomismus, 57 und Neuser, Abendmahlslehre, 265. 127 Vgl. Luther an Johann von Sachsen 22. 11. 1526 [WA Br 4, 133–135, Nr. 1052; bes. 133]. 128 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 26. 11. 1526 [WA Br 4, 136–138, Nr. 1054; hier 136 f.] und Luther an Hausmann 10. 1. 1527 [WA Br 4, 159 f., Nr. 1072; hier 159, Z. 5 ff.]. 129 Thiele / Brenner, WA 26, 179 f.; Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 35 und Clemen, WA Br 4, 159, Anm. 2 sprechen vom Beginn der Visitation im Februar 1527. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 475 lehnt diese Vermutung ab. Maurers Ansicht wird gestützt durch das Fehlen entsprechender Äußerungen Melanchthons in seinen Briefen und durch die Angaben bei Scheible, MBW R 10, 349, nach denen Melanchthon lediglich am 23./24.2. und
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ließ Kurfürst Johann erst am 16. Juni. Die vier Männer erhielten darin den Auftrag, Lehre und Lebenswandel der Pfarrer und Prediger zu überprüfen und ungeeignete Amtsinhaber gegebenenfalls abzusetzen. Sie sollten sich bemühen, evangelische Lehre und Sakramente bei Geistlichen und Laien durchzusetzen. Weiter wurden Anweisungen zur Regelung von Finanz- und Besoldungsfragen, zur Neueinteilung der Parochien, für den Umgang mit den Klöstern und für die Sittenzucht gegeben. Zur Überwachung der Pfarrer und Prediger und zum Teil auch als Ersatz für die mittelalterliche geistliche Gerichtsbarkeit sollten Superintendenten eingesetzt werden. Abschließend wurden die Visitatoren aufgefordert, dem Kurfürsten schriftlich über ihr Tun Bericht zu erstatten.130 Obwohl die Visitatoren diese Instruktion noch nicht in Händen hatten,131 machten sie sich Anfang Juli an die Arbeit: 132 In der Zeit vom 9. Juli bis zum 9. August bereisten die vier Männer Weida, Cronschwitz, Neustadt an der Orla, Pößneck, Saalfeld und Kahla.133 Sie machten in diesen größeren Orten Station und bestellten sich die Pfarrer und Prediger der benachbarten kleineren Gemeinden ein. Melanchthon als einzigem Theologen fiel die Aufgabe zu, den Bildungsstand, die theologische Einstellung und den Lebenswandel der Geistlichen zu prüfen. Den beiden kurfürstlichen Räten oblag es, für eine ausreichende finanzielle Absicherung der Pfarreien zu sorgen und die Parochien neu einzuteilen.134 Die Wahl des Juristen Schurff scheint sich schon bald als überflüssig erwiesen zu haben, so daß er die Kommission vorzeitig und auf eigene Faust verließ.135 Insgesamt gingen die Visitatoren in allen Orten wohl sehr zurückhaltend vor, setzten nicht sehr viele Pfarrer und Prediger ab und lösten keine Klöster auf.136 Da die kurfürstliche Instruktion erst nach Beginn der Visitation bei den Visitatoren in Weida angekommen war, teilweise nur vage Anweisungen für das am 9./10. 3. 1527 in Torgau, sonst immer in Wittenberg war. Sein zweiter Besuch in Torgau war eindeutig privater Art; vgl. Melanchthon an Hausmann 10. oder 13. 3. 1527 [MBW 528; MBW T 3, 39 f.; hier 39, Z. 2 ]. 130 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen an die Visitatoren 16. 6. 1527 [MBW 558; MBW T 3, 80–94]. 131 Die Instruktion kam erst am 12. Juli 1527 bei den Visitatoren an; vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 26*, Anm. 8 und Neuser, Abendmahlslehre, 267. 132 Vgl. Luther an Hausmann 13. 7. 1527 [WA Br 4, 222 f., Nr. 1122; hier 222, Z. 7] und Hausmanns Notiz auf Luthers Brief [WA Br 4, 222, Z. 3 ]. 133 Vgl. Scheible, MBW R 10, 353 f. 134 Vgl. zum Vorgehen der Visitatoren insgesamt Mitzenheim, Kirchen- und Schulvisitation, 5 f.; zur Tätigkeit der Räte die Anordnung der Visitatoren 27. 7. 1527 [MBW 565; MBW T 3, 103 f.]. 135 Vgl. Johann von Sachsen an die Visitatoren 3. 8. 1527 [MBW 570; MBW T 3, 123– 125; hier 124, Z. 15 f.]; Hammann, Nomismus und Antinomismus, 26*, Anm. 10 und Neuser, Abendmahlslehre, 266. 136 Vgl. den Bericht der Visitatoren an Johann von Sachsen 29. 7. 1527 [MBW 567; MBW T 3, 105–120; 110 und 111–113 über die Visitation des Prämonstratenserklosters in Mildenfurt und des Nonnenklosters in Cronschwitz]; Burkhardt, Kirchen- und Schulvisitation, 777 und 779 und Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 26.
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Vorgehen enthielt und sich deshalb schon bald als unzureichend für die praktische Arbeit vor Ort erwies, waren die Visitatoren von Anfang an gezwungen, für viele der auftretenden Schwierigkeiten selbst nach Lösungen zu suchen und Richtlinien für die Visitation zu entwickeln. Davon zeugen zahlreiche Schriftstücke, die sie sich zunächst zur Erleichterung ihrer Arbeit erstellten, die dann in den visitierten Orten bekannt gemacht wurden und schließlich zum Teil Eingang in die offzielle Visitationsordnung fanden: Das früheste Dokument ist ein Fragenkatalog in deutscher Sprache, den sich die Visitatoren wahrscheinlich kurz vor Beginn der Visitation am 9. Juli in Weida als Grundlage für ihre Arbeit zusammengestellt hatten und den sie wohl vor Beginn der Visitation an einem bestimmten Ort dem Rat der Stadt vorlegten. Er enthält zwei Blöcke mit je dreizehn Fragen, die sich mit der Lehre, Sakramentsverwaltung und dem Lebenswandel der Pfarrer und Prediger, mit der finanziellen Absicherung der Pfarreien und Gemeinden und mit der Sittenzucht befassen.137 Während des Aufenthalts der Visitationskommission in Weida bis zum 13. Juli entstand ein weiteres Schriftstück, die sogenannten Weidaer Artikel.138 Die 32 Artikel sind in deutscher Sprache abgefaßt und gliedern sich in zwei Teile: Die ersten zwölf Artikel umfassen Forderungen der Visitatoren zur finanziellen Lage der Pfarrer und Gemeinden, zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung und zur Errichtung von Schulen, allerdings ohne ein erkennbares Ordnungsprinzip. Die enthaltenen theologischen Normen stammen wohl von Melanchthon. Vielleicht wurde auch diese Artikelreihe von den Visitatoren dem Rat einer Stadt vorgelegt.139 Der zweite Teil umfaßt zwanzig hauptsächlich theologische Artikel in Frageform, die eindeutig von Melanchthon herrühren. Sie wurden sicher, wie es Melanchthons Angewohnheit war, ursprünglich lateinisch konzipiert und erst dann ins Deutsche übertragen. Sie waren wohl die Grundlage für die Befragung der Pfarrer und Prediger und stellten damit die praktische Ausführung der theologischen Artikel des ersten Teils dar.140 137 Dieser Katalog ist mit dem Titel »Artikel der visitatorn erkundung« überschrieben und unter der Nummer MBW 561a abgedruckt in MBW T 3, 99. Bei Mitzenheim, Kirchenund Schulvisitation, 8–12 findet sich das Antwortschreiben des Saalfelder Rates auf diesen oder einen ähnlichen Katalog. Vgl. zur Vorlage von Fragen an den Rat Mitzenheim, a. a. O., 5 und 8 und insgesamt Scheible / Thüringer, MBW R 9, 79. 138 Vgl. zur Datierung Hammann, Nomismus und Antinomismus, 58. 139 Der Titel dieser Reihe lautet »Disse nachfolgende artiekel sein zue Weida ausgangen durch meins gnedigsten herren rethe, doctores und magisters«; sie ist gedruckt bei Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148. Im Gegensatz zur Frageform des zweiten Teils sind die Artikel des ersten Teils alle mit »sollen« formuliert. Vgl. zu Melanchthons Anteil Neuser, Abendmahlslehre, 267. 140 Der zweite Teil der Artikel ist in deutscher Sprache unter dem Titel »Die artickel von welchen verhordt werden die sehlsorger durch die visitatores« gedruckt bei Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148 f.; lateinisch unter dem Titel »Articuli erga curatos per visitatores examinandi« in CR 26, 7 f. Die ersten fünf und Teile weiterer Artikel sind in Frageform
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Die bereits im Fragenkatalog genannten Richtlinien für die Sittenzucht wurden von den Visitatoren im Lauf ihrer Reise auf der Grundlage ihrer Erfahrungen in den Gemeinden weiter ausgeführt und in sechs Artikeln zusammengefaßt.141 Melanchthon reichten die theologischen Aussagen des Fragenkatalogs und der Weidaer Artikel als Richtschnur für die Befragungen der Pfarrer und Prediger offensichtlich nicht aus, denn er baute die knapp gehaltenen Artikel im Lauf des Juli zu einer umfangreicheren Schrift aus, in der er ausführlich auf die theologischen Fragen einging, die sich bei der Visitation als problematisch erwiesen hatten, und entwarf damit Richtlinien für Amtsführung und Verkündigung der Geistlichen.142 Dies geschah auch hier sicher zunächst in lateinischer Sprache.143 Melanchthon scheint diese »Articuli« noch im Juli ins Deutsche übertragen und dabei vielleicht auch abgeändert und umgestellt zu haben. Zudem verband er sie – sicher im Einverständnis mit den anderen Visitatoren – mit einigen kirchenrechtlichen und juristischen Richtlinien und einem Schulprogramm. Bei dieser Schrift handelt es sich um eine Vorform der später offiziell herausgegebenen Visitationsschrift »Unterricht der Visitatoren an die Pfarherren im Kurfürstentum zu Sachsen«.144 In allen theologischen Äußerungen Melanchthons spiegeln sich seine Erfahrungen bei der Visitation sehr deutlich wider: Es lassen sich drei Fronten ausmachen, gegen die er sich mit seinen Ausführungen richtete, nämlich Papisten, Spiritualisten und Lutherische, die die bisherige Bußlehre ablehnten und seiner Ansicht nach das Evangelium sehr einseitig in erster Linie als Sündenvergebung verkündigten, die christliche Freiheit betonten und die Altgläubigen schmähformuliert. Vgl. zu ihrer Zuschreibung an Melanchthon Neuser, Abendmahlslehre, 267 f. Gegen diese Zuschreibung spricht nicht, daß die Handschrift der deutschen Liste von einem Visitations-Protokollanten stammt, der zwischen beide Teile selbst noch einen Zusatz setzte; vgl. Sehling, a. a. O., 36 gegen Maurer, Der junge Melanchthon 2, 476. 141 Diese Artikel wurden in den Bericht der Visitatoren an den Kurfürsten vom 29. 7. 1527 aufgenommen [MBW 566a; MBW T 3, 104 f.; hier 105]. 142 Die Sichtweise Bindseils in CR 26, 1/2, Melanchthon habe einen Auftrag des Kurfürsten erhalten, »ut formulam doctrinae ac rituum conscriberet«, läßt sich durch die vorhandenen Quellen nicht belegen. 143 Diese Schrift ist unter dem Titel »Articuli de quibus egerunt visitatores in regione Saxoniae« abgedruckt in CR 26, 9–28. Müller, Kirche, Gemeinde und Obrigkeit, 63, Anm. 1 hat nachgewiesen, daß das in CR 26 und anderswo im Titel abgedruckte per auf einem alten Druckfehler beruht. Vgl. zur Datierung Hammann, Nomismus und Antinomismus, 59 und Maurer, Der junge Melanchthon 2, 475. 144 Hammann, Nomismus und Antinomismus, 113 datiert diese Vorform des »Unterrichts« auf September, Bindseil, CR 26, 29/30 auf Anfang August. Da sie aber bereits dem Bericht an den Kurfürsten vom 29.7. beilag, muß sie bereits Mitte bis Ende Juli entstanden sein. Abschriften dieses Entwurfs liegen im Weimarer Hauptstaatsarchiv (vgl. Wetzel, MBW T 3, 104; 106; 123, Q 5 und 131, Q 6). Gedruckt ist die Schrift nur in ihrer offiziellen Endform in CR 26, 49–96 und WA 26, 202–240, bei Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 149–174, Nr. 3 und in MSA 1, 220–271.
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ten.145 Dieser dritten Gruppe galt Melanchthons Forderung, die Predigt von Gesetz und Buße nicht zu vernachlässigen, sondern als Grundlage vor die Verkündigung der Sündenvergebung zu stellen, was in der Folgezeit heftige Kritik auslösen sollte. Ende Juli schickten die Visitatoren die Vorform des »Unterrichts« mit einem Bericht über ihre Tätigkeit an den Kurfürsten.146 Dieser leitete den Ordnungsentwurf sogleich an Luther und den Wittenberger Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen (1485–1558) weiter und bat die beiden, ihn zu begutachten und gegebenenfalls Änderungswünsche zu äußern. Dadurch daß seine Inhalte von mehreren Theologen besehen würden, sollte möglichen Unstimmigkeiten entgegengewirkt werden. Wenn die Ordnung von Luther und Bugenhagen für gut befunden werde, versprach der Kurfürst, sie bald in gedruckter Form ausgehen zu lassen.147 Ende Juli baten die Visitatoren den Kurfürsten zugleich mit ihrem Bericht, die Visitation nach der ersten Etappe vorläufig einzustellen und sie nach Hause zu entlassen.148 Sie wünschten diese Unterbrechung wohl vor allem deshalb, weil sie ihre Arbeit ohne die Grundlage einer verbindlichen Ordnung nicht fortführen wollten. Die kurfürstliche Instruktion hatte sich als unzulänglich erwiesen, und für ihre eigenen Ordnungsentwürfe fehlte ihnen noch die Zustimmung der Obrigkeit.149 Der Kurfürst willigte zwar in die vorläufige Heimkehr der Visitatoren ein, so daß diese sich am 9. August nach Jena begeben konnten, wohin die Universität Wittenberg wegen der Pest verlegt worden 145
Vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 269. Vgl. Brief und Bericht der Visitatoren an Johann von Sachsen 29. 7. 1527 [MBW 566, MBW 566a und MBW 567; MBW T 3, 104–120]; zur Vorform des »Unterrichts« Johann von Sachsen an Luther 16. 8. 1527 [WA Br 4, 229–231, Nr. 1129; hier 230, Z. 8 ff.]; von dem diesem Brief beiliegenden Verzeichnis [WA Br 4, 231, Beilage] sind nur noch die Überschriften, nicht aber die zugehörigen Ausführungen erhalten. Die Handschrift stammt von Spa latin; es ist aber unwahrscheinlich, daß es sich aus diesem Grund bei dem Verzeichnis um eine vorbereitende Arbeit Spalatins für den zweiten Abschnitt der Visitation handelt (so Hammann, Nomismus und Antinomismus, 59). Vielmehr schrieb er wohl die Überschriften der von den Visitatoren erarbeiteten Ordnung ab. Im ersten Teil [Z. 3 –19] entsprechen diese Überschriften genau denen des späteren »Unterrichts«, darauf [Z. 20–25] folgen Finanz- und Besoldungsfragen und schließlich [Z. 26–37] eine Reihe, die den oben erwähnten sechs Artikeln zur Sittenzucht sehr ähnlich ist. Vgl. zur Übereinstimmung der mitgeschickten Ordnung mit dem »Unterricht« auch Wetzel, MBW T 3, 104 und 123, Q 5. 147 Vgl. Johann von Sachsen an die Visitatoren 3. 8. 1527 [MBW 570; MBW T 3, 124, Z. 20 ff.] und an Luther 16. 8. 1527 [WA Br 4, 230, Z. 11 ff.] und Luther an Spalatin 19. 8. 1527 [WA Br 4, 232 f., Nr. 1130; hier 232, Z. 4 f.]; an Hausmann 20. 8. 1527 [WA Br 4, 234, Nr. 1131; hier Z. 15] und an Agricola 31. 8. 1527 [WA Br 4, 241 f., Nr. 1138; hier 241, Z. 25]. 148 Vgl. die Visitatoren an Johann von Sachsen 29. 7. 1527 [MBW 566; MBW T 3, 104]. 149 Vgl. zur Wichtigkeit einer Ordnung den Bericht der Visitatoren an Johann von Sachsen 13. 8. 1527 [MBW 574; MBW T 3, 130–137; hier 131, Z. 17 ff.] und das Ende der Artikel der Räte (vgl. unten Anm. 153) [Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 38, Anm. a m Ende]; zum Fehlen der kurfürstlichen Zustimmung die Artikel der Räte [Sehling, a. a. O., 37, Anm. 1]; Sehling, a. a. O., 36 und Hammann, Nomismus und Antinomismus, 58. 146
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war; 150 Johann verlieh allerdings gleichzeitig seinem Willen zur Fortführung der Visitation Ausdruck und erteilte seinen beiden Räten Anweisungen für das weitere Vorgehen.151 Darauf hin scheinen sich die Räte an die weitere Ausarbeitung der kirchenrechtlichen Richtlinien gemacht und eine neue Reihe von Artikeln erstellt zu haben, in denen sie näher auf Fragen der finanziellen Absicherung der Gemeinden eingingen und damit ein kirchenrechtliches Gegenstück zu den ausführlichen theologischen Äußerungen Melanchthons schufen.152 Die Visitation wurde zwar nach dem Wunsch des Kurfürsten Mitte September noch für einige Tage in Altenburg fortgesetzt,153 wobei Spalatin als zweiter Theologe an die Stelle Schurffs trat,154 doch wollten die Visitatoren offensichtlich nicht in größerem Stil fortfahren, bevor nicht eine verbindliche Ordnung vorlag. Melanchthon scheint über dieses vorläufige Ende der Visitation nicht unglücklich gewesen zu sein, hatte sie ihn doch sehr in Anspruch genommen und war ihm zudem der Erfolg dieser Unternehmung zweifelhaft.155 Zur Schaffung einer allgemeingültigen Visitationsordnung trafen sich die Visitatoren Ende September mit Luther und Bugenhagen in Torgau zu einer Besprechung, der sogenannten ersten Torgauer Konferenz. Am 26. und 27. September wurde auf Grundlage der Visitationsschriften Melanchthons in erster Linie über kirchlich-theologische Fragen wie zum Beispiel das Abendmahlsverständnis debattiert.156 Der Entwurf des »Unterrichts« und die »Articuli« Melanchthons scheinen dabei von allen Anwesenden gebilligt worden zu sein, und der Kurfürst 150 Vgl. Johann von Sachsen an die Visitatoren 3. 8. 1527 [MBW 570; MBW T 3, 124, Z. 10 ff.]; zur Rückkehr nach Jena Thiele / Brenner, WA 26, 180; Clemen, WA Br 4, 222, Anm. 1 und Scheible, MBW R 10, 354. 151 Vgl. Johann von Sachsen an die Visitatoren 3. 8. 1527 [MBW 570; MBW T 3, 124, Z. 19 ff. und Z. 26 ff.]. Auch Luther hoffte auf eine Fortführung der Visitation; vgl. seinen Brief an Hausmann 2. 9. 1527 [WA Br 4, 244 f., Nr. 1141; hier 244, Z. 6 f.]. 152 Vgl. den Druck dieser Artikel unter dem Titel »Die Artickel so durch die rete zur visitation vorordenth und andere unterteniglich bedacht 1527« bei Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 37 f., Anm. 1 und Hammann, Nomismus und Antinomismus, 58 f. und 26*, Anm. 13. 153 Vgl. Burkhardt, Geschichte, XXVI und Scheible, MBW R 10, 355. 154 Vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 59 und Neuser, Abendmahlslehre, 278. 155 Vgl. Melanchthon an Camerarius vor 9. 8. 1527 [MBW 571; MBW T 3, 125–127; hier 126, Z. 21 f.] und 26. 3. 1528 [MBW 669; MBW T 3, 294 f.; hier 294, Z. 3 ff.]. Visitationen scheinen nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen Melanchthons gehört zu haben, denn auch in den folgenden Jahren klagte er über diese seiner Meinung nach nutzlose Tätigkeit; vgl. an Camerarius ca. 10. 11. 1528 [MBW 721; MBW T 3, 394 f.; hier 395, Z. 29]; Mitte November 1528 [MBW 724; MBW T 3, 397 f.; hier 398, Z. 15 f.] und an Aquila 15. 1. 1529 [MBW 745; MBW T 3, 434 f.; hier 435, Z. 10 f.]. 156 Vgl. Melanchthon ca. 2. 10. 1527 an Agricola [MBW 598; MBW T 3, 172 f.; hier 173, Z. 5 ff.] und an Jonas [MBW 599; MBW T 3, 174 f.; hier 174, Z. 12 ff.]; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 185–188; hier 187, Z. 40 ff.] und an Aquila Ende Oktober 1527 [MBW 616; MBW T 3, 202 f.; hier 203, Z. 15 ff.]; zudem Thiele / Brenner, WA 26, 184; Buchwald, Lutherana, 4; Neuser, Abendmahlslehre, 279 und Scheible, MBW R 10, 355 f.
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versprach, den Druck der deutschen Visitationsschrift möglichst bald zu veranlassen.157 Luther setzte große Hoffnungen in eine baldige Fortsetzung der Visitation auf der Grundlage dieser neuen Ordnung.158 In den folgenden Monaten setzte sich zudem der Nürnberger Ratsschreiber Lazarus Spengler (1479–1534) für eine Publikation des »Unterrichts« ein.159 Doch sollten sich die Drucklegung der Visitationsordnung und damit auch die Fortführung der Visitation infolge der noch darzustellenden Streitigkeiten innerhalb des lutherischen Lagers um viele Monate verzögern: Der Druck der Ordnung lag erst Ende März 1528 vor,160 und die Visitation wurde Ende des Jahres 1528 fortgesetzt.161 4.1.3 Die Hintergründe von Melanchthons Verhalten bei der Visitation Bevor die Kritiker zu Wort kommen, soll zunächst untersucht werden, welche Gedanken Melanchthon bei der Visitation leiteten, das heißt welchen Eindruck er von der Situation in den Gemeinden gewonnen hatte, inwiefern diese Erfahrungen zur Grundlage seiner Entscheidungen im Zusammenhang der Visitation wurden und welche Absichten er mit seinen Aussagen in den »Articuli« verfolgte. Melanchthon beklagte in erster Linie die bei den Überprüfungen zutage getretene mangelnde Bildung und Unwissenheit vieler Pfarrer und Prediger, die zur Folge habe, daß das Volk unzureichend unterwiesen werde.162 Dies äußere sich darin, daß das Evangelium in erster Linie als Vergebung der Sünden und nicht so sehr als Buße verkündigt werde,163 daß die für Gewissen und Sittlichkeit wichtigen Lehrfragen gar nicht oder nur unzureichend behandelt würden und statt dessen sehr unvorsichtig und viel über die Freiheit von Äußerlichkeiten wie beispielsweise das Fleischessen und die Abschaffung menschlicher Tra-
157 Vgl. Melanchthon an Agricola ca. 2. 10. 1527 [MBW 598; MBW T 3, 173, Z. 8 f.] und an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 20 f.]. 158 Vgl. Luther an Hausmann 7. 11. 1527 [WA Br 4, 277 f., Nr. 1166; hier 277, Z. 4 f.]. 159 Vgl. Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 20 f.] und an Spengler 23. 10. 1527 [MBW 611; MBW T 3, 188 f.; hier 189, Z. 3 ff.]. 160 Vgl. Bindseil, CR 26, 31/32; Thiele / Brenner, WA 26, 186; Clemen, WA Br 4, 389, Anm. 2 ; Scheible, MBW R 1, 303 und Wetzel, MBW T 3, 186, Q 20. 161 Die Visitation wurde im Oktober und November 1528 durch Melanchthon in Weimar fortgeführt (vgl. Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 28 und Melanchthon an Camerarius ca. 10. 11. 1528 [MBW 721; MBW T 3, 394 f.; hier 395]); 1528 / 29 fanden unter Beteiligung Luthers weitere Visitationen im Kurkreis statt (vgl. Burkhardt, Geschichte, XXVII und Buchwald, Lutherana, 7–10). 162 Vgl. Melanchthon an Camerarius vor 9. 8. 1527 [MBW 571; MBW T 3, 127, Z. 23]; mit den anderen Visitatoren an Johann von Sachsen 13. 8. 1527 [MBW 574; MBW T 3, 131, Z. 12 f.] und an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 199, Z. 7 f. und 202, Z. 52]. 163 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 9 u. ö.] und die Visitatoren an Johann von Sachsen 13. 8. 1527 [MBW 574; MBW T 3, 131, Z. 12 ff.].
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ditionen gepredigt werde.164 Zudem komme die Unwissenheit der Geistlichen darin zum Ausdruck, daß aufgrund eines nach Melanchthons Meinung übergroßen Hasses auf den Papst neben offensichtlich Schlechtem auch vieles Gute unter den altgläubigen Lehren und Riten verdammt werde; als Beispiel verwies er auf die grundsätzliche Verwerfung der Lehren der Alten Kirche.165 Melanchthon konstatierte einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dieser einseitigen Predigtweise der geistlichen Amtsträger und einer wachsenden Zügellosigkeit im Volk, der ihm spätestens seit dem Bauernkrieg 1525 unbezweifelbar schien: Da nach seiner Ansicht den einfachen Menschen das nötige Differenzierungsvermögen fehlte, wögen sie sich infolge der theologisch verzerrten Verkündigung in falscher Heilssicherheit, gelangten zu der irrigen Überzeugung, Gesetze und Bräuche aller Art seien abzuschaffen, und verhielten sich entsprechend schlecht.166 Darüber hinaus war die einseitige Predigt Melanchthons Ansicht nach auch dafür verantwortlich, daß der Umgang mit den Altgläubigen, besonders mit den Mönchen, sowohl in den Predigten als auch auf der Straße von Schmähungen und Gewalt gekennzeichnet war.167 Diese Erfahrungen scheinen Melanchthon sehr erschreckt zu haben und brachten ihn zu der Aussage, Mißstände dieser Art seien schlimmer als die Irrtümer unter dem Papsttum.168 Er machte unter anderem das Wirken Karlstadts in den zurückliegenden Jahren für diese Situation verantwortlich.169 Verschärfend kam hinzu, daß solche Zustände den Vorwürfen vieler Altgläubiger rechtzugeben schienen, die Evangelischen strebten nach Umsturz, zerstörten die alten Lehren und Rechte der Kirche, ihnen mangele es an Hochachtung vor den Sakramen164
Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 10. 17. 23. 26]; zudem seine Schrift »Adversus anabaptistae iudicium« von 1528 [MSA 1, 273–295, Nr. 15; hier 274, Z. 14 ff.]. 165 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; Regest MBW 604; MBW T 3, 151, Z. 21 f. und Z. 26 ff.]. 166 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 9. 23. 24. 25. 28]; die Briefe an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 121, Z. 3 f.]; an Camerarius vor 9. 8. 1527 [MBW 571; MBW T 3, 126, Z. 22 f.]; mit den anderen Visitatoren an Johann von Sachsen 13. 8. 1527 [MBW 574; MBW T 3, 131, Z. 16 f.] und an Aquila Ende August / A nfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 22 f. und Z. 41 f.]; zudem den Rückblick im Brief an die kurfürstlichen Räte 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 363–366, Nr. 4515; hier 365]. 167 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 10]; das Protokoll der Visitatoren 29. 7. 1527 [MBW 567; MBW T 3, 112, Z. 130 f.]; Melanchthon an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 121, Z. 5 ff.] und Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 41 ff.]; an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 98 ff.] und an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 9 ff.]. 168 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 9] und seinen Brief an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 121, Z. 2 f.]. 169 Vgl. Melanchthon an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 121, Z. 1 f.] und an Camerarius vor 9. 8. 1527 [MBW 571; MBW T 3, 127, Z. 23 f.]. Karlstadt hatte Wittenberg 1523 verlassen, eine neue reformatorische Ethik entworfen, sich in der Folgezeit gegen die Säuglingstaufe ausgesprochen und den innerreformatorischen Abendmahlsstreit eröffnet (vgl. Hasse, Karlstadt, 820 f.).
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
ten, sie schafften alle Zeremonien ab, lehrten kein Gesetz mehr, verdammten gute Werke und verdürben so die Sittlichkeit.170 Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, daß sich nach Ansicht Melanchthons in den Gemeinden vieles ändern sollte. Zu diesem Zweck gab er den Pfarrern und Predigern in seinen »Articuli« detaillierte Anweisungen für ihre Verkündigung und ihr Handeln. Er hoffte, daß Ärgernisse wie die geschilderten in Zukunft verhindert werden könnten, wenn seine Ratschläge befolgt würden. Er ermahnte Pfarrer und Prediger, ihr ganzes Lehren und Handeln von Mäßigung (moderatio, modestia, lenitas, ἐπιείκεια ) bestimmen zu lassen. Damit meinte Melanchthon einerseits konkret den Verzicht auf Polemik und Schmähungen gegenüber den Altgläubigen, andererseits aber auch eine ausgewogene Predigt der seiner Ansicht nach wichtigen Lehrstücke und ein maßvolles Vorgehen bei der praktischen Umsetzung der neuen Erkenntnisse.171 Die Verkündigung in den Gemeinden stellte er sich folgendermaßen vor: Die Pfarrer und Prediger sollten nicht allzu oft, und wenn, dann ausgewogen und vorsichtig über menschliche Traditionen und deren Abschaffung predigen.172 Da das Volk auf die Predigt der Freiheit mit Zügellosigkeit reagiere, sollte man darüber nachdenken, es eher zu Knechtschaft als zu Freiheit zu ermahnen.173 Anstelle der Freiheit sollten die Geistlichen die inhaltlich wichtigen Lehrstücke der Buße und Sündenvergebung predigen. In der Verkündigung dieser beiden Elemente sah Melanchthon den Kern der Lehre Christi, der nach seiner Auf erstehung die Jünger mit einem entsprechenden Auftrag ausgesandt hatte 170 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 152, Z. 53 f.] und die altgläubigen Vorwürfe z. B. bei Cochlaeus, Commentaria, 162 f. und 176: »Quamuis enim Lutherus rem primo sub prêtextu cuiusdam Reformationis & emendationis abusuum . . . inceperit: uerbis tamen ac factis mox indicauit, sese non intendere rem emendare, sed prorsus euertere . . . ac sanctam fidem nostram . . . penitus extinguere . . . primum Doctores Scholasticos, deinde & ueteres sanctos Doctores, . . . Quorum scripta, Canones & Decreta . . . ignibus publice combusserunt . . ., destruxerunt ac dissecuerunt . . . Omnia bona opera . . . simul cum omnibus antiquitus obseruatis ritibus & Cæremonijs, non solum scelerate floccifecerunt: uerum etiam prorsus abrogarunt & omiserunt. Præterea . . . carnales ac feri facti sunt« (wegen der Abschaffung des Fastens); »Ac deinceps temerè aggressi sunt, non solum Cæremonias & Sacramentalia . . ., verum etiam ipsa Sacramenta arroganter inuaserunt . . . pro nullo habeant . . . Confessionemque cum pœnitentia & satisfactione«; »Lutheranorum Euangelium, Quod secundum Lutherum non est liber legis & doctrinê Christi, nec requirit bona opera nostra, immò damnat ea«. 171 Vgl. die Weidaer Artikel [Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148]; Melanchthons Mahnungen an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 121, Z. 8 ff.]; Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 29 ff. und Z. 47]; ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 3 ff.]; 20. 12. 1527 [MBW 633; MBW T 3, 231, Z. 11 f.] und 8. 1. 1528 [MBW 647; MBW T 3, 260, Z. 5 f. und Z. 10 f.] und seine allgemeinen Aussagen in MBW 584a [MBW T 3, 150, Z. 5 f.]; an Erasmus 23. 3. 1528 [MBW 664; MBW T 3, 289, Z. 48 f.] und an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 20 ff.]. 172 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 23 und 25]. 173 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 25].
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(Lk 24,47).174 Da Melanchthons Ansicht nach der eine Teil dieser Lehre, nämlich Gnade und Sündenvergebung, in den Gemeinden schon über die Maßen verkündigt wurde, lag ihm daran, daneben auch den anderen Teil, die Predigt von der Buße, als notwendige Voraussetzung und Vorbedingung des Glaubens zu forcieren. Dementsprechend erhielten mit der Buße in Zusammenhang stehende Themen breiten Raum in seinen »Articuli«. Dazu zählte auch das Gesetz, das nach Meinung Melanchthons besonders gut geeignet war, die Menschen zur Buße zu reizen.175 Aufgrund dieser Aussagen ist deutlich, daß Melanchthon das praktische Verhalten der Menschen, die Ethik, in besonderer Weise am Herzen lag – ein Erbe, das er dem Humanismus zu verdanken hatte.176 Neben den Anweisungen für die Verkündigung stellte Melanchthon Regeln auf, die bei der praktischen Umsetzung der neuen Erkenntnisse beachtet werden sollten: Es müsse besonders darauf geachtet werden, daß man durch allzu schnelle und radikale Veränderungen nicht die noch Schwachen im Glauben verletze, eine Forderung, die Melanchthon seit der Wittenberger Bewegung von 1521/22 am Herzen lag: Die Visitatoren hatten vom Kurfürsten den Auftrag erhalten, die evangelischen Sakramente in den Gemeinden durchzusetzen und die verbliebenen Mönche und Nonnen in den Klöstern dazu zu bringen, von ihren Irrtümern abzustehen und die neue Lehre anzunehmen,177 doch scheinen diese Anordnungen bei der Visitation nicht ohne weiteres durchsetzbar gewesen zu sein: Die Visitatoren ermahnten zwar die Nonnen und Mönche, von den Irrtümern des Klosterlebens Abstand zu nehmen, und diese bekannten auch ihre Offenheit für die neue Lehre, doch baten sie allenthalben darum, nicht mit Gewalt von ihren gewohnten Bräuchen wie Stundengebeten, Tonsur und Kutten gedrängt zu werden. Besonders hinsichtlich des Gebrauchs des Laienkelchs waren viele von Gewissensnöten geplagt. Da niemand zum neuen Glauben gezwungen werden sollte, unterwiesen die Visitatoren diese Menschen zwar in der neuen Lehre, gestanden ihnen aber in bezug auf ihre Bräuche für eine gewisse Zeit Sonderregelungen zu.178 Diese Erfahrungen aus den Klöstern übertrug Melanchthon in seinen »Articuli« auf das Leben in den Gemeinden: Auch hier sollten die Schwachen geschont werden, und zwar hinsichtlich der 174
Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 9 u. ö.]. Die Stelle Lk 24,47 lautet in der Vulgata folgendermaßen: »oportebat . . . praedicari in nomine eius [sc. Christi] paenitentiam et remissionem peccatorum in omnes gentes incipientibus ab Hierosolyma«. 175 Vgl. die Stellung des Dekalogs am Anfang des zweiten Teils der Weidaer Artikel [CR 26, 7 und Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148] und die Wichtigkeit des Gesetzes in Melanchthons »Articuli« [CR 26, 9. 25 f. 28]. 176 Vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 70, 92 und 94; Neuser, Abendmahlslehre, 271 und Meyer, Visitation Articles, 311. 177 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen 16. 6. 1527 [MBW 558; MBW T 3, 84, Z. 107 ff. und 92, Z. 388 ff.]. 178 Vgl. die Visitatoren an Johann von Sachsen 29. 7. 1527 [MBW 567; MBW T 3, 110, Z. 69 ff. und Z. 79 ff.; 112, Z. 142 f. und Z. 160 ff.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Abschaffung bestimmter Riten179 und bei der Einführung des Laienkelchs.180 Melanchthon ging es bei dieser Mahnung in Anknüpfung an Paulus darum, die Menschen, die in der neuen Lehre noch nicht ausreichend unterrichtet waren, nicht gegen ihr Gewissen zu etwas zu zwingen, in der Hoffnung, sie dadurch allmählich ganz für den neuen Glauben zu gewinnen. Diese kleine Gruppe von wirklich Schwachen grenzte er allerdings scharf ab von Leuten, die Schwachheit nur vorgaben und die gewonnene Freiheit zur Zügellosigkeit nutzen wollten.181
4.2 Die Kritik an Melanchthons Haltung bei der Visitation 4.2.1 Die Reaktionen der Altgläubigen auf die Visitation Melanchthons nicht für die Öffentlichkeit bestimmte, sondern nur als vorläufige Arbeitshilfe gedachte »Articuli« gelangten im Lauf des Sommers ohne sein Wissen nach Wittenberg, wurden dort wohl im September gedruckt und schnell verbreitet.182 Aus diesem Grund hatten schon bald auch weite Kreise der Alt179 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 24]. Im Hintergrund dieser Aussagen Melanchthons stand seine Aufteilung der kirchlichen Traditionen in zwei Gruppen: In die erste Gruppe verwies er Traditionen, die dem göttlichen Gebot widersprächen und daher ohne Zweifel abgeschafft werden müßten – wie zum Beispiel Kauf- und Seelmessen und Zölibat; in die zweite Gruppe sogenannte Mitteldinge, die zwar in bezug auf das Heil nicht notwendig seien und deshalb theoretisch abgeschafft werden könnten, die jedoch trotzdem beibehalten werden sollten, da sie dem Frieden und der Ordnung in der Kirche nützten – hier nannte er als Beispiele Feiertage und Kleidervorschriften. Seine Mahnung, bei der Abschaffung von Traditionen Rücksicht auf die Schwachen zu nehmen, bezog sich auf die zweite Gruppe; vgl. die Weidaer Artikel [Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148]; die Unterscheidung in Melanchthons »Articuli« [CR 26, 23]; seinen Brief an Düring 17. 11. 1527 [MBW 626; MBW T 3, 216–221; hier 219, Z. 23 f.] und die entsprechenden Aussagen im »Unterricht« [CR 26, 64 und 74 f.]. 180 Vgl. die Weidaer Artikel [Sehling, Kirchenordnungen 1/1, 148] und Melanchthons »Articuli« [CR 26, 19]. 181 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 24]. 182 Vgl. zur Datierung des Drucks Hammann, Nomismus und Antinomismus, 59 und den Verweis von Clemen, SupplMel 6/1, 394, Anm. 3 auf den Eintrag »mense Septembri« auf einem in Leipzig vorhandenen Exemplar der »Articuli«. Der terminus ad quem für den Druck ist Ende September / A nfang Oktober (vgl. Johann von Sachsen an Luther 30. 9. 1527 [WA Br 4, 254 f., Nr. 1150; hier 255, Z. 15 f.], wo er von den Reaktionen der Altgläubigen auf die Visitationsordnung sprach, bei der es sich nur um die »Articuli« handeln kann, und Melanchthon an Agricola ca. 2. 10. 1527 [MBW 598; MBW T 3, 173, Z. 8 f.]). Vgl. zu diesem Druck auch Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 21 ff.] und an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 198–202; hier 199, Z. 5 f.]. Es läßt sich nicht mehr nachvollziehen, auf welchem Wege die »Articuli« nach Wittenberg gelangten. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 28* f. und Neuser, Abendmahls lehre, 278 vermuten, daß die »Articuli« Ende Juli durch die Visitatoren an den Kurfürsten und durch diesen nach Wittenberg geschickt wurden und dort vielleicht durch Bugenhagen zum Druck gelangten. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da die Visitatoren dem Kurfürsten sicher nicht die lateinische Schrift, sondern eine Vorform des deutschen »Unterrichts« ge-
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gläubigen Kenntnis über Einzelheiten der in Kursachsen vorgenommenen Visitation. Viele scheinen die Ausführungen Melanchthons zu Buße und Beichte als »katholisch« empfunden und deshalb triumphierende Gerüchte verbreitet zu haben, die Lutherischen hätten Teile ihre Lehre widerrufen und seien zu römischen Positionen zurückgekehrt.183 Luther zeigte sich von diesem – wie er es nannte – »Rühmen« der Altgläubigen nicht besonders beeindruckt.184 Ganz anders Kurfürst Johann von Sachsen: Er war durch die Gerüchte sehr beunruhigt und bat daher Luther einige Tage nach der ersten Torgauer Konferenz um eine Vorrede für den Druck des »Unterrichts«, um dadurch klarzustellen, daß man in Kursachsen nicht zu römischen Mißbräuchen zurückkehre oder mit altgläubigen Positionen übereinstimme.185 Luther hielt trotz der Befürchtungen des Kurfürsten an seiner unaufgeregten Einschätzung des altgläubigen »Rühmens« fest: Er glaubte an ein baldiges Verstummen derartiger Äußerungen und vermutete hinter ihnen das altbekannte Wirken des Teufels, das mit jedem göttlischickt hatten (vgl. oben Anm. 145). Ich halte es für wahrscheinlicher, daß sich ein von der Visitation betroffener Pfarrer oder Prediger, am ehesten der mit Melanchthon persönlich bekannte Caspar Aquila (1488–1560) aus Saalfeld, eine Abschrift der Schrift erstellt und diese nach Wittenberg geschickt hatte: Die Visitatoren waren vom 21. bis zum 26. Juli in Saalfeld, also zu einem Zeitpunkt, als die Visitation schon fortgeschritten war und dementsprechend Melanchthons »Articuli« fast fertig gewesen sein dürften. Melanchthon wußte zudem zu einem Zeitpunkt, als er noch keine Kenntnis vom unerlaubten Druck seiner Schrift haben konnte, daß Aquila in Besitz der »Articuli« war (vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / A nfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150–152; hier 150, Z. 11 f.]). Dies alles könnte dafür sprechen, daß Melanchthon selbst Aquila während der Visitation in Saalfeld die »Articuli« zum Abschreiben zur Verfügung gestellt hatte. Vgl. zur Annahme einer handschriftlichen Verbreitung der »Articuli« auch Sell, Melanchthon und die Reformation, 63. 183 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 30. 9. 1527 [WA Br 4, 255, Z. 14 ff.]: »Wir wellen euch . . . nit bergen, das vns angelangt, als solten dy Bapisten etwas frolockung haben, das dise ordnung der visitation dergestalt als mit titelen der bus, beicht etc. ausgehen sol. Denn sy wollen solchs dohin deuten, als ob man yetzt von vorigen leren wider zuruck auff ire misbreuch fallen wolle«; Luthers Vorrede zum »Unterricht« [WA 26, 200, Z. 1 ff.]: »etliche rhümen: Unser lere habe uns gerewen, und seyen zu rück gangen und widderruffen«; Jonas an Lang 17. 10. 1527 [ Jonas-BW 1, 109 f., Nr. 107; hier 109]: »Sacerdotes papistici mire incipiunt insolescere haud aliter atque non victus . . . jaceat, sed victor . . . triumphet papa« und die Einschätzung bei Cochlaeus, Commentaria, 180: »Visitatores . . . nouam & pascendi & docendi normam tradebant, mediam ferme inter Catholicam & Lutheranam: de utraque enim aliquid mutuabantur«; vgl. zu weiteren altgläubigen Gerüchten unten Kap. 4.2.2.1 b). 184 Vgl. Luther an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Nr. 1143; hier Z. 7 ff.]. 185 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 30. 9. 1527 [WA Br 4, 255, Z. 18 ff.]: »Vnd ob sich wol die meynungen vnther berurten titelen mit der papisten misbreuchen, ßo sy der pus, beicht etc. halben bisanhere gefurt, nit vergleichen, Szo seghen wir doch nit fur vngueth an, das ir vnther eynen yeschen (?) titel der papisten bus, beicht vnd was dergleichen ist, vnd wie disse ordenung dauon rheden thut, mit eyner erclerung vntherscheiden hettet, domit irem vnnutzen geswetz vnd ergerniß domit destmeher beieget vnd dasselbige abgeleynt wurde, Vnd das sichs nit mit irer meynung vergleiche«. Der Wunsch des Kurfürsten nach einer Vorrede Luthers scheint bei der zweiten Torgauer Konferenz Ende November allgemein gebilligt worden zu sein; so sprach Johann in seinem Brief an Luther vom 3. 1. 1528 [WA Br 4, 325–327, Nr. 1200; hier 326, Z. 8 ff.] von einem entsprechenden »Abschied« der Konferenz.
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chen Vorhaben einhergehe. Allerdings mahnte er den Kurfürsten, man müsse darauf achten, daß aufgrund der altgläubigen Gerüchte nicht Uneinigkeit innerhalb der evangelischen Gemeinden entstehe.186 Mit dieser Befürchtung sollte Luther nicht ganz falsch liegen, wie sich im folgenden Abschnitt zeigen wird. Seine Hoffnung, daß sich die Gerüchte bald legen würden, erfüllte sich nicht, vielmehr verbreiteten sie sich weiter und sind noch im Jahr 1528 anzutreffen: Auf altgläubiger Seite sprach man zum einen von einem Widerruf Melanchthons und knüpfte daran die Erwartung, Melanchthon könne in den Schoß der römischen Kirche zurückgeholt werden187 – so hoffte zum Beispiel der Berater und Beichtvater König Ferdinands (1503–1564) Johannes Fabri (1478–1541) wegen der »Articuli« Melanchthons und der darin enthaltenen, seiner Ansicht nach von Luther abweichenden Aussagen, er könne ihn zum Abfall von Luther veranlassen, und bot ihm dafür eine Stelle bei König Ferdinand an.188 Zum anderen bezogen sich die Widerrufsgerüchte aber auch auf Luther selbst, der den »Unterricht« ja durch seine Vorrede mit zu seiner Schrift gemacht hatte.189 4.2.2 Die Kritik an Melanchthon aus den eigenen Reihen Melanchthons »Articuli« riefen aber nicht nur Freude bei den Altgläubigen hervor, sondern führten auch zu heftigen Angriffen gegen ihn in den eigenen Reihen. Es ist wichtig herauszustellen, daß Melanchthon nicht – wie viele Aussagen in der Forschungsliteratur vermuten lassen – nur von Johannes Agricola (1492/94/95–1566) angegriffen wurde, sondern daß die Vorwürfe gegen ihn von mehreren Personen aus dem lutherischen Lager erhoben wurden.190 Leider 186
Vgl. Luther an Johann von Sachsen 12. 10. 1527 [WA Br 4, 265 f., Nr. 1158; hier 265, Z. 5 ff.]; zur Bewertung der altgläubigen Gerüchte auch seinen Brief an Hausmann 7. 11. 1527 [WA Br 4, 277, Z. 4 ff.]. 187 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »Philippum quidem labascere . . . rati adversarii egerunt cum eo, ut ad se transiret, et conditiones tulerunt defectionis, ut putarunt, haud respuendas«. 188 Vgl. Melanchthon an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 377–380; hier 379, Z. 33 ff.]: »Faber ex Boemia ad me scripsit hortaturque, ut deficiam a Luthero, habiturum me defectionis premium conditionem aliquam apud Ferdinandum regem. Et interpretatur me labascere, quia in libello inspectionis ecclesiarum fuerim ἐπιεικέστερος«; [Z. 39]: »iudicant isti, scilicet homines acuti, me dissentire a Luthero«. 189 Vgl. zur Zuschreibung des »Unterrichts« an Luther Cochlaeus, Commentaria, 180; zu den Gerüchten über Luthers angeblichen Widerruf Erasmus an Gattinara 27. 7. 1528 [Erasmus-OE 7, 421 f., Nr. 2013; hier 422, Z. 22 ff.]; Fabri in seiner Schrift »Christenliche vnderrichtung . . . vber ettliche Puncten der Visitation / ßo jm Churfürstenthumb Sachssen ge halten / vnd durch Luther beschrieben / Welche antzunehmen vnd zuuerwerffen seyend« (VD 16 F 196), die am 24. 9. 1528 in Dresden gedruckt wurde [nach Helbling, Fabri, 39], und Cochlaeus in der auf den 2. 1. 1529 datierten Widmungsvorrede einer Schmähschrift gegen Luther mit dem Titel »Septiceps Lutherus, vbique sibi, suis scriptis, contrari, in Visitationem Saxonicam . . . êditus« (VD 16 C 4386) [nach Thiele / Brenner, WA 26, 188]. 190 Vgl. Melanchthon an Spengler 23. 10. 1527 [MBW 611; MBW T 3, 189, Z. 7 f.]: »Multis non perinde placuit libellus ille [sc. Articuli]«; im Rückblick an die kurfürstlichen Räte
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sind alle unmittelbaren Zeugnisse der Kritik verlorengegangen, so daß wir sie aus den Reaktionen und Berichten Melanchthons rekonstruieren müssen. Im folgenden sollen zunächst die Kritiker behandelt werden, die sich im unmittelbaren Zusammenhang der Visitation mit ihren Vorwürfen gegen Melanchthon wandten und dadurch die ersten sogenannten antinomistischen Streitigkeiten auslösten (4.2.2.1 a). In einem weiteren Abschnitt werden Kritiker behandelt, die sich nach Abschluß dieser Auseinandersetzungen im Jahr 1528 kritisch über Melanchthons Rolle bei der Visitation äußerten (4.2.2.1 b). Da sich die Vorwürfe all dieser Kritiker inhaltlich auf dieselben Verhaltensweisen und Aussagen Melanchthons beziehen, erscheint es sinnvoll, die Inhalte der Kritik bei der Darstellung der Streitigkeiten nur zu streifen und in einem eigenen Teil im Anschluß daran nach systematischen Gesichtspunkten zusammenzustellen (4.2.2.2). Zum besseren Verständnis der Positionen aller am Streit beteiligten Personen soll im Anschluß daran nach der Motivation der Kritiker (4.2.2.3), nach Melanchthons Umgang mit der Kritik (4.2.2.4) und nach Luthers Stellung zur Visitation und zur Kritik an Melanchthon (4.2.2.5) gefragt werden. 4.2.2.1 Melanchthons Kritiker und seine Auseinandersetzung mit ihnen a) Kritiker, die im unmittelbaren Zusammenhang der Visitation auftraten Caspar Aquila. Der erste Kritiker aus den Reihen der Lutherischen, von dem wir namentlich wissen, daß er an Melanchthons Aussagen in den »Articuli« Anstoß nahm, war Caspar Aquila. Er hatte einige Jahre an der Wittenberger Universität studiert und gearbeitet und kannte Melanchthon aus dieser Zeit persönlich. Im Frühjahr 1527 war er als Prediger nach Saalfeld berufen worden.191 Von der Visitation hatte er einen guten Eindruck gewinnen können, da er in der Zeit vom 21. bis zum 25. Juli in Saalfeld selbst von ihr betroffen gewesen war, Anfang August von Melanchthon einen Bericht über die Visitation in Kahla erhalten hatte und zudem in Besitz der »Articuli« Melanchthons war.192 Er scheint sich an den ihm papistisch anmutenden Ansichten Melanchthons in 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 363–366, Nr. 4515; hier 365]: »Eißleben und . . . andere« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »libellus [sc. Articuli] . . . non caruit obtrectatoribus variis; . . . conjunctos in caussa, non tam iniquos certe judices neque censores immites esse oportuit«; »apud quosdam suorum quoque ipse oneraretur suspicionibus, et invidia odioque premeretur, et hanc mercedem acciperet studii, diligentiae, laborum, fidei suae«. 191 Aquila war 1520 nach Wittenberg gekommen und hatte dort 1521 den Grad eines magister artium erworben. Von 1524 bis 1527 war er Schloßprediger in Wittenberg gewesen, bevor er am 28. 4. 1527 die Berufung nach Saalfeld erhalten hatte (vgl. Mitzenheim, Kirchen- und Schulvisitation, 16 und Biundo, Aquila, 19 und 30 f.). 192 Vgl. zur Visitation in Saalfeld und zur Betroffenheit Aquilas das Antwortschreiben des Rates [Mitzenheim, Kirchen- und Schulvisitation, 8–12; bes. 9] und Biundo, Aquila, 33 f. Melanchthons Bericht aus Kahla findet sich im Brief an Aquila Anfang August 1527 [MBW 568; MBW T 3, 120 f.]; zu den »Articuli« Melanchthons in Aquilas Besitz oben Anm. 183.
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den »Articuli« gestoßen und ihm dies Mitte bis Ende August in einem Brief vorgehalten zu haben.193 Melanchthon war enttäuscht darüber, daß der von ihm geschätzte Aquila sein wohlwollendes Urteil über ihn offenbar geändert hatte.194 Er versuchte, die Kritik Aquilas auf die Situation in Saalfeld zurückzuführen: Aquila hatte von rücksichtslosen Priestern und halsstarrigen Mönchen berichtet, die ihm und den anderen Evangelischen das Leben schwer machten und sich nun aufgrund der Aussagen Melanchthons in den »Articuli« noch frecher erhoben hätten.195 Einige radikale Luther-Anhänger scheinen daher zu einem harten Vorgehen gegen die Altgläubigen und vor allem gegen die Mönche aufgerufen und vielleicht in diesem Zusammenhang auch die Äußerungen und das Verhalten Melanchthons bei der Visitation kritisiert zu haben.196 Nach dem Eindruck Melanchthons drohte Aquila von deren Verhalten angesteckt zu werden. Deshalb betonte er, man müsse Lästerer wie die Altgläubigen ertragen, dürfe sich nicht an ihnen rächen und sich dadurch von Radikalen aus dem eigenen Lager mißbrauchen lassen.197 Die inhaltliche Kritik Aquilas an den Aussagen der »Articuli« suchte Melanchthon zu zerstreuen, indem er die theologischen und seelsorglichen Hintergründe seiner eigenen Haltung deutlich machte.198 193 Ein entsprechender Brief Aquilas ist nicht mehr erhalten (vgl. Wetzel, MBW T 3, 150, Q 1), Rückschlüsse auf die Vorwürfe lassen sich aber aus Melanchthons Reaktionen an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150–152] und ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; Regest 638; MBW T 3, 160–162] ziehen. 194 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 6 f.], wo er seine Enttäuschung über Aquila im Anschluß an Ovid, Heroides 5, 29–32 in ein sehr ausdrucksstarkes Bild faßte: »Citius putavi posse Salam vestrum recurrere ad fontes suos quam tuum de me iudicium mutari«; vgl. zu diesem Sprichwort Erasmus, Adagia 1, 3, 15. 195 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 1 f.]: »Accepi tuam querelam . . . de quorundam sacrificulorum importunitate«; [151, Z. 31 f.]: »quidam, inquies, tollunt cristas [vgl. zu diesem Sprichwort Erasmus, Adagia 1, 8, 69 und Wander, Sprichwörter-Lexikon 2, 1123, Nr. *20], maledicunt evangelio, quia quaedam in veteri doctrina approbamus« und ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 6 ]: »monachorum maledicta vel aliorum calumniae«; zudem den Hinweis auf halsstarrige Mönche unter den Saalfelder Franziskanern bei Biundo, Aquila, 35. 196 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 38 f.]: »Quidam, ut suspicor, te adversus eos [sc. monachos] incitant«. 197 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 32 ff.]: »Quid hoc aliud est quam velle regnare non velle perpeti quenquam qui nobis maledicat? Hos tu ferre aequo animo et vincere patientia debes«; [Z. 4 4 f.]: »Crede mihi, advigilandum est tibi, ne tua autoritate quidam ad compendium suum abutantur«; [Z. 47 ff.]: »Hoc te rogo per Christum, ut . . . adversarios patientia vincas, non certes cum maledicis maledicendo«; [Z. 52 ff.]: »Sanare animos . . . adversariorum . . . debes, non alere . . . odia . . . Proinde dissimulabis alicubi aliorum maledicta nec semper putabis referiendos esse« und ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 5 ff.]: »Eos qui tibi non commissi sunt sinas valere καὶ οἰμώζειν. Nec te vel monachorum maledicta vel aliorum calumniae commoveant, ut, quod alienissimum esse a doctoribus ecclesiae debet, apud miseram plebeculam rixeris et tuos adfectus minime idoneo loco ulciscaris«. 198 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150 f.].
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Aquila scheint Melanchthon darauf hin um Verzeihung gebeten zu haben, und dieser nahm die Entschuldigung an.199 Noch einmal ermahnte er Aquila, sich von Verleumdungen unlauterer und ungebildeter Menschen nicht beeindrucken zu lassen oder diese gar auf die Kanzel zu bringen, sondern sich um die Lehre nützlicher Fragen zu kümmern, wie es sich für einen vir bonus gehöre.200 In den folgenden Monaten scheint sich Aquila an diese Mahnungen gehalten zu haben, denn in den erhaltenen Briefen ihrer Korrespondenz aus dieser Zeit scheint keine weitere Kritik des Aquila auf.201 Erst Mitte November regten sich bei Aquila erneut heftige Vorwürfe gegen Melanchthon.202 Vielleicht hatte Aquila in der Zwischenzeit Kontakt zu Agricola, dem zweiten noch zu behandelnden Kritiker Melanchthons, gehabt oder dessen Schrift gegen Melanchthons »Articuli« zu Gesicht bekommen.203 Melanchthon wies auch die neuerliche Kritik Aquilas energisch zurück und appellierte an ihre Freundschaft. Er vermutete, daß Aquila wiederum einem Verleumder aufgesessen war, und forderte ihn auf, nicht einem solchen Lügner, sondern ihm zu glauben. Er sei nicht bereit, sich von einem solch unredlichen Menschen richten zu lassen, sondern unterstelle sich nur dem Urteil Christi.204 199 Auch dieser Brief Aquilas fehlt und muß aus Melanchthons Antwort erschlossen werden; vgl. ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 2 f.]: »Mihi quidem, mi Caspar, facile patior abs te satisfieri. Est enim perspecta mihi tua erga me voluntas perpetua«. 200 Vgl. Melanchthon an Aquila ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 10 ff.]: »non putabam omnium calumniis nos moveri debere«. Auch hier verwendete Melanchthon ein sprechendes Bild, um seine Aussagen zu verdeutlichen: »Tam leves et frivolae sycophantiae non plus ad bonos viros pertinent quam Indorum aut Arabum plebiscita [Indien galt im Mittelalter als fernes Wunderland, vgl. Gregor, Indienbild, 53]. Sine igitur maledicere improbos, nec tu ea maledicta ex cauponis in concionem adfer, sed his dissimulatis tuam rem age et doce utilia. Ita facile vinces istos sycophantas«. 201 Vgl. Melanchthon an Aquila Anfang November [MBW 618 und 619; MBW T 3, 205 f. und 207]. 202 Auch die unmittelbaren Zeugnisse dieser Vorwürfe sind verschollen (vgl. Wetzel, MBW T 3, Q 3), und wir müssen uns wieder auf Melanchthons Reaktionen verlassen; vgl. seine Briefe an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212 f.] und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 214–216; hier 215, Z. 1 f.]: crimina, »quae mihi abs te obiecta sunt«. 203 Vgl. zu den freundschaftlichen Beziehungen zwischen Agricola und Aquila Hammann, Nomismus und Antinomismus, 34*, Anm. 6 ; zu Agricolas Kritik den folgenden Abschnitt. 204 Vgl. Melanchthon an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212, Z. 1 ff.]: »Hoc scilicet ad summas animi mei molestias accedit, ut tu quoque a me talibus calumniis abalieneris. Sic habe: Ego nec dixi unquam neque cogitavi quae scribis, et potes has literas ostendere autori illius fabulae, quisquis est. Ego eum non dubito affirmare vanissimum ac mendacissimum omnium hominum esse. Et ut fiduciam meae conscientiae aestimare possis, nunc te rogo, ut has meas literas exhibeas omnibus qui ad te hos sermones detulerunt« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 3 ff.]: »ille, quisquis est, autor maledicti istius quod scripsisti sceleste mentitur, nec vererer cum eo expostulare, si nossem hominem. Nunc te rogo, mihi ut malis fidem habere quam illi sycophantae«; [Z. 9 ff.]: »Quisquis tandem est qui sic de me pronunciat, cur iudicat de alieno servo? Christi hoc iudicium est, non est hominum«; [216, Z. 53 ff.]: »Quaeso . . . te, ut . . . nec patiaris te a me abalienari per improbos quosdam sycophantas quibus voluptati est ecclesiae dissidium«; zu Melanchthons Charakte-
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Man könnte diese Aussagen dahin deuten, daß auch Melanchthon einen Zusammenhang zwischen der Kritik des Agricola und den neuerlichen Vorwürfen des Aquila vermutete. Aquila scheint sich infolge dieser Mahnungen Melanchthons noch einmal bei ihm entschuldigt zu haben, und Melanchthon nahm dies wieder an. Er versicherte ihn seiner unveränderten Zuneigung, erklärte aber im Gegenzug dazu seine Hoffnung, daß auch Aquila sich sein Wohlwollen ihm gegenüber bewahre.205 Damit scheint Melanchthon die Kritik des Aquila endgültig zum Schweigen gebracht zu haben, denn der weitere Briefwechsel der beiden Theologen zeugt von einer Normalisierung ihres Verhältnisses. Melanchthon warnte ihn allerdings weiterhin vor Polemik gegenüber den Altgläubigen.206 Johannes Agricola. Der öffentlichkeitswirksamere und folgenreichere Kritiker des Jahres 1527 war Johannes Agricola, der damals als Leiter der neugegründeten Lateinschule und Prediger an St. Nicolai in Eisleben wirkte. Seit ihrer gemeinsamen Wittenberger Zeit war er ein enger Freund von Luther und Melanchthon.207 Agricola nahm ähnlich wie Aquila Anstoß an Melanchthons Äußerungen und Verhalten im Zusammenhang der Visitation. Allerdings wandte er sich mit seiner Kritik nicht wie Aquila direkt an Melanchthon, sondern beklagte sich Mitte bis Ende August bei Luther.208 Vielleicht wollte er durch diesen Brief ausloten, ob er sich mit seiner Kritik in Übereinstimmung mit Luther risierung seines Rechtfertigungsbriefes (= MBW 623) MBW 625 [MBW T 3, 215, Z. 1]: »Scripsi tibi . . . meque purgavi de criminibus« und an Aquila 21. 11. 1527 [MBW 628; MBW T 3, 223, Z. 12 ff.]: »litterae, quibus te placare volui, hominem tam veteri mihi devinctum amicitia«. 205 Auch dieser Entschuldigungsbrief des Aquila ist verschollen und läßt sich nur aus Melanchthons Antwort erschließen; vgl. an Aquila 20. 12. 1527 [MW 633; MBW T 3, 230 f.; hier 231, Z. 2 ff.]: »Recipio tuam satisfactionem, mi Caspar, teque adhortor, ut, quod decet virum doctrinam caritatis profitentem, benevolentiam erga me tuam retineas«; [Z. 8 ff.]: »te rogo, ut cum erga me tum erga alios caritatem, quam tantopere commendat nobis Christus, summa cura summaque patientia retinendam tibi esse statuas. Meus erga te animus est idem qui semper fuit, hoc est tui amantissimus«. 206 Vgl. Melanchthon an Aquila 8. 1. 1528 [MBW 647; MBW T 3, 259 f.; hier 260, Z. 1], wo er sich für ein Geschenk des Aquila bedankte und ihn seines Wohlwollens versicherte, gleichzeitig aber auch ermahnte [Z. 5 f.]: »Moderate docendo plus proficies quam conviciis«; ähnliche Mahnungen an Aquila auch am 15. 1. 1529 [MBW 745; MBW T 3, 435, Z. 4 ff.]. 207 Agricola war zum Wintersemester 1515/16 in Wittenberg immatrikuliert worden und hatte sich bald der Reformation Luthers angeschlossen. 1518 hatte er den Grad eines magister artium, 1519 zusammen mit Melanchthon den eines baccalaureus in bibliis erworben. Danach hatte er an der philosophischen Fakultät in Wittenberg gelehrt und war als Katechet an der Pfarrkirche tätig gewesen. Seit 1525 war er in Eisleben (vgl. Kawerau, Agricola, 13 ff., 30 f. und 59 f.) und stand in sehr regelmäßigem und herzlichem Brief kontakt zu Melanchthon; aus den Jahren 1525 bis 1527 vor den Streitigkeiten sind bei Scheible, MBW R 1 24 Briefe verzeichnet. 208 Auch dieser Brief ist nicht mehr erhalten, und die Angriffe gegen Melanchthon müssen aus Luthers Antwortbrief an Agricola vom 31. 8. 1527 [WA Br 4, 241 f., Nr. 1138] rekonstruiert werden.
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befand. Aus Luthers Antwort geht hervor, daß Agricolas Vorwürfe ziemlich vage waren. Dies spricht dafür, daß Agricola Melanchthons »Articuli« noch nicht zu Gesicht bekommen, sondern vermutlich durch Gerüchte oder auch aus Berichten Aquilas von Melanchthons Verhalten bei der Visitation erfahren hatte.209 Luther versuchte in seiner Antwort, Agricola zu beschwichtigen, indem er ihm versicherte, er werde mit Melanchthon über alle strittigen Fragen verhandeln, wenn dieser nach Wittenberg komme. Er ermahnte Agricola, Geduld zu haben und das notwendige Werk der Visitation nicht vorzeitig und ohne genauere Kenntnisse zu behindern.210 Melanchthon erfuhr von diesen Anschuldigungen Agricolas erst durch Luther bei der ersten Torgauer Konferenz Ende September. Sicher war diese Nachricht mit dafür verantwortlich, daß er wenige Tage später gegenüber dem Wittenberger Professor Justus Jonas (1493–1555) seine unglückliche Lage beklagte.211 Am gleichen Tag wandte er sich in einem Brief auch an Agricola selbst: Zu Anfang äußerte er sich befremdet über das lange Schweigen Agricolas, mit dem er ja seit Jahren in regelmäßigem Brief kontakt stand: Hinter dieser Äußerung stand vermutlich die Enttäuschung darüber, daß sich Agricola mit seiner Kritik nicht direkt an ihn, sondern zuerst an Luther gewandt hatte. Zur Kritik Agricolas, von der er in Torgau erfahren hatte, nahm er nur kurz Stellung: Er gab seiner Vermutung Ausdruck, Agricola habe falsche Informationen über die Visitation erhalten, und verwies darauf, daß seine »Articuli« in Torgau von den meisten Anwesenden gebilligt worden seien. Melanchthon glaubte wohl, die Vorwürfe Agricolas ähnlich wie die Aquilas mit wenigen Worten aus der Welt schaffen zu können. Auch die Tatsache, daß er Agricola als seinen besten Freund ansprach, spricht dafür, daß Melanchthon zu diesem Zeitpunkt noch keine ernsthafte Störung ihrer Freundschaft befürchtete.212 Zunächst scheint Agricola die Mahnungen Luthers beherzigt und sich mit Melanchthons Äußerungen zufrieden gegeben zu haben, zumal er wohl keine weiteren Einzelheiten der Visitation kannte, denn er schwieg bis Mitte Oktober. Als er allerdings von den Beschlüssen der ersten Torgauer Konferenz, die Visitation fortzusetzen und den »Unterricht« drucken zu lassen, erfuhr und die 209
Vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 71 f. und 34*, Anm. 6 und Wengert, Law and Gospel, 108. 210 Vgl. Luther an Agricola 31. 8. 1527 [WA Br 4, 241, Z. 24 ff.]: »De visitatoribus nostris et eorum decretis agemus, cum aderit Philippus; . . . Interim patientiam habeto, et disputationes super hac re coërceto, ne opus istud necessarium visitationis ante tempus et ante causam impediatur in cursu suo«. 211 Vgl. Melanchthon an Jonas ca. 2. 10. 1527 [MBW 599; MBW T 3, 174, Z. 8 ff.]: »in eiusmodi miserias . . . in quales ego, nescio quomodo, praecipitatus sum«. 212 Vgl. Melanchthon an Agricola ca. 2. 10. 1527 [MBW 598; MBW T 3, 173, Z. 1]: »amico suo summo«; [Z. 5 ff.]: »Thorgae . . . cognovi me quoque falso delatum esse apud te . . . Ego quae gessi omnia et in eo libello quem vidisse te opinor scripsi, et satisfecit ipse Luthero ille libellus ac plaerisque aliis«.
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gedruckten »Articuli« Melanchthons zu sehen bekam, griff er Melanchthon heftig an: 213 Mitte Oktober verbreitete er zum einen eine Schrift gegen die »Articuli« mit dem Titel »Censura in articulos visitatorum«,214 zum anderen wandte er sich erneut mit einem Brief an Luther.215 Auch jetzt informierte er also nicht Melanchthon direkt, sondern streute seine Vorwürfe. In der Bevölkerung scheint er damit gut angekommen zu sein, so daß die Schar der Gegner Melanchthons wuchs.216 Agricolas Schrift gelangte auch in die Hände von Gegnern der Reformation wie Herzog Georg von Sachsen und ließ die Altgläubigen erneut über Melanchthons angeblich altgläubige Positionen und die Uneinigkeit der Lutherischen triumphieren.217 Als Melanchthon durch Freunde von dieser neuerlichen und intensivierten Kritik des Agricola erfuhr, war er so niedergeschlagen, daß er davon seinen eigenen Angaben zufolge sogar krank wurde.218 Dies beunruhigte Luther und war sicher ein Grund dafür, daß er Me213
Vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 72 und 80. Diese Schrift ist nicht mehr erhalten. Vgl. zu ihrem Titel Wetzel, MBW T 3, 186, Q 26 und 232 Q 13. Über ihren Inhalt ist nur das bekannt, was sich in Melanchthons Reaktionen findet, allerdings ist mit Hammann, Nomismus und Antinomismus, 82 davon auszugehen, daß sich ihr Inhalt darin erschöpfte. Wahrscheinlich wurde sie nur handschriftlich verbreitet (vgl. Kawerau, Agricola, 145 und Hammann, a. a. O., 80). Kordes, Agricola’s Schriften, 143 vermutet, daß es nur wenige Exemplare der Schrift gab und diese sich schnell verloren oder mit der Zeit bewußt vernichtet wurden. Vgl. Melanchthons Äußerungen zu dieser Schrift in den Briefen an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 26 f.]: »Composuit quidam e nostris peracerbam sane censuram in id scriptum [sc. articulos]« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 231–237; hier 233, Z. 18 f.]: Agricola »suam censuram spargi per universam Germaniam voluit«. Melanchthon nannte Agricola wohl infolge dieser Schrift seinen censor (vgl. an Aquila Anfang November 1527 [MBW 619; MBW T 3, 207, Z. 9 ] und 21. 11. 1527 [MBW 628; MBW T 3, 223, Z. 15]; außerdem Camerarius, De vita Melanchthonis, 123 (Zitat in Anm. 191)). Vgl. auch den Rückblick auf diese Kritik in Melanchthons Gutachten für August von Sachsen vor 10. 3. 1559 [MBW 8886; CR 9, 763–775, Nr. 6705; hier 764]. 215 Auch dieser Brief fehlt (vgl. Wetzel, MBW T 3, 191, Q 14), von dem Luther Melanchthon am 27. 10. 1527 berichtete [MBW 612; MBW T 3, 189–192; hier 191, Z. 14]. 216 Vgl. Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 27 f.]: »Nunc de me aiunt eum triumphare, tanquam si regem Gallorum in acie cepisset« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 232, Z. 10 ff.]: »Non ignorabam, . . . quos de me triumphos agerent quidam, quomodo circumferretur in omnibus symposiis Islebii libellus, quae ἐπισημασίαι , qui plausus essent populi«. 217 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 20 f.]: »Scriptum . . . etiam ad ducem Georgium perlatum sit ac Lipsiae saepe descriptum« und Jonas an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 321–325, Nr. 1199; hier 323, Z. 44 ff.]: »Eislebii scriptum et censuram audio late sparsam in multorum manus peruenisse, etiam in aulam Ducis Georgii, antequam ad Philippum daretur. Hic videres exultantes eos, qui hostes eius doctrinae et dici et haberi volunt«. 218 Vgl. zum Weg der Informationen Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 33 f.]: »Sic ego audio apud amicos« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 19 ff.]: »Omnes eius [sc. Agricolae] sermones minacissimi inhumanissimique ad me perlati sunt. Scriptum ita celatum est, ut . . . mihi videre non contigerit«. Um eine noch größere Öffentlichkeitswirksamkeit der Kritik zu verhindern, vertraute Melanchthon vieles seinen Briefen nicht an (vgl. an Spalatin 19. 10. 1527 [MBW 607; MBW 214
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lanchthon gegenüber die Bedeutung der Kritik Agricolas herunterzuspielen versuchte, indem er von einem bloßen Streit um Worte sprach.219 Ende Oktober wandte sich Agricola mit seiner Kritik schließlich auch an Melanchthon persönlich 220 und gab ihm dadurch Gelegenheit, sich gegenüber seinem Kritiker direkt zu erklären. Melanchthon legte Agricola in seiner Antwort ausführlich seine Sicht der Dinge dar, betonte seine Hoffnung auf ein Gespräch unter Gelehrten und bat ihn um ein gerechtes und aufrichtiges Urteil. Er sprach Agricola auch jetzt noch als Freund an und bemühte sich durchweg um versöhnliche Worte.221 Da sich Agricolas Schrift und in ihrem Gefolge die heftige Kritik an Melanchthon weit verbreiteten, blieben die Meinungsverschiedenheiten zwischen beiden auch dem kursächsischen Hof nicht verborgen.222 Melanchthon hatte zwar versucht, sie gegenüber Spalatin kleinzureden,223 doch hatte dies nicht die erwünschte Wirkung gezeigt: Im Gegensatz zu Luther beurteilte nämlich Kurfürst Johann den Streit als eine ernste Kontroverse, die möglichst schnell beigelegt werden mußte, und lud aus diesem Grund Ende November zur sogenannT 3, 182, Z. 4 f.]: »Caetera non audeo literis committere« und MBW 610 [MBW T 3, 188, Z. 58 ff.]: »Multa tecum [sc. Camerarius] volebam in his literis commentari, sed . . . eiusmodi sunt, ut literis committenda non putarim . . . has ipsas litteras, cum legeris, rogo te ut concerpas«). Vgl. zu Melanchthons Niedergeschlagenheit MBW 610 [MBW T 3, 186, Z. 3 f. und 188, Z. 56 ff.] und die rückblickenden Aussagen in MBW 634 [MBW T 3, 232, Z. 13 f.]; zur körperlichen Getroffenheit Melanchthons durch die Vorwürfe die Verwendung der Verben flagellare und vapulare als Bezeichnung für die Kritik des Agricola in den Briefen von Luther an Melanchthon 27. 10. 1527 [MBW 612; MBW T 3, 191, Z. 13] und von Melanchthon an Aquila Anfang November 1527 [MBW 619; MBW T 3, 207, Z. 9 ] und 20. 12. 1527 [MBW 633; MBW T 3, 231, Z. 13]. 219 Vgl. Luther an Melanchthon 27. 10. 1527 [MBW 612; MBW T 3, 190, Z. 4 ff.]: »Quod colica te discruciat, doleo oroque Christum, quantum possum, ut te sanet ac servet. Nam te superstitem mihi valde cupio in tantis perturbationibus ecclesiae«; [191, Z. 15]: »ego pugnam istam verborum non magni puto, presertim apud vulgum«. 220 Auch dieser Brief von Agricola an Melanchthon fehlt (vgl. Wetzel, MBW T 3, 199, Q 1). 221 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 199, Z. 1 ff.]: »Tuae literae valde gratae mihi fuerunt, quia simpliciter libereque admonuisti, quid de illo meo libello iudices. Aristophanes inquit doctos homines debere inter se ἐλέγχειν καὶ ἐλέγχεσθαι. Quare et mihi moneri abs te, et amicissimo et doctissimo homine, gratum est, ut non recusem agnoscere errorem, sicubi lapsum me esse animadvertero«; [200, Z. 12 f.]: »apud te, hoc est, ut statuo, aequissimum iudicem, causam dico«; [202, Z. 58 f.]: »Id . . . te rogo, ut candide interpreteris ea quae scripsimus«. 222 Spalatin und der Kurfürst müssen schon sehr früh von den Vorwürfen erfahren haben; vgl. Luther an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Z. 5 f.]: »Visitatoribus nostris non satis digne referri gratias ab iis, qui eos ita traducunt vobis« und Melanchthon an Spalatin nach 19. 10. 1527 [MBW 608; MBW T 3, 183 f.; hier 183, Z. 21]: »De Islebio miror unde rescieris«. 223 Vgl. Melanchthon an Spalatin Anfang November 1527 [MBW 620; MBW T 3, 207– 209; hier 208, Z. 24 ff.]: »De Islebio noli esse sollicitus. Ego enim, ut spero, sanabo hanc offensiunculam. Nec puto esse eum alieniore erga me animo, quam fuit unquam. Ego certe de mea voluntate erga illum nihil mutavi. Est mihi, ut fuit semper, carissimus, et arbitror me ab eo redamari. Sed est, ut scis, arguto ingenio«.
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ten zweiten Torgauer Konferenz, bei der über Melanchthons Aussagen und Agricolas Vorwürfe entschieden werden sollte.224 Melanchthon vermutete, daß ihm infolge von Agricolas Schrift am kurfürstlichen Hof Feinde entstanden waren, und befürchtete daher ernsthafte Konsequenzen des Streites für sich selbst.225 Die Besprechung fand wahrscheinlich am Vormittag des 29. November statt, und neben Agricola und Melanchthon waren Luther, Bugenhagen, Schurff, Spalatin, von Haugwitz und der Eislebener Pfarrer Caspar Güttel (1471–1542) anwesend.226 Die Grundlage der Diskussion bildeten Melanchthons »Articuli«. Man begann mit dem besonders umstrittenen Thema der Buße und kam darüber anscheinend auch nicht hinaus: Agricola wiederholte seine Kritik an den Aussagen Melanchthons in diesem Punkt, und Melanchthon legte seinen Standpunkt dar.227 Luther formulierte darauf hin eine Einigungsformel, die später dem »Unterricht« eingefügt wurde.228 Da Agricola in der offiziellen Sitzung keine weiteren Kritikpunkte ansprach und nur bei Tisch im Gespräch mit Melanchthon zusätzliche Vorwürfe vorbrachte, war der Streit mit diesem Treffen zunächst beigelegt, und alle Beteiligten schienen mit der Torgauer Entscheidung zufrieden zu sein.229 224 Vgl. Johann an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 325–327, Nr. 1200; hier 326, Z. 3 ff.]; Melanchthon an Aquila 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 6 ]; 21. 11. 1527 [MBW 628; MBW T 3, 223, Z. 14 ff.]: »Die Saturni iter suscipiam versus Torgam, ubi audiendi mihi sunt censores mei, qui valde, ut Graeci dicunt, ἀποτόμως inquirunt in meum libellum« und im Rückblick an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 35 ff.]. 225 Vgl. Melanchthon an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212, Z. 8 f.]: »iam vocor in aulam, causam dicturus capitis, opinor, propter illud scriptum« und an Düring 17. 11. 1527 [MBW 626; MBW T 3, 216–221; hier 218, Z. 2 f.]; zudem im Rückblick an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 31 ff.]: »Hoc certissimum est inimicissime de me locutos esse quosdam in aula, accensos illo Islebii libello, quorum gratiam non usque adeo contemno, ut magnopere gaudeam eos a me abalienari«; [234, Z. 48]: »ille amicum in summam invidiam ac discrimen vocavit« und zwanzig Jahre später an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217; hier 881]: »ita accenderunt adversus me aulam . . ., ut vita mea in discrimen veniret«. Vgl. eine ähnliche Aussage bereits im Brief an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 11]: »video mihi plane capitalia crimina obiici«. 226 Vgl. zur Datierung der Konferenz Hammann, Nomismus und Antinomismus, 89; zu den Anwesenden Clemen, WA Br 4, 296, Anm. 13; Hammann, a. a. O., 90 und Scheible, MBW R 1, 283 (zu MBW 634). 227 Vgl. Melanchthon 20. 12. 1527 an Aquila [MBW 633; MBW T 3, 231, Z. 13 f.]: »Fui Torgae, ubi sic satis vapulavi, tametsi meus Aristarchus non fuit tam acerbus, quam quidam fore suspicati erant« und an Jonas [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 37 ff.]: »Lectus liber est, ac primus ille locus de poenitencia agitatus. Ibi cum alii nihil viderent vicii, Islebius contendit pugnare meum scriptum cum scriptura et cum Lutheri dogmatibus«. 228 Vgl. die Einigungsformel Luthers bei Seidemann, Schriftstücke, 116 f. und im »Unterricht« [CR 26, 51 f.]; zu ihrer Einfügung in den »Unterricht« Kawerau, Agricola, 149 und Wetzel, MBW T 3, 234, Q 37. 229 Vgl. Melanchthon an Amerbach 28./29. 11. 1527 [MBW 629; MBW T 3, 224 f.; hier 225, Z. 11 f.]: »Nunc inter gymnasiarcham vestrum et me satis convenit« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 57 f.]: »Lutherus sic altercantibus nobis diremit controversiam«; [235, Z. 61 f.] »Postea in toto volumine nihil reprehendit amplius. Tantum inter
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Für Luther war die Sache damit vom Tisch, und er betonte in einem Brief an Jonas noch einmal die Nichtigkeit der Auseinandersetzung.230 Jonas allerdings äußerte Zweifel an dieser Wahrnehmung und Bewertung der Tatsachen durch Luther und vermutete, sie entspringe eher seinem Wunschdenken als der Wirklichkeit.231 Bei Melanchthon hielt die Zufriedenheit nicht sehr lange an, denn bereits einen Monat später wandte er sich in einem Brief an Jonas und bat ihn um Vermittlung im Streit mit Agricola.232 An Luther hatte sich Melanchthon in dieser Sache nicht wenden wollen, weil dieser unter starken Anfechtungen litt und deshalb nicht noch zusätzlich belastet werden sollte.233 Er legte Jonas in diesem Brief in aller Ausführlichkeit die gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe und seine eigenen bei der Visitation befolgten Grundsätze dar,234 aber es scheint ihm nicht in erster Linie um ein inhaltliches Urteil von Jonas gegangen zu sein, zumal ein solches ja in Gestalt der Einigungsformel Luthers bereits vorlag. Der Anlaß für Melanchthons Vermittlungsbitte an Jonas ist vielmehr auf der persönlichen Ebene zu suchen: Zum einen befürchtete er wohl noch immer, Agricola werde ihn zu einer offiziellen Stellungnahme in dieser Auseinandersetzung drängen und dadurch dem Streit eine noch breitere Öffentlichkeitswirkung geprandendum mecum tacite litigabat«. Von Agricola sind aus dieser Zeit keine Briefe erhalten, doch die Berichte anderer lassen erkennen, daß er zunächst schwieg. 230 Vgl. Luther an Jonas 10. 12. 1527 [WA Br 4, 294–297, Nr. 1180; hier 295, Z. 23 ff.]: »Famosa dissensio nostra Torgae paene plus quam nihil fuit; hoc unum, quod tu ex Eislebio accepisti, proponebatur moxque sedebatur, atque per omnia consensimus pulchre, . . . Maximum, quod fecimus, erat, quod sumptu Principem oneravimus, optimum autem, quod factum est, quod ea dissidii fama vel suspicio ibi sepulta est, Deo gratia et gloria; proinde, quod nihil ad te scripsi de ista tragoedia, fecit, quod adeo nihil esset et contempta haberetur« und Jonas an Lang 29. 1. 1528 [ Jonas-BW 1, 116 f., Nr. 120; hier 116]. 231 Vgl. Jonas an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 323, Z. 42 ff.]: »Tu mihi . . . de hac re scribere videris potius, ut optas, quam ut sentis, contemptam et leuem fuisse hanc tragediolam, quam non dignam putaris, ut perscriberetur ad me«. 232 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 70 f.]: »Neque enim dubito te facere arbitrum totius controversiae«. 233 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 87 ff.]: »Et nunc Lutherus ita omni genere adflictionum oppugnatur, ut sit mihi molestum addi ei aliquid oneris a nobis«; zudem Jonas an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 323, Z. 32 ff.]: »Contentio illa inter Philip[pum] et Eislebium mire me contristauit, quod scirem certo id tibi permolestum fore et accessurum id quoque tuis grauissimis tentationib[us], quas a nobis tuis discipulis imminutas, non auctas oportuit«. 234 Melanchthon begann seine Darstellung mit einem Zitat des Musenanrufs (»o Calliope«) aus dem neunten Buch der Aeneis [9,525], mit denen Vergil (70–19 v. Chr.) dort die Schilderung der Kampfszenen des letzten Buchdrittels einleitete, und betonte, er werde über den Streit mit Agricola und seinen eigenen Standpunkt ohne große Vorreden und Affekte in aller Offenheit das Nötigste berichten; vgl. an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 232, Z. 8 ff.]: »Scribam enim de dissensione . . . simplicissime ἄνευ παθῶν καὶ προοιμιίων, iuxta nostrae civitatis legem« (in Athen war es nämlich verboten, vor Gericht mit langen Vorreden und Affekten den Richter für sich einzunehmen, vgl. zu diesem Sprichwort Erasmus, Adagia 3, 3, 96); [233, Z. 16]: »scribam omnia quae existimo te requirere«; [237, Z. 118 f.]: »Haec scripsi ad te liberius, quam unquam adhuc cum quoquam hominum locutus sum«.
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ben als bisher, und wollte dies in jedem Fall verhindern.235 Zum anderen lag Melanchthon sehr an einer Versöhnung mit Agricola und an der Wiederherstellung ihrer alten Freundschaft, was er selbst aber offensichtlich bei Agricola weder durch seine Freundlichkeit in Torgau noch durch sonstige Bitten hatte erreichen können.236 Jonas sollte nun Agricola von der Versöhnungsbereitschaft Melanchthons berichten, ihn dadurch Melanchthon gegenüber freundlich stimmen und zum Frieden ermahnen.237 An diesem Brief ist zudem interessant, daß Melanchthon darin die Vermutung aussprach, Agricola habe nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern sei von einer anderen Person zu den Angriffen gegen ihn gedrängt worden. So versuchte er wohl vor sich selbst ähnlich wie schon bei Aquila, die Verantwortung des Freundes für die Streitigkeiten zu mindern.238 Ob Jonas mit Agricola Kontakt aufnahm, ist nicht bekannt, wir wissen aber, daß er Anfang Januar 1528 Luther bat, er solle Agricola auffordern, im Streit mit Melanchthon nichts zu schreiben, er selbst habe es denn vorher gesehen und für gut befunden.239 Melanchthon erfuhr sicher von dieser Bitte des Jonas an Luther, und das Wissen darum scheint bei ihm dazu beigetragen zu haben, daß der Streit allmählich in den Hintergrund rückte, wenngleich seine Verletztheit nach wie vor zu spüren war.240 235
Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 74 f.]: »futurum est scandalum maius, si me – quod haud scio, an moliatur – perpulerit ad respondendum«. 236 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 75 ff.]: »Ego humanissime sum cum eo locutus Torgae, nullam irati animi significationem praebui. Ter rogavi, ut veterem erga me benevolentiam retineret . . . Iste mihi nihilo plus quam statua respondit«; [236, Z. 82 ff.]: »Hoc tantum pro nostra vetere coniunctione petivi, ut amiciciam nostram colere pergeret. Ego mihi conscius sum in eo ornando nullum me unquam officii genus praetermisisse. Quodsi ipse potest tam facile me ex animo eiicere, tametsi sit acerbum, feram tamen«; [237, Z. 107 ff.]: »Quid autem mihi polliceri debeam, nescio; toties a me rogatus, ut pergeret amicus esse, nihil respondit. Hoc quid aliud esse quam bellum denunciare?«. 237 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 237, Z. 111 ff.]: »Te etiam rogo, ut meis verbis ei [sc. Agricolae] significes de mea erga ipsum benevolentia nihil me mutare, esse eum mihi carissimum facturumque mihi rem iucundissimam, si mutuam mihi benevolentiam praestiterit . . . Ego quoque hoc syngrapho testor me tibi permittere, ut ἀμνηστίαν huius dissensiunculae inter nos, si tamen hoc ab illo obtineri potest, sancias. Haec . . . scripsi ideo, ut eum ad pacem adhortareris«. 238 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 80 ff.]: »Nec veto, quominus decernat ei triumphos is a quo sentio impulsum ad me lacerandum«. 239 Vgl. Jonas an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 323, Z. 48 ff.]: »Quantum fieri potest pro tua autoritate, quaeso, ab Eislebio id postula, ne quicquam scribat in hac re, nisi tu primum videris«. 240 Vgl. Melanchthon an Camerarius 7. 1. 1528 [MBW 646; MBW T 3, 258, Z. 14 ff.], wo er Agricola als Tagdieb (scurra) bezeichnete, »qui me plane ludos deliciasque facit, sed apud gregales suos maxime«, und 23. 1. 1528 [MBW 650; MBW T 3, 263 f.; hier 263, Z. 11 ff.]: »Nunc rursus accersor in aulam nescio qua de caussa sumque cras iter ingressurus. Verum opinor me defunctum esse illa contentione Islebiana«.
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Ein letzter Nachhall des Streites ist in der wohl auf Spalatin zurückgehenden Bitte des Kurfürsten an Luther Anfang Januar 1528 zu sehen, er solle darlegen, daß die in der reformatorischen Lehre gebräuchlichen und die von Melanchthon im »Unterricht« verwendeten Benennungen der Buße, die von Agricola kritisiert worden waren, in der Schrift ein und dieselbe Sache bezeichneten.241 Damit sollte den altgläubigen Gegnern die Möglichkeit genommen werden, Melanchthons Bußlehre weiterhin als »katholisch« zu bezeichnen und über den Streit im lutherischen Lager zu triumphieren.242 Luther kam dieser Aufforderung jedoch nicht nach, da er solche Ausführungen für unnötig hielt.243 Veit Amerbach. Als weiterer Kritiker Melanchthons im Zusammenhang der Visitation trat Veit Amerbach (1503–1557) auf. Er war seit 1526 Unterlehrer an der von Agricola geführten Lateinschule in Eisleben und auch er kannte Melanchthon aus seiner Zeit in Wittenberg persönlich.244 Er scheint sich gewissen Kritikpunkten Agricolas angeschlossen und dies Mitte November 1527 gegenüber Melanchthon geäußert zu haben. Melanchthon wandte sich darauf hin in einem Brief an Amerbach, beantwortete dessen Kritik allerdings nicht ausführlich, sondern verwies auf seinen Brief an Agricola, mit dem – wie er hoffte – auch Amerbach zufriedengestellt sein werde.245 Diese Erwartung scheint sich erfüllt zu haben, denn in der folgenden Zeit finden sich keine weiteren Hinweise auf Kritik von Amerbach. Kurfürst Johann von Sachsen. Wie bereits erwähnt, schickte Kurfürst Johann von Sachsen Anfang Januar 1528 den »Unterricht« zum wiederholten Male an Luther, da er nach der zweiten Torgauer Konferenz von Spalatin in seiner Form noch etwas verändert worden war. Er bat Luther und Bugenhagen, die Ordnung noch einmal zu lesen und ihre Änderungswünsche vorzubringen. Dar241 Vgl. einen dem Brief Johanns von Sachsen an Luther vom 3. 1. 1528 beiliegenden Zettel, auf dem die Punkte verzeichnet waren, die Luther bei seiner nochmaligen Durchsicht des »Unterrichts« bedenken sollte [WA Br 4, 339, Beilage V; hier Z. 14 ff.]: »Doctor Martinus zu erinnern, die locos anzuzeigen, wie in der Schrift contritio, poenitentia, cognitio peccati, mortificatio fur Ein Ding gebraucht werden«; zur Zuschreibung dieser Bitte an Spalatin die Überschrift einer weiteren Beilage zu diesem Brief [WA Br 4, 332–339, Beilage IV; hier 332]: »etzliche . . . Artikel . . ., welche der Spalatinus zu weitern Bedenken gestalt hat«. 242 Vgl. Hammann, Nomismus und Antinomismus, 114. 243 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 3. 1. 1528, Beilage IV [WA Br 4, 337, Z. 41 f.]: »Jst nicht von noten«. 244 Amerbach hatte seit 1522 in Wittenberg studiert und war 1526 auf Empfehlung Luthers nach Eisleben gekommen; vgl. Frank, Amerbach, 103. 245 Ein entsprechender Brief Amerbachs ist nicht mehr erhalten (vgl. Wetzel, MBW T 3, 225, Q 2), Rückschlüsse auf seine Kritik lassen sich aber aus den Aussagen Melanchthons in seiner Antwort an Amerbach 28./29. 11. 1527 ziehen [MBW 629; MBW T 3, 225, Z. 4 ff.]: »certo consilio non statum ad eas literas respondi. Tantum scripsi vestro gymnasiarchae [sc. MBW 615], quod essem secutus consilium in isto meo libello qui tantopere reprehendebatur. Eam epistolam si vidisti, existimo tibi satisfactum esse«.
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über hinaus äußerte er Bedenken, ob das Zugeständnis an die Schwachen, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu empfangen – wie von Melanchthon und Luther vorgeschlagen – wirklich in den »Unterricht« hineingenommen werden solle. Nach Ansicht des Kurfürsten sollte ein solcher seelsorglicher Rat nicht in einer offiziellen Schrift fixiert werden, er schlug vielmehr vor, ihn den Pfarrern und Predigern – wenn er überhaupt nötig sein sollte – bei der Visitation mündlich mitzuteilen.246 Luther scheint dieses Ansinnen des Kurfürsten in seiner Antwort zurückgewiesen zu haben, denn das Zugeständnis blieb unverändert im »Unterricht« stehen. Melanchthon erfuhr wohl gar nichts von dieser Kritik des Kurfürsten, denn in seinen Briefen dieser Zeit ging er auf die Frage des Laienkelchs mit keinem Wort ein. b) Kritiker, die sich nach der Visitation – im Jahr 1528 – zu Wort meldeten 247 Alexius Crosner. Der Theologe Alexius Crosner (ca. 1490–1535), der Schloßprediger Herzog Georgs von Sachsen gewesen und wegen der lutherischen Inhalte seiner Predigten im November 1527 aus den Diensten Georgs entlassen worden war,248 scheint 1528, nachdem der Druck der deutschen Visitationsordnung bereits vorlag, die Nachricht verbreitet zu haben, Luther sei von Melanchthons »Unterricht« abgerückt, weil dieser nicht seiner Lehre entspreche. Melanchthon erfuhr von diesem Gerücht durch Spalatin, wandte sich darauf hin sofort an diesen und betonte seine bleibende Übereinstimmung mit Luther. Er erklärte sich bereit, auch mit Crosner persönlich zu sprechen, wenn Spalatin dies für nötig halten sollte.249 Dazu scheint es aber nicht gekommen zu sein, zumal Crosner durch sein ambivalentes Verhalten in der Folgezeit auch unter den Evangelischen zunehmend in Mißkredit geriet.250
246 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 3. 1. 1528 [WA Br 4, 326, Z. 19 ff.]: »sonderlich . . . wollet bedengken, ob gut sein soll, daß die Unterrichtung der Empfahung halben des Sacraments . . ., so von Euch nächst allhie mit Unterscheidung, wie es der Starken, Schwachen und Freichen halben durch die Pfarrer und Prediger zu halten sein sollt, zu den andern Artigkeln gesatzt, ader besser sein sollt, dasselbige herauszulassen und den Pfarrern und Predigern davon in der Visitation Bericht zu tun, sich, so die Sachen je zu Zeiten also furfallen wurden, darnach hätten zu richten«. 247 Darüber hinaus kam es auch in späteren Jahren immer wieder zu Kritik an Melanchthons Aussagen und Haltung im Zusammenhang der Visitation 1527; vgl. dazu unten Abschnitt III, Kap. 7. 248 Vgl. Melanchthon an U. Otto Anfang Dezember 1527 [MBW 630; MBW T 3, 227 f.; hier 228, Z. 13] und Seidemann, Crosner, 252. 249 Vgl. Melanchthon an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 328 f.; hier 328, Z. 2 ff.]: »Non libet mihi suspicari Colditium adeo nihil habere frontis, ut ausit fingere aut serere rumores illos quos scribis de παλινῳδίαις Lutheri«; [329, Z. 15 f.]: »Si quis Lutherum recantare aliquid in meo opere iudicat, is multipliciter insanit«; [Z. 22 f.]: »Non faciam longum, sed si opus esse putabis, scribam aliquando ad ipsum Coldicium«. 250 Vgl. Jauernig, Crosner, 424.
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Graf Albrecht von Mansfeld und Landgraf Philipp von Hessen. Der als einer der ersten Landesherrn zur Reformation übergetretene Graf Albrecht VII. von Mansfeld (1480–1560) war im Juli 1527 wie Aquila unmittelbarer Zeuge der Visitation in Saalfeld gewesen. Allerdings hatte er sich dieser Visitation widersetzt, doch nicht aus theologischen, sondern aus rechtlichen Gründen, weil er »das Visitationsrecht in diesem der ernestinischen Lehenshoheit nicht unterstehenden Gebiet für sich« beanspruchte.251 Als Agricolas Landesherr hatte er sicher auch von dessen Kritik an Melanchthon erfahren. Im August oder September 1528 traf er sich in Weimar mit Landgraf Philipp von Hessen,252 dem neben Kurfürst Johann von Sachsen wichtigsten Fürsten der Evangelischen, deren Bündnis die Mansfelder Grafen zusammen mit anderen norddeutschen Fürsten 1526 unter den ersten beigetreten waren.253 Bei einem Gastmahl im Rahmen dieser Zusammenkunft ging es in den Gesprächen zwischen Albrecht und Philipp wohl vor allem um theologische Fragen. Dabei scheinen sehr kritische Worte über Melanchthons »Articuli« gefallen zu sein.254 Diese Vorwürfe wurden Melanchthon sogleich von Hof beamten zugetragen, und er beschwerte sich Mitte September in einem Brief an Camerarius bitter über diese neuerliche Kritik. Nach den Ereignissen des vergangenen Jahres war er besonders enttäuscht, daß sich nun zum wiederholten Male Leute aus den eigenen Reihen gegen ihn wandten.255 Die Kritik der beiden Fürsten scheint allerdings keine weiteren Folgen nach sich gezogen zu haben. Entgegen verschiedenen Angaben in der Forschungsliteratur scheint Nikolaus von Amsdorf in den Jahren 1527 und 1528 nicht als Kritiker Melanchthons in Erscheinung getreten zu sein, denn entsprechende Informationen finden sich in keiner Quelle.256 251 Biundo, Aquila, 33, Anm. 127; vgl. zu Albrechts Widerstand auch den Brief der Visitatoren an Johann von Sachsen 29. 7. 1527 [MBW 566; zu erschließen aus MBW 570]; Johann von Sachsen an die Visitatoren 3. 8. 1527 [MBW 570; MBW T 3, 124, Z. 7 ff.] und Mitzenheim, Kirchen- und Schulvisitation, 7. 252 Diese Zusammenkunft läßt sich nicht anderweitig nachweisen, so daß der Wahrheitsgehalt der Aussagen Melanchthons in MBW 710 (vgl. Anm. 256) nicht näher überprüft werden kann. 253 Vgl. Krumhaar, Mansfeld, 227. 254 Daß sich die Kritik nicht gegen den »Unterricht«, sondern gegen die »Articuli« richtete, vermutet auch Wetzel, MBW T 3, 379, Q 42. 255 Vgl. Melanchthon an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 39 ff.]: »Audi generosam vocem comitis Alberti: Princeps Hessorum cum eo in convivio – nam ibi tantum θεολογοῦσι – forte de libello inspectionis confabulabatur Wimariae. Ibi cum esset mentio de confessione iniecta, de qua quid scripserim scis, et caput illud Hesso non valde probaretur, subiecit comes«; [Z. 46 ff.]: »Illa vox statim ad nos a ministris, ut fit, perlata est. Ita vides, quid de nobis senciant non solum inimici, sed hi qui harum partium voluerunt videri«. 256 Vgl. die Erwähnung Amsdorfs als Kritiker Melanchthons z. B. bei Augusti in der von ihm herausgegebenen »Vita Melanchthonis« des Camerarius, 123, Anm. *); bei Meier, Amsdorf ’s Leben, 165; bei Stille, Amsdorf, 96 und bei Hammann, Nomismus und Antino-
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4.2.2.2 Die Inhalte der Kritik an Melanchthon Im folgenden werden die Vorwürfe, die im Zuge der Visitation von den verschiedenen Kritikern gegen Melanchthon erhoben wurden, nach Themen geordnet dargestellt. Da keine unmittelbaren Zeugnisse der Kritik mehr exisitieren, sind wir für die Zusammenstellung in erster Linie auf Melanchthons Reaktionen und Berichte angewiesen. Inwiefern er die Vorwürfe dabei korrekt wiedergab, läßt sich nicht mehr feststellen, es ist jedoch davon auszugehen, daß er einzelne Kritikpunkte überspitzte und dadurch versuchte, die fehlende Berechtigung der Kritik zu erweisen und seine Kritiker in ein schlechtes Licht zu stellen. Bei vielen Vorwürfen liegt auf der Hand, an welchen konkreten Äußerungen oder Verhaltensweisen Melanchthons sie sich entzündeten, andere, allgemeinere Kritikpunkte lassen sich nicht ohne weiteres einer einzelnen Äußerung oder Verhaltensweise zuordnen, sondern sind eher dem Gesamteindruck der Visitation geschuldet. Solch allgemeine Kritik übten wohl vor allem Aquila und Agricola, indem sie Melanchthon zu große Nähe zu den Altgläubigen unterstellten, ein Vorwurf, der wahrscheinlich hinter Melanchthons Berichten stand, er werde als Papist bezeichnet.257 Dieser Vorwurf gewinnt konkretere Gestalt durch folgende weitere Kritikpunkte: So berichtete Melanchthon, daß ihm von einigen Kritikern vorgeworfen werde, er sei zu zurückhaltend und gehe nicht heftig genug gegen die Lehren des Papsttums vor.258 Gegenüber Aquila wehrte er sich gegen den mismus, 88 und die (damit zusammenhängenden) Hinweise auf eine Trennung zwischen Melanchthon und Amsdorf seit 1527 bei Reichert, Amsdorff und das Interim, 29; Rogge, Amsdorff, 493 und Bauer, Kampf, 283. Die deutschen Forscher haben vermutlich voneinander abgeschrieben und so die falsche Information aus dem Werk Meiers von 1863 fortgeschrieben. Meier gibt eine Äußerung Melanchthons über die Vorwürfe Amsdorfs wieder, die dieser angeblich an einer vornehmen Tafel geäußert hatte, allerdings ohne entsprechende Quellenangabe. Die deutsche Paraphrase dieser Äußerung ist aber kein neuer Text, sondern klingt wie eine Übersetzung der von Melanchthon geschilderten Kritik Albrechts von Mansfeld in MBW 710 (vgl. oben Anm. 256). Allerdings ist unklar, wie Meier von diesen Aussagen Melanchthons auf den Namen Amsdorfs kommen konnte, zumal sich in den unterschiedlichen Handschriften dieses Briefes keine entsprechenden Varianten finden (vgl. den Apparat bei Wetzel, MBW T 3, 379). Zudem ist dunkel, wie Augusti zu einem früheren Zeitpunkt (1819) und an einem völlig anderen Ort als die anderen Forscher (Bratislava) zu seiner Information kam. Trotz dieser Ungereimtheiten scheint es aber wahrscheinlich, daß bei Augusti und Meier ein irgendwie geartetes Mißverständnis dazu führte, daß Amsdorf zu den Kritikern Melanchthons in den Jahren 1527 und 1528 hinzutrat. 257 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 9 ]: »tu quereris me papistam factum esse« und an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 33]: »Facit [sc. Agricola] me bis papistam«. 258 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 97 f.]: »Displicet quibusdam et hoc, quod non satis vehemens fui in insectanda pontificia doctrina«; zudem Melanchthons rückblickende Zusammenfassung der Kritik, er sei wegen seiner Mäßigung und mangelnden Heftigkeit kritisiert worden, in den Briefen an Erasmus 23. 3. 1528 [MBW 664; MBW T 3, 287–289; hier 289, Z. 46 f.]; an Camerarius 26. 3. 1528 [MBW
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Vorwurf, er schütze die Mönche.259 Und laut verschiedenen brieflichen Äußerungen Melanchthons klagten ihn Agricola und Albrecht von Mansfeld an, er wolle bereits abgeschaffte römische Riten und Traditionen wiedereinführen und damit das Papsttum wiederaufrichten.260 Besonders großen Anstoß erregte Melanchthons Behandlung der Buße in den »Articuli«: Aus Melanchthons brieflichen Widerlegungen ist Aquilas Ärger darüber zu erschließen, daß Melanchthon an der römischen Dreiteilung der Buße in contritio, confessio und satisfactio festhielt.261 Philipp von Hessen stieß sich wohl daran, daß Melanchthon die Beichte als einen Teil der Buße beibehalten bzw. sie obligatorisch machen und mit dem Abendmahl verknüpfen wollte.262 Und Agricola scheint bemängelt zu haben, daß Melanchthon die Buße mit der Gottesfurcht und nicht – wie es nach seiner eigenen Überzeugung sein müsse – mit der Liebe zur göttlichen Gerechtigkeit beginnen ließ263 und darüber 669; MBW T 3, 294 f.; hier 294, Z. 6 f.] und an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 881]; vgl. auch Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »aliqui requirerent nervos et vim contentionum«. 259 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 9 f.]: »tu quereris . . . me patrocinari monachis«. Anlaß zu solchen Vorwürfen gaben sicher das zurückhaltende Vorgehen der Visitatoren gegenüber den Klöstern und Melanchthons Appelle, Altgläubige und Mönche nicht zu schmähen, maßvoll zu predigen und in bezug auf die Abschaffung von Traditionen und bei der Einführung des Laienkelchs Rücksicht auf Schwache zu nehmen. 260 Vgl. Melanchthon an Agricola ca. 2. 10. 1527 [MBW 598; MBW T 3, 173, Z. 6 f.]: »cognovi me quoque falso delatum esse apud te, quod in inspectione ecclesiarum veteres ritus renovarem« und an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 43 und Z. 46]: »subiecit comes . . . Nos paulatim veteres traditiones renovare«; zudem rückblickend an die kurfürstlichen Räte 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 365]: »Eißleben und . . . andere schrien, wir richteten das Papstthum wiederum auf«. Im Hintergrund dieser Kritik stehen wohl Melanchthons Aussagen über die menschlichen Traditionen sowie die Beibehaltung der römischen Dreiteilung der Buße in den »Articuli«. 261 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 19 f.]: »Vellem, inquis, haec nomina poenitentiae prorsus explosa esse« und ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 9 f.]: »Non ignorabam ego fore qui ex illa mea particione poenitentiae offenderentur«. 262 Vgl. Melanchthon an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 42 f.]: »mentio de confessione iniecta . . . caput illud Hesso non valde probaretur«. Vgl. zum Hintergrund dieses Vorwurfs bei Melanchthon den Fragenkatalog der Visitatoren von ca. 9. 7. 1527 [MBW 561a; MBW T 3, 99, Z. 3 ]: »Ob die communicanten zuvor verhört werden« und die »Articuli« [CR 26, 20]: »confessio, quae fit sacerdoti, in hac non est exigenda scrupulosa enarratio omnium debitorum: est enim impossibile . . . Sed tamen ad Eucharistiam nemo admittendus est, nisi antea exploratus«. 263 Vgl. Melanchthon an Spalatin nach 19. 10. 1527 [MBW 608; MBW T 3, 183, Z. 21 ff.]; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 30 f.]; Luther an Melanchthon 27. 10. 1527 [MBW 612; MBW T 3, 191, Z. 12 ff.]; Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 24]; an Aquila Anfang November 1527 [MBW 618; MBW T 3, 206, Z. 8 ff.]: »Islebius reprehendit, quod a metu poenarum inchoari poenitentiam scripserim, non ab amore iusticiae« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 38 ff.].
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hinaus nicht zwischen Gottesfurcht und Strafangst unterschied.264 Agricolas Ansicht nach sollte die Buße zudem als auf den Glauben folgend gelehrt werden und nicht umgekehrt.265 Hierfür verwies er auf Jon 3,5 und darauf, daß Jesus in der von Melanchthon herangezogenen Stelle Lk 24,47 zur Verkündigung der Buße in seinem Namen und nicht im Namen des Mose aufgerufen hatte.266 Agricola nahm wohl außerdem daran Anstoß, daß Melanchthon der Gesetzespredigt große Bedeutung beimaß. Er wies im Gegensatz zu Melanchthons Schwerpunktsetzung darauf hin, daß man den vom Gesetz befreiten Christen nicht mehr den Dekalog predigen solle, sondern an seine Stelle die Paränese des Paulus setzen müsse. Letzteres äußerte er allerdings nicht in aller Öffentlichkeit, sondern laut Aussagen Melanchthons nur im kleinen Kreis bei Tisch im Rahmen der zweiten Torgauer Konferenz.267 Agricola scheint Melanchthon zusätzlich vorgeworfen zu haben, um seines falschen Gesetzesverständnisses willen sogar von der Schrift abzuweichen und ihre Aussagen zu verdrehen.268 Aquila schloß sich in diesem Punkt wohl der Kritik Agricolas an und hielt Melanchthon vor, er weiche mit seiner Paulusauslegung von Luther und vom Christentum ab.269 Und auch die Kritik Amerbachs bezog sich auf die Exegese Melanchthons: Er muß ihm vorgeworfen haben, er erstrebe durch seine – von Luther abweichende – Bibelauslegung Ruhm und Ehre.270 Als Pendant zur Kritik an der 264 Dies läßt sich aus den Worten Luthers an Melanchthon im Brief vom 27. 10. 1527 [MBW 612; MBW T 3, 191, Z. 16 ff.] erschließen. 265 Vgl. die Torgauer Einigungsformel [Seidemann, Schriftstücke, 116]: »Ettlich halten man solt nichts leren fur dem glauben, sondern die buß aus vnd nach dem glauben folgende leren«. 266 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 38 ff.]: »Islebius contendit . . . apud Ionam esse: Crediderunt et egerunt poenitenciam [ Jon 3,5]. Et in Evangelio: Poenitentiam in nomine meo [Lk 24,47], non in nomine Moisi aut irati iudicis«. 267 Vgl. Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 30 ff.]: »Repraehendit, . . . quod de legis praedicatione urgenda nimius sim« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 62 ff.]: »non placere sibi, quod decalogum iuberem doceri, quia simus a lege liberati, non esse decalogum exigendum sed praecepta quae sunt in Paulo«. Im Hintergrund dieses Vorwurfs stand, daß Melanchthon in den »Articuli« auf die Wichtigkeit der Gesetzespredigt verwiesen hatte, um die Menschen zur Buße zu rufen, und die Christen lediglich von einem Teil des Gesetzes, nicht aber vom Dekalog befreit sah. 268 Vgl. Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 30 ff.]: »Repraehendit, . . . quod alicubi male detorserim scripturas«; an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 201, Z. 38 f.]: »locum Pauli male detortum putas ad urgendam legem«; [202, Z. 51]: »contaminasse scripturarum puritatem«; an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212, Z. 7 f.]: »De Pauli loco . . . me exercet Islebius« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 5 ff.] und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 38 f.]: »Islebius contendit pugnare meum scriptum cum scriptura«. 269 Vgl. Melanchthon an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212, Z. 7 f.]: »De Pauli loco satis me exercet Islebius«; [213, Z. 11 f.]: »nec propterea videri debeo ab illo [sc. Luthero] dissentire, etiamsi aliquem locum paulo secius interpretor« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 9 ]: »Nec videri debeo propterea [sc. propter hanc expositionem Paulini loci] dissentire a christianismo, ut tu scribis«. 270 Vgl. die Zurückweisung dieses Vorwurfs im Brief von Melanchthon an Amerbach
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Überbetonung von Traditionen, Buße und Gesetz erscheint der Vorwurf von Agricola und Albrecht von Mansfeld, Melanchthon verletze die neu gewonnene christliche Freiheit und wolle die Menschen von Neuem in Knechtschaft führen.271 In diesen Zusammenhang gehören auch die Bedenken Kurfürst Johanns von Sachsen hinsichtlich des Zugeständnisses an die Schwachen im Glauben, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu genießen.272 Alles in allem sahen die Kritiker in Melanchthons Verhalten und Aussagen ein Abweichen von der Lehre Luthers,273 und fürchteten deshalb um die Reinheit der neuen Lehre.274 Einige scheinen nach Angaben des Camerarius sogar von einem Verrat Melanchthons an der lutherischen Sache gesprochen zu haben.275 Entsprechend fühlte sich Melanchthon von seinen Kritikern als Häretiker, Fanatiker und Sünder behandelt.276 28./29. 11. 1527 [MBW 629; MBW T 3, 225, Z. 7 ff.]: »Ego ingenii laudem neque capto neque ambio ex tractatione sacrarum literarum«. Die Kritiker hatten hier Melanchthons Verständnis der Stelle Gal 3,19 (»lex propter transgressiones posita est«) im Auge, die er bewußt anders als Luther auslegte. 271 Vgl. Luther an Agricola 31. 8. 1527 [WA Br 4, 241, Z. 3 f.]: »de libertate conscientiarum scribis«; [Z. 22]: »tu latius . . . scripsi« (es besteht zwar kein nachweisbarer Zusammenhang dieser Aussagen Agricolas zur Visitation, aber es ist unwahrscheinlich, daß er sie in seinem Brief an Luther einfach so geäußert hatte); Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 30 ff.]: »Repraehendit [sc. Agricola] . . ., quod quibusdam locis christianam libertatem leserim«; an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 8 f.]: »Doleo autem in eo scripto desiderari . . . libertatem christianae doctrinae, ut scribis«; [Z. 13 f.]: »quicquam . . ., quod christianam libertatem videretur ledere«; [202, Z. 51 f.]: »le sisse libertatem evangelicam« und an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 43 ff.]: »subiecit comes debere ipsos dare operam, ut eam libertatem quam nunc sint consecuti retineant, alioqui futurum, ut iterum a nobis redigerentur in servitutem«. Vgl. auch Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »alii dicerent . . . libertatem eripi et adduci in servitutem homines«. Diese Vorwürfe bezogen sich sicher u. a. auf die Aussage Melanchthons in den »Articuli«, das Volk sollte eher zur Knechtschaft als zur Freiheit ermuntert werden. 272 Vgl. zur Kritik Schencks daran unten Abschnitt III, Kap. 7. 273 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 38 f.]: »Islebius contendit pugnare meum scriptum . . . cum Lutheri dogmatibus« und die Zurückweisung solcher Kritik im Brief an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 328, Z. 2 ff.]: »Non libet mihi suspicari Colditium adeo nihil habere frontis, ut ausit fingere aut serere rumores illos quos scribis de παλινῳδίαις Lutheri . . . Neque sane potuit, cum ego semper contenderim ea quae sunt in commentario inspectionis ecclesiarum convenire per omnia cum Lutheri doctrina«; zu altgläubigen Beobachtungen hinsichtlich des Abweichens Melanchthons von Luther oben Kap. 4.2.1, bes. Anm. 189. 274 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 8 ff.]: »Doleo autem in eo scripto desiderari puritatem . . . christianae doctrinae, ut scribis«; [Z. 14 ff.]: »aliquid scribere quod puritatem evangelicae doctrinae contaminare posse intelligerem«. 275 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »alii dicerent prodi caussam«. 276 Vgl. Melanchthon an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 14]: »nunc ut haereticus, ut fanaticus traducor«. Hier kann auch eine Beobachtung zur Wortwahl Melanchthons herangezogen werden: In einigen Briefen verwendete er das griechische Adverb ἀποτόμως zur Kennzeichnung der Haltung seiner Kritiker (vgl. an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 26], 21. 11. 1527 [MBW 628;
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4.2.2.3 Die Hintergründe der Kritik a) Die bei allen Kritikern zu vermutenden Hintergründe Leider existieren keine direkten Quellen mehr, aus denen sich konkrete Informationen über die Vorstellungen der Kritiker Melanchthons entnehmen ließen. Aus diesem Grund sind wir auf Mutmaßungen zu den Hintergründen angewiesen. Ein wichtiger äußerlicher Auslöser der Kritik waren wohl die oben geschilderten Reaktionen der Altgäubigen auf Melanchthons »Articuli«. Sicher wurden viele Lutherische erst dadurch auf die Äußerungen Melanchthons aufmerksam und griffen darauf hin Melanchthon an, um den Altgläubigen die Grundlage für ihre Gerüchte zu entziehen.277 Dazu kamen aber auch innere Beweggründe: Bei den Kritikern handelte es sich durchweg um Personen, die sich schon vor längerer Zeit der Reformation angeschlossen hatten. Die Theologen unter ihnen mußten den neuen Glauben als Lehrer und Prediger in den Gemeinden vertreten, die evangelischen Fürsten hatten die Aufgabe, die neue Lehre in ihrem Herrschaftsgebiet einzuführen und durchzusetzen. Dabei sahen sie sich alle mit dem Widerstand altgläubiger Gegner konfrontiert. Es liegt nahe, daß sie aus diesem Grund daran interessiert waren, sich möglichst klar vom Papsttum abzugrenzen und für sich und die ihnen Anvertrauten eine eigene evangelische Identität zu schaffen, zum Beispiel durch ein entschlossenes und kompromißloses Auftreten gegenüber den Altgläubigen, durch pointierte und unmißverständliche Formulierungen der neuen Lehre und durch eine rasche und nach außen hin sichtbare Umsetzung der neuen Glaubensinhalte. Melanchthons Lehraussagen und Verhalten im Zusammenhang der Visitation entsprachen nicht diesem Bedürfnis nach Abgrenzung und erschienen den lutherischen Kritikern Melanchthons daher als konservativ und rückschrittlich; entsprechend waren sie auch von den Altgläubigen als Widerruf der neuen Lehre bejubelt worden. Zudem faßten die Kritiker Melanchthons die »Articuli« nicht als eine Gelegenheitsschrift auf, sondern sahen in ihnen eine Art Kompendium oder Bekenntnis der gesamten evangelischen Lehre, an das sie den Anspruch der Vollständigkeit stellten und dessen Aussagen sie an der Lehre Luthers maßen. MBW T 3, 223, Z. 15] und an Amerbach 28./29. 11. 1527 [MBW 629; MBW T 3, 225, Z. 11]). Untersucht man die Verwendung dieses Wortes im Neuen Testament, so findet man es dort zweimal vor: Einmal wird es von Paulus in 2Kor 13,10 in bezug auf seine Strenge gegenüber den Sünden der Gemeinde in Korinth gebraucht, und in Tit 1,13 erscheint es als Charakterisierung des richtigen Umgangs der Christen mit Irrlehrern. Melanchthon fühlte sich also von seinen Kritikern fälschlicherweise in eine Ecke mit Sündern und Irrlehrern gestellt. 277 Dieser Hintergrund ist bei Aquila (vgl. oben Kap. 4.2.2.1 a) und bei Agricola zu vermuten (vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 202, Z. 56 ff.]: »Id quod scribis te non valde repressisse quorundam sermones, facile patior. Non enim audeo tibi, homini amico, onus nostri defendendi imponere« und Luthers Einigungsformel [Seidemann, Schriftstücke, 116]: »Ettlich halten man solt nichts leren fur dem glauben, . . . auff das die widdersacher nicht sagen mugen, man widderruffe vnsere vorige leere«).
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Deshalb erschien ihnen die Schrift Melanchthons einseitig, und sie bemängelten die nicht vollkommen mit Luther übereinstimmende Darstellung einiger Lehrfragen. An dieser Stelle ist stellvertretend auf Kurfürst Johann von Sachsen zu verweisen: Er hatte in seiner Instruktion vom Juni 1527 angeordnet, die Visitatoren sollten die evangelischen Sakramente bei Geistlichen und Laien durchsetzen,278 und bezweifelte wohl, ob man dieses Ziel erreichen könne, wenn man in der offiziellen Visitationsschrift das Zugeständnis an die Schwachen im Glauben, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu genießen, schriftlich fixiere und dadurch nach außen hin sichtbar von den eigenen Maßstäben abrücke. Daß dieses Zugeständnis von den Altgläubigen wahrgenommen wurde, beweisen die Aussagen der altgläubigen Delegierten im sogenannten Sechser-Ausschuß beim Augsburger Reichstag 1530.279 b) Spezielle Hintergründe bei Agricola und Aquila Johannes Agricola. Bei Agricola müssen bei der Frage nach der Motivation für seine Kritik zusätzlich zu den genannten Hintergründen die Geschichte seiner persönlichen Beziehung zu Melanchthon und seine theologischen Überzeugungen herangezogen werden. Die enge Freundschaft zwischen den Wittenberger Dozenten Agricola und Melanchthon wurde nämlich nicht erst durch ihre Auseinandersetzung im Zuge der Visitation getrübt, sondern hatte bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine Talsohle durchschritten, die in der Forschungsliteratur teilweise als Erklärung für die Kontroverse im Jahr 1527 herangezogen wird: 280 Ende des Jahres 1525 hatte Melanchthon Agricola in einem Brief nach Eisleben von der Einrichtung einer neuen theologischen Professur in Wittenberg berichtet; diese war ihm selbst angetragen worden, er hatte sie aber unter anderem wegen seines schlechten Gesundheitszustands abgelehnt. Er hatte Agricola darauf hingewiesen, daß auch er für die Besetzung dieser Stelle im Gespräch sei, und ihn gebeten, eine Rückkehr nach Wittenberg ernstlich in Erwägung zu ziehen.281 Kurz darauf hatte Agricola jedoch erfahren, daß Me278 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen für die Visitatoren 16. 6. 1527 [MBW 558; MBW T 3, 84 f.]. 279 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 133 und dazu unten Abschnitt II, Kap. 1.4.8.1. 280 Vgl. Bretschneider, Entstehung des ersten Streits, 744 ff. und den Hinweis bei Kawerau, Agricola, 131. 281 Vgl. Melanchthon an Agricola 20. 12. 1525 [MBW 432; MBW T 2, 364 f.; hier 365, Z. 2 ff.]: »Proximis his diebus . . . coeptum est de professore theologico deliberari, qui reliquis doctoribus adiiceretur. Mihi id oneris imponi quidam volunt, estque ea conditione aucta merces annua. Verum me multae caussae deterrent, nec videtur ei labori sufficere valetudo, qua ego, ut scis, pertenui utor. Fit tui etiam ibi mentio, neque dubitare debes, quin, si libeat redire, honestam conditionem nostri tibi delaturi sint. Quare nisi nimium amas patriam et potuisti iam ex animo veteres amicos eiicere, volo te hac de re cogitare, quid sit optimum factu. Nemo tempestivum iam putat te isthinc avellere, sed per occasionem aliquanto post, scholae fundamentis iactis, multi bona in spe sumus fieri posse rursus, ut nos illo tuo ingenio fruamur« und 15. 1. 1526 [MBW 443; MBW T 2, 394–396; hier 395, Z. 12 ff.]: »accepi tuam
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lanchthon die Professur entgegen seiner früheren Absichten doch angenommen hatte, und war begreiflicherweise von seinem Freund enttäuscht, da er sich selbst Hoffnungen auf die Professur gemacht hatte. Im Jahr 1526 standen Agricola und Melanchthon jedoch wieder in engem Brief kontakt und trafen sich auch einige Male persönlich. Das läßt vermuten, daß ihre Freundschaft durch die unglückliche Stellenvergabe keinen ernsthaften Schaden genommen hatte.282 Deshalb erscheint es unangemessen, Agricolas Vorwürfe gegen Melanchthon im Jahr 1527 in einen engen Zusammenhang mit den geschilderten Ereignissen 1525/26 zu stellen und ihren Hauptauslöser in gekränkter Eitelkeit oder gar Rachsucht Agricolas zu sehen. Allenfalls war von diesem früheren Streit eine gewisse Verstimmung Agricolas zurückgeblieben, die dazu führte, daß er mit Kritik an Melanchthon vielleicht etwas schneller zur Hand war, als er es vor ihrem Streit gewesen wäre.283 Die vorrangigen Motive für die Kritik Agricolas lagen vermutlich in seiner theologischen Position, und zwar konkret in seinen Ansichten zu den zwischen ihm und Melanchthon umstrittenen Themen Gesetz und Buße. Untersucht man die Aussagen zu diesen Themen in Agricolas exegetischen und katechetischen Schriften aus der Zeit vor und während der Streitigkeiten, kann man feststellen, daß er in der Frage des Gesetzes bereits seit 1525 eigene Wege eingeschlagen hatte, die zunächst kaum merklich von denen Luthers abwichen, sich aber mit der Zeit doch immer weiter von den Ansichten Luthers entfernten.284 In seinen Veröffentlichungen findet sich zwar noch kein ausgefeiltes antinomistisches System, aber sie weisen bereits Aussagen auf, die die Bedeutung des Gesetzes für die Christen herabwürdigen: Agricola betonte, man könne mit Hilfe des Gesetzes lediglich eine nach außen hin glänzende Gerechtigkeit erreichen, die inwendige Macht der Sünde bleibe jedoch ungebrochen. Eine Bedeutung des Gesetzes, die Sünde als Schuld Gott gegenüber zu Bewußtsein zu bringen und dadurch eine notwendige Prädisposition des Herzens für die gläubige Annahme der Gnade zu schaffen, findet sich bei Agricola nicht. Der Glaube wird nach Agricola durch ein Ergriffenwerden von der Freundlichkeit Gottes hervorgerufen, nicht aber durch eine vor dem Glauben stehende Buße. Die-
epistolam . . ., ex qua intelligo tuos homines esse tui cupidos. Id mihi gratum fuit; nec volo tamen te deponere animo spem reditus ad nos«. 282 Vgl. Kawerau, Agricola, 130 und den intensiven Briefwechsel zwischen beiden Gelehrten 1526. 283 Vgl. ähnliche Einschätzungen bei Kawerau, Agricola, 131; Sell, Melanchthon und die Reformation, 63; Rogge, Streitigkeiten, 190 f.; Scheible, Melanchthon, 83 und Wengert, Law and Gospel, 23. Auch andere unsachliche Vorwürfe gegen Agricola wie der von Planck, Geschichte 2/1, 3 f., Agricola habe sich in der theologischen Welt »produciren« wollen und sei seinem bösartigen Geltungsdrang erlegen, müssen abgewiesen werden (vgl. Bretschneider, Entstehung des ersten Streits, 742). 284 Vgl. Kawerau, Agricola, 131.
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se verstand er vielmehr als eine auf den Glauben folgende Frucht.285 Agricola beabsichtigte mit diesen Aussagen wohl keinen Konflikt mit den Wittenberger Theologen, vielleicht war er sich selbst gar nicht bewußt, daß er damit eigene und das heißt von Luther abweichende Wege betreten hatte, sondern wähnte sich in Übereinstimmung mit Luther. Auch die Wittenberger scheinen nicht bemerkt zu haben, daß sich eine Lehrdifferenz zwischen ihnen und Agricola anbahnte. Deshalb konnte es erst dann zu einem Konflikt kommen, »wenn von anderer Seite einmal die von Agricola zurückgeschobenen oder vergessenen Sätze mit Nachdruck in den Vordergrund geschoben und als Kriterium reiner evangelischer Lehre geltend gemacht wurden«, wie das durch die »Articuli« Melanchthons geschah.286 Da sich Agricola mit Luther in Übereinstimmung glaubte, konnte er begreiflicherweise nur Melanchthon der Abweichung beschuldigen. Dies tat er zum einen durch seine »Censura«. Zum anderen muß hier eine weitere Schrift Agricolas genannt werden, in der er Melanchthon zwar nicht explizit angriff, mit der er aber bewußt in Frontstellung gegen dessen theologische Ansichten trat, die in den »Articuli« besonders deutlichen Ausdruck gefunden hatten. Es handelt sich um Agricolas Katechismus »Hundertdreißig gemeine Fragestücke«, in der er Rechenschaft über seine eigenen theologischen Überzeugungen ablegte und so unter anderem versuchte, die seiner Meinung nach rechte Anschauung vom Gesetz unter das Volk zu bringen. Diese Schrift wurde im Herbst 1527 ausgearbeitet und im November gedruckt.287 Hier formulierte Agricola seine schon früher geäußerten Gedanken zur Rolle von Buße und Gesetz schärfer und systematischer: Er gestand dem Gesetz lediglich eine Funktion als »der Jüden Sachsenspiegel« zu, nicht aber eine Rolle im Prozeß der Heilsaneignung und lehnte deshalb eine Geltung des Gesetzes für die Christen ab. Die Buße verortete er klar nach dem Akt des Gläubigwerdens.288 Als Agricola allerdings bei der zweiten Torgauer Konferenz feststellte, 285 Vgl. zu diesen Aussagen Agricolas folgende seiner Schriften: »In Evangelium Lucae annotationes . . . summa scripturarum fide tractatae« von 1525 (VD 16 A 1000 f.) und »Elementa pietatis congesta« bzw. »Christliche Kinderzucht in Gottes Wort und Lehre« von 1527 [Cohrs, Katechismusversuche 2, 16–83] und dazu Kawerau, Agricola, 131 ff.; Cohrs, a. a. O., 262 und Rogge, Streitigkeiten, 190 f. 286 Kawerau, Agricola, 140; vgl. a. a. O., 141. 287 Sie ist abgedruckt bei Cohrs, Katechismusversuche 2, 273–311. Vgl. zur Datierung und zum Zusammenhang zwischen der »Censura« und den »Fragestücken« Cohrs, a. a. O., 261, Anm. 2 ; Hammann, Nomismus und Antinomismus, 72 und 76 und Wengert, Law and Gospel, 126. 288 Vgl. zum Gesetz als »Sachsenspiegel« Frage 116 der »Fragestücke« [Cohrs, Katechismusversuche 2, 293, Z. 15] (zur Übernahme dieses Gedankens von Luther unten Anm. 344); zum Fehlen des Gesetzes im Prozeß der Heilsaneignung Frage 10 f. [275, Z. 1 ff.] und 66 f. [285, Z. 8 ff.]; zur Geltung des Gesetzes für die Christen Frage 114 [293, Z. 1 ff.] und 130 [295, Z. 23 ff.] und zur Buße Frage 33 [278, Z. 14 ff.] und 71–73 [286, Z. 16 ff.]. Vgl. Kawerau, Agricola, 142: »was er jetzt vom Gesetze lehrt, ist so beschaffen, daß wir es als Inconsequenz oder als Accomodation an den Schulgebrauch bezeichnen müssen, daß er dasselbe nicht gänzlich beseitigt hat«.
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daß Luther nicht, wie er gedacht hatte, seiner Ansicht war, versuchte er dort, seine wahren Ansichten vom Gesetz zu verschleiern.289 Und da die Wittenberger sich auch in der Folgezeit nicht kritisch mit Agricolas Schriften beschäftigten, sollte es noch zehn Jahre dauern, bis Agricolas Antinomismus 1537 zum endgültigen Bruch zwischen ihm und Wittenberg führte.290 Caspar Aquila. Es stellt sich die Frage, ob auch bei Aquila neben den oben dargestellten allgemeinen Hintergründen ein von Melanchthon grundlegend verschiedenes Gesetzesverständnis Mitauslöser der Kritik war. Da von Aquila wenige Briefe und nicht sehr viele Schriften existieren, sind konkrete Aussagen über seine theologischen Positionen des Jahres 1527 schwierig. Auch lassen die Reaktionen Melanchthons auf die Kritik Aquilas keine derartigen Schlüsse zu. Aquilas Teilnahme am antinomistischen Streit zwischen Luther und Agricola im Jahr 1537 und einige Aussagen in seinem Katechismus von 1547 lassen es jedoch nicht als völlig abwegig erscheinen, auch bei ihm antinomistische Tendenzen zu vermuten. Allerdings scheinen diese bei Aquila nicht so stark ausgeprägt gewesen zu sein wie bei Agricola und führten deshalb zu keiner nachhaltigen Störung seines Verhältnisses zu den Wittenbergern.291 4.2.2.4 Melanchthons Umgang mit der Kritik Im folgenden soll Melanchthons inhaltliche und persönliche Auseinandersetzung mit den gegen ihn vorgebrachten Vorwürfen näher betrachtet werden. Dabei gilt grundsätzlich, daß er sich von seinen Kritikern sowohl auf inhaltlicher wie auf persönlicher Ebene ungerecht und hartherzig behandelt fühlte.292 a) Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen Es war für Melanchthon nicht denkbar, daß sein eigenes Verhalten bei der Visitation und seine theologischen Äußerungen in den »Articuli« der wirkliche Anlaß für die harten Vorwürfe der Kritiker waren, denn er war von seinen eigenen guten Absichten und der inhaltlichen Richtigkeit seiner Aussagen zutiefst überzeugt.293 Als einen der Hauptgründe für die Kritik vermutete er vielmehr, daß 289
Vgl. Kawerau, Agricola, 144 und 147 und Cohrs, Katechismusversuche 2, 262. Vgl. Kawerau, Agricola, 145 und 151; zum eigentlichen antinomistischen Streit unten Abschnitt III, Kap. 10. 291 Vgl. Biundo, Aquila, 88–90. 292 Hier kann noch einmal auf Melanchthons Verwendung des Adverbs ἀποτόμως verwiesen werden (vgl. Anm. 277), das im Griechischen zunächst den Sinn von Strenge und Genauigkeit besitzt, aber auch Schroff heit, Hartherzigkeit und Grausamkeit bezeichnen kann (vgl. Passow, Handwörterbuch 1/1, 365). Vgl. auch Melanchthon an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 221 f.; hier 222, Z. 9 ]: »indignissime tractor« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 123 (Zitat oben Anm. 191). 293 Vgl. Melanchthon an Spalatin nach 19. 10. 1527 [MBW 608; MBW T 3, 184, Z. 23 f.]: »Ego quae scripsi recta esse existimo. Nec video illum [sc. Agricolam] satis magnam caussam 290
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er von seinen Kritikern in seinen wohlmeinenden Bestrebungen nicht oder zumindest falsch verstanden worden sei, und sprach deshalb von nur scheinbaren Meinungsverschiedenheiten.294 Infolgedessen bemühte er sich, die Kritik nicht so sehr durch konkrete Widerlegungen einzelner Vorwürfe aus der Welt zu schaffen als vielmehr durch eine ausführliche Darstellung seiner eigenen Ziele und Grundüberzeugungen. Er hoffte, seine Gegner für eine sachliche Auseinandersetzung und ein Gespräch unter Gelehrten gewinnen zu können. Es wurde schon oben deutlich, daß Melanchthon dies bei Aquila und wohl auch bei Amerbach zumindest vordergründig gelang, seine Versuche, um Verständnis zu werben, jedoch bei Agricola versagten. Ein Großteil der geäußerten Vorwürfe hatte sich auf Melanchthons Verständnis und starke Betonung von Buße und Gesetz bezogen. Auf diesen Komplex ging er deshalb auch in seinen Reaktionen auf die Kritik besonders ausführlich ein: Melanchthon hatte sich 1527 keineswegs zum ersten Mal zu diesem Fragenkomplex geäußert: Die Wichtigkeit von Buße und Gesetz im Prozeß der Rechtfertigung des Sünders hatte er bereits seit seinen »Loci communes« von 1521 betont und deshalb die Verkündigung des Gesetzes auch infolge seiner Erfahrungen im Zuge der Wittenberger Bewegung 1521/22 und nach dem Bauernkrieg 1525 immer wieder angemahnt.295 Neu war nun allerdings, daß er in den »Articuli« die Vorordnung der Bußpredigt vor die Botschaft von der Rechtfertigung explizit gefordert und diese Reihenfolge als notwendig bezeichnet hatte. Er hatte dies damit begründet, daß andernfalls nicht verstanden werden könne, was Glaube überhaupt sei, und man also neuen Wein in alte Schläuche füllen würde (Mt 9,17).296 An dieser Zuordnung von Glaube und habere carpendi eius scripti«; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 25 f.]: »hic tam brevis libellus quas tragoedias excitavit!«; an Spengler 23. 10. 1527 [MBW 611; MBW T 3, 189, Z. 8 ]: »ego simplicissimo animo [sc. articulos] scripsi« und den Rückblick im Brief an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 71 ff.]: »Si enim [sc. Agricola] videtur tibi iustam habuisse caussam sic me arripiendi mordicus, nullam recuso poenam. Quodsi praeter rem movit hanc tragoediam, quam prudenter fecerit, relinquo tibi considerandum, qui non mediocris scandali auctor fuit«; [236, Z. 101 f.]: »multa . . . possum optima conscientia commemorare«. 294 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 232, Z. 8 f.]: »de dissensione quae mecum Islebio esse videtur«. 295 Vgl. die »Loci communes« von 1521 [MSA 2/1, 1–163; hier z. B. 66, Z. 15 ff.]; Melanchthon an T. Blarer Ende 1523 / A nfang 1524 [MBW 303; MBW T 2, 105, Z. 17 ff.]: »Illa multitudo legibus increpanda [erat]; quod si facerent nostri doctorculi passim, nae ab ipso vulgo discerperentur citius quam a sacerdotibus Baal«; an Memminger ca. 8. 7. 1524 [MBW 332; MBW T 2, 147, Z. 27 ff.]: »De iis qui vel imbecilles sunt . . . Paulus regulam reliquit . . .: Lex paedagogus est in Χριστόν [Gal 3,24]. Nam id genus lege regendum et cohercendum est« und an Philipp von Hessen Ende August / A nfang September 1526 [MBW 491; MBW T 2, 469–477; hier 475, Z. 43 f.]: »Doceat [sc. concionator] autem non fidem tantum, sed timorem, cuius nonnihil mentionem fieri in concionibus multum profuerit«. Vgl. die Erwähnung des Bauernkriegs in den »Articuli« [CR 26, 26]; insgesamt auch Neuser, Ansatz der Theologie, 98 f. und Scheible, Melanchthon, 82. 296 Vgl. die »Articuli« [CR 26, 9]: »intelligi quid sit fides, non potest, nisi praedicata poe
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Buße hielt Melanchthon auch nach der Kritik Agricolas unverändert fest und betonte, daß der Rechtfertigung ein Erschrecken der Gewissen vorausgehen müsse.297 Neu war zudem der überaus große Raum, den er den Themen Buße und Gesetz in den »Articuli« gegeben hatte. Die Kritik an diesem hohen Stellenwert nötigte ihn dazu, zu dieser in gewisser Weise einseitigen Darstellung Stellung zu nehmen. Er erklärte sie dadurch, daß er in den »Articuli« keine vollständige und in die Tiefe gehende Abhandlung der lutherischen Lehre habe bieten wollen, sondern sich auf die im Rahmen der Visitation notwendigen Lehrstücke beschränkt habe. Es sei ihm hauptsächlich auf eine Zusammenstellung der für die praktische Umsetzung des Glaubens relevanten und in der Verkündigung vernachlässigten Themen angekommen. Die meisten kontroversen Themen habe er weggelassen bzw. kurzgefaßt, da viele Feinheiten von den einfachen Menschen sowieso nicht verstanden würden.298 Dieses Vorgehen entspreche seinen auch sonst gültigen Grundsätzen für den Unterricht, einfach zu lehren und schwer verständliche Begriffe und Themen zu umgehen.299 Es sei wichtig, sich mit der Lehre immer den Hörern und ihren jeweiligen Verständnismöglichkeiten anzupassen.300 Auch hinsichtlich der Kritik an seiner Bestimnitentia« (hier auch das Bild aus Mt 9,17); [CR 26, 10]: »doctrina fidei . . . intelligi ita demum potest, si ante doctrinam timoris seu poenitentiae audierint, quia fides non potest concipi, nisi in corde contrito«; [CR 26,11]: »in quibus possit esse fides, scilicet in corde contrito«; »cor contritum . . . necesse est praecedere fidem, sicut aurora, oriente sole, diem naturaliter praecedit«; [CR 26, 12]: »fides non est nisi in corde contrito, seu mortificato, seu agente poenitentiam. Ita contritio seu poenitentia praecedit fidem«; [CR 26, 18]: »cor terretur, et tum fides erigitur, . . . necesse est revera perhorrescere animos timore, et postea iterum revera per fidem consolationem et gaudium accipere«; [CR 26, 28]: »fidem in his tantum esse posse, qui habent contrita . . . corda«. 297 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 16 ff.] und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 43 ff.]. 298 Vgl. Melanchthon an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 186, Z. 24 f.]: »Nihil habet nisi quandam puerilem κατήχησιν . . . christianae religionis«; [187, Z. 36 ff.]: »in illa ipsa κατηχήσει quid aliud secutus sum, nisi ut necessaria in ecclesiis docerentur, omissis controversiis plerisque quae vel non intelliguntur vel ad pietatem parum conducunt? Itaque praecidi quaedam«; an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 199, Z. 5 ff.]: »Libellus scriptus est a me, . . . ut illis ipsis apud quos scripsi indicarem principales locos doctrinae christianae, quorum incredibilis erat inscitia«; [202, Z. 52 ff.]: »cum homines valde indoctos suscepissem admonendos, non . . . omnia excussisse aut ad vivum resecuisse« (vgl. zur negativen Konnotation des Sprichworts ad vivum resecare Erasmus, Adagia 2, 4, 13 [LB 2, 527 A]: »rem exactius quam sat est, ac morosius excutere . . . Nam ii sæpenumero molesti sunt, dum nimium diligentes esse student«) und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 90 ff.]: »Non omnia subtiliter excussi, at nihil opus erat eo loco . . . subtilitates . . ., quas citius mirentur homines quam intelligant«. 299 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 26 ff.]: »Et in docendo scis me fugere eiusmodi obscuros locos iuxta proverbium: ἀμαθέσ τερον καὶ σαφέστερον«; an Spalatin Anfang November 1527 [MBW 620; MBW T 3, 209, Z. 31]: »simplicissime docere« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 92 f.]: »subtilitates – quas me fugere scis«. 300 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 202, Z. 54 f.]: »Utinam omnes qui docent ad captum auditorum se accommodarent. Ego id certe
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mung des Anfangs der Buße führte Melanchthon sein pädagogisches Interesse an: Er sehe zwar einen Unterschied zwischen den von ihm und Agricola vorgeschlagenen Begriffen der Gottesfurcht bzw. Furcht vor Strafe und der Liebe zur Gerechtigkeit, aber im konkreten Akt der Buße könne man beide nur schwer voneinander unterscheiden.301 Zudem sei es ihm bei seiner Darstellung darum gegangen, mit dem Terminus der Gottesfurcht einen für alle verständlichen Begriff zu verwenden und den von Agricola favorisierten, seiner Ansicht nach aber mißverständlichen Ausdruck der Liebe zur Gerechtigkeit zu vermeiden.302 Damit habe er die einfachen Menschen im Blick gehabt, was aber nicht bedeute, daß man mit derselben Begrifflichkeit auch gebildetere Leute unterrichten müsse.303 Melanchthon zeigte sich bereit, sich seinen Kritikern zu fügen und bestimmte Aussagen zu widerrufen, wenn sich ihre Vorwürfe an dieser Anpassung an seine Hörer entzündet hätten.304 Diese Äußerung zeigt deutlich, daß es ihm nicht auf die Verteidigung einzelner dogmatischer Aussagen ankam, sondern vor allem darauf, in seinen Absichten verstanden zu werden. Die Beibehaltung einiger von den Kritikern als papistisch gebrandmarkter Lehrstücke wie zum Beispiel der Dreiteilung der Buße erklärte Melanchthon ebenfalls durch sein pädagogisches Interesse: 305 Da es unter den Lehren des Papsttums neben vielen verwerflichen auch einige gute gebe, solle man diese beibehalten und der neuen Lehre anpassen.306 Er halte an der Dreiteilung der Buße in contritio, confessio und satisfactio fest, um mit Hilfe dieser alten Aufteilung den Menschen die Inhalte der neuen Lehre sozusagen in einem alten Gewand conor«; an Spalatin Anfang November 1527 [MBW 620; MBW T 3, 209, Z. 31] und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 91 f.]. 301 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 43 ff.]: »Ego respondi [sc. Agricolae] paucis oportere terrores in animis existere ante iustificationem, et in his terroribus non discerni facile posse amorem iusticiae ac timorem poenarum«. 302 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 19 f.]: »intelligi a vulgo facilius potest haec figura sermonis metus divini iudicii«; [Z. 25 f.]: »Ego autem consulto id ibi praeterii, quia non tam facile intelligi video, quid sit ex amore iustitiae oriri poenitentiam, quam facile dicitur« und an Aquila Anfang November 1527 [MBW 618; MBW T 3, 206, Z. 10 f.]. 303 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 201, Z. 37 f.]: »ego iudicavi parvulos lacte alendos, nec veto te grandioribus solidos cibos proponere ». 304 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 202, Z. 50 ff.]: »Libenter cedam rectiora monentibus, si videar propterea contaminasse scripturarum puritatem aut lesisse libertatem evangelicam, quia, cum homines valde indoctos suscepissem admonendos, non satis videor omnia excussisse«; [Z. 55 f.]: »Quodsi hoc [sc. accomodatio ad captum auditorum] peccare est aut scripturarum puritatem conspurcare, fatebor id quoque, siquidem ita vis, καὶ παλινῳδήσω «. 305 Vgl. die Dreiteilung der Buße in Melanchthons »Articuli« [CR 26, 11 und 20 f.]. 306 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 151, Z. 23 f.]: »Quin potius quae poterant tolerari aut excusari leniamus«; [Z. 50 ff.]: »Multa nunc melius docentur divino beneficio in ecclesia quam ante, sed quaedam melius olim docebant aliqui quam multi nunc indocti Lutherani«.
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leichter nahebringen zu können, weil viele neue Bezeichnungen für die Buße wie »Tötung des Fleisches«, »Verneinung seiner Selbst« und »Sündenerkenntnis« zwar theologisch richtig seien, vom Volk und sogar von manchen Gelehrten jedoch nicht verstanden würden.307 Melanchthon hatte schon vorausgesehen, daß er durch derartige Aussagen bei gewissen Leuten Anstoß erregen würde. Als entsprechende Kritik dann von Aquila auch wirklich geäußert wurde, meinte Melanchthon dazu recht lapidar, er könne sich nicht von allen Schmähungen beeindrucken lassen.308 Melanchthon hielt alle Kritikpunkte Agricolas für theologische Feinheiten, durch die dieser zwar seinen scharfen Verstand erfreuen könne, die aber im Hinblick auf das einfache Volk unnötig seien und nur Streit hervorriefen.309 Ziel seines eigenen Vorgehens bei der Visitation sei es im Gegensatz dazu gewesen, ebensolchen unnötigen Streit zu vermeiden und die Eintracht in den sowieso schon zerstrittenen Gemeinden zu fördern.310 Aus diesem Grund und nicht etwa, um die Mönche oder das Papsttum insgesamt zu schützen, habe er auch dazu aufgerufen, auf Polemik in den Predigten zu verzichten.311
307 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 6 ff.]: »Quaedam etiam in doctrina superioris seculi probavi, videlicet poenitentiae partitionem, si tamen tribuatur satisfactio Christo, eamque partitionem utilem esse existimo ad docendum«; [Z. 13 ff.]: »Nulla res me movit, nisi quod omnes definiebant poenitentiam esse mortificationem carnis, item esse abnegationem sui, item esse cognitionem peccati, quorum verborum nihil neque vulgus intelligit neque doctores aliquot, quos quidem in hoc itinere audivi. Itaque malui contritionem vocari poenitentiae initium«; [151, Z. 20 f.]: »ad docendum sit utilis partitio, si recte intelligatur«. 308 Vgl. Melanchthon an Aquila ca. 10. 9. 1527 [MBW 589a; MBW T 3, 161, Z. 9 f.]: »Non ignorabam ego fore qui ex illa mea particione poenitentiae offenderentur. Sed non putabam omnium calumniis nos moveri debere«. 309 Vgl. Melanchthon Anfang November 1527 an Aquila [MBW 618; MBW T 3, 206, Z. 14 f.] und an Spalatin [MBW 620; MBW T 3, 208, Z. 28 f.]: »est, ut scis, arguto ingenio. Itaque delectatur suis quibusdam inventis, quod ego illi facile permitto«; an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 222, Z. 8 ]: contentiones τῶν ματαιολόγων und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 48]: »ille ἀκριβολογῶν«; [236, Z. 92 ff.]: »illae subtilitates . . . pleraeque sunt inanes ψυχρολογιίαι , . . . multas dissensiones pariunt istae nimis callidae et veteratoriae quaestiunculae«. 310 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 2 ff.]: »Vehementer enim doleo semina discordiae longioris spargi, quae diu iam crudeliter grassatur in ecclesia. Ego in hac inspectione ecclesiarum maxime volui concordiam constituere«; [151, Z. 24]: papalia »leniamus, ut ecclesiae concordiae consulamus«; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 39 f.]: »praecidi quaedam, ut prudens lector intelligere potest, dissensionum semina« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 95 ff.]. 311 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 100 f.]: »Hos [sc. monachis maledicentes] reprimendos esse potius quam incitandos putavi« und an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 8 ff.]: »Nolui enim alere Aurei [sc. Johannes Gülden] et similium amentiam, qui putant unum hoc esse docere evangelium: summa contentione atque amarulentia debacchari . . . adversus eos qui a nobis dissentiunt«.
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Hinsichtlich der Kritik an seiner von Luther abweichenden Auslegung von Gal 3,19312 wies Melanchthon zum einen gegenüber Amerbach darauf hin, daß er damit keineswegs Ruhm erstrebe, sondern daß das Ziel seiner gesamten Bibelauslegung darin bestehe, den Lehrenden in der Kirche zu vermitteln, auf welche Stellen der Heiligen Schrift es ankomme.313 Zum anderen bekannte er gegenüber Aquila und Agricola offen, daß er die von Luther abweichende Interpretation auch in seinen Vorlesungen vertrete und keinerlei Schwierigkeiten in ihr sehe, da sie sich auf die Exegese der Kirchenväter stützen könne und sich in die Theologie des Paulus problemlos einfüge. Aufgrund dieser Argumente werde ihm sicher auch Luther wegen seiner Abweichung nicht böse sein.314 Aus der bloßen Tatsache, daß er eine Bibelstelle anders als Luther auslege, könne nicht auf eine dogmatische Abweichung von Luther oder gar von der gesamten Christenheit geschlossen werden.315 Eine inhaltliche Abweichung von Luther bestand nach Ansicht Melanchthons weder in der Frage des Gesetzes noch in irgendeinem anderen Punkt, denn er war fest davon überzeugt, alle seine Aussagen in Übereinstimmung mit der Lehre Luthers formuliert zu haben.316 Den Auslöser für entsprechende Reaktionen der Altgläubigen und Vorwürfe in den eigenen Reihen sah Melanchthon darin, daß er manche Lehrstücke ohne Schärfe und vorsichtiger als Luther ausgedrückt hatte. Darin entsprach auch er selbst dem Anspruch, den er an die Pfarrer und Prediger im Visitationsgebiet gestellt hatte. Er war sich bewußt, daß 312 Vgl. Melanchthons »Articuli« [CR 26, 28]: »Lex est posita propter transgressiones, scilicet cavendas« und Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 201, Z. 40 f.]: »Lutherus enim exposuit augendas, ego cohercendas«; [Z. 47 f.]: »Ego interpretationem Paulini loci ad effectum priorem legis accommodavi, Lutherus accommodat ad posteriorem«. 313 Vgl. Melanchthon an Amerbach 28./29. 11. 1527 [MBW 629; MBW T 3, 225, Z. 9 f.]: »Id unum studui, ut simplicissime ostenderem, quos locos maxime urgere docentes in ecclesiis optarim«. 314 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 201, Z. 41 ff.]: »Non ignorabam me aliud exponere atque ille [sc. Lutherus] exposuit, sed malui sequi veteres certo consilio; nec opinor mihi propterea succensere Lutherum, quando haec interpretatio non male quadrat ad Pauli sententiam et minus habet obscuritatis« und an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 212, Z. 9 f.]: »Ego secutus sum illam sententiam in enarrando quam video et veteres amplexos esse et nihil absurditatis habere«; [213, Z. 13 f.] »in hoc loco ego nullam novam interpretationem finxi. Veterum est, ut in Hieronymo est cernere, et nihil habet absurditatis« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 7 f.]: »Ego non sine certo consilio hanc expositionem secutus sum, quae tum nihil habet absurditatis, tum gravissimis scriptoribus veteribus placuit«. 315 Vgl. Melanchthon an Aquila 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 213, Z. 10 ff.]: »De dogmate ipso convenit mihi cum Luthero, nec propterea videri debeo ab illo dissentire, etiamsi aliquem locum paulo secius interpretor. Quis enim hoc non facit?« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 9 ]: »Nec videri debeo propterea dissentire a christianismo«. 316 Vgl. Melanchthon an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 5 f.]: »ego semper contenderim ea quae sunt in commentario inspectionis ecclesiarum convenire per omnia cum Lutheri doctrina« und an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 33 f.]: »tu vides nihil aliud me scripsisse, quam quod passim tradidit Lutherus«.
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er sich mit dieser maßvollen Art nicht nur Freunde machte, wollte sich aber durch die Kritik nicht davon abbringen lassen, da er von seinen gewichtigen Gründen überzeugt war und in erster Linie Gott und nicht den Menschen gefallen wollte.317 Von diesen Überzeugungen ausgehend sah Melanchthon keinen Grund, sein Verhalten und seine im Zusammenhang der Visitation getroffenen Äußerungen grundsätzlich zu überdenken oder gar zu ändern, und so hatte er auch in späterer Zeit keine Schwierigkeiten, ähnliche Ratschläge zu erteilen.318 Allerdings scheint sich Melanchthon in der folgenden Zeit in bezug auf seine Schriften stärker abgesichert zu haben, um neue Vorwürfe zu verhindern, indem er zum Beispiel bei seiner Schrift gegen die Wiedertäufer Luther bat, sie vor der Drucklegung zu begutachten.319 b) Der persönliche Umgang mit der Kritik Melanchthons persönlicher Umgang mit den gegen ihn gerichteten Vorwürfen war stark von seinem Ideal der Eintracht geprägt, das ihn – wie oben erwähnt – auch bei seinen inhaltlichen Entscheidungen im Zusammenhang der Visitation geleitet hatte. Dies wird daran deutlich, daß ihm zum ersten überaus viel daran lag, die durch die Streitigkeiten beeinträchtigte Freundschaft zu seinen Kritikern möglichst schnell wiederherzustellen, und er zu diesem Zwecke bereit war, alle Angriffe zu vergessen und zu verzeihen, daß er zum zweiten der Überzeugung war, Gleichgesinnte sollten zusammenhalten und sich nicht gegenseitig bekriegen, und daß er zum dritten im Streit mit Agricola nie öffentlich Stellung bezog, um dadurch den Gemeinden langwierige Streitigkeiten zu ersparen. 317 Vgl. Melanchthon an Spalatin Mai 1528 [MBW 689; MBW T 3, 329, Z. 7 ff.]: »Tantum me hoc cavisse, ut sine acerbitate verborum res nudae proponerentur. Multae mihi caussae fuerunt eius lenitatis«; [Z. 11 ff.]: »Neque ignoro, quantum odii apud quosdam conciliarit mihi haec mea diligentia. Sed mihi magis fuit spectandum, quid deo placeret, quam quodmodo sycophantas illos mihi placarem« (vgl. das schöne Wortspiel mit placere und placare und die Anspielung auf Apg 5,29); [Z. 18 ff.]: »Nam quod nudas res proposui cavique, ne quid admiscerem conviciorum, honesta ratione adductus sum, quam spero deo probari« und an Camerarius 15. 9. 1528 [MBW 710; MBW T 3, 379, Z. 33 ff.]: »quia sine verborum acerbitate scripsi, iudicant isti, scilicet homines acuti, me dissentire a Luthero«. Melanchthon fühlte sich als das Opfer einer Art Sittenverwilderung, die er mit der von Thukydides (vor 454– 399/96 v. Chr. in den »Historiae« [3, 82, 5] als Folge des Peloponnesischen Krieges geschilderten verglich, die in einer Verkehrung aller früher gültigen Wertmaßstäbe bestanden hatte [380, Z. 48 f.]: »Sic est, ut scripsit Thucidydes: Ὁ μὲν χαλεπαίνων πιστὸς ἀεὶ, ὁ δ΄ἀντιλέγων ὔποπτος«. Eine ähnliche Sichtweise findet sich auch bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: Melanchthon, »qui eadem placide exponeret, quae ab aliis vehementius disputarentur«. 318 Vgl. Melanchthon an Schwebel erste Aprilhälfte 1529 [MBW 771; MBW T 3, 481 f.; hier 481, Z. 9 ff.]. 319 Vgl. Melanchthon an Baumgartner 23. 1. 1528 [MBW 648; MBW T 3, 260 f.; hier 261, Z. 24 ff.].
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Es muß für Melanchthon sehr bitter gewesen sein, daß er nicht von altgläubigen Gegnern, sondern von seinen persönlichen Freunden aus dem lutherischen Lager angegriffen wurde, von denen er sich eigentlich Wohlwollen erwartete.320 Er versuchte zwar, diesen Vertrauensbruch für sich selbst dadurch abzumildern, daß er als Hintergrund der Kritik bei Aquila und bei Agricola jeweils die Verleumdungen anderer vermutete, doch konnte dies seine Verletztheit nicht wirklich mildern.321 Er hatte seine persönliche Enttäuschung zunächst gegenüber Aquila geäußert,322 in besonderer Weise hatte ihn jedoch Agricola getroffen, der ihn als Freund zusätzlich zur Tatsache des Angriffs dadurch verletzt hatte, daß er sich zum einen mit seiner Kritik nicht wie zum Beispiel Aquila direkt an ihn gewandt, sondern seine Vorwürfe zunächst an die Öffentlichkeit getragen hatte,323 und sich zum anderen im Gegensatz zu Aquila allen Versöhnungsversuchen verweigerte.324 Melanchthon war durch die Angriffe Agricolas sehr getroffen worden, hatte in ihrer Folge sein Leben in Gefahr gesehen und litt unter gesundheitlichen Beschwerden, trotzdem versuchte er unermüdlich, den Streit kleinzureden, und war bereit, alle Verletzungen zu vergessen und Agricola zu verzeihen, wenn dieser nur zu einer Versöhnung und zur Wiederherstellung ihrer Freundschaft bereit wäre.325 Unabhängig von den freundschaftlichen Banden konnte Melanchthon zudem den Zustand nicht ertragen, mit einem Gelehrten wie Agricola im Streit zu leben, mit dem er sich in den grundlegenden Fragen des christlichen Glaubens einig glaubte, zumal doch die gegenwärtigen schwierigen Zeiten den Zusammenhalt der Gleichgesinnten erforderten und Streit unter den Amtsträgern den Gemeinden schade.326 320
Vgl. Melanchthon an Aquila 20. 12. 1527 [MBW 633; MBW T 3, 231, Z. 3 f.]. Vgl. zur Kritik der Freunde Melanchthon an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 222, Z. 9 ]: »Hic enim, et quidem a nostris amicis, indignissime tractor« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 123: »In quo [sc. articulis] si adversarii tantum errassent, ferri pot erat; sed conjunctos in caussa, non tam iniquos certe judices neque censores immites esse oportuit«. Vgl. zu den vermuteten Hintermännern bei Aquila oben Kap. 4.2.2.1 a) und bei Agricola Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 80 ff.] (Zitat oben Anm. 239). 322 Vgl. Melanchthon an Aquila Ende August / Anfang September 1527 [MBW 584a; MBW T 3, 150, Z. 6 f.] (Zitat in Anm. 195). 323 Vgl. Melanchthon an Agricola Ende Oktober 1527 [MBW 615; MBW T 3, 200, Z. 9 ff.]: »neque libet mihi suspicari te sententiam tuam sub aliena persona indicasse; id enim alienum esse a nostra amicitia debet« und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 16 ff.]: »Ego sane desidero in amico nostro humanitatem, qui, cum esset reprehensurus quaedam in meo scripto, prius suam censuram spargi per universam Germaniam voluit, quam mecum expostulavit«; [Z. 23]: »vehementer commovebar hac iniuria«. 324 Vgl. Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235–237]. 325 Vgl. die verkleinernden Bezeichnungen offensiuncula, dissensiuncula und quaestiunculae bei Melanchthon an Spalatin Anfang November 1527 [MBW 620; MBW T 3, 208, Z. 25] und an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 78; 236, Z. 95 und 237, Z. 117]; zudem die Aussagen in MBW 634 [MBW T 3, 235, Z. 77 f.]: »me libenter oblivisci huius offensiunculae«; [237, Z. 111]: »Ego ei condono, quicquid huius fecit«. 326 Vgl. Melanchthon 20. 12. 1527 an Aquila [MBW 633; MBW T 3, 231, Z. 4 ff.]: »Vides, 321
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Melanchthon war stets darum bemüht, jeglichen Streit zu vermeiden. Sollten Meinungsverschiedenheiten bestehen, versuchte er, diese intern in einem Gespräch unter Gelehrten beizulegen. Dies gelang ihm 1527 allerdings nur bei Aquila und Amerbach, die sich mit seinen rechtfertigenden Ausführungen zufrieden gaben, nicht aber bei Agricola. Dieser ließ auch nach mehrmaligen Mahnungen nicht von seiner Kritik ab, sondern wollte Melanchthon zu einer öffentlichen Stellungnahme bewegen. Melanchthon jedoch sträubte sich dagegen, sich durch eine solche Reaktion – wie er schrieb – auf Agricolas Ebene unbändiger Heftigkeit zu begeben, sich von Rachegelüsten treiben zu lassen und seine Ehre über das Allgemeinwohl zu setzen. Er wollte sein Handeln im Gegensatz zu Agricolas Verhalten – wie er es auch von den Pfarrern und Predigern gefordert hatte – von Mäßigung und Menschlichkeit bestimmen lassen. Aus diesem Grund verteidigte er sich gegenüber Agricola lediglich in persönlichen Briefen und versuchte, die Vorwürfe geduldig zu ertragen. Er hoffte, dadurch eine weitere Ausbreitung der Streitigkeiten verhindern und Schaden von den Gemeinden abwenden zu können.327 quod sit seculum, quam multae ubique dissensiones, quam Vatiniana odia eorum inter se qui caritatem alios docere debebant. Et ego quotidie magis experior, quantum haec dissidia noceant pietati in ecclesia, quantum perturbentur vulgi conscientiae talibus scandalis« und an Jonas [MBW 634; MBW T 3, 236, Z. 86 f.]: »Huc accedit, quod in tot dissensionibus magis conveniebat nos συγκρητίζειν« (vgl. Erasmus, Adagia 1, 1, 11 [ASD 2/1, 125, Z. 522 ff.]: »Cretico prouerbio dicebatur, quoties fieret, vt qui modo videbantur hostes acerrimi, repente in summam concordiam redigerentur. Id quod frequenter euenire solet, maxime si quando malum aliquod inciderit vtrisque commune«); [Z. 105 ff.]: »Ego . . . malo, praesertim cum de summa doctrinae christianae nobis conveniat, pacem inter nos esse«. 327 Vgl. Melanchthon an Spalatin nach 19. 10. 1527 [MBW 608; MBW T 3, 184, Z. 24 f.]: »decrevi ferre, etiam si perget mihi molestus esse«; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 187, Z. 28 ff.]: »ego dabo operam, ut intra nos componatur haec res, et vincam mea moderatione atque humanitate istius vehementiam«; [Z. 35 f.]: »dabit mihi, ut spero, Deus hanc mentem, ne quid faciam quod augere discordias ecclesiasticas possit«; an Aquila Anfang November 1527 [MBW 618; MBW T 3, 206, Z. 15 ff.]: »Ego respondi ei [sc. MBW 615] et vicissim ab eo literas expecto. Quodsi videro eum bellum parare, rogabo, ut sumat sibi alium quempiam ex his qui adversantur nostrae doctrinae, quicum litiget. Mihi decretum est cum eo non rixari«; 12. 11. 1527 [MBW 623; MBW T 3, 213, Z. 17 f.]: »ego in tam multis dissensionibus reprimerem me cuperemque studere non augendis dissidiis sed sarciendae concordiae« und 17. 11. 1527 [MBW 625; MBW T 3, 215, Z. 11 ff.]: »decrevi has calumnias pati ac perferre propter deum. Nec me vindictae cupiditas propellet, ut aliquid faciam quod laedere evangelii gloriam posset«; an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 222, Z. 7 ff.]: »Utinam ego . . . essem . . . procul a contentionibus . . . remotus«; an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 233, Z. 23 ff.]: »hoc statueram in tot dissidiis non statim mihi cornua sumenda esse, sed hanc offensionem consilio potius sanandam esse. Multae erant gravesque caussae, cur tegere hoc malum quam exulcerare malebam. Itaque ad eum lenissime scripsi [sc. MBW 615], purgans me ei aliqua ex parte«; [236, Z. 102 ff.]: »Neque haec eo scribo, quod magnopere cupiam cum illo digladiari; fugio enim ut qui maxime hoc genus pugnarum ecclesiasticarum. Sed si ille me commoverit, non erit reprehendum, si me modeste defen dero« und an Camerarius 7. 1. 1528 [MBW 646; MBW T 3, 258, Z. 15 ff.]: »Ego tamen nihil alienum meo officio per iracundiam facturus sum. Nec tantopere existimatio mea curae mihi est, ut velim eam defensam cum publico incommodo«.
I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530
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4.2.2.5 Die Stellung Luthers zur Visitation und zur Kritik an Melanchthon Da die Zustände in den Gemeinden offenbar schlimme Ausmaße angenommen hatten, lag Luther 1527 sehr an einem Erfolg der Visitation, die er als göttliches Werk ansah.328 Er war aus diesem Grund sehr dankbar für den von den Visitatoren erarbeiteten »Unterricht« und erklärte sein grundsätzliches Einverständnis mit ihm, da er sich von seinen Richtlinien eine Beschleunigung der Visitationsarbeit versprach. Insbesondere anerkannte er Melanchthons pädagogisches Interesse bei der Visitation und lobte die für das Volk gedachte Einfachheit der Ordnung. Er äußerte lediglich eine gewisse Skepsis hinsichtlich der Umsetzbarkeit der Vorschläge. Zudem gestand er eine gewisse Einseitigkeit der Visitationsschrift zu, betonte aber gleichzeitig die Unmöglichkeit, in solch einer Ordnung alles darzustellen. Man müsse sich zwar anstrengen, das Bestmögliche anzuordnen, könne aber dessen Wirkung nicht voraussehen und müsse daher sicher das Festgelegte zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal ändern.329 Er kam zwar den Bitten des Kurfürsten nach Begutachtung und Verbesserung der Schrift nach, wollte aber nicht zu viel an ihr ändern, damit es nicht aussehe, als sei die Ordnung von ihm.330 Zu den Hintergründen der Kritik an Melanchthon stellte Luther folgende Vermutungen an: Da in den evangelischen Gemeinden vor der Visitation weder in der Lehre noch bei den Riten Einförmigkeit geherrscht und in Ermangelung umfassender Ordnungen jeder nach seinem eigenen Ermessen gelehrt und gehandelt habe, sei es kein Wunder, daß sich nun Kritik an den Visitatoren rege, nachdem diese, um die gewünschte Einförmigkeit zu erreichen, in der Visitationsordnung bestimmte Festlegungen getroffen und damit diejenigen beschnitten hatten, die auf der Grundlage ihrer eigenen Ordnungen lehrten und handelten.331 Den Kritikern der Visitation attestierte 328
Vgl. Luthers Vorrede zum »Unterricht« [WA 26, 195, Z. 4 ff.]. Vgl. Luther an Spalatin 19. 8. 1527 [WA Br 4, 232, Z. 3 ff.]: »Ne te quoque conturbent visitationis rumores, . . . Omnia pulchra sunt, si modo sic, vt constituta sunt, administrentur, vti videbis. Sine, vt aduersarii [sc. papistae] glorientur in mendaciis, sicuti solent, cum veritate consolari se nequeant«; an Hausmann 20. 8. 1527 [WA Br 4, 234, Z. 14 ff.]: »Spes est, visitationem facile processuram, iam per visitatores composita pulcherrima ordinatione, quam princeps editurus est, vt nobis postea facile sit conuenire & ordinare, quê necessaria sunt pro Ecclesiis«; an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Z. 9 f.] und an Johann von Sachsen 12. 10. 1527 [WA Br 4, 265, Z. 2 ff.]: »Unser Pfarrherr, Herr Johann Pomer, und ich haben der Visitatoren Acta uberlesen und wenig darinnen geändert, . . . Denn es uns alles fast wohlgefället, weil es für den Pöbel aufs einfältigst ist gestellet«; [Z. 13 ff.]: »Auch kann man’s nicht alles auf einmal stellen, wie es gehen soll. Es ist nichts damit denn der Samen geworfen; wenn’s nu aufgehet, wird sich Unkraut und der Fälle so viel finden, daß Getens und Flickens genug sein wird. Denn Ordnung stellen und gestellete Ordnung halten sind zwei Ding weit von einander. Ecclesiastes lehret, man müsse tun, so viel man kann, und nicht ablassen, das Ander gehen lassen, wie es gehet, und Gott befehlen, wie es denn im weltlichen Regiment auch zugehet«. Vgl. zum pädagogischen Interesse der Ordnung auch die Torgauer Einigungsformel [Seidemann, Schriftstücke, 117]. 330 Vgl. Luther an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Z. 6 f.]. 331 Vgl. Luther an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Z. 10 ff.]; zum Anspruch der Gleich329
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Luther Undankbarkeit gegenüber den Visitatoren, da sie die Wichtigkeit des unternommenen Werkes offenbar nicht begriffen hatten.332 Es stellt sich die Frage, ob auch eine von Luther am 13. Oktober 1527 gehaltene Predigt als – allerdings sehr verklausulierte – Stellungnahme zur Kritik an Melanchthon gesehen werden kann. Die Predigt fiel in die Zeit, als Agricola gerade dabei war, seine Kritik an Melanchthon zu verbreiten. Luther predigte über das Verbot von Verleumdung in Lev 19,16. Dabei prangerte er in aller Deutlichkeit jede Art von Verleumdung an und schärfte seinen Zuhörerinnen und Zuhörern ein, kritischen Aussagen über andere nicht vorschnell zu glauben und sich mit Kritik am Nächsten zunächst an diesen selbst und nicht zuerst an andere zu wenden. Er erwähnte zwar weder die Vorwürfe gegen die Visitatoren noch gar Agricola persönlich, es war aber wohl dennoch kein bloßer Zufall, daß Luther aus dem dritten und vierten Buch Mose, über die er in diesen Wochen predigte, zu diesem Zeitpunkt gerade diesen einen Vers auswählte.333 Zu einigen der gegen Melanchthon vorgebrachten Vorwürfe bezog Luther auch inhaltlich Stellung: Seine Aussagen zum Umgang mit der christlichen Freiheit und zum Komplex von Buße und Gesetz sind von der Absicht getragen, die Positionen Melanchthons mit denen der Kritiker zu vermitteln und dadurch dem Streit ein möglichst schnelles Ende zu bereiten. Der erste konkrete Kritikpunkt, zu dem sich Luther äußerte, war der von Agricola und anderen geäußerte Vorwurf, durch die Aussagen Melanchthons in den »Articuli« – zum Beispiel, daß den Schwachen im Glauben das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt gereicht werden könne – werde die christliche Freiheit eingeschränkt. Luther versuchte in dieser Frage, sowohl den Kritikern als auch Melanchthon gerecht zu werden: Melanchthon stimmte er darin zu, daß die Gewissensfreiheit um der Schwachen willen eingeschränkt werden könne, wenn dies dazu diene, sie zu belehren und für den neuen Glauben zu gewinnen. Entsprechend hatte sich Luther selbst bei der ersten Torgauer Konferenz wie Melanchthon dafür ausgesprochen, das Zugeständnis an die Schwachen, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu genießen, in den »Unterricht« aufzunehmen, und hatte daran auch festgehalten, als Kurfürst Johann nach der Konferenz Bedenken daran geäußert hatte.334 Allerdings müsse man – und das war ein Zugeständnis an die Kritiker – immer darauf achten, wer die Forderung nach einer solchen Einschränkung der Freiheit äußere. Falls sie von seiten eines Tyrannen erhoben werde, müsse man die heit auch den »Unterricht« [CR 26, 86] und Luther an Hausmann 27. 9. 1525 [WA Br 3, 582, Z. 6 f.]. 332 Vgl. Luther an Spalatin 13. 9. 1527 [WA Br 4, 247, Z. 5 f.]. 333 Vgl. Luthers Predigt vom 13. 10. 1527 [WA 25, 427–429, Nr. 6 ]. 334 Vgl. ein Gutachten Luthers, das in Torgau entstanden war und dem »Unterricht« eingefügt werden sollte [WA Br 4, 328 f., Beilage I], und die Bedenken des Kurfürsten oben Kap. 4.2.2.1 a).
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Freiheit entschlossen verteidigen und dürfe keinen Finger breit weichen.335 Die ausgleichende Position Luthers in der Frage der christlichen Freiheit schlug sich auch im »Unterricht« nieder: So blieb der von Melanchthon vorgesehene Passus über das Abendmahl unter einer Gestalt für Schwache erhalten,336 und an anderer Stelle fand ein Satz über die Verteidigung der Freiheit gegenüber Tyrannen Eingang in die Visitationsschrift.337 Auch in den strittigen Fragen von Gesetz und Buße war Luther um Vermittlung bemüht: Zum Vorwurf Agricolas, Melanchthon unterscheide nicht genügend zwischen Gottesfurcht und Strafangst merkte er an, darin bestehe zwar ein Gegensatz, der auch durch Worte ausgedrückt, in der Sache und im Gefühl aber nicht erkannt werden könne.338 Hinsichtlich der umstrittenen Zuordnung von Glaube und Buße meinte Luther, die Ziele beider Kontrahenten berücksichtigen und die Kontroverse durch die Torgauer Einigungsformel aus der Welt schaffen zu können: Er traf darin die Unterscheidung zwischen einem allgemeinen Glauben, der sich auf den schreckenden und drohenden Gott richte, und dem rechtfertigenden Glauben, durch den den erschreckten Gewissen Vergebung ihrer Sünden zuteil werde. Der allgemeine Glaube solle jedoch im Interesse der einfachen Leute weiterhin als Buße, Gesetz oder Gottesfurcht und nicht als Glaube bezeichnet werden.339 In dieser Formel konnten Melanchthon und Agricola ihre jeweilige Zuordnung von Buße und Glauben und ihr eigenes Gesetzesverständnis wiederfinden. Zum Zeitpunkt des Streites konnte sich Luther in diesem Punkt noch nicht auf eine Seite stellen, sondern mußte beiden Positionen ein gewisses Recht zusprechen, da er sich selbst in dieser Frage noch nicht unmißverständlich festgelegt hatte.340 Luther hatte in den zurückliegenden zehn Jahren in seinen Aussagen zu Gesetz und Buße sehr unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und je nach Frontstellung gegen Rom oder gegen Schwärmer die Rolle des Gesetzes unterschiedlich akzentuiert.341 Agricola und Melanchthon konnten sich also beide auf Luther berufen, griffen aber jeweils 335 Vgl. Luther an Agricola 31. 8. 1527 [WA Br 4, 241, Z. 3 ff. und Z. 10 ff.] mit Verweis auf Gal 5,2. 336 Vgl. den »Unterricht« [CR 26, 65–67]. 337 Vgl. den »Unterricht« [CR 26, 51]. 338 Vgl. Luther an Melanchthon 27. 10. 1527 [MBW 612; MBW T 3, 191, Z. 16 f.]. 339 Vgl. die Einigungsformel [Seidemann, Schriftstücke, 116 f.] und den Bericht Melanchthons darüber im Brief an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 235, Z. 58 ff.]. 340 Zu einer ausführlichen Darstellung und Festlegung der Lehre vom Gesetz war Luther erst durch die antinomistischen Streitigkeiten im Jahr 1537 gezwungen (vgl. die drei Antinomer-Disputationen der Jahre 1537/38 [WA 39/1, 360–584] und zusammenfassend dazu Lohse, Luthers Theologie, 289–291). 341 Vgl. z. B. das Nebeneinander unterschiedlicher Schwerpunkte innerhalb von Luthers Predigten zur Genesis, die er 1523/24 gehalten hatte und die 1527 gedruckt worden waren: Aussagen im Sinne Melanchthons in WA 24, 106, Z. 2 f.; 431, Z. 8 ff.; 467, Z. 8 f.; 627, Z. 11 ff. und 693, Z. 13 f. Äußerungen, auf die sich Agricola hätte berufen können, in WA 24, 193, Z. 18 ff.; 306, Z. 22 ff.; 402, Z. 29 ff. und 425, Z. 6 ff.
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unterschiedliche Aspekte seines Buß- und Gesetzesverständnisses auf: 342 Agricola bezog sich auf die eher gesetzeskritischen Äußerungen Luthers und Aussagen über die Liebe zur Gerechtigkeit als Anfang der Buße,343 und Melanchthon betonte seine Übereinstimmung mit Luthers theologischem Gebrauch des Gesetzes. Agricola wußte sich 1527 so zu verhalten, daß ihm Luther glaubte, er stehe noch auf dem Boden seiner Lehre. Denn als Agricola bemerkt hatte, daß Luther nicht so auf seiner Seite stand, wie er es gehofft hatte, setzte er nach Melanchthons Darstellung alles daran, seine wahre Haltung zum Gesetz zu verschleiern, indem er zum Beispiel bei der öffentlichen Diskussion in Torgau auf eindeutig gesetzesfeindliche Parolen verzichtete, sich in terminologische Spitzfindigkeiten flüchtete und den Fragenkreis des Gesetzes nur im persönlichen Gespräch mit Melanchthon anschnitt.344 Dadurch erreichte er, daß sein bereits vorhandener Antinomismus 1527 weder von Luther noch von einem anderen erkannt wurde und erst in der großen Auseinandersetzung des Jahres 1537 ausdrücklich zurückgewiesen wurde. Obwohl Luther also auch Agricola in einigen Punkten Recht gab, ließ er sich von seiner grundsätzlichen Zustimmung zur Visitationsordnung durch die Kritik an Melanchthon nicht abbringen, sondern stellte sich sogar durch seine Vorrede zum »Unterricht« klar hinter ihren Inhalt. Dadurch billigte er auch darin enthaltene Aussagen zu Fragen, in denen er selbst anderer Meinung als Melanchthon war, zum Beispiel bei der Beibehaltung der römischen Dreiteilung der Buße. Das Modell einer Dreiteilung der Buße mit lutherischen Inhalten hatte zwar auch Luther zu Anfang der Reformation favorisiert, um Altgläubige für den neuen Glauben zu gewinnen, sich davon aber schnell wieder abgewandt, da vor allem der Begriff der Genugtuung Anlaß zu Mißverständnissen gegeben hatte. Nach Luthers Ansicht waren die zentralen Bestandteile der Buße contritio und absolutio.345 342
Vgl. Rogge, Streitigkeiten, 192. Vgl. Agricolas Übernahme der Auffassung Luthers vom Gesetz als dem »Sachsenspiegel« der Juden, der die Christen nicht mehr betreffe (vgl. zu Agricola oben Anm. 289; bei Luther WA 16, 378, Z. 11 und WA 18, 81, Z. 14 f.); zum Anfang der Buße Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234, Z. 38 ff.] und bei Luther WA 1, 446, Z. 12 ff.; 525, Z. 12 f.; WA 2, 363, Z. 10 ff.; 370, Z. 3 ff.; 395, Z. 38; 396, Z. 6 ; 703, Z. 33 ff.; WA 6, 191, Z. 32 und WA 7, 116, Z. 12 (an den meisten dieser Stellen wandte sich Luther gegen altgläubige Postitionen, die von seinem Generalvikar Johann von Staupitz (um 1468–1524) oder von Johannes Eck vertreten wurden). 344 Vgl. Melanchthons Darstellung im Brief an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 234] und Hammann, Nomismus und Antinomismus, 105. 345 Vgl. zu Luthers Festhalten an der Dreiteilung der Buße WA 1, 243, Z. 4 ff. und WA 2, 721, Z. 11 ff.; zur Ablehnung WA 7, 353, Z. 25 ff. und 355, Z. 1 ff. In der 1544 von Caspar Cruciger (1504–1548) herausgegebenen Sommerpostille blickte Luther auf diesen Prozeß zurück [WA 21, 251, Z. 3 ff.]: Das Papsttum lehre drei Stücke der Buße, könne aber die Leute nicht unterrichten, was damit gemeint sei; »das wort Satisfactio, Gnugthuung, haben wir jnen zu willen lassen hingehen (der hoffnung, ob wir sie kündten mit glimpff zu der rechten Lere bringen), doch mit dem verstand, das es heisse nicht unser gnugthuung . . ., sondern 343
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Luther konnte gegenüber den Aussagen Melanchthons Toleranz üben, da er in der Visitationsschrift keine theologische Disputation sah, sondern ein Instrument zur Herstellung geordneter Zustände in den kursächsischen Gemeinden. Deshalb hatte er kein Interesse an theologischen Diskussionen, sondern bemühte sich, die Streitigkeiten möglichst schnell aus der Welt zu schaffen, indem er sich zum einen vermittelnd äußerte, zum anderen viele Fragen gar nicht thematisierte. Sein vorrangiges Ziel war es, den Druck der Visitationsschrift zu beschleunigen, damit auf ihrer Grundlage möglichst bald die Visitation fortgeführt werden könne.346
4.3 Zusammenfassung Die Darstellung hat gezeigt, daß Melanchthon im Zuge der Visitation 1527 erstmals massiv und öffentlichkeitswirksam aus den eigenen Reihen kritisiert wurde. Die Vorwürfe entzündeten sich – mitausgelöst durch das Triumphieren vieler Altgläubiger über Melanchthons scheinbare Rückkehr zu katholischen Positionen – an Melanchthons Aussagen in den »Articuli« zu den Themen Buße und Gesetz, an seinem Verhalten gegenüber den Altgläubigen im Rahmen der Visitation und an seinem Umgang mit den Lehren und Traditionen des Papsttums. Konkret wurde ihm vorgeworfen, er stelle die evangelische Lehre zu einseitig dar, manche seiner Lehraussagen und sein Verhalten vermittelten einen katholischen Eindruck, er gefährde die evangelische Freiheit und stimme in einigen Punkten nicht mit der von Luther vertretenen Lehre überein. Zum ersten Mal betraf damit die Kritik an Melanchthon auch Lehrfragen und wurde mit dem Abweichen von Luther begründet. Die Darstellung der Hintergründe bei Melanchthon und seinen Kritikern macht es nachvollziehbar, wie sie zu ihren jeweiligen Positionen kamen, es ist allerdings auffällig, daß sich weder Melanchthon noch seine Kritiker wirklich um Verständnis für die Position des jeweils anderen und um eine sachliche Diskussion der in Frage stehenden Punkte bemühten. Der Konflikt wurde zwar durch die Einigungsformel Luthers nach außen hin beigelegt, die wirklichen Streitpunkte waren allerdings keineswegs gelöst und schwelten unter der Decke weiter. Es ist daher wenig verwunderlich, daß diese Fragen in den folgenden Jahren immer wieder auftauchten und Kritik an Melanchthon auslösten.
Christi«. Da sie sich aber durch solche Zurückhaltung nicht bewegen ließen, solle ab jetzt das Wort Genugtuung aus den Gemeinden und der lutherischen Theologie verschwinden. Vgl. auch Hammann, Nomismus und Antinomismus, 93. 346 Vgl. Luther an Jonas 10. 12. 1527 [WA Br 4, 295, Z. 23 ff.]; seine Anmerkungen zu einem Bedenken Spalatins (vgl. oben Anm. 242) [WA Br 4, 337, Z. 42 ff.] und Hammann, Nomismus und Antinomismus, 87 und 112 f.
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Kapitel 5: Die Kritik an Melanchthon im Jahr 1529 Im Jahr 1529 betrat Melanchthon erstmals in seinem Leben das politische Parkett, auf dem er sich in den folgenden Jahren noch häufig bewegen sollte,347 und geriet in diesem Zusammenhang erneut bei zahlreichen Vertretern aus dem evangelischen Lager in die Kritik, eine Tatsache, die in der Forschungsliteratur bisher meist gar keine oder nur am Rande Erwähnung gefunden hat. Da die Vorwürfe in einem sehr engen Zusammenhang zu den Ereignissen des Jahres 1529 stehen und ohne deren Kenntnis nicht verstanden werden können, muß auch hier vor einer Darstellung der Kritik der jeweilige historische Kontext ausgeführt werden. Es geht im folgenden um Melanchthons Rolle beim Speyerer Reichstag (5.1), um die evangelischen Bündnispläne und das Vorhaben eines Religionsgesprächs in der Zeit nach dem Reichstag (5.2), um Melanchthons Rolle beim Marburger Religionsgespräch (5.3) und um sein Verhältnis zu den Zwinglianern in der Zeit bis zum Augsburger Reichstag (5.4). Da viele Vorwürfe des Jahres 1529 mit Melanchthons Haltung zu den Zwinglianern zusammenhängen, folgt im Anschluß noch ein Exkurs zu seinem Verhältnis zu den Zwinglianern in den Jahren vor 1529 und zu seiner Rolle im Abendmahlsstreit.
5.1 Der Speyerer Reichstag im März und April 1529 5.1.1 Der Reichstag und die Rolle Melanchthons348 5.1.1.1 Die Vorbereitung des Reichstags König Ferdinand schrieb Mitte Januar 1529 einen Reichstag aus; dies geschah in erster Linie mit dem Ziel, die Unterstützung der Reichsstände gegen die Türken zu gewinnen, die sich gerade zum Angriff auf Wien formierten. Zugleich war er aber auch daran interessiert, die altgläubige Mehrheit des Reichstags gegen die Evangelischen zu mobilisieren, weil diese seiner Ansicht nach den Frieden und die Einheit des Reichs und der Kirche gefährdeten und dadurch eine geschlossene Abwehr der Türken erschwerten.349 Die evangelischen Fürsten erkannten den Ernst der Lage und entschlossen sich, den Reichstag persönlich zu besuchen, in der Hoffnung, dadurch einer Schwächung der evan347 Vgl. Sell, Melanchthon und die Reformation, 66 und Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 95. 348 Vgl. die detailreichen Darstellungen zum Reichstag bei Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier und Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags; zur Rolle Melanchthons besonders Neuser, Abendmahlslehre, 291 ff. 349 Vgl. die Instruktion und das Ausschreiben Ferdinands vom 13. 1. 1529 [DRTA.JR 7/1, 484 f., Nr. 1558 und Nr. 1559]; Jonas an Lang 16. 2 . 1529 [ Jonas-BW 1, 122, Nr. 126]; Gussmann, Melanchthon und Eck, 292 f. und Rabe, Deutsche Geschichte, 320.
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gelischen Sache entgegenwirken zu können.350 Melanchthon sollte seinen Landesherrn, Kurfürst Johann von Sachsen, als Berater zum Reichstag begleiten.351 Schon vor dem Auf bruch nach Speyer scheint ihm bewußt gewesen zu sein, daß er als Begleiter des Kurfürsten eine beschwerliche Aufgabe auf sich genommen hatte. Die Aussage in einem Brief an Jonas bezieht sich zwar vordergründig auf die Gefahren der Reise, sicher ahnte Melanchthon aber auch darüber hinausgehende Schwierigkeiten.352 5.1.1.2 Die Eröffnung des Reichstags Nachdem die meisten Reichsstände in Speyer angekommen waren, wurde der Reichstag am 15. März feierlich eröffnet.353 Von evangelischer Seite waren neben dem sächsischen Kurfürsten Johann Landgraf Philipp von Hessen, Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach (1484–1545) und die Gesandten Nürnbergs, Straßburgs und einiger anderer Städte vertreten.354 Da die Anweisungen Kaiser Karls V. (1500–1558) für den Reichstag nicht rechtzeitig angekommen waren, ließ König Ferdinand eine eigene Proposition verfassen und im Namen des Kaisers verlesen. Darin wurde eine umfangreiche Türkenhilfe gefordert und im Blick auf die reformatorische Bewegung ein scharfes Vorgehen angekündigt: In Glaubensfragen sollten bis zu einem Konzil keine Neuerungen mehr vorgenommen werden; für den Fall des Zuwiderhandelns wurde die Durchsetzung des Wormser Edikts von 1521 angedroht. Zudem sollte der milde Speyerer Reichstagsabschied aus dem Jahr 1526 aufgehoben werden.355 Der scharfe Ton der Proposition erschreckte die evangelischen Reichsstände, führte aber gleichzeitig dazu, daß sie enger zusammenrückten.356 Auch Melanchthon 350 Vgl. Johann von Sachsen an Heinrich von Mecklenburg 25. 1. 1529 [DRTA.JR 7/1, 492, Nr. 1582; hier Z. 29] und Philipp von Hessen an Johann von Sachsen 27. 1. 1529 [DRTA.JR 7/1, 493 f., Nr. 1589a; hier 493, Z. 23 ff.]. 351 Vgl. Jonas an Lang 16. 2 . 1529 [ Jonas-BW 1, 122]; Melanchthon an Jonas nach 20. 2 . 1529 [MBW 755; MBW T 3, 450 f.; hier 450, Z. 14 f.]; Luther an Amsdorf 28. 2 . 1529 [WA Br 5, 22, Nr. 1383; hier Z. 2 f.] und Maior an Baumgartner 9. 3. 1529 [Albrecht / Flemming, Manuscriptum 4, 283–285, Nr. 132; hier 283]. 352 Vgl. Melanchthon an Jonas nach 20. 2 . 1529 [MBW 755; MBW T 3, 450, Z. 15 f.]. 353 Vgl. die Berichte darüber in DRTA.JR 7/1, 547 ff. 354 Vgl. Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier, 73 ff. 355 Vgl. die Proposition in DRTA.JR 7/2, 1128–1136, Nr. 104; zur Glaubensfrage besonders 1133 f.; zur Zuordnung dieser Aussagen zu Ferdinand Johann Friedrich von Sachsen an seinen Vater Johann 26. 3. 1529 [Mentz, Johann Friedrich 1, 113 f., Nr. 11; hier 114]; den Bericht über eine Aussage Philipps von Hessen im Bericht von Besserer und Schleicher an den Ulmer Rat 4. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 653–656, Nr. 1997; hier 653, Z. 28 f.] und Rabe, Deutsche Geschichte, 320; zu Ferdinands ablehnender Haltung gegenüber den Evangelischen auch den Brief an seine Schwester Maria 22. 3. 1529 [Bauer / Lacroix, FerdinandKorrespondenz 2/2, 383 f., Nr. 277; hier 384]. 356 Vgl. zum Erschrecken der Evangelischen Johann von Sachsen an seinen Sohn Johann Friedrich 17. 3. 1529 [DRTA.JR 7/1, 563, Nr. 1875; hier Z. 17 f.] und Johann Friedrich an seinen Vater Johann 26. 3. 1529 [Mentz, Johann Friedrich 1, 114]; zum Zusammenrücken
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empfand die Situation zu Anfang des Reichstags als bedrohlich. Die Gefährlichkeit der Lage verschärfte sich seiner Meinung nach zusätzlich durch das Verhalten der zahlreich anwesenden altgläubigen Bischöfe, die ihre Feindschaft und Verachtung für die Evangelischen offen zur Schau trugen. Melanchthon hatte hier wohl vor allem den königlichen Berater Johannes Fabri im Blick, der in seinen Predigten gegen die Evangelischen hetzte.357 Angesichts einer solch massiven Gefahr für die Reformation stellte Melanchthon seine Vorbehalte gegenüber Vertretern des eigenen Lagers, wohl vor allem die zwinglianisch gesinnten oberdeutschen Städte, in den Hintergrund und betonte die Wichtigkeit, das Evangelium gemeinsam zu schützen.358 5.1.1.3 Ausschußbildung und Verhandlungen über den Glaubensartikel Im Anschluß an die Reichstagseröffnung wurde ein Ausschuß gebildet, in dem über die Proposition und insbesondere über ihren Glaubensartikel verhandelt werden sollte. Von evangelischer Seite waren hierin nur Kurfürst Johann von Sachsen und die beiden Städtegesandten Christoph Tetzel aus Nürnberg und Jakob Sturm (1489–1553) aus Straßburg vertreten.359 In diesem Ausschuß wurde heftig diskutiert, doch konnten sich die evangelischen Vertreter mit ihrer Forderung nach Milderung des Glaubensartikels nicht durchsetzen und wurden am 23. März bei der Abstimmung über eine Stellungnahme des Ausschusses von der altgläubigen Mehrheit überstimmt. In diesem Schriftstück beharrten die altgläubigen Vertreter auf der Aussage der Proposition, daß bis zu einem Konzil keine weiteren Neuerungen vorgenommen werden sollten. Zudem wandten sie sich gegen ein falsches Abendmahlsverständnis und gegen die Abschaffung der Messe. Damit hatten sie die zwinglianisch gesinnten oberdeutschen Städte im Blick, erwähnten diese allerdings nicht explizit.360 Die evangelischen Fürsten der Evangelischen rückblickend Melanchthon an Reiffenstein (?) nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 503–507; hier 504, Z. 4 ff.]. 357 Vgl. Melanchthon über den Beginn des Reichstags in den Briefen an Camerarius 15. 3. 1529 [MBW 760; MBW T 3, 456 f.; hier 456, Z. 2 ff. und Z. 7 f. und 457, Z. 9 ff.]; an Myconius 19. 3. 1529 [MBW 761; MBW T 3, 457 f.; hier 458, Z. 8 ff.] und im Rückblick an Spengler 17. 5. 1529 [MBW 783; MBW T 3, 512 f.; hier 512, Z. 5]; zu seinen Klagen über Fabri die Briefe an Jonas 22. 3. 1529 [MBW 762; MBW T 3, 459–461; hier 461, Z. 6 ff.]; an Eberbach 24. 3. 1529 [MBW 764; MBW T 3, 463 f.; hier 464, Z. 10 f.] und an Jonas 30. 3. 1529 [MBW 765; MBW T 3, 465 f.; hier 465, Z. 10 ff.]. Auch andere Evangelische beschwerten sich über Fabri; vgl. Friedbolt an Vadian 20. 3. 1529 [Vadianische Briefsammlung 4, 169 f., Nr. 566; hier 169]; Bucer an Zwingli 29. 3. 1529 [CR 97, 83, Nr. 827; hier Z. 6 ] und Bullinger, Reformationsgeschichte 2, 66, Nr. 269. 358 Vgl. Melanchthon an Camerarius 15. 3. 1529 [MBW 760; MBW T 3, 457, Z. 12 ff.]. 359 Vgl. zur Ausschußbildung die Berichte in DRTA.JR 7/1, 558 ff. und Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier, 112 ff.; zu den evangelischen Mitgliedern Ney, a. a. O., 118. 360 Vgl. das Ausschußbedenken vom 23. 3. 1529 in DRTA.JR 7/2, 1138–1155, Nr. 106; zur Glaubensfrage bes. 1142 f. und den Bericht Melanchthons im Brief an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 504, Z. 12 ff.]; zum Bezug der Aussagen über Abendmahl und Messe auf die Oberdeutschen Jak. Sturm an Butz 24. 3. 1529 [PC 1, 325, Nr. 565]. Es ist
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und Städte empfanden diese Aussagen als unannehmbar, beschwerten sich deshalb in den folgenden Wochen sowohl im Ausschuß als auch bei König Ferdi nand, appellierten an den ersten Speyerer Abschied von 1526 und versuchten, in weiteren Verhandlungen eine Milderung des Bedenkens zu erreichen. Dies gelang ihnen allerdings nur in wenigen nachrangigen Punkten.361 Die Altgläubigen hatten gehofft, durch die Erwähnung der auch unter den Evangelischen umstrittenen Fragen von Abendmahl und Messe die Lutherischen zu einer Verurteilung der Zwinglianer veranlassen und dadurch die Evangelischen trennen und schwächen zu können.362 Die evangelischen Fürsten und Städte erkannten diese Absichten jedoch schnell und bemühten sich, ihnen entgegenzuwirken; vor allem Philipp von Hessen stellte sich in allen Verhandlungen hinter die oberdeutschen Städte.363 Auch der sächsische Kurfürst Johann und sein Berater Melanchthon unterstützten diese evangelische Solidarität zunächst, allerdings ist deutlich, daß die Kursachsen im Gegensatz zu Landgraf Philipp eher durch pragmatische Überlegungen als durch ein inneres Gefühl der Verbundenheit mit den Zwinglianern geleitet wurden. Sie rieten von einer Verurteilung der Zwinglianer nicht grundsätzlich ab, sondern nur für den gegenwärtigen Zeitpunkt. Kurfürst Johann erklärte im Kurfürstenrat, daß er mit der zwinglianischen Lehre in keiner Weise einverstanden sei, betonte jedoch, daß die Zwinglianer vor einer Verurteilung angehört werden müßten. Denn für den Fall, daß ihnen Unrecht widerfahren sollte, befürchteten die Kursachsen einen Einmarsch der Schweizer in Deutschland. Sollte allerdings der Glaubensartikel für die Lutherischen gemildert werden, erklärten sie ihre Bereitbekannt, daß die Oberdeutschen insbesondere aufgrund ihrer Aussagen über das Abendmahl und der vollständigen Abschaffung der Messe sowohl von altgläubiger als auch von lutherischer Seite angegriffen wurden; vgl. zur Abschaffung der Messe in Memmingen am 9. 12. 1528 und in Straßburg im Februar 1529 Dobel, Memmingen 2, 70 und Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier, 84 f.; zur Kritik daran Luther an den Memminger Rat 21. 5. 1529 [WA Br 5, 73 f., Nr. 1422; hier 74, Z. 8 ff.]. 361 Vgl. die Berichte der Straßburger Gesandten aus dieser Zeit [PC 1, 324 ff.]; die Gutachten, Eingaben und Stellungnahmen der evangelischen Stände [DRTA.JR 7/2, 1205 ff.]; Melanchthon an Eberbach 24. 3. 1529 [MBW 764; MBW T 3, 464, Z. 7 ff.] und an Jonas 30. 3. 1529 [MBW 765; MBW T 3, 465, Z. 9 f.]; Capito an Zwingli 29. 3. 1529 [CR 97, 84–86, Nr. 827a; hier 85, Z. 10 ff.]; Johann von Sachsen an seinen Sohn Johann Friedrich 4. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 651 f., Nr. 1992; hier 651, Z. 39 f.] und Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 505, Z. 24 ff.]. 362 Vgl. zu den Absichten der Altgläubigen Sturm und Pfarrer an die Dreizehn in Straßburg 24. 3. 1529 [PC 1, 323–325, Nr. 564; hier 324]; Sturm an Butz 24. 3. 1529 [PC 1, 325]; von Minkwitz an Johann Friedrich von Sachsen 30. 3. 1529 [DRTA.JR 7/1, 619–622, Nr. 1960; hier 621, Z. 15 f.]; Philipp von Hessen nach dem Bericht von Besserer und Schleicher an den Ulmer Rat 4. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 653, Z. 33 f.]; Philipp von Hessen an Zwingli 22. 4. 1529 [CR 97, 108 f., Nr. 835a; hier 108, Z. 9 ff.] und Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 506, Z. 39 f.]. 363 Vgl. die Eingabe der Evangelischen an den Reichstag vom 12. 4. 1529 [DRTA.JR 7/2, 1235–1244, Nr. 126; bes. 1240, Z. 20 ff.] und Köhler, Zwingli und Luther 2, 29 f.
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schaft zu einer Preisgabe der Zwinglianer.364 Melanchthon ließ sich von dieser nur bedingt solidarischen Haltung auch nicht durch seinen Studienfreund Johannes Oekolampad (1482–1531) aus Basel abbringen, der ihn Ende März in einem Brief bat, sich einer Verdammung der Zwinglianer entgegenzustellen und sich für den Frieden einzusetzen.365 Vielmehr litt er sehr unter der für die Evangelischen unsicheren Lage und gelangte immer mehr zu der Überzeugung, daß die den Evangelischen von altgläubiger Seite angebotenen Bedingungen annehmbar seien und eine Einigung zwischen Lutherischen und Altgläubigen erreicht werden könnte, wäre da nicht der Widerspruch der oberdeutschen Städte, auf den die Lutherischen meinten Rücksicht nehmen zu müssen.366 5.1.1.4 Einigungsversuche Melanchthons bei den Altgläubigen Die Sorgen wegen des schleppenden Vorankommens und der sinkenden Erfolgschancen der Ausschußverhandlungen scheinen Melanchthon sehr zugesetzt zu haben. Er behauptete zwar in einem Brief, er sehe kein anderes Heilmittel als Gebete,367 nichtsdestoweniger unternahm er aber konkrete Versuche, um die Einigung mit den Altgläubigen voranzubringen. Anfang April widmete er König Ferdinand seinen Danielkommentar und ermahnte ihn, seinen Herrscherpflichten nachzukommen und sich für den Frieden und die Eintracht der Christenheit einzusetzen. Da Friede und Eintracht vor allem aufgrund falscher Lehre in Gefahr seien, dürfe der König Kritik in bezug auf Lehrfragen nicht gewaltsam ersticken, sondern müsse die von den Evangelischen vorgebrachten Anfragen zur Kenntnis nehmen und für eine Bereinigung der Lehre sorgen. Dies sollte eigentlich durch das seit Jahren angemahnte und auch bereits zugesagte Konzil geschehen. Da dessen Zustandekommen jedoch unsicher war, schlug Melanchthon vor, die Herrscher Europas sollten einige Gelehrte zu einem Religionsgespräch versammeln.368 Über etwaige Folgen dieser Widmung Melanchthons herrscht in der Forschungsliteratur Uneinigkeit: Einige Forscher sehen einen Zusammenhang zwischen ihr und einem Vorschlag des königlichen Gesandten bei der römischen Kurie Andrea da Bur364 Vgl. den Vortrag Johanns von Sachsen im Kurfürstenrat am 6.4. und die folgenden Verhandlungen am 8. 4. 1529 nach Melanchthons Berichten an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 505, Z. 32 ff. und 506, Z. 40 ff.] und an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 508–512; hier 510, Z. 20 ff. und 511, Z. 45 ff.]; zu Johanns ablehnender Haltung gegenüber der zwinglianischen Lehre zudem seine Instruktion für von Dolzig für Verhandlungen mit den Grafen von Nassau und Neuenahr 26. 3. 1530 [Gussmann, Ratschläge 1, 256–258, Nr. 3 ; hier 257]. 365 Vgl. Oekolampad an Melanchthon 31. 3. 1529 [MBW 766; MBW T 3, 466–470; hier 468, Z. 30 ff. und 469, Z. 47 ff.]. 366 Vgl. Melanchthon an Camerarius 11. 4. 1529 [MBW 770; MBW T 3, 480, Z. 2 ff.]. 367 Vgl. Melanchthon an Schwebel erste Aprilhälfte 1529 [MBW 771; MBW T 3, 481 f.; hier 482, Z. 5 ff.]. 368 Vgl. Melanchthons Widmung an Ferdinand vor 11. 4. 1529 [MBW 769; MBW T 3, 474–480; hier 478, Z. 87 ff. und Z. 100 ff. und 479, Z. 110 ff, Z. 119 ff. und Z. 129 ff.].
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go, der sich acht Tage nach Erscheinen der Widmung an Papst Clemens VII. (1478–1534) wandte und ihm vorschlug, ein Religionsgespräch zwischen Vertretern des Papstes, des Kaisers und der Lutherischen zu veranstalten. Die Forscher behaupten, dieser Vorschlag habe beim Papst ein überraschend positives Echo gefunden und dieser habe sich sogar zu Zugeständnissen an die Lutherischen bereit erklärt, wobei er in einem solchen Gespräch den Ersatz für ein Konzil gesehen habe.369 Andere Forscher hingegen verweisen darauf, daß es schon an sich fraglich sei, ob König Ferdinand die Widmung überhaupt zu Gesicht bekommen, geschweige denn, daß er sie an die Kurie weitergegeben habe. Aus diesem Grund können sie keinen Bezug zwischen der Entscheidung in Rom und Melanchthons Vorschlag erkennen, wobei sie zudem auf die unterschiedlichen Ziele eines solchen Religionsgesprächs beim königlichen Gesandten und bei Melanchthon aufmerksam machen.370 Welche Version auch zutreffend ist,371 es steht fest, daß Melanchthon nichts von diesen Gesprächen in Rom erfuhr und der Plan eines solchen Religionsgesprächs schnell wieder verschwand, selbst wenn man in der Kurie darüber ernsthaft nachgedacht haben sollte. Ob Melanchhon darüberhinaus auch bei anderen Vertretern der altgläubigen Partei um Verständnis und Einigung warb, läßt sich nicht mehr mit Bestimmtheit sagen, da eine entsprechende Information in nur einer Quelle begegnet und nicht anhand anderer Texte überprüft werden kann: Ein nicht näher bekannter Hans Lutz aus Augsburg 372 berichtete in einer Schrift über den Speyerer Reichstag, daß Melanchthon zu einem nicht genannten Zeitpunkt während des Reichstags Männer zu Johannes Fabri geschickt habe und diesen habe bitten lassen, sich mit ihm darüber zu unterhalten, ob er und die Evangelischen unrecht lehrten, und sie in der Heiligen Schrift zu unterweisen. Sollte bei diesem Gespräch herauskommen, daß sie nicht recht lehrten, würden sie von ihrer Lehre Abstand nehmen und den Altgläubigen folgen – eine damals gängige Argumentationsfigur, die schon Luther 1521 bei seiner Rede vor dem Wormser Reichstag verwendet hatte und die die Kursachsen auch 1530 in Augsburg verwenden sollten 373. Ein solches Treffen kam laut Lutz aber nicht zustande, da 369 Vgl. z. B. Kühn, DRTA.JR 7/1, 716, Anm. 2 (von 715), Z. 41 ff. und Müller, Kurie und Reformation, 75. 370 Vgl. z. B. Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 107, Anm. 39. 371 Vielleicht könnte man in dieser Frage Klarheit erlangen aus den Weisungen König Ferdinands an seinen Gesandten da Burgo, die im Wiener Staatsarchiv liegen. Eine Einsicht in diese Dokumente war mir allerdings nicht möglich. 372 Über den Verfasser ist lediglich in Erfahrung zu bringen, daß er in Diensten der Stadt Augsburg stand und 1525 innerhalb des Schwäbischen Bundesheeres gedient hatte; vgl. Greiff, Tagebuch des Hans Lutz, 1. 373 Vgl. zu Luthers Rede in Worms Rogge, Luther in Worms, 96 f.; zur kursächsischen Aussage 1530 Johann von Sachsen an Kaiser Karl V. 20. 7. 1530 [MBW 984; MBW T 4/1, 412–430; hier 421, Z. 122 ff.] und Brück in der protestantischen Reaktion auf die Confutatio am 3. 8. 1530 nach seiner »Geschichte«, 71.
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Fabri das Gesprächsangebot mit der Begründung abgelehnt habe, er wolle mit Ketzern nichts zu tun haben.374 Melanchthon selbst berichtete nichts über einen derartigen Versuch, doch muß das nicht bedeuten, daß er nicht stattgefunden hat. Eine solche Kontaktaufnahme Melanchthons zu Fabri ist durchaus nicht unwahrscheinlich, da sie ja bereits im Jahr 1528 Berührungspunkte gehabt hatten, als Fabri Melanchthon aufgrund seiner »Articuli« eine Stelle bei König Ferdinand angeboten hatte.375 Es stellt sich allerdings die Frage, wie sich die oben erwähnten Klagen Melanchthons über Fabri zur Wahrscheinlichkeit einer solchen Aktion Melanchthons verhalten, ob sie dazu nötigen, die von Lutz übermittelte Nachricht als unwahrscheinlich abzutun, oder ob sie gerade für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. Für Letzteres könnten folgende Überlegungen sprechen: Zum einen wäre es möglich, daß sich Melanchthon durch die Zurückweisung Fabris so gekränkt fühlte, daß er im folgenden kein gutes Haar an ihm lassen wollte. Dagegen spricht zwar der frühe Zeitpunkt der bisher zitierten Klagen in Melanchthons Briefen. Allerdings finden sich weitere negative Äußerungen Melanchthons über Fabri in Briefen von Ende April.376 Zum anderen könnte man vermuten, daß er sich absichtlich an den offensichtlich gefährlichsten Feind der Evangelischen wandte, da er hier am meisten bewirken konnte, zumal Fabri zu diesem Zeitpunkt Berater von König Ferdinand war und sich damit im Zentrum der Macht befand. Es ist unklar, ob die Vertreter der evangelischen Stände von diesen Aktionen Melanchthons wußten und sie unterstützten oder ob er hierbei in eigener Verantwortung handelte, da auch an diesem Punkt die Quellen schweigen. Diesbezügliche Aussagen lassen sich ohnehin nur in bezug auf Melanchthons Widmung an König Ferdinand machen, da ja der Zeitpunkt und die Umstände seines Werbungsversuchs bei Fabri, sollte er stattgefunden haben, unklar sind. Es ist unwahrscheinlich, daß sich Melanchthon über seine Einigungsversuche mit anderen Vertretern der Evangelischen in Speyer beraten hat, da er sicher 374 Die Schrift von Lutz trägt den Titel »WAs sich auf dem Reychs tag zù Speir durch Keyserliche Stend des heyligen Römischen Reychs verlauffen / zugtragen / vnd gehalten ist . . . Anfang vnnd End« und wurde 1529 in Durlach gedruckt. Sie ist wieder abgedruckt bei Heuser, Protestation von Speier, 31–55 und wird auch bei Kühn, DRTA.JR 7/1, 952 als Nr. 1783 erwähnt; vgl. zudem VD 16 ZV 10193 f. Laut Kühn ist die Schrift zwischen dem 4.3. und dem 26. 4. 1529 entstanden. Da der Neudruck von Heuser laut Kühn mangelhaft ist, zitiere ich die entsprechende Stelle nach DRTA.JR 7/1, 795, Anm. 2 , Z. 28 ff.: »Auch het h[erzo]g Hans einen mit namen Philippus Melanchton, der schickt erber menner zu dem hochgelerten doctor Johann Fabry und ließ in bitten, das er zu ihm keym und mit ihm spräch hielt, ob er und sein gesellen unrecht lärten, das er so gutwillig were und sie underwiß mit der h[eiligen] schrift; weren sie unrecht daran, so wolten sie von ihr leer ston und ihm folgen. Da enbote er ihn zu, er wöllt nit zu ihn kommen. Was er bei den ketzern wölt tun?«. 375 Vgl. dazu oben Kap. 4.2.1. 376 Vgl. die frühen Klagen Melanchthons oben in Anm. 358; seine späteren Äußerungen im Brief an Camerarius 20. 4. 1529 [MBW 772; MBW T 3, 482–484; hier 484, Z. 25 f.] und unten Anm. 391.
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darum wußte, daß er in dieser Frage nicht die Meinung der evangelischen Mehrheit vertrat.377 Es kann aber als sicher gelten, daß er sich mit seinen Freunden Camerarius und Georg Sabinus (1508–1560) besprach: Camerarius war zur Zeit der Entstehung der Widmung bei Melanchthon in Speyer und scheint mit dem Plan so vertraut gewesen zu sein, daß Melanchthon ihm in einem Brief nach Fertigstellung der Widmung ohne ein Wort der Erklärung darüber berichten konnte.378 Sabinus war als Begleiter Melanchthons in Speyer und aus diesem Grund in jedem Fall ein regelmäßiger Gesprächspartner. Er ist zudem der Verfasser eines Gedichts, das – allerdings anonym – im Anschluß an die Widmung gedruckt wurde und in dem sich die personifizierte Germania an König Ferdinand wendet.379 5.1.1.5 Die Protestation der evangelischen Reichsstände am 19. und 20. April Als den evangelischen Ständen klar wurde, daß auf dem Wege von Verhandlungen über das Ausschußbedenken und somit auch über einen Reichstagsabschied keine Einigung zu erzielen war, legten sie am 19. April in mündlicher und am 20. April in schriftlicher Form Protest ein.380 Im Gegensatz zu anderen Evangelischen 381 konnte Melanchthon diesem Schritt nichts Positives abgewinnen, sondern bezeichnete ihn und das damit offensichtlich gewordene Auseinanderfallen der Stände in eine altgläubige Mehrheit und eine evangelische Minderheit als eine schreckliche Sache, denn er sah, daß durch die offenbar gewordene religiöse Spaltung im Reich die Aussichten auf eine friedliche Schlichtung der Glaubensstreitigkeiten sanken. Er machte zudem die Evangelischen mitverantwortlich für die nun bestehende bedrohliche Situation und behauptete sogar, sie wären ohne Gefahr, wenn sie sich beim Reichstag maßvoller verhalten und sich bei der Türkenhilfe und bei den Verhandlungen über das Reichsregiment kooperativer gezeigt hätten.382
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Vgl. Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 99. Vgl. Melanchthon an Camerarius 11. 4. 1529 [MBW 770; MBW T 3, 481, Z. 15 f.] und Kühn, DRTA.JR 7/1, 622, Anm. zu 621. 379 Das Gedicht »Germania ad regem Ferdinandum« findet sich in CR 1, 1056–1058; vgl. dazu Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 98. 380 Vgl. die erste Protestation vom 19.4. in DRTA.JR 7/2, 1260–1265, Nr. 137 und deren erweiterte und schriftliche Form vom 20. 4. 1529 in DRTA.JR 7/2, 1273–1288, Nr. 143. Auch hier solidarisierten sich die evangelischen Fürsten mit den oberdeutschen Städten (vgl. DRTA.JR 7/2, 1282, Z. 30 ff.). 381 Vgl. z. B. Ehinger an den Memminger Rat 23. 4. 1529 [Urkunden zur Geschichte des Schwäbischen Bundes 2, 345]; Johann Friedrich von Sachsen an seinen Vater Johann 26. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 859 f., Nr. 2203] und Luther an Linck 6. 5. 1529 [WA Br 5, 62 f., Nr. 1416; hier 62, Z. 10 ff.]. 382 Vgl. Melanchthon an Camerarius 20. 4. 1529 [MBW 772; MBW T 3, 483, Z. 6 ff. und Z. 11 ff.] und dazu Ellinger, Melanchthon, 240. 378
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5.1.1.6 Der altgläubige Vermittlungsversuch und das Ende des Reichstags Da auch einige unter den Altgläubigen mit der durch die Protestation entstandenen Situation unzufrieden waren, kamen am Nachmittag des 20. April Herzog Heinrich der Jüngere von Braunschweig-Wolfenbüttel (1489–1568) und Markgraf Philipp von Baden (1479–1533) mit Vermittlungsvorschlägen zu den Protestanten. Darin wurde ihnen zugestanden, ihre Lehre bis zu einem Konzil zu behalten, wenn sie im Gegenzug dazu die zwinglianische Abendmahlslehre verwürfen, und zwar mit den Worten des Ausschußbedenkens vom 23. März.383 Als die protestantischen Stände über dieses Ansinnen berieten, wurde offenkundig, daß Kurfürst Johann von Sachsen, Nürnberg und wohl noch einige andere Städte bereit waren, diese letzte Möglichkeit einer Einigung mit den Altgläubigen wahrzunehmen und dafür die evangelische Solidarität zu opfern.384 Obwohl Straßburg und andere Stände dagegen protestierten,385 gab Kurfürst Johann den Vermittlern am folgenden Tag die Vorschläge mit nur wenigen kleinen Änderungen zurück. Johann und die Städte distanzierten sich damit von der zwinglianischen Abendmahlslehre und entsprachen so den bereits im Ausschuß geäußerten Hoffnungen der Altgläubigen.386 Die beiden altgläubigen Fürsten legten die Vermittlungsvorschläge am 22. April den altgläubigen Ständen und König Ferdinand vor. Sie wurden jedoch nach kurzer Beratung zunächst vom König und dann auch von den Ständen abgelehnt; statt dessen nahm man den Abschied an, dessen Grundlage das umstrittene Ausschußbedenken vom 23. März bildete.387 383 Vgl. das Zugeständnis an die Protestanten in DRTA.JR 7/2, 1295, Z. 16 ff.; zum Vermittlungsversuch insgesamt Melanchthon an Camerarius 20. 4. 1529 [MBW 772; MBW T 3, 483, Z. 8 ff.]. 384 Vgl. zur Unterstützung der Vorschläge durch Nürnberg das P. S. bei Sturm und Pfarrer an den Straßburger Rat 21. 4. 1529 [PC 1, 354–356, Nr. 598; hier 356] und Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 208. 385 Vgl. zum Protest der Städte um Straßburg Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 208. Der Straßburger Rat wies jedoch trotz seiner Einwände gegen den Vermittlungsvorschlag in einem Brief vom 22. 4. 1529 seine Gesandten Sturm und Pfarrer an, sich im Falle einer Annahme dieser Vorschläge nicht von den anderen evangelischen Ständen trennen zu lassen [PC 1, 356, Nr. 599]. 386 Vgl. die geänderte Form der Vermittlungsvorschläge in DRTA.JR 7/2, 1294–1296, Nr. 147; besonders die Aussagen zur zwinglianischen Abendmahlslehre mit den Worten des Ausschußbedenkens 1295, Z. 29 ff.; zudem Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 506, Z. 49 f.] und an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 35 f.]. 387 Vgl. zur Ablehnung der Vermittlungsvorschläge Sturm und Pfarrer an den Straßburger Rat 22. 4. 1529 [PC 1, 356 f., Nr. 600; hier 356]; Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 506, Z. 50 f.] und an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 36]; außerdem Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 213; zur bleibenden Ablehnung der Protestanten bei König Ferdinand den Brief an seine Schwester Maria 24. 4. 1529 [Bauer / Lacroix, Ferdinand-Korrespondenz 2/2, 399 f., Nr. 288; hier 399]. Der Reichstagsabschied vom 22.4. findet sich in DRTA.JR 7/2, 1296–1314, Nr. 148; vgl. dazu Kühn, a. a. O., 216.
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Nach dem Scheitern der Vermittlungsbemühungen kehrten die Evangelischen zu ihrer Protestation zurück und gossen diese nun in die Form einer feierlichen Appellation an Kaiser und Konzil.388 Auch wenn man sich in den grundlegenden Fragen nicht hatte einigen können, so gelang es den beiden Parteien des Reiches am 24. April doch zumindest noch, sich über gegenseitige Friedenszusagen zu verständigen.389 Aus Melanchthons Berichten über das Ende des Reichstags wird deutlich, daß er große Hoffnungen gehegt hatte, aufgrund seiner Widmung an König Ferdinand, durch die altgläubigen Vermittlungsbemühungen und infolge der seiner Meinung nach überfälligen Preisgabe der Oberdeutschen könne doch noch eine Einigung mit den Altgläubigen zustandekommen. Deshalb war er begreiflicherweise sehr enttäuscht über das unnachgiebige Verhalten König Ferdinands, das er unter anderem auf die Wirkung Fabris zurückführte. Gleichzeitig scheint er sich selbst Vorwürfe gemacht zu haben, daß er dem König nicht in ausreichendem Maße seine Übereinstimmung mit ihm signalisiert hatte.390 Angesichts dieses Reichstagsausgangs, der so gar nicht seinen Erwartungen entsprach, wagte Melanchthon wohl nicht, über den altgläubigen Vermittlungsversuch und das unsolidarische Verhalten Kursachsens, für das er ja selbst maßgeblich verantwortlich war, zu berichten, sondern stellte teilweise die letzte Phase des Reichstags anders dar, als sie gewesen war: Beispielsweise berichtete er, man habe Kurfürst Johann zugestanden, bei seiner Lehre zu bleiben. Da man gleichzeitig jedoch anderen verboten habe, dieser Lehre beizutreten, habe Johann dem Abschied nicht zustimmen wollen.391 5.1.2 Die Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Speyerer Reichstags 5.1.2.1 Johannes Furster Die ersten Vorwürfe gegen Melanchthons Verhalten beim Reichstag begegneten schon knapp eine Woche nach Ende des Reichstags. Sie wurden von Johan388 Vgl. Ehinger an seinen Schwager 25. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 857, Nr. 2198]; Furster an Bugenhagen 3. 5. 1529 [DRTA.JR 7/1, 867–869, Nr. 2218; hier 868, Z. 24 f.] und Rabe, Deutsche Geschichte, 321. 389 Vgl. die beiden Zusicherungen vom 24. 4. 1529 in DRTA.JR 7/2, 1342 f., Nr. 164 und 1343 f., Nr. 165; zudem Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 506, Z. 51 ff.] und an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 37]. 390 Vgl. die in Anm. 388 angeführten Aussagen Melanchthons über das Scheitern der Vermittlungsbemühungen und dazu Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 107, Anm. 39: »wenn man seine [sc. Melanchthons] überaus vorsichtige Ausdrucksweise berücksichtigt«, kann man aus diesen Äußerungen »seine tiefe Enttäuschung über des Königs Haltung herauslesen«. Vgl. zur Rolle Fabris Melanchthon an Camerarius 23. 4. 1529 [MBW 773; MBW T 3, 484–486; hier 485, Z. 18 f.]; zu den Zweifeln an seiner eigenen Haltung den Brief an Camerarius 24. 7. 1529 [MBW 807; MBW T 3, 549–552; hier 549, Z. 6 f.]. 391 Vgl. Melanchthons Brief an Musa 9. 5. 1529, der nicht erhalten ist, jedoch von Musa an Roth 14. 5. 1529 erwähnt wurde [MBW 776; MBW T 3, 495–497; hier 496, Z. 32 ff.].
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nes Furster (1488/89–1547) geäußert, der als Kanzler Herzog Ernsts von Braunschweig-Lüneburg (1497–1546) seinen Fürsten beim Reichstag vertreten hatte und unter den Evangelischen als zuverlässiger Bekenner des Evangeliums galt.392 Furster schickte Anfang Mai einen Bericht über den Reichstag an Bugenhagen nach Wittenberg und bat ihn, diese Nachrichten weiter zu verbreiten, da er befürchtete, daß die Altgläubigen nach dem Reichstag die Wahrheit verdrehen und dadurch Menschen, die im neuen Glauben noch nicht gefestigt waren, vom Evangelium abschrecken könnten.393 In diesem Zusammenhang beklagte sich Furster über die Haltung einiger nicht näher genannter Gelehrter beim Reichstag. Er erwähnte zwar Melanchthon nicht explizit, doch erscheint es unbezweifelbar, daß er ihn im Blick hatte, aber nicht wagte, ihn namentlich zu benennen.394 Dafür spricht zum einen, daß Furster als einen Grund seiner Kritik angab, er wolle Bugenhagen darum bitten, Luther zu schreiben, damit auch dieser sich um das geschilderte Problem kümmere. Was sollte das anderes bedeuten, als daß Furster hoffte, Luther werde Melanchthon wegen seiner Haltung beim Reichstag zurechtweisen? 395 Zum anderen waren von evangelischer Seite außer Melanchthon keine Gelehrten anwesend, die Einfluß auf die Fürsten und damit auf den Gang der Verhandlungen gehabt hätten.396 Furster warf den Gelehrten, also vor allem Melanchthon vor, er habe sich beim Reichstag in seinem Herzen als zu weise und zu schwach erwiesen. Ferner gebe er der Vernunft zu großen Raum, auf die man jedoch in Fragen des Glaubens nicht bauen dürfe. Vielmehr müsse man bei der Verteidigung des Wortes Gottes auf dieses selbst zurückgreifen. Melanchthons mangelnde Charakterstärke habe zur Folge gehabt, daß er allenthalben seine Bereitschaft zum Nachgeben signalisierte, von der auch Sachverhalte betroffen gewesen seien, in denen man ohne Beschädigung des göttlichen Wortes nichts nachlassen könne.397 Furster kennzeichnete Melanchthon durch diese Kritik als einen Menschen, dem es 392 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Ernst von Lüneburg 19. 3. 1529 [DRTA.JR 7/1, 575, Nr. 1887, Z. 17 ff.] und Fursters Rede über das Ausschußbedenken vom 23.3. am 6. 4. 1529 [DRTA.JR 7/2, 1217–1222, Nr. 121]. 393 Vgl. Furster an Bugenhagen 3. 5. 1529 [DRTA.JR 7/1, 867, Z. 28 ff. und 868, Z. 26 ff.]. 394 Einen Bezug der Aussage zu Melanchthon sieht auch Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 212. 395 Vgl. Furster an Bugenhagen 3. 5. 1529 [DRTA.JR 7/1, 868, Z. 35 f.]: »Das screibe ich darumb, das ir Martino screibt, [sc. daß] er mit uf das spil sehe«. 396 Johann von Sachsen und Philipp von Hessen hatten zwar mit Johannes Agricola und Erhard Schnepf (1495–1558) weitere Gelehrte dabei, doch kam diesen lediglich die Aufgabe des Predigens zu; vgl. Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier, 77 und 79. 397 Vgl. Furster an Bugenhagen 3. 5. 1529 [DRTA.JR 7/1, 868, Z. 30 ff.]: »Ich besorge in warheit, das etzlicher herzen der gelerten in diessen sachen zu sehr weiße und swach sein und befunden werden. Dan dieselbigen vermeinen allen sachen durch nachlassen auch des, das meins achtens ane verkleinerunge des worts swerlich nachzugeben sein will, vorzukomen fulciti . . . sapientia humana etc. Nu wiesset ir, wes menschlich weisheit in dem das gots ist zu verschaffen habe . . . Ir wiesset auch, was bosses verfulgt ist in unserm glauben aus vilen sachen, die aus menschlicher vernunft im besten auch bedacht und aufgebracht und gefunden
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an Willensstärke und Durchsetzungskraft gegenüber dem Machtwillen anderer fehlte und der sich auf die Weltweisheit, das heißt die Erkenntnis aus menschlichem Bemühen heraus stützte, anstatt sich auf Gott zu verlassen.398 Der Inhalt dieser Vorwürfe Fursters kann als weiteres Indiz dafür herangezogen werden, daß er Melanchthon im Blick hatte, denn ähnliche Kritik sollte Melanchthon in der Folgezeit, vor allem im Zusammenhang des Augsburger Reichstags 1530, häufiger begegnen. Ferner äußerte sich auch Furster selbst 1530 erneut kritisch über Melanchthon.399 5.1.2.2 Philipp von Hessen Von Philipp von Hessen sind zwar keine expliziten Vorwürfe erhalten, doch findet sich möglicherweise versteckte Kritik an Melanchthons Einigungsbestrebungen darin, daß Philipp von Hessen eine deutsche Übertragung der Widmung Melanchthons an König Ferdinand anfertigen, drucken und am 11. Mai 1529 veröffentlichen ließ. Es ist ausgeschlossen, daß sich Philipp durch diesen Druck hinter Melanchthons kirchenpolitische Absichten stellen wollte, da diese seiner eigenen Auffassung in keiner Weise entsprachen. Die Tatsache jedoch, daß er den deutschen Druck auf den 20. April datieren ließ, also auf einen Zeitpunkt, zu dem die Aussichtslosigkeit von Melanchthons Versöhnungspolitik offensichtlich war, könnte vermuten lassen, daß Philipp damit die Erfolglosigkeit der Melanchthonschen Einigungsbestrebungen bloßstellen und diese als naiv darstellen wollte.400 5.1.2.3 Johannes Oekolampad Oekolampad äußerte sich Ende Juli in einem Brief an Ulrich Zwingli kritisch über Melanchthon und warf ihm vor, seinen Aussagen fehle es an Aufrichtigkeit.401 Oekolampad bezog sich damit auf einen Brief Melanchthons, den ihm dieser Ende April aus Speyer als Antwort auf seinen eigenen Brief von Ende März geschrieben hatte. Darin hatte Melanchthon zwar seiner unveränderten Verehrung für Oekolampad Ausdruck verliehen und betont, daß er die Freundschaft einiger Zwinglianer schätzen und ein Religionsgespräch über das Abend-
sein. Es will gott in seinem wort durch unser vernunft nit verteidigt sein, sonder allein durch sein selbst wort an ime kreftig genueg befunden werden«. 398 Vgl. zum Verständnis der Aussagen Fursters Grimm, Deutsches Wörterbuch 9, 2152 f. und 2162 f. und 14/1,1, 1033 und 1130. 399 Vgl. zu ähnlichen Vorwürfen unten Abschnitt II, Kap. 3.10.1 und 3.10.2; zu neuerlicher Kritik Fursters Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 b). 400 Vgl. dazu Volz, Auslegungen des Propheten Daniel, 108 und Lies, Philipp der Großmütige und Melanchthon, 66 f. 401 Vgl. Oekolampad an Zwingli 29. 7. 1529 [CR 97, 226–228, Nr. 883; hier 226, Z. 6 ], wo er nach einem Lob auf Zwingli schrieb: »Utinam candor idem in Melanchthone esset«.
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mahl begrüßen würde, hatte aber auch klar das Trennende in ihren jeweiligen theologischen Überzeugungen herausgestellt.402
5.2 Die Zeit zwischen Speyerer Reichstag und Marburger Religionsgespräch: Evangelische Bündnispläne und das Vorhaben eines Religionsgesprächs 5.2.1 Die Bemühungen Philipps von Hessen um ein Religionsgespräch und die Sichtweise in Kursachsen 5.2.1.1 Philipp von Hessen Philipp von Hessen, der schon seit einigen Jahren an einer politischen Organisation der evangelischen Kräfte im Reich arbeitete, hatte schon während des Speyerer Reichstags versucht, die drei evangelischen Fürsten und die Städte Straßburg, Nürnberg und Ulm von der Notwendigkeit eines Verteidigungsbündnisses zu überzeugen.403 Nachdem infolge des Reichstagsabschieds eine Einigung mit den Altgläubigen in weite Ferne gerückt war, verständigten sich Kursachsen, Hessen und die genannten drei Städte – allerdings ohne Georg von Brandenburg-Ansbach – noch am 22. April in Speyer im Geheimen über ein Bündnis zum Schutz des göttlichen Wortes, verschoben jedoch genauere Festlegungen auf eine spätere Zusammenkunft.404 Melanchthon wurde zu diesen Verhandlungen nicht hinzugezogen.405 Da insbesondere Kursachsen an einem einheitlichen Bekenntnis als Grundlage eines evangelischen Bündnisses gelegen war, legten die Straßburger im Rahmen dieser Verhandlungen ein kurzes Verzeichnis über das Abendmahl vor, durch das wohl alle zunächst zufriedengestellt waren.406 Doch war klar, daß solch ein Verzeichnis eine nur vorläufige Lösung sein konnte. Deshalb hatte sich Philipp von Hessen bereits vor dem Speyerer Reichstag und in seinem Verlauf darum bemüht, die Basis für ein Re402 Vgl. Melanchthon an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 487–495] und dazu Ellinger, Melanchthon, 249 f. und Neuser, Abendmahlslehre, 299. 403 Vgl. Besserer und Schleicher an den Ulmer Rat 8. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 683 f., Nr. 2037; hier 683, Z. 22 ff.]; Sturm und Pfarrer an den Straßburger Rat 12. 4. 1529 [PC 1, 336, Nr. 582] und der Straßburger Rat an seine Gesandten in Speyer 15. 4. 1529 [PC 1, 343, Nr. 589]. 404 Vgl. das Abkommen in DRTA.JR 7/2, 1321–1324, Nr. 152; zu einem späteren Treffen besonders 1321, Z. 23 ff. 405 Vgl. Ney, Geschichte des Reichstages zu Speier, 222; Kühn, DRTA.JR 7/1, 821, Z. 15 f.; Neuser, Abendmahlslehre, 301; gegen Gussmann, Ratschläge 1, 22, der behauptet, Melanchthon habe dem Bündnis beim Reichstag zugestimmt. 406 Das Straßburger Verzeichnis findet sich in DRTA.JR 7/1, 819, Z. 28 ff. und in PC 1, 349, Anm. 1; es wurde später verworfen (vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 297); in der Forschungsliteratur wird es kontrovers diskutiert (vgl. eine positive Wertung bei Köhler, Zwingli und Luther 2, 32 und eine negative bei Kolde, Tag von Schleiz, 96); vgl. dazu insgesamt Gussmann, Ratschläge 1, 21 f.
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ligionsgespräch zwischen Lutherischen und Zwinglianern zu schaffen, hierfür Gespräche mit Melanchthon und Jakob Sturm geführt und an Zwingli in Zürich geschrieben.407 Oekolampad hatte schon bald für eine solche Zusammenkunft gewonnen werden können, zumal er schon früher deren Notwendigkeit herausgestellt hatte.408 5.2.1.2 Melanchthon Auch Melanchthon neigte dem Gedanken eines Religionsgesprächs zu und hoffte, auf diesem Wege könnten die innerkirchlichen Streitigkeiten gelöst und der drohende Zerfall der Kircheneinheit im Reich verhindert werden. Während des Speyerer Reichstags äußerte er einen entsprechenden Wunsch sowohl in Richtung der Oberdeutschen als auch gegenüber den Altgläubigen, und zwar in seiner Antwort auf den Brief Oekolampads, den dieser ihm Ende März nach Speyer geschickt hatte, und in der oben erwähnten Widmung an König Ferdinand.409 Diese Aussagen lassen allerdings nur erkennen, daß er sich ein Gespräch von Gelehrten über die in der Kirche strittigen Fragen wünschte, nicht hingegen, wie er sich ein solches im einzelnen vorstellte. Das läßt vermuten, daß er nicht auf eine bestimmte Zusammensetzung für solch ein Gespräch festgelegt war. Diese Feststellung widerspricht der in der Forschungsliteratur aufgestellten Behauptung, Melanchthon habe mit seinem Vorschlag an König Ferdinand das von Philipp von Hessen geplante Religionsgespräch sabotieren und die Zwinglianer in eine Falle locken wollen.410 Melanchthons Hauptanliegen in bezug auf ein Religionsgespräch war die Erhaltung der kirchlichen Einheit und dafür war ihm jede Zusammenkunft recht, ob nun mit der einen oder der anderen Seite, am besten mit beiden zugleich.411 407 Vgl. zur Äußerung Philipps im Januar 1529, es müsse zu einem Gespräch zwischen Luther und Ökolampad kommen, Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 115; zu seinen Gesprächen mit Melanchthon und Sturm in den Ostertagen in Speyer von Minkwitz an Johann Friedrich von Sachsen 30. 3. 1529 [Köhler, Zwingli und Luther 2, 26]; Besserer und Schleicher an den Ulmer Rat 4. 4. 1529 [DRTA.JR 7/1, 655, Z. 8 ff.]; Philipp von Hessen an Sturm 1. 7. 1529 [PC 1, 382, Nr. 632]; Kühn, DRTA.JR 7/1, 621, Anm. 1 und Köhler, a. a. O., 25. In seinem Brief an Zwingli vom 22. 4. 1529 [CR 97, 108 f.] bat Philipp diesen, das Zustandekommen eines Religionsgesprächs zu unterstützen. 408 Oekolampad hatte sich bereits im April 1525 für ein Religionsgespräch ausgesprochen (vgl. Lohse, Reformation, 61 und Köhler, Zwingli und Luther 2, 1 f.) und seine Bereitschaft hierzu auch in seinem Brief an Melanchthon nach Speyer vom 31. 3. 1529 angedeutet [MBW 766; MBW T 3, 470, Z. 60 f.]. Vgl. zu Oekolampads Reaktion auf die Vorschläge Philipps von Hessen den Bericht Hans von Dolzigs an Johann Friedrich von Sachsen (?) Anfang April 1529 [DRTA.JR 7/1, 627–630, Nr. 1971; hier 628, Z. 20 ff.] und Oekolampad an Zwingli 29. 7. 1529 [CR 97, 226, Z. 7]. 409 Vgl. Melanchthon an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 494, Z. 73 f.]; zur Widmung an König Ferdinand oben Anm. 369. 410 So Sell, Melanchthon und die Reformation, 70; Ellinger, Melanchthon, 245 und Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 95 f. 411 Vgl. Köhler, Zwingli und Luther 2, 21.
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Als allerdings im Lauf des Reichstags alle Bemühungen, eine Einigung mit den Altgläubigen zu erreichen, scheiterten und so auch ein Religionsgespräch zwischen Evangelischen und Altgläubigen in weite Ferne rückte, war Melanchthon genötigt, von seinen umfassenden Vorstellungen Abstand zu nehmen und sich zunächst mit dem von Landgraf Philipp vorangetriebenen Gespräch zwischen Zwinglianern und Lutherischen zu befassen. Aus seinen diesbezüglichen Äußerungen wird deutlich, daß er eine solche Zusammenkunft nicht grundsätzlich verwarf, allerdings auch nicht mit vollem Herzen dahinterstand. Da er fest von der Unrechtmäßigkeit und Gottlosigkeit der zwinglianischen Lehre, vor allem in der Frage des Abendmahls, überzeugt war412 und nicht damit rechnete, daß die Zwinglianer von diesen falschen Positionen abrücken würden, zweifelte er am Nutzen einer solchen Unterredung.413 Als Partner für ein gelingendes Gespräch kamen für Melanchthon ohnehin nur Caspar Hedio (1494–1552) aus Straßburg und Ambrosius Blarer (1492–1564) aus Konstanz in Betracht, da er lediglich sie für belehrbar hielt, nicht hingegen Zwingli und die meisten seiner Anhänger.414 Deshalb versuchte er zunächst, eine Zusammenkunft mit den Zwinglianern zu verhindern, indem er zum einen Herzog Johann Friedrich von Sachsen darum bat, den lutherischen Gelehrten eine Teilnahme am Gespräch zu verbieten,415 und zum anderen an Philipp von Hessen appellierte, das Vorhaben einer solchen Unterredung noch einmal zu überdenken.416 Wenn Melanchthon gleichzeitig seine grundsätzliche Bereitschaft zu einem Gespräch mit den Zwinglianern erklärte und schließlich dem Drängen Philipps von Hessen nachgab,417 dann deshalb, weil er erkannte, daß beide Seiten irgendwann einmal miteinander reden mußten und daß man die Zwinglia412
Vgl. ein Gutachten Melanchthons für Johann von Sachsen 9./10. 5. 1529 [MBW 777; MBW T 3, 497–500; hier 499, Z. 24 ff.; bes. 500, Z. 37 f.] und seine Briefe an Baumgartner 17. 5. 1529 [MBW 781; MBW T 3, 507 f.; hier 508, Z. 16 f.] (der Bezug des Adjektivs βέβηλος auf abzulehnende Lehrinhalte findet sich schon in 1Tim 6,20 und 2Tim 2,16); an Camerar ius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 40 f.]; an Lachmann 3. 6. 1529 [MBW 790; MBW T 3, 521 f.; hier 521, Z. 9 f.]; an Vigilius 20. 6. 1529 [MBW 800; MBW T 3, 535 f.; hier 536, Z. 9 f.]; an Wieland 20. 6. 1529 [MBW 800a; MBW T 3, 536 f.; hier 536, Z. 6 ff.] und an Philipp von Hessen 22. 6. 1529 [MBW 802; MBW T 3, 537 f.; hier 538, Z. 20 ff.]. 413 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 14. 5. 1529 [MBW 778; MBW T 3, 500–502; hier 501, Z. 15 ff.]; die Instruktion Johanns von Sachsen für von Minkwitz 5. 6. 1529 [von Schubert, Bekenntnisbildung, 61–63; hier 63] und Luther an Brießmann 31. 7. 1529 [WA Br 5, 124–127, Nr. 1456; hier 125, Z. 27]. 414 Vgl. Melanchthons Gutachten für Johann von Sachsen vom 9./10. 5. 1529 [MBW 777; MBW T 3, 499, Z. 24 ff.]. 415 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 14. 5. 1529 [MBW 778; MBW T 3, 501, Z. 17 ff.]. 416 Vgl. Melanchthon an Philipp von Hessen 22. 6. 1529 [MBW 802; MBW T 3, 538, Z. 15 ff.]. 417 Vgl. Melanchthon an Philipp von Hessen 22. 6. 1529 [MBW 802; MBW T 3, 538, Z. 17 f.]; an Müller Ende Juni / A nfang Juli 1529 [MBW 804; MBW T 3, 544 f.; hier 545, Z. 17 ff.]; Luther und Melanchthon an Philipp von Hessen 8. 7. 1529 [MBW 806; MBW T 3, 548; hier Z. 7 ff.] und Luther an Brießmann 31. 7. 1529 [WA Br 5, 125, Z. 24 ff.].
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ner nicht unverhört verurteilen konnte.418 Zudem war ihm bewußt, daß man von lutherischer Seite eine Zusammenkunft mit den Zwinglianern nicht kategorisch ablehnen konnte, da zu befürchten stand, daß sich der Landgraf bei einer Absage des Gesprächs durch Luther gänzlich zu Zwingli hinwenden und dadurch die Position der Zwinglianer stärken würde.419 Melanchthon knüpfte ein Religionsgespräch mit den Zwinglianern jedoch sowohl Philipp von Hessen als auch Johann von Sachsen gegenüber an bestimmte Bedingungen und versuchte dadurch, seine eigenen Vorstellungen doch noch durchzusetzen: Er schlug vor, das Gespräch unter Beteiligung einiger gemäßigter Altgläubiger zu veranstalten, die die Rolle von Schiedsrichtern übernehmen sollten. Als Gründe für dieses Ansinnen gab er an, er befürchte, daß die Altgläubigen hinter einer rein evangelischen Zusammenkunft eine Verschwörung der Protestanten vermuten könnten, und zudem sei er in Sorge, daß man den Zwinglianern durch eine Unterredung ohne Beteiligung Unparteiischer die Möglichkeit geben würde, sich danach fälschlicherweise als Sieger zu rühmen.420 Als Melanchthon nach Abschluß des Reichstags – wohl noch auf der Rückreise am kurfürstlichen Hof in Weimar – von den Plänen eines evangelischen Verteidigungsbündnisses erfuhr,421 bestärkte ihn dies in seiner Ablehnung eines Gesprächs mit den Zwinglianern, denn er erkannte, daß der vorrangige Zweck der Zusammenkunft nicht in einer Lösung der strittigen Lehrfragen lag, sondern daß eine lehrmäßige Einigung lediglich als Voraussetzung für das (von ihm abgelehnte) Bündnis geschaffen werden sollte.422 Die Nachricht vom geplanten Bündnis der lutherischen Fürsten mit den oberdeutschen Städten stürzte Melanchthon für die kommenden Monate in große Angst und Sorgen, zog ihn auch körperlich sehr in Mitleidenschaft und brachte ihn an den Rand des Todes – wie er es selbst des öfteren ausdrückte.423 418 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 14. 5. 1529 [MBW 778; MBW T 3, 501, Z. 11 f.] und die oben in Anm. 365 angeführten Aussagen Melanchthons. 419 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 14. 5. 1529 [MBW 778; MBW T 3, 501, Z. 17 ff.]. 420 Vgl. Melanchthons Gutachten für Johann vom 9./10. 5. 1529 [MBW 777; MBW T 3, 499, Z. 16 ff.] und seinen Brief an Philipp von Hessen 22. 6. 1529 [MBW 802; MBW T 3, 538, Z. 25 ff.]. 421 Vgl. Melanchthon an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 38 ff.]. 422 Vgl. Köhler, Zwingli und Luther 2, 33. 423 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 506, Z. 56 ff.]; 17. 5. 1529 an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 509, Z. 4 ff.; 511, Z. 39 und Z. .44 und 512, Z. 52] und an Spengler [MBW 783; MBW T 3, 513, Z. 11 f.]; 2. 6. 1529 an Agricola [MBW 788; MBW T 3, 519; hier Z. 7 f.] und an Reiffenstein [MBW 789; MBW T 3, 519 f.; hier 520, Z. 12 f.]; an Myconius 10. 6. 1529 [MBW 792; MBW T 3, 524 f.; hier 525, Z. 18 ff.]; an Jonas 11. 6. 1529 [MBW 793; MBW T 3, 525–528; hier 527, Z. 7 ff. und 528, Z. 16 ff.] und 14. 6. 1529 [MBW 795; MBW T 3, 530; hier Z. 5 ff. und Z. 12 ff.]; an Baumgartner 20. 6. 1529 [MBW 797; MBW T 3, 532; hier Z. 11 f.]; an T. Blarer 20. 6. 1529 [MBW 798; MBW T 3, 532 f.; hier 533, Z. 7 ff.]; an Wieland 9. 8. 1529 [MBW 812a; MBW T 3, 566; hier Z. 4 f.]; an Aquila 23. 8. 1529 [MBW 813; MBW T 3, 566 f.; hier 567, Z. 5 ff.]
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Seine seelische Verfassung verschlechterte sich Mitte August zusätzlich noch durch den Tod seines Sohnes Georg (1527–1529).424 Die Leiden Melanchthons gingen so weit, daß Luther sich ernstliche Sorgen um ihn machte und Jonas mehrmals um Fürbitte für Melanchthon bat.425 Es stellt sich die Frage, warum das geplanate Bündnis bei Melanchthon solch große Angst und Sorgen verursachte. Eine politische Unterstützung der Oberdeutschen war für Melanchthon aus verschiedenen Gründen undenkbar: Zunächst stellte er heraus, daß die Lutherischen durch solch eine Verbindung die Rolle von Verteidigern der zwinglianischen Lehren übernähmen. Dies war für Melanchthon jedoch ausgeschlossen, da er ja von ihrer Unrechtmäßigkeit überzeugt war – eine Einsicht, die sich in den folgenden Monaten immer mehr verstärkte.426 Zudem befürchtete er von einem solchen Bündnis schwerwiegende Konsequenzen für die Lutherischen, für die Kirche im Ganzen und für das gesamte Heilige Römische Reich: Sollten sich die Lutherischen mit den Oberdeutschen verbünden, würden sie dadurch vom schlechten Ruf der Zwinglianer »befleckt« (contaminari).427 Ferner könnte sich die zwinglianische Lehre infolge der Unterstützung der Oberdeutschen durch ein Bündnis noch schneller ausbreiten und wie das Gift einer gefährlichen Schlange alles verderben.428 Schließlich sah Melanchthon sogar eine Revolution und den Umsturz (mutatio) von Kirche und Staat heraufziehen.429 Um diese schwerwiegenden Befürchtungen Melanchthons richtig zu verstehen, sind einige Erläuterungen zu seinen Grundüberzeugungen nötig: Melanchthon hoffte zu diesem Zeitpunkt immer noch auf eine Aussöhnung der Evangelischen mit Kaiser und Papst – die Einheit der Kirche und die Einheit des und an Menius 2. 9. 1529 [MBW 818; MBW T 3, 573 f.; hier 573, Z. 3 f.]. Vgl. zu Melanchthons Gesundheitszustand auch Rörer an Roth 16. 5. 1529 [Buchwald, Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte, 59 f., Nr. 64; hier 60]. 424 Vgl. dazu z. B. Melanchthon an Camerarius 29. 8. 1529 [MBW 816; MBW T 3, 570 f.; hier 571, Z. 19 ff.] und an Menius 2. 9. 1529 [MBW 818; MBW T 3, 573, Z. 4 f.]. 425 Vgl. Luther an Jonas 14. 6. 1529 [WA Br 5, 96 f., Nr. 1434; hier 97, Z. 6 f.]; 17. 8. 1529 [WA Br 5, 132 f., Nr. 1462; hier 132, Z. 9 ff.] und Anfang September 1529 [WA Br 5, 143 f., Nr. 1472; hier 144, Z. 8 ]. 426 Vgl. Melanchthon 17. 5. 1529 an Baumgartner [MBW 781; MBW T 3, 508, Z. 11 ff.] und an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 39 f.]; zur Unrechtmäßigkeit der zwinglianischen Lehren oben Anm. 413. 427 Vgl. Melanchthon an Baumgartner 20. 6. 1529 [MBW 797; MBW T 3, 532, Z. 10 f.]. 428 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 507, Z. 59]; 17. 5. 1529 an Baumgartner [MBW 781; MBW T 3, 508, Z. 13] und an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 42 f.]. 429 Vgl. Melanchthon 17. 5. 1529 an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 43 f.] und an Spengler [MBW 783; MBW T 3, 513, Z. 13 und Z. 16 f.]; an Jonas 11. 6. 1529 [MBW 793; MBW T 3, 528, Z. 18]; an T. Blarer 20. 6. 1529 [MBW 798; MBW T 3, 533, Z. 11 ff.] und die Schrift »Sententiae veterum aliquot scriptorum de Coena domini« von 1530 [CR 23, 733–752; hier 749]; zur Bedeutung von mutatio im Sinne von »Revolution« und »Umsturz« Novum Glossarium 11, 1011.
I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530
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Reiches standen für ihn dabei in einer unauflöslichen Verbindung.430 Und dem Kaiser war man, auch wenn er entschieden katholisch war, nach Meinung Melanchthons unbedingten Gehorsam schuldig. Es war für ihn undenkbar, die Reformation gegen den Kaiser mit Waffengewalt zu verteidigen, da dies Aufruhr gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit bedeutet hätte.431 Melanchthon sah die Oberdeutschen in enger Verbindung zu den Schweizern, die bekanntlich seit dem Frieden von Basel im September 1499 nicht mehr zum Reichsverband gehörten und damit für ihren kleinen Bereich die Einheit mit dem römischen Reich bereits zerstört hatten.432 Sollten sich nun die Lutherischen durch ein Bündnis mit den Oberdeutschen auf die Seite der Eidgenossen stellen, beförderten sie dadurch die weitere Auflösung des Reiches und behinderten die gewünschte Aussöhnung der Evangelischen mit Kaiser und Papst, die ja schon durch die Speyerer Protestation in große Gefahr geraten war. Ein weiterer Grund für Melanchthons Leiden war der, daß er sich selbst aufgrund seines zunächst nachgiebigen Verhaltens gegenüber den Oberdeutschen für die gegenwärtig mißliche Lage mitverantwortlich fühlte. Er gelangte immer mehr zu der Überzeugung, daß beim Reichstag ein für die Lutherischen erträglicher Abschied hätte erreicht werden können, wenn sie nicht so lange mit einer Verurteilung der Zwinglianer gezögert hätten.433 Infolge seiner Sorgen konnte er sogar zu der irrigen Überzeugung kommen, der Speyerer Abschied von 1529 sei für die Lutherischen günstiger als der von 1526, wenn sie gewährleisten könnten, daß sie nicht selbst die Quelle von Unruhe würden.434 Als logische Konsequenz seiner Sorgen mischte sich Melanchthon in den folgenden Monaten zum einen in den Abendmahlsstreit ein und versuchte zum anderen mit allen Mitteln, die Umsetzung der Bündnispläne zu verhindern: Bereits Anfang Mai machte er sich an die Abfassung einer Schrift gegen die Zwinglianer, durch die er klarstellen wollte, daß der Dissens in der Abendmahlslehre einem Bündnis entgegenstehe.435 Eigenen Angaben zufolge äußerte er sich in dieser Schrift schärfer (vehementior), als man es von ihm gewohnt war, und erwartete deshalb heftige Reaktionen der Zwinglianer. Er erklärte jedoch gegenüber Freunden seine Bereitschaft, diese Gefahren um Gottes und der 430
Vgl. Köhler, Zwingli und Luther 2, 22 und Neuser, Unionsformel, 191. Vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 302. 432 Vgl. Helbling, Geschichte der Schweiz, 68 und Scheible, Melanchthon, 103. 433 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 507, Z. 57 f.]; 17. 5. 1529 an Baumgartner [MBW 781; MBW T 3, 507, Z. 5]; an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 511, Z. 41 und Z. 47 f.] und an Spengler [MBW 783; MBW T 3, 513, Z. 6 ff.; bes. Z. 10 f.]; an einen unbekannten Adressaten zweite Maihälfte bzw. Juni 1529 [MBW 787; MBW T 3, 517 f.; hier 518, Z. 5 f.] und an Jonas 11. 6. 1529 [MBW 793; MBW T 3, 527, Z. 13 ff.] und 14. 6. 1529 [MBW 795; MBW T 3, 530, Z. 10 ff.]. 434 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 507, Z. 60 ff.] und an einen Unbekannten zweite Maihälfte / Juni 1529 [MBW 787; MBW T 3, 518, Z. 4 f.]. 435 Vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 304. 431
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Wahrheit willen in Kauf zu nehmen.436 Melanchthon wurde von anderen aus dem lutherischen Lager – zum Beispiel von Johannes Agricola – in seinem Vorhaben bestärkt, und es klingt fast so, als hätte Agricola schon lange auf diesen Schritt Melanchthons gewartet.437 Die Fertigstellung der Schrift ist um den 20. Juni 1529 zu datieren.438 In der Forschung gehen allerdings die Meinungen darüber auseinander, von welcher Schrift Melanchthon hier sprach: Einige identifizieren sie mit den »Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena domini«, einer Schrift, die Anfang 1530 gedruckt wurde und dem Gothaer Pfarrer Friedrich Myconius (1490–1546) gewidmet war.439 Andere behaupten, es handle sich um eine unvollendete bzw. ungedruckt gebliebene Schrift Melanchthons gegen die Zwinglianer.440 Hierfür sprechen folgende Gründe: Zum ersten findet sich in den »Sententiae« selbst keinerlei Schärfe gegen die Zwinglianer, die Melanchthon ja angekündigt hatte. Die Schrift enthält fast ausschließlich Väteraussagen ohne Kommentar, die hervorgehoben werden, sofern sie die lutherische Abendmahlslehre bestätigen. Lediglich das letzte Zitat von Augustinus wird von Melanchthon eigens ausgeführt. Zum zweiten liegen die Grundlagen der »Sententiae« zwar in früheren Jahren, ihre endgültige Ausarbeitung ist jedoch eher als Reaktion auf die Verhandlungen in Marburg verständlich denn als Streitschrift gegen Zwingli und als Ausdruck der Angst vor einem Bündnis im Anschluß an den Speyerer Reichstag. Denn bei den Marburger Verhandlungen am 3. Oktober spielten die patristischen Zeugnisse für die Realpräsenz eine zentrale Rolle, und in diesem Zusammenhang übergaben Melanchthon und andere lutherische Theologen Philipp von Hessen eine Zusammenstellung von Kirchenväterzitaten, die alle später in den »Sententiae« wieder begegnen.441 Trotz 436 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 507, Z. 60] und an Camerarius 17. 5. 1529 [MBW 782; MBW T 3, 512, Z. 55]; Luther an Spalatin 28. 5. 1529 [WA Br 5, 85 f., Nr. 1426; hier 85, Z. 9 f.]; Melanchthon an Lachmann 3. 6. 1529 [MBW 790; MBW T 3, 521, Z. 10 ff.]; an Myconius 5. 6. 1529 [MBW 791; MBW T 3, 522 f.; hier 522, Z. 11 ff.]; 20. 6. 1529 an Vigilius [MBW 800; MBW T 3, 536, Z. 8 f.] und an Wieland [MBW 800a; MBW T 3, 536, Z. 5 ff.; bes. Z. 10 ff.] und an Camerarius 24. 7. 1529 [MBW 807; MBW T 3, 551, Z. 39 f.]. 437 Vgl. Agricola an Melanchthon 14. 6. 1529 [MBW 794; MBW T 3, 529; hier Z. 20 ff.]. 438 Vgl. Melanchthon an Wieland 20. 6. 1529 [MBW 800a; MBW T 3, 536, Z. 5 f. und Z. 10] und Neuser, Abendmahlslehre, 306. 439 Vgl. Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 115; Neuser, Abendmahlslehre, 304–306, bes. 306, Anm. 369 mit dem Verweis, es handle sich um eine Streitschrift »im Stile melanchthonischer Sachlichkeit und Mäßigung«; Wetzel, MBW T 3, 507, Q 60; 512, Q 55; 521, Q 11 und 522, Q 12. Die »Sententiae« sind gedruckt in CR 23, 733–752, die Widmung an Myconius von Januar / Februar 1530 in MBW T 4/1, 42–50 unter der Nummer MBW 863. 440 Vgl. Clemen, WA Br 5, 86, Anm. 2 ; Maurer, Abendmahlsartikel, 202, Anm. 138 und Scheible, Melanchthon, 104. 441 Dieser Brief an Philipp von Hessen vom 3./4. 10. 1529 trägt die Nummer MBW 823 und ist abgedruckt in MBW T 3, 583–589. In der Zeit vor dem Marburger Gespräch sprach
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dieser einleuchtenden Gründe erscheint es mir wahrscheinlicher, Melanchthons Schrift mit den »Sententiae« zu identifizieren, da es zum einen recht unglaubhaft ist, daß uns eine solche Schrift Melanchthons nicht mehr erhalten sein sollte, und zum zweiten aufgrund der Tatsache, daß sich, obwohl uns die Schrift selbst nicht als scharf erscheint, verschiedene Zwinglianer durch sie angegriffen fühlten – insbesondere durch ihre Einleitung –, aus diesem Grund über eine Entgegnung nachdachten, was im Sommer 1530 auch durch Oekolampad in die Tat umgesetzt wurde, und Melanchthon wegen seiner Schrift heftig kritisierten.442 Zusätzlich zu dieser Schrift warnte Melanchthon viele seiner Briefpartner vor der zwinglianischen Lehre, forderte sie auf, dieser entgegenzuwirken, und ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, man müsse sich dieser energischer entgegenstellen als der päpstlichen Lehre.443 Schließlich wandte sich Melanchthon an seine Freunde in Nürnberg – die Stadt war ja ebenfalls an den Beratungen um ein Bündnis mit den Oberdeutschen beteiligt gewesen – und flehte diese an, ein solches zu verhindern.444 Durch die vorangehenden Ausführungen wird deutlich, daß die umstrittene Abendmahlsfrage für Melanchthon in diesen Monaten nicht so sehr als Lehrfrage denn als Politikum im Mittelpunkt stand. Er sprach und handelte in erster Linie aufgrund politischer Zweckmäßigkeiten und nicht so sehr auf der Basis theologischer Einsichten.445
Melanchthon zwar auch von den Kirchenvätern (vgl. an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 492, Z. 18 f.] und an Camerarius 24. 7. 1529 [MBW 807; MBW T 3, 551, Z. 4 4 f.]), danach scheint die Frage aber an Dringlichkeit gewonnen zu haben (vgl. an die Reutlinger Theologen 4./5. 10. 1529 [MBW 826; MBW T 3, 604 f.; hier 604, Z. 7 ff.]; an Tricesius ca. 25. 10. 1529 [MBW 837; MBW T 3, 631 f.; hier 632, Z. 10] und an Fesel 2. 11. 1529 [MBW 838; MBW T 3, 632 f.; hier 633, Z. 17 f.]). Vgl. zur Entstehung der »Sententiae« auch Bretschneider, CR 23, 727 f. und Maurer, Abendmahlsartikel, 202. 442 Vgl. zur Frage einer Entgegnung Melander an Bucer, Oekolampad und Zwingli 14. 4. 1530 [BC 4, 80 f., Nr. 287; hier 81, Z. 2 –4]; zu Karlstadts Plan einer Entgegnung Bucer an Zwingli 14. 5. 1530 [BC 4, 97–101, Nr. 298; hier 100, Z. 5 ff.] und Oekolampads Schrift »Quid de eucharistia veteres tum Graeci, tum Latini senserint dialogus« vom 2. 7. 1530 (VD 16 O 381) und dazu Karlstadt an Bucer 19. 5. 1530 [BC 4, 101–103, Nr. 299; hier 102, Z. 5 ff.]); zur Kritik Oekolampads unten Kap. 5.2.2.2. 443 Vgl. Melanchthon an Lachmann 3. 6. 1529 [MBW 790; MBW T 3, 521, Z. 5 ff.]; an T. Blarer 20. 6. 1529 [MBW 798; MBW T 3, 533, Z. 14 f.]; 20. 6. 1529 an Vigilius [MBW 800; MBW T 3, 536, Z. 5 f.] und an Wieland [MBW 800a; MBW T 3, 536, Z. 4 f.]; an Schnepf 22. 6. 1529 [MBW 803; MBW T 3, 539, Z. 2 ff.] und an Wieland 9. 8. 1529 [MBW 812a; MBW T 3, 566, Z. 3 ]. 444 Vgl. Melanchthon 17. 5. 1529 an Baumgartner [MBW 781; MBW T 3, 507, Z. 6 ff.]; an Camerarius [MBW 782; MBW T 3, 512, Z. 51 f.] und an Spengler [MBW 783; MBW T 3, 513, Z. 15 f.]. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 506 sieht in Melanchthons oben genannten Klagen über seine schlechte Gesundheit »ein psychologisches Druckmittel, um seine Briefpartner zur Unterstützung seiner Bemühungen zu bewegen«. 445 Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 2, 507.
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5.2.1.3 Kurfürst Johann von Sachsen und Luther Kurfürst Johann von Sachsen und Luther teilten die Bedenken Melanchthons im Blick auf das von Philipp von Hessen geplante Religionsgespräch mit den Zwinglianern: Kurfürst Johann betrieb zunächst die Verlegung des Gesprächs nach Nürnberg in der Hoffnung, dadurch die Beteiligung Landgraf Philipps am Gespräch verhindern zu können – allerdings ohne Erfolg.446 Luther äußerte immer wieder seine Hoffnungslosigkeit in bezug auf ein solches Gespräch und betonte, daß davon nichts Fruchtbares zu erwarten sei; 447 nichtsdestoweniger sagte aber auch er seine Teilnahme zu – sicher aufgrund ähnlicher pragmatischer Überlegungen wie Melanchthon – und befürwortete eine Beteiligung von Altgläubigen, ein Vorschlag, der auch von Kurfürst Johann aufgenommen wurde.448 In der Frage eines Bündnisses mit den Oberdeutschen stellte sich Luther klar hinter Melanchthon und versuchte, Kurfürst Johann von entsprechenden Plänen abzubringen; er charakterisierte diese als Teufelswerk und stellte klar, daß ein Bündnis zum Schutz des Evangeliums ohne die Eintracht im Glauben unmöglich sei.449 Derartige Argumentationen der beiden Wittenberger Gelehrten hinsichtlich eines Bündnisses trugen bei Kurfürst Johann bald Frucht, denn er war ein Mann, der sich durch Abneigung gegenüber radikalem Vorgehen auszeichnete und großen Wert darauf legte, die Loyalität gegenüber den Habsburgern nicht zu verletzen.450 Deshalb betonte er im Lauf des Sommers gegenüber den anderen protestantischen Fürsten immer wieder, er stimme einem evangelischen Bündnis zwar zu, aber nur unter der Bedingung, daß zuvor die dogmatische Frage geklärt werde.451 Die Gesandten Kursachsens konnten bei den zahl446 Vgl. Johann von Sachsen an Melanchthon 19. 5. 1529 [MBW 784; MBW T 3, 513– 515; hier 514, Z. 21 ff.] und Köhler, Zwingli und Luther 2, 33 f. 447 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen für von Minkwitz 5. 6. 1529 [von Schubert, Bekenntnisbildung, 63]; Melanchthon an Philipp von Hessen 22. 6. 1529 [MBW 802; MBW T 3, 537, Z. 9 ff.]; Luther an Philipp von Hessen 23. 6. 1529 [WA Br 5, 101 f., Nr. 1438; hier 101, Z. 15 und 102, Z. 37 ff.]; an Brießmann 31. 7. 1529 [WA Br 5, 125, Z. 27] und an Brenz 29. 8. 1529 [WA Br 5, 141 f., Nr. 1470; hier 141, Z. 10 ff.; bes. Z. 15 f.]. Vgl. auch die Hoffnungslosigkeit Rörers in einem Brief an Roth 10. 9. 1529 [Buchwald, Wittenberger Stadt- und Universitäts-Geschichte, 66 f., Nr. 74; hier 66]. 448 Vgl. zu Luther seinen Brief an Philipp von Hessen 23. 6. 1529 [WA Br 5, 101 f., Z. 14 ff.]; Luther und Melanchthon an Philipp von Hessen 8. 7. 1529 [MBW 806; MBW T 3, 548; hier Z. 7 ff.]; Melanchthon an Baumgartner 25. 7. 1529 [MBW 809; MBW T 3, 553 f.; hier 554, Z. 12 f.]; Luther an Brießmann 31. 7. 1529 [WA Br 5, 125, Z. 23 ff.] und an Brenz 29. 8. 1529 [WA Br 5, 141, Z. 14 ff.; bes. Z. 16 ff.]; zu Johanns Sichtweise seinen Brief an Melanchthon 19. 5. 1529 [MBW 784; MBW T 3, 515, Z. 29 ff.]. 449 Vgl. Luther an Johann von Sachsen 22. 5. 1529 [WA Br 5, 75–78, Nr. 1424; bes. 76, Z. 14 und 77, Z. 41] und sein Gutachten für Johann von Ende Juli / A nfang August 1529 [WA Br 5, 78–81, Beilage zu Nr. 1424]. 450 Vgl. Kühn, Geschichte des Speyrer Reichstags, 210. 451 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen für von Minkwitz 5. 6. 1529 [von Schubert, Bekenntnisbildung, 61–63] und sein Bedenken von Ende Juli [Kolde, Tag von Schleiz, 102].
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reichen Treffen der Vertreter der evangelischen Fürsten und Städte im Lauf der nächsten Monate verhindern, daß verbindliche Verabredungen getroffen wurden, und versuchten gleichzeitig, einen Separatbund mit Hessen und Brandenburg zu erreichen.452 5.2.2 Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen Speyerer Reichstag und Marburger Religionsgespräch 5.2.2.1 Die Kritik an Melanchthons Sorgen Camerarius berichtete in seiner Melanchthon-Biographie im Zusammenhang seiner Darstellung des Speyerer Reichstags über Kritik an Melanchthons Sorgen. Diese Vorwürfe bezogen sich aber wohl nicht in erster Linie auf Melanchthons Sorgen während des Reichstags, sondern vor allem auf seine massiven Ängste in den Monaten danach. Camerarius zufolge wurde Melanchthon von einigen nicht näher genannten Personen des öfteren wegen seiner an Verzweiflung grenzenden Sorgen und Ängste kritisiert: Die Kritiker hätten ihm vorgeworfen, diese Sorgen seien zu stark und überschritten das rechte Maß; zudem sei eine solch verzweifelte Angst undankbar Gott gegenüber, lästig für die Mitmenschen und hinderlich für wichtige Unternehmungen.453 Es ist nicht mehr nachzuweisen, wer derartige Kritik geäußert haben könnte, doch läßt sich vermuten, daß es sich um enge Freunde Melanchthons aus dem Umfeld der Universität Wittenberg handelte. Einige Briefe solcher Freunde aus dem Sommer 1529 lassen darauf schließen, daß sie zwar wegen Melanchthons Seelenzustand beunruhigt waren, daß sie seine Ängste aber auch als unangemessen empfanden: Agricola beispielsweise ermahnte Melanchthon, tapfer zu sein, und betonte, daß die Dinge, wegen derer er sich sorge, nichtig seien und nicht in seinen, sondern in den Zuständigkeitsbereich Gottes fielen.454 Und Luther äußerte sich gegenüber Jonas über die große Kraftanstrengung, derer es bedürfe, um den überaus empfindsamen und affektvollen Melanchthon zu trösten.455 Allerdings konnte er wenige Wochen später Melanchthons Anfechtungen auch positiv werten und sie in die Reihe mit seinen eigenen stellen.456 452
37 ff.
Vgl. zu dieser Sabotage der Pläne Philipps von Hessen Köhler, Zwingli und Luther 2,
453 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 124 f.: »Neque me fugit, a nonnullis Philippi Melanchthonis anxias solicitae mentis curas saepe esse reprehensas et plane vituperatas, tanquam nimias et immodicas, et timiditate quadam desperata neque Deo aeterno gratas et hominibus odiosas ac contrarias, quaeque susceptis interdum rebus utilibus officerent«. 454 Vgl. Agricola an Melanchthon 14. 6. 1529 [MBW 794; MBW T 3, 529, Z. 8 ff.]: »volo te animo esse fortiore, praesertim cum nihil sit in iis rebus propter quas tu tantopere turbaris tua culpa peccatum, immo cum sint dei, non consilii nostri; scis quid dicam«. 455 Vgl. Luther an Jonas 17. 8. 1529 [WA Br 5, 132, Z. 10 f.]: »cogitare potes, quid nobis sit operae et curae, ut hunc hominem tenerrimi et patheticissimi cordis solemur«. 456 Vgl. Luther an Jonas Anfang September 1529 [WA Br 5, 144, Z. 8 ff.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
5.2.2.2 Die Kritik an Melanchthons Schrift gegen die Zwinglianer Ähnlich wie schon im Juli 1529 warf Oekolampad Melanchthon auch im Mai 1530 Unaufrichtigkeit vor und bezog sich auf Melanchthons Schrift gegen die Zwinglianer, in der Melanchthon seinem Empfinden nach die Dinge vereinfacht hatte.457
5.3 Das Religionsgespräch in Marburg Anfang Oktober 1529 5.3.1 Das Gespräch und die Rolle Melanchthons458 Ende September machten sich die Wittenberger Theologen auf den Weg nach Marburg. Sie hatten zwar dem Drängen Philipps von Hessen nachgegeben und sich zu diesem Gespräch bereiterklärt, waren aber inhaltlich zu keinerlei Nachgeben bereit und einem Bündnis mit den Zwinglianern immer noch gänzlich abgeneigt.459 Das Religionsgespräch fand vom 1. bis zum 4. Oktober im Marburger Schloß statt. Von lutherischer Seite waren unter anderem Luther, Jonas, Melanchthon, Andreas Osiander (1496–1552), Johannes Brenz (1499–1570) und Stephan Agricola (1491–1547) vertreten, von zwinglianischer Seite neben anderen Zwingli, Oekolampad, die Straßburger Jakob Sturm, Martin Bucer (1491– 1551) und Hedio.460 Für den ersten Tag ordnete Philipp von Hessen Einzelgespräche an, zum einen zwischen Luther und Oekolampd, zum anderen zwischen Melanchthon und Zwingli. Bei diesen beiden Treffen ging es darum, die Fronten in der Abendmahlsfrage abzutasten und die gegen Zwingli gerichteten Vorwürfe in anderen Glaubensartikeln aus der Welt zu schaffen. Zwingli konnte in seinem Gespräch mit Melanchthon auch tatsächlich die Kritik hinsichtlich der Erbsünde und des Spiritualismus ausräumen, sie erreichten jedoch keine Einigung in den Fragen des Abendmahls und der Christologie.461 Dabei scheint Melanchthon in der Frage des Abendmahls einige Zugeständnisse gemacht zu haben, wie verschiedene Berichte über dieses Gespräch mitteilen.462 457 Vgl. Oekolampad an Zwingli 4. 5. 1530 [CR 97, 564–566, Nr. 1018; hier 565, Z. 9 f.]: »lectori Melanchthonis simplicitatem parum candidam probe me ostensurum spero« und 3. 6. 1530 [CR 97, 608 f., Nr. 1038; hier 609, Z. 3 f.]: »Fraudes parum candidi Melanchthonis suaviter detegendae erant«. 458 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung bei Köhler, Zwingli und Luther 2, 66–163 und den kurzen Abriß bei May, Art. Marburger Religionsgespräch, 75–79 (mit weiterer Literatur); zur Rolle Melanchthons bes. Neuser, Abendmahlslehre, 308 ff. 459 Vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 308. 460 Vgl. May, Art. Marburger Religionsgespräch, 76, Z. 25 ff. 461 Vgl. Neuser, Abendmahlslehre, 308 f. 462 Vgl. Zwingli nach seinen eigenhändigen Aufzeichnungen [Köhler, Marburger Religionsgespräch, 40 f.]; Hedio in seinem Itinerar [Erichson, Hedio’s Itinerarium, 418 f.]; einen anonymen Berichterstatter [WA 30/3, 126, Z. 16 f.] und Bullingers späteren Bericht in seiner
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Am 2. und 3. Oktober fand das Hauptgespräch zwischen Luther, Melanchthon, Zwingli und Oekolampad im Privatgemach des Landgrafen statt. Philipp von Hessen selbst war die ganze Zeit anwesend; zudem war eine ausgewählte Zuhörerschaft zugelassen. Als Gegenstand der Verhandlungen beschränkte man sich auf das Abendmahl und diskutierte vor allem über die Gegenwart des Leibes Christi im Abendmahl, die christologischen Grundlagen der Abendmahlslehre und die patristischen Zeugnisse.463 Die Unterredung wurde hauptsächlich von Luther, Zwingli und Oekolampad bestritten, Melanchthon hielt sich mit Äußerungen auffallend zurück, obwohl ihn Luther zweimal aufforderte, das Gespräch an seiner Stelle weiterzuführen.464 Man ging ohne Verständigung auseinander.465 Philipp von Hessen wollte sich damit nicht abfinden und drängte weiter auf eine Einigung. Noch am Abend des 3. Oktober legten die Lutherischen eine Unionsformel vor, die jedoch von den Schweizern abgelehnt wurde. Am 4. Oktober versuchten Brenz, Osiander und Bucer zu einer Verständigung zu kommen, allerdings ebenfalls erfolglos.466 Auch eine biblisch-patristische Einigungsformel Melanchthons fand keinen Anklang.467 Laut einem Bericht Hedios hatte Melanchthon ihm bereits in den Tagen zuvor versprochen, sich für einen Vergleich einzusetzen.468 Es läßt sich leider nicht mehr rekonstruieren, ob Melanchthon diese Formel nur einer kleinen Gruppe, vielleicht auch ausschließlich Hedio präsentierte oder ob er sie einem größeren Kreis vorlegte; zudem läßt sich nicht mehr klären, wer diese Formel letztendlich zu Fall brachte.469 Der Vorschlag der Schweizer, sie sollten sich trotz der bestehenden Lehrdifferenzen als Brüder anerkennen, wurde von Luther – im Einverständnis mit den anderen Reformationsgeschichte 2, 225. Die Behauptung Neusers (Unionsformel, 192), Melanchthons Nachgiebigkeit sei nur Hedio aufgefallen, ist demnach falsch. 463 Vgl. Melanchthons Bericht an Heinrich von Sachsen vom 16./17. 10. 1529 [MBW 832; MBW T 3, 620–627; hier 622, Z. 8 ff.] und May, Art. Marburger Religionsgespräch, 76 f. 464 Vgl. Köhler, Marburger Religionsgespräch, 22: »Philippe, nun rede auch Du, ich bin wahrlich müde« und 28: »Philippus, antwortet Jhr, dan ich hab mich müd gewaschen«. 465 Vgl. den Bericht von Jonas an Reiffenstein 4. 10. 1529 [May, Marburger Religionsgespräch – Texte, 73–75, Nr. 13; hier 74] und May, Art. Marburger Religionsgespräch, 77. 466 Vgl. Hedio in seinem Itinerar [Erichson, Hedio’s Itinerarium, 435] und May, Art. Marburger Religionsgespräch, 77. 467 Diese Formel ist unter der Nummer MBW 824 abgedruckt in MBW T 3, 589 f. 468 Vgl. die Aussagen Hedios in seinem Itinerar [Erichson, Hedio’s Itinerarium, 419]: »Ego hoc eodem die [sc. 1.10.] Philippum in itinere allocutus sum, ut juvaret quo dissidium illud componatur. Respondit, se daturum operam, quod si omnino conveniri non possit, ne tamen contentiones subinde gliscant. Inquit autem Deum immisisse ejus modi paroxismos ut excitemur«; [436]: »Post haec [sc. colloquium Hedii cum Luthero] etiam cum Philippo colloquium habui, qui prae se ferebat conaturum se ut res concordaretur«. 469 Falls sich die in der vorangehenden Anmerkung am Ende zitierte Aussage Hedios auf die Unionsformel Melanchthons bezieht, würde das dafür sprechen, daß er sie nur Hedio vorlegte. Vgl. zu Melanchthons Versuch insgesamt Neuser, Unionsformel und Ders., Abendmahlslehre, 311 f.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Lutherischen – nachdrücklich zurückgewiesen.470 Auf Betreiben des Landgrafen verfaßte Luther schließlich eine Reihe von 15 Glaubensartikeln, um die bestehenden Gemeinsamkeiten in der Lehre zu dokumentieren. Nachdem in diese sogenannten Marburger Artikel einige von den Schweizern gewünschte Änderungen eingearbeitet worden waren, wurden sie von allen Gesprächsteilnehmern unterschrieben. Sie stellen eine Einigung in 14 Lehrartikeln dar, wobei man im 15. Artikel den bleibenden Dissens in der Frage der Realpräsenz Christi im Abendmahl festhielt. Am Ende des Dokuments äußerte man die Absicht, sich in Zukunft trotz dieser unvollkommenen Einigung in christlicher Liebe zu begegnen.471 5.3.2 Die Kritik an Melanchthons Verhalten beim Marburger Gespräch Nach dem Religionsgespräch wurde von einigen Vertretern der zwinglianischen Partei Kritik am Verhalten der Wittenberger, besonders aber an der Haltung Melanchthons in Marburg geäußert. 5.3.2.1 Martin Bucer Bucer, der selbst am Marburger Gespräch teilgenommen hatte, äußerte sich Mitte Oktober in einem Brief an Ambrosius Blarer in Konstanz enttäuscht über die mangelnde Bereitschaft der Lutherischen zu einer Einigung mit den Zwinglianern.472 Dabei sprach er sich sehr kritisch über Melanchthon aus: Zum einen habe dieser mehr als alle anderen Lutheraner im Verborgenen gegen die Zwinglianer gehetzt.473 Zum anderen habe er in bezug auf die Frage der Bruderschaft 470
Vgl. Luther 4. 10. 1529 an seine Frau Katharina [WA Br 5, 153 f., Nr. 1476; hier 154, Z. 6 ff.] und an Gerbel [WA Br 5, 154 f., Nr. 1477; hier 155, Z. 9 f.]; Melanchthon an Agricola 12. 10. 1529 [MBW 829; MBW T 3, 607–611; hier 610, Z. 15 ff.] und Luther an Agricola 12. 10. 1529 [WA Br 5, 160 f., Nr. 1479; hier 160, Z. 16 ff.]; Melanchthons Berichte 16./17. 10. 1529 für Johann und / oder Johann Friedrich von Sachsen [MBW 831; MBW T 3, 613–619; hier 619, Z. 88 ff.] und für Heinrich von Sachsen [MBW 832; MBW T 3, 626, Z. 115 ff.] und Brenz an Schradinus 14. 11. 1529 [May, Marburger Religionsgespräch – Texte, 82–86, Nr. 17; hier 84]. 471 Die Marburger Artikel sind abgedruckt in WA 30/3, 160–171; die Zusage findet sich 170, Z. 8 ff. Vgl. zur Einigung auf die Artikel Luther 4. 10. 1529 an seine Frau und an Gerbel [WA Br 5, 154, Z. 4 ff. und 155, Z. 2 ff.]; Jonas an Reiffenstein 4. 10. 1529 [May, Marburger Religionsgespräch – Texte, 75]; Melanchthon an die Reutlinger Theologen 4./5. 10. 1529 [MBW 826; MBW T 3, 604, Z. 4 ff.]; an Camerarius 7. 10. 1529 [MBW 827; MBW T 3, 605 f.; hier 605, Z. 5 ff.]; an Burchard 8. 10. 1529 [MBW 828; MBW T 3, 606 f.; hier 607, Z. 4 f.]; 12. 10. 1529 an Agricola [MBW 829; MBW T 3, 610, Z. 10 ff.] und an Aquila [MBW 830; MBW T 3, 611 f.; hier 612, Z. 12 f.]; an Heinrich von Sachsen 16./17. 10. 1529 [MBW 832; MBW T 3, 626, Z. 118 ff.] und an Tricesius ca. 25. 10. 1529 [MBW 837; MBW T 3, 631, Z. 7 ff.]. 472 Vgl. Bucer an A. Blarer 18. 10. 1529 [BC 3, 332–335, Nr. 257; hier 332, Z. 5 f.]: »Lutherus cum suis concordiam aliam nobiscum inire, quam cum Turcis habent et Iudeis, nolu erit pertinacissime«. 473 Vgl. Bucer an A. Blarer 18. 10. 1529 [BC 3, 332, Z. 6 f.]: »frigidam suffundente prae
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zwischen Lutherischen und Zwinglianern Luther zurückgehalten, als dieser zum Einlenken bereit gewesen sei.474 Einen Grund für diese Haltung Melanchthons sah Bucer in dessen Wohlwollen gegenüber Kaiser Karl V. und König Ferdinand.475 Bucer bat Blarer darum, das Gehörte nur an gute Freunde weiterzugeben, denn er fürchtete, daß andernfalls die zarten Knospen der Einigung mit den Lutherischen wieder zerstört werden könnten.476 5.3.2.2 Ulrich Zwingli Ein weiterer Vertreter der zwinglianischen Partei in Marburg, nämlich Zwingli selbst, äußerte sich wenige Tage später in einem Brief an Joachim Vadian (1484– 1551) in St. Gallen negativ über Melanchthon. Er beklagte das Verhalten Melanchthons in ihrem Zweiergespräch am ersten Tag in Marburg: Dieser sei in seinen Aussagen zu wankend und unsicher gewesen, habe sich wie Proteus ständig verwandelt, sich gegen jede Art von Festlegung gesträubt und immer neue Ausflüchte gesucht.477 omnibus alijs Philippo«. Bucer spielte hier auf das von Plautus stammende Sprichwort »frigidam aquam suffundere« an, dessen Herkunft Erasmus in sportlichen Wettkämpfen, in üblen Scherzen oder in Metallwerkstätten vermutete; vgl. Adagia 1, 10, 51 [ASD 2/2, 454–456, Nr. 951]; zur Bedeutung des Sprichworts ASD 2/2, 454, Z. 824 f.: »pro eo, quod est instigare clanculum« (vgl. auch Poll-van de Lisdonk / Cytowska, ASD 2/2, 455, zu Z. 824–825) und zu seiner Herkunft ASD 2/2, 454, Z. 832 f.; 455, Z. 839 f.; 456, Z. 841 ff. und Z. 847 f. 474 Vgl. Bucer an A. Blarer 18. 10. 1529 [BC 3, 334, Z. 65 ff.]: »cêpit Princeps vrgere Lutherum et suos, vt nos fratres agnoscerent, sicut nos agnoscimus illos, sed, vt memorauj, frustra; Lutherum a[i]unt semel consensisse, sed mox a Philippo retractum«. 475 Vgl. Bucer an A. Blarer 18. 10. 1529 [BC 3, 334, Z. 68]: »Philippus bene vult Caesarj et Ferdinando«. 476 Vgl. Bucer an A. Blarer 18. 10. 1529 [BC 3, 334, Z. 80 f.]: »Nihil ex his nisi fidis amicis prodas; nam cauendum, ne irritemus, cum quibus volumus habere pacem«. 477 Vgl. Zwingli an Vadian 20. 10. 1529 [CR 97, 316–318, Nr. 925; hier 316, Z. 9 ff.]: »Melanchthon, cum nimis lubricus esset et Protei in morem se in omnia transformaret, me compulit, ut sumpto calamo pro sale manum armarem ac siccarem, quo ringentem et nescio quas fugas et elapsus molientem firmius tenerem«. Der Vergleich eines Menschen mit der Figur des Proteus war kein Einfall Zwinglis, sondern hatte im 16. Jahrhundert bereits eine lange Geschichte hinter sich: An ihrem Anfang stand der Meeresgott Proteus mit dem für Meeresgötter typischen Merkmal der Verwandlungsfähigkeit (vgl. Ambühl, Proteus, 460; in der Odyssee des Homer (2. Hälfte 8. Jh. v. Chr.) tritt Proteus mehrmals in Erscheinung; vgl. z. B. 4, 365 ff.). Bereits in der Antike gewann die Vielgestaltigkeit des Proteus sprichwörtlichen Charakter: So gab sich etwa der Kyniker Peregrinos (um 100–165) den Beinamen Proteus (vgl. Ambühl, Proteus, 461 und Goulet-Cazé, Peregrinos Proteus, 539), und Plato (ca. 427–347 v. Chr.) verwendete den Vergleich in seinen frühen Dialogen einige Male zur Kennzeichnung von Gegnern wie z. B. der Sophisten (vgl. Ion 541 e; Eutyphron 15 d und Euthydemos 288 b f.). Im 16. Jahrhundert wurde dieser Vergleich vor allem von humanistisch gebildeten Gelehrten aufgegriffen und für unbeständige, verschlagene und sich verstellende Menschen gebraucht: vgl. Erasmus, Adagia, Einleitung [ASD 2/1, 78, Z. 638]: »Proteo mutabilior« und das Sprichwort Chamaeleonte mutabilior in Adagia 3, 4, 1 [ASD 2/5, 241 f.; hier 241, Z. 20 ff.]: »Competit igitur adagium in hominem versipellem siue inconstantem ac pro tempore sese vertentem in omnem habitum«; hier folgt das Zitat aus Plato, Ion 541 e, das von Erasmus folgendermaßen ins Lateinische übersetzt wurde [242, Z. 23]: »pror-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Ähnlich kritisch scheint sich Zwingli auch im Anschluß an seine Rückkehr nach Zürich geäußert zu haben, denn die Züricher berichteten in einem Brief nach Bern über das, was Zwingli über das Marburger Gespräch erzählt hatte: Unter anderem habe er beklagt, daß sich die Wittenberger wie Aale gewunden hätten und von einer Meinung auf die nächste verfallen seien.478 Hier wird Melanchthon zwar nicht namentlich erwähnt, aufgrund der Ähnlichkeit des Bildes zu denen, die Zwingli im oben genannten Brief an Vadian verwendete, war er aber sicher in erster Linie gemeint. Ähnlich wie Bucer scheint Zwingli gegenüber dem in Chur ansässigen Humanisten Peter Tschudi bzw. Scudus (1495/1500–1532) geäußert zu haben, Luther denke in der Abendmahlslehre nicht so falsch, wenn ihn nicht Melanchthon anderswohin zwingen würde. Die Aussage Zwinglis ist zwar nicht genau zu datieren, aufgrund der Ähnlichkeit zu Bucers Äußerung gehört sie aber vermutlich in die Zeit nach dem Marburger Religionsgespräch.479
5.4 Die Zeit zwischen Marburger Gespräch und Augsburger Reichstag (Oktober 1529 bis Anfang 1530) 5.4.1 Melanchthons Verhältnis zu den Zwinglianern in der Zeit nach dem Religionsgespräch Nach dem Religionsgespräch beanspruchten zwar beide Seiten, in Marburg gesiegt zu haben, doch bewirkte das Gespräch zunächst eine Entschärfung des Streits und führte zu einer Einstellung der literarischen Polemik. Die durch die Marburger Artikel zustandegekommene theologische Annäherung war allerdings nicht von langer Dauer, und die veränderte politische Situation Anfang des Jahres 1530 führte bei den Lutherischen wieder zu einer schärferen Betonung der Unterschiede zu Zwingli.480 Ähnlich entwickelte sich auch die Haltung Melanchthons: Er sprach sich zwar auch nach dem Gespräch negativ über die Lehre Zwinglis aus, doch fehlte sus Protei in morem temet in omnem vertis speciem«. Entsprechend wurde der Vergleich auch von den Wittenberger Theologen in einem Gutachten an die Nürnberger Geistlichen 17. 2 . 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 121–132; hier 129, Z. 152 f.] und von Melanchthon an Camerarius 13. 1. 1541 [MBW 2608; MBW T 10, 33–35; hier 33, Z. 3 ] zur Kennzeichnung der altgläubigen Gegner verwendet. 478 Vgl. Zürich an Bern 24. 10. 1529 [Steck / Tobler, Aktensammlung der Berner-Reformation, 1165 f., Nr. 2579; hier 1165]: »wundent sy sich, (spricht M. Huldrych), als ein al im grass, und fyelent von einer meinung in die anderen, also, was sy erst geredt, gerad wider im fùssstapfen sich sollichs nit geredt haben verlougnetend« (zur Bedeutung des Sprichworts »sich winden wie ein Aal« Röhrich, Lexikon der Redensarten 1, 51). 479 Vgl. die Erinnerung Tschudis an Zwinglis Aussage, »Lutherum non adeo perperam de eucharistia sentire, nisi quod Melanchthon alio eum cogeret, a cuius maxime tum stabat sententia«, im Brief an ihn 15. 12. 1530 [CR 98, 277–280, Nr. 1147; hier 278, Z. 11 ff.]. 480 Vgl. Lohse, Reformation, 64 und May, Art. Marburger Religionsgespräch, 78.
I. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1521 und 1530
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seinen Aussagen nun die Schärfe aus der Zeit davor. Er hatte die Freundlichkeit der Zwinglianer in Marburg positiv zur Kenntnis genommen und sprach sich dafür aus, sie weiterhin zu belehren, in der Erwartung, sie würden auch in der Frage des Abendmahls irgendwann einlenken.481 Diese Hoffnung hielt Melanchthon jedoch nicht davon ab, seine Briefpartner auch weiterhin zu Wachsamkeit gegenüber der unsicheren zwinglianischen Lehre zu ermahnen.482 Zudem hielt er immer wieder fest, die Zwinglianer seien nur eine Spielart der Wiedertäufer, die seiner Ansicht nach von der politischen Macht hart zu bestrafen wären.483 Obwohl sich abzeichnete, daß Melanchthon sein Ziel erreicht hatte, eine Konkordie und damit ein Bündnis zwischen den Lutherischen und den oberdeutschen Städten zunächst zu verhindern,484 ließen ihn die Sorgen nicht los. Vermutlich hatte er von den Marburger Vereinbarungen zwischen Landgraf Philipp und Zwingli über ein Bündnis zwischen Hessen und der Schweiz erfahren.485 Anfang 1530 kamen weitere Anlässe für seine Beunruhigung hinzu: die Rüstungen Philipps von Hessen, ein Bündnis der Straßburger mit den Schweizern am 5. Januar 1530486 und die Befürwortung eines Widerstandsrechts gegen den Kaiser auf seiten der Zwinglianer.487 Zusammen mit Luther und anderen Wittenberger Gelehrten versuchte er, den Kurfürsten in seiner Ablehnung eines Bündnisses mit den Oberdeutschen zu bestärken und ihn davon zu überzeugen, daß es gegenüber dem Kaiser kein Widerstandsrecht geben könne, sondern daß man sich gehorsam erweisen müsse.488 Eine eindeutige Abkehr von den Zwing481 Vgl. Melanchthon an Aquila 12. 10. 1529 [MBW 830; MBW T 3, 612, Z. 2 ff.]; 16./17. 10. 1529 an Johann und / oder Johann Friedrich von Sachsen [MBW 831; MBW T 3, 618, Z. 102 ff.] und an Heinrich von Sachsen [MBW 832; MBW T 3, 627, Z. 122 f.]. 482 Vgl. Melanchthon an die Reutlinger Theologen 4./5. 10. 1529 [MBW 826; MBW T 3, 604, Z. 9 f.]; an Aquila 12. 10. 1529 [MBW 830; MBW T 3, 612, Z. 6 f.]; an Schnepf 17. 10. 1529 [MBW 834; MBW T 3, 628 f.; hier 628, Z. 9 f.]; an Krafft 18. 10. 1529 [MBW 835; MBW T 3, 629; hier Z. 1 f.] und an Fesel 2. 11. 1529 [MBW 838; MBW T 3, 633, Z. 15 ff.]. 483 Vgl. Melanchthon an Myconius Ende Februar 1530 [MBW 868; MBW T 4/1, 58–62; hier 60, Z. 14 ff.]; dazu auch oben Kap. 2 .7. 484 Vgl. dazu den Brief von Johann von Sachsen und Georg von Brandenburg an Philipp von Hessen 4. 10. 1529 [Kolde, Tag von Schleiz, 111–115], in dem sie betonten, die Straßburger könnten einem gemeinsamen Bündnis nicht beitreten, wenn sie an ihrer Abendmahls auffassung festhielten. 485 Vgl. zu Melanchthons Sorgen seine Briefe an Camerarius 16. 11. 1529 [MBW 841; MBW T 3, 636 f.; hier 636, Z. 2 ff.] und an Baumgartner 14. 12. 1529 [MBW 847; MBW T 3, 649; hier Z. 2 ]; zu den Marburger Vereinbarungen Seitz / Brenner, WA 30/3, 92. 486 Vgl. dazu Gäbler, Luthers Beziehungen, 495 und Luthers Reaktion darauf in seinem Brief an Hausmann Anfang Februar 1530 [WA Br 5, 236 f., Nr. 1527; hier 237, Z. 5 ff.]. 487 Vgl. Melanchthon an Camerarius 5. 1. 1530 [MBW 859; MBW T 4/1, 37–39; hier 38, Z. 24 ff.] und 20. 1. 1530 [MBW 862; MBW T 4/1, 41 f.; hier 41, Z. 5 ff.]. 488 Vgl. Luther an Johann von Sachsen 18. 11. 1529 [WA Br 5, 180–183, Nr. 1496; hier 182 f.] und 24. 12. 1529 [WA Br 5, 208–211, Nr. 1511; hier 209, Z. 28–211, Z. 93]; Melanchthon an Baumgartner Ende Februar / A nfang März 1530 [MBW 870; MBW T 4/1,
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
lianern und ihren Widerstandsgedanken erschien Melanchthon wohl spätestens dann geraten, als ein Reichstag nach Augsburg ausgeschrieben wurde und er die Hoffnung hegte, die Lutherischen könnten dabei vielleicht doch noch zu einem Ausgleich mit dem Kaiser kommen. Zudem hatte sich die politische Lage durch die Türkengefahr verschärft – die Türken hatten vom 21. September bis zum 16. Oktober 1529 Wien belagert, und nun befürchtete man ihre Rückkehr für das kommende Frühjahr489 –, und es erschien wichtig, die Kräfte im Reich zu bündeln, damit man kraftvoll gegen diesen Feind von außen vorgehen könnte. 5.4.2 Zwinglianische Kritik an Melanchthon 5.4.2.1 Heinrich Bullinger Heinrich Bullinger (1504–1575) äußerte Kritik an Melanchthon nicht in bezug auf das Religionsgespräch an sich – an diesem hatte er ja selbst nicht teilgenommen –, sondern hinsichtlich des Umgangs der Wittenberger und insbesondere Melanchthons mit den Marburger Ergebnissen. Dies tat er allerdings nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Gesprächs, sondern erst einige Jahrzehnte später in seiner zwischen 1567 und 1574 verfaßten Reformationsgeschichte, in der er die Jahre 1519 bis 1532 behandelte.490 Bullinger beklagte darin, daß sich die Wittenberger nach dem Religionsgespräch nicht an die am Ende des Gesprächs getroffenen Verabredungen gehalten hätten, sich in Liebe zu begegnen, sondern im Gegenteil sowohl in der Öffentlichkeit als auch im Geheimen unfreundlich über die Zwinglianer gesprochen hätten. Insbesondere beschwerte er sich über die gefärbte und stellenweise sogar unwahre Darstellung der Ereignisse durch Melanchthon in einem Bericht, den dieser Mitte Oktober 1529 an Herzog Heinrich von Sachsen (1473–1541) geschickt hatte und der im Lauf der Jahre immer wieder nachgedruckt worden war. Bullinger warf Melanchthon vor, er habe das Geschehen in betrügerischer und eigennütziger Absicht zum Vorteil der Lutherischen dargestellt und fälschlicherweise behauptet, daß sich Zwingli und Oekolampad durch ihre Unterschrift unter die Marburger Artikel der Lehre Luthers angeschlossen hätten. Bullinger spielte damit wohl auf die Schilderung Melanchthons über die Einigung auf die Marburger 64 f.; hier Z. 15 ff.] und die Gutachten zum Widerstandsrecht von Melanchthon vor 6. 3. 1530 [MBW 872; MBW T 4/1, 66–71] und von Luther 6. 3. 1530 [Scheible, Widerstandsrecht, 60–63, Nr. 14]. 489 Vgl. Melanchthon an Burchard 8. 10. 1529 [MBW 828; MBW T 3, 607, Z. 10]; an Myconius 17. 10. 1529 [MBW 833; MBW T 3, 627 f.; hier 627, Z. 13 f.]; an Schnepf 17. 10. 1529 [MBW 834; MBW T 3, 628, Z. 3 ff.]; an Krafft 18. 10. 1529 [MBW 835; MBW T 3, 629, Z. 4 ] und an Tricesius ca. 25. 10. 1529 [MBW 837; MBW T 3, 632, Z. 17 ff.]; zudem Immenkötter, Ausschußverhandlungen, 117; zur weiteren Entwicklung der Beziehungen zwischen Lutheranern und Zwinglianern unten Abschnitt II, Kap. 2 . 490 Vgl. zur Datierung der Reformationsgeschichte Bullingers Blanke / Leuschner, Bullinger, 330.
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Artikel an, die dieser nicht als beiderseitigen Kompromiß gekennzeichnet, sondern so dargestellt hatte, als seien Zwingli und Oekolampad der Meinung Luthers gefolgt.491 5.4.2.2 Philipp von Hessen 492 Landgraf Philipp von Hessen zeigte sich in einem Brief an Zwingli Ende Januar 1530 verärgert über die unnachgiebige Haltung Luthers und Melanchthons gegenüber einer Vereinigung mit den Oberdeutschen und machte sie für die bestehende Trennung zwischen Lutherischen und Zwinglianern mitverantwortlich.493 5.4.2.3 Martin Bucer und Jakob Bedrotus Ähnlich enttäuscht über die Verhinderung einer Konkordie durch Luther und Melanchthon war auch Bucer, wie sein Brief an Ambrosius Blarer von Ende Januar 1530 belegt. Darin betonte Bucer, daß er zwar seine Hoffnung auf Luther und sogar auf Melanchthon noch nicht aufgegeben habe, von Melanchthon jedoch mehr Schaden für die Einheit der Kirche befürchte als von Luther. Trotzdem sehe er in beiden nach wie vor Söhne Gottes, die allerdings gegenwärtig durch starke Anfechtungen erschüttert seien.494 Er kritisierte zudem Melanchthons Ansicht, die Zwinglianer müßten mit Waffengewalt zum Gehorsam genötigt werden, und begriff sie als Ausdruck der Unerfahrenheit Melanchthons. 491 Vgl. Bullinger, Reformationsgeschichte 2, 237 ff., Nr. 329; hier 237: »Nach disem Gespräch, hieltend sich die Wittenberger gar vngemäß der Abred, so zum beschluß gethan waz, vnd hieltend sich heimlich vnd offentlich gar vnfrüntlich. Dann philippus Melanchton . . . hat vff daz gespräch ein Geschrifft gestellt an Hertzog Heinrychen zù Saxen, in deren er gar vorteylig erzellt was in dem Gespräch von beiden parteyen gehandlet vnd geredt worden« (vgl. zur negativen Konnotation von »vorteilig« Grimm, Deutsches Wörterbuch 12/2, 1741); »ein offentliche vnd wussentliche vnwarheit, das Zwingli vnd Oecolampad in articklen, deren sy sich alls einig vnd glichlutend ercklärt, des Luthers leer zùgefallen syend«. Melanchthons Bericht an Heinrich von Sachsen vom 16./17. 10. 1529 (MBW 832) wurde 1560, 1566, 1574, 1586 und 1606 nachgedruckt (vgl. Wetzel, MBW T 3, 620); vgl. die dortige Darstellung Melanchthons über die Marburger Artikel [MBW T 3, 626, Z. 120 f.]. Entsprechende Kritik äußerten 1530 auch Bucer und Capito (vgl. unten Abschnitt II, Kap. 3.1.2, bes. Anm. 792). 492 Philipp von Hessen wird hier zur Gruppe der Zwinglianer gerechnet, da er sich in der Zeit vor dem Augsburger Reichstag eher zu diesen als zu den Lutherischen hingezogen fühlte (vgl. dazu den Briefwechsel zwischen Philipp von Hessen und seiner Schwester Elisabeth von Sachsen von Februar 1530 [Philipp von Hessen, Politisches Archiv 3, 463 f., Nr. 2841; hier 464]). 493 Vgl. Philipp von Hessen an Zwingli 25. 1. 1530 [CR 97, 421–424, Nr. 965; hier 421, Z. 2 ff.]: »es ist vor mir nit weniger Lutter und Melanthon haben zu vill gehtan, das sie solche trennung anrichten, und es ist mir icht und alweg zuwider gewest«. 494 Vgl. Bucer an A. Blarer 26. 1. 1530 [BC 4, 9–16, Nr. 273; hier 15, Z. 10 ff.]: »Quae vero de Luthero scripsi, ne eo rapias, quod deponderim de eo animum, sed ne de Philippo quidem, a quo tamen plus metuo ecclesijs; filios Dei esse credo, sed qui modo graui teneantur tentatione. Nam quid grauius possit vlli mortalium accidere quam sic oppugnari ecclesiae vnionem«.
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Er fügte deshalb den Wunsch hinzu, Gott möge Melanchthon bessere Einsicht schenken.495 Weit kritischer als Bucer scheint sich der Freiburger Griechisch-Professor Jakob Bedrotus (ca. 1495–1541) über Melanchthon geäußert zu haben. Bucer berichtete im genannten Brief an Blarer über einen Brief von Bedrotus an Blarers Bruder Thomas (1499–1567), in dem Bedrotus beklagt habe, daß sich Melanchthon sowohl beim Speyerer Reichstag als auch beim Marburger Religionsgespräch einer Konkordie zwischen Oberdeutschen und Lutherischen entgegengestellt habe.496 Zudem scheint Bedrotus auch Melanchthons Verehrung für den Kaiser kritisiert zu haben.497 Bedrotus war aber wohl in Sorge, wie seine freimütigen Äußerungen über Melanchthon aufgenommen würden.498 Als Bucer den genauen Wortlaut der Kritik Bedrotus’ an Melanchthon erfahren hatte, kritisierte er diesen, und zwar in einem Brief an Ambrosius Blarer Anfang März 1530. Bucer versuchte, Melanchthon zu rechtfertigen, obwohl er ihn ja auch selbst kritisch sah: Melanchthon stehe dem Evangelium weniger entgegen als zum Beispiel Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) und er verehre den Kaiser ja nur um des allgemeinen Friedens willen. Melanchthon müsse als Werkzeug Gottes wahrgenommen werden, der ihn mit bewundernswerten Gaben ausgestattet habe. Aus diesem Grund solle man ihn wertschätzen und seine Aussagen in einem positiven Licht interpretieren.499 Bucer hatte wohl nach wie vor Angst, das zarte Pflänzchen der Annäherung könne wieder vernichtet werden, sollte Melanchthon von derartiger Kritik im zwinglianischen Lager erfahren.500 Bucer scheint sich mit seiner Kritik an Bedrotus auch an diesen direkt gewandt zu haben, denn Bedrotus äußerte sich dazu Anfang März ebenfalls in einem Brief an Ambrosius Blarer: Er sei nicht bereit, seine kritische Äußerung gegenüber Melanchthon zurückzunehmen, denn er empfinde für ihn keine Hochachtung. Er bat sich statt dessen das Recht aus, einem Freund gegenüber 495
Vgl. Bucer an A. Blarer 26. 1. 1530 [BC 4, 16, Z. 6 ff.]: »Imperitj hominis sententia est, nos armis ad officium compellendos. Dominus donet illi mentem meliorem«. 496 Vgl. Bucer an A. Blarer 26. 1. 1530 [BC 4, 16, Z. 4 ff.]: »Dolet homini uere christiano [sc. Bedrotus], quod ille [sc. Melanchthon] tam fortiter ante in comitijs Spirae et postea Marpurgi concordiae nobiscum restituendê obstitit«. 497 Darauf läßt die Zurückweisung derartiger Kritik durch Bucer an A. Blarer 4. 3. 1530 [BC 4, 21–25, Nr. 275; hier 24, Z. 1 ff.] schließen. 498 Vgl. Bucer an A. Blarer 26. 1. 1530 [BC 4, 16, Z. 2 ff.]: »Fratri tuo nuper scripsit [sc. Bedrotus]; tu efficies apud illum, vt ejus libertatem boni consulat. Indicauit enim mihi, se quaedam scripsisse de Philippo liberius«. 499 Vgl. Bucer an A. Blarer 4. 3. 1530 [BC 4, 24, Z. 1 ff.]: »Nam vtcunque Philippus hodie paulo minus quam Erasmus recto Euangelii cursui aduersetur Caesarisque gratiam, . . . publicae pacis gratia, suspiciat magnique faciat . . ., organum tamen Dei praeclarum est. In quo sic velim D[ei] dona nobis admirationi esse, vt . . . vas tamen tantae dignationis eximie charum habeamus ac inde . . . omnia in meliorem partem non minore argutia et studio interpretemur«. 500 Vgl. dazu Bucers Aussagen von Oktober 1529 oben Anm. 477.
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offen sprechen zu können. Schließlich stellte er fest, es werde nicht möglich sein, die Autorität von Melanchthons Namen auf Dauer zu schützen.501 *** Exkurs: Melanchthons Verhältnis zu den Zwinglianern in den Jahren vor 1529 502 Um zu verstehen, warum die Oberdeutschen Melanchthon im Zusammenhang der Ereignisse des Jahres 1529 so heftig kritisierten, und um Anhaltspunkte für die Beurteilung der geäußerten Vorwürfe zu gewinnen, ist es nötig, Melanchthons Verhältnis zu den Zwinglianern in den Jahren vor 1529 einer näheren Untersuchung zu unterziehen.
1. Melanchthons Einschätzung der Zwinglianer in den Jahren vor 1529 und seine Rolle im (ersten) Abendmahlsstreit Schon in den frühen Jahren der Züricher Reformation nahm Melanchthon ihr gegenüber eine ablehnende Haltung ein, die zunächst vor allem die praktische Umsetzung der neuen Erkenntnisse betraf: Melanchthon fehlte das Verständnis für die Aufsehen erregenden Aktionen in Zürich wie zum Beispiel das demonstrative Fleischessen an Fastentagen oder die vollständige Abschaffung der Bilder. Solche Taten stellten seiner Meinung nach keine notwendigen Konsequenzen des neuen Glaubensverständnisses dar. Diese Haltung Melanchthons hing sicher in erster Linie damit zusammen, daß er mit derartigen Provokationen im Zusammenhang der Wittenberger Bewegung 1521/22 selbst schlechte Erfahrungen gemacht hatte und als Konsequenzen solcher Aktionen die Störung des öffentlichen Friedens und Aufruhr im Volk befürchtete. Seine Ablehnung richtete sich allerdings nicht so sehr gegen Zwingli persönlich, dessen differenzierte Betrachtungsweise er anerkannte, sondern gegen einige seiner Anhänger, die über ihn hinausgingen und in denen Melanchthon den Teufel am Werk sah.503 Auf der Ebene der Lehre, besonders in der Frage des Abendmahls traten die Differenzen zwischen Luther und den führenden Köpfen der oberdeutschen und schweizerischen Reformation, die anfangs noch im Verborgenen geschlummert hatten, 1524 durch einige Traktate Karlstadts offen zutage und wurden im Jahr 1526 in Gestalt einer 501 Vgl. Bedrotus an A. Blarer ca. 4. 3. 1530 [Blaurer-BW 1, 208, Nr. 160]: »De Melanch[thone] sentio non minus magnifice, atque solent ii, qui in hominis verba vel ioculanter dicta iurarunt. Interim tamen fas esse mihi puto libere evomere in amici sinum, quæ sentio, quando idem et aliis per me amicis licet impune. Metuo ego certos quosdam τὶ εἴναι δοκοῦντας autoritatem nominis sui non posse tueri perpetuo, nisi aliud docendi tum sacra tum prophana consilium capiant«. 502 Vgl. dazu die Darstellung bei Köhler, Zwingli und Luther 1, 187 ff. 503 Vgl. Melanchthon an Hummelberg 16. 7. 1522 [MBW 229; MBW T 1, 472 f.; hier 473, Z. 6 ff. und Z. 12 ff.]; an T. Blarer Ende 1523 / A nfang 1524 [MBW 303; MBW T 2, 104 f.; hier 105, Z. 8 ff.]; an Oekolampad 14. 2 . 1524 [MBW 311; MBW T 2, 115 f.; hier 116, Z. 4 ff.] und an Düring 17. 11. 1527 [MBW 626; MBW T 3, 216–221; hier 218, Z. 5 ff.]. In eine ähnliche Richtung ging auch eine Äußerung, die Melanchthon angeblich während seines Aufenthalts in Heidelberg Ende Mai 1524 (vgl. Scheible, MBW R 10, 318) gemacht hatte und die Capito Bugenhagen in seinem Brief vom 8. 10. 1525 voller Ärger mitteilte [BugenhagenBW, 32–50, Nr. 15; hier 34]; vgl. zum Bezug der Aussage auf Melanchthon Vogt, Bugenhagen-BW, 34, Anm. 1 und Köhler, Zwingli und Luther 2, 18.
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literarischen Fehde zwischen Luther und verschiedenen Zwinglianern öffentlich ausgetragen.504 Melanchthon stand diesem Streit sehr reserviert gegenüber und bemühte sich stets darum, sich herauszuhalten.505 Dafür sind wohl folgende Gründe verantwortlich: Der erste Grund liegt in Melanchthons mangelndem Willen, sich theologisch unmißverständlich festzulegen. Er orientierte sich in der Abendmahlsfrage in den ersten Jahren seiner Wittenberger Zeit ganz an Luther und lehnte entsprechend die zwinglianische Abendmahlslehre und insbesondere die figürliche Auffassung der Einsetzungsworte ab: Er charakterisierte sie als dummes und nichtiges Geschwätz, als Abweichung von der Schrift, als unsichere Lehre, als gottlos, absurd und verderblich und kritisierte insbesondere, daß sie sich nicht um die pietas der Menschen bemühe und dem Rationalismus Vorschub leiste.506 Statt dessen sprach er sich für die von Luther vertretene Lehre von der Realpräsenz aus. Es ist allerdings auffällig, daß er sich zu den strittigen Abendmahls aussagen meist sehr zurückhaltend äußerte, klare Stellungnahmen vermied und auf die Angabe eigener Gründe verzichtete, daß er oft nur auf die biblischen und patristischen Grundlagen und damit auf das Alter der lutherischen Position verwies507 und meinte, diese Hinweise auf die kirchliche Tradition genügten für eine Widerlegung der Zwinglianer.508 Weiter ist interessant, daß Melanchthon den Streit immer wieder als unnötig darstellte und betonte, es handle sich um schlaue Unterscheidungen, die für die einfachen Menschen unverständlich und unfruchtbar seien.509 Schließlich scheint sich Me504
Vgl. Gäbler, Luthers Beziehungen, 482 ff. und Lohse, Reformation, 56. Vgl. Melanchthon an Spengler 19. 5. 1527 [MBW 545; MBW T 3, 58 f.; hier 59, Z. 15 ff.]; an Camerarius 23. 10. 1527 [MBW 610; MBW T 3, 185–188; hier 187, Z. 52 f.]; an Gerbel 12. 5. 1528 [MBW 679; MBW T 3, 314 f.; hier 314, Z. 4 ff.] und im Rückblick an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 492, Z. 14 ff.]. Oecolampad berichtete allerdings an Zwingli 12. 7. 1526, Melanchthon habe zu Pirckheimer in Nürnberg gesagt, wenn dieser nicht gegen Oekolampad geschrieben hätte, dann hätte er es getan [CR 95, 657–659, Nr. 505; hier 659, Z. 16 f.]. Melanchthon riet auch anderen, das umstrittene Thema Abendmahl nicht auf der Kanzel zu diskutieren, sondern sich aus den Streitigkeiten herauszuhalten; vgl. an Moibanus ca. 10. 8. 1526 [MBW 487; MBW T 2, 461 f.; hier 462, Z. 9 f.]; an Düring 17. 11. 1527 [MBW 626; MBW T 3, 220, Z. 40 ff.]; an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 221 f.; hier 222, Z. 11 ff.] und erste Märzhälfte 1528 [MBW 663; MBW T 3, 283 f.; hier 284, Z. 2 f.] und an Schwebel erste Aprilhälfte 1529 [MBW 771; MBW T 3, 482, Z. 9 ff.]. 506 Vgl. Melanchthon an Oekolampad 12. 1. 1525 [MBW 370; MBW T 2, 236–239; hier 238, Z. 12 ff.]; an Spalatin 28. 9. 1525 [MBW 424; MBW T 2, 353; hier Z. 6 f.] (vgl. zur abwertenden Bedeutung von fabula Georges, Handwörterbuch 1, 2653); an Camerarius 2. 7. 1526 [MBW 473; MBW T 2, 435–437; hier 436, Z. 23 ff.; bes. Z. 28]; an Moibanus ca. 10. 8. 1526 [MBW 487; MBW T 2, 462, Z. 7 f.]; an Spalatin 4. 5. 1527 [MBW 539; MBW T 3, 51 f.; hier 52, Z. 6 ff.] und an Gerbel 12. 5. 1528 [MBW 679; MBW T 3, 314 f.; hier 315, Z. 11]; zudem Köhler, Zwingli und Luther 1, 188 f. 507 Vgl. Melanchthon an Oekolampad 12. 1. 1525 [MBW 370; MBW T 2, 237, Z. 2 ff. und 238, Z. 10 f.]; an Eberbach Oktober 1527 [MBW 617; MBW T 3, 203–205; hier 205, Z. 13 ff.] und 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 222, Z. 12 ff.]; sein Gutachten für Spalatin von Januar 1528 [MBW 645; MBW T 3, 255–257; hier 256 f.] und den Brief an Gerbel 12. 5. 1528 [MBW 679; MBW T 3, 314, Z. 5 ff.]; zudem Köhler, Zwingli und Luther 1, 192 und 799 f. 508 Vgl. Melanchthon an Luther und Bugenhagen 16. 9. 1527 [MBW 593; MBW T 3, 165 f.; hier 166, Z. 20 ff.]. 509 Vgl. Melanchthon an Moibanus ca. 10. 8. 1526 [MBW 487; MBW T 2, 462, Z. 10]; an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 222, Z. 12] und an Schwebel erste Aprilhälfte 1529 [MBW 771; MBW T 3, 482, Z. 13 ff.]. 505
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lanchthon in der Rolle eines Verteidigers der Lehre Luthers nicht viel zugetraut zu haben. Diese Vermutung legt sein bereits genannter Brief an Oekolampad vom April 1529 nahe, in dem er darlegte, er habe sich im Abendmahlsstreit nicht zu Wort gemeldet, weil er befürchtete, von ungerechten Richtern nur als von Luther abgeordneter Zeuge wahrgenommen zu werden. Seine Aussagen hätten nicht als Autorität wahrgenommen werden können, wenn es den Anschein gehabt hätte, er habe sich nur Luther zuliebe geäußert.510 Der zweite Grund für Melanchthons Zurückhaltung besteht in seinem gutem Verhältnis zu den Oberdeutschen, vor allem zu seinem Studienfreund Oekolampad,511 die wie er selbst stark vom Humanismus geprägt waren.512 Er lehnte zwar ihre theologischen Positionen teilweise ab, scheint aber trotzdem in einigen Punkten von ihnen beeinflußt worden zu sein 513 und wollte wohl die Freundschaft zu ihnen durch eine Einmischung in den Abendmahlsstreit nicht gefährden. Als dritten Grund ist auf Melanchthons generelle Ablehnung von Streit zu verweisen, die bereits bei früheren Ereignissen deutlich wurde. Die durch den Streit offenbar werdende öffentliche Uneinigkeit (dissensio) unter denen, deren Aufgabe der Schutz des Evangeliums sein sollte, bereitete ihm große Sorgen, und es wäre ihm lieber gewesen, die Protagonisten hätten sich privat verständigt, anstatt den Streit in der Öffenlichkeit auszutragen.514
2. Die Einschätzung Melanchthons von seiten der Zwinglianer bis 1529 In den Anfangsjahren der Reformation wurde Melanchthon von vielen Zwinglianern wegen seiner Gelehrsamkeit und seiner Schriften geschätzt.515 Diese positive Einschätzung setzte sich auch während der Abendmahlsstreitigkeiten fort; eine feindliche Gesinnung gegenüber Melanchthon, wie sie für die Zeit vor 1529 lediglich aus Straßburg bekannt ist,516 blieb die Ausnahme. 510 Vgl. Melanchthon an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 492, Z. 23 ff.]. 511 Mit Oekolampad stand Melanchthon seit 1519 in kontinuierlichem Brief kontakt (vgl. MBW 59, 278, 292, 311, 326, 340, 345, 370 und 429; zu dieser Freundschaft auch Köhler, Zwingli und Luther 1, 190 f.). 1524 nahm er ihn beispielsweise gegenüber Erasmus in Schutz, der ihn mit Personen in einen Topf geworfen hatte, die Melanchthon als Bösewichter (improbissimi) charakterisierte (vgl. Melanchthon an Erasmus 30. 9. 1524 [MBW 344; MBW T 2, 179–183; hier 182, Z. 32 ff.]). Vgl. auch die freundlichen Worte Melanchthons gegenüber Oekolampad in seinem Brief an ihn vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 492, Z. 2 ff.]. 512 Vgl. Gäbler, Luthers Beziehungen, 481. 513 Vgl. Melanchthon an Düring erste Märzhälfte 1528 [MBW 662; MBW T 3, 280–283] und dazu Köhler, Zwingli und Luther 1, 801 f. 514 Vgl. Melanchthon an Camerarius 3. 1. 1525 [MBW 369; MBW T 2, 235 f.; hier 235, Z. 9 ff. und 236, Z. 26 ff.] und 22. 1. 1525 [MBW 371; MBW T 2, 239–241; hier 240, Z. 7 ff.]; an T. Blarer ca. 10. 8. 1526 [MBW 503; MBW T 2, 496 f.; hier 497, Z. 7 ff.]; an Camerarius 15. 8. 1527 [MBW 575; MBW T 3, 137–139; hier 138, Z. 17 f.] und an Oekolampad vor 25. 4. 1529 [MBW 775; MBW T 3, 492, Z. 8 ff., Z. 12 ff. und Z. 16 f.]. 515 Vgl. z. B. Hugwald an Vadian Januar (?) 1522 [Vadianische Briefsammlung 3, 243–246, Nr. 96; hier 245] und 1523 (?) [a. a. O., 256 f., Nr. 101; hier 257] und Gäbler, Luthers Beziehungen, 482. 516 Vgl. Gerbel an Melanchthon 3. 6. 1528 [MBW 691; MBW T 3, 330 f.; hier 331, Z. 4 ff.]: »adeo tibi – nam de Luthero quid attinet dicere, quem hodie pluris faciunt papistae aliquot quam illi? – infensi sunt [sc. Argentinienses], ut ex his nonnulli vix ferant nomen tuum«.
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Im folgenden sollen die tendenziell positiven Einschätzungen Melanchthons bei verschiedenen Zwinglianern zusammengestellt werden: Wolfgang Fabricius Capito (1481–1541) aus Straßburg hielt Melanchthons Standpunkt für freier (liberior) und also wohl maßvoller als die Position Luthers.517 Auch Zwingli hoffte auf Melanchthons mäßigende Wirkung,518 wenngleich er sich in dieser Einschätzung nicht ganz sicher war: Er erwartete von Melanchthon zwar keine Winkelzüge, baute darauf, daß auch ihm die Wahrheit am Herzen liege, und wollte ihn keinesfalls zum Kampf reizen; es lag für ihn allerdings im Bereich des Möglichen, daß Melanchthon in den Abendmahlsstreit eingreifen und zum Kampf gegen die Zwinglianer rüsten könnte.519 Zwingli war zu derartigen Aussagen durch Theobald Billicanus (1491–1554) genötigt worden, der im Winter 1525 für die Abendmahlslehre Luthers eingetreten war und angekündigt hatte, Melanchthon werde bald in den Abendmahlsstreit eingreifen, wohl in der Hoffnung, diese Stellungnahme werde in seinem Sinne ausfallen.520 Als sich in einem Brief Melanchthons im März 1528 Einflüsse Oekolampads zeigten, entstand das Gerücht, Melanchthon werde auf die Seite der Zwinglianer überwechseln, was bei Johannes Comander († 1557) aus Chur große Freude und Hoffnung auslöste.521 Doch stellte sich im Lauf der kommenden Monate heraus, daß diese Nachricht nicht der Wahrheit entsprach, so daß Comander in seiner hoffnungsvollen Einschätzung Melanchthons zunehmend verunsichert wurde.522 Oekolampad, der großes Interesse an der Einheit der Evangelischen hatte, hoffte auf die langjährige Freundschaft zu Melanchthon und wandte sich deshalb im Mai 1528 mit seinen Wünschen nach Einheit an ihn.523 Auf diesem Hintergrund ist auch Oekolampads oben genannte Bitte an Melanchthon zu verstehen, sich in Speyer gegen eine Verurteilung der Zwinglianer einzusetzen.524 517 Vgl. Capito an Oekolampad 27. 10. 1525 [Staehelin, Briefe und Akten 1, 405–407, Nr. 291; hier 405]. Wenn man diese positive Einschätzung Melanchthons bei Capito in Betracht zieht, ist es verständlich, daß er sehr verärgert war über die Nachricht, Melanchthon habe 1524 in Heidelberg gesagt, die Straßburger sollten nicht mit Argumenten, sondern mit Stöcken gezüchtigt werden (vgl. dazu oben Anm. 504). 518 Vgl. Zwingli an Melanchthon April 1527 (MBW 538), wo er ihn bat, Andreas Osiander zur Mäßigung zu ermahnen. Dieser Brief ist zwar nicht erhalten, wurde aber im Brief von Melanchthon an Spengler 19. 5. 1527 [MBW 545; MBW T 3, 58 f.; hier 59, Z. 15 f.] erwähnt. 519 Vgl. Zwingli an Billicanus und Rhegius 1. 3. 1526 [CR 91, 880–941, Nr. 77; an Billicanus 893–931; hier 930, Z. 15 ff.]. 520 Vgl. die Schrift »De verbis coenae dominicae et opinionum varietate« von Billicanus (VD 16 G 1570 f.; zitiert in CR 91, 930, Anm. 4 ) und die Reaktion Zwinglis auf diese Ankündigung im Brief an Billicanus und Rhegius vom 1. 3. 1526 [CR 91, 930, Z. 14 f.]. 521 Vgl. Comander an Vadian 18. 4. 1528 [Vadianische Briefsammlung 4, 104 f., Nr. 515; hier 104]; Comander spielte mit confessio auf MBW 662 an, einen Brief Melanchthons, der 1574 unter dem Titel »Confessio paucis articulis complectens summam doctrinae de vera praesentia corporis & sanguinis Christi in coena dominica« gedruckt wurde (vgl. Wetzel, MBW T 3, 281); vgl. dazu Köhler, Zwingli und Luther 1, 801, bes. Anm. 3. 522 Vgl. Comander an Vadian 12. 6. 1528 [Vadianische Briefsammlung 4, 117 f., Nr. 525; hier 118] und 7. 7. 1528 [a. a. O., 120 f., Nr. 527; hier 121]. 523 Vgl. Oekolampad an Melanchthon 21. 5. 1528 [MBW 686; MBW T 3, 323–326] und dazu Köhler, Zwingli und Luther 1, 682 und 2, 19. 524 Vgl. dazu oben Anm. 366.
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Diese positiven Einschätzungen Melanchthons kamen wohl vor allem aufgrund seiner bereits erwähnten uneindeutigen Äußerungen zur Abendmahlslehre und aufgrund seiner Auslegung des sechsten Kapitels des Johannesevangeliums zustande, die mißverstanden und im Sinne Zwinglis gedeutet werden konnten.525
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5.5 Zusammenfassung Die Vorwürfe, die im Lauf des Jahres 1529 gegen Melanchthon erhoben wurden, lassen sich in folgende drei Kategorien einteilen: Die Kritik an Melanchthons Haltung zu den Altgläubigen beim Speyerer Reichstag, die Kritik an seinen sorgenvollen Reaktionen auf die evangelischen Bündnispläne und die Kritik an seinem Verhalten gegenüber den Zwinglianern im Jahr 1529. In bezug auf seine Haltung zu den Altgläubigen beim Speyerer Reichstag wurde Melanchthon sowohl von lutherischer als auch von zwinglianischer Seite kritisiert.526 Mit ihren Vorwürfen an Melanchthons Wohlwollen gegenüber Kaiser und König, an seiner Widmung an König Ferdinand und an seiner Nachgiebigkeit zielten die Kritiker Furster, Philipp von Hessen, Bucer und Bedrotus auf seine positive Einschätzung der Altgläubigen, seine daraus erwachsenden Hoffnungen auf eine Einigung mit diesen und seine entsprechenden konkreten Schritte beim Speyerer Reichstag. Furster versuchte, Gründe für Melanchthons nachgiebiges Verhalten in Speyer zu benennen, und warf ihm daher zusätzlich Schwachheit und Vernunftorientiertheit vor – ein Kritikpunkt, der insbesondere im Jahr 1530 wieder auftauchen sollte. Die Kritik an Melanchthons sorgenvollen Reaktionen auf die evangelischen Bündnispläne wurde nur von lutherischer Seite und in erster Linie aus seinem direkten Umfeld geäußert. Sie richtete sich neben Melanchthons angstvollen Reaktionen auf die Ereignisse in Speyer vor allem gegen seine Sorgen angesichts des drohenden Bündnisses zwischen den Lutherischen und den oberdeutschen Städten nach dem Reichstag.527 Melanchthons Verhalten gegenüber den Zwinglianern im Jahr 1529 hatte zur Folge, daß ihm von zwinglianischer Seite Unredlichkeit, Uneinheitlichkeit, Härte, Unfreundlichkeit und betrügerisches Verhalten vorgeworfen und als möglicher Grund dafür seine Unerfahrenheit ins Spiel gebracht wurde.528 Abschließend stellt sich die Frage, warum die Oberdeutschen gerade Melanchthon in dieser Zeit so vehement kritisierten – nachdem sie ihn in den Jahren zuvor eher positiv beurteilt hatten –, Luther jedoch, der sich ihnen ge525
Vgl. Köhler, Zwingli und Luther 1, 192. Vgl. dazu oben Kap. 5.1.2.1, 5.1.2.2, 5.3.2.1 und 5.4.2.3. 527 Vgl. dazu oben Kap. 5.2.2.1. 528 Vgl. dazu oben Kap. 5.1.2.3, 5.2.2.2, 5.3.2 und 5.4.2. 526
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genüber ja ähnlich ablehnend verhielt, in weit geringerem Maße. Offenbar war Melanchthons Verhalten in den Jahren vor 1529 der maßgebliche Grund für den 1529 zu beobachtenden Sachverhalt: Melanchthon hatte im Abendmahlsstreit zwar grundsätzlich auf der Seite Luthers gestanden, sich aber selten eindeutig festgelegt und sich weitgehend aus dem Konflikt herausgehalten. Dadurch erschien er als der mildere, kooperativere und versöhnlichere Lutheraner. Und viele Zwinglianer hatten wohl große Hoffnungen in ihn gesetzt und erwartet, daß er eine Konkordie zwischen Lutherischen und Zwinglianern zustandebringen könnte. Entsprechend hatten sie 1529 von ihm ein anderes Verhalten erwartet, als das, welches er an den Tag legte. Das zeigt eine Aussage Bullingers in seiner Reformationsgeschichte.529 Auch Luther wurde zwar immer wieder heftig kritisiert, aber dies war im Gegensatz zu den gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfen nichts Neues.530
529 Vgl. Bullinger, Reformationsgeschichte 2, 237: »Melanchton, der sunst für den bescheidnern vßgäben vnd gehallten ward«. 530 Vgl. dazu die Aussagen Gerbels oben Anm. 517.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530 Einleitung Der Augsburger Reichstag im Jahr 1530 ist das Ereignis im Leben Melanchthons, auf dem seine bis heute anhaltende Bekanntheit hauptsächlich beruht, ging er doch als Verfasser der »Confessio Augustana« (CA) in die Geschichte ein. Melanchthons Verhalten beim Reichstag gereichte ihm allerdings nicht nur zum Ruhm, sondern zog auch Kritik nach sich. Diese Kritik unterscheidet sich von den bisher dargestellten Vorwürfen dadurch, daß sie schärfer war und sich die Anzahl und Vielfalt der Kritiker so stark vergrößerte, daß sich die Vorwürfe weit über Augsburg hinaus verbreiteten.1 Anders als die bisherigen Vorwürfe geriet die Kritik des Jahres 1530 in späterer Zeit nicht in Vergessenheit, sondern wurde immer wieder aufgegriffen und ist damit eine der wichtigsten Grundlagen für das negative Melanchthonbild. Die exponierte Stellung Melanchthons beim Augsburger Reichstag hatte zur Folge, daß seine Rolle in vielen Darstellungen aus dem Bereich der fast unübersehbaren Forschungsliteratur zu diesem zentralen Ereignis der Reformationsgeschichte2 mitbehandelt wird und ihr sogar eigene Untersuchungen 3 gewidmet wurden. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe tauchen dabei jedoch nur am Rande auf; allenfalls gehen die Forscher auf die Vorwürfe Luthers und einiger weniger anderer Kritiker ein. Die Mehrzahl der kritischen Äußerungen aus der Zeit des Reichstags hingegen blieb bis heute unbeachtet. Diesem Mangel soll das vorliegende Kapitel Abhilfe schaffen und die Vorwürfe des Jahres 1530 möglichst umfassend darstellen. Dies wird durch die überaus gute Quellenlage für den Augsburger Reichstag befördert, denn aus den sechs Monaten, in denen
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Vgl. von Pastor, Reunionsbestrebungen, 51. Vgl. die Forschungsberichte, die im Anschluß an das CA-Gedenkjahr 1980 entstanden: Koch / Ullrich / Kühn, Der wissenschaftliche Ertrag des Confessio-Augustana-Gedenkjahres (1981), Neuhaus, Augsburger Reichstag (1982) und Kohler, Augsburger Reichstag (1986), und stellvertretend aus der Literatur die beiden Sammelbände »Confessio Augustana und Confutatio« (1980) und »Im Schatten der CA« (1997). 3 Vgl. Virck, Melanchthon’s Stellung (1888); Aner, Melanchthons Haltung (1931); Scheible, Augsburger Reichstag (1985) und Vinke, Luther auf der Coburg (1996). 2
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die Reichsstände tagten, sind sehr viele Berichte und Dokumente erhalten, die zumeist auch in gedruckter Form vorliegen.4 Da die gegen Melanchthon gerichtete Kritik nur auf dem Hintergrund der Ereignisse des Jahres 1530 verständlich ist, wird im folgenden zunächst der Verlauf des Reichstags mit besonderer Berücksichtigung der Haltung Melanchthons und Kursachsens dargestellt (Kapitel 1). Das Verhalten und die Positionen der anderen protestantischen Reichsstände werden insofern berücksichtigt, als sie für den Fortgang der Ereignisse oder das Verständnis der gegen Melanchthon gerichteten Kritik wichtig sind. Dabei läßt es sich nicht vermeiden, daß einiges wiederholt wird, was sich auch in den zahlreichen allgemeinen Darstellungen zum Augsburger Reichstag findet; bei einem genaueren Blick auf die Quellen treten jedoch viele bisher unbeachtet gebliebene oder vernachlässigte Aspekte dieses großen Ereignisses zutage. Eine Auseinandersetzung mit dem »Meer« der Sekundärliteratur findet nur am Rande statt, es geht vielmehr darum, die Quellen sprechen zu lassen. Die Darstellung des Reichstags soll dazu dienen, das Zentrum des Kapitels – die gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe – in ihrem Kontext verständlich zu machen. Weil das Verhalten Melanchthons und der Kursachsen gegenüber den Zwinglianern im Jahr 1530 Kritik auslöste, wird im zweiten Kapitel auf ihr Verhältnis in der Zeit vor und während des Reichstags eingegangen. Diesem Verhältnis wird ein eigener Abschnitt gewidmet, da Lutherische und Zwinglianer zwar im Rahmen des Reichstags aufeinandertrafen, ihre Kontakte aber nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem im ersten Kapitel geschilderten Reichstagsgeschehen standen. Im dritten Kapitel werden die gegen Melanchthon gerichteten Vorwürfe nach thematischen Gesichtspunkten geordnet dargestellt. Dabei geht es in erster Linie um Kritik, die von protestantischer Seite gegen Melanchthon vorgebracht wurde. Daneben kommen aber auch einige Vorwürfe von Altgläubigen zu Wort, die sich in ähnlicher Weise wie die protestantische Kritik gegen Verhaltensweisen Melanchthons richteten und im katholischen Bereich eine ungeheure Wirkung entfalteten. Das vierte Kapitel ist Melanchthons Umgang mit der Kritik gewidmet, da auch dieser Auslöser für Vorwürfe war. Das fünfte Kapitel stellt die Kritiker Melanchthons systematisch zusammen und fragt nach den Hintergründen ihrer Kritik. In einem sechsten und letzten Kapitel erfährt die Kritik des Jahres 1530 eine abschließende Würdigung, vor allem im Hinblick auf ihre Bedeutung für das negative Melanchthonbild.
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Die Quellen des Jahres 1530 werden im folgenden nur mit Tages- und Monatsangabe, jedoch ohne Jahresangabe zitiert.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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Kapitel 1: Die Ereignisse des Jahres 1530 und die Rolle Melanchthons 1.1 Das Ausschreiben zum Reichstag und die Vorbereitungen in Kursachsen ( Januar bis April 1530) Im Januar 1530 schrieb Kaiser Karl V. einen Reichstag nach Augsburg aus. Er kündigte an, er wolle die Einigkeit der deutschen Nation wiederherstellen und werde zu diesem Zweck beim Reichstag zur Religionsfrage »ains yglichen opinion vnd maynung« hören, für unrecht Befundenes abschaffen und das als recht Erkannte zulassen.5 Wegen dieses milden Tons blickte Melanchthon ähnlich wie die meisten anderen Lutherischen dem Reichstag voll positiver Erwartungen entgegen und setzte große Hoffnungen auf den Kaiser.6 In Kursachsen ging man sogar – ähnlich wie in Nürnberg und Brandenburg-Ansbach – davon aus, im Reichstag sei das seit vielen Jahren zugesagte Nationalkonzil zu sehen,7 und machte sich daher zügig an die Vorbereitung, um für Verhandlungen über die Glaubensfrage gerüstet zu sein.8 Wenige Tage nach Erhalt des Ausschreibens forderte Kurfürst Johann von Sachsen seine Theologen auf, mit Gutachten nach Torgau zu kommen und darin festzulegen, wie weit man in Verhandlungen bei den Glaubensartikeln und in der Frage der Zeremonien gehen könne.9 Mitte März trafen sich Luther, Bugenhagen und Melanchthon zu Beratungen in Wittenberg und erstellten ein erstes gemeinsames Gutachten.10 Am 22. März reiste Melanchthon mit diesen Ergebnissen nach Torgau und fertigte dort auf ihrer 5
Das kaiserliche Ausschreiben vom 21.1. ist gedruckt in UB 1, 2–9, Nr. 1; Zitat 3, Z. 18. Vgl. zu Melanchthons Erwartungen seinen Brief an Jonas 15.3. [MBW 876; MBW T 4/1, 82, Z. 6 ff.]; den Entwurf einer CA-Vorrede vor 4.5. [MBW 896; MBW T 4/1, 140–147; hier 142, Z. 32 ff.] und seinen Brief an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 150– 155; hier 153, Z. 12 f.]. 7 Vgl. das Bedenken der kursächsischen Räte vom 11.3. [UB 1, 11–17, Nr. 3 ; hier 11]; Johann von Sachsen an die protestantischen Fürsten 13.3. [UB 1, 24 f., Nr. 6 ; hier 24] und an Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon 14.3. [MBW 874; MBW T 4/1, 73–76; hier 75, Z. 21 ff.]; zudem Melanchthon und Brenz an Philipp von Hessen 11.6. [MBW 924; MBW T 4/1, 218–226; hier 225, Z. 52 f.]. 8 Im Gegensatz zum Gros der Protestanten betrachtete Philipp von Hessen das kaiserliche Ausschreiben mit Skepsis, zögerte lange, ob er den Reichstag überhaupt persönlich besuchen solle, sprach sich gegen eine Vermengung von Reichstag und Konzil aus und verzichtete entsprechend auf eine theologische Vorbereitung des Reichstags; vgl. seine Briefe an Johann von Sachsen 20.3. [UB 1, 61–63, Nr. 25; hier 62] und an Melanchthon und Brenz nach 11.6. [MBW 925; MBW T 4/1, 227–235; hier 231, Z. 56 ff.]; zudem Gussmann, Ratschläge 1, 52 und 54 f.; zu einer ähnlichen Sicht des Reichstags Bucer an Zwingli 1.6. [BC 4, 115 f., Nr. 304; hier 115, Z. 9 ]. 9 Vgl. Johann von Sachsen an die Wittenberger Theologen 14.3. [MBW 874; MBW T 4/1, 74–76; bes. 75, Z. 21 ff.] und die Wiederholung seiner Aufforderung am 21.3. [MBW 879; MBW T 4/1, 85]. 10 Vgl. das erste Gutachten der Wittenberger nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 77– 82]; zu den Beratungen Luther an Jonas 14./15.3. [WA Br 5, 266, Z. 6 f.] und im Rückblick Melanchthon an Luther 27.6. [MBW 942; MBW T 4/1, 268–270; hier 269 f., Z. 21 f.] und an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 620–623; hier 622, Z. 21 f.]. 6
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Grundlage im Lauf der kommenden Woche weitere Gutachten an.11 All diese Darlegungen beschränkten sich auf die Rechtfertigung der geänderten kirchlichen Bräuche – denn an ihnen war nach Ansicht der drei Theologen der bestehende Zwiespalt vornehmlich entstanden – und ließen die Glaubensartikel zunächst außen vor.12 Dabei forderten die Wittenberger Theologen bzw. Melanchthon von den Altgläubigen die Zulassung freier Evangeliumspredigt und Zugeständnisse bei den Themen Laienkelch, Priesterehe und Messe – Forderungen, an denen sie den gesamten Reichstag über festhielten. Hinsichtlich Laienkelch und Priesterehe hoffte man auf eine Duldung der lutherischen Sakramentspraxis und der verheirateten Priester, bei der Messe bezog sich das erbetene Zugeständnis vor allem auf die Nicht-Wiederherstellung von Privatmessen.13 Das geforderte Zugeständnis beim Laienkelch versuchte man dadurch abzumildern, daß man betonte, keinem Kommunikanten werde das Abendmahl ohne vorherige Beichte gereicht.14 Sollten ihnen diese Zugeständnisse gewährt werden, erklärten sie sich im Gegenzug dazu bereit, den Altgläubigen um des Friedens willen in allem entgegenzukommen, was man mit gutem Gewissen nachgeben könne. Dazu rechneten sie die Beibehaltung verschiedener Adiaphora und eine Rückkehr unter die Herrschaft der Bischöfe, das heißt ihre Zuständigkeit für Visitationen und Ordinationen, die Handhabung des Bannes und die Gerichtsbarkeit vor allem in Ehefragen.15 Diese beiden Zugeständnisse hingen eng miteinander zusammen, denn bei der Frage der Adiaphora ging es auch um die Macht der Bischöfe, Zeremonien einzusetzen.16 Parallel zu den beschriebenen Vorbereitungen des Reichstags sandte Kurfürst Johann seinen Rat Hans von Dolzig (ca. 1485–1551) mit einem Glaubensbe11
Vgl. zu Melanchthons Aufenthalt in Torgau Scheible, MBW R 10, 382. Vgl. die Gutachten ca. 25.3. [MBW 880; MBW T 4/1, 86–89 und MBW 881; MBW T 4/1, 89–93] und ca. 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 95–109]. All diese Bedenken werden in der Forschungsliteratur aufgrund ihres Entstehungsortes – allerdings mit unterschiedlichen Zuweisungen – oft unter dem Titel »Torgauer Artikel« zusammengefaßt (vgl. z. B. Lohse, Augsburger Bekenntnis, 617, Z. 25 ff.). 12 Vgl. Melanchthons Gutachten ca. 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 96, Z. 24 ff. und 108, Z. 386 ff.]. 13 Vgl. das Gutachten der Wittenberger nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 78 f., Z. 18 ff. und Z. 4 4 ff.]; das Gutachten der sächsischen Theologen 15.8. [MBW 1024; MBW T 4/2, 549–556; hier 553, Z. 31 ff.] und Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 721–723; hier 722, Z. 17 ff.]; zudem Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 362–364, Nr. 1; hier 363, Z. 26 ff.]. 14 Vgl. das Gutachten der Wittenberger nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 81, Z. 92 ff.] und Melanchthons Gutachten ca. 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 103, Z. 217 ff. und Z. 229 ff.]. 15 Vgl. Melanchthons Gutachten ca. 25.3. [MBW 881; MBW T 4/1, 92, Z. 42 ff.] und ca. 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 96, Z. 28 ff. und 106, Z. 307 ff.]. 16 Vgl. zum Verständnis der Herrschaft der Bischöfe Decot, Luthers Kompromißvorschlag, 116 und zum Zusammenhang zwischen Jurisdiktion und Zeremonien das Gutachten der Nürnberger Prediger vor 7.5. [Gussmann, Ratschläge 1, 278–294, Nr. 8; hier 293, Z. 32 ff.].
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kennntnis zum Kaiser. Was von Dolzig Anfang Mai dem Kaiser in Innsbruck übergab, war nichts anderes als eine schlechte lateinische Übersetzung der im Jahr 1529 von Luther und Melanchthon verfaßten Schwabacher Artikel.17 Anfang April brach die kursächsische Delegation nach Augsburg auf.18 Die Wittenberger Theologen berieten sich wohl auch noch im Lauf der Reise über die für den Kaiser bestimmte Apologie, vor allem während ihres Aufenthalts in Coburg, einem Ort an der südlichsten Spitze Kursachsens.19 Von Coburg aus machte sich die Delegation am 24. April in Richtung Augsburg auf, Luther blieb zurück. Der Hauptgrund hierfür lag sicher darin, daß es für ihn als Geächteten in Augsburg zu gefährlich gewesen wäre und sich Nürnberg, von wo aus die Kommunikation mit den Kollegen in Augsburg einfacher gewesen wäre, nicht bereitgefunden hatte, ihn aufzunehmen.20 Vielleicht spielte für die Entscheidung aber auch eine Rolle, daß Johann von Sachsen in Luther nicht den geeigneten Gesprächspartner für Verhandlungen mit den Altgläubigen sah und hierfür eher auf Melanchthon setzte.21 Luther vertraute zwar seinen Kollegen und insbesondere Melanchthon,22 mischte sich in den folgenden Monaten aber trotzdem immer wieder mit Schriften in das Augsburger Geschehen ein.23 Die erste dieser Schriften, seine 17 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen für von Dolzig 26.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 256–258, Nr. 3 ; bes. 258, Z. 18 ff.]; Gussmann, a. a. O., 105; Brieger, Glaubensbekenntnis, 312 ff. und Lohse, Augsburger Bekenntnis, 617, Z. 39 ff. Das Glaubensbekenntnis ist gedruckt bei Richard, Confession, 307–312 und Stange, Glaubensbekenntnis, 462–470. Über dieses Bekenntnis gibt es nur wenige Informationen in den zeitgenössischen Quellen; vgl. aber Campeggio an Salviati 9./12.5. [NBD Erg. 1, 27–32, Nr. 5 ; hier 29 f.]; Jak. Sturm an Zwingli 31.5. [CR 97, 599–604, Nr. 1035; hier 603, Z. 6 ff.]; Besserer an den Ulmer Rat 1.6. [Gussmann, a. a. O., 445, Anm. 29] und die Straßburger Gesandten an ihren Rat 2.6. [PC 1, 446 f., Nr. 728; hier 447]. 18 Vgl. Jonas an Lang 9.4. [ Jonas-BW 1, 145 f., Nr. 170; hier 145]. 19 Vgl. den Hinweis auf die Arbeit in Coburg bei Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 154, Z. 33 f.]; seine Gutachten von ca. April [MBW 894; MBW T 4/1, 134–137 und MBW 895; MBW T 4/1, 137–140] und Virck, Melanchthon’s Stellung, 76. 20 Vgl. Melanchthon an Camerarius 13.2. [MBW 864; MBW T 4/1, 50 f.; hier 51, Z. 6 ff.]; den Geleitbrief der Stadt Augsburg für Johann von Sachsen 30.4. [UB 1, 160 f., Nr. 61; hier 161]; Brück, Geschichte, 17; Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 153; Kolde, Nürnberg, 251 und 254; Virck, Melanchthon’s Stellung, 73; Knaake, Augsburgische Confession, 44; Schornbaum, Nürnberg, 200, bes. Anm. 1; von Schubert, Luther auf der Coburg, 113 und Lohse, Augsburger Bekenntnis, 617, Z. 47 ff. 21 Vgl. die Aussage eines Unbekannten (vielleicht des Kurfürsten) gegenüber Luther, die dieser in einem Brief an Hessus 23.4. zitierte [WA Br 5, 282 f., Nr. 1550; hier 283, Z. 6 ]: »tu habes malam vocem«; Mathesius, Luthers Leben, 9. Predigt, 180–224; hier 183, Z. 13 ff.: Luther sei zurückgelassen worden, »damit die widersacher durch seine gegenwart nicht herter verbittert / vnnd die hauptsache verunglimpfft würde«; Strobel, Geschichte des Reichstags 1, 12; Rückert, Luthers Verhältniß zum Augsburgischen Bekenntniß, 17; Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 153; Kolde, Brück, 29 ff.; Virck, Melanchthon’s Stellung, 73; von Walter, Luther und Melanchthon, 27 und Leppin, Luther, 297. 22 Vgl. Luther an Hessus 23.4. [WA Br 5, 283, Z. 8 ]; gegen Manns, Martin Luther, 210. 23 Vgl. Luthers »Vermahnung an die Geistlichen« von Mai [WA 30/2, 268–356; hier 268,
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
»Vermahnung an die Geistlichen«, wurde bereits Anfang Juni gedruckt und fand in Augsburg reißenden Absatz.24 Luther forderte darin alle Beteiligten auf, die Chance des Reichstags zu nutzen. Seine Appelle richteten sich insbesondere an die altgläubigen Geistlichen, die er dazu aufrief, ihre Hartnäckigkeit aufzugeben, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu besinnen und den Protestanten die freie Verkündigung des Evangeliums zuzugestehen. Im Gegenzug sagte er Kompromißbereitschaft bei der bischöflichen Jurisdiktion um des Friedens willen zu.25 Damit wiederholte Luther zwar das genannte kursächsische Verhandlungskonzept, fand aber gleichzeitig so scharfe Worte, daß die Schrift nicht als Einigungsvorschlag wahrgenommen wurde, sondern bei den Gegnern starken Unwillen erregte und ihr Vertrieb schon bald durch den Kaiser untersagt wurde.26
1.2 Die erste Phase des Reichstags: Von der Ankunft der Protestanten in Augsburg bis zur Übergabe der »Confessio Augustana« (Mai und Juni 1530) 1.2.1 Die Ankunft der Protestanten in Augsburg Die kursächsische Delegation erreichte Augsburg am 2. Mai. Zu ihr gehörten neben den Wittenberger Theologen, Kurfürst Johann von Sachsen und seinem Sohn Johann Friedrich der kursächsische Altkanzler Gregor Brück (1485–1557), Spalatin, Johannes Agricola, Fürst Wolfgang von Anhalt-Köthen (1492–1566) und Herzog Franz von Braunschweig-Lüneburg (1508–1549), der jüngere Bruder Herzog Ernsts.27 Die anderen Vertreter der protestantischen Stände trafen im Lauf der folgenden Wochen in Augsburg ein.28 Z. 19 ff.]; unten Kap. 3.3.1.1 c) und die Zusammenstellung seiner Schriften bei Schanze, Luther auf der Coburg, 61 ff. 24 Vgl. Luthers »Vermahnung« [WA 30/2, 268–356]; Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 361–364, Nr. 1588; hier 361, Z. 1 ff.] und Decot, Luthers Kompromißvorschlag, 109. 25 Vgl. den Appell der »Vermahnung«, den Reichstag zu nutzen, in WA 30/2, 268 f.; zur Hartnäckigkeit der Geistlichen z. B. a. a. O., 272; zu Zugeständnissen an die Protestanten 322 und zum protestantischen Kompromißvorschlag 340 ff.; bes. 342; zudem Decot, Luthers Kompromißvorschlag, 115. 26 Vgl. zur Übereinstimmung der »Vermahnung« mit dem kursächsischen Verhandlungskonzept Maurer, Artikel 28, 370, Anm. 20 und Ders., Jurisdiktion, 216 und 220 (er nennt sie »eine in Invektiven gehüllte Publikation« des kursächsischen Einigungsvorschlags); Scheible, Augsburger Reichstag, 40 und 43 und Decot, Luthers Kompromißvorschlag, 110, 112 und 116; zu den negativen altgläubigen Reaktionen Mensing an Margarete von AnhaltDessau 10.6. [Müller, Nachrichten, 38–43, Nr. 1; hier 41]; zum Verbot der Schrift u. a. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 11.6. [CR 2, 90 f., Nr. 716; hier 91]. 27 Vgl. Heimbürger, Ernst, 81 und Schirrmacher, Briefe und Acten, 36 ff. und 467. 28 Philipp von Hessen mit seinem Gefolge am 12.5. (vgl. Gussmann, Ratschläge 1, 51), Ernst von Braunschweig-Lüneburg am 14.5. (vgl. Heimbürger, Ernst, 82), die Gesandten Nürnbergs, Christoph Kreß (1484–1535) und Klemens Volkamer, am 15.5. (vgl. Schornbaum, Nürnberg, 202), der Bürgermeister Reutlingens, Josua Weiß († 1542), am 21.5. (vgl.
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1.2.2 Die Arbeit an einem Bekenntnis für den Kaiser im Mai und Juni Sogleich nach der Ankunft arbeitete Melanchthon weiter an der Apologie für den Kaiser.29 Schon bald wurde bekannt, daß Johannes Eck Karl V. eine Schrift geschickt hatte, die sogenannten 404 Artikel. In dieser Schrift hatte er seiner Ansicht nach häretische Sätze der Reformatoren gesammelt und wollte durch sie den Kaiser von seiner Friedenspolitik abbringen und zu einem gewaltsamen Vorgehen gegen die Protestanten veranlassen.30 Dadurch und vielleicht auch, weil die oben genannte Aktion von Dolzigs in Innsbruck gescheitert war,31 sah sich Melanchthon veranlaßt, vom ursprünglichen Plan, in der Apologie lediglich die Mißbrauchsartikel zu behandeln, Abstand zu nehmen und die Protestanten nun auch gegen den Vorwurf einer Abweichung von der rechten Lehre zu verteidigen. Hierfür griff er auf die bereits genannten Schwabacher Artikel zurück.32 In den folgenden Wochen arbeitete er täglich an diesem Bekenntnis 33 und wurde dabei von Brück und Jonas unterstützt.34 Melanchthon lag viel an Luthers Urteil über die Apologie,35 und so wurde eine Vorform der Schrift bereits am 11. Mai Luther zur Begutachtung auf die Coburg übersandt.36 Es ist umstritten, ob in der Sendung neben VorredenentFriderich, Weiß, 21) und Georg von Brandenburg mit seinem Gefolge am 24.5. (vgl. Gussmann, Ratschläge 1, 81 und 230). 29 Vgl. Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 154, Z. 33]. 30 Die Artikel sind gedruckt bei Gussmann, Ecks Vierhundertundvier Artikel; vgl. dazu Ders., Melanchthon und Eck, 289 ff.; zu den Absichten Ecks bes. 296 und 299; zum Bekanntwerden der Schrift in Augsburg Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 153, Z. 18 ff.]. 31 Vgl. Maurer, Melanchthons Anteil, 161 f. 32 Vgl. Melanchthon an Luther 11.5. [MBW 905; MBW T 4/1, 164–166; hier 165 f., Z. 4 ff.]. 33 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 11.5. [WA Br 5, 310–312, Nr. 1564; hier 311, Z. 2 ff.]; Melanchthon an Luther 22.5. [MBW 915; MBW T 4/1, 185–189; hier 187, Z. 26 f. und 188, Z. 30 f.]; an Goldstein 26.5. [MBW 916; MBW T 4/1, 189 f.; hier 189, Z. 2 f.] und an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263 f.; hier 263, Z. 4 ]; zudem die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 31.5. [CR 2, 78 f., Nr. 708; hier 78], 3.6. [CR 2, 83–85, Nr. 712; hier 83] und 8.6. [CR 2, 88–90, Nr. 715; hier 88]. 34 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 24.5. [CR 2, 62, Nr. 700]: »Doctor Pruck . . . hat aber noch hinten und vornen daran zu formen« (damit könnten Prolog und Epilog gemeint sein – so Bretschneider, CR 2, 62, Anm. 3 –, aber auch eine generelle Überarbeitung der CA – vgl. zur Bedeutung des Gegensatzpaares »hinten / vorn« im Sinne von »überall« Grimm, Deutsches Wörterbuch 4/2, 1484) und 28.5. [CR 2, 70 f., Nr. 705; hier 71]. Auf Brück ging insbesondere die am 25.6. verwendete Vorrede zur CA [BSLK, 44–49] zurück (vgl. BSLK, 44, Anm. 1). 35 Vgl. Melanchthon an Dietrich 4.5. [MBW 897; MBW T 4/1, 147 f.; hier 148, Z. 18 ff.]; an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 154, Z. 34 f.]; 11.5. [MBW 905; MBW T 4/1, 166, Z. 6 f.] und 22.5. [MBW 915; MBW T 4/1, 187, Z. 29 f.] und an Dietrich 30.6. [MBW 947; MBW T 4/1, 294 f.; hier 294, Z. 4 f.]. 36 Vgl. Johann von Sachsen an Luther 11.5. [WA Br 5, 310–312]; Melanchthon an Luther 11.5. [MBW 905; MBW T 4/1, 165, Z. 2 ff.] und den Bericht der Nürnberger Gesandten an ihren Rat 17.5. [CR 2, 50–52, Nr. 690; hier 51].
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würfen nur die auf den Torgauer Artikeln basierenden Mißbrauchsartikel 37 oder bereits Teile der neu konzipierten Glaubensartikel 38 enthalten waren. Luther las jedenfalls die ihm zugesandten Artikel zügig durch und schickte seine grundsätzlich zustimmende Antwort bereits am 15. Mai zurück nach Augsburg.39 Die endgültige Fassung des Bekenntnisses erhielt Luther erst Ende Juni, nachdem es bereits verlesen und übergeben war,40 erklärte sich aber auch mit dieser einverstanden.41 Unter den protestantischen Reichsständen kristallisierte sich im Lauf der Wochen allmählich die Überzeugung heraus, daß es sinnvoll wäre, dem Kaiser nicht mehrere Einzelschriften, sondern ein gemeinsames Bekenntnis zu übergeben.42 Dies führte dazu, daß sich Brandenburg-Ansbach, Lüneburg, Nürnberg, Reutlingen und schließlich auch Hessen der sächsischen Apologie anschlossen; 43 eine Unterschrift der zwinglianischen Städte schloß man jedoch aus.44 Durch diesen Anschluß wurden ausgedehnte Beratungen und Anpassungen des von Melanchthon verfaßten Bekenntnisses erforderlich.45 Melanchthon mußte sich in diesem Zusammenhang auch mit Gutachten auseinandersetzen, die die anderen Protestanten mit nach Augsburg gebracht hatten.46 Die Nürn37 So Maurer, Melanchthons Anteil, 160–163 und Ders., Artikel 28, 374. Für diese Lösung könnte Melanchthons Aussage an Luther 22.5. [MBW 915; MBW T 4/1, 187, Z. 29] sprechen, wo er im Irrealis der Vergangenheit formuliert: »Vellem, percurrisses articulos fidei«. 38 So Richard, Confession, 306; von Schubert, Luther auf der Coburg, 144, Anm. 158; Volz, MSA 7/2, 149, Anm. 2 ; Neuser, Confessio Augustana, 29 und Vinke, Luther auf der Coburg, 60. 39 Vgl. Luther an Johann von Sachsen 15.5. [WA Br 5, 319 f., Nr. 1568; hier 319, Z. 5 f.]; zu Luthers Urteil auch unten Kap. 3.3.1.1. 40 Vgl. Melanchthon an Luther 26.6. [MBW 940; MBW T 4/1, 264–266; hier 266, Z. 14] und 27.6. [MBW 942; MBW T 4/1, 269, Z. 19] und an Dietrich 27.6. [MBW 943; MBW T 4/1, 270 f.; hier 271, Z. 11 ff.]. 41 Vgl. Luther an Melanchthon 3.7. [MBW 951; MBW T 4/1, 316–319; hier 318, Z. 4 f.]; zu Luthers Urteil auch unten Kap. 3.3.1.1. 42 Vgl. die Instruktion Georgs von Brandenburg an seine Räte vom 24.3. [UB 1, 119–121, Nr. 34; hier 120] und den Ratschlag der Nürnberger Prediger vor 7.5. [Gussmann, Ratschläge 1, 278–294, Nr. 8 ; hier 280, Z. 4 ]. 43 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 8.6. [CR 2, 88]; das Protokoll der Nürnberger Ratssitzung vom 10.6. [OG 4, 50–55, Nr. 138; hier 51, Z. 20 ff.] und den Nürnberger Ratsverlaß vom 14.6. [Schornbaum, Nürnberg, 205, Anm. 5]. 44 Vgl. die Straßburger Gesandten an ihren Rat 21.6. [PC 1, 458 f., Nr. 746]. 45 Vgl. das Postskriptum zum Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 21.6. [CR 2, 121–124, Nr. 734; hier 124] und den Bericht von Schnepf in seiner Schrift »Confessio de eucharistia« von 1555, O 1a; zu den Beratungen auch unten Kap. 3.3.1.2. 46 Die beiden Nürnberger Gutachten, der Ratschlag der Prediger vor 7.5. [Gussmann, Ratschläge 1, 278–294, Nr. 8 ] und das Bedenken der Juristen 7.5., von dem zwei Fassungen existieren [Gussmann, a. a. O., 207–209, Nr. 1 und Schornbaum, Nürnberg, 211–214, Nr. 2 ], wurden vor dem 20.5. nach Augsburg geschickt (vgl. Gussmann, a. a. O., 230) und dort den Kursachsen übergeben (vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 20.5. [CR 2, 55 f., Nr. 693; hier 56]). Sicher erhielt Melanchthon auch Einblick in die zahlreichen Gutachten aus Brandenburg-Ansbach, von denen noch 50 erhalten und bei Gussmann, Ratschlä-
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berger Gesandten schickten am 3. Juni eine Abschrift der lateinischen Fassung des noch rein sächsischen Bekenntnisses zur Prüfung an ihren Rat; am 15. Juni folgte die deutsche Fassung, die den exklusiv sächsischen Charakter bereits abgestreift hatte. Beide Fassungen wurden dort den Theologen vorgelegt und von ihnen geprüft.47 Wie von Luther wurde das Bekenntnis auch in Nürnberg für gut befunden.48 1.2.3 Melanchthons Sorgen während der ersten Phase des Reichstags Zusätzlich zu den Sorgen wegen Philipp von Hessen und der Zwinglianer beunruhigten Melanchthon in Augsburg die Verzögerung der Ankunft des Kaisers und die Drohungen vieler Vertreter der altgläubigen Seite, weil dadurch die Hoffnungen auf eine faire und erfolgreiche Behandlung der Glaubensfrage weiter schwanden.49 Seine Beunruhigung scheint im Lauf der Wochen so stark gestiegen zu sein, daß Jonas schließlich Luther um Trostbriefe für ihn bat.50 1.2.4 Melanchthons erste Kontakte zu Altgläubigen zwischen Anfang und Mitte Juni Melanchthon traf sich während des Augsburger Reichstags mit zahlreichen Altgläubigen. Viele dieser Gespräche bezeichnete er selbst als privaten Gedankenaustausch im Kreis humanistischer Gelehrter, auch wenn es dabei um religiöse Themen ging, und nutzte sie eigenen Angaben zufolge unter anderem dazu, neue Freundschaften zu knüpfen.51 Ob diese Angaben der Wahrheit entsprege 2, abgedruckt sind. Vgl. zudem Melanchthon an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428; hier 426, Z. 35 f.] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 121. 47 Vgl. zur lateinischen Fassung die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 3.6. [CR 2, 83] und den Rat an seine Gesandten 4.6. [Vogt, Korrespondenz, 9 f.; hier 9]. Diese Fassung ist allerdings nur in der deutschen Übersetzung Hieronymus Baumgartners (1498–1565) erhalten und gedruckt bei Kolde, Redaktion, 4–31 und in BSLK parallel zur CA unter dem Sigel »Na«. Vgl. zur deutschen Fassung »Nb« die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 15.6. [CR 2, 105 f., Nr. 723; hier 105]. 48 Vgl. den Nürnberger Rat an seine Gesandten 23.6. [Vogt, Korrespondenz, 18 f.; hier 19]; zu den Urteilen der Nürnberger außerdem unten Kap. 3.3, Anm. 429 und zu Osiander Kap. 3.3.1.3. 49 Vgl. Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 154, Z. 21 und Z. 30 ff.]; an Camerarius 5.5. [MBW 900; MBW T 4/1, 155–157; hier 156, Z. 5 f.]; an Dietrich 11.5. [MBW 904; MBW T 4/1, 163 f.; hier 164, Z. 4 ff.]; an Camerarius 21.5. [MBW 913; MBW T 4/1, 181 f.; hier 182, Z. 17 f.]; an Goldstein 26.5. [MBW 916; MBW T 4/1, 190, Z. 9 ff.] und an Luther 13.6. [MBW 927; MBW T 4/1, 241 f.]; außerdem die Berichte bei Jonas an Luther 12.6. [WA Br 5, 355–361, Nr. 1587; hier 358, Z. 112] und 18.6. [WA Br 5, 366–370, Nr. 1590; hier 368, Z. 69 f.]. 50 Vgl. Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 369, Z. 96 ff.]. 51 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621, Z. 6 f.]: »Sicubi privatim collocutus sum cum privatis, id ad alios nihil pertinet« und an Obernburger 23. 6. 1532 [MBW 1258; MBW T 5, 308 f.; hier 309, Z. 5 ff.]: »hoc privatim me debere illi conventui [sc. Augustano] iudico, quod facultatem mihi praebuit cum nonnullis bonis viris amicitiae contrahendae«.
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chen oder ob es bei diesen Gesprächen nicht doch um mehr ging, läßt sich nicht mehr feststellen. Gesprächspartner waren zum Beispiel der Gesandte des polnischen Königs Johannes Dantiscus (1485–1548),52 der in der Reichskanzlei tätige Johannes Obernburger (1500–1552) 53 und Julius von Pflug (1499–1564),54 der im Gefolge Georgs von Sachsen nach Augsburg gekommen war. Im Hinblick auf die Kritik an Melanchthon interessieren aber vor allem die Gespräche, die er mit einflußreicheren Vertretern der altgläubigen Seite führte und in denen es explizit um die Beilegung des Glaubenszwiespalts ging. Er war für viele Altgläubige, vor allem für die auf Ausgleich bedachten unter ihnen, ein idealer Gesprächspartner: Man achtete ihn wegen seiner Gelehrsamkeit,55 nahm ihn zwar als Anhänger Luthers wahr, schätzte aber die gemäßigte Ausprägung seiner reformatorischen Gesinnung und seinen Einheitswillen. In Augsburg erlangte er daher bald den Ruf eines einflußreichen Anführers der Lutherischen, über den man glaubte, auch auf die anderen protestantischen Stände einwirken zu können.56 Aus diesem Grund konnten sich auf seiten der Altgläubigen auch Hoffnungen ergeben, Melanchthon werde sich zum rechten Glauben bekehren und in den Schoß der römischen Kirche zurückkehren.57 Anfang Juni kam es zu ersten persönlichen Kontakten zwischen Melanchthon und einflußreicheren Vertretern der altgläubigen Seite:
52 Vgl. Hessus an Dantiscus 12.10. [Hipler, Kopernikus und Luther, 57 f., Anm. 8 ] und Melanchthon an Dantiscus 5. 9. 1533 [MBW 1357; MBW T 5, 478–480; hier 479, Z. 6 ff.]. 53 Vgl. den Rückblick auf ihr erstes Treffen im Brief von Melanchthon an Obernburger 23. 6. 1532 [MBW 1258; MBW T 5, 309, Z. 7 f.]. Der Kontakt zwischen beiden hielt bis ins Jahr 1547; vgl. die Briefe 24. 5. 1547 [MBW 4750; CR 6, 543–546, Nr. 3883]; nach 6. 6. 1547 [MBW 4771; CR 6, 561 f., Nr. 3902] und 5. 9. 1547 [MBW 4886; Krause, Melanchthoniana, 119 f., Nr. 35]. 54 Vgl. Pflug an Melanchthon 29. 8. 1531 [MBW 1182; MBW T 5, 186 f.; hier 186, Z. 7]: te, »quicum saepe ea de re [sc. de religionis controversia] Augustae locutus sum«. 55 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 55–57; hier 56, Z. 9]: »homo molto dotto et da tutti nelle lettere stimato assai«; Valdés an Accolti 21.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 364 f., Nr. 2 ; hier 365, Z. 32]: »el más docto . . . de todos estos lutteranos« und Leib, Annales, 543: »ingenio acri«. 56 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 4./5.6. [Sanuto, Diarii 53, 266 f.; hier 266]: »uno di principali lutheriani« und 6.7. [von Walter, Depeschen, 55–57; hier 56, Z. 10 ff.]: »primo di authorità et existimatione tra tutti questi Dottori Lutherani et dal Duca di Saxonia molto favorito et quivi condutto per sostenere la opinione loro«; Valdés an Accolti 21.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 365, Z. 32 f.]: »el más . . . menos malo de todos estos lutteranos«; Beckmann an Melanchthon 4.9. [MBW 1063; MBW T 4/2, 641–643; hier 642, Z. 24]: »qui iam hic princeps sectae tuae crederis« und 5.9. [MBW 1065; MBW T 4/2, 645 f.; hier 646, Z. 36]: »te solum cursitare video pro concilianda pace«; Henckel an Erasmus 1.10. [Erasmus-OE 9, 58–60, Nr. 2392; hier 58, Z. 30]: »heresiarcha« und Leib, Annales, 543: »Horum nominatissimus«. 57 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 4./5.6. [Sanuto, Diarii 53, 266 f.; hier 266]: »li [sc. einem unbekannten Briefschreiber aus Augsburg] avisa che si spera Philippo Melanton . . . verà a la bona fede«.
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1.2.4.1 Johannes Cochlaeus Am 2. Juni äußerte der Theologe Johannes Cochlaeus (1479–1552), der im Gefolge Georgs von Sachsen zum Reichstag gekommen war, den Wunsch, Melanchthon kennenzulernen und sich zusammen mit dem Kölner Kanoniker Arnold von Wesel (1484–1534) freundschaftlich (amice) mit ihm zu unterhalten.58 Melanchthon nahm das Angebot an, und so kam Cochlaeus wohl noch am selben Tag in die kursächsische Herberge und führte dort ein Gespräch mit Melanchthon und Brenz.59 Am 12. Juni besuchte Cochlaeus die Kursachsen ein weiteres Mal, aß mit Melanchthon und Jonas zu Mittag, und man sprach offen über die Frage des Laienkelchs und andere Themen.60 Beide Treffen scheinen in einer freundlichen Atmosphäre abgelaufen zu sein.61 1.2.4.2 Albrecht von Brandenburg Am 3. Juni wandte sich Melanchthon in einem Brief an den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg (1490–1545).62 Dafür gab es vermutlich mehrere Gründe: Zum ersten glaubte sich Melanchthon bei seiner Sorge um die Kirche in Übereinstimmung mit dem Erzbischof und hoffte wohl auf entsprechendes Verhalten bei diesem; 63 zum zweiten spielte sicher eine wichtige Rolle, daß Albrecht sich in Augsburg als Vertreter eines gemäßigten Kurses gab; 64 zum dritten hatte ihn vielleicht auch sein Gespräch mit Cochlaeus am 2. Juni zu dieser Kontaktaufnahme veranlaßt.65 Melanchthon legte Albrecht in seinem
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Vgl. Cochlaeus an Melanchthon 2.6. [MBW 918; MBW T 4/1, 208]. Vgl. Brenz an Eisenmenger 4.6. [CR 2, 85 f., Nr. 713]. 60 Vgl. Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 363, Z. 63–66]. 61 Vgl. Brenz an Eisenmenger 4.6. [CR 2, 86]: »mansuetum reddidimus«; »humaniter colloquatur« und Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 363, Z. 64]: »sedatius loquitur quam antea vnquam«; zudem Cochlaeus’ Rückblick auf ein Gespräch mit Melanchthons in seiner »Philippica sexta« von 1544 [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 324, Z. 10 ff.]. 62 Vgl. Melanchthon an Albrecht von Brandenburg 3.6. [MBW 921; MBW T 4/1, 212– 214]. 63 Vgl. Melanchthon an Albrecht von Brandenburg 3.6. [MBW 921; MBW T 4/1, 212, Z. 5 ff.]. 64 Vgl. z. B. das Postskriptum zum Brief von Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 369, Z. 91]; Melanchthon an Luther 19.6. [MBW 934; MBW T 4/1, 255, Z. 16 f.] und Luther an Hausmann 6.7. [WA Br 5, 440 f., Nr. 1625; hier 440, Z. 17]; von Schubert, Luther auf der Coburg, 150 und Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 1, 366. Deswegen wandte sich Melanchthon in Augsburg noch ein weiteres Mal an ihn (vgl. unten Kap. 1.3.4.7), und auch andere Protestanten suchten den Kontakt zu ihm und den Mitgliedern seines Hofes; z. B. der Nürnberger Gesandte Kreß (vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.5. [CR 2, 66– 69, Nr. 703; hier 67 f.] und 14.8. [CR 2, 278–280, Nr. 842; hier 279 f.]); Luther (vgl. seinen offenen Brief an Albrecht 6.7. [WA 30/2, 397–412]) und Martin Bucer und Wolfgang Capito (vgl. ihre Briefe an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 124–132, Nr. 308; hier 131, Z. 28] und an Zwingli 22.7. [BC 4, 160–164, Nr. 319; hier 163, Z. 2 ff.]). 65 Vgl. Scheible, Augsburger Reichstag, 40. 59
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Brief das kursächsische Kompromißprogramm dar und bat ihn, sich für Frieden einzusetzen und einen Gang zu den Waffen zu verhindern.66 1.2.4.3 Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel Am 13. Juni lud Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel Melanchthon zu einem Gespräch ein.67 Ihn hatte Melanchthon ja bereits beim Speyerer Reichstag 1529 als einen gemäßigten altgläubigen Fürsten kennengelernt,68 und er schien sich auch in Augsburg entsprechend zu verhalten.69 Die beiden unterhielten sich zum einen über Philipp von Hessen und seine Absichten, zum anderen über Wege zur Einigung (viae concordiae) und in diesem Zusammenhang über die umstrittenen Themen Laienkelch, Priesterehe, Messe und Adiaphora, die alle Teil von Melanchthons Kompromißprogramm waren.70 Nach dem 15. Juni trafen sich die beiden wohl noch ein weiteres Mal.71 1.2.5 Die Ankunft des Kaisers am 15. Juni und der Streit um das Predigtverbot Am 15. Juni traf der Kaiser endlich in Augsburg ein und wurde feierlich empfangen.72 Noch am selben Tag kam es zu einem ersten Treffen zwischen Karl V. und den Protestanten, bei dem er sie aufforderte, ihr Predigen einzustellen. Dieses Vorhaben hatte er bereits im Mai aus Innsbruck angekündigt und seine Maßnahme damit begründet, daß man auf diese Weise schneller zu einer Einigung kommen könne.73 Die Meinungen der Protestanten, wie man sich zu diesem Verbot verhalten solle, waren uneinheitlich: Melanchthon war in dieser Frage zwar unsicher, doch tendierte er in seinen Ratschlägen dahin, man solle in bezug auf öffentliche Predigten dem kaiserlichen Verbot gehorsam sein und sich mit dem Predigen in den Herbergen begnügen.74 Diese Sichtweise hing 66 Vgl. Melanchthon an Albrecht von Brandenburg 3.6. [MBW 921; MBW T 4/1, 213, Z. 17 ff.] und dazu Rurer an Althamer 4.6. [Kolde, Redaktion, 107 f.; hier 108]. 67 Vgl. zur Initiative des Treffens bei Herzog Heinrich den Brief von Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 362, Z. 45]: Melanchthon »vocatus est« und entsprechend Luther an Hausmann 6.7. [WA Br 5, 440, Z. 17 f.]. 68 Vgl. dazu oben Abschnitt I, Kap. 5.1.1.6. 69 Vgl. das Postskriptum zum Brief von Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 369, Z. 91 f.]; Melanchthon an Luther 19.6. [MBW 934; MBW T 4/1, 255, Z. 16 f.] und 30.6. [MBW 948; MBW T 4/1, 295–298; hier 297, Z. 8 f.]. 70 Vgl. Melanchthon an Luther 13.6. [MBW 927; MBW T 4/1, 242, Z. 5 ff.]; Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 362, Z. 45 ff.] und Luther an Hausmann 6.7. [WA Br 5, 440, Z. 17 ff.]. 71 Vgl. Melanchthon an Luther 19.6. [MBW 934; MBW T 4/1, 255, Z. 16] und Volz, MSA 7/2, 174, Anm. 9. 72 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 59 ff.; Weiß, Diarium, 691 f. und Walch, Luthers Schriften 16/12, 708–734. 73 Vgl. zu früheren Nachrichten über das Predigtverbot von Dolzig an Johann von Sachsen 8.5. [DRTA.JR 8/1, 636 f., Nr. 1570; hier 637, Z. 16 ff.] und Johann an Luther 11.5. [WA Br 5, 311, Z. 16 ff.]; zum Verbot in Augsburg Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 1, 369. 74 Vgl. zu Melanchthons Unsicherheit Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 368, Z. 52 f.]; zu
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wohl damit zusammen, daß er durch eine unnachgiebige Haltung die zu erwartenden Verhandlungen und vielleicht auch die bereits begonnenen Vergleichsverhandlungen mit dem Kaiserhof nicht gefährden wollte.75 Die meisten anderen Protestanten rieten, sich dem Predigtverbot zu widersetzen, da zu befürchteten sei, daß man durch eine nachgiebige Haltung zu Anfang des Reichstags falsche Signale setze.76 Letztere Ansicht setzte sich in den Beratungen der Protestanten durch, und so legten sie dem Kaiser am 17. Juni ihre Beschwerde hinsichtlich des Verbots schriftlich dar.77 Sie konnten durch diese unnachgiebige Haltung das Predigtverbot zwar nicht verhindern, erwirkten aber, daß es auch auf die altgläubige Seite ausgedehnt wurde.78 1.2.6 Sonderverhandlungen Melanchthons zwischen 16. und 22. Juni 1.2.6.1 Die Verhandlungen Melanchthons mit den kaiserlichen Sekretären Bald nach Ankunft des Kaisers nahm Melanchthon Kontakt zu den kaiserlichen Sekretären auf 79 – sicher nicht ohne das Einverständnis seines Kurfürsten 80 – seinem Rat, das Verbot anzunehmen, seine Äußerung an Luther 11.5. [MBW 905; MBW T 4/1, 166, Z. 15 f.] und seine Gutachten ca. 20.5. [MBW 911; MBW T 4/1, 177–180; hier 179, Z. 35 ff.] und 18.6. [MBW 931; MBW T 4/1, 249 f.; hier 250 und MBW 932; MBW T 4/1, 250 f.; hier 251]. Ähnlich hatte sich auch Luther gegenüber Johann von Sachsen am 15.5. [WA Br 5, 319, Z. 11 ff.] geäußert. 75 Vgl. Melanchthons Gutachten vom 18.6. [MBW 931; MBW T 4/1, 250, Z. 5 f.]: »Si cognitio causae per hanc pertinatiam impediretur, quid accideret?«; zu den Vergleichsverhandlungen unten Kap. 1.2.6.1. 76 Vgl. das Gutachten Brücks ca. 20.5. [CR 2, 75–77, Nr. 707; hier 77] und zu seiner Haltung auch Melanchthon an Luther 11.5. [MBW 905; MBW T 4/1, 166, Z. 16]; der Nürnberger Rat an seine Gesandten 13.6. [Vogt, Korrespondenz, 13]; das gemeinsame Gutachten von Jonas, Spalatin, Agricola und Melanchthon 15./16.6. [MBW 930; MBW T 4/1, 246– 249; hier 248 f.]; Voglers Gutachten 16.6. [UB 1, 274–281, Nr. 96; hier 275–279]; der Nürnberger Rat an seine Gesandten 17.6. [Vogt, Korrespondenz, 15–17] und Weiß, Diarium, 695. 77 Vgl. die Antwort der Protestanten an den Kaiser vom 17.6. [UB 1, 283–290, Nr. 98]. 78 Das Verbot trat am Abend des 18. Juni durch ein offizielles Edikt des Kaisers in Kraft; vgl. dazu z. B. Brenz an Eisenmenger 19.6. [CR 2, 114–117, Nr. 729; hier 116] und die Frankfurter Gesandten an ihren Rat 20.6. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 398–400; hier 398]. 79 Es ist wahrscheinlich, daß hier die Initiative von Melanchthon ausging (vgl. Melanchthon an Myconius 19.6. [MBW 936; MBW T 4/1, 256 f.; hier 257, Z. 14 f.]: »Ego pertentavi unius atque alterius ex Hispanicis scribis animum«; in bezug auf Valdés Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 251 f.; hier 252, Z. 9 ]: »Nactus sum« und Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 24]: »me vino«; außerdem Kolde, Redaktion, 80). Dem widersprechen zwar die Angaben der Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.6. [CR 2, 122], nach denen Valdés Melanchthon »etliche Mal zu sich erfordert« habe, und die Aussagen von Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 118–122, Nr. 306; hier 120, Z. 14]: »Melanchthon a Caesare . . . vocatus est«, doch sind diese Aussagen wohl darauf zurückzuführen, daß ihre Autoren nur von den Gesprächen an sich wußten, aber nicht über Einzelheiten informiert waren. 80 Für das Einverständnis des Kurfürsten sprechen folgende Hinweise: seine Neigung, einen Ausgleich mit dem Kaiser auf direktem Wege zu suchen, die er durch die oben genannte Sendung von Dolzigs nach Innsbruck gezeigt hatte (vgl. auch Gussmann, Ratschläge 1,
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und bemühte sich in Sonderverhandlungen81 mit ihnen um eine Beilegung des Glaubenszwiespalts. Die beiden Sekretäre hatten in enger Verbindung zum kaiserlichen Kanzler Mercurino de Gattinara (1465–1530) gestanden,82 auf dessen ausgleichende Position die meisten Protestanten83 und auch Melanchthon84 große Hoffnungen gesetzt hatten, der aber kurz vor dem Reichstag am 5. Juni in Innsbruck verstorben war.85 Es waren wohl diese Verhandlungen, die in der Folgezeit in Augsburg und auch darüber hinaus zu dem Gerücht führten, Melanchthon sei beim Kaiser gewesen.86 Wohl am 16. oder 17. Juni sprachen Jonas und Melanchthon zunächst mit dem Niederländer Cornel Duplicius von Schepper (1502–1555), den sie von seinem Besuch in Wittenberg im Oktober 1523 als Vizekanzler des dänischen Königs kannten.87 Bei ihm erreichten sie allerdings nichts, sondern ihre Hoffnung auf Verhandlungen und damit auf eine Einigung mit den Altgläubigen wurde im Gegenteil eher getrübt.88 Denn Schepper machte deutlich, daß es nach dem Tod Gattinaras keinen Friedensstifter (autor pacis) mit ausreichender Autorität mehr am Hofe gebe.89 112); Jonas als Verhandlungspartner Melanchthons im Gespräch mit Schepper; der Bericht, daß Johann großes Vertrauen in seine Gelehrten hatte (bei Bucer und Capito an Zwingli 22.7. [BC 4, 162, Z. 19 f.]); die Wichtigkeit des Faktums, daß Melanchthon im Auftrag seiner Fürsten handelte, für Valdés (vgl. seine Aussage an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 40 und Z. 4 4]: »de parte de los prínçipes«) und die Berichte anderer Altgläubigen über die Verhandlungen (vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 19.6. [von Walter, Depeschen, 46–48; hier 46 f.] und Bagarotto an den Herzog von Mantua 22.6. [Sanuto, Diarii 53, 326 f., Nr. 191; hier 326]: »alcuni principi di quelli Lutherani . . . suplicavano Sua Maestà che volesse esser contenta di concederli quatro cose«); gegen Kolde, Redaktion, 85 f. 81 Dieser Begriff (vgl. die Verwendung bei Müller, Kurie und Reformation, 97 und Lohse, Augsburger Bekenntnis, 618, Z. 32 ff.) verdient Vorzug vor den Ausdrücken »Geheim-« oder »Privatverhandlungen«, weil diese zu einseitige Implikationen enthalten. 82 Valdés war sogar der vertrauteste Sekretär Gattinaras gewesen (vgl. Baumgarten, Geschichte Karls V. 2, 629). 83 Vgl. Luther an Probst 1.6. [WA Br 5, 338–342, Nr. 1577; hier 339, Z. 14 ff.]; der Nürnberger Rat an seine Gesandten 10.6. [Vogt, Korrespondenz, 11–13; hier 11]; Jonas an Luther 12.6. [WA Br 5, 356, Z. 4 4 ff.] und Weiß, Diarium, 686 und 737. 84 Vgl. Melanchthon 21.5. an Camerarius [MBW 913; MBW T 4/1, 182, Z. 10 ff.] und an Müller [MBW 913a; MBW T 4/1, 183, Z. 10 ff.]; an Goldstein 26.5. [MBW 916; MBW T 4/1, 190, Z. 15 ff.]; an Menius 19.6. [MBW 935; MBW T 4/1, 255 f.; hier 256, Z. 13 ff.] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 723– 729; hier 725, Z. 26 ff.]. 85 Vgl. Campeggio an Salviati 5./6.6. [NBD Erg. 1, 55–59, Nr. 14; hier 58]. 86 Vgl. Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 2 ] und die Zurückweisung des Gerüchts bei Melanchthon an Burchard 21.7. [MBW 985; MBW T 4/1, 431; hier Z. 1 ff.]. 87 Vgl. Hasenclever, Bemerkungen, 166. 88 Vgl. Melanchthons Rede von periculum 19.6. an Menius [MBW 935; MBW T 4/1, 256, Z. 16] und an Myconius [MBW 936; MBW T 4/1, 257, Z. 16]. 89 Vgl. zum Gespräch mit Schepper Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 368, Z. 58 ff.] und 25.6. (1) [WA Br 5, 388–391, Nr. 1601; hier 390, Z. 55 ff.]; außerdem Melanchthon 19.6. an Camerarius [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 7 ff.]; an Luther [MBW 934; MBW T 4/1,
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Zudem verhandelte Melanchthon wohl zur selben Zeit einige Tage lang mit dem Spanier Alfonso de Valdés (1490–1532). Wahrscheinlich hatte er die Hoffnung, daß es in Gestalt von Valdés entgegen den Aussagen Scheppers am Kaiserhof doch eine Person gebe, die den Ausgleich befördern könnte, und lag mit dieser Einschätzung nicht ganz falsch.90 In den Verhandlungen trug Melanchthon Valdés zunächst mündlich den bereits erwähnten Kompromißvorschlag vor, den er in seinen Berichten über die Verhandlungen als mea sententia bezeichnete91 und der neben Bekanntem – der Forderung nach Zulassung von Laienkelch, Priesterehe und lutherischer Messe und dem Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion und zahlreicher Zermonien – nun auch die Zusage enthielt, die Protestanten wollten dem Papst gehorchen.92 Der päpstliche Legat Lorenzo Campeggio (1474–1539) behauptete später zudem, Melanchthon habe ein Einlenken in der Frage des Fegefeuers zugesagt.93 Darüber hinaus gab Melanchthon Valdés das für den Kaiser bestimmte Bekenntnis der Protestanten zu lesen. Valdés befand die Schrift für zu scharf, forderte Melanchthon auf, sich nicht um sie zu kümmern, und behauptete später, Melanchthon habe auf seinen Rat hin einige Anstöße beseitigt.94 Valdés besprach die Forderungen Melanchthons zunächst mit dem Kaiser und in seinem Auftrag auch mit dem päpstlichen Legaten Campeggio, und beide forderten ihn auf, die Verhandlungen fortzuführen.95 Der Kaiser drängte zudem auf eine schriftliche Form der Forde255, Z. 19 ff.] und an Menius [MBW 935; MBW T 4/1, 256, Z. 13 ff.] und in seiner Vorlesung über Weltgeschichte vom 8. 12. 1558 [Berger, Vorlesung, 789]. 90 Dafür, daß Valdés um Ausgleich bemüht war, spricht folgendes: Schepper wies in seinem Brief an Erasmus vom 28.6. [Erasmus-OE 8, 462–464, Nr. 2236; hier 463 f.] darauf hin, daß sich beide Sekretäre dem Erbe Gattinaras verpflichtet fühlten. Entsprechend sprachen sie sich auch in Beratungen der Altgläubigen Mitte Juli dafür aus, die Glaubensfrage einigen unparteiischen Gelehrten zu übergeben (vgl. Dietrich an Müller 17.7. [Tschackert, Brief, 183 f.; hier 184]), und Valdés betonte im Brief an Accolti vom 12.8. [Bagnatori, Cartas inéditas, 367–369, Nr. 4 ; hier 369, Z. 45 ff.], daß man den Protestanten Zugeständnisse machen müsse; dazu auch Bagnatori, a. a. O., 357 ff. 91 Vgl. Melanchthon 19.6. an Camerarius [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 10] und an Luther [MBW 934; MBW T 4/1, 255, Z. 24]. 92 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.6. [CR 2, 122] und Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 25 ff.]: »sy les conçediessen principalmente tres cosas, lo demás fáçilmente se podriá conçertar . . . Con esto eran contentos reddere suum jus episcopis, obedire summo Pontifici et seruare omnia statuta omnesque ceremonias ab Ecclesia Romana statutas«. 93 Vgl. Campeggio an Salviati 26.6. [NBD Erg. 1, 63–74, Nr. 18; hier 70]: »vogliono inclinare alla via de la sede apostolica de purgatorio et cos alli suoi prelati, et multa alia, ma restringersi a quattro punti«. 94 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 7 f.] und Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 35 ff.] und dazu unten Kap. 3.3.1.2. 95 Vgl. Melanchthon 19.6. an Camerarius [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 9 ff.] und an Luther [MBW 934; MBW T 4/1, 255, Z. 24 f.]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.6. [CR 2, 122 f.]; Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 31 ff.] und den Bericht bei Schirrmacher, Briefe und Acten, 72.
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rungen und hoffte, so die Sache ohne weitläufige öffentliche Verhöre und Disputationen zum Abschluß bringen zu können.96 Melanchthon scheint zu solch einer Niederschrift – und das bedeutet zu einer Preisgabe der Übergabe des gemeinsamen Bekenntnisses – bereit gewesen zu sein, machte aber deutlich, daß er dies nicht ohne das Einverständnis von Kanzler Brück und Kurfürst Johann entscheiden könne.97 Nach den Verhandlungen erstattete Melanchthon Brück und Johann Bericht. Es scheint, daß diese nicht damit einverstanden waren, infolge eines schriftlichen Berichts an den Kaiser auf eine Übergabe des Bekenntnisses zu verzichten, und deshalb am 21. Juni für den Abbruch der Kontakte und für eine Fertigstellung der Schrift votierten; ähnlicher Ansicht war auch der Nürnberger Rat.98 Melanchthon stellte darauf hin die Verhandlungen mit Valdés ein.99 Sie wirkten allerdings auch nach ihrem Abbruch fort, denn die protestantischen Forderungen und Zugeständnisse wurden unter den Altgläubigen allgemein bekannt100 und gelangten über Campeggio sogar nach Rom.101 1.2.6.2 Das Gespräch Melanchthons mit dem Salzburger Erzbischof Matthäus Lang Noch vor Übergabe des Bekenntnisses, vielleicht am 22. Juni, führte Melanchthon ein weiteres Gespräch mit einem Vertreter der Gegenseite, und zwar mit dem Salzburger Erzbischof Kardinal Matthäus Lang (1468–1540),102 der in Augsburg eher zu den Vertretern einer harten Linie gehörte.103 Die Initiative zu diesem Treffen ging eindeutig von Lang aus, der Melanchthon durch den Nürn96 Vgl. zu dieser Absicht des Kaisers auch Jonas an Luther 10.7. (?) [WA Br 5, 465 f., Nr. 1638; hier 466, Z. 13 f.]. 97 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 19.6. [CR 2, 112–114, Nr. 728; hier 112 f.]: »wie sich Philippus Melanchton vernehmen läßt, wird vielleicht die Sach zu keiner so weitläuftigen Handlung gelangen, sondern noch enger eingezogen und kürzer gefaßt und gehandelt werden« und 21.6. [CR 2, 123]; außerdem den Bericht bei Schirrmacher, Briefe und Acten, 72. 98 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.6. [CR 2, 123]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 23.6. [Vogt, Korrespondenz, 18]; Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 41 ff.]: »me vino a dezir que nunca hauja podido acabar de conçertarlos [sc. los prínçipes]«; Kolde, Redaktion, 89; Gussmann, Ratschläge 1, 112 und Vinke, Luther auf der Coburg, 70. 99 Vgl. Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 363, Z. 49 f.]. 100 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 19.6. [von Walter, Depeschen, 47] und Bagarotto an den Herzog von Mantua 22.6. [Sanuto, Diarii 53, 326]. 101 Vgl. Campeggio an Salviati 26.6. [NBD Erg. 1, 70]: Er nannte neben Laienkelch, Priesterehe und Messe noch die protestantische Forderung nach einem Generalkonzil – zum Schaden der Protestanten, denn an diesem Punkt war die Kurie besonders empfindlich (vgl. Maurer, Artikel 28, 384). 102 Vgl. Melanchthon an Luther 25.6. [MBW 937; MBW T 4/1, 257–261; hier 260, Z. 10 ff.] und an Gundel 11.7. [MBW 967; MBW T 4/1, 359 f.; hier 359, Z. 9 ff.]; Jonas an Luther 25.6. [WA Br 5, 389, Z. 47 ff. und 390, Z. 63 ff.] und 30.6. (?) [WA Br 5, 426–429, Nr. 1618; hier 427, Z. 31 ff.]; die Hinweise bei Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 2 ]; bei Weiß, Diarium, 711 und Schirrmacher, Briefe und Acten, 87 (mit Datierung auf den 22.6.). 103 Vgl. Campeggio an Salviati 11.8. [NBD Erg. 1, 103–112, Nr. 27; hier 111].
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berger Ratsherrn Wolf Stromer von Reichenbach (1471–1552) zu sich rufen ließ.104 Lang gehörte dem am 22. Juni ohne Zustimmung des Kaisers von den übrigen Ständen für die Glaubensfrage eingerichteten Ausschuß an105 und handelte möglicherweise in dessen Auftrag. Den Berichten zufolge verlieh Lang in seiner Unterredung mit Melanchthon zwar seiner Hochachtung für ihn Ausdruck, im Blick auf die Glaubensfrage scheint er sich aber sehr unfreundlich geäußert zu haben.106 1.2.7 Die Eröffnung des Reichstags am 20. Juni und erste Verhandlungen Am 20. Juni wurde der Reichstag mit der Verlesung der kaiserlichen Proposition offiziell eröffnet.107 Am 22. Juni kamen die Reichsstände zum ersten Mal zusammen und diskutierten vor allem über die Reihenfolge der beim Reichstag zu behandelnden Themen »Glaubensfrage« und »Türkenhilfe«. Hierbei konnten die Protestanten durchsetzen, daß man mit der Glaubensfrage beginnen würde, und kündigten sogleich an, daß sie in den nächsten Tagen ihr Bekenntnis übergeben würden.108 1.2.8 Die Übergabe der »Confessio Augustana« am 25. Juni Nach einer Schlußberatung der protestantischen Stände über das gemeinsame Bekenntnis am 23. Juni109 wurde seine deutsche Version am 25. Juni durch den kursächsischen Kanzler Christian Beyer (ca. 1482–1535) vor den Ständen des Reichs verlesen und dem Kaiser in deutscher und lateinischer Sprache überreicht.110 Sie trug die Unterschriften der Fürsten von Kursachsen, Brandenburg104 Vgl. Jonas an Luther 25.6. [WA Br 5, 389, Z. 47 ff.]; Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 120, Z. 14] und den Bericht bei Schirrmacher, Briefe und Acten, 87; zur Verbindung zwischen Stromer und Lang den Brief von Jonas an Luther 13.7. [WA Br 5, 473–475, Nr. 1645; hier 473, Z. 2 f.]. 105 Vgl. zur Ausschußbildung von Tetleben, Protokoll, 72 und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 28.6. [CR 2, 150–153, Nr. 750; hier 150]; zur Zugehörigkeit Langs den dem genannten Brief der Nürnberger beigefügten Zettel [CR 2, 152]. 106 Vgl. Dietrich an Melanchthon 30.6. [MBW 949; MBW T 4/1, 298–304; hier 304, Z. 38 ff.]. Die gegen die Protestanten gerichteten Aussagen Langs wurden in der Folge immer wieder zitiert, z. B. von Meglein an Weiß 1.8. [Meglein, Briefe, 1238–1242; hier 1239 f.]; von Melanchthon laut undatierten Mitschriften aus seinen Vorlesungen, die 1557 von einem Schüler herausgegeben wurden [CR 20, 591 f., Nr. 251 f.], und von Luther in der »Warnung an seine lieben Deutschen« vom Oktober 1530 [WA 30/3, 283, Z. 27 ff. und 294, Z. 25 ff.]; in der »Glosse auf das vermeinte kaiserliche Edikt« von 1531 [WA 30/3, 384, Z. 32 ff.]; in seiner Schrift »Wider den Meuchler« von 1531 [WA 30/3, 450, Z. 30 ff.] und in undatierten Tischreden [WA Tr 6, 17 f., Nr. 6527; hier 17, Z. 32 ff. und 282 f., Nr. 6940; hier 283, Z. 5 ff.]. 107 Vgl. die Berichte bei Brück, Geschichte, 44 ff. und bei von Tetleben, Protokoll, 67 ff. 108 Vgl. die Berichte bei Brück, Geschichte, 48 ff. und bei von Tetleben, Protokoll, 71 ff. 109 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 25.6. [CR 2, 127–130, Nr. 738; hier 127]. 110 Die CA ist gedruckt in BSLK, 44–137. Vgl. die Berichte über die Verlesung bei Brück,
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Ansbach, Lüneburg, Hessen und Anhalt und der Städte Nürnberg und Reutlingen; 111 im Lauf der folgenden Wochen unterzeichneten noch die Städte Windsheim, Heilbronn, Kempten und Weißenburg.112 In der von Brück verfaßten Vorrede bekundeten die Protestanten ihre Bereitschaft zu Verhandlungen für den Fall, daß auch die Altgläubigen ihre Meinung schriftlich darlegten.113 Das Bekenntnis selbst war von Melanchthon bewußt zurückhaltend konzipiert und formuliert worden.114 Inhaltlich hatte er sich eigenen Angaben zufolge auf die wesentlichen Themen beschränkt und bewußt Aussagen zu umstrittenen Themen wie dem Primat des Papstes unterlassen, um Anstoß zu vermeiden.115 Er war sich darüber im klaren, daß die CA milder erscheinen werde, als die altgläubigen Gegner verdienten,116 hoffte aber, durch diese Zurückhaltung die altgläubige Seite versöhnlich zu stimmen, eine Grundlage für Verhandlungen zu schaffen und damit den Frieden zu befördern.117 Zudem betonte er, daß die protestantischen Glaubenssätze mit den Aussagen der Schrift und mit den Lehren der katholischen, ja sogar der römischen Kirche, wie sie aus den Kirchenvätern zu erheben seien, übereinstimmten und daß die Protestanten deshalb zu Unrecht der Ketzerei beschuldigt würden118 – entsprechend bekräftigte Melanchthon viele seiner Aussagen mit Verweisen auf die Alte Kirche und
Geschichte, 55 ff.; Spalatin, Annales, 134 ff.; von Tetleben, Protokoll, 76 f. und Weiß, Diarium, 701 ff. 111 Vgl. BSLK, 136, Z. 27 ff. 112 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat [CR 2, 199 f., Nr. 785; hier 200] und Ehinger an den Memminger Rat 15.7. [Dobel, Ehinger, 43, Nr. 10]; Rurer an Althamer 16.7. [Kolde, Redaktion, 111–113; hier 113]; Hagelstein an den Windsheimer Rat 21.7. [Bergdolt, Windsheim, 238 f.; hier 238] und Weiß, Diarium, 736. 113 Vgl. BSLK, 46, Z. 4 ff. 114 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 20.5. [CR 2, 56]; Melanchthon an Camerarius 21.5. [MBW 913; MBW T 4/1, 182, Z. 16 f.]; an Gundel 11.7. [MBW 967; MBW T 4/1, 359, Z. 13 ff.]; an Luther 14.7. [MBW 970; MBW T 4/1, 366–376; hier 373, Z. 33 f.]; an Erasmus 1.8. [MBW 1004; MBW T 4/2, 491 f.; hier 492, Z. 12 ff.] und an Silberborner Ende Oktober / Anfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 726, Z. 42 f.]; zudem im Rückblick an Menius 13. 2 . 1544 [MBW 3454; MBW T 13, 85 f.; hier 85, Z 6]. 115 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 3 ff.] und den »Beschluß« der CA [BSLK, 134, Z. 15 ff.]; zudem im Rückblick an Menius 13. 2. 1544 [MBW 3454; MBW T 13, 85, Z. 7] und an Pfeffinger 23. 11. 1546 [MBW 4459; CR 6, 288–290, Nr. 3624; hier 289]. 116 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 2 f.]. 117 Vgl. Melanchthon an Erasmus 1.8. [MBW 1004; MBW T 4/2, 492, Z. 14 f.] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 726, Z. 43 und Z. 56 f.]; zudem den Bericht der Ulmer Gesandten vom Bundestag in Schmalkalden 15. 2 . 1537 [Volz / Ulbrich, Urkunden, 158 f., Anm. 36; hier 159]: »vff dem Reichstag zu Augspurg vß der vrsach, das sich der Kaiser vernemen ließ, die zwispalltung des glawbens in lieb vnd senfftmuetigkait zuentschaiden, in der vbergebnen Confession souil rawchs vnd vnmillts nicht einkomen«. 118 Vgl. die »Summa« des ersten Teils der CA [BSLK, 83c, Z. 7 ff.]; die Einleitung zu den Mißbrauchsartikeln [BSLK, 84, Z. 4 ff.] und Sell, Melanchthon und die Reformation, 82.
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die Kirchenväter.119 Der Streit zwischen den beiden Religionsparteien im Reich drehte sich seiner Meinung nach folglich nicht um Lehrfragen, sondern nur um einige Mißbräuche. Melanchthon verwies darauf, daß in bezug auf die Bräuche nicht einmal das kanonische Recht auf Einheitlichkeit bestehe, und bat deshalb gemäß dem kursächsischen Kompromißprogramm um Zugeständnisse bei einigen Mißbräuchen und um die Ermöglichung freier Evangeliumsverkündigung – auch hier betonte er wieder die enge Verbindung von Beichte und Abendmahl, um die Forderung des Laienkelchs etwas abzumildern.120 Im Gegenzug dazu seien die Protestanten bereit, die den Bischöfen zustehende Jurisdiktion in geistlichen Fragen anzuerkennen und bestimmte menschliche Ordnungen um des Friedens willen zu halten.121
1.3 Die zweite Phase des Reichstags: Die Zeit nach der Übergabe der »Confessio Augustana« bis zur Verlesung der »Confutatio« ( Juli 1530) 1.3.1 Die Entstehung der altgläubigen Widerlegung zur CA Nach der Übergabe der CA beauftragte der Kaiser im Einverständnis mit den altgläubigen Ständen eine Kommission von zwanzig altgläubigen Theologen mit der Abfassung einer Widerlegung der CA, die diese in den folgenden Wochen erstellten.122 Dem Gremium gehörten mit Cochlaeus, Eck und Fabri viele Verfechter einer harten Linie an,123 zudem erfuhren die altgläubigen Theologen Unterstützung vom päpstlichen Legaten Campeggio124. 119 Vgl. die Hinweise auf die Alte Kirche und die veteres scriptores bzw. patres in CA 23 bis 26 [BSLK, 87, Z. 38 f.; 95, Z. 4 ff. und Z. 22; 99, Z. 9 ff.; 107, Z. 2 ] und die namentliche Nennung der Kirchenväter Irenaeus (um 135 – um 200) in CA 26 [BSLK, 107, Z. 8 ff.]; Cyprian (nach 200–258) in CA 22 und 23 [BSLK, 85, Z. 17 f.; 91, Z. 2 ff.]; Ambrosius (333/34–397) in CA 6 und 20 [BSLK, 60, Z. 12 ff.; 77, Z. 22 f.]; Hieronymus (ca. 347–419/420) in CA 22 [BSLK, 85, Z. 19 ff.]; Johannes Chrysostomus (349?–407) in CA 24 und 25 [BSLK, 95, Z. 7 ff.; 99, Z. 12 ff.]; Augustinus in CA 18, 20, 26, 27 und 28 [BSLK, 73, Z. 12 ff.; 77, Z. 20 ff.; 79, Z. 24 ff.; 103, Z. 19 ff.; 115, Z. 29 ff.; 124, Z. 24 ff.] und Papst Gelasius I. (492– 496) in CA 22 [BSLK, 85, Z. 22 f.]. Ähnliche Verweise finden sich auch in den fränkischen Bekenntnissen, die Georg von Brandenburg mit zum Reichstag gebracht hatte (vgl. Die fränkischen Bekenntnisse, 137 f.). Auch wenn es in diesem Punkt möglicherweise eine »literarische Beziehung« zwischen Melanchthon und den fränkischen Bekenntnissen gab (Wenz, Theologie der Bekenntnisschriften 1, 379), wurde er sicher nicht erst durch sie zu den Verweisen auf die Kirchenväter veranlaßt, denn diese entsprechen einem ureigenen Anliegen Melanchthons (vgl. dazu im Auswertungsteil Abschnitt I, Kap. 1.2). 120 Vgl. schon die Vorrede der frühen lateinischen Fassung des sächsischen Bekenntnisses (Na) und den vierten Artikel des zweiten Teils [Kolde, Redaktion, 9, Z. 9 f. und 20, Z. 19 f.; BSLK, 42, Z. 27 f.]; zudem CA 24 und 25 [BSLK, 91, Z. 33 f. und 97, Z. 34 ff.]. 121 Vgl. CA 15 [BSLK, 69, Z. 8 ff.]; die »Summa« des ersten Teils der CA [BSLK, 83c, Z. 14 ff.]; die Einleitung zu den Mißbrauchsartikeln [BSLK, 84, Z. 6 ff.] und CA 28 [BSLK, 131, Z. 36 ff.; 132, Z. 11 ff. und Z. 35 ff.]. 122 Vgl. Immenkötter, Confutatio, 23 ff. 123 Vgl. zu den Mitgliedern der Kommission Immenkötter, Confutatio, 17 ff. 124 Vgl. Leib, Annales, 545 und Immenkötter, Confutatio, passim.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
1.3.2 Erneute Sorgen Melanchthons nach der Übergabe der CA Gefühle der Freude und Erleichterung über die Übergabe der CA125 wurden bei Melanchthon sogleich von schweren Sorgen angesichts der seiner Einschätzung nach bedrohlichen Lage der Protestanten überschattet.126 Melanchthon bat Luther inständig um Trost (consolatio),127 und seine Unruhe scheint so gravierend gewesen zu sein, daß sich Jonas deshalb erneut an Luther wandte.128 Die Sorgen waren wohl vor allem durch Drohungen einzelner Altgläubiger ausgelöst worden, sicher waren sie aber auch Zeichen der Erschöpfung und Überlastung Melanchthons durch die verschiedenen Aktivitäten der vergangenen Wochen.129 Zudem beunruhigte ihn der seiner Ansicht nach mangelnde Einsatz einiger Vertreter der protestantischen Stände für die Erhaltung des Friedens und der Einheit der Kirche.130 1.3.3 Hoffnung auf offizielle Verhandlungen über die Glaubensfrage In der Vorrede zur CA hatten die Protestanten ihre Bereitschaft zu Gesprächen mit den Altgläubigen über die Glaubensfrage angekündigt. Entsprechend begann Melanchthon schon einen Tag nach der Übergabe des Bekenntnisses mit der Vorbereitung offizieller Verhandlungen, von denen er einen Ausgleich mit 125
Vgl. Melanchthon an Luther 25.6. [MBW 937; MBW T 4/1, 260, Z. 13 f.] und an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 2 f.]. 126 Vgl. Melanchthon an Luther [MBW 937; MBW T 4/1, 259 f., Z. 4 f. und 261, Z. 24] und an Dietrich 25.6. [MBW 938; MBW T 4, 261 f.; hier 262, Z. 2 f.]; an Luther [MBW 940; MBW T 4/1, 265, Z. 2 und Z. 6 ff.] und an Dietrich 26.6. [MBW 941; MBW T 4/1, 266 f.; hier 267, Z. 4 ]; an Luther [MBW 942; MBW T 4/1, 269, Z. 8 und Z. 12 ff.; 270, Z. 24 f.] und an Dietrich 27.6. [MBW 943; MBW T 4/1, 271, Z. 5 f.]; zudem Jonas an Luther 25.6. (2) [WA Br 5, 391–394, Nr. 1602; hier 392, Z. 4 4 f.] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 135: »Ipse ego inter tales cogitationes non modo suspirantem, sed profundentem lacrymas conspexi«. Auch in den folgenden Wochen äußerte sich Melanchthon wie viele andere immer wieder über die drohenden Gefahren, allerdings scheinen sich seine damit verbundenen Sorgen beruhigt zu haben. 127 Vgl. Melanchthon an Luther [MBW 940; MBW T 4/1, 265, Z. 6 f. und Z. 10 ff.] und an Dietrich 26.6. [MBW 941; MBW T 4/1, 267, Z. 5] und an Luther [MBW 942; MBW T 4/1, 269, Z. 7] und an Dietrich 27.6. [MBW 943; MBW T 4/1, 271, Z. 7]. 128 Vgl. Jonas an Luther 25.6. (2) [WA Br 5, 392, Z. 4 4]. Luther bat darauf hin sogar Cordatus am 6.7. [WA Br 5, 441 f., Nr. 1626; hier 442, Z. 25] um Fürbitte für Melanchthon. 129 Vgl. Melanchthon an Dietrich 25.6. [MBW 938; MBW T 4/1, 262, Z. 10]; Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 107–110, Nr. 143; hier 108, Z. 9 ]; Camerarius an Luther 6.8. [WA Br 5, 540 f., Nr. 1679; hier 540, Z. 9 ff.] und Vinke, Luther auf der Coburg, 67. 130 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 264, Z. 10 ff.]: »Animus est occupatus multo miserrimis curis non propter causam nostram, sed propter nostrorum hominum incuriam« (dazu Volz, MSA 7/2, 189, Anm. 7) und an Luther 15.7. [MBW 973; MBW T 4/1, 381–383; hier 382, Z. 4 ff.] und 6.8. [MBW 1014; MBW T 4/2, 522–525; hier 525, Z. 27 ff.]: »Nostri ἄρχοντες facilius possent impetrare pacem, si ambirent nonnihil ipsum Caesarem et saniores principes. Sed mira est negligencia et, ut mihi videtur, tacita quaedam indignacio, quae ab istis officiis eos abducit«.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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den Altgläubigen und damit Frieden erhoffte.131 Im Blick auf solche Gespräche rechnete er damit, daß sie sich auf die drei Kernforderungen des kursächsischen Kompromißprogramms, das heißt die Themen Laienkelch, Priesterehe und Privatmesse, konzentrieren würden. Er bat Luther eindringlich um seinen Rat (consilium), vor allem im Hinblick auf die Frage, wie weit man den Gegnern entgegenkommen könne, und sagte zu, wie schon bisher Luthers Autorität zu folgen.132 Er selbst scheint zu Zugeständnissen über das in der CA Angebotene hinaus bereit gewesen zu sein, sollte dadurch Frieden erreicht werden können.133 Mit derartigen Hoffnungen auf Verhandlungen stand Melanchthon nicht allein: Am 28. Juni wandten sich auch die vier Theologen Jonas aus Kursachsen, Johann Rurer (1480–1542) aus Brandenburg-Ansbach, Erhard Schnepf aus Hessen und Heinrich Bock († 1552) aus Lüneburg an ihre Fürsten und schlugen ihnen vor, ein Verzeichnis über mögliche Zugeständnisse zu erstellen und dieses dem Kaiser persönlich zu übergeben.134 Jonas war zum Nachgeben in den Punkten bereit, die Christus unbeschadet ließen.135 Eine solche Liste möglicher Zugeständnisse scheint dann von Melanchthon erstellt worden zu sein136 und wurde Luther zur Begutachtung vorgelegt.137 Dieser zeigte allerdings wenig Verständnis für derartige Pläne, denn seiner Meinung nach bestand angesichts der Unnachgiebigkeit der Altgläubigen keine Hoffnung auf eine Einigung in Lehrfragen, zumal mit der Übergabe der CA für ihn schon genug geschehen war. Er forderte deshalb seine Kollegen in Augsburg auf, ihre Hoffnungen allein auf einen politischen Duldungsfrieden zu setzen.138 Über Zugeständnisse 131 Vgl. Erasmus an Rinck 19.7. [OE 8, 495–497, Nr. 2355; hier 496, Z. 35 f.]: »Melanchthon . . . suis ad me litteris declarat sese non omnino desperare«. 132 Vgl. Melanchthon 26.6. an Luther [MBW 940; MBW T 4/1, 265 f., Z. 11 ff.] und an Dietrich [MBW 941; MBW T 4/1, 267, Z. 5] und 27.6. an Luther [MBW 942; MBW T 4/1, 269, Z. 7 ff. und Z. 20 f.] und an Dietrich [MBW 943; MBW T 4/1, 271, Z. 6 f.]. Vielleicht bezieht sich auch der rätselhafte Satz Melanchthons an Camerarius vom 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 264, Z. 13 f.] auf diese möglichen Verhandlungen: » θαυμαστόν τι exercet nos, de quo non possum nisi coram loqui«; vgl. zu dieser Verbindung auch Manns, Anerkennung, 117. 133 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 6 ] und Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 426–429, Nr. 1618; hier 428, Z. 43 ff.]. 134 Vgl. Jonas, Rurer, Schnepf und Bock an ihre Fürsten 28.6. [ Jonas-BW 1, 165–167, Nr. 182; bes. 166] und Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 428, Z. 37 ff.]. 135 Vgl. Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 428, Z. 48 f.]. 136 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.6. [CR 2, 153 f., Nr. 751; hier 153]; Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 428, Z. 39] und Ehinger an den Memminger Rat 2.8. [Dobel, Ehinger, 45 f., Nr. 14; hier 46]. 137 Vgl. Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 428, Z. 39 f.] und Dietrich an Müller 17.7. [Tschackert, Brief, 183 f.; hier 184] (zur Identität der hier genannten Artikel mit den von Melanchthon erstellten Brieger, Rätselhafte Artikel, 319 f.). 138 Vgl. Luther an Albrecht von Brandenburg 6.7. [WA 30/2, 399, Z. 18 ff. und 400, Z. 14 ff.]; an Jonas 9.7. [WA Br 5, 457–459, Nr. 1635; hier 458, Z. 6 ff. und Z. 23 f.]; an Jonas, Spalatin, Melanchthon und Agricola 15.7. [MBW 975; MBW T 4/1, 386–389; hier 389,
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könne allenfalls der Kurfürst nachdenken, um Unheil von seinen Untertanen abzuwenden, nicht aber die Theologen.139 Da Luther keine Grundlage für Verhandlungen sah, ging er Mitte Juli davon aus, er könne seine Kollegen bald persönlich in Empfang nehmen.140 Auch andere protestantische Stände, vor allem die Nürnberger, waren entsprechend der Vorrede der CA zwar grundsätzlich zu Verhandlungen über die Glaubensfrage bereit, zweifelten aber wie Luther an deren Erfolgsaussichten und befürworteten daher eher ihre Verschiebung auf ein Konzil.141 Die Kursachsen hielten allerdings trotzdem an ihrer Verhandlungsbereitschaft fest und betonten immer wieder, sie würden keine dem Frieden dienlichen Bedingungen ablehnen, die mit Gott und ihrem Gewissen vereinbar wären, wozu sie insbesondere die Jurisdiktion der Bischöfe rechneten.142 1.3.4 Weitere Gespräche und Sonderverhandlungen Melanchthons mit Altgläubigen zwischen Ende Juni und Anfang August Als sich abzeichnete, daß die Widerlegung der CA noch auf sich warten lassen würde, bemühte sich Melanchthon in zahlreichen Einzelgesprächen und Sonderverhandlungen mit Vertretern der altgläubigen Seite,143 den Einigungsprozeß voranzubringen – wobei die Initiative wie auch schon bei früheren Gesprächen teilweise von ihm selbst,144 teilweise von den Altgläubigen ausging. Er war nämlich der Ansicht, man müsse den Kaiser und die (seiner Ansicht nach) vernünftig gesonnenen altgläubigen Fürsten umwerben, um Frieden erreichen zu können,145 und hoffte, der Einigung dienen zu können, indem er gemäßigten Altgläubigen vor Augen stellte, welche schlimmen Folgen es hätte, sollte die Z. 20 ff.] und an Jonas 21.7. [WA Br 5, 495–497, Nr. 1657; hier 496, Z. 15 f.]; zu entsprechender Kritik unten Kap. 3.3.1.1 b). 139 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 283–293; hier 289, Z. 17 ff.] und dazu Rückert, Luther und der Reichstag, 109 ff. 140 Vgl. Luther an Jonas, Spalatin, Melanchthon und Agricola 15.7. [MBW 975; MBW T 4/1, 388, Z. 18 f.]. 141 Vgl. der Nürnberger Rat an seine Gesandten 1.7. [Vogt, Korrespondenz, 23 f.; hier 23] und Osiander an Linck und Schleupner 12.7. [OG 4, 112–115, Nr. 145; hier 114, Z. 15 ff.]. 142 Vgl. Spalatins Gutachten für Johann von Sachsen vom 16.7. [UB 2, 80–84, Nr. 121; hier 82] und den von Melanchthon verfaßten Brief Johanns an den Kaiser vom 20.7. [MBW 984; MBW T 4/1, 412–430; hier 421, Z. 120 ff.]. 143 Vgl. den Verweis auf alii quidam bei Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 2 f.]. Melanchthon entschuldigte in dieser Zeit seine eingeschränkte Brieftätigkeit damit, daß er – wohl aufgrund der zahlreichen Verhandlungen – zu wenig Muße (otium) zum Schreiben habe; vgl. an Burchard 21.7. [MBW 985; MBW T 4/1, 431, Z. 9 f.] und Jonas an Pistorius 22.7. [ Jonas-BW 1, 170 f., Nr. 192; hier 170]. 144 Vgl. Melanchthon an Camerarius 8.7. [MBW 957; MBW T 4/1, 336 f.; hier 337, Z. 10 f.]: »Ego multos prehensare soleo«. 145 Vgl. Melanchthon an Luther 6.8. [MBW 1014; MBW T 4/2, 525, Z. 27 ff.] (Zitat oben Anm. 130).
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Gegenseite nicht nachgeben.146 Angesichts seiner Aussagen über Meinungsverschiedenheiten mit dem kursächsischen Hof147 ist unklar, ob der Kurfürst noch immer uneingeschränkt hinter Melanchthons Sonderverhandlungen stand. 1.3.4.1 Der Kontakt Melanchthons zu Graf Hermann von Neuenahr Am 28. Juni setzte sich Melanchthon zunächst brieflich mit Graf Hermann von Neuenahr (1514–1578) in Verbindung,148 der bereits im April als Kontaktmann zwischen Kurfürst Johann von Sachsen und dem Kaiser fungiert hatte.149 Auch ihm scheint Melanchthon sein Kompromißprogramm vorgestellt zu haben. Neuenahr signalisierte in einem Antwortbrief Spielraum in der Frage des Laienkelchs, verwies aber darauf, daß eine Entscheidung beim Kaiser liege. Zudem stellte er Melanchthon ein Gespräch in Aussicht, von dem allerdings nicht bekannt ist, ob es stattgefunden hat. 1.3.4.2 Die Gespräche Melanchthons mit kaiserlichen Vertrauten Anfang Juli führte Melanchthon theologische Gespräche mit dem kaiserlichen Prediger (concionator) Aegidius bzw. Gil Lopéz de Bejar, einem aus Spanien stammenden Franziskaner,150 und dem Beichtvater des Kaisers (monachus a confessionibus) Juan de Quintana, der ebenfalls spanischer Franziskaner war.151 Beide scheinen dem gemäßigten altgläubigen Lager angehört zu haben. Dafür spricht ein Gerücht, nach dem einer von ihnen zunächst an der Ausarbeitung der »Confutatio« beteiligt gewesen sei, dann aber wegen seiner Milde aus dem Gremium ausgeschlossen worden sei bzw. Lehr- und Predigtverbot erhalten habe.152 Die Initiative zu den Treffen mit Melanchthon scheint von den kaiserlichen Vertrauten ausgegangen zu sein.153 Beide Gespräche sind in den Berichten einiger Zeitgenossen zusammengeflossen, so daß nicht mehr genau zu ent146 Vgl. Melanchthon an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 278, Z. 107 ff.]. 147 Vgl. die Zitate oben Anm. 130 und Melanchthon an Dietrich 8.8. [MBW 1016; MBW T 4/2, 527 f.; hier 528, Z. 9 f.]: »Talis est aulae philosophia longe dissidens a nostris opinionibus«. 148 Der Brief von Melanchthon an den Grafen ist leider verloren, dessen Antwortbrief vom 28.6. existiert aber noch, in dem er auf Melanchthons Schreiben vom selben Tag verwies [MBW 945; MBW T 4/1, 282 f.]. 149 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen an von Dolzig für Verhandlungen mit den Grafen von Nassau und Neuenahr vom 26.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 256–258, Nr. 3 ]. 150 Vgl. zu ihm Böhmer, Hernandez und Ortiz, 138. 151 Vgl. zu ihm Lehnhoff, Beichtväter, 40 und 59 ff. 152 Vgl. Jonas an Luther 8.7. [WA Br 5, 448–450, Nr. 1630; hier 449, Z. 14 f.]; Dietrich an Müller 17.7. [Tschackert, Brief, 183 f.; hier 184]; Meglein an Weiß 1.8. [Meglein, Briefe, 1240 f.]; den Bericht von Spalatin [Walch, Luthers Schriften 21/22, 3272]; Wigand, Historia, 136 und Lehnhoff, Beichtväter, 61. Außer den wenigen berichteten Notizen ist über die beiden kaiserlichen Vertrauten nichts bekannt; das deutet darauf hin, daß sie keinen großen Einfluß beim Kaiserhof hatten. 153 Vgl. Weiß, Diarium, 711 f. (Zitat unten Anm. 156).
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scheiden ist, über welches sie berichten.154 Aber es ist deutlich, daß Melan chthon mit beiden Gesprächspartnern über die lutherische Rechtfertigungslehre sprach – für Aegidius fertigte er sogar eine entsprechende Abhandlung an155 – und beide sich der lutherischen Lehre gegenüber aufgeschlossen zeigten.156 Einige Zeit später wandte sich Aegidius noch einmal an Melanchthon mit der Bitte, eine Schrift über die Risiken einer gewaltsamen Unterdrückung der Protestanten zu verfassen, der Melanchthon auch nachgekommen zu sein scheint.157 1.3.4.3 Der Kontakt Melanchthons zu Johannes Fabri Anfang Juli ging das Gerücht um, Melanchthon sei bei Johannes Fabri gewesen.158 Dies ist durchaus wahrscheinlich, berichtete doch auch Melanchthon selbst davon, er sei bei einigen Gegnern aus der Umgebung Ecks gewesen, habe bei diesen allerdings nur Haß und gewaltsame Pläne angetroffen.159 154 Vgl. insbesondere Jonas an Luther 8.7. [WA Br 5, 449, Z. 13 f.], der irrtümlicherweise vom confessor Aegidius spricht, und davon abhängig Luther an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 19]; dazu Lorz, OG 4, 108, Anm. 8. Auch bei anderen Berichten ist nicht auszuschließen, daß die beiden Spanier verwechselt wurden. Diesem Irrtum sind auch spätere Forscher erlegen, wie z. B. Clemen, WA Br 5, 360, Anm. 20 und Immenkötter, Confutatio, 21. 155 Vgl. Melanchthons Denkschrift für Aegidius nach 1.7. [MBW 950a; MBW T 4/1, 314 f.]. 156 Vgl. zu Melanchthons Gespräch mit Aegidius Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 108, Z. 3 f.]: »Caesaris autem concionator multo aequior est probatque universam nostram doctrinam et iubet magno esse animo« und Melanchthons eigene Berichte in einer undatierten Postille [CR 25, 11 f.] und in seiner Vorlesung über Weltgeschichte vom 8. 12. 1558 [Berger, Vorlesung, 789]; zu einem weiteren Kontakt Melanchthons mit Aegidius unten Kap. 3.11. Vgl. zum Treffen mit Juan de Quintana den bereits zitierten Brief Osianders [OG 4, 107, Z. 6 ff.]: »monachus a confessionibus Caesaris Philippo familiariter utitur et probat aperte nostram de iustificatione et bonis operibus doctrinam maledicitque istis Germanis asinis nobis in hac parte obgannientibus et sine causa discordiam moventibus«; Pfarrer an Butz 7.7. [PC 1, 467, Nr. 755]; den Bericht Spalatins [Walch, Luthers Schriften 21/22, 3271] und Weiß, Diarium, 711 f.: »Prima hujus mensis, Philippus Mel[anchthon] ad minorem Monachum qui Cæsari est a Concionibus, vocatus, de fide primum apud eum disseruit, usque ad Monachi admirationem, dicebat enim se mirari, tot doctos homines in Italia, Gallia, Hyspania, eam fidei rationem, sicut hactenus ignorasse, ita & non docuisse, rogavitque ut altero die rediret, ac plura doceret«. 157 Vgl. Meglein an Weiß 1.8. [Meglein, Briefe, 1240 f.]: »Monachus, qui Cæsari est a Concionibus, . . . Jussit Philippum paucis [sc. verbis] totius causae substantiam exponere, deinde paucioribus [sc. verbis] conscribere, quid incommodi & periculorum secuturum sit, si Cæsar papistis obsecutus, vi & τυραννικῶς nos opprimere tentet, promisitque se libere omnia hec Cæsari ipsi . . . exhibiturum, quicquid tandem expectandum sibi sit & paciendum. Philippus non est cunctatus, sed omnia paucis [sc. verbis] conscripsit, & Monacho Cæsari offerenda reddidit. Quid responderit innocens homo, quave fronte oblata acceperit, nec dum scimus«. 158 Vgl. Pfarrer an Butz 7.7. [PC 1, 467]: »der Philippus . . . bi dem Faber . . . gewesen«. Die anderen beiden Informationen dieses Briefes hinsichtlich der Treffen Melanchthons mit Campeggio und dem kaiserlichen Beichtvater sind zutreffend. 159 Vgl. Melanchthon an Luther 15.7. [MBW 973; MBW T 4/1, 383, Z. 12 ff.]: »Aliquo-
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1.3.4.4 Die Sonderverhandlungen Melanchthons mit dem päpstlichen Legaten Lorenzo Campeggio Kurz danach – am 4. Juli – setzte sich Melanchthon mit dem päpstlichen Legaten Campeggio in Verbindung und schrieb ihm einen sehr demutsvollen Brief.160 Auslöser für diesen Schritt Melanchthons war wohl das Gespräch des Kaisers mit Philipp von Hessen am 1. Juli, bei dem dieser schwere Vorwürfe gegen Philipp erhoben hatte.161 Zudem ist zu vermuten, daß Melanchthon aufgrund seiner Gespräche mit Vertretern des Kaiserhofes und infolge von Gerüchten der Überzeugung war, der Kaiser gehe davon aus, die lutherische Lehre stimme mit der Schrift überein und der Streit liege nur bei den Zeremonien, ein Thema, das in den Aufgabenbereich des päpstlichen Legaten fiel.162 Es läßt sich nicht mehr feststellen, ob Melanchthon hier in Absprache und mit dem Einverständnis seines Kurfürsten und der anderen protestantischen Ständen handelte. Von altgläubiger Seite wurde der Brief jedenfalls als Aktion aller Protestanten wahrgenommen.163 Melanchthon hatte schon einmal indirekten Kontakt zu Campeggio gehabt, als dieser im Mai 1524 Friedrich Nausea (1496–1552) zu ihm nach Bretten geschickt hatte, um ihn zu einer Rückkehr zur katholischen Kirche zu bewegen.164 Im Vorfeld des Augsburger Reichstags hatte sich Mecies iam fui apud quosdam inimicos ex illo grege Ecciano, non possum dicere, quantam odii pharisaici acerbitatem deprehenderim«. Fabri und Eck werden von Melanchthon meist in einem Atemzug als Inbegriff der altgläubigen Gegner genannt, z. B. im Brief an Luther 27.6. [MBW 942; MBW T 4/1, 270, Z. 24 f.]; in einem Gedicht für B. Baumgartner vom 27.7. [MBW 989; MBW T 4/1, 446–449; hier 448, Z. 15 f.] und in der »Zeitung« für einen Unbekannten Ende Juli [MBW 1001; MBW T 4/1, 475 f.; hier 476, Z. 20 ff.]. 160 Vgl. Melanchthon an Campeggio 4.7. [MBW 952; MBW T 4/1, 319–326] und zur Charakterisierung des Briefes Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 56, Z. 12 f.]: »una epistula molto humile«; zu Melanchthons Kontaktaufnahme mit Campeggio auch seinen Brief an Camerarius vom 8.7. [MBW 957; MBW T 4/1, 337, Z. 10 f.]. 161 Vgl. zum Gespräch zwischen Philipp und dem Kaiser die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 6.7. [CR 2, 164–168, Nr. 760; hier 165 f.] und Weiß, Diarium, 715; zum Zusammenhang mit Melanchthons Kontaktaufnahme zu Campeggio Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 55 f.; bes. 56, Z. 8 ]: »Per cioche«; von Walter, a. a. O., 40 und Ders., Luther und Melanchthon, 58. 162 Vgl. zu den Ansichten des Kaisers in der Frage der Übereinstimmung in der Lehre Rurer an Althamer nach 2.7. [Kolde, Redaktion, 110 f.; hier 111] und Weiß, Diarium, 714 f.; zur Zuständigkeit des Legaten für die Zeremonien das Bedenken des Kaisers [Brieger, Beiträge, 127–130, Nr. 2 ; hier 129 f.], das am 5.7. den katholischen Ständen ausgehändigt wurde. 163 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 56, Z. 13]: »in nome di tutti i suoi« und 11.7. [a. a. O., 57 f.; hier 58, Z. 7 f.]: »petitioni fatte dal Melanchthone per nome di loro Lutherani«. 164 Vgl. die schriftliche Stellungnahme Melanchthons für Campeggio vom Mai 1524 [MBW 324; MBW T 2, 133–136]; Erasmus an Melanchthon 6. 9. 1524 [MBW 341; MBW T 2, 167–176; hier 176, Z. 184 ff.]; Melanchthon an Nausea 18./19. 12. 1540 [MBW 2590; MBW T 9, 561 f.; hier 562, Z. 3 ff.]; das Protokoll ihrer Unterredung vom 19. 12. 1540 [MBW 2591; MBW T 9, 562–565; hier 563, Z. 11 ff.]; Camerarius, De vita Melanchthonis, 110 f.; Kawerau, Versuche, 6 ff.; Stupperich, MSA 1, 176 und Wengert, Last Word, 459.
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lanchthon positiv über Campeggio geäußert, der ihm wegen seiner juristischen Bildung in der Funktion des Legaten lieber war als der Theologe und Kardinal Cajetan (1469–1534), der im Jahr 1518 Luther verhört hatte.165 Doch scheint ihm in den ersten Wochen in Augsburg klar geworden zu sein – und diese Einschätzung blieb ihm auch während der kommenden Verhandlungen erhalten –, daß Campeggio gefährlich war, da er sich beim Kaiser für eine gewaltsame Unterdrückung der Protestanten stark machte.166 Trotz dieser Einschätzung pries er am Anfang seines Briefes in einer ausführlichen captatio benevolentiae die Mäßigung (moderatio) und Weisheit (sapientia) des Legaten und drückte seine Hoffnung aus, dieser werde aufgrund derartiger Eigenschaften von gewaltsamen Aktionen gegen die Protestanten abraten und sich für den Frieden einsetzen.167 Er betonte die Bereitschaft der Protestanten, um der Einheit und des Friedens willen jede erträgliche Bedingung zu akzeptieren, und stellte Campeggio eine Kurzform seines Kompromißprogramms vor, das folgende Veränderungen und Zusätze enthielt: Zum einen behauptete er die Übereinstimmung der Lutherischen mit der Lehre der römischen Kirche ohne die in der »Summa« der CA gemachte Einschränkung und sprach nur von einem leichten Unterschied bei den Zeremonien; 168 zum anderen betonte er wie schon gegenüber Valdés den Willen der Lutherischen, nicht nur die bischöfliche Jurisdiktion wiederherzustellen, sondern unter der Voraussetzung, daß ihnen gewisse Zugeständnisse gemacht werden sollten, auch der römischen Kirche und dem Papst zu gehorchen.169 Campeggio reagierte am folgenden Tag auf Melanchthons Brief und lud ihn zu einem persönlichen Gespräch ein. Bei dieser Unterredung legte Melanchthon sein Kompromißprogramm zunächst mündlich dar und bat den Legaten instän165 Vgl. Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 155, Z. 35 ff.] und an Camerarius 5.5. [MBW 900; MBW T 4/1, 156, Z. 7 ff.]. 166 Vgl. Melanchthon 19.6. an Luther [MBW 934; MBW T 4/1, 254, Z. 13 f.], an Menius [MBW 935; MBW T 4/1, 256, Z. 12 f.] und an Myconius [MBW 936; MBW T 4/1, 257, Z. 12 f.]; 8.7. an Dietrich [MBW 958; MBW T 4/1, 337 f.; hier 338, Z. 5 f.] und an Luther [MBW 960; MBW T 4/1, 340 f.; hier 341, Z. 14 f.]. 167 Vgl. Melanchthon an Campeggio 4.7. [MBW 952; MBW T 4/1, 323, Z. 2 ff.; 324, Z. 14 ff. und 326, Z. 42 ff.]. 168 Vgl. Melanchthon an Campeggio 4.7. [MBW 952; MBW T 4/1, 324, Z. 16 ff.]: »duxi ad reverendissimam dominationem tuam scribendum esse, ut et nos intelligeret unice cupidos esse pacis atque concordiae neque detrectare ullam tolerabilem faciundae pacis conditionem. Dogma nullum habemus diversum ab ecclesia Romana«; [325, Z. 34 ff.]: »ecclesiae Romanae dogmata summa constantia defendimus«; »Levis quaedam dissimilitudo rituum est, quae videtur obsistere concordiae«. 169 Vgl. oben Kap. 1.2.6.1 und Melanchthon an Campeggio 4.7. [MBW 952; MBW T 4/1, 324, Z. 20 ff.]: »Parati sumus obedire ecclesiae Romanae, modo ut illa pro sua clementia . . . pauca quaedam vel dissimulet vel relaxet, quae iam mutare, ne quidem si velimus, queamus«; [325, Z. 26 ff.]: »Romani pontificis authoritatem et universam politiam ecclesiasticam reverenter colimus, modo non abiiciat nos Romanus pontifex«; »concordia facile possit constitui, si aequitas vestra paucis in rebus conniveat et nos bona fide obedientiam reddamus«.
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dig um Zugeständnisse und um eine gewaltlose Lösung des Konflikts.170 Zudem brachte er auf Campeggios Bitte hin seine Meinung auch in schriftlicher Form zum Ausdruck: Er bat um Zugeständnisse bei Laienkelch, Priesterehe und Messe, kam allerdings auch der altgläubigen Seite entgegen, indem er sich zur Konkomitanzlehre bekannte, erklärte, daß die Zeremonien bei der Messe beibehalten würden, und zusagte, daß keinem Kommunikanten das Abendmahl ohne vorherige Beichte gereicht werde. Sollten sich die Altgläubigen bei Laienkelch, Priesterehe und Messe bewegen, sagte er ein Nachgeben der Protestanten bei der bischöflichen Jurisdiktion zu.171 Melanchthons Brief an Campeggio gelangte schnell in die Hände vieler Altgläubiger; so schickte ihn zum Beispiel Campeggio – noch bevor er die CA sandte172 – zusammen mit dem Gutachten vom 5. Juli an die Kurie nach Rom, wo die vier lutherischen Forderungen im Konsistorium besprochen wurden,173 und der venezianische Gesandte Nicolò Tiepolo († 1551), der den Brief wohl von Campeggio erhalten hatte, legte ihn einem Bericht an den Rat seiner Heimatstadt bei.174 Auch Altgläubige in Augsburg wußten davon zu berichten, daß sich die Protestanten bei ihren Forderungen auf drei Punkte zurückgezogen hätten.175 Und es gab unter ihnen eine gewisse Hoffnung, Papst Clemens VII. werde auf Melanchthons Forderungen eingehen und man könne noch in Augsburg zu einer Einigung kommen.176 170 Vgl. Campeggio an Salviati 5.7. [NBD Erg. 1, 75–79, Nr. 19; hier 76 ff.]; Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 120, Z. 14]: »Melanchthon a . . . Campegio vocatus est«; Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 56, Z. 15 ff.]; Pfarrer an Butz 7.7. [PC 1, 467]; Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 2 f.] und Leib, Annales, 745. Folgende Quellen enthalten nur summarische Informationen über Kontakte zwischen Melanchthon und Campeggio, die sich auch auf spätere Treffen beziehen können: A. Eck an Vadian 16.7. [Vadianische Briefsammlung 4, 216–218, Nr. 608; hier 218]; Luther an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, 17 f.]; Weiß, Diarium, 716 f. und 739 und Schirrmacher, Briefe und Acten, 135. 171 Vgl. Melanchthon an Campeggio 5.7. [MBW 953; MBW T 4/1, 326–329] und dazu Müller, Einheit der Kirche, 402. 172 Die CA legte Campeggio erst seinem Brief an Salviati vom 14.7. bei [NBD Erg. 1, 82–86, Nr. 22; hier 82]. Osiander berichtete allerdings schon am 12.7. an Linck und Schleup ner [OG 4, 113, Z. 4 ], die CA sei nach Rom geschickt worden. 173 Vgl. Campeggio an Salviati 5.7. [NBD Erg. 1, 76 und 78] und Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 57, Z. 12 ff.]; zur Sitzung des Konsistoriums del Burgo an König Ferdinand 12.7. [Brieger, Beiträge, 49] und Salviati an Campeggio 13.7. [NBD Erg. 1, 80 f., Nr. 20; hier 80]. 174 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 6.7. [von Walter, Depeschen, 56, Z. 14]; Roselli an Melanchthon 1.8. [MBW 1006; MBW T 4/2, 494–496; hier 495, Z. 7 f.] und Benrath, Roselli, 180. 175 Vgl. Bagarotto an den Herzog von Mantua 6.7. [Thomas, Reformationsbewegung, 173, Nr. 266]. 176 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 11.7. [von Walter, Depeschen, 58, Z. 6 ff.]: »se da Roma uiene ordine, che si consenti pur qualche cosa di quelle poche petitioni fatte dal Melanchthone . . ., si sta in assai buona speranza di concordare le cose«.
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Nur einen oder zwei Tage nach dem Gespräch mit Campeggio wandte sich Melanchthon in einem Brief an Campeggios Sekretär Luca Bonfio (ca. 1470– 1540). Darin beteuerte er noch einmal die Übereinstimmung der Lutherischen mit der römischen Kirche und ihre Bereitschaft, unter die Jurisdiktion der Bischöfe zurückzukehren. Zudem bat er Bonfio, sich bis zur endgültigen Entscheidung durch ein Konzil für Zugeständnisse bei Laienkelch und Priesterehe sowie für Verhandlungen über die Messe einzusetzen und einer gewaltsamen Konfliktlösung entgegenzuwirken.177 Vielleicht als Reaktion auf diesen Brief ließ Campeggio Melanchthon am Nachmittag des 8. Juli zu einem weiteren Gespräch rufen. Er verwies darauf, daß es sich beim gegenwärtigen Glaubensstreit um eine Angelegenheit handle, die im Interesse der ganzen Nation, ja der Christenheit insgesamt gemeinsam gelöst werde müsse.178 Damit zog Campeggio die Widerlegung des protestantischen Bekenntnisses, die im Gange war, Sonderverhandlungen mit Melanchthon vor. Vielleicht ahnte er auch schon die ablehnende Haltung der Kurie gegenüber den von Melanchthon formulierten Forderungen, die er am 24. Juli erhalten sollte.179 Die kursächsischen Theologen allerdings hofften trotz der Absage Campeggios bis Ende Juli auf eine positive Antwort des Papstes.180 Am 27. Juli war Melanchthon in Begleitung von Brenz ein weiteres Mal bei Campeggio – dieses Mal handelten die Theologen eindeutig im Auftrag der protestantischen Fürsten. In der captatio benevolentiae ihrer schriftlichen Stellungnahme baten sie ihn, sich von seiner Mäßigung und Friedensliebe nicht abbringen zu lassen und sich gegen gewaltsame Maßnahmen zu wenden. Sie betonten ihre Übereinstimmung mit der Schrift und der katholischen Kirche – nun nicht mehr mit der römischen – und erneuerten ihre Bereitschaft, sich auf Campeggios Bedingungen für eine Einigung einzulassen, wenn sich diese ohne Beschwerung des Gewissens erfüllen ließen; hierzu rechneten sie auch die Anerkennung der rechtmäßigen bischöflichen Jurisdiktion.181 Der Legat ermahnte 177 Vgl. Melanchthon an Bonfio 6./7.7. [MBW 955; MBW T 4/1, 332 f.; bes. 332, Z. 1 ff. und 333, Z. 13 ff.]. 178 Vgl. Melanchthon an Dietrich 8.7. [MBW 958; MBW T 4/1, 338, Z. 4 ff. und MBW 959; MBW T 4/1, 339]; Jonas an Luther 8.7. [WA Br 5, 449, Z. 10 ff.] und Campeggio an Salviati 14.7. [NBD Erg. 1, 84]. 179 Vgl. zur Ablehnung der Kurie den Brief von Salviati an Campeggio 13.7. [NBD Erg. 1, 80 f.], der am 24.7. in Augsburg war (vgl. Müller, NBD Erg. 1, 80), und Tiepolo an den Rat von Venedig 25.7. [von Walter, Depeschen, 59 f.; hier 59, Z. 14 ff.]; dazu insgesamt Maurer, Artikel 28, 388 und Müller, Kurie und Reformation, 104. 180 Vgl. Agricola an Luther 28.7. [WA Br 5, 513 f., Nr. 1666; hier 514, Z. 7 f.]: »expectatur responsum Romani Pontificis super . . . quibusdam . . . articulis«. 181 Vgl. Melanchthon und Brenz an Campeggio 27.7. [MBW 990; MBW T 4/1, 449 f.; hier 450, Z. 16 ff.]: »Ipsi [sc. principes nostri] . . . publice policentur se, quantum sine offensione conscientiae fieri possit, eas condiciones accepturos esse, quas ad pacem et ad concordiam et ad ecclesiastici ordinis auctoritatem confirmandam et stabiliendam iudicabitis pertinere«.
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seine beiden Besucher, von ihrem Irrtum Abstand zu nehmen und die in Kürze erscheinende »Confutatio« anzunehmen,182 und es scheint ihm wichtig gewesen zu sein, die beiden Theologen in diesem Zusammenhang zur Beachtung der Gesetze der Kirchenväter anzuhalten.183 1.3.4.5 Weitere Sonderverhandlungen Melanchthons mit Valdés und ein erster Bestechungsversuch Der kaiserliche Sekretär Alfonso de Valdés lud Melanchthon am 20. Juli im Auftrag des Kaisers und Campeggios zu einem weiteren Gespräch ein. Bei diesem scheint Melanchthon die bisher gestellten Forderungen – wie sich schon in seinem Brief an Bonfio andeutete – von drei auf zwei reduziert zu haben,184 womit er Valdés und anderen gemäßigten Altgläubigen185 neue Hoffnung auf Einigung machte.186 Valdés berichtete in einem Brief vom 1. August davon, er halte Melanchthon hin (entretener) und verspreche ihm Gunstbezeugungen (mercedes) von seiten des Kaisers, damit er seine Fürsten einer Einigung geneigt mache. Melanchthon scheint ihm erklärt zu haben, daß es in der Frage der Messe auf protestantischer Seite keinen Spielraum gebe, daß man aber bei der Priesterehe zu einer Kompromißlösung bis zum Konzil kommen könne. Valdés bot ihm für den Fall der Einigung an, einen Ort zur Verfügung zu stellen, an dem er sich seinen Studien widmen könne und einen angemessenen Unterhalt (muy buen entretenimiento) vom Kaiser erhalten werde.187 Der Kitzinger Prediger Martin Meglein († 1533), der im Gefolge Georgs von Brandenburg-Ansbach nach Augsburg gekommen 182 Vgl. zu diesem Treffen Melanchthon an Luther 27.7. [MBW 991; MBW T 4/1, 450– 452; hier 451, Z. 4 ]; Campeggio an Salviati 29.7. [NBD Erg. 1, 88–94, Nr. 24; hier 91 f.]; Brenz an Eisenmenger 14.8. [CR 2, 277–278, bei Nr. 841; hier 278] und den Kommentar auf einer Kopie des Briefes von Brenz und Melanchthon an Campeggio (MBW 990) in der Stuttgarter Landebibliothek nach Scheible, MBW R 9, 205. 183 Vgl. Campeggio (mündlich) an Brenz und Melanchthon 27.7. [MBW 992a; MBW T 4/1, 454]. 184 Diese Nachricht findet sich auch im Brief von Berecio und N. Tiepolo an T. Tiepolo vom 10.8. [Sanuto, Diarii 53, 474 f.; hier 474]. 185 Vgl. Dantiscus an König Sigismund von Polen 30.7. [Acta Tomiciana 12, 191–208, Nr. 213; hier 208]: »aliquid . . . mihi spei est, quod d. Valdesius et Philippus Melanchton simul plerumque conveniunt; si Valdesio similes ex parte caesaris aliquot viri eruditi et pii negotium hoc tractarent, posset aliud fieri, sed una hirundo non facit ver«. 186 Vgl. Valdés an Accolti 21.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 364, Z. 31 ff.]. Auch Jonas berichtete in seinem Brief an von Bünau vom 29.7. [ Jonas-BW 1, 171–173, Nr. 194; hier 172] davon, daß Melanchthon erneut zu Valdés gerufen worden sei, allerdings mit einer falschen Datierung: »6. feria post Magdalenae«, was der 29.7. gewesen wäre; vielleicht hat Jonas aber einfach die Heiligen verwechselt und meinte Margarethe, deren Tag der 13.7. ist, so daß er das Treffen (richtig) auf den 20.7. datiert hätte. 187 Vgl. Valdés an Accolti 1.8. [Bagnatori, Cartas inéditas, 365–367, Nr. 3; hier 366, Z. 4 4 ff.]; zudem den Passus über den Umgang mit Überläufern in einem Gutachten aus dem Umfeld des Kaisers von Ende September / A nfang Oktober (zur Datierung Müller, Kurie und Reformation, 117, Anm. 11) [Maurenbrecher, Karl V., 16*–21*; hier 20*]: »quod ii
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war, berichtete am 1. August in einem Brief von einem Treffen Melanchthons mit dem Kammerdiener (cubicularium) Campeggios, bei dem ihm Geschenke (dona) und Ehren (honores) in Aussicht gestellt worden seien, sollte er seine Fürsten zur Annahme der »Confutatio« bewegen, was Melanchthon allerdings abgelehnt habe.188 Da ein entsprechendes Treffen zwischen Melanchthon und dem Sekretär Campeggios aber erst nach Verlesung der »Confutatio« stattfand und die Datierung von Megleins Brief unstrittig ist, bezieht sich sein Bericht vielleicht auf das soeben geschilderte Treffen mit Valdés. Angesichts der vielen verschiedenen Sonderverhandlungen Melanchthons könnte Meglein hier die Gesprächspartner verwechselt haben. 1.3.4.6 Das Gespräch Melanchthons mit Johannes Henckel Am Tag darauf war Melanchthon bei Johannes Henckel († 1539), dem Prediger und Beichtvater der böhmisch-ungarischen Königin Maria (1505–1558), der ähnlich wie Melanchthon auf die Wiederherstellung der Einheit der Christenheit hoffte. Auch Maria, der Schwester Kaiser Karls V., wurde eine große Aufgeschlossenheit gegenüber dem Humanismus und der Reformation nachgesagt.189 Henckel legte Melanchthon bei diesem Gespräch unter anderem Fragen zum Laienkelch vor, die dieser sogleich an Luther weitergab.190 1.3.4.7 Die Denkschrift Melanchthons für Albrecht von Brandenburg Ende Juli oder Anfang August wandte sich Melanchthon noch einmal an den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg und schickte ihm eine Denkschrift zu den Themen seines Kompromißprogramms, in der er vor allem auf Fragen der Messe einging. Er bat Albrecht darum, die lutherische Meßpraxis nicht zu verdammen, da sie dem Beispiel der Schrift und der Alten Kirche folge. Außerdem verwies er darauf, daß die Messen nach der in der römischen Kirche qui a parte aduersa ad nos venerint vel resipuerint habeant non solum gratiam sed etiam bene et liberaliter tractentur, vt alii eo magis alliciantur ad resipiscendum«. 188 Vgl. Meglein an Weiß 1.8. [Meglein, Briefe, 1238 f.]: »Philippus Mel. a Legato Apostolicæ sedis vocatus, per Cubicularium . . . monetur & rogatur, vt nostris principibus persuadeat, ne a Caesaris decretis decernendis & evulgandis brevi, dissideant. Quod si efficiat, fore vt a sanctissimo magnis donis & honoribus (quanquam hoc magno animo & pertinaciter contemnat) honoretur, . . . Philippus respondit se ad pacem, quatenus salva doctrina & gloria Dei constare possit, diligenter quoslibet hortaturum, offerenda autem a Papa præmia & honores, nec ambire, nec accipere, Preterea non suam, sed publicam omnium nomine hic causam agere, que gloriam Dei potissimum querat«. 189 Vgl. zu Henckel Hudak, Henckel, 112; zu Königin Maria a. a. O., 107. 190 Vgl. Melanchthon an Luther 28.7. [MBW 994; MBW T 4/1, 460–462; hier 462, Z. 9 ff.]; die Beilage zu diesem Brief mit den Fragen Henckels [WA Br 5, 511, bei Nr. 1664]; die Fragmente eines Briefs von Jonas an Luther vom 28.7. [WA Br 5, 512 f., Nr. 1665 und WA Br 12, 120 f., Nr. 4241; hier WA Br 5, 512, Z. 13 ff.] und Henckel an Erasmus 1.10. [OE 9, 58–60, Nr. 2392; hier 58, Z. 30 f.]: »cum . . . Philippo Melanchthone commercia habuissem plurima«; zum späteren Kontakt zwischen Melanchthon und Henckel Melanchthon an Heß 20. 11. 1533 [MBW 1378; MBW T 5, 512–514; hier 513, Z. 13].
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gebräuchlichen Form, das heißt in Meßkleidung und mit den entsprechenden Lesungen, gehalten würden. Am Ende seiner Ausführungen verlieh er seiner Verwunderung darüber Ausdruck, daß sein Kompromißprogramm bisher noch keinen Erfolg gezeigt habe, obwohl es seiner Meinung nach den einzig gangbaren Weg zu einer Einigung darstellte.191 Über Reaktionen auf diese Denkschrift Melanchthons ist nichts bekannt. 1.3.4.8 Der Kontakt Melanchthons und Brücks zum venezianischen Gesandten Nicolò Tiepolo Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt während des Reichstags scheinen Brück und Melanchthon im Auftrag Kurfürst Johanns von Sachsen beim venezianischen Gesandten Tiepolo gewesen zu sein. Es ist wahrscheinlich, daß dies im Lauf der langen Zeit des Wartens auf die »Confutatio« geschah. Bei diesem Gespräch stellte Tiepolo klar, daß der venezianische Senat nicht der lutherischen Lehre anhänge. Melanchthon pries darauf hin die Tugend (virtus) und Frömmigkeit (pietas) Kurfürst Johanns und versicherte, daß dieser der katholischen Lehre anhänge, Mißbräuche mißbillige und wünsche, daß die Streitigkeiten auf ordentliche Weise (rite) beigelegt würden. Diese Aussagen wurden Melanchthons eigenen Angaben zufolge aufgeschrieben.192 1.3.5 Melanchthons erneute Sorgen Mitte bis Ende Juli Sowohl im Blick auf die Gespräche mit Altgläubigen als auch hinsichtlich offizieller Verhandlungen, die mit der in Aussicht gestellten Antwort auf die CA wieder näher rückten, wandte sich Melanchthon in diesen Wochen immer wieder ratsuchend an Luther. Er fühlte sich bei manchen Themen nicht sicher, und die Hilfe der anwesenden Theologen scheint ihm nicht ausgereicht zu haben. Dabei war es vor allem das Thema der Traditionen, das ihn quälte. Er hatte es zwar im 15. Artikel der CA behandelt, war mit dieser Darstellung aber nicht zufrieden und dachte über weitere Zugeständnisse nach.193 Sicher waren es zu191 Vgl. Melanchthons Denkschrift für Albrecht von Brandenburg von ca. Juli [MBW 1002; MBW T 4/1, 476–485; hier 484, Z. 185 ff.]: »petimus, ne damnetur mos noster, qui . . . sequitur exemplum scripturae et veteris ecclesiae«; [Z. 196 ff.]: »placet nobis, ut omnino forma usitata Romanae ecclesiae in vestitu, in ordine lectionum retineatur«; [485, Z. 225 ff.]: »Hoc valde miror, cur hoc pro nihilo ducant, quod cupimus obedientiam praestare, si nihil exigant contra mandata dei. Nam haec una videtur mihi commodissima ratio sarciendae concordiae, et cavendi multa mala, quae minantur horribilem vastitatem ecclesiis et rebus publicis, quam certe conveniebat prohibere episcopos«; zur Datierung Scheible, MBW R 1, 417. 192 Vgl. Melanchthon an Flacius 5. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 839–844, Nr. 6067; hier 839 f.]. 193 Vgl. Melanchthon 14.7. an Luther [MBW 970; MBW T 4/1, 372, Z. 22 f. und 373, Z. 30 ff.] und an Dietrich [MBW 971; MBW T 4/1, 376 f.; hier 377, Z. 9 f.]; sein Gutachten für Johann von Sachsen vom 16.7. [MBW 976; MBW T 4/1, 390 f.]; die Briefe an Luther vom 20.7. [MBW 982; MBW T 4/1, 408–410; hier 409, Z. 9 ff. und 410, Z. 17 ff.] und 27.7.
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dem die Ende Juli nach außen dringenden Details der altgläubigen Widerlegung der CA, die ihm erneute Sorgen und Schlaflosigkeit verursachten.194 1.3.6 Die Verlesung der »Confutatio« am 3. August und die Zusage von Ausschußverhandlungen am 5. August Am 3. August wurde die »Confutatio Confessionis Augustanae« nach über fünf Wochen Wartezeit durch den kaiserlichen Sekretär Alexander Schweiß († 1536) und den pfälzischen Kurfürsten Friedrich II. (1482–1556) verlesen.195 Diese Schrift ging die Artikel der CA nacheinander durch und merkte an, was mit der altgläubigen Lehre übereinstimmte und was nicht; das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion in CA 28 wurde dabei wohlwollend vermerkt.196 Die Bitte der protestantischen Stände um Aushändigung einer Abschrift wurde zurückgewiesem, was in den nächsten Tagen zu einem neuen Konflikt zwischen Kaiser und Protestanten führte.197 Als sich dieser nicht lösen ließ, boten sich am 5. August die Kurfürsten Albrecht von Brandenburg aus Mainz und Joachim I. von Brandenburg (1484–1535) und einige Herzöge als Vermittler an und sagten die Bildung eines Ausschusses zu – ein Angebot, das von den Protestanten angenommen wurde.198
1.4 Die dritte Phase des Reichstags: Einigungsverhandlungen (August 1530) 1.4.1 Weitere Sonderverhandlungen Melanchthons mit Campeggio und erneute Bestechungsversuche zwischen 4. und 7. August Unmittelbar nach Verlesung der »Confutatio« wandte sich Melanchthon am 4. August in einem weiteren Brief an Campeggios Sekretär Bonfio, in dem er einen Friedensstifter (autor pacis) sah. Er verwies noch einmal auf sein Kompromißprogramm, das nur noch zwei protestantische Forderungen enthielt, und
[MBW 991; MBW T 4/1, 452, Z. 10 ff.; bes. Z. 26 ff.] und an Dietrich 27.7. [MBW 992; MBW T 4/1, 453 f.; hier 454, Z. 11 ff.]. 194 Vgl. Melanchthons Gedicht für B. Baumgartner 27.7. [MBW 989; MBW T 4/1, 448, Z. 23 ff.] und den Brief an Luther vom 30.7. [MBW 998; MBW T 4/1, 468 f.; hier 469, Z. 9 f.]. 195 Vgl. die Berichte bei Brück, Geschichte, 71; von Tetleben, Protokoll, 98 f. und bei Schirrmacher, Briefe und Acten, 168 ff. 196 Der Text der »Confutatio« ist gedruckt bei Immenkötter, Confutatio, 74–207; vgl. zum Zugeständnis der Jurisdiktion a. a. O., 196, Z. 13 ff. und 197, Z. 10 ff. 197 Vgl. den Bericht bei Brück, Geschichte, 72 ff. 198 Vgl. die Berichte der Nürnberger [CR 2, 255–258, Nr. 826; hier 257 f.] und der Frankfurter Gesandten an ihren Rat 6.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 419–421; hier 420]; Melanchthon an Luther [MBW 1014; MBW T 4/2, 525, Z. 21 ff.] und an einen Unbekannten 6.8. [MBW 1015; MBW T 4/2, 525 f.; hier 526, Z. 10 f.].
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bat um Benachrichtigung hinsichtlich der Haltung des Legaten.199 Auch dieser Brief gelangte über Tiepolo nach Venedig und über Campeggio nach Rom.200 Darauf hin schickte Campeggio Bonfio zwischen dem 4. und 7. August zu Melanchthon, um ihm die ablehnende Antwort Roms mündlich (a bocca) mitzuteilen, denn die päpstlichen Absichten sollten nicht öffentlich bekannt werden. Dabei versuchte Bonfio, Melanchthon zu überreden, er solle die lutherischen Fürsten zur Annahme der »Confutatio« veranlassen; dafür bot er ihm wie schon Valdés einen angemessenen Ausgleich (benissimo compensato) von seiten des Papstes und des Kaisers an. Melanchthon lehnte jedoch ab und erklärte, es werde nicht möglich sein, die lutherischen Fürsten zu weiteren Konzessionen zu bewegen.201 Wahrscheinlich war Melanchthons Schüler Georg Sabinus, der ihn wie schon 1529 zum Reichstag begleitete, bei diesem Gespräch zugegen.202 Am 5. August – aufgrund der ungenauen Datierung des Bestechungsversuchs läßt sich nicht entscheiden, ob der Brief davor oder danach geschrieben wurde – schrieb Melanchthon erneut an Campeggio. Der eigentliche Anlaß seines Schreibens war wohl ein Gerücht, nach dem Melanchthon die Aussage Campeggios wiedergegeben haben sollte, er wundere sich über die Dummheit der Deutschen, die im Blick auf den Fleischgenuß zweifelten. Melanchthon stritt diese Äußerung ab und entschuldigte sich auf den Rat eines Freundes hin – wohl Camerarius, der zu dieser Zeit in Augsburg weilte 203 – bei Campeggio. Zudem bat er ihn, seine Aussagen der vergangenen Wochen wohlwollend zu interpretieren, sich nicht gegen die Protestanten reizen zu lassen, sondern gemäß seiner Weisheit in seinem Bemühen um Frieden und Heil der Völker fortzufahren, und versicherte ihm, er selbst werde sich um die Verteidigung der kirchlichen Lehren bemühen.204 Der Bruder des päpstlichen Legaten, Tommaso Campeggio (1481/83–1564), berichtete im Jahr 1540 von einem weiteren Bestechungsversuch bei Melanchthon. Demnach habe auch König Ferdinand (il re Christmo ) Melanchthon 199
Vgl. Melanchthon an Bonfio 4.8. [MBW 1010; MBW T 4/2, 508–510; bes. 509, Z. 12 ff. und 510, Z. 30 f.]. 200 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 7.8. [von Walter, Depeschen, 63–65; hier 64, Z. 18 f.] und Campeggio an Salviati 11.8. [NBD Erg. 1, 108]. 201 Vgl. die Instruktion Campeggios für Bonfio als Beilage zum Brief Tiepolos an den Rat von Venedig vom 7.8. [von Walter, Depeschen, 64 f.; bes. 64, Z. 20 ff. und 65, Z. 31 ff.] und Campeggio an Salviati 11.8. [NBD Erg. 1, 108–110]. Von diesem Bestechungsversuch berichtete zehn Jahre später auch der Bruder des päpstlichen Legaten Tommaso Campeggio in einem Brief an Farnese vom 26. 11. 1540 [NBD 6, 42–49, Nr. 252; hier 44, Z. 9 ff.]: Melanchthon seien 1530 zum einen 400 Scudi (Silbertaler) bar auf die Hand, zum anderen 200 Scudi jährliche Unterstützung angeboten worden, wenn er sich für die Einigung einsetze und zur altgläubigen Seite überwechsle, was er aber abgelehnt habe. 202 Vgl. die Erwähnung der Bekanntschaft mit Bonfio in einem Gedicht des Sabinus über seine Italienreise 1533/34 und dazu Volz, MSA 7/2, 200, Anm. 1. 203 Vgl. Scheible, MBW R 1, 420 und Wengert, Last Word, 470; gegen Volz, MSA 7/2, 249, Anm. 1, der an Bonfio denkt. 204 Vgl. Melanchthon an Campeggio 5.8. [MBW 1012; MBW T 4/2, 519 f.].
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500 Scudi und eine kleine Goldkette angeboten, Melanchthon habe allerdings nur die Kette angenommen und sie einem nicht näher benannten Gesandten (il messagieri) weitergeschenkt, der sie dann auch beim Reichstag getragen und sich ihrer gerühmt habe.205 Auch Gregor Brück berichtete in seiner Schilderung des Reichstags davon, daß man von altgläubiger Seite versucht habe, einen der Protestanten durch Geld dazu zu bringen, nach dem Willen der Altgläubigen zu handeln.206 Er nannte keinen Namen, aber es ist wahrscheinlich, daß er auf die genannten Bestechungsversuche bei Melanchthon anspielte, da keine anderen bekannt sind. 1.4.2 Die Abreise Philipps von Hessen am 6. August Am Abend des 6. August reiste Philipp von Hessen heimlich aus Augsburg ab, da ihm ein weiterer Verbleib beim Reichstag eher schädlich als nützlich erschien.207 Die Folge dieser Abreise waren wilde Gerüchte und das Gebot des Kaisers an den Augsburger Rat, nachts niemanden mehr hinausreiten zu lassen.208 1.4.3 Die Verhandlungen des Fürsten-Ausschusses vom 7. bis zum 13. August Entsprechend der Ankündigung der gemäßigten altgläubigen Fürsten trafen sich die altgläubigen Reichsstände am 6. August und beschlossen, Ausschußverhandlungen zu beginnen.209 Die protestantischen Stände standen diesem Unternehmen zunächst sehr skeptisch gegenüber und glaubten nicht an einen Erfolg.210 Am 7. August traten die siebzehn altgläubigen Mitglieder des sogenannten Großen bzw. Fürsten-Ausschusses zu ihrer ersten Sitzung zusammen. Ihr Auftrag bestand allerdings nicht in der Erörterung theologischer Streitfragen, sondern darin, die Protestanten, die zu den Ausschußsitzungen jeweils hinzugebeten wurden, zur Annahme der »Confutatio« und damit zur Aufgabe ihrer Lehre zu überreden. Da jedoch beide Seiten auf ihren Positionen beharrten, konnte kein Ergebnis erzielt werden.211 205
Vgl. Tommaso Campeggio an Farnese 26. 11. 1540 [NBD 6, 44, Z. 14 ff.]. Vgl. Brück, Geschichte, 21 f.: »do hat man einem aus dem Euangelischen teil, so er das beste thete, damit die sachen [sc. nach ihrem Willen] vorgetragen wurden, groß furderung Jn seinen sachenn vnd darzu gnade angebotten«. 207 Vgl. Wigand, Historia, 138 und Grundmann, Philipp von Hessen, 40 ff. 208 Vgl. den Brief des Nürnberger Rats an seine Gesandten vom 16.8. [Vogt, Korrespondenz, 33 f. (mit falscher Datierung); hier 33] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 190. 209 Vgl. Spalatin, Annales, 150 und von Tetleben, Protokoll, 102 ff. 210 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 6.8. [CR 2, 258] und der Nürnberger Rat an seine Gesandten 9.8. [Vogt, Korrespondenz, 31 f.; hier 31]. 211 Vgl. Melanchthon an Luther 8.8. [MBW 1017; MBW T 4/2, 528–530; hier 530, 206
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Melanchthon legte in diesen Tagen in einem Gutachten für Kurfürst Johann bzw. Brück seine Ansicht zu möglichen Verhandlungen über die Glaubensfrage dar: Er schlug vor, beide Seiten sollten zum Frieden geneigte und zu Kompromissen bereite Personen entsenden. Inhaltlich solle man über das genannte Kompromißprogramm verhandeln, das heißt Zugeständnisse bei Laienkelch, Priesterehe und Messe fordern und Entgegenkommen bei der bischöflichen Jurisdiktion anbieten. Mit Gesprächen über die Artikel des ersten Teils der CA rechnete Melanchthon nicht.212 In der Ausschußsitzung am 13. August regte Brück auf der Grundlage dieses Gutachtens von Melanchthon an, einen kleineren Ausschuß zu bilden, um über die strittigen Glaubensartikel zu verhandeln und sie »zu guter ainigkeit zu bringenn«. Hierfür sollten beide Seiten eine gleiche Zahl »vorstenndige[r] vnnd zufridenn vnnd ainigkeit genaigte[r] personen« verordnen. Zudem erneuerte er die protestantische Bereitschaft zum Nachgeben, vor allem bei der bischöflichen Jurisdiktion.213 Die Altgläubigen gingen auf diesen Vorschlag ein, und man beschloß die Bildung eines Ausschusses mit jeweils sieben Delegierten von jeder Seite.214 Die Aussicht auf Verhandlungen über die Glaubensfrage weckte in Melanchthon neue Hoffnung auf eine friedliche Beilegung des Streits; allerdings war er sich gleichzeitig der Gefahren derartiger Verhandlungen bewußt und rechnete nicht damit, daß sie lange dauern würden.215 Auch andere protestantische Stände unterstützten die Verhandlungen und hofften auf einen Erfolg. Allerdings erwarteten die meisten von ihnen keine Einigung in Lehrfragen, sondern lediglich einen friedlichen Abschied – ähnlich hatte sich ja bereits Luther unmittelbar nach Übergabe der CA geäußert. Sie hielten zwar ein erneutes Bekenntnis der Protestanten zu ihrer Lehre für möglich, welches die Altgläubigen dazu nötigen könnte, beim Kaiser um ein Konzil zu bitten, zu eigenen Zugeständnissen waren sie jedoch nicht bereit.216 Luther, der erst nach der BilZ. 13 ff.]; Brück, Geschichte, 88 und 117; von Tetleben, Protokoll, 108 ff. und 130; Wigand, Historia, 139; Müller, Einheit der Kirche, 409 und Honée, Vehus, 32. 212 Vgl. Melanchthons Gutachten für Johann von Sachsen bzw. Brück von ca. 12.8. [MBW 1020; MBW T 4/2, 533–536]; zudem sein Gutachten für Johann vom 3./4.8. [MBW 1009; MBW T 4/2, 504–507] und seinen Brief an Myconius vom 8.8. [MBW 1018; MBW T 4/2, 530 f.; hier 531, Z. 13 f.]. 213 Vgl. die schriftliche Stellungnahme Brücks vor dem Fürsten-Ausschuß vom 13.8. [UB 2, 201–217, Nr. 142; hier 215 und 217 (Zitat)]. 214 Vgl. Melanchthon an Camerarius 13.8. [MBW 1023; MBW T 4/2, 547 f.; hier 547, Z. 5 ff.]; Brenz an Eisenmenger [CR 2, 278] und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 14.8. [CR 2, 279] und S. Heller an Vogler 15.8. [Veesenmeyer, Beyträge, 25–28; hier 27]. 215 Vgl. Melanchthon an Camerarius 13.8. [MBW 1023; MBW T 4/2, 547, Z. 3 ff.]: »Hodie primum spes est ostensa institutae pacificacionis«; »Res est . . . periculi plena«; [548, Z. 9 f.]: »Non . . . diu mansuri videmur«. 216 Vgl. den Brief des Nürnberger Rats an seine Gesandten vom 15.8. [Vogt, Korrespondenz, 32 f.]; den Bericht über die Haltung der Protestanten bei S. Heller an Vogler 15.8. [Veesenmeyer, Beyträge, 28] und 16.8. [Veesenmeyer, a. a. O., 29–31; hier 31]; Spalatin an
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dung des Vierzehner-Ausschusses von diesem erfuhr, war von diesen Verhandlungen nicht sonderlich angetan.217 Und auch auf altgläubiger Seite stieß der Plan von Einigungsverhandlungen nicht allenthalben auf Zustimmung.218 1.4.4 Der Kontakt Melanchthons zu Christoph von Stadion am 13. August Am 13. August, als die Bildung des Vierzehner-Ausschusses bereits beschlossen war, wandte sich Melanchthon in einem Brief an den Augsburger Bischof Christoph von Stadion (1478–1543), der allgemein als gemäßigter Altgläubiger bekannt war.219 Vielleicht wußte Melanchthon auch schon, daß er gemeinsam mit Stadion im neu gebildeten Ausschuß sitzen würde. Melanchthon pries in seinem Schreiben die Mäßigung (moderatio) des Bischofs und dankte ihm für seinen Einsatz für den Frieden. Er versicherte, daß er sich schon seit längerer Zeit an ihn habe wenden wollen, aber Angst vor nachteiligen Gerüchten gehabt habe. Er melde sich jetzt, weil nun eine Entscheidung unmittelbar bevorstehe und die wohlgesinnten Gelehrten (boni viri) auf beiden Seiten sich um einen friedlichen Ausgang bemühen müßten. Als Vorschlag für eine Einigung legte Melanchthon auch Stadion noch einmal sein Kompromißprogramm dar.220 Noch am selben Tag wurde Melanchthon von Stadion empfangen.221 1.4.5 Die Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses vom 14. bis zum 21. August Am 14. August kamen alle Stände zusammen und setzten den Vierzehner-Ausschuß ein: 222 Die Altgläubigen entsandten die Fürsten Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel – für ihn trat allerdings schon bald Georg von Sachsen ein – und Christoph von Stadion, die Juristen Hieronymus Vehus (1484–1543/44) und Bernhard von Hagen (vor 1490–1556) sowie die TheoloHausmann 17.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 146–148; hier 147]; der Nürnberger Rat an seine Gesandten 18.8. [Vogt, a. a. O., 34 f.; hier 35]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 19.8. [CR 2, 289–291, Nr. 848; hier 290] und Schuller an Weiß 27.8. [Jordan, Briefe, 231– 233; hier 231]. Vgl. aber die Skepsis hinsichtlich eines Erfolgs der Verhandlungen bei Bucer an A. Blarer 14.8. [BC 4, 192–198, Nr. 324; hier 194, Z. 11]. 217 Vgl. Luther an Melanchthon 24.8. [MBW 1038; MBW T 4/2, 582–585; hier 584, Z. 2 ff.]. 218 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 118: »O paupercula fides christiana, ad quid devenisti!«. 219 Vgl. die Einschätzung Stadions von altgläubiger Seite bei Tiepolo an den Rat von Venedig 24.6. [von Walter, Depeschen, 50–54; hier 52, Z. 2 ]: dubioso und bei Campeggio an Salviati 26.6. [NBD Erg. 1, 71]; zur protestantischen Beurteilung Stadions z. B. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 28.6. [CR 2, 150] und Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 427, Z. 13 ff. und Z. 30 f.]; zudem Melanchthons Aussagen an Luther 30.6. [MBW 948; MBW T 4/1, 297, Z. 8 f.] und 30.7. [MBW 998; MBW T 4/1, 469, Z. 12 ff.]. 220 Vgl. Melanchthon an von Stadion 13.8. [MBW 1022; MBW T 4/2, 541–546; hier 544–546]. 221 Vgl. Melanchthon an Camerarius 13.8. [MBW 1023; MBW T 4/2, 548, Z. 11 f.] und Scheible, MBW R 1, 424. 222 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 117 und Schirrmacher, Briefe und Acten, 212.
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gen Eck, Cochlaeus und Konrad Wimpina (1460–1531). Von protestantischer Seite gehörten dem Ausschuß folgende Personen an: die Fürsten Johann Friedrich von Sachsen (für seinen Vater Johann) und Georg von Brandenburg-Ansbach, Brück und der brandenburg-ansbachische Kanzler Sebastian Heller († 1542) – beide waren Juristen –, sowie die Theologen Brenz, Schnepf und Melanchthon.223 Melanchthon scheint sich im Ausschuß wohlgefühlt zu haben, denn er äußerte sich positiv sowohl über die gemäßigte Haltung des kurkölnischen Kanzlers von Hagen als auch über den angenehmen Umgang mit Eck, den er in den Wochen zuvor stets negativ bewertet hatte.224 Ähnlich scheint es auch Eck empfunden zu haben, denn er bezeichnete die Verhandlungen später als freundschaftliches Gespräch (amicum colloquium).225 Im Gegensatz zum Fürsten-Ausschuß wurde jetzt vor allem theologisch diskutiert, weshalb die Verhandlungen auch oft als Religionsgespräch bezeichnet werden.226 Allerdings waren die Entscheidungsbefugnisse des Ausschusses beschränkt, denn der Kaiser hatte den Ausschuß nur unter der Bedingung gebilligt, daß ihm das endgültige Urteil in allen Streitfragen vorbehalten bleibe.227 Zudem wollten die altgläubigen Stände alle Einzelergebnisse zur Begutachtung vorgelegt bekommen,228 und auch die protestantischen Stände legten Wert darauf, daß nichts ohne ihre Zustimmung beschlossen würde.229 Vor Beginn der Verhandlungen reichten die sächsischen Theologen ein Gutachten bei den protestantischen Fürsten ein, in dem sie an diese appellierten, alle Mittel zu suchen, um den Frieden zu erhalten. Zu diesem Zweck legten sie noch einmal Melanchthons Kompromißprogramm dar und stellten klar, daß man an der in der CA bekannten Lehre, an Laienkelch, Priesterehe und der Abschaffung von Privatmessen festhalten müsse. Nachgeben könne man aber 223 Vgl. zu den Mitgliedern des Vierzehner-Ausschusses Brück, Geschichte, 90; von Tetleben, Protokoll, 117 und Schirrmacher, Briefe und Acten, 211. 224 Der Bericht Melanchthons über die Verhandlungen an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 578–580] scheint einen solchen Eindruck erweckt zu haben; vgl. Luthers Reaktion an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 602–608; hier 605 f., Z. 2 ff.]: »Mirabar hoc, si sic abiret, . . . quod . . . illi [sc. adversarii] . . . amice de caussa tentarint tractare«; zudem Spalatin an Hausmann 17.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 147]: »colloquantur amanter«; zu von Hagen Melanchthon an ihn 24. 3. 1539 [MBW 2166; MBW T 8, 362–366; hier 363, Z. 3 ff.] und zu Eck Melanchthon an Camerarius 31.8. (2) [MBW 1054; MBW T 4/2, 623 f.; hier 624, Z. 13]: »ego quidem Eccio satis amice utor«. 225 Vgl. die Schrift Ecks »Replica adversus scripta secunda Buceri apostatae super actis Ratisbonae« aus dem Jahr 1543, 46b (VD 16 E 415 f.) [nach Pfnür, Religionsgespräch, 453]. 226 Vgl. Jedin, Religionsgespräche, 51; Immenkötter, Reichstag und Konzil, 8 f.; Hol lerbach, Religionsgespräch, 110; Honée, Vehus, 32 und Pfnür, Religionsgespräch, 453. 227 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 17.8. [CR 2, 286–288, Nr. 846; hier 287]; Brück, Geschichte, 89; Spalatin, Annales, 152 und von Tetleben, Protokoll, 118 f. und 124. 228 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 119 und 124. 229 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 19.8. [CR 2, 291].
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bei Zeremonien, Gesängen, Speisegeboten, Fastentagen, bei der bischöflichen Jurisdiktion und in der Frage der weltlichen Herrschaft des Papstes, denn hierbei handle es sich nur um Äußerlichkeiten, an denen die Seligkeit nicht hänge. Diese Zugeständnisse hätten den Vorteil, daß man dadurch auch die Gegenseite zum Nachgeben nötige.230 1.4.5.1 Die Verhandlungen über die Glaubensartikel der CA am 16. und 17. August Der Ausschuß konstituierte sich am 16. August, und nach Klärung allgemeiner Verfahrensfragen verhandelte man an diesem und am folgenden Tag in freier Diskussion über die Glaubensartikel der CA. Diese lag allen Teilnehmern schriftlich vor; eine Abschrift der »Confutatio« wurde nicht zur Verfügung gestellt, sondern man las die entsprechenden Stellen abschnittsweise vor.231 Obwohl Vehus und Brück als Wortführer bestimmt worden waren,232 diskutierten in erster Linie Melanchthon und Eck.233 Da die Ergebnisse der Verhandlungen (absichtlich) nicht gemeinsam schriftlich festgehalten wurden,234 können keine verbindlichen Aussagen über sie gemacht werden, aus dem Vergleich der verschiedenen Berichte von altgläubiger und protestantischer Seite wird aber folgendes deutlich: Die CA-Artikel 1, 3, 9, 13 und 16 bis 19 erwiesen sich nach gleichlautenden Nachrichten als unproblematisch, in bezug auf CA 7, 8, 10 und 14 war man sich zwar grundsätzlich einig, eine der beiden Seiten hatte aber kleinere Anmerkungen. Die Fragen der Beichte in CA 11 und der Kirchenbräuche in CA 15 wurden ausgeklammert und auf die Behandlung der Mißbrauchsartikel verschoben.235 Bei den CA-Artikeln 2, 4 bis 6, 12, 20 und 21 waren zwar Verhandlungsfortschritte zu verzeichnen, es traten aber auch einige nicht auszuräumende Differenzen auf. Im folgenden soll auf einige dieser Artikel näher eingegangen werden, allerdings nur auf die hinsichtlich der Kritik wichtigen Streitfragen: Bei der Rechtfertigungslehre stritt man vor allem um das sola fide. Eck betonte, dieses richte sich allein gegen die Werke des jüdischen Gesetzes, gerecht mache nicht allein der Glaube, sondern nur die Liebe, und deshalb leiste das sola fide der Bosheit der Menschen Vorschub; zudem wies er darauf hin, daß 230 Vgl. das Gutachten der sächsischen Theologen vom 15.8. [MBW 1024; MBW T 4/2, 549–556]. 231 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 19.8. [von Walter, Depeschen, 69; hier Z. 14] und von Tetleben, Protokoll, 124. 232 Vgl. Schirrmacher, Briefe und Acten, 240. 233 Vgl. Luther an Melanchthon 24. 8. [MBW 1038; MBW T 4/2, 584, Z. 4 f.]. 234 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 119. 235 Vgl. S. Hellers »Erclerung« vom 18.8. [UB 2, 230–233, Nr. 145]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 19.8. [CR 2, 290]; den Bericht Spalatins [UB 2, 219–230, Nr. 144; hier 223–229]; von Tetleben, Protokoll, 124 f.; den Bericht von Vehus an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 205–253; hier 213 ff. bzw. die lateinische Fassung, die Campeggio am 13.9. nach Rom schickte, bei Ehses, Campegio, 131–143, Nr. 25; hier 133–135]; das Verzeichnis eines nicht genannten Autors [UB 2, 233–235, Nr. 146] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 218–222.
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es von keinem Kirchenvater benutzt worden sei.236 Melanchthon hingegen verwies auf den paulinischen Sprachgebrauch und stellte heraus, daß sich die geforderte Liebe auf andere Menschen, nicht aber auf Gott beziehe. Schließlich einigte man sich auf die Formel, »quod iustificatio seu remissio peccatorum fiat per gratiam gratum facientem et fidem formaliter, et per uerbum et sacramenta instrumentaliter« und damit auf einen Verzicht auf das sola.237 Melanchthon sah in dieser Einigung ein Bekenntnis Ecks zur lutherischen Rechtfertigungslehre und hob dies in der Folgezeit immer wieder im Sinne eines altgläubigen Zugeständnisses hervor.238 Bei der Buße stritt man über die Rolle des Glaubens und über die Funktion der Genugtuung. Hintergrund dieses Konflikt war die Darstellung von CA 12, daß man die Buße in zwei Teile, das heißt in Reue und Glauben aufteilen müsse,239 was bereits in der »Confutatio« und in einem Gutachten von Eck bemängelt worden war.240 Man kam schließlich überein, an der schon bei den Kirchenvätern vorhandenen Dreiteilung der Buße in contritio, confessio und satis factio festzuhalten, konnte sich aber nicht über das dahinterstehende Verständnis der Beichte und der Genugtuung einigen.241 236 Ähnlich hatte sich Eck bereits in seinem »Iudicium de Augustana Confessione« aus der Zeit zwischen dem 8. und 13.8. ausgeprochen [Schirrmacher, Briefe und Acten, 203–208; hier 203]. Das sola war zudem in der »Confutatio« bemängelt worden [Immenkötter, Confutatio, 90, Z. 18 ff. und 91, Z. 11 ff.]; vgl. Meglein an Weiß 4.8. [Meglein, Briefe, 1243– 1254; hier 1246]. 237 Vgl. die Berichte wie Anm. 235: S. Heller [UB 2, 231]; Spalatin [UB 2, 224–227]; von Tetleben, Protokoll, 125; Vehus [Honée, Libell, 214, Z. 5 ff. bzw. Ehses, Campegio, 133]; das Verzeichnis eines Unbekannten [UB 2, 233 f.] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 219 (Zitat); zudem Brenz’ Aufzeichnungen [Köhler, Brentiana 7, 238]. 238 Vgl. Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 579, Z. 5 ff.]; an Camerarius 31.8. (1) [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 35 f.]: »effeci . . ., ut fateri cogeretur Eccius iusticiam contingere per fidem« und an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 646 f.; hier Z. 4 ff.]; zudem Jonas an Luther 6.9. [WA Br 5, 605–607, Nr. 1712; hier 605, Z. 18 ff.] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 138 und 144. 239 Vgl. die lateinische Fassung der Vorform »Na« der CA, Artikel 11 [Kolde, Redaktion, 14, Z. 3 ff. und BSLK, 67, Z. 26 ff.] und CA 12 [BSLK, 66, Z. 15 ff.]. 240 Vgl. Immenkötter, Confutatio, 104, Z. 18 ff. und 105, Z. 13 ff. und dazu Meglein an Weiß 4.8. [Meglein, Briefe, 1246] und Ecks »Iudicium de Augustana Confessione« zwischen 8. und 13.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 204 f.]. 241 Vgl. die Berichte wie Anm. 235: S. Heller [UB 2, 231 f.]; Spalatin [UB 2, 228]; von Tetleben, Protokoll, 125; Vehus [Honée, Libell, 216, Z. 7 ff. bzw. Ehses, Campegio, 133 f.]; das Verzeichnis eines Unbekannten [UB 2, 234] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 220; zudem den vermutlich von Melanchthon im Rahmen des Ausschusses verfaßten Entwurf vom 16./17.8. [MBW 1027; MBW T 4/2, 563; hier Z. 2 ff.]: »quia patres partiti sunt penitenciam in tres partes, tres non recusamus cum patribus recte intellectis loqui, quod penitencia habeat tres partes: contricionem, id est terrores conscienciae agnito peccato, confessionem et satisfactionem, videlicet fructus dignos penitenciae, non quod propter merita nostra sequencia deleatur peccatum . . ., sed in confessione magis respiciendum est ad fidem absolucionis quam ad ipsum opus confessionis. Nam illa fide apprehendimus remissionem per absolucionem administratam«; seinen Brief an Luther vom 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 591– 593; hier 591, Z. 2 ff.]; die Denkschrift vom 3.9. [MBW 1061; MBW T 4/2, 631–638; hier
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Bei der Frage der Heiligenanrufung stimmte man darin überein, daß die Engel und Heiligen bei Gott für die Gläubigen eintreten, daß Heiligengedenktage und -feste beibehalten werden sollten und daß sich zur Anrufung der Heiligen kein expliziter Schriftbeweis finden lasse. Strittig blieb allerdings, ob man die Heiligen anrufen solle.242 1.4.5.2 Die Verhandlungen über die Mißbrauchsartikel der CA vom 18. bis zum 21. August a) Klärung von Verfahrensfragen und Übergabe des altgläubigen Vorschlags (18. und 19. August) Ab dem 18. August verhandelte man über die sieben Reformartikel der CA, und auch hier galt es zunächst, Verfahrensfragen zu überwinden, bei denen es um die Reihenfolge der zu behandelnden Artikel ging: Die Altgläubigen machten eine Einigung bei CA 25 bis 28 zur Voraussetzung für die Verhandlung über CA 22 bis 24, waren also vor allem auf das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion aus. Die Protestanten lehnten jedoch ein Nachgeben bei den als weniger wichtig erachteten Artikeln CA 25 bis 28 ab, solange sie nicht Zugeständnisse in den Kernpunkten des Kompromißprogramms – bei CA 22 bis 24 – erhalten hatten.243 Man wählte schließlich einen anderen Verhandlungsmodus als in den Tagen zuvor, denn es wurde nun nicht mehr über einzelne Artikel diskutiert, sondern man tauschte alle Mißbrauchsartikel umfassende Vorschläge aus. Zunächst überreichten die protestantischen Vertreter am 19. August eine kurze Schrift, die Melanchthons Kompromißprogramm enthielt: Die Altgläubigen sollten Entgegenkommen bei Laienkelch, Priesterehe und Messe zeigen, 633, Z. 6 ff. und 635 f., Z. 11 ff.]; den Brief an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 647, Z. 7 ff.]; Brück, Geschichte, 92 und Leib, Annales, 550. 242 Vgl. die Berichte wie Anm. 235: S. Heller [UB 2, 232 f.]; von Tetleben, Protokoll, 125; Vehus [Honée, Libell, 220, Z. 1 ff. bzw. Ehses, Campegio, 134 f.] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 222; außerdem Brenz’ Aufzeichnungen [Köhler, Brentiana 7, 238]; eine im Rahmen der Ausschußverhandlungen entstandene Notiz Melanchthons vom 17./18.8. mit dem Titel »Testimonia veterum quod sancti non sunt invocandi aut adorandi« [MBW 1029; MBW T 4/2, 566–568; hier 568, Z. 50 ff.]: »Nos non dubitamus, quin in coelo omnes sancti et angeli apud deum orent pro nobis, et usum ecclesie libenter sequimur, quae orat deum, ut precibus sanctorum adiuvemur, sed de invocatione sanctorum sentimus esse rem non preceptam in scripturis et preterea periculosam, ut publici abusus testantur«; seine Fragen an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 591, Z. 7 f.]; die Denkschrift vom 3.9. [MBW 1061; MBW T 4/2, 633, Z. 10 ff. und 636, Z. 35 ff.]; die Vorform der Apologie vom 22.9. [BSLK, 317, Z. 39 ff.]: »Concedimus angelos et sanctos in coelis apud Deum orare pro ecclesia, sicut et scriptura dicit [Lk 15,7], . . . Sed hoc nihil facit ad invocationem, invocatio incerta et periculosa est. Nulla enim habet testimonia scripturae. Ideo eam non recipimus«; Luther in der »Warnung an seine lieben Deutschen« von Oktober [WA 30/3, 312, Z. 15 ff.]; Leib, Annales, 550 und Camerarius, De vita Melanchthonis, 144. 243 Vgl. Brück in einem Bericht über die Verhandlungen vom 18.8. [UB 2, 236–238, Nr. 147] und in seiner Geschichte, 93 f.; von Tetleben, Protokoll, 125 f. und Vehus an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 222, Z. 3 ff. bzw. Ehses, Campegio, 135 f.].
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im Gegenzug dazu sei man zu einem Vergleich bei den anderen Themen bereit.244 Darauf hin unterbreiteten die Altgläubigen einen von Vehus und Eck erarbeiteten Vermittlungsvorschlag, in dem sie die Protestanten baten, bestimmte Zeremonien und die bischöfliche Jurisdiktion zu halten, wie dies in der Kirche üblich gewesen sei, und Zugeständnisse bei CA 22 bis 24 anboten, allerdings verbunden mit zahlreichen Bedingungen.245 b) Die protestantische Antwort auf den altgläubigen Vorschlag am 20. August Die protestantischen Delegierten antworteten auf den altgläubigen Vorschlag am 20. August mit einer eigenen Schrift,246 die Punkt für Punkt Stellung zu den altgläubigen Forderungen nahm und wohl hauptsächlich von Melanchthon formuliert und dann von den anderen Mitgliedern des Ausschusses gebilligt worden war.247 Die protestantischen Delegierten betonten immer wieder, daß sie mit ihrer Schrift den altgläubigen Vorschlag nicht (insgesamt) annähmen.248 Sie erneuerten allerdings ihre Bereitschaft zum Nachgeben und kamen einigen Forderungen des altgläubigen Vorschlags entgegen in der Hoffnung, dadurch Frieden 249 und bis zu einem Konzil Zugeständnisse bei den Themen Laienkelch, Messe und Priesterehe erreichen zu können.250 Das Entgegenkommen der protestantischen Delegierten bezog sich vor allem auf die Themen Laienkelch, Messe, Priesterehe und Klöster: In bezug auf den Laienkelch 251 erneuerten sie zum einen ihre Zusage, daß man das Sakra244
Vgl. den protestantischen Vorschlag vom 19.8. [UB 2, 249, Nr. 151]. Vgl. das Gutachten von Vehus und Eck mit dem Titel »Unbeschliessliche unnd unvergriffne Christliche mittel« im Bericht von Vehus an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 226–233]. 246 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. mit dem Titel »Unbeschliessliche, auch unvergriffliche antwurt uff die gesterigen furgeschlagen mittel« im Bericht von Vehus an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 234–241]. 247 Vgl. zur Verfasserschaft Melanchthons Schnepf in einem Gutachten Ende August [UB 2, 311–313, Nr. 169; hier 313]: »furschlag philippi« und Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 241–249, Nr. 333; hier 246, Z. 26 f.]: Melanchthon sei »consilij huius princeps«; zum Einverständnis der anderen Ausschußmitglieder Schnepf [UB 2, 313], der mit Ausnahme der Wiederherstellung der bischöflichen Jurisdiktion sein Einverständnis mit dem Schriftstück erklärte, und Brück, Geschichte, 104. 248 Vgl. Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 22 f.]; Johann von Sachsen an Luther 22.8. [WA Br 12, 124–126, Nr. 1691a; hier 124, Z. 13 ff.] und Melanchthon an Luther 10.9. [MBW 1073; MBW T 4/2, 677–679; hier 678, Z. 5 f.]. 249 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 238, Z. 22 ff.]; Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 580–582; hier 581, Z. 9 ff.]; an Dietrich 10.9. [MBW 1072; MBW T 4/2, 676 f.; hier 677, Z. 7 f.] und den von Melanchthon verfaßten offenen Brief E. Ebners an seinen Vater vom 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 679–681; hier 681, Z. 14 ff.]; zudem Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 246, Z. 26 f.] und Jonas’ Gutachten vom 14.9. [UB 2, 423–428, Nr. 189; hier 423]. 250 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581, Z. 7 f.] und an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 17 ff.]. 251 Vgl. zu den altgläubigen Forderungen den Rat einiger Fürsten von Mitte Juli (dazu 245
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ment keinesfalls ohne vorherige Beichte reichen werde; zum anderen betonten sie, daß man in ihren Gebieten keinem Menschen je verweigert habe, das Abendmahl unter einer Gestalt zu empfangen, was implizierte, daß man dies auch in Zukunft nicht tun werde.252 Hinsichtlich der Messen 253 betonte der protestantische Vorschlag, daß man diese bisher in althergebrachter Kleidung und »mit iren substantialen, auch mit gewonlichenn ceremonien« gehalten habe und dabei auch in Zukunft bleiben werde.254 Die Priesterehe255 betreffend legte der Vorschlag zwar noch einmal die protestantische Position dar, wies aber das altgläubige Ansinnen, freiwerdende Pfarrstellen mit unverheirateten Priestern zu besetzen, nicht grundsätzlich zurück, sondern machte nur auf mögliche dabei auftretende praktische Probleme aufmerksam.256 In bezug auf die unversehrten Klöster 257 sagte die protestantische Schrift zu, die darin verbliebenen Mönche und Nonnen ihrer eigenen Verantwortung zu überlassen, ihnen ihre Kleider und Zeremonien zu lassen und keine Gewalt gegen sie anzuwenden.258 Bucer und Capito an Zwingli 22.7. [BC 4, 162, Z. 2 f.]); Ecks »Iudicium de Augustana Confessione« [Schirrmacher, Briefe und Acten, 206] und den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 228, Z. 2 f. und Z. 11 ff.]. 252 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 234 f.; bes. 234, Z. 4 ff.]: »Mann soll darob sein, das das hochwurdig sacrament . . . nit annders dann mit vorgonder beicht inn unnsern furstnthumben unnd gebietten, wie bißher, gereicht unnd genomen soll werden«; [235, Z. 3 ff.]: »ist bißher inn unnsern furstenthumben unnd gebietten niemands geweret worden, das sacrament seines gefallens, wa ers hatt wissen zu bekomen, ze suchen«; dazu Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1254–1259; hier 1259]. 253 Vgl. den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 229, Z. 10 ff.]: »inn gewonlichen kleidungen, uff den altarn, mit innschließung des kleinen unnd grossen canons«. 254 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 235, Z. 11 ff. (Zitat Z. 16 f.)] und dazu Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1259]. 255 Vgl. zu den altgläubigen Forderungen den Rat einiger Fürsten von Mitte Juli (dazu Bucer und Capito an Zwingli 22.7. [BC 4, 161, Z. 11 ff.]); den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 231, Z. 9 ff.] und die Rede von Vehus am 24.8. nach dem Bericht S. Hellers [UB 2, 292–298, Nr. 163; hier 295 f.]. 256 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 235, Z. 20 ff.]. 257 Vgl. den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 232, Z. 3 ff.]: »das alle . . . closter, . . . so noch unzerstoret, also . . . bey singen, lesen unnd andern iren gotzdiennsten, in kleydung irer regel . . . gelassen« werden. 258 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 236, Z. 19 ff.]. Wie diese Aussage auf altgläubiger Seite verstanden wurde, zeigen die Rede von Vehus am 24.8. [UB 2, 297 f.] und der altgläubige Bericht über die Ergebnisse der Verhandlungen des 20. und 21. August [Schirrmacher, Briefe und Acten, 245]: Bestehende Klöster sollen bis zum Konzil bleiben, wie sie sind; man solle sie in ihren Gottesdiensten und Gebräuchen nicht behindern, und, wer wieder eintreten wolle, solle dies tun. Hinsichtlich des genannten Berichts ist folgendes anzumerken: Karl Eduard Förstemann (1804–1847) edierte ihn als »Bericht evangelischer Seite« [UB 2, 274–276, Nr. 159], Friedrich Wilhelm Schirrmacher (1824–1904), Briefe und Acten, 244–246 versah ihn zwar nicht mit einer solch deutlichen Überschrift, verstand ihn allerdings ähnlich (vgl. a. a. O., 244, Anm. 2). Georg Coelestin (1525–1579) hingegen druckte diese relatio in Teil 3 seiner »Historiae«, 592, a–b [falsche Paginierung: Bl. 59 existiert zweimal] mit folgender Einleitung [592, a]: »ex parte Pontificia Delecti, quæ Prote-
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Für den Fall, daß ihnen die gewünschten Zugeständnisse gewährt werden sollten, erneuerten sie ihre Bereitschaft, entsprechend dem kursächsischen Kompromißprogramm Entgegenkommen bei der Jurisdiktion der Bischöfe und bei zahlreichen Zeremonien zu zeigen. Sie erklärten sich bereit, den Bischöfen die Jurisdiktion in geistlichen Fällen zuzugestehen, sich der bischöflichen Gewalt zu unterstellen und für den gebührenden Gehorsam gegenüber den Bischöfen zu sorgen, allerdings unter der Bedingung, daß die Bischöfe ihren eigentlichen Aufgaben – das heißt der rechten Predigt, der Sakramentsverwaltung, der Ordination tüchtiger Prediger und der Sorge um ein züchtiges Leben der Geistlichen – nachkämen und Instrumente wie den Bann nicht mißbrauchten.259 Hinsichtlich bestimmter Zeremonien wie Gesängen, Speisegeboten, Fasten- und Feiertagen erboten sie sich zu größtmöglicher Gleichförmigkeit, betonten aber, daß sie diese nur um der Ordnung, der Einigkeit und des Friedens willen halten würden, nicht aber als einen »nottige[n] gottesdienst«, der die Gewissen der Menschen beschweren könnte.260 Beim letztgenannten Zugeständnis, aber auch in bezug auf die Meßfrage hatten sich die Protestanten bewußt zweideutig ausgedrückt, um dadurch die Möglichkeit zu schaffen, inhaltlich nichts Wichtiges preiszugeben, sich gleichzeitig kompromißbereit zu zeigen und dadurch einen guten Eindruck beim Kaiser zu erwecken.261 stantium de fidei articulis sententia esset, & in quibus largiti aliquid fuerint, in quibus vero remittere atq[ue] concedere vellent & possent, . . . significarunt, . . . ipsa aduersariorum verba, quibus, quæ nostri in causa religionis concessissent, . . . retulerunt«. Für diese Zuordnung spricht, daß andernfalls die Aussagen des Berichts und insbesondere die benutzten Personalpronomina keinen Sinn ergäben. 259 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 238 f.]; Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 26 f.]; Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1259]: »Jurisdictionem Episcopis reddunt, sed certis legibus«; die Beilage zum Brief von Spalatin an Luther 23.8. [WA Br 5, 557–559, Nr. 1692; hier 559, Z. 3 f.]; Melanchthon an einen Unbekannten 1.9. [MBW 1060; MBW T 4/2, 630 f.; hier 631, Z. 22 ff.]; an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 647, Z. 16 ff.]; an Miycllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 12 f.] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 726, Z. 50 ff.]: »ostendebamus nos prolixe illis concessuros esse omnia, quae ad dignitatem episcoporum stabiliendam pertinent. Neque enim id egimus unquam, ut politia ecclesiastica dissolveretur, modo ut evangelium non damnarent pontifices«. 260 Vgl. die protestantische Antwort vom 20.8. [Honée, Libell, 239–241; Zitat 239, Z. 10]; Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 26 f.]; Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1259]; die Beilage zum Brief Spalatins an Luther vom 23.8. [WA Br 5, 559, Z. 4 ]; Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 592, Z. 24 ff.]; Melanchthon an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 647, Z. 18 ff.]; die Vorform der Apologie vom 22.9. [BSLK, 327, Z. 4 4 f.]; Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 12 ff.] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 726, Z. 53 ff.]; zudem im Rückblick Bucer an A. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 641–648, Nr. 529; hier 646]. 261 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 246, Z. 27 f.]: »facile vnumquemque pro sua commoditate illa interpretaturum«; Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621 f., Z. 15 ff.]: »omnia quae largiti sumus habent eiusmodi exceptiones, ut episcopi satis intelligant offerri ῥήματα ἀντὶ ἀλφίτων« und Brenz an Eisenmenger 11.9. [CR 2,
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Melanchthon war sich darüber im klaren, daß dieser Vorschlag äußerst entgegenkommend war,262 ging aber davon aus, daß sich dieses Entgegenkommen nur auf Äußerlichkeiten beziehe, die man ohne Verletzung des Gewissens zugestehen könne, und kein wichtiger Artikel preisgegeben worden sei.263 Zudem fühlte er sich in Übereinstimmung mit Luther, da das Kompromißprogramm mit ihm ja vor dem Reichstag beraten worden war.264 Er war zwar skeptisch, ob die Zugeständnisse von den Altgläubigen angenommen würden und eine Einigung zustande käme, wünschte sich aber in jedem Fall eine Annahme des Vorschlags durch die Altgläubigen.265 Auch die meisten anderen Delegierten und ihre Auftraggeber zweifelten daran, daß die Gegner die Vorschläge akzeptieren würden. Im Grunde scheint ihnen dies allerdings ganz recht gewesen zu sein, da man so seine Kompromißbereitschaft gezeigt hatte und sich gleichzeitig nicht mit den realen Folgen der Zugeständnisse auseinandersetzen mußte.266 Obwohl die Übergabe des Vorschlags ohne vorherige Genehmigung durch die protestantischen Stände geschehen war – laut Sebastian Heller lag dies am 361 f., Nr. 898; hier 361]: »oportebat nos viam munire calumniis, ne nostri adversarii coram imperatore . . . traducerent nos tanquam carnales voluptatis assertores«; [362]: »ita proposuimus, ut videamur aliquid concessisse, cum re ips nihil plane concesserimus«. Später erklärten die Wittenberger Theologen diese Zweideutigkeit durch den Zwang der Altgläubigen; vgl. das Gutachten von Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon (V f.) an die Nürnberger Geistlichen vom 17. 2 . 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 121–132; hier 126, Z. 79 f.]: »Augustae rem eo adduxerant [adversarii], ut simul articulos conderemus ambiguos, flexiloquos«. 262 Vgl. Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 25 f.]: »Nos moderatissimas condiciones proposuimus«; an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 582, Z. 22 f.] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 726, Z. 56]. Camerarius, De vita Melanchthonis, 145 sprach von conditiones commodae. 263 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581, Z. 5 f.]: »adversariis promiserimus nos politica quaedam concessuros, quae sine offensione conscientiae concedi poterant«; 31.8. an Camerarius [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 34 f.]: volumus »in rebus non maximi momenti alicubi adversariis morem gerere. Quem ego locum, quem articulum necessarium deserui?« und an Harer [MBW 1055; MBW T 4/2, 624; hier Z. 3 f.]; an Luther 1.9. [MBW 1058; MBW T 4/2, 626–628; hier 628, Z. 13 f.]: »Ego nullum adhuc articulum deserui aut abieci, qui ad doctrinam pertineat. Tantum stomachantur de politicis rebus« und an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 25 f.]: »nullus articulus concessus est adversariis, quem magnopere oportuit defendi«. 264 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 21 f.]: »nihil adhuc concessimus adversariis praeter ea quae Lutherus censuit esse reddenda re bene ac diligenter deliberata ante conventum« und den von Melanchthon verfaßten Brief E. Ebners an seinen Vater vom 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 681, Z. 10 f.]: »quicquid adhuc adversariis hic concessit [sc. Melanchthon], arbitror eum de Lutheri et aliorum prudentium sententia concessisse«. 265 Vgl. Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 28]: »Haec quantum habitura sint momenti, ignoro« und im Rückblick an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 20 ff.]: »Hae conditiones . . . sunt . . . non acceptae. Mihi quidem verius utrique parti fuisse consultum videretur, si essent approbatae«. 266 Vgl. die Aussage Johanns von Sachsen laut den Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. (2) [CR 2, 320–323, Nr. 869; hier 322] und Brenz an Eisenmenger 11.9. [CR 2, 362]: »Non est timendum, ut adversarii nostra media acceptent«.
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Druck der Gegner 267 –, gelangte er zum Kaiser und über ihn auch an den Papst.268 c) Die Verhandlungen am 20. und 21. August Auf der Grundlage der beiden Vorschläge begannen die Delegierten am 20. August Verhandlungen über Laienkelch, Messe und Priesterehe. Die protestantischen Zugeständnisse der bischöflichen Jurisdiktion und verschiedener Zeremonien scheinen von altgläubiger Seite stillschweigend angenommen worden zu sein, denn in den Berichten über die Verhandlungen werden sie nicht erwähnt; erst in den anschließenden Verhandlungen im Sechser-Ausschuß wurden sie noch einmal thematisiert. Allerdings scheinen sich die protestantischen Delegierten gegen eine allzu große Anzahl von Fastentagen gewehrt zu haben.269 Zu Beginn der Verhandlungen am 20. August legten die altgläubigen Ausschußmitglieder zunächst ihre Schwierigkeiten und Forderungen zu den Themen Laienkelch, Priesterehe und Messe dar: In bezug auf den Laienkelch vergewisserten sie sich, daß die Protestanten dazu stünden, keinem das Abendmahl ohne vorherige Beichte zu reichen. Dann verliehen sie ihrem Unmut darüber Ausdruck, daß die Protestanten nicht lehren wollten, daß auch eine Gestalt recht sei, und forderten deshalb von ihnen, sie sollten lehren, daß es gleichgültig sei, ob man unter einer oder beiderlei Gestalt kommuniziere, da ja unter jeder Gestalt der ganze Christus sei. Schließlich betonten sie, daß keinem abgeschlagen werden dürfe, das Abendmahl unter einer Gestalt zu empfangen.270 Bei der Meßfrage betonten sie, daß man zwar hinsichtlich der Beibehaltung von Kleidung und Zeremonien einig sei, beklagten aber die Unklarheit der protestanti267 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 263–271, Nr. 154; hier 264]: »hatt aber der annder teil embsig angehallten«. Allerdings scheinen Sebastian Heller und Brenz dem ansbachischen Kanzler Georg Vogler fälschlicherweise berichtet zu haben, daß die übergebenen Artikel vorher mit den Ständen beraten worden waren; vgl. dazu Spengler an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 35–38; hier 36]. 268 Vgl. Brenz an Eisenmenger 3.9. [CR 2, 337 f., Nr. 882; hier 338]: »media nostra . . . Caesari oblata sunt, . . . [ad papam] media nostra misit«. Dies bestätigen auch die Erwartungen, der Vorschlag könnte doch noch angenommen werden (vgl. unten Kap. 1.4.8.1). 269 Vgl. zur Einigung über die beiden Themen Melanchthon an einen Unbekannten 1.9. [MBW 1060; MBW T 4/2, 631, Z. 24 f.]: »De esu carnium et similibus quoque conveniunt« (das quoque impliziert eine Einigung bei der zuvor angesprochenen bischöflichen Jurisdiktion); zu den Verhandlungen des Sechser-Ausschusses unten Kap. 1.4.8 und zur Ablehnung bestimmter Fastentage Leib, Annales, 550. 270 Vgl. zu diesen Forderungen bereits den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 228, Z. 2 ff.]; die Anzeige der Altgläubigen vom 20.8. nach dem Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 265 f.]; den altgläubigen Vorschlag vom 21.8. [UB 2, 274, Nr. 158]; Melanchthons Bericht für Johann von Sachsen vom 22.8. [MBW 1035; MBW T 4/2, 577, Z. 1 ff.]; Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1256]; Vehus’ Bericht an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 248, Z. 25 ff. bzw. Ehses, Campegio, 139–141] und Luther in der »Warnung an seine lieben Deutschen« von Oktober [WA 30/3, 289, Z. 23 ff.].
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schen Aussagen, aufgrund derer man nicht erkennen könne, ob sie auch zur Zulassung der Privatmessen und Meßkanones bereit seien. Und bei der Priesterehe warfen sie die Frage auf, ob die Protestanten in den Vorschlag einwilligen würden, nach dem Weggang verheirateter Priester unverheiratete zu suchen.271 Darauf hin betonten die Protestanten, daß sie nicht weiter nachgeben könnten.272 Hinsichtlich des Laienkelchs signalisierten sie allerdings Gesprächsbereitschaft über Dispense in casibus necessitatis, worüber dann auch zäh verhandelt wurde.273 Man einigte sich schließlich aber nur auf das gemeinsame Bekenntnis zur Konkomitanzlehre. Außerdem sagten die Protestanten zu, niemanden zu verdammen, der unter einer Gestalt kommuniziere. Sie waren jedoch nicht bereit, sich darauf einzulassen, auch diejenigen, die das Sakrament reichten, zu entschuldigen, oder auf der Kanzel zu lehren, daß auch eine Gestalt des Sakraments recht sei, daß es völlig gleichgültig sei, ob man das Abendmahl unter einer oder beiderlei Gestalt empfange, und daß diejenigen, die unter nur einer Gestalt kommunizierten, nicht sündigten.274 Die Themen Messe und Priesterehe scheinen, wenn überhaupt, nur kurz diskutiert worden zu sein.275 Im Hinblick auf die Meßfrage waren die protestanti271 Vgl. die Anzeige der Altgläubigen vom 20.8. nach dem Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 266] und Vehus’ Bericht an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 249, Z. 10 f. und 251, Z. 11 ff. bzw. Ehses, Campegio, 141]. 272 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 269]. 273 Vgl. zu diesen Diskussionen den Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 270]. 274 Vgl. zur Sichtweise der Protestanten und zur Einigung Brenz’ Gutachten vom 20.8. [UB 2, 272, Nr. 156; Köhler, Brentiana 7, 236 f.; hier 237; 237 f.; hier 238]; Melanchthons Gutachten zur Konkomitanzlehre vom 20.8. [MBW 1030; MBW T 4/2, 569]; die protestantische Erklärung vom 21.8. [Honée, Libell, 250, Z. 1 ff.]; den Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 270]; den altgläubigen Bericht über die Verhandlungen am 20. und 21.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 244 f.]; Vehus’ Bericht an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 249, Z. 23 ff. und 252, Z. 17 ff. bzw. Ehses, Campegio, 141 f.]; Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 579, Z. 17 f.]: »Ego non potui hoc recipere [sc. indifferens esse sumere unam aut ambas] et tamen excusavi hos, qui hactenus unam sumpserunt«; Vehus’ Rede am 24.8. [UB 2, 293]; Melanchthons Gutachten vom 24./25.8. [MBW 1043; MBW T 4/2, 594–596; hier 594 f.]; Melanchthon an Luther 29.8. [MBW 1050; MBW T 4/2, 614–617; hier 616, Z. 4 ff.] und an einen Unbekannten 1.9. [MBW 1060; MBW T 4/2, 631, Z. 17 ff.] und sein Gutachten für Plackery vom 3./4.9. [MBW 1062; MBW T 4/2, 638–641; hier 639, Z. 4 ff.]; die protestantische Klarstellung vom 4.9. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 254 f., hier 255]; Melanchthon an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 647, Z. 11 ff.]: »excusavimus sumentes, qui . . . coguntur uti Sacramentis, quemadmodum porriguntur. Itaque excusat hos necessitas. Sed autores prohibicionis utriusque speciei non excusavimus«; von Tetleben, Protokoll, 128 und 133 und Melanchthons spätere Erinnerung an Joachim II. von Brandenburg am 23. 4. 1532 [MBW 1234; MBW T 5, 273–275; hier 275, Z. 40 ff.]. Vgl. zur bleibenden Uneinigkeit zudem Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 21 ff.]; die Erinnerung Johann Friedrichs von Sachsen an Melanchthon am 24. 8. 1535 [MBW 1610; MBW T 6, 425–428; hier 427, Z. 23 ff.] und die Erinnerung Luthers in seiner Schrift »Verantwortung der aufgelegten Aufruhr« von 1533 [WA 38, 96–127; hier 125, Z. 9 ff.]. 275 Vgl. Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 21 f.]: »De missa, votis, coniugio nihil disputatum est«.
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schen Ausschußmitglieder entsprechend ihrem Vorschlag nur zu Zugeständnissen bei den Zeremonien, nicht aber zur Beibehaltung von Privatmessen und Meßkanones bereit. Ansonsten kam man zu keinen konkreten Ergebnissen.276 Da keine der beiden Seiten zu weiterem Nachgeben bereit war, wurden die Verhandlungen am Abend des 21. August abgebrochen. 1.4.6 Berichte über die Verhandlungen und Kritik an den protestantischen Delegierten Am 22. August trugen beide Seiten die vorläufigen Ergebnisse der Ausschußverhandlungen ihren Ständen vor.277 In der Sitzung der Protestanten fanden das Vorgehen der eigenen Delegierten und insbesondere ihre Zugeständnisse an die Altgläubigen zwar die Zustimmung Kurfürst Johanns und Markgraf Georgs, die Gesandten Hessens, Lüneburgs, Nürnbergs und vielleicht auch einiger anderer Städte waren jedoch nicht damit einverstanden.278 Viele Gesandte der protestantischen Stände schickten darauf hin Berichte über den Ausschuß bzw. Abschriften der ausgetauschten Vorschläge in ihre Heimat: Sowohl die Nürnberger als auch die hessischen Gesandten berichteten ihren Räten schon am 23. August und baten um Antwort.279 In Nürnberg wurde der protestantische Vorschlag darauf hin vom Rat und von den Theologen begutachtet und weitgehend abgelehnt, das Gutachten der Theologen ging bereits am 26. August mit der Post zurück nach Augsburg.280 Philipp von Hessen reagierte auf die Berichte seiner 276 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 20./21.8. [UB 2, 270]; den altgläubigen Bericht über die Verhandlungen am 20. und 21.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 245]; Schuller an Weiß 22.8. [Jordan, Briefe, 228–231; hier 229]; Vehus’ Rede am 24.8. [UB 2, 294]; Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 244, Z. 1 ff.]; die protestantische Klarstellung vom 4.9. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 255]; Melanchthon an einen Unbekannten 1.9. [MBW 1060; MBW T 4/2, 631, Z. 20 f.]: »De missa et coelibatu non convenimus« und an Heß 6.9. [MBW 1066; MBW T 4/2, 647, Z. 14 ff.]: »De coniugio iniquissimas condiciones proposu erunt. Itaque non recepimus. Recusavimus eciam privatas missas restituere«; Bucer an einen Unbekannten 29.12. [BC 5, 119–127, Nr. 366; hier 122, Z. 8 f.]; Leib, Annales, 550 und von Tetleben, Protokoll, 128 f. 277 Vgl. Vehus’ Bericht an die altgläubigen Stände am 22.8. [Honée, Libell, 205–253]; Schirrmacher, Briefe und Acten, 239 und 242 und von Tetleben, Protokoll, 124 ff. 278 Vgl. die Berichte der Nürnberger [CR 2, 300–302, Nr. 855; hier 301] und der hessischen Gesandten vom 23.8. [Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 283, Anm. 2 ]; Bucer an die Straßburger Prediger 25.8. [BC 4, 228–232, Nr. 330; hier 230, Z. 1 ff.] und an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 245, Z. 3 ff.]: »prinicpibus eorum consentientibus, exceptis tamen legatis eius [sc. Philipp von Hessen] . . . Hi, vt iussi sunt, perstant in prima confesssione, nihil admittentes mediorum«; die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 31.8. [PC 1, 491 f., Nr. 786] und 10.9. [PC 1, 495 f., Nr. 789] und Brück, Geschichte, 104; zur Kritik dieser Stände auch den Überblick unten Kap. 5.1.2.2. 279 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 23.8. [CR 2, 300–302] und den Bericht der hessischen Gesandten vom 23.8. [Teile bei Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 282, Anm. 1 und 283, Anm. 2 ]. 280 Vgl. das Bedenken Spenglers von vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 58– 70] und das vor allem auf Osiander zurückgehende Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8 [OG 4, 145–153, Nr. 149], die beide sehr eng miteinander zusammen-
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Gesandten am 29. August mit zwei Instruktionen, in denen er sie in ihrer Ablehnung des Vorgehens der protestantischen Ausschußmitglieder bestärkte.281 Die Nürnberger waren zwar darum bemüht, ihre Kritik nicht nach außen zu tragen, um Schaden von Melanchthons Ruf abzuwenden.282 Dennoch kursierten zum einen die Schriftstücke der Nürnberger Theologen und Philipps von Hessen,283 zum anderen berichteten so viele Gesandte über die Arbeit des Ausschusses,284 daß der protestantische Vorschlag und die Zugeständnisse in den folgenden Wochen vielen Protestanten im ganzen Land bekannt wurden. Sie stießen etwa in Augsburg selbst, in Nürnberg, Reutlingen, Schwäbisch Hall, Ansbach, Zürich und weiteren Städten auf Ablehnung und lösten heftige Kritik aus, die sich in Gestalt von Gerüchten (sermones, rumores, fama) schnell verbreitete, was den Kreis der Kritiker immer mehr erweiterte.285 Die Vorwürfe richteten sich oft gegen alle protestantischen Ausschußmitglieder, das heißt gegen Melanchthon, Markgraf Georg, Brück, Brenz, Sebastian Heller und Johann Friedrich, für viele Kritiker war aber Melanchthon die wichtigste Zielscheibe, da sie in ihm den »Verführer« der anderen Delegierten sahen.286 hängen (vgl. Haussdorff, a. a. O., 70); zum Gutachten der Theologen Hofmann, OG 4, 140 und zu den Inhalten der Kritik den Überblick unten Kap. 5.1.2.2 c). 281 Vgl. die beiden Instruktionen Philipps an seine Räte in Augsburg vom 29.8. [CR 2, 323–325, Nr. 870 und CR 2, 325–327, Nr. 871] und zur inhaltlichen Kritik den Überblick unten Kap. 5.1.2.2 a). 282 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 312–314, Nr. 861; hier 314]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 27.8. [Vogt, Korrespondenz, 37] und Spengler an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36]. 283 Vgl. die Aufforderung Philipps von Hessen am 29.8. [CR 2, 327], seine Gesandten sollten die Instruktionen den Vertretern der Städte zeigen, und den Bericht über ein Treffen der hessischen Räte mit Verordneten der Städte, bei dem die Briefe Philipps verlesen wurde, im Bericht der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 4.9. [CR 2, 338 f., Nr. 883; hier 339]; zudem Spengler an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36 f.]. 284 Vgl. z. B. den Brief von Meglein an Weiß vom 6.9. [Meglein, Briefe, 1260–1262; hier 1261], dem der altgläubige und der protestantische Vorschlag beilagen. 285 Vgl. zur Ablehnung der Zugeständnisse in den Städten Brenz an Eisenmenger 8.9. [CR 2, 356 f., Nr. 893; hier 357]: »Conditiones et media nostra, quae proposuimus, ecclesia stae fere omnium urbium, quas evangelicas vocant, damnant« und Gussmann, Ratschläge 1, 173. Vgl. die Rede von Gerüchten in den Briefen von Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 332 f., Beilage zu Nr. 876; hier 332]; Camerarius an Agricola 30.8. [CR 2, 331 f., Nr. 876; hier 332]; Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621, Z. 9 ]; Sailer an Spalatin Ende August (die genaueren Datierungen dieses Briefes in CR 2 und UB 2, 286 sind laut Keim, Schwäbische Reformationsgeschichte, 196, Anm. 2 »willkürlich«) [CR 2, 295–297, Nr. 852; hier 297]: »rumores, qui iam ubique apud nos sparguntur«; Melanchthon an Camerarius 1.9. [MBW 1057; MBW T 4/2, 625 f.; hier 626, Z. 9 ]; Rurer an Althamer 6.9. [Kolde, Redaktion, 114 f.]; im von Melanchthon verfaßten Brief E. Ebners an seinen Vater 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 681, Z. 12]; bei Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 24]; in Luthers Predigt vom 16.10. [WA 32, 127–134, Nr. 16; hier 132, Z. 14] und bei Tschudi an Zwingli 15.12. [CR 98, 277– 280, Nr. 1147; hier 278, Z. 14]; zu den konkreten Inhalten der Vorwürfe den Überblick unten Kap. 5.1. 286 Vgl. z. B. die Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 148 f.;
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Auch Melanchthon berichtete aus seiner Sicht über die Ereignisse in Augsburg und warb bei seinen Adressaten um Verständnis für die Zugeständnisse und sein Vorgehen im Ausschuß.287 Und es lag ihm viel an Luthers Rat, ein Bedürfnis, das er mit anderen Vertretern Kursachsens teilte, so daß sich in den folgenden Tagen neben Melanchthon auch Kurfürst Johann und Spalatin an Luther wandten. Melanchthon und Spalatin baten Luther um sein Urteil zu zwei Punkten: Zum einen sollte er sich zu den Forderungen der Gegner äußern, über die es ja wahrscheinlich zu weiteren Verhandlungen kommen würde, und damit zusammenhängend zu eventuellen weiteren protestantischen Zugeständnissen bei Laienkelch, Privatmessen und Meßkanones – diese wurden vor allem von Melanchthon in Betracht gezogen.288 Zum anderen lag ihnen an einer Stellungnahme Luthers zu einer möglichen Bitte an den päpstlichen Legaten um Toleranz bis zu einem Konzil.289 Als Grundlage für seine Stellungnahmen erhielt Luther den altgläubigen Vorschlag und einen Fragenkatalog Melanchthons zu den in den Verhandlungen strittig gebliebenen Punkten, nicht hingegen die Schrift der protestantischen Ausschußvertreter, obwohl Johann dies später gegenüber den Nürnberger Gesandten behauptete. Spalatin fügte seinem Brief lediglich eine Kurzzusammenfassung des bekannten Kompromißprogramms an.290 Luther äußerte sich Ende August sowohl zu den Fragen Mehier 149]: »Es halt yederman darfur der Melanchto wird den Curfursten verfuern«; Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 332]: »accusant propugnatores Evangelii et inprimis Philippum«; Luther an Melanchthon 20.9. [MBW 1082; MBW T 4/2, 705–707; hier 706, Z. 2 ff.]: »non credis, quantis vocum et literarum nubibus sim obrutus plenis querelarum de vobis, praesertim de te« und unten Kap. 3.5.1.2 und Kap. 3.10.1. 287 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581 f.]; an Harer 31.8. [MBW 1055; MBW T 4/2, 624]; an einen Unbekannten 1.9. [MBW 1060; MBW T 4/2, 630 f.]; an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 721–723]; an Silberborner Ende Oktober / Anfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 725–729] und den für E. Ebner verfaßten Brief an seinen Vater vom 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 680 f.]. 288 Vgl. Johann von Sachsen [WA Br 12, 125, Z. 31 ff.] und Melanchthon an Luther 22.8. [MBW 1036; MBW T 4/2, 580, Z. 21]; Spalatin an Luther 23.8. [WA Br 5, 557, Z. 2 ]: »Nunc vehementer petimus tuum responsum«; [Z. 10 ff.]: »Philippus Melanchthon . . . videtur paulo quidem amplius ipsis cessurus. Tantum tu nobis responde statim, quid tuto et incolumi Dei gloria et verbi eius et nostra salute permittere possimus« und die Beilage zu diesem Brief [WA Br 5, 559, Z. 6 ]: »Scribe igitur, obsecro, quid de hoc casu sit faciendum«; Melanchthon an Camerarius 25.8. [MBW 1042; MBW T 4/2, 593]; an Luther [MBW 1050; MBW T 4/2, 616, Z. 2 ff.]: »Tuum iudicium de postulatis adversariorum nondum accepimus, cum quidem maxime intersit nos id habere. Adhuc tota res posita est in his negociis« und an Dietrich 29.8. [MBW 1051; MBW T 4/2, 617 f.; hier 618, Z. 10 ff.]; zum Nachdenken über weitere Zugeständnisse unten Kap. 1.4.8.2. 289 Vgl. Spalatin an Luther 23.8. [WA Br 5, 557, Z. 14 f.] und Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 591–593; hier 593, Z. 37 f.]: »Dubitatur postremo, an liceat nostris a Legato Romani pontificis petere pacem et toleranciam usque ad futurum concilium«. 290 Vgl. zu den Schriftstücken, die Luther erhielt, Johann von Sachsen an Luther 22.8. [WA Br 12, 124, Z. 17 ff. und 125, Z. 31 ff.]; die Beilage zum Brief Spalatins an Luther vom 23.8. [WA Br 5, 559, Z. 1 ff.] und Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW
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lanchthons als auch zum altgläubigen Kompromißvorschlag und lehnte die meisten Forderungen der Gegner, aber auch viele Überlegungen Melanchthons ab.291 Zudem betonte er noch einmal, daß es ausreiche, um einen politischen Frieden zu bitten.292 Neben den Kursachsen berichteten Luther auch andere Protestanten über die Religionsverhandlungen beim Reichstag und die Kritik an den protestantischen Ausschußmitgliedern. Dem Brief Philipps von Hessen lagen sogar Kopien von Dokumenten aus Augsburg bei.293 Viele Kritiker rechneten fest damit, daß Luther aufgrund dieser Nachrichten vehement gegen den protestantischen Vorschlag vorgehen werde.294 Luthers Reaktionen waren allerdings sehr zurückhaltend. Er lehnte zwar – wie berichtet – den altgläubigen Vorschlag und viele der Überlegungen Melanchthons ab, zeigte sich aber insgesamt solidarisch mit seinen Kollegen in Augsburg und beruhigte die Kritiker. Er betonte immer wieder, man müsse sich keine Sorgen machen, da der altgläubige Vorschlag ja von den Protestanten nicht angenommen worden sei und diese nur bei der bischöflichen Jurisdiktion und einigen Festen nachgegeben hätten.295 Er äußerte sein Vertrauen auch gegenüber seinen Kollegen in Augsburg, erklärte, er könne sich aus seinen bisherigen Informationen die Kritik anderer Protestanten nicht erT 4/2, 591–593]; zur Aussage Johanns die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 322]. Dafür, daß Luther den protestantischen Vorschlag nicht erhielt, sprechen seine Aussage an Melanchthon am 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 606, Z. 10 f.]: »deo gratia, quod vos nihil istorum recepistis« und seine in der folgenden Anmerkung genannten Stellungnahmen, die sich ausschließlich auf die Fragen Melanchthons und den gegnerischen Vorschlag bezogen. 291 Vgl. Luther an Johann von Sachsen [WA Br 5, 572–575, Nr. 1697] und an Jonas 26.8. [WA Br 5, 579 f., Nr. 1700; hier 579, Z. 4 ff.]; sein Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 589–597, Beilage zu Nr. 1707]; zudem 20.9. an Linck [WA Br 5, 624–626, Nr. 1720; hier 625, Z. 7 ff.] und an Jonas [WA Br 5, 628–630, Nr. 1722; hier 629, Z. 13 ff.]; zu den Inhalten seiner Kritik den Überblick unten Kap. 5.1.1. 292 Vgl. Luther an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 607, Z. 42]. 293 Vgl. die Forderung, Luther über den Stand der Verhandlungen zu benachrichtigen, im Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 152, Z. 8 ff.]. Dies taten in den folgenden Wochen viele Protestanten; vgl. Luther an Melanchthon [MBW 1082; MBW T 4/2, 706, Z. 2 ff.] und an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 4 f.]: »interim tonitrua et fulgura ad me feruntur a quibusdam nostrorum magnis et multis«; [629, Z. 42 f.]: »violentia . . . literarum, quibus me nostri flagellant«; konkret z. B. Spengler (vgl. Luthers Brief an ihn 28.8. [WA Br 5, 587–589, Nr. 1707; hier 587, Z. 1 ff.]); Philipp von Hessen (vgl. sein Brief an Luther 29.8. [WA Br 5, 599–601, Nr. 1709; hier 600, Z. 2 ff.]) und Linck (vgl. Luthers Brief an ihn 20.9. [WA Br 5, 625, Z. 1 f.]: »Legi tuas gravissimas querelas . . . de nostro Philippo«). 294 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 150, Z. 5 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 68]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 2.9. [Vogt, Korrespondenz, 38–40; hier 39] und Philipp von Hessen an Zwingli 4.9. [CR 98, 111–113, Nr. 1088; hier 113, Z. 1]. 295 Vgl. Luther an Spengler 28.8. [WA Br 5, 587, Z. 1 ff.]; an Philipp von Hessen 11.9. [WA Br 5, 619 f., Nr. 1717; hier 619, Z. 5 ff.]; an Linck 20.9. [WA Br 5, 625, Z. 1 ff.] und an Hausmann 23.9. [WA Br 5, 631 f., Nr. 1723; hier 631, Z. 4 ff.]; zudem seine Aussage an Melanchthon am 20.9. [MBW 1082; MBW T 4/2, 706, Z. 7 ff.].
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klären, und hoffte, daß ihm keine wichtigen Informationen vorenthalten wurden.296 Es stellt sich die Frage, wie diese Äußerungen Luthers einzuordnen sind, ob er die Zugeständnisse des protestantischen Vorschlags nicht als so bedenklich einstufte wie andere Protestanten, da er sie mittrug bzw. wußte, daß mit den Altgläubigen keine Einigung zustandegekommen war, oder ob er die Einzelheiten der Zugeständnisse auch durch die Briefe der anderen Protestanten nicht erfahren hatte und damit von anderen Voraussetzungen ausging. Diese Frage muß offen bleiben, da nicht mehr zu erhellen ist, welche Kopien dem Brief Philipps von Hessen beilagen. 1.4.7 Altgläubige Bemühungen um einen kleineren Ausschuß Die Altgläubigen traten bereits am 23. August an Kurfürst Johann heran und versuchten, ihn von der Notwendigkeit eines kleineren Ausschusses zu überzeugen. Sie begründeten ihre Bitte damit, daß der Vierzehner-Ausschuß so viele strittige Fragen unbeantwortet gelassen habe.297 Von einer solchen Verkleinerung erhofften sie wohl vor allem weitere Zugeständnisse der Protestanten. Aus diesem Grund scheint ihnen daran gelegen zu haben, daß nur noch die nachgiebigeren protestantischen Delegierten und vor allem Melanchthon im Ausschuß vertreten sein würden,298 dagegen Leute wie Brenz und Schnepf bzw. Georg von Sachsen, die sich in einigen Fragen gegen eine Einigung gestellt hatten, aus den Verhandlungen herausgehalten würden.299 Eine solche Entwicklung befürchteten wohl auch viele der protestantischen Stände und sprachen sich deshalb gegen die Bildung eines kleineren Ausschusses aus. Einige waren sogar der Ansicht, die protestantischen Fürsten hätten aufgrund der 296 Vgl. Luther an Melanchthon [MBW 1082; MBW T 4/2, 706, Z. 9 ff.]: »Stat autem sentencia vobis pocius credere quam illis [sc. criticis], nec spero, quod me aliquid celetis, si ad rem pertinet« und an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 6 ff. und 629, Z. 35 f.]: »fac ut resciscam, an interim aliquid plus acciderit, quod nollem. Nam hactenus acta a proximis literis non video quid officiant«. 297 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 23./24.8. [UB 2, 290–292, Nr. 162; hier 290]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 312] und Brück, Geschichte, 105. 298 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 1 ff.] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 145: »Insidiose hoc institutum ab adversariis suspicantur multi, quibus cupiditas pacis in Philippo, et animus placidus a contentionibusque alienus non esset ignotus. Itaque callide ii solum Philippum retineri studuisse existimabantur, quo facilius retinerentur ea, quae nolebant amittere«. 299 Vgl. allgemein Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 2 ]; zu Brenz seinen Brief an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317 f., Nr. 866 (mit falschem Datum; vgl. Brecht, Brenz, 21, Anm. 66); hier 317]: »ego de conventione desperavi«; Schuller an Weiß 27.8. [Jordan, Briefe, 232], wo er berichtete, Brenz habe im Vierzehner-Ausschuß nicht nachgeben wollen, und deshalb habe man einen neuen Ausschuß gebildet, »und thetten den Brentzen auch heraußhen, dann er wöllt in nit all Ding bewilligen«; unten Kap. 3.5.1.3 und Brecht, a. a. O.; zur Position Schnepfs oben Anm. 247 und zu Georg von Sachsen die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 23.8. [CR 2, 301]; den Bericht S. Hellers vom 23./24.8. [UB 2, 290] und Schirrmacher, Briefe und Acten, 242, bes. Anm. 2 .
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Fruchtlosigkeit der Unterhandlungen schon längst abreisen sollen.300 Auf Drängen Albrechts von Brandenburg stimmten die Protestanten einem verkleinerten Ausschuß schließlich aber doch zu, allerdings nur unter der Bedingung, daß ausschließlich über einen friedlichen Anstand verhandelt werde und die eigenen Delegierten nicht weiter nachgeben, sondern nur die Vorschläge der Gegenseite anhören und vor allem nichts ohne vorherige Bewilligung der Stände entscheiden sollten – Forderungen, die sich in erster Linie an Melanchthon richteten.301 Die altgläubigen Stände trugen ihren Delegierten auf, weiterhin einen Weg zur Einigung zu suchen, allerdings nichts ohne das Wissen der Stände und des Kaisers zu beschließen. Im Falle einer Weigerung der Protestanten, weiter nachzugeben, sollte ihnen ein Konzilsangebot unterbreitet werden.302 1.4.8 Die Verhandlungen des Sechser-Ausschusses vom 23. bis zum 28. August 1.4.8.1 Die Verhandlungen im Ausschuß und die Beratungen der Protestanten Der verkleinerte Ausschuß setzte sich aus jeweils drei Delegierten beider Seiten zusammen: Die Altgläubigen entsandten Vehus, den kurkölnischen Kanzler Bernhard von Hagen 303 und Eck, die protestantische Seite wurde durch Brück, Sebastian Heller und Melanchthon vertreten.304 In der ersten Sitzung des Ausschusses am 24. August bekräftigten die Altgläubigen ihren Willen, sich zum einen um einen Vergleich der im VierzehnerAusschuß strittig gebliebenen Glaubensartikel zu bemühen, zum anderen die dort begonnene Diskussion über die Mißbrauchsartikel fortzusetzen. Zu diesem 300
Vgl. Schuller an Weiß 22.8. [Jordan, Briefe, 230] und 27.8. [a. a. O., 232]. Vgl. zum Streit um einen kleineren Ausschuß und zu seiner Bewilligung den Bericht S. Hellers vom 23./24.8. [UB 2, 291]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 23.8. [CR 2, 301]; die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 487–489, Nr. 783; hier 487]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 312 f.]; die Eingabe der Protestanten vom 28.8. [UB 2, 306–310, Nr. 168; hier 307]; Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 4 ff.]; die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 31.8. [PC 1, 491]; den Verweis auf ein Schriftstück der hessischen Gesandten ohne Datum bei Gussmann, Ratschläge 1, 393, Anm. 16; Brück, Geschichte, 105; Schirrmacher, Briefe und Acten, 242 f.: »Philippo Melanchtoni fuit iniunctum, ne quid amplius concederet« und Wigand, Historia, 140 f. Vielleicht bezog sich auch die Aussage des Obsopoeus im Brief an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]: »Audio etiam, segregare eum [sc. Melanchthonem] principes a religionis protectione« auf den genannten Beschluß der protestantischen Stände. 302 Vgl. das Zitat aus dem in der Reichskanzlei geführten Protokoll bei Honée, Libell, 77; von Tetleben, Protokoll, 131 und Immenkötter, Einheit, 57. 303 Bei der Aufzählung der Mitglieder des Vierzehner- und des Sechser-Ausschusses sprechen die Quellen zwar nur vom kurkölnischen Kanzler, da dies im Jahr 1530 aber eindeutig Bernhard von Hagen war, ist seine Anwesenheit in beiden Ausschüssen nicht zweifelhaft (vgl. Sommer, Hermann von Wied, 203 f.; gegen Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 9] und Friedrich / Hamm / Puchta, BC 4, 247, Anm. 48 f.; die dort angeführte Person – Johann Maier von Eck – ließ sich nirgends verifizieren). 304 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 23./24.8. [UB 2, 290 f.] und Brück, Geschichte, 105. 301
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Zweck legte Vehus am 24. August noch einmal die die Mißbrauchsartikel betreffenden Forderungen der Altgläubigen dar: In bezug auf den Laienkelch verlangten sie weiterhin, daß die Protestanten um des Friedens willen predigten, auch eine Gestalt sei recht, und daß sie Schwachen im Glauben den Empfang des Abendmahls unter einer Gestalt nicht verweigerten. Zur Bekräftigung der letztgenannten Forderung scheinen die Altgläubigen unter anderem auf den »Unterricht der Visitatoren« aus dem Jahr 1528 verwiesen zu haben.305 Bei der Messe forderten sie die Protestanten auf, die Privatmessen nicht aufzugeben und die beiden Meßkanones eventuell mit interpretierenden Glossen beizubehalten. Die strittigen Fragen hinsichtlich der Messe, das heißt vor allem der Konflikt um die applicatio missae, könnten einem künftigen Konzil anheimgestellt werden.306 Hinsichtlich der Priesterehe wiederholte Vehus unter anderem die Forderung, vakante Stellen mit unverheirateten Priestern zu besetzen.307 Schließlich scheinen die Altgläubigen die Beibehaltung einer größeren Anzahl von Festen, als die Protestanten bisher angeboten hatten, verlangt zu haben. Und im Blick auf die Jurisdiktion der Bischöfe forderten sie, man solle ihnen auch die Examination und Zulassung der Prediger überlassen.308 Die Protestanten zeigten hierauf an, sie könnten sich auf keine weitere Diskussion einlassen und seien nur zu Verhandlungen über einen friedlichen Anstand bis zum Konzil bereit.309 Nach dieser ersten Sitzung trafen sich die protestantischen Stände am 25. August zu einer internen Beratung, um noch einmal das Vorgehen im Ausschuß abzustimmen. Dabei wurde die Uneinheitlichkeit ihrer Meinungen offensichtlich: Die Sachsen erklärten ihre Bereitschaft zur Fortsetzung der Verhandlungen über die strittigen Artikel und verlasen ein Gutachten Melanchthons über mögliche weitere protestantische Zugeständnisse. Sie rechneten wohl damit, daß der protestantische Vorschlag doch noch angenommen und dadurch Gewalt verhindert werden könnte.310 Die Gesandten Hessens, Lüneburgs und der Städte hingegen wollten sich vor Beratungen mit ihren Herren 305
Vgl. Vehus’ Rede am 24.8. [UB 2, 292–298]; Brück, Geschichte, 106 und von Tetleben, Protokoll, 133; zu den Forderungen auch den altgläubigen Bericht über die Verhandlungen am 20. und 21.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 245]; Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 591, Z. 9 ff.] und Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]. 306 Vgl. Vehus’ Rede am 24.8. [UB 2, 294 f.] und von Tetleben, Protokoll, 133; zudem den altgläubigen Bericht über die Verhandlungen am 20. und 21.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 245]; Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 592, Z. 14 ff.] und 29.8. [MBW 1050; MBW T 4/2, 616, Z. 10 ff.]. 307 Vgl. Vehus’ Rede am 24.8. [UB 2, 297]. 308 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 134; zudem Melanchthon an Luther 25.8. (2) [MBW 1041; MBW T 4/2, 592, Z. 24 ff.] und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 313]. 309 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 23./24.8. [UB 2, 291 f.]; die Antwort der protestantischen Delegierten vom 24.8. [UB 2, 298 f., Nr. 164]; Brück, Geschichte, 115 und von Tetleben, Protokoll, 132 und 134. 310 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 582, Z. 23 ff.]; sein Gut-
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nicht noch einmal auf inhaltliche Verhandlungen einlassen. In diesem Zusammenhang kam es laut einem Bericht der Nürnberger Gesandten zum Streit zwischen Melanchthon und dem lüneburgischen Kanzler Furster und zu Angriffen von Schnepf auf Melanchthon.311 Man einigte sich schließlich darauf, daß die Delegierten im Ausschuß weitere Vermittlungsverhandlungen ablehnen und statt dessen Gespräche über einen friedlichen Anstand bis zu einem Konzil vorschlagen sollten.312 Entsprechend legte Brück in der nächsten Sitzung des Ausschusses am 26. August die Sichtweise der Protestanten dar.313 Als darauf hin Eck in äußerst scharfem Ton forderte, als Vorleistung für ein Konzil müßten alle Religionsneuerungen zurückgenommen werden, verließen die protestantischen Delegierten die Sitzung.314 Am 27. August trafen sich die protestantischen Stände zu einer erneuten internen Beratung, wobei die Stände die drei protestantischen Ausschußvertreter zum Abbruch der Verhandlungen drängten und beschlossen, zu dem bereits vor den Ausschußverhandlungen begonnenen Projekt einer protestantischen Entgegnung auf die altgläubige »Confutatio« zurückzukehren.315 Entsprechend diesem Votum verfaßten die protestantischen Delegierten eine letzte schriftliche Eingabe für den Ausschuß und übergaben diese am 28. August: Sie wiesen darauf hin, daß sie sich wiederholt bereiterklärt hatten, alles nachzugeben, was »mit gott vnnd gewissen« geschehen könne, daß aber die Verhandlungen keine befriedigenden Ergebnisse gebracht hätten. Zudem bekräftigten sie, man könne über einen friedlichen Anstand bis zum Konzil verhandeln.316 Damit war der offizielle Teil der Verhandlungen beendet. Allerdings scheinen sich die altgläubigen Delegierten nicht mit einem Ende der Verhandlungen abgefunden zu haben. Dafür spricht folgende Mitteilung Valentin von Tetlebens (1488/89–1551), des Generalvikars des Mainzer Erzbischofs, in seinem Bericht über den Augsburger Reichstag: Die drei altgläubigen Delegierten versuchten nach Überreichung der protestantischen Eingabe ein achten über weitere Zugeständnisse vom 24./25.8. [MBW 1043; MBW T 4/2, 594–596] und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 313]. 311 Vgl. zur Ansicht Lüneburgs und Hessens Bucer an die Straßburger Prediger 25.8. [BC 4, 234, Z. 4 f.]; zu ihrer ablehnenden Haltung in den Beratungen die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 313]. Vielleicht bezieht sich auch der Bericht Baumgartners an Spengler vom 13.9. [CR 2, 363–365, Nr. 899; hier 364] auf diesen Streit. 312 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 313 f.] und die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 31.8. [PC 1, 491]. 313 Vgl. Brück, Geschichte, 119. 314 Vgl. den Bericht S. Hellers vom 26.8. [UB 2, 301, Nr. 166] und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 320]. 315 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 321] und Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 13 ff.]. 316 Vgl. die Eingabe der Protestanten vom 28.8. [UB 2, 306–310, Nr. 168; hier 306 (Zitat) und 308].
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letztes Mal, ihre protestantischen Kollegen aus der Reserve zu locken und unterbreiteten ihnen einen neuen weitreichenden Vermittlungsvorschlag (media ultima).317 Die drei protestantischen Delegierten nahmen diesen Vorschlag zunächst gegen die Anweisungen ihrer Stände entgegen, brachten aber deutlich zum Ausdruck, daß sie dabei nicht im Namen ihrer Fürsten, sondern als Privatpersonen handelten. Aufgrund dieses Verhaltens der protestantischen Delegierten hegten die Altgläubigen die Hoffnung, sie könnten die Protestanten von einer Wiedereinsetzung des Vierzehner-Ausschusses überzeugen. Die protestantischen Stände scheinen darauf hin zu Beratungen zusammengetreten zu sein. Sie lehnten das altgläubige Ansinnen kategorisch ab, da sie befürchteten, dies diene nur dazu, ihre Vertreter zu weiterem Nachgeben zu bewegen. Ausschlaggebend für diese Haltung war wohl auch die mittlerweile eingetroffene Antwort Luthers, in der er die altgläubigen Vergleichsvorschläge ablehnte. Deshalb gaben die protestantischen Ausschußmitglieder Ende August ihren altgläubigen Kollegen eine abschlägige Antwort, betonten aber ihre Bereitschaft zu Verhandlungen über einen friedlichen Abschied.318 Diese letzte Episode der Ausschußverhandlungen zeigt deutlich, daß auf der Grundlage der engen Vorgaben, die vor allem den protestantischen Delegierten gemacht worden waren, keine Verhandlungen möglich waren. So wurde die Arbeit des Ausschusses wohl in den letzten Augusttagen offiziell beendet, und die Eingabe der Protestanten vom 28. August ging an den Kaiser.319 1.4.8.2 Melanchthons Haltung zu Verhandlungen über die Glaubensfrage Wir wissen aus Briefen und schriftlichen Aufzeichnungen Melanchthons, daß er intensiv über die bereits im Vierzehner-Ausschuß geäußerten altgläubigen Forderungen nachdachte. Ihre Gefährlichkeit war ihm durchaus bewußt. Seine Äußerungen deuten darauf hin, daß er alles abgelehnt hätte, wäre eine Entscheidung von ihm als Privatperson gefordert gewesen. Da er jedoch wußte, daß sein Verhalten für viele andere Menschen von Bedeutung war, fühlte er sich zu einem anderen Vorgehen genötigt. Er wollte die Forderungen zwar nicht alle annehmen, war aber doch bereit, den Altgläubigen um des Friedens und der 317
Dieser Vorschlag ist im Rahmen von Vehus’ Bericht über den Sechser-Ausschuß gedruckt bei Honée, Libell, 278 f.; vgl. dazu Honée, a. a. O., 80 f. 318 Vgl. von Tetleben, Protokoll, 136 f.; zum altgläubigen Plan einer Wiedereinsetzung des Vierzehner-Ausschusses und zur protestantischen Ablehnung die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 31.8. [PC 1, 491]; Ehinger an den Memminger Rat 2.9. [Dobel, Ehinger, 55 f., Nr. 19; hier 55]; Schirrmacher, Briefe und Acten, 248 und Honée, Libell, 83 f. 319 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 4.9. [CR 2, 338 f.] und Melanchthons Berichte über das Ende der Verhandlungen vom 1.9. an Luther [MBW 1058; MBW T 4/2, 627 f., Z. 2 ff.]: »Ante triduum finitum est colloquium nostrum. Noluimus enim conditiones de altera sacramenti parte, de Canone et privatis missis, item de coelibatu recipere. Nunc res iterum ad Imperatorem relata est« und an Dietrich [MBW 1059; MBW T 4/2, 628 f.; hier 629, Z. 6 ff.].
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Einheit willen in einigen Punkten entgegenzukommen: 320 In bezug auf den Laienkelch merkte er an, es sei den Lutherischen nicht zuwider, Schwachen im Glauben das Abendmahl unter einer Gestalt zu reichen.321 Im Blick auf die Messen war er zu einer Beibehaltung der Privatmessen bereit, wenn die Lehre von der applicatio missae bis zur Entscheidung eines Konzils suspendiert werden sollte. Auch die Kanones könne man beibehalten, wenn man ihnen interpretierende Glossen beifüge und das Opfer beispielsweise im Sinne eines Dankopfers verstehe.322 Und hinsichlich der Priesterehe war er willens, den von den Altgläubigen geforderten Anhang zu dulden, daß man nach dem Sterben verheirateter Priester unverheiratete suchen werde.323 Diese kompromißbereite Gesinnung Melanchthons blieb auch der Gegenseite nicht verborgen und gab etwa Eck Anlaß zu Hoffnung: Er wandte sich am Abend des 27. August in einem Brief an Melanchthon und beschwor ihn, er solle zur Einheit (concordia) der Kirche beitragen und über Themen wie das Meßopfer nicht streiten, da man solche Streitfragen ja auf ein Konzil verschieben könne. Um Melanchthon zum Einlenken zu bewegen, betonte er abschließend, daß dann Friede werde und man gemeinsam gegen die Türken vorgehen könne.324 Wenn es nach dem Willen Melanchthons gegangen wäre, hätte er sich also auf weitergehende Verhandlungen mit den Altgläubigen eingelassen. Ihm war aber bewußt, daß er dies gegen den Willen der protestantischen Stände und seiner Kollegen nicht tun konnte. Aufgrund des klaren Auftrags der eigenen Stände fühlte er sich gezwungen, seine eigenen Ansichten zu verbergen, und 320
Vgl. Spalatin an Luther 23.8. [WA Br 5, 557, Z. 10 ff.]: »Philippus Melanchthon pertaesus malignitate et impietate incredibili adversariorum videtur paulo quidem amplius ipsis cessurus«; Melanchthon an Luther 26.8. [MBW 1046; MBW T 4/2, 600–602; hier 601, Z. 4 f.]: »Urgent [adversarii] de missa privata deque aliis rebus proponunt condiciones, quas non satis tutum videtur accipere«; 29.8. an Luther [MBW 1050; MBW T 4/2, 616, Z. 14 f.]: »Video nobis insidias strui. Et quid mihi in privata confessione faciendum esset, facile iudicare possum. Sed haec res est communis omnium« und an Dietrich [MBW 1051; MBW T 4/2, 618, Z. 6 ff.]: »Ego tamen eciam duriores condiciones arbitror nobis accipiendas esse propter publicam ecclesiae tranquillitatem et concordiam«; dazu auch Rurer an Althamer 6.9. [Kolde, Redaktion, 115]. 321 Vgl. Melanchthons Gutachten vom 24./25.8. [MBW 1043; MBW T 4/2, 595, Z. 33 ff.] und vom 3./4.9. [MBW 1062; MBW T 4/2, 639, Z. 7 f.]. 322 Vgl. Melanchthons Gutachten über den Meßkanon von ca. 20.8. [MBW 1032; MBW T 4/2, 573 f.] und 21.8. mit dem Titel »Glossemata moderatissima Canonis« [MBW 1033; MBW T 4/2, 574 f.; bes. 575, Z. 14]: »graciarum actio dici potest«; sein Bericht für Johann von Sachsen vom 21./22.8. [MBW 1035; MBW T 4/2, 577, Z. 12 ff.]; Johann von Sachsen an Luther 22.8. [WA Br 12, 125, Z. 38 ff.] und Melanchthons Gutachten vom 24./25.8. [MBW 1043; MBW T 4/2, 595, Z. 35 ff.]. 323 Vgl. Melanchthons Gutachten vom 24./25.8. [MBW 1043; MBW T 4/2, 596, Z. 58 ff.]. 324 Vgl. Eck an Melanchthon 27.8. [MBW 1048; MBW T 4/2, 608–610]; zur Datierung auf den Abend und zum Bekanntwerden des Briefes Spalatin, Annales, 190.
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sah sich dadurch in seinem Handlungsspielraum beschränkt.325 In Briefen machte er allerdings seinem Unmut und seinen Sorgen wegen der unnachgiebigen Haltung der protestantischen Stände Luft, denn für ihn sah es so aus, als seien die protestantischen Stände zu schwach und ließen die nun gegebene Gelegenheit zum Frieden absichtlich fahren, die ein vir bonus jedoch ergreifen müsse.326 Allerdings wurde ihm in diesen letzten Augusttagen auch klar, daß er mit seiner Mäßigung nicht das hatte erreichen können, was er sich vorgestellt hatte, sondern sich die »Unverschämtheit« der Gegner eher noch gesteigert hatte, und daß es im Blick auf die vom Kaiser ausgehenden Gefahren wohl auch nichts genutzt hätte, den Altgläubigen in allem entgegenzukommen.327 1.4.9 Erneute Kritik der Nürnberger Gesandten Nach Abbruch der Verhandlungen sprachen die Nürnberger Gesandten am 29. August auf Vorschlag aus ihrer Heimatstadt mit Kurfürst Johann von Sachsen und Georg von Brandenburg und trugen ihnen die Nürnberger Kritik am protestantischen Vorschlag vor. Johann wies die Vorwürfe zurück und rechtfertigte das Vorgehen der protestantischen Delegierten im Ausschuß. Er machte deutlich, daß man »um Erhaltung Frieds und Einikeit« nachgegeben habe, wo es »ohne Beschwerung der Gewissen« möglich war, daß die Vorschläge »unverbindlich« gewesen seien und man die Verhandlungen in Augsburg vor dem Reichstag mit Luther vorbereitet habe. Auch Georg beruhigte die Gesandten und versicherte ihnen, daß nichts mehr ohne vorherige Beratung unternommen werde.328
325 Vgl. Melanchthon an Luther 25.8. (1) [MBW 1040; MBW T 4/2, 589, Z. 7]: »Nunc me omnia dissimulare cogunt« und an Camerarius 29.8. [MBW 1052; MBW T 4/2, 619 f.; hier 620, Z. 12]: »res extracta est ἐμοῦ πραγματεύοντος«. 326 Vgl. Melanchthon 25.8. an Luther (1) [MBW 1040; MBW T 4/2, 589, Z. 8 f.]: »voluntates nostrorum mirabiliter aut imbecilles aut parum in loco fortes« und an Camerarius [MBW 1042; MBW T 4/2, 593, Z. 3 f.]; an Luther 26.8. [MBW 1046; MBW T 4/2, 601, Z. 8 ]: »imbecillitas animi in nostris ἡγεμόσιν«; [602, Z. 12 f.]: »haec ῥαθυμία καὶ ἀπορίαι videntur . . . significare aliquod malum reipublicae«; 29.8. an Dietrich [MBW 1051; MBW T 4/2, 618, Z. 3 ]: »Nostri . . . videntur de industria τὰς ἀφορμὰς εἰρήνης negligere« und an Camerarius [MBW 1052; MBW T 4/2, 619, Z. 4 ff.]: »fato aliquo accidit, opinor, ut effugiant e manibus αἱ ἀφορμαὶ τῆς εἰρήνης. Mihi non perinde cupidi videntur pacis nonnulli ex nostris, ut oportuit viros bonos et amantes religionis«; [620, Z. 10 f.]: »videre haec vicia nostrarum parcium cogerer« und an Camerarius 1. 1. 1531 [MBW 1111; MBW T 5, 28 f.; hier 29, Z. 16 f.]: »Augustae, quocies significavi deesse nostris animi robur«. 327 Vgl. Melanchthon an Luther 25.8. (1) [MBW 1040; MBW T 4/2, 589, Z. 4 f.]: »nostra moderatio in talibus locis auget ferociam hominum insolentium« und an Dietrich 1.9. [MBW 1059; MBW T 4/2, 629, Z. 8 f.]: »arbitror tantundem fuisse periculi apud Caesarem, eciamsi condiciones illas [sc. adversariorum] accepissemus«. 328 Vgl. den Vorschlag zu einem solchen Treffen im Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 151, Z. 9 ff.] und den Bericht über die Treffen bei den Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 322 f.; Zitate 322].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
1.5 Die vierte Phase des Reichstags: Verhandlungen auf Initiative König Ferdinands und das Ende des Reichstags (September 1530) Vor allem die Altgläubigen wollten sich mit den mageren Ergebnissen der Ausschüsse nicht zufrieden geben und starteten deshalb im September zahlreiche weitere Vermittlungsversuche, die allerdings wie schon die Ausschußverhandlungen daran scheiterten, daß im Grunde weder altgläubige noch protestantische Stände zu weiterem Nachgeben bereit waren. 1.5.1 Weitere Sonderverhandlungen Melanchthons Anfang September Anfang September wandte sich Aegidius von Plackery (auch Gilles de Blocquerie),329 der Generalvikar des Lütticher Bischofs Eberhard von der Mark (1472–1538), an Melanchthon und bat ihn um ein Gutachten. Melanchthon schrieb dieses am 3. und 4. September, legte darin noch einmal seine Haltung zu den Fragen von Laienkelch, Priesterehe und Messe dar und betonte die fairen Bedingungen (conditiones aequae) der Protestanten.330 Nach einem Gespräch mit dem Lütticher Generalvikar wandte sich auch Otto Beckmann (1476–1540) aus Münster, der als Bevollmächtigter des Osnabrücker Bischofs in Augsburg war, an Melanchthon.331 Beckmann schrieb Melanchthon zweimal – am 4. und am 5. September – und bat ihn dabei vor allem um eine Liste von Artikeln, die den Protestanten zugestanden werden sollten.332 Möglicherweise kam es zwischen den beiden Briefen zu einem Treffen zwischen Beckmann, Melanchthon und dem Lütticher Kanzler in der Augsburger Georgskirche.333 Zu konkreten Ergebnissen führten diese Verhandlungen jedoch nicht. 1.5.2 Der Vermittlungsversuch von Hieronymus Vehus ab 10. September Am 10. September wandte sich Hieronymus Vehus im Namen von König Ferdinand an Melanchthon und bat ihn zusammen mit Brück zu einer Unterredung.334 Bei diesem Treffen teilte Vehus mit, er wolle die Möglichkeit neuer 329 Die Lebensdaten Plackerys sind nicht bekannt. Man weiß nur, daß er in Köln studierte, ab 1516 in Lüttich war und von 1517 bis 1549 das Amt des Generalvikars und von 1527 bis 1549 das eines »président du conseil ordinaire« versah. Dies läßt vermuten, daß er 1549 verstorben ist (vgl. Daris, Histoire 4, 240). 330 Der Brief Plackerys ist verloren; vgl. das Gutachten Melanchthons für ihn vom 3./4.9. [MBW 1062; MBW T 4/2, 638–641]. 331 Beide waren seit über zehn Jahren befreundet und hatten sich sicher beim Reichstag bereits des öfteren unterhalten; so hatte Melanchthon zum Beispiel Ende Juli berichtet, daß Beckmann die Fürsten zum Frieden ermahne; vgl. an Dietrich 28.7. [MBW 995; MBW T 4/1, 463 f.; hier 463, Z. 4 ff.]; Beckmanns herzliche Anrede Melanchthons am 5.9. [MBW 1065; MBW T 4/2, 645, Z. 2 ] und Honselmann, Vermittlungsversuch, 431 und 434 f. 332 Vgl. Beckmann an Melanchthon 4.9. [MBW 1063; MBW T 4/2, 641–643] und 5.9. [MBW 1065; MBW T 4/2, 645 f.]. 333 Vgl. Honselmann, Vermittlungsversuch, 439. 334 Vgl. zu diesem Vermittlungsversuch Melanchthon an Luther 10.9. [MBW 1073; MBW
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Glaubensverhandlungen erkunden und hierfür Kurfürst Johann von Sachsen und Markgraf Georg von Brandenburg-Ansbach gewinnen. Brück und Melanchthon lehnten dies mit der Begründung ab, daß mit keinem weiteren Entgegenkommen auf protestantischer Seite zu rechnen sei. Allerdings scheint Vehus diese Auskunft nicht als endgültige Absage aufgefaßt zu haben, denn am 11. September legte er zusammen mit Georg Truchseß von Waldburg (1488– 1531), dem Statthalter König Ferdinands in Württemberg, ein Acht-PunkteProgramm vor. Es sollte Grundlage für einen Abschied sein 335 und wurde Gregor Brück überreicht. Am 12. September lud Kurfürst Johann die Vertreter der protestantischen Stände ein und ließ ihnen durch Brück Bericht über den altgläubigen Vorschlag erstatten.336 Deren Meinung war nach wie vor gespalten: Die Räte Lüneburgs, Hessens und Nürnbergs wiederholten ihre Ansicht, man solle nur noch über einen friedlichen Anstand verhandeln. Melanchthon und andere Kursachsen scheinen demgegenüber zu weiteren Verhandlungen bereit gewesen zu sein. Melanchthon ärgerte und sorgte sich wieder über die Hartnäckigkeit der anderen Protestanten, aufgrund derer eine Einigung und damit auch der Friede in immer weitere Ferne rückten und seiner Meinung nach große Gefahren drohten.337 Letztlich setzte sich aber doch die Meinung der anderen Stände durch, und den altgläubigen Unterhändlern wurde am 13. September ein ablehnender Bescheid übergeben.338 Die Unterhändler versuchten zwar noch, Markgraf Georg zu gewinnen, und verhandelten mit ihm einige Zeit, doch war auch mit ihm letztlich kein Ergebnis zu erzielen.339 Am 20. September versuchten Vehus und von Waldburg trotzdem, die Protestanten in einem letzten Vorschlag unter anderem zu einer Vertagung der Entscheidung über die T 4/2, 679, Z. 11 f.]: »hodie de quibusdam condicionibus pacis deliberavimus«; Campeggio an Salviati 13.9. [NBD Erg. 1, 124–129, Nr. 32; hier 127]; Brück, Geschichte, 155–160; die Berichte bei Schirrmacher, Briefe und Acten, 293 ff. und 307 ff.; Immenkötter, Einheit, 72 ff.; Ders., Reichstag und Konzil, 11 ff. und Honée, Libell, 91 ff. 335 Dieser Vorschlag ist gedruckt bei Honée, Libell, 311–314, Nr. 6 ; vgl. dazu Ders., Vehus, 40 f. 336 Vgl. zu diesem Treffen die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 13.9. [CR 2, 365–368, Nr. 900; hier 366–368] und den Bericht S. Hellers von Mitte September [UB 2, 420–423, Nr. 188; hier 421]. 337 Vgl. zur Haltung Melanchthons und der Kursachsen Melanchthon 10.9. an Camerarius [MBW 1071; MBW T 4/2, 672–675; hier 673, Z. 11 ff.]: »Vides me . . . in miserrimis curis ac doloribus . . . Pacem videremur consecuturi, si paulo essent aequiores ac tractabiliores isti . . . Nunc preter nostros nemo sustinet audire ullam moderatam vocem«, an Dietrich [MBW 1072; MBW T 4/2, 677, Z. 5 f.] und an Luther [MBW 1073; MBW T 4/2, 679, Z. 14 ff.]: »Nihil moderati respondent legati Norici et Hessi, et assentantur his Luneburgii. Nostri iudicant non esse amittendam occasionem faciendae pacis, si qua fieri honeste possit« und an Camerarius 19.9. [MBW 1079; MBW T 4/2, 698–700; hier 699, Z. 7 ff.]. 338 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 13.9. [CR 2, 366 ff.]. 339 Vgl. das Gutachten der Räte und Theologen Markgraf Georgs vom 13.9. [Honée, Libell, 326–329, Nr. 10]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.9. [CR 2, 385 f., Nr. 911; hier 385]; die Berichte S. Hellers von Mitte September [UB 2, 421 ff.] und ca. 20.9 [UB 2, 455 f., Nr. 199] und Brück, Geschichte, 161 und 173.
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strittigen Punkte zu überreden, aber auch dieser Versuch scheiterte, da beim Kaiserhof schon die Entscheidung über einen Abschied gefallen war.340 Es ist unklar, ob sich Melanchthon entgegen der Entscheidung der protestantischen Stände auf weitere Verhandlungen einließ. Dies behaupteten die Gesandten der Städte und Philipps von Hessen sowie Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg, als sie am 15. und 16. September bei Kurfürst Johann waren und sich darüber beschwerten, daß Melanchthon, Brenz und Sebastian Heller weiter verhandelten, obwohl dies nicht mit ihnen abgestimmt worden sei. Johann behauptete, nichts von derartigen Verhandlungen zu wissen, und sagte zu, er werde Melanchthon einschärfen, sich weder schriftlich noch mündlich auf weitere Gespräche einzulassen. Melanchthon selbst stritt ab, sich auf neuerliche Verhandlungen eingelassen zu haben, als er von Brück darauf angesprochen wurde.341 Gegen weitere Verhandlungen oder sogar Zugeständnisse Melanchthons spricht folgendes: zum ersten Äußerungen Melanchthons zu den in den Ausschüssen verhandelten Themen, in denen er von seinen Überlegungen hinsichtlich weiterer Zugeständnisse abrückte,342 zum zweiten ein Gutachten der Wittenberger Theologen von Mitte September, in dem sie sich für Verhandlungen über einen äußerlichen Frieden aussprachen,343 zum dritten die Beobachtung Capitos, Melanchthon sei hartnäckig geworden und bleibe bei seiner Meinung 344 und zum vierten eine Aussage des katholischen Reforma tionshistorikers Kilian Leib (1471–1553), der behauptete, im September sei alle Hoffnung auf Einigung verschwunden.345
340 Vgl. Vehus’ und von Waldburgs Vorschlag vom 20.9. [Honée, Libell, 330–336, Nr. 11]; zudem die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.9. [CR 2, 385 f.] und 22.9. [CR 2, 386– 388, Nr. 912]; den Bericht S. Hellers vom 21.9. [UB 2, 466–472, Nr. 204] und Brück, Geschichte, 176 f. 341 Vgl. Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 372 f., Nr. 902; hier 372] und die Beilage zum Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 147–149; hier 147 f.]; zu den Inhalten der Kritik unten Kap. 3.5.1.4, Kap. 3.7.3 und Kap. 3.9.3.1. 342 Vgl. zu den Themen Priesterehe und Messe Melanchthons Gutachten vom 3./4.9. [MBW 1062; MBW T 4/2, 639 f., Z. 12 ff.]; seine Notizen vom 7.9. [MBW 1067; MBW T 4/2, 648–659; hier 650–652 und MBW 1068; MBW T 4/2, 659–661; hier 660 f., Z. 11 ff.] und sein Gutachten über die Meßfrage vom 7.9. [MBW 1069; MBW T 4/2, 661–663]. 343 Vgl. das Gutachten der protestantischen Theologen für Johann von Sachsen vom 17.9. [MBW 1078; MBW T 4/2, 694–698; hier 696, Z. 19 ff.]. 344 Vgl. Capito an Bucer 13.9. [BC 4, 275–286, Nr. 340; hier 285, Z. 2 f.]: »huius [sc. Electoris Saxoniae] theologus [sc. Melanchthon] induruit ac immotus sententia consistit« und dazu Friedrich / Hamm / Puchta, BC 4, 285, Anm. 72. 345 Vgl. Leib, Annales, 552: »Omnis itaque concordiae spes, quam ipsimet Lutherani principes eorumque primarii dogmatistae nunc Caesari, nunc Legato, tum verbis, tum scriptis, publice et privatim per totos tres menses praebuerant, omnino evanuit«.
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1.5.3 Ein Vermittlungsversuch von vier kaiserlichen Unterhändlern Parallel zu Vehus’ Vermittlungsversuch bemühten sich vier kaiserliche Unterhändler bei Campeggio um seine Zustimmung zu den vier von Melanchthon vorgelegten Forderungen der Protestanten bis zu einem Konzil. Campeggio lehnte dies aber mit dem Verweis auf ein fehlendes Mandat aus Rom ab.346 1.5.4 Das Ende des Reichstags Nachdem Kurfürst Johann von Sachsen dem Kaiser immer dringlicher seine Absicht abzureisen angezeigt hatte, berief der Kaiser einen Ausschuß ein, in dem über den Wortlaut eines Abschied beraten werden sollte.347 Dieser wurde am 21. September fertiggestellt und am 22. September durch den kaiserlichen Sekretär Alexander Schweiß verlesen.348 Er billigte den Protestanten eine Bedenkfrist von sieben Monaten zu, um über die nicht-verglichenen Artikel zu beraten, und stellte eine Konzilsausschreibung innerhalb der nächsten sechs Monate in Aussicht. Der Abschied wurde aber von den protestantischen Ständen abgelehnt, vor allem weil darin behauptet wurde, die CA sei »durch die heilligen Euangelien vnd geschriften mit gutem grund widerlegt vnd abgeleint«, und weil er die Protestanten als Sekte bezeichnete.349 Die protestantischen Stände boten dem Kaiser eine Vorform der späteren Apologie an, die dieser allerdings nicht annahm.350 Nach heftigen Auseinandersetzungen über den Abschied reiste Kurfürst Johann mit seinen Theologen, den Herzögen von Lüneburg und Wolfgang von Anhalt am folgenden Tag aus Augsburg ab und ließ nur einige Räte zurück.351 Melanchthon empfand den Abschied im Gegensatz zu den anderen Protestanten 352 als sehr gemäßigt (moderatissima sententia), und es erschien ihm, als habe die kleine von den Protestanten zurückgewiesene Bemerkung des Abschieds, die CA sei durch das Evangelium widerlegt worden, die Wiedervereinigung der Christenheit im letzten Augenblick verhindert. Zudem sah er auch die Nürnberger mitverantwortlich für die Verhinderung des Friedens, da sie auf ihrer starren Haltung beharrt hatten, obwohl die Gegner 346 Vgl. Tiepolo an den Rat von Venedig 15.9. [von Walter, Depeschen, 73–75; hier 74 f.]. 347 Vgl. Ehinger an den Memminger Rat 17.9. [Dobel, Ehinger, 58, Nr. 23]; Brück, Geschichte, 173 und von Tetleben, Protokoll, 150 ff. 348 Vgl. die Berichte S. Hellers vom 22./23.9. [UB 2, 601–604, Nr. 211; hier 601 f.] und 23.9. [UB 2, 604–607, Nr. 212, hier 605]; Brück, Geschichte, 183 ff.; von Tetleben, Protokoll, 156 ff. und Honée, Kontinuität, 88 f. 349 Der Abschied ist gedruckt in UB 2, 474–478, Nr. 206; vgl. zu den anstößigen Aussagen 475 (Zitat) und 477. 350 Die Vorform der Apologie ist gedruckt in BSLK, 145–404; vgl. die Berichte in UB 2, 481–483, Nr. 208 und bei Spalatin, Annales, 196 f. 351 Vgl. Brück, Geschichte, 190–206. 352 Brenz sprach im Brief an Eisenmenger vom 1.10. [CR 2, 396, Nr. 919] z. B. von einer sententia non aequa.
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annehmbare Bedingungen vorgelegt hätten.353 All dies scheint ihn wieder in große Sorgen gestürzt zu haben.354 Einige Wochen später gelangte allerdings auch Melanchthon zu der Einsicht, daß die Protestanten mit der Ablehnung des Abschieds richtig gehandelt hatten.355 Bereits auf der Rückreise und zuhause in Wittenberg arbeitete Melanchthon fieberhaft an der Ausarbeitung der vom Kaiser abgelehnten Apologie der CA, die allerdings erst im April 1531 im Druck erschien.356 Er bezog in dieser Schrift schärfer Stellung als in der CA und legte sich keine Zurückhaltung mehr auf,357 da ihm klar geworden war, daß seine Milde in Augsburg nicht das hatte bewirken können, was er sich vorgestellt hatte.358 Wohl wegen seines unbefriedigenden Endes blickte Melanchthon auf den Augsburger Reichstag nicht gerne zurück; 359 die Schuld für die Verhinderung einer Einigung gab er nun aber nicht mehr den protestantischen Ständen, sondern in erster Linie Campeggio, den er ab diesem Zeitpunkt stets negativ beurteilte.360 In Augsburg wurde noch einige Wochen weiter verhandelt, bis am 19. November der von den katholischen Ständen beschlossene endgültige Abschied verlesen wurde. Dieser hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem Abschied vom 353 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.9. [MBW 1084; MBW T 4/2, 708 f.; hier 708, Z. 6 und Z. 9 ff.]: »Haec particula postremo impedivit concordiam, ἀλλ΄οἱ ὑμεδαποὶ μονονουχὶ μόνοι ἐκώλυσαν ποιεῖν εἰρήνην, ἐπειδὴ οἱ ἀντίδικοι προέθεσαν συνθήκας ἐπιεικεῖς«. 354 Vgl. Hessus an Luther 16.11. [WA Br 5, 686–688, Nr. 1754; hier 688, Z. 49 ff.]: »ego, dum [sc. 27./28.9.] hic [sc. Nuremburgae] esset [Melanchthon], . . . uiderem, virum optimum pluribus, quam etiam tunc satis ferre posset, oneratum curis«. 355 Vgl. Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 723, Z. 37 f.]. 356 Vgl. Melanchthon 12.11. an Camerarius [MBW 1098; MBW T 4/2, 738–740; hier 739, Z. 29 ff.] und an Dietrich [MBW 1099; MBW T 4/2, 740–742; hier 741, Z. 9 f.] und den Druck der Apologie in BSLK, 141–404. 357 Vgl. Melanchthon 19.9. an Camerarius [MBW 1079; MBW T 4/2, 699, Z. 12 ff.]: »scripsi his diebus Apologiam Confessionis nostrae, quae . . . Scripsi accurate et vehementer« und an den kaiserlichen Prediger Aegidius [MBW 1081; MBW T 4/2, 701–705; hier 702, Z. 2 ff. – Entwurf ]: »Sumus enim occupati in adornanda Apologia exhibenda Imperatori, quae futura est aliquanto asperior, quam fuit Confessio, si nihil aequi impetrare possumus«; [704, Z. 5 – endgültige Fassung]: »est Apologia eiusmodi scripta, ut satis habeat [n]ervorum«; zudem Brecht, Apologie, 63. 358 Vgl. Melanchthons Einleitung zu den Mißbrauchsartikeln in der Apologie vom 22.9. [BSLK, 327, Z. 46 f.]: »Haec moderatio, quam speramus nobis apud Deum profuturam esse, nihil profuit nobis apud aduersarios«; seine Briefe an Baumgartner 1. 1. 1531 [MBW 1110; MBW T 5, 27 f.; hier 27, Z. 5 f.]: »adversarii nulla moderacione nostrorum flecti potuerunt, ut pacem facerent« und an Brenz 8. 4. 1531 [MBW 1143; MBW T 5, 93; hier Z. 7 f.]: »Ego plane abieci πραύτητα, qua erga adversarios antea usus sum«. 359 Vgl. Melanchthon an Silberborner Ende Oktober / A nfang November [MBW 1093; MBW T 4/2, 725, Z. 6 f.]: »minime delectat me illarum rerum recordacio« und an Obernburger 23. 6. 1532 [MBW 1258; MBW T 5, 309, Z. 4 f.]. 360 Vgl. den Exkurs im 12. Artikel der Apologie von Ende April 1531 [BSLK, 145–404; hier 278 f.] und die Briefe Melanchthons an Carion 17. 8. 1531 [MBW 1177; MBW T 5, 171–173; hier 173, Z. 42 f.] und an Camerarius 29. 9. 1531 [MBW 1190; MBW T 5, 205 f.; hier 205, Z. 27 f.] und 22. 5. 1532 [MBW 1244; MBW T 5, 286 f.; hier 286, Z. 4 ff.].
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22. September, sondern stellte eine Erneuerung des Wormser Edikts von 1521 dar.361 Daß es in Augsburg nicht zu einem Ausgleich kam, lag zum einen daran, daß das kursächsische Kompromißprogramm auf protestantischer Seite nicht mehrheitsfähig war, zum anderen waren auf altgläubiger Seite zwar Teile des Kaiserhofs, insbesondere Valdés und einige gemäßigte Fürsten zu Zugeständnissen bereit, diese wurden jedoch von den Befürwortern einer harten Linie gegenüber den Protestanten und dann auch von der Kurie und vom päpstlichen Legaten in Augsburg strikt abgelehnt.
1.6 Zusammenfassung Die Darstellung des Reichstags hat verdeutlicht, daß die Kursachsen und unter ihnen vor allem Melanchthon diejenigen im protestantischen Lager waren, die am ehesten auf einen Ausgleich mit den Altgläubigen hofften und sich am intensivsten um eine Verhandlungslösung bemühten. Melanchthon geriet schnell in die Rolle des protestantischen Wortführers, die ihm allerdings wohl nicht immer behagte, wenn man seine Sorgen und Ratbedürfigkeit betrachtet. In den unzähligen Gutachten, die er im Lauf dieses Jahres erstellte, in der CA und in seinen Sonderverhandlungen mit Vertretern der altgläubigen Seite bemühte er sich stets um Mäßigung als Grundlage einer Einigung mit den Altgläubigen und brachte immer wieder das Kompromißprogramm zur Sprache, auf das sich die Wittenberger Theologen in ihren Beratungen vor dem Reichstag geeinigt hatten. Als er eine Lösung des Glaubenszwiespalts näherrücken sah, war er zwar zu darüber hinausgehenden Zugeständnissen bereit und wandelte die eine oder andere Aussage etwas ab, zumal er der Ansicht war, die Zugeständnisse gälten nur bis zu einem Konzil. Als jedoch offensichtlich wurde, daß keine Einigung zustandekommen würde, nahm er von diesen Zugeständnissen wieder Abstand und kehrte zu den Grundlagen des gemeinsam erarbeiteten Vorschlags zurück.362
Kapitel 2: Das Verhältnis zwischen Lutherischen und Zwinglianern vor dem Augsburger Reichstag und in seinem Verlauf 2.1 Bleibende Ablehnung der Zwinglianer durch die Kursachsen Melanchthon hielt im Jahr 1530 wie die meisten anderen Kursachsen an seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Zwinglianern fest, die theologisch, vor 361 Der Abschied ist gedruckt in der »Neue[n] Sammlung der Reichs-Abschiede« 2, 306– 332. Vgl. den Bericht über seine Verlesung in UB 2, 839 ff. und zur Charakterisierung Honée, Vehus, 34. 362 Vgl. Decot, Confessio Augustana, 29.
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allem aber politisch motiviert war.363 So verwies Melanchthon in persönlichen Briefen neben ihrer seiner Ansicht nach falschen Lehre vor allem auf ihre aufrührerischen Tendenzen, die er in ihrer Bejahung eines Widerstandsrechts gegen den Kaiser und den Gerüchten um Kriegspläne aufleuchten sah.364 Im Verlauf der Vorbereitung des Augsburger Reichstags begegnete diese Ablehnung der Kursachsen auch in offiziellen Dokumenten: Allseits wurde die Distanz Kursachsens zur zwinglianischen Lehre betont,365 und die Wittenberger Theologen forderten Kurfürst Johann in einem Gutachten sogar explizit auf, einer möglichen Verdammung der Zwinglianer beim Reichstag zuzustimmen, da andernfalls Nachteile für die Lutherischen zu erwarten seien.366 An dieser ablehnenden Haltung hielten die Vertreter Kursachsens auch während des Reichstags fest: So sprach sich zum Beispiel Agricola in seinen Predigten recht offen gegen die Zwinglianer aus.367 Und Melanchthon, der der Ansicht war, der Haß des Kaisers wäre geringer, wenn die lutherische Sache nicht durch die Zwinglianer beschwert würde,368 distanzierte sich in fast all seinen privaten und öffentlichen Äußerungen gegenüber Altgläubigen von den Zwinglianern und etwaigen gemeinsamen Bündnisplänen und versuchte, die Zwinglianer und ihre Lehren in Mißkredit zu bringen.369 Dieses Verhalten der Kursachsen, dem 363 Vgl. zum Verhältnis zwischen Melanchthon und den Zwinglianern im Jahr 1529 oben Abschnitt I, Kap. 5.4.1. 364 Vgl. Melanchthon an Aquila Anfang März [MBW 871; MBW T 4/1, 65 f.; hier 66, Z. 8 ff.]; an Myconius 27.3. [MBW 882; MBW T 4/1, 94; hier Z. 2 ff.]; im März an Görlitz [MBW 887; MBW T 4/1, 112–115; hier 114, Z. 3 ff.] und an Wieland [MBW 887a; MBW T 4/1, 115–117; hier 117, Z. 33 ff.] und an Camerarius 5.5. [MBW 900; MBW T 4/1, 155– 157; hier 156, Z. 14 ff.]. 365 Vgl. die Instruktion Johanns von Sachsen für von Dolzig 26.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 257 f.]; Melanchthons Gutachten ca. 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 103, Z. 220 ff.] und ein nicht klar datierbares Gutachten Luthers [WA Br 5, 312–314, Beilage zu Nr. 1564; hier 313, Z. 20 ff.]; ähnlich auch die Rechtfertigungsschrift der Stadt Heilbronn aus der Zeit vor dem Reichstag [Gussmann, Ratschläge 2, 180–203, Nr. 3 ; hier 183, Z. 25 ff.]. 366 Vgl. das erste Gutachten der Wittenberger nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 81 f., Z. 100 ff.]. 367 Vgl. Rurer an Althamer 4.6. [Kolde, Redaktion, 107]; Jonas an Luther 12.6. [WA Br 5, 357, Z. 79 ff.] und die Kritik der Zwinglianer unten Kap. 3.12. 368 Vgl. Melanchthon und Brenz an Philipp von Hessen nach 12.6. [MBW 926; MBW T 4/1, 236–241; hier 238 f., Z. 15 ff.]; Melanchthon an Dietrich 13.6. [MBW 928; MBW T 4/1, 243; hier Z. 8 ff.]; an Bucer und Capito 15.7. [MBW 972; MBW T 4/1, 378–381; hier 380, Z. 5 f.] und an Schradin 29.7. [MBW 996; MBW T 4/1, 464–466; hier 466, Z. 36 ff.]. 369 Vgl. Melanchthons Entwurf eines Schlußabschnitts zur CA vor 11.5. [MBW 903; MBW T 4/1, 160–163; hier 162, Z. 33 ff.]; seinen Brief an Albrecht von Brandenburg 3.6. [MBW 921; MBW T 4/1, 213, Z. 33 ff.]; sein Gutachten für Johann von Sachsen 14./15.6. [MBW 929; MBW T 4/1, 244–246; hier 245, Z. 5 ff.]; CA 2 und 10 [BSLK, 53, Z. 14 ff. und 64, Z. 5 f.]; eine Denkschrift vor 20.7. [MBW 981; MBW T 4/1, 400–408; hier 401, Z. 12 ff.]; die Denkschrift für Albrecht von Brandenburg von Juli [MBW 1002; MBW T 4/1, 484, Z. 197 ff.]; sein Gutachten für Johann von Sachsen vom 3./4.8. [MBW 1009; MBW T 4/2, 506, Z. 14 ff.] und seine Briefe an von Stadion 13.8. [MBW 1022; MBW T 4/2, 545, Z. 29 ff.] und an den kaiserlichen Prediger Aegidius 19.9. [MBW 1081; MBW T 4/2, Z. 19 ff.].
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sich schließlich auch die meisten anderen lutherischen Stände anschlossen,370 blieb nicht ohne Wirkung: Es hatte zwar zunächst zur Folge, daß man auf altgläubiger Seite wegen der protestantischen Differenzen triumphierte und hoffte, der Glaubenszwiespalt werde sich deshalb schneller lösen lassen.371 Im Lauf der Zeit führte die klare Distanzierung der Lutherischen von den Zwinglianern aber auch dazu, daß man die Protestanten in Augsburg von altgläubiger Seite als zwei voneinander getrennte Parteien wahrnahm und nur die lutherische Partei einigermaßen ernstnahm.372 Anders als die Kursachsen versuchte Philipp von Hessen, eine Verurteilung der Zwinglianer und somit eine Trennung der Protestanten zu verhindern, und setzte sich für ein gemeinsames Vorgehen ein.373 Melanchthon, der befürchtete, daß es den Zwinglianern gelingen könnte, Philipp auf ihre Seite zu bringen und dadurch an Durchschlagskraft zu gewinnen,374 appellierte inständig an diesen 375 und bat auch Luther mehrmals darum, an den Landgrafen zu schreiben und ihn zu ermahnen.376 Die Beunruhigung Melanchthons ließ etwas nach, als sich abzeichnete, daß Philipp zusammen mit den anderen protestantischen Ständen die CA unterschreiben würde.377 Gleichwohl blieb er Philipp gegenüber skeptisch.378
370 Vgl. die Antwort der Protestanten an den Kaiser vom 17.6. [UB 1, 288]; die Erklärung der protestantischen Stände vom 21.9. [UB 2, 467–470; hier 469] und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 21.9. [CR 2, 386]. 371 Vgl. Erasmus an Sadoleto 14.5. [OE 8, 428–436, Nr. 2315; hier 435, Z. 285 ff.]; Sailer an Zell, Cellarius, Capito und Bucer 23.5. [BC 4, 106–111, Nr. 301; hier 110, Z. 10 ff.] und Campeggio an Salviati 29.5. [NBD Erg. 1, 45–51, Nr. 12; hier 49]. 372 Vgl. die Aussagen Heinrichs von Braunschweig bei Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 362, Z. 46 ff.]; Pistorius an Erasmus 27.6. [OE 8, 459 f., Nr. 2333; hier 460, Z. 41]: »Zwinglianos . . . noluerunt illi [sc. Lutherani] habere sotios [sc. socios]« und den Brief von Valdés an Accolti 21.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 364, Z. 16 ff. und Z. 31 ff.], in dem er einerseits über die Verhandlungen mit den Lutheranern berichtete, andererseits anläßlich der Übergabe der »Confessio Tetrapolitana« forderte, die Sakramentierer auszurotten. 373 Vgl. die Instruktion Philipps für seine Gesandten vom 27.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 326–332, Nr. 15; hier 326 f.] und den Brief an seine Gesandten vom 3.11. [a. a. O., 392, Anm. 15]. 374 Vgl. Melanchthon an Camerarius 16.5. [MBW 909; MBW T 4/1, 174 f.; hier 175, Z. 14 f.]; an Albrecht von Brandenburg 3.6. [MBW 921; MBW T 4/1, 213, Z. 36 ff.] und an von Stadion 13.8. [MBW 1022; MBW T 4/2, 545, Z. 31 f.]; ähnliche Ängste auch im Brief von Brenz an Eisenmenger 11.6. [CR 2, 92, Nr. 717]. 375 Vgl. Melanchthon und Brenz an Philipp von Hessen 11.6. [MBW 924; MBW T 4/1, 225, Z. 62 ff.]. 376 Vgl. Melanchthon an Luther 4.5. [MBW 899; MBW T 4/1, 154, Z. 28 ff.] und 13.6. [MBW 927; MBW T 4/1, 242, Z. 2 ] und an Dietrich 13.6. [MBW 928; MBW T 4/1, 243, Z. 4 ]. Luther erfüllte Melanchthons Wunsch nach einem Brief an Philipp allerdings erst am 20.6. (vgl. zu dieser Datierung WA Br 13, 134) [WA Br 5, 328–332, Nr. 1573]. 377 Vgl. Melanchthon an Luther 22.5. [MBW 915; MBW T 4/1, 188, Z. 31 ff.] und an Menius 19.6. [MBW 935; MBW T 4/1, 256, Z. 17 f.]. 378 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 16 f.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
2.2 Melanchthons Umgang mit zwinglianischen Einigungsversuchen Während des Reichstags bemühten sich die Zwinglianer, insbesondere die Straßburger 379 intensiv um eine Annäherung an die Lutherischen und wandten sich in dieser Sache immer wieder auch an Melanchthon. Nach den Erfahrungen des Jahres 1529 und angesichts der massiv antizwinglianischen Haltung der Kursachsen waren ihre Hoffnungen auf eine Einigung allerdings zunächst gering.380 Anfang Juni übergaben die Straßburger Gesandten Philipp von Hessen eine Anfang Mai von Bucer im Namen des Straßburger Rates verfaßte Schrift und baten ihn, sie den lutherischen Fürsten zuzustellen. Durch diese Schrift sollten die Bedenken der Lutherischen wegen eines Zusammengehens mit den Zwinglianern ausgeräumt und die Lutheraner trotz der Unterschiede in der Abendmahlslehre zu einer gemeinsamen Konzilsbitte an den Kaiser veranlaßt werden. Philipp übergab die Schrift allerdings nicht den lutherischen Fürsten, sondern den Theologen Melanchthon und Brenz.381 Mitte Juni kam es daher zu einem Briefwechsel zwischen Philipp und den beiden Theologen.382 Melanchthon und Brenz drückten in ihren Briefen zwar ihre Betrübnis wegen des entstandenen Zwiespalts aus und bekräftigten ihren Friedenswillen, hielten aber gleichzeitig an ihrer Ablehnung der zwinglianischen Abendmahlslehre fest und verwiesen angesichts von Gerüchten über zwinglianische Kriegsrüstungen auf die zu befürchtende Gewalt und Zerrüttung. Eine Bruderschaft mit den Zwinglianern, wie diese bereits 1529 in Marburg gefordert worden war, und eine gemeinsame Konzilsbitte lehnten sie ab.383 Philipp von Hessen hielt den beiden Theologen in seinem Antwortbrief die Ungerechtigkeit ihrer Vorwürfe vor, bemühte sich, ihre politischen Ängste zu zerstreuen, und bat sie, Kaiser und Fürsten nicht 379 Vgl. die Instruktion für die Straßburger Gesandten von April (?) [PC 1, 439–441, Nr. 718; hier 439]. 380 Vgl. zu ihren Erfahrungen 1529 oben Abschnitt I, Kap. 5 ; zu ihrer Stimmung in Augsburg Sturm an Zwingli 31.5. [CR 97, 602, Z. 5 ff.] und die Straßburger Gesandten an ihren Rat 2.6. [PC 1, 446 f., Nr. 728; hier 447]; 7.6. [PC 1, 450, Nr. 732] und 8.8. [PC 1, 482–484, Nr. 778; hier 483]. 381 Ein Regest dieser Schrift findet sich in BC 4, 94 f., Nr. 296; gedruckt ist sie in BDS 3, 322–338 als Anlage 1 zur »Confessio Tetrapolitana«; vgl. dazu Stupperich, BDS 3, 321 f. 382 Vgl. Melanchthon und Brenz an Philipp von Hessen 11.6. [MBW 924; MBW T 4/1, 222–226]; die Antwort Philipps nach 11.6. [MBW 925; MBW T 4/1, 229–235] und Melanchthons und Brenz’ Antwort nach 12.6. [MBW 926; MBW T 4/1, 238–241]. 383 Vgl. zur Betrübnis über den Zwiespalt und zum Friedenswillen Melanchthon und Brenz an Philipp von Hessen 11.6. [MBW 924; MBW T 4/1, 222, Z. 4 ff.] und nach 12.6. [MBW 926; MBW T 4/1, 238, Z. 9 f. und 240, Z. 50]; zur Ablehnung der zwinglianischen Lehre und zu den befürchteten Folgen MBW 924 [MBW T 4/1, 222 f., Z. 7 ff. und 225, Z. 56 ff.]; zur Zurückweisung der Bitte um Bruderschaft oben Abschnitt I, Kap. 5.3.1; MBW 924 [MBW T 4/1, 223, Z. 24 ff.] und MBW 926 [MBW T 4/1, 238, Z. 10 ff.]; zum Konzil MBW 924 [MBW T 4/1, 225, Z. 51 ff.] und MBW 926 [MBW T 4/1, 238, Z. 18 ff. und 239, Z. 32 ff.].
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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gegen die Zwinglianer aufzuhetzen.384 Am 13. Juni kam es schließlich zu einer persönlichen Unterredung zwischen Philipp von Hessen und den beiden Theologen.385 Dieses Gespräch blieb allerdings erfolglos. Als die beiden Straßburger Theologen Bucer und Capito am 23. bzw. 26. Juni in Augsburg eingetroffen waren,386 bemühten auch sie sich um Gespräche mit Vertretern der Lutherischen.387 Am 12. Juli trafen sie sich zunächst mit Brenz 388 und baten dann auch Melanchthon um ein Gespräch. Dieser lehnte zwar eine sofortige Begegnung mit fadenscheinigen Argumenten ab, wollte allerdings auch nicht ganz auf den Kontakt mit den beiden Theologen verzichten und schlug deshalb einen brieflichen Austausch vor.389 Diese ambivalente Haltung Melanchthons hatte ihren Grund darin, daß er einerseits befürchtete – wie die Straßburger Gesandten ganz richtig vermuteten –, daß durch ein Gespräch mit Vertetern der Zwinglianer die Verhandlungen mit den Altgläubigen gestört werden könnten,390 eine kategorische Absage aber andererseits für unangebracht hielt, da er hoffte, die Straßburger könnten sich infolge der Drohungen des Kaisers den Lutherischen anschließen.391 Bucer und Capito ließen sich durch die Abfuhr nicht entmutigen, sondern erneuerten ihre Bitte um ein Gespräch mit Melanchthon.392 Ende Juli kam es dann zu einem Treffen der beiden mit Brück.393 Trotz der anhaltend ablehnenden Haltung Melanchthons bestand unter den Straßburgern Hoffnung auf ihn als Förderer einer Einigung. So appellierte Mitte Juli Nikolaus Gerbel (1485–1560) an Melanchthon, er solle sich für eine Einigung einsetzen, da er in dieser Hinsicht viel Einfluß habe.394 Und Bucer mutmaßte, Melanchthon müsse seinen Einheitswillen bis zum Ende des Reichstags geheimhalten, um nicht Luthers Unmut gegen sich aufzubringen. Deshalb hoffte er weiter auf eine Gesprächsmöglichkeit.395 Diese ergab sich schließlich 384 Vgl. Philipp von Hessen an Melanchthon und Brenz nach 11.6. [MBW 925; MBW T 4/1, 231–235]. 385 Vgl. Weiß, Diarium, 689. 386 Vgl. Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 119, Z. 2 f.] und Brenz an Eisenmenger 12.7. [CR 2, 185–187, Nr. 777; hier 187]. 387 Vgl. Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 122, Z. 7 ff.]. Diese Versuche der Annäherung wurden von einigen Lutheranern skeptisch beäugt; vgl. z. B. Agricola an Luther 28.7. [WA Br 5, 514, Z. 11 ff.]. 388 Vgl. Brenz an Eisenmenger 12.7. [CR 2, 187] und Melanchthon an Bucer und Capito 15.7. [MBW 972; MBW T 4/1, 380, Z. 2 ]. 389 Vgl. Melanchthon an Dietrich 14.7. [MBW 971; MBW T 4/1, 377, Z. 4 ff.] und an Bucer und Capito 15.7. [MBW 972; MBW T 4/1, 380, Z. 2 ff.]. 390 Vgl. die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 488]. 391 Vgl. Rurer an Althamer nach 2.7. [Kolde, Redaktion, 111]. 392 Vgl. Capito und Bucer an Melanchthon 18.7. [MBW 980; MBW T 4/1, 394–399; hier 398, Z. 88 ff.]. 393 Vgl. Bucer an A. Blarer 14.8. [BC 4, 195, Z. 8 ff.]. 394 Vgl. Gerbel an Melanchthon 16.7. [MBW 977; MBW T 4/1, 392 f.; hier Z. 19 ff.]. 395 Vgl. Bucer an Pfrund 2.8. [BC 4, 177–180, Nr. 321; hier 180, Z. 6 ff.] und an A. Blarer 14.8. [BC 4, 196, Z. 23 ff.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
am 22. und 23. August, als sich Melanchthon und Bucer in Augsburg trafen. Sie brachten zwar keine Einigung zustande, eine Verständigung scheint aber in den Bereich des Möglichen gerückt zu sein.396 Melanchthon äußerte sich in diesem Zusammenhang erstmals etwas versöhnlicher über die Abendmahlslehre Bucers und hob ihre Unterschiede zur Lehre Zwinglis hervor.397 Allerdings scheint er Bucers Einheitswillen nicht vertraut zu haben und hatte Angst vor einer Falle (insidiae) der Zwinglianer.398 Auf zwinglianischer Seite allerdings wurde diese erste Annäherung sehr hoch bewertet: Bucer sprach von einer Einigung mit Melanchthon,399 Zwingli von Zugeständnissen Melanchthons,400 und bei den zwinglianisch gesinnten Ständen in Augsburg zeigte sich erstmals Hoffnung auf eine Einigung mit den Lutherischen.401 Bucer schrieb am 25. August einen Brief an Luther, dem er eine Darstellung zur Abendmahlslehre beilegte.402 Obwohl er hierauf keine Antwort erhielt, brach er am 19. September zu Gesprächen mit Luther auf der Coburg auf.403 Die Verhandlungen am 26. und 27. September führten bei Luther dazu, daß auch er nun auf eine Aussöhnung der Straßburger mit den Lutherischen hoffte.404 Auf der Rückreise der Kursachsen nach Wittenberg trafen Brück und Melanchthon Ende September in Nürnberg noch einmal mit Bucer zusammen. Die Atmosphäre dieses Gesprächs scheint ebenfalls angenehm gewesen zu sein.405 All diese Treffen erzeugten große Hoffnung auf Einigung bei vielen Zwinglianern, allerdings waren manche auch skeptisch angesichts der unverminderten Ablehnung bei vielen Lutherischen,406 und tatsächlich sollte es noch weitere sechs Jahre dauern, bis im Jahr 1536 in Gestalt der Wittenberger Konkordie eine Einigung zwischen Lutherischen und Oberdeutschen zustandekam.407 396 Vgl. zu diesen Gesprächen die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 488]; Bucer an die Straßburger Prediger 25.8. [BC 4, 230, Z. 7 ff.] und an Zwingli 27.8. [BC 4, 235–241, Nr. 332; hier 237, Z. 3 ff.]; außerdem Brecht, Luthers Beziehungen, 498. 397 Vgl. Melanchthons Aufzeichnungen für Bucer vor 25.8. [MBW 1039; MBW T 4/2, 585–587; hier 586 f.]. 398 Vgl. Melanchthons Gutachten für Brück ca. 25.8. [MBW 1044; MBW T 4/2, 596– 599; hier 598, Z. 9 f.] und Melanchthon an Dietrich 1.9. [MBW 1059; MBW T 4/2, 629, Z. 9 ff.]. 399 Vgl. Ehinger an den Memminger Rat 28.8. [Dobel, Ehinger, 53–55, Nr. 18; hier 54]. 400 Vgl. Zwingli an Capito 31.8. [CR 98, 98 f., Nr. 1085; hier 98, Z. 2 f.]. 401 Vgl. die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 488 f.] und Ehinger an den Memminger Rat 28.8. [Dobel, Ehinger, 54]. 402 Vgl. Bucer an Luther 25.8. [BC 4, 207–212, Nr. 327 und 212–219, Nr. 328]. 403 Vgl. die Straßburger Gesandten an ihren Rat 23.9 [PC 1, 499–501, Nr. 794; hier 499] und Capito an Zwingli 27.9. [CR 98, 161–163, Nr. 1107; hier 161, Z. 6 ]. 404 Vgl. zu den Gesprächen Brecht, Luthers Beziehungen, 498 f.; zu Luthers Hoffnungen seinen Brief an Brießmann vom 7.11. [WA Br 5, 677 f., Nr. 1747; hier 678, Z. 32 ff.]. 405 Vgl. Bucer an Sturm und Pfarrer 30.9. [BC 5, 1–10, Nr. 342; hier 6, Z. 9 ff.]. 406 Vgl. Oekolampad an Zwingli 25.9. [CR 98, 148 f., Nr. 1102; hier 148, Z. 3 ff.]. 407 Vgl. zur Wittenberger Konkordie unten Abschnitt III, Kap. 3.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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2.3 Zusammenfassung Melanchthons Haltung zu den Zwinglianern war im Jahr 1530 wie 1529 maßgeblich von seinen politischen Ängsten bestimmt. Er befürchtete, daß die Lutherischen aufgrund ihrer Nähe zu den seiner Ansicht nach aufrührerischen Zwinglianern beim Kaiser und den Altgläubigen in Mißkredit geraten könnten und dadurch eine Wiederherstellung der Einheit der Christenheit in weite Ferne rücken würde. Allerdings scheint er im Lauf des Reichstags seine ablehnende Haltung zumindest gegenüber den Straßburgern gemildert zu haben, wenngleich die daran anknüpfenden Hoffnungen Bucers und Zwinglis zu diesem Zeitpunkt sicher noch verfrüht waren.
Kapitel 3: Die Inhalte der gegen Melanchthon gerichteten Kritik Mit der ausführlichen Schilderung der Rolle Melanchthons beim Augsburger Reichstag und des Verhältnisses zwischen Lutherischen und Zwinglianern ist nun der Hintergrund vorhanden, vor dem die gegen ihn gerichtete Kritik dargestellt werden kann. Neben den zahlreichen Vorwürfen aus den eigenen Reihen wird an einigen Stellen auch auf altgläubige Kritik hingewiesen, und zwar dann, wenn sie sich an denselben Sachverhalten entzündete oder der protestantischen Kritik genau entgegengesetzt war. Der Großteil der 1530 erhobenen Vorwürfe richtete sich explizit gegen Melanchthon; ein kleinerer Teil der Kritik war an Gruppen wie die kursächsischen Theologen oder die protestantischen Ausschußmitglieder gerichtet, doch betraf auch sie vor allem Melanchthon, da er für viele Entscheidungen dieser Gruppen verantwortlich war bzw. gemacht wurde. Wegen der großen Fülle der 1530 gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe ist es nötig, sie für die Darstellung verschiedenen Kategorien zuzuordnen. Diese ergeben sich zum einen aus den Ereignissen des Reichstags, in deren Rahmen die Kritik geäußert wurde, zum anderen aus den Inhalten und der Art der Kritik. Die Orientierung an den Ereignissen des Reichstags macht deutlich, an wie vielen verschiedenen Punkten Melanchthon angegriffen wurde. Die Orientierung an sachlichen Gesichtspunkten schafft einen Überblick über die Art der Vorwürfe und ermöglicht es, Entwicklungslinien aufzuzeigen, die sich durch den gesamten Reichstag hindurchziehen. Die folgende Darstellung der Vorwürfe betrifft folgende Bereiche: Melanchthons Rolle beim kursächsischen Hof (3.1), Luthers Rolle beim Reichstag (3.2), die von Melanchthon verfaßte CA (3.3), seine Sonderverhandlungen mit verschiedenen Altgläubigen (3.4), seine Milde und Nachgiebigkeit gegenüber den Altgläubigen, vor allem während der Ausschußverhandlungen (3.5), die konkreten Inhalte der Zugeständnisse an die Altgläubigen (3.6) sowie den protestantischen Vorschlag und das Vorgehen der protestantischen Delegierten im Vierzehner-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
ausschuß insgesamt (3.7). Die weiteren drei Teilkapitel beschreiben Kritikpunkte, die über die konkreten Ereignisse hinausgingen, indem Kritiker Melanchthons gesamtes Verhalten als Abfall und Verrat am Evangelium charakterisierten (3.8), seine Überzeugungen (3.9) und Grundzüge seiner Persönlichkeit in Frage stellten (3.10), weil sie in ihnen Gründe für sein Verhalten beim Reichstag sahen. Die letzten beiden Teilkapitel enthalten Kritik, die nur von altgläubiger bzw. zwinglianischer Seite geäußert wurde und Melanchthons Unnachgiebigkeit (3.11) bzw. seine Haltung gegenüber den Zwinglianern betraf (3.12). Diese Reihenfolge bringt es mit sich, daß potentiell gewichtige und weniger gewichtige Vorwürfe, punktuell geäußerte und sich durchziehende Kritikpunkte neben- und nacheinander zu stehen kommen.
3.1 Kritik an Melanchthons Rolle beim kursächsischen Hof Der erste Vorwurf, der im Zusammenhang des Augsburger Reichstags gegen Melanchthon erhoben wurde, betraf seine zentrale Rolle beim Reichstag als Berater Kurfürst Johanns von Sachsen und als wichtigster Vertreter Luthers. In diesem Zusammenhang warf ihm Wolfgang Capito vor, er habe sich trotz seiner Unerfahrenheit beim kursächsischen Hof eingeschlichen und strebe nach Ruhm.408 Melanchthon scheint von diesem Vorwurf nichts erfahren zu haben, und er hatte auch keine weitere Wirkung.
3.2 Kritik im Zusammenhang mit der Rolle Luthers beim Reichstag 3.2.1 Kritik Luthers an der mangelnden Kommunikation mit seinen Kollegen in Augsburg Luther war gezwungen, die gesamte Zeit des Reichstags auf der Coburg weit entfernt von Augsburg zu verbringen. Er war zwar in Gesellschaft von Veit Dietrich und nutzte die Monate zur Abfassung einer Vielzahl von Schriften, war sich aber stets bewußt, daß er vom Geschehen abgeschnitten war. Es ist deshalb verständlich, daß ihm ausführliche briefliche Nachrichten seiner Kollegen aus Augsburg besonders wichtig waren. Da die Kommunikation nicht immer zu seiner Zufriedenheit funktionierte, beklagte er sich im Lauf der fünf Monate bei seinen Kollegen immer wieder über ihre mangelnde Berichterstattung: Bereits wenige Tage nach der Abreise seiner Kollegen aus Coburg äußerte er sich ver408
Vgl. Capito an Zwingli 15.5. [CR 97, 580–582, Nr. 1025; hier 581, Z. 13 ff.]: »Irrepsit Philippus pridem in aulam, rudis plane rerum, ut doctum forte dederim capessendê gloriê«. Der zweite Halbsatz ist in dieser Gestalt unverständlich; wohl verlas sich ein Abschreiber des Briefs bei der Endung des Verbs, und es stand dort ursprünglich dederint, dann wäre occasionem zu ergänzen und ein Bezug auf die Mitglieder des Hofes zu vermuten, die Melanchthon die Möglichkeit, Ruhm zu erlangen, eröffnen sollten; allerdings müßte in diesem Fall das Objekt docto lauten.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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wundert darüber, daß sie ihm noch nicht geschrieben hatten.409 Anfang Juni beklagte er mehrmals gegenüber Melanchthon, daß seine Kollegen trotz gegenteiliger Versprechungen Boten mit leeren Händen aus Augsburg entlassen und ihn dadurch in große Sorgen gestürzt hätten; Luther war so verärgert, daß er am 7. Juni in einen Briefstreik trat und diesen bis zum 27. Juni durchhielt.410 Die in der Zwischenzeit an ihn gerichteten Rechtfertigungen seiner Kollegen, sie hätten Briefe geschrieben, diese seien jedoch nicht angekommen,411 ließ Luther nicht gelten und machte sie darauf aufmerksam, daß man auch in Wittenberg unter ihrem Schweigen gelitten habe.412 Mitte Juli erneuerte er seine Kritik gegenüber Melanchthon, als er von diesem fast zwei Wochen lang keine Post erhalten hatte,413 was Melanchthon damit rechtfertigte, daß keine Boten zu bekommen gewesen seien.414 In den folgenden Wochen bemühten sich die Theologen in Augsburg, Luthers Wunsch nach regelmäßigen Informationen nachzukommen,415 und Luther scheint mit den Nachrichten aus Augsburg zufrieden gewesen zu sein.416 Allerdings erneuerte er seine Kritik noch einmal Ende August417 und Mitte September, als er aufgrund mangelnder Informationen wieder in Sorge um seine Kollegen war.418 Für das Verständnis der Vorwürfe Luthers und der Haltung seiner Kollegen in Augsburg ist auf folgendes hinzuweisen: Zum ersten ist nicht auszuschließen, daß es Probleme bei der Brief beförderung gab und Briefe aus Augsburg aus welchen Gründen auch immer auf dem Weg nach Coburg verlorengingen.419 409 Vgl. Luther an Melanchthon 29.4. [MBW 893; MBW T 4/1, 130–133; hier 133, Z. 10 f.]. 410 Vgl. Luther an Melanchthon 2.6. [MBW 919; MBW T 4/1, 208 f.; hier 209, Z. 4 ff.], 5.6. [MBW 922; MBW T 4/1, 214–216; hier 215, Z. 2 ff.] und 7.6. [MBW 923; MBW T 4/1, 216 f.; hier 217, Z. 2 ff.]; zudem die Klagen 19.6. an von Teutleben [WA Br 5, 372 f., Nr. 1592; hier 372, Z. 3 ff.], Cordatus [WA Br 5, 380 f., Nr. 1596; hier 381, Z. 12] und Zwilling [WA Br 5, 381–383, Nr. 1597; hier 382, Z. 4 ]. 411 Vgl. Jonas an Luther 12.6. [WA Br 5, 356, Z. 16 ff.] und 25.6. [WA Br 5, 388, Z. 4 ff.]; Melanchthon 25.6. an Luther [MBW 937; MBW T 4/1, 259, Z. 3 ff.] und an Dietrich [MBW 938; MBW T 4/1, 262, Z. 4 f.]. 412 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 271–282; hier 281, Z. 33 ff.] und 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 288, Z. 2 ff. und 291, Z. 4 4 ff.]; an Jonas 29.6. (?) [WA Br 5, 408–411, Nr. 1610; hier 409, Z. 3 ff.]; an Spalatin 30.6. [WA Br 5, 413–415, Nr. 1612; hier 414, Z. 4 ff.] und an Jonas 21.7. [WA Br 5, 495, Z. 2 ff.]. 413 Vgl. Luther an Melanchthon 9.7. [MBW 963; MBW T 4/1, 347–350; hier 349, Z. 1]. 414 Vgl. Melanchthon an Luther 14.7. [MBW 970; MBW T 4/1, 371, Z. 3 ff.]. 415 Vgl. Melanchthon an Dietrich 28.7. [MBW 995; MBW T 4/1, 463, Z. 3 f.]. 416 Vgl. Luther an Spalatin 20.7. [WA Br 5, 486–488, Nr. 1653; hier 487, Z. 4 ff.] und Jonas an Dietrich 22.7. [ Jonas-BW 1, 169 f., Nr. 191; hier 169]. 417 Vgl. Luther 24.8. an Melanchthon [MBW 1038; MBW T 4/2, 584, Z. 7 ff.] und an Spengler [WA Br 5, 561 f., Nr. 1694; hier 561, Z. 7 f.]. 418 Vgl. Luther an Linck 12.9. [WA Br 5, 620 f., Nr. 1718; hier 620, Z. 10 ff.]. 419 Es gibt jedoch keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß die Briefe – wie dies einige Forscher vermuten (vgl. Rückert, Luthers Verhältniß zum Augsburgischen Bekenntniß, 29 und 31 und Kolde, Brück, 35) – von Brück oder einer anderen Person bewußt zurückgehalten wurden.
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Zum zweiten hatten Luthers Kollegen in Augsburg zeitweise so viel zu tun, daß sie schlicht nicht dazu kamen, regelmäßig zu schreiben. Zudem war Melanchthon darüber verärgert, daß Luther seiner Bitte um einen Brief an Philipp von Hessen nicht nachkam, und scheint auch deshalb eine Schreibpause eingelegt zu haben.420 Und zum dritten war Luther, der sich in seiner Einsamkeit vom Geschehen abgeschnitten fühlte, mit Klagen schnell bei der Hand.421 3.2.2 Kritik im Zusammenhang mit Luthers Autorität 3.2.2.1 Kritik von Luther selbst Melanchthon hatte Luther im Zuge seiner Vorbereitungen von Verhandlungen mit den Altgläubigen Ende Juni um Rat gefragt, wie weit man den Gegnern entgegenkommen könne, und zugesagt, in diesem Punkt der Autorität Luthers zu folgen.422 Luther mißfiel diese Äußerung Melanchthons, da sie den Anschein erwecke, seine Kollegen verträten in Augsburg lediglich die Sache Luthers, die man ihnen auferlegt habe. Er wollte jedoch, daß sie sich so verhielten, daß klar würde, daß es auch um ihre Sache ging.423 3.2.2.2 Kritik anderer Protestanten Als bekannt wurde, daß der im Vierzehner-Ausschuß überreichte protestantische Vorschlag ohne das Wissen Luthers übergeben worden war, gerieten die protestantischen Ausschußmitglieder unter heftigen Beschuß: Lazarus Spengler bezeichnete es als sehr beschwerlich, daß man Luther, den »rechte[n] principal vnd fannenfurer dises tapffern Handels«, vor der Übergabe des Vorschlags nicht befragt habe.424 Andere Protestanten gingen in ihrer Kritik noch weiter: So berichtete Bucer von der Sorge einiger Lutherischer, Luther, dem das Verhalten der eigenen Delegierten in den Ausschußverhandlungen nicht gefalle, werde auf der Coburg wie in einem Gefängnis gehalten, damit er seinen Kollegen in Augsburg keine Unruhe verursache.425 Die Ulmer Gesandten warfen 420 Es ist allerdings unangemessen, Melanchthon absichtliches Schweigen vorzuhalten, da er Luther im Ungewissen über die in Augsburg anstehenden Entscheidungen habe lassen wollen; so von Walter, Luther und Melanchthon, 71. 421 Vgl. Ebeling, Luthers Seelsorge, 283. 422 Vgl. oben Kap. 1.3.3. 423 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 291, Z. 40 ff.]: »In literis tuis displicuit, quod scribis vos meam autoritatem secutos in ista causa. Nolo vobis autor esse aut dici in ista causa, eciamsi id commode posset interpretari, tamen vocabulum hoc nolo. Si non est simul et aeque vestra causa, nolo eam dici meam et vobis impositam. Ipse agam, si solius mea est«. 424 Spengler in seinem Bedenken vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 68]; vgl. auch die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 322]. 425 Vgl. Bucer an die Straßburger Prediger 25.8. [BC 4, 230, Z. 4 ff.]: »Vil gutthertziger besorgen, das Luther, den dißes gar ubel vertrüßt, nit gefenglich gehalten werde, damit er yn kein unrug mache«.
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Melanchthon sogar vor, er habe verhindert, daß Luther nach Augsburg komme.426 Auch die Tatsache, daß sich die protestantischen Delegierten für ihr Entgegenkommen auf Luther beriefen und darauf aufmerksam machten, daß das kursächsische Verhandlungskonzept vor dem Reichtag mit ihm abgestimmt worden sei,427 geriet in die Kritik: So wandten sich einige Kritiker direkt an Luther und beklagten, daß sich Melanchthon und die anderen Ausschußmitglieder bei ihrem Nachgeben – ihrer Ansicht nach fälschlicherweise – auf die Übereinstimmung mit Luther berufen hätten.428 3.2.3 Zusammenfassung Die Kritik im Zusammenhang mit Luthers Rolle beim Reichstag zeigt deutlich, welch große Autorität er unter den lutherisch gesinnten Reichsständen genoß und daß Melanchthons Vorgehen und seine Führungsrolle nicht wirklich akzeptiert wurden, obwohl Luther selbst wichtig war, daß seine Kollegen in Augsburg die lutherische Sache zu der ihren machten.
3.3 Kritik an der »Confessio Augustana« Der versöhnliche Charakter der CA wurde zwar von vielen Reichstagsteilnehmern in Augsburg lobend herausgestrichen,429 löste aber gleichzeitig auch weit426 Vgl. die Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 149]: »Melanchto [sic!] hat es gewandt [sc. daß Luther nach Augsburg komme]«. 427 Vgl. oben Kap. 1.4.5.2 b) und Kap. 1.4.9. 428 Vgl. Philipp von Hessen an Zwingli 4.9. [CR 98, 111–113, Nr. 1088; hier 113, Z. 2 f.]: »hat Philippus gethan, Lutter . . . [wäre] uzt nyt wieder eyn«; Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 314–318, Nr. 1; hier 315] und Luther an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 9 f.]: »clamantes etiam Lutherum a vobis allegatum omnia talia vobis concedentem«. 429 Viele der an den Beratungen des Bekenntnisses beteiligten Personen hoben in ihren Urteilen über die CA deren Milde hervor; und diese tat ihrer Meinung nach den Inhalten keinen Abbruch (vgl. Brenz an Eisenmenger 24.6. [CR 2, 124 f., Nr. 735]; die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 25.6. [CR 2, 129]; Weiß an Harscher 14.7. [Jordan, Briefe, 176– 180; hier 177] und Spalatin, Annales, 135 und 139). Von den nicht in Augsburg anwesenden Unterzeichnern der CA betonte allen voran der Nürnberger Rat seine Übereinstimmung mit ihren Inhalten und stellte ihren versöhnlichen Charakter immer wieder anerkennend heraus (vgl. die Briefe an seine Gesandten 4.6. [Vogt, Korrespondenz, 9], 10.6. [OG 4, 51, Z. 9 f. und Z. 23 f.] und 17.6. [Vogt, a. a. O., 13 f.]). Nach der Übergabe der CA äußerten sich auch zwinglianisch gesonnene und konfessionell noch unentschiedene Städte in diesem Sinne wohlwollend über sie (vgl. die Memminger Gesandten an ihren Rat 26.6. [Dobel, Ehinger, 31–35, Nr. 4 ; hier 32]; die Straßburger [PC 1, 462 f., Nr. 750; hier 462] und die Frankfurter Gesandten an ihren Rat 27.6. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 400–405; hier 404]; zur Bedeutung von »züchtig« im Sinn von »mäßig« Grimm, Deutsches Wörterbuch 16, 268). Sogar von altgläubiger Seite wurde die Bescheidenheit des Bekenntnisses gelobt, namentlich vom Kanzler Georgs von Sachsen, Simon Pistorius (1489–1562) (vgl. Pistorius an
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reichende Kritik aus.430 In bezug auf diese Kritik ist vorauszuschicken, daß sie teilweise zwar nur gegenüber dem Bekenntnis und nicht explizit gegen Melanchthon geäußert wurde; da er jedoch der Hauptverfasser war und der CA ihre besondere Gestalt gegeben hat,431 ist die Kritik am Bekenntnis auch als Kritik an ihm zu verstehen. Die folgende Darstellung der protestantischen Kritik an der CA (3.3.1) beginnt mit Luther (3.3.1.1), da seine Aussagen über die CA zu den bekanntesten zählen und eine große Wirkung entfalteten. Im zweiten Teilkapitel wird Kritik dargestellt, die im Zuge der Beratungen über die CA von namentlich nicht bekannten Personen geäußert wurde (3.3.1.2). Die Teilkapitel 3.3.1.3 bis 3.3.1.5 behandeln die namentlich bekannten Kritiker Osiander, Bucer und Capito und die beiden Vertreter der Reichsstadt Ulm. In einem letzten Teilkapitel (3.3.2) wird altgläubige Kritik an der CA zusammengestellt, bevor die Kritik an der CA dann abschließend zusammengefaßt wird (3.3.3). 3.3.1 Die protestantische Kritik an der »Confessio Augustana« 3.3.1.1 Martin Luther Luthers Äußerungen zur CA im Jahr 1530 sind davon geprägt, daß er zwar immer wieder sein grundsätzliches Einverständnis und seine Zustimmung zu ihr aussprach, diese aber stets mit einer gewissen Einschränkung versah, was darauf schließen läßt, daß er die CA auch teilweise kritisch sah. Um herauszufinden, woran er sich stieß, sollen seine Aussagen im folgenden einer näheren Untersuchung unterzogen werden. a) Luthers Aussage vom »leisetreten« am 15. Mai Als Luther Mitte Mai die ihm zugesandte Vorform der CA gelesen hatte, schrieb er in seiner Antwort an den sächsischen Kurfürsten: »Jch hab M. Philipsen Apologia vberlesen, die gefellet mir fast [d. h. sehr] wol, vnd weis nichts dran zu bessern noch endern, Wurde sich auch nicht schicken, Denn ich so sanfft vnd Erasmus 27.6. [OE 8, 459 f., Nr. 2333; hier 459, Z. 21] und die Hinweise der Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.6. [CR 2, 143] und 28.6. [CR 2, 151]). 430 Diese Kritik erwähnte auch der Verfasser eines angeblich von Melanchthon stammenden Briefes an seinen Bruder Georg Schwarzerdt (* 1500/01) aus dem Jahr 1530, der unter anderem gedruckt ist bei Hartfelder, Melanchthoniana, 38, Nr. 15, aber von Müller, Schwarzerdt, 201 und anderen als Fälschung entlarvt wurde. Vgl. zudem Melanchthons Rückblick auf die Kritik an ihm und der CA im Brief an Flacius vom 5. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 843]: »Scripsi et priorem [sc. confessionem], cum quidem reprehensores haberem multos«. 431 Vgl. zu Melanchthons Verantwortlichkeit für die CA Luther an Johann von Sachsen 15.5. [WA Br 5, 319, Z. 5]; Osiander an Luther 21.6. [OG 4, 56–60, Nr. 139; hier 59, Z. 6 ]; Brenz an Eisenmenger 24.6. [CR 2, 124]; Luther an Melanchthon 3.7. [MBW 951; MBW T 4/1, 318, Z. 5] (Zitat unten Anm. 458) und Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7 [BC 4, 128, Z. 4 ].
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leise nicht tretten kan. Christus vnser herr helffe, das sie viel vnd grosse frucht schaffe, wie wir hoffen vnd bitten, Amen«.432 In Augsburg sah man in dieser Aussage Luthers einen Ausdruck seines Einverständnisses mit der CA. Dies geht aus der Reaktion Kurfürst Johanns am 22. Mai und aus späteren Bemerkungen Melanchthons hervor.433 In der Forschungsliteratur wird sie allerdings sehr unterschiedlich verstanden und bewertet, je nachdem auf welchen Satzteil die Aussage vom Leisetreten bezogen wird: 434 Manche verstehen sie als Erläuterung der anfänglichen Zustimmung zur CA und infolgedessen als Lob für Melanchthon,435 andere beziehen die Aussage auf den Satzteil unmittelbar davor und sehen in ihr eine inhaltliche Distanzierung Luthers von der CA oder sogar Kritik an der Verwässerung oder Verfälschung des reformatorischen Anliegens.436 Eine dritte Gruppe deutet die Aussage Luthers als humorvolle, ironische oder spöttische Bemerkung über die milde Form der CA.437 Diese sehr divergenten Interpretationen nötigen zu einer näheren Untersuchung der Aussage Luthers, insbesondere der Wendung »sanft und leise treten«.438 Erst dann 432
Luther an Johann von Sachsen 15.5. [WA Br 5, 319, Z. 5 ff.]. Vgl. Johann von Sachsen an Luther 22.5. [WA Br 12, 112 f., Nr. 1576a; hier 112, Z. 7 ff.]: »wir auß ewerm schreiben vorstanden haben, das euch die artigell, . . . so M. Philippus Melanchton . . . zu samen gezogen, gefallen« und Melanchthons Rückblicke in den Vorreden zu seinem »Corpus doctrinae« vom 29. 9. 1559 [MBW 9078; CR 9, 929–931, Nr. 6830; hier 930]: »Confessio, . . . welche ihm der Ehrwirdig Herr Doctor Martinus Luther hat gefallen lassen« und vom 16. 2. 1560 [MBW 9236; MSA 6, 8, Z. 16 f.]: Lutherus »principibus scripsit, se hanc confessionem et legisse et probare«. 434 Vgl. Neuser, Confessio Augustana, 32. 435 Vgl. Arnold, Ketzer-Historie 2, Buch 16, Kap. 18, 12, S. 211; Zöckler, Augsburgische Confession, 17; Meyer, Augsburgische Konfession, 437 f.; Kampffmeyer / Schulze, Luthers Tod, 57 f.; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 128; Wriedt, Melanchthon, 291; Wengert, Melanchthon and Luther, 57, Anm. 9 ; Ders., Beyond Stereotypes, 9; Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 228; Köpf, Der Reformator Melanchthon, 22; Ders., Melanchthon – Leben und Werk, 46 und Thönissen, Nötiger Streit, 73. Leppin, Luther, 299 sieht in Luthers Äußerung gar eine Zeichen dafür, daß er »die Waffen gestreckt«, »die Notwendigkeit der Stunde, leisezutreten«, erkannt und »seine eigene Unfähigkeit, dies zu tun«, eingesehen habe. 436 Vgl. Frank, Augsburgische Confession, 107; den Hinweis auf die Aussage eines nicht genannten Forschers bei Richard, Confession, 328; Heiler, Katholizität, 20; Rückert, Luther und der Reichstag, 118; Mühlhaupt, Augsburger Bekenntnis, 12; Neuser, Confessio Augustana, 32; Manns, Ökumene auf Kosten Luthers, 439; Ders., Martin Luther, 212 und Strohm, Melanchthon, 25. Leppin, Luther, 300 weist darauf hin, daß die positiv gemeinte Äußerung Luthers in der Folge zunehmend negativ verstanden wurde und bezeichnet sie deshalb 302 als »süffisante Bemerkung«. 437 Vgl. Calinich, Augsburgische Confession, 52; Knaake, Augsburgische Confession, 73; Mix, Luther und Melanchthon, 493; Gussmann, Ratschläge 1, 103; Schanze, Luther auf der Coburg, 46; von Schubert, Luther auf der Coburg, 145; von Walter, Luther und Melanchthon, 34 f.; Scheible, Augsburger Reichstag, 52 f.; Vinke, Luther auf der Coburg, 61; Kremers, Melanchthon, 14 und Rahner, Melanchthon, 8. 438 Vgl. den Hinweis auf diese Forschungslücke bei Neuser, Confessio Augustana, 33 und 35; die hier zur Untersuchung angemahnte entsprechende lateinische Wendung suspenso gradu ire ist bei Luther allerdings nicht belegt. 433
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läßt sich die Frage beantworten, ob in Luthers Aussage Kritik lag und, sollte dem so sein, wogegen diese sich richtete. In bezug auf das Adjektiv »sanft« vermutete Wilhelm Neuser (1926–2010) aufgrund einer Stelle aus Luthers Bibelübersetzung, daß es depravativ gebraucht werde.439 Nun kommt dieses Wort bei Luther aber sehr häufig vor, und zwar fast ausschließlich in einem neutralen bis positiven Verständnis: Er kennzeichnete damit zum Beispiel das freundliche Handeln Gottes bzw. Christi gegenüber den Menschen, den geduldigen Umgang der Christen miteinander oder die Leichtigkeit des Gewissens, des Lebens, einer Strafe und des Todes; die Wendung »sanft tun« benutzte er anstelle des heute gebräuchlichen »guttun« bzw. »wohltun«. Für das Verständnis von Luthers oben genannter Aussage sind besonders die Stellen interessant, an denen Luther »sanft« im Sinne von »gemäßigt« und »seelsorglich« zur Charakterisierung von Äußerungen verwendete.440 Mit kritischem Unterton gebrauchte Luther »sanft« nur in der Wendung »sanft tun« in der Bedeutung von »schmeicheln«441 und in der Rede von einem sanften Leben, das die Ungläubigen suchten; 442 derartige Verwendungsweisen von »sanft« lassen sich allerdings nur schwer mit der Aussage Luthers über die CA in Verbindung bringen. Die Vermutung Neusers läßt sich also anhand des vorliegenden Belegmaterials nicht bestätigen. Zudem hätte Luther in seiner Kritik an Melanchthon aus dem Jahr 1521 nicht von einem zu sanften Vorgehen sprechen müssen, wenn das Adjektiv an sich schon Kritik beinhaltet hätte.443 Das Adjektiv »leise« bezeichnete zur Zeit Luthers ein vorsichtiges Vorgehen in den verschiedensten Kontexten; erst ab dem 17. Jahrhundert reduzierte sich sein Gebrauch auf den Bereich der Akustik.444 Die Verbindung zwischen »leise« und »treten« bzw. »gehen« existierte bereits vor Luther und bezeichnete zunächst nur einen Gang, der vorsichtig und »nicht derb oder hastig« war; 445 diese konkrete Verwendung trat im Lauf der Jahrhunderte allerdings hinter einem bildhaften Gebrauch zurück, dessen Konnotation zudem immer negativer wurde.446 Diese Entwicklung wurde sicher durch Luthers Sprachgebrauch beein439
Vgl. Neuser, Confessio Augustana, 35 mit Bezug auf WA DB 11/1, 97. Vgl. WA 8, 139, Z. 27 und 165, Z. 5 und WA 47, 94, Z. 15. 441 Vgl. WA 31/1, 724, Z. 7 und WA 53, 591, Z. 13; dazu Grimm, Deutsches Wörterbuch 8, 1781. 442 Vgl. WA 48, 59, Z. 18; WA 49, 417, Z. 9 und WA DB 11/2, 69, Z. 9. 443 Vgl. zu dieser Kritik oben Abschnitt I, Kap. 1; ähnlich auch in WA 7, 395, Z. 7. 444 Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 6, 713–718; zur Einengung der Bedeutung a. a. O., 715. 445 Grimm, Deutsches Wörterbuch 6, 713. 446 Vgl. bereits die Schrift »Warnung und Trost-Spiegel« des hessischen Pfarrers Michael Eichler aus dem Jahr 1581 (VD 16 E 646), in der er sich über die Leichenpredigten des Herrn »Süßmann und Leisetretter« beklagte (dazu Diehl, Eichlers Kampf ). Der Gipfelpunkt dieser Entwicklung liegt im heutigen Sprachgebrauch, nach dem das Verb »leisetreten« und besonders das davon abgeleitete Substantiv »Leisetreter« zur Charakterisierung von Menschen benutzt werden, die es um des eigenen Vorteils willen vermeiden aufzufallen oder anzustoßen, 440
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flußt, bei ihm selbst war die Verwendung der Worte »leise« und »leisetreten« allerdings noch nicht einheitlich; vielmehr benutzte er sie in verschiedener Bedeutung. Das Adjektiv »leise« verwendete Luther zunächst immer wieder neutral zur Bezeichnung einer vorsichtigen Vorgehensweise – zum Beispiel beim Fischen447 und beim Umgang von Menschen untereinander448 –, dann in der Übersetzung einiger Bibelstellen, an denen neben der akustischen Komponente der Unterton des Heimlichen (abscondite) spürbar ist,449 schließlich 1533 in seiner Kritik am Verhalten der Augsburger Prediger, die sich laut Luther auf der Kanzel so unpräzise ausdrückten, daß man nicht klar ersehen könne, ob sie auf seiten der Wittenberger oder der Zwinglianer stünden.450 Auch die Wendungen »leise gehen«, »leisetreten« und »Leisetritt« benutzte Luther in verschiedenen Konnotationen, zunächst im ursprünglichen Sinn eines vorsichtigen Ganges,451 dann wie schon das Adjektiv mit kritischem Unterton: Zum einen bemängelte er 1527 die Angewohnheit der Sakramentierer, daß sie ihre Positionen nur sehr verschleiert darstellten,452 zum anderen charakterisierte er 1530 den Mainzer Ratschlag aus dem Jahr 1525 als Leisetritt, das heißt als einen geheimen Plan, in dem die Bischöfe Anspruch auf die Herrschaft über die Welt erhoben.453 Schließlich verwendete er das Verb »leisetreten« während des Augsburger Reichstags noch einmal zur Kennzeichnung der CA, und zwar in einem Brief an Jonas vom 21. Juli, und verband es dort mit Kritik an fehlenden Themen im Bekenntnis, auf die unten gesondert eingegangen wird.454 Für unseren Zusammenhang sind insbesondere die zwei Stellen interessant, an denen Luther die Adjektive »sanft« und »leise« wie in seinem Brief an den Kurfürsten vom 15. Mai gemeinsam gebrauchte; beide Male kennzeichnete er dadurch seinen eigenen Umgang mit dem Papsttum als zurückhaltend und unpolemisch im Gegensatz zu dem, was eigentlich angemessen wäre.455 Die Wendung »leise gehen« begegnet schließlich auch im Umfeld Luthers bei Brück, der Luther 1534 im Auftrag von Johann Friedrich bat, er solle in einem die sich unterordnen, keine Zivilcourage haben und sich einschmeicheln (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 6, 719; Brockhaus Wahrig 4, 453 und Duden, Wörterbuch 5, 2103). 447 Vgl. WA 10/1.2, 223, Z. 10. 448 Vgl. WA 10/3, 78, Z. 19; WA 41, 686, Z. 4 und WA 52, 483, Z. 9. 449 Vgl. die Übersetzung von Ri 4,21; Ruth 3,7 und 1Sam 24,5. 450 Vgl. Luther an den Rat zu Augsburg 8. 8. 1533 [WA Br 6, 510–512, Nr. 2041; hier 510, Z. 9 f.]. 451 Vgl. WA 52, 439, Z. 25. 452 Vgl. die Schrift »Daß diese Wort Christi ›Das ist mein Leib‹ noch fest stehen« aus dem Jahr 1527 [WA 23, 64–283; hier 89, Z. 21]. 453 Vgl. Luther in seiner »Vermahnung an die Geistlichen« von Mai [WA 30/2, 334, Z. 23 ff.] und Grimm, Deutsches Wörterbuch 6, 719. 454 Vgl. Luther an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 7 f.] und unten Teil c). 455 Vgl. WA 10/2, 232, Z. 13 und die Schrift »Kleine Antwort auf Herzog Georgen nächstes Buch« von 1533 [WA 38, 141–170; hier 142, Z. 16 f., Z. 22 f. und Z. 38]; zur Unangemessenheit des Redens Neuser, Confessio Augustana, 34.
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Bericht für den Kurfürsten in bezug auf Herzog Georg von Sachsen »leis« gehen; das ist wohl als Aufforderung zu verstehen, allzu starke Polemik zu unterlassen.456 Nach der Darstellung all dieser Belege stellt sich die Frage, was sie für eine Beantwortung der oben genannten Fragestellung hinsichtlich möglicher Kritik Luthers an der CA austragen: Die Tatsache, daß Luther die Worte »leise« und »leisetreten« in bezug auf andere Personen immer wieder mit kritischem Unterton verwendete, macht es schwierig, in seiner Aussage vom 15. Mai ein uneingeschränktes Lob zu sehen, wie das einige Forscher tun.457 Allerdings erscheint mir auch die gegenteilige Interpretation als Vorwurf wegen Verfälschung des reformatorischen Anliegens unwahrscheinlich, denn Luther verwendete die Worte »leise« und »leisetreten« zwar als Kritik, doch blieb diese in Andeutungen, und er wandte sich mit seiner Kritik immer gegen eine Art des Redens oder des Umgangs mit dem Papsttum, nie gegen konkrete Inhalte. Eine scharfe inhaltliche Kritik Luthers würde auch nicht zu seinem Lob der CA und zu seiner Hoffnung auf ihren Erfolg im selben Brief passen. Zudem stünde einer solchen Interpretation entgegen, daß die Aussage Luthers vom Kurfürsten als Zustimmung verstanden wurde. Meiner Ansicht nach bemängelte Luther mit seiner Aussage ähnlich wie bei seiner Kritik an den Augsburger Predigern und den Schriften der Zwinglianer, daß die lutherischen Inhalte in der CA infolge der milden Form nicht so deutlich erkennbar waren, wie er selbst sich das gewünscht hätte. Allerdings erkannte er an, daß es nicht seine Aufgabe war, Änderungen an der CA vorzunehmen, sondern daß er die Ausarbeitung des Bekenntnisses seinen Kollegen in Augsburg überlassen mußte. Dies konnte er auch getrost tun, denn er wußte ja, daß er die Themen in seinem Stil durch eigene Schriften wie seine »Vermahnung« unters Volk bringen konnte. Ich schließe mich also der oben genannten dritten Meinung der Forschungsliteratur an und deute Luthers Aussage vom Leisetreten als humorvolle Feststellung der milden Form und Tendenz der CA mit einem leicht kritischen Unterton. b) Luthers Kritik an Melanchthons Erwartungen am 3. Juli Eine weitere Aussage Luthers zur CA findet sich in einem Brief an Melanchthon vom 3. Juli. Luther hatte die CA nun in ihrer Endgestalt gelesen und äußerte zunächst seine vollkommene Zustimmung. Im Anschluß daran begegnen wiederum kritische Worte: Die CA (und damit Melanchthon) irre und sündige darin, daß sie (bzw. er) die Aussagen der Heiligen Schrift nicht wahrhaben 456
Vgl. Brück an Luther 21. 12. 1534 [WA Br 7, 137–139, Nr. 2161; hier 139, Z. 54 f.]. Die von Scheible, Augsburger Reichstag, 55 aufgemachte Unterscheidung zwischen einer kritischen Verwendung des Substantivs »Leisetritt« und einem nicht so schroffen Gebrauch des Verbs »leise treten« kann nicht überzeugen, zumal sich oben zeigte, daß auch das Verb mit negativer Konnotation vorkommt. 457
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wolle, wo diese davon spreche, daß Christus und das Bekenntnis zu ihm in der Welt Anstoß erregten. Angesichts der dämonenhaften Gegner könne man auch derzeit nichts anderes denn eine Verwerfung der reformatorischen Lehre erwarten. Die Hoffnung auf Heil dürfe sich nicht auf Menschen richten, sondern allein auf Gott.458 Diese Kritik bezog sich nicht – wie einige Forscher aufgrund einer der zitierten Bibelstellen meinen – auf die Auslassung des Papsttums oder auf die fehlende Schärfe der CA,459 sondern Luther wandte sich hier gegen Melanchthons an das Bekenntnis geknüpfte Erwartungen und gegen seine Versuche, unter allen Umständen eine Anerkennung der CA durch die Gegner zu erreichen.460 c) Luthers Kritik an fehlenden Themen am 21. Juli In einem Brief an Jonas vom 21. Juli äußerte sich Luther noch einmal kritisch zur CA. Jetzt bemängelte er das Fehlen von Artikeln über das Fegefeuer, über die Heiligenverehrung und insbesondere über den Primat des Papstes.461 Dabei handelt es sich keineswegs um eine »seltsame Zusammenstellung von disparaten und nicht gerade zentralen Glaubensgütern«,462 sondern um bedeutende altgläubige Lehren, die ähnlich wie Luther auch den anderen in Augsburg vertretenen protestantischen Ständen463 sehr wichtig waren: Das Fegefeuer hatte Lu458
Vgl. Luther an Melanchthon 3.7. [MBW 951; MBW T 4/1, 318, Z. 4 ff.]: »Relegi heri tuam Apologiam diligenter totam, et placet vehementer. Sed errat et peccat in uno, quod contra scripturam sanctam facit, ubi Christus de se ipso: ›Nolumus hunc regnare super nos‹ [Lk 19,14], et impingit in illam censuram: ›lapidem, quem reprobaverunt edificantes‹ [Ps 117,22 Vulg.]. In tanta cecitate et pertinacia demonum quid speres aliud quam reprobari?«; [ Z. 13 f.]: »Igitur nulla nobis spes salutis nisi in domino solo«. 459 So Calinich, Augsburgische Confession, 57; Knaake, Augsburgische Confession, 78; Enders, Luthers’s Briefwechsel 8, 80, Anm. 3 und von Schubert, Luther auf der Coburg, 151 f. 460 Vgl. Hopf, Briefe von der Veste Coburg, 60, Anm. 3; Rückert, Luther und der Reichstag, 114 ff. und Scheible, Augsburger Reichstag, 52. 461 Vgl. Luther an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 8 f.]: »Apologiam vestram leise treten et dissimulasse articulos de purgatorio, de sanctorum cultu, et maxime de antichristo Papa«; zu Kritik an der Auslassung des Papsttums auch unten Kap. 3.3.1.2. 462 Scheible, Augsburger Reichstag, 55. 463 Philipp von Hessen zählte die Heiligenverehrung und den Primat des Papstes in der Instruktion für seine Gesandten vom 27.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 331, Z. 27 und Z. 32] zu den Punkten, bei denen sie keinesfalls nachgeben sollten. Für den Nürnberger Rat Johann Hepstein gehörten diese beiden Themen zu den strittigen Fragen, über die seiner Meinung nach ein Konzil entscheiden sollte (vgl. seinen Ratschlag vom 22.6. [Hortleder, Handlungen, 54–60; hier 58]). Vgl. zum Fegefeuer die Gutachten folgender Theologen: Rurer von März (?) [Gussmann, Ratschläge 2, 3–47, Nr. 1; hier 21, Z. 1 ff.]; Feurelius vom 10.3. [Die fränkischen Bekenntnisse, 631–655; hier 633–635]; Amerbacher vom 4.4. [Die fränkischen Bekenntnisse, 482–538; hier 515]; die Nürnberger Prediger vor 7.5. [Gussmann, Ratschläge 1, 290, Z. 21 ff.]; Osianders »Schirmschrift« vom 22.6. [OG 4, 68–102, Nr. 140; hier 99, Z. 21 ff.]; außerdem Zwinglis »Fidei Ratio« vom 3.7. [CR 93/2, 790–817; hier 814, Z. 25 ff.]. Vgl. zum Primat des Papstes die Gutachten von März von den Kulmbacher Geistlichen
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ther bereits im Rahmen des Ablaßstreits angegriffen, weil es sich durch die Schrift nicht belegen ließ und er infolge dieser Lehre eine Stärkung der Werkgerechtigkeit und eine Instrumentalisierung des Meßopfers befürchtete.464 Und die Erkenntnis, der Papst sei der Antichrist, begleitete Luther ebenfalls seit den Anfängen seiner reformatorischen Tätigkeit.465 Entsprechend hatte er selbst beide Themen auch in seiner »Vermahnung an die Geistlichen« angeschnitten.466 Allenfalls bei der Heiligenverehrung kann man sich fragen, warum Luther ihr Fehlen benannte, gab es in CA 21 doch einen diesbezüglichen Artikel. Wahrscheinlich ging ihm aber diese Darstellung nicht weit genug. Es ist nicht anzunehmen, daß Luther von einem möglichen Zugeständnis Melanchthons beim Fegefeuer und seinen mehrmaligen Zusagen an Altgläubige, die Lutherischen würden dem Papst gehorsam sein,467 wußte und diese Themen deshalb nannte. Seine Aussage ist vielmehr so zu verstehen, daß er bei den drei ihm sehr wichtigen Themen eine polemische Abrechnung der CA mit den altgläubigen Gegnern vermißte und Melanchthon eine »Vertuschung theologisch gravierender Differenzen zur papistischen Lehre« vorwarf.468 Es wird immer wieder die Frage gestellt, warum Luther seine Kritik an den fehlenden Artikeln nicht früher äußerte, das heißt zu einem Zeitpunkt, als noch Abhilfe möglich gewesen wäre.469 Dazu ist zu sagen, daß er zum einen die CA in ihrer Endgestalt erst nach ihrer Übergabe Ende Juni zugestellt bekommen hatte. Diese war zwar viel umfassender als die ihm zugeschickte Version von Mitte Mai, enthielt aber im Unterschied zu dieser früheren Fassung keine expliziten Aussagen mehr zum Fegefeuer und zum Papst.470 Zum anderen sah er sich erst zu einer Stellungnahme genötigt, als er begriff, welche Erwartungen seine Kollegen in Augsburg mit dem Bekenntnis verbanden, daß die CA in Verhandlungen mit den Altgläubigen Verwendung finden sollte und daß sich seine Kollegen deshalb bei ihm nach der Möglichkeit weiterer Zugeständnisse erkundigt hatten. In dieser Entwicklung sah er eine vom Teufel geschickte An[Gussmann, Ratschläge 2, 47–96, Nr. 2 ; hier 82, Z. 22 ff.] und von Löner [Gussmann, Ratschläge 2, 96–168, Nr. 3 ; hier 112, Z. 16 ff. und 138, Z. 28 ff.]. 464 Vgl. Vorgrimler, Purgatorium, 1830. 465 Vgl. Kirchner, Luther und das Papsttum, 443. 466 Vgl. Luthers »Vermahnung an die Geistlichen«: zum Papst WA 30/2, 278, Z. 29 und 282, Z. 20 ff.; zum Fegefeuer 290, Z. 20. 467 Vgl. oben Kap. 1.2.6.1 und Kap. 1.3.4.4. 468 Manns, Ökumene auf Kosten Luthers, 439; vgl. Hacker, Stellungnahme, 95; zu Melanchthons bewußter Auslassung bestimmter Themen oben Kap. 1.2.8. 469 Vgl. z. B. Scheible, Augsburger Reichstag, 55. 470 Die dem Nürnberger Rat vorgelegte Version der CA von Anfang Juni enthielt eine Beweisführung gegen Totenmessen und äußerte sich damit zumindest indirekt auch gegen das Fegefeuer (vgl. Kolde, Redaktion, 19, Z. 36 ff. und 59). Der Papst war sowohl im gemeinsamen Gutachten der Wittenberger Theologen nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 81, Z. 81 ff.] als auch in Melanchthons Gutachten von ca. April [MBW 895; MBW T 4/1, 139, Z. 42 ff.] erwähnt worden.
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fechtung, angesichts derer die von ihm vielleicht schon früher bemerkten inhaltlichen Schwächen der CA relevant wurden.471 Entgegen der Sichtweise seiner Kollegen in Augsburg war die CA für Luther in erster Linie ein Bekenntnis, durch das in aller Öffentlichkeit – vor Kaiser und Reich – die lutherische Lehre gepredigt worden und dadurch die »Lichtscheue« der Altgläubigen offenbar geworden war; eine weitere Aufgabe sollte ihr seiner Meinung nach nicht zukommen.472 Entsprechend antwortete Luther Anfang August auch auf Melanchthons Fragen nach einem möglichen Nachgeben bei den Traditionen und stellte klar, daß bestimmte Traditionen wie zum Beispiel das Fegefeuer und die Heiligenverehrung außerhalb des Wortes Gottes stünden und man deshalb in diesen Punkten nicht nachgeben könne.473 Luther selbst war zum Zeitpunkt seines Tadels (vom 21. Juli) bereits dabei, die in der CA bemerkten Mängel selbst auszugleichen: Er hatte vor, in einer Reihe von Schriften zu den altgläubigen Lügen – wie er sie bezeichnete – Stellung zu nehmen und den Kampf gegen das Papsttum zu erneuern, und begann entsprechend mit einem »Widerruf vom Fegefeuer«,474 der bereits am 20. Juli in Wit471 Vgl. Luther an Jonas 21.7. [WA Br 5, 495, Z. 6 ff.]: »nunc video, quid voluerint istae postulationes, an plus articulorum haberetis offerendum. Scilicet Satan adhuc vivit, et bene sensit Apologiam vestram leise treten« und Clemen / Brenner, WA 30/2, 361. 472 Vgl. Luther 6.7. an Cordatus [WA Br 5, 442, Z. 12 ff.] und an Albrecht von Brandenburg [WA 30/2, 398, Z. 27 ff.]; 9.7. an Johann von Sachsen [WA Br 5, 453–455, Nr. 1633; hier 453, Z. 11 f.] und an Jonas [WA Br 5, 458, Z. 12 ff.]; an Jonas, Spalatin, Melanchthon und Agricola 15.7. [MBW 975; MBW T 4/1, 388, Z. 11 ff.]; die Beantwortung der Fragen Königin Marias von August [Schirrmacher, Briefe und Acten, 180–184; hier 184]; die Briefe an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 607, Z. 42] und 20.9. [MBW 1082; MBW T 4/2, 706, Z. 12 f.]; eine Predigt vom 16.10. [WA 32, 132, Z. 22 f.]; die Aufzeichnung »De energia Augustanê Confessionis« von 1531 [WA 30/3, 389; hier Z. 6 ff.] und eine Tischrede zwischen 12.2. und 3. 3. 1533 [WA Tr 3, 126, Nr. 2974a; hier Z. 31 ff.]. Entsprechend dieser Sicht der CA sprach Luther Melanchthon in seinen Briefen des öfteren als confessor an (vgl. 31.7. [MBW 1000; MBW T 4/1, 472–474; hier 473, Z. 1]; 3.8. [MBW 1008; MBW T 4/2, 499–504; hier 502, Z. 1]; 4.8. [MBW 1011; MBW T 4/2, 516, Z. 1] und 15.8. [MBW 1026; MBW T 4/2, 557–562; hier 561, Z. 1]). Diese Sicht der CA teilten auch andere Protestanten in Augsburg (vgl. Philipp von Hessen an Melanchthon nach 11.6. [MBW 925; MBW T 4/1, 232, Z. 64 ff.]; Spalatin an von Bünau 28.7. [Baxmann, Briefe, 628–630, Nr. 21; hier 629]; Spenglers Trostschrift für Georg von Brandenburg vom 4.8. [Pressel, Spengler, 70–74; hier 71]; Weiß an Harscher 25.8. [Jordan, Briefe, 225–228; hier 226] und das Gutachten der hessischen Theologen über die Augsburger Verhandlungen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 337–342, Nr. 17; hier 337, Z. 21 ff.]). 473 Vgl. Luther an Melanchthon 4.8. [MBW 1011; MBW T 4/2, 510–519; hier 517, Z. 21 ff.]. 474 In seinem »Widerruf vom Fegefeuer« von Juni / Juli [WA 30/2, 367–390; hier 368, Z. 4 ff.] betonte Luther, er wolle zunächst von der Lüge des Fegefeuers sprechen, da er hierüber noch »nichts sonderlichs geschrieben habe«; danach beabsichtige er, »von den andern lügen und greweln jnn der riege und ordnung nacheinander her« zu berichten; vgl. auch seinen Brief an Brenz vom 30.6. [WA Br 5, 417–419, Nr. 1614; hier 419, Z. 47 ff.]: »de purgatorio mendacia quaedam attigi contra Papistas, velut instituens ab integro novam in illos pugnam«.
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tenberg im Druck und am 13. August in Augsburg war.475 Seinen Absichten entsprechend wurde Luthers Schrift in Augsburg als Kampf gegen die Papisten aufgefaßt.476 Auch gegen den Papst plante er eine eigene Schrift, äußerte sich zu diesem Thema aber zunächst in seiner Schrift »De clavibus«,477 die er bereits am 24. August beendet und an Melanchthon geschickt hatte.478 Alle drei Themen, die ihm in der CA fehlten, sprach er zudem in der »Warnung an seine lieben Deutschen« im Oktober an.479 Vielleicht veranlaßte die Kritik Luthers an den fehlenden Themen Melanchthon zu verschiedenen Notizen über den Primat des Papstes, die dann auch in ein Gutachten für Kurfürst Johann von Sachsen einflossen. Im September, nachdem die Verhandlungen mit den Altgläubigen gescheitert waren, konnte dann auch Melanchthon offen vom Papst als dem Antichristen sprechen.480 d) Versteckte Kritik Luthers an den Kirchenväterstellen der CA Ende August Luther äußerte sich in seiner Vorrede zum Amoskommentar von Brenz Ende August über die Heranziehung von Kirchenvätern. Er bekräftigte, er wolle die berühmten Väter nicht verunglimpfen, man müsse ihre Schriften aber äußerst sorgfältig lesen und immer nach den biblischen Regeln aus 1Thess 5,21 (»Prüft alles«) und 1Joh 4,1 (»prüft die Geister, ob sie von Gott sind«) verfahren; ansonsten verliere man sich in unsicherer Lehre und gelange nie zur Erkenntnis der Wahrheit.481 Da Melanchthon die CA mit zahlreichen Kirchenväterzitaten abgesichert hatte und in Augsburg sehr eng mit Brenz zusammenarbeitete, könnte man vermuten, daß Luther durch seine Aussage versteckt Kritik an Me475
Vgl. Spalatin, Annales, 152 und Clemen / Brenner, WA 30/2, 362. Vgl. Bucer an A. Blarer 14.8. [BC 4, 196, Z. 13 f.]. 477 Vgl. die zwei Bearbeitungsstufen von Luthers Schrift »De clavibus« von Ende Juli in WA 30/2, 435–464 und 465–507; zum Papst passim; z. B. 471, Z. 14 ff. und 484, Z. 7 ff. 478 Vgl. Luther an Melanchthon 24.8. [MBW 1038; MBW T 4/2, 584, Z. 11] und Brenner / Clemen, WA 30/2, 428. 479 Vgl. Luthers »Warnung« zum Fegefeuer WA 30/3, 306, Z. 20 f. und 309, Z. 24 f.; zum Papst als Antichrist 308, Z. 12 und zur Heiligenverehrung 312, Z. 1 ff.; zudem Luthers »Schmalkaldische Artikel« von 1537 und dazu unten Abschnitt III, Kap. 5. 480 Vgl. Melanchthons Aufzeichnungen von ca. Juli [MBW 1003; MBW T 4/1, 486 f.; hier Z. 2 –9]; seine Notizen vom 7.9. [MBW 1067; MBW T 4/2, 654, Z. 149 ff.] und sein Gutachten für Johann von Sachsen vom 7./8.9. [MBW 1070; MBW T 4/2, 664–671; hier 667 f., Z. 91 ff.]. 481 Vgl. die Vorrede Luthers zum Amoskommentar von Brenz vom 26.8. [WA 30/2, 649– 651; hier 651, Z. 1 ff.]: »Non quod illustribus patribus detrahere velim et oculos cornicum configere, . . . Sed quod putem admonitos nos omnes esse oportere, ut patrum scripta cum iudicio eoque diligentissimo et acutissimo legamus, secundum regulam illam spiritus sancti: ›omnia probate‹ [1Thess 5,21], et iterum: ›probate spiritus‹ [1Joh 4,1] . . . Quod qui non fa ciunt, videmus, quantis incertae doctrinae ventis circumferantur et opinionibus in infinitum sese gignentibus sursum deorsum agitentur, semper discentes et nunquam ad scientiam veritatis pervenientes«. 476
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lanchthon übte und verhindern wollte, daß auch Brenz so verfuhr.482 Vielleicht weist auch die auffällige Ausdrucksweise des Camerarius in seiner MelanchthonBiographie auf derartige Kritik hin: Als er beschrieb, wie Melanchthon seine Aussagen in der Apologie abgesichert habe, benannte er die Kirchenväter nicht explizit, sondern umschrieb sie auf ungewöhnliche, apologetisch anmutende Weise als Personen, die den Spuren der Propheten und Apostel bei ihrer Lehre in der Kirche Christi gefolgt seien und mit der reinen Lehre übereinstimmten.483 Für die Möglichkeit solcher Kritik spricht, daß man unter den Protestanten die Heranziehung der Kirchenväter nicht überall schätzte.484 3.3.1.2 Streitigkeiten bei der Abfassung des Bekenntnisses Verschiedene Berichte weisen darauf hin, daß es, als sich weitere protestantische Stände dem sächsischen Bekenntnis anschlossen und gemeinsam darüber berieten, zu Konflikten kam. Dies läßt darauf schließen, daß die anderen an der Abfassung beteiligten Personen nicht mit allen Details des Bekenntnisses einverstanden waren. Es läßt sich allerdings nicht mehr feststellen, wer diese Personen waren. Die Unzufriedenheit richtete sich einerseits auf Melanchthons Absicht, immer neue Änderungen – und das heißt wohl Milderungen – am Bekenntnis vorzunehmen.485 Im Hintergrund stand, daß der kaiserliche Sekretär Valdés, dem Melanchthon die CA zum Lesen gegeben hatte, sie für zu scharf befunden hatte,486 Melanchthon darauf hin befürchtete, er habe sich zu polemisch
482 Die zahlreichen Kirchenväter-Zitate waren auch den Frankfurter Gesandten aufgefallen (vgl. die Aussagen im Bericht an ihren Rat vom 27.6. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 404]: »Solche ir furbringen ist . . . nit alleyn mit grundt biblischer geschrieft neuws vnd alts testament, sonder auch mit der veter spruchen . . . außgestrichen worden«). Von Bucer war die Hochschätzung der Kirchenväter durch Melanchthon positiv angemerkt worden (vgl. Bucer und Capito an Melanchthon 18.7. [MBW 980; MBW T 4/1, 397, Z. 63 f.]). 483 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 141 f.: »Prophetarum Apostolorumque, et qui illorum vestigia secuti sunt docendo in Ecclesia Christi, oracula atque consentientis perpetuo sanae et integrae doctrinae testimonia«. 484 Vgl. z. B. das Gutachten Johann Friedrichs von Sachsen aus der Zeit Mai bis Juli 1529 [Mentz, Johann Friedrich 1, 122–126, Nr. 16; hier 122], in dem er die Altgläubigen als Menschen charakterisierte, die »dasselbige, das von den alden vettern geschrieben und verordent ist worden, vor christlich und recht halden und gleuben«, und Spengler in seiner Trostschrift für Georg von Brandenburg vom 4. 8. 1530 [Pressel, Spengler, 72], der betonte, daß die Gegner im Gegensatz zu den Protestanten, die ihre Lehre allein auf das Wort Gottes stellen, »ihre Lehre mit der Väter Sprüchen und Concilien Autorität befestigen« wollten. 485 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 4 f.]: »plura . . . mutaturus [sc. in confessione], si nostri συμφράδμονες permisissent«. 486 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 7 f.]: »Valdesius . . . vidit [sc. confessionem] . . . ac plane putavit πικρότερον esse, quam ut ferre possent adversarii«.
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geäußert,487 und vielleicht aus diesem Grund Änderungen vornehmen wollte.488 Andererseits entbrannte Streit über inhaltliche Fragen, das heißt konkret: Anderen Protestanten fehlten in der CA bestimmte Themen, oder sie hatten sich die Darstellung einzelner Artikel anders vorgestellt: Zum einen scheint es zum Streit über Melanchthons Verzicht auf Aussagen über den Papst gekommen zu sein.489 Die Endgestalt der CA und Zeugnisse vom Bundestag in Schmalkalden aus dem Jahr 1537 weisen allerdings darauf hin, daß sich Melanchthon schließlich durchsetzte und der Primat des Papstes aus Gründen der Diplomatie nicht behandelt wurde.490 Angesichts der genannten Kritik Luthers an fehlenden Themen der CA491 erstaunt es etwas, daß die Protestanten in Augsburg neben dem Primat des Papstes in der CA keine weiteren Themen vermißten bzw. als fehlend benannten, auch dann nicht, als der Kaiser am 9. Juli fragen ließ, ob die Protestanten zusätzliche Artikel zu übergeben gedächten. In ihrer Antwort verwiesen sie nur darauf, daß in der CA »nicht alle Mißbräuche specificirt und namhaftig angezogen« seien, sondern daß es sich um ein allgemeines Bekenntnis handle.492 Interessanterweise fiel aber einigen Protestanten nach Übergabe der »Confutatio« auf, daß in ihr unter anderen die Themen »Fegefeuer« und »Obrigkeit des Papstes« übergangen worden waren; 493 sie zogen daraus allerdings nicht den Schluß, dies könne daran liegen, daß sie bereits in der CA fehlten. Als dann die beiden altgläubigen Vermittler Vehus und Truchseß von Waldburg in ihrem Vergleichsvorschlag im September anmahnten, man solle 487 Vgl. Melanchthon 26.6. an Camerarius [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 5 ff.]: »tantum abest, ut lenius iusto scriptum fuisse iudicem, ut verear eciam mirum in modum, ne qui sint offensi libertate nostra« und an Luther [MBW 940; MBW T 4/1, 266, Z. 14 f.]: »Satis est meo iudicio vehemens. Nam monachos sic satis depexos videbis«. 488 Vgl. dazu oben Kap. 1.2.6.1. 489 Vgl. zu Melanchthons Verzicht oben Kap. 1.2.8; zur Kritik daran Melanchthon an Pfeffinger 23. 11. 1546 [MBW 4459; CR 6, 289]: »Mihi ipsi magna contentio fuit Augusta cum multis, ne insereretur Confessioni quaestio, An Romanus Episcopus antecellat aliis«; zudem die Kritik Luthers oben Kap. 3.3.1.1 c). 490 Vgl. die Ausführungen Brücks vor dem Bundestag zu Schmalkalden am 11. 2 . 1537 nach den Berichten der Straßburger, Konstanzer, Ansbacher, Nürnberger und Braunschweiger Gesandten [Volz / Ulbrich, Urkunden, 155, Z. 9 ff.; 156, Z. 63 ff.; 161, Z. 53 ff.; 163, Z. 130 ff.; 164, Z. 171 ff.]; nach Bugenhagen an Jonas 13. 2 . 1537 [Clemen, Briefe aus der Reformationszeit, 91–93, Nr. 9 ; hier 92]: »illa, quae sunt contra papatum, quae dissimulata a nostris sunt in comitiis Augustanis propter Caesarem« sowie Dietrich und Osiander an die Nürnberger Prediger 17. 2 . 1537 [OG 6, 218–223, Nr. 230; hier 220, Z. 2 ff.]. Diesem Mangel sollte im Jahr 1537 abgeholfen werden, weshalb Melanchthon Mitte Februar seinen »Tractatus de potestate et primatu papae« schrieb [BSLK, 471–496]; vgl. dazu auch unten Abschnitt III, Kap. 5. 491 Vgl. oben Kap. 3.3.1.1 c). 492 Vgl. zur Frage des Kaisers Spalatin, Annales, 142 f.; zur Antwort das Gutachten S. Hellers vom 9.7. [UB 2, 13–16, Nr. 112; hier 14] und die offizielle Schrift der fünf protestantischen Fürsten an den Kaiser vom 10.7. [UB 2, 16–19, Nr. 113; Zitat 18]. 493 Vgl. Spalatin, Annales, 152.
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zum Abschluß des Reichstags die unverglichenen Artikel zusammenstellen,494 waren es auch hier die in der CA nicht genannten Themen – vor allem die Siebenzahl der Sakramente, Ablaß, Fegefeuer und Papsttum –, die bei den Protestanten die Sorge auslösten, die Altgläubigen könnten infolge der Nicht-Nennung dieser Themen glauben, die Protestanten widerriefen ihre bisherige Position oder verzichteten zumindest auf eine Diskussion über diese Punkte.495 Neben der Kritik an fehlenden Aussagen zum Papst gab es in den Beratungen über den Text der CA zum anderen Auseinandersetzungen um den Abendmahlsartikel, wahrscheinlich ausgelöst durch Philipp von Hessen, der versuchte, verletzende Wendungen gegen die Oberdeutschen zu tilgen, dies aber nicht schaffte. Alle anderen waren sich in diesem Punkt aber wohl einig.496 Melanchthon selbst wies viele Jahre später auf weitere Streitigkeiten hin; ob es diese wirklich gab und, wenn ja, worum sie sich drehten, läßt sich aber nicht mehr feststellen.497 3.3.1.3 Andreas Osiander Andreas Osiander, der unter den Theologen war, die der Nürnberger Rat mit der Begutachtung der CA beauftragt hatte, billigte das Bekenntnis zwar grundsätzlich und hob die Übereinstimmung mit seiner eigenen Stellungnahme für den Kaiser, der sogenannten Schirmschrift, hervor.498 In der Ratssitzung vom 10. Juni, in der über die Unterschrift Nürnbergs unter die CA entschieden wurde, äußerte er sich allerdings auch kritisch über sie: Er legte seine Befürchtungen dar, daß die Altgläubigen aus der überaus großen Milde des Bekenntnisses den Schluß ziehen könnten, man wolle ihnen bei allen freien Zeremonien entgegenkommen.499 Diese Kritik Osianders scheint über Camerarius auch Me494 Vgl. Vehus’ und von Waldburgs Acht-Punkte-Programm vom 11.9. [Honée, Libell, 311, Z. 7 ff.]. 495 Vgl. die Gutachten von Jonas 14.9. [UB 2, 425]; von Spalatin 14.9. [UB 2, 428–431, Nr. 190; hier 428 f.] und ca. 20.9. [UB 2, 460 f., Nr. 202; hier 461] und von den protestantischen Theologen 17.9. [MBW 1078; MBW T 4/2, 695, Z. 3 ff.] und den Bericht der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 21.9. [CR 2, 386]; ähnlich hatte sich auch Schnepf in seinem Gutachten Ende August [UB 2, 313] geäußert. 496 Vgl. Schnepfs Schrift »Confessio de eucharistia« von 1555, O 1a und Gussmann, Ratschläge 1, 222. 497 Vgl. Melanchthons Vorrede zu seinem »Corpus doctrinae Christianae« vom 16. 2. 1560 [MBW 9236; MSA 6, 5–11; hier 8, Z. 8 f.]: »possem alias rixas multas recitare«. 498 Vgl. Osiander an Luther 21.6. [OG 4, 59, Z. 6 ]: »apologiam vidi ac valde probo« und seine Erklärung vom 22.6. [OG 4, 102–104, Nr. 141; hier 103, Z. 4 f.]: »sein schrifftlich antwort . . . werde sich fasst mit deß Melanchthons vergleichen«. Seine »Schirmschrift« vom 22.6 ist gedruckt in OG 4, 68–102, Nr. 140. 499 Vgl. das Protokoll der Nürnberger Ratssitzung vom 10.6. [OG 4, 52, Z. 12 ff.]: »diese apologia gantz lynd und zum tail schir dohin gestellt, das die papisten doraus versteen mochten, man wollt in allen freyen und unnotdorftigen iren ceremonien weichen und dieselben, wie narrisch und unnutz sie auch wern, so sie dem wort Gottes nit widerstrebten, wider aufrichten«.
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lanchthon zu Ohren gekommen zu sein, denn nach der Übergabe der CA sprach er seinem Nürnberger Freund gegenüber von Osiander als seinem Aristarch 500 – dieser alexandrinische Grammatiker (ca. 216–144 v.Chr.) hatte die Gedichte Homers scharf rezensiert und galt seither als Inbegriff eines strengen Kritikers.501 Der Vorwurf Osianders gegenüber der Milde der CA scheint Melanchthon stark beeindruckt zu haben, denn er erinnerte sich noch im Jahr 1553 daran.502 Als Osiander ab dem Winter 1550/51 wegen seiner Rechtfertigungslehre in die Kritik geriet,503 legte er im Januar 1552 in einer Schrift dar, daß er seine Lehre von der Rechtfertigung in den vergangenen dreißig Jahren nicht geändert habe. Im zweiten Beweisgang kam er dabei auf den Augsburger Reichstag von 1530 zu sprechen und erklärte, er habe damals bereits vor dem Reichstag bemerkt, daß Melanchthons Rechtfertigungslehre »nicht so lauter und klar ging als D. Luther seliger gedechtnus«, und deshalb beim Reichstag seine Hilfe bei der Formulierung des Rechtfertigungsartikels angeboten, um so »etliche unnütze und verwirrete gezenck zwischen uns und den papisten« abzumildern. Da er selbst allerdings vor der Übergabe der CA Augsburg wieder habe verlassen müssen,504 habe er nicht mehr dazu beitragen können, den entsprechenden Artikel »etwas reichlicher und klerer« darzulegen.505 3.3.1.4 Martin Bucer und Wolfgang Capito Kritik an der überaus großen Milde der CA äußerte Anfang Juli auch Martin Bucer.506 In einem kurz danach gemeinsam mit Capito verfaßten Brief an die Straßburger Prediger wurde diese Kritik noch präziser: Bucer und Capito be500
Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 263, Z. 9 ]: »si legas mei Aristarchi, de quo scribis, apologiam«; einige Sätze zuvor [Z. 5 f.] erklärte Melanchthon, die CA sei in keiner Weise zu milde; vgl. das Zitat oben Anm. 487. 501 Vgl. Erasmus, Adagia 1, 5, 57 f. [ASD 2/1, 530–534, Nr. 457 f.; hier 532 ff.]; Georges, Handwörterbuch 1, 573 und Montanari, Aristarchos, 1090–1094. 502 Vgl. Melanchthons »Oratio, in qua refutantur calumniae Osiandri« von 1553 [CR 12, 5–12; hier 10]: »Osiander tunc cum de confessione deliberationes essent, non proposuit suas sententias, nec formam aliquam scripsit, nec scribentes adiuvit. Tantum ut alii quidam ebrii in conviciis, moderatius dicta taxavit«. Melanchthons Erinnerung ist hier allerdings nicht ganz richtig, denn Osiander traf erst am 28. Juni, also nach den Beratungen zur CA und ihrer Übergabe an den Kaiser in Augsburg ein (vgl. Stupperich, OG 4, 105, Anm. 1); zudem hatte auch er eine Stellungnahme für den Kaiser verfaßt, die bereits genannte Schirmschrift vom 22.6. 503 Vgl. zum sog. Osiandrischen Streit unten Abschnitt IV, Kap. 6. 504 Osiander erinnerte sich hier falsch oder stellte die Tatsachen bewußt falsch dar; vgl. oben Anm. 502. 505 Vgl. Osianders Schrift »Beweisung, daß ich dreißig Jahre immer einerlei Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens gelehrt habe« vom 22. 1. 1552 [OG 10, 426–449, Nr. 508; bes. 434 ff. (Zitate 435, Z. 1 ff. und 438, Z. 20 f.)]; zudem seine »Widerlegung der Antwort Philipp Melanchthons« vom 21. 4. 1552 [OG 10, 571–670, Nr. 522; hier 576, Z. 5 ff. und 647, Z. 3 ff.]. 506 Vgl. Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 120, Z. 4 ]: »Horum [sc. Saxoni et eius sociorum] con[fessio] perquam lenis est«.
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mängelten die Meßaussagen der CA und viele andere Formulierungen, die bei den Gegnern den Eindruck großer Nachgiebigkeit erwecken könnten. Als Grund dieser Mäßigung vermuteten sie, daß die Lutherischen Anstoß vermeiden und eine Einigung mit den Altgläubigen befördern wollten. Es könne aber nicht angehen, so Capito und Bucer, daß man aufgrund von Ängstlichkeit altgläubige Lügen bekräftige, viele Menschen beschwere und durch ein solch wankelmütiges und von Furcht gezeichnetes Bekenntnis der Wahrheit Christi schade.507 3.3.1.5 Vertreter der Reichsstadt Ulm Die Ulmer Gesandten Bernhard Besserer (1471–1542) und Daniel Schleicher hatten die CA unmittelbar nach ihrer Übergabe an ihren Rat geschickt. Dieser hatte sie durch den Prediger Konrad Sam (1483–1533) begutachten lassen, und die beiden Gesandten erhielten bereits Anfang Juli Sams Gutachten, in dem sich dieser kritisch mit der CA auseinandersetzte: Seiner Ansicht nach könnten sich einige in der Schrift Ungeübte an den verwendeten römischen Begriffen ärgern; deren Gebrauch könnte zudem zur Folge haben, daß altgläubige Gegner sich in ihrer falschen Haltung bestätigt fühlten. Als Beispiele nannte Sam die Ausführungen der CA zu Beichte, Absolution, den Sakramenten und zur Messe. Am Inhalt dieser Artikel hatte er allerdings nichts auszusetzen. Er wollte zwar keinen Streit um Worte hervorrufen, seiner Ansicht nach wäre es aber besser gewesen, anstelle der römischen Begriffe solche der Heiligen Schrift zu benutzen.508 Besserer bemängelte noch im Jahr 1537 im Rahmen des Bundestags in Schmalkalden, daß die Milde der CA 1530 dem Bedürfnis der protestantischen Stände entgegengestanden hätte.509
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Vgl. Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 9 ff.]: »alia multa sic exposuerunt, ut uideantur ea non ingrati cessuri. Haec forsan illi causa cauendae offensae et occasionem concordiae objiciendae ad hunc modum moderari voluerunt; reuera autem nihil aliud effecerunt, quam ut sint iam hostes in ipsos . . ., tum etiam hoc ipso illorum timiditatis argumento sua illis contra nostram ueritatem mendacia confirment, taceo multorum offendiculum . . . Quid enim aeque infamet et suspectam reddat ueritatem Christi, pro qua millies moriendum est quam eam profiteri sic varie, sic formidulose?«; [Z. 22]: »Saxo[num] confessionem plus nimio mollem«. 508 Vgl. Sams Gutachten für die Ulmer Gesandten vom 6.7. [Gussmann, Ratschläge 2, 300–302, Nr. 2 ; hier 300, Z. 5 ff.]: »etlich, so in der schrift nit geübt, sich ergeren möchten ob etlichen worten, die uf römisch weis genennt werden, darzu ouch unsere widerwertigen gedenken möchten, ir bäpstlich haltung wer noch gut und gerecht«; [301, Z. 3 ff.]: »müssen mir bekennen, dass es christenlicher und besser wer, man redte von göttlichen sachen, wie die schrift darvon redt, und nit nach bäpstlicher gewonheit«. 509 Vgl. den Bericht der Ulmer Gesandten vom Bundestag zu Schmalkalden an ihren Rat vom 15. 2 . 1537 [Volz / Ulbrich, Urkunden, 159, Anm. 36]: »in der vbergebnen Confession souil rawchs vnd vnmillts nicht einkomen vnd doch der stendt notturfft woll geweßt were«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
3.3.2 Altgläubige Kritik an der »Confessio Augustana« Auf die altgläubige Kritik wird hier nur deshalb verwiesen, weil sie den Vorwürfen, die von protestantischer Seite erhoben wurden, ähnelt und ebenfalls die Milde der CA und fehlende Themen bemängelte. Erasmus und Cochlaeus sahen in der zurückhaltenden Gestalt der CA eine gefährliche Verschleierung ihrer kontroversen Inhalte, durch die eine Widerlegung erheblich erschwert werde.510 Cochlaeus stellte zudem im Dezember 1530 fest, Melanchthon habe die Schrift »dermassen verblümet uñ temperiert, das sie des Luthers leer selbst in viel Stücken strafft [sc. tadelt] und andert«, und bemängelte, daß bestimmte Themen verschwiegen wurden und man dadurch in heuchlerischer Art und Weise über die Verkehrtheit der lutherischen Lehre habe hinwegtäuschen wollen.511 3.3.3 Zusammenfasssung Die Darstellung hat gezeigt, daß es neben vielen lobenden Stimmen auch erhebliche Kritik an der von Melanchthon verfaßten CA gab. Diese richtete sich zum ersten gegen die zurückhaltende Form des Bekenntnisses, die einigen Protestanten Anlaß zur Sorge bot, die Altgläubigen könnten aus dieser Milde falsche Schlüsse über die protestantische Bereitschaft zum Nachgeben ziehen. Zudem wurde aus einem seelsorglichen Interesse heraus befürchtet, die verwendeten römischen Begriffe könnten Grund für Ärgernis im protestantischen Kirchenvolk sein. Zum zweiten wandten sich die Kritiker gegen die Inhalte der CA und bemängelten dabei in erster Linie das Fehlen von Artikeln zum Primat des Papstes und zum Fegefeuer. Luthers Kritik an den Aussagen zur Heiligenverehrung läßt sich nicht näher spezifizieren, seine Kritik an der Verwendung der Kirchenväter ist etwas unsicher, und Osianders Vorwurf einer unklaren Darstellung der Rechtfertigungslehre ist wohl aus dem Zusammenhang seiner 510
Vgl. den Brief der Frankfurter Gesandten an ihren Rat vom 12.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 422 f.], in dem sie berichteten, Erasmus habe das Bekenntnis begutachtet und festgestellt, daß es »leyse gestalt sey vnd zu vermuten, daß solchs viel mehr in im, dan man wenen wol, begreyf vnd vf sich hab«, und die Aussagen von Cochlaeus in seiner Schrift »Velitatio in Apologiam Philippi Melanchthonis« von 1532, die allerdings erst 1534 gedruckt wurde (vgl. Pfnür, Rechtfertigungslehre, 285), A 4b: »Quae [sc. Confessio Augustana] sane tanto nocentior est, quam Lutheri amarulentia, quanto blandius . . . Longe itaque facilius nobis est furiosos Lutheri impetus, Deo iuvante, sustinere, quam astutam Rhetoris huius artem et vafriciem detegere. Tanto igitur magis nocet iste Philippus, quanto facilius credunt ei quam Lutthero docti iuxta et indocti. Est enim verbis illo blandior«. 511 Cochlaeus in seinen Schriften »Vormahnung zu frid und einikeit«, E 2b [nach Pfnür, Rechtfertigungslehre, 287 f.] (Cochlaeus schrieb diese Schrift am 12. 12. 1530; vgl. dazu Pfnür, a. a. O., 284 mit Anm. 86); »Philippicae quatuor in Apologiam Philippi Melanchthonis« von 1531, die allerdings erst 1534 im Druck erschien; hier Teil 2 , 34 [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 75, Z. 26 ff.]: »astute occultari in illorum Confessione praua eorum dogmata, de quibus ibi tacendo dissimulabant, ut in hypocrisi loquentes« und »Commentaria« von 1549, 207: »In articulis de fide multa dissimulabant, quae antea aliter docuerant«.
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eigenen Bedrängnis im Osiandrischen Streit zu verstehen. Zum dritten kritisierte Luther die an die CA geknüpften Erwartungen Melanchthons, auf die unten bei der Kritik an Melanchthons Einigungsbestrebungen noch weiter einzugehen sein wird.512 Trotz der zitierten Kritik entwickelte sich die CA schon bald zu einem einigenden Band und einer wichtigen Lehrnorm für die protestantischen Stände,513 was sicher einer der wichtigsten Gründe dafür war, daß die Kritik an ihr keine lange Wirkungsgeschichte entfaltete.
3.4 Kritik an Melanchthons Kontakten zu Altgläubigen Die Darstellung des Reichstags hat gezeigt, daß Melanchthon in den Monaten von Juni bis September mit vielen mehr oder weniger einflußreichen Vertretern der Gegenseite sprach und verhandelte.514 Auch diese Kontakte waren Gegenstand von Kritik, und zwar sowohl auf protestantischer wie auf altgläubiger Seite.515 Was in diesem Zusammenhang von den Kritikern gegen Melanchthon vorgebracht wurde, soll im folgenden dargestellt werden. 3.4.1 Die Kritik von protestantischer Seite 3.4.1.1 Die Kritik an Melanchthons Sonderverhandlungen in der ersten Phase des Reichstags In bezug auf die Kontakte und Sonderverhandlungen Melanchthons mit Vertretern der Altgläubigen in der Zeit vor der Übergabe der CA, die wohl zum größten Teil mit Wissen oder sogar auf Veranlassung des sächsischen Kurfürsten stattfanden, sprachen sich dieser, Brück und andere Protestanten zwar für eine Beendigung aus, als die Verhandlungen Melanchthons mit den kaiserlichen Sekretären in Konkurrenz zur Übergabe der CA traten, soweit das noch zu erheben ist, kam es in diesem Zusammenhang aber nicht zu Kritik an Melanchthon. Allerdings scheinen sich in den folgenden Wochen Gerüchte über Melanchthons Verhandlungen mit dem Kaiserhof entwickelt zu haben, so zum Beispiel die Nachricht von einer unheilvollen Bittschrift Melanchthons an den Kaiser, die Spalatin in einem Brief an Günther von Bünau (ca. 1485–1547) Ende Juli als falsch zurückwies.516 512
Vgl. unten Kap. 3.9.3.1. Vgl. Peters, Augsburger Bekenntnis, 956. Das zeigt sich auch daran, daß Melanchthons eigene spätere Aussagen an der CA gemessen wurden; vgl. z. B. unten Abschnitt III, Kap. 7. 514 Vgl. oben Kap. 1.2.4, 1.2.6, 1.3.4, 1.4.1, 1.4.4 und 1.5.1. 515 Von dieser Kritik berichtete auch Camerarius in seiner »Vita Melanchthonis«, nannte allerdings keine Namen; vgl. 136 f.: colloquia cum adversariis »non . . . effugerunt criminationes etiam amicorum«. 516 Vgl. Spalatin an von Bünau 28.7. [Baxmann, Briefe, 629 f.]: »Oratio Philippi ad Caesarem non est exitiosa, immo nullum ejus vidi tale scriptum, nisi confessionem putes«. 513
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3.4.1.2 Die Kritik an Melanchthons Sonderverhandlungen in der Zeit nach Übergabe der CA Auch in bezug auf Melanchthons Sonderverhandlungen in den Wochen nach Übergabe der CA findet sich keine Kritik aus dem Lager der Mitunterzeichner der CA. Die Tatsache der Sonderverhandlungen wurde lediglich von den etwas abseits stehenden Theologen aus Straßburg, Martin Bucer und Wolfgang Capito, kritisiert. Sie verliehen ihrer Befürchtung Ausdruck, daß Melanchthon, sollte er bei den Vertretern des Kaisers, beim Salzburger Erzbischof oder bei Campeggio ähnlich vorsichtig und entgegenkommend aufgetreten sein wie in der CA, die Lage der Protestanten in Augsburg eher verschlimmere denn verbessere.517 3.4.1.3 Die kritischen Äußerungen Luthers Ein Anflug von Kritik an Melanchthon liegt in der Aussage Luthers, er selbst hätte auf die Anfeindungen des Salzburger Erzbischofs Lang anders – und das heißt doch wohl deutlicher und schärfer – reagiert.518 Zudem äußerte sich Luther mit kritischem Unterton zu Melanchthons und Jonas’ Berichten über die Treffen mit Campeggio und den kaiserlichen Vertrauten, zeigte sich verwundert darüber, daß Melanchthon diesen Altgläubigen vertrauen und etwas Positives von Verhandlungen mit ihnen erwarten konnte, und machte klar, daß er selbst nichts von ihnen halte.519 3.4.1.4 Die Kritik an Melanchthons Brief an Campeggio vom 4. Juli Melanchthons Brief an Campeggio vom 4. Juli löste bei vielen Protestanten, die ihn während des Reichstags oder danach zu Gesicht bekamen, heftige Kritik aus. So war der Brief zum Beispiel über den venezianischen Gesandten Tiepolo nach Venedig gelangt und hatte dort Gerüchte ausgelöst, die die venezianischen Anhänger der Reformation in große Unruhe stürzten und Lucio Paolo Roselli († 1552) 520 dazu veranlaßten, sich brieflich an Melanchthon zu wenden und um Klarstellung zu bitten. In seinem ersten Brief vom 30. Juli berichtete er 517 Vgl. Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 2 ff.]: »Fuit Philippus apud Caes[arem], Saltzburgensem et alios quosdam, demum et Campegium legatum Romanum, apud quos si se ita habuit, ut articulos composuit quos Caes[ari] obtulerunt nomine apologiae, non dubitamus quin multum olei camino adiecerit«. 518 Vgl. die Briefe an Melanchthon 30.6. von Dietrich [MBW 949; MBW T 4/1, 304, Z. 39 ff.] und von Luther [MBW 950; MBW T 4/1, 305–314; hier 313, Z. 42 f.]. 519 Vgl. Luther an Melanchthon, Jonas, Spalatin und Agricola 15.7. [MBW 975; MBW T 4/1, 389, Z. 31 ff.] und an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 17 ff.]: »Gaudeo Philippum experiri Campegii et Italorum ingenia. Philosophia ista non credit nisi experta. Ego neque . . . ulli Italo unum My credo . . . Es seind Buben! quamquam verum: Italus ubi bonus est, optimus est. Verum hoc monstrum est nigroque simillimum cygno«, das heißt äußerst selten (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 9, 2204). 520 Vgl. zu ihm Bozza, Scrittori, 33.
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über die von Papstanhängern verbreiteten Gerüchte, die besagten, Melanchthon habe Campeggio um Schutz angefleht und sich und seine Lehre dem Urteil und der Weisheit des Papstes unterworfen.521 Roselli hoffte zwar, daß diese Gerüchte falsch seien,522 mahnte Melanchthon aber trotzdem eindringlich, er solle als Oberhaupt der Protestanten die evangelische Wahrheit entschlossen verteidigen und dabei auf niemanden als auf Gott Rücksicht nehmen. Zudem solle er sich der Konsequenzen der in Augsburg gefaßten Beschlüsse bewußt sein, die wegen der Anwesenheit des Kaisers besonders weitreichend seien, dürfe nichts aufgeben, was mit dem Heil zusammenhänge, und dürfe nicht aufgrund von Drohungen oder gar um einer Belohnung willen die lutherische Lehre verlassen, sondern müsse bereit sein, um der Ehre Christi willen zu sterben.523 Seinem zweiten Brief, den er nur einen Tag später verfaßte, legte Roselli dann den Melanchthon zugeschriebenen Brief an Campeggio bei, da er und viele seiner Glaubensbrüder darauf hofften, Melanchthon werde seine Verfasserschaft dementieren und sich gegen diejenigen wenden, die ihm einen solch schmachvollen Brief zuschrieben. Zudem rief er ihn noch einmal eindringlich dazu auf, sich den übelgesinnten Altgläubigen entgegenzustellen und deren schändliche Pläne sowohl dem Kaiser als auch den Fürsten gegenüber aufzudecken.524 Vielleicht waren die Mahnungen Rosellis dafür verantwortlich, daß Melanchthon sich im August wegen nachteiliger Gerüchte über seine Gespräche
521 Vgl. Roselli an Melanchthon 30.7. [MBW 999; MBW T 4/1, 469–472; hier 471, Z. 21 ff.]: »hic varii de te circumferantur rumores ab his praesertim, qui pontificio idolo favent, affirmantibus scilicet, te ἱκέτην factum cardinali Campegio . . . teque tuaque omnia iudicio et sapientiae pontificis maximi subiecisse«. 522 Vgl. den Irrealis im Brief von Roselli an Melanchthon 30.7. [MBW 999; MBW T 4/1, 471, Z. 25]: »si vera essent«. 523 Vgl. Roselli an Melanchthon 30.7. [MBW 999; MBW T 4/1, 471, Z. 15 ff.]: »visum est mihi, . . . [te] hortari, ut provinciam hanc evangelicae veritatis defendendae praesenti quidem animo susciperes neque imperatoris aut pontificis aut alterius cuiusdam mortalis principis, sed solius immortalis dei rationem haberes«; [Z. 28 ff.]: »Quicquid enim in eo [sc. conventu] determinatum fuerit, id caeterae omnes christianae provinciae approbabunt ob imperatoris praecipue authoritatem. Tua igitur caeterorumque, qui isthic adestis evangelii tutandi gratia, maxime refert id strenue facere neque minis aut metu loco caedere neque prece aut praetio Christi vexillum deserere. Te igitur tanquam omnium evangelicorum caput exercitusque evangelici praefectum rogo atque obsecro, ut nihil omittas, quod ad salutum cuiusque pertinere videatur. Etiam si mors subeunda tibi foret ob Christi gloriam, eam ne expavescas quaeso, quandoquidem satius sit mori cum laude quam vitam cum ignominia ducere«. 524 Vgl. Roselli an Melanchthon 1.8. [MBW 1006; MBW T 4/2, 496, Z. 16 ff.]: »epistolae, quae tua esse dicitur, ad te exemplum mitto, ut foeturam tuam, si tamen tua est, agnoscas. Si vero, ut plerique tui amantes credunt, aliena est, hominum istorum malignitatem expendas, qui tibi ea adscribunt, quae Christo verisque Christi defensoribus dedecori sunt. Te igitur oro et obsecro, . . . velis ardentius eorum [sc. adversariorum] iniquitatibus resistere ipsorumque negociis respondere et serenissimo imperatori caeterisque praesentibus christianis principibus eorum improba studia detegere«.
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mit Altgläubigen sorgte und deshalb in bezug auf weitere Sonderverhandlungen zunächst zögerte.525 Weitere direkte Kritik an Melanchthons Brief an Campeggio aus der Zeit des Reichstags ist nicht bekannt, doch sorgte der Brief auch in späteren Jahren noch für Aufregung, allerdings mit einem falschen Adressaten: Wahrscheinlich weil Melanchthons Brief an Campeggio von Tiepolo nach Venedig geschickt worden war und bei den dortigen Protestanten auf Ablehnung gestoßen war, kam es zu der irrigen Meinung, Melanchthon habe an Tiepolo geschrieben.526 Melanchthons erbitterter Gegner Matthias Flacius scheint sich im Zuge der Adiaphoristischen Streitigkeiten immer wieder mit dem Gedanken getragen zu haben, Melanchthons Brief zu veröffentlichen und ihn dadurch an den Pranger zu stellen. In Briefen an Melanchthon im September 1556 rühmte er jedenfalls seine Mäßigkeit, dies unterlassen zu haben.527 Melanchthon dementierte in seiner Antwort, jemals an Tiepolo geschrieben zu haben, vermutete, daß ein solcher Brief aus den Mitschriften seiner Aussagen in einem Gespräch mit Tiepolo entstanden sei, und konnte sich die Kritik nicht erklären.528 Neben Flacius scheint auch Georg Rörer (1492–1557) Melanchthon die Aussagen dieses Briefes von 1530 um das Jahr 1551 herum vorgehalten zu haben.529 Und entsprechend berichtete auch Camerarius davon, daß Briefe Melanchthons aus der Zeit des Augsburger Reichstags, in denen er sich frei und ohne Anklagen über die Glaubensfrage geäußert habe und unter denen auch ein Brief an den venezianischen Gesandten gewesen sei, von seinen Kritikern gesammelt und gegen ihn verwendet worden seien.530 525
Vgl. Melanchthon an von Stadion 13.8. [MBW 1022; MBW T 4/2, 544, Z. 5 ff.]: »habui certas causas, quare non ambierim colloquium reverendae paternitatis vestrae, quod fama nostri congressus videbatur aliquid incommodi habitura«. 526 Vgl. Scheible / Thüringer, MBW R 7, 477 und Keller, Confessio Augustana, 93. 527 Vgl. Flacius an Melanchthon 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, Epistolae, 572–578, Nr. 571b; hier 574] und 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 578–589, Nr. 574; hier 579]. 528 Vgl. Melanchthon an Flacius 5. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 839]: »Narras mihi beneficia tua quod non edideris epistolam ad Teupolum scriptam. Nullam unquam syllabam ad eum scripsi«; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 137: »fuere circumlatae literae ad legatum Venetum scriptae, quae in Senatu Venetiis nec non Romae recitatae fuisse dicerentur«; zum Treffen mit Tiepolo oben Kap. 1.3.4.8. 529 Vgl. Melanchthon an Flacius 5. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 840]: »Obiecit eam [sc. epistolam] mihi etiam Rorarius, antequam hinc discessit«; Melanchthon meinte hier wohl Rörers Reise nach Dänemark im Jahr 1551 (vgl. dazu Melanchthon an Christian III. von Dänemark 25. 3. 1551 [MBW 6029; CR 7, 758 f., Nr. 4870; hier 758] und Eder, Rörer, 524 f.). 530 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 137: »Quinetiam, si qua ad aliquos Philippus Melanchthon scripsisset liberius minusque acerbe et accusatorie de iis negotiis, quae tum disceptabantur, ea conquiri atque proferri ad invidiam illius. Ac fuere circumlatae literae ad legatum Venetum scriptae, quae in Senatu Venetiis nec non Romae recitatae fuisse dicerentur«.
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Vielleicht war es die Verwendung des Briefes in den Adiaphoristischen Streitigkeiten, die einige von Melanchthons Anhängern dazu brachte, die Autorschaft Melanchthons anzuzweifeln, so zum Beispiel David Chytraeus (1530– 1600), ein Schüler und Freund Melanchthons, in seiner »Historia der Augspurgischen Confession« aus dem Jahr 1580.531 Diese Bemühungen fruchteten allerdings nicht, denn Melanchthon wurde wegen dieses Briefes in der Forschungsliteratur der letzten Jahrhunderte immer wieder heftig angegriffen.532 3.4.1.5 Zusammenfassung der protestantischen Kritik an Melanchthons Kontakten zu Altgläubigen Angesichts der Tatsache, daß Melanchthon im Rahmen seiner Sonderverhandlungen ähnliche oder gar weitreichendere Zugeständnisse machte als in anderen Zusammenhängen des Reichstags, bei denen seine Äußerungen angegriffen wurden, hielt sich die Kritik an seinen Sonderverhandlungen in Grenzen. Dies lag sicher daran, daß die anderen Reichstagsteilnehmer meist nur über die Tatsache der Gespräche, nicht aber über deren Inhalte informiert waren, worauf ihre recht dürftigen Äußerungen über diese Kontakte schließen lassen. Wenn Melanchthons Kontakte zu Altgläubigen kritisiert wurden, richtete sich die Kritik nicht gegen die Kontakte an sich, denn solche Gespräche neben dem offiziellen Reichstagsgeschehen waren gängige Praxis bei Reichstagen und wurden auch von anderen Vertretern der protestantischen Stände geführt.533 Die Kritiker wandten sich vielmehr gegen Melanchthons mit den Gesprächen verbundene Erwartungen und gegen seine im Zusammenhang dieser Gespräche getroffenen Aussagen. Sicher waren wichtige Hintergründe der Kritik, daß Melanchthon mit einflußreichen Vertretern des Kaiserhofes und des Papstes sprach, so daß er offensichtlich von vielen seiner Gesprächspartner als Führer der Protestanten wahrgenommen wurde und seine Äußerungen deshalb nicht als seine Privatmeinung, sondern als Sichtweise aller Protestanten galten.
531 Vgl. Chytraeus, Historia, 221b: »Brieff vn[d] vergleichungs Artikel / . . . Welche ich auß bedencke[n] / das es vngewisse Schrifften seyn / deren die jenigen / die sie gestellet sollen haben / nit aller ding gestendig seyn / auch sonst vm[m] anderer wichtigen Vrsachen willen / wissentlich außgelassen hab«; Benrath, Roselli, 179 f. und Keller, Confessio Augustana, 67 – bes. Anm. 215 – und 93: »Diese ganze Episode auf dem Reichstag [sc. zwischen Melanchthon und Campeggio] hat Chyträus in seiner deutschen Historia ausgeblendet, weil sie geeignet gewesen wäre, das von ihm dargestellte Bild vom guten Einvernehmen zwischen Melanchthon und Luther zu erschüttern und weil sie zudem im Rückblick nur als fruchtlose Episode erscheinen konnte«. 532 Vgl. z. B. Gayler, Reutlingen, 378; von Bezold, Geschichte der deutschen Reformation, 621 f.; Schanze, Luther auf der Coburg, 53; von Walter, Reichstag, 68; Ders., Luther und Melanchthon, 58 und Immenkötter, Einheit, 70. 533 Vgl. Wengert, Last Word, 462.
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3.4.2 Kritik von altgläubiger Seite Obwohl er sich ja selbst um Kontakt zu Melanchthon bemüht hatte, griff Cochlaeus Melanchthon wegen seiner Sonderverhandlungen an: Er kritisierte, daß Melanchthon bei verschiedenen Altgläubigen herumgelaufen und in ihre privaten Herbergen eingedrungen sei und sogar vor den Höfen von Kardinälen und Fürsten und vor dem Vertreter der Kurie nicht haltgemacht habe. Bei seinen Gesprächen mit den Altgläubigen habe er zum einen versucht, seinen Gesprächspartnern mit süßen Worten die Lehren seiner »Sekte« nahezubringen, zum anderen, sie hinterlistig mit schmeichelhaften, aber geheuchelten Reden zur Annahme seines Kompromißprogramms zu bewegen.534 Um sein eigenes Urteil über Melanchthon zu stützen, berichtete Cochlaeus über ähnliche Äußerungen anderer Altgläubiger: So habe etwa Campeggio öffentlich über die Lügen Melanchthons geklagt.535 Und auch Fabri habe sich über die Sonderverhandlungen Melanchthons mit den spanischen Vertrauten des Kaisers beschwert, in denen dieser seine eigenen Schriften und diejenigen Luthers verteidigt habe, und Melanchthon deshalb gedroht, seine Irrtümer öffentlich anzuprangern.536 Neben Cochlaeus kritisierte Eck, daß Melanchthon sich gegenüber Cam peggio nur deshalb erniedrigt habe, um seine Milde und Nachsicht zu erzwin-
534 Vgl. den Widmungsbrief des Cochlaeus zu seiner Schrift »Petitio M. Philippi Melanchthonis. Ad R. D. Card. Campegium Augustae scriptam« vom Mai 1531 [WA 30/3, 260 f.; hier 261]: »non ignoro Philippum illum privatim cursitasse Augustae ad multos ac dulcia dedisse verba, quibus rhetorice commendabat sectae suae doctrinas«; Teil 1,8 seiner »Philippicae« [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 23, Z. 15 ff.]: »Philippus . . . Augustae . . . priuatim cursitabat hinc inde, perreptans ac penetrans non modo priuatorum domos & diuersoria, uerum etiam Cardinalium aliorumque Principum aulas atque adeo & M. T. Curiam, insidioso nimirum circuitu quaerens, quem hypocrisi sua deuoraret. Et fefellit profecto non paucos blanditijs deprecationibusque simulatis, dum passim in conuitijs & colloquijs facillime pacem Ecclesiae recuperari posse affirmaret, si modo suis permitterentur haec tria duntaxat, Populo inquam utraque species sacramenti, sacerdotibus coniugium, & missae usus & communicatio. In caeteris omnibus fore suos Episcopis & Praelatis per omnia subditos dictoque audientes«; die Vorrede zu seiner »Velitatio«, A 2a und den Brief an Aleander 7. 10. 1537 [Friedensburg, Briefwechsel 2, 274–278, Nr. 49; hier 275]: »Philippus Melanchthon . . . ad aulas principum Augustae irrepens subdola dissimulatione malignitatis suae«. Von der Kritik des Cochlaeus berichtete auch Camerarius, De vita Melanchthonis, 139: »in his [sc. Philippicis] . . . atrociter objiciuntur Philippo . . . ad Pontificis Romani legatum accessio et sermones cum eo habiti humiles et abjecti«. 535 Vgl. Cochlaeus’ Widmungsbrief zur »Petitio . . . Melanchthonis« vom Mai 1531 [WA 30/3, 261]: »Campegio . . . in conspectu multorum Theologorum publice querebatur de eius mendaciis«. 536 Vgl. Cochlaeus’ Widmungsbrief zur »Petitio . . . Melanchthonis« vom Mai 1531 [WA 30/3, 261]: »Audivi preterea R. D. Doctorem Iohannem Fabri dixisse . . . Nobili cuidam Misnensi me coram astante, ut diceret Philippo, nisi desisteret circuire Hispanorum hospitia illisque excusare ac probare et sua et Lutheri scripta, ipse absurdissimos aut odiosissimos errores eius publice Ecclesiarum valvis affixurus esset«.
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gen. Durch den Vergleich Melanchthons mit dem Griechen Sinon 537 machte er deutlich, daß man ihm nicht trauen könne.538 Wahrscheinlich war es diese massive altgläubige Kritik an den Sonderverhandlungen, die Brück dazu veranlaßte, in seiner Darstellung der Ereignisse in Augsburg zum Gegenangriff auf die Altgläubigen zu schreiten: Er warf ihnen vor, sie hätten in betrügerischer Absicht einige Gelehrte der Protestanten vor allem in den Wochen vor Ankunft des Kaisers zu sich gebeten – dies richtete sich gegen Cochlaeus – und sich ihnen gegenüber fälschlicherweise versöhnlich gezeigt, um zu erfahren, wie die Protestanten über die strittigen Glaubensartikel dächten, und um danach ihre Strategie für den Reichstag ausrichten zu können.539 Ein Grund für derartige altgläubige Kritik an Melanchthon lag wohl darin, daß Cochlaeus, Fabri und Eck – alle Vertreter einer harten Linie gegenüber den Protestanten – fürchteten, der Kaiser und Campeggio könnten sich aufgrund der versöhnlichen Ausführungen von Melanchthon zu Zugeständnissen an die Protestanten bewegen lassen.540 Es ist interessant, daß in ähnlicher Weise wie Melanchthon auch einige seiner maßvoll gesinnten altgläubigen Gesprächspartner wie Johannes Henckel infolge ihrer Kontakte zu ihm kritisiert wurden; 541 in diesem Fall rührte die Kritik vielleicht von der Angst her, Melanchthon könne sie vollends auf die protestantische Seite ziehen. 537 Sinon hatte nach Vergils Aeneis (2, 79 ff.) die Trojaner überredet, das Trojanische Pferd in die Stadt zu ziehen, dann in der Nacht die im Pferd versteckten griechischen Krieger herausgelassen und so die Eroberung Trojas ermöglicht. 538 Vgl. Ecks Anweisungen für den Umgang mit den deutschen Fürsten im Brief an Vergerio 1. 6. 1535 [Friedensburg, Briefwechsel 3, 221 f., Nr. 120; hier 221]: »disquirite, . . . an non nequiter se humiliet, ut aliquid clementiae aut indulgentiae extorqueat, uti Melanchthon bis fecit Campegio, . . . Sinon ille«; zur Änderung von »Simon« in »Sinon« Kawerau, Versuche, 79, Anm. 34; zum negativen Verständnis dieser Person zur Zeit der Reformation das Gutachten der Wittenberger Theologen vom 17. 2. 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 127, Z. 90 f.]; Melanchthons Äußerungen über Moritz von Sachsen im November 1546 in MBW 4428, 4429, 4433, 4443 u. a. und sein »Liber de anima« von 1553 [CR 13, 5–178; hier 87]. 539 Vgl. Brück, Geschichte, 19: »Damit nun nichts, das zum vorteil und betrug dinstlich, von inen unterlassen, haben sy yhezuzeiten etzliche der Christennlichen Stende gelertten, vnd sonnderlich eher dan die kaye Mât Jegen Augspurg komenn, zu Jnen fordern lassen, sich Jegenn Jnenn geschmuckt wie die heiligen engel, als sollten sy es dafur nit halten, das sie die jenigen weren, die das Euangelion gerne wollten vorhindern, bißweylenn von diesen vnd von Jhenen streittigen artickeln mit Jnen geredt, an inen zuerlernen, wie sy gedacht haben, ap die christenlichen stende und sy bei der warhait vestiglich pleiben ader abfallen wollten, Damit sie die sachenn zu Jrem vorteill darnach wustenn zuerbawenn«. 540 Vgl. dazu die Aussage Ecks unten Kap. 3.5.2. 541 Vgl. Henckel an Erasmus 1.10. [OE 9, 58–60, Nr. 2392; hier 58, Z. 29 ff.]: »Nihil erat quod [sc. Eck] mihi tandem poterat obicere, nisi quod cum . . . Philippo Melanchthone commercia habuissem plurima« und Erasmus an Pflug 20. 8. 1531 [OE 9, 318–323, Nr. 2522; hier 321, Z. 155 ff.]: »Erant tum illic, qui quosdam integerrimos nec extremae dignitatis viros clamarent haereticos, non ob aliud, nisi quod aliquoties cum Melanchthone miscuissent colloquium«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
3.5 Die Kritik an Melanchthons Milde und Nachgiebigkeit gegenüber den Altgläubigen – der Vorwurf der Unbeständigkeit Die Darstellung des Reichstags hat gezeigt, daß Melanchthon und die anderen Vertreter der kursächsischen Delegation den Altgläubigen gegenüber beständig ihre Bereitschaft zum Nachgeben signalisierten und sich in ihren Aussagen um versöhnliche Worte bemühten, sollte dadurch Friede erreicht werden können.542 Diese Milde und Nachgiebigkeit bot vielen Protestanten und vereinzelt auch Altgläubigen immer wieder Anlaß zu Sorge und Kritik. 3.5.1 Die protestantische Kritik an Melanchthons Milde und Nachgiebigkeit 3.5.1.1 Die Kritik in der Zeit vor den Ausschußverhandlungen Erste Vorwürfe dieser Art begegneten bereits Ende Mai. So befürchtete Martin Bucer, die von den Kursachsen in Erwägung gezogenen Zugeständnisse bei Gesängen und Meßkleidung könnten von den Altgläubigen aufgegriffen und zum Anlaß genommen werden, den Protestanten noch mehr abzunötigen, ohne es überhaupt zu Verhandlungen kommen zu lassen.543 Weitere Vorwürfe finden sich im Zusammenhang der bereits zitierten Kritik an der CA: Ihre Zurückhaltung und Milde war für einige Protestanten Grund zur Sorge, die Altgläubigen könnten das Bekenntnis als protestantisches Angebot zu weitreichenden Zugeständnissen auffassen und die protestantische Sache könne dadurch Schaden nehmen.544 Als Melanchthon und einige seiner Kollegen nach Übergabe der CA über weitere Zugeständnisse nachdachten und diese Überlegungen vor allem bei Melanchthon mit schweren Sorgen einhergingen, bangten viele Protestanten um seine Beständigkeit: Luther stellte im Hinblick auf derartige Überlegungen Ende Juni klar, daß seiner Meinung nach in der CA mehr als genug nachgegeben worden sei und deshalb kein Spielraum für weitere Zugeständnisse bestehe. Auch er selbst sei zwar zum Nachgeben bereit, allerdings nur unter der Bedingung, daß ihnen die freie Evangeliumsverkündigung zugestanden werde und daß die Zugeständnisse dem Evangelium nicht widerstritten – beides war für ihn aber in Augsburg nicht gegeben.545 Auch in den kommenden Wochen äußerte er sich immer wie542
Vgl. oben Kap. 1.1, 1.2.6.1, 1.2.8, 1.3.3, 1.3.4.4, 1.4.3 und 1.4.5. Vgl. Bucer an Zwingli 25.5. [BC 4, 111–113, Nr. 302; hier 112, Z. 8 ff.]: »Id, putas, latere Fabros nec animaduerti vicinis Cochlêis? Bis autem terque stolidi, si vltro efferentibus A. non etiam B. extorqueant, quod citra negocium facturi videntur«. 544 Vgl. oben Kap. 3.3.1.3 und 3.3.1.4. 545 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 289 f., Z. 19 ff.]: »Pro mea persona plus satis cessum est in ista apologia, quam si recusent, nihil video, quod amplius cedere possim, nisi videro eorum raciones et scripturas clariores, quam hactenus vidi . . ., et confirmor magis ac magis, das ich mir – ob got will – nun nichts mer werd nemen lassen. Es gehe daruber, wie es woll«; [293, Z. 82 ff.]: »Ego sicuti semper scripsi, omnia eis concedere 543
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der zu dieser Frage: Er war in Sorge, seine Kollegen könnten den Altgläubigen infolge ihrer Erschöpfung und Mutlosigkeit nachgeben, und versuchte deshalb, sie von weiteren Zugeständnissen abzuhalten, indem er zum Beispiel auf die Unnachgiebigkeit der Gegner verwies.546 Osiander, der Melanchthon in seiner schlechten psychischen Verfassung in Augsburg täglich erlebte, fürchtete, er könne in diesem Zustand den Altgläubigen Zugeständnisse machen, die alle anderen Protestanten bereuen würden, und dadurch der protestantischen Sache schaden.547 In ähnlicher Weise befürchteten auch Bucer und Capito, die Kursachsen würden aufgrund ihrer Niedergeschlagenheit den Altgläubigen zu weit entgegenkommen. Diese Gefahr des Nachgebens bestand für Bucer insbesondere im Rahmen von Melanchthons Sonderverhandlungen, bei denen dieser immer wieder die protestantische Bereitschaft zum Nachgeben signalisierte. Bucer war in Sorge, es könne den Altgläubigen gelingen, Melanchthon zu weiteren Zugeständnissen zu veranlassen. Er hingegen war der Ansicht, es sei besser, um Christi willen zu sterben als nachzugeben.548 Vergleichbares sagte auch Roselli im Blick auf Melanchthons Äußerungen in seinem Brief an Campeggio.549 Mitte Juli äußerten sich Bucer und Capito auch gegenüber Melanchthon persönlich im Hinblick auf seine Milde und erinnerten ihn an die gemeinsame Erfahrung, daß die Welt Christus – unabhängig davon, wie milde man ihn darstelle, – nicht ertragen könne, womit sie ihn implizit aufforderten, seine Nachgiebigkeit zu überdenken.550 paratus, tantum solo evangelio nobis libere permisso. Quod autem cum evangelio pugnat, condedere non possum«. 546 Vgl. Luther 13.7. an Melanchthon [MBW 969; MBW T 4/1, 362–366; hier 365, Z. 8 ff.]: »At certe pro mea persona ne pilum quidem caedam aut paciar restitui. Potius extrema omnia expectabo, quando sic obstinate pergunt« und an Jonas [WA Br 5, 471 f., Nr. 1643; hier 471, Z. 6 ff.]: »Tantum ne deficiant animi vestri, Et, quo illi magis superbiant, hoc minus vos cesseritis. Credo enim eos sic opinari fortiter, vos fractos omnia cessuros esse, modo illi per Caesarem quid iusserint aut proposuerint«. 547 Vgl. Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 108, Z. 9 ff.]: »Philippus . . . tristitia et quasi desperatione vexatur . . . In eiusmodi tamen passione cogitat, dicit, scribit et facit, quae causam nostram non meliorem reddunt, estque observandus et obiurgandus, ne admittat cuius nos omnes poenitere possit«. 548 Vgl. Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 120, Z. 14 ff.]: »Melanchthon a Caesare, Salisburgensi et Campegio vocatus est; quid autem cum eo actum nos latet, et si pertentatum putemus, vt cum mitigarit tam multa, cedat et reliqua«; Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 1]: »Nos ueremur ut plurimum animi aduersarijs adiecerit Saxonum demissio« und Bucer an Bedrotus 17.7. [BC 4, 147–150, Nr. 315; hier 149, Z. 7 f.]: »pro cuius [sc. Christi] nomine millies praestat mori quam vel jod vnum cedere ex doctrina eius mundo«. 549 Vgl. oben Kap. 3.4.1.4. 550 Vgl. Bucer und Capito an Melanchthon 18.7. [MBW 980; MBW T 4/1, 395, Z. 4 ff.]: »Satis namque novimus mundum nihil prorsus Christi ferre, quacumque illud ratione administres, id quod non tu solum, sed etiam Erasmus, quo nemo veritatem profitetur civilius, abunde experitur«.
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Mitte August vor Beginn der Ausschußverhandlungen scheint Melanchthon wegen seiner Nachgiebigkeit bei Luther und einigen anderen Protestanten in schlechtem Ruf gestanden zu haben. Sie waren laut eines Berichts von Bucer der Ansicht, daß er den Altgläubigen zu viel anbiete, obwohl doch jedem vor Augen stehe, daß man sich mit ihnen nicht einigen könne, ohne Christus zu verleugnen.551 3.5.1.2 Die Kritik an der Nachgiebigkeit des protestantischen Vorschlags vom 20. August Wohl aufgrund der Erfahrungen aus den Wochen zuvor flammte unmittelbar nach dem Anfang August getroffenen Beschluß, über die Glaubensfrage zu verhandeln, unter den Protestanten erneut die Sorge auf, Melanchthon werde den Altgläubigen dabei zu weit entgegenkommen.552 Als Melanchthon und seine Kollegen den Altgläubigen im Ausschuß am 20. August ihren Vorschlag überreichten, der zahlreiche Zugeständnisse enthielt, kalkulierte Melanchthon zwar Kritik an dessen Zurückhaltung ein, erwartete diese allerdings aus den Reihen des Volkes553 und rechnete wohl nicht damit, daß er in den folgenden Wochen von so vielen hochrangigen Vertretern der protestantischen Stände in so heftiger Art und Weise angegriffen werden sollte. Erste Kritik an der zu großen Nachgiebigkeit der protestantischen Delegierten im Ausschuß äußerten Vertreter der lutherischen Stände in den verschiedenen internen Beratungen Ende August.554 Bei diesen Kritikern handelte es sich um die Gesandten Hessens, Nürnbergs und Lüneburgs,555 laut Angaben der Ulmer Gesandten waren darunter auch Schnepf, Agricola und zwei Prediger Georgs von Brandenburg.556 Neben diesen Vertretern der lutherischen Stände empfanden auch einige zwinglianisch gesinnte Teilnehmer des Reichstags das 551 Vgl. Bucer an A. Blarer 14.8. [BC 4, 196, Z. 15 ff.]: »Aiunt huic [sc. Luthero] non bene conuenire cum Philippo, vt ille male iam audit apud omnes cordatiores, etiam inter suos; plus nimio enim papistis defert, cum nemo tamen non videat haudquaquam cum illis posse nos in gratiam aut quenquam alium redire nisi toto Christo abnegato«. 552 Vgl. Ehinger an den Memminger Rat 8.8. [Dobel, Ehinger, 52 f., Nr. 12; hier 53]: »So man jetzundt zu aim mittell grifft, so trag jch nur sorg, der Filips melanckthon werdj nur zu fil nauchgeben«. 553 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581, Z. 8 f.]: »Scio nostram moderacionem incursuram esse in reprehensionem vulgi«. 554 Vgl. Ehinger an den Memminger Rat 28.8. [Dobel, Ehinger, 54]: »Ettlich vnder jnnen selbs sagend schier nur zu viel [sei nachgegeben worden]« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 138: »Philippus autem Melanchthon et coram interdum de lenitate remissioneque appellari«. 555 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 29.8. [CR 2, 322]; Ehinger an den Memminger Rat 2.9. [Dobel, Ehinger, 55]: »Die von nuornberg, die landtgreffischen, auch hertzog von lünenbuorg sind nit wol zufriden, das Filips m[elanchthon] sovil nach hautt gebenn« und Wigand, Historia, 140: »largitionem Philippi improbarunt Landgrauiani, Luneburgici, & Nurnbergenses«. 556 Vgl. die Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 148].
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nachgiebige Verhalten der protestantischen Delegierten als problematisch, so etwa der Memminger Gesandte Hans Ehinger († 1546) 557 und die Vertreter Straßburgs Bucer 558 und Jakob Sturm 559. Allerdings blieb die Kritik nicht auf die Reichstagsteilnehmer beschränkt, da die Zugeständnisse des protestantischen Vorschlags ja schnell überall bekannt wurden: 560 In Augsburg empörte sich der reformatorisch gesinnte Arzt Gereon Sailer (1500–1563) über das nachgiebige Verhalten der Delegierten im Ausschuß,561 und außerhalb Augsburgs kritisierten es Philipp von Hessen,562 die Nürnberger Theologen und Räte,563 der Reut557 Vgl. Ehinger an den Memminger Rat 10.9. [Dobel, Ehinger, 56 f., Nr. 20; hier 56]: »sy [sc. die Sachsen] haind jm vorhin [in den Ausschüssen] schier zu vil thon«. 558 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 15 f.; Zitat unten Anm. 573]; an Zwingli 9.9. [BC 4, 267–272, Nr. 338; hier 270, Z. 13]: »Accedit, quod, qui ferrei videbantur, nunc plumbo flexibiliores sunt, . . . de his loquor, qui hic sunt« (zum Sprichwort TPMA 2, 26, Nr. 5 und TPMA 5, 125, Nr. 81) und an einen Unbekannten 29.12. [BC 5, 123, Z. 1]: »multa nostri dedissent, ita vt boni omnes nostrae caussae male metuerent«. 559 Vgl. Sturm an Philipp von Hessen 2.9. [PC 1, 493, Nr. 787]. 560 Vgl. Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 24 f.]: »rumores nos . . . multa adversariis concessisse«. Viele Kritiker scheinen sich mit ihren Vorwürfen und Klagen auch direkt an Luther gewandt zu haben; vgl. Luther an Melanchthon 11.9. [MBW 1075; MBW T 4/2, 683–687; hier 686, Z. 23 f.]: quidam »vel dicunt vel scribunt vos nimium cessisse papistis« und an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 4 ff.]: »interim tonitrua et fulgura ad me feruntur a quibusdam nostrorum magnis et multis, vos . . . propter pacem plura concessuros esse«. 561 Vgl. Sailers Rede von intempestiva lenitas im Brief an Spalatin Ende August [CR 2, 297]. 562 Vgl. Philipp von Hessen an seine Räte 29.8. [CR 2, 324]: »daß von etlichen unßers Theils so viel . . . nachgelassen werde, und ihr Gemüth so ungewiß und ungericht stehen, hören wir nicht gerne«; [CR 2, 327]: »Greift dem . . . verjagten . . . Philippo in die Würfel« (dazu Sell, Melanchthon und die Reformation, 99, Anm. *): das Wort »verjagt« bezeichne einen verwegenen Spieler. »Philipp, ein passionierter Jäger, denkt an einen zu weit gelaufenen Hund« und eine ähnliche Aussage bei Spengler an Dietrich 25.9. [Mayer, Spengleriana, 75–78, Nr. 4 ; hier 76] : Melanchthon sei »zu weit gelauffen«); Philipp von Hessen an Luther 29.8. [WA Br 5, 600, Z. 6 f.]: »Sie haben sich auch in ihren übergeben Artikuln zuviel begeben«; eine Nachricht im Briefwechsel mit Ernst von Braunschweig zwischen August und Dezember [Philipp von Hessen, Politisches Archiv 2, 153–155, Nr. 1489; hier 153] und unten Anm. 573. 563 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 145, Z. 20 f.]: »darin seer vil nachgelassen, bewilligt und den babstischen in die hende gegeben«; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63] und dazu Luther an Spengler 28.8. [WA Br 5, 587, Z. 1 ff.]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 30.8. [Vogt, Korrespondenz, 38]; den von Melanchthon verfaßten offenen Brief E. Ebners an seinen Vater vom 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 681, Z. 12 f.]: »sermones, . . . quod parum constanter defenderit has partes«; Spenglers Briefe an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36]: »vnsers tails. Vnbestendig. hanndeln«; an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315]: »Wie vnbestenndig vnnsere Theologi handeln«; »Dises Wanckelmutig vnbestenndig Wesen«; [316]: »Jch Diese vnbestendige Wanckelmüthige handlung . . . Weder loben oder billichen kann« und an Dietrich 25.9. [Mayer, Spengleriana, 76]; zudem Melanchthon an einen Unbekannten in Nürnberg Ende August / A nfang September [MBW 1056; MBW T 4/2, 625, Z. 2 f.]: »intellego reprehendi a vestris molliciem nostram« und an
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linger Prediger Matthäus Alber (1495–1570),564 der Ansbacher Hofprediger Andreas Althamer (vor 1500–1539),565 der Schwäbisch Haller Stadtpfarrer Johannes Eisenmenger 566 bzw. Isenmann (ca. 1495–1574) 567 und Zwingli in Zürich 568 . Luther kannte zwar den protestantischen Vorschlag nicht, war aber trotzdem in Sorge um die Beständigkeit seiner Kollegen in Augsburg und ermahnte sie, den Gegnern auf keinen Fall entgegenzukommen.569 Sollten sie etwas nachgegeben haben, forderte er sie auf, dies zurückzunehmen, auch auf die Gefahr hin, dann von den Altgläubigen als wortbrüchig und unbeständig angeklagt zu werden.570 Die Kritik an der Nachgiebigkeit im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen richtete sich teilweise gegen Melanchthon persönlich, teilweise aber auch gegen die anderen protestantischen Ausschußmitglieder, namentlich gegen Herzog Johann Friedrich 571 oder gegen die Kursachsen insgesamt; 572 allerdings galt Melanchthon vielen Kritikern als Hauptverantwortlicher für das protestantische Entgegenkommen im Ausschuß.573 Dietrich 10.9. [MBW 1072; MBW T 4/2, 677, Z. 6 f.]: »Tui cives valde reprehendunt nostram ἐπιείκειαν«. 564 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 315–319, Nr. 11; hier 315, Z. 30 f. und 319, Z. 19]. 565 Auf Althamers Kritik läßt sich aus Rurers Aussagen an ihn vom 6.9. schließen [Kolde, Redaktion, 114]: »Nihil enim unquam adversariis concesserunt«. 566 Vgl. zu dieser Namensform Wunder, Eisenmenger. 567 Auf Eisenmengers Kritik läßt sich aus Brenz’ Aussage an ihn vom 11.9. schließen [CR 2, 362]. 568 Vgl. Zwingli an Philipp von Hessen 20.9. [CR 98, 144 f., Nr. 1100; hier 144, Z. 7 f.]: »das verwundret üns alle ser, das die fürsten so vil zùgebend in geistlichen und weltlichen sachen . . . Melanchthons handlung ist ser argwönig«. 569 Vgl. Luther an Jonas 26.8. [WA Br 5, 580, Z. 16 f.]: »viriliter agite neque cedite adversariis quicquam« und 28.8. an Melanchthon [MBW 1049; MBW T 4/2, 614, Z. 21] und an Spalatin [WA Br 5, 582 f., Nr. 1704; hier 583, Z. 18]. Wigand, Historia, 140 behauptete allerdings, Luther habe das Nachgeben energisch (aegerrime) kritisiert. 570 Vgl. Luther an Melanchthon 28.8. [MBW 1049; MBW T 4/2, 613 f., Z. 14 ff.]: »ego . . . sciens vos nihil posse ibi committere nisi forte peccatum in personas nostras, ut perfidi et inconstantes arguamur; . . . Quanquam nolim hoc contingere, tamen sic loquor, si qua contingeret, non esse desperandum. Nam si vim evaserimus pace obtenta, dolos ac lapsus nostros facile emendabimus, quoniam regnat super nos misericordia eius« und dazu Rückert, Luther und der Reichstag, 119 ff.; vgl. zu solchen von Luther befürchteten Vorwürfen Bucer an Zwingli 18.9. [BC 4, 286–291, Nr. 341; hier 290, Z. 11]: »Caesari persuasum est, nostros sibi non constare« und Dantiscus an König Sigismund von Polen 2.10. [Acta Tomiciana 12, 284– 286, Nr. 314; hier 285]: »nolebantque [principes Lutherani] stare jam concessis«. 571 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Herzogin Elisabeth von Sachsen 8.10. [Mentz, Johann Friedrich 1, 132–135, Nr. 20; hier 133]: »Kan auch E. L. mit warheit anzeigen, das mir von unsserm teil selbest ist aufgeleget worden, ich hette meher eingereumet, dan ich billichen solt gethan haben«. 572 Vgl. Schirrmacher, Briefe und Acten, 213: »Saxones aliquanto plus erant largiti«. 573 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 15 f.]: »In horum [sc. septem virorum] colloquio effecit quidam [sc. Melanchthon], vt permulta nostri adversarijs ces serint«; Philipp von Hessen an Zwingli 4.9. [CR 98, 111–113, Nr. 1088; hier 112, Z. 5 ff.]: »Philippus Melechton gehet zuruck wie der krebs . . . und vyll lút hencken an ym« und Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 364].
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Der Vorwurf, der in den Aussagen aller Kritiker begegnete, bezog sich auf die ihrer Ansicht nach zu große Nachgiebigkeit der protestantischen Ausschußdelegierten gegenüber den Altgläubigen in ihrem Vorschlag vom 20. August. Meist wurde diese Kritik mit dem Verweis auf konkrete darin enthaltene und von den Kritikern als unangemessen betrachtete Zugeständnisse begründet.574 Einige Kritiker vermuteten zudem eine unbeständige und wankelmütige Gemütsverfassung der Ausschußdelegierten als Grund ihrer Nachgiebigkeit und verliehen ihrer Kritik damit eine grundsätzlichere Note.575 Schließlich begründeten sie ihre Kritik, indem sie auf die Umstände der Zugeständnisse und die von ihnen befürchteten negativen Folgen des Nachgebens aufmerksam machten. Auch einige Kritiker anerkannten zwar die grundsätzliche Möglichkeit, sich in bestimmten Fragen wie den Adiaphora entgegenkommend zu zeigen, zum Beispiel gegenüber schwachen Mitchristen oder für den Fall, daß sich auch die Gegner nachgiebig zeigen sollten.576 Für alle stand jedoch fest, daß diese Kriterien des Nachgebens im Fall der Zugeständnisse der protestantischen Ausschußmitglieder nicht gegeben waren und daß man deshalb eher für Christus sterben müsse als sich auf Kompromisse mit den Altgläubigen einzulassen.577 Folgende Umstände der Zugeständnisse und Folgen des Nachgebens wurden von seiten der Kritiker genannt. a) Die Altgläubigen als Adressaten der Zugeständnisse Viele Kritiker machten im Blick auf die Adressaten des Nachgebens darauf aufmerksam, daß die Altgläubigen in Augsburg keine schwachen Mitchristen seien, sondern verstockte und unnachgiebige Gegner. Das könne man daran erkennen, daß sie offensichtlich gotteslästerliche Vorschläge unterbreiteten, so 574
Vgl. zur Kritik an einzelnen Zugeständnissen unten Kap. 3.6. Vgl. die in Anm. 563 zitierten Vorwürfe; die Information im Brief von Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333], der protestantische Vorschlag werde als consilia Erasmica bezeichnet, was den Vorwurf der Unentschiedenheit und des Wankelmuts beinhaltete, da auch Erasmus zeit seines Lebens deswegen angegriffen wurde (vgl. den Bericht über derartige Kritik bei Erasmus an Melanchthon 10. 12. 1524 [MBW 360; MBW T 2, 208–217; hier 214, Z. 127 f.]; Weiß, Diarium, 733 und Bullinger an Melanchthon 30. 3. 1559 [MBW 8909; Bindseil, Epistolae, 444–451, Nr. 455; hier 450]); zudem Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 316]: ihr »gewissen . . ., Das doch allso Wanckt Das sie heut ains Jn Jren locis communibus vnd anndern Jrn puchlin schreiben, vnd morgen ainannders Raten, sagen«. 576 Vgl. Philipp von Hessen an seine Räte 29.8. [CR 2, 324 und 325] und das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 338, Z. 1 ff.]. 577 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 297]: »Die ganze Stadt sagt von der Concordie: es ist besser mit Christo gestorben und verdorben, weder ohne ihn der gantzen welt Huld erworben«; Philipp von Hessen an seine Räte 29.8. [CR 2, 326]; Eisenmenger nach einer Aussage von Brenz im Brief an ihn vom 11.9. [CR 2, 362]: »Septies mori cupis« und Spengler an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36]. Ähnlich hatten sich bereits Roselli und Bucer in bezug auf die Nachgiebigkeit in den Sonderverhandlungen geäußert; vgl. oben Kap. 3.5.1.1. 575
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daß man in ihnen sogar den Teufel selbst sehen könne, und aus der Liebe eine Pflicht und aus der Freiheit eine Notwendigkeit machten. Deshalb sei ein Nachgeben ihnen gegenüber unmöglich.578 In diesem Zusammenhang zogen sie immer wieder das Beispiel des Paulus heran und verwiesen darauf, daß dieser Timotheus zwar um der Schwachen willen beschnitten habe (Apg 16,3), bei Titus jedoch darauf verzichtet habe, weil es Judenchristen gab, die die Beschneidung für nötig erachteten und in ihrer Unterlassung eine Übertretung des göttlichen Gesetzes sahen (Gal 2,3).579 b) Die Frage nach der Notwendigkeit des Nachgebens Die meisten Kritiker stellten das Nachgeben in Frage, weil sie keinen wirklichen Grund dafür sahen und sich fragten, warum sich die Führer der protestantischen Stände in den ersten Wochen des Reichstags, als der Kaiser und die Altgläubigen drohten, so tapfer und beständig gezeigt hätten, in den Ausschußverhandlungen jedoch, die in freundlicher Atmosphäre und ohne Gefahren abliefen, ohne Not so viel nachgaben.580 c) Das Verhältnis der Zugeständnisse des Vorschlags zur Entscheidung eines Konzils Einige Kritiker machten darauf aufmerksam, daß die Entscheidung über die strittigen Glaubensfragen nicht vor den Kaiser und die Reichsstände gehöre, sondern in den Aufgabenbereich eines Konzils falle, das von den Protestanten schon seit Jahren angemahnt werde. Sie bezeichneten es als unklug, den Altgläubigen gegenüber außerhalb eines Konzils so weitreichendes Entgegenkommen zu zeigen, da zu befürchten sei, daß man ihnen durch die Zugeständnisse schon jetzt rechtgebe – daran ändere sich auch nichts durch die Betonung der 578 Vgl. die Hinweise auf die Unnachgiebigkeit der Gegner bei Luther am 13.7. (vgl. oben Anm. 546); im »Widerruf vom Fegefeuer« von Juni / Juli [WA 30/2, 367, Z. 18 f.]; in »De clavibus« von Ende Juli [WA 30/2, 474, Z. 27 f.]; im Brief an Jonas 27.7. [WA Br 5, 499–501, Nr. 1660; hier 500, Z. 28 f.]; in seinem Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 590, Z. 1 ff.]; in Briefen an seine Frau 8.9. [WA Br 5, 608 f., Nr. 1713; hier 608, Z. 13] und an Jonas 20.9. [WA Br 5, 629, Z. 16 ff.]; zudem das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63 und 66]; Philipp von Hessen an Luther 29.8. [WA Br 5, 600, Z. 7 ff.] und das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 338, Z. 3 ff.]. 579 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 64]; Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]; Philipp von Hessen an seine Räte 29.8. [CR 2, 326] und Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 318, Z. 23 ff.]. Der Verweis auf die Beschneidungspraxis des Paulus war ein gängiges Beispiel, wenn es um das Verhältnis von Freiheit und Menschensatzungen ging; vgl. auch die Schirmschrift Osianders vom 22.6. [OG 4, 94, Z. 28 ff.]. 580 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 150, 11 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 65] und Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]: »non fuisse causam illam, cur in has angustias declinaretur«.
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Vorläufigkeit – und dadurch das Interesse der Altgläubigen an einem Konzil vollends zum Erliegen komme.581 d) Die negativen Folgen der Zugeständnisse Die Zugeständnisse erschienen den Kritikern nicht nur als nutzlos,582 sondern waren ihrer Ansicht nach auch mit zahlreichen Nachteilen und Gefahren für die Protestanten behaftet,583 da man sich der Gegenseite völlig ausgeliefert habe.584 Viele Kritiker waren der Ansicht, daß man durch die Zugeständnisse viele päpstliche Mißbräuche bestätige, und erwarteten, daß diese auch in den protestantischen Gebieten wieder Einzug hielten.585 Sie befürchteten, dies könne Ärger und Zweifel beim einfachen Volk auslösen, vor allem bei denjenigen, die vom reformatorischen Glauben noch nicht vollkommen überzeugt waren. Sie wiesen darauf hin, daß den Menschen jedes Verständnis dafür fehle, wenn jetzt das Gegenteil von dem vertreten werde, was in den letzten Jahren gepredigt und gelehrt worden war.586 In bezug auf das Verhalten der Altgläubigen erwarteten einige, daß man durch das nachgiebige Verhalten der Gier der Gegner Vorschub leiste und sich diese nicht mit den gemachten Zugeständnissen zufrieden geben, sondern auf immer mehr drängen würden 587 – eine nicht ganz unbegründete Sorge, wenn 581
Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 149, Z. 7 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 61 f., 66 und 68] und Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 324 f. und WA Br 5, 600, Z. 7 ff.]. 582 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 66]. 583 Vgl. Zwingli an Philipp von Hessen 20.9. [CR 98, 144, Z. 9 ]: »Es wirt inen warlich zù künftiger zyt nachteilig sin«. 584 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 151, Z. 1] und das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 65]: »so weit bloß geben«. 585 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 149, Z. 18 f. und 151, Z. 3 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 64 und 66]; Philipp von Hessen an Luther 29.8. [WA Br 5, 601, Z. 27 ff.] und Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]. 586 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 145, Z. 22 ff. und 149, Z. 17 f.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63 f. und 66]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 26.8. [Vogt, Korrespondenz, 36 f.]; Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 324 und WA Br 5, 601, Z. 26 ff.]; Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]; das Gutachten Albers Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 319, Z. 21 f.]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 2.9. [Vogt, Korrespondenz, 39] und Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 372]. 587 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 246, Z. 32 ff.]: »Sperauit [Antichristus] . . ., cum extorsisset ista, posse se plura extorquere« und Philipp von Hessen an seine Räte 29.8. [CR 2, 324]: »zweifeln nit, weil der Gegentheil die Leute so weich findet, und sie sich lenken lassen, sie werden weiter mit Ernst nachsuchen und anhelten, und sie weiter ihre Meinungen zu führen unterstehen. Denn wenn man ins Weichen kommt, kann man nit genug weichen«; zudem Philipp von Hessen an Zwingli 4.9. [CR 98, 112, Z. 7 f.].
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man Aussagen von Altgläubigen und ihre im Sechser-Ausschuß erhobenen Forderungen betrachtet.588 Die Nürnberger Theologen wiesen darauf hin, daß man den Altgläubigen durch das Nachgeben einen Anlaß biete, sich der Überwindung der Protestanten zu rühmen; zur Unterstützung ihrer Sorge führten sie eine entsprechende Äußerung des Cochlaeus an.589 Viele Kritiker fürchteten, daß infolge der durch das Nachgeben gezeigten Unbeständigkeit das Ansehen der Protestanten Schaden nehmen könne und man sie als »widerruffer« beschuldigen werde590 – auch diese Sorge war nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn Kilian Leib stellte zum Beispiel in seinen Annalen fest, die Protestanten hätten in vielen Punkten nachgegeben, im Gegensatz zu früheren Aussagen gelehrt und sich dadurch als sehr unbeständig erwiesen.591 Schließlich befürchteten einige Kritiker, daß sich die Gegner, auch wenn sie den protestantischen Vorschlag nicht öffentlich angenommen hätten, die Zugeständnisse merken und irgendwann gegen die Protestanten verwenden würden. So könnten sie zum Beispiel durch den Verweis auf die Nachgiebigkeit in Augsburg Druck auf Protestanten ausüben, die keine Zugeständnisse machen wollten, und damit die Autorität der Lehrenden zunichte machen.592 e) Der Zeitpunkt der Zugeständnisse Sailer verwies auf den Zusammenhang der Zugeständnisse mit dem Stand der Reformation. Seiner Meinung nach wären bestimmte Zugeständnisse sechs bis acht Jahre zuvor vielleicht möglich gewesen, nicht aber angesichts der fortgeschrittenen Umsetzung der Reformation zum gegenwärtigen Zeitpunkt.593 3.5.1.3 Die Sorge um die Nachgiebigkeit der protestantischen Vertreter im Sechser-Ausschuß Auch nach Ende der Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses ebbte die Sorge vor weiteren Zugeständnissen nicht ab. So befürchtete Brenz, der die Zugeständnisse des protestantischen Vorschlags zwar noch mitgetragen hatte, dann 588 Vgl. Mensing an Margarete von Anhalt-Dessau 24.6. [Müller, Nachrichten, 43 f., Nr. 2 ; hier 44]: »vnser gegenteil hatt viele schon nachgelassen, Sie werde, ob gott will, die andern stuck auch zuletzt ubergeben« und oben Kap. 1.4.8. 589 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 151, Z. 4 ff.]. 590 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 149, Z. 19 f. (Zitat Z. 19) und 151, Z. 1 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 65 f.] (vgl. zum dort gebrauchten Bild der wächsernen Nase Luther in WA 49, 685, Z. 29 f.) und Philipp von Hessen an Luther 29.8 [WA Br 5, 601, Z. 26]. 591 Vgl. Leib, Annales, 550: »multa admiserint, quorum contrarium antea docuerant, seque instabiles adeo ostenderant, ut, quod hodie consenserant, cras negarent, et rursus consentirent«. 592 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 297] und Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 363] und 15.9. [CR 2, 372]. 593 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 297].
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aber aus dem Ausschuß ausgeschieden war, seine dort verbliebenen Kollegen, das heißt Melanchthon, Brück und Sebastian Heller, könnten weiter nachgeben.594 3.5.1.4 Die Kritik an der Nachgiebigkeit in den Verhandlungen im September Die Gesandten der Städte und Hessens und Herzog Ernst von Lüneburg beschwerten sich bei ihren Treffen mit Kurfürst Johann am 15. und 16. September darüber, daß auch in den Verhandlungen im September wieder zu viel nachgelassen worden sei, was sowohl dem Wort Gottes als auch den frommen Christen zum Nachteil gereiche.595 3.5.1.5 Zusammenfassung Die Darstellung der protestantischen Kritik hat ergeben, daß der Vorwurf der Nachgiebigkeit, nachdem er in bezug auf die CA gefallen war, im Lauf des Augsburger Reichstags nicht mehr verstummte. Teilweise wurde zwar nur die Sorge vor weiterer Nachgiebigkeit geäußert, doch flammte die Kritik am nachgiebigen Verhalten Melanchthons und seiner Kollegen immer wieder auf. Ihren Höhepunkt erreichte sie in den Vorwürfen gegenüber dem Verhalten Melanchthons und seiner Kollegen in den Ausschußverhandlungen. Die Kritik kam wahrscheinlich vor allem dadurch zustande, daß die Protestanten merkten, daß die Nachgiebigkeit Melanchthons in seinen Gesprächen mit Altgläubigen und in den Ausschußverhandlungen auch von altgläubiger Seite wahrgenommen wurde596 und diese versuchten, sie für ihre Zwecke auszunutzen. Es hat sich gezeigt, daß viele der von den Kritikern befürchteten Folgen nicht unberechtigt waren, manches wurde aber wohl auch deshalb angeführt, um durch den Entwurf eines solch düsteren Szenarios eine Annahme des Vorschlags durch weitere protestantische Stände zu verhindern. 3.5.2 Altgläubige Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit Wie in den vorangehenden Teilkapiteln erwähnt, wurde die Nachgiebigkeit Melanchthons von den meisten Altgläubigen verständlicherweise nicht kritisiert, sondern war für sie Anlaß zur Hoffnung auf eine schnelle Einigung mit den Protestanten. Allerdings findet sich auch vereinzelte altgläubige Kritik an 594
Vgl. Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]. Vgl. die Beilage zum Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 147 f.]. 596 Vgl. Valdés an Accolti 12.7. [Bagnatori, Cartas inéditas, 362, Z. 23 f.]: »Hallélo [Melanchthon] tan blando y dispuesto para qualquier bien« und die Feststellung Karls V. in bezug auf die Verhandlungen mit den Protestanten in einem Brief an Papst Clemens VII. 14.7. [Heine, Briefe, 284–289 (dtsch.) und 522–525 (span.), Nr. 2 ; hier 523]: »con los unos se ha conocido grande tibieza«. 595
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Melanchthons Verhalten: So scheint sich Eck darüber geärgert zu haben, daß der Kaiser durch die Milde Brücks und Melanchthons von seinem Plan abgebracht worden sei, die Lutherischen zu vernichten.597 Und Cochlaeus meldete Zweifel an der Verläßlichkeit der Zugeständnisse Melanchthons an: Als er hörte, daß Melanchthon wegen seiner Nachgiebigkeit bei den eigenen Leuten in schlechtem Ruf stand, betonte er, Melanchthon habe mehr versprochen, als er wirklich habe geben wollen oder können.598
3.6 Die inhaltliche Kritik an einzelnen Zugeständnissen Viele Kritiker präzisierten ihre Kritik an der Nachgiebigkeit Melanchthons und seiner Kollegen meist mit dem Verweis auf einzelne, von ihnen als unangemessen betrachtete Zugeständnisse. Derartige Kritik erfolgte hauptsächlich im Zusammenhang der Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses und der Übergabe des protestantischen Vorschlags vom 20. August, Ansätze begegneten allerdings auch schon in den Wochen zuvor. Da im Vierzehner-Ausschuß zunächst über die Glaubensartikel und dann über die Mißbrauchsartikel der CA verhandelt wurde, werden die Kritikpunkte auch im folgenden in dieser Reihenfolge wiedergegeben. 3.6.1 Die Kritik an Zugeständnissen in bezug auf die Glaubensartikel der CA Kritik an Zugeständnissen bei den Glaubensartikeln der CA brach ausschließlich im Zusammenhang der Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses am 16. und 17. August auf, in denen die protestantischen Ausschußmitglieder sich auf einige altgläubige Forderungen einließen und damit von Aussagen der CA abwichen.599 3.6.1.1 Der Verzicht auf das sola in der Diskussion über die Rechtfertigungslehre Als man sich im Vierzehner-Ausschuß auf eine Formel zur Rechtfertigung einigte, in der das sola fehlte, scheint dies gegen den Willen von Brenz geschehen zu sein, der sich während der Ausschußverhandlungen vehement gegen eine solche Streichung ausgesprochen hatte.600 597 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1054; MBW T 4/2, 623 f., Z. 4 ff.]: Eccius »Heri inquit Caesarem . . . Nunc factum miciorem . . ., ubi Pontani χρηστολογίᾳ et meis ἐπιεικείαις effectum esset, ut non perinde caleret, quemadmodum causa postularet‹.« 598 Vgl. Cochlaeus an Pirckheimer 17.9. [Heumann, Documenta 2, 83–85, Nr. 29; hier 84]: »Gaudeo [corr. Audio] sane, Philipp[um] Mel[anchthonem] a suis non usque adeo bene audire, quod tam multa promisisse uideatur, neque tamen a nobis multum gratiae refert, quia plura promisit, quam praestat, et forte praestare queat« (vgl. die Korrektur nach dem Original bei Pflug, Correspondance 1, 223, Anm. 4 ); ähnlich auch in seiner »Petitio Melanchthonis« von Mai 1531 [Coelestin, Historiae 3, 20a–23a; hier 23b]. 599 Vgl. dazu oben Kap. 1.4.5.1. 600 Vgl. den Bericht Spalatins über die Verhandlungen am 16./17.8. [UB 2, 227]. Viel-
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Eindeutig geäußert wurde Kritik an der Aufgabe des sola aber zum ersten Mal von Bucer Ende August. Im Rahmen eines Berichts über die Ausschußverhandlungen nannte er den Verzicht als Beispiel für die auch generell von ihm kritisierte Nachgiebigkeit der Lutherischen.601 Luther griff den Verzicht auf das sola zwar nicht direkt an,602 legte aber in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« im September ausführlich dar, warum man auf das Wort »allein« in der deutschen Übersetzung von Röm 3,28 nicht verzichten könne, und kritisierte damit die Aufgabe des sola zumindest indirekt.603 Auch Johann Friedrich von Sachsen, der mit im Ausschuß gesessen hatte, scheint den Verzicht auf das sola kritisch gesehen zu haben, er äußerte dies allerdings erst zehn Jahre später, als der Kaiser im Jahr 1540 im Blick auf das Religionsgespräch in Hagenau vorschlug, die Verhandlungen des Augsburger Reichstags als Grundlage für die Gespräche zu nutzen, und der sächsische Kurfürst daher in Sorge war, man könne die Protestanten jetzt auf die 1530 gemachten seiner Ansicht nach unguten Zugeständnisse festlegen. Johann Friedrich berief sich allerdings nur auf entsprechende Kritik Luthers und erwähnte mit keinem Wort, daß auch er selbst an den Verhandlungen teilgenommen hatte.604 Ein Auslöser für die genannte Kritik war sicher die Tatsache, daß die Einigung in der Rechtfertigungslehre bei den Altgläubigen auch über den Reichstag hinaus nicht – wie von Melanchthon gewünscht – als Zugeständnis ihrerseits verstanden wurde, sondern in erster Linie der protestantische Verzicht auf das sola haften blieb.605 Dies nötigte die Protestanten in Augsburg im Septemleicht war es dieser Einsatz für das sola, der Luther veranlaßte, Brenz Ende August in der Vorrede zu seinem Amoskommentar wegen der Verteidigung der Rechtfertigungslehre zu loben; vgl. die Vorrede Luthers vom 26.8. [WA 30/2, 650, Z. 17 f.]: »Verum hoc donum Dei prae ceteris in te singulariter amo et veneror, quod iusticiam fidei tam fideliter et syncere urges in omnibus scriptis tuis«. 601 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 16]: »Ex ›sola fide iustificamur‹ ›sola‹ cecidit«. 602 In seiner Reaktion auf den Brief Melanchthons, in dem ihm dieser von der Streichung des sola berichtet hatte, äußerte sich Luther nicht dazu, sondern kritisierte lediglich Melanchthons Einschätzung der Altgläubigen; vgl. Luther an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 606, Z. 11 ff.] und dazu unten Kap. 3.9.2. Vgl. allerdings den Hinweis auf seine Unzufriedenheit im Brief Johann Friedrichs von Sachsen an seine Gesandten in Hagenau 2. 7. 1540 [CR 3, 1052–1054, Nr. 1977; hier 1054]: »welcher Veränderung aber Doctor Martinus nicht wohl zufrieden war, als er des Handels berichtet ward, meinte, es sollte ihm niemand das Wort sola aus dem Artikel von der Justification mit seinem Wissen und Willen reißen«. 603 Vgl. Luthers »Sendbrief vom Dolmetschen« von Anfang September [WA 30/2, 632– 646; hier 632–643]; zudem seine »Schmalkaldischen Artikel« von 1537 und dazu unten Abschnitt III, Kap. 5. 604 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an seine Gesandten 2. 7. 1540 [CR 3, 1052–1054, Nr. 1977; hier 1053 f.]. 605 Vgl. Brenz an Melanchthon 17. 2 . 1546 [MBW 4161; CR 6, 51 f., Nr. 3386; hier 51].
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ber, das altgläubige Verständnis der Einigung zu korrigieren und darauf hinzuweisen, daß die Lutherischen nicht zugestanden hätten, daß das sola nicht schriftgemäß sei, und daß sie erst nach der Erklärung der Altgläubigen, die Sündenvergebung geschehe nicht aufgrund von Verdiensten, sondern aus Glauben, darauf verzichtet hätten.606 3.6.1.2 Die Beibehaltung der Dreiteilung der Buße Kritik an der Beibehaltung der römischen Dreiteilung der Buße wurde während des Reichstags ausschließlich von seiten der Nürnberger geäußert. Das wohl hauptsächlich auf Osiander zurückgehende Gutachten der Nürnberger Theologen kritisierte die Beibehaltung der römischen Dreiteilung mit der Begründung, daß damit eine päpstliche Lehre bestätigt werde. Da vor allem mit den Begriffen confessio und satisfactio päpstliche Inhalte verbunden seien, die von lutherischer Seite schon seit langem als Mißbräuche gebrandmarkt würden, und man daran auch durch lutherische Glossen und Auslegungen nichts ändern könne, sagten sie voraus, daß ein solches Zugeständnis große Verwirrung auslösen werde und vom protestantischen Kirchenvolk keinesfalls angenommen werden würde.607 Auch Spengler sprach sich in seinem Gutachten gegen die Beibehaltung der Dreiteilung der Buße aus, da er der Meinung war, man dürfe den Altgläubigen außerhalb eines Konzils keine so weitreichenden Zugeständnisse machen.608 3.6.1.3 Die Fürbitte der Engel und Heiligen Bucer honorierte in seinem bereits genannten Brief Ende August zwar, daß sich die Protestanten im Ausschuß gegen die Anrufung der Heiligen gewehrt hatten, warf Melanchthon aber das Entgegenkommen bei der Fürbitte der Heiligen 606 Vgl. die »Responsio ad calumnias eorum, qui se catholicos vocant« vom 4.9. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 254 f.; hier 254] und die Nennung des sola in der Apologie [BSLK, 174, Z. 42]. 607 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 146, Z. 13 ff.]: »ist nit gut und dient nit zu ainer geringen irrsal, das den bapstischen ir bißhere geprauchte lere in dem artickel, alls ob drey tail der puß seien, zugelassen und bestettigt werden soll. Dann das bedarf nit zweifels, die papisten hallten confessionem fur ir ornpeicht und satisfactionem fur die genugthuung mit wercken. Nun bedenck ain yeder, wann inen diese zwax stuck alls notwendige zwen tayl der puß sollten zugelassen werden, was sie damit erstritten hetten. Und ob auch solchs das wort Gottes und die schrifft ymmer erleiden konndten und ob man gleich daranach die sach glosiern, anders verteutschen und außlegen wollt, dann es die babstischen versteen, so wurd doch durch den gemainen man solche gloß nymmermer angenomen werden; dann die sach ist zu lauter und verstendig worden« und das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 66]. Angesichts dieser Kritik ist allerdings interessant, daß Osiander selbst in seiner Schirmschrift vom 22.6. zwar die mit den drei römischen Begriffen verbundenen Inhalte abgelehnt, auf die Begriffe aber nicht völlig verzichtet hatte [OG 4, 73, Z. 22 ff.]. 608 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 66].
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und Engel für die Menschen vor und rechnete auch dies unter die Beispiele für seine übergroße Nachgiebigkeit.609 Weitere Kritik kam von den Nürnbergern. In ihren Gutachten Ende August betonten sie, daß man durch dieses Zugeständnis neben Christus weitere Mittler erhebe, daß es auch für die Fürbitte der Engel und Heiligen keinen Schriftbeweis gebe und daß solch ein Zugeständnis Anlaß zu Mißbräuchen und Verwirrung im Kirchenvolk biete.610 Luther befürchtete wohl Ähnliches und stellte deshalb in seinem »Sendbrief vom Dolmetschen« im September in aller Ausführlichkeit dar, daß es keinen Schriftbeweis für die Fürbitte der Heiligen gebe und daß man in keinem Fall Heilige anrufen dürfe.611 Er äußerte zwar auch hier keine direkte Kritik an Melanchthon, wie beim Verzicht auf das sola liegt seinen Ausführungen aber zumindest ein indirekter Vorwurf zugrunde. In jedem Fall wollte er durch seine Schrift eventuellen Mißverständnissen der protestantischen Zugeständnisse vorbeugen. Diese Vorwürfe weisen zusammen mit der Kritik Luthers an der von ihm als ungenügend empfundenen Darstellung der CA zum Thema der Heiligenanrufung darauf hin, daß dieser Punkt 1530 ein sehr heikles Thema gewesen zu sein scheint, bei dem auch der kleinste Kompromiß gegeißelt wurde. 3.6.1.4 Weitere mit den Glaubensartikeln zusammenhängende Kritik Bucer warf Melanchthon in seinem bereits genannten Brief von Ende August neben den Zugeständnissen bei Rechtfertigungslehre und Heiligenfürbitte vor, man habe im Ausschuß mit der Lehre vom freien Willen und anderen Dogmen unzulässigerweise gespielt.612
609 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 17 ff.]: »sanctos, qui in alio seculo degunt, et angelos orare pro nobis concess[um] est; invocare tamen eos periculosum esse, ut in scripturis non traditum retinuerunt«. 610 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 148, Z. 1 ff.]: »so wirdet freylich kain schrifft auff erden erfunden, die do vermag oder auß dero man schliessen kan, das die verstorben heiligen oder die engel imm himmel Got fur uns pitten. Es ist auch kain ander mittler, furpitter oder hoherpriester vor Got . . . dann der ainig Christus. Was ist es dann nutz, was frucht bringt es auch, den pabstischen disen artickel allso nachzugeben und zu bestettigen, den sie bißhere alls gegrundt in der schrifft haben erhallten wollen, von dem doch die schrifft kain anzaigung gibt? Was mißprauch auch mit der zeit auß disem artickel ervolgen wurde, hat ain yeder verstendiger leichtlich zu bedencken«; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 60; vgl. 66] und Melanchthon an Dietrich 1.9. [MBW 1059; MBW T 4/2, 629, Z. 12 ff.]: »Tui cives . . . cavillantur in nostris actionibus quaedam alia de sanctis«. 611 Vgl. Luthers »Sendbrief vom Dolmetschen« von Anfang September [WA 30/2, 643– 645]. 612 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 19 f.]: »Sic de libero arbitrio et alijs quibusdam dogmatis lusum est«.
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3.6.2 Die Kritik an Zugeständnissen bei den Mißbrauchsartikeln der CA Die protestantischen Zugeständnisse im Vierzehner-Ausschuß, die die Mißbrauchsartikel der CA betrafen, waren zu einem guten Teil nicht neu, sondern von Melanchthon bereits in der CA oder im Rahmen seiner Sonderverhandlungen geäußert worden. Einige wenige Aussagen waren zwar schon in den Wochen zuvor in Frage gestellt worden, die meisten Zugeständnisse gelangten aber wohl erst im Zusammenhang des protestantischen Vorschlags an die Altgläubigen vom 20. August an die Öffentlichkeit und gerieten darauf hin in die Kritik. Die Vorwürfe richteten sich in erster Linie gegen die Nachgiebigkeit bei der bischöflichen Jurisdiktion und bei verschiedenen Zeremonien. Daneben wurden auch die Aussagen zu den Themen Laienkelch, Messe, Priesterehe und Klöster angegriffen. 3.6.2.1 Das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion Die Zusage an die Altgläubigen, unter bestimmten Voraussetzungen die rechtmäßige Jurisdiktion der Bischöfe wiederherzustellen, war einer der Kernpunkte des kursächsischen Kompromißprogramms. Dementsprechend findet sie sich vor und während des Reichstags in allen Gutachten und Äußerungen Melanchthons, in denen er Vorschläge für eine Lösung des Glaubenszwiespalts darlegte,613 und wurde auch von anderen protestantischen Vertretern in Augsburg unterstützt.614 Melanchthon hatte in dieser Frage schon Mitte Juni mit Kritik von protestantischer Seite gerechnet und vermutet, einige Protestanten könnten sich durch dieses Zugeständnis in ihrer Freiheit beschränkt fühlen.615 Derartige Kritik war tatsächlich vorprogrammiert. So hatte zum Beispiel Philipp von Hessen in seinen Grundsätzen für den Reichstag ausgeschlossen, daß man beim Thema der bischöflichen Jurisdiktion nachgeben könne.616 Erste konkrete Hinweise, daß nicht alle Vertreter der protestantischen Stände in Augsburg mit diesem Zugeständnis einverstanden waren, finden sich aber erst im Zuge der Vorbereitung 613
Vgl. oben Kap. 1.1, 1.2.6.1, 1.2.8, 1.3.3, 1.3.4.4 und 1.4.3. Vgl. Brücks schriftliche Stellungnahme vor dem Fürsten-Ausschuß vom 13.8. [UB 2, 215]; die zustimmende Haltung Georgs von Brandenburg und Ernsts von Lüneburg laut Melanchthons Brief an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 27 ff.] (die Erwähnung Ernsts widerspricht allerdings den Berichten über seine Kritik am Zugeständnis; vgl. dazu unten, Anm. 623); Brenz an Eisenmenger 8.9. [CR 2, 357] und 11.9 [CR 2, 362]: »eadem sentiunt nobiscum boni quique« und das Gutachten der protestantischen Theologen vom 17.9. [MBW 1078; MBW T 4/2, 697, Z. 70 ff.]; zu Luthers Zustimmung unten Anm. 618. 615 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.6. [MBW 933; MBW T 4/1, 252, Z. 4 ff.]: »Iurisdictionem totam καὶ τὸ ἀξίωμα reddo episcopis. Hoc fortasse urit istos qui aegre paciuntur sibi libertatem suam adimi«. 616 Vgl. die Instruktion Philipps von Hessen für seine Gesandten vom 27.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 331, Z. 36 ff.]. 614
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offizieller Verhandlungen in den Tagen nach der Übergabe der CA, als es unter den Theologen zum Streit über die Herrschaft der Bischöfe kam.617 Warnende Worte kamen auch von Luther. Er stand zwar grundsätzlich hinter der Zusage der Wiederherstellung der bischöflichen Jurisdiktion, wenn sie unter der Bedingung angeboten würde, daß die Bischöfe für die Evangeliumsverkündigung sorgten, Mißbräuche abschafften und die Protestanten tolerierten, und warf den Kritikern dieses Zugeständnisses vor, sie verstünden es nicht richtig.618 Gleichwohl mahnte er Melanchthon und seine Kollegen, sie sollten an diesem Punkt nicht mehr geben, als sie hätten, und berücksichtigen, daß dieses Zugeständnis von den Altgläubigen weiter ausgelegt würde, als es vielleicht gedacht war.619 Zu einem regelrechten Sturm der Kritik in Augsburg und im ganzen Reich kam es, als das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion in den protestantischen Vorschlag vom 20. August Eingang fand: 620 Der erste Kritiker war der mit im Vierzehner-Ausschuß sitzende hessische Theologe Schnepf, der sich Ende August in einem Gutachten gegen das Zugeständnis aussprach und an dieser Ablehnung auch in den kommenden Wochen festhielt. Er plädierte dafür, sich anstelle der Rückkehr unter die Jurisdiktion der Bischöfe, die er als »Kirchenn fride[n]« bezeichnete, lediglich darum zu bemühen, mit den Bischöfen in einem äußerlichen Frieden zusammenzuleben, wie man dies beispielsweise auch mit den Juden praktiziere.621 Ähnlich kritisch wie Schnepf zeigten sich auch die Vertreter Nürnbergs in Augsburg, insbesondere Hieronymus Baumgartner, der 617 Vgl. Jonas an Luther 30.6. (?) [WA Br 5, 428, Z. 45 f.]: »proxime de imperio et iurisdictione episcoporum aliquid rixati sumus«. 618 Vgl. Luthers »Vermahnung an die Geistlichen« von Mai und dazu oben Kap. 1.1; sein Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 595, Z. 192]; die Briefe an Melanchthon 11.9. [MBW 1075; MBW T 4/2, 687, Z. 31 ff.]: »Iurisdictionem episcopis redditam ipsi [sc. critici] non satis intelligunt nec attendunt circumstantias adiectas. Atque utinam episcopi eam accepissent sub istis conditionibus!« und an Hausmann 23.9. [WA Br 5, 631, Z. 24 f.] und den Rückblick auf dieses Zugeständnis in seiner Schrift »Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe« von 1533 [WA 38, 195–256; hier 195, Z. 17 ff.]. 619 Vgl. Luther an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 607, Z. 33 ff.]: »De obedientia episcopis reddita et iurisdictione . . . sehet euch dennoch wohl fuhr und gebt nicht mehr, den ir habt, ne cogamur denuo ad difficilius et periculosius bellum pro evangelio defendendo. Scio vos evangelium semper excipere in istis pactis, sed metuo, ne postea nos perfidos aut inconstantes insimulent, si non servemus, quae voluerint. Ipsi enim nostras concessiones large, largius, largissime accipient« und im Rückblick an Jonas 20.9. [WA Br 5, 629, Z. 33]. 620 Vgl. oben Kap. 1.4.5.2, bes. b). 621 Vgl. Schnepfs Gutachten von Ende August [UB 2, 311–313; Zitat 313]; zudem die Nachrichten über seine Kritik bei den hessischen Gesandten an Philipp von Hessen 23.8. [Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 282, Anm. 1]; bei den Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 148]; den Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 313]: Ist »dem Philippo, von den Hessischen, nämlich dem Schnepfen, ihren Predigern Widerpart gehalten worden«, und zwar beim Treffen der Protestanten am 25.8.; vgl. zudem das Lob seines Widerstands bei Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 364].
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im August zu den beiden anderen Nürnberger Gesandten hinzugestoßen war,622 außerdem die Gesandten Hessens und Lüneburgs. Sie alle äußerten ihre Anfragen an das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion in den Beratungen der Protestanten, nachdem die Ausschußdelegierten über ihre Verhandlungen mit den Altgläubigen berichtet hatten. Zudem regte sich bald auch Kritik außerhalb Augsburgs, und zwar bei Philipp von Hessen sowie in Nürnberg, Schwäbisch Hall und Reutlingen. Adressaten der Kritik waren wie bei anderen Kritikpunkten die protestantischen Ausschußmitglieder insgesamt, die Vertreter Kursachsens oder Melanchthon persönlich. Bei vielen dieser Kritiker wissen wir nur, daß sie das Nachgeben in dieser Frage im allgemeinen angriffen,623 von anderen hingegen sind uns detailliertere Ausführungen ihrer Vorwürfe erhalten. Trotz ihrer gemeinsamen Ablehnung des Zugeständnisses der bischöflichen Jurisdiktion waren die Kritiker uneins über die prinzipielle Berechtigung und Ausgestaltung des bischöflichen Amtes. So versuchte zum Beispiel Alber, die grundsätzliche Unrechtmäßigkeit der bischöflichen Gewalt nachzuweisen, indem er darlegte, daß der Bann laut Mt 18,17 der Kirche und nicht den Bischöfen gegeben sei und die Jurisdiktion der Bischöfe aus der Schrift nicht erwiesen werden könne; daher kam er zu dem Schluß, daß das Amt der Bischöfe und die Herrschaft Christi nicht zu vereinbaren seien.624 Andere Kritiker konnten sich eine Wiederherstellung der bischöflichen Gewalt zwar prinzipiell vorstellen, lehnten sie jedoch in der gegenwärtigen Situation ab, weil sie in den amtieren622 Vgl. die erste Erwähnung Baumgartners als Gesandten im Brief des Nürnberger Rats an seine Gesandten vom 26.8. [Vogt, Korrespondenz, 36]; zu seiner Kritik Melanchthon an Camerarius 29.8. [MBW 1052; MBW T 4/2, 620, Z. 7 ff.]: »Hieronymus neutiquam amanter ea de re [sc. de iurisdictione episcoporum] expostulavit mecum nova quadam et inusitata usus verborum acerbitate« (zur Ergänzung des Namens Volz, MSA 7/2, 280, Anm. 5 und Scheible, MBW R 1, 434) und unten Anm. 626 und Kap. 3.8.1.2. 623 Vgl. die hessischen Gesandten an Philipp von Hessen 23.8. [Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 283, Anm. 2 ]; die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 487] und 31.8. [PC 1, 491]; Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 246, Z. 16 ff.]; Ehinger an den Memminger Rat 2.9. [Dobel, Ehinger, 55 f.]: »Die von nuornberg, die landt greffischen, auch hertzog von lünenbuorg sind nit wol zufriden, dass Filips m[elanchthon] sovil nach hautt gebenn . . . mit der gaistlichen juresdickzion«; zudem Schirrmacher, Briefe und Acten, 213 und 243: »de potestate et iurisdictione episcoporum Saxones aliquanto plus erant largiti. Sed neque Landgrauiani, neque Luneburgici, neque Noribergenses id probabant«. Vgl. auch die Berichte Melanchthons 29.8. an Luther [MBW 1050; MBW T 4/2, 617, Z. 16 f.], an Dietrich [MBW 1051; MBW T 4/2, 618, Z. 4 ff.; bes. Z. 6 ]: »Fremunt et alii socii ac indignantur regnum episcoporum restitui« und an Camerarius [MBW 1052; MBW T 4/2, 619 f., Z. 6 f.]; 1.9. an Luther [MBW 1058; MBW T 4/2, 628, Z. 7 ff.] und an Dietrich [MBW 1059; MBW T 4/2, 629, Z. 12 f.]; zudem spätere Berichte bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 137 f.: »Quod [sc. concessio jurisdictionis] . . . varie et mirabiliter exagitatum est«; »de hoc capite potissimum accusantes Philippum inhumanissime« und Wigand, Historia, 140. 624 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 318, Z. 12 ff. und 319, Z. 19 f.].
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den Bischöfen nicht die geeigneten Personen sahen, deren Herrschaft man sich unterstellen könnte. Sie hielten diese vielmehr für falsche Lehrer, Mörder und Unterdrücker des Wortes Gottes und seiner Verkündiger, die man meiden müsse und denen man keinesfalls die Macht über andere Menschen und die Wacht über das Wort Gottes anvertrauen dürfe. Sie waren in Sorge, daß, sollte den gegenwärtigen Bischöfen die Ordination und Prüfung der Pfarrer und Prediger überlassen werden, kein christlicher und rechtschaffener Pfarrer mehr zugelassen, alte Mißbräuche aufgerichtet und das Evangelium unterdrückt würde.625 Sie befürchteten von diesem Zugeständnis also eine Wiederherstellung der Tyrannei der Bischöfe und eine Erneuerung bzw. Stärkung der päpstlichen Macht und Herrschaft.626 Als Gründe für die massive Kritik an der Zusage der Rückkehr unter die Herrschaft der Bischöfe ist folgendes zu vermuten: Bei den Vertretern der Reichsstädte Nürnberg und Reutlingen waren wohl vor allem politische Motive für ihre Ablehnung des Zugeständnisses verantwortlich, da sie ihre gerade erst erkämpfte Unabhängigkeit vom Bamberger bzw. Konstanzer Bischof und damit auch die weitere Durchführung der Reformation gefährdet sahen.627 Zudem war das Zugeständnis einigen Kritikern sicher auch deshalb suspekt, weil sie wußten, daß dieser Punkt den Altgläubigen besonders wichtig war und ein solches Zugeständnis von ihnen nur allzu gerne angenommen wurde.628
625 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 148, Z. 12 ff.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 60; vgl. auch 66]; Schnepfs Gutachten Ende August [UB 2, 311]; Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 325; CR 2, 326 f. und WA Br 5, 600, Z. 13 ff.]; Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 317, Z. 6 ff. und Z. 45 f. und 318, Z. 9 ff.]; die Kritik von Eisenmenger laut Brenz’ Brief an ihn 11.9. [CR 2, 361 f.]: »De dominatione . . . episcoporum . . . inquis, pseudoprophetae sunt et homicidiae« und das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 338, Z. 30 ff.]. 626 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 317, Z. 7 f.]: »geben jr [sc. die Delegierten im Ausschuß] unsers bedunkens dem antichristen das sceptrum wider in die hand«; ein Vorwurf Baumgartners laut Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621, Z. 11 f.] und an Luther 1.9. [MBW 1058; MBW T 4/2, 628, Z. 9 ff.]: »Bomgartnerus scripsit me, . . . suscipere restituendae dominacionis pontificiae«; zudem Melanchthon an Camerarius 5.9. [MBW 1064; MBW T 4/2, 643 f.; hier 644, Z. 12 f.]: »nostri . . . ea concessione vociferabantur solidam τυραννίδα episcoporum restitutam esse«. 627 Vgl. das Bedenken der Nürnberger Juristen vom 7.5. [Gussmann, Ratschläge 2, 209, Z. 7 ff.]; die Erklärung Hepsteins und Osianders vom 22.6. [OG 4, 102–104, Nr. 141; hier 104, Z. 7 ff.]; Gussmann, Ratschläge 1, 484, Anm. 16; Hofmann, OG 4, 141; Jedin, Reli gionsgespräche, 52 und Immenkötter, Rahmenbedingungen, 14 f. 628 Vgl. Cochlaeus in der Widmung seiner Schrift »Auf den teutschen Auszug ubers decret« vom 22.4. (VD 16 C 4256; nach Gussmann, Ratschläge 1, 72); die Denkschrift Campeggios von Anfang Mai [Maurenbrecher, Karl V., 3*–14*; hier 6*]; die »Confutatio« (dazu oben Kap. 1.3.6); die Verhandlungen im Vierzehner-Ausschuß (dazu oben Kap. 1.4.5.2) und den altgläubigen Vorschlag vom 19.8. [Honée, Libell, 226, Z. 17 ff.].
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3.6.2.2 Das Zugeständnis verschiedener Adiaphora 629 Auch das Zugeständnis verschiedener Adiaphora gehörte zu den Kernpunkten des kursächsischen Kompromißprogramms und wurde deshalb sowohl von Melanchthon als auch von anderen Vertretern der Protestanten vor und während des Reichstags des öfteren zur Sprache gebracht, unter anderem in der CA.630 Auch in dieser Frage war Kritik vorprogrammiert, da zum Beispiel Philipp von Hessen in der Instruktion für seine Gesandten ausgeschlossen hatte, daß man bei Fasten- und Feiertagen und in bezug auf generelle Speisegebote nachgeben könne.631 Erste Ansätze von Kritik in diesem Zusammenhang kamen von Osiander, der wegen der seiner Ansicht nach übergroßen Milde der CA befürchtete, die Altgläubigen könnten glauben, man wolle ihnen bei allen freien Zeremonien entgegenkommen.632 Luther stand auch in der Frage der Adiaphora zwar grundsätzlich hinter seinen Kollegen und betonte immer wieder, daß man diejenigen Zeremonien, die nicht gegen das Wort Gottes verstießen und den Gewissen keine Lasten auferlegten, um der Liebe willen beibehalten könne, da man dadurch den guten Willen der Protestanten zeigen und Ärgernis vermeiden könne.633 Allerdings äußerte er sich zu dieser Frage auch immer wieder skeptisch und warnend, zumal er aufgrund von Melanchthons beständigen Fragen im Juli wußte, wie viel seinem Kollegen an den Traditionen lag. Zum einen verwies er darauf, daß ein solches Zugeständnis nur dann Sinn mache, wenn man sich in den Hauptfragen einig sei, wovon die Kontrahenten in Augsburg jedoch meilenweit entfernt waren. Zum anderen mahnte er seine Kollegen auch im Blick auf die Adiaphora, sie sollten nicht mehr geben, als sie hätten, da zu befürchten sei, daß solche Zugeständnisse von den Altgläubigen sehr weit verstanden würden und die Protestanten, wenn sie in diesen Punkten später nicht so handelten, wie sich die Altgläubigen das vorstellten, als wortbrüchig und unbeständig bezeichnet werden könnten.634 Auf massive Kritik stieß das Zugeständnis, als es Aufnahme in den protestantischen Vorschlag fand, da dieser bald weiten protestantischen Kreisen bekannt wurde. Die Kritiker wandten sich gegen die protestantischen Zusagen, die 629
Vgl. hierzu auch die Kritik an den Aussagen zur Messe unten Kap. 3.6.2.5. Vgl. oben Kap. 1.1, 1.2.8 und 1.4.5. 631 Vgl. die Instruktion Philipps von Hessen für seine Gesandten vom 27.3. [Gussmann, Ratschläge 1, 331, Z. 33 ff.]. 632 Vgl. oben Kap. 3.3.1.3. 633 Vgl. den 17. Schwabacher Artikel von 1529 [WA 30/3, 81–91; hier 91, Z. 4 ff.]; Luthers Brief an die Lübecker Prediger vom 12.1. [WA Br 5, 220 f., Nr. 1520; hier 221, Z. 13 ff.]: »hortamur, ut mutationem rituum, quae periculosa est, non primo, sed posteriore loco tractetis«; sein Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 595, Z. 205 ff.]; sein Bedenken vom 7.9. (?) [WA Br 5, 611–617, Beilage zu Nr. 1715; hier 616, Z. 83 ff.] und seinen Brief an Philipp von Hessen 28.10. [WA Br 5, 660 f., Nr. 1740; hier 660, Z. 24 ff.]. 634 Vgl. Luther an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 607, Z. 33 ff.] (Zitat oben Anm. 619) und sein Bedenken vom 7.9. (?) [WA Br 5, 611–617, Beilage zu Nr. 1715; hier 616, Z. 83 ff.]. 630
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päpstlichen Speisegebote zu beachten und eine große Zahl von Fasten- und Feiertagen beizubehalten bzw. wiedereinzuführen.635 Die Motive für ihre Ablehnung dieser Zugeständnisse waren allerdings sehr unterschiedlich. Es gab auch unter den Kritikern viele, die ein Nachgeben bei bestimmten Adiaphora grundsätzlich für möglich hielten und wie Melanchthon und Luther der Auffassung waren, daß man bestimmte Riten, für die es keine biblischen Festlegungen gab, um der Nächstenliebe und Ordnung willen beibehalten könne, wenn sie die Gewissen nicht beschwerten und die christliche Freiheit nicht beschränkten.636 Für die gegenwärtige Situation lehnten sie derartige Zugeständnisse jedoch ab und begründeten dies zum einen damit, daß dem protestantischen Angebot kein wirkliches Entgegenkommen der Altgläubigen bei Laienkelch, Priesterehe und freier Evangeliumsverkündigung gegenüberstehe.637 Zum anderen verwiesen sie darauf, daß die christliche Freiheit, die laut Paulus einem Glaubensartikel gleichkomme, Schaden nehmen könne, da durch die Wiedereinführung bestimmter Riten neuer Zwang für die Menschen entstehe und die Altgläubigen nicht von ihrem Verständnis dieser Zeremonien als einer notwendigen Menschensatzung abrücken würden.638 Spengler bemängelte in bezug auf Zugeständnisse bei den Adiaphora, daß nicht genügend berücksichtigt werde, aus welchen Gründen die Gegner die Beachtung von Speisegeboten, Feiertagen, Prozessionen etc. forderten. Hinter dem altgläubigen Verlangen stehe der Anspruch des Papstes, die durch ihn erlassenen Gebote und Verbote seien göttlich, aus dem folge, daß man bei ihrer Nicht-Erfüllung bzw. Übertretung sündige. Durch ein Nachgeben bei den Adiaphora bestätige man also die Gegner in ihren gottlosen Begründungsmustern.639
635 Vgl. die Straßburger Gesandten an die Dreizehn 24.8. [PC 1, 487]: »haben die Sachsischen . . . mit der speis, feirtagen und etlichen ceremonien sich auch erboten mer dan vil vermeint hetten« und die Klagen Eisenmengers »De multitudine ieiuniorum«, gegenüber denen sich Brenz im Brief an ihn 11.9. [CR 2, 361] rechtfertigte. 636 Vgl. z. B. Osianders Entwurf einer brandenburgisch-nürnbergischen Kirchenordnung von vor 29.1. [OG 3, 484–564, Nr. 126; hier 494, Z. 8 ff. und 495, Z. 4 ff.] und dazu Seebass, OG 3, 471; seine »Schirmschrift« vom 22.6. [OG 4, 95, Z. 18 ff.] und das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 340, Z. 1 ff. und 341, Z. 25 ff.]. 637 Vgl. Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 324 und 326 und WA Br 5, 600, Z. 7 ff.]; das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, Ratschläge 1, 338, Z. 1 ff.] und oben Kap. 3.5.1.2. 638 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 147, Z. 12 ff.]. Sie hatten bereits in ihrem Gutachten von vor 7.5. [Gussmann, Ratschläge 1, 289 f.] betont, daß die Freiheit nicht durch Menschensatzungen behindert werden dürfe, da dies einer Abwendung vom Glauben gleichkäme; vgl. auch Osianders »Schirmschrift« vom 22.6. [OG 4, 93 ff.; bes. 94, Z. 15 f.]; zudem Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 318, Z. 21 ff. und 319, Z. 2 f.]. 639 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63 f.].
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Schließlich machten einige Kritiker auf die zu befürchtenden praktischen Folgen der Zugeständnisse aufmerksam. Philipp von Hessen war in Sorge, daß man durch eine Wiedereinführung bestimmter Riten päpstliche Mißbräuche bestätige,640 und Alber verwies auf das große Ärgernis für die Menschen, das folge, wenn man die in vielen Gemeinden längst erfolgte Abschaffung bestimmter Zeremonien wieder rückgängig mache.641 3.6.2.3 Die Aussagen zum Laienkelch In bezug auf den Laienkelch waren es ausschließlich die Aussagen des protestantischen Vorschlags und die sich anschließenden Verhandlungen im Ausschuß, die Kritik hervorriefen, denn Melanchthon hatte sich zu diesem Thema vorher nicht öffentlich geäußert. Die Vorwürfe richteten sich gegen das Angebot, den Menschen auch in protestantischen Gemeinden weiterhin die Möglichkeit zu gewähren, unter einer Gestalt zu kommunizieren, und gegen die Zusage der protestantischen Delegierten in den Verhandlungen am 20. und 21. August, keinen zu verdammen, der das Abendmahl unter einer Gestalt empfange. Luther wußte zwar nichts von diesen Zugeständnissen, erklärte aber angesichts der Forderung des altgläubigen Vorschlags – »wir sollen auch einerley gestalt bey vns reichen denen, so es begeren« –, daß dies nicht möglich sei und man entsprechend dem »Unterricht der Visitatoren« von 1528 nur Schwachen im Glauben das Abendmahl noch unter einer Gestalt reichen dürfe.642 Andere Protestanten wandten sich explizit gegen die Zugeständnisse: Meglein sah in ihnen eine unangemessene Nachgiebigkeit der Delegierten.643 Sailer kritisierte, daß man sich das Zugeständnis des Laienkelchs in evangelischen Gebieten dadurch erkaufen wolle, daß man zusage, das Abendmahl unter einer Gestalt nicht zu verdammen, und verwies darauf, daß dies in keiner Weise zu den protestantischen Äußerungen der vergangenen Jahre passe.644 Und Matthäus Alber verwies darauf, daß das Abendmahl in den protestantischen Gebieten nirgends mehr unter einer Gestalt gereicht werde und es auch nicht möglich sei,
640 Vgl. Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 324 und WA Br 5, 600, Z. 117 ff.]. 641 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 318, Z. 28 f. und Z. 32 ff.]. 642 Vgl. Luthers Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 591, Z. 37 ff.; Zitat Z. 37 f.] und oben Abschnitt I, Kap. 4.2.2.5. 643 Vgl. Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1257]: »Ad hec vnam speciem petentibus porrigi . . . obscure aliis plusquam decebat obsequentibus & flexibilibus, quos dicam intelligis«. 644 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]: »Communionem sub utraque specie concessum eo locorum, ubi Lutheranum Evangelium sit praedicatum, ita tamen, ne una species damnetur. Si ergo una species non est damnanda, cur hactenus tam acriter digladiatum est, unam speciem esse contra institutionem Christi«.
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dies wieder einzuführen, wenn man nicht die Gewissen und das Wort Gottes verletzen wolle.645 In bezug auf die altgläubige Forderung, die Protestanten sollten lehren, daß auch eine Gestalt recht sei, waren die protestantischen Delegierten im Vierzehner-Ausschuß hart geblieben. Brenz befürchtete allerdings nach seinem Ausscheiden aus dem Ausschuß, daß die drei im Sechser-Ausschuß verbliebenen Protestanten dieser Forderung aus Schwäche möglicherweise doch noch nachgeben könnten.646 3.6.2.4 Die enge Verbindung von Beichte und Abendmahl Melanchthon und seine Kollegen hatten in verschiedenen Gutachten, in der CA und dann im protestantischen Vorschlag zugesagt, daß in den protestantischen Gebieten keinem Kommunikanten das Abendmahl ohne vorherige Beichte gereicht werde, um dadurch deutlich zu machen, daß die Lutherischen angemessen mit dem Sakrament umgingen.647 Die entsprechenden Aussagen der CA wurden nicht kritisiert, der Ulmer Prediger Sam vermerkte sie lediglich als Auffälligkeit.648 Und auch der diesbezügliche Passus des protestantischen Vorschlags rief bei den meisten seiner sonst sehr scharfen Kritiker keine Vorwürfe hervor, sondern traf auf Billigung.649 Allein die Nürnberger Theologen – und das heißt wohl vor allem Osiander – sahen in der protestantischen Zusage eine gefährliche Ursache für Mißverständnisse, da sie auf einen erneuten Zwang zur mündlichen Beichte hinauslaufe und man dadurch wieder ein päpstliches Gefängnis aufrichte.650 Daß die Verbindung von Beichte und Abendmahl von nur einem Kritiker angegriffen wurde, macht einen speziellen Hintergrund dieser Kritik wahrscheinlich, und zwar Osianders Hochschätzung der Privatabsolution und seine Ablehnung der allgemeinen Absolution. Über dieser Frage entbrannten in den Jahren 1533 und 1536 heftige Streitigkeiten in Nürnberg, und es ist zu vermuten, daß sie in Osianders Kritik am protestantischen Vorschlag schon ihre Schatten vorauswarfen.651 645
Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 316, Z. 5 ff.]. Vgl. Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]: »Petierunt a nobis papistae, ut concionaremur: non esse peccatum, aut contra institutionem Christi, alteram speciem sacramenti . . . accipere, et se concessuros, ut nos utraque utamur. Recusavimus hactenus constanter. Dominus conservet nos constantes. Sunt enim multi imbecilles«. 647 Vgl. oben Kap. 1.1, 1.2.8, 1.3.4.4 und 1.4.5.2. 648 Vgl. Sams Gutachten für die Ulmer Gesandten vom 6.7. [Gussmann, Ratschläge 2, 302, Z. 29 f.]. 649 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 319, Z. 5 ff.] und das Gutachten der hessischen Theologen von ca. Oktober [a. a. O., 341, Z. 3 ff.]. 650 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 147, Z. 3 ff.]. 651 Vgl. zu Osianders Haltung Seebass, Osiander, 255; seinen Entwurf einer Kirchenordnung vor 29.1. [OG 3, 534, Z. 14 ff. und 545, Z. 7 ff.] und dazu Seebass, OG 3, 473; zu den späteren Streitigkeiten den Briefwechsel zwischen dem Nürnberger Rat und den Wittenber646
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3.6.2.5 Die Aussagen zur Messe 652 a) Beibehaltung bestimmter Zeremonien bei der Messe Über die Beibehaltung bestimmter Teile der Messe hatten die Wittenberger Theologen bereits vor dem Reichstag nachgedacht. Obwohl sie in ihren Äußerungen lediglich vom Festhalten an lateinischen Gesängen um der Jugend willen gesprochen hatten,653 übte Bucer Ende Mai heftige Kritik an ihnen. Er behauptete, sie planten die Wiedereinführung lateinischer Gesänge und der Meßkleidung, verwies demgegenüber auf die bisher herrschende Freiheit bei den Zeremonien in Sachsen und verlieh seiner Befürchtung Ausdruck, diejenigen, die sich nicht an die neu festgelegten Zeremonien hielten, würden gewaltsam ins Exil getrieben.654 Daß Melanchthon auch in der CA davon sprach, die Protestanten hätten fast alle Zeremonien bei der Messe bewahrt,655 löste keine Kritik aus; allerdings fiel es Sam aus Ulm auf.656 Eine entsprechende Zusage Melanchthons an Cam peggio657 wurde wahrscheinlich deshalb nicht kritisiert, weil niemand davon erfuhr. Massive Kritik an der Beibehaltung bestimmter Teile der Messe entbrannte erst, als das Zugeständnis des protestantischen Vorschlags, die Messe in gewohnter Kleidung und mit den üblichen Gesängen zu halten, weiteren protestantischen Kreisen bekannt wurde: Spengler befürchtete als Folge dieses Zugeständnisses eine Bestätigung der mit der Messe verbundenen päpstlichen Mißbräuche.658 Vor allem die Beibehaltung althergebrachter Kleidung bei der Messe scheint als scandalum angesehen worden zu sein, so von den hessischen Gesandten in Augsburg und von Johannes Eisenmenger in Schwäbisch Hall.659 Alber gestand zwar ein, daß man in den Zeremonien bei der Messe Adiaphora ger Theologen (MBW 1316, 1320, 1360, 1367, 1369); Melanchthons Aussagen in MBW 1798 f. und Seebass, Osiander, 255–260. 652 Vgl. zum Thema Privatmessen auch die Kritik an den Aussagen zur Klosterfrage unten Kap. 3.6.2.7. 653 Vgl. Melanchthons Gutachten nach 27.3. [MBW 883; MBW T 4/1, 108, Z. 382 ff.]: »hat man etlich teutsch gesang genomhen, . . . Doch macht man kain gebot darauß und singt alzeit auch lateinische gesang zu ubung der iugent« und Luther in seiner »Vermahnung an die Geistlichen« von Mai [WA 30/2, 352, Z. 23 ff.]. 654 Vgl. Bucer an Zwingli 25.5. [BC 4, 112, Z. 8 ff.]: »Antehac libertas erat ceremonia[e] in Saxonibus; nunc exilio mulctatur, qui ex ijs vel tantillum omiserit, praeter ea, quae omittenda censuit Lutherus. Hinc latinae resumuntur cantiones, repetuntur s[acrae] vestes, oblationes etiam per viatorem pub[licum] extorquentur, et id, vbi aliquamdiu nihil harum nugarum vsurpabatur«. 655 Vgl. CA 24 [BSLK, 91, Z. 22 ff. und 95, Z. 23 ff.]. 656 Vgl. Sams Gutachten für die Ulmer Gesandten vom 6.7. [Gussmann, Ratschläge 2, 302, Z. 28 f.]. 657 Vgl. oben Kap. 1.3.4.4. 658 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 66]. 659 Vgl. ein undatiertes Schriftstück der hessischen Gesandten [Gussmann, Ratschläge 1,
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sehen könne, verwies aber darauf, daß sie in den Gemeinden seit Jahren abgeschafft seien, die Menschen sich an die neue Gestaltung des Gottesdienstes gewöhnt hätten und man nicht ohne Ärgernis zu früheren Gebräuchen zurückkehren könne. Er betonte zudem das hohe Gut der evangelischen Freiheit, die im Neuen Testament an zahlreichen Stellen hochgehalten werde, und stellte klar, daß die protestantischen Delegierten in ihrem Handeln nicht den altgläubigen Gegnern, sondern den von Christus Berufenen verpflichtet seien.660 b) Privatmessen und Meßkanones Die Überlegungen Melanchthons hinsichtlich weiteren Nachgebens bei Privatmessen und Meßkanones, mit denen er auf die altgläubigen Forderungen in den Verhandlungen reagierte, erweckten allenthalben den Eindruck unangemessener Nachgiebigkeit: Bucer kritisierte in bezug auf die Verhandlungen des Sechser-Ausschusses, daß Melanchthon seine Kollegen Brück und Sebastian Heller beinahe dazu verführt habe, die beiden Meßkanones und Privatmessen wieder zuzulassen.661 Viele Kritiker sprachen sich gegen eine mögliche Erklärung der Protestanten aus, Privatmessen nicht zu verbieten, und verwiesen auf die unbestreitbare Gottlosigkeit solcher »Menschenlehren«. Zum gegnerischen Argument, die Abschaffung von Privatmessen falle nicht in die Zuständigkeit der Fürsten, merkte Luther an, daß ein Fürst in diesem Fall als Christ handeln und die Privatmessen verhindern müsse.662 Und auch die Überlegung Melanchthons, man könne die beiden Kanones beibehalten, wenn man entsprechende Glossen anfüge und das Opfer im Sinne eines Dankopfers verstehe, wurde von den Kritikern vehement abgelehnt mit der Begründung, damit überfordere man die einfachen Menschen.663 Es ist interessant, daß auch Melanchthon selbst im ersten Gutachten der Wittenberger Theologen für Johann von Sachsen Mitte März Glossen bei der Messe kategorisch ausgeschlossen hatte.664 Luther sah bei einem Nachgeben in diesen beiden Punkten die Gefahr, daß man dadurch die 393, Anm. 16] und Eisenmenger laut Brenz’ Briefen an ihn vom 8.9. [CR 2, 357] und 11.9. [CR 2, 362]. 660 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 316, Z. 15 ff.]. 661 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 247, Z. 11 f.]: »Philippus prope in duxerat suos, vt canonem vtrumque et priuatas missas admississent; Brand[enburgensis] enim iam consenserat«. 662 Vgl. Meglein an Weiß 22.8. [Meglein, Briefe, 1257]: »Ad hec . . . privatas missas, vbicunque cessassent, rederegi . . . obscure aliis plusquam decebat obsequentibus & flexibilibus, quos dicam intelligis«; Luther an Johann von Sachsen 26.8. [WA Br 5, 573, Z. 45 ff.] und Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]: »De missis privatis audivi omnium maxima cum perturbatione animi mei. Ait reponendas [esse]«. 663 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]; Luther an Johann von Sachsen 26.8. [WA Br 5, 573, Z. 53 ff.]; sein Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 593, Z. 134 ff.]; Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333] und Camerarius an Agricola 30.8. [CR 2, 332]. 664 Vgl. das Gutachten der Wittenberger Theologen nach 15.3. [MBW 875; MBW T 4/1, 80, Z. 53 ff.].
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gesamte lutherische Lehre verleugne und die päpstliche Lehre wiederaufrichte.665 3.6.2.6 Die Ausführungen zur Priesterehe Zielscheibe der Kritik war die Zusage des protestantischen Vorschlags, daß man für freiwerdende Stellen ehelose Pfarrer suchen werde. Viele Kritiker zeigten sich angesichts der ihrer Ansicht nach klaren Aussagen der Schrift und der Konzilien gegen ein Verbot der Priesterehe verwundert über solch ein Zugeständnis und erinnerten die protestantischen Ausschußmitglieder an ihre eigenen Schriften, in denen auch sie sich immer wieder gegen ein solches Verbot ausgesprochen hatten. Sie sahen im Angebot der Delegierten eine Bestätigung der »hurenpfaffen« und befürchteten deshalb Ärgernis im Volk.666 3.6.2.7 Die Zusage hinsichtlich noch intakter Klöster Nicht allen Kritikern mißfielen die Aussagen des protestantischen Vorschlags, die verbliebenen Mönche und Nonnen ihrer eigenen Verantwortung zu überlassen, ihnen ihre Kleider und Zeremonien zu lassen und keine Gewalt gegen sie anzuwenden. So äußerte zum Beispiel Alber explizit seine Zufriedenheit mit diesen Ausführungen.667 Kritik kam von den Nürnberger Theologen, die in ihrem Gutachten ausführten, daß, wenn man die Klöster »bey irem allten wesen und iren allten ceremonien, wie sie bißhere gepraucht hetten«, bleiben lasse, eine Wiederaufrichtung von Mißbräuchen und eine erneute Verführung der einfachen Menschen zu befürchten sei.668 Und Spengler legte dar, daß es sich mit Gottes Wort nicht vertrage, wenn man den »München und Pfaffen« die Entscheidung überlasse, ob sie Privatmessen abschafften oder nicht, da diese ein Greuel und eine Lästerung seien. Zur Unterstützung seiner Aussagen verwies Spengler auf die Ablehnung der Privatmessen durch Luther und erinnerte Melanchthon an seine eigenen Ausführungen.669 Auch Luther wandte sich, ohne allerdings den protestantischen Vorschlag zu kennen, gegen den Schutz noch intakter Klöster, da dadurch die altgläubige Messe mit ihren Kanones bestätigt und ein Austritt aus dem Kloster erschwert werde.670
665 Vgl. Luther an Jonas 20.9. [WA Br 5, 629, Z. 25 ff.]; zudem Luthers »Schmalkaldische Artikel« von 1537 und dazu unten Abschnitt III, Kap. 5. 666 Vgl. Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 295]; die Gutachten von Alber Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 316, Z. 33 ff.; Zitat Z. 35] und der hessischen Theologen von ca. Oktober [Gussmann, a. a. O., 339, Z. 19 ff.]. 667 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 317, Z. 6 f.]. 668 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 126, Z. 1 ff.; Zitat Z. 4 f.]. 669 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 59]. 670 Vgl. das Gutachten Luthers vom 28.8. [WA Br 5, 594, Z. 170 ff.].
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3.6.3 Zusammenfassung Es ist auffällig, daß viele Zugeständnisse erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen kritisiert wurden, obwohl Melanchthon hier teilweise nur Aussagen wiederholte, die er auch schon in den Monaten zuvor gemacht hatte. Dies lag zum einen daran, daß viele seiner Äußerungen aus den Sonderverhandlungen nicht bekannt wurden und so auch keine Kritik auslösen konnten, zum anderen war es sicher auch die Ballung von Zugeständnissen im protestantischen Vorschlag, die dann so massive Kritik hervorrief. Einige Zusagen Melanchthons und seiner Kollegen wurden nur von Einzelpersonen angegriffen, was auf ihre speziellen Ansichten zu den in Frage stehenden Punkten zurückgeführt werden kann. Die meisten Zugeständnisse trafen allerdings auf eine breite Front der Ablehnung, können also nicht auf Sondermeinungen der Kritiker zurückgeführt werden und bedürften deshalb einer anderen Erklärung: Grundlage für das Verständnis der inhaltlichen Kritik ist die Tatsache, daß die Kritiker die meisten Zugeständnissen nicht wie Melanchthon und seine Kollegen als unproblematische Äußerlichkeiten verstanden, sondern darin schwerwiegende Einschnitte in die reformatorische Lehre und deren Umsetzung sahen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Kritiker bei ihrer Einschätzung der zu befürchtenden Folgen der Zugeständnisse richtig lagen oder nicht, ihre Sorgen um eine Bestätigung päpstlicher Mißbräuche und daraus entstehendes Ärgernis im Volk sind in jedem Fall Ausdruck ihrer Angst um den Bestand der Reformation. Viele Vorwürfe, vor allem in bezug auf die Glaubensartikel, richteten sich gegen Zugeständnisse bei Begriffen. Nach Ansicht der Kritiker ließen sich jedoch Begriffe und die hinter ihnen stehenden Inhalte nicht voneinander trennen, und so lag ihnen an eindeutigen Aussagen. Zugeständnisse bei verschiedenen Adiaphora wurden zwar auch von vielen Kritikern prinzipiell für möglich gehalten, sie lehnten diese jedoch in der gegenwärtigen Situation mit Hinweis auf die Symbolwirkung derartigen Entgegenkommens ab. Und bei Laienkelch, Priesterehe und den Veränderungen bei der Messe war bei den meisten Protestanten keinerlei Kompromißbereitschaft vorhanden, da diese als die Kennzeichen der Reformation galten.671 Deshalb reagierten bei diesen Themen viele auch in bezug auf die kleinsten Zugeständnisse so sensibel.672
671 Vgl. Luther in seinem Gutachten vom 28.8. [WA Br 5, 590, Z. 23 ff. und 593, Z. 119 ff.] und im Brief an Jonas vom 20.9. [WA Br 5, 629, Z. 16 ff.] und Philipp von Hessen an seine Gesandten 29.8. [CR 2, 326]. 672 Spengler beispielsweise warf den protestantischen Delegierten in diesem Zusammenhang vor, sie hätten wichtige göttliche Gebote und Einsetzungen für auf hebbar (dispensabilia) erklärt; vgl. sein Bedenken vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63].
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3.7 Übergreifende Kritik am protestantischen Vorschlag und am Vorgehen der protestantischen Delegierten Neben dem Vorwurf der Nachgiebigkeit und Unbeständigkeit der protestantischen Delegierten und der Kritik an einzelnen Zugeständnissen wurde in bezug auf den protestantischen Vorschlag und das Vorgehen der Delegierten insgesamt Kritik geäußert. 3.7.1 Der Vorwurf des Verstoßes gegen die Schrift Dem protestantischen Vorschlag wurde vorgeworfen, er widerspreche der Schrift, verbiege einzelne ihrer Aussagen und verdunkle die durch Luther ans Licht gebrachte Wahrheit.673 3.7.2 Der Vorwuf der Zweideutigkeit vieler Aussagen Neben der angeblichen Zweideutigkeit einzelner Zugeständnisse 674 wurde dem protestantischen Vorschlag insgesamt Zweideutigkeit vorgehalten, und zwar sowohl von Vertretern der Altgläubigen wie der Protestanten. Zunächst waren es die Altgläubigen in den Ausschußverhandlungen, die sich an der Uneindeutigkeit des protestantischen Vorschlags stießen. Von Tetleben prangerte sie in seinem Bericht über den Reichstag sogar als bewußtes Täuschungsmanöver der Protestanten an.675 Von protestantischer Seite wurde die Zweideutigkeit vieler Aussagen zwar nicht in Augsburg direkt, dafür aber von zahlreichen auswärtigen Gutachtern des Vorschlags kritisiert. Die Nürnberger Theologen charakterisierten es als Unredlichkeit, wenn man bewußt zweideutig spreche, und verwiesen darauf, daß man in bezug auf Glaubensfragen so handeln müsse, »das darauß nit ain offenlicher disputirlicher, zweiflicher verstand mög gezogen werden«.676 In ähnlicher Weise betonten auch Bucer und Camerarius, daß man, wenn es um das Bekenntnis zu Christus gehe, aufrichtig (ingenue) und ohne Kunstgriffe (sim673 Vgl. die Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 148]; die Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 145, Z. 20 ff. und 149, Z. 19 f.] und von Alber Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 319, Z. 22 f.]; Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296 f.; bes. 296]: »Quid ea concordia aliud esset, quam natae et divulgatae luci obducere nubem?«; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, LebensBeschreibung, 65] und sein Brief an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 316]: »kruppeln Der schrifft«. 674 Vgl. zur Kritik am Vorschlag lutherischer Glossen oben Kap. 3.6.1.2 und Kap. 3.6.2.5. 675 Vgl. die Anzeige der Altgläubigen vom 20.8. [UB 2, 265 f.] und von Tetleben, Protokoll, 128 (vgl. 130): Die protestantische Antwort sei »dubium, perplexum, amfibologicum«; »ut mos est hereticorum, volebant decipere catholicos sub tropo et dubio intellectu verborum«. 676 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 150, Z. 17 ff.; Zitat Z. 24 f.].
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pliciter) sprechen müsse, da andernfalls Verwirrung und Schaden bei den einfachen Menschen zu befürchten seien.677 Spengler, der sich in besonderer Weise an dieser Eigenart des protestantischen Vorschlags stieß,678 machte die Verfasser des Vorschlags zusätzlich darauf aufmerksam, daß sie selbst sich in der Vergangenenheit stets gegen jede Art von Zweideutigkeit ausgesprochen hatten.679 3.7.3 Der Vorwurf der Eigenmächtigkeit der protestantischen Ausschußmitglieder Viele Kritiker stießen sich am Vorgehen Melanchthons und seiner Kollegen in den Verhandlungen des Vierzehner- und Sechser-Ausschusses und im Zusammenhang des altgläubigen Vermittlungsversuchs im September. Hinsichtlich des Vierzehner-Ausschusses wurde kritisiert, daß die Vertreter der protestantischen Stände vor der Übergabe des Vorschlags am 20. August nicht gefragt worden waren, sondern die protestantischen Ausschußmitglieder hier »eigenmächtig« gehandelt hatten. Derartige Kritik brachten die Nürnberger Gesandten in den Beratungen am 22. August und in ihrem Gespräch mit Johann am 29. August vor; 680 ähnliche Vorwürfe wurden aber auch außerhalb Augsburgs geäußert.681 Von den auswärtigen Kritikern thematisierte vor allem Spengler diesen Punkt und prangerte an, daß die meisten Protestanten vor der Übergabe so weitreichender Vorschläge nicht unterrichtet, befragt und um ihre 677
Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 246, Z. 26 und Z. 29 ff.] und Camerarius an Agricola 30.8 [CR 2, 332]: »simplicitam requiro, qua amissa coniicimur . . . in maximas turbas«; zudem die Mahnung der hessischen Räte im Bericht der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 4.9. [CR 2, 339], »in Gottes Wort . . . nicht mit dergleichen Glossen umzugehen«. 678 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 65] und seine Briefe an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36] und an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315 f.]: »Das man Jn deß glaubens sachen . . . mit solchen verzickten [sc. zweideutigen] Sophistischen glosen, Disputation, vnd vnschicklikaiten . . . vmbgeen soll, bekummert [mich]«; »Jch . . . Dises . . . captioß [sc. betrügerisch] glosirn Jn gottes Wort vnd vnnserm glauben, Weder loben oder billichen kann«. 679 Vgl. Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315]: »Die [sc. Zweideutigkeit] man doch vor Jn vil außgangen puchlen, so maisterlich hat reprehendirn konnen«. 680 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 23.8. [CR 2, 301]: »Wäre unsers Achtens wohl gut gewest, daß uns unsers Theils Vorschläge und Bewilligung vor wären zugestellt worden, ehe sie dieselben dem Widertheil übergeben hätten« und ihren Bericht über ein Gespräch mit Johann von Sachsen am 29.8. [CR 2, 322]. 681 Vgl. den Nürnberger Rat an seine Gesandten 26.8. [Vogt, Korrespondenz, 36] und die Zurückweisung derartiger Vorwürfe durch Melanchthon gegenüber Camerarius am 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621, Z. 4 ff.]: »Quidquid egimus, egimus communicato consilio cum his qui simul adhibiti sunt ad haec negocia« und gegenüber H. Ebner in Nürnberg im für E. Ebner verfaßten Brief vom 10.9. [MBW 1074; MBW T 4/2, 681, Z. 11 f.]: »Certe has conditiones hic [sc. Melanchthon] non praescripsit solus« und durch Rurer gegenüber Alt hamer am 6.9. [Kolde, Redaktion, 115]: »quae concesserunt, communi omnium Evangelicorum principum, magistratum praedicatorum et parochorum in comitiis congregatorum consilio et consensu (nihil sua sponte aut temeritate) gesserunt«.
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Zustimmung gebeten worden seien. Das von den Angegriffenen vorgebrachte Argument, dies habe an der Eile der Gegner gelegen, sei verdächtig und könne nicht überzeugen. Über die zur Verhandlung stehenden Themen werde seit elf Jahren bei verschiedenen Reichstagen gesprochen, deshalb hätten sie in Augsburg wohl auch noch einen Tag Beratung verkraften können.682 Eine Steigerung fand diese Kritik im Vorwurf des Ansbacher Schulleiters Obsopoeus, Melanchthon habe ohne Befugnis und gegen den Willen der anderen Protestanten gehandelt, habe trotz ihres Widerspruchs seine Absichten durchgesetzt und sei hinterlistig vorgegangen.683 Verstärkt wurde die Kritik an der Eigenmächtigkeit der protestantischen Delegierten dadurch, daß es unter den Altgläubigen genau gegenteilige Gerüchte gab, daß nämlich der Vorschlag Melanchthons von allen Protestanten gebilligt worden sei.684 In bezug auf die Verhandlungen des Sechser-Ausschusses, vielleicht auch im Hinblick auf Ecks Brief an Melanchthon und den letzten altgläubigen Versuch einer Einigung kritisierte Bucer, daß Melanchthon ohne das Wissen der anderen protestantischen Stände weiter mit Eck und den Seinen verhandelt habe.685 Mitte September flammte erneut Kritik am Vorgehen Melanchthons und seiner Kollegen auf: Die Gesandten der Städte und Hessens und Herzog Ernst von Lüneburg beschwerten sich bei ihren Treffen mit Kurfürst Johann am 15. und 16. September über die fortgesetzten Verhandlungen von Melanchthon, Brenz und Sebastian Heller und bemängelten, daß Melanchthon sich ohne vorherige Bewilligung der anderen protestantischen Stände in Verhandlungen einlasse und Vermittlungsvorschläge unterbreite.686
682
Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 67] und seine Briefe an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36 f.] und an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 316]. 683 Vgl. Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]: »Nemo enim aliter sensit, quam illum contra omnium voluntatem, reclamantibus etiam aperte quibusdam fortioribus, tamen obtinere, quod voluerit, et conditiones perferre. Addunt, proponi omnia subdole«; »quod satis mirari nequeo, quo audeat ore facere«. 684 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 19.9. [CR 2, 379–381, Nr. 906; hier 381]. 685 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 248, Z. 2 ]: »nescio, quid inscijs alijs cum Eccio et suis tentavit«. 686 Vgl. die Beilage zum Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 147]; zudem Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 372]: »will . . . der Theologen Umlaufen und unchristlich Practiciren kein End haben, sondern haben seit des nächsten unsers Schreibens aber andre Mittel bei ihnen beratschlagt, und doch bisher weder uns noch die Hessischen und andre von den Städten darzu nie erfodert«; »Philippi Handschriften, so er ihnen [sc. den Altgläubigen] unbefragt männiglichs heimlich zuschickt, und Fürschläg thut, die nit allein unchristlich, sondern auch . . . zu erheben ganz umöglich«.
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3.8 Der Vorwurf des Schadens für die lutherische Sache, des Abfalls, des Verrats am Evangelium und der Bestechlichkeit Neben den bisher dargestellten Kritikpunkten gab es weitere übergreifende Vorwürfe, durch die das Verhalten Melanchthons und das seiner Kollegen gegenüber den Altgläubigen scharf angegriffen wurde. Die folgenden Vorwürfe stellen damit eine Erweiterung und Zuspitzung der bisher genannten Kritik dar. 3.8.1 Die Kritik von protestantischer Seite 3.8.1.1 Kritik Zwinglis im Blick auf alle Lutherischen Zwingli mutmaßte aufgrund der Berichte, die er über den Reichstag erhalten hatte, bereits Anfang Juni, die Lutherischen bereiteten ihren Abfall zu den Altgläubigen vor. In seiner sogenannten »Fidei Ratio«, die dem Kaiser am 8. Juli übergeben wurde, brachte er ähnliche Gedanken zum Ausdruck, als er die Lutherischen mit den Israeliten in der Wüste verglich, die sich zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurücksehnten (Ex 16,3); eine Aussage, die nach Auskunft von Bucer und Capito bei den Lutherischen in Augsburg auf heftige Ablehnung stieß.687 3.8.1.2 Kritik in bezug auf die Ausschußverhandlungen In bezug auf das Verhalten Melanchthons und seiner Kollegen in den Ausschußverhandlungen befürchteten einige Kritiker großen Schaden für die lutherische Sache – manche hielten ihre eigenen Glaubensgenossen sogar für gefährlicher als die altgläubigen Gegner – und beklagten sich darüber, daß sie mehr Kraft darauf verwenden müßten, den durch die Zugeständnisse erzeugten Schaden in Zaum zu halten, als sich gegen die Gegner zu wehren.688 Ähnliches wollte sicher auch Spengler ausdrücken, als er Melanchthon und seine Kollegen als einen »mittag teufel« 689 bezeichnete und betonte, man müsse sich diesem gemeinsam 687 Vgl. Zwingli an Haller und Megander 6.6. [CR 97, 610–613, Nr. 1039; hier 613, Z. 3 ]: »Luterani defectionem parant ad papistas, quantum audio«; die »Fidei Ratio« vom 3.7. [CR 93/2, 790–817; hier 806, Z. 14 f.]: »quidam, qui ad ollas Egiipticas respectant« und Bucer und Capito an Zwingli 22.7. [BC 4, 163, Z. 8 ff.]: »Tua confessio quosdam offendit, . . . cum dicis quosdam respectare ad ollas Aegyptiacas, quod vrit Lutheranos«. 688 Vgl. Philipp von Hessen an Zwingli 4.9. [CR 98, 112, Z. 5 f.]: »Philippus Melechton . . . ist eyn schedlicher man dem ewangelio Cristy«; Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 372]: »auf diesem Reichstag kein Mensch bis auf den heutigen Tag dem Evangelio mehr Schaden gethan denn Philippus«; Spengler an Vogler 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 35 f.] und Luther an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 9 ff.]: »clamantes . . . impendere causae plus periculi a vobis quam ab adversariis, et negotium maius sit vos inter vos compescendi quam contra hostes agendi«. 689 Das heißt als einen Teufel, der nicht sogleich als solcher zu erkennen ist, dadurch aber umso gefährlicher ist; vgl. zu diesem Ausdruck auch die Rede von der Seuche, die am Mittag Verderben bringt, in Ps 91,6.
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entgegenstellen.690 Manche Kritiker gingen noch weiter und sprachen von einem Abfall der protestantischen Delegierten von der CA oder der lutherischen Sache,691 von einem Überlaufen Melanchthons zu den Gegnern692 und damit von einem Verrat an der Sache der Reformation.693 In diesem Zusammenhang begegnete auch der Vorwurf, Melanchthon und seine Kollegen seien von der Gegenseite bestochen worden. Ein Ansatz zu solcher Kritik lag bereits in einer Aussage Baumgartners, in der er das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion im protestantischen Vorschlag mit einer Bestechung durch den Papst verglich.694 Da diese Äußerung schnell unter den Protestanten bekannt wurde, könnte sie für die Entstehung des Gerüchts mitverantwortlich sein, die protestantischen Ausschußmitglieder seien von den Altgläubigen bestochen worden.695 Vielleicht entzündeten sich derartige Nachrichten aber auch an den Bestechungsversuchen, die in Augsburg bei Melanchthon stattfanden. Nachweisbar ist ein solcher Bezug auf die realen Ereignisse allerdings nur bei dem Churer Humanisten Peter Tschudi, der sich in einem Bericht über entsprechende Gerüchte in einem Brief an Zwingli Mitte Dezember auf einen spanischen Informanten berief, hinter dem Valdés persönlich oder zumindest eine ihm nahestehende Person zu vermuten ist. Tschudi 690 Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 317]. Vielleicht hatte Spengler diese Gedanken dem Brief Baumgartners an ihn vom 13.9. [CR 2, 363] entnommen. 691 Vgl. Berichte über diesen Vorwurf in den Briefen von Brenz an Eisenmenger vom 3.9. [CR 2, 338]: »nos defectionis accusant propterea quod iurisdictionem episcopis obtulerimus« und von Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 24 f.]: »rumores nos defecisse a Confessione«; zudem Luther in einer Tischrede zwischen 26. und 29. 1. 1533 [WA Tr 3, 101, Nr. 2934a; hier Z. 36 f.]: »Et nisi ipse [sc. Iohann elector] sic stetisset, multi ex nostris doctoribus defecissent«. 692 Vgl. die Berichte über einen solchen Vorwurf im Brief von Melanchthon an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217; hier 881]: »alii me assentari adversariis dixerunt« und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 138: »Neque Philippum suae partis, sed adversariorum patronum habendum esse«. 693 So berichtete Obsopoeus im Brief an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333] davon, daß einige den protestantischen Vorschlag als consilia Achitophelica bezeichneten – Achitofel war nach der Erzählung in 2Sam 15–17 Berater von König David gewesen, hatte an der Verschwörung Absaloms gegen David teilgenommen und damit Verrat an seinem Herrn begangen. Vgl. zum Vorwurf des Verrats außerdem Luther an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 4 f.]: »ecce interim tonitrua et fulgura ad me feruntur a quibusdam nostrorum magnis et multis, vos causam prodidisse«. 694 Baumgartner hatte sich in einem Brief gegenüber Melanchthon entsprechend geäußert; vgl. Melanchthon an Luther 1.9. [MBW 1058; MBW T 4/2, 628, Z. 9 ff.]: »Bomgartnerus scripsit me, si quanta maxima pecunia voluissem a Romano pontifice conductus essem, non potuisse meliorem rationem suscipere restituendae dominacionis pontificiae, quam hanc esse iudicent homines, quam instituimus«. Diese Aussage scheint auch Obsopoeus in Ansbach zu Ohren gekommen zu sein; vgl. das Zitat in seinem Brief an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 138. 695 Vgl. Brenz an Eisenmenger 3.9. [CR 2, 337 f.]: »Vulgus traducit nos corruptos pecunia a papistis«.
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berichtete, Melanchthon sei durch Geschenke bestochen worden, von der evangelischen Wahrheit abgefallen und zur päpstlichen Seite übergelaufen, und betonte, daß er dieser Nachricht aufgrund seines zuverlässigen Informanten Glauben schenke.696 Neben den tatsächlichen Bestechungsversuchen waren es wohl vor allem Aussagen von Altgläubigen, die Protestanten hätten Teile ihrer Lehre widerrufen, die derartige Gerüchte hervorriefen oder verstärkten.697 3.8.2 Kritik von altgläubiger Seite Der Vorwurf des Verrats findet sich interessanterweise auch auf altgläubiger Seite, und zwar von Eck im Zusammenhang von Melanchthons Sonderverhandlungen mit Campeggio.698
3.9 Kritik an Melanchthons Überzeugungen Die meisten Kritiker griffen nicht nur Melanchthons Verhalten und seine Aussagen an, sondern kritisierten auch seine Grundhaltung und seine Überzeugungen, unter anderem deshalb, weil sie in ihnen Gründe für seine Nachgiebigkeit sahen. 3.9.1 Kritik an Melanchthons positiver Einschätzung des Kaisers Bereits Mitte Mai wunderte sich Bucer darüber, daß die Kursachsen so sehr auf die Gunst des Kaisers hofften; 699 Melanchthon war dabei zwar nicht explizit genannt, daß Bucer aber vor allem an ihn dachte, legt eine entsprechende Äu-
696 Vgl. Tschudi an Zwingli 15.12. [CR 98, 278, Z. 14 ff.]: »ecce fama nunc apud nos invaluit Melanchthonem muneribus corruptum a veritate euangelica apostasse, totumque caesaerae, hoc est: pontificiae factioni nomen dedisse«; »Quod ut credam effecit Hispanus quidam, qui his diebus imperatoris nomine ad ducem Sabaudiae legatus hac transiens, id de Melanchthone constantissime affirmavit atque etiam, si res flagitaret, literas Melanchthonis manu ad caesarem scriptas indicare se posse gloriatus est, quibus caesaris opinionem sese tuiturum obstrinxerit. Quod si verum narravit Hispanus ille, homo, ut videbatur, non inique de re Christiana sentiens, certe non mediocriter indolendum est de Melanchthonis inaudita levitate, hominis alioquin doctissimi, quippe qui primus antehac adversus papatum castra motatus sit, nunc autem apertis signis in illius castra demigraverit«; [279, Z. 16]: Frage an Zwingli, »an caesari sese Melanchthon mancipaverit«; vgl. dazu Egli, CR 98, 279, Anm. 9. 697 Vgl. die beiden Gutachten von Jonas von Anfang September [UB 2, 383–385, Nr. 177; hier 384]: »gerucht, . . . das vill vnser wort vnns das Jegenteill vor eyn halb reuocation deuten wollen«; [UB 2, 385–391, Nr. 178; hier 390]: »sy rumen, wir haben reuocirt«. 698 Vgl. Leib, Annales, 545: Nach Campeggios Schilderung von Melanchthons Besuch bei ihm am 5. Juli habe Eck gesagt: »Reverendissime Pater! Philippus proditor est, non debetis audire tales proditores«. 699 Vgl. Bucer an Zwingli 14.5. [BC 4, 97–101, Nr. 298; hier 99, Z. 11 f.]: »mira . . . sibi pollicentur de Caesaris fauore, quem plane suum futurum augurantur, sed augurio vanissimo, quod miror nasutos istos non olfacere«.
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ßerung aus dem Jahr 1529 nahe.700 Und Ende Juni stieß sich auch Jakob Sturm an den lutherischen Lobeshymnen auf die Milde des Kaisers und klagte darüber, daß gar nicht wahrgenommen werde, daß der Kaiser diese Milde nur aus taktischen Gründen vorspiele.701 Sturm nannte in seiner Äußerung zwar ebenfalls keine Namen, es ist aber offensichtlich, daß auch er mit seiner Kritik Melanchthon im Blick hatte, da vor allem dieser sich in den Tagen nach Ankunft Karls V. in Augsburg des öfteren lobend über die kaiserliche Milde geäußert hatte.702 Einen ähnlichen Vorwurf musste sich allerdings auch Luther von zwinglianischer Seite gefallen lassen, als ihm in bezug auf seine »Vermahnung« zur Last gelegt wurde, er schmeichle damit dem Kaiser und den anderen weltlichen Herrschern in Augsburg.703 3.9.2 Kritik an Melanchthons Einschätzung der Altgläubigen704 Viele Kritiker vermuteten, daß einer der Gründe für das von ihnen angegriffene Verhalten Melanchthons in seiner unrealistischen Einschätzung der Altgläubigen lag. Luther, der Melanchthons Sicht auf die Altgläubigen bereits im Zusammenhang der Sonderverhandlungen kritisiert hatte,705 erneuerte diese Kritik, als er Ende August vom Beginn der Ausschußverhandlungen erfuhr, und erinnerte Melanchthon an seine schlechten Erfahrungen mit Lang und Campeggio.706 Er wurde nicht müde, seine Kollegen in Augsburg auf die Listigkeit der Gegner aufmerksam zu machen, und mahnte sie, sich davon nicht beeindrucken zu lassen.707 700
Vgl. oben Abschnitt I, Kap. 5.3.2.1. Vgl. Jak. Sturm an Zwingli 20.6. [CR 97, 631–634, Nr. 1046; hier 633, Z. 19 ff.]: »Multi hic miris laudibus clementiam caesaris evehunt, quod, cum posset inobedientes et rebelles principes et resp[ublicas] perdere, sic se tamen demittat, ut etiam illos benignissime audire dignetur, quanquam, qui sunt cordatiores, intelligant, quorsum haec clementia tendat«. 702 Vgl. Melanchthons Vorrede zur frühen Fassung des sächsischen Bekenntnisses »Na« [Kolde, Redaktion, 4, Z. 14] und seine Briefe vom 19.6. an Luther [MBW 934; MBW T 4/1, 254 f., Z. 14 f.]: »Neque quidquam in tota aula micius est ipso Caesare«, an Menius [MBW 935; MBW T 4/1, 256, Z. 10 f.] und an Myconius [MBW 936; MBW T 4/1, 257, Z. 11]. 703 Vgl. Jonas an Luther 13.6. [WA Br 5, 362, Z. 26 f.]; Bucer an Zwingli 18./19.6. [BC 4, 116–118, Nr. 305; hier 117, Z. 4 ff.]: »Edidit Lutherus hisce diebus exhortationem ad ecclesiasticos, in qua Caesari et profanis principibus satis blanditur« und Oekolampad an Zwingli 25.6. [CR 97, 644 f., Nr. 1050; hier 644, Z. 13]. 704 Vgl. zur Kritik an Melanchthons Einschätzung der Altgläubigen auch die Kritik an seinen Sorgen unten Kap. 3.10.1.1 b). 705 Vgl. oben Kap. 3.4.1.3. 706 Vgl. Luther an Melanchthon 26.8. [MBW 1047; MBW T 4/2, 605 f., Z. 2 ff.]. 707 Vgl. Luther 26.8. an Melanchthon [MBW 1047; MBW T 4/2, 608, Z. 48 f.] und an Jonas [WA Br 5, 579 f., Nr. 1700; hier 579, Z. 2 ff.] und an Melanchthon 28.8. [MBW 1049; MBW T 4/2, 613, Z. 12]. 701
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Ähnlich äußerte sich Matthäus Alber im Blick auf die Zugeständnisse des protestantischen Vorschlags, die seiner Ansicht nach unter anderem dadurch zustandegekommen waren, daß die protestantischen Delegierten die Altgläubigen zu positiv einschätzten und ihre »geschwinde tuck« – das heißt ihre gefährliche Bosheit – nicht erkannten. Demgegenüber verwies er auf die tägliche Erfahrung und die Aussage Luthers, daß man es bei den altgläubigen Gegnern nicht mit Menschen, sondern mit Teufeln zu tun habe, was dazu nötige, alle gegnerischen Vorschläge besonders gründlich und mit Argwohn zu betrachten.708 Baumgartner äußerte entsprechende Kritik Mitte September im Zusammenhang des Vermittlungsvorschlags von Hieronymus Vehus. Er beklagte, daß einige Protestanten Truchseß und Eck aufs Wort glaubten und nicht bedächten, daß diese zu den Protestanten geschickt wurden, um durch ihre Drohungen etwas Bestimmtes zu erreichen, privat hingegen anders sprächen.709 3.9.3 Kritik an Melanchthons Willen zur Einheit mit den Altgläubigen und seinem Glauben an den möglichen Erfolg von Verhandlungen 3.9.3.1 Die Kritik von protestantischer Seite Der Einheitswille Melanchthons und seiner Kollegen wurde im Lauf des Reichstags immer wieder angegriffen. Bereits vor dem Reichstag äußerte Capito Kritik am Einheitswillen der Lutherischen insgesamt. Er befürchtete nach den Erfahrungen des Jahres 1529, daß die Lutherischen einen unfairen Frieden mit den altgläubigen Gegnern beabsichtigten, wodurch sich die Lage für die Zwinglianer weiter verschlechtern würde.710 Melanchthons persönlicher Einheitswille wurde erst während des Reichstags kritisiert. Als erster und am ausführlichsten äußerte sich Luther zu diesem Thema.711 Er hatte ja bereits im Rahmen seiner Urteile über die CA Anfang Juli Melanchthons Hoffnung auf eine Anerkennung des Bekenntnisses durch die Altgläubigen kritisiert.712 Als er kurze Zeit später erfuhr, daß sich Melanchthon auf Verhandlungen mit den Altgläubigen über die Glaubensfrage vorbereitete, rügte er seine Überzeugung, man könne mit den Altgläubigen über die Lehre verhandeln und zu einer Einigung kommen, und knüpfte damit an seine Kritik an Melanchthons seiner Meinung nach falschen Einschätzung der Altgläubigen an. Er machte gegenüber Melanchthon, aber auch gegenüber seinen anderen Kollegen in Augsburg deutlich, daß es mit den Altgläubigen niemals zu einer 708 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 315, Z. 28 ff. (Zitat Z. 28); 318, Z. 4 ff. und 319, Z. 30 f.]. 709 Vgl. Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 373]. 710 Vgl. Capito an Zwingli 22.4. [CR 97, 546–551, Nr. 1012; hier 550, Z. 20]: »suspicio est plerosque ad iniquam pacem spectare«. 711 Von Luthers Kritik an Melanchthons Einheitswillen berichtete auch Bucer im Brief an A. Blarer vom 14.8. [BC 4, 196, Z. 15 ff.]; vgl. Zitat oben Anm. 551. 712 Vgl. oben Kap. 3.3.1.5.
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Einheit in der Lehre kommen könne, und begründete dies in Anlehnung an Paulus’ Warnung an die Korinther in 2Kor 6,15 damit, daß man Christus und Belial nicht vereinen könne.713 Entsprechend seiner Ablehnung von Verhandlungen sprach er Melanchthon in vielen Briefen aus dieser Zeit dezidiert als confessor an und machte ihm damit deutlich, daß er sich auf die Aufgabe des Bekennens beschränken und nicht verhandeln solle.714 Der nächste Zeitpunkt, zu dem Melanchthons Einheitswille in die Kritik geriet, war der Beginn der Ausschußverhandlungen, und wieder war es Luther, der Melanchthon darauf aufmerksam machte, daß man das Papsttum und die lutherische Lehre nicht gleichzeitig aufrechterhalten könne und daß es ausreiche, die lutherische Lehre bekannt und um Frieden gebeten zu haben.715 Neben Luther prangerten nun aber auch andere Kritiker den Einigungswillen Melanchthons und der anderen Ausschußmitglieder an; einige von ihnen verwendeten hierzu wie er das Pauluswort aus dem zweiten Korintherbrief. So warf zum Beispiel Alber den Ausschußmitgliedern vor, sie wollten Christus und Belial, Licht und Finsternis vereinen – womit er ein weiteres Bild für die Unmöglichkeit ihres Unterfangens aus 2Kor 2,14 hinzufügte. Zudem betonte er, daß Christus laut seinen Ausführungen in Mt 6,24 nicht zulassen werde, daß Christen zwei Herren dienten.716 Baumgartner äußerte seine Kritik mittelbar, indem er seine Freude über den Widerstand Schnepfs gegen Melanchthon und die ihm beipflichtenden Theologen ausdrückte, der so den Einheitswillen Melanchthons gebremst habe.717 713 Vgl. Luther an Jonas 9.7. [WA Br 5, 458, Z. 6 f.]; an Melanchthon 13.7. [MBW 969; MBW T 4/1, 365, Z. 2 ff.]: »Arbitror te . . . iam satis multa experiencia videre Belial nulla ratione cum Christo conciliari posse nec spem concordiae ullam concipi debere, quoad doctrinam«; an Jonas, Spalatin, Agricola und Melanchthon 15.7. [MBW 975; MBW T 4/1, 389, Z. 20 f.] und an Jonas 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 15]. Das Bild aus 2Kor 6 wurde damals sehr gerne benutzt für die Unvereinbarkeit von lutherischer und päpstlicher Lehre; vgl. bei Luther z. B. WA 53, 410, Z. 3 ff. und zahlreiche weitere Belege in WA 63, s. v. Belial, 91; außerdem Melanchthon in einer Verteidigungsschrift für Luther vom Februar 1521 [MSA 1, 56–140, Nr. 6 ; hier 57, Z. 25 f.]; Amands Gutachten von 1530 [Die fränkischen Bekenntnisse, 605– 616, Nr. 24; hier 616] und Amsdorf in einer Schrift an Georg von Anhalt von 1547 (vgl. Waldeck, Publizistik 2, 116). Das Bild wurde auch von Altgläubigen verwendet; vgl. z. B. Fabri an Sadoleto 28. 1. 1538 [Friedensburg, Briefwechsel 4, 244–247, Nr. 162; hier 246]. 714 Vgl. oben Kap. 3.3.1.1 c), Anm. 472. 715 Vgl. Luther 26.8. an Melanchthon [MBW 1047; MBW T 4/2, 606, Z. 6 ff.]: »Quid enim ego minus unquam speravi et quid adhuc minus opto, quam ut de doctrinae concordia tractetur? Quasi vero nos papam deiicere possimus aut quasi salvo papatu nostra doctrina salva esse possit!«; [Z. 15 f.]: »cum his . . . conditiones concordiae quaerite et frustra laborate«; [607, Z. 40 ff.]: »Summa mihi in totum displicet tractatus de doctrinae concordia, ut quae plane sit impossibilis, nisi papa velit papatum suum aboleri. Satis erat, nos reddidisse rationem fidei et petere pacem; convertere eos ad veritatem quare speramus?«; an Jonas [WA Br 5, 580, Z. 12] und an Spalatin [WA Br 5, 575 f., Nr. 1698; hier 576, Z. 13 ff.]. 716 Vgl. Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 317, Z. 30 ff.]. 717 Vgl. Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 364 f.]: »außerhalb sein [sc. Schnepfs], wollten wir aller Theologen halben schon längst eins mit dem Widertheil sein«.
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Andere kritisierten den Einigungswillen der Ausschußmitglieder zwar nicht direkt, ließen aber keinen Zweifel daran, daß auch sie es für unmöglich und wenig wünschenswert hielten, daß Lutherische und Altgläubige zusammenkämen.718 Auch Brenz, der zunächst selbst Hoffnung in die Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses gesetzt und auf eine Sinnesänderung der Altgläubigen gehofft hatte,719 war angesichts der harten Forderungen der Altgläubigen Ende August zu dem Ergebnis gekommen, daß man Christus und Belial nicht versöhnen könne.720 In bezug auf die Verhandlungen im September kritisierten die Gesandten Hessens und der Städte und Herzog Ernst von Lüneburg in ihrem Gespräch mit Kurfürst Johann von Sachsen, daß der Einheitswille Melanchthon und seinen Kollegen nur als Vorwand für ihre Nachgiebigkeit diene.721 3.9.3.2 Kritik von altgläubiger Seite Cochlaeus behauptete, Melanchthons öffentlich zur Schau getragener Einheitswille sei nicht echt, sondern nur geheuchelt gewesen.722 3.9.4 Kritik an Melanchthons Bemühen um die Wahrung des zeitlichen Friedens Melanchthon betonte bei all seinem Handeln während des Reichstags, daß er dadurch zur Wahrung des äußeren Friedens im Land beitragen wolle.723 Auf massive Kritik stieß die Wichtigkeit des innerweltlichen Friedens für Melanchthon allerdings erst, als die protestantischen Delegierten im VierzehnerAusschuß ihre Zugeständnisse an die Altgläubigen mit der Sicherung des Friedens rechtfertigten. 718 Vgl. Meglein an Weiß 6.9. [Meglein, Briefe, 1261]: »vides tu, quam dissimilia sint & pugnantia secum, adeo vt lupo cum agno citius conventurum sit, quam nobis cum Papistis« und Bucer an Zwingli 18.9. [BC 4, 287, Z. 3 ]: »oportet esse disiuctiss[imos] . . . filios lucis et tenebrarum [ Joh 12, 35 f.]«; [291, Z. 1 f.]: »Dominus . . . liberet nos a mala cum pon[tifice] concordia«; [Z. 4 f.]: »medijs concordiae . . . scio offendi nobis Deum«. 719 Vgl. im Rückblick Brenz an Luther 4.11. [WA Br 5, 674 f., Nr. 1745; hier 675, Z. 18 f.]: »Antea enim sperabatur adhuc in aduersariis cor carneum, sperabatur qualiscunque resipiscencia«. 720 Vgl. Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]. 721 Vgl. die Beilage zum Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 148]. 722 Vgl. Cochlaeus’ »Philippicae« 1, 8 [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 23, Z. 15 f.]: »Augustae . . . publice simulabat se . . . concordiae amantem & auidum [esse]«. 723 Vgl. zu Melanchthons Bemühungen und Sorgen um den Frieden oben Kap. 1.1; 1.2.8; 1.3.2; 1.3.3; 1.3.4, bes. 1.3.4.4; 1.4.4; 1.4.5, bes. 1.4.5.2 b); 1.4.8.2 und 1.5.2; zudem seine Aussagen 31.8. an Camerarius [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 32] und an Harer [MBW 1055; MBW T 4/2, 624, Z. 3 ]; an Baumgartner 15. 2 . 1531 [MBW 1124; MBW T 5, 50; hier Z. 10 f.]: »Ego non dissimulo me propterea, quod nostros noram, fuisse pacis cupidiorem Augustae«; Gerbel an Melanchthon 16.7. [MBW 977; MBW T 4/1, 392 f., Z. 20 f.]: »omnia studia tua, omnes libri atque literae pacem atque quietem reipublicae docuerunt« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 145.
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3.9.4.1 Die Kritik von protestantischer Seite Auf protestantischer Seite finden sich Ansätze solcher Kritik bereits im Juni und Juli, konkret geäußert wurde sie allerdings erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen. Zwei Äußerungen Luthers lassen vermuten, daß er Melanchthons Haltung in diesem Punkt kritisch sah: Zum einen der Eingangsgruß, den er seinem Trostbrief an Melanchthon vom 27. Juni voranstellte – hier wünschte er ihm nachdrücklich den Frieden Christi und nicht den Frieden der Welt und brachte dadurch zum Ausdruck, daß Melanchthon seiner Ansicht nach zu stark auf den irdischen Frieden hoffte; 724 zum anderen seine Schrift »Widerruf vom Fegefeuer« und insbesondere ihr Untertitel »Allen unsern nachkomen«, wodurch er sich polemisch gegen die von Melanchthon empfundene Verpflichtung wandte, den Frieden für die Nachwelt durch Entgegenkommen zu sichern.725 Zudem äußerten Bucer und Capito Mitte Juli gegenüber Melanchthon, daß zwar auch ihnen der äußere Friede überaus wichtig sei, daß der Friede aber wahrhaftig sein müsse und einen solchen nur Christus geben könne.726 Anlaß zu massiver Kritik gaben die rechtfertigenden Aussagen der protestantischen Delegierten im Ausschuß, die Zugeständnisse ihres Vorschlags vom 20. August seien nötig zur Sicherung des zeitlichen Friedens. Die Vorwürfe richteten sich zwar meist gegen alle protestantischen Ausschußmitglieder, vielen galt jedoch Melanchthon als der eigentliche Urheber dieser Verbindung zwischen äußerlichem Frieden und Nachgiebigkeit, und Spengler vermutete, er habe diese Hochschätzung des irdischen Friedens aus seiner umfangreichen Lektüre alter Historien gewonnen.727 Einige Kritiker warfen Melanchthon und seinen Kollegen im Ausschuß vor, sie führten den zeitlichen Frieden lediglich zum Schein bzw. als Vorwand für ihre Nachgiebigkeit an, und unterstellten ihnen damit, es sei ihnen gar nicht ernst mit ihrer Friedensliebe.728 Die meisten Vorwürfe richteten sich gegen die nach Ansicht der Kritiker allzu zentrale Stellung, die der zeitliche Friede im Denken und Handeln der 724
Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 278, Z. 2 f.]. Vgl. Luthers »Widerruf vom Fegefeuer« von Juni / Juli [WA 30/2, 367, Z. 1 und Z. 23 f.] und dazu Clemen / Brenner, WA 30/2, 361; bei Melanchthon z. B. seine Äußerung an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581, Z. 9 f.]. 726 Vgl. Bucer und Capito an Melanchthon 18.7. [MBW 980; MBW T 4/1, 399, Z. 101 ff.]. 727 Vgl. Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 316]: »Disen zeitlichen friden. Wie Jch gewißlich Waiß. vnd Was guts demselben anhengt, herwiderumb Den grossen nachtail Der Dem vnfriden nachuolgt hat er auß seinen historien vnd vil lesens«. 728 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 147, Z. 15 f.]; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63] und die Gesandten Hessens und der Städte und Herzog Ernst von Lüneburg im Gespräch mit Johann von Sachsen nach dem Bericht der Nürnberger Gesandten in der Beilage zum Brief an ihren Rat vom 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 148]. 725
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protestantischen Ausschußmitglieder einnahm. Die Notwendigkeit, daß man um des zeitlichen Friedens willen vieles nachgeben müsse, stand auch für die meisten Kritiker außer Frage. Sie stellten allerdings klare Grenzen und Kriterien für ein solches Nachgeben auf, die Melanchthon und die anderen protestantischen Delegierten im Ausschuß ihrer Ansicht nach nicht beachtet hatten. So stimmten alle Kritiker darin überein, daß man äußeren Frieden nicht dadurch erkaufen dürfe, daß man den inneren Frieden und das Gewissen vieler Anhänger der Reformation verwirre und verletze, das Evangelium und die Ehre Gottes aufs Spiel setze und dadurch Unruhe und Unfrieden erzeuge. Wenn der zeitliche Friede nicht ohne die genannten Nachteile zu erreichen sei, müsse man sich bewußt machen, daß schon Christus vorausgesagt habe, daß wir leiden müßten ( Joh 10,20), und dadurch verdeutlicht habe, daß man das Evangelium nicht ohne Kreuz haben könne. Man solle die Sorge um irdischen Frieden und Unfrieden Gott anvertrauen, denn er sei der einzige, der solchen Frieden überhaupt schenken könne.729 Mitverantwortlich für diese massive Kritik war wohl die Tatsache, daß die Friedensliebe Melanchthons auch den Altgläubigen in den Ausschußverhandlungen nicht verborgen blieb, die wie Eck Ende August gegenüber Melanchthon damit argumentierten und dadurch hofften, ihn zu weiteren Zugeständnissen zu bewegen. 3.9.4.2 Kritik von altgläubiger Seite Auch hier war es wieder Cochlaeus, der Melanchthon vorhielt, sein öffentlich zur Schau gestellter Friedenswille sei reine Heuchelei.730
729 Vgl. das Gutachten der Nürnberger Theologen zwischen 24. und 26.8. [OG 4, 149, Z. 22 ff. und 150, Z. 9 f.]; Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]: »Sunt . . . multi imbecilles, qui pacem mundi malunt quam Christi«; das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 63 f. und 66]; Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 248, Z. 1 f.]: »Philippus . . . pacj nimium studet nec consyderat quis pacem donet«; Philipp von Hessen an seine Räte und an Luther 29.8. [CR 2, 324 und WA Br 5, 601, Z. 20 ff.]; Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 315, Z. 30; 317, Z. 27 ff.; 319, Z. 18 f. und Z. 23 ff.]; Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 296]; Camerarius an Agricola 30.8. [CR 2, 332]; den Nürnberger Rat an seine Gesandten 2.9. [Vogt, Korrespondenz, 39]; Sturm an Philipp von Hessen 2.9. [PC 1, 493]: »ich besorg, das man us zu vil begirlichkeit zu dem friden mit nachgebong des, das man nochmoln mit gutem gewissen nit leisten mage, ursach und furderung zu dem unfriden, den man fliehen wille, geben werde«; Spengler an Vogler 8.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 32–36; hier 33] und an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315 f.] und Luther an Jonas 20.9. [WA Br 5, 628, Z. 4 ff. und 629, Z. 38 ff.]. Ein Rückschluß auf derartige Kritik läßt sich auch aus den Rechtfertigungen Rurers im Brief an Althamer vom 6.9. [Kolde, Redaktion, 115] ziehen: »Fateor pacem externam non tanti aestimandam esse, ne pietas propter eam negligatur. At hic nihil pietati decedit ob nostrum pacis externae studium«. 730 Vgl. Cochlaeus’ »Philippicae« 1, 8 [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 23, Z. 15 f.]: »Philippus . . . Augustae . . . publice simulabat se pacis . . . amantem & auidum [esse]«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
3.10 Kritik an Melanchthons Persönlichkeit Neben den genannten Vorwürfen gegen Melanchthons Überzeugungen richtete sich die Kritik zudem gegen seine psychische Verfaßtheit, sein Glaubensleben, seinen Charakter und seine Lebenshaltung insgesamt. 3.10.1 Kritik an Melanchthons Sorgen und seiner Ängstlichkeit und die Vorwürfe der Schwachheit, Kleinmütigkeit und mangelnden Glaubensstärke Die Darstellung des Reichstags hat gezeigt, daß sich Melanchthon im Lauf des Reichstags immer wieder mit schweren Sorgen quälte und dies für bestimmte seiner Schritte mitverantwortlich war.731 Auch dieser Sachverhalt wurde während des Reichstags zur Zielscheibe von Vorwürfen, wobei nur einige Kritiker die Sorgen an sich und die daraus sprechende Lebenshaltung kritisierten, die meisten jedoch Melanchthons Ängstlichkeit als Grund für seine übermäßige Nachgiebigkeit ins Visier nahmen, und dies vor allem im Zusammenhang seines Verhaltens in den Ausschußverhandlungen.732 Ähnliche Vorwürfe wurden zwar auch gegen andere Protestanten erhoben, doch blieben diese zum einen quantitativ weit hinter der Kritik an Melanchthon zurück, zum anderen waren es teilweise auch Melanchthons Sorgen und Ängstlichkeit, die im Hintergrund der kritisierten Kleinmütigkeit anderer Protestanten vermutet wurden.733
731 Vgl. oben Kap. 1.1, 1.2.3, 1.2.4.2, 1.3.2, 1.3.5, 1.5.4 und 2.1; die Rückblicke Melanchthons auf seine Sorgen in Augsburg in den Briefen an Myconius ca. 18.12. [MBW 1106; MBW T 4/2, 754; hier Z. 8 ff.]; an Carion 17. 8. 1531 [MBW 1177; MBW T 5, 172, Z. 12 f.] und an Menius 13. 2 . 1544 [MBW 3454; MBW T 13, 85, Z. 10]: »magna cura et sollicitudine omnia egi«; Camerarius, De vita Melanchthonis, 135: »sollicite et anxie metuebat«; gegen Scheible, Augsburger Reichstag, 51. 732 Vgl. den Rückblick auf derartige Kritik bei Melanchthons Freund Abraham Buchholzer (1529–1584) in seinem ungedruckten »Libellus Arcanorum« von 1554, Bl. 6 : »Anno 1530. omnes cum esset ibi Φ [sc. Philippus] clamauerunt, eum esse abiecto animo & nihil contra posse efficere. In summa er richte es gar ybel aus« [zitiert nach Gussmann, Ratschläge 1, 439, Anm. 23]. 733 Vgl. Luther an Brenz 30.6. [WA Br 5, 417, Z. 1 ff.]: »intelligo, te simul in illo conventu idolorum affligi. Sed Philippi exemplum te ita movet«; Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 109, Z. 10]: »Augustenses adeo pusillanimes, immo frigidi sunt«; Bucer an Pfrund 2.8. [BC 4, 179, Z. 4 f.]: »Sunt quidam principes nimium timidi, inter quos aiunt et Augustanum esse, nescio quid sibi a bello metuentes«; Luther 28.8. an Spalatin [WA Br 5, 583, Z. 15 ff.] und an Jonas [WA Br 5, 586 f., Nr. 1706; hier 586, Z. 16 ff.]; Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 363]: »Heller ist voll Forchten, und haben diese drei [sc. Melanchthon, Brenz und S. Heller] den frommen Marggrafen ganz irr und kleinmüthig gemacht«; »Doctor Brucken . . . hat man . . . dahin gebracht, daß er nun auch mit Sorgen handelt« und die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 25.9. [CR 2, 391 f., Nr. 916; hier 391]: »wie ich besorg, möchte der Marggraf, der sonst hierin kleinmüthig, aus Furcht sich etwas bereden lassen. Denn fürwahr viele von Städten . . . dieses Abschieds [sc. vom 22.9.] nicht wenig erschrecken«.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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3.10.1.1 Kritik in der Zeit vor den Ausschußverhandlungen a) Kritik von Brenz Ein Anflug derartiger Kritik findet sich bei Brenz am Tag vor Übergabe der CA, allerdings war sie hier gleichzeitig Selbstkritik, denn auch Brenz litt in dieser Zeit unter schweren Sorgen um den Fortgang der Reformation. Als er Eisenmenger von der Beständigkeit der lutherischen Fürsten in den ersten Wochen des Reichstags berichtete, gestand er ein, daß er, wenn er diese Festigkeit mit seiner und Melanchthons Angst vergleiche, Beschämung verspüre.734 b) Kritik von Luther Besonders massive und berühmte Vorwürfe gegen Melanchthons Sorgen erhob Luther Ende Juni in seinen sogenannten Trostbriefen nach Augsburg und griff diese Kritik auch in den folgenden Wochen immer wieder auf. Bevor auf Luthers Briefe eingegangen wird, soll vorausgeschickt werden, daß seine Aussagen über Melanchthon keinesfalls »unkritisch als Quelle für Melanchthons Seelenlage« benutzt werden dürfen und man für die Bewertung seiner Aussagen über Melanchthon auch seine eigene Lage auf der Coburg berücksichtigen sollte, allerdings darf man auch nicht ins Gegenteil verfallen und wie Heinz Scheible den Schluß ziehen, die Briefe seien »primär eine Quelle für Luthers Stimmung«, aus denen man nichts über Melanchthon erfahre.735 Luther kannte Melanchthons Hang zu Sorgen736 und hatte ihn deshalb bereits vor dem Reichstag daran erinnert, daß das Leiden zwangsweise zum Dasein eines Christen gehöre, Christus den Gläubigen für diese Situation jedoch Trost verheißen habe.737 In den Tagen nach der Übergabe der CA scheinen die Berichte Melanchthons und Jonas’ über Melanchthons Sorgen das für Luther erträgliche Maß überschritten zu haben, veranlaßten ihn zu überaus kritischen Worten gegenüber Melanchthon und ließen ihn ernsthaft darüber nachdenken, ob er nicht nach Augsburg reisen und eingreifen sollte.738 Die Kritik Luthers kam also nicht – wie Camerarius meinte – dadurch zustande, daß einige, denen Melanchthons Ansichten nicht paßten, dies aus ihrem Zorn heraus Luther an734
Vgl. Brenz an Eisenmenger 24.6. [CR 2, 125]: »Nostri principes sunt in confessione Evangelii constantissimi, et profecto, cum tantam ipsorum constantiam considero, rubore suffundor non mediocri, quod nos prae illis mendici Maiestatem Caesaream nondum etiam visam tantopere propter Evangelii confessionem exhorrescimus. Nosti de quibus loquor«. 735 Scheible, Melanchthon, 154; vgl. Ders., Augsburger Reichstag, 48. 736 Vgl. Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 368, Z. 69]: »ut nosti virum«. 737 Vgl. die Predigt Luthers über Leiden und Kreuz in Coburg am 16.4. [WA 32, 28–39, Nr. 6 ; bes. 33, Z. 7 ff.], bei der auch Melanchthon unter den Zuhörern saß und in der Luther den durch Christus gegebenen Trost für bedrohliche Zeiten herausstellte, sowie seinen Brief an Melanchthon vom 24.4. [MBW 891; MBW T 4/1, 124–128; hier 127, Z. 12 ff.]. 738 Vgl. Luther 29.6. an Melanchthon [MBW 946; MBW T 4/1, 293, Z. 75 f.] und an Jonas [WA Br 5, 410, Z. 49 f.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
zeigten und ihn dadurch zu seinen Angriffen auf die Ängstlichkeit Melanchthons veranlaßten.739 Luther äußerte seinen Unmut über Melanchthons Sorgen und die hinter ihnen stehende Grundhaltung, indem er betonte, daß er die Sorgen Melanchthons hasse, weil sie die Herrschaft in seinem Herzen übernommen hätten. Er verglich sie mit einem Blutegel, der sich an Melanchthon festgesogen habe,740 und machte Melanchthon immer wieder auf die Nutzlosigkeit dieser Sorgen aufmerksam.741 Er kritisierte, daß sich Melanchthon durch die Gegner, deren Kriegsdrohungen nach Ansicht Luthers eitel waren, und von seinen daraus entstandenen Sorgen überwinden lasse.742 Den Hauptgrund für Melanchthons Sorgen sah Luther nicht in realen Gefahren, sondern im Problem des menschlichen Unglaubens,743 in dem für Luther das Wesen aller Sünde bestand und der für ihn damit alle Menschen gleichermaßen betraf.744 Der Kern der Sorgen Melanchthons lag Luthers Ansicht nach in seinem Leiden daran, daß er den Ausgang des Reichstags nicht erkennen und beeinflussen konnte,745 und angesichts dessen mahnte er ihn, folgendes zu bedenken: Es stehe gegenwärtig zwar eine große Sache auf dem Spiel, doch liege diese nicht in seiner Hand. Sie könne weder durch seine Sorgen vorangebracht werden noch könne ein Mensch über739 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 135: »Haec [sc. cogitationes Melanchthonis] quibusdam securioribus displicebant, et Martino Luthero indicata inflatius, quandam epistolam expresserunt, qua increpari timiditatem Philippi, ut iactabant, ille non dubitaret«. 740 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 279, Z. 6 ff.]: »Ego tuas miserrimas curas, quibus te scribis consumi, vehementer odi. Quod sic regnent in corde tuo«; [281, Z. 26 f.]: »doleo te pertinacissimam curarum hirudinem meas preces sic irritas facere«; zudem an Spalatin 30.6. [WA Br 5, 414, Z. 22]: »Fateor, ira . . . mouebar, sciens Philippi curas«. 741 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 280, Z. 18]: »Quasi vero vestra ista inutili cura quicquam efficere possitis« und 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 310, Z. 4 f.]: »reverberant me cogitationes de tuis pessimis vanissimisque curis«; an Brenz 30.6. [WA Br 5, 417, Z. 3 f.]: »Is [sc. Melanchthon] . . . sollicitus est pro publica pace et posteritate, pie quidem, sed non secundum scientiam zelotypus. Quasi vero maiores nostri sua cura et sollicitudine effecerint, ut essemus, quod sumus« und an Melanchthon 21.7. [MBW 986; MBW T 4/1, 431–441; hier 440, Z. 104 f.]: »te velim paulo quieciore esse animo. Eciam me fatigas ista sollicitudine frustranea«. 742 Vgl. Luther an Melanchthon 9.7. [MBW 963; MBW T 4/1, 349 f., Z. 8 ff.]: »nihil video in adversariis nisi meras minas, sed . . . Qui moritur minis, compulsetur sibi bombis. . . . Quibus vero bombis tibi compulsandum erit, qui non tantum a minis, sed a te ipso ob minas vincaris? Minas sane et nihil nisi minas«; [350, Z. 17 f.]: »Moveri bellum hoc tempore ne humana quidem ratione capio posse ab illis, nisi velint funditus perire«; vgl. zum zitierten Sprichwort auch Luthers Schrift »Bulla coenae domini« von 1522 [WA 8, 691–720; hier 704, Z. 19 f.] und seine Predigt vom 2. 2 . 1538 [WA 46, 156–161, Nr. 9 ; hier 160, Z. 21]. 743 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 279, Z. 8 f.]: »non est magnitudo causae, sed magnitudo incredulitatis nostrae«. 744 Vgl. Luthers Aussagen über den Unglauben in der vorangehenden und den folgenden Anmerkungen, in die er sich selbst stets mit einschloß, und Lohse, Luthers Theologie, 267. 745 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 291, Z. 50 f.]: »Finis et eventus causae te discruciat, quia non potes eum comprehendere«.
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blicken, was gegenwärtig das Beste für die Sache sei. Der Glaube, hier selbst etwas erreichen zu können, sei sogar dem sündigen Willen vergleichbar, wie Gott zu sein. Denn die Sache habe in Gott einen mächtigen Urheber und Beweger, und wenn dieser sogar Tote auferwecken könne, werde er auch seine Sache bewahren. Da es hier um Dinge gehe, die nicht gesehen oder ergriffen, sondern nur geglaubt werden könnten, müsse man sich auf Gottes Zusagen verlassen und dürfe ihn nicht durch andauernde Sorgen zu einem Lügner machen. Wenn man im Vertrauen auf Gott lebe, dann könnten einem die Welt und der Teufel nichts mehr anhaben.746 Sollte man einen solchen Glauben selbst nicht haben, so könne man sich zumindest durch den Glauben anderer trösten, und alle Menschen blieben angesichts ihres Unglaubens darauf angewiesen, Gott beständig um Stärkung ihres Glaubens zu bitten.747 Melanchthon persönlich legte Luther ans Herz, er solle gegen sich und seine Sünde ankämpfen, da
746 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 279, Z. 10 ff.]: »ut sit magna [causa], magnus est et actor et autor eius. Neque enim nostra est. Quur igitur sic perpetuo et sine respiracione te maceras? Si est caussa falsa, revocemus. Sin vera est, cur facimus illum in tantis promissis mendacem, quibus iubet nos esse animo ocioso et dormienti?«; [281, Z. 29 ff.]: »Potens est deus mortuos suscitare, potens est et causam suam labentem servare, lapsam erigere, stantem promovere«; 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 292, Z. 52 ff.]: »Deus posuit eum [sc. finem] in locum quendam communem . . .: Is vocatur fides. In quo loco omnia posita sunt οὐ βλεπόμενα καὶ μὴ ἐκφαινόμενα. Quae si quis conetur reddere visibilia, apparencia et comprehensibilia, sicuti facis tu, is referat curas et lacrimas pro mercede laboris«; [Z. 61 f.]: »Hac [sc. fide] habita quid faciet Sathan cum toto mundo?«; 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 311, Z. 14 ff.]: »Sols dan erlogen sein, das got seinen sun fur uns gegeben hat. . . . Ists aber war, was machen wir doch den mit unserm leidigen furchten, zagen, sorgen, trauren? Quasi nolit ille in rebus levioribus adesse, qui filium dederit«; [312, Z. 32 f.]: »te per Christum oro, ne ita negligas promissa et solacia illa divina«; [Z. 36 ff.]: »das weyß ich fur war, quod Christus sit victor mundi. Quid ergo victum mundum sic formidamus quasi victorem?«; [313, Z. 47 ff.]: »nec vides prorsus extra manum tuam et consilium positam caussam eciam extra curam tuam velle agi. Et Christus prohibeat, ne in tuum consilium aut manum, quod tamen pertinaciter velles, veniat«; [Z. 55 f.]: »Si non fiet, quod nos volumus, fiet tamen, quod melius est«; 13.7. [MBW 969; MBW T 4/1, 366, Z. 18 ff.] und 31.7. [MBW 1000; MBW T 4/1, 474, Z. 17 ff.]. Vgl. zudem Luther 30.6. an Spalatin [WA Br 5, 414, Z. 33 ff.]: »ille ipse est [sc. Deus], qui perficiet & absoluet idem [sc. causam suam] extra & vltra nostra consilia & studia . . ., Etiamsi Philippus cogitat & cupiat eum facere infra & citra suum consilium, vt liceret ei gloriari«; [415, Z. 41 f.]: »Philippum meo nomine Exhortare semper, ne fiat Deus«; [Z. 45 f.]: »Wir sollen menschen vnd nicht Gott sein . . . odder ist ewige vnruge vnd Hertzeleid vnser lohn« und an Brenz [WA Br 5, 418, Z. 15]: »Philippus . . . fieri velle rector mundi« und an Brück 5.8. [WA Br 5, 530–532, Nr. 1675; hier 531, Z. 9 ff., Z. 23 ff. und Z. 40 ff.]. Vgl. auch die gegen Melanchthons Vernunftorientiertheit gerichtete Kritik unten in Kap. 3.10.6. 747 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 292, Z. 61 ff.]: »Dominus augeat tibi et nobis omnibus fidem . . . Quodsi nos non habemus fidem, cur non saltem aliena fide nos solamur?« und 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 313, Z. 40 f.] »Scio imbecillitas est fidei. At oremus cum apostolis: Auge nobis, domine, fidem« und an Jonas 9.7. [WA Br 5, 458, Z. 30 f.]: »Utinam et Philippus saltem mea fide, si aliam non habet, hoc [sc. Christus vivit et sedet . . . ad dexteram Dei, Z. 27 f.] crederet!«.
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er sich selbst der größte Feind sei und dem Teufel mit seiner Haltung zu viele Waffen an die Hand gebe, und tapfer im Herrn sein.748 Luther versuchte, seine Kritik an Melanchthon dadurch abzumildern, daß er immer wieder darauf verwies, auch er selbst leide oft unter Sorgen und Anfechtungen. Allerdings machte er auch auf die Unterschiede zwischen seinem Leiden und den Sorgen Melanchthons aufmerksam, die seiner Ansicht nach zum ersten darin bestanden, daß er selbst nicht so beständig (perpetuo) von ihnen gequält werde wie Melanchthon,749 zum zweiten darin, daß er selbst eher unter persönlichen Sorgen leide und das hieß für ihn unter Anfechtungen des Teufels, wohingegen Melanchthon mehr durch Ängste, die Staat und Kirche betrafen, gequält werde,750 und zum dritten darin, daß seine bisher erlebten Anfechtungen schlimmer gewesen seien, als sie Melanchthon jemals begegnen könnten.751 Da Luther befürchtete, daß Melanchthon seine Ermahnungen mißachten werde, bat er Brenz und Spalatin, in seinem Sinne auf Melanchthon einzuwirken.752 Als die Niedergeschlagenheit Melanchthons und vielleicht auch einiger seiner Kollegen in Augsburg auch Mitte Juli noch anhielt, machte sich Luther ernsthafte Sorgen, seine Kollegen könnten aufgrund der altgläubigen Drohungen den Mut verlieren und den Gegnern zu weit entgegenkommen.753 Auch wenn Luther in den zitierten Briefen harte Worte gegen Melanchthon fand, werden sie in der Lutherforschung meines Erachtens zurecht als Trostbriefe bezeichnet,754 denn zum einen äußerte er in bezug auf seinen ersten Brief 748 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 280, Z. 19 ff.]: »Obsecro te, qui in omnibus aliis pugnax es, luctare eciam contra te ipsum, maximum hostem tuum, qui Sathanae tantum armorum contra te ipsum ministras«; an Spalatin 30.6. [WA Br 5, 415, Z. 41 ff.]: »Philippum meo nomine Exhortare semper, . . . [ut] pugnet contra illam innatam & a Diabolo in paradiso implantatam nobis ambitionem diuinitatis« und an Melanchthon 9.7. [MBW 963; MBW T 4/1, 350, Z. 23]: »Fortis esto in domino«. 749 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 280, Z. 16]. 750 Vgl. Luther an Melanchthon 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 311 f., Z. 18 ff.]: »In privatis luctis infirmior ego, tu autem forcior. Contra in publicis tu talis, qualis ego in privatis. Et ego in publicis talis, qualis tu in privatis – si privatum dici debet, quod geritur inter me et Sathan. Nam tu vitam tuam contemnis, publicae causae metuis. Ego vero de publica causa satis magno et ocioso animo sum«; zudem 24.4. [MBW 891; MBW T 4/1, Z. 7 ff.]: »Ego incipio totis animi affectibus in Turcam et Mahometum commoveri, videns intolerabilem illam Satanae furiam in corpora et animas tam superbe grassantem . . . Te plus macerant domestica nostri imperii monstra«. 751 Vgl. Luther an Melanchthon 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 310, Z. 6 f.]: »Ego verum fatebor, fui in maioribus angustiis, quam tu unquam futurus sis«. 752 Vgl. Luther 30.6. an Spalatin [WA Br 5, 415, Z. 41 ff.] und an Brenz [WA Br 5, 418, Z. 14 f. und Z. 34 ff.]. 753 Vgl. Luther an Jonas 13.7. [WA Br 5, 471, Z. 6 ff.]: »Tantum ne deficiant animi vestri, Et, quo illi magis superbiant, hoc minus vos cesseritis. Credo enim eos sic opinari fortiter, vos fractos omnia cessuros esse«. 754 Vgl. Zöckler, Augsburgische Konfession, 28; Schanze, Luther auf der Coburg, 47; Hopf, Briefe von der Veste Coburg, 35; von Walter, Luther und Melanchthon, 48; Schröter, Melanchthon als evangelischer Christ, 167; Scheible, Augsburger Reichstag, 46 und Ebeling, Luthers Seelsorge, 288 ff.; gegen Manns, Martin Luther, 211.
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vom 27. Juni die Sorge, er könne Melanchthon dadurch niedergedrückt und nicht – wie er es wollte – mit neuem Lebensmut erfüllt haben,755 zum anderen stand hinter seiner Kritik letztlich Angst um Melanchthon und seinen Gesundheitszustand; 756 das heißt also, daß er durch seine Kritik keine Gräben zwischen sich und Melanchthon aufreißen, sondern ihm Trost spenden und ihn aus seiner Spirale der Sorgen herausreißen wollte. Aufgrund der weiten Verbreitung dieser Briefe Luthers sorgten sich die in Wittenberg verbliebenen Gelehrten, sie könnten in die Hände von altgläubigen Gegnern gelangen und bei diesen Siegesfreude über den schlechten Zustand der lutherischen Sache auslösen, wenn diese von einem so sorgenvollen Melanchthon vertreten werde.757 c) Kritik von Dietrich In die Vorwürfe Luthers stimmte auch Veit Dietrich, sein Gefährte auf der Coburg, ein, der wie Luther um Melanchthons Gesundheit fürchtete.758 Er warf Melanchthon vor, er erreiche durch seine Sorgen nichts anderes, als seine um ihn besorgten Kollegen in Trauer zu stürzen.759 Und er verstärkte seine Kritik dadurch, daß er Melanchthons sorgenvolle Haltung dem Glauben, der Heiterkeit, der Hoffnung und dem intensiven Gebet Luthers gegenüberstellte und Melanchthon aufforderte, sich an diesem Beipiel zu orientieren.760 Damit schuf er die Grundlage des Klischees vom glaubensstarken Luther und vom zaghaften Melanchthon. d) Kritik von Osiander Auch Osiander äußerte sich kritisch zu Melanchthons Sorgen, die er aufgrund ihrer gemeinsamen Herberge genau kannte.761 In einem Brief an seine Nürnberger Kollegen kritisierte er Melanchthons Verzweiflung als unnötig und be755 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 291, Z. 49 f.]: »Consolatus sum te proximis literis, utinam non occidentibus, sed vivificantibus«. 756 Vgl. Luther an Agricola 30.6. [WA Br 5, 415–417, Nr. 1613; hier 416, Z. 22 f.]: »Philippum hortare, ut sacrificium spiritus contriti moderetur, ne non sufficiant tandem sumptus diutius sacrificandi«. 757 Vgl. Luther an Melanchthon 20.8. [MBW 1031; MBW T 4/2, 569–573; hier 571 f., Z. 10 ff.]. 758 Vgl. Dietrich an Melanchthon 30.6. [MBW 949; MBW T 4/1, 303, Z. 11 f.]. 759 Vgl. Dietrich an Melanchthon 30.6. [MBW 949; MBW T 4/1, 303 f., Z. 30 ff.]: »Neque enim miseris illis curis et inertibus lacrimis quicquam aliud efficies, quam ut tibi et nobis omnibus, quibus salute tua nihil est iucundius nec utilius, tristissimum exicium pares«. 760 Vgl. Dietrich an Melanchthon 30.6. [MBW 949; MBW T 4/1, 303, Z. 13 ff.; bes. Z. 29 f.]: »tu . . . longe rectius faceres, si hac eciam in parte patrem nostrum doctorem imitarere«. 761 Vgl. zur gemeinsamen Herberge eine Äußerung Melanchthons bei Möller, Osiander, 138.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
klagte, daß diese auch viele andere in Mitleidenschaft ziehe. Er führte diese Gemütslage Melanchthons auf sein melancholisches Wesen zurück und verwies darauf, daß dieses Erklärungsmuster auch von anderen in Augsburg vertreten werde. Da Melanchthon in dieser Verfassung Dinge schreibe und tue, die der protestantischen Sache schädlich seien, müsse er beobachtet und davon abgehalten werden, gegenüber den Altgläubigen zu viel nachzugeben. Osiander verwies zur Bestätigung seiner Aussagen ausdrücklich auf die entsprechende Kritik Luthers in den genannten Trostbriefen.762 Die Sorgen Melanchthons, die Osiander auch als Kleinmütigkeit bezeichnete, blieben diesem so eindrücklich in Erinnerung, daß er sie noch im Jahr 1552 gegen Melanchthons ins Feld führte.763 Angesichts eines im 16. Jahrhundert vorwiegend negativen Verständnisses von Melancholie764 und aufgrund des Kontextes der Aussage Osianders, der 762
Vgl. Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 108, Z. 9 ff.]: »Philippus multis laboribus, vigiliis, curis maceratus et exhaustus nonnunquam melancholica quadam tristitia et quasi desperatione vexatur, nulla extante causa, quae nostros plerosque valde deiecit. Ego autem statim deprehendi ac ab aliis didici, naturalem illud esse sanguinis melancholici motum. In eiusmodi tamen passione cogitat, dicit, scribit et facit, quae causam nostram non meliorem reddunt, estque observandus et obiurgandus, ne admittat cuius nos omnes poenitere possit. Id Luthero quoque notum causam dedit acrius ad eum scribendi, et reliquos, ut eum increparent, hortandi«. 763 Vgl. Osianders »Beweisung« vom 22. 1. 1552 [OG 10, 434, Z. 15 ff.]. 764 Zunächst bezeichnete Melancholie in der frühen Neuzeit eines der vier menschlichen Temperamente, die aus der antiken Lehre von den Körpersäften hervorgegangen waren. Die Kenntnis der mit ihnen verbundenen körperlichen und geistigen Merkmale gehörte zum Allgemeinwissen der damaligen Menschen. Laster waren zwar mit allen Temperamenten verbunden, doch galt die Melancholie als besonders minderwertiges Temperament, man rechnete ihr viele negative Eigenschaften zu, zum Beispiel Ängstlichkeit, Schwäche, einen unbeständigen Geist, Hartnäckigkeit, Neid, Begierigkeit und die Neigung zu Betrug (vgl. Klibansky / Panofsky / Saxl, Saturn und Melancholie, 186 ff.). Eng mit dem Temperament verbunden war Melancholie auch der Name einer Gemütskrankheit, in der man den pathologischen Zustand der entsprechenden melancholischen Disposition sah. Man vermutete, daß zu strenges und pausenloses Studieren zum Ausbruch der Krankheit beitragen könnte. Viele Symptome dieser Krankheit hatten wiederum eine negative Konnotation; so zum Beispiel die Verdunklung des Urteilsvermögens, die Verwirrung des Verstandes und die Angst vor an sich nicht zu fürchtenden Dingen (vgl. Schipperges, Melancolia, 55, 57 und 64 und Lederer, Melancholie und Geisteskrankheit, 27). Die Melancholie begegnete auch im Zusammenhang der Theologie, wurde dort mit der siebten Hauptsünde, der Trägheit, in Verbindung gebracht und als menschliche Schwäche angesehen, die das Wirken des Teufels erleichterte – dies galt für die katholische Lehre wie auch für Luther (vgl. Luthers Predigt vom 4. 8. 1531 [WA 34/2, 75–79, Nr. 73; hier 78, Z. 12 ff.]; die Redensart »caput melancholicum est paratum balneum diaboli« im Brief von Luther an Spenlein vom 17. 6. 1544 [WA Br 10, 594–596, Nr. 4004; hier 595, Z. 56 f.] und in zahlreichen Tischreden [WA Tr 1, 198, Nr. 455; WA Tr 2, 64, Nr. 1349 und 468, Nr. 2456; WA Tr 3, 51, Nr. 2889a; WA Tr 4, 686, Nr. 5155] und dazu Wander, Sprichwörter-Lexikon 2, 1504, Nr. 134; zudem Flashar, Melancholie, 1040; Walther, Melancholie, 17 und Lederer, Melancholie und Geisteskrankheit, 28). Schließlich wurde in Humanistenkreisen die bereits in der Antike vorhandene Verbindung zwischen dem melancholischen Temperament und der Genialität bzw. geistigen Größe eines Menschen wieder aufgegriffen, was einer Glorifizierung der Melancholie gleichkam (vgl. Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, 63 f.; Flashar, Melancholie,
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viele Vorwürfe gegen Melanchthon enthält, ist zu vermuten, daß auch der Verweis auf die Melancholie im Sinne von Kritik gemeint war.765 Dies schließt aus, die Rede von Melancholie bei Osiander im Sinne von Genialität und Größe zu verstehen. Im Hintergrund seiner Aussage stehen wohl eher die anderen, mit negativen Konnotationen besetzten Verständnismöglichkeiten. Die Rede von der melancholischen Erkrankung einer Person mußte zwar nicht unbedingt negativ sein,766 und Osiander sprach auch nicht konkret von einer Krankheit Melanchthons, sein Erleben der Überarbeitung Melanchthons und die von ihm als unbegründet wahrgenommene Angst würden allerdings mit dem Krankheitsbild der Melancholie übereinstimmen. Ähnlich passend wäre eine theologische Deutung der Melancholie, denn Osiander bezog sich ja auf die Trostbriefe Luthers, in denen dieser Melanchthon unter anderem davor gewarnt hatte, dem Teufel durch seine Sorgen zu viele Waffen in die Hand zu geben. Schließlich paßt auch das Verständnis der Melancholie als Temperament mit seinen zahlreichen negativen Eigenschaften. Das heißt, Osiander versuchte, die an Melanchthon kritisierte Ängstlichkeit, Schwäche, Unbeständigkeit und seinen mangelnden Glauben nicht aus dem Augenblick heraus zu verstehen, sondern mit einer grundsätzlich problematischen Wesensart in Verbindung zu bringen oder in ihnen gar einen pathologischen Zustand zu sehen. e) Vorwürfe weiterer Kritiker Melanchthons schlechte psychische Verfassung gab neben den genannten Personen weiteren Vertretern der Protestanten Anlaß zu Sorge um seine Beständigkeit. Bucer und Capito unterstellten Melanchthon Ängstlichkeit als Grund für die ihrer Ansicht nach unangemessene Milde der CA und drückten in diesem Zusammenhang ihre Sorge aus, die Niedergeschlagenheit der Sachsen könne dazu führen, daß sie den Gegnern zu weit entgegenkämen.767 Ähnliches scheint auch Roselli befürchtet zu haben, als er Melanchthon ermahnte, sich nicht 1040 und Walther, Melancholie, 18 ff.; zudem den Text von Camerarius aus dem Jahr 1541 über Albrecht Dürers (1471–1528) Stich »Melancolia I« bei Heckscher, Melancholia, 32 und das Kapitel »De Humoribus« in Melanchthons »Liber de anima« von 1553 [CR 13, 79–87; hier 84 ff.]). Der Begriff der Melancholie erhielt also im 16. und 17. Jahrhundert »eine fast unüberschaubare Vielfalt an Bedeutungen« (Walther, Melancholie, 20 f.), wurde aber vorwiegend negativ verstanden (vgl. Flashar, Melancholie, 1040 und Lenhardt, Temperamentenbilder, 183). 765 Vgl. auch die mit Kritik verbundene Verwendung von Melancholie in Schnepfs »Confessio de eucharistia« von 1555, O 7a: adversarii »phrenesi aut Mela[n]cholia laborant, & . . . per febrim deficiunt«; sie könnten nicht von ihrer Ansicht abgebracht werden, »sed phantasmatibus suis capti, omnibus sanis & recte habentibus furiose reluctantur«. 766 Vgl. Melanchthon an Luther 13.6. [MBW 927; MBW T 4/1, 242, Z. 16 f.]: »Erasmus . . . dicitur . . . μελαγχολίᾳ laborare«. 767 Vgl. Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 1]: »Nos ueremur, ut plurimum animi aduersarijs adiecerit Saxonum demissio«; [Z. 13 f.]: »hoc ipso illorum [sc. Saxonum] timiditatis argumento sua [adversariorum] . . . mendacia confirment«.
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durch die Drohungen der Gegner oder Furcht zum Nachgeben verleiten zu lassen.768 f) Selbstkritik Melanchthons Luthers Ermahnungen scheinen bei Melanchthon im Lauf der Zeit gefruchtet zu haben, denn Anfang August betonte er gegenüber Luther seine Einsicht, daß die Sache im Willen Gottes liege und nicht durch menschlichen Einsatz gelenkt werde; zudem gab er zu, daß er sich darüber manchmal ärgere, manchmal aber auch darüber nachdenke, ob Gott den Menschen bisweilen seinen Schutz absichtlich entziehe, um sie vom Vertrauen auf sich selbst abzubringen.769 3.10.1.2 Kritik im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen Im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen vermuteten viele Kritiker, es sei unter anderem die Angst, die Melanchthon zu den als unangemessen betrachteten Zugeständnissen veranlaßt habe. Die erste derartige Äußerung stammt von Brenz, der nach seinem Ausscheiden aus dem Verhandlungen um die weitere Standhaftigkeit seiner Ausschußkollegen fürchtete und dies mit ihrer Schwäche begründete.770 Viele der anderen Kritiker Melanchthons betonten, daß er und die übrigen protestantischen Delegierten den Altgläubigen zu weit entgegengekommen seien, weil sie sich vom äußeren Schein der Welt und den unbegründeten Kriegsdrohungen der Gegner schrecken ließen, die nur dazu dienten, die Lutherischen zum Nachgeben zu bewegen. Dadurch hätten sie sich als wenig tapfer und schwach erwiesen.771 768
Vgl. Roselli an Melanchthon 30.7. [MBW 999; MBW T 4/1, 471, Z. 31 f.]: »neque minis aut metu loco caedere«. 769 Vgl. Melanchthon an Luther 6.8. [MBW 1014; MBW T 4/2, 525, Z. 30 ff.]: »Res tota est ἐν γούνασι θεοῦ nec regitur ulla humana diligencia. Id interdum stomachor, interdum reputo deum haec praesidia nobis adimere, ne confidamus nobis«. 770 Vgl. Brenz an Eisenmenger 25.8. [CR 2, 317]: »Recusavimus hactenus constanter. Dominus conservet nos constantes. Sunt enim multi imbecilles«. 771 Vgl. Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 243, Z. 14]: »A nostris . . . parum fortiter res administrata est«; Philipp von Hessen an Luther 29.8. [WA Br 5, 600, Z. 5 f.]: »daß sich die Sachen so seltzam zugetragen haben, sei Philippi Melanchtonis Kleinmutigkeit schuld« und an Zwingli 4.9. [CR 98, 112, Z. 5 ff.]: »Philippus . . . ist eyn schedlicher man dem ewangelio Cristy myt seyner blodykeyt«; [113, Z. 3 f.]: »Got geb, das Philippus disses weychen alleyn uß blodykeyt thu«; Sailer an Spalatin Ende August [CR 2, 297]: »Putas tu, sacrificos penitus secum statuisse, ut arma sumeret Caesar? Minime certe! Sciunt enim, se hoc modo perituros. Ob id autem tantam ostendunt austeritatem, ut eos minis quo velint abigant. Quodsi pusillanimes vos inspexerint, ipsi audaciores evadent«; Albers Gutachten von Ende August [Gussmann, Ratschläge 1, 319, Z. 28 ff.]: »Es . . . darf nur, dass man sich ab der larven diser welt nit entsetz und dem herrn und seinem wort nichts verred oder nachgeb«; Spenglers indirekte Kritik im Brief an Vogler vom 17.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 36]; seine Aussage im Brief an Dietrich vom 25.9. [Mayer, Spengleriana, 76]: Melanchthon »seer klainmutig vnd forchtsam ist«. Rückschlüsse auf einen solchen Vorwurf lassen sich auch aus der Aussage Melanchthons im für E. Ebner verfaßten offenen Brief an seinen Vater vom 10.9. ziehen
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Die Kritiker sahen ganz richtig, daß die durch den Druck des Kaisers bewirkte Kleinmütigkeit der Protestanten von den Altgläubigen wahrgenommen wurde, sie diese zusätzlich schürten und darauf hofften, die Protestanten dadurch zum Nachgeben zu bewegen, ohne ihnen selbst irgend etwas zugestehen zu müssen.772 3.10.2 Die Vorwürfe der Vernunftorientiertheit und Philosophie In engem Zusammenhang mit der Kritik an Melanchthons Sorgen verwiesen seine Kritiker immer wieder auf seine Vernunftorientiertheit, in der sie einen weiteren Grund für seine Beunruhigung sahen. 3.10.2.1 Kritik von Jonas und Luther im Juni Erste Ansätze derartiger Kritik finden sich bei Jonas, als er Luther Mitte Juni aufgrund der schweren Sorgen Melanchthons zu Trostbriefen an diesen aufforderte und ihn in diesem Zusammenhang bat, Melanchthon aufzuzeigen, daß beim Reichstag zwar eine große Sache auf dem Spiel stehe, man diese aber nicht durch menschliche, sondern nur durch göttliche Weisheit lenken könne.773 Luther nahm diese Aussage in einem seiner Trostbriefe auf und warf Melanchthon vor, er wolle alle Dinge mit der menschlichen Vernunft regieren, ja er spinne sozusagen vor lauter Vernunft.774 Zusätzlich identifizierte er Melanchthons Art, sich in Sorgen um den Fortgang der Dinge zu verzehren und zu glauben, man könne diesen selbst beeinflussen, als eine philosophische Lebenshaltung, die nicht geeignet sei, die Sache Gottes zu finden, und die man deshalb [MBW 1074; MBW T 4/2, 680, Z. 5 f.]: »his consiliis scio Philippum usum esse non tam metu periculi ac publici motus«. 772 Vgl. die Feststellung Karls V. in bezug auf die Verhandlungen mit den Protestanten im Brief an Papst Clemens VII. vom 14.7. [Heine, Briefe, 284–289 (dtsch.) und 522–525 (span.), Nr. 2 ; hier 523]: »con los unos se ha conocido grande . . . flojedad«; Valdés an Accolti 1.8. [Bagnatori, Cartas inéditas, 366, Z. 57 f.]: »dezirle . . . muchas cosas del peligro en que están y quán fáçilmente los prínçipes los podrián desamparar« und 24.9. [Bagnatori, a. a. O., 372– 374, Nr. 7; hier 373, Z. 22 ff.]: »quando vimos en ellos [sc. lutheranos] alguna pusillanimidad, causada del terror que les puso la venida y magestad del Emperador, paresciónos que fáçilmente los pudiéramos atraher a lo que queríamos syn conçederlos nada«; Beckmann an Melanchthon 4.9. [MBW 1063; MBW T 4/2, 642, Z. 29 ff.] und die Feststellung Melanchthons im 12. Artikel der Apologie von 1531 [BSLK 279, Z. 16 f.]: »bonos viros [sc. Melanchthon] leviter existimas [sc. Campeggio] angi«. 773 Vgl. Jonas an Luther 18.6. [WA Br 5, 369, Z. 96 ff.]: »Velim . . . dare te ad D. Philippum . . . consolatorias . . ., cum tamen magnitudo causae tanta sit, ut non humana ulla, sed diuina sapientia regenda sit«. 774 Vgl. Luther an Melanchthon 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 313, Z. 45 ff.]: »tu secundum philosophiam vestram has res racione regere, hoc est, ut ille ait, cum racione insanire, pergis«; das von Terenz (195–159 v. Chr.) stammende Oxymoron (vgl. Eunuchus 1, 1, 18 bzw. V. 63) wurde damals öfter benutzt; vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 361; zur Übersetzung Scheible, Melanchthon, 156; außerdem Merz, Glaube und Politik, 103: »Indem er scheinbar ›vernünftig‹ handelt, handelt er in Wirklichkeit ganz verrückt« .
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auch nicht anwenden dürfe, wenn es wie in Augsburg um die Verteidigung des Glaubens gehe. Gegenwärtig müsse man vielmehr im Sinne der Theologie handeln, und das hieß für Luther, auf Gott und seine Verheißungen zu vertrauen.775 Luther schloß in diese Kritik Melanchthons Freund Camerarius ausdrücklich ein und sah in einer solchen Lebenshaltung wohl ein durch die humanistische Prägung verursachtes Problem.776 Luther verstand im Zusammenhang der Kritik an Melanchthon unter Philosophie keine besondere wissenschaftliche Disziplin oder gar Philosophie im heutigen Sinne, sondern die Herangehensweise an die Welt vom menschlichen Wissen und von der Orientierung an den Fähigkeiten des Menschen her. Sie war damit gleichbedeutend mit Vernunft und menschlicher Weisheit.777 Solange Vernunft und Philosophie innerhalb ihrer Erkenntnismöglichkeiten blieben und lediglich Aussagen über die Welt und den sterblichen Menschen trafen, wurden sie von Luther anerkannt und gewürdigt. Überschritten sie allerdings ihre Grenzen und maßten sich an, Aussagen über Glaubensfragen, über Gott und das Verhältnis der Menschen zu ihm zu treffen, verloren sie ihre Berechtigung, und er lehnte sie vehement ab.778 Luther sah im Hintergrund von Melanchthons Verhalten beim Reichstag den Drang, alles rational zu verstehen, Gottes Reich sichtbar zu machen und dadurch der Zukunft ihre Unheimlichkeit zu nehmen, statt auf Gott zu vertrauen und im Glauben an ihn und sein zukünftiges Reich das Leben zu wagen. In einer solchen Haltung sah Luther eine Art von theologia gloriae und eine Verleugnung des Kreuzes Christi.779 3.10.2.2 Kritik im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen im August Ähnliche Vorwürfe begegneten auch im Zusammenhang der Kritik an Melanchthons Verhalten in den Ausschußverhandlungen, wobei wohl einige Kritiker auf die Aussagen Luthers zurückgriffen, die aufgrund der weiten Verbreitung seiner Briefe mittlerweile vielen bekannt waren.780 Besonders scharf äu775
Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 280, Z. 16 f.]: »Philosophia tua ita te vexat, non theologia« und 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 292, Z. 52 ff.]: »Deus posuit eam [sc. finem] in locum quendam communem, quem in rhetorica tua non habes nec in philosophia tua. Is vocatur fides« und an Jonas 29.6. [WA Br 5, 409, Z. 18 f.]: »Philippum sua exercet philosophia, ac praeterea nihil« und 21.7. [WA Br 5, 496, Z. 18 f.]: »Philosophia ista non credit nisi experta«. 776 Vgl. Luther an Melanchthon 27.6. [MBW 944; MBW T 4/1, 280, Z. 17 f.]: »ea quae et Ioachimum tuum [vexat], qui mihi simili cura rodi videtur« und seine Rede von philosophia vestra gegenüber Melanchthon am 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 313, Z. 45 f.]. 777 Vgl. die 1. und 11. These von Luthers »Disputatio de homine« von 1536 [WA 39/1, 175–180; hier 175, Z. 3 bzw. Z. 24]: »Philosophia, sapientia humana« bzw. »Philosophia seu ratio«; Hägglund, Luthers Anthropologie, 68 und Ebeling, Luthers Seelsorge, 294. 778 Vgl. die im lateinischen Sachregister in WA 67, 300–307 zusammengestellten Aussagen Luthers zur Philosophie. 779 Vgl. Merz, Glaube und Politik, 100 ff. und Rückert, Luther und der Reichstag, 117. 780 Vgl. Philipp von Hessen an seine Gesandten 29.8. [CR 2, 327]: »Greift dem vernünftigen, weltweisen . . . (ich darf nit wohl mehr sagen) Philippo in die Würfel« und Obsopoeus
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ßerte sich Spengler, der beklagte, daß Melanchthon in seinem Handeln ausschließlich von weltlicher Weisheit und Vernunft bestimmt werde, denen er sehr vertraue und durch die er verblendet werde. Dies habe zur Folge, daß er keine andere Meinung neben sich zulasse, sondern nur seinen eigenen Verstand gelten lasse. Im christlichen Glauben gehe es jedoch darum, in demütigem Geist dem Wort Gottes zu vertrauen und nicht weltlicher Weisheit und Philosophie. Spengler tröstete sich allerdings damit, daß Gott gemäß Röm 1,22 die Weltweisen, die sich nicht auf sein Wort verließen, zu Narren mache.781 3.10.3 Weitere Vorwürfe In den Beratungen der Protestanten im Anschluß an die Verhandlungen des Vierzehner-Ausschusses wurde Melanchthon im Zusammenhang der Kritik an seiner Nachgiebigkeit vorgehalten, daß er von der Sache nichts verstehe.782 Dann machte es Luther schwer zu schaffen, daß all seine Ermahnungen bei Melanchthon nichts zu fruchten schienen, und er hielt ihm deshalb vor, er lasse sich von keinem anderen Menschen etwas sagen.783 Ähnlich äußerte sich auch Spengler im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen.784 Schließlich hatte Luther zwar nicht im einzelnen miterlebt, wie sehr sich Melanchthon in Augsburg verzehrte, die Berichte seiner Kollegen aus Augsburg reichten jedoch aus, daß er Melanchthon bereits Mitte Mai aus der Ferne zur Schonung riet.785 Als Luther Anfang Oktober auf der Rückreise der kursächsischen Delegation nach Wittenberg mit eigenen Augen erlebte, wie unermüdan Camerarius vor 30.8. [CR 2, 333]: Manche Vorschläge Melanchthons seien »callidiora, quam veritatis oratio patitur«. 781 Vgl. Spengler an Vogler 8.9. [Veesenmeyer, Beyträge, 33]: »Brentzius vnd doctor heller, werden durch pilippus vernunfftigen kopf vnd philosophei, der sich luther laut seins schreibens wol versehen hat, regirt« und 17.9. [a. a. O., 36] und an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315 f.]: »Jch hab es bißhere gesehen, vnd sind es Jn Der thatt das Philippus Zway augentuchlin vor den beden augen hangen hat, Das ain Jst Weltliche Weißhait vernunfft vnd schicklikait, Der er vil vertraut vnd Jne so hoch verplenndt, Das auch kains anndern Ratschlag, anzaigen vnd persuasion. Wie gut vnd Christenlich auch die seien, bey Jme gellten, Ja er hellt von niemand annders, dann seinem ainigen verstannd, eben alls stee Christianismus noster Jn Weltlicher Weißhait vnd hochfarender philosophei. vnd nit vil mer Jn ainem Diemutigen gaist, Der gottes Wort vertraut«. 782 Vgl. die Ulmer Gesandten an ihren Rat 24.8. [Kolde, Analecta Lutherana, 148]. 783 Vgl. Luther an Melanchthon 29.6. [MBW 946; MBW T 4/1, 292, Z. 57]: »nobis omnibus frustra reclamantibus«; [293, Z. 71]: »tu non audis ista«; 30.6. [MBW 950; MBW T 4/1, 310, Z. 5]: »sciam surdo fabulam narrari« (vgl. zu diesem Sprichwort Otto, Sprichwörter der Römer, 335, Nr. 1715); [Z. 6 ]: »tibi soli credis, mihi et aliis non credis, magno tuo malo«; [311, Z. 11]: »Quare ergo et tu . . . non . . . nos audis«; [313, Z. 45 ff.]: »frustra haec scribo, quia tu . . . pergis«; 13.7. [MBW 969; MBW T 4/1, 366, Z. 24]: »tu alia cogitas, ideo non admittis mea« und 21.7. [MBW 986; MBW T 4/1, 440 f., Z. 105 f.]: »me pene tedeat ad te scribere, videntem, quam nihil efficiam meis verbis«. 784 Vgl. oben Kap. 3.10.2.2. 785 Vgl. Luther an Melanchthon 12.5. [MBW 906; MBW T 4/1, 167–170; hier 170, Z. 35 ff.].
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lich Melanchthon arbeitete und daß er sich dabei keinerlei Pausen gönnte, nahm er ihm nach einem Bericht von Johannes Mathesius (1504–1565) die Feder aus der Hand und machte ihn darauf aufmerksam, daß Gott das dritte Gebot unter anderem deshalb gegeben habe, damit die Menschen merkten, daß man ihm nicht allein mit Arbeiten, sondern auch mit Ruhen dienen könne.786
3.11 Altgläubige Kritik an Melanchthons Unnachgiebigkeit Ein unter den Altgläubigen verbreiteter Vorwurf an die Protestanten war der der Unnachgiebigkeit, der üblicherweise allen Ketzern gemacht wurde. So beschwerten sich während des gesamten Reichstags verschiedene Vertreter der Altgläuigen über die Hartnäckigkeit der Protestanten.787 Angesichts der nachgiebigen Haltung Melanchthons beim Reichstag erstaunt es allerdings, daß auch er von dieser Kritik nicht ausgenommen war, sondern sogar persönlich angegriffen wurde. Wohl aufgrund des Scheiterns der Ausschußverhandlungen warf der kaiserliche Prediger Aegidius Melanchthon Mitte September in einem Brief vor, er habe durch seinen Stolz und seine Hartnäckigkeit ein Einlenken der Lutherischen verhindert.788
3.12 Die Kritik am Umgang Melanchthons mit den Zwinglianern Da sich fast alle Lutherischen beim Augsburger Reichstag hinsichtlich ihrer (ablehnenden) Haltung gegenüber den Zwinglianern einig waren, verwundert es wenig, daß es ausschließlich Zwinglianer waren, die sich am Umgang der Lutherischen mit ihnen stießen. Vor allem in den Monaten Mai bis Juli beschwerten sich viele von ihnen über den Haß (odium) und die Raserei ( furor), die die Lutherischen und insbesondere die Kursachsen in Augsburg ihnen gegenüber an den Tag legten, und bemängelten, daß diese mehr gegen die Zwinglianer als gegen die Altgläubigen wüteten.789 Die Zwinglianer vermuteten – sicher 786
Vgl. Mathesius, Luthers Leben, 12. Predigt, 275–306; hier 299 f. Vgl. Campeggio in seiner Denkschrift von Anfang Mai [Maurenbrecher, Karl V., 9*] und im Brief an Salviati vom 26.6. [NBD Erg. 1, 64]; Karl V. an Papst Clemens VII. 14.7. [Heine, Briefe, 284–289 (dtsch.) und 522–525 (span.), Nr. 2 ; hier 522 f.]; Salviati an Campeggio 10.8. [NBD Erg. 1, 100–103, Nr. 26; hier 101]; Loaysa an Karl V. 25.8. [Heine, Briefe, 30–36 und 366–369, Nr. 13; hier 33]; Tiepolo an den Rat von Venedig 15.9. [von Walter, Depeschen, 75]; della Torre an Calandra 24.9. [Müller, Kurie und Reformation, 116, Anm. 9 f.; hier Anm. 10]; Leib, Annales, 549, 551 und 557 und von Tetleben, Protokoll, 81. 788 Vgl. Melanchthon an den kaiserlichen Prediger Aegidius 19.9. [MBW 1081; MBW T 4/2, 702, Z. 5 ff.]: »significat reverenda paternitas vestra mihi, qualia de me iudicia fiant a quibusdam vestris, et obiurgat me sic satis severe, quasi mea superbia ac pertinacia principes nostri reddantur intractabiliores«. 789 Vgl. Bucer an Zwingli 4.5. [BC 4, 96 f., Nr. 297; hier 96, Z. 6 f.]; 14.5. [BC 4, 99, Z. 1 und Z. 9 f.] und 25.5. [BC 4, 112, Z. 3 f.]; Sturm an Zwingli 31.5. [CR 97, 602, Z. 3 ff.]; 787
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nicht zu Unrecht –, daß die Lutherischen durch dieses Verhalten bei den Altgläubigen in besserem Licht erscheinen wollten, und zogen daraus den Schluß, die Lutherischen befänden sich in größerer Nähe zu den Altgläubigen als zu ihnen.790 Viele der genannten Vorwürfe gegen die Lutherischen im allgemeinen galten sicher auch Melanchthon. Darüber hinaus griffen ihn allerdings einige Kritiker auch persönlich an: Sie beklagten insbesondere seine Schmähungen gegenüber den Zwinglianern und warfen ihm vor, er behaupte vor den Altgläubigen, Straßburg und andere zwinglianisch gesinnte Stände hätten ein unzulässiges Bündnis geschlossen, um gegen die Altgläubigen Krieg zu führen und die Bischöfe zu vertreiben. Durch derartige Lügen wolle er die Zwinglianer zum Sündenbock machen und die Lage der Lutherischen beim Reichstag verbessern.791 Ferner beschwerten sich Bucer und Capito darüber, daß Melanchthon gegenüber einem katholischen Theologen in Augsburg fälschlicherweise behauptet habe, Zwingli und Bucer hätten in Marburg ihre Lehre widerrufen.792 All diese Vowürfe stammen aus den Wochen, in denen Bucer und Capito erfolglos versuchten, Melanchthon zu einem Treffen mit ihnen zu bewegen. Als sich Melanchthon dann Ende August auf ein Gespräch mit ihnen einließ und dadurch eine Einigung in den Bereich des Möglichen trat, findet sich keine derartige Kritik mehr.
Bucer an Zwingli 1.6. [BC 4, 115, Z. 7]; die Straßburger Gesandten an ihren Rat 2.6. [PC 1, 447] und 7.6. [PC 1, 450] und an die Dreizehn 16.6. [PC 1, 455 f., Nr. 741]; Bucer an Zwingli 18./19.6. [BC 4, 117, Z. 20 f.]; Sturm an Zwingli 19.6. [CR 97, 628, Z. 15 ff.]; Pfarrer an Butz 28.6. [PC 1, 464 f., Nr. 752; hier 465]; Bucer an Zwingli 5./6.7. [BC 4, 122, Z. 1 f.]; Bucer und Capito an die Straßburger Prediger 7.7. [BC 4, 128, Z. 12 f. und 130, Z. 11 f.]; Bucer 17.7. an Bedrotus [BC 4, 147–150, Nr. 315; hier 149, Z. 1 ff.] und an Vadian [BC 4, 150 f., Nr. 316; hier 150, Z. 3 ff.]; Bucer und Capito an A. Blarer 22.7. [BC 4, 157–159, Nr. 319; hier 158, Z. 9 f.]; Bucer an A. Blarer und Zwick 29.8. [BC 4, 248, Z. 4 ] und Oekolampad an Zwingli 25.9. [CR 98, 148, Z. 5 f.]. 790 Vgl. Capito an Zwingli 15.5. [CR 97, 581, Z. 10 ff.]: »asserunt, se malle ad papistas concedere, quam ad nos hêreticos« und Oekolampad an Zwingli 15.7. [CR 98, 28 f., Nr. 1064; hier 28, Z. 5 ff.]: »calamus illorum [sc. Saxonum] in nos debacchatus est, ut in alios derivata invidia sibi favorem conciliarent«. 791 Vgl. Capito an Zwingli 15.5. [CR 97, 581, Z. 3 ff.]: »Philippus fucata dictione praeditus est, non nego, sed videtur minorem sortitus sapientiam opinione, presertim sua. Alioqui non tam liberas contumelias passim efflaret«; den Bericht über Kritik der Straßburger Gesandten im zweiten Brief der Nürnberger Gesandten an ihren Rat vom 16.6. [CR 2, 108–110, Nr. 725; hier 108 f.]; Bucer an Bedrotus 17.7. [BC 4, 149, Z. 3 f.] und gemeinsam mit Capito an A. Blarer 22.7. [BC 4, 162, Z. 15 f.]. 792 Vgl. Bucer und Capito an Melanchthon 18.7. [MBW 980; MBW T 4/1, 399, Z. 107 ff.]: »hodie narravit quidam dixisse te primario cuidam partis adversae theologo Zuinglium et me Bucerum recantasse, in quae Marpurgi consensimus omnia, id quod absque causa dixisti, si modo dixisti«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 4: Melanchthons Umgang mit Kritik und die dagegen gerichteten Vorwürfe Melanchthon wurde im Lauf des Reichstags nicht nur wegen seines Verhaltens kritisiert, sondern auch sein Umgang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen wurde zum Gegenstand von Kritik, allerdings nur in bezug auf die protestantische Kritik.
4.1 Melanchthons Umgang mit der protestantischen Kritik Melanchthon erfuhr Mitte bis Ende Juni von den ersten (gegen die CA gerichteten) Vorwürfen. Er war dadurch nicht sonderlich beunruhigt und scheint nichts gegen sie unternommen zu haben.793 Auch der massiven Kritik an seiner Nachgiebigkeit im Vierzehner-Ausschuß, die ab Ende August von verschiedener Seite geäußert wurde, schenkte er zunächst nur wenig Beachtung und versuchte, sie als Geschrei des Volkes, das einen nicht kümmern müsse, abzutun.794 Mitte September scheint sich die Kritik in Augsburg allerdings so weit ausgebreitet zu haben, daß er aus Angst vor den Gerüchten seine Herberge nicht mehr verließ.795 Luther war in Sorge, Melanchthon werde sich wegen der gegen ihn gerichteten Vorwürfe zermartern.796 Als Melanchthon im Oktober nach Wittenberg zurückgekehrt war, war von dieser Beunruhigung allerdings nichts mehr zu spüren. Er sprach von albernen Vorwürfen und hatte in Bucer nun auch einen Schuldigen für die Verbreitung der Kritik gefunden.797 Verantwortlich für diese angesichts der dargestellten Kritik doch recht gleichmütige Haltung Melanchthons war die Tatsache, daß er vollkommen von der Richtigkeit seiner Aussagen und Zugeständnisse überzeugt war und sich in den kritisierten Fragen, vor allem beim Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion, mit den anderen 793
Vgl. Melanchthon an Camerarius 26.6. [MBW 939; MBW T 4/1, 264, Z. 10]: »Me sane non magnopere commovent huiusmodi critici«. 794 Vgl. Melanchthon an Alber 23.8. [MBW 1037; MBW T 4/2, 581, Z. 11]; an Luther 29.8. [MBW 1050; MBW T 4/2, 617, Z. 17 ff.] und an Camerarius 1.9. [MBW 1057; MBW T 4/2, 626, Z. 9 f.]: »Non admodum me movent vulgi clamores de meis consiliis atque actionibus«. Ähnliche Erklärungsmuster finden sich auch in den Briefen von Brenz an Eisenmenger vom 3.9. [CR 2, 337 f.]: »Vulgus traducit nos . . . eo quod vulgi libidini non serviamus« und 11.9. [CR 2, 362]: »non continuo est scandalum, quod rusticis non placet« sowie von Rurer an Althamer vom 6.9. [Kolde, Redaktion, 114]. 795 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.9. [MBW 1079; MBW T 4/2, 699, Z. 12]: »Contineo me iam domi propter malevolorum sermones«. 796 Vgl. Luther an Melanchthon 11.9. [MBW 1075; MBW T 4/2, 686, Z. 28 f.]: »obsecro te, mi Philippe, ne te maceres ex illorum iudiciis, qui vel dicunt vel scribunt, vos nimium cessisse papistis«. 797 Vgl. Melanchthon an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 722, Z. 24]: »fatui . . . rumores«; [722 f., Z. 26 f.]: »Bucerus hanc famam initio per epistolas ubique sparsit. Me nihil movet«.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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Vertretern Kursachsens und auch mit Luther einig wußte.798 Er war sich zwar darüber im klaren, daß vor allem mit seinem Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion auch Nachteile verbunden waren. Da seiner Ansicht nach jedoch die damit zu erreichenden Vorteile – Friede und Ordnung – überwogen, konnte er kein Verständnis für die nicht verstummenden Vorwürfe seiner Kritiker auf bringen, sondern überzog sie mit zahlreichen Gegenangriffen: Er unterstellte den Städten und insbesondere den Nürnbergern unlautere Motive,799 indem er ihnen vorwarf, sie sähen nur die Nachteile dieses Zugeständnisses,800 könnten keine maßvolle Stellungnahme ertragen,801 kümmerten sich nicht um die Lehre und das Evangelium802 und vernachlässigten die mit einem Krieg verbundenen Gefahren der Zersplitterung der Kirche und der Umwälzung des Staates,803 sie ließen sich statt dessen von einem allzu starken Freiheits- und Herrschaftsdrang leiten804 und begäben sich damit auf eine Ebene mit Aufrührerischen wie den Schweizern.805 798 Vgl. Melanchthon an Camerarius 10.9. [MBW 1071; MBW T 4/2, 674, Z. 23 f.]: »non faciam tanti [sc. gratiam criticorum], ut praeferam his racionibus, quae me in illam indux erunt sentenciam, quam in his dixi negociis«; an Micyllus 2. Hälfte Oktober [MBW 1092; MBW T 4/2, 723, Z. 27 f.]: »Utinam hae conditiones essent acceptae« und seine Beteuerungen, er habe keinen wichtigen Artikel preisgegeben, oben Anm. 263. Vgl. zu Melanchthons Haltung auch Camerarius, De vita Melanchthonis, 137 f.: »omnia ista [sc. crimina] fortiter contemsit Philippus Melanchthon, acquiescens in recta bonaque conscientia, et nequaquam inflectens consilia actionesque suas ad aliorum sententiam ac voluntatem«; »nihilominus permanere in sententia, et tenere cursum bene institutum . . . Neque ipse laborare de nugis quibusdam, neque servire voluntati sibi aliquid quaerentium«. 799 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 622, Z. 30 f.]: »Plane nihil fieri a vestris candide suspicor. Itaque non valde doleo meas actiones ab illis reprehendi«. 800 Vgl. Melanchthon an Camerarius 5.9. [MBW 1064; MBW T 4/2, 644, Z. 13 f.]: »Intelligunt enim, quid habeat illa concessio incommodi«. 801 Vgl. Melanchthon an Camerarius 10.9. [MBW 1071; MBW T 4/2, 673, Z. 14 f.]: »Nunc preter nostros [sc. Saxones] nemo sustinet audire ullam moderatam vocem«. 802 Vgl. Melanchthon an Luther 29.8. [MBW 1050; MBW T 4/2, 617, Z. 20]: »De doctrina religionis nihil laborant« und 1.9. [MBW 1058; MBW T 4/2, 628, Z. 9 ]: »non de evangelio dimicant socii nostri«. 803 Vgl. Melanchthon an Camerarius 19.9. [MBW 1079; MBW T 4/2, 699, Z. 9 ff.]. 804 Vgl. Melanchthon an Luther 29.8. [MBW 1050; MBW T 4/2, 617, Z. 17 ff.]: »vulgus assuefactum libertati et semel excusso iugo episcoporum aegre patitur sibi rursus imponi illa vetera onera. Et maxime oderunt illam dominacionem civitates imperii . . ., tantum de regno et libertate sunt solliciti« und 1.9. [MBW 1058; MBW T 4/2, 628, Z. 9 ]: »de suo regno . . . dimicant socii nostri« und an Camerarius 5.9. [MBW 1064; MBW T 4/2, 644, Z. 17 ff.]: »Lutherus, quem nulla de causa vestri . . . amant, nisi quia beneficio eius senciunt se episcopos excussisse et adeptos libertatem minime utilem ad posteritatem«. 805 Vgl. Melanchthon an Camerarius 31.8. [MBW 1053; MBW T 4/2, 621, Z. 10 f.]: »Hoc male habet homines sediciosos reddi iurisdictionem. Restitui πολιτείαν ecclesiasticam« und 10.9. [MBW 1071; MBW T 4/2, 674, Z. 24 f.]: »Πολλοὺς παρ΄ὑμῖν δοκεῖ μοι ἑλβετίζειν« (vgl. zu diesem Verb Volz, MSA 7/2, 292, Anm. 6 ); an Luther 10.9. [MBW 1073; MBW T 4/2, 679, Z. 13] und an Camerarius 19.9. [MBW 1079; MBW T 4/2, 699 f., Z. 20 ff.]: »Nolo . . . rem ad Helvecios trahere, id quod illi aperte faciunt, qui mea consilia improbant«; ähnliche Gegenvorwürfe auch im Brief von Brenz an Eisenmenger vom 8.9. [CR 2, 357].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
4.2 Die Kritik an Melanchthons Umgang mit den Vorwürfen Melanchthons Kritiker äußerten sich völlig anders über seinen Umgang mit den gegen ihn gerichteten Vorwürfen als er selbst und warfen ihm und seinen Kollegen mangelnde Kritikfähigkeit vor. Derartige Äußerungen sind uns von Baumgartner und Spengler erhalten. Baumgartners Kritik in seinen Briefen an Spengler von Mitte September bezog sich vor allem auf Melanchthons Verhalten in den Beratungen der Protestanten in Augsburg. Er behauptete, Melanchthon verbiete sowohl seinen sächsischen Kollegen als auch anderen Protestanten, sich kritisch gegen ihn oder den protestantischen Vorschlag zu äußern, und verunglimpfe diejenigen, die sich seinen Zugeständnissen widersetzten.806 Spengler pflichtete Baumgartner in seiner Antwort bei, bemängelte dabei insbesondere, daß Melanchthon und seine Kollegen so starr an ihren Zugeständnissen festhielten und auf niemanden hörten, und warf ihnen deshalb Hochmut vor.807 Die Vorwürfe, die darauf abhoben, Melanchthon schmähe seine Kritiker, konnte er nicht mehr gelassen ertragen, sondern beklagte, daß er ungerecht behandelt werde.808
806 Vgl. Baumgartner an Spengler 13.9. [CR 2, 363 f.]: »die andern Sächsischen Theologi dürfen wider den Philippum nit öffentlich reden, denn er den Kopf dermaßen gestreckt, daß er neulich gegen den Lüneburgischen Canzler gesagt: wer sagen darf, daß die nächst übergebnen Mittel nicht christlich, der lüg’s als ein Bösewicht . . . Und daneben höret man nit auf, die, so sich hierin christlich und tapfer erzeigen, in viel Weg zu verunglimpfen; wie dann die Hessischen . . . ; besorg, es wird mit uns auch auch dermassen gehalten«. Melanchthon erwarte, daß seine Vorschläge von allen gebilligt werden. »So man uns denn dazu erfoddert, und wir uns also den vorgekochten Brey nicht lassen wol schmecken, so ist es eines Unwillens, und laufen die Theologen um, sagen, wir mögen nit Friede erleiden, . . . wollen nur mit dem Landgrafen drein hauen; den sie denn hierin warlich jämmerlich verunglimpfen« und 15.9. [CR 2, 372 f.]: »Man wirft uns auch unverhohlen zum dückern Mal vor, wir ziehen uns allezeit auf unsre Theologen und Gelehrten, und find sich doch, daß unsre Theologi ganz schuldig seyen«. »Philippus . . . ist auch in eine solche Vermessenheit gerathen, daß er nit allein niemand will hören anderst davon reden und rathen, sondern auch mit ungeschickten Fluchen und Schelten herausfährt, damit er jedermann erschrecke, und mit seiner Aestimation und Authorität dämpfe«; ähnlich auch im Bericht der Nürnberger Gesandten in der Beilage zum Brief an ihren Rat vom 18.9. [Schornbaum, Geschichte, 148]. 807 Vgl. Spengler an Baumgartner 19.9. [Seidemann, Spenglers Briefwechsel, 315]: »Zum hochsten beschwert mich aber Das. Das dieselben vnnser Theologi, . . . vnns alle bereden vnd das mit gewallt vnd gantzer Jmportunitet verfechten wollen, Alls ob es gar holtselig gut Ding . . . sey«; [317]: »Jch fund auch Das dise leut Die kopf gestreckt haben. Jren selbs adinuentionibus zuuolgen, nyemand Zuhorn, vnd allain Die Weissen gelertsten, Christenlichsten Zusein«. 808 Vgl. Melanchthon an Camerarius 10.9. [MBW 1071; MBW T 4/2, 674, Z. 21 f.]: »Si quis . . . scribit me maledicere tuis amicis, magna me iniuria afficit«.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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Kapitel 5: Die Kritiker Melanchthons Die Kritiker Melanchthons wurden in der Darstellung der Vorwürfe zwar genannt, der Auf bau des dritten Kapitels nach den Inhalten der Kritik machte es allerdings unmöglich, zu verfolgen, welche Kritiker sich nur einmal kritisch gegen Melanchthon äußerten und welche von ihnen ihn mehrmals angriffen. Deshalb sollen die Kritiker des Jahres 1530 im folgenden noch einmal kurz in Erinnerung gerufen werden, sofern sie uns namentlich bekannt sind. Diese Darstellung dient außerdem dazu, einen umfassenderen Blick auf mögliche Hintergründe der Kritik und die Motivation der Kritiker zu richten, die ja im Zusammenhang der einzelnen Kritikpunkte bereits anklangen.
5.1 Die protestantischen Kritiker Die protestantischen Kritiker Melanchthons, die namentlich bekannt sind, waren fast alle Vertreter der protestantischen Stände, die entweder selbst beim Reichstag anwesend waren oder in ihrer Heimat durch Berichte bzw. Gerüchte über die Ereignisse in Augsburg erfuhren. Sie entstammten einerseits Melanchthons unmittelbarem Umfeld und Freundeskreis, andererseits einflußreichen protestantischen Kreisen.809 Ob es auch Kritiker aus dem einfachen Volk gab – womit Melanchthon selbst gerechnet hatte, denn er traute dem Volk kein großes Verständnis in theologischen Fragen zu –, läßt sich anhand der Quellen nicht mehr feststellen, da gerade von solchen Menschen keine Briefe oder sonstige Aufzeichnungen existieren. 5.1.1 Luther und Dietrich Luther war zwar gezwungen, die Zeit des Reichstags gemeinsam mit Dietrich fernab von Augsburg auf der Coburg zu verbringen, und war deshalb über das Reichstagsgeschehen nur durch die brieflichen Berichte seiner Kollegen informiert, dennoch äußerte er sich immer wieder kritisch über das Verhalten Melanchthons. Er stand zwar grundsätzlich hinter dem kursächsischen Verhandlungskonzept, das er vor dem Reichstag mit erarbeitet hatte, ihm mißfielen aber verschiedene Äußerungen, Überlegungen, Erwartungen und Verhaltensweisen Melanchthons (und seiner anderen Kollegen), und so äußerte er während des Reichstags immer wieder Kritik. Diese bestand allerdings selten in direkten Vorwürfen – wie in bezug auf mangelnde Nachrichten aus Augsburg und hinsichtlich Melanchthons Sorgen –, sondern meist in Andeutungen und Warnungen. Zudem waren sie zum großen Teil von seiner Sorge um Melanchthon ge809
Vgl. Obsopoeus an Camerarius vor 30.8. [CR 2, 332] und Camerarius an Agricola 30.8. [CR 2, 332].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
tragen.810 Allerdings führte seine Kritik trotzdem dazu, daß sein Verhältnis zu Melanchthon erstmals über längere Zeit angespannt war.811 Seine eigene Anspannung, Krankheit und Isolation auf der Coburg waren sicher mit für seine Kritik verantwortlich. Von Dietrich wissen wir nur, daß er sich in bezug auf Melanchthons Sorgen der Kritik Luthers anschloß.812 5.1.2 Vertreter der in Augsburg anwesenden lutherischen Reichsstände 5.1.2.1 Die Vertreter Kursachsens und Brandenburg-Ansbachs Die in Augsburg anwesenden Vertreter Kursachsens und Brandenburg-Ansbachs traten nicht offen als Kritiker in Erscheinung, aber es gibt Hinweise, daß auch unter ihnen einige das Verhalten Melanchthons in den Ausschußverhandlungen kritisch sahen, so etwa Herzog Johann Friedrich von Sachsen,813 Jonas,814 Agricola,815 Brenz 816 und Meglein817. Daß es unter dieser Gruppe der Protestanten nur so wenige Kritiker gab, ist allerdings nicht weiter verwunderlich, da sie ja in den meisten Punkten mit Melanchthon übereinstimmten und deshalb teilweise selbst Zielscheibe der Kritik waren. Anders verhielt es sich jedoch mit Personen aus dem Gebiet BrandenburgAnsbach, die nicht beim Reichstag anwesend waren, sondern in Gestalt von Berichten bzw. Gerüchten über die Verhandlungen erfuhren und die protestantischen Zugeständnisse scharf kritisierten, so etwa Vincentius Obsopoeus 818 und Andreas Althamer 819 aus Ansbach und Johannes Eisenmenger 820 aus Schwäbisch Hall. 5.1.2.2 Die Vertreter Hessens, Lüneburgs, Nürnbergs und Reutlingens Die Vertreter Hessens, Lüneburgs, Nürnbergs und Reutlingens, die engsten Verbündeten Kursachsens und Brandenburgs und Mitunterzeichner der CA, waren die Kritiker, die ihre Vorwürfe besonders vehement vertraten. Diejenigen unter ihnen, die beim Reichstag anwesend waren, äußerten ihre Kritik in den internen Beratungen der Protestanten im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen im August und des altgläubigen Vermittlungsversuchs im Sep810 Vgl. oben Kap. 3.2.1, 3.2.2, 3.3.1.1, 3.4.1.3, 3.5.1.1+2, 3.6.1.1+3, 3.6.2.1–3, 3.6.2.5 b), 3.6.2.7, 3.9.2, 3.9.3.1, 3.9.4.1, 3.10.1.1 b), 3.10.2.1 und 3.10.4. 811 Vgl. Bucer an A. Blarer 14.8. [BC 4, 196, Z. 15] und Ehinger an den Memminger Rat 2.9. [Dobel, Ehinger, 56]: »er [sc. Luther] jst an F[ilipp] m[elanchthon] vebel zufriden«. 812 Vgl. oben Kap. 3.10.1.1 c). 813 Vgl. oben Kap. 3.6.1.1. 814 Vgl. oben Kap. 3.10.2.1. 815 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2. 816 Vgl. oben Kap. 3.5.1.3; 3.6.2.3; 3.9.3.1; 3.9.4.1, Anm. 729 und Kap. 3.10.1.1 a). 817 Vgl. oben Kap. 3.6.2.3; 3.6.2.5 b), Anm. 662 und Kap. 3.9.3.1, Anm. 718. 818 Vgl. oben Kap. 3.6.2.5 b), Anm. 662; Kap. 3.7.3 und Kap. 3.10.2.2, Anm. 780. 819 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2; Kap. 3.7.3, Anm. 681 und Kap. 3.9.4.1, Anm. 729. 820 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2; Kap. 3.6.2.1, Anm. 625 und Kap. 3.6.2.2, Anm. 635.
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tember; diejenigen, die über Berichte von den Ereignissen in Augsburg erfuhren, meldeten sich aus ihrer Heimat in Form von Briefen und Gutachten zu Wort. a) Die Vertreter Hessens Philipp von Hessen hatte sich ja bereits vor dem Reichstag skeptisch gegenüber Verhandlungen geäußert und festgelegt, daß nicht nachgegeben werden sollte. Er hatte dann zwar die CA mitgetragen und die altgläubige Antwort darauf abgewartet. Als sich allerdings abgezeichnet hatte, daß es zu Verhandlungen über die Glaubensfrage kommen würde, hatte er die Ablehnung dieser Entwicklung durch seine Abreise am 6. August dokumentiert.821 Als Kritiker Melanchthons trat er erst auf, als er über seine Gesandten von den Zugeständnissen des protestantischen Vorschlags erfuhr.822 Auch seine Vertreter in Augsburg, das heißt seine Gesandten und der Theologe Schnepf, sahen sich erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen zu Kritik an den Zusagen der Delegierten genötigt und brachten diese in den Beratungen der Protestanten zur Sprache.823 Als Philipp nach dem Reichstag bei den Theologen seines Gebiets ein Gutachten zu den Augsburger Verhandlungen in Auftrag gab, äußerten auch sie in zahlreichen Punkten ihre Ablehnung.824 b) Die Vertreter Lüneburgs Auch die Vertreter Lüneburgs, vor allem Herzog Ernst und sein Kanzler Furster, traten wie die Hessen erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen als Kritiker Melanchthons in Erscheinung und äußerten in den Beratungen der Protestanten ihre Bedenken gegenüber Melanchthons Nachgiebigkeit.825 c) Die Vertreter Nürnbergs Verschiedene Vertreter der Reichsstadt Nürnberg bildeten die größte Fraktion der Kritiker. Von den Hessen und Lüneburgern unterschieden sie sich dadurch, daß einige unter ihnen Melanchthon nicht erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen, sondern bereits früher angriffen. 821 Vgl. eine Aussage Philipps laut dem Bericht der Frankfurter Gesandten an ihren Rat vom 6.8. [Schirrmacher, Briefe und Acten, 420] und die Vermutung Melanchthons im Brief an Luther vom 8.8. [MBW 1017; MBW T 4/2, 530, Z. 11 f.]: »videtur [Landgravius] commotus indignitate actionum spem pacis abiecisse«. 822 Vgl. oben Kap. 3.2.2.2, Anm. 428; Kap. 3.5.1.2; 3.6.2.1; 3.6.2.2; 3.8.1.2; 3.9.4.1; 3.10.1.2 und Kap. 3.10.2, Anm. 780. 823 Vgl. für die Gesandten oben Kap. 3.5.1.2, 3.5.1.4, 3.6.2.1, 3.6.2.5 a), 3.7.3, 3.9.3.1 und 3.9.4.1; für Schnepf oben Kap. 3.5.1.2 und 3.6.2.1. 824 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2, 3.6.2.1, 3.6.2.2 und 3.6.2.6. 825 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2, 3.5.1.4, 3.6.2.1, 3.7.3, 3.9.3.1 und 3.9.4.1.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Erster und beständigster Kritiker Melanchthons von Nürnberger Seite war Osiander. Er äußerte seine Kritik teilweise von Nürnberg aus, teilweise aber auch in Augsburg, als er sich einige Zeit dort auf hielt. Er kritisierte Melanchthons Zurückhaltung in der CA, seine Sorgen und in einem Gutachten, das in Zusammenarbeit mit den anderen Nürnberger Theologen entstand, das nachgiebige Verhalten in den Ausschußverhandlungen.826 Neben theologischen Bedenken läßt sich seine Kritik auch durch gekränkten Stolz erklären; Osiander hatte nämlich ebenfalls eine Schrift für den Kaiser verfaßt, und man hatte ihm angekündigt, er solle damit nach Augsburg reisen. Dann entschieden sich die protestantischen Stände allerdings für Melanchthons Entwurf, so daß Osianders Reise nach Augsburg einige Tage nach Übergabe der CA eigentlich unnötig war.827 Im Rahmen der Ausschußverhandlungen traten dann auch andere Nürnberger auf den Plan und kritisierten Melanchthons Nachgeben im Ausschuß. Zunächst äußerten sich die Nürnberger Gesandten in Augsburg in den Beratungen der protestantischen Stände.828 Dabei waren sie sehr darum bemüht, die Kritik nicht nach außen dringen zu lassen, um dem Ruf Melanchthons nicht zu schaden, da sie davon ausgingen, daß dieser nicht in böser Absicht gehandelt hatte.829 Unter den Nürnberger Gesandten sticht Baumgartner hervor, der Melanchthons Verhalten in den Ausschußverhandlungen besonders scharf angriff.830 Es gibt in den Quellen allerdings keine Anhaltspunkte dafür, ihm als Motivation für seine Kritik Eifersucht vorzuwerfen.831 Die Gründe für seine überaus harten Vorwürfe sind vielmehr in seinem Gewissen zu suchen: Er berichtete, daß er Melanchthon, bei dem er studiert hatte, wie viele andere Protestanten sehr schätze, allerdings schon des öfteren Skrupel in bezug auf sein Verhalten und seine Äußerungen gehabt habe; in den Ereignissen des Augsburger Reichstags sah er nun den Zeitpunkt der Entscheidung gekommen, an dem deutlich wurde, daß ihm kein Mensch so viel wert sein könne, daß er an ihm gegen das Wort Gottes festhalte.832 826 Vgl. oben Kap. 3.3.1.3; 3.5.1.1; 3.5.1.2; 3.6.1.2; 3.6.1.3; 3.6.2.1; 3.6.2.2; 3.6.2.7; 3.7.1; 3.7.2; 3.9.4.1 und 3.10.1.1 d). 827 Vgl. Osiander an Luther 21.6. [OG 4, 59, Z. 3 ff.]: »Ego . . . scribere coactus sum apologiam . . . eo animo, ut me quoque illuc [sc. Augustam] profecturum putarem . . .; nihil certe dignum efficere possum post Philippum«. 828 Vgl. oben Kap. 3.2.2.2, Anm. 424; Kap. 3.5.1.2; 3.5.1.4; 3.7.3; 3.9.3.1 und Kap. 3.9.4.1, Anm. 728. 829 Vgl. die Nürnberger Gesandten an ihren Rat 26.8. [CR 2, 314]. 830 Vgl. oben Kap. 3.6.2.1; 3.8.1.2; 3.9.2; 3.9.3.1 und 4.2. 831 Mit Haussdorff, Lebensbeschreibung, 77 gegen Salig, Historie, 335. 832 Vgl. Baumgartner an Spengler 15.9. [CR 2, 373]: »Jch schreib solches nicht gern von ihm [sc. Melanchthon], dieweil er bisher von männiglich also groß geachtet gewesen, dabei ich es auch bleiben lassen, und gleichwohl oft wider mein Gewissen ihme hab viel zugeben. Jetzo aber ist die Probe kommen, daß mir, ob Gott will, weder Luther noch Philippus als lieb seyn soll, daß ich ihnen wider Gottes Wort wolle zufallen«.
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Kritik im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen äußerten zudem der Nürnberger Rat,833 unter ihnen vor allem der Ratsherr Hieronymus Ebner (1477–1532) 834 und der Ratsschreiber Lazarus Spengler. Letzterer unterzog die protestantischen Zugeständnisse im Ausschuß in einem Gutachten Ende August und in zahlreichen Briefen im September heftiger Kritik.835 Trotz seiner scharfen Vorwürfe versuchte er, Melanchthon in Schutz zu nehmen: Ende August verwies er auf Melanchthons Unerfahrenheit als Grund für das nachgiebige Verhalten in den Ausschußverhandlungen und betonte, daß Melanchthon noch nicht »wie Luthern durch die spieß gejagt« worden sei, in seiner allzu großen Frömmigkeit keinen Blick für die List der Gegner habe und man aus diesem Grund Geduld mit ihm haben müsse.836 Und auch in seinen Briefen vom September, in denen seine Kritik an Melanchthon noch heftiger wurde, machte er darauf aufmerksam, daß ihm dies schwerfalle, da er Melanchthon sehr achte, er ihm keine böswilligen Absichten unterstellen und nicht als »verklager« Melanchthons erscheinen wolle.837 Ein weiterer Kritiker von Nürnberger Seite war Camerarius. In späterer Zeit, in seiner Melanchthon-Biographie von 1566, sprach er diesen zwar von allen Vorwürfen frei, während des Reichstags äußerte sich allerdings auch er im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen kritisch über seinen Freund.838 d) Die Vertreter Reutlingens Vom Vertreter Reutlingens in Augsburg, Josua Weiß, ist zwar keine ausdrückliche Kritik bekannt, da er jedoch zu den ersten Unterzeichnern der CA gehörte und in den Berichten über die Kritik der drei bisher genannten Stände an Melanchthons Verhalten in den Ausschußverhandlungen oft auf die Kritik weiterer Städte verwiesen wurde, ist zu vermuten, daß sich auch Weiß in den Beratungen der Protestanten kritisch zum protestantischen Vorschlag äußerte.839 Ein weiterer Reutlinger Kritiker, der Prediger Alber, war zwar nicht persönlich beim Reichstag, erfuhr aber durch einen Bericht Melanchthons von den protestantischen Zugeständnissen im Ausschuß und lehnte diese darauf hin in einem Gutachten entschieden ab.840 833
Vgl. oben Kap. 3.7.3, Anm. 681 und Kap. 3.9.4.1, Anm. 729. Vgl. oben Kap. 3.7.3, Anm. 681 und Kap. 3.10.1.2, Anm. 771; zudem Strobel, Geschichte des Reichstags 2, 213. 835 Vgl. oben Kap. 3.2.2.2; 3.5.1.2; 3.6.1.2; 3.6.2.1; 3.6.2.2; 3.6.2.5 a); 3.6.2.7; 3.7.1; 3.7.2; 3.7.3; 3.8.1.2; 3.9.4.1; 3.10.1.2; 3.10.2.2; 3.10.4 und 4.2. 836 Vgl. das Bedenken Spenglers vor 26.8. [Haussdorff, Lebens-Beschreibung, 69 f.; Zitat 70]. 837 Vgl. Spengler an Dietrich 25.9. [Mayer, Spengleriana, 76 f.; Zitat 77]. 838 Vgl. oben Kap. 3.6.2.5 b), Anm. 663; Kap. 3.7.2; Kap. 3.7.3, Anm. 681 und Kap. 3.9.4.1. 839 Vgl. oben Kap. 1.4.6 und Gussmann, Ratschläge 1, 158. 840 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2; 3.6.2.1–3; 3.6.2.5 a); 3.6.2.6; 3.9.2, 3.9.3.1; 3.9.4.1 und 3.10.1.2. 834
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Neben inhaltlichen Bedenken war ein wichtiges Motiv der Kritik der Vertreter dieser vier Stände, daß sie sich übergangen fühlten, da der so weitreichende protestantische Vorschlag vom 20. August zwar im Namen aller Protestanten übergeben, mit ihnen allerdings vorher nicht abgestimmt worden war. Insbesondere bei den Städten fehlte jegliches Verständnis für ein Zugeständnis bei der bischöflichen Jurisdiktion, da sie sich – teilweise erst kurze Zeit zuvor – aus dem Machtbereich der Bischöfe befreit hatten.841 5.1.3 Vertreter der Zwinglianer Unter den zwinglianischen Kritikern stechen Bucer und Capito hervor, die Melanchthon sowohl aus Straßburg als auch während ihrer Anwesenheit in Augsburg ab Ende Juni heftig angriffen. Es entspricht zwar nicht den Tatsachen, wenn Melanchthon Bucer für die Verbreitung der Kritik verantwortlich machte,842 doch steckt ein Wahrheitsmoment in dieser Aussage. Bucer war nämlich 1530 einer der beharrlichsten Kritiker Melanchthons. Die Vorwürfe Bucers und Capitos richteten sich gegen Melanchthons Stellung beim kursächsischen Hof, seine zurückhaltenden Äußerungen und sein nachgiebiges Verhalten während des gesamten Reichstags, seine Grundüberzeugungen, seine Sorgen und seinen Umgang mit den Zwinglianern.843 Andere Vertreter der Zwinglianer in Augsburg wie die Straßburger Gesandten Jakob Sturm und Matthis Pfarrer (1485/86–1568) und der Memminger Vertreter Ehinger äußerten sich erst im Zusammenhang der Ausschußverhandlungen kritisch über Melanchthons Nachgiebigkeit.844 Zwingli, der durch verschiedene Personen über das Reichstagsgeschehen informiert wurde, kritisierte das sich den Altgläubigen annähernde Verhalten Melanchthons und der Lutherischen während des gesamten Reichstags.845 5.1.4 Vertreter der noch unentschiedenen, aber den Protestanten zuneigenden Reichsstädte Ulm und Augsburg Auch Vertreter Ulms kritisierten Melanchthon: Der Ulmer Prediger Sam übte Kritik an der CA, und die beiden in Augsburg anwesenden Gesandten Besserer und Schleicher stellten den protestantischen Vorschlag vom 20. August in Frage.846 841
Vgl. oben Kap. 3.6.2.1. Vgl. oben Kap. 4.1. 843 Vgl. oben Kap. 3.1, 3.3.1.4, 3.4.1.2, 3.5.1.1, 3.5.1.2, 3.6.1.1, 3.6.1.3, 3.6.1.4, 3.6.2.5, 3.7.2, 3.7.3, 3.9.1, 3.9.3.1, 3.9.4.1, 3.10.1.1 e) und 3.12. 844 Vgl. zu den Straßburgern oben Kap. 3.5.1.2, 3.6.2.1, 3.9.1 und 3.9.4.1; zu Ehinger Kap. 3.5.1.2. 845 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2 und 3.8.1.1. 846 Vgl. oben Kap. 3.2.2.2, 3.3.1.5 und 3.7.1. 842
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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Von Augsburger Seite geißelte Ende August der reformatorisch gesinnte Arzt Sailer Melanchthons Nachgiebigkeit in den Ausschußverhandlungen.847 5.1.5 Ausländische, der Reformation zuneigende Kritiker Hier ist Roselli aus Venedig zu nennen, der über den venezianischen Gesandten Tiepolo Melanchthons Brief an Campeggio zu Gesicht bekam und diesen scharf kritisierte.848 Bei ihm ist zu vermuten, daß er sich deshalb kritisch äußerte, weil es in Venedig auf Abgrenzung ankam und er kein Verständnis dafür auf bringen konnte, daß Melanchthon sich den Altgläubigen so stark annäherte. 5.1.6 Zusammenfassung Im Hintergrund der Vorwürfe der meisten protestantischen Kritiker stand die Sorge, Melanchthon gefährde durch sein Verhalten in Augsburg den Fortbestand der Reformation. Sie befürchteten sowohl Ärgernis im eigenen Kirchenvolk als auch eine Stärkung der Positionen der Altgläubigen vor Ort, die eine weitere Durchführung der Reformation hemmen könnte.
5.2 Altgläubige Kritiker Von altgläubiger Seite wurde Melanchthon immer wieder Unredlichkeit vorgehalten; entsprechende Vorwürfe erhob vor allem Cochlaeus. Er griff Melanchthon sowohl beim Reichstag als auch in den Jahren danach wegen seines Verhaltens in Augsburg scharf an und machte immer wieder auf die besondere Gefahr der Mäßigung Melanchthons aufmerksam, die die wirklichen Gegensätze der Reformation zu den Altgläubigen zu verschleiern versuche und dadurch ein Vorgehen gegen diese erschwere.849 Ähnliche Vorwürfe finden sich auch bei anderen Altgläubigen wie Eck, Erasmus und von Tetleben.850 Als Hintergrund dieser Kritik ist zu vermuten, daß die Verfechter einer harten Linie unter den Altgläubigen in Sorge waren, Vertreter des Kaiserhofes könnten sich durch Melanchthons Mäßigung zu Zugeständnissen an die Protestanten verleiten lassen und die reformatorische Bewegung damit endgültig anerkennen. Der Vorwurf der Unnachgiebigkeit, der von seiten des kaiserlichen Predigers Aegidius erhoben wurde,851 kam wohl dadurch zustande, daß man am kaiserlichen Hof enttäuscht war, daß die vielen Verhandlungen in Augsburg ohne Erfolg geblieben waren, und dafür nun einen Schuldigen suchte. 847 Vgl. oben Kap. 3.5.1.2; Kap. 3.6.2.3; Kap. 3.6.2.5 b); Kap. 3.7.1; Kap. 3.9.4.1, Anm. 729 und Kap. 3.10.1.2. 848 Vgl. oben Kap. 3.4.1.4 und 3.10.1.1 e). 849 Vgl. oben Kap. 3.3.2; 3.4.2; 3.9.3.2 und 3.9.4.2. 850 Vgl. oben Kap. 3.3.2; 3.4.2; 3.7.2 und 3.8.2. 851 Vgl. oben Kap. 3.11.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 6: Zusammenfassung zur Kritik des Jahres 1530 Im letzten Kapitel soll die Kritik des Jahres 1530 unter zwei übergreifenden Fragestellungen zusammengefaßt werden: Zum einen soll geklärt werden, welche Bedeutung den im Rahmen des Augsburger Reichstags erhobenen Vorwürfen für das Melanchthonbild zukommt. Zum anderen soll das Verhältnis zwischen altgläubiger und protestantischer Kritik näher beleuchtet werden.
6.1 Die Bedeutung der Vorwürfe des Jahres 1530 für das negative Melanchthonbild 6.1.1 Die von protestantischer Seite erhobene Kritik Einige der im Rahmen des Augsburger Reichstags erhobenen Vorwürfe richteten sich direkt gegen Melanchthon, da sein Verhalten und viele seiner Äußerungen gegenüber den Altgläubigen seinen Kritikern als zu zurückhaltend und nachgiebig erschienen. Ein großer Teil der Kritik betraf jedoch auch andere Lutherische, vor allem Vertreter Kursachsens oder Brandenburgs. Deshalb ist es nicht ohne weiteres verständlich, daß Vorwürfe wie die der Nachgiebigkeit und Ängstlichkeit vor allem an Melanchthon haften blieben und zu regelrechten Klischees werden konnten. Es lassen sich allerdings einige Faktoren benennen, die für die lange Wirkungsgeschichte der Vorwürfe des Jahres 1530 verantwortlich sind. Zum ersten waren ähnliche Vorwürfe bereits in früheren Jahren geäußert worden – zum Beispiel die Kritik an Melanchthons Verhalten gegenüber Altgläubigen und an verschiedenen Lehraussagen sowie die Vorwürfe der Ängstlichkeit und allzu großen Nachgiebigkeit –, und die Kritiker konnten im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 daran anknüpfen. Zum zweiten galt Melanchthon vielen Kritikern als Urheber in Frage stehender Verhaltensweisen wie der Nachgiebigkeit und daher als »Verführer« der anderen protestantischen Vertreter, die auf diese Weise entschuldigt wurden. Zum dritten bezogen sich die mit einer grundsätzlichen Infragestellung der Person verbundenen Kritikpunkte wie Ängstlichkeit, Glaubensschwäche und Vernunftorientiertheit vor allem auf Melanchthon und weniger auf andere Protestanten. Und die Trostbriefe Luthers von Ende Juni, in denen derartige Vorwürfe vor allem begegneten, verbreiteten sich schnell unter den deutschen Protestanten. Dafür sorgten allerdings nicht in erster Linie die Kritiker Melanchthons mit dem Willen, ihm dadurch zu schaden – wie Camerarius meinte 852 –, sondern die Briefe Luthers wurden vor allem deshalb begierig gelesen, abgeschrieben und verschickt, weil 852 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 135 f.: »Eamque [sc. epistolam] ad invidiam ipsius circumtulerunt, quum magis laudationem illa [sc. epistola], quam vituperationem Philippi contineat«.
II. Die Kritik an Melanchthon im Rahmen des Augsburger Reichstags im Jahr 1530
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Luther mit seinen deutlichen Äußerungen vielen der in Augsburg versammelten Protestanten aus dem Herzen zu sprechen schien.853 Die Kritik Luthers aus dem Jahr 1530 wurde einem noch weiteren Publikum bekannt, als Flacius sie im Kampf um das Interim gegen Melanchthon verwendete und zwei Sammlungen von Passagen aus Lutherbriefen des Jahres 1530 herausgab,854 die mehrmals nachgedruckt wurden und sich schnell unter den Protestanten verbreiteten.855 Bereits in den Titeln dieser Schriften lenkte Flacius den Blick der Leser auf verschiedene Vorwürfe, die Luther 1530 gegen Melanchthon erhoben hatte: Luther habe sich gegen seine Kollegen in Augsburg gewandt, weil sich diese ängstigten, mit ihrer Philosophie plagten und für eine Aussöhnung von Christus und Belial stritten. Flacius hoffte, durch die Edition von Luthers Aussagen Hilfen für die Probleme seiner Gegenwart bieten zu können, da er in den sogenannten »Leipziger Artikeln« von Ende 1548 eine Parallele zu Melanchthons Zugeständnissen aus dem Jahr 1530 sah.856 Die Verwendung der Kritik Luthers 853 Vgl. zur Häufigkeit von Handschriften dieser Briefe Clemen, WA Br 5, 399 und Loehr, MBW T 4 (zu Luthers Briefen); zur Verbreitung der Lutherbriefe Osiander an Linck und Schleupner 5.7. [OG 4, 109, Z. 4 f.] und 12.7. [OG 4, 115, Z. 7]; Brenz an Eisenmenger 12.7. [CR 2, 186]; Weiß an Harscher 14.7. [Jordan, Briefe, 179]; Capito an Bucer 13.9. [BC 4, 284, Z. 18] und Oekolampad an Zwingli 25.9. [CR 98, 148, Z. 9 ]; zudem den von den Bremer Predigern 1581 initiierten Druck unter dem Titel »Schöne ausserlesene Trostsprüche damit man sich in allerley Widerwertigkeit vnd gefar . . . vermöge Gottes worts zu trösten hat. Aus etlichen brieffen, so D. Martinus Luther seliger gegen Augssburgk an gute freundt geschrieben hat« (VD 16 L 3732). 854 Vgl. Corvinus an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 248–251, Nr. 286; hier 249]: »conjeci hanc editionem in Philippi ignominiam factam esse« und an Melanchthon 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 292–299, Nr. 337; hier 294]; zudem Volz / Wolgast, WA Br 14, 400 ff. 855 Vgl. Osianders »Beweisung« vom 22. 1. 1552 [OG 10, 434, Z. 17 ff.]: »darumb [durch Melanchthons Sorgen] auch D. Martinus, der heilige man, verursacht, allerley schrifft an in zu thun, wie sie auch zum theil im truck sein«; zur Wirkung der Schriften des Flacius auch Haussleiter, Flacius, 173, 177, 179 f. und 182; Hopf, Briefe von der Veste Coburg, Einleitung von 1967, 5 und Volz / Wolgast, WA Br 14, 407. 856 Vgl. die Titel der beiden Schriften des Flacius: 1. »Aliquot epistolae reverendi patris piae memoriae D. Martini Lutheri quibusdam theologis ad Augustana comitia anno 1530 scriptae de conciliationibus Christi et Belial disserentes, ex quibus multa remedia praesentibus ecclesiae morbis salutaria peti possunt. Et quaedam alia lectu digna«, Magdeburg 1549 (im selben Jahr auch in deutscher Übersetzung; mehrere Neuauflagen, u. a. 1558; vgl. VD 16 L 3724 ff.; WA Br 14, 587–592 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 87–90 und Nr. 163); 2. »Etliche tröstliche Vermahnungen in Sachen das heilige Göttliche Wort betreffend, zu dieser betrübten Zeit sehr nützlich und tröstlich zu lesen. D. Martinus Luther Anno 1530 . . . Mit diesen Sprüchen hat sich der heilige Mann und teure Held D. Martinus Luther getröstet Anno 1530, da ihn die Adiaphoristen mit ihrer philosophischen Klugheit und gottlosen Vereinigung Christi und Belials sehr geplagt und geängstigt haben«, Magdeburg 1550; diese Schrift ist gedruckt in WA 30/2, 700–710; zu weiteren Drucken VD 16 L 3729 ff.; zu Flacius’ Absichten auch die in seiner deutschen Ausgabe der Lutherbriefe angeführten »Ursachen«, das Nachwort der Briefausgaben und seine bissigen Randglossen, die in WA Br 14, 400, Anm. 3 ; 402, Anm. 9 und 402 f., Anm. 10 abgedruckt sind. Kritik an Melanchthons Zugeständnissen im Jahr 1530 finden sich auch in Flacius’ offe-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
durch Flacius trug maßgeblich dazu bei, daß die Vorwürfe Luthers ins allgemeine Bewußtsein drangen und sich so das bereits bei Veit Dietrich angelegte Klischee vom zaghaften, abweichlerischen Melanchthon und vom glaubensstarken Luther weiter verfestigte.857 Für die weite Verbreitung der Vorwürfe Luthers sprechen beispielsweise die Aussagen von Melanchthons Schüler und Freund Veit Örtel, der 1560 in seiner Rede zu Melanchthons Tod dessen Rolle beim Augsburger Reichstag im Gegensatz zu den Vorwürfen so darstellte, als habe sich Melanchthon gegenüber den Altgläubigen immer unbeugsam (animo infracto) und tapfer ( fortissime) verhalten und die protestantische Kampfes- und Todesbereitschaft zum Ausdruck gebracht.858 Ähnliches gilt auch für die rechtfertigenden Äußerungen des Camerarius in seiner Melanchthon-Biographie von 1566.859 Das Interesse an den Trostbriefen Luthers war allerdings nicht auf das 16. Jahrhundert beschränkt, sondern setzte sich auch in den kommenden Jahrhunderten fort. So wurden Luthers Briefe bzw. ihre deutschen Übersetzungen immer wieder nachgedruckt – mit Vorliebe anläßlich von CA-Jubiläen – und spendeten vielen evangelischen Christen in schwierigen Zeiten wie dem Dreißigjährigen Krieg oder dem Kirchenkampf Trost und Halt.860 Auf diesem Wege verbreiteten sich allerdings auch die gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe und beförderten eine weitere Verfestigung des Klischees vom starken Luther und schwachen Melanchthon.861 Insgesamt ist festzuhalten, daß die Vorwürfe des Jahres 1530, obwohl sie heute nicht mehr allgemein bekannt sind, zu den grundlegendsten und wirkmächtigsten gehören, die im Lauf seines Lebens gegen Melanchthon erhoben wurden. Alle Vorwürfe, die das negative Melanchthonbild (auch in späteren Jahrhunderten) bestimmen, wurden im Rahmen des Reichstags genannt und konnten später wieder aufgegriffen werden. nem Brief an ihn vom 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527–529; hier 528 f.]. 857 Vgl. Scheible, Augsburger Reichstag, 38 und Ders., Aufsätze zu Melanchthon, 418. 858 Vgl. Örtels Grabrede für Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 187–206, Nr. 7136; hier 198 ff.; bes. 198]: »Hi sermones, et eo in loco dicti, num pusillum aut languentem animum indicare videntur, quem illi malevoli falso tribuunt?«; [200]: »Philippum nostri neutiquam metuendi autorem, sed ad fiduciam in Christo et constantiam semper hortatorem fuisse«. 859 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 133 ff. 860 Im Jahr 1630 erschien die Ausgabe von Reinhold, Evangelische Frewdigkeit (vgl. dazu Hopf, Briefe von der Veste Coburg, Einleitung von 1938, VII); im Jahr 1930 erschienen gleich drei Ausgaben: Hopf, Briefe von der Veste Coburg (vgl. zur Bedeutung der Briefe für die Gegenwart Einleitung von 1938, VII und Einleitung von 1967, 5); Saathoff, Aus Luthers Coburg-Briefen und Scheurlen, Vom wahren Herzenstrost. 861 Vgl. z. B. Salig, Historie der Augspurgischen Confession 1, 202: »Melanchthon aber, gleich wie er von Natur ein weichliches Hertz hatte; also liesse er auch seiner angebohrnen Furchtsamkeit den Zügel zu weit nach. Lutheri Hertz war Felsen-fest und unerschrocken, und einem Brunnquell gleich, woraus andere lauter Muth und Hertzhaftigkeit schöpfen konnten« und Schanze, Luther auf der Coburg, 88.
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6.1.2 Die von altgläubiger Seite erhobene Kritik Ähnlich wie die von protestantischer Seite geäußerte Kritik entfalteten auch die altgläubigen Vorwürfe des Jahres 1530 auf katholischer Seite eine lange Wirkungsgeschichte. Vor allem der durch Cochlaeus erhobene Vorwurf der Unredlichkeit und Verschleierung prägte das Melanchthonbild bis ins 20. Jahrhundert.862
6.2 Das Verhältnis von altgläubiger und protestantischer Kritik Der Vergleich zwischen den Vorwürfen, die von protestantischer und altgläubiger Seite gegen Melanchthon erhoben wurden, zeigt, daß sie sich zum einen häufig an ähnlichen Verhaltensweisen Melanchthons entzündeten – wobei sie natürlich zu ganz unterschiedlichen Schlüssen kamen –, und zum anderen Gegensätzliches kritisierten. Als Beispiel für die Ähnlichkeit der Kritik können die Vorwürfe genannt werden, die sich gegen Melanchthons Milde und nachgiebige Aussagen gegenüber seinen altgläubigen Gesprächspartnern richteten. Diese wurden von den protestantischen Kritikern als zu weitgehend empfunden und deshalb als unangemessen abgelehnt. Den altgläubigen Kritikern fiel die große Reichweite von Melanchthons Verhalten und Aussagen ebenfalls auf, sie glaubten allerdings nicht an eine ehrliche Absicht hinter ihnen und interpretierten Melanchthons Milde infolgedessen als Unredlichkeit und Betrug. Die Gegensätzlichkeit altgläubiger und protestantischer Vorwürfe wird daran deutlich, daß Melanchthon von protestantischer Seite Nachgiebigkeit und von altgläubiger Seite Unnnachgiebigkeit vorgehalten wurde, was das Dilemma zeigt, in dem Melanchthon im Lauf seines Lebens immer wieder steckte. Er wollte es beiden Seiten rechtmachen und konnte so letztlich keine Seite zufriedenstellen.
862 Vgl. Wiedenhofer, Zum katholischen Melanchthonbild, 426, Anm. 11 und Schäfer, Melanchthon zwischen den Konfessionen, 147, der Cochlaeus’ Kritik an Melanchthon als moralische Hinrichtung bezeichnet.
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546 Kapitel 1: Kritik an Melanchthons Kontakten zu Vertretern Frankreichs in den Jahren 1534 und 1535 Die ersten Vorwürfe gegen Melanchthon in der Zeit nach dem Augsburger Reichstag, die sich mit konkreten Ereignissen in Verbindung bringen lassen, tauchten auf, als Vertreter Frankreichs in den Jahren 1534 und 1535 Kontakt zu Melanchthon aufnahmen und ihn um Hilfe bei religiösen Reformen in ihrem Land ersuchten.1 Anfang 1534 wandte sich Melanchthons ehemaliger Schüler, der Arzt Ulrich Geiger bzw. Chelius († 1558), an ihn. Geiger stand mittlerweile in Diensten des französischen Gesandten Guillaume du Bellay (1491–1543) und hielt sich im Januar 1534 gemeinsam mit diesem im Auftrag des französischen Königs Franz I. (1494–1547) wegen der Rückführung Herzog Ulrichs von Württemberg (1487–1550) beim Schwäbischen Bundestag in Augsburg auf. Geiger bat Melanchthon um ein Gutachten über die Religionsfrage und das Konzil für du Bellay, und Melanchthon scheint dieses Gutachten Anfang März auch verfaßt zu haben; Näheres darüber ist allerdings nicht bekannt.2 Im Sommer 1534 wandte sich Geiger erneut an Melanchthon und bat ihn im Auftrag von du Bellay um ein ausführlicheres Gutachten. Melanchthon erstellte eine solche Schrift und sandte sie am 1. August mit einem Begleitbrief an du Bellay, der sie bereits am 7. August den Pariser Theologen vorlegte. Melanchthon stellte in diesem Gutachten vor allem folgendes heraus: Zum ersten gebe es zwischen den beiden kirchlichen Lagern gar nicht so viele Kontroversen, wie die meisten meinten; zum zweiten ließen sich die bestehenden Kontroversen leicht beilegen, wenn sich boni et docti viri unter der Regie der Fürsten und Könige in Ruhe miteinander unterhielten; zum dritten gehe es den Protestanten nicht darum, den Papst und die Gewalt der Bischöfe abzuschaffen oder die alten Ordnungen unterschiedslos zu ändern, sie wünschten sich vielmehr,
1 Vgl. zu Melanchthons Frankreich-Kontakten Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 174 ff. und 191 ff. und Kohnle, Melanchthon und die Bündnisverhandlungen, 45 ff. 2 Vgl. Melanchthon an Camerarius 10. 3. 1534 [MBW 1418; MBW T 6, 62; hier Z. 8 f.].
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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die überkommenen Formen so weit wie möglich zu bewahren.3 Melanchthon hatte sein Gutachten bewußt zurückhaltend formuliert, weil er hoffte, er könne durch dieses Entgegenkommen das Gespräch mit den Franzosen über die protestantische Lehre befördern.4 Melanchthon schickte sein Gutachten am 1. August nicht nur nach Paris, sondern auch an Bucer nach Straßburg,5 der in Briefen an Geiger und Melanchthon sogleich sein Einverständnis mit Melanchthons Äußerungen bekundete.6 Als Geiger Mitte August nach Straßburg kam, konnte er Bucer dazu bringen, zusätzlich zur Zustimmung zum Gutachten Melanchthons eine eigene Schrift zu verfassen. Zudem erlangte er ein entsprechendes Schriftstück von Hedio. Beide wurden auf schnellstem Wege nach Paris transportiert.7 Melanchthons und Bucers Gutachten scheinen in Paris wohlwollend aufgenommen worden zu sein, denn sie führten unter anderem dazu, daß König Franz I. Melanchthon und Bucer 1535 zu persönlichen Gesprächen über die Religion nach Frankreich einlud.8 Melanchthon hatte sein Gutachten mit dem Titel »Ad quendam amicum de dissensionibus ecclesiasticis«9 überschrieben und durch diese Widmung an seinen Freund Geiger deutlich gemacht, daß er seine Schrift als »theologische Privatarbeit«10 verstanden wissen wollte. Ähnliche Absichten waren wohl auch dafür verantwortlich, daß Melanchthon und Bucer entgegen den damaligen Gepflogenheiten keinen Druck ihrer Gutachten veranlassten, sondern lediglich Kopien unter Freunden und Bekannten verteilten.11 Von Melanchthons Gut3 Vgl. Melanchthons Gutachten vor 1. 8. 1534 [MBW 1467; MBW T 6, 129–169]; seine Briefe an du Bellay 1. 8. 1534 [MBW 1469; MBW T 6, 172 f.]; an Camerarius 6. 9. 1534 [MBW 1489; MBW T 6, 196–198, hier 197, Z. 10 f.] und an Heresbach November 1535 [MBW 1667; MBW T 6, 513 f.; hier 513, Z. 9 ff.] und Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 641–648, Nr. 529; hier 641]; zudem Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 16 ff. 4 Vgl. Melanchthon an Bucer 1. 8. 1534 [MBW 1468; MBW T 6, 170 f.; hier 171, Z. 6 ff.] 5 Vgl. Melanchthon an Bucer 1. 8. 1534 [MBW 1468; MBW T 6, 171, Z. 5 f.]. 6 Vgl. Bucer an Geiger 17. 8. 1534 [Pollet, Bucer-Études 2, 491, Anm. 5] und an Melanchthon 27. 8. 1534 [MBW 1482; MBW T 6, 187–189; hier 188, Z. 13 ff.]. 7 Das Gutachten Bucers ist gedruckt bei Pollet, Bucer-Études 2, 509–518, Nr. 38; vgl. dazu Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 34 ff.; zum Gutachten Hedios Pollet, a. a. O., 497 f. und Seidel, a. a. O., 41 ff. 8 Vgl. zur Aufnahme der Gutachten in Paris Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 46; zur Einladung Melanchthons die Briefe an ihn von Joh. Sturm 6. 3. 1535 [MBW 1550; MBW T 6, 317–321; hier 320, Z. 55 ff.]; von Franz I. 28. 6. 1535 [MBW 1579; MBW T 6, 379–383]; von du Guise 28. 6. 1535 [MBW 1579a; MBW T 6, 384; hier Z. 11 ff.]; von Joh. Sturm 9. 7. 1535 [MBW 1585; MBW T 6, 393–397; hier 395, Z. 41 ff.] und von du Bellay 16. 7. 1535 [MBW 1587; MBW T 6, 398 f.]. 9 MBW 1467; MBW T 6, 134, Z. 1. 10 Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 18. 11 Vgl. Melanchthon an Mont 4. 10. 1535 [MBW 1640; MBW T 6, 469–473; hier 472, Z. 73 f.]; an Heresbach November 1535 [MBW 1667; MBW T 6, 514, Z. 18 ff.]; an Bucer 11. 12. 1535 [MBW 1675; MBW T 6, 530 f.; hier 531, Z. 20 f.]; Bucer an Schwebel 1535
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
achten ist zum Beispiel bekannt, daß er dem englischen Gesandten in Deutschland, Christoph Mont († 1572), der sich häufig in Wittenberg auf hielt, und seinem Freund Camerarius in Tübingen Kopien aushändigte.12 Und auch Bucer sorgte für die Verbreitung von Melanchthons Gutachten. Er sandte es zum einen, unmittelbar nachdem er selbst es erhalten hatte, an Ambrosius Blarer, der sich wegen der Reformation des Herzogtums Württemberg in Tübingen aufhielt, und bat ihn, es auch seinem Bruder Thomas in Konstanz und Herzog Ulrich zu zeigen; 13 zum anderen informierte er seinen Freund Simon Grynaeus (1493–1541) in Basel, der wiederum Antoine Morelet du Musseau (um 1500– 1552), welcher 1533 als Anhänger der neuen Lehre von Paris nach Basel geflohen war, über Melanchthons Ausführungen berichtete.14 Die Tatsache, daß sich Melanchthons Gutachten aus einer theologischen Privatarbeit zu einer Schrift entwickelt hatte, die die höchsten Stellen Frankreichs beschäftigte, führte dazu, daß es den Titel »Consilium de moderandis controversiis Religionis, scriptum ad Gallos« erhielt und verschiedentlich gedruckt wurde.15 Auf diese Weise wurden die Äußerungen Melanchthons weiten protestantischen Kreisen bekannt. Viele Protestanten, die Melanchthons Gutachten zu Gesicht bekamen, nahmen Anstoß an seinen Äußerungen und brachten teilweise heftige Kritik dagegen vor.16 Ihr Unmut wurde noch verstärkt durch das Triumphieren einiger Altgläubiger wegen der großen Nachgiebigkeit in den Gutachten von Melanchthon und Bucer.17 Zudem wuchs die Kritik infolge der Verbreitung einer stark verkürzten deutschen Zusammenfassung von Melanchthons Gutachten.18 Noch im Jahr 1534 äußerte Morelet du Musseau aus Basel seine Kritik,19 Anfang 1535 meldeten sich weitere Kritiker zu Wort: Thomas Blarer und Johannes [Centuria epistolarum, 279 f., Nr. 78; hier 280] und Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 18. 12 Vgl. Melanchthon an Mont 4. 10. 1535 [MBW 1640; MBW T 6, 471, Z. 66 ff.] und Archbold, Mont, 204; Melanchthon an Camerarius 4. 10. 1535 [MBW 1638; MBW T 6, 467 f.; hier 468, Z. 36 f.]. 13 Vgl. Bucer an A. Blarer 17. 8. 1534 [Blaurer-BW 1, 522 f., Nr. 437.2] und ca. 20. 8. 1534 [a. a. O., 526 f., Nr. 439.1 und 527, Nr. 439.2]. 14 Vgl. Morelet du Musseau an Bucer 27. 8. 1534 [Herminjard, Correspondance 3, 198– 200, Nr. 476; hier 198] und Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 31 f. 15 Vgl. Mundhenk, MBW T 6, 130 ff. 16 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 162. 17 Vgl. Zwick an Bucer 28. 1. 1535 [Hottinger, Historia 7, 666–669; hier 667 f.]; Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 641–648, Nr. 529; hier 647]; T. Blarer an seinen Bruder Ambrosius 23. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 663 f., Nr. 544; hier 663] und Frecht an A. Blarer 19. 3. 1535 [Blaurer-BW 1, 674 f., Nr. 557; hier 674]: »papistê sibi blandientes de nostra ad eos defectione«. 18 Vgl. Bucer an A. Blarer 17. 3. 1535 [Blaurer-BW 1, 672 f., Nr. 555; hier 673]; Frecht an A. Blarer 19. 3. 1535 [Blaurer-BW 1, 674]; Melanchthon an Schwebel 4. 10. 1535 [MBW 1642; MBW T 6, 474, Z. 9 f.] und an Heresbach November 1535 [MBW 1667; MBW T 6, 513, Z. 9 ff.] und Georg von Anhalt an Helt 10. 12. 1535 [Helt-BW, 100, Nr. 153]. 19 Vgl. Morelet du Musseau an Bucer 27. 8. 1535 [Herminjard, Correspondance 3, 200] und 16. 9. 1534 [a. a. O., 204–208, Nr. 478; hier 205 ff.].
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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Zwick (1496–1542) aus Konstanz,20 Johannes Lachmann (1491–1538/39) aus Heilbronn,21 Althamer aus Ansbach,22 und im Lauf des Jahres Nikolaus von Amsdorf aus Magdeburg 23 und der sich in Wittenberg auf haltende Mont 24. Inhaltlich richteten sich die Vorwürfe ähnlich wie 1530 vor allem gegen die Anerkennung des Papstes und die Zugeständnisse bei der bischöflichen Jurisdiktion und bei bestimmten (bereits abgeschafften) Zeremonien, durch die die Kritiker neue Knechtschaft befürchteten.25 Zudem wurden Melanchthons Aussagen zur Heiligenverehrung kritisiert, weil er in seinem Gutachten betont hatte, sollte Mäßigung (moderatio) gefordert sein, könne man die Ehrerbietung gegenüber den Heiligen, wie es sie in der Alten Kirche gab, beibehalten, da ja sicher sei, daß die Heiligen im Himmel für die gesamte Kirche beten.26 Aufgrund solcher Zugeständnisse erschien Melanchthon vielen als zu nachgiebig, zu vorsichtig und nicht heftig genug,27 wodurch vor allem Blarer große Gefahr und Schaden für die evangelische Sache befürchtete.28 Ferner mußte sich Me20 Vgl. zu T. Blarers Kritik, der sich auch seine Schwester Margarete (1494–1541) anschloß, die Briefe an seinen Bruder Ambrosius 22. 1. 1535 [Blaurer-BW 1, 632–635, Nr. 524; hier 634 f.] und 17. 2 . 1535 [a. a. O., 660 f., Nr. 540; hier 660]; zu Zwick seine Briefe an Bucer 28. 1. 1535 [Hottinger, Historia 7, 666–669] und an Vadian 27. 5. 1535 [Vadianische Briefsammlung 5, 222, Nr. 818] und Moeller, Zwick, 175 f.; außerdem die Zurückweisung der Vorwürfe in den Briefen von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [BlaurerBW 1, 641–648, Nr. 529]; an A. Blarer 16. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 657 f., Nr. 538; hier 657] und an T. Blarer und seine Schwester Margarete ca. 8. 1. 1536 [Blaurer-BW 1, 772–776, Nr. 672]. 21 Vgl. Bucer an Melanchthon 31. 1. 1535 [MBW 1532; MBW T 6, 286 f.; hier 287, Z. 17 f.]: »Hailbrunnenses noluerunt tuo subscribere responso in Franciam«. 22 Vgl. Bucer an Melanchthon 31. 1. 1535 [MBW 1532; MBW T 6, 287, Z. 18 f.]: »Althamerus quoque exigit palinodiam«. 23 Vgl. Georg von Anhalt an Helt 10. 12. 1535 [Helt-BW, 100, Nr. 153]: »Amstorfij propositiones . . . Videntur . . ., si consilio Philippi in Galliam misso conferantur, in multis cum eo pugnare. ac si contra hoc scriptae essent«. 24 Vgl. Melanchthons Zurückweisung der Kritik im Brief an Mont 4. 10. 1535 [MBW 1640; MBW T 6, 470, Z. 3 ff.] und dazu Scheible, MBW R 2, 210. 25 Vgl. Morelet du Musseau an Bucer 16. 9. 1534 [Herminjard, Correspondance 3, 206]; Zwick an Bucer 28. 1. 1535 [Hottinger, Historia 7, 668] und an Vadian 27. 5. 1535 [Vadianische Briefsammlung 5, 222]; T. Blarer an A. Blarer 22. 1. 1535 [Blaurer-BW 1, 634] und 17. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 660]; die Zurückweisung in den Briefen von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 644–646] und an T. und M. Blarer ca. 8. 1. 1536 [Blaurer-BW 1, 774]; zudem den Bericht in Melanchthons Brief an du Bellay 28. 8. 1535 [MBW 1611; MBW T 6, 430, Z. 28]. Zitate aus diesen Briefen finden sich im Auswertungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .4.1, Anm. 242. 26 Vgl. Melanchthons Gutachten vor 1. 8. 1534 [MBW 1467; MBW T 6, 139, Z. 197 ff.]; zur Kritik Morelet du Musseau an Bucer 16. 9. 1534 [Herminjard, Correspondance 3, 205 f.] und im Rückschluß Bucer an T. und M. Blarer ca. 8. 1. 1536 [Blaurer-BW 1, 772]. 27 Vgl. neben den genannten Äußerungen der Kritiker (bes. Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 642]) auch Melanchthon an du Bellay [MBW 1611; MBW T 6, 428–431; hier 430, Z. 24 f.]: »ipsi me largiorem aut timidiorem existimant« und an Joh. Sturm 28. 8. 1535 [MBW 1613; MBW T 6, 435–437; hier 436, Z. 4 ]: »me putant aliquanto minus vehementem aut pertinacem esse«. 28 Vgl. T. Blarer an A. Blarer 22. 1. 1535 [Blaurer-BW 1, 634] und die Zurückweisung in
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
lanchthon den Vorwurf gefallen lassen, er habe die protestantische Sache verraten und sei zur Gegenseite übergelaufen.29 Abgesehen von den inhaltlichen Zweifeln nahmen die Kritiker daran Anstoß, daß Melanchthon und Bucer derart große Zugeständnisse schriftlich und ohne das Wissen anderer protestantischer Theologen, Fürsten und Stände gemacht hatten.30 Außerdem kritisierten Blarer und Zwick die große Autorität, die Melanchthon den Kirchenvätern zukommen ließ.31 Einige Kritiker stellten schließlich Melanchthons und Bucers mit den Gutachten verbundene Erwartungen auf Frieden und Einheit in Frage und betonten, sie erreichten mit ihren Gutachten genau das Gegenteil.32 Auch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen erfuhr von Melanchthons Gutachten und unterzog ihn darauf hin scharfer Kritik: Er hielt Melanchthon zum einen (wie die anderen Kritiker) vor, er habe in dieser Angelegenheit eigenmächtig gehandelt und seine Kompetenzen überschritten; zum anderen tadelte er die Ausführungen des Gutachtens über den Laienkelch – Melanchthon hatte beiläufig gefordert, in dieser Frage solle kein Teil den anderen verdammen,33 worin Johann Friedrich eine Abkehr von den Aussagen des Jahres 153034 sah. Die Kritik an Melanchthon war sicher einer der Gründe, warum Johann Friedden Briefen von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [a. a. O., 647] und an T. und M. Blarer ca. 8. 1. 1536 [a. a. O., 772]. 29 Vgl. T. Blarer an A. Blarer 23. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 663]; die Zurückweisung im Brief von Bucer an T. und M. Blarer [Blaurer-BW 1, 772]; den Bericht in Melanchthons Brief an du Bellay 28. 8. 1535 [MBW 1611; MBW T 6, 430, Z. 26 ff.; bes. Z. 28 ff.]: »inepti et indocti interpretantur me totam causam prodidisse. Vocor transfuga, desertor« und den Rückblick in der Gedenkrede Heerbrands auf Melanchthon 15. 5. 1560 [CR 10, 293–313, Nr. 7140; hier 310]. 30 Vgl. Morelet du Musseau an Bucer 16. 9. 1534 [Herminjard, Correspondance 3, 207]: »Aequius et consultius (ut mihi videtur) fuisset, ut Philippus hanc moderationem verbis tantis iis, qui, Principum nomine, eum adierunt, commmisisset, et non scriptis mandasset; aut si scriptis, saltem nomen obticuisset« und die Zurückweisung im Brief von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 642 (Zitat) und 647]: »idque [sc. concessiones] inconsultis et magistratibus nostris et symystis«. 31 Vgl. zur Kritik den Brief von Zwick an Vadian 27. 5. 1535 [Vadianische Briefsammlung 5, 222]: »Totus est in lectione veterum. Hinc veremur, ne verbo dei paulatim successurae sint patrum auctoritates« und die Zurückweisung in den Briefen von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 648]: »Multa postremo scribis de metu tuo et malis, quae praevides inde secutura, quod patrum nobis autoritas tanta est; vereris, ut subtilissimo consilio paulatim referamus gressus in antiquam malorum Lernam« und an T. und M. Blarer ca. 8. 1. 1536 [Blaurer-BW 1, 775]. Diese Kritik richtete sich zwar hauptsächlich gegen Bucer, traf aber auch Melanchthons Gutachten (MBW 1467), das ebenfalls einige Kirchenväter-Zitate enthielt; vgl. z. B. Basilius MBW T 6, 140, Z. 205 ff.; Hieronymus 150, Z. 214 f.; Augustin 154, Z. 9 ff. und Johannes Chrysostomus 155, Z. 76 ff. 32 Vgl. Morelet du Musseau an Bucer 27. 8. 1534 [Herminjard, Correspondance 3, 200]; T. Blarer an A. Blarer 22. 1. 1535 [Blaurer-BW 1, 635] und die Zurückweisung in den Briefen von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 643] und an A. Blarer 16. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 657]. 33 Vgl. Melanchthons Gutachten vor 1. 8. 1534 [MBW 1467; MWB T 6, 167, Z. 93 f.]. 34 Vgl. dazu oben Abschnitt II, Kap. 1.4.5.2 c).
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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rich Mitte August 1535 Melanchthons Bitte um die Genehmigung einer Reise nach Frankreich 35 abschlug. Er war in Sorge, die bereits gemachten Zugeständnisse könnten dadurch einer noch breiteren Öffentlichkeit bekannt werden, die Franzosen könnten Melanchthon zu weiteren Zugeständnissen veranlassen und dadurch ihm und den Protestanten insgesamt negative Schlagzeilen bzw. Schaden verursachen.36 Um Johann Friedrichs Kritik zu verstehen, muß man wissen, daß er Verhandlungen mit König Ferdinand anstrebte und befürchtete, Melanchthons Äußerungen könnten »die kursächsische Politik der Annäherung an die Habsburger, die in dieser Phase den Vorrang vor einem französischen Bündnis hatte«, gefährden.37 Luther beobachtete den Streit über Monate und griff nicht ein. Als er allerdings im Herbst 1535 von evangelischen Predigern in Soest eine Abschrift der verkürzten deutschen Zusammenfassung von Melanchthons Gutachten erhielt, ließ er diese im Oktober als Beispiel für die Bosheit der Gegner drucken und stellte sich damit hinter Melanchthon.38 Die in Melanchthons Gutachten enthaltenen Aussagen über die Messe, wo er unter anderem betont hatte, die Form der Messe sei bei den Protestanten kaum geändert worden,39 scheinen in der Folgezeit von den Altgläubigen besonders gerne gegen die Protestanten angeführt worden zu sein, denn noch im Jahr
35 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 15. 8. 1535 [MBW 1603; MBW T 6, 415–417; bes. 416 f., Z. 41 ff.]. 36 Vgl. zur Kritik Johann Friedrichs von Sachsen seinen Brief an Brück 19. 8. 1535 [CR 2, 907–910, Nr. 1304; hier 909]: »Sorge, so Philipps in Frankreich reisen werde, er werde mit seiner großen Weisheit und Fleiß, . . . den König irgend auf eine Meinung zu bringen, viel nachlassen, das hernach D. Martinus und die andern Theologi nicht werden einräumen können«. »Zu dem ist nicht zu vermuthen, daß den Franzosen Ernst sey des Evangeliums halben, sondern weil sie die Wankelmüthigkeit bei dem Philippo spüren, daß sie werden anhalten, ihn weiter auszulernen, und darnach seine Unbestandigkeit auszubreiten, und ihn zu verunglimpfen« und das in diesem Brief enthaltene Referat der mündlichen Antwort der Räte Johann Friedrichs an Melanchthon vom 15./16. 8. 1535 [MBW 1605; MBW T 6, 418–420]; Johann Friedrich an Melanchthon 24. 8. 1535 [MBW 1610; MBW T 6, 425–428; hier 426, Z. 1 ff.]: Es ist »uns nicht wenig beschwerlich, daß ihr euch ohne unser Vorwissen dergestalt verteuft, und euch nicht zuvor bei uns erkundet, was uns darinnen gelegen hat seyn wollen«; an Franz I. 18. 8. 1535 [CT 2, 905–907, Nr. 1303; bes. 905]; Melanchthon an Jonas 18. 8. 1535 [MBW 1609; MBW T 6, 425, Z. 4 ]; an du Bellay [MBW 1611; MBW T 6, 428–431] und an Joh. Sturm 28. 8. 1535 [MBW 1613; MBW T 6, 435 f., Z. 3 f.]; außerdem Camerarius, De vita Melanchthonis, 159 f. und Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 185. 37 Kohnle, Melanchthon und die Bündnisverhandlungen, 48; vgl. auch Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 182. 38 Die Zusammenfassung ist gedruckt in WA 38, 393–395 unter dem Titel »Etliche Artickel, so von den Papisten jtzt newlich verfelscht vnd böslich gerhümet widder vns Luth risschen«; vgl. dazu Melanchthon an Bucer 11. 12. 1535 [MBW 1675; MBW T 6, 531, Z. 18 ff.]; Kawerau, WA 38, 388 ff. und Mundhenk, MBW T 6, 133. 39 Vgl. Melanchthons Gutachten vor 1. 8. 1534 [MBW 1467; MBW T 6, 137, Z. 133 ff.; bes. 138, Z. 150 f.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
1540 wandten sich die Wittenberger Theologen in einem Gutachten gegen entsprechende Äußerungen.40 Die Kritik an Melanchthons »Consilium ad Gallos« schloß unmittelbar an die Kritik des Jahres 1530 an und beförderte dadurch weiter das negative Melanchthonbild: »das des ängstlichen, wankelmütigen, zu allen Konzessionen zu bewegenden Mannes, der – seiner selbst nicht gewiß – sich ständig in Gefahr befindet, das Evangelium zu verraten«.41
Kapitel 2: Kritik an Melanchthons »Loci« von 1535 Im Jahr 1535 arbeitete Melanchthon seine »Loci« von 1521 völlig um (secunda aetas) und nahm dabei an verschiedenen Stellen einschneidende Veränderungen vor.42 Die fertige Schrift widmete er König Heinrich VIII. von England (1491– 1547).43 Diese Neuausgabe erregte vor allem auf protestantischer Seite Kritik, es gab aber auch kritische Äußerungen von Altgläubigen.44 Von den Protestanten wurden folgende Punkte angegriffen: zum ersten konkrete Inhalte, zum zweiten die Art der Darstellung, zum dritten die Widmungsvorrede an den englischen König und zum vierten Melanchthons Absichten, die man hinter dieser Schrift vermutete. Inhaltliche Kritik erhob zunächst Johannes Agricola, der sich in einer Predigt im Herbst des Jahres 1535 gegen Melanchthons Behauptung wandte, die guten Werke seien eine notwendige Frucht und Folge der Rechtfertigung,45 und in diesem Zusammenhang von einem »versalzenen Muß« sprach.46 Die Verände40
Vgl. das Gutachten der Wittenberger Theologen für die Nürnberger Geistlichen vom 17. 2 . 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 121–132; hier 128, Z. 120 ff.]. 41 Seidel, Frankreich und die deutschen Protestanten, 27. 42 Melanchthons »Loci communes theologici« von 1535 sind gedruckt in CR 21, 347–558 und in den Anmerkungen zum Druck der »Loci« von 1559 in MSA 2/1, 165–352 und MSA 2/2; vgl. zu ihnen Engelland, MSA 2/1, 164; zu den Änderungen Melanchthon an Camerarius 2. 9. 1535 [MBW 1622; MBW T 6, 446 f.; hier 447, Z. 24 f.]: »Ego nunc in Locis multa certe mitigavi«; Lohse, Reformation, 81; Matz, Willenslehre, 139 ff. und Köpf, Melanchthons Loci, 143 ff. 43 Vgl. Melanchthons Widmungsvorrede an Heinrich VIII. von März 1535 [MBW 1555; MBW T 6, 332–340]. 44 Vgl. Melanchthons Rückblick auf die Kritik an seinen »Loci« in den Briefen an Dietrich 4. 5. 1544 [MBW 3551; MBW T 13, 216 f.; hier 217, Z. 9 f.] und an Camerarius 7. 3. 1545 [MBW 3833; CR 5, 332, Nr. 2883]: »Meministi nostri theatri iudicia, qualia facta sint de me, cum ante annos decem, editis Locis Theologicis, disputassem quaedam minus horride, quam antea in ruinis monasticae doctrinae proposita fuerant«. 45 Vgl. den Abschnitt der »Loci« »De bonis operibus« [CR 21, 428–434; hier 429]: »bona opera ita necessaria sunt ad vitam aeternam, quia sequi reconciliationem necessario debent«. Ähnliche Kritik wurde 1536 auch von Amsdorf, Stifel und Cordatus erhoben; vgl. dazu unten Kap. 4. 46 Vgl. Kawerau, Agricola, 166. Entsprechende Kritik Agricolas verstummte auch in den folgenden Jahrzehnten nicht, sie wurde aber von Melanchthon immer wieder gegen ihn ins
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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rungen bei der Rechtfertigungslehre scheinen auch Osiander negativ aufgefallen zu sein, wobei er sich insbesondere am weitgehenden Fehlen von Aussagen zur effektiven Gerechtigkeit stieß.47 Ferner wurde Melanchthons Darstellung der Willensfreiheit,48 die von Luthers Fassung abwich, in Frage gestellt. Melanchthon berichtete über diese Kritik, nannte allerdings keine Namen.49 Wir wissen, daß es vor allem Amsdorf war, der mit der großen Bedeutung der menschlichen Rolle am Heilsprozeß seine Probleme hatte, auch wenn er seine Kritik nicht öffentlich äußerte, sondern lediglich in seiner unveröffentlichten »Disputatio de contingentia« und ohne Melanchthons Namen zu nennen.50 Schließlich waren auch mit der Behandlung des Abendmahls nicht alle einverstanden, und Melanchthon mußte sich 1536 von Jonas und Cruciger fragen lassen, warum er dieses Thema so »seumig vbergangen« habe.51 Luther scheint mit den Inhalten der »Loci« einverstanden gewesen zu sein, bemängelte aber die Art der Darstellung und merkte an, daß die vorige Auflage der Schrift »viel wermer vnd brunstiger gewesen« sei.52 In bezug auf Melanchthons Widmungsvorrede an König Heinrich VIII. gab es Gerüchte, Luther fühle sich dadurch verletzt. Melanchthon wies dies zwar Felde geführt und als Zeichen seines Antinomismus gewertet; vgl. Melanchthons Gutachten für Fischer von 1553 [MBW 7054; CR 8, 194 f., Nr. 5520; hier 194] und für den Rat in Nordhausen vom 12. 1. 1555 [MBW 7385; CR 8, 410–413, Nr. 5718]; seine Briefe an Flacius 4. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 839–844, Nr. 6067; hier 842]; an die niedersächsischen Geistlichen 22. 1. 1557 [MBW 8101; CR 9, 38–40, Nr. 6167; hier 40] und an August von Sachsen Mitte Januar 1558 [MBW 8494; CR 9, 403–411, Nr. 6425; hier 405]; seine Gutachten für August vom 4. 3. 1558 [MBW 8543; CR 9, 462–478, Nr. 6471; hier 474] und 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 617–629, Nr. 6602; hier 621] und seinen Brief an Mathesius 18. 8. 1559 [MBW 9034; CR 9, 902, Nr. 6803]. 47 Vgl. Osianders Rückblick in seiner Schrift »Von dem einigen Mittler« von 1551 [OG 10, 78–300, Nr. 488; hier 280, Z. 12 f.] und dazu Schulz, OG 10, 63. 48 Vgl. die Darstellung der Willensfreiheit in den »Loci« [CR 21, 373–378] und dazu Kolb, Amsdorf on Vessels, 329. 49 Vgl. Melanchthon an Camerarius 22. 12. 1535 [MBW 1678; MBW T 6, 545, Z. 16 ff.]: »De altera questione coram agam, ne ipse quidem καινοτομῶ. Sed quam multa misceant homines indocti in illa disputatione, longum esset enumerare. In locis communibus, etiam sicubi videor habere δευτέρας φροντίδας, vides me hoc agere, ut rebus obscuris et intricatis aliquid addam lucis. Οἱ γὰρ ἡμεδαποὶ πολλὰς ἀκυρολογίας ἔχουσιν ὥσπερ οἱ Στωικοὶ ἢ οἱ Πλατωνίζοντες« und dazu Scheible, MBW R 2, 226. 50 Vgl. Kolb, Amsdorf on Vessels, 330 ff. Möglicherweise gehört die indirekte Kritik Amsdorfs an Melanchthons Behandlung der Willenslehre in seinen »Colloquia Lutheri« von 1536, die Stille, Amsdorf, 97 und Reichert, Amsdorff und das Interim, 30 erwähnen, auch in diesen Zusammenhang. Ähnliche Kritik äußerte Amsdorf zudem im Blick auf die Neuauflage der »Loci« von 1541; vgl. dazu unten Kap. 14. 51 Vgl. die Darstellung des Abendmahls in den »Loci« [CR 21, 476–481] und zur Kritik den Bericht über ein Gespräch zwischen den drei Theologen im Brief von Brück an Johann Friedrich von Sachsen ca. 12. 5. 1536 [Clemen, Lutherforschung, 98–100; hier 99]. 52 Vgl. zu Luthers Lob für die »Loci«, auch in Auflagen ab 1535, Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 80; zu seiner Kritik Brück an Johann Friedrich von Sachsen ca. 12. 5. 1536 [Clemen, Lutherforschung, 99].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
entschieden zurück, es gibt aber Hinweise darauf, daß Luther die Widmung kritisch sah.53 Hinsichtlich der vermuteten Absichten Melanchthons warfen ihm namentlich nicht bekannte Kritiker vor, er bemühe sich um die Gunst der Mächtigen, und Brück hielt ihm sogar vor – allerdings wohl eher im Scherz –, er strebe nach einem Kardinalshut.54 Die Neuausgabe der »Loci« von 1535 wurde auch auf altgläubiger Seite kritisch zur Kenntnis genommen. Interessant ist hier insbesondere das Urteil des Erasmus, der Melanchthon ja inhaltlich in einigen Punkten nahestand. Er erklärte sich zwar mit Melanchthons Milderungen und Korrekturen einverstanden, bemängelte aber, Melanchthon verschweige in der Vorrede die Gründe für diese Veränderungen.55 Die Kritik an Melanchthons »Loci« von 1535 betraf vor allem Lehrfragen und knüpfte damit an die Kritik des Jahres 1527 an. Allerdings begegnete 1535 erstmals die Zusammenstellung von Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre, an seiner Behandlung der Willensfreiheit und an seinen Aussagen zum Abendmahl – drei Bereiche seiner Lehre, die bis zu seinem Tod heftig umstritten bleiben sollten.
Kapitel 3: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Wittenberger Konkordie im Mai 1536 Viele protestantische Stände waren seit 1531 im Schmalkaldischen Bund zwar politisch zusammengeschlossen, die Lehrdifferenzen, die in erster Linie Fragen des Abendmahls betrafen, standen jedoch nach dem Scheitern des Marburger Religionsgesprächs von 1529 immer noch ungelöst im Raum. Es waren insbesondere Bucer und Philipp von Hessen, denen daran lag, diese Differenzen beizulegen. Bucer bemühte sich deshalb unablässig um eine theologische Einigung zwischen Oberdeutschen und Lutherischen und verhandelte hierfür vor allem 53 Vgl. Melanchthon an Camerarius 22. 12. 1535 [MBW 1678; MBW T 6, 545, Z. 9 ff.]: »Miratus sum acumen illorum, qui suspicantur Lutherum offendi dedicatione ad Anglum propter numerum sacramentorum, ut vocant. Ego vero nondum animadverti Lutherum alienore esse animo«; zur Kritik Luthers eine Tischrede 11.–19. 6. 1540 [WA Tr 4, 640, Nr. 5067, Z. 24 f.]. 54 Vgl. Melanchthons Rückblick auf diese Kritik in Briefen an Camerarius 7. 3. 1545 [MBW 3833; CR 5, 332]: »Et erant qui me suspicabantur captare potentum favores. Noster γεφυραῖος [sc. Brück], ioco fortasse mihi obiiciebat, ambire me galerum τῶν εὐπαρύφων ἀρχιερέων« und an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217; hier 881]: »Memini quendam mihi obiicere, me ambire galerum Cardinalitium«. 55 Vgl. Erasmus an Melanchthon 6. 6. 1536 [MBW 1750; MBW T 7, 158–161; hier 159, Z. 12 ff.]: »nec displicet moderatio aut etiam correctio. Sed quoniam locos toties edidisti, verecundius erat, id in praefatione non dissimulare ac lectori rationem reddere, cur putaris quaedam aliter tractanda«.
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mit Melanchthon. Diesem wurde eine solche Übereinkunft ebenfalls zunehmend wichtig, weil er sah, daß die innerprotestantische Uneinigkeit die weitere Verbreitung der reformatorischen Bewegung behinderte.56 Einen vorläufigen Abschluß fanden die Einigungsbemühungen Bucers und Melanchthons in der sogenannten Wittenberger Konkordie vom 28. Mai 1536, mit der die Vertreter der Oberdeutschen CA und Apologie anerkannten und in der man sich auf eine Kompromißformel in der Frage des Abendmahls einigte.57 Auch im Zusammenhang dieser Einigungsbestrebungen fehlte es nicht an kritischen Anfragen an Melanchthon. Sie betrafen hauptsächlich seine Annäherung an die oberdeutsche Abendmahlsauffassung.58 So äußerte Luther Anfang Mai 1536 gegenüber Brück seine Sorge, Melanchthon könne unter dem Einfluß Philipps von Hessen zu einem Anhänger der zwinglianischen Abendmahlslehre werden, und machte darauf aufmerksam, daß er ähnliche Klagen auch von Schülern und Kollegen gehört habe.59 Als Brück dies dem Kurfürsten mitteilte, war Johann Friedrich in Sorge, Melanchthon könne bei den anstehenden Verhandlungen um eine Konkordie mit den Oberdeutschen in der Abendmahlsfrage zu viel nachgeben, und bat deshalb Luther, entsprechend auf Melanchthon einzuwirken.60 Ähnliche Ängste und Kritik verstummten auch nicht, als man sich Ende Mai auf die Wittenberger Konkordie einigte. So verweigerte beispielsweise Amsdorf seine Unterschrift unter die Vereinbarung, fällte ein vernichtendes Urteil über sie und verfaßte Anfang 1537 eine Schrift gegen die Zwinglianer61 – Kritik, mit der Melanchthon und Bucer bereits im Vorfeld ge56 Vgl. hierzu z. B. Melanchthons Aussagen im Gutachten »ad Gallos« vor 1. 8. 1534 [MBW 1467; MBW T 6, 138, Z. 146 f.] und in den Briefen an Bucer 1. 8. 1534 [MBW 1468; MBW T 6, 171, Z. 18] und an Philipp von Hessen 16. 9. 1534 [MBW 1492; MBW T 6, 202; hier Z. 29 ff.]. 57 Die Wittenberger Konkordie ist gedruckt in BDS 6/1, 120–134, Nr. 10; vgl. Maurer, Wittenberger Konkordie, 1784 f.; Staedtke, Abendmahl, 108–110; Brecht, Luthers Beziehungen, 507 ff. und Scheible, Melanchthon, 118–120. 58 Vgl. Melanchthons Aussage gegenüber Zwick während seines Aufenthalts in Tübingen im Herbst 1536, er stehe bei den Sächsischen in Verdacht, »als ob ers mit den Oberlendischen halte« [zitiert nach Moeller, Zwick, 188]. 59 Vgl. Brück an Johann Friedrich von Sachsen ca. 12. 5. 1536 [Clemen, Lutherforschung, 98 f.] und die Kritik von Jonas und Cruciger an den »Loci« von 1535 oben Kap. 2 . 60 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Luther 14. 5. 1536 [WA Br 7, 410–412, Nr. 3022; hier 411, Z. 18 ff.; bes. Z. 25 f.] und dazu Clemen, WA Br 7, 412. 61 Vgl. zu Amsdorfs Ablehnung der Konkordie Melanchthon an Dietrich 4. 7. 1536 [MBW 1759; MBW T 7, 169 f.; hier 170, Z. 8 ff.]; den Zusatz auf einer Handschrift der Konkordie [Bugenhagen-BW, 140, Nr. 58]: »Ambstorfius recusavit subscribere«. Hinweise auf Amsdorfs Schrift von 1537 »Daß ein Jeder sich vor den Sakramentsschändern und Ihrem Jrrthum zu behüten wisse« finden sich bei Meier, Amsdorf ’s Leben, 168 (leider ist die Schrift sonst nicht nachweisbar; vgl. auch Stille, Amsdorf, 114, Anm. 29); zu seiner bleibend ablehnenden Position auch den Bericht von Bugenhagen und Myconius über ein Treffen zwischen Luther und Bucer am 1. 3. 1537 [WA Tr 3, 394–398, Nr. 3544; hier 395, Z. 25 f.] (vgl. dazu Stupprich / Kroon / Rudolph, BDS 6/1, 281, Anm. 46); zur Verwunderung über Ams-
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rechnet hatten62 und von der sie noch mehr erwarteten.63 Ebenso wie Amsdorf wandten sich auch Vertreter Nürnbergs gegen die Einigung zwischen Oberdeutschen und Lutherischen. Ihre Ablehnung galt zwar in erster Linie Bucer und seiner Abendmahlslehre, man kann in ihr aber auch Kritik an Melanchthons Einigungsbestrebungen und seiner Haltung in der Abendmahlsfrage sehen.64 Der Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Wittenberger Konkordie kommt deshalb ein besonderer Stellenwert zu, weil seine Abendmahlslehre hier erstmals offen als zwinglianisch verdächtigt wurde und derartige Befürchtungen und Vorwürfe ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verstummten.65
Kapitel 4: Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre in den Jahren 1536 und 1537 Am 24. Juli 1536 hielt Melanchthons Schüler Cruciger in Wittenberg eine Vorlesung über den 1. Timotheusbrief und kam dabei unter anderem auf sein Verständnis der Rechtfertigungslehre zu sprechen: Er führte aus, Christus sei der Grund, weswegen wir gerechtfertigt würden (causa propter quam); da jedoch auch die Menschen etwas tun müßten, um den Glauben zu empfangen, könne man daneben auch die Reue und das ernsthafte Bemühen des Menschen als eine notwendige Ursache der Rechtfertigung bezeichnen (causa sine qua non).66 Der Niemegker Pfarrer Konrad Cordatus (1480/83–1546), der an der Vorlesung als dorfs Härte (rigor) Capito an Neobolus 15. 8. 1537 [Kolde, Analecta Lutherana, 306–308; hier 306] und insgesamt Stille, Amsdorf, 113 f. 62 Amsdorf hatte bereits 1535 deutlich gemacht, daß er gegen die Vermittlungsbemühungen war (vgl. unter anderem seine Schrift »Contra Zwinglianos et Anabaptistas Themata« [SMTG 3, 68–82, Nr. 6 ; hier 78–82, bes. 81, Sätze 43 ff.] und dazu Jak. Sturm an Philipp von Hessen 1. 5. 1535 [PC 2, 268, Nr. 293]; zudem Melanchthon an Bucer 23. 4. 1535 [MBW 1562; MBW T 6, 347 f.; hier Z. 3 ff.]: »De Amsdorffii ingenio coniecturam facere poteris ex libello edito contra Erasmum [sc. »Consilium et ratio epistolae de Erasmo ad Lutherum« von 1534], in quo homo infans et tetricus quomodo stomachatur. Itaque de ista causa [sc. concordia de coena domini] nondum quicquam egi cum eo«). Bucer rechnete daher im Vorfeld der Wittenberger Verhandlungen mit einer möglichen Torpedierung einer Einigung durch Amsdorf; vgl. seine Schrift »Ob zuuerhoffen, das den kirchen christi auf bawlich sein werde, wozu diser zeit die prediger des Euangelij . . . zusamen kumen« vom 14. 4. 1536 [BDS 6/1, 101–113, Nr. 9; hier 111, Z. 20 ff.]; zum Bezug auf Amsdorf Stupperich / Kroon / Ru dolph, BDS 6/1, 112, Anm. 109. 63 Vgl. Melanchthon an Jonas 21. 6. 1536 [MBW 1755; MBW T 7, 167, Z. 14]. 64 Vgl. zur Nürnberger Ablehnung der Konkordie Osiander an Luther 12. 7. 1536 [OG 6, 163–165, Nr. 223; hier 164, Z. 19 ff.]; ferner Melanchthons Briefe an Jonas 21. 6. 1536 [MBW 1755; MBW T 7, 167, Z. 12 ff.] und an Dietrich 4. 7. 1536 [MBW 1759; MBW T 7, 170, Z. 8 ff.]. 65 Vgl. zu weiterer Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre die Zusammenstellung im Auswertungsteil Abschnitt I, Kap. 1.1.5.2 c). 66 Vgl. die Akten in WA Br 7, 541, Beilage zu Nr. 3081 und dazu Hermelink, WA 39/1, 199.
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Gast teilgenommen hatte, sah in dieser Aufwertung der menschlichen Mitwirkung an der Rechtfertigung einen schweren Irrtum und wandte sich mit seiner Kritik zunächst brieflich an Cruciger.67 Als sich beide am 18. September zu einem persönlichen Gespräch in Wittenberg trafen, wies Cruciger darauf hin, daß die Vorlesung nicht von ihm, sondern von Melanchthon stamme.68 Da sich Melanchthon seit Ende August zusammen mit seinem Kollegen Jakob Milichius (1501–1559) auf einer Reise in Süddeutschland befand,69 setzte Cordatus am 19. September Luther von seiner Kritik an Cruciger und Melanchthon in Kenntnis. Luther berichtete ihm bei diesem Treffen, ähnliche Vorwürfe seien ihm auch von anderen Personen zu Ohren gekommen, und zwar von Amsdorf aus Magdeburg und dem Holzdorfer Pfarrer Michael Stifel (1487–1567).70 Nach diesem Gespräch ruhte die Angelegenheit für einige Wochen, bis Cordatus Ende Oktober wieder nach Wittenberg kam und sich sowohl mit Bugenhagen als auch mit Luther traf. Bei seinem Gespräch mit Luther wurde deutlich, daß beide in ihrer Überzeugung übereinstimmten, die von Cruciger und Melanchthon vertretene Rechtfertigungslehre stimme mit Erasmus überein und stehe im Widerspruch zur Lehre Luthers.71 Cordatus schonte zwar Melanchthon 67 Cordatus bezeichnete die von Cruciger vorgetragene Rechtfertigungslehre als papi stisch, was er unter anderem am Begriff der contritio festmachte, der seiner Meinung nach durch biblische Begriffe ersetzt werden sollte. Zudem bezeichnete er Crucigers Lehre als sophistisch und philosophisch. Vgl. Cordatus an Cruciger 20. 8. 1536 [nicht erhalten; vgl. Bretschneider, CR 3, 159, Anm. bei Nr. 1466]; 8. 9. 1536 [CR 3, 159, Anm. bei Nr. 1466] und 17. 9. 1536 [CR 3, 161, Anm. *) bei Nr. 1466]; Cruciger an Cordatus 10. 9. 1536 [CR 3, 159–161, Nr. 1466] und Hermelink, WA 39/1, 198. 68 Vgl. die Akten in WA Br 7, 541 f., Beilage zu Nr. 3081; hier 541. Die Vorlesung zum 1. Timotheusbrief wurde 1541 als Auslegung Melanchthons gedruckt und enthielt im Titel den Hinweis: »dictatus in schola Witeberg. per D. Casp. Crucigerum« (vgl. Bretschneider, CR 15, 1295/96); sie findet sich in CR 15, 1295–1380. Es war kein Einzelfall, daß von Melanchthon verfaßte Vorlesungen bzw. Reden von Schülern vorgetragen wurden (vgl. unten Abschnitt IV, Kap. 3.1). 69 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 17. 7. 1536 [MBW 1762; MBW T 7, 172 f.]; die Antwort Johann Friedrichs vom 18. 7. 1536 [MBW 1763; MBW T 7, 173 f.] und Krafft, Briefe und Documente, 77 f. 70 Vgl. die Aussage Luthers in den Akten in WA Br 7, 542, Beilage zu Nr. 3081: »Non es . . . primus, qui haec ad me detulit, sed iam hae eadem egerunt mecum Michael Stifell et Amsdorfius«; zu Amsdorf außerdem seinen Brief an Luther 14. 9. 1536 [WA Br 7, 539–541, Nr. 3801; hier 540, Z. 6 f.]: »Ille [sc. Melanchthon] in schola vehementer et supra modum urget, opera esse necessaria ad vitam aeternam«; zu Stifel seine Briefe an Melissander 1536 (vgl. von Döllinger, Reformation 3, 305, Anm. 70) und an Flacius 14. 4. 1555 [Friedensburg, Briefe Stifels, 249–251, Nr. 2 ; hier 250]: »sciant me uri propter defectionem a religione [sc. Wittenbergae]«. 71 Vgl. die Akten bei Kolde, Analecta Lutherana, 264–266; zudem Bretschneider, CR 3, 162. Der Widerspruch der Rechtfertigungslehre Crucigers und Melanchthons zur Lehre Luthers scheint ein zentrales Motiv für die Kritik des Cordatus gewesen zu sein; vgl. Cordatus an Melanchthon 6. 12. 1536 [MBW 1819; CR 3, MBW T 7, 297 f.; hier 298, Z. 23 f.] und 14. 4. 1537 [MBW 1887; MBW T 7, 421 f.; hier 422, Z. 28 f.]; zudem an Jonas 31. 12. 1536 [CR 3, 206–208, Nr. 1500; hier 207] und an Brück 17. 4. 1537 [CR 3, 352 f., Nr. 1562; hier 353]: »kann doch nicht leiden, daß so ein großer Haufe zu Wittenbergk der
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nicht mit Kritik – er weitete seine Kritik auch auf die Behauptung einer Notwendigkeit guter Werke in der Neuausgabe der »Loci« von 1535 aus, in denen er einen unangemessenen erasmianischen Einfluß sah, und warf Melanchthon vor, daß er seine neue Lehre von der Rechtfertigung nicht selbst vorgebracht, sondern einen Schüler vorgeschickt habe –, scheute aber davor zurück, Melanchthon offiziell bei Luther anzuklagen, und beließ es bei einer Anklage Crucigers.72 Melanchthon erfuhr von den Angriffen des Cordatus, aber auch von den Vorwürfen Amsdorfs, hinter denen er ebenfalls Kritik an den Aussagen seiner »Loci« von 1535 vermutete, erst, als er Anfang November von seiner Reise nach Wittenberg zurückkehrte,73 unternahm aber zunächst nichts dagegen.74 Cordatus blieb den November über ruhig, wandte sich aber Anfang Dezember mit seiner Kritik an Melanchthon und der causa sine qua non erneut an Luther und betonte seine Sorge um den Bestand des lutherischen sola fide.75 Zur gleichen Zeit schrieb er auch einen Brief an Melanchthon, in dem er Melanchthon zusätzlich zu den bisherigen Vorwürfen spöttischen Umgang mit der Lehre von der Rechtfertigung und schlechtes Verhalten gegenüber denen vorwarf, die er nicht so sehr mochte, und ihn ermahnte, er solle sich nicht vom Wittenberger Lehrkonsens entfernen und so gefährlichen Zwiespalt verursachen; er schickte dieses Schreiben allerdings nicht ab.76 Mitte Dezember schließlich wandte sich Cordatus an Jonas, der zu dieser Zeit Rektor der Wittenberger Universität war, lieben Lehr des frommen Manns Lutheri (der doch allein Doctor dieser Sache ist) Widerstand thun, . . . ohne rechte Ursache, et id occultissime«. Er war empört darüber, daß es in Wittenberg Theologen gab, die seiner Ansicht »Erasmum mortuum malunt legere, quam vivum audire et legere Lutherum«; vgl. an Cruciger 8. 9. 1536 [CR 3, 159, Anm.]. 72 Vgl. Cordatus an Luther 24. 10. 1536 [WA Br 7, 568–570, Nr. 3093; hier 568 f.] und an Rörer Ende Oktober 1536 [WA Br 7, 542 f., Beilage zu Nr. 3081; hier 543]: »locorum Philippi, qui tantum mihi displicent, quantum placent Erasmo«; außerdem Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 711. 73 Vgl. Bretschneider, CR 3, 181. 74 Vgl. z. B. Melanchthon an Luther, Jonas, Bugenhagen und Cruciger 1. 11. 1536 [MBW 1802; MBW T 7, 262–264; hier 262 f., Z. 4 ff.]; an Amsdorf Anfang November 1536 [MBW 1805; MBW T 7, 269 f.; hier 270, Z. 4 ff.]; an Dietrich 5. 11. 1536 [MBW 1808; MBW T 7, 275 f.; hier 275, Z. 4 ff.] und an Camerarius 29. 11. 1536 [MBW 1815; MBW T 7, 285 f., hier 285, Z. 5 ff.]. 75 Vgl. Cordatus an Luther 6. 12. 1536 [WA Br 7, 606–608, Nr. 3113; hier 606 f.]. Er verglich hier die causa sine qua non mit einem bösartigen Geschwür (»cancer improbus«), dem man unbedingt entgegenwirken müsse, und betonte, daß in Wittenberg die Rechtfertigung allein aus Glauben »unanimiter sine philosophicae, rhetoricae et sophisticae strophis« vertreten werden müsse; vgl. zu diesem Vorwurf auch Cordatus’ Tagebuch, 41, Nr. 174: »Caussarij nunc philosophantur de articulo Iustificationis, quorum Dux est Philippus Melanchthon«. 76 Vgl. Cordatus an Melanchthon 6. 12. 1536 [MBW 1819; MBW T 7, 297, Z. 12 ff.]: »Sunt autem istae [sc. causae censurae meae], quod neque risus tuos in tractatione rerum fidei amplius ferre possim neque serium, quo uteris erga eos, quos amas parum«; [Z. 20 ff.]: »loquor monens, ut idem loquaris nobiscum, quod tot annis, tot praelectionibus et tot editis libellis fecisti, ne fiant dissidia in perniciem plurimarum animarum, quin bella pariet haec discordia et seditiones etc«; zum Nicht-Abschicken Scheible, MBW R 2, 284.
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machte die Angelegenheit damit offiziell und forderte einen Entscheid der Wittenberger Theologen über sein Anliegen.77 Im neuen Jahr ließ Cordatus die Angelegenheit wiederum einige Monate ruhen, während seine Kritik von anderen Protestanten aufgenommen wurde. Cruciger berichtete davon, ein gewisser Georg Solmius, von dem sonst nichts Weiteres bekannt ist, habe Melanchthon im Winter mit einer Schrift angegriffen.78 Cordatus wandte sich erst Mitte April 1537 wieder an Jonas und brachte die Forderung vor, Cruciger solle seine gegen den Artikel der Rechtfertigung stehenden Äußerungen korrigieren bzw. widerrufen.79 Jonas wies in seiner Antwort alle Anklagepunkte zurück und mahnte Cordatus, seine Anfragen mit Luther und anderen privat zu diskutieren.80 Cordatus hatte zur selben Zeit auch einen Brief an Melanchthon gerichtet, in dem er seine Vorwürfe vom Dezember wiederholte und den er dieses Mal auch abschickte.81 Melanchthon antwortete ihm ausführlich: Er übernahm die gesamte Verantwortung für die Diskussion um die Rechtfertigung und bat darum, seinen Schüler Cruciger aus der Sache herauszuhalten. Er bekundete seine persönliche Enttäuschung über das Vorgehen des Cordatus, erklärte aber seine Bereitschaft zum inhaltlichen Gespräch und zu einer Verhandlung vor den Wittenberger Theologen, vor den Fürsten Johann Friedrich von Sachsen bzw. Philipp von Hessen oder vor protestantischen Predigern aus Straßburg, Nürnberg, Hamburg oder einer anderen Stadt.82 Nur wenige Tage später ließ Cordatus ein wahres Feuerwerk von Briefen ausgehen: Zunächst schrieb er erneut an Jonas und legte ihm noch einmal seine Haltung dar; 83 dann antwortete er Melanchthon, indem er dessen Vorwürfe an ihn zurückwies; 84 zudem wandte er sich durch Bugenhagen gleich zweimal an das Kollegium der Wittenberger Theologen und legte ihnen alle seine bisher in bezug auf die Kritik an Cruciger und Melanchthon verfaßten Briefe vor; 85 schließlich schrieb er an Brück und unterrichtete damit auch den kursächsischen Hof von seiner Kritik an Melanchthon.86 Ende Mai oder Anfang Juni griff Luther in den Streit ein 77 Vgl. Cordatus an Luther 16. 12. 1536 (nicht abgeschickt) [WA Br 7, 615 f., Nr. 3119; hier 616] und an Jonas 31. 12. 1536 [CR 3, 206–208, Nr. 1500]. 78 Vgl. Cruciger an Dietrich 10. 7. 1537 [CR 3, 384–387, Nr. 1589; hier 385] und 4. 8. 1537 [CR 3, 396–398, Nr. 1598; hier 396]. 79 Vgl. Cordatus an Jonas 14. 4. 1537 [CR 3, 347 f., Nr. 1560A; hier 347]. 80 Vgl. Jonas an Cordatus 15. 4. 1537 [CR 3, 348 f., Nr. 1560B]. 81 Vgl. Cordatus an Melanchthon 14. 4. 1537 [MBW 1887; MBW T 7, 421 f.] und den Bericht über die Kritik im Brief von Melanchthon an Bucer 23. 4. 1537 [MBW 1895; MBW T 7, 439; hier Z. 4 ff.]. 82 Vgl. Melanchthon an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428]. 83 Vgl. Cordatus an Jonas 17. 4. 1537 [CR 3, 349–351, Nr. 1561A; bes. 350]: »scio hanc dualitatem causarum cum simplici articulo iustificationis stare non posse«. 84 Vgl. Cordatus an Melanchthon 17. 4. 1537 [MBW 1892; MBW T 7, 434 f.]. 85 Vgl. Cordatus an Bugenhagen 17. 4. 1537 [CR 3, 352, Nr. 1561C] (zum beiliegenden Material WA Br 7, 545) und 19. 4. 1537 [CR 3, 353 f., Nr. 1563]. 86 Vgl. Cordatus an Brück 17. 4. 1537 [CR 3, 352 f., Nr. 1562; hier 353]: »Plura non pos-
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und bemühte sich um dessen Beilegung, indem er zum einen Cordatus in einem Brief darum bat, seine Verdächtigungen zu unterdrücken,87 zum anderen den Streit in Gestalt einer Promotionsdisputation zu einer sachlichen Entscheidung brachte.88 Cordatus, der an dieser Disputation teilgenommen hatte, erneuerte unmittelbar danach zwar seine Kritik an Cruciger,89 scheint in den folgenden Wochen jedoch von weiteren Vorwürfen Abstand genommen zu haben, weshalb Melanchthon von einem Waffenstillstand (indutiae) mit seinen Gegnern sprechen konnte.90 Allerdings griffen erneut andere Protestanten die Kritik des Cordatus auf. So berichteten Cruciger und Melanchthon im August von Hetzpredigten des Zwickauer Pfarrers Leonhard Beyer (ca. 1495–1552) gegen ihre Rechtfertigungslehre.91 Zudem scheint Cordatus im Herbst seine Kritik an Melanchthons »Loci« erneuert zu haben.92 Aus den folgenden Jahren ist zwar nichts über weitere Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre bekannt, doch rechnete er stets mit einem neuen Aufflammen der Vorwürfe, was zum Beispiel im Zusammenhang der Herausgabe von Luthers Vorlesung über Psalm 51 durch Dietrich deutlich wurde, den Melanchthon eindringlich vor Zusätzen im Sinne seiner eigenen Theologie warnte, da man dadurch die Kritiker erneut auf den Plan rufe.93 sum scribere quam hoc, daß die zwei Caussae mehr Leides zu Wittenbergk haben angerichtet denn gut ist«. 87 Vgl. Luther an Cordatus 21. 5. 1537 [WA Br 8, 79 f., Nr. 3153; hier 79, Z. 8 f.]. 88 Vgl. die Thesen und die nachfolgende Disputation zur Promotion von Palladius und Tilemann am 1. 6. 1537 [WA 39/1, 202–204 und 205–257; bes. 256 f.]: »Est necessaria disciplina salvandis, sed non ad salutem«; »moneo, ut ab eiusmodi vocibus abstineatis«; »Summa: Illa vox non est ferenda: necessaria ad salutem, quia obscurat et ambiguam facit sententiam de gratia et meritis Christi« und dazu Cruciger an Dietrich 10. 7. 1537 [CR 3, 384–387, Nr. 1589; hier 385] und Hermelink, WA 39/1, 198 f. 89 Vgl. Cruciger an Dietrich 10. 7. 1537 [CR 3, 385 und 387 (Beilage)]. 90 Vgl. Melanchthon an Dietrich 13. 7. 1537 [MBW 1920; MBW T 7, 472 f.; hier 473, Z. 15] und 10. 8. 1537 [MBW 1930; MBW T 7, 493 f.; hier 494, Z. 17 f.] und Cruciger an Dietrich 4. 8. 1537 [CR 3, 396–396, Nr. 1598; hier 397]. 91 Vgl. Cruciger an Dietrich 4. 8. 1537 [CR 3, 397 f.]: »alios quosdam subornat [Cordatus], qui hanc fabulam agent, hos videlicet, quos dixi, et in his etiam pastorem Zwickaviensem, hominem ver qualem! Is nuper clamose, ut solet, debacchatus est adversus nos pro concione ad vulgus in istam iam diu apud nos sepultam causam sine qua non« und Melanchthon an Myconius 21. 8. 1537 [MBW 1933; MBW T 7, 499–501; hier 500, Z. 15 ff.]: »Cordatus et eius θιασῶται incenderunt adversus me pastorem Cygneum; is stolidissime et contumeliosissime dicitur in me debacchari in publicis concionibus«; zu Beyer als Zwickauer Pfarrer im Jahr 1537 Herzog, Zwickau 2, 225 und 278. 92 Vgl. Melanchthon 12. 10. 1537 an Brenz [MBW 1952; MBW T 7, 533–535; hier 534, Z. 21 ff.]: »Quidam Cordatus nuper abiectum libellum Locorum comunium pedibus calcavit; credo, ut Aiax flagellavit pro Ulysse hircum. Quid enim ille facturus esset, si in me exercere seviciam posset?« und an Dietrich [MBW 1954; MBW T 7, 537 f.; hier Z. 7 ff.] und an T. Blarer 16. 11. 1537 [MBW 1966; MBW T 7, 560 f.; hier 561, Z. 13 ff.]. 93 Vgl. Melanchthon an Dietrich 6. 10. 1538 [MBW 2101; MBW T 8, 231–233; hier 232, Z. 7 ff.] und 9. 10. 1538 [MBW 2102; MBW T 8, 233 f.; hier 234, Z. 8 ff.]; die Edition der Vorlesung Luthers in WA 40/2, 313–470; bes. 358 f.
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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Die Kritik in den Jahren 1536 und 1537 richtete sich in erster Linie gegen Melanchthons von Luther abweichende Fassung der Rechtfertigungslehre und knüpfte damit nahtlos an die Kritik gegenüber seinen »Loci« an. Die Kritik des Cordatus führte dazu, daß auch Luther sich äußerte, und scheint viele weitere Kritiker ermuntert zu haben, ihre bis dahin nur unter der Hand geäußerten Vorwürfe offen zur Sprache zu bringen. Bemerkenswert ist allerdings, daß es trotz der Vielfalt der Kritiker und der Beharrlichkeit des Cordatus nicht zu einer offiziellen Verhandlung der strittigen Fragen kam, sondern Luther den Streit beilegen konnte, wenn auch nur äußerlich und auf Zeit.
Kapitel 5: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Bundestags von Schmalkalden im Februar 1537 In einem Brief an die Wittenberger Theologen bat Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen Mitte Dezember 1536 Luther darum, aufzuzeichnen, worin die Protestanten bei einem Konzil den Altgläubigen gegenüber nachgeben könnten, und darüber mit seinen Kollegen zu beraten.94 Luther verfaßte darauf hin seine Schmalkaldischen Artikel, in denen er die evangelische Position selbstbewußt im Gegenüber zur altgläubigen darstellte. Daß er dabei im mittleren Abschnitt Themen benannte, über die Verhandlungen nicht möglich seien (Rechtfertigung sola fide, Messe und Papsttum), kann als spätes Zurechtrücken der nach Luthers Meinung in diesen Punkten unzureichenden Äußerungen des Jahres 1530 verstanden werden.95 Als Luther diese Artikel Anfang Januar 1537 mit seinen Kollegen in Wittenberg besprach,96 kam es zwar nicht zu expliziter Kritik an Melanchthon, dessen Vorschläge in bezug auf ein Nachgeben beim Laienkelch und bei den Adiaphora ähnlich wie 1530 wurden jedoch von Luther zurückgewiesen.97 Und Melanchthons Sondervotum zu Luthers Aussagen über den Papst, man könne die ihm iure humano zukommende Obrigkeit über die Bischöfe anerkennen, stieß beim Kurfürsten auf heftige Ablehnung.98 94 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an die Wittenberger Theologen 11. 12. 1536 [MBW 1822; MBW T 7, 301–303]. 95 Die Schmalkaldischen Artikel sind gedruckt in BSLK, 405–468; vgl. zu ihrer Interpretation Leppin, Luther, 312 f.; zu Luthers Kritik von 1530 oben Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 c), 3.6.1.1 und 3.6.2.5 b). 96 Vgl. zur Wittenberger Theologenkonferenz Volz / Ulbrich, Urkunden, 3. 97 Vgl. die Artikel Melanchthons vom 1./2. 1. 1537 [MBW 1831; MBW T 7, 319 f.; bes. Z. 20 ff.] und Volz / Ulbrich, Urkunden, 71, Anm. 1. 98 Vgl. das Sondervotum Melanchthons vom 2./3. 1. 1537 [MBW 1833; MBW T 7, 322 f.; hier 323, Z. 2 ff.]: »Vom Babst . . . halt ich, so ehr das evangelium wolte zulassen, das yhm, umb fridens und gemeiner einikeit willen der ienigen christen, so auch unter yhm sind und kunfftig sein möchten, sein superioritet uber die bischove, die ehr hatt iure humano, auch von uns zuzulassen sey« und Johann Friedrich von Sachsen an Luther 7. 1. 1537 [WA Br 8, 4–6, Nr. 3125; hier 5, Z. 59 ff.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Ende Januar reiste die kursächsische Delegation zum Bundestag nach Schmalkalden. Dieser wurde am 10. Februar durch eine Rede Brücks eröffnet, in der er deutlich machte, daß bei dieser Zusammenkunft unter anderem darüber entschieden werden solle, in welchen Punkten man den Altgläubigen noch etwas nachgeben könne.99 Die Theologen erhielten von den Fürsten darauf hin folgenden Auftrag: Sie sollten die Inhalte des Augsburger Bekenntnisses untermauern, aber in keinem Fall Veränderungen vornehmen. Zudem lag den Fürsten daran, daß die Theologen ausführlich zur 1530 verschwiegenen ablehnenden Haltung der Protestanten gegenüber dem Primat des Papstes Stellung bezogen.100 Für diese Aufgabe wurde ein Ausschuß eingesetzt, der aus Melanchthon, Bucer, Urbanus Rhegius (1489–1541), Brenz und Osiander bestand. Die Abfassung einer Schrift zum Primat des Papstes wurde von diesem Ausschuß schließlich Melanchthon übertragen.101 Angesichts der Tatsache, daß Melanchthon im Vorfeld des Bundestags in dieser Frage eine von seinen Kollegen abweichende Position vertreten hatte und deswegen vom Kurfürsten kritisiert worden war, verwundert es etwas, daß man gerade Melanchthon mit dieser Aufgabe betraute.102 Mit seinen Ausführungen im »Tractatus de potestate et primatu papae«, die er selbst als recht scharf empfand, scheinen dann aber alle einverstanden gewesen zu sein; dafür spricht die Tatsache, daß der »Tractatus« am 24. Februar neben CA und Apologie von allen anwesenden Theologen unterzeichnet wurde.103 1537 wurden also Melanchthons Überlegungen zum Nachgeben beim Laienkelch und bei den Adiaphora und seine Haltung zum Papsttum wie schon 1530 und 1534/35 kritisiert.
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Vgl. zur Abreise der Wittenberger Milichius an Camerarius 4. 2 . 1537 [Clemen, Briefe aus der Reformationszeit, 91, Nr. 8 ] und zur Eröffnung des Bundestags die Gesandtenberichte bei Volz / Ulbrich, Urkunden, 147 f. und Volz / Ulbrich, a. a. O., 102, Anm. 2 . 100 Vgl. die Gesandtenberichte bei Volz / Ulbrich, Urkunden, 154; 156; 159, Anm. 36; 161; 163 und 166; Bugenhagen an Jonas 13. 2 . 1537 [Clemen, Briefe aus der Reformationszeit, 91–93, Nr. 9 ; hier 92] und Osiander und Dietrich an die Nürnberger Prediger 17. 2 . 1537 [OG 6, 218–223, Nr. 230; hier 219, Z. 14 ff.]. 101 Vgl. die Gesandtenberichte bei Volz / Ulbrich, Urkunden, 167 ff. und Volz / Ulbrich, a. a. O., 115, Anm. 1. 102 Die Vermutung von Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 414, daß man durch diese Schrift Melanchthons Glauben »auf die Probe« stellen wollte, läßt sich in den Quellen nicht nachweisen. 103 Melanchthons Traktat ist gedruckt in BSLK, 471–496; vgl. zu seiner Abfassung Melanchthons Briefe an Jonas 23. 2 . 1537 [MBW 1851; MBW T 7, 346 f.; hier 347, Z. 13]: »Id scripsi paulo, quam soleo, asperius« und an Camerarius 1. 3. 1537 [MBW 1858; MBW T 7, 362–365; hier 364, Z. 30 f.]; zur Unterzeichnung BSLK, 496–498 und zum Einverständnis der anderen Dietrich an Furster 16. 5. 1537 [CR 3, 370–372, Nr. 1476; hier 371].
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Kapitel 6: Gerüchte über Wittenberger Lehrdifferenzen und entsprechende Kritik an Melanchthon von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Mai 1537 Die nicht allenthalben bejubelte Annäherung zwischen Oberdeutschen und Lutherischen, die Streitigkeiten um die Rechtfertigung und wohl auch Melanchthons »Loci« von 1535 führten dazu, daß sich in vielen Teilen Deutschlands die Kunde verbreitete, in Wittenberg werde sich Widersprechendes (pugnantia) gelehrt.104 Im Lauf der Zeit hatte dies verschiedene konkrete Verdächtigungen Melanchthons zur Folge: Als im Sommer 1535 die Universität Wittenberg wegen einer Seuche nach Jena verlegt werden mußte, kam es zu dem Gerücht, Melanchthon habe diese Verlegung gewünscht, um seine neuen Lehren zu verbreiten,105 und im Rahmen seiner Reise nach Süddeutschland im Sommer 1536 munkelte man, er sei aufgrund seiner Lehrdifferenzen zu Luther und den anderen Wittenbergern verreist und werde nicht mehr zurückkehren.106 Die Kritik an Melanchthon seit 1534 hatte in Verbindung mit derartigen Gerüchten zudem zur Folge, daß Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen Anfang Mai 1537 Brück beauftragte, Luther und Bugenhagen seine Sorgen aufgrund der bekanntgewordenen Lehrdifferenzen vorzutragen, was dieser wohl am 5. Mai tat. Johann Friedrichs Anfragen bezogen sich zum ersten auf Crucigers und Melanchthons Rechtfertigungslehre, zum zweiten auf Melanchthons nachgiebige Haltung in der Frage des Laienkelchs, zum dritten auf seine Position in der Frage des freien Willens, und zum vierten bemängelte der Kurfüst, daß sich Melanchthon anschicke, die CA ohne seine Bewilligung und die der anderen protestantischen Stände zu ändern, zu mildern und anderweitig drucken zu lassen.107 104 Vgl. den Hinweis auf derartige Gerüchte in Hamburg im Brief von Amsdorf an Luther 14. 9. 1536 [WA Br 7, 540, Z. 5 f.]; außerdem das Protokoll der Vorhaltungen Brücks vom 5. 5. 1537 [WA Br 8, 81–85, Beilage zu Nr. 3135; hier 81, Z. 12 ff. und 83, Z. 68 f.]. Zur Verbreitung der Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre den Brief von Hoffmann an Melanchthon 4. 1. 1538 [MBW 1980; MBW T 8, 29 f.; hier 29, Z. 3 ff.]. 105 Vgl. Melanchthon an Dietrich 26. 10. 1539 [MBW 2294; MBW T 8, 571–574; hier 573, Z. 54 f.]: »ante triennium sparserant fabellam mea cupiditate factum esse, ut secederetur, me alibi novum doctrinae genus tradere«. 106 Vgl. Melanchthon an Camerarius 29. 11. 1536 [MBW 1815; MBW T 7, 285 f.; hier 285, Z. 8 ff.]: »Sparsae sunt epistolae, in quibus scriptum fuit me non esse rediturum, quia discesserim propterea, quod a Luthero et reliquis dissentiam« und an Collinus Ende März 1546 [MBW 4209; CR 6, 95 f., Nr. 3429]; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 164 f. Ähnliche Gerüchte befürchtete Melanchthon auch in späteren Jahren; vgl. an Camerarius 25. 7. 1547 [MBW 4817; CR 6, 613 f., Nr. 3949; hier 614]; an Joachim II. von Brandenburg 25. 11. 1547 [MBW 4969; CR 6, 733–835, Nr. 4077; hier 735] und an Meienburg 12. 5. 1548 [MBW 5158; CR 6, 904 f., Nr. 4238; hier 905]. 107 Vgl. das Protokoll dieser Vorhaltungen Brücks vom 5. 5. 1537 [WA Br 8, 81–85, Beilage zu Nr. 3135; bes. 81, Z. 19 ff.]; zum Plan einer Überarbeitung von CA und Apologie Melanchthon an Scarabaeus 2. 6. 1537 [MBW 1910; MBW T 7, 455 f.; hier 456, Z. 14 f.].
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Die Gerüchte und die Anfragen des Kurfürsten machen deutlich, daß sich die Kritik an Melanchthon in bestimmten Lehrfragen weit über Wittenberg hinaus verbreitet hatte und begann, sich zu festigen.
Kapitel 7: Kritik an Melanchthon im Rahmen seines Streits mit Jakob Schenck im Jahr 1537 Jakob Schenck (1508–1546), der nach der Entscheidung des sächsischen Herzogs Heinrich für die lutherische Lehre ab dem Sommer 1536 die Reformation in dessen Gebiet voranbringen sollte und hierfür als Prediger an die Residenz Heinrichs nach Freiberg berufen worden war,108 wandte sich im Januar 1537 an seinen früheren Lehrer Jonas und bat ihn um Klärung der Frage, ob man das Sakrament in einer Gestalt empfangen dürfe, falls die Obrigkeit lediglich diese Form des Abendmahls zulasse. Er skizzierte im Anschluß daran die beiden gängigen Antworten auf diese Frage: Vertreter einer milderen Haltung erwögen die Möglichkeit einer Entschuldigung vor Gott in Notsituationen, Verfechter einer härteren Position hingegen betonten, daß man das Abendmahl unter keinen Umständen anders als in der von Christus eingesetzten Form, das heißt unter beiderlei Gestalt gebrauchen dürfe.109 Eine Antwort von Jonas ist nicht erhalten. Vielleicht gab es keine solche, und Schenck richtete deshalb im März eine ähnliche Anfrage auch an seinen ehemaligen Lehrer Melanchthon.110 Dieser hob in seiner Antwort Ende des Monats hervor, daß man in der Frage des Laienkelchs die Schwachen schonen müsse und niemanden verdammen dürfe, der nur eine Gestalt des Sakraments empfange.111 Als Schenck im Zusammenhang der Reformation des Gebietes von Herzog Heinrich im Mai 1537 mit einer Visitation im Amt Freiberg begann,112 wurde ihm die Frage des Laienkelchs noch dringlicher und er wandte sich unter Nennung der beiden bereits im Brief an Jonas referierten Alternativen Mitte Mai erneut an Melanchthon.113 Dieser antwortete ähnlich wie Ende März, man müsse die Schwachen schonen, wobei man unter Schwachen solche Menschen zu verstehen habe, die gottesfürchtig, aber noch nicht ausreichend unterwiesen oder stark genug seien, wegen des Laienkelchs Verfolgung zu ertragen. Melanchthon verwies zwar darauf, daß er entsprechende Ratschläge schon des öf108
Vgl. Seidemann, Schenk, 1 f. und 11 und Flathe, Heinrich der Fromme, 602. Vgl. Schenck an Jonas 25. 1. 1537 [Vetter, Luthers Stellung, 105 f., Nr. 2 ]. 110 Vgl. den Bericht darüber im Brief von Schenck an Johann Friedrich von Sachsen 5. 10. 1537 [Vetter, Luthers Stellung, 104–109; hier 105]. 111 Vgl. Melanchthon an Schenck 29. 3. 1537 [MBW 1878; MBW T 7, 404 f.; hier 405, Z. 11 ff.]. 112 Vgl. Seidemann, Schenk, 17 und 20 ff. 113 Vgl. Schenck an Melanchthon ca. Mitte Mai 1537 [MBW 1903; MBW T 7, 446–448]. 109
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teren erteilt habe, bat Schenck aber darum, seinen Brief geheimzuhalten.114 Als Spalatin, der Schenck zu Beginn der Visitation unterstützt hatte, Ende Mai Freiberg verließ, übergab er ihm als Hilfe für seine Arbeit den »Unterricht der Visitatoren« von 1528, den Schenck bisher nicht gekannt hatte. Beim Lesen dieser Schrift stieß er sich an der (von Melanchthon stammenden) Aussage, man dürfe die Schwachen im Glauben nicht zum Laienkelch zwingen,115 und wandte sich mit den Zweifeln an dieser Stelle Anfang Juni nicht nach Wittenberg, sondern an Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen – vielleicht deshalb, weil dessen Vater Johann 1528 für die Drucklegung des »Unterrichts« verantwortlich gewesen war. Schenck verlieh seiner Sorge Ausdruck, Nonnen und Mönche in seinem Gebiet könnten sich auf die besagte Stelle des »Unterrichts« berufen und auf dieser Grundlage von ihm das Abendmahl unter einer Gestalt begehren. Er bat den Kurfürsten, dafür zu sorgen, daß der »Unterricht« ohne die kritisierte Aussage neu gedruckt werde.116 Der Kurfürst ging auf diesen Brief nicht selbst ein, sondern verwies Schenck an Spalatin, der ihm wohl den Hinweis gab, sich in Fragen des Abendmahls Rat bei den Wittenberger Theologen zu holen.117 Die Kunde von diesen Differenzen in der Frage des Laienkelchs scheint sich schnell verbreitet zu haben, denn Mitte Juli berichtete der Wittenberger Landvogt Hans Metzsch († 1549) dem Kurfürsten von einem Zwiespalt zwischen Schenck, Jonas und Melanchthon in Fragen des Abendmahls, aber auch bei anderen Glaubensartikeln und referierte die Ansichten Schencks: Nach dessen Willen solle man »offentlich schreiben, predigen vnd leren, Das es wider die heilige schrifft, vnd vnrecht sey, wan man das Sacrament des altars . . . vnter einer gestalt neme, vnd sey niemants zuerleüben«. Zudem sorge er sich für die Zeit nach Luthers Tod darum, daß man »aus dem heiligen Sacrament eine Ceremonia« mache, die dispensierbar sei. Darüber hinaus habe Schenck Bedenken bei weiteren Lehrartikeln, weil diese nicht klar genug dargestellt würden und deshalb in verschiedene Richtungen gedeutet werden könnten – er meinte damit wohl unter anderem die bereits von Cordatus und anderen kritisierte Darstellung der Rechtfertigungslehre bei Melanchthon. Schenck wolle nicht schweigen, bis er aus der Heiligen Schrift widerlegt werde. Metzsch bat den Kurfürsten abschließend, sich um diese Sache zu kümmern, damit nicht Beschwerungen aus dem Zwiespalt entstünden.118 Kurfürst Johann Friedrich sah 114
Vgl. Melanchthon an Schenck 20. 5. 1537 [MBW 1904; MBW T 7, 448 f.]. Vgl. zum »Unterricht der Visitatoren« oben Abschnitt I, Kap. 4.1.2; die entsprechende Stelle zum Laienkelch findet sich in MSA 1, 238, Z. 28 ff.; zu Schenck Seidemann, Schenk, 22 f. 116 Vgl. Schenck an Johann Friedrich von Sachsen 8. 6. 1537 [Seidemann, Schenk, 151– 155, Nr. 6 ; hier 151–153]. 117 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Schenck 10. 6. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 84] und Seidemann, Schenk, 23. 118 Vgl. Metzsch an Johann Friedrich von Sachsen 19. 7. 1537 [Seidemann, Aus der Reformationszeit, 253 f., Nr. 1; Zitat 253]; zum Bezug auf die Rechtfertigungslehre Seide115
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sich aufgrund dieses Schreibens in der Pflicht, für eine Beilegung des Streits zu sorgen, und beauftragte deshalb Ende Juli Brück, über Mittel und Wege nachzudenken, wie man in aller Stille einen Ausgleich zwischen den streitenden Parteien schaffen könne. Er selbst drückte aber schon jetzt Brück gegenüber seinen Ärger über Melanchthon aus, da dieser etwas zu lehren wage, was nicht der CA gemäß sei.119 Gleichzeitig bat er Jonas und Melanchthon, den Streit nicht weiter anzuheizen.120 Schenck wandte sich indessen Mitte bis Ende August erneut an Melanchthon und bat in zwei Anfragen um eine nähere Erläuterung der Dispensmöglichkeit beim Abendmahl, von der Melanchthon in seiner Antwort vom Mai gesprochen hatte.121 Hierauf antwortete Melanchthon zunächst mündlich, dann schriftlich und wiederholte seine bisherige Position.122 Ende August meldete sich Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen wieder zu Wort, bat Luther um die Beilegung des Streits und zitierte hierfür Schenck nach Wittenberg. Luther war zur Vermittlung bereit, äußerte aber Zweifel daran, ob Schenck nach Wittenberg kommen werde.123 Anfang September schien Schenck klarzuwerden, daß er sich in einer mißlichen Lage befand, und so richtete er Briefe an Melanchthon, Jonas, Luther, Brück und Metzsch, in denen er sich rechtfertigte, über seine Gegner beschwerte und deutlich machte, daß er nicht nach Wittenberg kommen werde.124 Brück und Johann Friedrich bemühten sich nichtsdestoweniger im Lauf des September weiter um die Beilegung des Streits durch eine Zusammenkunft aller Beteiligten in Wittenberg, wobei sich Luther immer deutlicher negativ über Schenck
mann, a. a. O., 254, Anm. *). Einen Zusammenhang zwischen Cordatus und Schenck vermutete auch Melanchthon selbst; vgl. seinen Brief an Dietrich 23. 7. 1537 [MBW 1922; MBW T 7, 474 f.; hier 475, Z. 9 f.]. 119 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Brück 27. 7. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 84 und 87]. 120 Vgl. die dem Brief an Brück beiliegenden Kredenzbriefe Johann Friedrichs von Sachsen an Jonas und Melanchthon vom 27. 7. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 87; nicht in MBW]. 121 Vgl. Schenck an Melanchthon 15. 8. 1537 [MBW 1932; MBW T 7, 498 f.] und zu einer weiteren, nicht erhaltenen Anfrage Scheible, MBW R 2, 331. 122 Vgl. zur mündlichen Antwort Scheible, MBW R 2, 331 und Melanchthon an Schenck 30. 8. 1537 [MBW 1935; MBW T 7, 503 f.]. 123 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Brück 20. 8. 1537 [Seidemann, Aus der Reformationszeit, 255, Nr. 2 ] und an Schenck 27. 8. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 89 f.]; Brück an Johann Friedrich von Sachsen 27. 8. 1537 [Seidemann, a. a. O., 256, Nr. 3 ]; Johann Friedrich von Sachsen an Brück 27. 8. 1537 [nach Vetter, a. a. O., 89 f.] und Vetter, a. a. O., 91. 124 Vgl. Schenck am 1. 9. 1537 an Melanchthon [MBW 1938; MBW T 7, 511 f.]; an Jonas [WA Br 8, 119, Beilage zu Nr. 3174]; an Luther [WA Br 8, 115–119, Nr. 3174] und an Brück und Metzsch [WA Br 8, 120, Beilage zu Nr. 3174] und an Brück 5. 9. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 93].
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und die zu vermutenden Beweggründe seiner Kritik äußerte und Melanchthons Äußerungen über den Laienkelch relativierte.125 Anfang Oktober wandte sich Schenck nochmals an den Kurfürsten: Er berichtete ausführlich über seinen Briefwechsel mit Jonas und Melanchthon und erneuerte dabei seine Kritik an Melanchthons Haltung in der Abendmahlsfrage. Zudem legte er dar, daß er Freiberg derzeit wegen des starken altgläubigen Widerstands nicht verlassen könne.126 Melanchthon hatte zunächst versucht, der Kritik seines ehemaligen Schülers Schenck gelassen zu begegnen, konnte aber seinen Ärger über ihn nicht bremsen, weil dieser seinem Empfinden nach die Anfragen in hinterlistiger Absicht an ihn gerichtet und dann einen ihm persönlich erteilten Rat an den Kurfürsten weitergegeben und anderweitig öffentlich gemacht und damit sein Vertrauen mißbraucht hatte.127 Deshalb griff er ihn – ohne allerdings seinen Namen zu nennen – am 6. Oktober in einer von ihm anläßlich der Magisterpromotion eines Studenten verfaßten Rede über die Undankbarkeit des Kuckucks scharf an.128 Im Gegensatz zu Luther erwartete Melanchthon, daß Schenck nach Wittenberg kommen und der Kurfürst über seine Beschwerde durch eine abschließende Stellungnahme entscheiden werde.129 Dazu kam es aber nicht, wohl weil sich Luther in einem Gespräch mit Brück Mitte Oktober weiterhin äußerst negativ über Schenck aussprach, dazu riet, die Sache ruhen zu lassen, und anbot, mit Melanchthon selbst über die in Frage stehenden Themen zu sprechen. Inhaltlich stimmte Luther nämlich in der Frage des Laienkelchs mit Schenck überein und veranlaßte deshalb Anfang 1538 auch eine Neuausgabe des »Unterrichts« mit einem zusätzlichen Vorwort und entsprechenden Änderungen der 125 Vgl. den Besuch Brücks bei Luther am 4. 9. 1537 und dazu Vetter, Luthers Stellung, 93 f.; Brück an Johann Friedrich von Sachsen 5. 9. 1537 [nach Vetter, a. a. O., 94]; Johann Friedrich 12. 9. 1537 an Brück [nach Vetter, a. a. O., 95] und an Schenck [nach Vetter, a. a. O., 95]; an Herzogin Katharina von Sachsen 14. 9. 1537 [nach Vetter, a. a. O., 95]; 15. 9. 1537 an Jonas und Melanchthon [MBW 1940; MBW T 7, 514] und an Brück [nach Vetter, a. a. O., 95] und 16. 9. 1537 an Luther [WA Br 8, 123–126, Nr. 3176] und an Schenck [nach Vetter, a. a. O., 96]. 126 Vgl. Schenck an Johann Friedrich von Sachsen 5. 10. 1537 [Vetter, Luthers Stellung, 104–109, Nr. 2 ; bes. 105 und 108]. 127 Vgl. Cruciger an Dietrich 4. 8. 1537 [CR 3, 396–398, Nr. 1598; hier 397]; Melanchthon an Myconius 21. 8. 1537 [MBW 1933; MBW T 7, 499–501; hier 500 f., Z. 25 ff.]; an Dietrich 18. 9. 1537 [MBW 1941; MBW T 7, MBW T 7, 514 f.; hier 515, Z. 4 ff.] und an Brenz 12. 10. 1537 [MBW 1952; MBW T 7, 533–535; hier 534, Z. 24 ff.]. 128 Vgl. die Rede »De ingratitudine cuculi« vom 6. 10. 1537 [CR 11, 335–342, Nr. 46]; zum Bezug auf Schenck Bindseil, CR 21, 251/252 und Seidemann, Schenk, 26. 129 Vgl. Melanchthon 6. 10. 1537 an Dietrich [MBW 1947; MBW T 7, 524; hier Z. 5 f.] und an Myconius [MBW 1948; MBW T 7, 525 f.; hier 526, Z. 33 ff.]; 12. 10. 1537 an Camerarius [MBW 1953; MBW T 7 535–537; hier 535 f., Z. 16 ff.] und an Dietrich [MBW 1954; MBW T 7, 537 f.; hier 538, Z. 10 f.]; an Dietrich 13. 10. 1537 [MBW 1956; MBW T 7, 539–541; hier 540, Z. 10 ff.] und an Camerarius 16. 10. 1537 [MBW 1958; MBW T 7, 542 f.; hier 543, Z. 4 f.].
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Aussagen über den Laienkelch.130 Als Johann Friedrich von dem Gespräch zwischen Brück und Luther erfuhr, wandte er sich ein letztes Mal an Schenck und forderte ihn auf, die Sache auf sich beruhen zu lassen.131 Schenck disqualifizierte sich vollends, als er sich im November den neuerlichen antinomistischen Attacken Johannes Agricolas anschloß und alle diejenigen angriff, die den Dekalog predigten. So konnte Melanchthon Ende November auch in bezug auf diesen Streit von einem Waffenstillstand (indutiae) sprechen.132 Eine Lehre, die Melanchthon aus diesem Streit zog, war, daß er in den kommenden Jahren bei schriftlichen Antworten auf Anfragen Vorsicht walten ließ, um nicht noch einmal infolge der Verbreitung und Verallgemeinerung eines persönlich gemeinten Ratschlags angegriffen zu werden.133 Die Vorwürfe bezüglich Melanchthons Haltung zum Laienkelch, welche ja schon einige Male in Frage gestellt worden war, wurde im Zusammenhang seines Streits mit Schenck zum ersten Mal öffentlichkeitswirksam. Bemerkenswert ist zudem, daß es wiederum Luther war, der für eine Beilegung bzw. Unterdrückung des Streits sorgte.
Kapitel 8: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang eines an ihn gerichteten Briefes von Sadoleto im Juni 1537 Im Juni 1537 schrieb der italienische Humanist Jacopo Sadoleto (1477–1547), der seit 1536 als Prälat von Papst Paul III. (1468–1549) in Rom war, einen Brief an Melanchthon, in dem er ihn seiner Wertschätzung und seiner Freundschaft versicherte, die trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten bestünden, und um Erwiderung der Freundschaft bat.134 Melanchthon hatte grundsätzlich vor, Sadoleto zu antworten, betonte aber in den folgenden Monaten immer wieder, daß 130 Vgl. den Brief von Brück an Johann Friedrich von Sachsen vom 10. 10. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 100 f.; hier 100], in dem er über ein Gespräch mit Luther berichtete, und die Beilage zu diesem Brief [Vetter, a. a. O., 103 f., Nr. 1]. Zur Uneinigkeit zwischen Luther und Melanchthon in der Frage des Laienkelchs auch Melanchthon an Schenck 20. 5. 1537 [MBW 1904; MBW T 7, 449, Z. 20 f.]. Die Neuausgabe des »Unterrichts« von 1538 ist gedruckt in WA 26, 195–201 unter dem Sigel II. 131 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Schenck 11. 10. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 102]. 132 Vgl. zu Schenck Melanchthon an Myconius 6. 11. 1537 [MBW 1962; MBW T 7, 552 f.; hier 553, Z. 18 f.]: »Fribergicus δημαγωγὸς satis ineptit. Acerrime vituperat praedicantes decalogum«; an T. Blarer 16. 11. 1537 [MBW 1966; MBW T 7, 560 f.; hier 561, Z. 16 f.]; an Dietrich 25. 11. 1537 [MBW 1968; MBW T 7, 563–565; hier 563, Z. 12 ff.] und 7. 12. 1537 [MBW 1971; MBW T 7, 569–571; hier 569, Z. 7 f.] und an Camerarius 31. 3. 1538 [MBW 2014; MBW T 8, 78–82; hier 79 f., Z. 35 ff.]; zu Agricola unten Kap. 10. 133 Vgl. Melanchthon an Bording 17. 7. 1545 [MBW 3955; CR 5, 794 f., Nr. 3223; hier 794]: »occurrent, ut fit, multa particularia, de quibus respondere per literas, quae deinde velut decreta καὶ ψηφίσματα circumferuntur, periculosum est«. 134 Vgl. Sadoleto an Melanchthon 17. 6. 1537 [MBW 1913; MBW T 7, 459–463].
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er nicht dazu komme,135 und trotz der Klagen Sadoletos über sein Schweigen scheint Melanchthon auch in späterer Zeit nicht reagiert zu haben.136 Melanchthon hielt diesen Brief nicht geheim, sondern gab ihn an seine Freunde Camerarius in Tübingen und Dietrich in Nürnberg weiter und ging davon aus, daß er dadurch auch ihren Kollegen, das heißt zum Beispiel Osiander, bekannt würde.137 Zudem wurde der Brief auch von anderen Wittenbergern verbreitet.138 Auf diese Weise wurde Sadoletos Brief vielen bekannt und führte zu neuer Kritik an Melanchthon. Zum einen geriet auf protestantischer Seite seine Glaubwürdigkeit unter Verdacht – von den protestantischen Kritikern ist uns allerdings nur Osiander namentlich bekannt.139 Zum anderen führte der Brief auch auf altgläubiger Seite zu neuerlichen Vorwürfen gegen Melanchthon und seine angebliche Unbeständigkeit. So warf ihm Cochlaeus im Oktober 1537 vor, er habe Sadoleto so stark getäuscht, daß dieser zu einer völlig falschen Einschätzung seiner Person gekommen sei.140 In ähnlicher Weise äußerte sich auch Fabri in einem Brief an Sadoleto vom Januar 1538, in dem er Melanchthon mit zwei Göttern verglich, die beide Verwandlungsfähigkeit und Unbeständigkeit symbolisierten – mit dem ehemals etrurischen Gott des Wandels Vertumnus und dem Diener des Poseidon Proteus, der sich in verschiedene Gestalten verwandeln konnte141 –, und verdeutlichte, daß bei Melanchthon trotz eines vielleicht gegenteiligen Eindrucks keinesfalls damit zu rechnen sei, daß man ihn wieder auf den rechten Weg bringen könne.142 135 Vgl. Melanchthon an Dietrich 10. 8. 1537 [MBW 1930; MBW T 7, 493 f.; hier 494, Z. 16 f.]; an Camerarius 12. 10. 1537 [MBW 1953; MBW T 7, 536, Z. 38 f.]; an Dietrich 13. 2 . 1538 [MBW 1997; MBW T 8, 55–57; hier 57, Z. 30 f.] und an Camerarius 31. 3. 1538 [MBW 2014; MBW T 8, 79, Z. 22 ff.]. 136 Vgl. zu den Klagen Sadoletos Melanchthon an Dietrich 13. 2. 1538 [MBW 1997; MBW T 8, 57, Z. 26 ff.] und an Camerarius 31. 3. 1538 [MBW 2014; MBW T 8, 79, Z. 24 ff.]; zudem Cruciger an Dietrich 14. 2 . 1538 [CR 3, 495 f., Nr. 1653; hier 496]; zum Fehlen einer Antwort Camerarius, De vita Melanchthonis, 173. 137 Vgl. Melanchthons am 5. 8. 1537 an Camerarius [MBW 1928; MBW T 7, 490 f.; hier 491, Z. 8 f.] und an Dietrich [MBW 1929; MBW T 7, 491–493; hier 492, Z. 24 f.] und an Osiander 10. 8. 1537 [MBW 1931; MBW T 7, 494–497; hier 497, Z. 35 f.]. 138 Vgl. Walduf an Roth 9. 8. 1537 [Buchwald, Wittenberger Stadt- und UniversitätsGeschichte, 130, Nr. 154]. 139 Vgl. Melanchthon an Dietrich 12. 10. 1537 [MBW 1954; MBW T 7, 537 f.; hier 538, Z. 17 f.]: »nec me movet, quod ille [sc. Osiander] de me secus suspicatur propter Sadoleti literas« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 173: »Inter alia et hoc crimen sustinendum ei fuit, quod literas ad ipsum ex Italia mitterentur ab iis, quos caussae esse inimicos constaret. Quod suspiciosum esse isti volebant, et caussam afferre dubitandi de voluntate et fide Philippi«. 140 Vgl. Cochlaeus an Aleander 7. 10. 1537 [Friedensburg, Briefwechsel 2, 274–278, Nr. 49; hier 276]. 141 Der Vergleich mit Vertumnus konnte schon in der Antike für einen unbeständigen Menschen verwendet werden; vgl. Horaz, Satiren 2, 7, 14 und dazu die Ausgabe der Satiren von Kiessling / Heinze, 321; zu Proteus oben Abschnitt I, Kap. 5.3.2.2. 142 Vgl. Fabri an Sadoleto 28. 1. 1538 [Friedensburg, Briefwechsel 4, 244–247, Nr. 162]. Entsprechende Hoffnungen auf eine Wiedergewinnung Melanchthon scheinen damals bei
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Die Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des an ihn gerichteten Briefs von Sadoleto macht deutlich, daß sich das negative Melanchthonbild bei einigen Protestanten und vor allem bei bestimmten Altgläubigen schon so sehr gefestigt hatte, daß allein die wertschätzenden Aussagen Sadoletos ausreichten, daß Melanchthons Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen wurde und Kritiker alte Kritikpunkte wie den Vorwurf der Unbeständigkeit wieder aufgriffen.
Kapitel 9: Kritik von Veit Amerbach an Melanchthon in den Jahren 1537 bis 1542 In den Jahren 1537 bis 1542 trat Melanchthons ehemaliger Schüler Veit Amerbach, der seit 1530 als Philosophie-Professor an der Wittenberger Universität tätig war,143 immer wieder als Kritiker in Erscheinung. Die Kritik bewegte sich zunächst auf persönlicher, später dann auch auf theologischer Ebene, wobei nicht ganz klar ist, warum er Melanchthon angriff und wogegen sich seine Kritik richtete. Erstmals griff er Melanchthon im Sommer 1537 an und beschimpfte ihn im Rahmen einer Vorlesung.144 Im Sommer 1538 betonte er in einer der wegen Simon Lemnius (um 1511–1550) abgehaltenen Senatssitzungen, anstelle von diesem sollte besser Melanchthon aus der Universität ausgeschlossen werden, und verwies auf Melanchthons Rede gegen Schenck vom Oktober 1537.145 Ab 1539 kam es dann auch zu theologischen Auseinandersetzungen zwischen Melanchthon und Amerbach, die teilweise von Amerbachs eingehenden Kirchenväterstudien herrührten.146 Zunächst griff Amerbach Melanchthons Thesen »De concupiscentia« an.147 1541 veröffentlichte er seine »Antiparadoxa« und zahlreichen (humanistisch gesonnenen) Altgläubigen vorhanden gewesen zu sein, vgl. z. B. von Kampen an Dantiscus 12. 6. 1537 [Teilabdruck bei Hipler, Kopernikus und Luther, 58, Anm. 9 ]. 143 Vgl. zu Amerbach Frank, Amerbach, 103. 144 Vgl. Cruciger an Dietrich 10. 7. 1537 [CR 3, 384–387, Nr. 1589; hier 386]: »Philippus praeterea etiam habet suum quendam Thersiten, qui physica praelegit; nondum enim desinit subinde in praelectione ipsum sugilare«; zur negativen Konnotation von Thersites, dem aufgrund seiner Lästerzunge berüchtigten Griechen vor Troja, Melanchthon in seinem »Liber de anima« von 1553 [CR 13, 5–178; hier 87] und Georges, Handwörterbuch 2, 3107. 145 Vgl. zur Kritik Amerbachs Dietrich an Camerarius 8. 7. 1538 [Fischer, Trolmann, 137 f., Nr. 1; hier 137]; zu Lemnius unten Kap. 11 und zu Melanchthons Rede gegen Schenck oben Kap. 7. 146 Vgl. zur Kritik Amerbachs an der Lehre allgemein Cruciger an Dietrich 14. 5. 1542 [Fischer, Trolmann, 149–151, Nr. 9 ; hier 150]; Melanchthon an Alesius 8. 7. 1542 [MBW 3001; MBW T 11, 216; hier Z. 11 ff.] (zum Bezug auf Amerbach Scheible, MBW R 3, 299) und seine Vorrede zu Luthers Micha-Kommentar vom 22. 10. 1542 [MBW 3070; MBW T 11, 300–304; hier 301, Z. 17 ff.]. 147 Vgl. Melanchthons undatierte Thesen »De concupiscentia« [CR 12, 439–441, Nr. 2 ]; zur Kritik Amerbachs Melanchthon 23. 11. 1539 an Camerarius [MBW 2314; MBW T 8, 620–622; hier 622, Z. 36 f.] und an Dietrich [MBW 2315; MBW T 8, 622 f.; hier 623,
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kritisierte in der Vorrede jegliche Art von Schmeichelei und wandte sich gegen Theologen, die von Christus und der ihm entsprechenden Weise nur Worte machten, deren Leben aber von schlechten Eigenschaften geprägt sei.148 Diese Vorrede erregte bei allen Reformatoren Ärgernis, Melanchthon jedoch nahm die Vorwürfe persönlich und brachte im April 1542 in einem Brief an Amerbach zum Ausdruck, wie er sie verstand, indem er betonte, er kämpfe weder über die Gebühr für seine Ansichten noch unterstütze er in knechtischer Verehrung fremde Irrtümer – womit sicher die Lehre Luthers gemeint war.149 Im Frühjahr 1542 erneuerte Amerbach seine Kritik an Melanchthon, indem er sich zum einen bei Brück über Melanchthon beschwerte und zum anderen an Melanchthon selbst schrieb. Dabei griff er sowohl das sola und das Verständnis des Glaubens in der Rechtfertigungslehre wie auch Melanchthons Haltung zum Primat des Papstes an.150 Ferner widersprach er im selben Jahr durch seine Schrift »Quatuor libri de anima« Melanchthons »Commentarius de anima« von 1539, der 1540 im Druck erschienen war, und griff darin vor allem Melanchthons Verständnis des aristotelischen Entelechiebegriffs an.151 Vielleicht hatte Amerbach Vorwürfe gegenüber Melanchthons Schrift bereits früher in mündlicher Form geäußert, so daß sich ein Bericht Melanchthons von Januar 1541 über Kritik an seinen Äußerungen zur natürlichen Bosheit des Menschen im »Commentarius de anima« ebenfalls auf Amerbach beziehen könnte, auch wenn er dort nur von nostri sprach.152 Z. 3 ff.]: »Novum mihi certamen hic pepererunt propositiones περὶ τῆς ἐπιθυμίας. Nam Amerbacchus, quia sibi gloriosum ducit mecum certare, taxat partitionem appetitionum quadam cavillatione vocum. Est recens Aristotelicus καὶ αὐτοδίδακτος, itaque interdum aberrat. Sed hunc facile placabo«. 148 Vorrede zur Schrift »Antiparadoxa » an Johannes Strubius vom 15. 5. 1541, bes. A 2a und A 7 b f.; vgl. zu dieser Schrift Frank, Amerbach, 110. 149 Vgl. zur Reaktion auf Amerbachs Vorrede Frank, Amerbach, 110 f. und Melanchthon an Amerbach April 1542 [MBW 2949; MBW T 11, 152–154; hier 153, Z. 31 ff.]: »Nec dimico de ullis meis opinionibus nec adulacione alienis erroribus applaudo, ut sugillas seu nos seu nostros in praefacione τῶν Ἀντιπαραδόξων«. 150 Vgl. zu dieser Kritik Melanchthon an Amerbach April 1542 [MBW 2949; MBW T 11, 153, Z. 29 f.]: »tu ad Pontanum . . . de me questus es« und an Brück April / Mai 1542 [MBW 2950; MBW T 11, 154–157; hier 154, Z. 3 f.]: »De iustificatione displicet ei particula ›sola‹, et disputat ›fide‹ significari tantum notitiam, non fiduciam misericordiae«; [156, Z. 48]: »De primatu Petri nescio, quid velit«. 151 Vgl. zu Amerbachs Kritik Cruciger an Dietrich nach 22. 10. 1542 [Fischer, Trolmann, 155 f., Nr. 13; hier 155]: »Scis, opinor, quomodo tractemur a nostro illo novo Catone, qui versus etiam in nos facit et libros edit ad Philippum flagellandum« (zur Sprichwörtlichkeit Catos d. Ä. (234–149 v. Chr.) für einen strengen Richter Georges, Handwörterbuch 1, 1034); Melanchthon an Dietrich 22. 10. 1542 [MBW 3072; MBW T 11, 305 f.; hier 306, Z. 18 ff.] und an Camerarius 4. 12. 1542 [MBW 3101; MBW T 11, 346 f.; hier 346, Z. 16 f.]; Trusen, Amerbach, 248 und Frank, Amerbach, 119 ff.; zu Melanchthons »Commentarius« seine Widmungsvorrede an Baumgartner von Januar 1540 [MBW 2361; MBW T 9, 94–101] und Nürnberger, MSA 3, 305; das Lehrbuch ist in seiner späteren Form unter dem Titel »Liber de anima« gedruckt in MSA 3, 307–372. 152 Vgl. Melanchthon an Camerarius 13. 1. 1541 [MBW 2608; MBW T 10, 33–35; hier
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Im Juni 1542 kam es zu disziplinarischen Maßnahmen gegen Amerbach, Mitte 1543 nahm er seinen Abschied von Wittenberg, trat wieder in die römische Kirche ein und erhielt eine neue Anstellung an der Universität Ingolstadt.153 Allerdings bedeutete das nicht das Ende seiner Kritik, denn auch in den folgenden Jahren griff er Melanchthon und die anderen Wittenberger immer wieder in persönlicher oder theologischer Hinsicht an.154 Amerbach kritisierte mit der Rechtfertigungslehre und der Anthropologie zwar auch Lehrfragen, die von anderen Protestanten hinterfragt wurden, seine Kritik zielte allerdings in eine völlig andere Richtung und ist auf dem Hintergrund seiner späteren Wendung zum römischen Katholizismus zu verstehen. Der Großteil seiner eher persönlichen Kritik läßt sich nicht mehr rekonstruieren, so daß es schwierig ist, sie zu den Vorwürfen anderer in Beziehung zu setzen.
Kapitel 10: Kritik an Melanchthon durch Johannes Agricola – die antinomistischen Streitigkeiten in den Jahren 1537 bis 1540 In der zweiten Hälfte des Jahres 1537 meldete sich Johannes Agricola mit seiner Kritik am Gesetzesverständnis der Wittenberger erneut zu Wort und betonte, daß der Dekalog in der Kirche keinen Platz habe. Seine Angriffe galten anfangs neben Luther auch Melanchthon, den er ja bereits 1527 im Zusammenhang der Visitation wegen seines Gesetzesverständnisses und 1535 wegen der Aussagen zu den guten Werken in den »Loci« angegriffen hatte; in den folgenden Jahren setzte er sich allerdings in erster Linie mit Luther auseinander.155 35, Z. 51 ff.]: »Ea quae περὶ τῆς φυσικῆς κακίας scripseram, auxi. Cumque ego putarim esse simplicissima et maxime dilucida et propria, tamen reprehenduntur a nostris quoque«; entsprechende Aussagen Melanchthons zur Sündhaftigkeit des Menschen im »Liber de anima« [MSA 3, 356 f.]. 153 Vgl. die Instruktion Johann Friedrichs von Sachsen für Burchard an Bugenhagen, Luther und Melanchthon Mitte Juni 1542 [MBW 2984; WA Br 10, 75–81, Nr. 3759; hier 79, Z. 84 ff.]; Besold an Dietrich 3. 2 . 1544 [Albrecht / Flemming, Manuscriptum Thomasianum 3, 119–122, Nr. 110; hier 120 f.] und Frank, Amerbach, 110. 154 Vgl. Melanchthon an Seidemann 31. 8. 1543 [MBW 3308; MBW T 12, 314–318; hier 317, Z. 48 ff.]; an Camerarius 9. 2 . 1544 [MBW 3450; MBW T 13, 79–81; hier 81, Z. 39 f.] und an Dietrich 11. 11. 1544 [MBW 3730; MBW T 13, 500–502; hier 502, Z. 51 ff.]; Luther in einer Tischrede von 1544 [WA Tr 5, 417, Nr. 5989; hier Z. 14]; eine Vorrede Amerbachs vom 7. 3. 1545 [Fischer, Trolmann, 177–181, Nr. 20; hier 179] (dazu Fischer, a. a. O., 118, Anm. 2 ); Melanchthon an Collinus 18. 10. 1545 [MBW 4036; Fischer, a. a. O., 181 f., Nr. 21] und 1. 2 . 1546 [MBW 4130; CR 6, 23 f., Nr. 3366; hier 24] und an Camerarius 12. 12. 1547 [MBW 4989; CR 6, 743 f., Nr. 4087; hier 744] (zum Bezug auf Amerbach Scheible, MBW R 5, 219). 155 Vgl. zur Kritik des Jahres 1527 oben Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2; zu 1535 oben Kap. 2 ; zu den Angriffen Agricolas 1537 Melanchthon an Dietrich 18. 9. 1537 [MBW 1941; MBW T 7, 514 f.; hier 515, Z. 23 ff.]; Agricolas Summarien vom 24. 9. 1537 und dazu Stille, Amsdorf,
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Kapitel 11: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang des Falles »Simon Lemnius« im Jahr 1538 Anfang Juni 1538 publizierte Melanchthons Schüler Simon Lemnius in Wittenberg eine Sammlung von Epigrammen, um sich dadurch für eine Professur an der Universität zu empfehlen.156 Es ist wahrscheinlich, daß sowohl Melanchthons Schwiegersohn Sabinus als auch er selbst von dieser Schrift wußten. Als Melanchthon die Epigramme am 8. Juni überflog, stellte er nichts Anstößiges fest. Als das Buch jedoch am 9. Juni in Wittenberg verkauft wurde, beklagten einige Bürger bei Melanchthon, der zu dieser Zeit Rektor der Universität war, daß die Schrift Lästerungen gegen ehrenwerte Wittenberger enthalte. Zudem erweckten die Epigramme das Mißfallen Luthers, allerdings weniger wegen ihres Inhalts als vielmehr wegen ihrer schmeichelhaften Widmung an den Mainzer Kurfürsten Albrecht von Brandenburg, einen von Luthers Erzfeinden. Diese Beschwerden veranlaßten Melanchthon, Lemnius zu ermahnen und einen vorläufigen Arrest über ihn zu verhängen. Noch am Abend des 9. Juni wurde Lemnius jedoch vor der ihm drohenden Gefahr gewarnt und ergriff am nächsten Morgen wohl unter anderem mit Hilfe von Sabinus die Flucht aus Wittenberg. Luther machte seiner Wut über Lemnius am 16. Juni Luft, indem er eine Erklärung gegen ihn verlas und auch in seiner Predigt von diesem Tag auf ihn anspielte.157 Der Senat der Universität lud Lemnius in den kommenden Wochen zweimal vor und verwies ihn, da er nicht erschien, am 4. Juli in Abwesenheit der Universität. Der Fall Lemnius brachte Melanchthon in beträchtliche Schwierigkeiten, denn er sah sich in seinem Zusammenhang verschiedenen 104; Melanchthon an Brenz 12. 10. 1537 [MBW 1952; MBW T 7, 533–535; hier 534, Z. 29 f.]; an Dietrich 7. 12. 1537 [MBW 1971; MBW T 7, 569–571; hier 570, Z. 17 ff.; Zitat Z. 23 f.]: »me precipue sibi delegaret autor illarum insulsarum propositionum« und an Luther zweite Februarhälfte 1539 [MBW 2150a; MBW T 8, 316–318]; Luther in einer Tischrede von 1544 [WA Tr 5, 417, Nr. 5989; hier Z. 13 f.]: »Es hat sich Magister Eißleben . . . an in [sc. Melanchthon] gemacht« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 180: »Suspicabantur nonnulli, in Philippum Melanchthonem ista potissimum strui et intorqueri«; zu den Reaktionen Luthers seine Predigt vom 30. 9. 1537 [WA 45, 145–156, Nr. 29; bes. 146, Z. 38 ff. und 152, Z. 38 ff.], die Melanchthon in den folgenden Wochen vielen seiner Briefe beilegte (z. B. MBW 1952–1954); Melanchthon an Dietrich 25. 11. 1537 [MBW 1968; MBW T 7, 563– 565; hier 564, Z. 15 f.] und 7. 12. 1537 [MBW 1971; MBW T 7, 570, Z. 18 ff.] und Luthers Thesen über das Gesetz vom 6. 9. 1538 [WA 39/1, 354–357], die Melanchthon ebenfalls vielen Briefe anfügte (z. B. MBW 2090a und 2093); zu Agricolas Position und den antinomistischen Streitigkeiten insgesamt Kawerau, Agricola, 168–222; Rogge, Agricola, 113 ff.; Ders., Streitigkeiten, 195 ff. und Mau, Gesetz, 86. 156 Vgl. zum Fall Lemnius insgesamt Mundt, Lemnius 1, 23 ff. Die Epigramme sind gedruckt bei Mundt, Lemnius 2, 1–155. 157 Vgl. Luthers Erklärung [WA 50, 350 f.; zur Widmung an Albrecht 351, Z. 7 ff.] und Predigt vom 16. 6. 1538 [WA 46, 433–439, Nr. 45]; zu seiner Kritik an Lemnius und bes. zur Widmung an Albrecht auch die Tischreden vom 20./25. 6. 1538 [WA Tr 3, 692 f., Nr. 3896]; vom 30.9. / 1. 10. 1538 [WA Tr 4, 90, Nr. 4033]; vom 9./10. 5. 1539 [WA Tr 4, 388, Nr. 4584] und vom 16.–18. 5. 1539 [WA Tr 4, 400, Nr. 4605].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Vorwürfen ausgesetzt: Zum einen unterstellte man ihm, er habe bereits vor dem Erscheinen der Epigramme von ihnen gewußt, Lemnius aber nicht sofort eingekerkert, sondern ihm zur Flucht geraten und daher hinterhältig (dolose) gehandelt.158 Zum anderen mußte er sich vorhalten lassen, daß er bestimmte Vertreter der Altgläubigen – gemeint war Albrecht von Brandenburg – nicht nur nicht hasse, sondern sogar dulde, daß sie von Leuten aus seiner Umgebung gelobt würden.159 Darin lag sicher auch Kritik an Melanchthons eigenen Widmungen an Albrecht, in denen er diesen gelobt und für die er sogar ein Geschenk des Mainzer Kurfürsten erhalten hatte, die jedoch unter anderem von Luther sehr kritisch gesehen wurden.160 Melanchthon empfand die Lage als so bedrohlich, daß er Anfang Juli nicht wagte, eine geplante Reise anzutreten, aus Furcht, seine Feinde könnten ihm diese als Schuldbekenntnis auslegen und ihn beim Kurfürsten wegen eines angeblichen Fluchtversuchs denunzieren161 – Sorgen, für die so manch einem Zeitgenossen das Verständnis fehlte.162 Um den Kurfürsten zu besänftigen, verfaßte er am 10. Juli ein förmliches Gnadengesuch an ihn und rechtfertigte sein Verhalten im Fall Lemnius: Er wies darauf hin, daß auch er selbst in den Epigrammen »uff das gifftigst« geschmäht werde, und äußerte die Vermutung, der Grund dafür liege darin, daß er »ein andern, tuchtigern mehr gefuddert« habe als Lemnius. Zudem betonte er, daß die Gedichte ohne sein Wissen zum Druck befördert worden seien, und machte deutlich, daß er aufgrund unvollständiger Lektüre des Buches darin zunächst nur private Schmähungen gefunden und die Lästerungen hoher Herren erst nach der Verurteilung des Lemnius gelesen habe. Als er diesen darauf hin habe festsetzen wollen, sei er bereits geflohen gewesen.163 Am selben Tag wandte sich Me158 Vgl. Melanchthon an von Schlieben 8. 7. 1538 [MBW 2061; MBW T 8, 161 f.]; Dietrich an Camerarius 8. 7. 1538 [Fischer, Trolmann, 137]; Melanchthon 10. 7. 1538 an Johann Friedrich von Sachsen [MBW 2062; MBW T 8, 162–164] und an Brück [MBW 2063; MBW T 8, 165 f.] und an Camerarius 31. 8. 1538 [MBW 2086; MBW T 8, 197–199; hier 197, Z. 12 ff.]. 159 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 181. 160 Melanchthons Widmungen an Albrecht stammen von vor 20. 5. 1527 [MBW 546; MBW T 3, 59–64] und von August 1532 [MBW 1276; MBW T 5, 336–340]; zu Albrechts Geschenk Melanchthon an Rühel November / Dezember 1532 [MBW 1292; MBW T 5, 361 f.; hier 362, Z. 11 f.] und an Hertzheimer 5. 1. 1533 [MBW 1301; MBW T 5, 374–376; hier 374, Z. 3 ff.] und eine Tischrede ohne genaueres Datum [WA Tr 5, 690, Nr. 6486, Z. 20– 25]; zur Kritik Luthers eine Tischrede 11.–19. 6. 1540 [WA Tr 4, 640, Nr. 5067, Z. 24 f.]. 161 Vgl. Melanchthon an von Schlieben 8. 7. 1538 [MBW 2061; MBW T 8, 162, Z. 9 ff.]; zur schlechten Verfassung Melanchthons auch Jonas an Georg von Anhalt 16. 6. 1538 [ JonasBW 1, 293 f., Nr. 388; hier 294]. 162 Vgl. Dietrich an Camerarius 8. 7. 1538 [Fischer, Trolmann, 137 f., Nr. 1; hier 137]: »immerito«. 163 Vgl. Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 10. 7. 1538 [MBW 2062; MBW T 8, 162–164; bes. 163, Z. 10 ff.]; zur mutmaßlichen Kritik des Lemnius an Melanchthon auch den Hinweis in Melanchthons Brief an Camerarius 31. 8. 1538 [MBW 2086; MBW T 8, 197–199; hier 197, Z. 13 f.]: »Lemnius . . . in me inprimis fuit maledicus, cum multis meis
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lanchthon auch an Brück und bat ihn, ihm sein Wohlwollen nicht zu entziehen.164 Der Kurfürst nahm die Entschuldigung Melanchthons an, betonte aber in seinem Antwortbrief Ende Juli, daß er in Zukunft mehr Aufmerksamkeit von ihm erwarte.165 Lemnius wandte sich nach seiner Relegierung in mehreren Schriften gegen Luther und andere Wittenberger, nicht allerdings gegen Melanchthon.166 Trotzdem ärgerte sich Melanchthon über diese Schmähschriften und bemühte sich im Herbst des Jahres um eine Entgegnung.167 Die unterschiedlichen Vorwürfe, die im Zusammenhang des Falles Lemnius gegen Melanchthon erhoben wurden, müssen getrennt voneinander betrachtet werden. Der Vorwurf, er habe hinterhältig gehandelt, entstand aus dem Ärger über die Flucht des Lemnius und steht nicht in direktem Verhältnis zu anderen Vorwürfen. Die Kritik hinsichtlich seines Verhältnisses zu Albrecht von Brandenburg hingegen traf einen Punkt, der schon des öfteren in die Kritik geraten war, nämlich sein Verhältnis zu Altgläubigen, das vielen anderen Protestanten als zu eng erschien.
Kapitel 12: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Friedensverhandlungen in Frankfurt im Frühjahr 1539 In der Hoffnung, zur Verhinderung einer bewaffneten Auseinandersetzung beitragen zu können, nahm Melanchthon im Frühjahr 1539 an den in Frankfurt stattfindenden Friedensverhandlungen teil, die den sogenannten Frankfurter Anstand vom 19. April zum Ergebnis hatten.168 Im Anschluß an diese Zusammenkunft wurde er von seinem Freund Camerarius wegen der nachgiebigen Haltung der Protestanten kritisiert.169
officiis usus sit«. Mundt, Lemnius 1, 25, Anm. 79 weist allerdings darauf hin, daß unter den Epigrammen keines sei, das als Angriff auf Melanchthon interpretiert werden könne. 164 Vgl. Melanchthon an Brück 10. 7. 1538 [MBW 2063; MBW T 8, 165 f.]. 165 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Melanchthon 26. 7. 1538 [MBW 2067a; MBW T 8, 174]. 166 Vgl. zu Lemnius’ Reaktionen Mundt, Lemnius 1, 38 ff. 167 Vgl. Melanchthon 6. 10. 1538 an Camerarius [MBW 2100; MBW T 8, 230 f.; hier 231, Z. 14 ff.] und an Dietrich [MBW 2101; MBW T 8, 231–233; hier 232, Z. 3 ff.] und an Borner 9. 10. 1538 [MBW 2104; MBW T 8, 235 f.; hier 236, Z. 2 ff.]. 168 Vgl. den Anstand vom 19. 4. 1540 [Neuser, Vorbereitung, 75–85, Nr. 1]; zu den Verhandlungen Neuser, a. a. O., 13 f.; zu Melanchthons Hoffnungen seinen Brief an Camerarius 25. 6. 1539 [MBW 2232; MBW T 8, 468–470; hier 469, Z. 20 f.]. 169 Vgl. Melanchthon an Camerarius 25. 6. 1539 [MBW 2232; MBW T 8, 469, Z. 17 ff.]: »De conventu quae scripsisti, fuisse sententias molliores . . . non miror reprehensiones in tanta diversitate voluntatum ac iudiciorum«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 13: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Reichsreligionsgespräche in den Jahren 1540 und 1541 Bei den Verhandlungen in Frankfurt im April 1539 war man übereingekommen, in absehbarer Zeit ein Religionsgespräch zwischen Protestanten und Altgläubigen abzuhalten,170 eine entsprechende Einladung des Kaisers erging allerdings erst im April 1540.171 Am ersten Gespräch, das im Juni und Juli 1540 in Hagenau im Elsaß stattfand, sich aber nur mit Verfahrensfragen beschäftigte, konnte Melanchthon aufgrund einer schweren Erkrankung nicht teilnehmen, an den beiden Zusammenkünften in Worms und Regensburg war er jedoch als wichtiger Gesprächspartner beteiligt und wurde auch in diesem Zusammenhang kritisiert.
13.1 Kritik im Zuge des Wormser Religionsgesprächs Das zweite Religionsgespräch fand zwischen Ende November 1540 und Mitte Januar 1541 in Worms statt.172 Da man verabredet hatte, bei den Gesprächen auf der Grundlage des Augsburger Bekenntnisses von 1530 zu verhandeln, hatte Melanchthon im Vorfeld der Religionsgespräche dessen lateinische Fassung überarbeitet und zahlreiche Veränderungen vorgenommen. Die einschneidendste Änderung war die des Abendmahlsartikels, den er der Wittenberger Konkordie von 1536 angepaßt hatte. Gedruckt erschienen war die sogenannte »CA variata« im Herbst 1540.173 Von den Protestanten scheint diese Fassung zunächst akzeptiert worden zu sein, in Worms meldeten sich jedoch einige Altgläubige zu Wort und beschwerten sich über die ihrer Ansicht nach an dieser veränderten Fassung der CA aufscheinende »unbestendigkeit« der Protestanten. Diese Vorwürfe führten allerdings nicht dazu, daß sie die »CA variata« als Verhandlungsgrundlage zurückwiesen.174 Auch auf protestantischer Seite blieb es nicht bei 170
Vgl. Neuser, Vorbereitung, 13. Vgl. das Ausschreiben Karls V. vom 18. 4. 1540 [ADRG 1/1, 17–19, Nr. 1; vgl. 25–28, Nr. 5]. 172 Vgl. zu diesem Gespräch z. B. Neuser, Vorbereitung, 19 ff.; Rabe, Deutsche Geschichte, 379 f. und Lexutt, Rechtfertigung, 38 ff. 173 Vgl. Scheible, Melanchthon, 129 und Peters, Augsburger Bekenntnis, 956; ein Druck der »CA variata« findet sich in MSA 6, 12–79, Nr. 2 ; eine synoptische Anordnung der beiden CA-Versionen in »Evangelische Bekenntnisse« 1, 30 ff.; zu den inhaltlichen Veränderungen auch Stupperich, MSA 6, 12 und Lexutt, Rechtfertigung, 115 ff. 174 Vgl. die altgläubige Eingabe gegen die Anträge der Protestanten vom 3. 12. 1540 nach dem Bericht von Morone an Farnese vom 5. 12. 1540 [NBD 6, 55–57, Nr. 257; hier 57, Z. 11 ff.]; die Aufnahme des Vorwurfs durch die altgläubigen Stände am 6. 12. 1540 [ADRG 2/1, 79 f., Nr. 37; Zitat 80, Z. 10] (dazu Cruciger an Jonas 16. 12. 1540 [CR 3, 1224–1226, Nr. 2090; hier 1226] und die »Narratio de colloquio« [ADRG 2/2, 1315–1320, Nr. 437; hier 1317, Z. 9 ff.]); die Aussage Ecks in seinem Kolloquium mit Melanchthon Mitte Januar 1541 laut dem Protokoll [ADRG 2/1, 212–261, Nr. 117 ff.; hier 217, Z. 10 ff.] und Wigand, Historia, 146. 171
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der Zustimmung zur »CA variata«, die Kritik an ihr entwickelte sich allerdings erst im Lauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte.175 Von Melanchthons Zeitgenossen sind folgende Kritiker namentlich bekannt: Spalatin, der 1542 seine Anfragen an die Darstellung der Rechtfertigungslehre äußerte und wohl in erster Linie fehlende Deutlichkeit beim sola fide bemängelte,176 und Flacius, der die »CA variata« laut dem Bericht der Wittenberger und Leipziger Theologen zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt mit einem Kothurn, der auf beide Füße passenden Fußbekleidung tragischer Schauspieler, verglich und dadurch kritisierte, sie wolle »einem jeden gerecht und dienstlich« sein, »seine Lehre daraus zu vertheidigen«.177 Melanchthon führte in Worms ähnlich wie in Augsburg 1530 Gespräche mit verschiedenen Vertretern der altgläubigen Seite: Er wurde von den im Auftrag der Kurie tätigen Bischöfen Tommaso Campeggio und Giovanni Morone (1509–1580) zu Gesprächen eingeladen, wobei unklar ist, ob diese dann auch stattfanden; 178 er traf sich zu zwei Unterredungen mit Friedrich Nausea, dem Koadjutor des Wiener Bischofs Johannes Fabri,179 wandte sich in einem Brief an den Vertreter des Kaisers, Nikolaus Granvella (1486–1550), und kam gemeinsam mit dem kursächsischen Vizekanzler Franz Burchard (1504–1560) und dem Gesandten Straßburgs Jakob Sturm zu einem persönlichen Gespräch mit Granvella zusammen.180 Diese Kontakte boten auch im Jahr 1540 Grund zu Kritik: So warf Osiander Melanchthon in bezug auf das Treffen mit Granvella vor, er habe diesen Kontakt nicht ehrlich zugegeben, lasse sich von den altgläubigen Äußerungen zu schnell schrecken und habe sich in diesem Gespräch zusammen mit den beiden anderen allzu nachgiebig gezeigt.181 Auch Kurfürst Johann 175 Vgl. Hinweise auf diese Kritik bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 142 f.; Wigand, Historia, 146 und 150 und Palmer, Gedächtnißfeier Melanchthons, 59, Anm. *). 176 Vgl. Melanchthons Briefe an Spalatin vom 8. 7. 1542 [MBW 3003; MBW T 11, 218] und vom 10. 12. 1543 [MBW 3393; MBW T 12, 453 f.; hier 454, Z. 27 f.], in denen er zusagte, die Passage in CA 4 [MSA 6, 14–16], in der er die Formel sola fide umgangen hatte, entsprechend zu ändern. 177 Vgl. die Schrift der Wittenberger und Leipziger Theologen »Endlicher Bericht und Erklärung« von 1570 (VD 16 ZV 9536) [zitiert nach Arnold, Ketzer-Historie 2, Buch 16, Kap. 18, 12, S. 212]; zur κόθορνος Gemoll, Handwörterbuch, 443. 178 Vgl. Melanchthon an Jonas 2. 12. 1540 [MBW 2571; MBW T 9, 527; hier Z. 10 f.]. 179 Vgl. die Protokolle der Unterredungen zwischen Melanchthon und Nausea vom 19. 12. 1540 [MBW 2591] und vom 10. 1. 1541 [MBW 2606] und Nausea an Grimani 11. 4. 1541 [Friedensburg, Briefwechsel 5, 537 f., Nr. 187; hier 537]. 180 Vgl. Melanchthon an Granvella 22. 12. 1540 [MBW 2596; MBW T 9, 575–578]; zum Treffen mit diesem Osiander an die Nürnberger 6. 1. 1541 [OG 7, 313–319, Nr. 217; hier 315, Z. 5 ff.]. 181 Vgl. Osiander an die Nürnberger 6. 1. 1541 [OG 7, 315, Z. 6 ff.]: »Res mihi statim suspecta, nam et Philippus, ut est vaferrimus, se non ad Granvelum iturum, sed aliis illuc euntibus se cum Norinbergensibus cenaturum [aiebat] et tamen aliud cogitabat ac faciebat . . . ; certe Philippus more suo perturbatissimus et plenus solita pusillanimitate discessit; reliqui quoque proximo diluculo in deliberatione sic se gerebant, ut nemo non sentiret eos mutatos
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Friedrich von Sachsen scheint wegen dieser Kontakte Melanchthons in Sorge gewesen zu sein, denn er versuchte, Derartiges für den Regensburger Reichstag zu verhindern, indem er seinen Gesandten in der Instruktion für den Reichstag Mitte März einschärfte, sie sollten dafür sorgen, daß Melanchthon sich in der kursächsischen Herberge auf halte, und niemanden alleine zu ihm lassen.182 Osiander beließ es nicht bei seiner Kritik an Melanchthons Kontakten zu Altgläubigen, sondern warf ihm und anderen zusätzlich vor, sie wollten, koste es, was es wolle, die Gunst des Kaisers erlangen. Außerdem griff er Melanchthon wegen seiner Haltung in den Versammlungen der Protestanten an, in denen er sich nach Ansicht Osianders unehrlich und listig verhalten hatte. Aufgrund dieser vermeintlichen Unzuverlässigkeit belegte er Melanchthon mit dem Titel »Sinon«.183
13.2 Kritik im Zuge des Regensburger Religionsgesprächs Das Regensburger Religionsgespräch fand im Rahmen eines Reichstags statt, der am 5. April 1541 eröffnet wurde.184 Seine Teilnehmer wurden durch den Kaiser benannt; von protestantischer Seite waren Melanchthon, Bucer und der hessische Superintendent Johannes Pistorius (1504–1583) vertreten, von altgläubiger Seite Pflug, der Kölner Kanoniker Johannes Gropper (1503–1559) und Eck. Als Verhandlungsgegenstand lag das sogenannte Wormser bzw. Regensburger Buch vor, das bei Geheimgesprächen in Worms zwischen Gropper, dem kaiserlichen Sekretär Gérard Veltwyk (um 1505–1555) und den Straßburger Theologen Bucer und Capito erarbeitet worden war.185 Die Verhandlungen darüber begannen Ende April, und Melanchthon zeigte sich darin unerwarteterweise als »harter und unnachgiebiger Gegner«.186 Wohl auch deshalb konnte man sich in den zähen Verhandlungen der kommenden Wochen lediglich über eine gemeinsame Formulierung in der Frage der Rechtfertigungslehre verständigen.187 Diese Einigung – und damit die Tatsache, daß Melanchthon sich auf et transformatos esse«; [Z. 19 f.]: »Videte per Deum immortalem, quid non audeat mutabilissimum animal, homo«. 182 Vgl. die Instruktion des kursächsischen Hofes für seine Gesandten vom 15. 3. 1541 [CR 4, 123–132, Nr. 2162; hier 131] und Melanchthon an Dietrich 8. 4. 1541 [MBW 2659; MBW T 10, 115–117; hier 116, Z. 18]: »suspiciones nostrae aulae«. 183 Vgl. zu Osianders Kritik seine Aussagen im Brief an die Nürnberger vom 6. 1. 1541 [OG 7, 315, Z. 20 f. und 316, Z. 6 ff.] (zu Sinon oben Abschnitt II, Kap. 3.4.2) und Melanchthon an Camerarius 13. 1. 1541 [MBW 2608; MBW T 10, 33–35; hier 34, Z. 25 f.]. 184 Vgl. die Proposition vom 5. 4. 1541 [ADRG 3/1, 30–37, Nr. 21]; zum Gespräch insgesamt Lexutt, Rechtfertigung, 43 ff. 185 Vgl. Rabe, Deutsche Geschichte, 380. Das Regensburger Buch ist gedruckt in ADRG 3/1, 268–391, Nr. 150. 186 Lexutt, Rechtfertigung, 45; vgl. a. a. O., 44. 187 Der überarbeitete Artikel 5 des Regensburger Buches »De iustificatione hominis« findet sich bei Lane, Regensburg Colloquy, 188–190. Vgl. zu den Verhandlungen und zur Ei-
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sie eingelassen hatte – traf jedoch nicht auf das Einverständnis aller Protestanten, sondern wurde zum Beispiel von Pistorius,188 Camerarius,189 Cruciger,190 Luther und Bugenhagen191 wegen ihrer Zweideutigkeit und Erklärungsbedürftigkeit abgelehnt. Amsdorf lehnte Verhandlungen generell ab, da er der Überzeugung war, daß diese nicht ohne inakzeptable Kompromisse in der Lehre möglich wären.192 Die Ablehnung durch Luther und Bugenhagen bewog Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen Mitte Mai, seinen Gesandten die Anweisung zu geben, den Rechtfertigungsartikel zurückzuweisen; er verlieh seiner Befürchtung Ausdruck, die Gegner könnten aus dieser Einigung ein Nachgeben der Protestanten in weiteren, verwandten Punkten folgern.193 Zudem war er in Sorge, Melanchthon könne durch die Vertreter der Gegenseite auch in anderen Punkten zum Nachgeben bewegt werden, und bat seinen Kanzler Burchard, Melanchthon zur Beständigkeit zu ermahnen.194 Entsprechend berichtete Melanchthon davon, daß er von seinen eigenen Leuten beschuldigt
nigung Melanchthons Brief an Camerarius 10. 5. 1541 [MBW 2692; MBW T 10, 173–175]; spätere Erwähnungen des Kompromisses in Melanchthons Brief an Cruciger 1. 4. 1548 [MBW 5107; CR 6, 838 f., Nr. 4188; hier 839] und in seinem Gutachten für Schneidewein vom 18. 4. 1548 [MBW 5127; Regest bei Scheible, MBW R 5, 274 f.; hier 274 und in PKMS 3, 782–785, Nr. 1065; hier 783]; zudem Lohse, Reformation, 104 f.; Lexutt, Rechtfertigung, 244 und Lane, a. a. O., 165 ff. 188 Vgl. J. Pistorius’ Gutachten über das Regensburger Buch von Ende Juni (?) 1541 [ADRG 3/2, 490–495, Nr. 179; hier 491, Z. 2 f.]: »ist nach langem streit diese kurtze, unvollkommene form gestellet und zusammen geflickt, wie die itzund im buch stehet unter dem titel de iustificatione«; vgl. auch a. a. O., 494, Z. 8 f. und Z. 12 ff.. 189 Vgl. Melanchthon an Camerarius 21. 6. 1541 [MBW 2732; MBW T 10, 294 f.; hier 295, Z. 23 ff.]: »in formula περὶ τῆς δικαιοσύνης idem reprehendit [Lutherus], quod tibi displicet, de partiali agente. Ego etsi sciebam non illi, sed nostris insuave fore, tamen non volui reiicere, cum sit verum«. 190 Vgl. das Gutachten Crucigers über das Regensburger Buch vom 24. 6. 1541 [ADRG 3/2, 526–528, Nr. 188; hier 527, Z. 34 ff.]: »Nescio quid consilii habuerint hi, qui subito tam graves et tam multas controversias composituros se esse arbitrabantur, si voluissent inquiri veritatem, tempus ad has tantas res conferendas, expendendas, iudicandas et perspicue explicandas sumpsissent«; [528, Z. 9 f.]: »si serio vult imperator hos articulos extare conciliatos, et vult eos proponi Ecclesiis, certe erit opus meliore explicatione«. 191 Vgl. Luther und Bugenhagen an Johann Friedrich von Sachsen 10./11. 5. 1541 [WA Br 9, 406–409, Nr. 3616; bes. 406, Z. 7 ff.]: »die notel der vergleichung Ein weitleuffig vnd geflickt ding ist . . ., Darin sie recht vnd wir auch recht haben« und 29. 6. 1541 [WA Br 9, 459–463, Nr. 3637; hier 462, Z. 77 ff.]; zudem Melanchthon an Camerarius 21. 6. 1541 [MBW 2732; MBW T 10, 295, Z. 23 ff.; Zitat in Anm. 189]. 192 Vgl. die Aussagen Amsdorfs [nach Leppin, Melanchthon und die Obrigkeit, 317]: »ists [o]uch nicht güt sich in disser sache in handl[ungen] ein zulassen so mitteln will und vergleichung furgibt, Denn man kann in der doctrin nichts nachgeben welchs man doch thün müs wen man sich in ein handlüng einlesset, sonder man muss uff unser Confession und Apologia feste stehen und von unserm widerteil grûnd und ursach aus der schrifft fordern«. 193 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an seine Gesandten 13. 5. 1541 [ADRG 3/1, 188 f., Nr. 110; hier 188, Z. 25 ff.]. 194 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Burchard ca. 15. 5. 1541 [CR 4, 289, Anm. *)].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
werde, er habe einiges nicht entschieden genug (languidius) verteidigt.195 Im weiteren Verlauf der Verhandlungen, in denen über Kirche und Meßopfer gesprochen wurde, vertrat Melanchthon – seinen eigenen Angaben zufolge mit Billigung Luthers – gegenüber Eck die These, außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs gebe es kein Sakrament (und das heißt keine Gegenwart Christi), was »fortan für seine Sakramentslehre konstitutiv wurde«.196 Diese These wurde allerdings nicht von allen Protestanten akzeptiert, sondern von einigen heftig kritisiert, namentlich durch den Nürnberger Prediger Wenzeslaus Linck, wie Melanchthon Jahre später berichtete.197 Zudem wurde gegen Melanchthon von kaiserlicher Seite der Vorwurf erhoben, er verzögere die Gespräche und sei von Luther und vom französischen König zur Unnachgiebigkeit angestiftet worden,198 worauf hin sich Melanchthon in einem persönlichen Brief an den Kaiser wandte und sich rechtfertigte.199
13.3 Zusammenfassung Die Vorwürfe, die im Zuge der beiden Religionsgespräche gegen Melanchthon erhoben wurden, richteten sich zum einen gegen seine Ansichten in der Rechtfertigungs- und Abendmahlslehre und knüpften damit an die Kritik an den »Loci« und die Streitigkeiten des Jahres 1536 an. Zum anderen betrafen sie sein Verhalten gegenüber den Altgläubigen, das den Kritikern wie schon 1530 und 1534 als zu nachgiebig erschien. Ferner waren die Religionsgespräche eines der Ereignisse, in deren Rahmen Melanchthon wegen seines Verhaltens von beiden Seiten mit gegensätzlichen Inhalten kritisiert wurde.200 195
Vgl. Melanchthon an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204; hier 201, Z. 5]. 196 Scheible, Art. Melanchthon, 379, Z. 47 f.; vgl. neben den dort angeführten Belegen Melanchthons Gutachten für August von Sachsen vom 4. 3. 1558 [MBW 8543; CR 9, 462– 478, Nr. 6471; hier 471] und 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 617–629, Nr. 6602; hier 626 f.] und seine Aussagen im Frankfurter Rezeß vom 18. 3. 1558 [CR 9, 489–507, Nr. 6483; hier 499]. 197 Vgl. Melanchthons Gutachten für Mornberger vom 31. 7. 1559 [MBW 9015; CR 9, 847–850, Nr. 6791; hier 848]: »Und hat Doct. Luther diese Regulam ihme sehr wohl gefallen lassen, so doch etliche grobe, trunkene Theologi dieselbe vor 20 Jahren angefochten haben, und nämlich D. Wenceslaus Link«; zudem unten Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.2. 198 Vgl. die Erklärung Karls V. vom 18. 5. 1541 [CR 4, 293–298, Nr. 2232; hier 293 und 298]; Melanchthon an Pfalzgraf Friedrich und Granvella 16. 5. 1541 [MBW 2697a; MBW T 10, 190 f.]; den Bericht vom 16. 5. 1541 [ADRG 3/1, 202–205, Nr. 120; hier 203, Z. 9 f.]; Melanchthon an Luther 19. 5. 1541 [MBW 2699; MBW T 10, 199–201; hier 200, Z. 16 f.]; an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204; hier 202, Z. 14 ff.] und an Camerarius 20. 5. 1541 [MBW 2701; MBW T 10, 204 f.; hier 205, Z. 11 ff.]; Cruciger an Bugenhagen 19. 5. 1541 [ADRG 3/1, 217 f., Nr. 127; hier 217, Z. 30 ff.] und Luther und Bugenhagen an Johann Friedrich von Sachsen 1. 6. 1541 [WA Br 9, 424–426, Nr. 3625; hier 425, Z. 19 f.]. 199 Vgl. Melanchthon an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204]. 200 Vgl. dazu Melanchthon an Menius 13. 2 . 1544 [MBW 3454; MBW T 13, 85 f.; hier 85, Z. 8 ]: »Offendi voluntates non modo adversariorum, sed etiam nostrorum«.
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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Kapitel 14: Kritik an Melanchthons »Loci« von 1541 Im Spätsommer 1541 wurden Melanchthons »Loci« neu gedruckt, wofür er aber lediglich eine neue Vorrede verfaßte.201 Obwohl diese Ausgabe keine inhaltlichen Änderungen gegenüber 1535 aufwies, wurde sie mit Kritik bedacht, und zwar in einer Schrift Amsdorfs mit dem Titel »Annotationes quibus indicetur que in locis communibus Philippi Melanchthonis displicent« aus demselben Jahr, die allerdings nicht gedruckt wurde.202 Amsdorf wandte sich darin gegen folgende Aussagen Melanchthons: gegen seine Behauptung, der Mensch besitze die Fähigkeit, ohne die Hilfe des Heiligen Geistes geringe Sünden zu meiden,203 gegen Melanchthons Lehre vom Gesetz,204 gegen seine Aussage, die Buße sei notwendig zur Rechtfertigung,205 und gegen den Begriff der Zeremonie für das Abendmahl.206 Da Amsdorfs Schrift nicht gedruckt wurde, entfaltete sie wahrscheinlich keine allzu große Wirkung. Es ist aber davon auszugehen, daß Melanchthon von der Kritik erfuhr. Er scheint allerdings nicht darauf reagiert zu haben und versuchte wohl, die Vorwürfe zu ignorieren, denn er erwähnte sie in keinem seiner Briefe aus der betreffenden Zeit.207
Kapitel 15: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der »Kölner Reformation« von 1543 Melanchthon hielt sich im Sommer des Jahres 1543 auf Einladung des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied (1477–1552) mit Unterstützung des sächsischen Kurfürsten drei Monate in Bonn auf, um zusammen mit Bucer an der Einführung der Reformation im Hochstift Köln mitzuwirken. Seine Aufgabe bestand unter anderem darin, die von Bucer entworfene Kirchenordnung zu prüfen und zu ergänzen, unter anderem durch Abschnitte über Trinität, Schöpfung, Erbsünde, Rechtfertigung, gute Werke, Kirche und Buße.208 Das Ergebnis dieser 201 Vgl. die Vorrede Melanchthons von Ende August / A nfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 487–494] und seinen Brief an Dietrich 9. 9. 1541 [MBW 2804; MBW T 10, 498 f.; hier 499, Z. 33]. 202 Vgl. Stille, Amsdorf, 100–103 und Kolb, Amsdorf on Vessels, 333 ff. Laut Kolb, a. a. O., 333, Anm. 16 liegt die Schrift handschriftlich im Weimarer Goethe-Schiller-Archiv. Vgl. auch den Rückblick Melanchthons auf die Kritik an seinen »Loci« oben Anm. 4 4. 203 Vgl. Melanchthons »Loci« von 1535 [CR 21, 374]: »voluntas humana potest suis viribus sine renovatione aliquo modo externa legis opera facere«. 204 Vgl. Melanchthons »Loci« von 1535 [CR 21, 388–413]. 205 Vgl. Melanchthons »Loci« von 1535 [CR 21, 415, 421 und 423]. 206 Vgl. Melanchthons »Loci« von 1535 [CR 21, 476 ff., bes. 477]. 207 Vgl. auch Stille, Amsdorf, 103: »Amsdorf hatte es der versöhnenden Milde Melanchthons zu verdanken, wenn dieser es nicht zum offenen Bruch kommen ließ«. 208 Vgl. zur Einladung Melanchthons die Vollmacht des Kölner Erzbischofs vom 15. 1. 1543 für Peter Medmann zu einem Gespräch mit Melanchthon [MBW 3146; MBW T 12,
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Arbeit, die sogenannte »Kölner Reformation«, lag zwar bereits im September 1543 in gedruckter Form vor, sie wurde aber nicht öffentlich verbreitet.209 Als der sächsische Kurfürst Johann Friedrich sie während eines Reichstags, der von Ende Februar bis Mitte Juni 1544 in Speyer tagte, von Hermann von Wied erhielt und überflog, war er in Sorge, daß nicht alles darin der reinen Lehre entspreche und einige päpstliche Zeremonien enthalten seien; daher schickte er den Entwurf Anfang Juni mit der Bitte um Beurteilung an Amsdorf.210 Amsdorf schickte die Schrift Mitte Juni samt einem Bedenken zurück an den Kurfürsten und erhob folgende Vorwürfe gegen die »Kölner Reformation«: Er kritisierte die Aussagen zum freien Willen, zur Sündenlehre und zum Abendmahl. Dabei bemängelte er die Undeutlichkeit der Aussagen, mahnte Erklärungen gegen die Schwärmer an und betonte, Bucer und Melanchthon wollten es beiden Seiten, das heißt der protestantischen und der altgläubigen Partei recht machen. Damit griff er implizit ihren Einheitswillen an. Schließlich nahm Amsdorf Anstoß daran, daß sich die Verfasser nicht explizit auf die Autorität Luthers beriefen, und war unzufrieden mit der Länge und Geschwätzigkeit des Entwurfs.211 In bezug auf Melanchthons Haltung in der Frage des freien Willens 55] und Bucer an Jakob Sturm 4. 2 . 1543 [PC 3, 353 f., Nr. 336; hier 354]; zur Beurlaubung Melanchthons Johann Friedrich von Sachsen an ihn 10. 4. 1543 [MBW 3222; MBW T 12, 177 f.; hier 177, Z. 2 ff.]; zum Aufenthalt Melanchthons in Bonn von Anfang Mai bis Ende Juli Scheible, MBW R 10, 529–531; zu Melanchthons Zusätzen zur Ordnung Bucers seine Briefe vom 9. 5. 1543 an Camerarius [MBW 3238; MBW T 12, 198; hier Z. 9 ff.] und an Dietrich [MBW 3239; MBW T 12, 199; hier Z. 3 ff.] und an Cruciger 23. 5. 1543 [MBW 3250; MBW T 12, 215–217; hier 216, Z. 3 ff.]. 209 Hermann von Wieds Reformationsentwurf wurde unter dem Titel »Einfältiges Bedenken« ins Deutsche übersetzt; vgl. die Ausgabe von Gerhards und Borth, 15–221; zu den Umständen des Drucks der Schrift a. a. O., 5. Melanchthons Aussagen zum freien Willen und zur Sündenlehre finden sich 32–34, die Behandlung der Abendmahlslehre 139 ff. 210 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Amsdorf 4. 6. 1544 [CR 5, 461, Anm. *) und Regest bei Delius, Amsdorf-BW, Nr. 435]. 211 Vgl. Amsdorf an Johann Friedrich von Sachsen 18. 6. 1544 [Delius, Amsdorf-BW, Nr. 4 40]: Warnung an Johann Friedrich, sich mit den Verfassern des Entwurfs einzulassen, »denn sie tragen vff beiden achsseln [d. h. wollen es beiden Parteien recht machen], welchs vil erger ist denn offentlich wider die warheit fechten«; das beiliegende Bedenken fehlt laut Delius, a. a. O., Anm. 3 ; vgl. aber zu der darin enthaltenen Kritik Luther an Brück Anfang August 1544 [WA Br 10, 614–618, Nr. 4014; hier 617, Z. 4 f.; 618, Z. 13 und Z. 18 f.]; Melanchthon an Dietrich 8. 8. 1544 [MBW 3646; MBW T 13, 362 f.; hier 363, Z. 19 ff.]: »Fatetur initio censurae Amsdorfius doctrinam libri congruere cum nostris ecclesiis, sed quaedam verba obscurius posita esse. Deinde calumniose quaedam exagitat de libero arbitrio. Reprehendit et hoc, quod dixi amitti gratiam propter lapsus contra conscientiam. Tandem dicit de coena domini non satis explicate dici«; an Camerarius 11. 8. 1544 [MBW 3652; MBW T 13, 371 f.; hier 372, Z. 5 ff.] und an Myconius 10. 10. 1544 [MBW 3705; MBW T 13, 460 f.; hier 460, Z. 9 ff.]; Bucer an Philipp von Hessen 1. 10. 1544 [Lenz, Philipp von Hessen-BW 2, 263–270, Nr. 195; hier 264] und Vadian an A. Blarer 2. 10. 1544 [Vadianische Briefsammlung 7, 109 f., Nr. 81]. Vgl. zur Kritik Amsdorfs allgemein zudem A. Blarer an Vadian 6. 9. 1544 [Blaurer-BW 2, 286 f., Nr. 1116; hier 287] und Vadian an A. Blarer 14. 9. 1544 [BlaurerBW 2, 292–296, Nr. 1120; hier 295].
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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und in der Abendmahlslehre erneuerte Amsdorf damit Vorwürfe, die er in den vergangenen Jahren immer wieder geäußert hatte.212 Amsdorf schickte sein Bedenken zur »Kölner Reformation« im Juli auch an Luther, der zwar von dem Reformationsentwurf wußte, ihn bisher aber noch nicht selbst gelesen hatte und erst durch Amsdorfs Schrift dazu bewegt wurde, sich zumindest mit dessen Abendmahlsartikel auseinanderzusetzen. Luther pflichtete der Kritik Amsdorfs an der Länge und Geschwätzigkeit des Entwurfs, an fehlenden Aussagen gegenüber den Schwärmern und an den zu undeutlichen Aussagen zum Abendmahl, vor allem hinsichtlich der Frage der Realpräsenz, bei und kam zu dem Schluß, daß die »Kölner Reformation« mehr für die Lehre der Schwärmer denn für die der Lutherischen Partei ergreife. Diese Kritik Luthers richtete sich allerdings vor allem gegen Bucer, da dieser den Abendmahlsartikel der »Kölner Reformation« verfaßt hatte.213 Als Melanchthon Anfang August durch Luther von den Vorwürfen Amsdorfs erfuhr,214 rechnete er damit, daß sich bald auch Luthers Kritik nicht mehr nur gegen Bucer, sondern gegen ihn persönlich richten könnte. Er selbst war zwar für den Abendmahlsartikel der »Kölner Reformation« nicht verantwortlich, hatte diesen aber auch nicht kritisiert, und ihm war nicht verborgen geblieben, daß Luther seit Jahren mit seiner Position in der Abendmahlslehre unzufrieden war.215 Für den Fall derartiger Angriffe Luthers kündigte er seinen Rückzug aus Wittenberg an.216 Seine Befürchtungen steigerten sich noch durch folgende 212
14.
Vgl. zu Amsdorfs früherer Kritik an Willenslehre und Abendmahl oben Kap. 2 , 3 und
213 Vgl. zu Luthers Unkenntnis der Kölner Reformation seinen Brief an Amsdorf 23. 6. 1544 [WA Br 10, 600–602, Nr. 4007; hier 600, Z. 3 ff.]; zu seinem Urteil über diese und seiner Kritik an Bucer seinen Brief an Brück Anfang August 1544 [WA Br 10, 614–618, Nr. 4014; hier 617 f.]; Besold an Dietrich 8. 8. 1544 [Albrecht / Flemming, Manuscriptum Thomasianum 3, 163–168, Nr. 112; hier 164] und Bullinger an A. Blarer 5. 9. 1544 [BlaurerBW 2, 283–285, Nr. 1114; hier 284]. 214 Vgl. Besold an Dietrich 8. 8. 1544 [Albrecht / Flemming, Manuscriptum Thomasianum 3, 164] und Wengert, Melanchthon and Luther, 78. 215 Vgl. zu Luthers früherer Kritik die Beilage zum Brief von Brück an Johann Friedrich von Sachsen vom 10. 10. 1537 [Vetter, Luthers Stellung, 103 f., Nr. 1; hier 103], in dem Brück über ein Gespräch mit Luther berichtete, in dem dieser betont habe, »er hette wol allerley fursorge vnd konnte nit wissen, wie Philippus am sacrament were. Dan er . . . hielt es auch fur ein slechte cerimoni, hett in lange czeit nit sehen das sacrament entpfahen«; zudem habe er aus den Äußerungen Melanchthons nach seinem Besuch bei Philipp von Hessen in Kassel [im Januar 1535] »vernomen, wie er fast zwingellischer maynung gewest« sei; ferner Melanchthon an Dietrich 22. 3. 1538 [MBW 2009; MBW T 8, 70 f., Z. 28 ff.]: »De hac ipsa materia τοῦ μυστηρίου aliquoties cepi cum nostris colloqui. Meminisse te puto, quam atrociter de me suspicati et locuti sint, ὁ διδάσκαλος dixit se potius omnes veteres scriptores, om nium testimoia repudiaturum esse quam mutaturum suam sententiam« und seinen Rückblick auf Luthers Kritik des Jahres 1537 im Brief an Camerarius 7. 3. 1545 [MBW 3833; CR 5, 332]. 216 Vgl. Melanchthon an Dietrich 8. 8. 1544 [MBW 3646; MBW T 13, 362 f.; hier 362, Z. 14 f.].
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Faktoren: Am 10. August predigte Luther gegen die schwärmerische Leugnung der Realpräsenz, und Melanchthon empfand auch das als gegen sich gerichtet. Zudem verbreitete sich die Nachricht, Luther arbeite an einer neuen Schrift zur Abendmahlslehre, in der er vielleicht auch gegen Bucer und Melanchthon polemisieren werde. Ferner erfuhr Melanchthon von Luthers engem Kontakt zu Amsdorf. Schließlich kursierte das Gerücht, Luther werde eine Formel zum Abendmahl abfassen, die von allen Theologen unterschrieben werden solle, und, wer sie nicht unterschreibe, müsse Wittenberg verlassen.217 Die Kunde von den Unstimmigkeiten zwischen Luther, Amsdorf und Melanchthon verbreitete sich schnell auch über Wittenberg hinaus und zog weitere Gerüchte und Kritik nach sich.218 So munkelte man beispielsweise in Augsburg und Konstanz in bezug auf die Kritik Luthers und Amsdorfs an Melanchthon, sie hätten über hundert Artikel aus seinen Büchern gezogen und diese sogenannten philippischen Irrtümer vor den Kurfürsten gebracht – ein Gerücht, das vielleicht durch die Schrift Amsdorfs gegen Melanchthons »Loci« von 1541 zustandegekommen war.219 Und in Straßburg wußte man von nicht näher genannten Personen, die – vielleicht mit Zustimmung Luthers – beabsichtigten, ein Buch gegen die von Bucer und Melanchthon geleitete Reformation in Köln zu schreiben.220 Als Luthers »Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament« jedoch Ende September erschien und deutlich wurde, daß er sich nur gegen die Schweizer, nicht aber gegen die »Kölner Reformation«, Bucer oder gar Melanchthon wandte, atmeten Melanchthon und viele andere auf. Luther und Melanchthon versöhnten sich zwar oberflächlich in einem persönlichen Gespräch, und Melanchthon beschloß, seine Exilspläne zurückzustellen. Im Wissen um ihre unterschiedlichen Positionen in der Frage des Abendmahls rechnete er jedoch jetzt und in den
217 Vgl. die Predigt Luthers vom 10. 8. 1544 [WA 49, 534–546, Nr. 30; bes. 542, Z. 11 ff. bzw. Z. 33 ff.]; Melanchthon an Dietrich 11. 8. 1544 [MBW 3653; MBW T 13, 373 f.; hier 374, Z. 6 ff.]; an Musculus 12. 8. 1544 [MBW 3658; MBW T 13, 380 f.; hier 381, Z. 8 ff.]; 28. 8. 1544 an Bucer [MBW 3667; Bindseil, Epistolae, 276, Nr. 318] und an Camerarius 28. 8. 1544 [MBW 3668; MBW T 13, 396 f.; hier 397, Z. 8 ff.]; an Bullinger 31. 8. 1544 [MBW 3671; MBW T 13, 403 f.; hier 404, Z. 2 ff.] und an Jonas 6. 9. 1544 [MBW 3676; MBW T 13, 418 f.; hier 419, Z. 13 ff.]; außerdem Cruciger an Dietrich 7. 9. 1544 [CR 5, 476 f., Nr. 3025; hier 477] und Bucer an Philipp von Hessen 1. 10. 1544 [Lenz, Philipp von Hessen-BW 2, 263–270, Nr. 195; hier 264]. 218 Vgl. zur Verbreitung der Kritik Brück an Johann Friedrich von Sachsen Mitte September 1544 [WA Br 10, 653 f., Beilage zu Nr. 4028; hier 653]; zu Anhängern der Kritik in Marburg Bucer an Philipp von Hessen 1. 10. 1544 [Lenz, Philipp von Hessen-BW 2, 264] und zu entsprechender Kritik in Berlin im Jahr 1548 Melanchthon an Buchholzer 20./21. 4. 1548 [MBW 4717; CR 6, 377, Nr. 3724]. 219 Vgl. Fröhlich an Philipp von Hessen 28. 9. 1544 [Lenz, Philipp von Hessen-BW 3, 511 f.] und A. Blarer an Bullinger 8. 10. 1544 [Blaurer-BW 2, 304 f., Nr. 1141; hier 305]; zur Kritik Amsdorfs an Melanchthons »Loci« von 1541 oben Kap. 14. 220 Vgl. die Straßburger Dreizehn an Philipp von Hessen 1. 10. 1544 [Regest PC 3, 534, Nr. 502].
III. Die Kritik an Melanchthon in der Zeit zwischen 1530 und Luthers Tod 1546
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folgenden Monaten damit, daß die Kritik Luthers und somit auch sein eigener Rückzug aus Wittenberg erneut aktuell werden könnten.221 Neben der genannten protestantischen Kritik 222 gab es auch altgläubige Kritik, die wieder einmal von Cochlaeus geäußert wurde, der sich in seiner sechsten »Philippica«, die 1544 erschien, scharf gegen Melanchthon aussprach. Der konkrete Anlaß seiner Kritik war eine Schrift Melanchthons, in der dieser die »Kölner Reformation« verteidigte. Cochlaeus sprach sich allerdings nicht nur gegen Melanchthons Darstellung aus, sondern griff ihn zudem wie bereits in früheren Jahren wegen seines angeblich betrügerischen, hinterhältigen, heuchlerischen und lügenhaften Verhaltens an und hielt ihm vor, daß er nur nach außen vorgebe, für die Einheit der Kirche zu wirken, diese in Wahrheit jedoch zerstören wolle.223 In der Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der »Kölner Reformation« kulminierte Kritik, die schon in früheren Jahren geäußert worden war, und gelangte zum ersten Mal seit 1534/35 wieder an eine breitere Öffentlichkeit. Es wurde deutlich, daß das Verhältnis zwischen Amsdorf und Melanchthon äußerst angespannt war. Die Differenzen in der Abendmahlsfrage belasteten zudem die Beziehung zwischen Luther und Melanchthon. 221 Vgl. Luthers Schrift »Kurzes Bekenntnis vom heiligen Sakrament« [WA 54, 141–167]; zum Inhalt Clemen, WA Br 10, 616 und 660; zur Datierung Melanchthon an Camerarius 30. 9. 1544 [MBW 3695; MBW T 13, 460 f.; hier 461, Z. 13 ff.] und Cohrs, WA 54, 123; zur Erleichterung Cruciger an Dietrich 7. 10. 1544 [CR 5, 497 f., Nr. 3048; hier 497]; zur Versöhnung zwischen Luther und Melanchthon auch Brück an Philipp von Hessen 2. 11. 1544 [Kuchenbecker, Analecta Hassiaca 10, 428–431, Nr. 17; hier 428]; zu einem Gespräch zwischen Luther und Melanchthon und zu Melanchthons anhaltender Angst vor Kritik seine Briefe an Myconius 10. 10. 1544 [MBW 3705; CR 5, 498 f., Nr. 3049]; an Bucer 17. 4. 1545 [MBW 3883; Zitat im Brief von Bullinger an A. Blarer vom 14. 5. 1545; Blaurer-BW 2, 364–366, Nr. 1186; hier 365 f.]; an Camerarius 13. 8. 1545 [MBW 3987; CR 5, 831 f., Nr. 3240; hier 832] und 24. 8. 1545 [MBW 3994; CR 5, 850, Nr. 3267]: »metuens Aristarchos nostros« (vgl. zur Bezeichnung eines Kritikers als »Aristarch« oben Abschnitt II, Kap. 3.3.1.3) und an Collinus 18. 10. 1545 [MBW 4036; Fischer, Trolmann, 181 f., Nr. 21; hier 182]. Vgl. zu Amsdorfs und Luthers andauerendem Mißtrauen Peucer, De Controversia Cœnæ Domini, 26: »Hoc consilium [sc. Melanchthon zum Regensburger Religionsgespräch 1546 zu schicken], Lutheri & Ambsdorffii suasu, mutatum fuisse, rumor erat non obscurus; quod Melanthoni in controversia cœnæ dominicæ diffiteret«. 222 Vgl. dazu auch Camerarius, De vita Melanchthonis, 206: »Philippus Melanchthon aliis quasi in portu, id est apud suos, procellis jactatus ita fuit ut pene everteretur, vel oppressus vel pulsus iniquitate et odio nonullorum, qui contra ipsum Martini Lutheri animum incitaverant atrocitate accusationum, quarum caput erat moderatio et lenitas, quibus ab illo adversarios sublevari dicebatur«. 223 Vgl. Melanchthons Verteidigung der »Kölner Reformation« von 1543 mit dem Titel »Responsio ad scriptum quorundam delectorum a clero secundario Coloniae agrippinae« [MSA 6, 382–421, Nr. 7]; zur Kritik des Cochlaeus seine »Philippica sexta« [Bd. 1 der Ausgabe von Keen, 275–328] mit dem Titel »Contra Philippi Melan[chthonis] Responsionem pro Bucero in Coloniensis Bonnae nuper aeditam«; konkrete Vorwürfe 285, Z. 21 f.; 286, Z. 25 f.; 287, Z. 24 und 288, Z. 7–26; außerdem Frecht an Vadian 29. 10. 1544 [Vadianische Briefsammlung 6, 352 f., Nr. 1366; hier 353].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Zusammenfassung zur Kritik der Jahre 1534 bis 1546 In der Zeit zwischen 1530 und 1546 steigerte sich die Kritik an Melanchthon beständig,224 wobei der Höhepunkt in den Jahren 1536/37 lag und sie sich nun inhaltlich in erster Linie gegen verschiedene Lehraussagen Melanchthons richtete. Sie hatte beispielsweise zur Folge, daß sich Schüler Melanchthons wegen ihrer Freundschaft zu ihm benachteiligt fühlten,225 und hatte 1546 ein solches Ausmaß angenommen, daß Melanchthon nicht wagte, einen Ruf nach Heidelberg anzunehmen, weil er befürchtete, böswillige Menschen könnten ihm dann – ähnlich wie 1535 – vorhalten, er suche nur einen neuen Standort für seine veränderten Dogmen.226 Zwar trat auch Luther in den 1530er Jahren immer wieder als Kritiker Melanchthons in Erscheinung, er hatte aber dennoch stets seine schützende Hand über ihn gehalten. Das sollte sich nach seinem Tod am 18. Februar 1546 ändern.
224
Vgl. die oben in Abschnitt I, Anm. 1 zitierten Briefe Melanchthons. Vgl. Eber an Melanchthon 25. 3. 1541 [MBW 2646; MBW T 10, 92–94; hier 94, Z. 41 ff.]: »Nunc comperi plurimorum voluntates erga me prorsus alias, quam apparent. Non vererer etiam dicere me premi a nonnullis tantum ideo, quod me tibi carum esse existimant«. 226 Vgl. Melanchthon an Collinus Ende März 1546 [MBW 4209; CR 6, 95 f., Nr. 3429; hier 95]: »si quo abirem, homines maledici καὶ φιλόψογοι mox dicerent, me Luthero mortuo sedem novo dogmati quaerere« und an seinen Bruder Georg Schwarzerdt 2. 4. 1546 [MBW 4215; Müller, Georg Schwarzerdt, 203 f., Nr. 2 ; hier 203]; vgl. zu 1535 oben Kap. 6. 225
IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560 Einleitung Die Ereignisse nach dem Schmalkaldischen Krieg und im Zusammenhang des »Augsburger Interims« markieren eine theologiegeschichtlich »bedeutsame Wendemarke«, da »die Integrität von Lehre und Bekenntnis angesichts politisch-militärischer und kirchenpolitischer Bedrohungen in bisher nicht gekannter Weise zur Debatte«1 stand. Dies führte innerhalb der Wittenberger Reformation zu beträchtlichen Spannungen, die sich in der Folgezeit in verschiedenen Auseinandersetzungen entluden. Dabei ging es letztlich immer um die Frage, was als genuin reformatorisch zu gelten hatte und wer nach dem Tod Luthers »den legitimen Anspruch auf die rechte Wahrung des Wittenberger reformatorischen Erbes erheben konnte«.2 Daß Melanchthon im Zuge dieser Streitigkeiten eher kritisiert wurde als andere und diese Kritik heftiger ausfiel und kontinuierlicher geäußert wurde als in früheren Jahren, hatte folgende Gründe: Nach Luthers Tod gab es keine Instanz mehr, die ihre schützende Hand über Melanchthon hielt.3 Und das »integrative Potential«, das vorhanden gewesen war, als »Luther und Melanchthon gemeinsam als Kollegen« gewirkt »und als reformatorische Autoritäten Anerkennung genossen« hatten, war mit Luther gestorben, und statt Integration stand nun »Profilbildung und Abgrenzung der beiden Reformatoren voneinander« im Vordergrund.4 Die theologische Gegnerschaft zwischen Melanchthon und seinen Gegnern wurde verschärft »durch den Generationenkonflikt zwischen erster und zweiter Reformatorengeneration, zwischen Lehrer (Melanchthon) und Schülern, und den 1 Dingel / Wartenberg, Vorwort zum Sammelband »Politik und Bekenntnis«, 9; vgl. auch Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 791. 2 Dingel, Der Majoristische Streit, 247; vgl. Dies., Melanchthon – Freunde und Feinde, 791. Eine mit dieser Frage einhergehende Infragestellung Melanchthons deutete sich zum Beispiel bereits dadurch an, daß der sächsische Kurfürst Johann Friedrich nach Luthers Tod nicht Melanchthon, sondern Bugenhagen aufforderte, die reine Lehre zu bewahren (vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Bugenhagen, Melanchthon und die restliche theologische Fakultät in Wittenberg 28. 2 . 1546 [MBW 4169; Förstemann, Denkmale, 130–132, Nr. 37; hier 131]). 3 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 220. 4 Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 790 f. (Hervorhebung im Original).
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damit einhergehenden persönlichen Enttäuschungen über die jeweils eingeschlagenen theologischen Wege«.5 Außerdem war Melanchthon als neuer Führer der Protestanten mit hohen Erwartungen konfrontiert, und seine Äußerungen und sein Verhalten wurden genauer als früher beobachtet.6 Schließlich sehnten sich angesichts der Bedrohung des Protestantismus durch die kaiserliche Religionspolitik viele nach Positionen, die klar vom altgläubigen Denken geschieden waren, weshalb jede Art der Annäherung und des Kompromisses abgelehnt wurde.7 Innerhalb der Streitigkeiten kommt der ersten großen öffentlichen Auseinandersetzung, dem sogenannten Adiaphoristischen Streit,8 eine besondere Bedeutung zu, war er doch so etwas wie die »Initialzündung« 9 und der Auftakt für alle weiteren Streitigkeiten und enthielt in nuce bereits die Ansätze für die kontroversen Themen der kommenden Jahre. Dies gilt insbesondere im Blick auf Melanchthon, der in dieser ersten großen Auseinandersetzung als »Speerspitze oder Galeonsfigur«10 der kursächsischen Theologen im Mittelpunkt der Kritik stand und dessen Gegner in späteren Jahren immer wieder an die Vorwürfe des Adiaphoristischen Streits anknüpften.11 Die sich anschließenden Streitigkeiten entzündeten sich zwar meist an den Lehraussagen anderer Personen, da viele von ihnen jedoch Schüler Melanchthons waren und sich in den Auseinandersetzungen zunehmend zwei sich entgegenstehende Lager herausbildeten, war Melanchthon häufig von der Kritik mitgetroffen. So ließ die Kritik bis zu seinem Tod nicht mehr nach, und man gewinnt den Eindruck, daß sich viele Vorwürfe regelrecht verselbständigten. Obwohl die Kritik, die in der Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg gegen Melanchthon vorgebracht wurde, zur bekanntesten und wirkmächtigsten in seinem gesamten Leben gehört und das Melanchthonbild über die Jahrhunderte 5
Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 791. Vgl. z. B. die Rede von Melanchthon als »Elisa« in einem Gedicht auf Luthers Tod [Schubart, Luthers Tod, 128] (weitere Belege bei Volz, Lutherpredigten des Mathesius, 82, Anm. 4 ) und die Bezeichnung Melanchthons als des »Ältesten nach Luther« im Brief von Grabner, Kirchberger und Enenkel an ihn vom 27. 9. 1559 [MBW 9075; Regest bei Scheible, MBW R 8, 393 f.; hier 392]; zum Zusammenhang der hohen Erwartungen mit den Angriffen Gunterus an Melanchthon 1. 5. 1557 [MBW 8213; Regest bei Scheible, MBW R 8, 68 f.]; zudem Lezius, Charakteristik, 119 f. und Ritschl, Dogmengeschichte 2, 332 ff. 7 Vgl. Mehlhausen, Augsburger Interim, 12. 8 Vgl. zur Unterscheidung zwischen dem »Interimistischen Streit« – eine Bezeichnung für den Widerstand gegen das »Augsburger Interim« in den Jahren 1548 und 1549 – und dem »Adiaphoristischen Streit«, der sich an den »Leipziger Artikeln« von Dezember 1548 (vgl. dazu unten Kap. 3) entzündete und sich von 1549 bis 1560 hinzog, Dingel, Historische Einleitung, in: Reaktionen auf das Augsburger Interim, 14 ff. 9 Koch, Ausbruch, 179. 10 Waschbüsch, Alter Melanchthon, 36. 11 Diese Tatsache macht es so schwierig und m. E. letztlich unmöglich, den Adiaphoristischen Streit zeitlich abzugrenzen oder gar in Phasen einzuteilen, wie dies z. B. Kolb, Controversia perpetua, 192 versucht (1. Phase 1549–1557, Fortsetzung 1558/59). 6
IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560
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prägte, wurde sie noch nie systematisch zusammengestellt. Dies soll im folgenden geschehen: Im Zentrum steht die Kritik, die während des Adiaphoristischen Streits gegen Melanchthon vorgebracht wurde (Kap. 3 ). Daß sie nicht aus heiterem Himmel kam, sondern sich langsam anbahnte, zeigen (neben der in den vorangegangenen Abschnitten dargestellten Kritik) die Vorwürfe im Rahmen von Melanchthons Rückkehr nach Wittenberg (Kap. 1) und die Kritik an seinen Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« (Kap. 2 ). Die restlichen Kapitel gehen auf die verschiedenen kleineren und größeren Auseinandersetzungen ein, in die Melanchthon bis zu seinem Tod 1560 mehr oder weniger direkt verwickelt war. Viele Vorwürfe gegen Melanchthons Lehraussagen lassen sich allerdings mit keinem konkreten Ereignis in Verbindung bringen und werden daher in einem eigenen Kapitel darstellt (Kap. 5).
Kapitel 1: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang seiner Rückkehr nach Wittenberg nach dem Schmalkaldischen Krieg im Sommer 1547 Melanchthon und seine Universitätskollegen waren aufgrund des Schmalkaldischen Krieges im November 1546 gezwungen, Wittenberg zu verlassen. Melanchthon floh mit seiner Familie zunächst nach Zerbst im Fürstentum Anhalt. Während der Zeit seines Exils konnte er zwar nicht unterrichten, war aber dennoch nicht müßig, sondern beteiligte sich an verschiedenen Vermittlungsbemühungen und mahnte dabei unter anderem an, Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen solle sich bei Garantie der Religionsfreiheit dem Kaiser unterwerfen und dadurch die Möglichkeit für ein friedliches Ende des Konflikts schaffen.12 Johann Friedrich entschied sich jedoch für die militärische Lösung, wurde bekanntermaßen in der Schlacht bei Mühlberg am 24. April 1547 verwundet und gefangengenommen und mußte am 19. Mai 1547 in der Wittenberger Kapitulation zugunsten seines albertinischen Vetters Moritz von Sachsen (1521– 1553) auf die sächsische Kurwürde und Teile seines Territoriums verzichten. Als es nach diesem Sieg der kaiserlichen Kriegspartei in verschiedenen Teilen des Landes zu Übergriffen von Spaniern und Italienern kam, wurde die Lage der Wittenberger Flüchtlinge in Anhalt unsicher, sie mußten nach einem neuen Zufluchtsort Ausschau halten und kamen Ende Mai nach Nordhausen.13 12 Vgl. die mündlichen Gutachten Melanchthons für Brück vom 5. 2 . 1547 [MBW 4581; Referat im Brief von Brück an Johann Friedrich von Sachsen 5. 2 . 1547; PKMS 3, 210 f., Nr. 280; hier 211] und 25./26. 2 . 1547 [MBW 4610; Referat im Brief von Brück an Johann Friedrich 26. 2 . 1547; Regest in PKMS 3, 212, nach Nr. 280] und seine Briefe an Cruciger ca. 8. 1. 1547 [MBW 4542; CR 6, 352, Nr. 3697] und 3. 3. 1547 [MBW 4617; CR 6, 415 f., Nr. 3759; hier 416]. 13 Vgl. zu den Ereignissen des Schmalkaldischen Krieges Rabe, Deutsche Geschichte, 397 ff. und Scheible, Melanchthon, 173 ff.; zu Melanchthons Flucht aus Wittenberg und seinen Aufenthaltsorten in den folgenden Monaten seinen Brief an Koch 9. 11. 1546 [MBW
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Obwohl sich Melanchthon in Wittenberg in den vergangenen Jahren infolge der zahlreichen Streitigkeiten zunehmend unwohl gefühlt hatte und immer wieder erwogen hatte wegzugehen bzw. damit gerechnet hatte, vertrieben zu werden,14 litt er während seines Exils darunter, die Universität, der er seit fast drei Jahrzehnten verbunden war, die er maßgeblich geprägt hatte und die seiner Ansicht nach Unersetzliches für Kirche und Staat geleistet hatte, in so schwierigen Zeiten im Stich lassen zu müssen.15 Er hoffte daher beständig auf die Möglichkeit seiner Rückkehr nach Wittenberg und die Wiedereröffnung der Universität und schlug zahlreiche Asylangebote und Berufungen an andere Universitäten aus.16 Seine Hoffnung verstärkte sich, als die Stadt Wittenberg trotz der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes im April 1547 nicht zerstört, sondern nach kurzer Belagerung am 23. Mai kampflos an Herzog Moritz von Sachsen übergeben wurde. Wenige Tage nach diesem Ereignis schickte Melanchthon einen Boten aus Nordhausen, der die Umstände für eine Rückkehr erkunden sollte, und rechnete damit, bald zumindest für Beratungen mit den ehemaligen Kollegen dorthin reisen zu können; 17 mit dem neuen Machthaber Wittenbergs wollte er zunächst allerdings nichts zu tun haben.18 Auch dem gefangenen Kurfürsten Johann Friedrich lag am Fortbestand der Universität – so hatte er sich
4442; CR 6, 268, Nr. 3603]; Eber an einen unbekannten Fürsten 21. 9. 1547 [CR 6, 685– 689, Nr. 4025; hier 686 f.] und Scheible, MBW R 10, 572 ff. 14 Vgl. z. B. Melanchthon an Jonas 9. 6. 1536 [MBW 1752a; MBW T 7, 164 f.; hier Z. 12 ff.]; an Luther, Jonas, Bugenhagen und Cruciger 1. 11. 1536 [MBW 1802; MBW T 7, 262–264, hier Z. 25 ff.]; an Dietrich 27. 4. 1538 [MBW 1896; MBW T 7, 440; hier Z. 8 f.] und 22. 7. 1538 [MBW 2067; MBW T 8, 171–173; hier 173, Z. 43 f.] und an Brenz 17. 4. 1546 [MBW 4234; CR 6, 860 f., Nr. 4206; hier 860]: »Ego annos circiter quindecim exilia quotidie expectavi, et adhuc expecto«; zudem oben Abschnitt III, Kap. 15 und Cruciger an Dietrich ca. 19. 4. 1537 [CR 3, 354 f., Nr. 1564; hier 355]; Dietrich an Furster 16. 5. 1537 [CR 3, 370–372, Nr. 1476; hier 372] und an Camerarius 8. 7. 1538 [Fischer, Trolmann, 137]. 15 Vgl. z. B. Melanchthon an Dietrich 9. 11. 1546 [MBW 4441; CR 6, 267 f., Nr. 3602; hier 268]; an Cruciger 17. 11. 1546 [MBW 4450; CR 6, 284, Nr. 3618] und an Dryander 23. 1. 1547 [MBW 4567; CR 6, 372 f., Nr. 3717; hier 372]; zur Verbundenheit mit Wittenberg zudem die Briefe an Bucer 28. 8. 1544 [MBW 3667; MBW T 13, 395 f.; hier 396, Z. 16 f.] und an Camerarius 20. 9. 1544 [MBW 3689; MBW T 13, 435–437; hier 435, Z. 13]. 16 Vgl. Melanchthon am 25. 11. 1546 an Matthias [MBW 4466; CR 6, 292 f., Nr. 3628; hier 293] und an Meienburg [MBW 4467; CR 6, 291 f., Nr. 3627; hier 292]; an Camerarius 17. 12. 1546 [MBW 4498; CR 6, 323 f., Nr. 3667; hier 323]; an Eber und Cruciger 30. 12. 1546 [MBW 4527; CR 6, 336 f., Nr. 3682] und an Eber 19. 2 . 1547 [MBW 4595; CR 6, 396 f., Nr. 3742; hier 397] und 2. 4. 1547 [MBW 4680; CR 6, 466 f., Nr. 3814; hier 466]. 17 Vgl. Melanchthon an Eber 26. 5. 1547 [MBW 4753; CR 6, 546 f., Nr. 3884; hier 547]; an Faber 5. 6. 1547 [MBW 4765; CR 6, 559 f., Nr. 3900; hier 560]; an Fachs 6. 6. 1547 [MBW 4770; Krause, Melanchthoniana, 116 f., Nr. 31; hier 116]; an Stigel 8. 6. 1547 [MBW 4772; CR 6, 562 f., Nr. 3903; hier 563]; an Johann Friedrich II. von Sachsen 9. 6. 1547 [MBW 4774; CR 6, 564 f., Nr. 3905; hier 565] und an Jonas 19. 6. 1547 [MBW 4783; CR 6, 580 f., Nr. 3919; hier 580]. 18 Vgl. das Konzept eines Briefes von Melanchthon an Jonas (?) Anfang Juni 1547 [MBW 4762; Regest bei Scheible, MBW R 5, 119 f.].
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bereits im März 1547 um eine Wiedereröffnung bemüht; 19 da die Universität jedoch nach seiner Niederlage nicht mehr innerhalb seines Herrschaftsgebiets lag, plante er gemeinsam mit seinen Söhnen ihre Verlegung nach Jena. Melanchthon stand diesem Vorhaben zunächst offen gegenüber, da ihm nicht so sehr der Ort Wittenberg am Herzen lag, sondern vor allem die Zusammenarbeit mit seinen früheren Kollegen; und so verhandelte er ab dem 8. Juli in Weimar mit den jungen Herzögen, Johann Friedrich II. (1529–1595) und Johann Wilhelm (1530–1573), allerdings ohne greif bares Ergebnis.20 Als gleichzeitig auch Herzog Moritz, der neue Machthaber Wittenbergs, seinen Willen signalisierte, die Universität Wittenberg wieder zu eröffnen, seine Absicht äußerte, er wolle dafür auf die bisherigen Professoren zurückgreifen,21 und Melanchthon deshalb für Mitte Juli zu einem Landtag nach Leipzig einlud – eine Nachricht, die sich sehr schnell verbreitete –,22 setzte sich Melanchthon auch mit dieser Möglichkeit auseinander und nahm die Einladung nach Leipzig an. Ihn beeindruckten vor allem die Zusagen Moritz’, er werde die reine evangelische Lehre unverändert bewahren, keine papistischen Mißbräuche einführen und die Universität Wittenberg nicht nur wiedereröffnen, sondern auch besser ausstatten als vor dem Krieg.23 Melanchthon reiste also Ende Juli zusammen mit seinen Kollegen Cruciger, Bugenhagen und Paul Eber (1511–1569) nach Wittenberg und nahm 19
Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Bugenhagen, Cruciger, Maior und Melanchthon 1. 3. 1547 [MBW 4614; CR 6, 408–410, Nr. 3754; hier 410]; die Antwort der Wittenberger Professoren vom 12. 3. 1547 [MBW 4646; CR 6, 429–432, Nr. 3775; hier 431 f.] und die Erwiderung Johann Friedrichs vom 20. 3. 1547 [MBW 4656; Regest bei Scheible, MBW R 5, 74]. 20 Vgl. zu den Plänen der sächsischen Herzöge Melanchthon an Eber 2. 7. 1547 [MBW 4792; CR 6, 590, Nr. 3927] und die jungen Herzöge an ihren Vater Johann Friedrich 13. 7. 1547 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 297 f., Nr. 299]; zu Melanchthons Aufenthalt in Weimar Scheible, MBW R 10, 579; zu den Verhandlungen sein Gutachten für die sächsischen Herzöge vom 10. 7. 1547 [MBW 4800; Bindseil, Epistolae, 541–544, Nr. 558] und das Referat der Herzöge 9.12. 7. 1547 [MBW 4801; Regest bei Scheible, MBW R 5, 138 f.]; zur Eröffnung der Universität Jena am 19. 3. 1548 Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 134 f. 21 Vgl. Obernburger an Melanchthon nach 6. 6. 1547 [MBW 4771; CR 6, 561 f., Nr. 3902]; Cruciger an seine Kollegen 8. 6. 1547 [MBW 4773; CR 6, 563 f., Nr. 3904] und Melanchthon an Georg von Anhalt 20. 6. 1547 [MBW 4785; CR 6, 582 f., Nr. 3921; hier 583]. 22 Vgl. zu dieser Einladung Fabricius an Meurer 13. 6. 1547 [Fabricius, Epistolae, 31 f., Nr. 31; hier 31]; Medler an Jonas 28. 6. 1547 [CR 6, 585–587, Nr. 3924; hier 586]; Melanchthon an Camerarius 3./4. 7. 1547 [MBW 4795; CR 6, 588–590, Nr. 3926; hier 589]; Moritz von Sachsen an Georg von Anhalt 6. 7. 1547 [Regest in PKMS 3, 459, Nr. 665] und Frecht an Vadian 1. 10. 1547 [Vadianische Briefsammlung 6, 655–658, Nr. 1564; hier 656]. 23 Vgl. Moritz’ Landtagsproposition vom 13. 7. 1547 [Regest in PKMS 3, 463 f., Nr. 674; hier 464] und seine Briefe an Melanchthon, Georg von Anhalt und andere 18. 7. 1547 [MBW 4812; CR 6, 605 f., Nr. 3944; hier 605] und 20. 7. 1547 [MBW 4814; PKMS 3, 490 f., Nr. 698; hier 490]; Melanchthon an Medler 23. 7. 1547 [MBW 4816; CR 6, 612 f., Nr. 3948; hier 613] und an Christian III. von Dänemark 1. 8. 1547 [MBW 4825; CR 6, 621 f., Nr. 3958; hier 622]; außerdem Eber an einen unbekannten Fürsten 21. 9. 1547 [CR 6, 687 f.].
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an Beratungen über die Wiedererrichtung der Universität teil.24 Diese zogen sich allerdings noch einige Monate hin, da Moritz den bevorstehenden Reichstag in Augsburg abwarten wollte und sein Hof aufgrund finanzieller Schwierigkeiten zögerte.25 Ende Oktober konnte jedoch der Vorlesungsbetrieb wieder beginnen, und am 7. Januar 1548 wurde die Neufundation der Wittenberger Universität durch Kurfürst Moritz von Sachsen vollzogen.26 Das Verhalten Melanchthons während des Schmalkaldischen Krieges und im Zusammenhang der Wiedereröffnung der Universität Wittenberg blieb nicht unhinterfragt, sondern wurde in den kommenden Monaten heftiger Kritik unterzogen. Melanchthons Ratschlag an Johann Friedrich während des Schmalkaldischen Krieges, sich dem Kaiser zu unterwerfen, wurde von Amsdorf kritisiert, der die Wittenberger Theologen daher als adulatores Caesaris bezeichnete.27 Eine große Zahl von Kritikern griff Melanchthons Erscheinen beim Leipziger Landtag, seine Rückkehr nach Wittenberg und seine Unterstützung für den neuen sächsischen Kurfürsten Moritz an; so zum Beispiel Amsdorf, der die Wittenberger als Mauritiani und ihr Verhalten als Untreue (infidelitas) bezeichnete.28 Der frühere Leibarzt Johann Friedrichs Matthias Ratzeberger (1501–1559), der Melanchthon bei verschiedenen Verhandlungen begleitet und einen Bericht darüber verfaßt hatte,29 behauptete, Melanchthon sei von Moritz durch Ge24 Vgl. z. B. Melanchthon an Camerarius 25. 7. 1547 [MBW 4817; CR 6, 613 f., Nr. 3949; hier 614] und an Moller 26. 7. 1547 [MBW 4818; CR 6, 614 f., Nr. 3950; hier 614]. 25 Vgl. z. B. Melanchthon an Meienburg 20. 8. 1547 [MBW 4850; CR 6, 638, Nr. 3977]. 26 Vgl. den Rektoratserlaß vom 16. 10. 1547 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 298 f., Nr. 300]; Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 13. 11. 1547 [BugenhagenBW, 411–413, Nr. 205; hier 412] und die Urkunde der Neufundation vom 7. 1. 1548 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 299 f., Nr. 301]; zu den in aller Kürze beschriebenen Verhandlungen Melanchthons mit dem ernestinischen und albertinischen Hof ausführlich Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 253 ff.. 27 Vgl. Amsdorf an Maior 19. 4. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 616 f., Nr. 16; hier 616]. 28 Vgl. Amsdorf an Maior 19. 4. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 616]. Ein weiteres Zeugnis derartiger Kritik findet sich in Flacius’ Schrift »Gründliche Verlegung des langen Comments der Adiaphoristen« aus dem Jahr 1560 [nach Olson, Flacius, 71], der den Wittenbergern rückblickend Wortbruch gegenüber Johann Friedrich vorwarf. Zum Verständnis der Kritik Amsdorfs Lerche, Amsdorff und Melanchthon, 17. Vgl. zudem die Hinweise auf derartige Kritik in Melanchthons Briefen an Kling 8. 8. 1547 [MBW 4833; Regest bei Scheible, MBW R 5, 154]; am 10. 8. 1547 an Koch [MBW 4840; CR 6, 628, Nr. 3967] und an Meienburg [MBW 4841; CR 6, 629, Nr. 3968]; 1. 9. 1547 an Aquila [MBW 4867; CR 6, 649–651, Nr. 3988; hier 649] und an Baumgartner [MBW 4868; CR 6, 662–664, Nr. 3998; hier 663]; an Dietrich 2. 9. 1547 [MBW 4876; CR 6, 665 f., Nr. 4000; hier 666]; an Fabricius 4. 9. 1547 [MBW 4881; CR 6, 670 f., Nr. 4006; hier 670]; an Milichius nach 18. 9. 1547 [MBW 4906; CR 6, 681 f., Nr. 4021; hier 682]; an Camerarius 24. 11. 1547 [MBW 4967; CR 6, 731–733, Nr. 4075; hier 732]; an Medler 16. 2. 1548 [MBW 5061; CR 6, 812 f., Nr. 4152; hier 812]; an Weller 17. 3. 1548 [MBW 5091; CR 6, 828 f., Nr. 4175; hier 829]; außerdem in den Briefen von Eber an Sitzinger 26. 8. 1547 [CR 6, 654 f., Nr. 3985; hier 646]; von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 453–462, Nr. 232; hier 458] und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 249. 29 Vgl. Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 263 ff.
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schenke gekauft worden und verhalte sich daher ihm gegenüber allzu unkritisch.30 Ferner wurde Melanchthons Verhalten gegenüber seinem früheren Kurfürsten Johann Friedrich gerügt. So hielten ihm etwa Ratzeberger und der Berliner Propst Georg Buchholzer (1503–1566) vor, er und seine Kollegen hätten den früheren Kurfürsten und seine Verdienste allzu schnell vergessen. Und Melanchthon wurde vorgeworfen, er spreche schlecht über Johann Friedrich und verbiete, daß für den gefangenen Kurfürsten gebetet werde. Vorwürfe dieser Art kursierten bis ins Jahr 1550.31 Ratzeberger behauptete zudem, Melanchthon habe den Kurfürsten falsch beraten und streite die Verantwortung dafür nun ab.32 Den zugänglichen Quellen nach schloß sich Johann Friedrich selbst derartiger Kritik zwar nicht an, seine Äußerungen zeigen jedoch, daß er enttäuscht und befremdet über das Schweigen seiner ehemaligen Professoren war und daher befürchtete, Melanchthon könne sich aufgrund seines »Wankelmuts« wieder einmal haben »bereden« lassen.33 Schließlich befürchteten einige Kritiker als Folge von Melanchthons Dienst für den neuen Kurfürsten Lehränderungen oder gar Verrat bzw. Abfall vom lutherischen Bekenntnis in Wittenberg.34 Derartige Kritik scheint sich sehr lange gehalten zu haben bzw. lebte angesichts der 30 Vgl. Ratzeberger, Geschichte, 189 f. (abgedruckt auch bei Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 270). 31 Vgl. Ratzeberger, Geschichte, 188 (abgedruckt auch bei Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 270): »Es war . . . unter allen gelerten zu Wittebergk nicht einer, der den alten gefangenen Churfursten Jn seinem elende und betrubnuß mit einer trostschrift und brieflein ersucht hette«; dies bezeichnete Ratzeberger als »der gelerten groben Undanck . . . und Unbillikeit«. Zu Buchholzers Kritik Melanchthon an Buchholzer 23. 9. 1547 [MBW 4908; Kawerau, Nachträge, 55–57, Nr. 20; hier 56]: »scribis, nos oblivisci Ducis Johannis Friderici optime meriti«. Zudem die Zurückweisung ähnlicher Kritik durch Melanchthon in den Briefen an Aquila 1. 9. 1547 [MBW 4867; CR 6, 651]: »Ego vero pietate et reverentia colo Principem captivum, et quotidianis lacrymis et precibus eum Deo commendo, ac Deum oro, ut liberetur ac regatur. Haec cum sint verissima, miratus sum vanitatem illius, quisquis fuit, qui mihi tantam crudelitatem tribuit, ut dixerit, me etiam precationem prohibere«; in der Variante dieses Briefes [CR 6, 650, Anm. 11]: »mentes . . . erga Principem . . . in nobis nondum mutatae sunt, nec mutabuntur. Nec quenquam in hoc tristi oppido audimus male loquentem de alter aula [sc. Wimariensis]« und an Wolrad II. von Waldeck 1. 12. 1547 [MBW 4977; Grotefend, Briefwechsel Melanchthons, 67–69; hier 68]; außerdem durch Bugenhagen im Brief an Christian III. von Dänemark 18. 6. 1550 [Bugenhagen-BW, 475–481, Nr. 239; hier 478]. 32 Vgl. Ratzeberger, Geschichte, 189 (abgedruckt auch bei Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 270). 33 Vgl. Johann Friedrich von Sachsen an Jobst vom Hayn 1. und 16. 8. 1547 [nach Christmann, Melanchthons Haltung, 151 f.]; Dietrich an Melanchthon 25. 11. 1547 [MBW 4971; Regest bei Scheible, MBW R 5, 211] und Melanchthons Rechtfertigung des Schweigens im Brief an Meienburg 5. 3. 1548 [MBW 5075; CR 6, 820 f., Nr. 4165; hier 821]. 34 Vgl. Melanchthon an Aquila 1. 9. 1547 [MBW 4867; CR 6, 649]: »quasi doctrinam abiecerim«; [650]: »aiunt hic dissentire concionatores«; an Dietrich 2. 9. 1547 [MBW 4876; CR 6, 666]: »Certe meus reditus non pariet doctrinae mutationem, ut quidem nos calumniantur« und an Crodelius 9. 1. 1548 [MBW 5022; CR 6, 776, Nr. 4118]: »nos accusent . . . nos abiecisse confessionem doctrinae«; außerdem Camerarius, De vita Melanchthonis, 250: »invidia manare, iique quasi caussam proderent seque retexerent, et a veritatis assertione defi-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
in den folgenden beiden Kapiteln zu besprechenden Kritik an Melanchthons Haltung zum Interim wieder auf, denn Melanchthon betonte noch Monate später in vielen Briefen, daß die Lehre in Wittenberg unverändert sei und er auch in Zukunft seiner bisherigen Lehre treu bleiben werde.35 Die meisten Kritiker sind zwar nicht namentlich bekannt, die Inhalte der Kritik, die Tatsache, daß der Saalfelder Superintendent Aquila, der in enger Verbindung zum Hof des früheren Kurfürsten Johann Friedrich und seiner Söhne stand, Bugenhagen über verschiedene Kritikpunkte berichtete, und Andeutungen Melanchthons lassen aber vermuten, daß sie unter anderem im Umfeld des Weimarer Hofes zu suchen sind.36
Kapitel 2: Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« im Frühjahr und Sommer 1548 2.1 Die Ereignisse in Kursachsen bis zum Ende des Augsburger Reichstags Ende Juni 1548 Kaiser Karl V. wollte nach dem Schmalkaldischen Krieg in Zusammenarbeit mit dem Papst und dem Konzil, das 1545 in Trient eröffnet und durch den Krieg nur unterbrochen worden war, die Einheit der Religion im Reich wiederherstellen. Zu diesem Zweck ließ er beim sogenannten geharnischten Reichstag in Augsburg, der vom 1. September 1547 bis zum 30. Juni 1548 tagte, ein Religionsgesetz ausarbeiten, das bis zur endgültigen Entscheidung eines cerent, plane impietatis accusari. Id quod illo quidem tempore et recentibus belli stragibus timidius oocultiusque . . . esse factum scimus«. 35 Vgl. z. B. Melanchthon an Alesius 5. 9. 1547 [MBW 4883; CR 6, 673, Nr. 4009]; an Musculus 9. 9. 1547 [MBW 4894; CR 6, 677 f., Nr. 4015; hier 678]; an Mörlin 16. 10. 1547 [MBW 4922; CR 6, 701, Nr. 4037]; an Stigel 18. 10. 1547 [MBW 4929; CR 6, 707–709, Nr. 4046; hier 708 f.]; an Mathesius 26. 10. 1547 [MBW 4939; CR 6, 731 f., Nr. 4052; hier 731]; an Joachim II. von Brandenburg 25. 11. 1547 [MBW 4969; CR 6, 733–735, Nr. 4077; hier 735]; an Wolrad II. von Waldeck 1. 12. 1547 [MBW 4977; Grotefend, Briefwechsel Melanchthons, 68]; an Collinus 5. 12. 1547 [MBW 4980; CR 6, 741 f., Nr. 4084; hier 741]; an Jonas 6. 1. 1548 [MBW 5019; CR 6, 773 f., Nr. 4115; hier 774]; an Stigel 23. 5. 1548 [MBW 5168; CR 6, 915, Nr. 4246]; an Buchholzer 6. 6. 1548 [MBW 5176; CR 7, 1011 f., Nr. 5131; hier 1011]; an Camerarius 17. 6. 1548 [MBW 5183; CR 6, 947 f., Nr. 4266; hier 947]; an Dietrich 20. 6. 1548 [MBW 5191; CR 6, 945 f., Nr. 4264; hier 946]; an Korte 22. 6. 1548 [MBW 5194; Lausten, Religion og politik, 341, Nr. 2 ]; an Moritz von Sachsen 8. 9. 1548 [MBW 5285; Bindseil, Epistolae, 281 f., Nr. 325; hier 281] und an Buchholzer 21. 10. 1548 [MBW 5338; CR 5, 872 f., Nr. 3295; hier 872]; zudem unten Kap. 3.2.2.2. 36 Vgl. den Hinweis auf den nicht erhaltenen Brief von Aquila an Bugenhagen im Brief von Melanchthon an Aquila 1. 9. 1547 [MBW 4867; CR 6, 650]: »Nunc ad tuam epistolam venio, quam ad . . . Pomeranum scripsisti«; »illi [sc. critici], de quibus scribis«; an Fabricius 4. 9. 1547 [MBW 4881; CR 6, 670]; an Seidemann in Erfurt 28. 7. 1548 [MBW 5237; CR 7, 89, Nr. 4311]: »De calumniis in viciniis vestris multo ante ad me viri graves scripserant« und Bretschneider, CR 6, 649, Anm. 4 und CR 7, 89, Anm. 3.
IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560
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Konzils gelten sollte und deshalb als »Interim« bezeichnet wurde.37 Die beiden Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg (1505–1571) und Friedrich II. von der Pfalz erklärten bereits im März 1548 ihr Einverständnis mit einer Vorform des Interims, der sogenannten Märzformel.38 Der sächsische Kurfürst Moritz hingegen hielt während des gesamten Reichstags an seiner Weigerung fest, ohne den Rat seiner Theologen und die Zustimmung seiner Landstände eine verbindliche Stellungnahme zum geplanten kaiserlichen Religionsgesetz abzugeben.39 Er bat daher seine theologischen Fachberater, die Wittenberger und Leipziger Theologen, in den folgenden Monaten immer wieder um Gutachten zu den verschiedenen Entwicklungsstufen des Interims.40 Melanchthon und die anderen Theologen erstellten in der Zeit zwischen Ende März und Mitte Juni 1548 zahlreiche Gutachten für den Kurfürsten und seine Räte, in denen sie das Interim, das sie als Neuauflage des Regensburger Buches von 1541 betrachteten, insgesamt ablehnten und dies unter anderem durch ihre Unzufriedenheit mit der Rechtfertigungslehre des kaiserlichen Entwurfs begründeten.41 Auf Druck der kursächsischen Räte benannten sie daneben aber auch Punkte, an denen man das Interim um des Friedens und der Einigkeit willen tolerieren könne: 42 In bezug auf die Aussagen zur Kirche wollten sie nicht streiten und betonten ihre Bereitschaft, den Primat des Papstes und die Autorität der Bischöfe anzuerkennen, falls diese auf hörten, die reine Lehre und den rechten Gottesdienst zu verfolgen.43 Sie waren zudem bereit, die Priesterweihe als Sakrament
37 Vgl. zu den Ereignissen im Zusammenhang des Augsburger Interims Bizer, Reformationsgeschichte, 150 ff.; Rabe, Reichsbund und Interim und Ders., Entstehung; Mehlhausen, Interim; Scheible, Melanchthon, 182 ff. und den Sammelband »Interim 1548/50«. 38 Vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, 432 f. 39 Vgl. Scheible, Melanchthons Brief, 107. 40 Der Text des Interims wurde den Reichsständen am 15. Mai 1548 offiziell mitgeteilt (vgl. Rabe, Reichsbund und Interim, 441); er ist gedruckt bei Mehlhausen, Augsburger Interim, 28–145. Vgl. zu den Bitten von Kurfürst Moritz z. B. seinen Brief an die Wittenberger Theologen vom 20. 3. 1548 [MBW 5096; Regest bei Scheible, MBW R 5, 260] und Komerstadt an Melanchthon 12. 4. 1548 [MBW 5120; Regest in PKMS 3, 776, Nr. 1055]. 41 Vgl. Melanchthons Gutachten vom 31. 3. 1548 [MBW 5105; CR 6, 839–842, Nr. 4189]; vom 1. 4. 1548 [MBW 5110; CR 6, 842–845, Nr. 4190]; vom 10./11. 4. 1548 [MBW 5117; CR 6, 853–855, Nr. 4201]; das Gutachten von Melanchthon, Cruciger, Maior und Pfeffinger vom 22. 4. 1548 [MBW 5130; CR 6, 865–874, Nr. 4212]; das Gutachten von Melanchthon, Bugenhagen, Cruciger und Maior zur Rechtfertigungslehre des Interims vom 24./25. 5. 1548 [MBW 5170; CR 6, 908–912, Nr. 4244] und das Gutachten der Wittenberger und Leipziger Theologen vom 16. 6. 1548 [MBW 5182; CR 6, 924–942, Nr. 4259]. Entsprechende Kritik am Interim findet sich auch in zahlreichen Briefen Melanchthons aus dieser Zeit. Das Gutachten MBW 5182 wurde jüngst mit einer ausführlichen Einleitung neu gedruckt; vgl. Reaktionen auf das Augsburger Interim, 40 ff., Nr. 1. 42 Vgl. Melanchthons Gutachten vom 1. 4. 1548 [MBW 5110; CR 6, 845] und Scheible, Melanchthons Brief, 109. 43 Vgl. die in Anm. 41 genannten Gutachten: MBW 5105 [CR 6, 840]; MBW 5110 [CR 6, 843 f.]; MBW 5130 [CR 6, 868 f. und 873] und MBW 5182 [CR 6, 931].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
anzuerkennen, falls sie christlich gehalten würde.44 Nachgiebig zeigten sie sich schließlich auch bei den sogenannten unnötigen Dingen bzw. Adiaphora, zu denen sie Speisegebote, Festkalender, Lesungen und Gesänge im Gottesdienst und das Tragen von Meßgewändern zählten – diese Dinge waren ihrer Ansicht nach »zu guter Uebung und Zucht dienlich«. Sie betonten allerdings, daß man klar zwischen nötigen und unnötigen Dingen unterscheiden müsse und bei Äußerlichkeiten, die den zentralen Inhalten der lutherischen Lehre widersprächen – wie zum Beispiel Heiligenanrufung, Seelmessen, Meßkanon und Prozessionen –, keine Zugeständnisse machen könne.45 Die Haltung Melanchthons und der anderen Theologen zum Interim war schon bald in ganz Deutschland bekannt, da zum einen Melanchthon selbst das Gutachten von Mitte Juni nach Nordhausen, Nürnberg, Braunschweig, Berlin, Joachimsthal und vielleicht an weitere Orte verschickte – allerdings unter dem Vorbehalt, daß es nicht sofort bekanntgemacht würde –,46 und dieselbe Schrift zum anderen von Flacius und Crucigers Schwiegersohn Andreas Kegel († 1550), der seit 1546 Schulrektor in Eisleben war, nur wenige Wochen nach ihrer Entstehung illegal zum Druck befördert und unter dem Titel »Bedenken aufs Interim des Ehrwirdigen und Hochgelarten Herrn Philippi Melanchthonis« bzw. »Bedenken aufs Interim der Theologen zu Wittenberg« verbreitet wurde.47 Seine Stellung zum geplanten Interim legte Melanchthon im April 1548 außerdem in einem Brief an den kursächsischen Rat Christoph von Carlowitz (1507–1578) dar, der sich beim Augsburger Reichstag auf hielt und ihn in einem Brief zur Unterstützung des Interims aufgefordert hatte. Wie in den genannten Gutachten wies Melanchthon auf die Mängel der Darstellung zur Rechtfertigungslehre hin, bekräftigte seine Ablehnung der Heiligenanrufung, erklärte sich zu weitgehenden Zugeständnissen beim päpstlichen Primat, bei der bischöflichen Jurisdiktion und verschiedenen Zeremonien bereit und betonte, daß er über die restlichen Artikel nicht streiten werde. Er machte zudem auf seine eigene Leidensbereitschaft aufmerksam und verwies in diesem Zusammenhang auf Luthers φιλονεικία, wobei umstritten ist, wie Melanchthon das griechische Wort verstanden wissen wollte, ob negativ im Sinne von Streitsucht – was meines Erachtens wahrscheinlicher ist – oder anerkennend im Sinne von Streitbarkeit und damit als Kompliment an Luthers heroische Natur.48 44 Vgl. das Gutachten der kursächsischen Theologen vom 16. 6. 1548 [MBW 5182; CR 6, 934]. 45 Vgl. die in Anm. 41 genannten Gutachten: MBW 5105 [CR 6, 841]; MBW 5110 [CR 6, 843 und 845]; MBW 5117 [CR 6, 855]; MBW 5130 [CR 6, 872 ff.; Zitat 873] und MBW 5182 [CR 6, 939 f.]. 46 Vgl. Melanchthon an Mathesius 21. 6. 1548 [MBW 5193; CR 6, 948, Nr. 4267] und Scheible, MBW R 5, 350. 47 Vgl. Mehlhausen, Streit, 115; Scheible, MBW R 5, 350; Herrmann / Wartenberg, PKMS 4, 12 und Schneider, Einleitung, in: Reaktionen auf das Augsburger Interim, 44. 48 Vgl. Melanchthon an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217;
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2.2 Die Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« und an seinem Brief an von Carlowitz 2.2.1 Kritik an Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« Melanchthons Haltung zum Interim – vor allem in Gestalt des Gutachtens von Mitte Juni – und seine Äußerungen über Luther im Brief an von Carlowitz blieben nicht unwidersprochen, sondern zogen in den folgenden Monaten und Jahren zahlreiche Vorwürfe nach sich, und zwar sowohl bei Befürwortern als auch bei Gegnern des »Augsburger Interims«. 2.2.1.1 Kritik durch Befürworter des »Augsburger Interims« Kaiser Karl V. und sein Bruder, König Ferdinand, hatten Melanchthon bereits im Jahr 1547 unter anderem wegen seiner offenen Kritik an den Beschlüssen des Trienter Konzils zur Rechtfertigungslehre gezürnt, Kurfürst Moritz hatte sie jedoch beschwichtigen können.49 Als sie allerdings einen Druck des Gutachtens hier 880]: »Tuli etiam antea servitutem paene deformem, cum saepe Lutherus magis suae naturae, in qua φιλονεικία erat non exigua, quam vel personae suae, vel utilitati communi serviret«; [882]: »Multa sponte et liberaliter largior, de quibus acerrime pugnarunt alii. Politiam ecclesiasticam, ut episcopis et summo episcopo tribuatur auctoritas, quae describitur in libro Augustano, conservari opto. Fortassis natura sum ingenio servili«; [883]: »Libenter et caeremonias, quas liber praecipit, recipio. Scio enim disciplinae partem esse caeremonias, et opinor, vitam meam testari, me disciplinae et ordinis amantem esse«; [884]: »respondeo, me . . . multa largiri et dissimulare« und dazu Scheible, Melanchthons Brief; Kurig, Melanchthon über sich und Luther; Wengert, Philoneikos und Waschbüsch, Alter Melanchthon, 42 f., Anm. 250. Für ein negatives Verständnis der Aussagen Melanchthons können sowohl ähnliche Klagen über Luther in anderen Briefen herangezogen werden (z. B. gegenüber Dietrich am 6. 10. 1538 [MBW 2101; MBW T 8, 231–233; hier 232, Z. 21]; Camerarius am 9. 2 . 1544 [MBW 3450; MBW T 13, 79–81; hier 80, Z. 12 f.] und Burchard zwischen 1536 und 1545 [MBW 9306; Schirrmacher, Briefe und Acten, 376]) wie auch seine Ablehnung von Streitsucht (φιλονεικία ) im allgemeinen (vgl. z. B. gegenüber Obernburger am 23. 6. 1532 [MBW 1258; MBW T 5, 308 f.; hier 309, Z. 19]; in der Vorrede zu den »Loci« von Ende August / A nfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 487–494; hier 490, Z. 103] und gegenüber A. Praetorius am 24. 10. 1558 [MBW 8759; CR 9, 648 f., Nr. 6621; hier 648]); vgl. zu einem positiven Verständnis Kurig, a. a. O., 53 ff. und Wengert, a. a. O., 38 ff. 49 Vgl. Melanchthons Schrift »Ursach, Warumb die Stende, so der Augspurgischen Confession anhangen, Christliche Leer erstlich angenommen und endtlich auch darbey zuverharren gedencken. Auch, Warumb das vermeinte Trientische Concilium weder zubesuchen noch darein zu willigen sey« von 1546 [MSA 1, 412–448, Nr. 20]; zur kaiserlichen und königlichen Kritik an Melanchthon seine Briefe an Koch 31. 12. 1547 [MBW 5008; CR 6, 759, Nr. 4103]; an Meienburg 20. 1. 1548 [MBW 5035; CR 6, 789–791, Nr. 4133; hier 790]; an Jonas 10. 4. 1548 [MBW 5116; CR 6, 850, Nr. 4197]; an Camerarius 12. 4. 1548 [MBW 5118; CR 6, 850 f., Nr. 4198; hier 851]; an Dietrich 12. 4. 1548 [MBW 5119; CR 6, 851 f., Nr. 4199; hier 852]; an Camerarius 24./25. 4. 1548 [MBW 5138; CR 6, 877–879, Nr. 4216; hier 878]; an Meienburg 15. 5. 1547 [MBW 5163; CR 6, 908, Nr. 4243] und an Stigel 23. 5. 1548 [MBW 5168; CR 6, 915, Nr. 4246]; außerdem Scheible, Melanchthons Brief, 107 und 125, Anm. 112; zu Moritz’ von Sachsen Beschwichtigungen die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Moritz und dem Kaiser am 24. 3. 1548 [von Druffel, Beiträge 3, 94–98]; Moritz
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
der kursächsischen Theologen von Mitte Juni 1548 zu Gesicht bekamen, beschwerten sie sich erneut bei Moritz über Melanchthon und seine Ablehnung des Interims, eine Bestrafung Melanchthons konnte jedoch durch den Kurfürsten noch einmal abgewendet werden.50 Neben der Ablehnung durch Kaiser und König erregte das von Melanchthon und seinen Kollegen verfaßte Gutachten auch Widerspruch auf seiten der katholischen Theologen. So fügte zum einen Cochlaeus seinen Strafreden gegen Melanchthon, den sogenannten »Philippicae«, eine siebte hinzu, in der er Melanchthon zum wiederholten Mal als unglaubwürdigen Heuchler bezeichnete und damit an seine frühere Kritik anknüpfte.51 Zum anderen äußerte sich Georg Witzel (1501–1573), der selbst am Interim mitgearbeitet hatte, im März 1549 kritisch über das Gutachten, ohne allerdings Melanchthon als Verfasser des Gutachtens namentlich zu nennen. Er zweifelte an der Aufrichtigkeit der Zugeständnisse bei den Adiaphora und sah in dem kursächsischen Gutachten lediglich ein weiteres Zeichen für den mangelnden Einheitswillen und die Halsstarrigkeit der Protestanten.52 Ähnlicher Kritik wie von seiten des Kaisers und des Königs war Melanchthon auch in denjenigen protestantischen Kreisen ausgesetzt, denen an einer schnellen Einigung mit dem Kaiser gelegen war, das heißt beim kursächsischen und kurbrandenburgischen Hof. Dort warf man ihm in bezug auf seine Gutachten zum Interim vor, er prüfe das kaiserliche Religionsgesetz aus Streitsucht, Stolz und Vorwitz allzu gründlich und untergrabe durch seine Stellungnahmen eine Übereinkunft mit dem Kaiser und damit den Frieden.53 Agricola, der im Aufan Melanchthon 12. 4. 1548 [MBW 5121; Regest bei Scheible, MBW R 5, 271]; Melanchthon an Benedikt 23. 4. 1548 [MBW 5131; CR 6, 861, Nr. 4207]; Scheible, Melanchthons Brief, 108 und Rabe, Reichsbund und Interim, 434. 50 Vgl. Karl V. an Moritz von Sachsen 31. 8. 1548 [Regest in PKMS 4, 126, Nr. 81] mit der Bitte, Melanchthon auszuweisen; die Berichte über die Kritik in Melanchthons Briefen an Baumgartner 16. 9. 1548 [MBW 5294; CR 7, 144 f., Nr. 4359; hier 145] und an Stigel 18. 9. 1548 [MBW 5302; CR 7, 147 f., Nr. 4363; hier 148]; die Distanzierungen Melanchthons vom gedruckten Gutachten in seinen Briefen an Moritz 3. 9. 1548 [MBW 5280; Regest bei Scheible, MBW R 5, 348] und 8. 9. 1548 [MBW 5285; Bindseil, Epistolae, 281 f., Nr. 325; hier 281]; zu Vorhaltungen von seiten des kursächsischen Hofes an die Theologen am 18. 10. 1548 Issleib, Interim, 213; zur Entlastung Melanchthons Moritz an Karl V. 31. 10. 1548 [Regest in PKMS 4, 189, Nr. 145] und die Antwort des Kaisers an Moritz 11. 2 . 1549 [Regest in PKMS 4, 314, Nr. 270]; außerdem insgesamt Scheible, MBW R 5, 350 f. 51 Vgl. Cochlaeus’ Schrift »Philippica septima . . . Adversus Seditiosos et Famosos Libellos Philippi Melanchthonis in Carolum V. Imp. Rom. recens aeditos« aus der Zeit zwischen September 1548 und 26. 2 . 1549 (VD 16 C 4360) [in der Ausgabe von Keen, Bd. 1, 329–375] und dazu Smolinsky, Kontroverstheologen, 56 ff. 52 Vgl. Witzels Schrift »Bestendige Antwort wider der Luterischen Theologen Bedencken, welche sie widers Interim geschrieben« von März 1549 (VD 16 W 3869) und dazu Smolinsky, Kontroverstheologen, 57 ff., bes. das Zitat 61 f. 53 Vgl. die Hinweise auf diese Kritik in Melanchthons Briefen an Baumgartner 7. 5. 1548 [MBW 5148; CR 6, 900 f., Nr. 4234; hier 901]; an Camerarius 9. 5. 1548 [MBW 5152; CR 6, 900, Nr. 4233] und an Buchholzer 6. 6. 1548 [MBW 5176; CR 7, 1011 f., Nr. 5131;
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trag seines Kurfürsten Joachim II. an der Ausarbeitung des Interims beteiligt gewesen war, erweiterte diese Kritik noch, indem er im Juli in einem Gespräch mit Aquila und Anfang August in einer Predigt im Cöllner Dom Melanchthon im Blick auf seine Kritik am Interim, vor allem im Gutachten der kursäch sischen Theologen von Mitte Juni, Lügen und Undankbarkeit gegen Kaiser Karl V. und König Ferdinand vorwarf. Zudem behauptete er, Melanchthon habe den früheren Kurfürsten Johann Friedrich um sein Land gebracht und plane dasselbe jetzt auch mit Kurfürst Moritz. Ferner betonte er, Melanchthon wäre besser bei der Philosophie geblieben und hätte die Heilige Schrift in Frieden gelassen, und kündigte an, sich auch in einem Buch entsprechend gegen Melanchthon zu äußern.54 Schließlich scheint auch Kurfürst Joachim II. selbst Melanchthon wegen seiner Gegnerschaft zum Interim gezürnt zu haben und warf ihm vor, er versuche in Briefen, andere von der Zustimmung zum Interim abzuhalten, und wirke dadurch konspirativ.55 2.2.1.2 Kritik durch Gegner des »Augsburger Interims« Neben diesen dem Interim positiv gesonnenen Kritikern waren auch viele derjenigen Protestanten, die das kaiserliche Religionsgesetz strikt ablehnten und damit die Meinung der protestantischen Mehrheit vertraten, mit Melanchthons Haltung zum Interim unzufrieden. Die meisten Protestanten wünschten sich eine öffentlichkeitswirksame Ablehnung des Interims durch Melanchthon oder einen anderen Wittenberger Theologen, da sie befürchteten, deren Schweigen könne als Zustimmung zu den kaiserlichen Plänen verstanden werden.56 Mehier 1011]; im Gutachten der kursächsischen Theologen vom 16. 6. 1548 [MBW 5182; CR 6, 926 und 941]; im zugehörigen Begleitschreiben an Moritz von Sachsen vom 17. 6. 1548 [MBW 5184; CR 6, 954 f., Nr. 4274; hier 954]; in Melanchthons Briefen vom 20. 6. 1548 an Baumgartner [MBW 5190; CR 6, 946, Nr. 4265] und an Dietrich [MBW 5191; CR 6, 945 f., Nr. 4264; hier 945]; an Korte 22. 6. 1548 [MBW 5194; Lausten, Religion og politik, 341, Nr. 2 ]; an Stigel 18. 7. 1548 [MBW 5229; CR 7, 73 f., Nr. 4299; hier 74] und an Mathesius 29. 6. 1548 [MBW 5198; CR 6, 956, Nr. 4276]. 54 Vgl. zur Kritik Agricolas den Brief von Aquila an Melanchthon 22. 7. 1548 [MBW 5232; CR 7, 77–79, Nr. 4302; hier 78] und Agricolas Predigt vom 5. 8. 1548 [Müller, Geschichte des Interims, 110–114; bes. 111]; außerdem die Hinweise in Melanchthons Briefen an Seidemann 28. 7. 1548 [MBW 5237; CR 7, 89, Nr. 4311]; an Buchholzer 8. 8. 1548 [MBW 5249; Regest bei Scheible, MBW R 5, 330 f.] und 9. 8. 1548 [MBW 5250; CR 7, 100 f., Nr. 4320; hier 101]; an Medler 13. 8. 1548 [MBW 5257; CR 7, 102–104, Nr. 4321; hier 102]; an Strigel 5. 9. 1548 [MBW 5283; CR 7, 133, Nr. 4353]; an Buchholzer 17. 9. 1548 [MBW 5299; CR 5, 856 f., Nr. 3276; hier 856]; an Matthias 17. 9. 1548 [MBW 5300; Regest bei Scheible, MBW R 5, 356 f.]; an Aquila 18. 9. 1548 [MBW 5301; CR 7, 147, Nr. 4362]; an Stigel 18. 9. 1548 [MBW 5302; CR 7, 147 f., Nr. 4363; hier 148] und an Bucer 1. 10. 1548 [MBW 5310; CR 7, 157 f., Nr. 4372; hier 157]. 55 Vgl. die Hinweise auf die Kritik Joachims in Melanchthons Briefen an Moller 18./19. 9. 1548 [MBW 5262; CR 7, 108, Nr. 4327]; an Meienburg 1. 9. 1548 [MBW 5274; CR 7, 129–131, Nr. 4342; hier 130] und an Eber 19. 10. 1548 [MBW 5336; CR 7, 249, Nr. 4 427]. 56 Vgl. die grundsätzliche Aussage von Anton Otto im Brief an Jonas vom 20. 5. 1548 [ Jonas-BW 2, 261 f., Nr. 882; hier 261]: »Qui tacet, consentire videtur«; zur Wichtigkeit ei-
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lanchthons Wittenberger Kollege Flacius versuchte daher durch mündliche Ermahnungen und mit Hilfe des genannten Drucks des Gutachtens von Mitte Juni, Melanchthon zu einer offenen Stellungnahme zum Interim zu drängen, allerdings vergeblich.57 Aber auch, als das Gutachten der kursächsischen Theologen von Mitte Juni bekannt wurde, verschwand die Unzufriedenheit der meisten Protestanten mit Melanchthon nicht, sondern die Kritik an ihm verstärkte sich eher noch. So wurde den Wittenberger Theologen bis ins Jahr 1551 hinein vorgeworfen, sie schwiegen zum Interim: Entsprechend äußerten sich zum Beispiel Mitte November 1548 der Lüneburger Stadtarzt Georg Curio (1498–1556), der hinter dem Schweigen Ignoranz und Nachlässigkeit vermutete und Amsdorf aufforderte, seine Kollegen an ihre Pflichten zu erinnern,58 Ende Juni 1549 der Nordhausener Pfarrer Anton Otto (* 1505) 59 und 1551 Amsdorf in seiner Schrift »Erinnerung an die Deutschen« 60. Als weiterer Kritiker trat Nikolaus Gallus auf; er war zwar froh, daß Melanchthon das Gutachten der Wittenberger Theologen vom Juni unterzeichnet hatte, hielt ihm aber vor, seine Stellungnahmen zum Interim seien uneinheitlich.61 Im Blick auf Melanchthons Stellungnahmen zum Interim warfen ihm viele vor, diese seien zu schwach, milde und zurückhaltend 62 und er erwecke dadurch
ner Widerlegung des Interims Amsdorf an Johann Friedrich 22. 6. 1548 [Schmidt, Briefe Amsdorfs, 467–469, Nr. 2 ; hier 468]: »Ich sehe, Jedermann schweigt, Niemand will der Katze die Schelle anbinden [d. h. etwas Gefahrvolles und Unangenehmes unternehmen], dadurch der gemeine Mann höchlich geärgert und erschrocken ist« (vgl. zur Bedeutung des Sprichworts Grimm, Deutsches Wörterbuch 8, 2494); Amsdorfs Schrift »Antwort / Glaub und Bekentnis« vom 31. 7. 1548, E 1b und seinen Brief an die sächsischen Herzöge 4. 11. 1548 [Schmidt, a. a. O., 469–471, Nr. 3 ; hier 469]; außerdem Albrecht von Mansfeld an Amsdorf 4. 9. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 625 f., Nr. 32]. Eine konkrete Bitte, sich zu Wort zu melden, äußerte z. B. Aquila an Melanchthon 22. 7. 1548 [MBW 5232; CR 7, 77–79, Nr. 4302; hier 79]. 57 Vgl. Preger, Flacius 1, 56 ff. 58 Vgl. Curio an Amsdorf 16. 11. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 629 f., Nr. 41; hier 630]: »Pomerani . . ., Crucigeri et Majoris aliorumque silentiam et dissimulationem demiror et odi. Miror, quod tu, Amstorphi, non admones eos officii sui«. 59 Vgl. Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288 f., Nr. 904; hier 288]: »Philippi et aliorum praeceptorum . . . pudenda taciturnitas«. 60 Vgl. Amsdorfs Schrift »Erinnerung an die Deutschen« von 1551 [Amsdorf, Ausgewählte Schriften, 52–61; hier 58 f.]; zur Datierung Kolb, Amsdorf, 117, Anm. 28. 61 Vgl. Gallus an Hiltner 12. 7. 1548 [nach Voit, Gallus, 99]. 62 Vgl. Hinweise auf derartige Kritik in den Briefen von Frecht an Vadian 23. 6. 1548 [Vadianische Briefsammlung 6, 733–735, Nr. 1615; hier 734]: »Philippi nostri consilium . . . Ego voco lene, alii leve, quia parum grave. Occinunt plerique illud Erasmi [sc. proverbium]: Hêc Lita Aten placare vult« und von Melanchthon an Jonas 9. 9. 1548 [MBW 5287; CR 7, 137 f., Nr. 4351; hier 138]: »mea lenitas a multis reprehenditur«; an Moritz von Sachsen 8. 9. 1548 [MBW 5285; Bindseil, Epistolae, 281 f., Nr. 325; hier 282]: »viell bey mir anhalten, das Jch Jtzunt hefftiger schreiben vnd schelden sollte« und an Dietrich vom 16. 10. 1548 [MBW 5327; CR 7, 172 f., Nr. 4388; hier 173]: »scio, multos requirere asperiorem reprehensionem τῆς σφιγγὸς [sc. Interim]«.
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den Anschein, als pflichte er den Gegnern bei.63 Amsdorf, der das Interim selbst Mitte Juni 1548 in einem Gutachten für die Söhne Johann Friedrichs von Sachsen in Bausch und Bogen abgelehnt hatte, weil er darin eine Wiederherstellung des Papsttums sah,64 bemängelte beispielsweise im Juli in einem Bedenken zum Gutachten der kursächsischen Theologen von Mitte Juni, daß dieses »gantz schwach vnd gelinde vmb friedes willn gestalt« sei. Zudem kritisierte er, daß in ihm einige Artikel bewilligt seien, die kein Christ zugestehen könne und von denen man eine Stärkung der päpstlichen Mißbräuche befürchten müsse. Dazu rechnete Amsdorf Melanchthons allgemeine Aussagen über das Abendmahl, in denen ihm eine Widerlegung der Transsubstantiationslehre fehlte, seine Anerkennung der Priesterweihe als Sakrament, seine Zustimmung zu Speisegeboten und seine Zugeständnisse beim Primat des Papstes und der bischöflichen Jurisdiktion.65 Auch der ostfriesische Superintendent Johannes Laski (1499–1560) kritisierte Ende Juli, daß Melanchthon in seinem Gutachten von Mitte Juni viele päpstliche Mißbräuche nicht getadelt habe, wofür er stellvertretend die bereits bei Amsdorf genannte Transsubstantiationslehre anführte.66 Ferner äußerte sich Brenz, der selbst wegen des Interims aus Schwäbisch Hall hatte fliehen müssen, in Briefen an Dietrich kritisch über Melanchthons Gutachten. Er sprach sich zwar anerkennend über Melanchthons moderatio aus, gab aber die negativen praktischen Konsequenzen von Änderungen bei den Adiaphora zu bedenken.67 Flacius warf Melanchthon im Jahr 1549 rückblickend vor, er habe dadurch, daß er in seinen Gutachten das Interim nur teilweise abgelehnt habe, dieses erst ermöglicht und den Widerstand dagegen geschwächt.68 Und Gallus 63 Vgl. Melanchthon an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 881]: »alii me assentari adversariis dixerunt«. 64 Vgl. die dritte Version des Briefes von Amsdorf an Maior 26. 6. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 619 f., Nr. 23; hier 620]: »illud INTERIM nihil aliud est, quam restauratio papatus«; sein Gutachten nach 12. 6. 1548 [Regest in PKMS 4, 47–50, Nr. 9 ; bes. 47 und 50; Druck bei Reichert, Amsdorff und das Interim, B 48–66, Nr. 5]; außerdem seine Schrift »Antwort / Glaub und Bekentnis« vom 31. 7. 1548, E 3b und dazu Reichert, a. a. O., 108 ff. 65 Das Bedenken Amsdorfs von Anfang Juli 1548 wurde damals nicht gedruckt (vgl. Lerche, Amsdorff und Melanchthon, 17 und Reichert, Amsdorff und das Interim, 76), es liegt aber heute in zwei Druckversionen vor (Unschuldige Nachrichten 1702, 508–513 und Reichert, a. a. O., B 23–27, Nr. 3 ; Zitat 23). Hinweise auf entsprechende Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit gegenüber dem Interim finden sich auch im Brief von Moritz von Sachsen an Karl V. 31. 10. 1548 [Bindseil, Epistolae, 282 f., Nr. 326; hier 283]: »Jnen [sc. Melanchthon] etliche in andern landen durch offentliche Bucher dorumb angreiffen, das er des Jnterims halben zuuiel einreumen solle«. 66 Vgl. Laski an Hardenberg 28. 7. 1548 [Laski, Opera 2, 617, Nr. 48] und den Hinweis von Hardenberg, er kenne kritische Stimmen zu Melanchthons Gutachten, im Brief an Melanchthon 13. 8. 1548 [MBW 5259; Regest bei Scheible, MBW R 5, 336–338; hier 337]. 67 Vgl. Brenz an Dietrich 7. 8. 1548 [Pressel, Anecdota Brentiana, 280, Nr. 145]: »Heri legi sententiam Philippi et reliquorum Theologorum Wittebergensium περὶ τοῦ μεταξύ : Scriptum sane pessimum« (zum Verständnis dieser Stelle Pressel, a. a. O., XXIV) und Brenz an Dietrich 1548 [a. a. O., 292 f., Nr. 152; hier 292]. 68 Vgl. Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 548–555,
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fürchtete vor diesem Hintergrund um den Bestand der reinen Lehre in Wittenberg.69 Hinsichtlich der Gründe für Melanchthons zurückhaltende Stellungnahmen zum Interim stellten die Kritiker verschiedene Mutmaßungen an. Als mögliche Gründe seines Verhaltens benannten sie Schwäche,70 (zu) großes Vertrauen auf die Vernunft, Sehnsucht nach Frieden und Ruhe71 und Ängstlichkeit.72 2.2.2 Kritik an Melanchthons Brief an von Carlowitz Da von Carlowitz Melanchthons Brief bereitwillig herumzeigte und schon bald verschiedene Abschriften kursierten, verbreiteten sich Melanchthons Aussagen auch unter den Protestanten und führten europaweit zu Gerüchten, Melanchthon »habe seine Lehre widerrufen und sich von Luther losgesagt«.73 Neben den Zugeständnissen hinsichtlich des Interims waren es insbesondere seine Äußerungen über Luther, die auf breite Ablehnung stießen, da sie infolge der deutschen Übersetzung des Weimarer Hofpredigers Johannes Stoltz (1514– 1556) ausschließlich negativ verstanden wurden.74
Nr. 560; hier 552] (mit Scheible, MBW R 5, 482) und seine Schrift »Ein Buch von waren und falschen Mitteldingen« von 1550 (VD 16 F 1447) [nach Olson, Flacius, 110]. 69 Vgl. Gallus an Hiltner 29. 8. 1549 [nach Voit, Gallus, 112, Anm. 2 ] und 21. 10. 1549 [nach Voit, ebd.; Zitat unten Anm. 71]. 70 So etwa der bereits genannte Curio und der braunschweigisch-calenbergische Superintendent Antonius Corvinus (1501–1553); vgl. Curio an Amsdorf 16. 11. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 630]: »Philippi molliciem seu malis Philosophiam . . . demiror et odi«; Corvinus und die ihm unterstellten Prediger in einem (nicht ausgefertigten) Brief an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 106–114; hier 107]: »nihil Te dignum in confessione contra INTERIM scripta hac de re dicas, sed nihilominus in spem . . . erecti sumus fore, ut tempus isti vestrae imbecillitati mederetur« und Corvinus an Melanchthon 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 292–299, Nr. 337; hier 294]. 71 Vgl. neben dem oben Anm. 65 genannten Gutachten Amsdorfs Gallus an Hiltner 12. 7. 1548 [zitiert nach Voit, Gallus, 99]: »Also lesset gott zuweilen grosse leut fallen, wenn mann sonderlich in seinem wort und sachen mit vernunft will klügeln, uns zur warnung«; 29. 8. 1549 [nach Voit, a. a. O., 112] und 21. 10. 1549 [ebd., Anm. 2 ]: »Mann werde durch viel klügeln, item studio conservandae pacis et tranquilitatis, die reine lere widerumb verlieren«. 72 Vgl. Flacius in seiner Schrift »Ein Buch von Mitteldingen« [nach Olson, Flacius, 110] und die Zurückweisung derartiger Kritik in Melanchthons Briefen an Moller 15. 7. 1548 [MBW 5224; CR 7, 70 f., Nr. 4295; hier 71]: »nec timiditas moderationis causa est«; an Stigel 18. 7. 1548 [MBW 5229; CR 7, 74]: »Non metu . . . factum est, ut reprehensio σφιγγὸς Augustanae non grandiore sono scripta sit« und an Seidemann 28. 7. 1548 [MBW 5237; CR 7, 89, Nr. 4311]. 73 Schneider, in: Reaktionen auf das Augsburger Interim, 79. Derartige Gerüchte waren dafür verantwortlich, daß der Pfarrer John Rogers (um 1505–1555) eine englische Ausgabe von Melanchthons Gutachten vom 16. 6. 1548 (MBW 5182) veranlaßte, die in dem Band »Reaktionen auf das Augsburger Interim«, 76 ff., Nr. 2 abgedruckt ist. 74 Teile von Stoltz’ Übersetzung wurden von Bretschneider in den Apparat von CR 6 aufgenommen und entfalteten dadurch eine bis heute anhaltende Wirkung; vgl. Kurig, Melanchthon über sich und Luther, 53.
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Folgende zeitgenössische Kritiker nahmen Anstoß an Melanchthons Brief: Ratzeberger beklagte in einem Brief an Cruciger und Georg Rörer in Wittenberg im August 1548, Melanchthon – dessen Namen er allerdings nicht explizit nannte – wälze in seinem Brief an von Carlowitz die Schuld für die derzeitige mißliche Lage auf Luther und auf Gott ab, bezeichne Luthers Eifer fälschlicherweise als Streitsucht und schmeichle dadurch den Mächtigen. Durch derartige Gotteslästerung in Gestalt von Schmeicheleien und Zugeständnissen könne jedoch der derzeitig spürbare Zorn Gottes nicht besänftigt werden.75 Im Zuge der im folgenden Kapitel zu schildernden Adiaphoristischen Streitigkeiten wurde Melanchthon wegen seines Briefes von vielen weiteren Personen angegriffen: Gallus berichtete, daß der Brief von verschiedenen Städten und Fürsten dazu benutzt werde, die Annahme des Interims zu entschuldigen, und kritisierte daher vor allem die im Brief enthaltene Zustimmung zu papistischen Zeremonien.76 Ähnlich wie Gallus schilderte auch Antonius Corvinus die unheilvollen Folgen von Melanchthons Brief.77 Flacius sah in ihm ähnlich wie in den genannten Gutachten eine verderbliche Unterstützung des Interims und scheint sich deshalb mit dem Gedanken getragen zu haben, den Brief zu veröffentlichen, was er allerdings erst 1560 in die Tat umsetzte.78 Ferner scheint sich Dietrich von Maltzan († 1563) vom Gut Grubenhagen in Mecklenburg daran gestoßen zu haben, daß Melanchthon Luther in diesem Brief als streitsüchtig bezeichnet hatte.79 Außerdem ist Kritik von Andreas Osiander bekannt, der im Zuge des sogenannten Osiandrischen Streits in den Jahren 1551 und 1552 beklagte, daß Melanchthon in diesem Brief seinem Haß gegen Luther freien Lauf
75 Vgl. Ratzeberger an Cruciger und Rörer 9. 8. 1548 [Eichhorn, Amsdorfiana, 622– 625, Nr. 30; hier 622–624]; zu seinem Streit mit Melanchthon auch den Brief von Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288 f., Nr. 904; hier 288]. 76 Vgl. Gallus an Melanchthon und Bugenhagen 28. 5. 1549 [MBW 5549; Regest bei Scheible, MBW R 5, 478 f.; hier 478] und rückblickend im Brief an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 932]. 77 Vgl. Corvinus an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 248–251, Nr. 286; hier 249 f.]. 78 Vgl. Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 551 f.]; 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527–529; hier 528]; 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, a. a. O., 572–578, Nr. 571b; hier 574] und 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, a. a. O., 578–589, Nr. 574; hier 587]; zudem seine Schriften »Entschuldigung an die Universitet zu Wittemberg der Mittelding halben« von 1549 (VD 16 F 1266); »Von der Einigkeit« von 1559 und »Auf das Ausschreiben der zweien Universiteten« von 1568 [alle nach Olson, Flacius, 86] und »Bericht Von etlichen Artikeln«, F 1a und G 4b. Der Brief ist in deutscher Übersetzung abgedruckt in seiner Schrift »Gründliche Verlegung des langen Comments der Adiaphoristen« von 1560 (VD 16 F 1413); dazu Voit, Gallus, 129. 79 Vgl. die Zurückweisung dieser Kritik in Melanchthons Brief an von Maltzan 12. 9. 1549 [MBW 5627; CR 7, 461–463, Nr. 4592; hier 462]: »hoc oro, ut unico verbo [sc. φιλονεικία ] illius epistolae opponantur alii multi mei de Luthero honorifici sermones«.
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gelassen habe, und ihm vorwarf, er habe Luther nur deshalb schlechtgemacht, um selbst berühmter zu werden.80
2.3 Zusammenfassung In bezug auf seine Haltung zum Interim und seinen Brief an von Carlowitz war Melanchthon verschiedenen Kritikern ausgesetzt, wobei die Kritik – wie schon so oft in seinem Leben – sowohl von altgläubiger als auch von protestantischer Seite kam. Inhaltlich deutete sich neben speziellen Vorwürfen bereits die Kritik an, die ihm im Zusammenhang des im folgenden zu schildernden Adiaphoristischen Streits begegnete.
Kapitel 3: Kritik an Melanchthon im Zuge des sogenannten Adiaphoristischen Streits in den Jahren nach 1548 3.1 Die Ereignisse in Kursachsen im Zuge der Umsetzung des »Augsburger Interims« nach Ende des Augsburger Reichstags Am 30. Juni 1548 wurde der Text des Interims in den Augsburger Reichstagsabschied aufgenommen und erlangte dadurch reichsrechtliche Verbindlichkeit. Als der Kaiser Anfang Juli heftiger darauf drang, Kurfürst Moritz von Sachsen solle sich wegen des Interims erklären und seine Untertanen zur Annahme des Interims bewegen,81 ließ dieser die Landstände seines Gebietes zusammenkommen und bei einem Landtag in Meißen Anfang Juli 1548 über das kaiserliche Religionsgesetz beraten. In seiner einleitenden Rede rief er seine Theologen dazu auf, offen zu bekennen, was man am Interim annehmen könne und was man aufgrund der Heiligen Schrift verwerfen müsse. Zudem mahnte er alle Anwesenden eindringlich, um des Friedens willen in allen Punkten nachzugeben, die die Wahrheit des göttlichen Wortes nicht beeinträchtigten oder die Gewissen der Gläubigen verletzten. Die versammelten Landstände lehnten das Interim jedoch einmütig ab,82 und auch die Theologen wiederholten in einem 80
Vgl. Osiander an Besold 21. 2 . 1551 [OG 9, 553–556, Nr. 4 41; hier 553, Z. 5 ff.] und seine »Widerlegung der Antwort Philipp Melanchthons« vom 21. 4. 1552 [OG 10, 571–670, Nr. 522; hier 656, Z. 15 f. und 666, Z. 11 ff.]; außerdem seine Schrift »Von dem einigen Mittler« aus dem Jahr 1551 [OG 10, 78–300, Nr. 488; hier 158, Z. 19 f.], in der er den Brief Melanchthons zwar nicht explizit erwähnte, in Andeutung aber dasselbe sagte wie an den zuvor genannten Stellen; vgl. dazu Schulz, OG 10, 158, Anm. 281. 81 Vgl. zum Interim Mehlhausen, Streit, 108; zum Drängen des Kaisers die Rede Moritz’ von Sachsen in Meißen am 2. 7. 1548 [Regest in PKMS 4, 73 f., Nr. 33; hier 74] und Preger, Flacius 1, 50. 82 Vgl. Moritz’ Rede am 2. 7. 1548 [Regest in PKMS 4, 73 f.] und Issleib, Interim, 197 f.; zur Ablehnung des Interims durch die Landstände z. B. Melanchthon an Eber 4. 7. 1548 [MBW 5202; CR 7, 10 f., Nr. 4283] und an Crodelius 5. 7. 1548 [MBW 5206; CR 7, 11 f.,
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Gutachten ihre Bedenken im Blick auf das Interim, insbesondere hinsichtlich seiner Darstellung der Rechtfertigungslehre. Sie erneuerten allerdings zudem ihre Bereitschaft, bei verschiedenen Adiaphora nachzugeben und unter bestimmten Bedingungen auch beim Primat des Papstes und der Jurisdiktion der Bischöfe.83 Im Vorfeld einer Konferenz in Pegau Ende August drängte Kurfürst Moritz seine Theologen zu weiteren Zugeständnissen, indem er betonte, daß es besser sei, in unwichtigen Fragen nachzugeben und dafür die reine Lehre der Rechtfertigung zu erhalten als einen Krieg zu provozieren, durch den die ganze Religion unterdrückt würde. Moritz strebte einen Kompromiß zwischen den kaiserlichen Forderungen und der Ablehnung des Interims an, die von den Vertretern der Landstände und den Theologen ausgesprochen worden war. Durch ein Nachgeben in äußeren Dingen wollte er eine Art Fassade auf bauen, hinter der sich Änderungen in grundlegenden Lehrfragen erübrigten.84 Bei der Pegauer Konferenz selbst bemühte man sich dann in direkten Verhandlungen mit Vertretern der Altgläubigen aus dem Kurfürstentum Sachsen, und zwar mit den beiden Bischöfen von Naumburg und Meißen, Julius Pflug und Johann VIII. von Maltitz († 1549), um eine solche Lösung, kam aber lediglich zu einer Einigung in der Rechtfertigungslehre und verabschiedete die sogenannte Pegauer Rechtfertigungsformel, die auf einen von Melanchthon stammenden Entwurf zurückging.85 Bei einem Landtag in Torgau am 18. Oktober wollte man sich dann des Problems der kirchlichen Zeremonien annehmen. Zu diesem Zweck legten die kursächsischen Räte den Theologen einen Entwurf zur Prüfung vor, der die Hauptartikel der evangelischen Lehre und die möglich scheinenden Zugeständnisse zusammenfaßte und im folgenden gemeinsam umgearbeitet wurde. In bezug auf die Adiaphora einigte man sich auf die Formel »was noch in Brauch ist bei den andern, das Adiaphoron ist und göttlicher Lehre nicht zuwider, das wollen wir auch halten«, wobei die Theologen eine genauere Auflistung derjenigen Adiaphora anmahnten, die man bewilligen wolle.86 Auf eine derartige Nr. 4284] und Albrecht von Mansfeld an Amsdorf 4. 8. 1548 [Regest bei Eichhorn, Amsdorfiana, 622, Nr. 29]. 83 Vgl. das Gutachten der kursächsischen Theologen vom 6. 7. 1548 [MBW 5208; CR 7, 12–45, Nr. 4286; zu Papst und Bischöfen 29; zu den Adiaphora 41]. 84 Vgl. Moritz’ Instruktion für seine Räte für den Pegauer Konvent vom 19. 8. 1548 [CR 7, 108–113, Nr. 4328] und Wartenberg, Melanchthon, 72 f. 85 Vgl. zu den Pegauer Beratungen vom 23. bis 25. 8. 1548 Issleib, Interim, 202 ff.; die Pegauer Formel vom 24. 8. 1548 (MBW 5268) findet sich in CR 7, 120, Nr. 4334 mit 51–64 (Varianten). 86 Vgl. die Entwürfe der Räte [MBW 5332; Regest bei Scheible, MBW R 5, 373 und MBW 5334; CR 7, 178–181, Nr. 4390] und die Stellungnahmen der Theologen vom 18. 10. 1548 [MBW 5333; CR 7, 174–178, Nr. 4389 (Zitat 174) und MBW 5335; CR 7, 181 f., bei Nr. 4390]; zu den Verhandlungen außerdem Issleib, Interim, 213 f. und Mehlhausen, Streit, 117.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Zusammenstellung verständigten sich die kursächsischen Räte und Theologen Ende November in Altzella, weswegen das dort verabschiedete Schriftstück auch als Zellaer Artikel bezeichnet wird; die Theologen hielten daneben allerdings an ihrer Ablehnung falscher Lehre und abgöttischer Zeremonien wie dem Meßkanon fest.87 Bei einem Treffen der beiden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg in Jüterbog Mitte Dezember erhielten die Zellaer Artikel die Billigung Jo achims II. und wurden von beiden Kurfürsten als gemeinsame Abrede in der Religionsfrage unterzeichnet. Im Gegensatz zu Melanchthon und den anderen Theologen sahen Joachim II. und Moritz daneben auch Verhandlungsmöglichkeiten in der Frage des Meßkanons.88 Ab dem 21. Dezember berieten die sächsischen Landstände bei einem Landtag in Leipzig erneut über ihre Stellungnahme zum Interim. Dabei überreichten die Theologen am 24. Dezember ihre Empfehlung für eine evangelische In terimsordnung in Kursachsen, die in einer Zusammenstellung der Schriftstücke bestand, auf die sie sich in den vergangenen Monaten mit den kursächsischen Räten verständigt hatten, nämlich der Pegauer Rechtfertigungsformel und den Zellaer Artikeln. Diese sogenannten »Leipziger Artikel« enthielten folgende Zugeständnisse: Die Zusage, den päpstlichen Primat und die bischöfliche Jurisdiktion anzuerkennen, und das Versprechen, die gewohnten Gesänge und Feiertage beizubehalten und sich an die Fastengebote zu halten. In bezug auf die Messe sagten die kursächsischen Theologen zu, diese mit den gewohnten Gesängen, Gewändern und Zeremonien zu feiern. Die Räte fügten dieser Schrift allerdings weitere Artikel hinzu – so zum Beispiel Aussagen über die Ölung –, die nicht die Billigung der Theologen fanden.89 Wohl aufgrund von Bedenken der Landstände kam es nicht zu einer förmlichen Verabschiedung dieser Artikel, wodurch zu erklären ist, daß die Artikel im folgenden nicht veröffentlicht wurden und der Kurfürst in seiner abschließenden Stellungnahme am 1. Januar 1549 eine Kirchenordnung in Aussicht stellte, die den Ständevertretern nach der Erarbeitung durch die Theologen zur Bewilligung vorgelegt werden sollte;
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Vgl. zur Ansicht der Theologen ihre Gutachten vom 20. 11. 1548 [MBW 5350; CR 7, 198–204, Nr. 4 404] und vom 21. 11. 1548 [MBW 5355; CR 7, 209–212, Nr. 4 406]; die »Zellaer Artikel« [MBW 5359; CR 7, 215–221, Nr. 4 409] und zu dieser Benennung Wartenberg, Melanchthon, 74. 88 Vgl. Müller, Geschichte des Interims, 105 f. und Herrmann / Wartenberg, PKMS 4, 16. 89 Vgl. die Empfehlung der Theologen vom 24. 12. 1548 [MBW 5387; CR 7, 258–264, Nr. 4 433 mit CR 7, 48–64, Nr. 4290 und CR 7, 215–221, Nr. 4 409]; zum Begriff »Leipziger Artikel« Wartenberg, Melanchthon, 74; zur bischöflichen Jurisdiktion in MBW 5387 CR 7, 260; zu den Adiaphora CR 7, 263 f.; zur Messe CR 7, 263; zur Ölung CR 7, 262; zu den von den Räten eingefügten Artikeln Melanchthon in einem Gutachten für die Geistlichen in Eisleben vom 13. 1. 1549 [MBW 5404; CR 7, 309 f., Nr. 4 463].
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zu diesem Zweck kündigte er erneute Verhandlungen mit den kursächsischen Bischöfen an.90 Melanchthon glaubte zwar nicht, daß der Kaiser durch die Zugeständnisse bei den Adiaphora zufriedengestellt werden könnte, und war grundsätzlich gegen Veränderungen, er wollte aber auf keinen Fall, daß Gemeinden wegen der Einführung gleichgültiger Zeremonien verlassen würden.91 Deshalb hatte er bereits nach der Zusammenkunft in Altzella in verschiedenen Briefen nach Nürnberg gefordert, Prediger sollten bei ihren Gemeinden bleiben, wenn nur Adiaphora, nicht aber Lehre und Sakramente geändert würden, denn sie seien schuldig, eine solche Knechtschaft auf sich zu nehmen.92 An dieser Ansicht hielt er auch nach dem Leipziger Landtag fest und untermauerte sie, indem er das persönliche Bekenntnis, das auf eigene Gefahr erfolge und für das er als Beispiel auf den römischen Märtyrer Laurentius († 258) verwies, von einem Bekenntnis abhob, das neben der eigenen Person auch andere Menschen gefährde. Den Starken stehe das persönliche Bekenntnis offen, seiner Meinung nach waren aber in der derzeitigen Situation Ratschläge für die Schwachen gefordert. So betonte Melanchthon etwa Mitte Januar 1549 in einem Gutachten für die Frankfurter Geistlichen, Pfarrer sollten nachgeben, wenn die Obrigkeit sie ersuche, adiaphorische Riten wieder einzuführen, um dadurch weitergehenden Forderungen zu entgehen und den Gemeinden Verwirrung zu ersparen. Bekenntnis und Leiden seien nur um der Wahrheit willen, beispielsweise bei Messe und Heiligenkult geboten, nicht aber bei Nebensächlichkeiten wie Gesängen, Festen und Gewändern.93 90 Vgl. die Bedenken der Stände vom 25. 12. 1548 [MBW 5388; CR 7, 265–267, Nr. 4435]; die Antwort der Theologen vom 25./26. 12. 1548 [MBW 5389; CR 7, 270, Nr. 4 437 und CR 7, 267–269, Nr. 4 436]; Moritz’ abschließende Stellungnahme vom 1. 1. 1549 [Regest in PKMS 4, 273 f., Nr. 233; hier 274] und Issleib, Interim, 221 ff. 91 Vgl. z. B. Melanchthon an Hardenberg 25. 1. 1549 [MBW 5425; CR 7, 318, Nr. 4 472]; an Ulmer 9. 2 . 1549 [MBW 5543; Bindseil, Epistolae, 290, Nr. 333] und die Wittenberger Theologen an Moritz von Sachsen 24. 6. 1549 [MBW 5574; Regest bei Scheible, MBW R 5, 492]. 92 Vgl. z. B. Melanchthon an Baumgartner 3. 12. 1548 [MBW 5364; CR 7, 227 f., Nr. 4416; hier 228] und an Besold 4. 12. 1548 [MBW 5367; CR 7, 229, Nr. 4418]. Der Grundsatz Melanchthons, daß Gemeinden nicht verlassen werden sollten, findet sich bereits im Brief an Medler 16. 2 . 1548 [MBW 5061; CR 6, 812 f., Nr. 4152; hier 812]. Vgl. auch Melanchthons Rückblick auf diesen Rat, zu dem er nach wie vor stand, in seinen Reden beim Wormser Religionsgespräch am 5. 9. 1557 [MBW 8328; referiert im Bericht von Monner, Schnepf, Strigel und Stoessel an Johann Friedrich II. von Sachsen 6. 9. 1557 bei Wolf, Geschichte, 330–337, Nr. 45; hier 333 f.] und am 22. 9. 1557 [MBW 8362; Regest bei Scheible, MBW R 8, 127 f.; hier 127]; im Brief an von Eitzen 1. 2. 1558 [MBW 8513; CR 9, 439–441, Nr. 6454; hier 440] und in seinen Gutachten für August von Sachsen vom 4. 3. 1558 [MBW 8543; CR 9, 462–478, Nr. 6471; hier 476] und vom 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 617–629, Nr. 6602; hier 628]. 93 Vgl. Melanchthon an die Frankfurter Pfarrer 19. 1. 1549 [MBW 5409; CR 7, 321–326, Nr. 4 476; hier 322–325]; außerdem sein Gutachten von vor 19. 1. 1549 [MBW 5408; Regest bei Scheible, MBW R 5, 412]; den Brief an Buchholzer 21. 1. 1549 [MBW 5416; Kawerau,
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Die Kritik an den im Lauf der Verhandlungen zugestandenen Adiaphora, die im folgenden Abschnitt ausführlich dargestellt wird, hatte bei Melanchthon und seinen Kollegen zur Folge, daß sie versuchten, bestimmte Zeremonien nicht nur als ein unumgängliches Übel zu bezeichnen, sondern auch positive Argumente für ihre Bedeutung und Angemessenheit zu finden. Melanchthon und die kursächsischen Theologen sahen zum Beispiel einen Vorteil der betreffenden Bräuche darin, daß man durch sie Zucht und Ordnung in den Gemeinden fördern könne.94 Zudem machten sie darauf aufmerksam, daß die meisten Adiaphora in den Gemeinden ohnehin in Gebrauch seien und vieles bereits in der Alten Kirche praktiziert worden sei95 – in diesem Zusammenhang verwies Melanchthon in einer von dem Leipziger Professor Bernhard Ziegler (1496–1556) vorgetragenen Rede auf die Autorität Basilius’ des Großen (329–379), eines Kirchenvaters, der sich um die Ordnung des Gottesdienstes verdient gemacht hatte und im Spätmittelalter vor allem von Humanisten aufgenommen wurde.96 Entsprechend der Ankündigung von Kurfürst Moritz beim Leipziger Landtag kamen die kursächsischen Theologen im März 1549 in Dessau zu ersten Beratungen über eine neue Kirchenordnung für Kursachsen zusammen und überarbeiteten dabei einen Entwurf von Fürst Georg III. von Anhalt (1507– 1553), der gemeinhin als Georgsagende bezeichnet wird.97 Georg schickte die Nachträge, 59 f., Nr. 33]: »Hortor omnes, ut servitutem quamlibet duram tolerent in adiaphoris . . . Scripsi de toleranda tali servitute ad pastores multarum Ecclesiarum in vicina Francia et alibi«; den von ihm für Georg von Anhalt verfaßten Brief an Burchard vor 14. 3. 1549 [MBW 5474; CR 7, 251–253, Nr. 4 430; hier 251 f.]; sein Gutachten vom 14. 3. 1549 [MBW 5477; Regest bei Scheible, MBW R 5, 444]; seinen offenen Brief an Flacius 1. 10. 1549 [MBW 5643; MSA 6, 423–429; hier 425] und den Brief an Georg von Anhalt 26. 11. 1549 [MBW 5685; CR 7, 508 f., Nr. 4632; hier 508]. Der Grundsatz, man dürfe keinen Schwachen zum Widerstand zwingen, findet sich bereits in Melanchthons Gutachten für Schneidewein von April 1548 [MBW 5127; Regest bei Scheible, MBW R 5, 274 f.; hier 275]. 94 Vgl. die Verteidigungsschrift der kursächsischen Theologen an die kurfürstlichen Räte vom 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 363–366, Nr. 4515; hier 364 f.]; zudem Melanchthons Briefe an Fischer 2. 7. 1549 [MBW 5581; CR 7, 423 f., Nr. 4554; hier 423] und an Moller 27. 10. 1549 [MBW 5664; CR 7, 456–458, Nr. 4587; hier 457]. 95 Vgl. Melanchthon an Schwolle 8. 1. 1549 [MBW 5400; CR 7, 297, Nr. 4 457] und an Bucer 4. 2 . 1549 [MBW 5433; CR 7, 330 f., Nr. 4 481; hier 330]; den für Georg von Anhalt verfaßten Brief an Burchard vor 14. 3. 1549 [MBW 5474; CR 7, 252]; Melanchthons Gutachten vom 14. 3. 1549 [MBW 5477; Regest bei Scheible, MBW R 5, 444]; seinen Brief an Hardenberg 18. 3. 1549 [MBW 5481; CR 7, 351 f., Nr. 4503; hier 351]; die kursächsischen Theologen an die kurfürstlichen Räte [MBW 5501; CR 7, 364] und Bugenhagen und Melanchthon an Aepinus und die Hamburger Geistlichen 13. 4. 1549 [MBW 5504; CR 7, 382– 386, Nr. 4516B; hier 383] und Melanchthon an Moller 27. 10. 1549 [MBW 5664; CR 7, 457]. 96 Vgl. die von Melanchthon verfaßte »Oratio de coniunctione et unitate Christianorum, contra non necessarias separationes, et aemulationes perversas« vom 22. 4. 1549 (VD 16 M 3749 und Koehn, Melanchthons Reden, Nr. 155; Schrift im Internet einsehbar unter der Adresse http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/465-5-1-quod; letzter Abruf 20. 11. 2012) und dazu Corvinus und seine Kollegen im Brief an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvins, 111 ff.]; zu Basilius Hödl, Basilius, 1531. 97 Vgl. zu den Beratungen vom 7. bis zum 15. 3. 1549 die Briefe von Melanchthon an
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Ergebnisse der Beratungen im Anschluß zur Prüfung und eventuellen Drucklegung an den Kurfürsten.98 Dieser ließ die Agende allerdings am 10. April in Torgau zunächst einem Ausschuß der kursächsischen Landstände vorlegen. Diese sahen sich jedoch nicht in der Lage, das Werk zu prüfen, was wohl vor allem am Widerstand der beiden Torgauer Prediger Gabriel Zwilling und Michael Schultes gegen die geplante Agende lag – der Protest der beiden Prediger trug ihnen im Anschluß an die Zusammenkunft einen mehrwöchigen Arrest im Wittenberger Schloß ein,99 wobei sich die Wittenberger Theologen für eine Begnadigung einsetzten.100 Die Agende wurde trotz dieses Einspruchs am 1. Mai von den kursächsischen Theologen beschlossen und Kurfürst Moritz übergeben.101 Anfang Juli ließ Kurfürst Moritz einen Auszug der »Leipziger Artikel« veröffentlichen und an die Superintendenten und Pfarrer versenden und schuf damit die gesetzliche Grundlage für die Durchführung der Artikel. Gleichzeitig erging ein Einführungsmandat an die Amtsleute im Land und an die Räte in den Städten, in dem sie aufgefordert wurden, die Befolgung des Auszugs seitens der Pfarrer zu überwachen. In der Folge kam es darauf hin an einzelnen Orten zu Bestrafungen und Amtsenthebungen von Pfarrern, die sich zum Beispiel weigerten, den Chorrock zu tragen; insgesamt gesehen wurde die Umsetzung der »Leipziger Artikel« in Kursachsen jedoch nicht sehr ernsthaft betrieben, und die zugehörige Agende wurde nicht veröffentlicht.102
3.2 Kritik an Melanchthon und seinen Wittenberger Kollegen im Rahmen der Umsetzung des »Augsburger Interims« Die Haltung der Wittenberger Theologen bei den verschiedenen Zusammenkünften und Landtagen des Jahres 1549 in Kursachsen, insbesondere ihre Mitarbeit an den »Leipziger Artikeln« und die aus diesen hervorgegangene Agende, wurde schnell in weiten Teilen Deutschlands bekannt, und es verbreitete sich Meienburg 8. 3. 1549 [MBW 5469; CR 8, 237 f., Nr. 5561; hier 238] und an Camerarius 14. 3. 1549 [MBW 5475; CR 7, 250, Nr. 4 429]; außerdem Örtel an Tucher 17. 3. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 639–641, Nr. 56; hier 640]; zu Melanchthons Einschätzung der Agende seinen Brief an Meienburg 7. 4. 1549 [MBW 5496; CR 7, 361 f., Nr. 4513; hier 362]. Die Georgsagende ist gedruckt bei Friedberg, Agenda, 27–78; vgl. Melanchthons Vorrede vor 14. 3. 1549 [MBW 5473; Friedberg, a. a. O., 13–26]. 98 Vgl. Issleib, Interim, 224 ff. 99 Vgl. Preger, Flacius 1, 79 und Wartenberg, Melanchthon, 77. 100 Vgl. die (nicht abgeschickte) Fassung eines Briefs der Wittenberger Theologen an Moritz von Sachsen 20. 6. 1549 [MBW 5565; Regest bei Scheible, MBW R 5, 487]. 101 Vgl. Bugenhagen an Albrecht von Preußen 25. 5. 1549 [Bugenhagen-BW, 443–452, Nr. 230; hier 450]. 102 Vgl. den Auszug vom 4. 7. 1549 [PKMS 4, 450–452, Nr. 397]; Melanchthon an Moller 27. 10. 1549 [MBW 5664; CR 7, 457]; Bugenhagen an Albrecht von Preußen 2. 5. 1550 [Bugenhagen-BW, 470–475, Nr. 238; hier 472 f.]; Preger, Flacius 1, 97; Issleib, Interim, 230 f.; Mehlhausen, Streit, 120 und 124 und Herrmann / Wartenberg, PKMS 4, 18.
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bereits im Oktober 1548 und verstärkt nach dem Leipziger Landtag die Kunde, die Kursachsen hätten unangemessene Zugeständnisse an das »Augsburger In terim« gemacht.103 Diese Nachrichten stießen bei den meisten Protestanten auf Unverständnis oder Kritik, was noch dadurch verstärkt wurde, daß viele Altgläubige über die angeblichen Zugeständnisse triumphierten104 und Johannes Agricola, ein Mitverfasser des Interims, behauptete, Melanchthon stimme jetzt in seiner Haltung zum Interim mit ihm überein.105 Einige Theologen und Fürsten aus verschiedenen Teilen Deutschlands begnügten sich angesichts der Gerüchte über kursächsische Zugeständnisse mit kritischen Anfragen an Melanchthon und seine Wittenberger Kollegen und baten in diesem Zusammenhang meist um nähere Erläuterungen zur Frage der Adiaphora – so zum Beispiel Georg Buchholzer im Namen der Berliner und Cöllner Prediger, der Superintendent der Grafschaft Mansfeld Johannes Spangenberg (1484–1550) im Namen seiner Geistlichen, der Prediger Johann Konrad Ulmer (1519–1600) aus Lohr am Main und Herzog Albrecht von Preußen (1490–1568).106 Viele andere Protestanten jedoch gingen die kursächsischen 103
Vgl. Flacius an Melanchthon ca. 21. 10. 1548 [MBW 5340; Bindseil, Epistolae, 546– 548, Nr. 559; hier 547]: »piorum querelae«; Amsdorf an Strigel 19. 1. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 634, Nr. 46]: »De Lypsico conventu tibi nihil respondere possum. Mira de illius impietate hic dicuntur«; Hardenberg an Melanchthon 21. 1. 1549 [MBW 5418; Bindseil, Epistolae, 286–288, Nr. 330; hier 287]: »rumores spargantur de, nescio qua, conniventia ad Interim«; von Crakow an Albrecht von Preußen 1. 2. 1549 [Bugenhagen-BW, 435–437, Nr. 224; hier 436]: »perditorum hominum mendaciis quae passim sparguntur de theologis Vitebergensibus«; Corvinus an Mörlin 17. 2 . 1549 [Corvinus-BW, 224 f., Nr. 274; hier 224]: »De reformatione Saxonica in rebus adiaphoris varii varia dicunt« und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 107] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 293]; Albrecht von Preußen an Bugenhagen 13. 4. 1549 [Bugenhagen-BW, 443, Nr. 229] und 13. 3. 1550 [Regest im Bugenhagen-BW, 470, Nr. 237] und Vadian an Bullinger 19. 4. 1549 [Vadianische Briefsammlung 6, 790–792, Nr. 1653; hier 791]. 104 Vgl. Flacius an Melanchthon ca. 21. 10. 1548 [MBW 5340; Bindseil, Epistolae, 547]: »gloriationes hostium de concessis nescio quibus« und Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 593–596, Nr. 1381; hier 594]: »Nunc impii . . . de subacto evangelio triumphum agant«; »papistis . . . proterve evangelio insultandi materiam dedisti«. 105 Vgl. die Hinweise darauf in den Briefen von Camerarius an Melanchthon 21. 1. 1549 [MBW 5417; Regest bei Scheible, MBW R 5, 416 f.; hier 416]; Melanchthon an Georg von Anhalt 25. 1. 1549 [MBW 5424; CR 7, 319 f., Nr. 4474; hier 320]; Hardenberg an Melanchthon zwischen 18. und 29. 3. 1549 [Gerdes, Hardenbergii Anecdota, 688–695; hier 691 bzw. deutsch bei Spiegel, Hardenberg, 129–131; hier 130] (ein Brief, der von Scheible, MBW R 5, 455 lediglich als das Konzept einer ersten Fassung von MBW 5500 angesehen wird, von Janse, Hardenberg, 512 hingegen als eigenständiger Brief ); und 12. 4. 1549 [MBW 5500; Regest bei Scheible, MBW R 5, 454 f.; hier 454]; Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 366–382, Nr. 4516A; hier 369] und Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 110] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 296]. 106 Vgl. Buchholzer an die Wittenberger Theologen 7. 1. 1549 [MBW 5398; CR 7, 292– 296, Nr. 4 455; hier 293 ff.]; den Rückschluß auf Spangenbergs Anfrage aus Melanchthons Brief an ihn und die anderen Geistlichen in Eisleben vom 13. 1. 1549 [MBW 5404; CR 7, 309 f., Nr. 4 463]; Ulmer an Melanchthon 31. 1. 1549 [MBW 5429; Regest bei Scheible,
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Theologen mit Vorwürfen und Schmähungen an.107 Die Kritik verbreitete sich in den folgenden Monaten in ganz Deutschland und sogar darüber hinaus108 und beeinflußte die Meinung vieler Protestanten über Melanchthon und die anderen kursächsischen Theologen.109 Von der Kritik waren zwar häufig alle Wittenberger und Leipziger Theologen betroffen, viele Vorwürfe richteten sich jedoch explizit gegen Melanchthon. Der Genfer Reformator Johannes Calvin mutmaßte, die starke Kritik an Melanchthon komme dadurch zustande, daß an ihn als einen wichtigen Anführer der Protestanten höhere Ansprüche gestellt würden als an einen gewöhnlichen Christen.110 Da in dieser Zeit sehr viele verschiedene Kritiker gegen Melanchthon und seine Kollegen auf begehrten und zahlreiche unterschiedliche Vorwürfe gegen sie vorbrachten, werden im folgenden zunächst die wichtigsten namentlich bekannten Kritiker (3.2.1) und im Anschluß daran die zentralen Inhalte ihrer Kritik (3.2.2) zusammengestellt.
MBW R 5, 422] und Albrecht von Preußen an Bugenhagen 13. 4. 1549 [Bugenhagen-BW, 443, Nr. 229]; zudem den Hinweis auf eine ähnliche Anfrage im Brief von Melanchthon an Pistorius 6. 1. 1549 [MBW 5397; Bindseil, Epistolae, 326 f., Nr. 362; hier 327]. 107 Vgl. Hinweise auf diese Kritiker in Melanchthons Briefen an Georg von Anhalt 15. 1. 1549 [MBW 5405; CR 7, 310 f., Nr. 4 464; hier 311]: »De Lipsico conventu querelas et criminationes multorum audio« (zur Änderung des Textes Scheible, MBW R 5, 411) und 25. 1. 1549 [MBW 5424; CR 7, 319 f., Nr. 4 474; hier 320]: »multorum obiurgatrices literas«; »clamores multorum . . ., qui nobis rabiose maledicant«; an Burchard 17. 2 . 1549 [MBW 5451; CR 7, 336 f., Nr. 4 488; hier 336]: »multi de nobis atrociter loquuntur«; an Meienburg 29. 6. 1549 [MBW 5578; CR 7, 421 f., Nr. 4552; hier 422] und an Moller 27. 10. 1549 [MBW 5664; CR 7, 458]; zudem in den Briefen von Bugenhagen und Melanchthon an Aepinus und die Hamburger Geistlichen 13. 4. 1549 [MBW 5504; CR 7, 382–386, Nr. 4516B; hier 382]; Maior an Amsdorf 19. 1. 1548 [Regest bei Eichhorn, Amsdorfiana, 634, Nr. 47] und 21. 2 . 1549 [Eichhorn, a. a. O., 638 f., Nr. 53; hier 638]: »nos prorsus damnari et publice aeditis libris, maledictis, calumniis et mendaciis conspui et percacari«; Eber an Baumgartner 5. 9. 1549 [van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 8 f., Nr. 16; hier 9] und Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 593–596, Nr. 1381; hier 593]: »gravia . . . aliorum de te iudicia, et . . . sinistri odiosique sermones«. 108 Vgl. Melanchthons Gutachten für die kurfürstlichen Räte Mitte Juni 1549 [MBW 5561; Friedberg, Agenda, 6 f.; hier 6]: »Es sind newlich seer gifftige schrifften vnd derselbigen viel vffeinander wider vns, In meideburg ausgangen, vnd gehen dergleichen reden nit allein in meideburg, sondern auch stark in Erfort, Hall, vnd darnach in gantzen Sachsen, preussen vnd denemark, vnd werden wir seer vnfletig gelestert mit schriften, predigten, singen vnd malen« und den offenen Brief von Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527–529; hier 528]: Hinweis auf Klagen über Melanchthon aus Franken, Hessen, Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen. 109 Vgl. Melanchthon an Georg von Anhalt 7. 9. 1550 [MBW 5898; CR 7, 658, Nr. 4789]: »C[elsitudo] V[estra] scribuit multos moveri illorum [sc. Flacianorum] calumniis«. 110 Vgl. Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 595]: »Alia, ut nosti, tua est quam multorum conditio. Plus enim ignominiae ducis vel antesignani trepidatio, quam gregariorum militum fuga sustinet«.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
3.2.1 Die Kritiker Die folgende Zusammenstellung zeigt, wie viele verschiedene Kritiker sich in den Jahren nach 1548 in sehr unterschiedlicher Art und Weise gegen Melanchthon und seine kursächsischen Kollegen äußerten. 3.2.1.1 Die sogenannten Flacianer und der Magdeburger Rat Einer der ersten und folgenreichsten Kritiker der Wittenberger Theologen war ihr Kollege Matthias Flacius: Er hatte Melanchthon aufgrund von Gerüchten bereits im Oktober 1548 ermahnt, sich infolge seiner Milde nicht von Kurfürst Moritz mißbrauchen und zu Nachgiebigkeit gegenüber dem Interim hinreißen zu lassen,111 und in einer pseudonymen Schrift vor der Zusammenkunft Ende November in Altzella gefordert, daß man dem Papst zuliebe nichts verändern solle.112 Als er Anfang 1549 von den »Leipziger Artikeln« erfuhr, griff er diese und damit auch die kursächsischen Theologen unter anderem durch zwei Schriften an, die er allerdings nicht unter seinem eigenen Namen veröffentlichte, sondern anonym bzw. unter dem Pseudonym »Carolus Azarias Gotsburgensis«.113 Als er erkannte, daß er seine Kollegen nicht umstimmen konnte, gab er Ende März seine Stelle in Wittenberg auf und begab sich nach Magdeburg, wo viele lutherische Theologen, die wegen des Interims aus ihrer Heimat geflohen waren, Zuflucht fanden und in ihrem Kampf gegen die Umsetzung des 111 Vgl. Flacius an Melanchthon ca. 21. 10. 1548 [MBW 5340; Bindseil, Epistolae, 547 f.]: »Illud certe neque alii pii, neque tu ipse . . . dubitas Achitopheles istos tuae lenitati, bonitati et simplicitati insidiari«; »visum mihi quoque est, ut dolori ingenti, quo excrucior, conscientiaeque satisfacerem, te et orare et monere, ne quicquam impiis Antichristi ministris concedas«; zudem rückblickend in seinem (ungedruckten) Brief an Poach 1. 8. 1549 [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 116 f.] und in seiner »Apologia ad Scholam Vitebergensem« von 1549 (VD 16 F 1264), E 2a [nach Waschbüsch, a. a. O., 146]. 112 Vgl. den Titel der Schrift, die Flacius im November 1548 unter dem Pseudonym Johannes Hermann herausgab: »Das man in diesen geschwinden leufften / dem Teuffel Und Antichrist zugefallen / nichts in den Kirchen Gottes vorendern soll« (VD 16 H 2352); dazu Preger, Flacius 1, 64 ff.; Hauschild, Kampf gegen das Interim, 72 und Waschbüsch, Alter Melanchthon, 78 ff. Hinweise auf derartig kompromißlose Positionen finden sich auch im Gutachten der Theologen vom 22. 12. 1548 [MBW 5386; CR 7, 255–258, Nr. 4 432; hier 257] und in Melanchthons Brief an Pistorius 6. 1. 1549 [MBW 5397; Bindseil, Epistolae, 326 f., Nr. 362; hier 327]: »scio duriter quosdam contendere, nullos ritus adiaphoros restituendos esse«. 113 Vgl. den Hinweis auf eine erste anonyme drei Quartseiten umfassende Schrift, die sich nicht identifizieren läßt, im Brief von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 28. 2 . 1549 [Bugenhagen-BW, 438–441, Nr. 226; hier 438 f.] und Flacius’ zweite Schrift mit dem Titel »Wider den schnöden Teufel der sich jetzt abermals in einen Engel des liechtes verkleidet hat, das ist wider das newe Interim« (VD 16 F 1559) (zur Aufnahme der Schrift durch Melanchthon Aurifaber an Flacius 14. 4. 1549 [Friedensburg, Ein Brief Aurifabers, 63–65; hier 63]; ferner Waschbüsch, Alter Melanchthon, 109 ff.). Vgl. auch den Hinweis auf anonyme Schriften und die von Flacius in Wittenberg und anderswo verbreitete Kritik in Bugenhagens Briefen an Albrecht von Preußen 25. 5. 1549 [Bugenhagen-BW, 445] und an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 453–462, Nr. 232; hier 454].
IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560
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Interims unterstützt wurden.114 In den folgenden Monaten und Jahren äußerte er seine Kritik zum einen in Briefen an Melanchthon,115 zum anderen griff er verstärkt zu einem öffentlichkeitswirksameren Mittel und überschwemmte das Land mit zahlreichen Streitschriften, in denen er die »Leipziger Artikel« und ihren Auszug kritisierte und dabei Melanchthon und andere kursächsische Theologen scharf angriff.116 Als im Sommer 1557 ein Religionsgespräch zwischen Protestanten und Altgläubigen angesetzt wurde, ließ Flacius einen Aufruf an die evangelischen Gesprächsteilnehmer ergehen und erneuerte darin seine Kritik an den 1549 gemachten Zugeständnissen.117 Nach Magdeburg war auch der zweite einflußreiche Kritiker der Wittenberger Theologen, Nikolaus von Amsdorf, gegangen, weil er den sächsischen Herzögen, bei denen er sich seit seiner Vertreibung aus Naumburg 1547 aufgehalten hatte, durch seine Polemik gegen das Interim keine Probleme bereiten wollte.118 Er kritisierte die »Leipziger Artikel« bereits drei Wochen nach Ende des Leipziger Landtags und erneuerte seine Ablehnung, wann immer sich eine Gelegenheit dafür bot, obwohl er sie gar nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.119 Ende Mai verfaßte er eine Schrift, die allerdings nicht gedruckt wurde, und wider114 Vgl. zu Flacius’ Weggang aus Wittenberg Melanchthon an Georg von Anhalt 29. 3. 1549 [MBW 5487; CR 7, 356, Nr. 4507]; Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 454] und Waschbüsch, Alter Melanchthon, 105 ff.; zur Situation in Magdeburg Ritschl, Dogmengeschichte 2/1, 356 f. 115 Vgl. Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 548–555, Nr. 560] und 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527–529] – letzterer war ein offener Brief. 116 Vgl. folgende Auswahl der Schriften von Flacius: »De veris et falsis adiaphoris« vom 1. 10. 1549 (VD 16 F 1444 f.), »Responsio ad Epistolam Philippi Melanthonis« von 1549 (VD 16 F 1490), »Widder den Ausszug des leipsischen Interims, oder das kleine Interim« von 1549 (VD 16 F 1557) und »Christliche vermanung« von 1550; zudem die Hinweise auf Flacius’ Kritik in Melanchthons Briefen an Camerarius 9. 6. 1549 [MBW 5557; CR 7, 415 f., Nr. 4544; hier 415]; an Meienburg 4. 10. 1549 [MBW 5644; CR 5, 503, Nr. 3052]; an Mathesius 5. 10. 1549 [MBW 5645; CR 7, 482 f., Nr. 5604; hier 483]; an Bucer 18. 10. 1549 [MBW 5653; Stupperich, Melanchthoniana, 66, Nr. 3 ]: »Bellum nobis Flacius Illyricus . . . infert«; an Mathesius 2. 1. 1550 [MBW 5711; CR 7, 531 f., Nr. 4651; hier 532] und an Moller 19. 3. 1550 [MBW 5757; CR 7, 566 f., Nr. 4692; hier 567]; zudem Gmünder an Vadian 10. 1. 1550 [Vadianische Briefsammlung 6, 825–827, Nr. 1681; hier 825 f.] und Frecht an Furster 15. 11. 1550 [Regest bei van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 9, Nr. 18]. Zu den Inhalten der Kritik des Flacius unten Kap. 3.2.2.1 bis 3.2.2.5. 117 Vgl. Flacius an die evangelischen Kolloquenten in Worms 9. 8. 1557 [MBW 8299; CR 9, 199–213, Nr. 6301]. 118 Vgl. Amsdorf an Johann Friedrich von Sachsen 22. 6. 1548 [Schmidt, Briefe Amsdorfs, 467–469, Nr. 2; hier 468 f.]; zudem Ritschl, Dogmengeschichte 2/1, 357 f. und Reichert, Amsdorff und das Interim, 133. 119 Vgl. Amsdorf an Strigel 19. 1. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 634, Nr. 46]: »De Lypsico conventu tibi nihil respondere possum . . . nondum vidi«; an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, a. a. O., 636 f., Nr. 51] und an Aurifaber 1. 5. 1549 [Eichhorn, a. a. O., 641 f., Nr. 59; hier 642]; zudem seine »Schrift wider die zu Leipzig bewilligten Artikel oder wider das Interim« vom 15. 2 . 1549, die allerdings im Zustand des Manuskripts verblieb (vgl. Pressel, Amsdorf, 70 f. und 161, Anm. 28).
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
legte darin Melanchthons Position zur Frage der Adiaphora anhand seines Ratschlags für die Frankfurter Pfarrer von Mitte Januar 1549.120 In den folgenden Monaten ließ er wie Flacius zahlreiche weitere Streitschriften ausgehen, in denen er Melanchthon und andere kursächsische Theologen in einem zunehmend bitteren Ton persönlich angriff.121 Zur Gruppe von Flacius und Amsdorf gehörte auch Nikolaus Gallus: Er hatte wegen des Interims seine Stelle als Diakon in Regensburg aufgeben müssen und darauf hin eine Anstellung in Wittenberg erhalten, wo man ihn gut kannte, da er hier sein Studium absolviert hatte. Auch er war mit den Zugeständnissen der »Leipziger Artikel« sehr unzufrieden, was er zunächst Ende Mai 1549 in einem Brief an Melanchthon und Bugenhagen äußerte; 122 sein Unbehagen scheint dann aber so gewachsen zu sein, daß er sich in der zweiten Jahreshälfte zu Flacius und Amsdorf nach Magdeburg begab und wie diese die Wittenberger durch Streitschriften angriff.123 Diese drei Männer, die nach ihrem »Anführer« in der Literatur oft als Flacianer bezeichnet werden, waren maßgeblich dafür verantwortlich, daß sich Magdeburg in der folgenden Zeit zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Umsetzung des »Augsburger Interims« entwickelte.124 Neben ihren jeweils ei120 Amsdorfs Schrift »Antwort auff das scriptum so sich anfehet In tanta Ecclesiarum mestitia etc vnd itzt hin vnd wider ausgebreitet wird wider die ihenigen so die meischnische Interim vnd alcoran nit wolln annemen« wurde damals nicht gedruckt (vgl. Lerche, Amsdorff und Melanchthon, 17 f.), findet sich aber heute bei Reichert, Antwort, 257–268; vgl. dazu Reichert, a. a. O., 254 ff. 121 Vgl. z. B. Amsdorf, Auff die kuenstliche Spoettische und Bitterhoenische Oration So D. Ziegler zu Leiptzig am Ostermontag [sc. 22.4.] widder die bestendigen Lutherischen recitirt hat, 1549: Beurische und einfeltige antwort (VD 16 A 2327) – eine Schrift, die unter den Protestanten großen Eindruck machte; vgl. dazu Corvinus’ Briefe an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 248–251, Nr. 286; hier 249]; an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 107] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 294]; zur Charakterisierung der Schriften Amsdorfs Reichert, Amsdorff und das Interim, 134 und 137 f.; zu den Inhalten seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.1, 3.2.2.2, 3.2.2.4 und 3.2.2.5. 122 Vgl. Gallus an Melanchthon und Bugenhagen 28. 5. 1549 [MBW 5549; Regest bei Scheible, MBW R 5, 478 f.]. 123 Vgl. zu Gallus Scheible, Gallus, 462; zu seiner Kritik die Schrift »Eine Disputation von Mitteldingen, und von den itzigen Verenderungen in Kirchen, die christlich und wol geordent sind« von 1550 (VD 16 G 269) und die Hinweise in Melanchthons Briefen an Stigel 15. 2 . 1550 [MBW 5732; CR 7, 548 f., Nr. 4673; hier 548] und an Menius 27. 2 . 1550 [MBW 5741; CR 7, 553, Nr. 4679]; zu den Inhalten der Kritik des Gallus unten Kap. 3.2.2.2 und 3.2.2.4 bis 3.2.2.6. 124 Vgl. Hinweise auf die Kritik der Flacianer, die Melanchthon meist nur als vicini bezeichnete, in seinen Briefen an Anton Lauterbach 22. 7. 1549 [MBW 5600; CR 7, 439, Nr. 4567]; an Christian III. von Dänemark 17. 8. 1549 [MBW 5610; CR 7, 444 f., Nr. 4575; hier 455]; an Fabricius ca. 23. 8. 1549 [MBW 5612; CR 7, 449, Nr. 4581]; an Besold 10. 9. 1549 [MBW 5622; CR 7, 139, Nr. 4353]; an Georg von Anhalt 16. 11. 1549 [MBW 5679; CR 7, 505, Nr. 4628] und 26. 11. 1549 [MBW 5685; CR 7, 508 f., Nr. 4632; hier 508]; an Ulmer 1. 12. 1549 [MBW 5688; Regest bei Scheible, MBW R 5, 543 f.; hier 543]; an Besold
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genen Streitschriften gaben Flacius und Gallus auch einige gemeinsame Schriften heraus – so edierten sie zum Beispiel im Frühsommer des Jahres 1550 den vollen Text der »Leipziger Artikel«, wobei sie ihn mit polemischen Kommentierungen versahen und ihm einige Dokumente anfügten.125 Neben Flacius, Amsdorf und Gallus äußerte sich auch der Magdeburger Rat in mehreren sogenannten Ausschreiben zur Umsetzung des »Augsburger In terims« und übte Kritik an Melanchthon und den anderen albertinischen Theologen.126 3.2.1.2 Johann Friedrich von Sachsen und die ernestinischen Theologen Melanchthon hatte die »Leipziger Artikel« kurze Zeit nach dem Landtag nach Weimar übersandt. Nachdem sie an den gefangenen ehemaligen Kurfürsten Johann Friedrich gelangt waren, ordnete dieser bereits im Januar 1549 eine Beratung durch den Gothaer Superintendenten Justus Menius (1499–1558) und seinen ehemaligen Hofprediger Christoph Hoffmann (1513 – ca. 1553) darüber an, ob man diese Vorschläge für das Herzogtum Sachsen übernehmen könne. Die in den folgenden beiden Monaten entstandenen Gutachten der Theologen kamen zu einer deutlichen inhaltlichen Ablehnung der kursächsischen Vorschläge, enthielten sich jedoch im Gegensatz zu anderen Stellungnahmen jeglicher Polemik und persönlicher Kritik an Melanchthon und seinen Kollegen.127 Auch Johann Friedrich selbst lehnte ein Nachgeben in Mitteldingen rigoros ab, kritisierte das Verhalten seiner vormaligen Theologen allerdings deutlicher als die ernestinischen Theologen. Deshalb zeigte er sich einverstanden mit der Kri17. 12. 1549 [MBW 5698; CR 7, 515, Nr. 4640]; an Crato 13. 2 . 1550 [MBW 5729; CR 7, 545 f., Nr. 4669; hier 546]; an Albrecht von Preußen 25. 2 . 1550 [MBW 5738; CR 7, 551 f., Nr. 4677; hier 551]; an Harer 8. 4. 1550 [MBW 5767; Hasenclever, Ein unbekannter Brief, 279 f.; hier 280]; an Lauterbach 22. 5. 1550 [MBW 5805; CR 7, 599 f., Nr. 4724; hier 600]; an Hardenberg 24. 7. 1550 [MBW 5861; CR 7, 634 f., Nr. 4762; hier 635]; an Collinus 3. 8. 1550 [MBW 5867; CR 7, 640, Nr. 4766]: »vicini sycophantae contra nos spargunt assidue virulentos libellos«; an Meienburg 25. 8. 1550 [MBW 5887; CR 7, 648 f., Nr. 4778; hier 649]; an Camerarius 13. 9. 1550 [MBW 5903; CR 7, 660 f., Nr. 4793; hier 660] und an Baumgartner 22. 1. 1551 [MBW 5984; CR 7, 727, Nr. 4845]; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 263 ff.; zur weiten Verbreitung und Wirkung der Schriften Jürgens, Druckschriften, 136 f. 125 Vgl. Flacius und Gallus, Der Theologen bedencken und dazu Sozzini an Bullinger 20. 8. 1550 [Sozzini, Opere, 176–178, Nr. 17; hier 177, Z. 8 ff.]; Melanchthon an Hardenberg 29. 8. 1550 [MBW 5891; CR 7, 650, Nr. 4780] und G. Cracow 21. 9. 1557 [MBW 8359; Bindseil, Epistolae, 463 f., Nr. 472; hier 463]; seine Rede beim Wormser Religionsgespräch am 22. 9. 1557 [MBW 8362; Regest bei Scheible, MBW R 8, 127 f.; hier 127] und Mehlhausen, Streit, 122. 126 Vgl. das zweite Ausschreiben des Magdeburger Rates von Anfang 1549 und dazu Kaufmann, Ende der Reformation, 138 ff., bes. 141 f.; zum Inhalt seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.1. 127 Vgl. Koch, Theologische Aspekte, 316 ff.; zu den inhaltlichen Anfragen der ernestinischen Theologen unten Kap. 3.2.2.3 und 3.2.2.4.
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tik des Flacius und seiner Anhänger und betonte, er könne sich diese sogar in einem noch schärferen Ton vorstellen.128 3.2.1.3 Die Theologen der norddeutschen Hansestädte Im Frühjahr 1549 meldeten sich auch einige Vertreter der norddeutschen Hansestädte mit Kritik an den Wittenbergern zu Wort; deren Verhalten mißfiel ihnen, da auch sie das »Augsburger Interim« kategorisch ablehnten:129 Der Bremer Domprediger Albert Hardenberg (1510–1574), der sich aufgrund von Gerüchten über die Nachgiebigkeit der Wittenberger bereits im Januar mit einer Anfrage an Melanchthon gewandt hatte,130 scheint mit dessen Antworten, in denen ihm Melanchthon seine Bekenntnistreue versicherte,131 nicht zufrieden gewesen zu sein, denn Ende März und Mitte April meldete er in weiteren Briefen an Melanchthon eingehende Zweifel an dessen Bekenntnistreue an.132 Anfang April wandte sich auch der Hamburger Superintendent Johannes Aepinus (1499–1553) im Namen der ihm unterstellten Pfarrerschaft mit der Bitte um eine klare Stellungnahme im Streit um die Adiaphora an die Wittenberger Professoren. Aus seinem Brief war deutliche Kritik an der kursächsischen Position herauszuhören.133 Melanchthon und Bugenhagen reagierten Mitte April auf diese Anfrage und legten in einem ausführlichen Brief ihre Position dar.134 Der Brief der Hamburger Theologen übte in der Folgezeit einen äußerst wichtigen Einfluß auf die protestantische Meinung in der Frage der Adiaphora
128 Vgl. die Stellungnahme Johann Friedrichs von Sachsen zum Bekenntnis der ernestinischen Stände vom 18. 3. 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 323] und seinen Brief an von Minkwitz 13. 9. 1549 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 300 f., Nr. 302; hier 300]; ferner Mentz, Johann Friedrich 3, 293 und 295 f. und Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 60; zu den Inhalten seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.1 und 3.2.2.5. 129 Vgl. die von Johannes Aepinus verfaßte Schrift »Bekenntnisse und Erkleringe up dat Interim, durch der Ehrbarn Stede Lübeck, Hamborch, Lünenborch etc. Superintendenten, Pastorn und Predigere« von Mitte August 1548 (VD 16 A 362; neuerdings gedruckt in: Reaktionen auf das Augsburger Interim, 274 ff.); Harms, Aus den Tagen des Interims, 114 f.; Hauschild, Kampf gegen das Interim, 68 ff. und Wartenberg, Städtische Theologen, 99 ff. 130 Vgl. Hardenberg an Melanchthon 21. 1. 1549 [MBW 5418; Bindseil, Epistolae, 287]. 131 Vgl. Melanchthon an Hardenberg 25. 1. 1549 [MBW 5425; CR 7, 318, Nr. 4 472] und 18. 3. 1549 [MBW 5481; CR 7, 351 f., Nr. 4503]. 132 Vgl. Hardenberg an Melanchthon zwischen 18. und 29. 3. 1549 [Gerdes, Hardenbergii Anecdota, 690 ff. bzw. Spiegel, Hardenberg, 130 f.; nicht bei MBW, vgl. oben Anm. 105] und 12. 4. 1549 [MBW 5500; Regest bei Scheible, MBW R 5, 454 f.]; zu dieser und weiterer Kritik aus Bremen Melanchthon an Camerarius 15. 4. 1550 [MBW 5772; CR 7, 572 f., Nr. 4700; hier 573]: »Ex Brema tantum minae scribuntur, ut anno superiore«; zu den Inhalten von Hardenbergs Kritik unten Kap. 3.2.2.2 und 3.2.2.4 a). 133 Vgl. Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 366–382, Nr. 4516A]; zum Inhalt seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.4 a). 134 Vgl. Melanchthon und Bugenhagen an Aepinus und die Hamburger Geistlichen 13. 4. 1549 [MBW 5504; CR 7, 382–386, Nr. 4516B].
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aus, da er noch im Jahr 1549 zusammen mit Melanchthons und Bugenhagens Antwort von Flacius in Magdeburg gedruckt wurde.135 Schließlich gab der Hamburger Pastor an St. Katharinen Joachim Westphal (1510/11–1574) einige Schriften heraus, die sich schnell unter den Protestanten verbreiteten. Er bezog in ihnen Stellung zur Frage der Adiaphora und kritisierte dabei Melanchthon und die anderen Wittenberger Theologen.136 3.2.1.4 Die niedersächsischen Theologen Antonius Corvinus war bereits im Februar 1549 infolge von Gerüchten über die Ereignisse in Kursachsen beunruhigt gewesen; als er Anfang August jedoch Schriften aus Wittenberg zu Gesicht bekam, war er tief betroffen über die Zugeständnisse der Wittenberger. Er schätzte Melanchthon zwar sehr, hielt es in der gegenwärtigen Situation aber für nötig, sich von ihm abzugrenzen und ihm deutlich die Meinung zu sagen. Deshalb verfaßte er Ende August 1549 einen Brief an Melanchthon, in dem er dessen Positionen auch im Namen der ihm unterstellten Prediger des Herzogtums Braunschweig-Calenberg in Frage stellte und inständig um eine Stellungnahme zu den Zugeständnissen und um eine Widerlegung der Behauptung Agricolas bat, Melanchthon stimme in seiner Haltung zum Interim mit ihm überein. Er plante, diesen Brief von den Amtsbrüdern in seiner Umgebung unterzeichnen zu lassen. Diese Unterschriftenaktion kam allerdings nicht zustande; und so schickte Corvinus den Brief einen Monat später in überarbeiteter Form unter seinem eigenen Namen an Melanchthon.137 Vielleicht ausgelöst durch die Vorwürfe des Corvinus äußerte sich 135 Vgl. zu den Drucken Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 80–82; zur Verbreitung Corvinus’ Briefe an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 249] und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 108] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 294]; zudem Mörlins Schrift »Erklerung aus Gottes Wort« von 1561, D 2b, der noch Jahre später mit Aepinus’ Schrift argumentierte. 136 Vgl. folgende Schriften Westphals aus dem Jahr 1549: »Brevis Comprehensio Argumentorum, quibus servitus ferenda in Caeremonijs a Papistis per eorum ministros imposita improbatur« (VD 16 W 2267); »Explicatio generalis sententiae, quod a duobus malis minus sit eligendum, ex qua facile quivis intelligere potest, quid in praesenti de adiaphoris controversia sequendum aut fugiendum sit« (VD 16 W 2286); »Historia vituli aurei Aaronis ad nostra tempora accomodata« (VD 16 W 2292) – eine Schrift, in der Westphal Melanchthon mit Aaron verglich; »Duo scripta. In altero . . . asseritur, quod obsistentes praesenti mutationi in doctrina et rebus ecclesiasticis, non moveant certamina de rebus parvis et non necessariis. In altero . . . ostenditur, quod authores et suasores legum de doctrina et pseudadia non moveant certamina de rebus parvis et non necessariis« (VD 16 W 2306); »Sententia Lutheri de Adiaphoris« (VD 16 L 3469) – eine Schrift, in der Westphal Lutherworte gegen die Wittenberger ins Feld führte; zudem Hinweise auf Westphals Schriften und Kritik in den Briefen von Corvinus an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 249] und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 107] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 294]; von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 459] und von Frecht an Furster 15. 11. 1550 [Regest bei van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 9]. 137 Vgl. Corvinus an Mörlin 17. 2 . 1549 [Corvinus-BW, 224 f.]; an die Göttinger Prediger
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auch der Göttinger Superintendent Joachim Mörlin (1514–1571) Ende Februar 1549 kritisch über die Wittenberger Theologen.138 3.2.1.5 Weitere lutherische Theologen Die bereits erwähnten Torgauer Prediger Gabriel Zwilling und Michael Schultes wehrten sich sowohl bei der Zusammenkunft in Torgau im April 1549 als auch bei Gesprächen mit den Wittenberger Theologen während ihrer Haft in Wittenberg, die auf Befehl von Kurfürst Moritz stattfanden, energisch gegen die geplante kursächsische Agende und kritisierten zahlreiche ihrer Bestimmungen.139 Anton Otto, der 1548 bereits Melanchthons Vorrede zum Regensburger Buch von 1541 neu herausgegeben hatte, um ihn dadurch an seinen früheren und nach Ansicht Ottos richtigen Standpunkt zu erinnern,140 klagte in einem Brief an Jonas Ende Juni 1549 bitter über Melanchthon und die anderen Wittenberger Theologen.141 Im Februar 1550 berichtete Melanchthon in einem Brief an Camerarius, daß sich auch Jonas, der zwar das »Augsburger Interim« von Anfang an abgelehnt, sich in bezug auf die »Leipziger Artikel« und Melanchthon allerdings zunächst als Vermittler betätigt hatte, gegenüber Georg von Anhalt kritisch über seine ehemaligen Wittenberger Kollegen geäußert habe.142 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 249 ff.] und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 106–114] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 292–299, Nr. 337]; zudem Scheible, MBW R 5, 508 und Mager, Corvins Mahnbrief, 95; zu den Inhalten seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.1, 3.2.2.2 und 3.2.2.4 bis 3.2.2.6. 138 Vgl. Mörlin an seinen Bruder Maximilian 20. 2 . 1549 [ Jonas-BW 2, 274, Anm. 1] und den Bericht von Sutelius an Melanchthon 19. 1. 1551 [MBW 5982a; Regest bei Scheible, MBW R 9, 170], Mörlin wettere wegen des Interims von der Kanzel, u. a. auch gegen die Wittenberger Theologen. 139 Vgl. zur Kritik von Zwilling und Schultes z. B. die Denkschrift von Zwilling an Georg von Anhalt und die anderen in Torgau versammelten Theologen vom 10. 4. 1549 [MBW 5499; Regest bei Scheible, MBW R 5, 454]; die Aufzeichnung Zwillings über ein Gespräch mit den Wittenberger Theologen am 12. 6. 1549 [MBW 5559; Regest bei Scheible, a. a. O., 484 f.] und Zwilling und Schultes an die Wittenberger Theologen 22. 6. 1549 [MBW 5569; Regest bei Scheible, a. a. O., 489 f.]; zu den Inhalten ihrer Kritik unten Kap. 3.2.2.4 a) und b). 140 Vgl. Melanchthons Vorrede zum Regensburger Buch »Alle Handlungen, die Religion belangend, so sich zu Worms und Regensburg auf gehaltenem Reichstag des 1541. jars zugetragen« von Ende Dezember 1541 / A nfang Januar 1542 [MBW 2865; MBW T 10, 600– 607]; zu Ottos Edition unter dem Titel »Die vorrede Philippi, uber das Regenspurgische Interim, mit einer Erklerung« (VD 16 M 2392 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 99) Melanchthon an Camerarius 4. 11. 1549 [MBW 5673; CR 7, 500 f., Nr. 4621; hier 500]. 141 Vgl. Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288]; zum Inhalt seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.2. 142 Vgl. zu Jonas’ Mittelstellung Lehmann, Jonas, 169 f.; zu seiner Kritik den Brief von Melanchthon an Camerarius 5. 2 . 1550 [MBW 5724; CR 7, 541 f., Nr. 4664; hier 541]: »Cum
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Mitte des Jahres 1550 brachte Erhard Schnepf, der seit Mitte 1548 Professor an der neu gegründeten Universität in Jena war,143 Kritik am Verhalten der Wittenberger und Leipziger Theologen vor, indem er beispielsweise behauptete, der Leipziger Professor und Superintendent Johannes Pfeffinger (1493–1573) habe seine »Propositiones de libero arbitrio« nicht selbst verfaßt, sondern die Thesen gingen auf das Konto der beiden Universitäten Leipzig und Wittenberg und dienten dazu, die Knechtschaft wieder einzuführen.144 Im Spätsommer 1550 scheinen sich einige ehemalige Schüler Melanchthons, von denen allerdings nur der Hallenser Pfarrer Matthias Wanckel (1511–1571) namentlich bekannt ist, der Kritik des Flacius an Melanchthon angeschlossen zu haben.145 Auch Caspar Aquila, der infolge des Interims vertrieben und von den Grafen von Henneberg aufgenommen und als Dekan von Schmalkalden angestellt worden war, war mit dem Verhalten der Wittenberger Theologen keineswegs einverstanden. Das bezeugt unter anderem sein Brief an Westphal in Hamburg aus dem Jahr 1551, in dem er die Wittenberger als im Glauben kranke Theologen (aegroti in fide theologi) und als Bestien bezeichnete, die dazu rieten, das Interim und die Adiaphora anzuerkennen. Angesichts solcher Bedrohungen der Kirche versicherte Aquila Westphal seiner Unterstützung.146 Die Kritik an den Wittenberger Theologen wegen ihres Verhaltens im Zusammenhang der Umsetzung des »Augsburger Interims« hielt auch in den folgenden Jahren an. So wandte sich zum Beispiel im Jahr 1556 der theologisch bewanderte Arzt Matthias Ratzeberger kritisch gegen die Wittenberger Theologen, die er zwar nicht explizit nannte, auf die er aber deutlich anspielte, indem er von den engsten Freunden Luthers (intimi Lutheri amici) sprach.147
ad Ascanium Ionas venisset, fuit oratio . . . senatoria ac censoria«; zum Inhalt seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.5. 143 Vgl. Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 135. 144 Vgl. die Hinweise auf diese Kritik in Melanchthons Briefen an Georg von Anhalt 2. 7. 1550 [MBW 5842; CR 7, 642 f., Nr. 4751; hier 625]: »nuper quidem vetus amicus nostrer in Thuringia dixit, librum viri integerrimi, D. Pfeffingeri non ab ipso scriptum esse, sed collusione duarum Academiarum collectum, ut servitus restituatur. Et alia atrociora« und an Camerarius 7. 7. 1550 [MBW 5846; CR 7, 628 f., Nr. 4755; hier 629]; zum Titel von Pfeffingers Buch Scheible, MBW R 6, 69. 145 Vgl. Melanchthon an Goldstein ca. 7. 9. 1550 [MBW 5899; Regest bei Scheible, MBW R 6, 93] und die Andeutungen von Wanckel in seinem Brief an Westphal 27. 4. 1551 [Sillem, Briefsammlung 1, 112–114, Nr. 69; hier 113, Z. 40 f.]. 146 Vgl. Aquila an Westphal 14. 2 . 1551 [Sillem, Briefsammlung 1, 109–111, Nr. 68; hier 109, Z. 13 f. und Z. 19 ff.]. 147 Vgl. Ratzeberger an Aquila 22. 3. 1556 [Baxmann, Briefe, 641 f., Nr. 30; hier 642].
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3.2.1.6 Johannes Calvin Mitte des Jahres 1550 meldete sich auch Johannes Calvin mit Kritik an Melanchthons Verhalten zu Wort.148 3.2.1.7 Albrecht von Mansfeld Melanchthons eigenen Angaben zufolge wurde er von Graf Albrecht von Mansfeld angegriffen. Dieser leugnete zwar gegenüber Albert Hardenberg, Melanchthon kritisiert zu haben, da er sich jedoch bereits kritisch über Melanchthons Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« geäußert hatte und wohl von der kritischen Anfrage seiner Theologen wußte, ist es durchaus wahrscheinlich, daß er auch dessen Umsetzung in Kursachsen kritisch sah, dies aber nicht offen zugeben wollte.149 3.2.1.8 Ludwig Fachs Ende des Jahres 1550 scheint sich auch der Leipziger Juraprofessor und kursächsische Rat Ludwig Fachs (1497–1554) kritisch über Melanchthons Haltung bei den Beratungen über die Umsetzung des »Augsburger Interims« in Kursachsen geäußert zu haben. Es sind zwar keine konkreten Inhalte seiner Kritik bekannt, aufgrund seiner eigenen Beteiligung an der Umsetzung des Interims in Kur sachsen ist jedoch davon auszugehen, daß seine Kritik anderer Art war als die der sonstigen Kritiker.150 3.2.2 Die Inhalte der Kritik Die Vorwürfe, die die genannten und weitere nicht namentlich bekannte Kritiker gegen Melanchthon und seine Kollegen in bezug auf die Umsetzung des »Augsburger Interims« in Kursachsen erhoben, waren sehr vielfältig und hängen fast alle in irgendeiner Art und Weise miteinander zusammen. Trotzdem sollen sie der Übersichtlichkeit halber im folgenden in sechs Kategorien eingeteilt werden: In der ersten Kategorie werden Vorwürfe zusammengestellt, die sich gegen das Vorgehen der kursächsischen Theologen bei den Verhandlungen richteten (3.2.2.1). Die zweite Kategorie enthält umfassende Kritik an den Zugeständnissen, die Melanchthon und seine Kollegen gegenüber den Altgläubi148 Vgl. Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 593–596, Nr. 1381; hier 594]: »ego non omni te prorsus culpa libero«; zum Inhalt seiner Kritik unten Kap. 3.2.2.4 a). 149 Vgl. zu Albrechts Kritik Melanchthon an Hardenberg 18. 3. 1549 [MBW 5481; CR 7, 351 f., Nr. 4503; hier 352]; zur Leugnung der Kritik Hardenberg an Melanchthon 12. 4. 1549 [MBW 5500; Regest bei Scheible, MBW R, 454]; zu Albrechts früherer Kritik oben Kap. 2 .2.1.2, Anm. 56; zum Inhalt seiner Kritik 1549 unten Kap. 3.2.2.5; zur kritischen Anfrage seiner Theologen oben Kap. 3.2 am Anfang. 150 Vgl. den Hinweis auf diese Kritik in Melanchthons Brief an Camerarius November 1550 [MBW 5953; CR 9, 413 f., Nr. 6429]; zu Fachs’ Beteiligung an den Verhandlungen Peterson, Interims, 135 f.
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gen seit Mitte 1548 gemacht hatten (3.2.2.2). Die dritte Kategorie beinhaltet Vorwürfe gegen die Art und Weise der Formulierung der »Leipziger Artikel« (3.2.2.3). In der vierten Kategorie kommt Kritik in bezug auf einzelne Ausführungen der »Leipziger Artikel« und der in ihrer Folge entstandenen Dokumente zu Wort (3.2.2.4). Die fünfte Kategorie umfaßt Mutmaßungen über die Hintergründe des kritisierten Verhaltens von Melanchthon und seinen Kollegen (3.2.2.5). Und die sechste Kategorie beschäftigt sich abschließend damit, wie Melanchthon und seine Kollegen mit den Vorwürfen umgingen und was daran kritisiert wurde (3.2.2.6). 3.2.2.1 Kritik am Vorgehen der kursächsischen Theologen Auf das Vorgehen der kursächsischen Theologen bei den Verhandlungen bezogen sich nur wenige Vorwürfe: So scheint Corvinus die Haltung Melanchthons als verschlagen und unehrlich empfunden zu haben und appellierte daher an seine frühere Aufrichtigkeit (candor, sinceritas).151 Flacius kritisierte zum einen die Zusammenarbeit der kursächsischen Theologen mit den altgläubigen Bischöfen (was bei Pflug besonders heikel war, gehörte er doch »zu den Wegbereitern und Mitverfassern des Augsburger Interims«152 ) und Vertretern des kursächsischen Hofes, weil sie seiner Ansicht nach heimlich erfolgt und dadurch der öffentlichen Diskussion entzogen war; 153 zum anderen hielt er Melanchthon und seinen Kollegen eine üble Behandlung der beiden Torgauer Prediger vor.154 Amsdorf kritisierte, daß Melanchthon einen Unterschied zwischen dem Bekenntnis einer einzelnen Person und dem Rat für Schwache machte, denn seiner Meinung nach sollte jeder frei und offen bekennen, wenn es wie jetzt um die Veränderung der Religion ging.155 Der Magdeburger Rat forderte, in bezug auf das »Augsburger Interim« müsse sich jeder Christ öffentlich zur Wahrheit des Evangeliums bekennen. In Leuten, die dies nicht wagten, sah er Verräter der Wahrheit, und dazu gehörten für ihn ohne Zweifel Melanchthon und seine Kollegen.156 151 Vgl. Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 113]. 152 Wartenberg, Interim, 15. 153 Vgl. Flacius im Brief an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527 f.] und in seinen Schriften »Entschuldigung an die Universitet« von 1549 (VD 16 F 1266), B 3b f. [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 149] und »Bericht Von etlichen Artikeln« von 1559, F 1b. 154 Vgl. Flacius im Brief an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 528] und in seiner Schrift »Von der Einigkeit« von 1556 (VD 16 F 1536) [nach Olson, Flacius, 135]. Ein Anklang an derartige Kritik findet sich auch in der Stellungnahme Johann Friedrichs von Sachsen zum Bekenntnis der ernestinischen Stände vom 18. 3. 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 323]. 155 Vgl. Amsdorfs Schrift »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 257, 259 und 261]. 156 Vgl. das zweite Ausschreiben des Rates [zitiert nach Kaufmann, Ende der Reforma-
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3.2.2.2 Allgemeine Kritik an den Zugeständnissen der kursächsischen Theologen Das Entgegenkommen der kursächsischen Theologen gegenüber den Altgläubigen ging vielen Kritikern zu weit; man warf ihnen vor, sie hätten den Forderungen des »Augsburger Interims« zu sehr nachgegeben157 und sich dadurch als unbeständig erwiesen.158 Um diesen Vorwurf zu untermauern, wurde 1549 eine Aussage Luthers aus seiner letzten Wittenberger Predigt herangezogen und auf die Wittenberger gedeutet, in der er gesagt hatte, daß nach seinem Tod »keiner von diesen Theologen bestendig bleiben« werde.159 Zudem unterstellte man den Wittenbergern, daß sie durch ihre Nachgiebigkeit die Gottlosen stärkten und die Standhaften schwächten160 und Regierungen ermöglichten, sich auf ihre Autorität zu berufen und diejenigen Pfarrer und Prediger, die sich gegen die Zugeständnisse sperrten, zu vertreiben.161 Ferner hielt man ihnen vor, sie veränderten, verfälschten und verdürben durch ihre Zugeständnisse die reine Lehre,162 was Melanchthon dazu veranlaßtion, 142, Anm. 134]: »Proditores veritatis . . . sunt . . . qui agnitam divinam veritatem non audent coram hominibus libere profiteri«. 157 Vgl. Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288]: »Philippi et aliorum praeceptorum . . . intempestiva lenitas, funestae conciliationes etc. multos pios offendunt, et me . . . gravissime perturbant«; Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 528 f.] und Gallus an Melanchthon 9. 11. 1556 [MBW 8017; CR 8, 895–902, Nr. 6113; hier 896]. 158 Vgl. Amsdorfs Schrift »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 258 und 261] und Corvinus an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 249]. Ein Hinweis auf diese Kritik liegt auch in Melanchthons Beteuerung seiner constantia im Brief an von Maltzan 12. 9. 1549 [MBW 5627; CR 7, 462]. 159 Zitat aus einer 1549 in Magdeburg erschienenen Schrift [nach Kaufmann, Ende der Reformation, 371]. 160 Vgl. Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 528] und 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, Epistolae, 575]; ferner in seinen Schriften »Responsio ad epistolam Melanthonis« [nach Olson, Flacius, 92] und »Apologia ad Scholam Vitebergensem« [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 87]. 161 Vgl. Corvinus an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 250] und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 110]; Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, C 2b. 162 Vgl. zu dieser Kritik die Schriften »Der Theologen bedencken« (1550) von Flacius und Gallus, z. B. C 1b, C 3a und C 4a und »Deren zu Magdeburg Beschluß« (1551) von Flacius, Gallus und Amsdorf [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 99]; zudem die Berichte im offenen Brief von Melanchthon an Flacius 1. 10. 1549 [MBW 5643; MSA 6, 423–429; hier 424, Z. 11 f.]: »clamitat Flacius . . . doctrinam mutari«; im Brief von Melanchthon an Besold 15. 2 . 1550 [MBW 5730; CR 7, 547 f., Nr. 4671; hier 547]: »Nunc vociferantur a nobis invehi corruptelas doctrinae« und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 268. Derartige Kritik wurde auch in den folgenden Jahren immer wieder laut; vgl. Flacius an Melanchthon 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 578–589, Nr. 574; hier 581] und die Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den »Frankfurter Rezeß« 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 86–98, Nr. 28; hier 87]; zudem die Rechtfertigung Melanchthons in einer Rede beim Wormser Religionsgespräch am 22. 9. 1557 [MBW 8362; Regest bei Scheible, MBW R 8, 127 f.; hier 127].
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te, in beinahe jedem Brief gebetsmühlenartig zu beteuern, daß Lehre, Riten und Sakramente in Wittenberg unverändert seien und dies auch so bleiben werde.163 Einige Kritiker gingen sogar so weit, Melanchthon und seinen Kollegen vorzuwerfen, sie verleugneten Christus, fielen vom Evangelium ab und dienten dem Antichristen.164 Im Hintergrund derartiger Vorwürfe stand wohl bei vielen Kritikern die Befürchtung, daß die Kursachsen durch ihre Annäherung an das »Augsburger Interim« eine Entwicklung in Gang gesetzt hatten, die früher oder später die vollständige Einführung des verhaßten kaiserlichen Religionsgesetzes und dadurch die Wiederherstellung des gesamten Papsttums bringen würde, da der Kaiser ja geboten hatte, das gesamte Interim zu halten.165 Genährt und wachgehalten wurden derartige Ängste vor allem von Flacius und Amsdorf. Besonders deutlich kommen sie in den zahlreichen Spottnamen und Vergleichen für die »Leipziger Artikel« zum Ausdruck, die die beiden Hauptgegner der kursächsischen Theologen im Lauf der Streitigkeiten erdachten und unters Volk brachten: Eine enge Verbindung zwischen den »Leipziger Artikeln« und dem »Augsburger Interim« schufen sie zunächst durch eine begriffliche Annäherung der Titel beider Schriftstücke: Sie belegten die »Leipziger Artikel« mit den Schimpfnamen »neues Interim«, »Meißnisches Interim« bzw. »Leipziger Interim« – Benennungen, die sich rasch durchsetzten und bis heute verwendet werden – und bezeichneten entsprechend den Auszug aus den »Leipziger Artikeln« als »Kleines Interim« und die Wittenberger Theologen als Interimisten.166 Flacius ver163 Vgl. z. B. Melanchthon an Hardenberg 4. 5. 1549 [MBW 5519; CR 7, 404 f., Nr. 4531; hier 404] und an Moller 19. 3. 1550 [MBW 5757; CR 7, 566 f., Nr. 4692; hier 567]. 164 Vgl. Amsdorf an einen Unbekannten 18. 2 . 1549 [Reichert, Amsdorff und das In terim, B 116–123, Nr. 8 ; hier 121] und an Walter 1550 [Regest bei Brinkel, Walters Stellung, 136]; Flacius’ Schrift »Wider den schnöden Teuffel« [zitiert nach Kaufmann, Ende der Reformation, 457, Anm. 160]: »Die da Christum verliessen / da es zum treffen kam«; Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, C 4a: »des Antichrists Gesellen vnnd Diener« und die Wiederholung derartiger Kritik in der Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den »Frankfurter Rezeß« vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen, 94 f.]: »ettlich greulich mit dem Antichrist zu Rom gebulet haben«; »die greuliche heuchelej mit der Babilonischen Bestien vnd jren glidern«; »Conciliationes mit dem Wider Christ«. Vgl. zudem Hinweise auf derartige Kritik in Bugenhagens Briefen an Christian III. von Dänemark 28. 2 . 1549 [Bugenhagen-BW, 438 f.] und 17. 7. 1549 [a. a. O., 454] und an Albrecht von Preußen 25. 5. 1549 [a. a. O., 445]. 165 Vgl. Hardenberg an Melanchthon 12. 4. 1549 [MBW 5500; Regest bei Scheible, MBW R 5, 454]. 166 Vgl. Amsdorf an Strigel 19. 1. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 634]: »INTERIM Augustense genuit INTERIM Lipsense, Interitus Interitum« und seine Schrift »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 262]; Gallus’ Vorrede zu seiner »Disputation von Mitteldingen« [nach Voit, Gallus, 121]; Flacius’ Schriften von 1549: »Wider den schnöden Teufel . . ., das ist wider das newe Interim« (VD 16 F 1559), z. B. A 3b und B 3a [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 112 und 114] und »Widder den Ausszug des leipsischen Interims, oder das kleine Interim« (VD 16 F 1557) und die gemeinsam von Flacius und Gallus verfaßte Schrift »Der Theologen bedencken« von 1550; vgl. zudem die Aufnahme dieser
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glich die Vorgänge in Kursachsen in ähnlicher Aussageabsicht mit einem Keil, der in den Protestantismus getrieben werde: Dessen dünne Spitze identifizierte er mit der Forderung, den Chorrock zu tragen, die auf den ersten Blick unproblematisch erscheine, jedoch sehr gefährlich sei, weil sie über kurz oder lang die Einführung des Auszugs der »Leipziger Artikel«, dann der »Leipziger Artikel« selbst, des »Augsburger Interims« und schließlich des gesamten Papsttums nach sich ziehen werde.167 Als weiteres Bild zog Flacius die Knechtschaft der Israeliten in Ägypten heran und betonte, daß durch Interim und Adiaphora eine Rückführung des Gottesvolkes in diesen »eisernen Ofen« drohe.168 Zusätzlich hob Flacius die seiner Ansicht nach bestehenden Gefahren der »Leipziger Artikel« dadurch hervor, daß er sie apokalyptisch deutete und mit dem Wirken des Teufels bzw. des Antichristen in Verbindung brachte. Da dieser allerdings nicht auf den ersten Blick als solcher zu erkennen sei, müsse er durch Schriften in seiner Verderblichkeit entlarvt werden.169 Schließlich verglich er die Verhandlungen in Anlehnung an 2 Kor 6,14 f. mit dem unmöglichen und zu mißbilligenden Versuch einer Vereinigung zwischen Christus und Belial, zwischen Licht und Finsternis bzw. zwischen Schafen und Wölfen und machte mit Mt 6,24 deutlich, daß man nicht zwei Herren dienen könne, die sich feindlich gegenüberstehen.170 Amsdorf brachte derartige Kritik vor, indem er die »Leipziger Artikel« des öfteren als Koran bezeichnete und damit als ein Dokument der Papstkirche kenntlich machte – der Islam galt nach Luthers Verständnis als Prototyp einer Religion der Werkfrömmigkeit und stand für ihn und seine Anhänger daher auf einer Stufe mit dem katholischen Glauben.171 Ähnliches brachte Amsdorf auch Benennung im Brief von Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 107]. 167 Vgl. Flacius’ »Christliche vermanung«, D 1a ff.; seine unter dem Pseudonym Johannes Hermann veröffentlichte Schrift »Das man in diesen geschwinden leufften, dem Teuffel und Antichrist zu gefallen, nichts in den Kirchen Gottes vorendern soll« von 1548 (VD 16 H 2352); »Ein Buch von Mitteldingen« von 1550 (VD 16 F 1447) [nach Olson, Flacius, 113]; ähnlich auch in der mit Gallus verfaßten Schrift »Der Theologen bedencken« von 1550, C 2b. 168 Vgl. den Titel von Flacius’ Schrift »Bulla Antichristi de retrahendo populo Dei in ferream Aegipticae servitutis fornacem . . . quid Satan per . . . Interim, Adiaphora & Chorrock efficere conetur« von 1549 (VD 16 K 400 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 93). 169 Vgl. die Titel von Flacius’ Schriften »Bulla Antichristi« von 1549 (VD 16 K 400); »Wider den schnöden Teufel« von 1550 (VD 16 F 1559), bes. A 3a [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 111]; »Christliche vermanung«, D 1a und »Bericht Von etlichen Artikeln«, E 1b. 170 Vgl. z. B. Flacius’ Widmungsvorrede seiner »Apologia ad Scholam Vitebergensem« von 1549 [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 86 f.]; »Contra quoddam scriptum incerti autoris, in quo suadetur mutatio pierum caeremoniarum in Papisticis«, in: Omnia latina scripta, D 4a [nach Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 794, Anm. 103] und ähnlich mit Bezug auf 1Kor 10 im Titel seiner Schrift »Liber de veris et falsis adiaphoris« von 1549 (VD 16 F 1444 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 96); ferner Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, J 2b. 171 Vgl. Amsdorf an Aurifaber 1. 5. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 642] und seine Schrift
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durch den Vergleich der kursächsischen Theologen mit dem seleukidischen König Antiochus IV. Epiphanes († 164 v. Chr.) zum Ausdruck, der den Jerusalemer Tempel seiner Schätze beraubt und die Verfolgung der orthodoxen Juden eingeleitet hatte und deshalb als Prototyp eines Herrschers galt, der in seinem Reich die Beteiligung der Gläubigen am heidnischen Kult erzwang.172 Neben Flacius und Amsdorf versuchte auch Osiander, die Ereignisse im Gefolge des Interims in den Heilsplan Gottes einzuordnen, indem er sie apokalyptisch als letzte Versuchung Gottes vor dem Ende deutete und betonte, wer immer hier Zugeständnisse mache, verschleiere den Heilsplan Gottes und versündige sich damit an der gesamten Kirche – Kritik an Melanchthon und seinen Kollegen, die ähnlich wie bei Flacius einer »Dämonisierung«173 gleichkam. 3.2.2.3 Kritik an der Formulierung der »Leipziger Artikel« und ihres Auszugs In bezug auf die Formulierungen der »Leipziger Artikel« und ihres Auszugs kritisierten Flacius und Amsdorf sowie die ernestinischen Theologen Hoffmann und Menius, daß Melanchthon und seine Kollegen zu vage und zweideutig formuliert hätten. Flacius begründete seine Kritik mit der seiner Ansicht nach bestehenden Gefahr, daß in derartig ungenaue Aussagen die Irrtümer des Papsttums hineininterpretiert werden könnten.174 3.2.2.4 Konkrete Vorwürfe gegenüber Einzelheiten der »Leipziger Artikel« und der in seiner Folge entstandenen Dokumente a) Adiaphora Von den Inhalten der »Leipziger Artikel« waren es insbesondere die Zugeständnisse bei den Adiaphora, die den Zorn der Kritiker erregten – Kritik, die sich im Lauf der Monate auch auf Melanchthons Aussage, man müsse wegen der Adiaphora Knechtschaft ertragen, und seine Hochschätzung bestimmter Riten ausweitete.175 Viele Kritiker hielten den Wittenberger Theologen vor, sie hätten »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 257 f. und 266]; zu Luthers Verständis des Islam Bobzien, Islam, 344. 172 Vgl. Amsdorfs Brief an einen Unbekannten 18. 2. 1549 [Reichert, Amsdorff und das Interim, B 119 und 123]; seine Schrift »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 259, 261–264 und 266] und dazu Reichert, Antwort, 258, Anm. 21. 173 Peters, Die süddeutschen Theologen, 81. 174 Vgl. Flacius’ Schriften »Wider den schnöden Teufel« und »Widder den Auszug« [nach Mehlhausen, Streit, 120 f.]; Hoffmanns Gutachten vom 9. 2 . 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 318]; Amsdorf an Maior 11. 2. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 636 f.] und Menius’ Gutachten vom 13. 3. 1549 [nach Koch, a. a. O., 320 f.]. 175 Vgl. Hardenberg an Melanchthon 12. 4. 1549 [MBW 5500; Regest bei Scheible, MBW R 5, 454 f.]; Gallus an Melanchthon 28. 5. 1549 [MBW 5549; Regest bei Scheible, MBW R 5, 478] und Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527 f.]. Hinweise auf diese Kritik finden sich auch in Melanchthons Gutachten für die kurfürstlichen Räte Mitte Juni 1549 [MBW 5561; Friedberg, Agenda, 6] und in seinem Brief an Besold 10. 9. 1549 [MBW 5622; CR 7, 139]; zudem im Brief von Vadian an
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sich aufgrund der gegenwärtigen Gefahren dazu hinreißen lassen, ihre frühere Meinung zu diesem Thema zu ändern, indem sie in den »Leipziger Artikeln« mehr als jemals zuvor bei den Adiaphora nachgegeben hätten176 und Riten wieder einführen wollten, die sie selbst früher getadelt hatten.177 Flacius erinnerte Melanchthon insbesondere daran, daß er seine eigenen Zugeständnisse aus dem Jahr 1530, in denen Flacius eine Parallele zu den gegenwärtigen Kompromissen erblickte, in einem Gutachten für die Nürnberger Geistlichen, welches er im Februar 1540 im Namen von Luther, Jonas und Bugenhagen verfaßt hatte, selbst als zweideutig ( flexiloqui) bezeichnet und sich damit von ihnen distanziert hatte. Um Melanchthon unter Druck zu setzen, ließ Flacius dieses Gutachten zusammen mit Luthers Briefen von 1530 drucken.178 Und vor dem Wormser Religionsgespräch im Jahr 1557 rief er Melanchthon ein Gedicht aus dem Jahr 1541 ins Gedächtnis, in dem er selbst die Gefährlichkeit von Zugeständnissen bei den Adiaphora benannt hatte.179 Die Kritiker begründeten ihre Kritik an den Zugeständnissen bei den Adiaphora folgendermaßen: Zum einen machten sie darauf aufmerksam, daß in der gegenwärtigen Situation nicht die nötigen Voraussetzungen für ein Entgegenkommen in dieser Frage gegeben seien. Viele Kritiker stimmten mit Melanchthon und seinen Kollegen zwar prinzipiell darin überein, daß eine Vereinheitlichung der Zeremonien wünschenswert sei und man bei Adiaphora gegenüber Schwachen nachgeben könne, wenn dies ohne Verletzung des göttlichen Wortes und des Gewissens möglich sei,180 im Blick auf die gegenwärtigen Umstände stand für sie jedoch fest, daß diese Voraussetzungen nicht gegeben waren Bullinger 26. 3. 1550 [Vadianische Briefsammlung 6, 837 f., Nr. 1689; hier 837]: »Male audit a Saxonum ministris Philippus, quod noxiis quibusdam abusibus velut adiaphoris plus tribuat, dum admitti iubet, quam ferre pietatis ratio possit«. 176 Vgl. den Hinweis darauf im Brief von Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 369]. 177 Vgl. die Aussage des Aepinus in seinem Brief an die Wittenberger Professoren vom 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 375], es sei besser, die Gemeinden zu verlassen als falsche Adiaphora einzuführen, die man selbst getadelt habe, und die Hinweise auf entsprechende Kritik in den Briefen von Melanchthon an die Frankfurter Pfarrer 19. 1. 1549 [MBW 5409; CR 7, 321–326, Nr. 4 476; hier 325] und von den Wittenberger Theologen an die Berliner Prediger 11. 1. 1549 [MBW 5401; CR 7, 299–301, Nr. 4 460; hier 300]. 178 Vgl. das Gutachten von Melanchthon, Luther, Jonas und Bugenhagen für die Nürnberger Geistlichen vom 17. 2. 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 121–132; hier 126, Z. 80]; Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 528 f.] und den Hinweis von Corvinus im Brief an Melanchthon 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 295]; vgl. zum Zusammenhang zwischen 1530 und 1548 ff. auch oben Abschnitt II, Kap. 6.1.1. 179 Vgl. Flacius an die evangelischen Kolloquenten in Worms 9. 8. 1557 [MBW 8299; CR 9, 206]. 180 Vgl. zu dieser Überzeugung Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 372 f.]; Amsdorf an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 636]; seine »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 262 und 267] und Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 109].
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und man bei den Adiaphora auf keinen Fall nachgeben dürfe, sondern diese im Gegenteil kompromißlos bekämpfen müsse. Nach Ansicht der Kritiker hörten die Adiaphora in dem Augenblick auf, unverfängliche Mitteldinge zu sein, in dem sie wie gegenwärtig wegen Forderungen unnachgiebiger und verstockter Altgläubiger zugestanden wurden, die die Adiaphora als notwendigen Gottesdienst begriffen und mithilfe des »Augsburger Interims« das gesamte Papsttum wiederherstellen wollten.181 Zum anderen hielten die Kritiker fest, daß es neben den Adiaphora, die aufgrund der Umstände unannehmbar seien – wie zum Beispiel der Chorrock –, auch Zeremonien gebe, die gar keine wirklichen Mitteldinge, sondern inakzeptable Menschenlehren seien – ein Schlagwort, mit dem seit den Anfängen der Reformation bestimmte Bräuche als der Heiligen Schrift und dem ersten Gebot widersprechend und die Gewissen der Menschen verwirrend gegeißelt und daher mit Götzendienst gleichgesetzt wurden. Derartige Riten, zu denen die Kritiker beispielsweise Speisegebote und das Fronleichnamsfest zählten, seien zu Recht abgeschafft worden, und man könne sie keineswegs – wie Melanchthon meinte – als rein äußerliche Knechtschaft ertragen. Dementsprechend warfen viele Kritiker Melanchthon und seinen Kollegen vor, sie dehnten die Adiaphora zu weit aus, trügen durch ihre Zugeständnisse zur Rückkehr und Stärkung der
181 Diese Ansicht findet sich bei folgenden Kritikern: – Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 373 ff.]; – Amsdorf in seinen Briefen an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 636 f.] und an einen Unbekannten 18. 2 . 1549 [Reichert, Amsdorff und das Interim, B 122] und in seiner Schrift »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 263 f. und 267]; – Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 108]; – Flacius in seinen Schriften »Wider den schnöden Teufel« [nach Mehlhausen, Streit, 119 f.]; »De veris et falsis adiaphoris« [nach Hägglund, Melanchthon versus Luther, 131] und »Quod hoc tempore nulla penitus mutatio in religione sit in gratiam impiorum facienda«, in: Omnia latina scripta, C2b [nach Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 795]: »uerissimum est, nihil esse adiaforon in casu confessionis & scandali«; ferner im Brief an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 549 f.]; vgl. zudem die Hinweise im Brief von Gmünder an Vadian 10. 1. 1550 [Vadianische Briefsammlung 6, 826]: »Nunc scribit [Flacius] lucidissime et sanctissime contra adiaphororum fabricam, nempe quod adiaphora nunc amplius non sint adiaphora, cum Cæsar et principes contra christianam libertatem faciant mandatis calumnias et adiaphora res necessarias« und in Melanchthons Gutachten für August von Sachsen 4. 3. 1558 [MBW 8543; CR 9, 476]; – Gallus an Melanchthon 28. 5. 1549 [MBW 5549; Regest bei Scheible, MBW R 5, 478]; – Hardenberg an Melanchthon zwischen 18. und 29. 3. 1549 [Gerdes, Hardenbergii Anecdota, 693 bzw. Spiegel, Hardenberg, 130; nicht bei MBW, vgl. oben Anm. 105]; – Hoffmann in seinem Gutachten vom 9. 2 . 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 318]; – Zwilling laut der nicht abgeschickten Vorform eines Brief der Wittenberger Theologen an Moritz von Sachsen vom 20. 6. 1549 [MBW 5565; Regest bei Scheible, MBW R 5, 487]. Diese Argumentation begegnete in ähnlicher Weise auch in den folgenden Jahren; vgl. Mörlins »Erklerung aus Gottes Wort« von 1561, C 4a ff.
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päpstlichen Unterdrückung und damit zur Einschränkung der christlichen Freiheit bei und gefährdeten somit die reine Lehre.182 Als Vorbild für ihre eigene Haltung verwiesen einige Kritiker auf Paulus, der zwar Timotheus, nicht aber Titus hatte beschneiden lassen, weil es Judenchristen gab, die die Beschneidung für nötig erachteten und in ihrer Unterlassung eine Übertretung des göttlichen Gesetzes sahen.183 Die von Melanchthon und seinen Kollegen zur Stützung ihrer Zugeständnisse vorgebrachten Argumente leuchteten den meisten Kritikern nicht ein: In bezug auf Melanchthons Argument der Förderung von Zucht und Ordnung 182 Vgl. zu derartiger Kritik: – Amsdorfs »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 258 ff., 266 und 268]; zu seiner Kritik an den Speisegeboten seine Briefe an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 637] und an einen Unbekannten 18. 2 . 1549 [Reichert, Amsdorff und das Interim, B 123] und zur Kritik am Fronleichnamsfest den Hinweis in Melanchthons Gutachten für die kurfürstlichen Räte vor 13. 7. 1549 [MBW 5588; Regest bei Scheible, MBW R 5, 497 f.; hier 498]; – Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 594 f.]: »tu res medias et indifferentes nimis longe extendis . . . Corruptelas, quae minime tolerabiles erant, sustulimus. Nunc impii . . . easdem iubent restituere«. »Tu si ad cedendum fuisti mollior, id tibi vitio a multis verti non est quod mireris. Adde quod eorum quae tu media facis quaedam cum Dei verbo manifeste pugnant«; »tam multa papistis abs te concedi non oportuit . . . quia laxasti quae verbo suo Dominus adstringit«. »Lineae enim vestis usum cum multis ineptiis, tam apud vos quam apud illos hactenus retentum fuisse arbitror. Sed profecto crassioribus te corruptelis manum dedisse, quae aperte ad vitiandam totius doctrinae puritatem et labefactandam ecclesiae statum tendunt, passim fremunt boni et religiosi homines«; – Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 113]; – Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 549] und 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und seine Schriften »Christliche vermanung«, C 4a und »Bericht Von etlichen Artikeln«, F 1a. – die beiden Torgauer Prediger Zwilling und Schultes laut Melanchthons Brief an Georg von Anhalt 10. 6. 1549 [MBW 5558; CR 7, 416 f., Nr. 4545; hier 416], der Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen ihnen und den Wittenberger Theologen vom 12. 6. 1549 [MBW 5559; Regest bei Scheible, MBW R 5, 484 f.; hier 484] und ihrem Brief an die Wittenberger Theologen 22. 6. 1549 [MBW 5569; Regest bei Scheible, MBW R 5, 489]; – die gemeinsame Schrift von Nikolaus Gallus, Johannes Wigand (1523–1587), Matthias Flacius, Johannes Aurifaber Vinariensis (1523–1587), Anton Otto und Matthäus Judex (1528–1564) »Die fürnemste Adiaphoristische jrthumen, der waren Religion verfelschungen und Ergernisse« von 1558 (VD 16 V 2769) [nach Kolb, Controversia perpetua, 208]. Weitere Hinweise auf derartige Kritik finden sich in den Briefen von Melanchthon an die Frankfurter Pfarrer 19. 1. 1549 [MBW 5409; CR 7, 324]; von den kursächsischen Theologen an die kurfürstlichen Räte 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 365 f.]; von Melanchthon an Schwolle 20. 6. 1549 [MBW 5566; CR 7, 418 f., Nr. 4548; hier 418]; an Meienburg 1. 8. 1549 [MBW 5604; CR 7, 441 f., Nr. 4570; hier 441] und an Besold 15. 2 . 1550 [MBW 5730; CR 7, 547 f., Nr. 4671; hier 547]; von Aepinus an die Wittenberger Professoren 3. 4. 1549 [MBW 5495; CR 7, 369] und von Hardenberg an Melanchthon zwischen 18. und 29. 3. 1549 [Gerdes, Hardenbergii Anecdota, 693 bzw. Spiegel, Hardenberg, 131; nicht bei MBW, vgl. oben Anm. 105]. 183 Vgl. Amsdorf im Brief an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 637] und in »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 267] und Calvin an Melanchthon 19. 6. 1550 [MBW 5830; CR 41, 594].
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betonte Amsdorf, daß man auch ohne die zugestandenen Zeremonien züchtig und ehrenhaft leben könne.184 Und hinsichtlich der Berufung auf die Alte Kirche, vor allem in bezug auf die von Melanchthon in der Rede Zieglers herangezogene Autorität des Basilius merkte Corvinus an, daß man diesen Kirchenvater nicht höher setzen dürfe als Luther.185 Viele Kritiker glaubten auch nicht, daß durch die Zugeständnisse Ruhe und Frieden erreicht werden könnten – wie dies Melanchthon und viele andere Verantwortliche in Kursachsen hofften –, sondern wiesen darauf hin, daß die Einführung der Adiaphora Ärgernis und Verwirrung unter den Gläubigen und damit Unfrieden im Lande zur Folge haben würde.186 b) Weitere Aussagen der »Leipziger Artikel« Die Zugeständnisse bei den Adiaphora waren zwar eindeutig der Hauptgegenstand der Kritik, die Kritiker griffen daneben aber noch weitere Aussagen der »Leipziger Artikel« an, die im folgenden entsprechend dem Auf bau dieses Schriftstücks genannt werden: Flacius, Gallus und Amsdorf griffen neben den Adiaphora inbesondere die Darstellung der Rechtfertigungslehre in den »Leipziger Artikeln« an und warfen Melanchthon und seinen Kollegen vor, sie hätten das sola fide absichtlich ausgelassen – das nicht durch das Wort »vornemlich« ersetzt werden könne – und die Notwendigkeit guter Werke betont. Dadurch verfälschten sie die lutherische Lehre von der Rechtfertigung und bestätigten die Lehre des Papstes.187 184 Vgl. Amsdorfs »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 265]; außerdem seine Aussagen in der Schrift »Das itzund die rechte Zeit sey« von 1551, B 2b und B 4b. 185 Vgl. Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 112 f.]. 186 Vgl. Amsdorfs »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 264]; Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 112 f.] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 298] und Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 549]. 187 Vgl. Flacius’ Schriften »Wider den schnöden Teufel« [nach Preger, Flacius 1, 67 f. und Waschbüsch, Alter Melanchthon, 114]; »Christliche vermanung«, C 3a und D 1a; »Zwei Schrifften widder die adiaphoristische Verfelschung« von 1550 (VD 16 F 1357) [nach Olson, Flacius, 100] und »Bericht Von etlichen Artikeln« von 1559, F 1b ff. und seine Briefe an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527], 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, Epistolae, 575] und 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 581]: »in Lipsica formula nusquam penitus invenitur sola fides, contra invenitur, Necessaria esse opera ad salutem . . . An non tota haec formula ita fuit studio temperata et comparata, ut cum Interim totiusque papatus doctrina congrueret?«; Flacius’ und Gallus’ Kommentar zu den »Leipziger Artikeln« in ihrer Schrift »Der Theologen bedencken« von 1550, B 3b, D 3b, E 1a ff. und G 1a; Amsdorf in seinen Schriften »Das Doctor Martinus kein Adiaphorist gewesen ist« von 1550 (VD 16 A 2338), C 1a [nach Dingel, Der Majoristische Streit, 234] und »Das itzund die rechte Zeit sey«, A 3b; zudem die Zurückweisung solcher Kritik in Melanchthons Briefen an Korte 25. 3. 1551 [MBW 6031; CR 7, 756 f., Nr. 4868; hier 757]; an Mörlin und von Eitzen 24. 1. 1557 [MBW 8107; CR 9, 40 f., Nr. 6168; hier 41]
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Auch die Rede von einem Spielraum des menschlichen Willens bei der Rechtfertigung wurde von den Kritikern vehement abgewiesen.188 Massive Kritik wurde zudem an den Zugeständnissen des päpstlichen Primats und der bischöflichen Jurisdiktion im Artikel von der Kirche geäußert. Zwar gab es auch unter den Kritikern einige, die einen rein äußerlichen Gehorsam gegenüber dem Papst und seinen Bischöfen grundsätzlich für denkbar hielten, die Kritiker verwiesen jedoch darauf, daß ähnlich wie bei den Zeremonien wegen der Begleitumstände ein Nachgeben unmöglich sei. Sie machten hierzu auf die gegenwärtigen Bischöfe aufmerksam, die sich nicht ihrem Auftrag entsprechend als Hirten, sondern als Wölfe gebärdeten.189 In bezug auf die in den »Leipziger Artikeln« im Anschluß an die Kirche behandelten Sakramente unterstellte Flacius den kursächsischen Theologen, sie wollten die Siebenzahl wieder aufrichten, und bemängelte, daß sie die gottlose altgläubige Praxis nicht straften.190 Die Firmung könne man nicht als Sakrament anerkennen und wieder einführen, weil sie den Anforderungen eines Sakraments nicht genüge, sondern ein gottloser Ritus sei.191 und an Johann Friedrich II. von Sachsen 1. 10. 1557 [MBW 8373; CR 9, 310–313, Nr. 6361; hier 311]. 188 Vgl. der Kommentar von Flacius und Gallus zu den »Leipziger Artikeln« in »Der Theologen bedencken« von 1550 [nach Michel, Der synergistische Streit, 255] und Amsdorf in seiner Schrift »Das D. Pfeffinger seine missethat leugnent« von 1559 (VD 16 A 2339), A 4b – B 2a [nach Michel, a. a. O., 260]. 189 Vgl. zu dieser Kritik: – Amsdorfs Schrift »Das itzund die rechte Zeit sey«, A 4a; – Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 111] und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 297]; – Flacius in seinen Briefen an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, Epistolae, 575] und in seinen Schriften »Von der Einigkeit« und »Bericht Von etlichen Artikeln« von 1559 [beide nach Olson, Flacius, 144] und »Christliche vermanung«, C 3b f. und D 1a; – Gallus an Melanchthon 28. 5. 1549 [MBW 5549; Regest bei Scheible, MBW R 5, 478] und 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 933]; – die gemeinsame Schrift von Flacius und Gallus »Der Theologen bedencken«, G 2b f.; – Zwilling und Schultes an die Wittenberger Theologen 22. 6. 1549 [MBW 5569; Regest bei Scheible, MBW R 5, 490]; zudem den Hinweis im Brief von Melanchthon an Mathesius 1. 2. 1557 [MBW 8117; Volz, Briefwechsel 3, 216 f., Nr. 46a; hier 216]. 190 Vgl. Flacius’ »Christliche vermanung«, C 3b und Flacius / Gallus, Der Theologen bedencnken, D 3b. 191 Vgl. Flacius an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, G 3b und die Aussagen zur Firmung in den »Leipziger Artikeln«, die in Entsprechung zum »Augsburger Interim« [Mehlhausen, Augsburger Interim, 78 f.] zwischen Taufe und Buße standen [PKMS 4, 255]: »Die Firmunge sol gelert vnd gehalten, vnnd sunderlich die Jugent, die erwachssen, von iren Bischoffen, ader weme es dieselben befelen, verhört werdenn, Ires glaubens das sie denen bekennen, vnd die Zusage, die jre Bathen jnn der Tauffe, vor sie gethan . . . habenn, bekrefftigen, vnnd also jnn irem glauben vormittelst gotlicher gnade Confirmirt, vnnd bestettigt werdenn, mit aufflegunge der hende, vnnd Christlichen gebeten vnnd Ceremonien«.
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Eine ähnliche Verfälschung der lutherischen Lehre wie bei der Rechtfertigungslehre sahen Flacius, Gallus und andere Theologen auch im Artikel von der Buße. Flacius kritisierte, daß diese in den »Leipziger Artikeln« nicht in »Erkenntnis der Sünde« und »Glaube« aufgeteilt sei, sondern daß die kursächsischen Theologen an der altgläubigen Dreiteilung festhielten und vom Glauben gar nicht sprächen.192 Dahinter stand seine Befürchtung, die Bischöfe könnten aus diesem Abschnitt ihre Ansichten über Genugtuung und Ablässe herauslesen.193 Amsdorf griff die im Artikel von der Buße enthaltenen Aussagen über die Beichte an und behauptete, die Wittenberger Theologen würden wieder verlangen, daß in der Beichte alle Sünden aufgezählt würden.194 In der Darstellung des Abendmahls mahnten einige Kritiker deutlichere Hinweise auf die Gegenwart Christi und den Glauben der Empfänger an.195 Flacius stieß sich ferner am seiner Ansicht nach gottlosen Ritus der Ölung, berücksichtigte bei seiner Kritik allerdings nicht, daß der entsprechende Artikel auch von den kursächsischen Theologen abgelehnt worden war.196 Mit der Zusage der »Leipziger Artikel«, man wolle die Messe auch weiterhin mit den gewohnten Gesängen, Gewändern und Zeremonien halten, hatte Menius Mühe,197 und Flacius, Gallus und Amsdorf erhoben den Vorwurf, die Wittenberger und Leipziger Theologen wollten die altgläubige Messe wieder aufrichten und die deutschen Gesänge abschaffen.198 192
Flacius bezog sich hier wohl auf den Anfang des Abschnitts über die Buße in den »Leipziger Artikeln« [CR 7, 261 bzw. PKMS 4, 255]: »Die Busse, Beicht vnnd Absolution, vnnd was deme anhengig, sollen fleissig gelert, vnnd gepredigt, vnnd das volck zur Beicht deme priester zuthuen, vnd an gottes stat, die Absolution vonn jme zuentphahenn, vnnd dopei auch mit fleis ermhannt vnnd angehalden werden, zum gebet f hasten, vnnd Almus geben«. 193 Vgl. Flacius in seinem Brief an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und in seinen Schriften »Wider den schnöden Teufel« [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 114] und »Christliche vermanung«, C 3a f. und D 1a; zudem die gemeinsame Schrift von Flacius und Gallus »Der Theologen bedencken«, D 3b und G 4a f. und Gallus an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 933]. Ähnliche Anfragen auch in Hoffmanns Gutachten vom 9. 2 . 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 318] und in Menius’ Gutachten vom 13. 3. 1549 [nach Koch, a. a. O., 320]. 194 Vgl. die Hinweise auf diese Kritik in Melanchthons Gutachten für die kurfürstlichen Räte vor 13. 7. 1549 [MBW 5588; Regest bei Scheible, MBW R 5, 497 f.; hier 497] und im Brief von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 455]. 195 Vgl. Menius’ Gutachten vom 13. 3. 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 320] und den Hinweis Melanchthons im Gutachten für die kurfürstlichen Räte vor 13. 7. 1549 [MBW 5588; Regest bei Scheible, MBW R 5, 497]. 196 Vgl. Flacius im Brief an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und in seiner Schrift »Wider den schnöden Teufel«, B 3a [nach Waschbüsch, Alter Melanchthon, 115]; zudem Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, H 1a f. 197 Vgl. das Gutachten von Menius vom 13. 3. 1549 [nach Koch, Theologische Aspekte, 320 f.]. 198 Vgl. Amsdorf an einen Unbekannten 18. 2 . 1549 [Reichert, Amsdorff und das Inter im, B 118]; Flacius im Brief an Melanchthon 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527] und in seinen Schriften »Wider den schnöden Teufel« [nach Waschbüsch,
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3.2.2.5 Kritik an den Melanchthon und seinen Kollegen unterstellten Motiven Neben den Inhalten gerieten auch die Motive von Melanchthon und seinen Kollegen bzw. die ihnen unterstellten Beweggründe in die Kritik. Derartige Vorwürfe richteten sich zum Teil gegen alle kursächsischen Theologen, teilweise jedoch auch gegen Melanchthon persönlich. Wie bereits im Blick auf die Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« scheint man Melanchthon und seinen Kollegen auch im Anschluß an den Leipziger Landtag vorgeworfen zu haben, sie hätten aus Ängstlichkeit, Mißtrauen und Kleinmütigkeit gehandelt. Derartige Kritik ist von Jonas, Corvinus und Flacius bekannt, sicher äußerten sie aber auch weitere nicht namentlich bekannte Kritiker.199 Die Flacianer und der ehemalige Kurfürst Johann Friedrich hielten den Wittenberger Theologen vor, sie hätten »um des Bauchfriedens willen« nachgegeben und suchten mehr den zeitlichen Frieden als Gottes Ehre.200 Amsdorf behauptete, ihre Nachgiebigkeit sei erfolgt, um dem Kaiser zu schmeicheln.201 Zudem scheint man Melanchthon und seinen Kollegen vorgeworfen zu haben, sie seien für ihre Zugeständnisse von der Gegenseite bestochen worden.202 Als Grund für die Nachgiebigkeit Melanchthons wurde schließlich gemutmaßt, er sei entgegen dem, was Alter Melanchthon, 115] und »Christliche vermanung«, C 3b; zudem Flacius / Gallus, Der Theologen bedencken, H 2a ff. und den Hinweis auf die Kritik im Brief von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 455]. 199 Vgl. Hinweise auf derartige Kritik in Melanchthons Brief an Lauterbach 6. 3. 1549 [MBW 5468; CR 7, 350, Nr. 4501]: »nos accusant, quod timidiores simus« und in der Verteidigungsschrift der kursächsischen Theologen an die kurfürstlichen Räte vom 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 363–366, Nr. 4515; hier 365]: »man . . . spricht, dieses Weichen geschehen aus Furcht«; zur Kritik des Jonas Melanchthon an Camerarius 5. 2 . 1550 [MBW 5724; CR 7, 541]: »reprehensio . . . nostrae timiditatis«; zu Corvinus seine Aussagen in den Briefen an Mörlin 17. 2 . 1549 [Corvinus-BW, 224 f.]: »Dominus servet nobis Philippum, cui propter pusillanimitatem a fraudibus interimisticorum valde timeo« und an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 113]. Flacius sprach in der Widmungsvorrede seiner Schrift »Apologia ad Scholam Vitebergensem« von 1549 (VD 16 F 1264 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 91) von imbecillium diffidentia und metus (vgl. Hammer, Melanchthonforschung 1, 86). 200 Vgl. die Schrift von Flacius, Gallus und Amsdorf »Deren zu Magdeburg Beschluß« von 1551 [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 99]; den Brief Johann Friedrichs von Sachsen an von Minkwitz 13. 9. 1549 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 300] und Amsdorf in seinen Schriften von 1551 »Erinnerung an die Deutschen« [Amsdorf, Ausgewählte Schriften, 59] und »Das itzund die rechte zeit sey«, B 4a. 201 Vgl. Amsdorf an Strigel 19. 1. 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 634]: »hac adulatione Imperatoris animum non placabunt, imo magis irritabunt, etiam si minimum articulum in INTERIM reprehenderent«. 202 Vgl. in bezug auf Graf Albrecht von Mansfeld Melanchthons Brief an Hardenberg 18. 3. 1549 [MBW 5481; CR 7, 351 f., Nr. 4503; hier 352]: »Comes Albertus scribit, me a Iulio pecunia corruptum esse« und zur Leugnung dieser Kritik oben Anm. 149. Ein Hinweis auf den Vorwurf »Ir habet Geld genommen, das ir wollet die Wahrheit verraten« findet sich auch im Brief von Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [BugenhagenBW, 456].
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sich für einen frommen Christen gehöre, der menschlichen Vernunft verhaftet und benehme sich wie ein höfischer Philosoph.203 3.2.2.6 Kritik am Umgang der kursächsischen Theologen mit den Vorwürfen Melanchthon und seine Kollegen reagierten sehr zurückhaltend auf die gegen sie vorgebrachte Kritik und äußerten sich nicht oft zu den strittigen Themen, da sie hofften, dadurch eine weitere Verschärfung des Streits verhindern zu können.204 Sie beantworteten zwar einige der kritischen Anfragen, so zum Beispiel die der Hamburger Pfarrerschaft, und stellten dabei ihre Positionen dar,205 doch reichten diese Stellungnahmen vielen Protestanten nicht aus. So warf beispielsweise Corvinus Melanchthon vor, seine Antwort an die Hamburger sei zu kurz und zu schwach, und bemängelte, er habe viele Probleme übergangen.206 Zudem hatte die Zurückhaltung der kursächsischen Theologen mit Äußerungen erneute Kritik an ihrem Schweigen zur Folge.207 Neben ihrer zurückhaltenden 203 Vgl. Amsdorf in Briefen an Maior 11. 2 . 1549 [Eichhorn, Amsdorfiana, 636]; an einen Unbekannten 18. 2 . 1549 [Reichert, Amsdorff und das Interim, B 116 und 119]: »persuasibilia humane eruditionis seu sapientie verba« und in seinen Schriften »Antwort auff das scriptum« vom 28. 5. 1549 [Reichert, Antwort, 261]; »Erinnerung an die Deutschen« [Amsdorf, Ausgewählte Schriften, 57 f.] und »Das itzund die rechte Zeit sey«, B 3b; Corvinus an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 113]: »carnis et rationis consilia« und 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 298]; die Andeutung des ehemaligen sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich im Brief an die Wittenberger Theologen 17. 10. 1552 [MBW 6605; Bugenhagen-BW, 542–544, Nr. 276; hier 544] (zu Melanchthons Aufnahme dieser Aussagen sein Brief an Örtel 13. 11. 1552 [MBW 6636; CR 7, 1135 f., Nr. 5265; hier 1136]: »aliquid salis«) und Flacius in der Widmunsgvorrede seiner »Apologia ad Scholam Vitebergensem« [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 86]: carnalis sapientia und mit Bezug auf 1Kor 1,19 f. in seiner »Epistola apologetica« von 1549 (VD 16 F 1367 und Hammer, a. a. O., Nr. 94). 204 Vgl. Melanchthon und Bugenhagen an Aepinus und die Hamburger Geistlichen 13. 4. 1549 [MBW 5504; CR 7, 382]; Melanchthons Gutachten für die kurfürstlichen Räte Mitte Juni 1549 [MBW 5561; Friedberg, Agenda, 6]: »Wiewol wir nu zu Dempfung solcher lesterungen, bey den verständigen ettlichen freintlich geantwort, . . . so haben wir dennoch den groben lesterern noch nicht antworten wollen, auss dieser grosswichtigen vrsach, das gewiss ist, so wir mit harten schrifften an Einander wachsen, das sie sachen erregen werden, daraus grösser zerruttung vnd spaltung volgen wirt. Damit wir nu nit vbel erger machen, sind wir still . . . vnd lassen das bose geschrey fur vber gehen, bis es selb gelinder wirt«; Melanchthon an Baumgartner 9. 9. 1549 [MBW 5621; CR 7, 455 f., Nr. 4586; hier 456]; an Lauterbach 20. 9. 1549 [MBW 5635; CR 7, 469 f., Nr. 4599; hier 469]; an Georg von Anhalt 26. 11. 1549 [MBW 5685; CR 7, 508]; zudem Bugenhagen an Albrecht von Preußen 25. 5. 1549 [Bugenhagen-BW, 447 f.] und 8. 9. 1549 [Bugenhagen-BW, 465] und an Christian III. von Dänemark 17. 7. 1549 [Bugenhagen-BW, 458 f.]. 205 Vgl. oben Kap. 3.2.1.3. 206 Vgl. Corvinus in seinen Briefen an die Göttinger Prediger 11. 8. 1549 [Corvinus-BW, 249]; an Melanchthon 24. 8. 1549 [MBW 5613; Franz, Schreiben Corvin’s, 109]: »nimis frigida est tua ad Hamburgenses concionatores responsio . . . Et multa hic dissimulas, quae modis omnibus explicata esse oportuit« und etwas abgeschwächt an Melanchthon 25. 9. 1549 [MBW 5637; Bindseil, Epistolae, 295]. 207 Vgl. die Hinweise in Bugenhagens Briefen an Christian III. von Dänemark 9. 3. 1550 [Bugenhagen-BW, 466–470, Nr. 236; hier 467]: »Sie [sc. die Gegner] schreien auch unver-
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Reaktion scheinen Melanchthon und seine Kollegen aber auch mit Gegenvorwürfen reagiert zu haben, was zum Beipiel von Gallus sehr negativ bewertet wurde, der wohl gehofft hatte, seine ehemaligen Lehrer durch die Kritik zum Eingeständnis von Fehlern bewegen zu können.208
3.3 Zusammenfassung Die Kritik an Melanchthon und seinen kursächsischen Kollegen im Zuge der Umsetzung des »Augsburger Interims« prägte das negative Melanchthonbild in entscheidender Art und Weise, denn sie war sehr vielfältig, wurde von vielen verschiedenen, teilweise sehr einflußreichen Personen geäußert und über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder vorgebracht. Bezeichnend ist, daß als Kritiker Melanchthons nicht nur Personen auftraten, die ihn schon des öfteren kritisiert hatten, sondern auch Schüler und Freunde. Die Kritik am Zugeständnis der Adiaphora stand zwar im Zentrum der Auseinandersetzung und gab ihr den Namen, es ging jedoch um weit mehr: Die Kontroverse um die Adiaphora war »Teil eines umfassenden Bemühens, das Erbe der Wittenberger Reforma tion zu definieren und zu wahren«.209
Kapitel 4: Kritik an der Wittenberger Lutherausgabe in den Jahren 1549 bis 1558 In den 1530er Jahren hatte man in Wittenberg beschlossen, eine Gesamtausgabe der Werke Luthers zu erstellen. Georg Rörer und Caspar Cruciger hatten die Redaktion übernommen. Der erste Band von Luthers deutschen Werken war im Jahr 1539 erschienen. Der zweite Band, der Luthers Schriften gegen Aufrührer, Bauern, Täufer, »Sakramentsschwärmer« und Türken enthielt, war zwar bereits im Jahr 1544 konzipiert worden, sein Druck hatte sich aber durch den Schmalkaldischen Krieg so stark verzögert, daß er erst zur Leipziger Michaelismesse im Jahr 1548 erschien. Die Herausgeber hatten bei der darin abgedruckten Schrift Luthers aus dem Jahr 1527 »Daß diese Worte Christi ›Das ist mein Leib‹ noch feststehen wider die Schwarmgeister« einige Passagen weggelassen, die persönliche Angriffe Luthers auf Bucer enthielten.210 schemet über uns, das wir nu schweigen« und 18. 6. 1550 [a. a. O., 475–481, Nr. 239; hier 476 f.] und an Albrecht von Preußen 2. 5. 1550 [a. a. O., 470–475, Nr. 238; hier 474]. 208 Vgl. Gallus’ Aussage in seiner Schrift »Das die gründe noch fest stehen wider der Adiaphoristen Acta vnd Auszug« von 1560 (VD 16 G 263) [zitiert nach Voit, Gallus, 123 f.]: »Meinen sie denn / sie sind solche Preceptores / das die Discipel alles gleuben müssen / was sie sagen / Oder solche Heiligen die nicht irren können«. 209 Kolb, Controversia perpetua, 191. 210 Vgl. zu dieser Ausgabe der Werke Luthers Wolgast, Wittenberger Luther-Ausgabe; zu Bd. 2 der deutschen Schriften bes. 124 f.; Luthers Schrift von 1527 findet sich in der Wit-
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Diese Kürzungen veranlaßten Amsdorf im Jahr 1549 zu heftiger Kritik an der Wittenberger Ausgabe, und er sah sich genötigt, die weggelassenen Stellen in einer eigenen Schrift abzudrucken. Den Wittenbergern hielt er zum Beispiel vor, sie wollten durch ihre Auslassungen die Schwärmer schonen.211 Amsdorf nannte bei seiner Kritik keine Namen, sie war aber sicher auch gegen Melanchthon gerichtet. Dieser war zwar nicht verantwortlicher Redakteur der Wittenberger Lutherausgabe, aber gerade ihm mißtraute Amsdorf in der Frage des Abendmahls schon seit vielen Jahren. Neben Amsdorf beklagte Mitte des Jahres 1549 auch Anton Otto eine Verfälschung der Schriften Luthers und betonte, daß er dieser durch eigene Übersetzungen Abhilfe schaffen wolle.212 Er äußerte sich zwar nicht über konkrete Inhalte oder Namen der Herausgeber, da er jedoch im selben Brief unmittelbar zuvor Melanchthon und seine Wittenberger Kollegen in anderer Sache kritisiert hatte, ist sein Vorwurf der Verfälschung von Luthers Schriften wohl auf die Wittenberger Lutherausgabe und damit auch auf Melanchthon zu beziehen. Amsdorf erneuerte seine Kritik an der Wittenberger Lutherausgabe im Jahr 1555, nachdem weitere Bände erschienen waren – seit 1552 unter der Redak tion von Georg Maior (1502–1574) und Christoph Walther († 1572). In der Vorrede zum ersten Band der in Jena in Konkurrenz zur Wittenberger Ausgabe veranstalteten Edition der Werke Luthers kritisierte Amsdorf die Wittenberger Ausgabe, weil seiner Ansicht nach vieles um »gelimpffs willen ausgethan, geschwiegen oder verendert worden« 213 sei – Kritik, die sich auf das Fehlen von Streitschriften Luthers, Auslassungen und Änderungen an Texten, die Aufnahme fremder Schriften, die Einbeziehung von Übersetzungen und die Ordnung der Schriften nach sachlichen Gesichtspunkten anstelle einer chronologischen Ordnung wie in der Jenaer Edition bezog. Darauf hin kam es zu einem Streitschriftenwechsel zwischen Walther und Amsdorf, der inhaltlich allerdings keine neuen Argumente brachte.214 tenberger Luther-Ausgabe, Bd. 2 auf Bl. 120b –167 b; vgl. zu den Auslassungen Wolgast, a. a. O., 128 f. 211 Vgl. Amsdorfs Schrift »Das die zu Wittenberg im andern teil der bucher Doctoris Martini im buch das diese wort Christi noch fest stehen / mehr denn ein blat vier gantzer Paragraphos vorsetzlich aussgelassen haben wie folget« (VD 16 L 4281) und dazu Wolgast, Wittenberger Luther-Ausgabe, 128, 134–137 und 199 f. 212 Vgl. Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288 f., Nr. 904; hier 289]: »Transtuli multas pagellas, quia autem corrumpi video hac tempestate libros Lutheri nefando modo, nolo ego autor esse, ut ne et in hoc Lutheri libello fortasse per meam imprudentiam quid perperam reddatur aut depravetur«. 213 Amsdorfs Vorrede zum ersten Band der Jenaer Lutherausgabe von 1555 [nach Brinkel, Amsdorf, 85]. 214 Vgl. Haussleiter, Flacius, 178 und Wolgast, Wittenberger Luther-Ausgabe, 200 f. Melanchthon hatte mit Kritik gerechnet, allerdings in bezug auf seine Widmungsvorrede an Johann Friedrich von Sachsen (vom 29. 9. 1552 [MBW 6575; CR 7, 1078–1083, Nr. 5211]); vgl. dazu seinen Brief an Stigel 29. 9. 1551 [MBW 6574; CR 7, 1077 f., Nr. 5210; hier 1078].
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In einer dritten Phase des Streits um die Wittenberger Lutherausgabe wurde sie 1558 von Flacius angegriffen, der ähnlich wie Amsdorf Vorwürfe gegen die sachliche Ordnung der Schriften, die seiner Meinung nach nicht im Sinne Luthers war, und gegen verschiedene Auslassungen erhob. Auch hier kam es zu einem Wechsel von Streitschriften, die wiederum nichts Neues zutage brachten.215 Auch bei den Angriffen von Amsdorf und Flacius in den 1550er Jahren war Melanchthon nicht explizit genannt, sicher war er aber eine der Zielscheiben der Kritik, da er ja auch sonst von den beiden Theologen wegen seiner Abweichungen von der Theologie Luthers angegriffen wurde – wie das folgende Kapitel zeigt. Die Kritik an der Wittenberger Lutherausgabe ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, daß es nach Luthers Tod in erster Linie seine Schriften waren, die als Autorität herangezogen wurden, um die strittigen Lehrfragen zu klären.
Kapitel 5: Kritik an Lehraussagen Melanchthons von seiten der Flacianer in den 1550er Jahren Neben Kritik an Melanchthon und seinen Wittenberger Kollegen im Zusammenhang konkreter Ereignisse gingen Flacius, Amsdorf und Gallus ab 1550 verstärkt dazu über, Melanchthons Behandlung verschiedener Lehrstücke in Frage zu stellen, wobei sich ihnen an einigen Punkten auch andere Theologen anschlossen.216 Dies geschah teilweise im Zusammenhang der Versuche, Melanchthon und Flacius miteinander auszusöhnen.217 Auslöser der Kritik waren dabei abgesehen von den »Leipziger Artikeln« in erster Linie Melanchthons Aussagen in den »Loci«, deren Fassung von 1544 (tertia aetas) in den 1550er Jahren mehrmals nachgedruckt wurde,218 und die (von Cruciger begonnene und von Melanchthon fortgesetzte) Auslegung des Nizänums, in der »die ›Summe‹ der wahren Lehre« dargestellt werden sollte und die daher als »eine evangelische Dogmatik« und »Fortführung der ›Loci theologici‹« angesehen werden kann.219 215
Vgl. Wolgast, Wittenberger Luther-Ausgabe, 201 f. Vgl. zu Vorwürfen gegen Melanchthons Lehre auch unten Kap. 7, 8, 11, 13, 14, 15 und Kap. 16. 217 Vgl. dazu auch unten Kap. 9. 218 Vgl. zu den Neuausgaben der »Loci« in den 1550er Jahren Bugenhagen an Albrecht von Preußen 2. 5. 1550 [Bugenhagen-BW, 470–475, Nr. 238; hier 474] und Engelland, MSA 2/1, 164. 219 Hasse, Einleitung zu Melanchthons »Enarratio Symboli Nicaeni« (1550), 21 f.; der Text der »Enarratio Symboli Nicaeni« wurde in dieser Ausgabe um bisher ungedruckte Teile der Vorlesung erweitert und 59–183 gedruckt. Aufgrund der Kritik wurde die Auslegung 216
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Die Kritik an seinen Lehraussagen scheint eine so große Wirkung gehabt zu haben, daß Melanchthon sich in vielen Briefen genötigt sah zu betonen, er habe keine neuen Lehren hervorgebracht und wolle dies auch zukünftig nicht tun.220
5.1 Kritik an konkreten Lehraussagen Inhaltlich griffen die Kritiker zum großen Teil frühere Vorwürfe auf, weiteten diese aus oder akzentuierten sie neu. Ab 1550 standen Melanchthons Aussagen zur Rolle des freien Willens immer wieder im Mittelpunkt der Kritik, und es wurde die Abweichung seiner Lehre von Luther bemängelt.221 Der Hauptkritiker Melanchthons in diesem Punkt war Gallus, der seine Vorwürfe stets von neuem wiederauflegte und sie intensivierte, als der sogenannte Synergistische Streit um Melanchthons Schüler Johannes Pfeffinger das Thema 1558 ins Licht der Öffentlichkeit rückte.222 Ebenvon Melanchthon überarbeitet, 1557 fertiggestellt und 1561 unter dem Titel »Explicatio Symboli Niceni« neu herausgegeben (vgl. CR 23, 347–584). Vgl. zur Kritik an »Loci« und »Enarratio« Artopoeus an Melanchthon 25. 2 . 1557 [MBW 8138; CR 9, 114, Anm. 1]: »Nunc autem . . . doctrinam locorum, expositionem symboli Niceni oppugnare incipiunt«. 220 Vgl. z. B. Melanchthons Vorrede für Medmann vor 1. 5. 1551 [MBW 6071; CR 7, 769–775, Nr. 4884; hier 774]: »non volui gignere novas opiniones«; sein für Maior verfaßter Brief an Christian III. von Dänemark [MBW 6435; CR 7, 994–998, Nr. 5112; hier 997]; Melanchthon an Gallus 1. 12. 1556 [MBW 8042; CR 8, 915–917, Nr. 6127; hier 916]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924–926, Nr. 6133B; hier 926] und an Johann Albrecht von Mecklenburg 25. 2 . 1557 [MBW 8137; CR 9, 103–105, Nr. 6198B; hier 105]. 221 Vgl. Melanchthons Äußerungen zum freien Willen in den »Loci« [CR 21, 659 bzw. MSA 2/1, 236–252]; zur Kritik Flacius’ Schriften »Refutatio propositionum Pfeffingeri de libero arbitrio« von 1558 (VD 16 F 1478) [nach Michel, Der synergistische Streit, 262] und »Bericht Von etlichen Artikeln« von 1559, C 1a–C 4b und die Hinweise in Melanchthons Briefen an Camillus 7. 3. 1550 [MBW 5745; CR 7, 555 f., Nr. 4683; hier 556]; an Cureus 11. 4. 1550 [MBW 5769; CR 7, 571 f., Nr. 4699; hier 571] und an Hardenberg 30. 4. 1550 [MBW 5781; CR 8, 475, Nr. 5776]. 222 Vgl. zur Kritik des Gallus seine Äußerungen gegenüber Melanchthon in den Briefen vom 9. 11. 1556 [MBW 8017; CR 8, 896 f.], 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 933] und 19. 4. 1557 [MBW 8199; CR 9, 142 f., Nr. 6232; hier 143]; die Anspielung im Titel seiner Schrift »Quaestio de libero arbitrio, quatenus illa quibusdam nunc disceptatur in Ecclesijs Augustanae Confessionis« von 1559 (VD 16 G 272) und die Seitenhiebe gegen Melanchthon in folgenden Schriften: »Das der freÿe Wille nichts seÿ« von 1559 (VD 16 L 3593), mit der Gallus Luthers Schrift »De servo arbitrio« in einer Übersetzung von Jonas mit einer eigenen Vorrede neu herausgab; »Erklerung der Religions streite . . . Wider die verfelscher der waren Augs purgischen Confession« von 1559 (VD 16 G 270), A 2b ff.; »Wächterstimme . . . Wo und in was Stücken . . . Wider Lutherum / wider die Augspurg[ische] Conf[ession] und H[eilige] Schrift . . . jtzo gelehret wird« von ca. 1560 (VD 16 G 313; Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 235a), A 3a–A 4b; »Religions streite und Einigkeit« von 1560 (VD 16 G 288), A 3a; »Tafel der verkerten . . . Lere« von 1560 (VD 16 G 299; Hammer, a. a. O., Nr. 234) und »Thema depravationum Augustanae Confessionis« von 1560 (VD 16 G 273; Hammer, a. a. O., Nr. 235), A 3b ff.; zudem Dingel, Frankfurter Rezeß, 125, Anm. 10; Kolb, Gallus’ Critique, bes. 91 ff. und Michel, Der synergistische Streit. Zu weiterer Kritik des Gallus an Melanchthons Willenslehre unten Kap. 15. Vgl. zudem die Hinweise auf Gallus’ Kritik in den Briefen von Camerarius an Melanchthon 5. 3. 1556 [MBW 7730; Regest bei Scheible,
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
falls im Rahmen des Synergistischen Streits scheint sich 1555 der Weimarer Hofprediger Johannes Stoltz der Kritik von Gallus angeschlossen zu haben, eine von Melanchthon erwähnte Schrift der beiden Theologen existiert jedoch nicht mehr.223 In bezug auf die Rechtfertigungslehre 224 knüpfte Flacius immer wieder an die Kritik früherer Jahre an und warf Melanchthon vor, er betone das sola fide nicht ausreichend, bezeichne es vielmehr als Spitzfindigkeit 225 und gebrauche es in seinen »Loci« ohne den nötigen Nachdruck.226 Zudem erwecke er durch seine Formulierungen den Eindruck, als resultiere die Rechtfertigung aus Glaube und Liebe.227 Als sich Melanchthons Wittenberger Kollege Georg Maior im sogenannten Maioristischen Streit in den Jahren 1552 bis 1558 mit Amsdorf über die Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit auseinandersetzte, geriet auch Melanchthon selbst in die Kritik: Man warf ihm vor, er äußere sich nicht klar gegen Maior, sondern sei zu nachsichtig (indulgens), gebe ihm nach und unterstütze dadurch seine falsche Sichtweise der guten Werke.228 MBW R 7, 398] und von Melanchthon an Hardenberg 23. 4. 1556 [MBW 7793; CR 8, 736, Nr. 5968]; an Mathesius 1. 5. 1556 [MBW 7807; CR 8, 747, Nr. 5976]; an Collinus 17. 6. 1556 [MBW 7861; CR 8, 763, Nr. 6015]; an Mathesius 30. 6. 1556 [MBW 7873; CR 8, 789, Nr. 6022]; an A. Praetorius 7. 7. 1556 [MBW 7886; CR 8, 794, Nr. 6027]; an Besold 1. 8. 1556 [MBW 7906; CR 8, 817, Nr. 6044]; an Gallus 1. 12. 1556 [MBW 8042; CR 8, 916]; an Joachim von Anhalt 15. 12. 1556 [MBW 8059; CR 8, 926 f., Nr. 6134; hier 927]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924–926, Nr. 6133B; hier 924]; an August von Sachsen vor 10. 3. 1559 [MBW 8886; CR 9, 763–775, Nr. 6705; hier 767] und an A. Praetorius 1. 9. 1559 [MBW 9045; CR 9, 906 f., Nr. 6808; hier 907]. 223 Vgl. Melanchthon an Calvin 12. 5. 1555 [MBW 7489; CR 43, 615 f., Nr. 2204; hier 616]; an G. Agricola 20. 5. 1555 [MBW 7493; CR 8, 484 f., Nr. 5786; hier 485]; an Mathesius 22. 5. 1555 [MBW 7499; Volz, Briefwechsel 3, 40 f., Nr. 29; hier 40] und an Stigel 7. 2 . 1556 [MBW 7713; CR 9, 89 f., Nr. 6195; hier 89]. Von Stoltz ist aus dem Jahr 1555 lediglich eine Schrift gegen Pfeffingers »Propositiones« erhalten, die allerdings erst 1558 nach seinem Tod durch Aurifaber veröffentlicht wurde; vgl. Luthardt, Lehre vom freien Willen, 194 f. und Michel, Der synergistische Streit, 256 f. 224 Vgl. z. B. Melanchthons Darstellung in den »Loci« [MSA 2/2, 353 ff.] und in der »Enarratio Symboli Nicaeni« [Ausgabe von Hasse, 60 ff.]. 225 Vgl. die Zurückweisung dieser Kritik in Melanchthons Briefen an Georg von Anhalt 7. 9. 1550 [MBW 5898; CR 7, 658, Nr. 4789]: »ait me dicere ἀκριβολογίαν καὶ λεπτολογίαν esse, hanc propositionem, Sola fide iustificamur«; an Goldstein ca. 7. 9. 1550 [MBW 5899; Regest bei Scheible, MBW R 6, 93] und an Mathesius ca. 7. 9. 1550 [MBW 5900; CR 7, 658 f., Nr. 4790; hier 658]. 226 Vgl. Flacius’ »Bericht Von etlichen Artikeln«, G 4b. 227 Vgl. Flacius an Melanchthon 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 581]: »quoties de fide iustificante agitur, tum ibi dicitur Fides cui est adiuncta charitas et aliae virtutes iustificat etc. Quid, quaeso, hoc aliud est, quam fides formata charitate et ceteris virtutibus, seu fides et reliquiae virtutes iustificant?«. 228 Vgl. zur Kritik an Melanchthon Flacius’ Briefe an ihn 1. 9. 1556 [MBW 7943; Bindseil, Epistolae, 578] und 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 584]; Gallus an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 932 f.] und 19. 4. 1557
IV. Die Kritik an Melanchthon zwischen 1546 und 1560
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Ende des Jahres 1556 kamen weitere inhaltliche Vorwürfe hinzu. Sie richteten sich zunächst gegen Melanchthons Definition des Evangeliums, in der er den Ruf zur Buße mit der Vergebungszusage verbunden hatte. Diese Zuordnung der Buße zum Evangelium – und nicht zum Gesetz – erregte den Widerspruch der Flacianer: Sie hielten Melanchthon vor, eine solche Zuordnung vertrage sich nicht mit der auch von ihm gebrauchten Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, rückten ihn in die Nähe von Agricolas Antinomismus und warfen ihm eine Verfälschung der Lehre von der Buße vor.229 Weitere Kritik zielte auf Melanchthons Erbsündenlehre, Trinitätslehre und Christologie.230 In [MBW 8199; CR 9, 142 f., Nr. 6232; hier 142] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 272; zum Maioristischen Streit Dingel, Der Majoristische Streit, 233 ff. 229 Diese Kritik war aufgrund der siebten These der von Melanchthon verfaßten Promotionsthesen für Paul von Eitzen vom 18. 5. 1556 aufgebrochen [CR 12, 622–634, Nr. 67; hier 623]: »Evangelium est praedicatio poenitentiae et promissionis«; ähnlich hatte sich Melanchthon allerdings bereits seit 1524 geäußert; vgl. seine Schrift »Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae ad illustrissimum principem Hessorum« von 1524 [MSA 1, 179–189; hier 181, Z. 1 ff.]: »In fine Evangelii Lucae [Lk 24,47] praecipit Christus praedicari omnibus genitibus poenitentiam et remissionem peccatorum. . . . Est itaque Evangelium praedicatio poenitentiae et remissionis peccatorum«; zudem die »Loci« von 1535 [CR 21, 415 und 421]; die Schrift »Examen ordinandorum« von 1552 [MSA 6, 169–259, Nr. 4 ; hier 186, Z. 31 ff.] und die 21. Promotionsthese für Konrad Becker vom 31. 10. 1556 [CR 12, 634–644, Nr. 68; hier 640]. Vgl. zur Kritik an Melanchthon Gallus’ Schrift »Thema depravationum Augustanae Confessionis«, Artikel 4 [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 177]; Flacius, »Auff das ausschreiben der zweien Universiäten« von 1558 (VD 16 F 1274), J 1b –J 4b [nach Kolb, Controversia perpetua, 203] und seine Schriften von 1559 »Das die Buss / Rewe / oder erkentnis des Zorns und der Sünden / eigentlich allein aus dem Gesetz: Und widerumb die Vergebung der Sünden / oder Gnade / allein aus dem Euanglio zu predigen sey / welcher unterscheid des Gesetzes und Euanglij auffs fleissigst zu Mercken ist« (VD 16 F 1331) und »Bericht Von etlichen Artikeln«, C 4b –D 3b; ferner die Hinweise in Melanchthons Briefen an Gallus 1. 12. 1556 [MBW 8042; CR 8, 915–917, Nr. 6127; hier 916]; an Heling 11. 12. 1556 [MBW 8056; Regest bei Scheible, MBW R 7, 523 f.; hier 524]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924–926, Nr. 6133B; hier 924 f.]; an Misenius Mitte Januar 1557 [MBW 8092; CR 9, 18 f., Nr. 6151; hier 19]; an die niedersächsischen Geistlichen 22. 1. 1557 [MBW 8101; CR 9, 38–40, Nr. 6167; hier 38 f.]; an Mathesius 1. 2. 1557 [MBW 8117; Volz, Briefwechsel 3, 216 f., Nr. 46a; hier 216]; an V. Cracow 14. 2 . 1557 [MBW 8133; CR 9, 90 f., Nr. 6196; hier 90]; an Johann Albrecht von Mecklenburg 25. 2. 1557 [MBW 8137; CR 9, 103–105, Nr. 6198B; hier 105]; in den Briefen von Steinhausen an Melanchthon 9. 12. 1556 [MBW 8052; CR 8, 922–924, Nr. 6133A; hier 922], von A. Praetorius an Melanchthon 28. 12. 1556 [MBW 8068; Regest bei Scheible, MBW R 7, 527] und 28. 9. 1558 [MBW 8740; Regest bei Scheible, MBW R 8, 273] und von Ursinus an Crato 19. 3. 1557 [Gillet, Crato 2, 475–477, Nr. 13; hier 477]; zudem Mau, Gesetz, 87, Z. 3 ff. 230 Vgl. die Hinweise auf die Kritik an seiner Christologie und Trinitätslehre in Melanchthons Briefen an Heling 11. 12. 1556 [MBW 8056; Regest bei Scheible, MBW R 7, 524]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924 f.]; an Misenus Mitte Januar 1557 [MBW 8092; CR 9, 19]; an die niedersächsischen Geistlichen 22. 1. 1557 [MBW 8101; CR 9, 38 f.]; an Mathesius 1. 2 . 1557 [MBW 8117; Volz, Briefwechsel 3, 216]; an Johann Albrecht von Mecklenburg 25. 2 . 1557 [MBW 8137; CR 9, 105]. Hinweise auf die Kritik an seiner Erbsündenlehre finden sich im Brief an Buchholzer 4. 3. 1557 [MBW 8143; CR 9, 111–113, Nr. 6204; hier 112]: »Audio eum [sc. Flacium] reprehendere etiam quaedam de peccato originis«; vgl. zudem die allgemeinen Hinweise auf Kritik an verschiedenen Lehr-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
der Frage der Christologie schloß sich den bereits bekannten Kritikern Melanchthons ehemaliger Schüler Werner Steinhausen (1504–1588) an, der mittlerweile Superintendent in Barby war.231 Im Jahr 1558 kritisierte Flacius die 1556 erfolgte Neuauflage von Melanchthons »Definitiones«, eine Zusammenstellung von Erklärungen theologischer Begriffe. Aus Melanchthons Berichten über diese Kritik wird aber nicht deutlich, was genau ihm vorgeworfen wurde.232 Zudem bemängelten zahlreiche Kritiker den Einfluß, den Kirchenväter und Philosophie neben der Bibel und Luthers Schriften auf Melanchthons Arbeit hatten. Hieronymus Weller (1499–1572) nannte in Briefen an verschiedene Personen zwar keine Namen, es ist aber sehr wahrscheinlich, daß er bei seiner Kritik auch oder vor allem an Melanchthon dachte.233 Und auch die Kritik der beiden Weimarer Theologen Johannes Stoltz und Johannes Aurifaber Vinariensis in ihrer Schrift »Kurtze Verlegung der unchristlichen Practica« von 1554 an der Vermischung von Philosophie und Evangelium und ihre Behauptung, in der protestantischen Theologie werde mehr auf Vernunftgemäßheit geachtet als auf die Reinerhaltung des Evangeliums, wird vornehmlich Melanchthon gegolten haben.234 Gallus, Flacius und Amsdorf nahmen in ihrer Schrift »Deren zu Magdeburg Beschluß« 1551 Melanchthons Neubearbeitung seiner Ethik aus dem Jahr 1550 unter Beschuß – wohl wegen ihrer Ausrichtung an Aristoteles (385–322 v. Chr.).235 Von einer nicht näher genannten Person wurde Mestücken in den Briefen an Mathesius 3. 2 . 1557 [MBW 8124; Volz, Briefwechsel 3, 217 f., Nr. 46b]; an Chytraeus 7. 2 . 1557 [MBW 8129; CR 9, 85 f., Nr. 6190; hier 86] und an von Zitzewitz 14. 3. 1557 [MBW 8155; CR 9, 119 f., Nr. 6213; hier 120]. 231 Vgl. Steinhausen an Melanchthon 9. 12. 1556 [MBW 8052; CR 8, 922] und Melanchthon an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924 f.]. 232 Die 1554 erfolgte Auflage der »Definitiones multarum appellationum, quarum in ecclesia usus est« ist abgedruckt in MSA 2/2, 781–816 bzw. MSA 2/22, 817–852. Laut Engelland, MSA 2/2, 781 bzw. MSA 2/22, 817 unterscheiden sich die beiden Auflagen dieser Schrift »in sachlicher Hinsicht« nur unwesentlich. Vgl. Hinweise auf die Kritik des Flacius in Melanchthons Brief an Stigel 12. 2 . 1558 [MBW 8523; CR 9, 739, Nr. 6687]: »Nunc ille Sycophanta meas pagellas, propter quas multi mihi gratias agunt, nominat vocabularium Ex Quo«. 233 Vgl. Weller an Jonas 20. 7. 1550 [ Jonas-BW 2, 304–306, Nr. 918; hier 305]: »Perpaucos video . . . qui non cum meditatione s[acrarum?] literarum lectionem scriptorum Lutheri coniunxerunt et qui plus operae sumunt in evolvendis rancidis illis patrum scriptis, quam in perlegendis ac relegendis viri Dei libris« und an Beltz unbekannten Datums [zitiert nach Arnold, Ketzer-Historie 2, Buch 16, Kap. 9, 9, S. 97]: »Sie sehen die H[eilige] Schrifft nur oben hin an . . . / sie lesens ohne verstand / die krafft aber oder den kern desselben / d[as] i[st] rechtschaffene lehre und trost kennen sie nicht / wissens auch nicht zu finden noch darauß zu klauben. Dieser Lehrer . . . sind jetziger zeit sehr viel / und sonderlich diese / welche die Philosophie unter die Theologie mengen wollen«. 234 Vgl. Stoltz’ und Aurifabers »Kurtze Verlegung«, A 4a f.; zu dieser Schrift und zum Bezug zu Melanchthon unten Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.2. 235 Die »Ethicae doctrinae elementa et enarratio libri quinti [Aristotelis] Ethicorum« von 1550 finden sich in CR 16, 165–276; sie erfuhren noch zu Melanchthons Lebzeiten fünf weitere Auflagen (vgl. Bindseil, CR 16, 14). Melanchthon entfaltete darin im ausdrückli-
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lanchthon 1550 zudem vorgeworfen, er schränke die Freiheit des theologischen Meinungsbildungsprozesses durch philosophische Begriffe ein.236 Auch Tilemann Heshusen kritisierte Melanchthon im Zusammenhang des Heidelberger Abendmahlsstreits 1560 ganz offen wegen des großen Einflusses griechischer Kirchenväter – und damit der Philosophie – auf sein Denken.237 Und schließlich warf auch Flacius in der Vorrede zum ersten Band der sogenannten Magdeburger Zenturien Melanchthon vor, er habe die christliche Religion »mit fabeln und philosophischen lappereyen . . . befleckt und verfinstert«.238
5.2 Mit Lehrfragen zusammenhängende Kritikpunkte Im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen seine Lehre stellten die Flacianer zudem Melanchthons Art des Theologietreibens in Frage. So hielten sie ihm zum Beispiel vor, er habe Luther in Lehrfragen zu oft befragt, und schlossen daraus, Melanchthon sei ein Zweifler, und es mangele ihm an Zuversicht.239 Gallus unterstellte ihm, er orientiere sich in seinen Urteilen mehr an Personen als an der Wahrheit und gebärde sich wie ein Papst.240 Und Amsdorf betonte in seiner Schrift gegen Menius, Melanchthon sei zwar klug und kenntnisreich, lasse sich aber nur allzu leicht ablenken und irreführen.241
chen Rekurs auf Aristoteles eine doctrina de virtutibus (vgl. Ziebritzki, Tugend, bes. 359 f.). Vgl. zur Kritik die Schrift von Flacius, Gallus und Amsdorf »Deren zu Magdeburg, so wider die Adiaphora geschrieben haben, ihres vorigen schreibens Beschluß, auf der Adiaphoristen Beschuldigung und Lästerung« von 1551 (VD 16 A 2352) [nach Hammer, Melanchthonforschung 1, 98 f.]. 236 Vgl. Melanchthon an Camerarius 15. 4. 1550 [MBW 5772; CR 7, 572 f., Nr. 4700; hier 573]: »Ego accusor, quod libertatem in opinionibus fingendis restrinxerim modis loquendi philosophicis«. 237 Vgl. zum Heidelberger Abendmahlsstreit und zu Heshusen unten Kap. 8.2.2.4; zu seiner Kritik an Melanchthon seinen Brief an Chytraeus 2. 5. 1560 [von Seelen, Epistolae, 67–77, Nr. 16; hier 73 ff.]. 238 Flacius’ Vorrede zur »Centuria prima ecclesiasticae historiae« von 1560 [nach Arnold, Ketzer-Historie 2, Buch 16, Kap. 19, 4, S. 229; vgl. a. a. O., Kap. 9, 10, S. 98]. 239 Vgl. Melanchthon an Chytraeus 15. 8. 1556 [MBW 7920; CR 8, 824]: »sciscitatus sum multa Lutherum, et quaesivi proprietatem in explicando. Id meum studium postea vicini nostri interpretati sunt dubitationem, et scripserunt, me non habere πληροφορίαν, nam hoc verbo usi sunt«. 240 Vgl. Gallus an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 933]: »utinam . . . non . . . personis magis quam veritati dares, unde res tendere ad novum primatum videri nonnullis solet«. In eine ähnliche Richtung könnte auch ein Gedicht von Gallus vom 21. 10. 1549 verstanden werden, das an Papst Paul IV. (1476–1559) gerichtet war und in dem er den treulosen Führer der Gemeinde Jesu Christi, mit dem wohl Melanchthon gemeint war, anklagte (vgl. Voit, Gallus, 114). 241 Vgl. Amsdorfs Schrift »Das Justus Menius sein Vocation vnd Kirche heimlich verlassen / und von der reinen Lere des Euangelij abgefallen sey« von 1557 (VD 16 A 2345) [nach Lerche, Amsdorff und Melanchthon, 18].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 6: Kritik an Melanchthon im Rahmen der Osiandrischen Streitigkeiten in den Jahren 1551 und 1552 Andreas Osiander, der seit 1548 an der Universität Königsberg lehrte, geriet dort im Anschluß an seine Disputation »De iustificatione« vom 24. Oktober 1550 242 mit einigen Predigern in Streit über die Rechtfertigungslehre. Da er betonte, der Mensch werde nicht alleine wegen der Sündenvergebung für gerecht geachtet, sondern vor allem wegen der Gerechtigkeit Christi, die durch den Glauben in ihm wohne, wurde ihm vorgeworfen, seine Darstellung der Lehre von der Rechtfertigung stimme nicht mit der Luthers überein.243 Da die Gegner Osianders zum großen Teil Schüler Melanchthons waren und sich in der Auseinandersetzung auf Melanchthon beriefen, läßt sich der Streit »auf die Personen Melanchthon und Osiander reduzieren«,244 und es verwundert nicht, daß Melanchthon im Zuge der Streitigkeiten von Osiander angegriffen wurde. Zu dieser Kritik kamen allerdings Vorwürfe weiterer Personen hinzu.
6.1 Kritik durch Osiander In seiner »Disputatio de iustificatione« hatte sich Osiander noch auf Polemik beschränkt und Melanchthons Namen nicht genannt,245 ab Anfang 1551 nahm er Melanchthon jedoch persönlich ins Visier seiner Kritik, und zwar in seiner Schrift »Bericht und Trostschrift«,246 in der Vorrede seiner Schrift »Etliche schöne Sprüche« vom März des Jahres247 und im Juli in seinem Bekenntnis »Von dem 242
Osianders »Disputatio de iustificatione« ist gedruckt in OG 9, 426–446, Nr. 425; vgl. zu dieser Schrift Briskina, Melanchthon und Osiander, 85 ff. 243 Vgl. zu diesem Streit Lohse, Reformation, 125–129; Jillich, OG 10, 421 ff.; Zimmermann, OG 9, 422–424; Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 202 ff. und Dingel, Historische Einleitung, in: Reaktionen auf das Augsburger Interim, 26 ff.; zu den Inhalten der Auseinandersetzung bes. Briskina, Melanchthon und Osiander, bes. 110 ff. 244 Briskina, Melanchthon und Osiander, 349. 245 Vgl. zur Polemik gegen Melanchthon in der »Disputatio de iustificatione« OG 9, 428, These 6: »Transfertur tamen saepe ad aliam significationem, in qua idem valet, quod iustum existimare, confiteri, testari vel pronunciare« und dazu Zimmermann, OG 9, 428, Anm. 1; Briskina, Melanchthon und Osiander, 92 f. und Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 213. 246 Osianders Schrift »Bericht und Trostschrift« von 1551 ist gedruckt in OG 9, 521–530, Nr. 434. Hinweise auf seine Kritik an Melanchthon finden sich in den Briefen von Sabinus an Melanchthon 10. 3. 1551 [MBW 6015; Bindseil, Epistolae, 315 f., Nr. 348]: »libellum Osiandri, quo et fama tua crudelissime laceratur«; »Nec satis mirari possum, quid istum Thersiten impulerit, ut atrocius in te debaccharetur« (zum negativen Verständnis der Person des Thersites Melanchthons »Liber de anima« von 1553 [CR 13, 87]); von Fabricius an Melanchthon 4. 4. 1551 [MBW 6045; Clemen, Briefe an Melanchthon, 550 f.; hier 550]; von Melanchthon an Albrecht von Preußen 1. 5. 1551 [MBW 6072; CR 7, 775 f., Nr. 4885; hier 776]; von Albrecht von Preußen an Melanchthon 13. 7. 1551 [MBW 6131; Regest bei Scheible, MBW R 6, 180] und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 274. 247 Osianders Schrift »Etliche schöne Sprüche von der Rechtfertigung des Glaubens des . . .
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einigen Mittler«.248 Als Melanchthon Anfang 1552 auf die vielfach geäußerte Bitte hin eine Antwort auf Osianders Bekenntnis herausgab,249 antwortete Osiander mit seiner »Widerlegung der ungegrundten unverdienstlichen Antwort Philippi Melanthonis« und kritisierte Melanchthon erneut aufs heftigste,250 was dazu führte, daß Melanchthon die Schrift, noch bevor er sie in Händen hielt, als »Aderlassen« bezeichnete.251 Nach langen Überlegungen antwortete Melanchthon Osiander im Oktober ein weiteres Mal und verschickte die Schrift im November.252 Osiander konnte die Schrift allerdings nicht mehr zu Kenntnis nehmen, da er am 17. Oktober gestorben war.
Martin Luther« vom 21. 3. 1551 ist gedruckt in OG 9, 583–601, Nr. 4 48; vgl. die Vorrede 583, Z. 8 –584, Z. 21. 248 Osianders Bekenntnis »Von dem einigen Mittler Jesu Christo und Rechtfertigung des Glaubens« vom 9. 7. 1551 ist gedruckt in OG 10, 78–300, Nr. 488; vgl. dazu Schulz, OG 10, 49 ff. und Briskina, Melanchthon und Osiander, 145 ff. Hinweise auf die darin enthaltene Kritik finden sich in den Briefen von Melanchthon an Baumgartner 28. 10. 1551 [MBW 6246; CR 7, 854, Nr. 4978] und an Osiander ca. 1. 1. 1552 [MBW 6294; MSA 6, 452–461; hier 453, Z. 8 f.] (vgl. zur Identifizierung der dort genannten Schrift Scheible, MBW R 6, 245) und im Brief von Bugenhagen, Furster und Eber an Georg von Anhalt 17. 1. 1552 [Bugenhagen-BW, 510–514, Nr. 257; hier 511]. 249 Melanchthons »Antwort auf das Buch Herrn Andreae Osiandri von der Rechtfertigung des Menschen« ca. 1. 1. 1552 (MBW 6294) ist gedruckt in MSA 6, 452–461, Nr. 9 ; vgl. dazu Briskina, Melanchthon und Osiander, 192 ff. 250 Osianders Schrift »Widerlegung der ungegrundten unverdienstlichen Antwort Philippi Melanthonis . . . Wider mein Bekantnus zu Witteberg ausgangen« von 1552 ist gedruckt in OG 10, 571–670, Nr. 522; vgl. dazu Schulz, OG 10, 565–567; Briskina, Melanchthon und Osiander, 214 ff. und Hinweise auf die neuerliche Kritik in Melanchthons Briefen an Meienburg 5. 4. 1552 [MBW 6401; CR 7, 975, Nr. 5086]; an Maior 17. 4. 1552 [MBW 6417; CR 7, 984 f., Nr. 5099; hier 985]; an Hardenberg 1. 5. 1552 [MBW 6429; CR 7, 989 f., Nr. 5106; hier 990]; an Vincentius 13. 5. 1552 [MBW 6448; CR 7, 1005 f., Nr. 5123; hier 1006]; an Mithoff 23. 5. 1552 [MBW 6453; CR 7, 1008, Nr. 5126]; an Maior 1. 6. 1552 [MBW 6461; CR 7, 1009, Nr. 5128]; an Chytraeus 2. 6. 1552 [MBW 6463; CR 7, 1009 f., Nr. 5129; hier 1010]; an Örtel 20. 11. 1552 [MBW 6647; CR 7, 1109 f., Nr. 5238; hier 1110] und an Buchholzer 28. 11. 1552 [MBW 6654; CR 7, 1144 f., Nr. 5275; hier 1144]; ferner in den Briefen von Camerarius an Melanchthon 8. 7. 1552 [MBW 6490; Regest bei Scheible, MBW R 6, 321] und von Fabricius an Meurer 20. 6. 1552 [Fabricius, Epistolae, 83, Nr. 91]. 251 Vgl. Melanchthon an Leib 4. 4. 1552 [MBW 6399; CR 7, 974, Nr. 5085]; an Baumgartner [MBW 6402; CR 7, 975 f., Nr. 5087; hier 976]; an Besold [MBW 6403; CR 7, 976 f., Nr. 5088; hier 977]; an Camerarius 6. 4. 1552 [MBW 6404; CR 7, 981, Nr. 5094] und an Georg von Anhalt 10. 4. 1552 [MBW 6412; CR 7, 980 f., Nr. 5093; hier 980]; zur Identität der »Widerlegung« Osianders mit der aus den genannten Briefen erschlossenen Schrift »Aderlassen Philippi« (Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 114) Scheible, MBW R 6, 287. 252 Melanchthons »Oratio, in qua refutatur calumnia Osiandri« ist gedruckt in CR 12, 5–12, Nr. 132; vgl. dazu Melanchthon an Maior 1. 6. 1552 [MBW 6461; CR 7, 1009]; an Hardenberg 3. 7. 1552 [MBW 6484; CR 7, 1019 f., Nr. 5142; hier 1019]; an Calvin 1. 10. 1552 [MBW 6576; CR 42, 368 f., Nr. 1656; hier 369]; an Hardenberg 26. 10. 1552 [MBW 6616; CR 7, 1115 f., Nr. 5247; hier 1116] und an Culmann 11. 12. 1552 [MBW 6669; CR 7, 1150– 1152, Nr. 5281; hier 1151 f.]; zudem Schulz, OG 10, 567–570 und Briskina, Melanchthon und Osiander, 243 ff.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Die Inhalte der Kritik Osianders waren folgende: Zum einen verdächtigte er Melanchthon, er habe seine Schüler in Königsberg gegen ihn aufgehetzt.253 Zum anderen griff er Melanchthon auf inhaltlicher Ebene an: Seine Kritik richtete sich in erster Linie gegen Melanchthons Darstellung der Rechtfertigungslehre und entzündete sich ähnlich wie die Kritik des Cordatus 1536 an Aussagen Crucigers, konkret an seiner Auslegung des Johannesevangeliums von 1546, hinter der Osiander (zu Recht) Melanchthon als Autor vermutete. In seiner Schrift »Bericht und Trostschrift« untersuchte Osiander diese Auslegung in allen Einzelheiten und bemängelte, daß die ihm selbst so wichtigen Stellen über die Einwohnung der göttlichen Natur Christi in den Gläubigen nicht behandelt würden und Aussagen zur dadurch zustandekommenden Erneuerung fehlten.254 An anderer Stelle warf er Melanchthon vor, seine Darstellung der Rechtfertigungslehre widerspreche Luther in allen Teilstücken und er habe von der lutherischen Lehre lediglich die beiden Worte fide iustificemur beibehalten.255 Schließlich hielt er Melanchthon in seiner Schrift »Bericht und Trostschrift« vor, einige seiner Aussagen könnten schwärmerisch und ketzerisch gedeutet werden, das heißt konkret seine Aussagen zum Abendmahl zwinglianisch und seine Verwendung des Begriffs »Neugeburt« im Sinne der Wiedertäufer.256 Aus all diesen Beobachtungen zog Osiander den Schluß, Melanchthon sei – verführt und geblendet durch seine Philosophie – nach dem Tod Luthers von dessen Lehre abgefallen, wenn er sie überhaupt jemals richtig verstanden bzw. angenommen habe, und befinde sich nun in der Nähe des Teufels. Diese Vorwürfe 253 Vgl. die Zurückweisung dieser Kritik im Brief von Melanchthon an Osiander 1. 5. 1551 [MBW 6075; CR 7, 778 f., Nr. 4886; hier 779]. 254 Crucigers »Enarratio in Evangelium Ioannis« von 1546 findet sich in CR 15, 7–440 und wird auch von Bretschneider, CR 15, 1/2 als Werk Melanchthons angesehen. Vgl. zur Kritik Osianders »Bericht und Trostschrift« [OG 9, 526 f.] und dazu Schulz, OG 9, 520; zur Zurückweisung derartiger Kritik Melanchthons Briefe an Besold 22. 1. 1551 [MBW 5985; CR 7, 726 f., Nr. 4844]; an Moibanus Ende November / Anfang Dezember 1551 [MBW 6268; CR 8, 608–612, Nr. 5872; hier 609] und an Osiander ca. 1. 1. 1552 [MBW 6294; MSA 6, 456, Z. 10 ff.]. 255 Vgl. Osiander an Besold 21. 2 . 1551 [OG 9, 553–556, Nr. 4 41; hier 554, Z. 1 ff.] und die Zurückweisung derartiger Kritik im Brief von Melanchthon an Osiander ca. 1. 1. 1552 [MBW 6294; MSA 6, 454, Z. 26 ff.]. 256 Vgl. Osianders »Disputatio de iustificatione« [OG 9, 442, These 70]: »Et quisquis hanc iustificationis nostrae rationem non tenet, quicquid profiteatur ore, certum tamen est eum esse Zvinglianum in corde«; »Bericht und Trostschrift« zum Abendmahl [OG 9, 527, Z. 18 ff.; bes. 528, Z. 11 f.]: »Wer da des Zwinglis gifft und ketzerey nicht reucht, der hat kein nasen«; zum Begriff »Neugeburt« [528, Z. 13 ff.]: »er [sc. Cruciger] . . . schreibt, es seien viel in die christliche gemein eingemischt, die nicht neugeborn seien, welchs gar starck fur die widerteuffer lautet, denn man leidet ja kein ungetaufften unter der christlichen gemein«; [529, Z. 7 f.]: »Das aber imand solt getaufft und doch nicht neugeborn sein, das ist on mittel widerteufferisch und eben der widerteuffer heubtirthumb« und das umfassende Urteil [529, Z. 26 f.]: »seine [sc. Melanchthons] jünger . . . ir irthum, schwermerey und ketzerey von im gelernet haben«; dazu auch Schulz, OG 9, 520 und Hardenbergs Brief an Melanchthon November / Dezember 1551 [MBW 6269; Regest bei Scheible, MBW R 6, 235].
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illustrierte und konkretisierte er durch den Vergleich Melanchthons mit Judas, die Bezeichnung Melanchthons und seiner Schüler als Affen (simii / simiae) – denen sprichwörtlich nachgesagt wurde, sie handelten töricht, ahmten alles nach und verdürben das Werk anderer, und die man deshalb mit dem Teufel in Verbindung brachte –, und ihre Charakterisierung als Apostaten, die vom Glauben Christi zu Teufelslehren abgefallen seien,257 und durch ihre Kennzeichnung als Vertreter des Teufels (manicipia Sathanae). Aufgrund dessen riet er zum Beispiel seinem Schwiegersohn, dem Nürnberger Prediger Hieronymus Besold (1522–1562), sich von den Büchern eines für die Kirche so schädlichen Mannes (pestilens homo) wie Melanchthon fernzuhalten.258
6.2 Weitere Kritiker Außer von Osiander wurde Melanchthon im Zuge der Osiandrischen Streitigkeiten auch von anderer Seite kritisiert, insbesondere wegen seiner Antwort an Osiander: Der Coburger Arzt Christoph Stathmion (ca. 1509–1585) bezeichnete Melanchthons Schrift in einem Brief an ihn 1552 als zu mild.259 Gallus warf Melanchthon vor, er habe in seiner Schrift den Irrtum Osianders nicht kenntlich gemacht und einiges geschrieben, was dieser als Zustimmung zu seiner Lehre interpretieren könne.260 Und im Jahr 1558 tadelte auch Flacius, der in diesem Punkt theologisch einer Meinung mit Melanchthon war,261 dessen Zurückhaltung im Osiandrischen Streit.262
257 Vgl. Osianders »Bericht und Trostschrift« [OG 9, 529, Z. 27 ff.]; »Etliche schöne Sprüche« [OG 9, 583, Z. 8 ff.] und »Von dem einigen Mittler [OG 10, 158, Z. 17 ff. und 280, Z. 7 ff.]; zudem Hinweise in Melanchthons Briefen an Besold 22. 1. 1551 [MBW 5985; CR 7, 726 f., Nr. 4844; hier 726] und an Korte 25. 3. 1551 [MBW 6031; CR 7, 756 f., Nr. 4868; hier 757] und im Brief von Bugenhagen an Albrecht von Preußen 9. 5. 1552 [Bugenhagen-BW, 524–528, Nr. 262; hier 526]. Die Bezeichnung als Affe traf auch Besold; vgl. seinen Brief an Melanchthon 25. 2 . 1551 [MBW 6004; Clemen, Briefe von Dietrich und Besold, 504 f.; hier 505]; zum Verständnis der Affen TPMA 1, 44 und 46 und Luther in einer Tischrede 7.–24. 8. 1540 [WA Tr 4, 687, Nr. 5158]. 258 Vgl. Osiander an Besold 21. 2 . 1551 [OG 9, 553, Z. 4 f. und 554, Z. 5 ff.]. 259 Vgl. Stathmion an Melanchthon 20. 4. 1552 [MBW 6422; Regest bei Scheible, MBW R 6, 296]. 260 Vgl. den Bericht über Gallus’ Kritik im Brief von Flacius an Westphal 23. 1. 1553 [Sillem, Briefsammlung 1, 140–142, Nr. 81; hier 141, Z. 31 ff.]. 261 Vgl. Iliæ, Praeceptor Humanissimus, 74 f. 262 Vgl. Hinweise auf diese Kritik in Melanchthons Brief an Jonas d. J. 5. 1. 1558 [MBW 8486; CR 9, 425 f., Nr. 6439]: »Recens editio βλάκικου me tanquam transfugam accusat, quod non satis atrociter oppugnarim Osiandrum« und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 306; zudem unten Kap. 11.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 7: Kritik der Flacianer an der »Confessio Saxonica« von 1551 Während des Augsburger Reichstags im Sommer 1550 berief Papst Julius III. (1487–1555) das unterbrochene Konzil auf den 1. Mai 1552 nach Trient zurück und sprach die Hoffnung aus, daß auch die protestantischen Stände dort erscheinen würden. Die Mehrheit der beim Reichstag versammelten Stände war mit diesem Plan einverstanden und erklärte sich bereit, das Konzil zu beschicken. Anfang April 1551 erging ein Mandat an die evangelischen Fürsten, das sie aufforderte, ihre Theologen nach Trient zu entsenden, Rechenschaft über ihre Lehre abzulegen und die Gründe ihrer Absonderung von der römischen Kirche darzulegen.263 Kurfürst Moritz von Sachsen beschloß nach Beratungen mit seinen Räten und Theologen, das Konzil zu beschicken, wobei die Gesandten gegen die bisherigen Dekrete protestieren und eigene Artikel vorlegen sollten. Auch Melanchthon war der Ansicht, daß man das Konzil beschicken solle und die neue Lehre gemäß dem Augsburger Bekenntnis offen vertreten müsse. Ende April erhielt er vom Kurfürsten den Auftrag, eine entsprechende Erklärung der CA auszuarbeiten. Um in Ruhe arbeiten zu können, begab sich Melanchthon gemeinsam mit seinem Vertrauten Camerarius nach Dessau zu Fürst Georg von Anhalt und arbeitete die »Confessio Augustana« von 1530 entsprechend den Bedürfnissen der gegenwärtigen Situation um – es entstand die sogenannte »Confessio Saxonica«. Diese wurde am 9. Juli 1551 von den in Wittenberg versammelten Leipziger Professoren und sächsischen Superintendenten einstimmig angenommen. In der Folge schickten auch die Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin (1513–1571) und Georg Friedrich von Brandenburg-Ansbach (1539–1603), die Grafen von Mansfeld und Herzog Philipp I. von Pommern (1515–1560) ihre Theologen nach Wittenberg, um das Bekenntnis zu unterschreiben. Zudem schloß sich die Stadt Straßburg dem Bekenntnis an.264 Kurfürst Moritz hielt an seinem Entschluß zur Beschickung des Konzils fest und wies daher Anfang Dezember 1551 Melanchthon und Maior an, sich für eine Reise nach Norditalien bereitzuhalten. Ende des Monats traten die beiden Theologen ihre Reise nach Trient an. Sie machten zunächst in Nürnberg Station, um dort auf weitergehende Instruktionen ihres Kurfürsten zu warten. Als aber weder die Unterwerfung des Papstes unter das Konzil noch sicheres Geleit für die Theologen erreicht werden konnte und Kurfürst Moritz sich zudem dem Fürstenbund anschloß und gegen Kaiser Karl V. zog, kehrten die Theologen im März 1552 unverrichteter Dinge nach Wittenberg zurück.265 263 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 280; Stupperich, MSA 6, 80; Bizer, Reformationsgeschichte, 158 und Rabe, Deutsche Geschichte, 430. 264 Vgl. Maior an Jonas 14. 7. 1551 [CR 7, 809, Nr. 4924]; Camerarius, De vita Melanchthonis, 284 f.; Issleib, Interim, 234 und Stupperich, MSA 6, 80 f. Die »Confessio Saxonica« ist gedruckt in MSA 6, 81–167, Nr. 3. 265 Vgl. Moritz von Sachsen an Melanchthon und Maior 3. 12. 1551 [MBW 6270; CT 7/3,
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Der kursächsische Plan, das Konzil zu beschicken, und die in diesem Zusammenhang entstandene »Confessio Saxonica« riefen in den kommenden Monaten bei den Flacianern heftige Kritik hervor.266 Amsdorf hielt zunächst allen protestantischen Ständen vor, daß sie sich dem Konzil unterworfen hätten. Dies war seiner Ansicht nach unmöglich, da es sich aufgrund der anwesenden Personen um kein allgemeines Konzil handelte. Den Kursachsen warf er vor, daß sie durch ihren Beschluß, das Konzil zu beschicken und sich mit dem Papst zu vergleichen, den Papst hofierten und zum Ausdruck brächten, man solle neben der reinen Lehre des Evangeliums auch dem Papst und damit dem Antichristen gehorsam sein. Er hielt Melanchthon und seinen Kollegen vor, daß sie die damit gegebene Verleugnung Christi mithilfe von Worten menschlicher Vernunft und Weisheit verschleierten. An der »Confessio Saxonica« kritisierte er insbesondere die seiner Ansicht nach fehlenden Aussagen zum Verständnis des Papstes als Antichrist.267 Auch Flacius und Gallus kritisierten Melanchthon wegen der »Confessio Saxonica«, in der sie keineswegs eine Wiederholung der »Confessio Augustana« von 1530, sondern einen Abfall von ihr sahen.268 Insbesondere mißfiel ihnen wohl der Abschnitt über das weltliche Amt, wo Melanchthon die äußerliche Gerechtigkeit von der inneren Neuwerdung unterschieden hatte.269
439 f., Nr. 317]; Camerarius an Joachim von Anhalt 18. 2 . 1552 [Clemen, Beiträge zu sächsischen Gelehrtengeschichte, 132]; Bugenhagen an Christian III. von Dänemark 22. 3. 1552 [Bugenhagen-BW, 521]; Issleib, Interim, 235 f. und Stupperich, MSA 6, 81. 266 Vgl. den Hinweis auf diese Kritik in Melanchthons Vorrede zum »Corpus doctrinae« vom 16. 2 . 1560 [MBW 9236; MSA 6, 5–11; hier 8, Z. 26 f.]. 267 Vgl. Amsdorf an Johann Friedrich von Sachsen 11. 11. 1551 [von Druffel, Beiträge 1, 796–799, Nr. 807; hier 798]; an von Minkwitz 16. 12. 1551 [Regest bei von Druffel, Beiträge 1, 860 f.] und 23. 1. 1552 [von Druffel, Beiträge 2, 52 f., Nr. 932; hier 52]; zudem seine Schriften von 1551 »Erinnerung an die Deutschen« [Amsdorf, Ausgewählte Schriften, 56–58] und »Das itzund die rechte Zeit sey«, A 2a f. 268 Vgl. die Kritik in den Briefen von Flacius an Westphal 23. 1. 1553 [Sillem, Briefsammlung 1, 140–142, Nr. 81; hier 141, Z. 46 ff.] und von Gallus an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 932]: »discessissetis ab ea confessione [sc. Augustana]«. Hinweise auf die Kritik finden sich auch in Melanchthons Brief an Flacius 4. 9. 1556 [MBW 7945; CR 8, 839–844, Nr. 6067; hier 843] und in seiner Antwort auf das Vorbringen der flacianischen Gesandten vom 21. 1. 1557 [MBW 8097; CR 9, 33–35, Nr. 6164; hier 35]; zudem im Brief von Ursinus an Crato 4. 2 . 1557 [Gillet, Crato 2, 467–469, Nr. 11; hier 468]. 269 Der Abschnitt der »Confessio Saxonica« »De magistratu« findet sich in MSA 6, 161– 164; vgl. bes. 162, Z. 27 ff.: »aliud est politica gubernatio, quae cohercet omnes etiam non renatos, aliud remissio peccatorum, et iusticia in cordibus, quae est inchoatio vitae et salutis aeternae, quae voce Evangelii fit in credentibus«; zur Kritik daran Melanchthons Briefe an Chytraeus 7. 2 . 1557 [MBW 8129; CR 9, 85 f., Nr. 6190; hier 86] und an Johann Albrecht von Mecklenburg 25. 2 . 1557 [MBW 8137; CR 9, 103–105, Nr. 6198B; hier 105].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 8: Kritik an Melanchthons Haltung im Streit um das Abendmahl Im Jahr 1552 entbrannte zwischen Vertretern der Schweizer Reformation und verschiedenen Lutheranern der sogenannte zweite Abendmahlsstreit.270 Melanchthon ließ sich nicht für ein öffentliches Eingreifen gewinnen und versuchte, sich aus dem Streit weitgehend herauszuhalten. Trotzdem oder gerade deshalb erntete er von allen Seiten Kritik.
8.1 Kritik aus dem reformierten Lager Vor allem Calvin und Bullinger waren über die Zurückhaltung Melanchthons sehr enttäuscht und gingen ihn deshalb in den 1550er Jahren immer wieder heftig an. Der Abstand vergrößerte sich noch, als Melanchthon beim Wormser Religionsgespräch 1557 gemeinsam mit anderen eine Erklärung unterschrieb, die sich auch von Zwingli distanzierte.271 Calvin und Bullinger hielten ihm allzu langes Schweigen (taciturnitas), Unentschiedenheit (ambiguitas, flexibilitas) und Zögerlichkeit (tarditas, lentitudo, segnitas) vor, unterstellten ihm als Motive dafür, er sehne sich nach Muße (otium), sei ängstlich (timidus), kleinmütig (pusillo animo) und schwach (mollis). Weiter warfen sie ihm vor, er leiste durch seine Abendmahlslehre den Katholiken Vorschub und unterstütze und verschlimmere durch seine Haltung die der Kirche schädlichen Angriffe der lutherischen Gegner gegen die Reformierten.272 270
Vgl. Staedtke, Abendmahl, 107 und Kaufmann, Abendmahl, 27. Vgl. die von Melanchthon, Brenz u. a. unterzeichnete Protestation an den Präsidenten des Religionsgesprächs Julius Pflug vom 21. 10. 1557 [MBW 8403; CR 9, 349–354, Nr. 6384; hier 352]. 272 Vgl. Calvin an Melanchthon 27. 8. 1554 [MBW 7273; CR 43, 215–217, Nr. 2000; hier 216]; 5. 3. 1555 [MBW 7424; CR 43, 488 f., Nr. 2139; hier 489]; 3. 8. 1557 [MBW 8293; CR 44, 556–558, Nr. 2677; hier 557] und 19. 11. 1558 [MBW 8782; CR 45, 384–386, Nr. 2985; hier 386]: »in coenae quidem controversiae non modo inimici mollitiem tuam, quam vocant, calumniose traducunt: sed optimi quoque amici et qui te colunt . . ., cuperent clarius fulgere ignem zeli tui, cuius tenues scintillas despiciunt, adeoque calcant barbari isti gigantes«; zudem Calvin an Farel 27. 11. 1554 [CR 43, 321 f., Nr. 2052; hier 321]; an Bullinger Mitte Oktober 1555 [CR 43, 829–836, Nr. 2329; hier 835]: »De Philippo tibi assentior, lentum esse ac timidum, et otio suo consulere«; 31. 8. 1557 [CR 44, 594–596, Nr. 2695; hier 595]: »Philippus, quem sua timiditas non patitur libere proferre quod sentit«; 23. 2. 1558 [CR 45, 60–62, Nr. 2813; hier 61]: »Infelix colloquii Wormaciensis exitus non adeo me conturbat, quam mihi odiosa est ac molesta Philippi lenitas. Etsi enim quam flexibilis ac mollis semper fuerit non eram oblitus, ac sciebam nunc quoque nimis esse timidum ac segnem, longius tamen prolapsus est quam essem suspicatus« und 22. 5. 1558 [CR 45, 173–175, Nr. 2873; hier 173]; zudem den Rückblick in Calvins Schrift »De vera participatione« von 1561, in der er Melanchthon direkt ansprach [CR 37, 462]: »animosior fuisses ad obeunda certamina«; ferner Bullinger an Melanchthon 30. 3. 1559 [MBW 8909; Bindseil, Epistolae, 444–451, Nr. 455; hier 446 f.] und den Hinweis auf derartige Kritik in Melanchthons Brief an G. Cracow 5. 2 . 1560 [MBW 9220; CR 9, 1041, Nr. 6920]. 271
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Auch Hardenberg, der in Bremen eine von Bucer beeinflußte Abendmahlslehre durchzusetzen versuchte, kritisierte Melanchthons Neutralität 1556 in einem Brief an den Emdener Bürgermeister Peter Medmann (1507–1584) und betonte, Melanchthon habe sich seine Bedrängnis zum Teil selbst zu verdanken, da er Freund und Feind entgegenkommen wolle.273 Hardenberg scheint seine Kritik später erneuert und wohl ähnlich wie Calvin und Bullinger Melanchthons Zurückhaltung kritisiert zu haben.274
8.2 Kritik aus dem lutherischen Lager 275 Ähnlich wie die Vertreter der Schweizer Reformation, allerdings aus anderen Gründen waren auch viele Lutheraner mit Melanchthons Haltung im Abendmahlsstreit keineswegs einverstanden und äußerten daher in den 1550er Jahren heftige Kritik an Melanchthon, die zum einen sein Schweigen, zum anderen aber auch die Inhalte seiner Abendmahlslehre betraf. 8.2.1 Kritik an Melanchthons Schweigen Flacius hielt Melanchthon vor, daß er aus Freundschaft zu Hardenberg nicht über das Abendmahl streite.276 Gallus kritisierte Melanchthons Schweigen, weil es seiner Ansicht nach die (falschen) Aussagen der Zwinglianer hinsichtlich eines Konsenses in der Abendmahlsfrage bekräftigte.277 Und es war wohl genau diese Unzufriedenheit, die Gallus 1554 dazu veranlaßt hatte, Aussagen Melanchthons über das Abendmahl aus dem Jahr 1530 heranzuziehen und mit einer Melanchthon-kritischen Vorrede versehen neu herauszugeben – in der Hoffnung, Melanchthon dadurch zu einer Stellungnahme im Sinne der lutherischen Abendmahlslehre und gegen die Zwinglianer bewegen zu können.278
273
Vgl. Hardenberg an Medmann 8. 8. 1556 [Janse, Hardenberg, Nr. 187; noch nicht gedruckt] und dazu Janse, a. a. O., 303. 274 Vgl. Melanchthon an Hardenberg 12. 1. 1560 [MBW 9196; CR 9, 1029 f., Nr. 6908; hier 1029]: »Epistola tua . . . iracunde scripta fuit. Meam contationem seu moderationem accusas«. 275 Vgl. zu weiterer Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre unten Kap. 11, 13, 14, 15 und 18. 276 Vgl. Melanchthon an Hardenberg 7. 9. 1556 [MBW 7946; CR 8, 845, Nr. 6069]. 277 Vgl. zu Gallus’ Kritik Melanchthons Brief an ihn 1. 12. 1556 [MBW 8042; CR 8, 916] (zum Bezug dieser Stelle auf das Abendmahl Scheible, MBW R 7, 518) und Gallus’ Antwort 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 934]; zu Behauptungen der Reformierten hinsichtlich eines Konsenses z. B. Battus an Westphal Juni 1556 [Sillem, Briefsammlung 1, 225–228, Nr. 122; hier 226, Z. 37 f.] und Magdeburg an Westphal 19. 10. 1558 [Sillem, a. a. O., 328 f., Nr. 177; hier 329, Z. 21 ff.]. 278 Vgl. Gallus’ Schrift »Sententiae veterum aliquot scriptorum, de coena Domini . . . a Philippo Melanchtone Anno 1530« mit der Vorrede vom 1. 1. 1554 (VD 16 M 4222; Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 126a) und dazu Melanchthon an Gallus 1. 12. 1556 [MBW
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8.2.2 Inhaltliche Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre Melanchthons Schweigen im Abendmahlsstreit, verbunden mit einigen seiner Aussagen zum Abendmahl, der Behauptung verschiedener Reformierter, Melanchthon stehe auf ihrer Seite, und der von reformierter Seite an ihn herangetragenen Bitte, er möge sich als Schiedsrichter zur Verfügung stellen,279 all dies führte dazu, daß Melanchthon schließlich auf seiten der Lutheraner als Calvinist verdächtigt 280 und auch in bezug auf die Inhalte seiner Abendmahlslehre angegriffen wurde. 8.2.2.1 Flacius, Gallus, Lauterwald und Battus Als sich Melanchthon im Sommer 1556 für einen Theologenkonvent einsetzte, bei dem verschiedene Streitfragen beraten werden sollten, scheint Flacius verbreitet zu haben, Melanchthon sei nur deshalb für eine solche Zusammenkunft, weil er das Luthertum an die »Sakramentierer« verraten wolle.281 Auch Gallus schloß sich Ende 1556 der inhaltlichen Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre an und warf ihm vor, er sei ein Gegner der Realpräsenz.282 Inhaltliche Kritik äußerte zudem Matthias Lauterwald (1520 – nach 1551), der einst ein eifriger Schüler Melanchthons gewesen war und mittlerweile als Prediger in Ungarn arbeitete.283 Und Bartholomäus Battus der Ältere (1515–1559) aus
8042; CR 8, 916] und Gallus’ Antwort 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 934]: »Nec iure mihi succenses depellenti has suspiciones editione veteris nobiscum consensus«. 279 Vgl. z. B. Perrucel an Melanchthon 15. 10. 1556 [MBW 7992; CR 44, 307–309, Nr. 2543; hier 307]. 280 Vgl. zum Verdacht des Calvinismus Melanchthon an Bullinger 20. 8. 1555 [MBW 7558; CR 8, 523 f., Nr. 5827]; Stigel an Melanchthon 1. 12. 1555 [MBW 7656; CR 8, 621, Nr. 5883]: »praebetur occasio multis, ut suspicentur, te eius [sc. Calvini] opinionem prorsus sequi et amplecti«; Christoph von Württemberg an Ottheinrich von der Pfalz 15. 10. 1556 [Regest bei Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph 4, 190 f., Nr. 162; hier 191] und 19. 2 . 1558 [zitiert nach Kugler, Christoph 2, 164]: »in Wittenberg und Leipzig sollen sich allerlei Disputationes über die Allenthalbenheit Christi erhalten, daß zu besorgen, es möchte ein subtiler Calvinismus daselbst einschleichen, dessen Philippus auch im Verdacht sein soll«; Runge an Melanchthon 7. 1. 1558 [MBW 8489; Vogt, Schreiben von Pommern, 17–21; hier 18]; Delius an Melanchthon 2. 4. 1558 [MBW 8575; Regest bei Scheible, MBW R 8, 212 f.; hier 213] und Buchholzer an Melanchthon 9. 7. 1559 [MBW 8996; Kawerau, Agricola, 347–349, Nr. 9 ; hier 348]. 281 Vgl. Languet an Melanchthon 18. 9. 1556 [MBW 7595; Krause, Melanchthoniana, 154–157, Nr. 65; hier 156]: »Illyricus scribit ad suos, te expetere conventum, ut eorum causam sacramentariis prodas«. 282 Vgl. Gallus an Melanchthon 9. 11. 1556 [MBW 8017; CR 8, 900 f.] und 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 934] und seine Schriften »Thema depravationum Augustanae Confessionis« von 1560 (Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 235) und »Wächterstimme« von ca. 1560 (Hammer, a. a. O., Nr. 235a), B 4b –C 3a; zu weiterer Kritik von Gallus an Melanchthons Abendmahlslehre unten Kap. 8.2.2.4. 283 Vgl. Melanchthon an Mathesius 18. 2 . 1555 [MBW 7415; CR 8, 435 f., Nr. 5742; hier 436]; zu Lauterwald Wagenmann, Lauterwald, 79.
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Lübeck empfand wie viele andere auch Melanchthons Aussagen zum Abendmahl als zu kurz und daher unklar und mißverständlich.284 8.2.2.2 Joachim Westphal Im Jahr 1557 reihte sich auch Westphal erneut unter die Kritiker Melanchthons, wohl veranlaßt durch Gallus’ Schrift mit Aussagen Melanchthons zum Abendmahl. Er war ein eifriger Verteidiger der lutherischen Abendmahlslehre gegen die Reformierten und hatte sich deshalb bereits 1553 in einen Streitschriftenwechsel mit Calvin eingelassen.285 Da Calvin in seinen Schriften unter anderem Melanchthon für seine Abendmahlslehre in Anspruch nahm, hatte Westphal 1556 ähnlich wie Gallus eine Sammlung von Aussagen Melanchthons zum Abendmahl zusammengestellt, die Melanchthon vom Vorwurf des Calvinismus freisprechen und an seine eigene Meinung erinnern sollten. Er hatte wohl gehofft, Melanchthon zu einer eindeutigen Erklärung seiner Position veranlassen zu können.286 Zudem bat Westphal die Ministerien und Theologen der niedersächsischen Städte um ihr Bekenntnis zum Abendmahl und gab kurze Zeit später die erhaltenen Schreiben in einer Schrift heraus.287 Als Melanchthon sich nicht äußerte, scheint Westphal sich im Mai 1557 explizit gegen seine Abendmahlslehre gewandt und Melanchthons These kritisiert zu haben, außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs gebe es kein Sakrament. Dies hatte Melanchthon eigenen Angaben zufolge 1541 beim Regensburger Religionsgespräch mit der Billigung Luthers gegen Johannes Eck vertreten, was jedoch schon damals kritisiert worden war.288 Nach Auskunft von Melanchthon forderte Westphal zu284 Vgl. Battus an Westphal Juni 1556 [Sillem, Briefsammlung 1, 225–228, Nr. 122; hier 226, Z. 29 ff.]: »legi aliquot opuscula recentius a D. Philippo composita, in quibus certe jejunius (et si liceat dicere) obscurius de coena Domini tractat«; zudem Ursinus an Crato 10. 1. 1557 [Gillet, Crato 2, 462–466, Nr. 9 ; hier 463 f.]: »loquuntur, quasi ea [sc. doctrina de coena Domini] a D. Philippo non satis explicata esset«; »non dubito fateri me . . . discere ex brevitate, quam isti causantur«. »Breviorem esse D. Philippum in hac parte queruntur«. 285 Vgl. Kawerau, Westphal, 186 ff. und von Schade, Westphal und Braubach, 25 ff. 286 Vgl. Westphals Schrift »Philippi Melanthonis sententia de coena Domini, ex scriptis eius collecta« von 1557 (Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 138) mit der Vorrede vom September 1556; vgl. B 8a: constat »Sacramentarios male abuti nomine, patientia & silentio eius [sc. Melanchthonis]«; dazu Kawerau, Westphal, 188; Sturm, Ursin, 67 ff. und von Schade, Westphal und Braubach, 42; zudem Westphal an Beyer 5. 3. 1558 [von Schade, a. a. O., 234–236, Nr. 2 .8; hier 235]: »Defendi illius Viri [sc. Melanchthonis] bonam famam adversus diffamatores . . . a me in Apologiis meis defenditur ex prioribus suis scriptis«; zum Zusammenhang zwischen Gallus und Westphal Hammer, Melanchthonforschung 1, 112. 287 Vgl. die Schrift »Confessio fidei de eucharistiae sacramento, in qua ministri ecclesiarum Saxoniae . . . astruunt corporis et sanguinis Domini nostri Jesu Christi praesentiam in coena sancta« von 1557 (VD 16 W 2274); den Hinweis auf die »a Westphalo corrogatas subscriptiones, quas edidit περὶ ἀρτολατρείας« in Melanchthons Brief an Leib 3. 6. 1557 [MBW 8246; CR 8, 496, Nr. 5799] und Kawerau, Westphal, 188. 288 Vgl. die Hinweise auf Westphals Kritik in Melanchthons Briefen vom 22. 5. 1557 an Buscoducensis [MBW 8226; CR 9, 156, Nr. 6250] und an Christian III. von Dänemark [MBW 8227; CR 9, 156–158, Nr. 6251; hier 157]; an Mathesius 30. 7. 1557 [MBW 8288;
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dem den Erfurter Prediger Andreas Poach (1516–1585) auf, die genannte These Melanchthons zu bekämpfen.289 Verärgert war Westpahl ferner über einen Brief Melanchthons an den Rat der Stadt Frankfurt am Main, in dem dieser dazu geraten hatte, die Gemeinden der Franzosen und Engländer in Frankfurt nicht zu vertreiben, auch wenn sie im Artikel vom Abendmahl nicht der lutherischen Lehre anhingen. Westphal beschuldigte Melanchthon darauf hin, die calvinistischen »Sakramentierer« in mehreren Städten begünstigt zu haben.290 8.2.2.3 Kritik im Zuge des Breslauer Abendmahlsstreits Zacharias Ursin (1534–1583), ein Schüler Melanchthons, der seit September 1558 als Lehrer an der St. Elisabeth-Schule in Breslau arbeitete, geriet 1559 wegen seiner an Calvin orientierten Abendmahlslehre in Streit mit seinem Kollegen Johannes Praetorius (1524–1583) und wurde deshalb einige Zeit später entlassen. Dieser Konflikt ist Teil des sogenannten Breslauer Abendmahlsstreits, der bereits 1556 begann.291 Im Zusammenhang der Auseinandersetzung zwischen Ursin und Praetorius, in die sich Melanchthon einige Mal eingeschaltet hatte, wurden im Sommer 1559 auch Vorwürfe gegen ihn selbst laut, über deren Autoren und Inhalte sich aber nichts Genaueres sagen läßt.292 8.2.2.4 Kritik im Zuge des Heidelberger Abendmahlsstreits Als weiterer Kritiker trat 1559 Heshusen in Erscheinung. Er war Anfang der 1550er Jahre Schüler Melanchthons in Wittenberg gewesen und 1557 auf seine Empfehlung hin Theologieprofessor in Heidelberg geworden, zudem Präsident des Kirchenrates und kurpfälzischer Generalsuperintendent. 1559 – Heshusen war mittlerweile Dekan der theologischen Fakultät – geriet er in Streit mit dem calvinistisch gesinnten Heidelberger Diakon Wilhelm Klebitz (ca. 1533–1568) und offenbarte im sich anschließenden sogenannten Heidelberger AbendmahlsCR 9, 188 f., Nr. 6291; hier 189] und in seinem Gutachten für Mornberger 31. 7. 1559 [MBW 9015; CR 9, 847–850, Nr. 6791; hier 848]; zur Situation und Kritik 1541 oben Abschnitt III, Kap. 13.2. 289 Vgl. Melanchthon an Leib 3. 6. 1557 [MBW 8246; CR 8, 496, Nr. 5799]; an Hardenberg 20. 6. 1557 [MBW 8254; CR 9, 167, Nr. 6264]; an Claviger 2. 7. 1557 [MBW 8263; CR 9, 175, Nr. 6273] und an August von Sachsen Mitte Januar 1558 [MBW 8494; CR 9, 403–411, Nr. 6425; hier 409]. 290 Vgl. Melanchthons Gutachten für den Frankfurter Rat vom 13. 7. 1557 [MBW 8271; CR 9, 179 f., Nr. 6279; hier 180]; zur Kritik Westphals Brief an Beyer 28. 4. 1558 [von Schade, Westphal und Braubach, 238 f., Nr. 2.9; hier 239]: »de authore Epistolae missae ad vestrum Senatum, hoc consilio inquisivi, ut rei veritatem certo cognoscerem et scirem, an idem ille, qui in duabus aliis Civitatibus columna est Sacramentariis, in sua quoque Civitate eos suis consiliis sustentaret« und von Schade, a. a. O., 94 f. 291 Vgl. Bauch, Geschichte des Breslauer Schulwesens, 253 f. 292 Vgl. zum Breslauer Abendmahlsstreit Sturm, Ursin, 129 ff.; zur Kritik an Melanchthon seinen Brief an Philipp von Hessen 28. 7. 1559 [MBW 9012; Regest bei Scheible, MBW R 8, 368 f.; hier 368]: »Intrigen alter Freunde gegen seine Person«.
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streit erstmals seine eindeutig lutherische Haltung in der Abendmahlsfrage.293 Im April 1559 versuchte er, Klebitz’ Promotion zum baccalaureus zu verhindern, allerdings vergeblich. Melanchthon ermahnte seinen ehemaligen Schüler Heshusen zur Friedfertigkeit, erhielt jedoch seinen eigenen Angaben zufolge nur eine hochmütige Antwort.294 Alle Aufrufe an die beiden Kontrahenten zu schweigen blieben wirkungslos, vielmehr eskalierte der Konflikt im Lauf des Sommers so weit, daß Heshusen Klebitz aller geistlichen Ämter enthob und ihn exkommunizieren ließ. Nun griff der pfälzische Kurfürst Friedrich III. (1515– 1576) ein, der erst seit Februar im Amt war, und verlangte ein Bekenntnis von beiden Theologen. Klebitz vertrat eine reformierte Position, Heshusen bekannte sich vorbehaltlos zur Realpräsenz.295 Als es in der Folgezeit zu weiterer Polemik kam, entließ der Kurfürst Mitte September beide Kontrahenten aus ihren Ämtern. Zudem bat er Melanchthon um ein Gutachten über den Heidelberger Abendmahlsstreit. Melanchthon, der über den Streit wohl ziemlich einseitig unterrichtet worden war, verfaßte Anfang November das gewünschte Gutachten – wohl wissend, daß er damit ein gewisses Risko einging. Er billigte das Vorgehen Friedrichs und kritisierte namentlich Heshusen und die beiden Superintendenten von Braunschweig und Mansfeld, Mörlin und Erasmus Sarcerius (1501–1559), in denen er Verbündete Heshusens sah.296 Dieses Gutachten veranlaßte Heshusen zu heftigen Vorwürfen gegenüber Melanchthon, unter anderem in seiner 1559 begonnenen, aber erst 1560 gedruckten Schrift »De Praesentia Corporis Christi In Coena Domini: Contra Sacramentarios«.297 Heshusen äußerte sich enttäuscht darüber, daß sein Lehrer Melanchthon ihn verurteilt hatte, ohne ihn vorher anzuhören,298 wohingegen Melanchthon beklagte, Heshusen habe sich aus Opportunismus von ihm abgewandt.299 Als Heshusen Anfang 1560 aus der Kurpfalz ausgewiesen wurde, verstärkte sich seine Kritik 293 Vgl. zu diesem Streit Melanchthon an Sicke 10. 10. 1559 [MBW 9091; CR 9, 942 f., Nr. 6839; hier 943]; an Runge 18. 10. 1559 [MBW 9103; CR 9, 946 f., Nr. 6845; hier 947] und an Bording 26. 10. 1559 [MBW 9112; CR 9, 952 f., Nr. 6853; hier 953]; zudem Barton, Luthers Erbe, 196 ff. 294 Vgl. Melanchthon an Philipp von Hessen 28. 7. 1559 [MBW 9012; Regest bei Scheible, MBW R 8, 368 f.; hier 368]. 295 Vgl. zu Heshusens Bekenntnis Barton, Bibliographia Heshusiana, 6 f., Nr. 8 und den Abdruck bei Dems., Luthers Erbe, 208–214. 296 Vgl. Melanchthon an Friedrich III. von der Pfalz 1. 11. 1559 [MBW 9119; MSA 6, 484–486; hier 484, Z. 4]: »periculosum est respondere«; zur Kritik an den lutherischen Theologen a. a. O., 484, Z. 33 ff. und 485, Z. 27 ff. 297 Vgl. die Nachweise der Schrift bei Barton, Bibliographia Heshusiana, 7, Nr. 9/10 und im VD 16 H 3102; die Widmungsvorrede vom 20. 10. 1559 bei Barton, Luthers Erbe, 217–221; zur Kritik an Melanchthon seine Briefe an Hardenberg 14. 11. 1559 [MBW 9131; CR 9, 971 f., Nr. 6865; hier 972]: »Heshusius . . . palam me criminatur« und an G. Agricola 23. 11. 1559 [MBW 9141; CR 9, 978 f., Nr. 6874; hier 979]; zudem Frotscher, Heshusen, 37. 298 Vgl. Heshusen an Chytraeus 2. 5. 1560 [von Seelen, Epistolae, 67–77, Nr. 16; hier 72]. 299 Vgl. Melanchthon an G. Agricola 15. 3. 1560 [MBW 9261; CR 9, 1068, Nr. 6950].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
an Melanchthon, da er der Überzeugung war, daß Melanchthons Gutachten für seine Ausweisung verantwortlich war.300 Er war so erbittert, daß er Melanchthons Gutachten herausgab. Er verteidigte sich selbst gegen Melanchthons Anschuldigungen und griff diesen scharf an: Er bezeichnete ihn als einen ausgemachten Schurken (veterator), dem Luther nicht genügt habe und der deshalb immer weiter gesunken sei, bis er schließlich Calvinist geworden sei. Er betonte, er selbst empfinde sich nicht als undankbar gegenüber Melanchthon, vielmehr dulde der rechte Glaube keine Rücksicht; wegen seiner Gefährlichkeit müsse man schließlich auch einen Skorpion zertreten.301 Und die Kritik Heshusens war erst der Anfang: Im Lauf des Jahres 1560 meldeten sich zahlreiche weitere Theologen zu Wort, die Melanchthons Gutachten kritisierten, unter anderem Gallus,302 Amsdorf 303 und Mörlin, der ja in Melanchthons Gutachten wie Heshusen namentlich angegriffen worden war.304 Die Kritik verstummte auch nicht, als Melanchthon am 19. April 1560 starb.305 Das Ausmaß der Kritik veranlaßte Peter Barton († 1935) dazu, Melanchthons Gutachten als zweiten »Brief an Carlowitz« zu bezeichnen 306 . Und diese Vorwürfe waren es auch, die bei Melanchthons Freund Joachim Camerarius den letzten Ausschlag dafür gaben, eine Biographie seines Freundes zu schreiben 300
Vgl. Heshusen an Gallus 1. 1. 1561 [nach Barton, Luthers Erbe, 223 mit Anm. 123]. Heshusens Schrift trägt den Titel »Responsio . . . ad praejudicium Melanthonis de controversia coenae Domini« (VD 16 H 3130; Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 239; Barton, Bibliographia Heshusiana, 8, Nr. 15 ) und erschien erst nach Melanchthons Tod; vgl. dazu Camerarius, De vita Melanchthonis, 350 f. und 354; Frotscher, Heshusen, 43; Hammer, Melanchthonforschung 1, 180 und Wengert, Camerarius, 121. 302 Vgl. Gallus’ Schrift von November 1560 »Iudicium Philippi Melanthonis de Controversia Coenae Domini . . . Cum necessarijs annotationibus« bzw. »Bericht und Rathschlag Philippi Melanthonis Vom streit des heiligen Nachtmals . . . Mit zugethaner notwendiger . . . erinnerung« (VD 16 M 3533 bzw. M 3541; VD 16 G 283 und Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 232 f.); dazu Kolb, Gallus’ Critique, 91, Anm. 14: »the Erinnerung contained Gallus’ sharp critique of Melanchthon’s alterations of his earliest formulations of the doctrine of the Lord’s Supper«. 303 Vgl. die Aussage Amsdorfs in seinem Handschriftennachlaß [»Amsdorffiana«, Fol. 39, 114 zitiert nach Nebe, Reine Lehre, 19]: »Melanchthon . . . war ein sakramentierer, wie sein schrifft an den Pfaltzgraven hart für seinen [sic!] todt aufweist und zeuget« und weitere Stellen bei Nebe, ebd. 304 Vgl. Mörlins Schrift von 1560 »Auff den Bericht und Radtschlag / So unter dem namen des Herrnn Philippi Melanthonis zu Heidelberg gedruckt . . . ist / Antwort und Bericht« (VD 16 M 5864; Hammer, Melanchthonforschung, Nr. 251); seine Briefe an Marshusen 3. 5. 1560, wo er Melanchthon als »Sacramentariorum fautor et instigator« bezeichnete, und 29. 5. 1560, wo er ankündigte: »Ich zerreisse alle seine [sc. Melanchthons] briefe an mich, volo et eius memoriam in corde mei abolitam et extirpatam« [zitiert nach Kaufmann, Konfession und Kultur, 90 f. mit Anm. 100] und an Flacius 24. 6. 1560 [CR 9, 1063, Anm. 2 ]: »Ego . . . huius viri [sc. Melanchthonis] memoriam volo apud me prorsus esse deletam, nec unam apud me literam extare ullius amicitiae«. Vgl. zum Hintergrund der Kritik Mörlins Diestelmann, Mörlin und Melanchthon, 95 ff. 305 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 346. 306 Barton, Luthers Erbe, 222. 301
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und ihn darin gegen die unterschiedlichsten Vorwürfe, die im Lauf seines Lebens gegen ihn erhoben worden waren, zu verteidigen.307 8.2.2.5 Kritik von Herzog Christoph von Württemberg Vorwürfe hinsichtlich seiner Abendmahlslehre erntete Melanchthon im November 1559 auch von Herzog Christoph von Württemberg (1515–1568), der darin von Brenz unterstützt wurde. Nachdem Christoph die neueste Überarbeitung von Melanchthons Kolosserbrief-Kommentar gelesen hatte, nahm er insbesondere an den seiner Ansicht nach unklaren Ausführungen über die Himmelfahrt Christi und dessen Sitzen zur Rechten Gottes Anstoß, weil diese von Calvinisten wie dem Nürtinger Prediger Bartholomäus Hagen, gegen den in Württemberg mittlerweile eine Synode entschieden hatte, als Argument gegen die Realpräsenz angeführt wurden. Herzog Christoph verlangte deshalb von Melanchthon, er solle erklären, daß er die beiden Naturen in Christus nicht voneinander trennen wolle. Hinter dieser Kritik des Herzogs stand wie bei vielen anderen die Angst, Melanchthon könne vollends ins Lager der Calvinisten überlaufen.308
8.3 Zusammenfassung Melanchthons Versuch, sich aus dem Abendmahlsstreit herauszuhalten und sich in seinen Äußerungen zum Abendmahl nicht klar festzulegen, wurde von allen Seiten kritisiert. Die reformierten Kritiker waren enttäuscht, daß er sich nicht klar auf ihre Seite stellte. Die lutherischen Kritiker stießen sich an der Kürze seiner Aussagen, weil sie ihnen unklar und mißverständlich erschienen und Melanchthon daher ihrer Ansicht nach den Eindruck erweckte, er lehne die Realpräsenz ab, und interpretierten seine Zurückhaltung als Unterstützung der »Schwärmer«.
307 Vgl. die häufige Nennung Heshusens in Camerarius’ Biographie »De Vita Melanchthonis« (z. B. 367 und Widmung, XXI); zudem Wengert, Camerarius, 120 f. 308 Melanchthons »Enarratio Epistolae Pauli ad Colossenses« von 1559 findet sich in CR 15, 1221–1294; vgl. dazu Sturm, Ursin, 73 ff.; zur Kritik Christophs von Württemberg seine Briefe vom 3. 11. 1559 an August von Sachsen [Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph 4, 709–711, Nr. 618; hier 709 f.] und an Melanchthon [MBW 9121; Bindseil, Epistolae, 457 f., Nr. 463] und an Pfalzgraf Wolfgang 24. 12. 1559 [Ernst, a. a. O., 719 f., Nr. 633; hier 719]; zudem Melanchthon an G. Cracow 27. 11. 1559 [MBW 9145; Bindseil, Epistolae, 458 f., Nr. 464; hier 459]; an Christoph von Württemberg 28. 11. 1559 [MBW 9147; Bindseil, Epistolae, 459 f., Nr. 465; hier 459] und an Hardenberg 12. 1. 1560 [MBW 9196; CR 9, 1029 f., Nr. 6908; hier 1029]: Dux Wirtembergensis »me atrociter accusat, quod naturas in Christo dirimam«. Zur Situation in Württemberg und der Rolle von Brenz Brecht, Art. Brenz, 176 und Brandy, Christologie, 41 ff.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 9: Kritik an Melanchthon im Zusammenhang der Versuche, Flacius und ihn miteinander auszusöhnen Als sich der Konflikt zwischen den Wittenberger Theologen und den Flacianern immer mehr zuspitzte, versuchten Mitte bis Ende der 1550er Jahre verschiedene Personen und Personenkreise, die beiden Gruppen und ihre Hauptkontrahenten miteinander auszusöhnen – hier sind insbesondere der Vermittlungsversuch Herzog Johann Albrechts I. von Mecklenburg (1525–1576) im Jahr 1556 und die sogenannte Coswiger Handlung im Jahr 1557 zu nennen.309 Als Herzog Johann Albrecht mit seinen Theologen über einen Versuch beriet, Melanchthon und Flacius miteinander auszusöhnen, sprach sich der Rostocker Professor David Chytraeus gegen einen solchen Versuch aus und scheint in diesem Zusammenhang geäußert zu haben, er habe Zweifel, daß eine Einigung zu Lebzeiten von Melanchthon und Flacius überhaupt möglich sei.310 Diese Äußerung war wohl dafür verantwortlich, daß es in der Folgezeit zu abenteuerlichen Gerüchten über die gegen Melanchthon gehegten Absichten der Flacianer kam. Melanchthon wurde berichtet, ein ehemaliger Freund – und damit war Chytraeus gemeint 311 – habe gesagt, Melanchthon müsse vertrieben und vernichtet werden.312 Wohl daran anknüpfend entstand in der Folge das Gerücht, Flacius bzw. die ganze Gruppe seiner Anhänger betreibe Melanchthons Vertreibung aus Wittenberg oder sogar seine Vernichtung.313 309
Vgl. Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 148. Vgl. Chytraeus an Monavius 7. 5. 1581 [Chytraeus, Epistolae, 416–418; hier 417]: »in consessu theologorum actionem illam [sc. actio de concordia] dissuasissem, & nunquam inter Philippum & Illyricum concordiam dum viuerent, vsq[ue] ad extremum diem a nobis constitutum iri, dixissem«. 311 Vgl. Bretschneider, CR 9, 518 f., Anm. *); Preger, Flacius 2, 17 und Scheible, MBW R 7, 456. 312 Vgl. Melanchthon an Languet 15. 7. 1556 [MBW 7890; CR 8, 797–799, Nr. 6031; hier 798]: »Dixit quidam ex veteribus amicis nostris, me opprimendum esse, ne impediam ea, quae ipsi moliuntur« und an Gallus 7. 4. 1557 [MBW 8181; CR 9, 518 f., Nr. 6498; hier 518]; zum Zustandekommen der Gerüchte Chytraeus an Monavius 7. 5. 1581 [Chytraeus, Epistolae, 417]: »Id [sc. meum indicium de concordia] vnus ex collegis & fratribus meis Cainicis, Iscariotes, mutilatum & deprauatum Wittebergam scripserat, me dixisse, Nulam dum viueret Philippus concordiam in Ecclesia futuram esse (omisso scelerate Illyrici, quod coniunxeram nomine). Id postea Peucerus, Voncentius & alii arreptum in varias formas transformatum & exaggeratum disseminarunt. Nullam in Ecclesia concordiam nisi extrincto Philippo operan dam esse: tollendum aut opprimendum esse praeceptorem« und dazu Peucers Vorwort zu seinem »Testamentum Latinum«, A 3b: »Dixit Chytraeus de Philippo, Tollendum eum esse, ne impediat hoc, quod ipsi moliuntur«. Das ungetrübte Verhältnis zwischen Melanchthon und Chytraeus, das aus ihrem regen Briefwechsel dieser Zeit spricht (vgl. zu 1556 MBW 7755, 7781, 7788, 7812, 7863, 7871 7897, 7920, 7977, 8050, 8054 und 8062), weist ebenfalls darauf hin, daß Chytraeus keinesfalls der Meinung war, Melanchthon müsse vernichtet werden. 313 Vgl. Melanchthon an Camerarius 12. 10. 1556 [MBW 7985; CR 8, 866 f., Nr. 6088; hier 867]: »litteras accepi, quae narrant mirabilib[us] technis hoc agi a Flacio, ut hinc expel310
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Dieses Gerücht entsprach zwar nicht den Tatsachen, Flacius und Gallus nahmen die Vermittlungsversuche aber immer wieder zum Anlaß, ihre Kritik hinsichtlich der Umsetzung des »Augsburger Interims« und in bezug auf Melanchthons Lehraussagen zu erneuern.314 Zusätzlich erhoben sie neue Vorwürfe Melanchthons Verhalten betreffend: So warf Flacius Melanchthon zum Beispiel Unbußfertigkeit (impoenitentia) vor.315 Flacius, Gallus, Wigand, Aurifaber, Otto und Judex gaben in einer gemeinsamen Schrift aus dem Jahr 1558 zudem Melanchthon und seinen Wittenberger Kollegen die Schuld für das Scheitern der Vermittlungsbemühungen, da sie diese zurückgewiesen hätten.316 Und Johannes Hachenburg († 1562) aus Erfurt sprach 1557 ein harsches Urteil über Melanchthon aus, indem er die Versuche, Flacius und Melanchthon miteinander auszusöhnen, gegenüber Westphal mit der (natürlich keinesfalls erstrebenswerten) Wiedervereinigung Christi mit dem Teufel bzw. Antichristen verglich.317
Kapitel 10: Kritik von Johannes Freder Im März 1556 berichtete Melanchthon von Kritik des Rügener Superintendenten Johannes Freder (1510–1562), die neben Melanchthon auch Freders Greifswalder Kollegen Jakob Runge (1527–1595) galt.318 Melanchthon sprach nicht über den Inhalt der Kritik, weshalb hier nur Vermutungen angestellt werden können: Es wäre zum einen möglich, daß Freder wie viele andere Lutheraner mit Melanchthons Haltung im Abendmahlsstreit unzufrieden war.319 Wahrlar«; an Besold 26. 6. 1557 [MBW 8260; CR 9, 173–175, Nr. 6272; hier 174]; an Delius 1. 2 . 1558 [MBW 8512; CR 9, 436 f., Nr. 6450; hier 436]; an Mordeisen 4. 11. 1558 [MBW 8767; CR 9, 651, Nr. 6625]; an Hardenberg 14. 11. 1558 [MBW 8778; CR 9, 659 f., Nr. 6634; hier 659] und an Moller 28. 3. 1560 [MBW 9273; CR 9, 1078 f., Nr. 6959; hier 1079] und die Schilderung des Besuchs einiger norddeutscher Theologen bei Melanchthon nach Rehtmeyer, Reformations-Historie, 230. 314 Vgl. dazu oben Kap. 3.2.2.4 und 5. 315 Vgl. Flacius an Melanchthon 16. 9. 1556 [MBW 7955; Bindseil, Epistolae, 588]; zudem die Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den »Frankfurter Rezeß« 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 86–98, Nr. 28; hier 96], in der Melanchthon allerdings nicht namentlich genannt wurde. 316 Vgl. die Schrift der sechs Theologen »Die fürnemste Adiaphoristische jrthumen« von 1558 (VD 16 V 2769), C 1a–C 4a [nach Kolb, Controversia perpetua, 203]. 317 Vgl. Hachenburg an Westphal 26. 1. 1557 [Sillem, Briefsammlung 1, 262 f., Nr. 140; hier 263, Z. 20 f.]: »ego nimis vereor ne conaris Belial Christo reconciliare«; zu dieser Wendung Abschnitt II, Kap. 3.9.3.1, Anm. 713 und oben Kap. 3.2.2.2. 318 Vgl. Melanchthon an Runge 25. 3. 1556 [MBW 7769; CR 8, 723 f., Nr. 5954; hier 724]: »Ante duos menses scripsit ad me rabiose Frederus, te et me praecipue lacerans acerbitate orationis non vulgari«. 319 Vgl. dazu die Äußerungen Freders in seinen Briefen an Westphal Winter 1556/57 [Sillem, Briefsammlung 1, 259 f., Nr. 137; hier 260, Z. 7 ff.] und Dezember 1558 [Sillem, a. a. O., 331–336, Nr. 179; hier 332, Z. 31 f.] und seine Unterschrift unter Mörlins Schrift »Erklerung aus Gottes Wort« von 1561 (dazu unten Kap. 18).
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
scheinlicher ist allerdings, daß es sich um Kritik im Zusammenhang des sogenannten Frederschen Streits über die Frage der Ordination handelte, in den sowohl Runge als Stadtpfarrer und Theologieprofessor als auch Melanchthon durch ein Gutachten der Wittenberger Theologen zuungunsten Freders verwickelt waren und der letztendlich zu Freders Weggang aus Pommern führte.320
Kapitel 11: Kritik im Zuge des Wormser Religionsgesprächs 1557 Als es im September 1557 zu einem Religionsgespräch zwischen Altgläubigen und Protestanten kam, wurde neben anderen Theologen auch Melanchthon als Kolloquent benannt. Flacius und seine Anhänger standen den Verhandlungen von vornherein mit größter Skepsis gegenüber, da sie befürchteten, den Altgläubigen könne ähnlich wie im Jahr 1548 zu viel nachgegeben werden. In der Vorbereitungssitzung der Protestanten Anfang September forderte die sogenannte gnesiolutheranische Partei, die aus Vertretern der sächsischen Herzöge – ihrem Hofprediger Johannes Stössel (1524–1576), dem Jenenser Juristen Basilius Monner (ca. 1500–1566) und den beiden Jenenser Theologen Schnepf und Victorinus Strigel (1514–1571) – und den beiden Superintendenten aus Mansfeld und Braunschweig Sarcerius und Mörlin bestand, die ausdrückliche und namentliche Verdammung aller in den vergangenen Jahren entstandenen Abweichungen von der reinen Lehre Luthers und der »Confessio Augustana invariata«, das heißt des Zwinglianismus, Osiandrismus, Adiaphorismus und Ma iorismus.321 Melanchthon sah in dieser Forderung einen gegen ihn gerichteten Angriff, vor allem in der Frage des Abendmahls und in bezug auf die Adiaphora, und lag damit sicher richtig.322 Zudem machten ihn die Weimarer Theologen für die innerlutherische Uneinigkeit verantwortlich, da er ihrer Ansicht 320
Vgl. zu diesem Streit Harms, Runge, 40 ff. Vgl. die Warnungen des Flacius in seinem Brief an die evangelischen Kolloquenten in Worms vom 9. 8. 1557 [MBW 8299; CR 9, 199–213, Nr. 6301]; zur Forderung der Gnesiolutheraner ihren Bericht für Johann Friedrich II. von Sachsen vom 6. 9. 1557 [Wolf, Geschichte, 330–337, Nr. 45; hier 332]; zudem Melanchthon an Philipp von Hessen 4. 10. 1557 [MBW 8378; CR 9, 323, Nr. 6367]; seine Berichte über das Religionsgespräch von Ende Dezember 1557 [MBW 8468; CR 9, 393–395, Nr. 6416; hier 394] und vom 28. 2. 1558 [MBW 8539; CR 9, 451–456, Nr. 6468; hier 451] und seinen Brief an Johann von Brandenburg-Küstrin 2. 2 . 1558 [MBW 8518; Meyer, Briefwechsel Melanchthons, 312–315, Nr. 6 ; hier 313]; Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 149 und Pfnür, Colloquies. 322 Vgl. Melanchthon an einen unbekannten Adressaten 5. 9. 1557 [MBW 8327; CR 8, 844, Nr. 6068]; seine Rede beim Religionsgespräch vom Nachmittag desselben Tages [MBW 8328; im Bericht von Strigel bei Wolf, Geschichte, 330–337, Nr. 45; hier 333 f.]; seine Briefe an Joachim von Anhalt 6. 9. 1557 [MBW 8329; CR 9, 259–261, Nr. 6333; hier 260] und an Hardenberg 10. 9. 1557 [MBW 8335; CR 9, 264 f., Nr. 6338; hier 265]; zudem Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 717 f.; zu Kritik in bezug auf die Adiaphora auch oben Kap. 3.2.2.4 a). 321
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nach »nicht bereit sei, sein persönliches Versagen einzugestehen«.323 An seiner Rede vor den Kolloquenten kritisierten die vier Jenenser Vertreter vor allem sein Schweigen in bezug auf Osiander, worin sie einen Gunsterweis für Brenz und die anderen württembergischen Vertreter sahen.324 Da sich die Gnesiolutheraner mit ihrer Forderung nicht durchsetzen konnten, verließen sie das Religionsgespräch vorzeitig und bewirkten dadurch den Abbruch der Verhandlungen.325
Kapitel 12: Vorwürfe von Justus Velsius Im Jahr 1558 wurde Melanchthon von Justus Velsius (1510 – nach 1581) angegriffen, einem Humanisten, der nicht ohne weiteres in die Konfessionslandschaft des 16. Jahrhunderts einzuordnen ist.326 Melanchthon stand schon seit längerem mit Velsius in brieflichem Kontakt. In einem Brief an den französischen humanistischen Gelehrten Sebastian Castellio (1515–1563) prognostizierte Velsius in Anspielung auf 2Thess 2,3 das baldige Ende des Abfalls. Im gleichen Atemzug sprach er von Melanchthon und warnte Castellio davor, weitere Hoffnung in ihn zu setzen. Er bezeichnete Melanchthon als einen epikureischen, das heißt auf das Irdisch-Materielle bezogenen, ehrsüchtigen, unsicheren Menschen, der sich schnell zu etwas hinreißen lasse und sich nur auf Vermutungen stütze. Zudem nannte er ihn – in Aufnahme von Mt 18,17 – einen Heiden und Zöllner. Als Heiden bezeichnete man in der frühen Neuzeit Menschen, die dem orthodoxen christlichen Glauben noch nicht oder nicht mehr anhingen.327 Zöllner wurde als Ausdruck für den sündigen Menschen gebraucht.328 Wie Melanchthon von Christus und seiner Wahrheit abgefallen sei, so werde Christus auch ihn abweisen – Ähnliches hatte Jesus nach Mt 10,32 seinen Jüngern angekündigt. Vorwürfe dieser Art hatte Velsius eigenen Angaben zufolge auch gegenüber Melanchthon selbst geäußert, worüber dieser sich sehr erregte.329 323
Müller, Worms 1557, 191. Vgl. den Bericht von Monner, Schnepf, Strigel und Stössel an Johann Friedrich II. von Sachsen vom 6. 9. 1557 [Wolf, Geschichte, 330–337, Nr. 45; hier 334] und Müller, Worms 1557, 191 und 195. 325 Vgl. Pfnür, Colloquies. 326 Vgl. Denis, Velsius, 49. 327 Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 4/2, 800 und Röhrich, Lexikon der Redensarten 2, 688. 328 Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 16, 64. 329 Vgl. Velsius an Melanchthon Ende 1557 / A nfang 1558 [MBW 8472; erwähnt im Brief von Velsius an Castellio 24. 9. 1558]; Velsius an Castellio 24. 9. 1558 [Pollet, Bucer-Études 2, 277–281, Nr. 90; hier 278, Z. 52 ff.]: »Breui finis erit ἀποστασίας . . . In epicureo et ambitioso, praecipiti et lubrico opinatore Melanthone, qui mihi posthac tanquam ethnicus et publicanus . . . vt ipsi scripsi futurus est, quod spei reponas, nihil est. Vt ipse Dominum et veritatem eius abiecit, ita et ipsum repulit Dominus«; zu epicureus Grimm, Deutsches Wörter324
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 13: Kritik im Zuge des »Frankfurter Rezesses« vom März 1558330 Als die protestantischen Fürsten im März 1558 in Frankfurt wegen der Krönung König Ferdinands zusammenkamen, wurde dabei auch der sogenannte »Frankfurter Rezeß« verabschiedet und unterschrieben. Er stellte den Versuch dar, die Einigkeit unter den Lutheranern wiederherzustellen. Die Schrift ging auf Entwürfe Melanchthons zurück und enthielt unter anderem Aussagen zu Osianders Lehre von der Rechtfertigung, zur Notwendigkeit guter Werke, zu den Adiaphora und zum Abendmahl.331 Erwartungsgemäß prangerten Flacius, Amsdorf und Gallus332 dieses Dokument an: Flacius ließ schon bald eine Schrift dagegen erscheinen, in der er den Rezeß als »samaritanisches Interim« bezeichnete, ein Ausdruck, der den Rezeß als Fortsetzung des »Augsburger In terims« und als heidnisch und außerhalb der Grenzen des »reinen« Christentums gelegen brandmarkte.333 Ebenso äußerte sich Amsdorf in verschiedenen Gutachten und Schriften gegen den Rezeß.334 Und auch die sächsischen Herbuch – Neubearbeitung 8, 1564; zu opinator Thesaurus linguae Latinae 9/2, 713: »de eo, qui opinionem, non scientiam habet«. Zur Reaktion Melanchthons Hotman an Calvin 28. 6. 1558 [CR 45, 224–227, Nr. 2902; hier 226]: »Quum essemus Badae vidi literas Velsii ad D. Philippum scriptas, ita contumeliose ut nihil addi posse videretur. De iis D. Philippus questus erat apud me«. 330 Vgl. dazu auch die Kritik Agricolas unten Kap. 17. 331 Der »Frankfurter Rezeß« vom 18. 3. 1558 ist gedruckt in CR 9, 489–507, Nr. 6483; vgl. dazu Melanchthons Briefe an Mathesius 31. 3. 1558 [MBW 8567; CR 9, 510 f., Nr. 6488; hier 510] und an Leib 6. 4. 1558 [MBW 8578; CR 9, 518, Nr. 6497] und das von ihm verfaßte Gutachten für den Nürnberger Rat vom 14. 5. 1558 [MBW 8617; CR 9, 548–554, Nr. 6527; hier 549 f.]; zudem den Brief Philipps von Hessen an Melanchthon 24. 10. 1558 [MBW 8760; Bernhard, Geschichte, 338–340; Nr. 2 ; hier 338], in dem er Melanchthon als den bezeichnete, »welcher solliche confession gesteldt« habe; den Titel von Schwenckfelds Schrift (dazu unten Anm. 336); Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 719 ff.; Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 149 f.; Schultz, Corpus Schwenckfeldianorum 16, 346 und Dingel, Frankfurter Rezeß. 332 Vgl. Schalling an Melanchthon Anfang Januar 1559 [MBW 8824; Regest bei Scheible, MBW R 8, 302]. 333 Vgl. zu Flacius’ Kritik Melanchthons Briefe 9. 5. 1558 an Albrecht von Preußen [MBW 8610; CR 9, 544 f., Nr. 6521; hier 544] und an Aurifaber [MBW 8611; CR 9, 545, Nr. 6522]; an Camerarius ca. 12. 5. 1558 [MBW 8615; CR 9, 547 f., Nr. 6526; hier 548] und an Crato 18. 5. 1558 [MBW 8622; Flemming, Briefwechsel Melanchthons, 61, Nr. 68] und das von ihm verfaßte Gutachten der theologischen Fakultät Wittenberg für den Rat der Stadt Nürnberg vom 14. 5. 1558 [MBW 8617; CR 9, 548–554, Nr. 6527; hier 551 ff.]; zudem Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 150. Flacius’ Schrift »Refutatio Samaritani In terim, in quo vera religio cum sectis et corruptelis scelerate et perniciose confunditur« wurde nicht gedruckt, aber in Abschriften verbreitet; vgl. dazu Jonge, Brief van Esrom Rüdinger, 43 und Richter, Gesetz und Heil, 211, Anm. 23; zum Begriff »heidnisch« oben Kap. 12. 334 Vgl. Amsdorfs Schrift »Offentlich Bekentnis der reinen lere des Euanglij und Confutatio der jtzigen Schwermer« (Reichert, Amsdorff und das Interim, XXI, Nr. 6 und VD 16 A 2381 f.) und seine handschriftlichen Gutachten, die wie Flacius’ Schrift damals ungedruckt blieben; dazu Richter, Gesetz und Heil, 211, Anm. 23 und Reichert, a. a. O., 168 f.; vgl. aber den Druck bei Reichert, a. a. O., B 160–165, Nr. 15.
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zöge, vor allem Johann Friedrich II., lehnten den »Frankfurter Rezeß« ab und schlossen sich der Kritik der Flacianer an, ohne allerdings Melanchthon namentlich zu nennen. Sie wiesen darauf hin, daß man, wenn es um Gottes Wort gehe, nicht den irdischen Frieden im Blick haben dürfe, sondern nach Gottes Reich und seinem Frieden streben müsse.335 Ferner wurde der Rezeß von Caspar Schwenckfeld von Ossig (1489–1561) angegriffen, wenn auch mit anderer Ausrichtung als bei den gnesiolutheranischen Kritikern.336 Inhaltlich richteten sich die Vorwürfe wie schon in den Jahren zuvor gegen Melanchthons Aussagen zur Rechtfertigungslehre und zu den guten Werken,337 zum Abend-
335 Vgl. die Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Wolf, Geschichte, 403–407, Nr. 68] und die zugehörige Beilage [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 86–98, Nr. 28; hier 98]: »so lernet die haillige Schrifft, wann in Gottes vnnd Religion sachen nach zeitlichem friden getrachtet, vnnd aber Gottes Ere vnnd sein raines wortt nicht furnemlich gesuchtt, bedacht vnnd bekannt, auch was demselben zuwider ist, nit verworffen vnnd abgeschafft wurdet, daß derselbig gesuchte friden aus Gottes Schickung vnnd zorn allein zu krieg vnnd vbell geratte, derwegen mer zu trachten nach Gottes Reich, vnd einem solchen friden, darinnen man gottseliglich vnd erbarlich leben möge«; zudem Melanchthons Briefe an Buchholzer 5. 8. 1558 [MBW 8678; CR 9, 578 f., Nr. 6563; hier 578] und an Baumgartner 10. 8. 1558 [MBW 8683; CR 9, 580 f., Nr. 6566; hier 581]. 336 Vgl. Schwenckfeld, »Der LXXXIII. Sendbrieff / . . . Jndiditium über die vier Artickel des Franckfurdischen Religions Abschiedes / so durch Philippum Melanchton / wie mans dafür achtet / gestelt sein worden« von 1558 [Corpus Schwenckfeldianorum 16, 348–378, Nr. 1036; hier 348], in dem er den Rezeß Abschnitt für Abschnitt durchging. Diese Kritik stand möglicherweise in Zusammenhang mit Melanchthons Ablehnung der Schwenckfeldischen Theologie auf dem Naumburger Konvent 1554 und ihrer Verdammung in Worms 1557 (vgl. dazu Brecht / Ehmer, Südwestdeutsche Reformationsgeschichte, 367). 337 Vgl. die Zurückweisung der Kritik von Flacius im von Melanchthon verfaßten Gutachten für den Nürnberger Rat vom 14. 5. 1558 [MBW 8617; CR 9, 551 f.]: »Im ersten Artikel spricht er, es sey nicht klar geredt von der imputata iustitia«; »Vom andern Artikel . . . sagt [er], man führe die Leut in Verzweifelung, so man spreche, der neue Gehorsam sey nöthig«; »kökelt weiter, Bekehrung sey nicht ein Werk, sondern eine göttliche Bewegung«. Johann Friedrich II. von Sachsen kritisierte in der Beilage zur Antwort auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 89 ff.], im Rezeß würden die guten Werke nicht ausdrücklich genug aus dem Prozeß der Rechtfertigung ausgeschlossen, falsche Lehren wie die Osianders würden nicht klar genug zurückgewiesen und die durch den Heiligen Geist geschehende Erneuerung des Menschen werde mit dem neuen Gehorsam und den guten Werken vermischt. In bezug auf die guten Werke werde die falsche Ansicht Maiors nicht vehement genug verworfen. Vgl. auch Melanchthons Reaktion auf diese Vorwürfe in einem mit Eber verfaßten Gutachten für August von Sachsen vom 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 617–629, Nr. 6602; hier 622]; ferner die Kritik Schwenckfelds in seinem »LXXXIII. Sendbrieff« [Corpus Schwenckfeldianorum 16, 349, Z. 10 ff.; zur imputativen Fassung der Rechtfertigungslehre 351, Z. 24 ff.; zum Begriff des »neuen Gehorsams« 355, Z. 22 ff.; zu den guten Werken 356, Z. 27 ff.].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
mahl 338 und zu den Zeremonien.339 Neu war die Kritik an den Aussagen des Rezesses zu Konsistorien und Kirchengerichten.340 Johann Friedrich II. fehlten zudem Verweise auf Luthers Schmalkaldische Artikel.341 Und Schwenckfeld bemängelte neben den Lehrinhalten den Einfluß der Philosophie auf Melanchthons Theologie.342 Melanchthon war über die Kritik keineswegs überrascht, hatte vielmehr bereits Ende März mit Protesten gegen den Rezeß gerechnet.343 Er wollte sich zunächst um des Friedens willen nicht öffentlich dazu äußern, spürte dann aber im Lauf der folgenden Monate doch die Notwendigkeit einer Stellungnahme, wollte dafür allerdings erst den Druck der Schrift des Flacius bzw. eine Zusendung der Weimarer Kritik abwarten.344 Im Auftrag von Kurfürst August von Sachsen (1526–1586) verfaßten Melanchthon und Eber schließlich ein Gutachten über die Schrift des Weimarer Hofes, und Melanchthon ging in seiner Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel auf einige der aufgeworfenen Streit-
338 Vgl. die Beilage zur Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 92 ff.], wo Melanchthon vor allem vorgeworfen wurde, er lehre »allein die geistliche niessung« und lasse die »leibliche niessung« außen vor [92], wodurch die Realpräsenz nicht ausreichend zum Ausdruck komme und Melanchthons Position in die Nähe der Zwinglianer rücke. Melanchthons Reaktion auf diese Vorwürfe findet sich in dem mit Eber verfaßten Gutachten für August von Sachsen vom 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 626]; vgl. zudem Schwenckfelds Kritik im »LXXXIII. Sendbrieff« [Corpus Schwenckfeldianorum 16, 365 ff.]. 339 Vgl. die Zurückweisung der Kritik von Flacius im von Melanchthon verfaßten Gutachten für den Nürnberger Rat vom 14. 5. 1558 [MBW 8617; CR 9, 553]: »Illyricus disputirt, man soll den Verfolgern zu gefallen nichts annehmen« und die Kritk Johann Friedrichs II. von Sachsen in der Beilage zur Antwort auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 94 ff.; bes. 94]: »Waß disen artickell belangt, dauon wurdt vil zu schwache, kurtz vnnd schleipferig geredt« – Kritik, die im folgenden ausgeführt wurde. Melanchthons Reaktion auf diese Kritik findet sich in dem mit Eber verfaßten Gutachten für August von Sachsen vom 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 628 f.]; vgl. zudem die Kritik Schwenckfelds im »LXXXIII. Sendbrieff« [Corpus Schwenckfeldianorum 16, 374, Z. 28 ff.]. 340 Vgl. die Beilage zur Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 96]: »geferliche stucke, sonderlich . . . das alle andere leerer vnnd kirchendiener vast nach Bapstischer artt an ettliche wenig personen vnnd Consistoria gebunden, vnnd also beide die Kirch vnnd geringere Stende vnder ein beschwerlich Joch wollen gebracht werden«. 341 Vgl. die Beilage zur Antwort Johann Friedrichs II. von Sachsen auf den Rezeß vom 27. 6. 1558 [Heppe, Geschichte 1, Anlagen 87, 89, 91 und 94]. 342 Vgl. Schwenckfelds »LXXXIII. Sendbrieff« [Corpus Schwenckfeldianorum 16, z. B. 352, Z. 6 ff. (zur philosophischen Anthropologie); 354, Z. 3 und 360, Z. 28 f. (zur Philosophie allgemein)]. 343 Vgl. z. B. Melanchthon an Mathesius 31. 3. 1558 [MBW 8567; CR 9, 510 f., Nr. 6488; hier 510]. 344 Vgl. Melanchthon 20. 7. 1558 an Hardenberg [MBW 8666; CR 9, 575, Nr. 6558] und an A. Praetorius [MBW 8667; CR 9, 571 f., Nr. 6553; hier 571]; seine Aufzeichnung über ein Gespräch mit Justus Jonas d. J. um den 20. 7. 1558 [MBW 8668; Regest bei Scheible, MBW R 8, 244] und den Brief an A. Praetorius 9. 9. 1558 [MBW 8721; CR 9, 610, Nr. 6593].
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fragen ein.345 Melanchthons langes Schweigen rief auch in diesem Fall bei einigen Protestanten Kritik hervor.346
Kapitel 14: Kritik an Melanchthon im Weimarer Konfutationsbuch von 1558/59 Ebenfalls als Antwort auf den »Frankfurter Rezeß« gab Herzog Johann Friedrich II. von Sachsen Ende 1558 auf Rat des Flacius ein Konfutationsbuch für sein Herzogtum heraus, das seine eigene Rechtgläubigkeit bezeugen und die Irrlehren der Zeit widerlegen sollte. Die Theologen Flacius, Sarcerius und Mörlin waren für die Endgestalt dieses Buches verantwortlich. Johann Friedrich befahl seinen Predigern, sie sollten dem Volk nach den Sonntagsgottesdiensten Abschnitte daraus vorlesen, und drohte im Fall der Nichtbeachtung mit Konsequenzen. Und tatsächlich wurden in den folgenden Jahren Pfarrer, die sich den religionspolitischen Vorgaben aus Weimar widersetzten, ihrer Stellen enthoben und mit Lehrverbot belegt.347 Neben anderen »Irrlehren« wurde im Konfuta tionsbuch auch die Lehrweise Melanchthons und seiner Anhänger verworfen. Er wurde wie schon in den Jahren zuvor vor allem wegen seiner Abendmahls-, Willens- und Rechtfertigungslehre kritisiert, deren spezifische Gestalt die Kritiker teilweise mit Melanchthons Hochschätzung der Philosophie in Verbindung brachten.348 Melanchthon antwortete auf das Buch Anfang März 1559 in 345 Das Gutachten stammt vom 21. 9. 1558 [MBW 8732; CR 9, 617–629, Nr. 6602]. Die »Responsiones . . . ad impios articulos Bavaricae inquisitionis« sind gedruckt in MSA 6, 285– 364 (vgl. Aussagen über den freien Willen 310 ff.; über Rechtfertigung und Werke 324 ff.); vgl. dazu Melanchthon an Besold 26. 12. 1558 [MBW 8809; CR 9, 671, Nr. 6651]; zur Kritik an den »Responsiones« unten Kap. 15. 346 Vgl. Melanchthons Aufzeichnung über ein Gespräch mit Justus Jonas d. J. um den 20. 7. 1558 [MBW 8668; Regest bei Scheible, MBW R 8, 244] und den Hinweis im Brief von Peucer an Baumgartner 1. 6. 1559 [Regest bei van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 11, Nr. 32]: »Sciscitata a Philippo silentii causa tam diuturni«. 347 Vgl. zum Anspruch des Konfutationsbuchs seinen Titel: »in Gottes wort / Prophetischer vnd Apostolischer schrifft / gegründete Confutationes / Widerlegungen vnnd verdamnung etlicher . . . zu fürderung . . . des Antichristische Bapstumbs eingeschlichenen vnd eingerissenen Corruptelen / Secten vnd Jrrthumen« (VD 16 S 1096 ff.); ferner Preger, Flacius 2, 78 f.; Reichert, Amsdorff und das Interim, 172 f.; Brinkel, Amsdorf, 88 und Michel, Der synergistische Streit, 263 ff. 348 Vgl. zur Kritik an Melanchthon z. B. Artikel 6 des Konfutationsbuches, 44a [zitiert nach Michel, Der synergistische Streit, 266]: »Dieser Irrthum aber / Der die krafft menschlichs Vermügens so hoch erhebet vnd rhümet / entstehet eigentlich aus vnwissenheit vnd vnuerstand der Erbsünde / . . . Und denn aus vertrawen vnd vermessener vermutung / so wir haben auf vnsere eigene frömigkeit und gerechtigkeit / Und aus den scheinenden un[d] gleisenden leren der Philosophia«; zudem Melanchthons Briefe an Hardenberg 6. 2 . 1559 [MBW 8847; CR 9, 735, Nr. 6682]; 20. 2 . 1559 [MBW 8865; CR 8, 676 f., Nr. 5928; hier 677]: »Iam meus Thersites censuram scribit contra me de multis doctrinae partibus, ac praecipue tuetur τὴν ἀρτολατρείας« und 20. 3. 1559 [MBW 8896; CR 9, 783 f., Nr. 6713; hier 783]; zu weiteren
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einem Gutachten für Kurfürst August von Sachsen, das sich in der Folgezeit schnell verbreitete,349 und disputierte am 28. November 1559 gegen Flacius.350
Kapitel 15: Kritik an Melanchthons Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel Nachdem den Evangelischen in Bayern 1556 zunächst einige Zugeständnisse gemacht worden waren, berief Herzog Albrecht V. von Bayern (1528–1579) kurze Zeit später die Jesuiten in sein Land und richtete die Inquisition ein. Zu diesem Zweck erstellten die Jesuiten im September 1558 eine Liste von 31 Artikeln, die den Evangelischen bei ihrer Befragung vorgelegt werden sollten. Sollten sie keine ausreichenden Antworten geben, solle man sie bestrafen oder des Landes verweisen. Als Melanchthon von diesen Artikeln erfuhr, veranlaßte er noch im September 1558 einen Nachdruck und versah diesen mit einer Vorrede. Zudem ging er auf die angesprochenen Fragen in seinen Vorlesungen ein und veröffentlichte im Dezember 1558 eine ausführliche Antwort, die bereits im August 1559 – erweitert um eine Vorrede und einen Schlußteil – in zweiter Auflage erschien, die »Responsiones ad impios articulos Bavaricae inquisitionis«.351 Auch diese Schrift Melanchthons blieb auf protestantischer Seite nicht unhinterfragt: In einem Brief an Melanchthon bemängelte Bullinger Ende März 1559 verschiedene Aussagen Melanchthons. Neben der Abendmahlslehre kritisierte er die Behandlung des freien Willens352 und die damit gegebene Annäherung an die Philosophie, weil diese – so Bullinger – den Gegnern in die Hände spiele, bei den eigenen Leuten Zweifel verursache und dadurch der Kirche schade. Ferner griff er Melanchthons Festhalten an der Privatabsolution an,353 weil diese nach Ansicht Bullingers nicht befriedigend vom altgläubigen Verständnis der Beichte mit all ihren negativen Begleiterscheinungen abgegrenzt werden konnte und, auch wenn sie gewisse Vorteile haben sollte, dennoch entbehrlich war.354 Verurteilungen durch Sarcerius Melanchthon an Hardenberg 29. 5. 1559 [MBW 8969; CR 9, 827, Nr. 6764]. 349 Vgl. das Gutachten Melanchthons für August von Sachsen vor 10. 3. 1559 [MBW 8886; CR 9, 763–775, Nr. 6705]; zur Verbreitung des Gutachtens den Brief des Braunschweiger Rates an Melanchthon Ende März / A nfang April 1559 [MBW 8911; CR 9, 807–809, Nr. 6740; hier 807 f.]. 350 Die Disputation vom 28. 11. 1559 ist gedruckt in CR 12, 645–657, Nr. 69; vgl. bes. 651–653. 351 Vgl. zu den »Responsiones« oben Anm. 345 und zu ihrer Entstehung Stupperich, MSA 6, 278 f. Melanchthons Vorrede ist gedruckt in MSA 6, 279–281; die Artikel der Jesuiten MSA 6, 281–284. 352 Vgl. die Aussagen der »Responsiones« zum freien Willen [MSA 6, 310–324]. 353 Vgl. die Aussagen der »Responsiones« zur Privatabsolution [MSA 6, 307, Z. 10 ff.]. 354 Vgl. Bullinger an Melanchthon 30. 3. 1559 [MBW 8909; Bindseil, Epistolae, 444–
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Erwartungsgemäß wurde die in Melanchthons »Responsiones« dargestellte Willenslehre auch von den Flacianern, namentlich von Gallus kritisiert.355
Kapitel 16: Kritik von Andreas Musculus im Zuge des zweiten Antinomistischen Streits Ausgelöst durch den »Frankfurter Rezeß« kam es 1558 in Frankfurt an der Oder zum Streit zwischen dem Pfarrer und Theologieprofessor Andreas Musculus (1514–1581) und seinem Kollegen, dem Hebräischprofessor Abdias Praetorius (1524–1573), über die Berechtigung der Rede von den guten Werken – eine markante Phase des sogenannten zweiten Antinomistischen Streits. Eine in Frankfurt kursierende anonyme Gegenschrift zum »Frankfurter Rezeß« hatte sowohl Praetorius als auch Musculus zu einer Gegendarstellung aufgefordert und war vermutlich der unmittelbare Anlaß für den Konflikt. In der Folgezeit kam es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden Gelehrten, der zunächst auf Kanzeln und Kathedern, später auch durch Streitschriften ausgetragen wurde und sich bis Mitte der 1560er Jahre hinzog. Musculus richtete seine Kritik dabei auch gegen Melanchthon, dessen Schüler Praetorius gewesen war. Er äußerte seine Kritik an Melanchthon zum Beispiel in einer für Ordinationen bestimmten Schrift, in Predigten und in einem Schreiben an den Juristen und Frankfurter Ratsherrn Caspar Widerstadt. Im Fokus seiner Kritik standen Melanchthons Äußerungen zur Rolle der guten Werke, zum Beispiel die Aussagen über eine Dreiteilung der Buße in Reue, Glauben und neuen Gehorsam in Melanchthons Schrift »Examen ordinandorum«, die 1552 erstmals erschienen war und von Praetorius im Unterricht herangezogen wurde.356 451, Nr. 455; hier 446]: »Tractatio tua de libero arbitrio videtur mihi quidem multa a proposito aliena habere, et admodum esse obscura ideoque adversariis nostris, alioqui acutis, suppeditura inexplicabilem rixandi materiam. Scis eam disputationem Ecclesiae permultum dedisse dubitationum, tentationum et turbarum, utilitatis vero aedificationisque parum. Petita est enim ex Philosophia, quae semper turbavit Ecclesiam. Cumque non multum operae colloces . . . in defendenda confessione illa Innocentiana, re vera interim nocentissima. Quae fieri iubetur proprio Sacerdoti, cum explicatione circumstantiarum peccati commissi, miror cur tantopere urgeas retinendam esse in Ecclesia Dei privatam illa absolutionem, quae quomodo ab illa avelli possit, ut et illa non maneat quoquo modo nondum video. Illud autem manifeste video, privatam illam sacerdotis absolutionem in veteri et primitiva Ecclesia non fuisse in usu, sed inolevisse cum confessione illa privata, quae mala dedit Ecclesiae Christi nunquam satis explicanda: adeo ut si quid utilitatis illa haberet, tamen illa propter hanc prudentes facile carere posse videantur«; zur Kritik Bullingers an Melanchthons Haltung im Abendmahlsstreit und an seiner Abendmahlslehre oben Kap. 8.1. 355 Vgl. die Hinweise darauf in Melanchthons Briefen an Sicke 1. 5. 1559 [MBW 8941; CR 9, 809 f., Nr. 6741] und an Hardenberg 3. 9. 1559 [MBW 9047; CR 9, 901 f., Nr. 6813; hier 911]. 356 Die deutsche Fassung von Melanchthons »Examen« ist abgedruckt in MSA 6, 168–259, die lateinische in CR 23, 1–102; vgl. zur Dreiteilung der Buße MSA 6, 208 f. bzw. CR 23,
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Kapitel 17: Neuerliche Kritik von Johannes Agricola Ausgehend von den Aussagen des »Frankfurter Rezesses« und vermutlich auch angeregt durch die Kritik des Musculus reihte sich 1559 Agricola erneut unter die Kritiker Melanchthons ein: Am Sonntag, dem 7. Mai 1559 wandte er sich in Berlin in einem Gottesdienst gegen Melanchthon und bezeichnete ihn als »schönen neuen englischen [das heißt engelgleichen] Mittagsteufel«, der die Notwendigkeit der guten Werke vertrete. Zudem behauptete er, in Melanchthons Werken stünden lediglich grammatische Dinge und nichts Geistliches (nihil spirituale), und betonte, er selbst werde gegen die Lehre der Wittenberger vom freien Willen Luthers Lehre vom unfreien Willen hochhalten und verteidigen.357 Anfang 1560 beschuldigte er Melanchthon zudem der Irrlehre, weil er die Sichtbarkeit der Kirche vertrete.358 Es waren wohl teilweise Agricolas Äußerungen, die bewirkten, daß Melanchthons Ansehen in Berlin und Cölln schwand.359
46; zur Kritik des Musculus die Briefe von Melanchthon an A. Praetorius Mitte November 1559 [MBW 9134; CR 9, 974 f., Nr. 6868; hier 974] und von A. Praetorius an Melanchthon 2. 12. 1559 [MBW 9156; Krause, Melanchthoniana, 173 f., Nr. 77; hier 173]: »Lutherum, te et me faciat doctores vitii, ministros peccati, inimicos crucis Christi, pseudodoctores etc.« und Praetorius’ Schrift »Endlicher Bericht . . . Von seiner Lere in den Artikeln, darin er von Doctore Andrea Musculo auffs hefftigste angegriffen wird« von 1563 (VD 16 P 4599) [zitiert nach Spieker, Musculus, 49 f.; hier 50]: »In einem Examine hat er [sc. Musculus] die lere von den Dreyenstücken der Buße oder Bekerung, wie sie in Examine D. Philippi stehet, für Teuffelisch gescholten, und auf D. Philippum . . . auffs hefftigste schimpfieret, gehönet und geschendet«; zu Musculus’ Predigten, in denen er alle, die behaupteten nova oboedientia est necessaria, als »Teufel« bezeichnete, Spieker, a. a. O., 50 f.; zum Streit insgesamt Richter, Gesetz und Heil, 209 ff. 357 Vgl. Buchholzer an Melanchthon 10. 5. 1559 [MBW 8952; CR 9, 815 f., Nr. 6749] (zum Ausdruck Mittagsteufel oben Abschnitt II, Kap. 3.8.1.2, Anm. 689); zudem Melanchthon an Gigas 20. 7. 1559 [MBW 9007; CR 9, 844 f., Nr. 6787; hier 845]; an Hardenberg 25. 7. 1559 [MBW 9010; CR 9, 845 f., Nr. 6788; hier 845]; an Buchholzer 10. 8. 1559 [MBW 9024; CR 9, 897 f., Nr. 6798; hier 898] und gegenüber Ramsbeck 26. 1. 1560 [MBW 9209; Müller, Melanchthoniana, 139 f., Nr. 2; hier 139]; zur vermuteten Abhängigkeit Agricolas von Musculus Spieker, Musculus, 54. 358 Vgl. Melanchthon an G. Cracow 22. 1. 1560 [MBW 9204; CR 9, 1032 f., Nr. 6912; hier 1032] und 3. 2 . 1560 [MBW 9216; CR 9, 1036 f., Nr. 6916; hier 1036]: »Iam enim et Scurra Berlinensis novum bellum movet, quod Ecclesiam nomino coetum visibilem«; an Leib 9. 2 . 1560 [MBW 9227; CR 9, 1044–1046, Nr. 6925 f.; hier 1044 f.]; an A. Praetorius 13. 2. 1560 [MBW 9232; CR 9, 1048, Nr. 6929]; Vorrede zum »Corpus doctrinae« vom 16. 2. 1560 [MBW 9236; MSA 6, 5–11; hier 9, Z. 21 ff.] und an Buchholzer 19. 2. 1560 [MBW 9238; CR 9, 1056 f., Nr. 6935; hier 1057]. 359 Vgl. Buchholzer an Melanchthon 15. 3. 1560 [MBW 9262; CR 9, 1068 f., Nr. 6951; hier 1069]: »Gottschalcus [sc. Abdias Praetorius] saget zu mir: wie geht es zu, daß zu Berlin und Cölln dem Philippo ein jderman zuwider ist? Antwort: das hat Islebius mit seinen Predigten gemacht«.
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Kapitel 18: Kritik am »Corpus doctrinae« Melanchthons von 1560 Kurz vor seinem Tod gelang es Melanchthon noch, eine Sammlung seiner nach eigenem Empfinden wichtigsten Lehrschriften herauszugeben, das sogenannte »Corpus doctrinae christianae«.360 Einige der enthaltenen Schriften waren bereits im Zusammenhang ihrer Entstehung kritisiert worden, so die »CA variata« von 1540, die »Confessio Saxonica« und die Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel.361 Nun wurde das »Corpus doctrinae« in seiner Gesamtheit und in seinem Anspruch kritisiert, zum Beispiel 1561 in der von Joachim Mörlin verfaßten, aber von vielen weiteren Theologen wie Martin Chemnitz (1522–1586), Freder, Heshusen und Westphal unterschriebenen Schrift »Erklerung aus Gottes Wort«.362 Melanchthons Name wurde darin zwar nicht explizit genannt, aber viele Andeutungen beziehen sich eindeutig auf ihn. So wurde beispielweise immer wieder betont, daß ausschließlich »Confessio Augustana«, »Apologie«, Luthers Schmalkaldische Artikel und weitere Schriften Luthers als »Corpus doctrinae« herangezogen werden können, womit der mit Melanchthons »Corpus doctrinae« gegebene Anspruch deutlich abgelehnt wurde.363 Ausgehend von dieser Bekenntnisgrundlage widersprach die »Erklerung« verschiedenen »Corruptelen«, die behaupteten, mit der CA übereinzustimmen, ihr und Gottes Wort jedoch nach Ansicht der genannten Theologen widersprachen. Neben Lehrabweichungen, über die allgemeine Einigkeit bestand, wie Maiorismus und Osiandrismus, wurde auch Melanchthon angegriffen, und zwar zum ersten in bezug auf seine Zurückhaltung im Abendmahlsstreit, zum zweiten hinsichtlich seiner Haltung zu den Adiaphora und zum dritten in der Frage des freien Willens.364
360 Das »Corpus doctrinae« ist abgedruckt in MSA 6, 12 ff.; die Vorrede vom 16. 2 . 1560 (MBW 9236) in MSA 6, 5–11. 361 Vgl. dazu Abschnitt III, Kap. 13.1 und oben Kap. 7 und 15. 362 Vgl. Mörlins »Erklerung aus Gottes Wort / vnd kurtzer bericht / der Herren Theologen . . . / fürnemlich auff drey Artickel . . . Was das Corpus doctrinae belanget / darbey man gedenckt zu bleiben. Von der Condemnation streittiger lehr / puncten vnd Secten. Von der Bepstlichen Iurisdiction« (VD 16 M 5875); zudem die Unterschriften D 4a. 363 Vgl. z. B. »Erklerung aus Gottes Wort«, B 4a. 364 Vgl. zum Abendmahl »Erklerung aus Gottes Wort«, C 2b ff., bes. C 3b: »verwerffen vnnd verdammen . . . alle Sacramentarios alt vnnd newe / Auch alle der jenigen Scripta, die ambiguis interpretationibus den sacramentarijs helffen / vnnd klaren vnterscheidt vnserer vnd jrer Lehr verdunckeln wollen«; zu den Adiaphora C 3b ff., in bezug auf die wie 1549 argumentiert wurde (vgl. oben Kap. 3.2.2.4 a), und zum freien Willen D 1b ff.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Kapitel 19: Melanchthons Umgang mit Vorwürfen in den 1550er Jahren und die Kritik daran Melanchthon litt in den 1550er Jahren sehr darunter, daß sich die Kritik, die anläßlich der »Leipziger Artikel« aufgebrochen war, vor allem gegen ihn richtete.365 Zudem ist seinen Briefen anzumerken, daß er in den letzten Jahren seines Lebens der zahlreichen Vorwürfe zunehmend überdrüssig wurde. Und so ist es wenig verwunderlich, daß er sich immer wieder danach sehnte, den Kritikern entfliehen zu können, sei es räumlich oder durch den Tod, und ab 1556 wieder verstärkt mit der Möglichkeit rechnete, aus Wittenberg vertrieben zu werden und ins Exil gehen zu müssen.366 Ausschlaggebend für diese Sorge war neben den bereits weiter oben genannten Gerüchten der Wechsel des Flacius an die Universität Jena Ende April 1557. Dieses Ereignis ließ Melanchthon Schlimmeres befürchten, da Jena dadurch zu einem Sammelplatz für seine Gegner wurde.367 Als Grund dafür, daß er trotz allem Druck in Wittenberg blieb, gab Melanchthon unter anderem seine Familie an. Zudem versuchte er, sich und seine Briefpartner davon zu überzeugen, daß Kritik zu einem Leben wie dem seinen hinzugehöre und man damit klarkommen müsse.368 Inhaltlich nahm er zu den Vorwürfen in der Regel keine Stellung. Das hatte zum einen damit zu tun, daß er die Vorwürfe und Streitfragen als unwichtig und irrelevant (adiaphora) bzw. als Sophistereien (cavillationes) ansah 369 und sich selbst keinerlei Schuld bewußt war – was er immer wieder dadurch zum Ausdruck brachte, daß er wie schon früher den unveränderten Bekenntnisstand der sächsischen Kirchen beteuerte.370 Zum anderen hoffte er, die Kritiker durch 365
Vgl. Melanchthon an die niedersächsischen Geistlichen 22. 1. 1557 [MBW 8101; CR 9, 38–40, Nr. 6167; hier 38]. 366 Vgl. z. B. Melanchthon an Bullinger 16. 9. 1556 [MBW 7953; CR 8, 847 f., Nr. 6073; hier 848]; an Mordeisen 1. 11. 1556 [MBW 8012; CR 8, 894, Nr. 6111]; an Camerarius 30. 4. 1557 [MBW 8209; CR 9, 149, Nr. 6241] und Anfang Mai 1557 [MBW 8214; CR 9, 146, Nr. 6237] und an Castellio 1. 11. 1557 [MBW 8414; CR 9, 359 f., Nr. 6391; hier 360]. 367 Vgl. Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 708; zu den erwähnten Gerüchten oben Kap. 9. 368 Vgl. Melanchthon an Joachim von Anhalt 9. 3. 1557 [MBW 8152; CR 9, 116, Nr. 6209]: »Jch habe dergleichen Anfechtungen nu bey dreißig Jahren gehabt, und hat mir dennoch Gott gnädiglich ausgeholfen . . . Wer in solchen großen Sachen zu thun hat, findet solcher Leute Widerstand, die ihr eigen Vortheil suchen«; an Languet 28. 3. 1557 [MBW 8169; CR 9, 121 f., Nr. 6215; hier 121]; an Camerarius 31. 3. 1557 [MBW 8172; CR 9, 122, Nr. 6216]; an Brenz 21. 4. 1557 [MBW 8202; CR 9, 144, Nr. 6234]; an Languet 23. 4. 1557 [MBW 8204; CR 9, 145 f., Nr. 6236; hier 145] und an Camerarius 30. 4. 1557 [MBW 8209; CR 9, 149, Nr. 6241]. 369 Vgl. Melanchthon an Besold Anfang Februar 1557 [MBW 8122; referiert im Brief von Besold an Peucer 13. 2 . 1557 bei Clemen, Briefe von Dietrich und Besold, 505 f.; hier 505] und an Buchholzer 3. 4. 1557 [MBW 8174; CR 9, 125, Nr. 6218]. 370 Vgl. z. B. Melanchthon 22. 5. 1557 an Buscoducensis [MBW 8226; CR 9, 156, Nr. 6250] und an Christian III. von Dänemark [MBW 8227; CR 9, 156–158, Nr. 6251; hier 157].
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sein eigenes Schweigen (silentium) zum Verstummen bringen und so weiterer Kritik vorbeugen zu können.371 Doch diese Hoffnung Melanchthons erfüllte sich nicht, sondern im Gegenteil wurde sein Schweigen auch in den 1550er Jahren von seinen Gegnern kritisiert.372 Gallus hielt Melanchthon vor, durch sein Schweigen habe er nicht – wie von ihm dargestellt – dem Frieden gedient, sondern den Konflikt verschlimmert, da er gleichzeitig gegen die Flacianer gehetzt habe. Und diese Schmähungen gegen die Flacianer seien häufig aufgrund von bloßen Gerüchten zustandegekommen.373
Zusammenfassung zur Kritik der Jahre 1547 bis 1560 In der Zeit nach Luthers Tod und dem Schmalkaldischen Krieg steigerte sich die Kritik an Melanchthon noch einmal beträchtlich und kam bis zu seinem Tod am 19. April 1560 nicht mehr zum Erliegen, setzte sich vielmehr auch in den Monaten nach seinem Tod fort.374 »Aus dem großen Sprecher der Evangelischen . . . war ein umstrittenes Schulhaupt« geworden, das persönlich angegriffen wurde,375 und Melanchthons Stand innerhalb des Protestantismus kam dadurch so stark ins Wanken, daß beispielsweise seine Verfasserschaft der »Confessio Augustana«, einer der wichtigsten Bekenntnisschriften der Lutherischen, geleugnet oder absichtlich im 371 Vgl. u. a. Melanchthon an Seidemann 20. 8. 1551 [MBW 6170; Regest bei Scheible, MBW R 6, 196]; an Georg von Anhalt 10. 4. 1552 [MBW 6412; CR 7, 980 f., Nr. 5093; hier 980]; an Chytraeus 15. 8. 1556 [MBW 7920; CR 8, 824, Nr. 6052]; seine Antwort auf das Vorbringen der Gesandten des Flacius 21. 1. 1557 [MBW 8097; CR 9, 33–35, Nr. 6164; hier 33 f.]; an Sabinus 5. 2 . 1557 [MBW 8127; Regest bei Scheible, MBW R 8, 37]; an Chyt raeus 7. 2 . 1557 [MBW 8129; CR 9, 85 f., Nr. 6190; hier 86]; an Bording 8. 3. 1557 [MBW 8149; CR 8, 683 f., Nr. 5938; hier 683] und 10. 4. 1557 [MBW 8183; CR 9, 129 f., Nr. 6224; hier 130]: »Tuli hactenus has iniurias non leves, de quibus eo non respondi, ne maiora dissidia orientur«; an von Eitzen 1. 2 . 1558 [MBW 8513; CR 9, 439–441, Nr. 6454; hier 440]; an Stigel 12. 2 . 1558 [MBW 8523; CR 9, 739, Nr. 6687]; an Voit 9. 4. 1559 [MBW 8922; CR 9, 798, Nr. 6728] und an Cracow 3. 2 . 1560 [MBW 9216; CR 9, 1036 f., Nr. 6916]. 372 Vgl. Melanchthon an Christoph von Württemberg 28. 11. 1559 [MBW 9147; Bindseil, Epistolae, 459 f., Nr. 465; hier 460]; zudem den Hinweis im Brief von Peucer an Baumgartner 22. 6. 1559 [Regest bei van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 11, Nr. 33]: Peucer conqueritur »Philippum ob patientiam paene ab adversariis concerptum esse« und oben Kap. 13. 373 Vgl. Gallus an Melanchthon 12. 1. 1557 [MBW 8089; CR 8, 930–935, Nr. 6137; hier 931 und 933]. 374 Vgl. z. B. Peucer an Baumgartner [Regest bei van Hout, Briefwechsel des Hieronymus Baumgartner, 11, Nr. 34]; Pedellus an Baumgartner [Regest bei Van Hout, a. a. O., Nr. 35] und Martyr an Peucer 26. 7. 1560 [Unschuldige Nachrichten 1716, 29–32; hier 31]; Peucer an Baumgartner 20. 8. 1560 [Regest bei van Hout, a. a. O., Nr. 36] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 277, 359 und 369 und seine Widmung, XIX ff. 375 Müller, Worms 1557, 196.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Dunkeln gelassen wurde,376 oder seine Freunde und Schüler allein wegen ihrer Freundschaft zu ihm angegriffen wurden, so zum Beispiel Johannes Stigel (1515–1562) im Jahr 1557.377 Inhaltlich wurde Melanchthon in den Jahren nach 1548 vor allem wegen seiner Haltung zu den Altgläubigen in bezug auf Adiaphora und bischöfliche Jurisdiktion, wegen seiner Lehraussagen zu verschiedenen Aspekten der Rechtfertigung des Menschen und zum Abendmahl und wegen seiner Haltung zu Maior und Osiander kritisiert, die von den Gegnern als nicht deutlich genug eingestuft wurde.378 Die Kritik kulminierte häufig in dem Vorwurf, er stimme nicht mit Luther überein und habe daher den Boden des Evangeliums verlassen, was durch apokalyptische Bilder und Begriffe illustriert wurde. All diese Vorwürfe waren in unterschiedlicher Intensität bereits in der Zeit vor Luther Tod geäußert, jedoch nicht ausreichend diskutiert und geklärt worden. In den Streitigkeiten im Gefolge des »Augsburger Interims«, in denen der grundlegenden Klärung der unterschiedlich interpretierten Lehre der Reformatoren nicht mehr ausgewichen werden konnte,379 wurden diese Vorwürfe wieder aufgegriffen, der aktuellen Situation angepaßt, intensiviert und zugespitzt. Dabei ver festigten sich bestimmte Kritikpunkte und tauchten als Versatzstücke bei den unterschiedlichsten Anlässen auf. Häufig ging es dann nicht mehr um die Sache, sondern enttäuschtes Vertrauen, gegenseitige Verletzungen, Mißverständnisse und Unsachlichkeit bestimmten das Geschehen.
376 Vgl. z. B. die »Confessio Magdeburgensis« von 1550 [nach Kaufmann, Ende der Reformation, 183, Anm. 88] und Wigand, Historia, 123. 377 Vgl. Stigel an Melanchthon 15. 1. 1557 [MBW 8091; Pflanz, Stigel, 136 f., Nr. 17; hier 137]: Angriffe auf Stigel »qua de culpa? Quod sim cultor et amicus Philippi, cui hostis nemo nisi Diabolus . . . esse poterit«. 378 Vgl. die sechs in Gallus’ Schrift »Thema depravationum Augustanae Confessionis« aufgezählten Punkte, in denen Melanchthon und seine Anhänger von der CA nach der Interpretation Luthers abwichen, und dazu Hammer, Melanchthonforschung 1, 177. 379 Vgl. Kolb, Controversia perpetua, 208.
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen Einleitung Melanchthon wurde im Lauf seines Lebens immer wieder aufgrund seiner astrologischen Neigungen belächelt, verspottet und angegriffen. Da Kritik dieser Art im Gegensatz zu anderen Vorwürfen nicht im Zusammenhang konkreter Ereignisse oder im Zuge von Streitigkeiten geäußert wurde, sondern eher beiläufig und verstreut in persönlichen Äußerungen Melanchthons und seiner Zeitgenossen begegnet, wird ihr ein eigener Abschnitt gewidmet. Da diese Kritik ohne die Kenntnis seiner eigenen Haltung unverständlich bliebe und nicht beurteilt werden könnte, wird im folgenden ersten Kapitel Melanchthons Beschäftigung mit der Astrologie und verwandten Themenbereichen ausführlich dargestellt. Melanchthons Verhältnis zur Astrologie war zwar in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Gegenstand von Untersuchungen,1 diese Darstellungen bieten aber entweder nur einen kurzen Überblick oder beschränken sich auf Teilaspekte und beleuchten nicht das ganze Ausmaß seiner Neigungen. Aus diesem Grund sind die genannten Untersuchungen als Grundlage für die Beurteilung der Kritik an Melanchthon unbefriedigend. Wilhelm Maurer, Dino Bellucci und Günter Frank (* 1956) zum Beispiel gehen vor allem auf Melanchthons wissenschaftliche Aussagen zur Astrologie ein, der alltägliche Charakter seiner astrologischen Neigungen hingegen, der vor allem in seinen Briefen greif bar ist und ein wichtiger Auslöser für die Kritik war, wird wenig berücksichtigt. Stefano Caroti konzentriert sich in seinem italienischen Beitrag zwar genau auf diese Briefe und stellt zahlreiche Äußerungen Melanchthons zusammen, seine Darstellung ist aber an vielen Stellen fehlerhaft und unsauber. Der Katalog zur Ausstellung über Melanchthons Astrologie aus dem Jubiläumsjahr 1997 beleuchtet einzelne Aspekte und Hintergründe, versteht sich aber selbst nur als »Aufschlußbohrung« und »Zwischen1
Vgl. Hartfelder, Der Aberglaube Melanchthons’s; Horn, Melanchthon als Astrologe; Maurer, Melanchthon und die Naturwissenschaft; Ders., Der junge Melanchthon 1, 137 ff.; Koch, Melanchthon, Zwingli und die Astrologie; Caroti, Comete, portenti, causalità naturale e escatologia in Filippo Melantone; Ders., Melanchthon’s Astrology; Bellucci, Mélanchthon et la Défense de l’Astrologie; Frank, Theologische Philosophie, 301 ff.; Melanchthons Astrologie. Katalog zur Ausstellung in Wittenberg 1997 und Müller-Jahncke, Melanchthon und die Astrologie.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
bericht«, keinesfalls als erschöpfende Untersuchung.2 Und ausgewiesene Befürworter der Astrologie wie Carl Egon Horn und Walter Koch (1895–1970) müssen sich fragen lassen, ob sie Melanchthon durch ihre Darstellungen nicht als reformatorischen Gewährsmann für die Astrologie instrumentalisieren und vereinnahmen. Aufgrund der genannten Defizite in der Forschung stellt das erste Kapitel daher Melanchthons Verhältnis zur Astrologie und verwandten Themen möglichst umfassend und – sofern dies möglich ist – neutral dar. Im ersten Teil dieses Kapitels wird beleuchtet, woher Melanchthons starkes Interesse an der Astrologie kam und wie er es an seine Schüler weitergab (1.1). Im zweiten Teil wird Melanchthons Haltung zur »wissenschaftlichen«3 Astrologie und seine praktische Anwendung derselben untersucht (1.2) und in einem dritten Teil sein Verhältnis zu Voraussagen, Vorzeichen und Weissagungen aller Art (1.3). Im Anschluß an die Darstellung der Haltung Melanchthons zur Astrologie kommen im zweiten Kapitel seine Kritiker zu Wort, die abgesehen von Luther bisher unbekannt waren und noch nie zusammengestellt oder zusammenhängend beurteilt wurden. Die Vorwürfe der Kritiker richteten sich zum einen gegen Melanchthon persönlich, zum anderen stellten sie die Beschäftigung mit der Astrologie und ihre Behandlung an den Universitäten allgemein in Frage – Kritik, die zwar nicht offen gegen Melanchthon gerichtet war, aber in mehr oder weniger enger Beziehung zu ihm stand.
Kapitel 1: Melanchthons Haltung zu Astrologie, Voraussagen und Weissagungen 1.1 Die Herkunft der astrologischen Neigungen Melanchthons und ihre Weitergabe Zunächst stellt sich die Frage, woher Melanchthon Anstöße zur Beschäftigung mit der Astrologie erhielt. Die Astrologie hatte Anfang des 16. Jahrhunderts ihren Ort nicht außerhalb der Universitäten, sondern wurde an vielen artistischen Fakultäten als angewandte Astronomie im Rahmen der Naturwissenschaften behandelt. Großes Interesse an den Naturwissenschaften und damit verbunden auch an der Astrologie bestand unter den Humanisten.4 Es erscheint 2
Vgl. Treu, Zum Geleit, in: Melanchthons Astrologie, 7. Wenn hier von »wissenschaftlich« gesprochen wird, geschieht dies nicht aus heutiger Sicht, sondern im Kontext der Überzeugungen Melanchthons und vieler anderer Astrologen seiner Zeit. 4 Vgl. Grössing, Humanistische Naturwissenschaft, 41: »Im 16. Jahrhundert ist der Humanist vollends auch Naturwissenschaftler«; zudem Boll / Bezold / Gundel, Sternglaube und Sterndeutung, 40; Braunsperger, Astrologie der Blütezeit, 9; Kristeller, Der italienische Humanismus, 19 f.; den Sammelband »Humanismus und Naturwissenschaft« (hier be3
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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also naheliegend, daß Melanchthons Interesse an den Naturwissenschaften und an astrologischen Themen zur Zeit seines Studiums in Verbindung mit seiner humanistischen Prägung geweckt wurde. Wilhelm Maurer spricht von drei geistigen Vätern, die Melanchthon in humanistischer Hinsicht beeinflußt haben: Johannes Reuchlin (1455–1522), Johannes Stöffler (1452–1531) und Erasmus.5 Die naturwissenschaftliche bzw. astrologische Prägung Melanchthons läßt sich sehr genau auf einen dieser »Väter« zurückführen, und zwar auf Stöffler, der damals zu den bekanntesten Mathematikern und Astrologen zählte6 und von dem Melanchthon während seines Studiums und seiner Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen in den Jahren 1512 bis 1518 entscheidend geprägt wurde.7 Melanchthons Interesse richtete sich in den 1520er Jahren zunächst auf die Naturwissenschaften im weitesten Sinne (scientiae mathematicae), die er in ihrer Wichtigkeit erkannte und zeit seines Lebens förderte.8 Seine Beschäftigung mit der Astrologie ist erst ab 1529 in seinen Briefen faßbar, und auch sein Vertrauen auf Vorzeichen scheint in dieser Zeit erwacht zu sein.9 Immer wieder beklagte Melanchthon die Vernachlässigung der naturwissenschaftlichen Studien in Deutschland und wünschte sich mehr Einsatz der Fürsten in diesem Zusammenhang.10 Gemäß seinem Ideal, die als nützlich erkannte Lehre zu bewahren, sonders den Aufsatz von Westman, Humanism and Scientific Roles in the Sixteenth Century, 83–99); Machilek, Astronomie und Astrologie, 26; Wuttke, Humanismus und Naturwissenschaft, 5 und 15; Bergdolt, Petrarca, 31 und Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 183. 5 Vgl. Maurer, Der junge Melanchthon 1, 11–13. 6 Er war der erste Mathematik-Professor in Württemberg und als Astrologe vor allem durch seine Prophezeiung für das Jahr 1524 über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt geworden; vgl. Moll, Stöffler, 27 und 33. 7 Vgl. die (nicht verwendete) Vorrede Melanchthons zu seinen Werken vom 27. 7. 1541 [MBW 2780; MBW T 10, 451–459; hier 458, Z. 181]; Heerbrands Gedächtnisrede für Melanchthon vom 15. 5. 1560 [CR 10, 293–313, Nr. 7140; hier 297]; Hartfelder, Der Aberglaube Melanchthon’s, 261 ff.; Ders., Melanchthon als Praeceptor, 196; Braunsperger, Astrologie der Blütezeit, 14 f.; Horn, Melanchthon als Astrologe, 10; Maurer, Melanchthon und die Naturwissenschaft, 202; Ders., Der junge Melanchthon 1, 129 ff.; Knappich, Geschichte der Astrologie, 192; Westman, The Melanchthon Circle, 169; Wiessner, Vorwort, in: Melanchthons Astrologie, 8; Scheible, Melanchthon, 21 und Reich, Stöffler, 140 und 145 ff. Melanchthon verwendete zeit seines Lebens das berühmte Werk Stöfflers »Calendarium Romanum magnum« von 1518 als Nachschlagewerk; vgl. Scheible, MBW R 3, 464. 8 Vgl. zu Melanchthons naturwissenschaftlichen Interessen Maurer, Melanchthon und die Naturwissenschaft und den Sammelband »Melanchthon und die Naturwissenschaften seiner Zeit«. 9 Vgl. Melanchthon an Myconius 11. 1. 1529 [MBW 742; MBW T 3, 430 f.; hier 431, Z. 11 ff.], wo erstmals von Horoskopen die Rede ist, und an Jonas 11. 6. 1529 [MBW 793; MBW T 3, 525–528; hier 528, Z. 30 f.]: »Ego enim non leviter commoveor his rebus [sc. vaticiniis astrologicis et prodigiis]«. Kusukawa, Transformation, 124–127 und Methuen, Role of Heavens, 395 f. gehen davon aus, daß Melanchthons intensiveres astrologisches Interesse durch seine Beobachtungen des Kometen im Jahr 1531 und die dadurch verursachte Angst angestoßen wurde. 10 Vgl. Vorreden Melanchthons für Grynaeus von November 1534 [MBW 1509; MBW
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
für die Nachwelt zu erklären und ihre Verkehrung zu verhindern,11 bemühte er sich um die Herausgabe und Kommentierung naturwissenschaftlicher, darunter auch astronomischer und astrologischer Schriften früherer Jahrhunderte,12 und es war ihm ein Anliegen, die mathematischen Wissenschaften und darunter besonders Astronomie und Astrologie im Rahmen des artistischen Studiums an der Universität in Wittenberg zu verankern und auf diesem Wege möglichst vielen Studenten nahezubringen.13 Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß sich unter Melanchthons Schülern zahlreiche astronomisch und astrologisch interesT 6, 227–234; hier 232, Z. 156 ff.] und für Reiffenstein von August 1536 [MBW 1780; MBW T 7, 215–221; hier 218, Z. 77 ff.]; die Rede »De astronomia et geographia« von 1536 (?) [CR 11, 292–298, Nr. 40; hier 293]; die Vorrede für den Nürnberger Rat vor 5. 8. 1537 [MBW 1927; MBW T 7, 486–490; hier 489, Z. 81 ff.]; den Brief an Schöner 13. 11. 1544 [MBW 3731; MBW T 13, 503; hier Z. 5 f.]; die Satzungen Melanchthons für die philosophische Fakultät von Ende 1545 [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 266–277, Nr. 273; hier 271]: »Illud vero etiam optandum est, ut principes invitent artifices, ut ephemerides aliquot venientium annorum ad usum posteritatis nunc instituantur et edantur« und den Brief an Ulmer 1. 12. 1549 [MBW 5688; Regest bei Scheible, MBW R 5, 543 f.; hier 543]. 11 Vgl. Melanchthons Vorrede für Schöner vom 7. 8. 1536 [MBW 1770; MBW T 7, 195– 199; hier 197, Z. 40 ff.]. 12 Vgl. Hammer, Inspirer, 309. 13 Vgl. dazu Melanchthons eigene Aussagen: seine Vorrede für Grynaeus vor 17. 8. 1531 [MBW 1176; MBW T 5, 163–171; hier 166, Z. 73 f. und 169, Z. 196 ff.]; den Brief an Seyfriedt 30. 11. 1533 [MBW 1382; MBW T 5, 517 f.; hier 518, Z. 20 ff.]; Vorreden für Grynaeus von November 1534 [MBW 1509; MBW T 6, 230, Z. 65 ff. und 232, Z. 144 ff.]; für Schöner vor 7. 8. 1536 [MBW 1770; MBW T 7, 198, Z. 84 ff.] und für Reiffenstein von August 1536 [MBW 1780; MBW T 7, 218, Z. 92 ff.]; die Reden »De astronomia et geographia« von 1536 (?) [CR 11, 293 und 298] und »De Orione« von 1553 [CR 12, 46–52, Nr. 137; hier 47]; die Vorrede für den Nürnberger Rat vor 5. 8. 1537 [MBW 1927; MBW T 7, 490, Z. 112 ff.] und den Brief an Stathmion 1. 6. 1555 [MBW 7513; CR 7, 794, Nr. 4904]. Zu Melanchthons Einsatz für die Naturwissenschaften und für die Astrologie in Wittenberg zudem Reinholds Brief an Melanchthon 8. 2. 1552 [MBW 6338; Regest bei Scheible, MBW R 6, 264]; Hammer, Inspirer, 310; Westman, The Melanchthon Circle, 170 ff.; Smolinsky, Deutungen der Zeit, 3 f. und Hoppmann, Astrologie der Reformationszeit, 123. Koch, Melanchthon, Zwingli und die Astrologie, 13 nennt Melanchthon gar den »einflußreichste[n] Astrologie-Lehrer des 16. Jahrhunderts« und Horn, Melanchthon als Astrologe, 19 weist darauf hin, daß wohl alle Wittenberger Studenten die Universität nicht verließen, »ohne wenigstens die Grundideeen der Astrologie kennen gelernt zu haben«. Während seiner Lehrzeit habe Melanchthon ca. 2500 praktische Astrologen ausgebildet. Vgl. schließlich die zahlreichen Zeugnisse, die Melanchthon für Studenten ausstellte und in denen das Studium der Astronomie und manchmal auch der Astrologie besonders hervorgehoben wurde: für Arnold 6. 7. 1544 [MBW 3612; MBW T 13, 312; hier Z. 9 f.]; für Becker 18. 7. 1546 [MBW 4333; CR 6, 201, Nr. 3515]; für Juusten 11. 11. 1546 [MBW 4445; CR 6, 270 f., Nr. 3606; hier 271]; für Münsterer [MBW 4707; CR 6, 494, bei Nr. 3836]; für Sitzinger [MBW 4710; CR 6, 494 f., Nr. 3837] und für Stigler 10. 4. 1547 [MBW 4711; CR 6, 497 f., Nr. 3839]; für Kircher [MBW 5052; CR 6, 807 f., Nr. 4148; hier 807] und für Leinholt 7. 2 . 1548 [MBW 5053; CR 6, 804 f., Nr. 4146; hier 805]; für Künlin 26. 8. 1554 [MBW 7271; Regest bei Scheible, MBW R 7, 226]; vgl. zudem sein Empfehlungsschreiben für Schreiber 1. 10. 1543 [MBW 3331; MBW T 12, 351 f.; hier 351, Z. 9 ff.]; die von ihm verfaßten Briefe C. Meienburgs an seinen Vater 11. 12. 1548 [MBW 5379; CR 7, 761–763, Nr. 4873]
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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sierte Gelehrte finden und daß Wittenberg noch Ende des 16. Jahrhunderts als Hort der Astrologie galt.14
1.2 Melanchthons theoretische Aussagen zur Astrologie und ihre praktische Anwendung Aufschluß über Melanchthons inhaltliche Stellung zur Astrologie erhält man aus seinen zahlreichen Äußerungen zu astrologischen Themen, die sich sowohl im wissenschaftlichen wie im privaten Kontext finden. Als Quellengrundlage werden daher Melanchthons akademische Reden, Lehrbücher, Vorreden zu zeitgenössischen Texteditionen aus dem Bereich der Astronomie und Astrologie, Gedichte und seine persönlichen Briefe herangezogen.15 1.2.1 Die Astrologie als Wissenschaft Die Astrologie war für Melanchthon eine Wissenschaft wie andere auch; er bezeichnete und behandelte sie deshalb selbstverständlich als ars. Melanchthon war allerdings klar, daß nur eine von magischen Zusätzen gereinigte Astrologie als ars anerkannt werden konnte. Deshalb grenzte er sich immer wieder von Magie, betrügerischen und abergläubischen Praktiken ab und verwies auf die wissenschaftlichen Grundlagen (causae physicae) seiner Astrologie in anderen Wissenschaften, vor allem in der Astronomie.16 Als Hauptkriterien für die Zuund eines unbekannten Studenten an einen unbekannten Adressaten ohne Datum [MBW 9421; CR 10, 72, Nr. 7064]. 14 Vgl. Dudith an J. Praetorius 9. 10. 1584 [referiert bei Gillet, Crato 2, 314 f.; hier 315]: »Ich wundre mich, daß doch in unserm Deutschland so viele sind, besonders unter denen, die von der Wittenberger Universität kommen, bei welchen diese [sc. astrologischen] Prophezeihungen große Autorität genießen« sowie Brosseder, Im Bann der Sterne, 11 ff. Bei folgenden Schülern Melanchthons sind die astrologischen Neigungen besonders greif bar: bei den Wittenberger Mathematikprofessoren Jakob Milichius, Erasmus Reinhold (1511–1553), Georg Joachim Rheticus bzw. von Leuchen (1514–1574); Erasmus Flock (1514–1568) und Caspar Peucer (1525–1602); bei den Lehrern Hieronymus Wolf (1516–1580) und Joachim Heller (1518 – nach 1580), dem Dichter und Professor für Poesie Johannes Stigel; dem Tübinger Theologieprofessor Jakob Heerbrand, dem Politiker Heinrich von Rantzau (1526–1598) und dem Arzt Johannes Crato (1519–1585). 15 Melanchthons Aussagen werden in den folgenden Teilkapiteln (1.2 und 1.3) mit vielen Stellen belegt, um einen Eindruck von Intensität und Ausmaß seiner Beschäftigung mit der Astrologie zu vermitteln. Damit die Übersichtlichkeit gewahrt bleibt, werden seine Briefe und Vorreden ohne Adressaten und Datum, nur mit ihrer MBW-Nummer und der Fundstelle des Zitats angeführt. Seine Reden und Lehrbücher werden bei ihrer ersten Nennung mit vollem Titel und Datierung, bei weiteren Nennungen nur noch mit Kurztitel und Fundort angegeben. 16 Er griff hierfür oft auf die von Claudius Ptolemäus (ca. 100 – nach 160) eingeführte Unterscheidung zwischen ungegründeten ( ἀναιτιολόγητα ) und in der Natur gegründeten (physicae) Voraussagen zurück; vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 166, Z. 86]; die Reden »Contra empiricos Medicos« von 1531 [CR 11, 202–109, Nr. 25; hier 204] und »De dignitate astrologiae« von 1535 [CR 11, 261–266, Nr. 35; hier 263]; die Quaestio »An leges damnent praedic-
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
erkennung des Status einer ars nannte Melanchthon den Nutzen und die Zuverlässigkeit einer Wissenschaft.17 Bei der Astrologie sah er diese beiden Kriterien – wie sich weiter unten zeigen wird – als gegeben an.18 1.2.2 Die Astrologie in ihrem Verhältnis zur Astronomie Melanchthon rechnete neben der Astronomie auch die Astrologie zum naturwissenschaftlichen Fächerkanon.19 Er unterschied die beiden Wissenschaften zwar terminologisch voneinander und gab klare Bestimmungen ihrer jeweiligen Arbeitsschwerpunkte: Die Astronomie beschäftige sich mit den Gesetzmäßigkeiten, Größenverhältnissen und Bewegungen der Himmelskörper 20 und gründe sich auf Arithmetik und Geometrie.21 Die Astrologie bilde den weissagenden Teil (pars divinatrix bzw. μαντική ) der Lehre von den Sternen,22 sie untersuche die Wirkungen (effectiones bzw. effectus) der Gestirne auf die Welt mit
tiones astrologicas« vom 17. 4. 1536 [CR 10, 712–715, Nr. 12; hier 713]; die Rede »De astronomia et geographia« von 1536 (?) [CR 11, 298]; MBW 3978 [CR 5, 820]; den Kommentar zu den vier Büchern des Ptolemäus »De iudiciis astrologicis« von August 1553 [CR 18, 11– 118, Nr. 47; hier 15]; MBW 7278 [CR 8, 338]; das Lehrbuch »Initia doctrinae physicae« von 1549 [CR 13, 179–412, Nr. 3 ; hier 337 und 339] und eine undatierte Postille zum Tag der Beschneidung Christi am 1. Januar [CR 24, 202–219; hier 202]. 17 Vgl. Melanchthons Vorrede zu den »Officia« des Cicero von 1534 [MSA 3, 82–87, Nr. 6 ; hier 83, Z. 2 ff.]; seine Definition von ars in Anlehnung an die Stoiker in den »Erotemata Dialectices« von 1547 [CR 13, 507–752, Nr. 5 ; hier 537]; zu den drei Kriterien der Sicherheit »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 186]. 18 Vgl. unten Kap. 1.2.5 und 1.2.6. 19 Das wird beispielsweise daran deutlich, daß er die Astrologie als einen Teil der Physik bezeichnete; vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 166, Z. 85; 169, Z. 182 und Z. 200 f.]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 87 und 231, Z. 112]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 263 f.]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 112]; MBW 3978 [CR 5, 822] und MBW 7086 [CR 8, 227]. Dementsprechend gab er auch seinen Vorlesungen über die Astrologie von 1549 den Titel »Initia doctrinae physicae« und konnte von astrologischen Voraussagen der Mathematiker sprechen; vgl. MBW 909 [MBW T 4/1, 174, Z. 11 ff.]. 20 Vgl. die Disputatio »De discrimine evangelii et philosophiae« von 1532/33 [Haussleiter, Kompendium, 109–112, Nr. C.I; hier 111]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 293]; MBW 3978 [CR 5, 818]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 335] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 11]. Melanchthon beobachtete häufig auch selbst die Sterne; vgl. z. B. MBW 6363 [CR 7, 953] und MBW 6563 [CR 7, 1072]. 21 Vgl. die Rede »De artibus liberalibus« von 1517 [MSA 3, 17–28; hier 24]; MBW 1780 [MBW T 7, 216, Z. 37 ff.]; eine Rede an Studenten vom 29. 9. 1544 [CR 5, 487 f., Nr. 3036; hier 488]; Satzungen Melanchthons [Urkundenbuch der Universität Wittenberg 1, 271] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 336]. 22 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 169, Z. 200]; MBW 1382 [MBW T 5, 518, Z. 17]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 87 f. und 231, Z. 112]; MBW 6363 [CR 7, 952]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 294] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 335].
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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ihren Lebewesen 23 und erstelle auf dieser Grundlage Voraussagen.24 Trotz dieser Unterscheidung betonte er aber immer wieder die enge Zusammengehörigkeit beider Wissenschaften und legte Wert auf die Einheit der Lehre von den Sternen.25 Beide Wissenschaften waren seiner Meinung nach zwei Komponenten derselben Disziplin, die aufeinander angewiesen waren und einander dienten: Die Astronomie lieferte der Astrologie die Grundlagen, und die Astrologie brachte die Erkenntnisse der Astronomie zur praktischen Anwendung. Manche von Melanchthons Aussagen machen allerdings den Eindruck, als wolle er die Unterscheidung beider Wissenschaften und ihre Aufgaben bewußt verwischen. So behauptete er beispielsweise, die Kritiker der Astrologie wollten mit ihren Vorwürfen auch der Astronomie, ja der ganzen Mathematik schaden.26 Dann sprach Melanchthon auch im Rahmen der Astronomie von den Wirkungen der Sterne, deren Untersuchung laut seiner eigenen Definition zu den Aufgaben der Astrologie gehörte.27 Zudem konnte er die eigentlich der Astrologie zukommende Kennzeichnung als weissagend auch der Astronomie beilegen, verstand darunter aber etwas völlig anderes als unter der weissagenden Funktion der Astrologie.28
23 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 87 f.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 261]; »An leges damnent praedictiones astrologicas« [CR 10, 714]; MBW 3978 [CR 5, 818 und 820] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 11]. 24 Vgl. MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 101 f.]; MBW 6787 [CR 8, 62] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 11]. 25 Vgl. MBW 3331 [MBW T 12, 351, Z. 9 ]; MBW 3978 [CR 5, 818] und MBW 4860 [CR 6, 222]. 26 Daß diese Anklage Melanchthons nicht zutrifft, wird deutlich, wenn man seine Reaktionen auf Kritik an der Astrologie mit den Schriften der Kritiker vergleicht, z. B. der Schrift der Theologen Stoltz und Aurifaber (vgl. dazu unten Kap. 2.1.2), die nur die Astrologie, nicht aber die Astronomie angreifen wollten; vgl. aber Melanchthon in MBW 7086 [CR 8, 227]: »Saepe enim a venenatis hominibus opprimuntur calumniis studiosi doctrinae physicae«; MBW 7183 [CR 8, 281]: »Vituperatores doctrinae de motibus et viribus astrorum« und MBW 7225 [CR 8, 313]: »nec tantum damnant doctrinam de effectibus coelestibus, sed abducunt iuniores ab universo orbe mathematum«. Eine ähnliche Vermischung begegnet auch in bezug auf die Kritik des Erastus (vgl. dazu unten Kap. 2 .1.3) in MBW 7513 [CR 7, 794], der ebenfalls nur die Astrologie angegriffen und nicht – wie Melanchthon behauptete – den Sternen den Krieg angesagt hatte; vgl. zudem MBW 1176 [MBW T 5, 165, Z. 54 ff. und 167, Z. 99 f.]; MBW 1382 [MBW T 5, 518, Z. 16 f.]: »audio pariter damnantes divinatricem et demonstrationes de motibus. Hoc quid aliud est quam arithmeticam et geometriam damnare« und MBW 2088 [MBW T 8, 205, Z. 55 ff.]: »quod nonnulli improbant τὴν μαντικήν, videmus indoctos eodem calculo etiam motuum doctrinam condemnare«. 27 Vgl. »De artibus liberalibus« [MSA 3, 24, Z. 34 ff.] und MBW 1382 [MBW T 5, 518, Z. 3 ]. 28 Vgl. »De astronomia et geographia« [CR 11, 297 f.]; MBW 2088 [MBW T 8, 205, Z. 59 f.]; MBW 7513 [CR 7, 794]: »haec ipsa [sc. doctrina motuum] est per sese μαντικὴ, quia testimonium est de Deo, et de providentia« und die Thesen »De vigiliis et diebus criticis et effectibus motuum« vom 26. 3. 1541 [Haussleiter, Kompendium, 144–147; hier 146].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
1.2.3 Die Wirkung der Gestirne als Grundlage der Astrologie Melanchthon sah die Welt als einen schön geordneten Kosmos an, in dem es zwischen Himmel und Erde eine Gemeinschaft wechselseitiger Sympathie gebe (cognatio coelestium corporum cum inferioribus).29 Diese Auffassung war in der Antike weit verbreitet,30 und der Humanismus hatte sie wieder aufgegriffen.31 Man stellte sich vor, daß die Gestirne durch ihre Eigenart, ihre Bewegung und ihre Konstellation zueinander Einfluß auf die irdische Welt und ihre Lebewesen ausübten. Die Untersuchung, Berechnung und Voraussage dieser Einflüsse bildete die Hauptaufgabe der Astrologie.32 Melanchthon machte die einzelnen Planeten und ihre Konstellationen für Veränderungen der Materie, Elemente und Körper auf Erden verantwortlich.33 Konkret sprach er von einem Einfluß der Planeten auf das Wetter 34 und stellte daher entsprechende Prognosen auf.35 Daneben war Melanchthon davon überzeugt, daß die Gestirne allerlei Unheil auf der Welt wie Kriege, Unruhen und Seuchen bewirkten und man dies voraussagen könne. Entsprechend erstellte er auch für diese Wirkung der Gestirne selbst Prognosen und interessierte sich für die Voraussagen anderer.36 Bei fremden Voraussagen legte er großen Wert dar29 Vgl. »De dignitate astrologiae« [CR 11, 263]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 179]; MBW 6787 [CR 8, 63] und »De Orione« von 1553 [CR 12, 51]. 30 Sie findet sich besonders in den Schriften Marcus Tullius Ciceros (160 – 43 v. Chr.), in der Naturgeschichte von Plinius d.Ä. (23/24 n. Chr. – 79) und im Neuplatonismus. 31 Ihre Aufnahme im Humanismus ist besonders ausgeprägt bei Marsilio Ficino (1433– 1499); vgl. dazu Hartfelder, Der Aberglaube Melanchthon’s, 263 f.; Braunsperger, Astrologie der Blütezeit, 12; Knappich, Geschichte der Astrologie, 187 f.; Koch, Melanchthon, Zwingli und die Astrologie, 13; Maurer, Der junge Melanchthon 1, 135, 139 ff. und 153 und Sparn, Aberglaube, 58. 32 Deshalb stehen die effectiones bzw. effectus bei Melanchthon im Mittelpunkt all seiner Astrologie-Definitionen (vgl. dazu die Belege oben Anm. 23; zudem »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 185]). 33 Vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 182]; MBW 6363 [CR 7, 952] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 11]. 34 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 167, Z. 108 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 264]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 294]; »An leges damnent praedictiones astrologicas« [CR 10, 714]; »De effectibus motuum« [Haussleiter, Kompendium, 146]; MBW 3978 [CR 5, 819]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 182]; »De Orione« [CR 12, 48] und eine undatierte Postille [CR 24, 206]. 35 Vgl. MBW 2011 [MBW T 8, 74, Z. 17 ff.]; MBW 2360 [MBW T 9, 93, Z. 7 ff.]; MBW 2530 [MBW T 9, 410, Z. 8 ff.] und MBW 3811 [CR 5, 700]. 36 Vgl. Prognosen anderer in MBW 1098 [MBW T 4/2, 738, Z. 11 ff.]: »Cracoviensis«; MBW 1167 [MBW T 5, 140, Z. 40 f.]: Schöner; MBW 1193 [MBW T 5, 208, Z. 18 f.]: Anton Brellochs (1507–1559) und Johann Virdung (zu ihm Anm. 45); MBW 1655 [MBW T 6, 497, Z. 3 ff.]: Bitte um Vorhersagen Virdungs oder eines anderen; MBW 1953 [MBW T 7, 536, Z. 35 f.]: Camerarius; MBW 1968 [MBW T 7, 564, Z. 25 ff.] und MBW 1971 [MBW T 7, 571, Z. 39 f.]: Bitte an Dietrich um Vorhersagen für das neue Jahr, Ablehnung der von Paracelsus (1493–1541) oder Matthias Brotbeihel; MBW 2195 [MBW T 8, 425, Z. 24]: »Astrologi«; MBW 2530 [MBW T 9, 410, Z. 9 ] und MBW 6453 [CR 7, 1008]: Burkhard Mithoff
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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auf, ihr Zustandekommen nachvollziehen zu können.37 Als besonders ungünstig galten ihm einzelne Planeten,38 bestimmte Konjunktionen, vor allem die von Saturn und Mars,39 und Mond- und Sonnenfinsternisse (eclipsis lunae / solis).40 (1501–1564); MBW 4915 [CR 6, 698] und MBW 6912 [CR 8, 131]: »prognosticon« und MBW 8785 [Regest bei Scheible, MBW R 8,288]: Voraussagen polnischer Astrologen. 37 Vgl. MBW 1159 [MBW T 5, 125, Z. 3 ff.] und MBW 5035 [CR 6, 790]. 38 Vgl. Mars in MBW 218 [MBW T 1, 457, Z. 7]; Saturn in MBW 1166 [MBW T 5, 137, Z. 2 ]; in Gedichten vom 4. 8. 1533 [CR 10, 538, Nr. 113] und 29. 1. 1534 [CR 10, 540, Nr. 117] und in einer Rede an Professoren vom 26. 4. 1558 [CR 9, 529 f., Nr. 6510; hier 529]; Orion in »De Orione« [CR 12, 51]. 39 Oft waren die Drohungen der Konjunktionen allgemeiner Art: vgl. MBW 793 [MBW T 3, 528, Z. 26 ff.]; MBW 1259 [MBW T 5, 310, Z. 6 f.]; MBW 2883 [MBW T 11, 61, Z. 3 f.]; MBW 4140 [CR 6, 27]; MBW 4533 [CR 6, 343]; MBW 4898 [CR 6, 680]; MBW 4954 [CR 6, 723]; MBW 5031 [CR 6, 785 f.]; die Rede »De studiis literarum non deserendis« vom 7. 2 . 1548 [CR 11, 811–816, Nr. 102; hier 814]; MBW 7040 [CR 8, 183]; MBW 7086 [CR 8, 227]; MBW 7143 [CR 8, 265]; MBW 7691 [CR 8, 216]; MBW 7732 [CR 8, 682]; MBW 7753 [CR 8, 696] und eine Rede an Professoren vom 26. 4. 1558 [CR 9, 529]. Die Konjunktionen konnten aber auch für folgendes konkretes Unheil verantwortlich gemacht werden: – tumultus, motus, confusiones in MBW 2150 [MBW T 8, 315, Z. 22 f.]; MBW 3443 [MBW T 13, 65, Z. 8 ff.]; MBW 4931 [CR 6, 704]; MBW 5118 [CR 6, 851]; MBW 5688 [Regest bei Scheible, MBW R 5, 543]; MBW 5695 [CR 7, 513]; MBW 5702 [CR 7, 533]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 353]; MBW 5886 [CR 7, 649]; MBW 5894 [CR 7, 654]; MBW 5941 [CR 7, 690]; MBW 5949 [CR 6, 294 f.]; MBW 7098 [CR 8, 233] MBW 7117 [CR 8, 241] und MBW 7666 [CR 8, 633]; – dissidia, rixae in MBW 2403 [MBW T 9, 190, Z. 10 f.]; MBW 3356 [MBW T 12, 392, Z. 19 ff.]; MBW 3371 [MBW T 12, 417, Z. 8 ]; MBW 3712 [MBW T 13, 474, Z. 34 f.] und MBW 7741 [CR 8, 690]; – Krieg in MBW 1351a [MBW T 5, 469, Z. 7 ff.]; MBW 4952 [CR 6, 721]; MBW 5077 [CR 6, 824]; MBW 5183 [CR 6, 948]; MBW 5186 [Waltz, Epistolae Reformatorum 3, 298]; MBW 5465 [CR 7, 344]; MBW 5672 [CR 7, 501]; MBW 5829 [CR 7, 610]; MBW 5882 [CR 7, 647]; MBW 7667 [CR 8, 628]; MBW 7741 [CR 8, 690] und MBW 7762 [Flemming, Briefwechsel Melanchthons, 56]; – Krankheiten in MBW 5726 [CR 7, 544]; MBW 6027 [CR 7, 755]; MBW 6126 [Volz, Briefwechsel 1, 130]; MBW 6129 [CR 7, 807]; MBW 6461 [CR 7, 1009]; MBW 6469 [CR 7, 1014]; MBW 6552 [CR 7, 1063]; MBW 6603 [CR 7, 1106] und MBW 7735 [CR 8, 690]. In MBW 2156 [MBW T 8, 335, Z. 4 f.] und MBW 2159 [MBW T 8, 337, Z. 5 ff.] vermutete Melanchthon einen Einfluß der Sterne auf den langsamen Fortschritt der Verhandlungen in Frankfurt. 40 Vgl. zu den negativen Auswirkungen von Finsternissen: – allgemein: Gedicht vom 30. 4. 1530 [CR 10, 535, Nr. 108]; MBW 1176 [MBW T 5, 170, Z. 214 f.]; MBW 1259 [MBW T 5, 310, Z. 6 ]; MBW 1351a [MBW T 5, 468, Z. 1 ff.]; Gedichte vom 4. 8. 1533 [CR 10, 538, Nr. 113] und 14. 1. 1534 [CR 10, 539, Nr. 116]; MBW 1838 [MBW T 7, 328, Z. 33 f.]; MBW 1882 [MBW T 7, 414, Z. 9 ff.]; MBW 2485 [MBW T 9, 347, Z. 12 f.]; MBW 2548 [MBW T 9, 456, Z. 9 ]; MBW 3415 [MBW T 12, 495, Z. 4 f.]; MBW 4309 [CR 6, 186]; MBW 4862 [CR 6, 647]; MBW 4942 [CR 6, 716]; MBW 4952 [CR 6, 720]; MBW 4954 [CR 6, 723]; MBW 4963 [CR 6, 729]; MBW 5015 [CR 6, 771]; die Rede »De studiis literarum non deserendis« vom 7. 2 . 1548 [CR 11, 814]; MBW 7434 [CR 8, 376 f.]; MBW 8174 [CR 9, 125] und eine Rede an Professoren [CR 9, 529]; – Veränderungen in MBW 4958 [CR 6, 728];
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Zudem bemühte sich Melanchthon, für bestimmte Handlungen einen von der Sternenkonstellation her gesehen günstigen Zeitpunkt auszuwählen.41 Neben den globalen Wirkungen der Sterne ging er auch von einer Wirkung ungünstiger Konstellationen auf einzelne Menschen aus und brachte Unheil mit den Sternen in Verbindung.42 Grundsätzlich ging er von einem Einfluß der Gestirne und ihrer Konstellationen auf die Grundkonstitution und damit auf das Schicksal einzelner Menschen aus, denn die Gestirne waren seiner Meinung nach für die Temperamente (temperamenta) und Neigungen (inclinationes) der Menschen verantwortlich.43 Die Behauptung einer solchen Wirkung der Gestirne bildet bis heute die Grundlage für die Erstellung von Horoskopen. Melanchthon interessierte sich sehr für Horoskope (genesis, thema, natalis, nativitas) und gab die– fames in MBW 2150 [MBW T 8, 315, Z. 23]; – Uneinigkeit, certamina, contentiones, rixae in MBW 3712 [MBW T 13, 474, Z. 34 f.]; MBW 7350 [CR 8, 388]; MBW 7351 [CR 8, 388] und MBW 7353 [CR 8, 389]; – Kriege, motus, tumultus: Gedicht vom 29. 1. 1534 [CR 10, 540, Nr. 117]; MBW 4938 [CR 6, 714]; Gedicht vom 28. 10. 1547 [CR 10, 596, Nr. 228]; MBW 4961 [CR 6, 725]; MBW 7367 [CR 8, 394]; MBW 7380 [CR 8, 408 f.] und MBW 7667 [CR 8, 628]; – Weltende in MBW 4928 [CR 6, 705]; MBW 4931 [CR 6, 704] und MBW 4933 [CR 6, 709]; – Beeinträchtigung einzelner Personen in MBW 1810 [MBW T 7, 278, Z. 14 f.]; MBW 1812 [MBW T 7, 281, Z. 14 f.]; MBW 1813 [MBW T 7, 282, Z. 8 ff.]; MBW 1815 [MBW T 7, 286, Z. 27 f.]; MBW 2546 [MBW T 9, 454, Z. 10 ff.]; MBW 6029 [CR 7, 759] und MBW 9291 [CR 9, 1091]. Entsprechend setzte Melanchthon an Tagen mit einer Finsternis seine Vorlesungen aus (vgl. ein Gedicht, durch das er dies ankündigen ließ, bei Bernhardt, Melanchthon als Mathematiker, 45 und bei Horn, Melanchthon als Astrologe, 170). 41 Vgl. MBW 1702 [MBW T 7, 61, Z. 3 ff.]; MBW 1703 [MBW T 7, 62, Z. 4 f.]; MBW 6027 [CR 7, 756]; MBW 6046 [CR 5, 353]; MBW 6126 [Volz, Briefwechsel 1, 130] und MBW 6635 [CR 7, 1132]. 42 Von den Sternen bewirktes Unheil für einzelne Menschen sah Melanchthon für schlechte Menschen voraus (vgl. die Einladung zu einer Magisterpromotion von September 1541 [Haussleiter, Kompendium, 145] und MBW 3447 [MBW T 13, 73, Z. 3 f.]), dann aber auch für seine eigene Person; vgl. MBW 2668 [MBW T 10, 129, Z. 12 ff.] und MBW 2672 [MBW T 10, 137, Z. 12 ff.]: langsame Heilung seiner Hand; MBW 7437 [CR 8, 444]; MBW 7710 [CR 8, 672]; MBW 9291 [CR 9, 1091]; MBW 9296 [CR 9, 1095]; seinen eigenen Tod laut Örtels Grabrede auf Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 187–206, Nr. 7136; hier 204]; vgl. auch seine Rede vom negativen Einfluß des kritischen Jahres (vgl. Knappich, Geschichte der Astrologie, 224) in MBW 2294 [MBW T 8, 571, Z. 2 ]; MBW 8801 [CR 9, 666]; MBW 8860 [CR 9, 744] und MBW 9010 [CR 9, 845]. 43 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 168, Z. 147 ff.]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 102 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262]; MBW 3978 [CR 5, 819 f. und 822–824]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 324 f.]; MBW 6363 [CR 7, 952]; MBW 6787 [CR 8, 62]; MBW 7278 [CR 8, 338] und das Gedicht auf Beza vom 8. 10. 1557 [Baum, Beza 1, 307, Anm. 19]. Im Hintergrund dieser Annahme stand bei Melanchthon die Theorie von vier Planetengruppen – den sogenannten trigoni, denen die vier Elemente und die vier verschiedenen Temperamente unter den Menschen (Melancholiker, Phlegmatiker, Sanguiniker, Choleriker) entsprechen. Diese vier Temperamente kämen aber nicht nur in Reinform, sondern hauptsächlich in den verschiedensten Mischungsverhältnissen vor. Aus ihnen entstünden die inclinationes eines Menschen; vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 239].
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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ses Interesse an seine Schüler weiter.44 Aus zahlreichen Äußerungen geht hervor, daß er sein eigenes Horoskop kannte und sich auch danach richtete.45 Auch anderen riet er, sich an ihrem Horoskop zu orientieren.46 Melanchthon erstellte und deutete zudem selbst Horoskope, besonders für seine Kinder und Enkelkinder,47 für die Kinder und Enkelkinder von Freunden48 und für andere Personen.49 Schließlich sammelte er Horoskope bekannter Persönlichkeiten, vor allem von Fürsten, oder Daten über sie, um ein Horoskop erstellen zu können, und tauschte sich mit anderen über die Deutung der Horoskope aus.50 Horosko44
Vgl. zu Melanchthons Interesse den Hinweis in Luthers Tischreden von 1533 [WA Tr 3, 114, Nr. 2952b, Z. 23 f.] und von 1542/43 [WA Tr 5, 223, Nr. 5538, Z. 1]. 45 Es war von dem berühmten Astrologen Johann Virdung (1463–1538/39) gestellt worden, der damals als Mathematiker am Hof des pfälzischen Kurfürsten beschäftigt war (vgl. DBE 10, 214). Vgl. Melanchthon über sein Horoskop in MBW 1567 [MBW T 6, 365, Z. 9 ]; MBW 1694 [MBW T 7, 50, Z. 21 f.]; MBW 1810 [MBW T 7, 278, Z. 15 f.]; MBW 2546 [MBW T 9, 454, Z. 11]; MBW 2668 [MBW T 10, 129, Z. 14]; MBW 5174 [CR 6, 919]. Insbesondere vermied Melanchthon eine Reise ins Baltikum wegen der Warnung vor dem Norden und der Ostsee in seinem Horoskop (vgl. MBW 8288 [CR 9, 189]; MBW 8297 [CR 9, 196] und die Berichte darüber, Melanchthon habe in seinen letzten Lebenstagen von diesem Horoskop gesprochen (vgl. »Brevis Narratio« [Müller, Melanchthons letzte Lebenstage, 2]; »Kurtzer Bericht« [Müller, a. a. O., 71]; »Scripta ad vitam et obitum Melanthonis« von 1560, hiervon Schrift D, Nr. 7138 [CR 10, 208–253; hier 209] und Schrift E, Nr. 7139 [CR 10, 253–292; hier 278]). Christoph Stathmion stellte ihm 1556 ein neues Horoskop; vgl. dazu MBW 7710 [CR 8, 672]. 46 Vgl. MBW 4780 [CR 6, 568] in bezug auf Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen. 47 Vgl. für seine Tochter Magdalena (1531–1576) in MBW 1167 [MBW T 5, 141, Z. 72 ff.] und MBW 1177 [MBW T 5, 172, Z. 13 ff.] und für seine Enkelin Anna Sabinus († 1537) in MBW 1941 [MBW T 7, 515, Z. 3 f.]. 48 Vgl. für den Sohn des Camerarius in MBW 1167 [MBW T 5, 139, Z. 33 ff.]; für die Töchter Spalatins in MBW 1215 [MBW T 5, 245, Z. 7 ff.] und MBW 1915 [MBW T 7, 466, Z. 2 ff.]; für die Töchter Dietrichs in MBW 1840 [MBW T 7, 330, Z. 11 ff.], MBW 1884 [MBW T 7, 418, Z. 17 ff.] und MBW 2485 [MBW T 9, 346, Z. 3 ff.]; über Crucigers Sohn in MBW 1882 [MBW T 7, 414, Z. 12 ff.]; für Justus Menius’ Söhne in MBW 3972 [CR 5, 779] und MBW 4009 [CR 5, 849]; für Sohn und Tochter von Baumgartner in MBW 4259 [CR 6, 134 f.], MBW 5255 [CR 7, 105] und MBW 5869 [Bindseil, Epistolae, 116]; über Brücks Enkeltochter in MBW 4496 [CR 6, 321]; für Meienburgs Söhne in MBW 5035 [CR 6, 790]; für Peutingers Söhne in MBW 6373 [Clemen, Melanchthonbriefe, 70]; für Glasers Tochter in MBW 6624 [CR 7, 1122] und für G. Agricolas Sohn in MBW 8734 [CR 9, 631]. 49 Vgl. MBW 1548a [MBW T 6, 316, Z. 23 ff.]; MBW 1567a [MBW T 6, 365, Z. 3 ff.]; MBW 1991 [MBW T 8, 43, Z. 23 f. und 44, Z. 35]; MBW 2253 [MBW T 8, 506]; MBW 3066 [MBW T 11, 295, Z. 15 ff.]; MBW 3384a [MBW T 12, 438, Z. 17 f.]; MBW 3459 [MBW T 13, 95, Z. 22 ff.]; MBW 5676 [CR 7, 503]; MBW 6159 [CR 7, 819]; MBW 7743 [CR 8, 698]; MBW 7825 [Bindseil, Epistolae, 387]; MBW 8193 [Stupperich, Briefverkehr, 63 f.] und MBW 9246 [CR 9, 1063]. 50 Vgl. MBW 742 [MBW T 3, 431, Z. 11 ff.]; MBW 1112 [MBW T 5, 31, Z. 29 ff.]; MBW 1113 [MBW T 5, 32, Z. 2 ff.]; MBW 1114 [MBW T 5, 33, Z. 7 ff.]; MBW 1120 [MBW T 5, 44, Z. 20]; MBW 1210 [MBW T 5, 240, Z. 24 f.]; MBW 1223 [MBW T 5, 225, Z. 15 ff.]; MBW 1261 [MBW T 5, 313, Z. 30 ff.]; MBW 1300 [MBW T 5, 373, Z. 8 ff.]; MBW 1400 [MBW T 6, 36, Z. 26]; MBW 1443 [MBW T 6, 97, Z. 4 ff.]; MBW 1451 [MBW T 6, 109,
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
pe wurden damals nicht nur für Menschen, sondern auch für Städte, Universitäten etc. aufgestellt.51 Auch im Hinblick auf die Wirkungen der Gestirne ist bei Melanchthon manchmal die Tendenz zu einer Vermischung zu spüren, die es ihm erlaubte, die Kritiker als unglaubwürdig darzustellen. Er sagte beispielsweise, die Voraussagen der Astrologie könnten nicht insgesamt verworfen werden, denn dann lehne man auch die Wirkung der Planeten auf das Wetter und die Temperaturen auf Erden ab, die ja von niemandem in Zweifel gezogen wurden.52 1.2.4 Das Verhältnis der Sterne zu anderen Einflüssen auf die Welt und die Menschen Auch wenn Melanchthon den Einflüssen der Gestirne große Bedeutung beimaß, war ihm bewußt, daß das Handeln eines Menschen nicht allein durch sein Horoskop erklärt werden könne und daß das Unheil auf Erden sich nicht auf bestimmte Sternenkonstellationen reduzieren ließ, sondern daß es neben den Sternen noch andere Einflüsse auf die Welt und ihre Menschen gibt.53 Er ging davon aus, daß die Menschen den Wirkungen der Sterne nicht hilflos ausgeliefert sind, sondern daß Möglichkeiten der Milderung drohenden Unheils bestehen. Andernfalls käme man tatsächlich zu einem deterministischen Weltbild, das Melanchthon und die meisten anderen Astrologen aber entschieden ablehnten.54 Z. 4 ff.]; MBW 1452 [MBW T 6, 109, Z. 1 ff.]; MBW 1582 [MBW T 6, 389, Z. 3 ff.]; MBW 1883 [MBW T 7, 416, Z. 30 ff.]; MBW 1884 [MBW T 7, 418, Z. 21 ff.]; MBW 1921 [MBW T 7, 474, Z. 6 ff.]; MBW 1953 [MBW T 7, 536, Z. 35 f.]; MBW 2051 [MBW T 8, 144, Z. 57 f.]; MBW 3099 [MBW T 11, 344, Z. 21 ff.]; MBW 4989 [CR 6, 744]; MBW 5625 [CR 7, 461]; MBW 5792 [CR 7, 592]; MBW 5930 [CR 7, 682]; MBW 6395 [CR 7, 972]; MBW 6556 [CR 7, 1066]; MBW 6849 [CR 8, 83]; MBW 7040 [CR 8, 183]; MBW 7536 [CR 3, 556]; MBW 8012 [CR 8, 894] und »De congressu Bononiensi« von 1559 [CR 12, 307–317; hier 315]. Melanchthon konnte sogar aufgrund eines Horoskops seine Meinung über einen Menschen ändern, z. B. über Philipp von Hessen (vgl. MBW 1158 [MBW T 5, 124, Z. 22 ff.]). Vgl. Melanchthon zum Sammeln von Horoskopen in MBW 6549 [CR 7, 1059]. 51 Vgl. die Aussagen über eine günstige Konstellation Nürnbergs in der Rede »Encomium Franciae« von 1538 [CR 11, 383–397, Nr. 52; hier 394]: »Nonnihil et coelestes causae ad iuvarit soli bonitatem et hominum ingenia« und die Hinweise auf eine ungünstige Konstellation für die Neugründung einer Universität in Jena 1547 in MBW 4929 [CR 6, 708]. 52 Vgl. »De Orione« [CR 12, 50]. 53 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 169, Z. 188 f.]; MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 99 ff.]; »De effectibus motuum« [Haussleiter, Kompendium, 146]; MBW 3978 [CR 5, 820 f. und 823]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 323 und 339]; MBW 6363 [CR 7, 952]; MBW 6787 [CR 8, 62]; Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 15] und MBW 7278 [CR 8, 338]. 54 Die Astrologen beriefen sich in diesem Zusammenhang auf den Thomas von Aquin (ca. 1225–1274) zugeschriebenen Satz »inclinant astra, non necessitant« (vgl. Boll / Bezold / Gundel, Sternglaube und Sterndeutung, 31; Braunsperger, Astrologie der Blütezeit, 27; Maurer, Der junge Melanchthon 1, 159; Matthäus, Astrologie, 290 und Smolinsky, Deutungen der Zeit, 4). Luther versuchte, diesen Satz gegen die Astrologie anzuwenden (vgl. eine Tischrede von 1537 [WA Tr 3, 449, Nr. 3606b, Z. 2 ff.]: »bene dicunt
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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Melanchthon nannte als vorrangige Ursachen irdischer Vorgänge und menschlichen Handelns neben den Sternen folgende drei Faktoren: 55 die Menschen (1), den Teufel (2) und Gott (3).56 (1) Im Hinblick auf das menschliche Handeln betrachtete Melanchthon den Willen (voluntas) des Menschen als die wichtigste Ursache, denn er sah in ihm den Teil des Menschen, der für das konkrete Verhalten verantwortlich ist.57 Das Verhältnis zwischen diesem Willen und den Wirkungen der Sterne stellte er folgendermaßen dar: Der Wille erhalte in Gestalt des Temperaments durch die Sterne eine Vorgabe, ihr gegenüber könne er sich aber frei verhalten, das heißt dem Vorgegebenen zustimmen oder entgegenwirken.58 Auch in bezug auf die Ursachen irdischen Unheils können die Menschen nach Melanchthon nicht aus der Verantwortung entlassen werden. Es müsse geschaut werden, ob bestimmte schlimme Ereignisse auf Erden überhaupt auf die Sterne zurückgeführt werden können oder nicht vielmehr in den schlechten Sitten (mores) der Menschen begründet seien.59 Auch wenn klar sei, daß man Veränderungen auf Erden aufgrund bestimmter Sternenkonstellationen befürchten müsse, seien die Menschen diesen Drohungen nicht hilflos ausgeliefert, sondern könnten das Ausmaß des Angedrohten durch ihr eigenes Verhalten mildern.60
[astrologi]: Astra inclinant, sed non necessitant. Ergo per illam [sc. astrologiam] non est prophetandum«). Bei Melanchthon begegnet der Satz in dieser Form nicht; vgl. zu seiner Ablehnung des Determinismus MBW 3978 [CR 5, 823]; MBW 6435 [CR 7, 996]; MBW 6699 [CR 7, 652]; MBW 6785 [CR 9, 1081] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 16–18]. 55 Melanchthon nannte ab und zu auch noch weitere Faktoren, die hier nur kurz erwähnt werden sollen: In bezug auf den einzelnen Menschen müssen nach Melanchthon neben seinem Horoskop die Region, in der ein Mensch geboren wurde und lebt, die Anlagen seiner Eltern, seine Erziehung und seine Gewohnheiten in Betracht gezogen werden; vgl. den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 14]. Für die Erklärung von Geschehnissen auf Erden mußte seiner Ansicht nach zudem die Unbeständigkeit der Materie berücksichtigt werden; vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 322 und 327]. 56 Schon allein weil die Astrologie zur besseren Unterscheidung der dem Leben zugrundeliegenden Ursachen nötige, war sie für Melanchthon eine nützliche Wissenschaft; vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 344]. 57 Vgl. Bornkamm, Melanchthons Menschenbild, 88. 58 Vgl. »De effectibus motuum« [Haussleiter, Kompendium, 146]; MBW 3978 [CR 5, 820 f. und 823]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 212 und 340] und »De Orione« [CR 12, 50]. 59 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 232, Z. 158 ff.]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 292]; MBW 3415 [MBW T 12, 495, Z. 4 f.]; MBW 4954 [CR 6, 723]; MBW 5672 [CR 7, 501]; MBW 5695 [CR 7, 513]; MBW 5882 [CR 7, 647 f.]; MBW 5886 [CR 7, 649]; MBW 6785 [CR 9, 1081]: »Hominum mala αὐθαίρετα non refero ad fatalem«; MBW 7367 [CR 8, 394]; MBW 7380 [CR 8, 408 f.]; MBW 7667 [CR 8, 628] und MBW 7753 [CR 8, 696]. 60 Vgl. die Einladung zu einer Magisterpromotion im September 1541 [Haussleiter, Kompendium, 145]; MBW 3356 [MBW T 12, 392, Z. 26 ff.]; MBW 6435 [CR 7, 996]; MBW 6699 [CR 7, 652] und MBW 7353 [CR 8, 389].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
(2) Als eine weitere Ursache menschlichen Handelns und irdischen Unheils nannte Melanchthon den Teufel. Diese Ursache zu nennen war vor allem deshalb nötig, um die Herkunft des abgrundtief Bösen zu erklären, das weder durch die Sünden der Menschen noch durch das Wirken der Sterne ausreichend begreiflich gemacht werden könne.61 (3) Die dritte Ursache des menschlichen Handelns wie weltweiter Veränderungen sah Melanchthon in Gott und seinen Engeln. Gott war für ihn der Weltschöpfer und damit die erste Ursache hinter allem, was geschieht. Durch die Schöpfung hätten zwar auch Kreaturen wie die Sterne eine gewisse Macht und Spielraum für ihr Wirken erhalten (causae secundae). Gott könne aber jederzeit korrigierend eingreifen. Aufgrund der Macht der Sünde könne es geschehen, daß Gott negativen Einflüssen ihren Lauf lasse, um damit den sündigen Menschen zu drohen und sie zur Buße zu rufen, seiner Kirche zuliebe werde er aber alles Unheil abwenden.62 Im Hinblick auf die Wirkungen der Sterne bedeute das konkret, daß Gott sie ändern bzw. mildern könne, wenn wir ihn im Gebet darum bitten.63 Von dieser Möglichkeit machte Melanchthon persönlich sehr oft Gebrauch; sie war ihm ein wichtiger Trost angesichts des durch die Sterne angedrohten Unheils.64 61 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 169, Z. 189 ff.]; MBW 3978 [CR 5, 821]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 322 f. und 340] und »De Orione« [CR 12, 50 f.]. 62 Vgl. ein Gedicht vom 28. 10. 1547 [CR 10, 596, Nr. 228]; MBW 5869 [Bindseil, Epistolae, 116]; »De Orione« [CR 12, 50] und die »Loci praecipui theologici« von 1559 [MSA 2/1, 164–352; hier 216, Z. 24 ff.]; zur Bezeichnung der Sterne als Zeichen (signa) Gottes das genannte Gedicht; MBW 7353 [CR 8, 389] und ein Gedicht von 1556 [CR 10, 633, Nr. 298]. 63 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 168, Z. 154 ff.]; ein Gedicht vom 4. 8. 1533 [CR 10, 538, Nr. 113]; MBW 1351a [MBW T 5, 469, Z. 14 ff.]; MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 104]; MBW 1884 [MBW T 7, 418, Z. 20 f.]; »De effectibus motuum« [Haussleiter, Kompendium, 146]; die Einladung zu einer Magisterpromotion im September 1541 [Haussleiter, a. a. O., 145]; MBW 3978 [CR 5, 820–822]; MBW 4938 [CR 6, 714]; MBW 4954 [CR 6, 723]; MBW 5255 [CR 7, 105]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 322–325, 340 und 354]; MBW 5869 [Bindseil, Epistolae, 116]; MBW 6245 [CR 7, 683]; MBW 6435 [CR 7, 996]; MBW 6699 [CR 6, 652]; MBW 6785 [CR 9, 1081]; MBW 6787 [CR 8, 63]; MBW 7353 [CR 8, 389]; MBW 7691 [CR 8, 217]; MBW 7710 [CR 8, 672]: »Non Deus est numen Parcarum carcere clausum, Quale putabatur Stoicus esse Deus. Sed lenire causas Physicas Deus potest« (dieser Vers findet sich auch in Gedichten von 1555 [CR 10, 627, Nr. 286] und ohne Datum [CR 10, 652, Nr. 341]). Für das Eingreifen Gottes in die Natur nannte Melanchthon folgende biblische Beispiele: die Rettung der Israeliten am Roten Meer [Ex 14], den Kampf zwischen David und Goliath, zu dem David durch Gott gebracht wurde [1Sam 17], die Geschichte des Propheten Jona, die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis [Apg 12] und die Berufung des Paulus [Apg 9 u. a.]. Für das Angebot Gottes, ihn im Gebet um Hilfe zu bitten, verwies Melanchthon auf die Aussage Jesu in Lk 21,36. 64 Vgl. zu Melanchthons Gebeten, die im Lauf der Jahre wuchsen, ein Gedicht von 1534 [CR 10, 541, Nr. 118]; MBW 1812 [MBW T 7, 281, Z. 15 f.]; MBW 2403 [MBW T 9, 190, Z. 11 f.]; MBW 2883 [MBW T 11, 61, Z. 4 ]; MBW 3415 [MBW T 12, 495, Z. 5 ff.]; MBW 4140 [CR 6, 27]; MBW 4533 [CR 6, 343]; MBW 4933 [CR 6, 710]; ein Gedicht vom 28. 10. 1547 [CR 10, 597, Nr. 228]; MBW 5118 [CR 6, 851]; MBW 5695 [CR 7, 513]; MBW 5726
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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1.2.5 Der vielfache Nutzen der Astrologie Melanchthon wies immer wieder auf den vielfachen Nutzen der Astrologie hin,65 eine Größe, die neben der Gewißheit wesentliches Merkmal seines Wissenschaftsbegriffs war.66 Zunächst sei sie dadurch nützlich, daß sie die Theologie unterstütze. Wenn man nämlich die wunderbar gefügte Ordnung des Himmels und die vielfältigen Wirkungen der Gestirne betrachte, könne man nicht annehmen, daß dies alles zufällig (casu) entstanden sei, vielmehr müsse man an eine dahinterstehende aeterna mens architectatrix glauben.67 Insofern komme der Astronomie und der Astrologie das Verdienst zu, auf die Existenz Gottes hinzuweisen, der diese Ordnung erschaffen hat und immer noch erhält und lenkt (providentia, gubernatio).68 Zudem mache die Astrologie die Menschen auf Gottes Strafandrohungen gegen die sündige Welt aufmerksam und bringe sie wieder dazu, zu
[CR 7, 544]; MBW 5882 [CR 7, 647]; MBW 7040 [CR 8, 183]; MBW 7098 [CR 8, 233]; MBW 7117 [CR 8, 241]; MBW 7350 [CR 8, 388]; MBW 7351 [CR 8, 388]; MBW 7667 [CR 8, 628]; MBW 7691 [CR 8, 216 f.]; MBW 7710 [CR 8, 672]; MBW 7732 [CR 8, 682 f.]; MBW 7733 [CR 8, 682]; MBW 7741 [CR 8, 690]; MBW 7754 [CR 8, 695]; MBW 7779 [CR 8, 730] und MBW 8801 [CR 9, 666]. 65 Vgl. die allgemeinen Hinweise auf ihren Nutzen in MBW 1176 [MBW T 5, 164, Z. 16 und 166, Z. 73]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 86 und 232, Z. 145 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262 f.]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 92]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 294 und 296]; MBW 1927 [MBW T 7, 489, Z. 96 ff. und 490, Z. 113 f.]; MBW 2088 [MBW T 8, 203, Z. 12 und 205, Z. 64 f.]; MBW 3331 [MBW T 12, 351, Z. 9 f.]; MBW 3978 [CR 5, 818]; MBW 6363 [CR 7, 951] und MBW 6787 [CR 8, 62]. 66 Vgl. Grosse, Nützlichkeit, 70. 67 Vgl. zu dieser Definition Gottes Bellucci, Gott als Mens. 68 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 165, Z. 45 ff.]; ein Gedicht von 1533 [CR 10, 539, Nr. 114]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 71 ff.]; ein Gedicht auf Milichius von 1534 [CR 10, 540, Nr. 118]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 263]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 96 ff.]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 294 f. und 297]; die Thesen »De astronomia« von Mai 1537 [Haussleiter, Kompendium, 140–144; hier 141 f.]; MBW 1927 [MBW T 7, 489, Z. 101 f.]; MBW 2088 [MBW T 8, 205, Z. 60 f.]; »De effectibus motuum« [Haussleiter, a. a. O., 146]; MBW 3331 [MBW T 12, 351, Z. 11 ff.]; MBW 3712 [MBW T 13, 474, Z. 12 ff.]; MBW 3978 [CR 5, 818 f.]; MBW 4445 [CR 6, 271]; ein Gedicht vom 28. 10. 1547 [CR 10, 596, Nr. 228]; MBW 5052 [CR 6, 807]; MBW 5053 [CR 6, 805]; MBW 5157 [CR 6, 905 f.]; MBW 5641 [CR 7, 472]; MBW 6363 [CR 7, 950]; MBW 6699 [CR 7, 652]; MBW 6787 [CR 8, 61 und 63]; »De Orione« [CR 12,51]; Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 16]; ein Gedicht auf Beza vom 8. 10. 1557 [Baum, Beza 1, 307, Anm. 19] und eine »Quaestio academica« von 1560 [CR 10, 887–893, Nr. 75; hier 887]. Melanchthon verwies in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Aussagen von Plato »grata de Deo fama in his artibus sparsa est« und von Xenophon (430/25–355 v. Chr.) [Memorabilia I,4,7]: ἔοικε ταῦτα σοφοῦ τινος δημιουργοῦ καὶ φιλοζῴου τεχνήμασι . Solche Argumentationsfiguren einer »natürlichen Theologie« begegnen auch sonst bei Melanchthon; vgl. dazu »Encomium Medicinae« von 1529/30 [CR 11, 197–202; hier 201] und die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 220–222].
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Gott zu beten und ihm zu gehorchen; 69 dadurch verhelfe sie den Menschen dazu, ihren Ort in der Welt zu erkennen.70 Daneben sprach Melanchthon häufig vom Nutzen der Zeitrechnung als Ermöglichung menschlichen Lebens, als Grundlage von Kultur und Religion, als dem, was die Menschen von den Tieren und der Barbarei abhebe. Ihm war klar, daß dieser Nutzen eigentlich nur der Astronomie zukam, manchmal gewinnt man aber den Eindruck, als habe er sich bewußt unscharf ausgedrückt, indem er zum Beispiel zwischen Astronomie und Astrologie nicht differenzierte oder von der Mathematik im allgemeinen sprach, um auch die Astrologie in den Genuß dieses Nutzens kommen zu lassen. Dann mußte es so klingen, als wollten die Kritiker der Astrologie die Zeitrechnung abschaffen und zur Barbarei zurückkehren.71 Konkret könne die Astrologie auch im alltäglichen Leben nutzbar gemacht werden. Besonders für die Medizin sei sie unersetzlich. Für einen Menschen sei es beispielsweise hilfreich, sein von den Sternen verursachtes Temperament zu kennen, damit er seine Lebensweise darauf ausrichten könne. Hauptsächlich wurde die Astrologie aber bei der Erkennung und Behandlung von Krankheiten angewendet; die Behandlung sollte hier zum einen dem Temperament eines Patienten entsprechen, zum anderen sollten manche Behandlungen nur zu bestimmten Zeitpunkten vorgenommen werden.72 Auch für die Ethik habe es Vorteile, wenn die Menschen ihre Temperamente kennen; sie könnten dann positive Anlagen verstärken und negativen Einflüssen entgegenwirken.73 Zudem solle sich die Politik mit den Voraussagen der Sterne beschäftigen, um 69 Vgl. »De astronomia et geographia« [CR 11, 297]; MBW 1927 [MBW T 7, 489, Z. 102 f.]; MBW 4445 [CR 6, 271] und »De Orione« [CR 12, 47]. 70 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 165, Z. 45 f.]; MBW 2088 [MBW T 8, 205, Z. 61 f.]; MBW 5157 [CR 6, 905] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 179]. 71 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 166, Z. 62 ff.]; MBW 1382 [MBW T 5, 518, Z. 17 ff.]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 68 f.]; MBW 1770 [MBW T 7, 197, Z. 50 ff.]; MBW 1927 [MBW T 7, 489, Z. 99 f.]; MBW 2088 [MBW T 8, 203, Z. 3 ff. und 204 f., Z. 53 ff.]; MBW 3978 [CR 5, 818]; MBW 6363 [CR 7, 952]; »De Orione« [CR 12, 47 und 49]; MBW 7278 [CR 8, 338] und »Quaestio academica« [CR 10, 887]. 72 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 88 f.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 263 und 265]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 107 f.]; Promotionsrede für Milichius zur Frage »Utrum Astrologia sit adiugenda Medicinae« von 1536 [CR 10, 715–717, Nr. 13; hier 716]; MBW 6363 [CR 7, 952]; MBW 6787 [CR 8, 62]; Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 16 und 18]. Für die Verbindung von Astrologie und Medizin verwies Melanchthon auf viele Vorbilder, z. B. auf die alten Ägypter, auf Hippokrates (ca. 460 – ca. 370 v. Chr.), Diokles von Karystos (4. Jh. v. Chr.), Galen (129–199/215) und Ptolemäus. In MBW 8748 [CR 9, 643] berichtete er von einem Mann, der wegen seines Horoskopes fürchtete, an der Schwindsucht zu erkranken. 73 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 89 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262 und 265 f.]; ein Gedicht von 1535 [CR 10, 545, Nr. 125]; »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 141]; MBW 3978 [CR 5, 821 und 823]; MBW 6363 [CR 7, 952] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 16]. Immer wieder zitierte Melanchthon den Vers »Qui sapit, ille animum fortunae praeparat omni, Praevisumque potest arte levare malum«.
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entsprechende Gegenmaßnahmen bei Stürmen oder anderen Unglücksfällen ergreifen zu können.74 1.2.6 Die Zuverlässigkeit der Astrologie Für Melanchthon stand die grundsätzliche Zuverlässigkeit der astrologischen Lehre nicht in Frage. Sie könne sichere Aussagen treffen, weil sie sich auf die Erfahrung der vergangenen Jahrhunderte gründe75 und über genügend demonstrationes verfüge. Melanchthon stand dem Begriff der Erfahrung aber nicht unkritisch gegenüber, sondern war sich darüber im Klaren, daß die Erfahrung nur die Grundlage bilde, auf der eine ars entstehen könne.76 Auch mußte er zugeben, daß es im Hinblick auf demonstrationes für die Astronomie besser aussah als für die Astrologie.77 Das Vorhandensein von Unsicherheiten erklärte er durch die Anwendung der Astrologie, zum Beispiel in Gestalt falscher oder unsicherer Voraussagen. Für ihr Zustandekommen gab Melanchthon folgende Gründe an: Zunächst verwies er auf Fehler einzelner Vertreter der Astrologie oder Betrügereien, die aber nicht der Lehre von der Astrologie angelastet werden dürften.78 Bei der konkreten Anwendung der Astrologie seien in manchen Fällen Wahrscheinlichkeitsurteile unumgänglich; diese seien jedoch nicht an sich abzulehnen, denn auch andere Wissenschaften wie etwa Medizin und Politik seien bisweilen auf sie angewiesen.79 Melanchthon gab zu, daß sich die Astrologie bei ihren Voraussagen öfter irre als andere Wissenschaften, aber irren sei schließlich menschlich und auch andere Wissenschaften wie die Medizin, die Politik und die Schiffahrt irrten sich häufig und seien dadurch unsicher.80 Die Astrologie könne zwar nicht alle Ereignisse voraussagen, aber deshalb sei sie nicht insgesamt abzuleh74 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 101 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 265] und MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 109]. 75 Vgl. die zahlreichen Hinweise auf die experientia, z. B. in MBW 1176 [MBW T 5, 167, Z. 108]; »Contra empiricos medicos« [CR 11, 205]; MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 113 f.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 264 f.]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 297]; MBW 3978 [CR 5, 819, 822 und 824]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 182 und 332– 335]; MBW 6787 [CR 8, 62] und »De Orione« [CR 12, 48]. 76 Vgl. »Contra empiricos medicos« [CR 11, 206]. 77 Vgl. die Hinweise auf demonstrationes der Astronomie in MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 110]; »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 141]; »De effectibus motuum« [Haussleiter, a. a. O., 146] und MBW 3978 [CR 5, 818]; zur Astrologie »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262] und MBW 3978 [CR 5, 823]. 78 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 115 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262]; MBW 6787 [CR 8, 63] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 14]. 79 Vgl. »De dignitate astrologiae« [CR 11, 263]; die Schrift »Philosophiae moralis epitome« von 1546 [MSA 3, 152–301; hier 159, Z. 1 ff.] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 343]. 80 Vgl. »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262 f.]; MBW 3978 [CR 5, 823] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 14]; zur Tradition des Verweises auf andere Wissenschaften die Belege bei Boll / Bezold / Gundel, Sternglaube und Sterndeutung, 165.
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nen.81 Zudem sei auch Weniges über die Zukunft zu erfahren nützlicher als gar nichts zu wissen.82 Als Gründe für die eingeschränkte Zuverlässigkeit der Astrologie vor allem bei Horoskopen verwies Melanchthon auf die genannten weiteren Ursachen menschlicher Handlungen, über die die Astrologie keine Aussagen treffen könne.83 Zudem befinde sich die Astrologie in viel weiterer Entfernung von den Objekten ihrer Forschungen als beispielsweise die Medizin und habe deshalb mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen.84 1.2.7 Das Verhältnis von Astrologie und Christentum Auf dem Hintergrund des bisher Dargestellten ist es verständlich, daß Astrologie und christlicher Glaube für Melanchthon keinen Gegensatz bildeten, sondern sogar zusammengehörten.85 Diente die Astrologie doch – wie oben beschrieben – der Theologie durch ihren Hinweis auf den Schöpfergott. Auch sonst bemühte sich Melanchthon darum, die enge Zusammengehörigkeit zwischen Gott, Naturwissenschaften und damit auch der Astrologie darzulegen, indem er zum Beispiel darauf verwies, Gott habe die menschliche Natur auf diese Wissenschaften hin angelegt und diese Wissenschaften seien Geschenke Gottes an die Menschen.86 Entsprechend versuchte er, sowohl die Astronomie als auch die Astrologie durch das Zeugnis der Schrift zu stützen.87 Er behauptete, bereits Adam habe Abel die Grundlagen der Physik gelehrt 88 und schon die Erzeltern hätten sich mit der Astronomie beschäftigt.89 Weiter verwies er auf folgende Bibelstellen: die Passage aus dem Schöpfungsbericht über die Erschaffung der Lichter (Gen 1,14),90 die Warnung Jeremias vor heidnischen Göttern
81 Vgl. MBW 1509 [MBW T 6, 231, Z. 118 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262 f.]; MBW 3978 [CR 5, 824] und den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 14]. 82 Vgl. MBW 3978 [CR 5, 823]. 83 Vgl. den Kommentar zu Ptolemäus [CR 18, 14]; zu den anderen Ursachen oben Kap. 1.2.4. 84 Vgl. »De dignitate astrologiae« [CR 11, 262]. 85 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 168, Z. 128 ff. und 169, Z. 181 ff.]; MBW 1770 [MBW T 7, 199, Z. 111] und eine undatierte Postille [CR 24, 203]. 86 Vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 165, Z. 32 ff.]; MBW 1509 [MBW T 6, 230, Z. 64 f. und 232, Z. 164]; MBW 1780 [MBW T 7, 219, Z. 123]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 297]; »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 141] und MBW 6363 [CR 7, 950 f.]. 87 Vgl. »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 142]. 88 Vgl. MBW 5641 [CR 7, 474]. 89 Vgl. MBW 2088 [MBW T 8, 204, Z. 46 ff.]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 295] und »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 143]. 90 Diese Stelle diente Melanchthon ebenso wie Luther als Beweis für die Astronomie (vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 166, Z. 61 f.]; »De astronomia et geographia« [CR 11, 295]; »De astronomia« [Haussleiter, Kompendium, 142 f.]; MBW 3978 [CR 5, 818] und MBW 6363 [CR 7, 952]). Gleichzeitig verwendete er sie aber auch als Beleg für die von der Astrologie behauptete Wirkung der Sterne (vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 170, Z. 211 f.] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 339]). Gen 1,14 wurde auch später und wird bis heute als Beweis für
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( Jer 10,2) 91 und im Hinblick auf die Vorzeichen den Befehl Christi, auf die Zeichen zu achten (Mt 16,3; Mt 24 und Mk 13).92 Insgesamt läßt sich festhalten, daß Melanchthon den Gestirnen zwar eine gewisse Macht zugestand, aber in keinem Fall wollte, daß sie mit ihren Wirkungen in Konkurrenz zu Gott oder Christus treten.93 Es war ihm zudem wichtig zu betonen, daß innerhalb der Kirche nur Gott herrsche und nicht die Sterne.94
1.3 Melanchthons Glaube an Vorzeichen und Weissagungen Neben den Sternen gab es nach Melanchthon noch weitere Möglichkeiten, negative Entwicklungen der Zukunft vorauszusagen, zum einen aus der Natur in Gestalt von Vorzeichen aller Art (prodigia) und durch die Weissagungen göttlich inspirierter Seherinnen und Seher (vaticinia). 1.3.1 Melanchthons Glaube an Vorzeichen Vorzeichen aller Art stellten für Melanchthon klare Warnungen für ungünstige Entwicklungen in der Zukunft dar.95 Er unterschied vier Arten (genera) von Vorzeichen: 96 (1) Teufelserscheinungen und Gespenster (spectra),97 (2) na-
die Gottgewolltheit der Astrologie verwendet (vgl. Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 184 f. mit Anm. 101 f. und Schubert-Weller, in: Melanchthons Astrologie, 69). 91 Diese Stelle wurde und wird von vielen Kritikern der Astrologie gegen sie angeführt. Melanchthon wendete die Aussage Jeremias allerdings gegen die Kritik, indem er darauf verwies, daß Jeremia die Existenz von Zeichen nicht leugne, sondern die Frommen nur ermahne, sich nicht von ihnen schrecken zu lassen, sondern auf Gottes Schutz in der Gefahr zu vertrauen; vgl. MBW 1176 [MBW T 5, 169, Z. 171]; MBW 3978 [CR 5, 821] und »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 339]. 92 Vgl. Melanchthons »Dispositiones rhetoricae« von 1553 [SupplMel 2/1, 4, Nr. 6 ]. 93 Vgl. seinen Genesiskommentar von 1523 [CR 13, 761–792; hier 769]; MBW 1167 [MBW T 5, 141, Z. 75]; MBW 1176 [MBW T 5, 168, Z. 163 ff. und 169, Z. 191 ff.]; »De dignitate astrologiae« [CR 11, 265]; MBW 4954 [CR 6, 723]; ein Gedicht vom 28. 10. 1547 [CR 10, 596, Nr. 228]; »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 325] und ein Gedicht auf Beza vom 8. 10. 1557 [Baum, Beza 1, 307, Anm. 19]. 94 Vgl. »De Orione« [CR 12, 51]. 95 Vgl. MBW 3216 [MBW T 12, 171, Z. 10 ff.]; MBW 4952 [CR 6, 721]; MBW 5672 [CR 7, 501]; MBW 5829 [CR 7, 610]; MBW 5886 [CR 7, 649]; MBW 5894 [CR 7, 654]; MBW 7343 [CR 8, 377]; MBW 7367 [CR 8, 394]; MBW 7533 [CR 8, 508]; MBW 7667 [CR 8, 628] und die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 223, Z. 15 ff.]. 96 Vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 350 ff.]. 97 Vgl. konkrete Beispiele für Teufelserscheinungen bei Melanchthon in MBW 2896 [MBW T 11, 81, Z. 34 ff.]; MBW 3061 [MBW T 11, 289, Z. 31 ff.] und MBW 4206 [CR 6, 94]. Beispiele für Gespenstererscheinungen in MBW 1016 [MBW T 4/2, 527, Z. 2 ff.]; MBW 1017 [MBW T 4/2, 530, Z. 18 f.]; MBW 1120 [MBW T 5, 44, Z. 15 ff.]; MBW 1437 [MBW T 6, 92, Z. 15 ff.]; in einer Rede an Studenten von Juli 1538 [CR 3, 562, Nr. 1704] und MBW 5009 [CR 6, 764].
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türliche Himmelserscheinungen ( μετέωρα ) wie Kometen,98 (3) Wunderzeichen99 und (4) ungewöhnliche Geburten.100 Eine ähnliche, warnende Funk tion schrieb Melanchthon auch bestimmten Ereignissen in der Natur, insbesondere Naturkatastrophen zu.101 Probleme für eine sichere Deutung der 98
Neben dem Austausch von Beobachtungen über Kometen sprach Melanchthon auch von deren Wirkungen; vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 351] (zu dem dort zitierten griechischen Sprichwort Stegemann, Komet, 146, Anm. 246) und ein Gedicht von 1556 [CR 10, 633 f., Nr. 298]. Folgendes Unheil brachte er mit Kometen in Verbindung: – allgemeine Drohungen und Strafen in MBW 1178 [MBW T 5, 174, Z. 17 f.]; MBW 1259 [MBW T 5, 310, Z. 6 ]; MBW 1299 [MBW T 5, 372, Z. 12]; MBW 1347 [MBW T 5, 463, Z. 27 f.]; MBW 1838 [MBW T 6, 328, Z. 33 f.]; MBW 7732 [CR 8, 682]; MBW 7739 [CR 8, 689]; MBW 7746 [CR 8, 694] und MBW 8701 [CR 9, 595]. Vgl. auch den Hinweis, daß Melanchthon von einem Kometen beunruhigt war, im Brief von J. Agricola an Melanchthon 21. 9. 1531 [MBW 1187; MBW T 5, 201 f.; hier 201, Z. 2 ff.]; – Tod eines Fürsten in MBW 1177 [MBW T 5, 172, Z. 17 f.]; MBW 2202 [MBW T 8, 432, Z. 18 ff.]; MBW 7733 [CR 8, 682]; MBW 7753 [CR 8, 696]; MBW 7754 [CR 8, 695]; MBW 7762 [Flemming, Briefwechsel Melanchthons, 56]; MBW 7877 [CR 8, 734] und Annalen zum Jahr 1558 [CR 9, 706–718; hier 708 und 718]; – Kriege und Streitigkeiten in MBW 7741 [CR 8, 690]; MBW 7762 [Flemming, Briefwechsel Melanchthons, 56]; MBW 7779 [CR 8, 730]; MBW 7783 [Volz, Briefwechsel 3, 61]; MBW 7786 [Bindseil, Epistolae, 386] und MBW 7913 [CR 8, 818]; – Erhöhte Ansteckungsgefahr bei Krankheiten in MBW 7735 [CR 8, 690] 99 Vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 351]. Beispiele finden sich bei Melanchthon in MBW 390 [MBW T 2, 286, Z. 11 ff.]; MBW 1305 [MBW T 5, 382, Z. 16 ff.]; MBW 1311 [MBW T 5, 396, Z. 26 ff.]; MBW 1483 [MBW T 6, 190, Z. 17 ff.]; MBW 1505 [MBW T 6, 223, Z. 39 f.]; MBW 1558 [MBW T 6, 342, Z. 11 ff.]; MBW 2509 [MBW T 9, 379]; MBW 2510 [MBW T 9, 380, Z. 17 ff.]; MBW 3009 [MBW T 11, 223, Z. 12 ff.]; MBW 3058 [MBW T 11, 285, Z. 6 ff.]; MBW 3141 [MBW T 12, 48, Z. 11 ff.]; MBW 3206 [MBW T 12, 154, Z. 1 ff.]; MBW 3488 [MBW T 13, 135, Z. 48]; MBW 4930 [Regest bei Scheible, MBW R 5, 194]; MBW 4950 [CR 6, 722]; MBW 4957 [CR 6, 729]; MBW 4992 [CR 6, 749]; MBW 5079 [CR 6, 826]; MBW 5262 [CR 7, 108]; MBW 5273 [CR 7, 123 f.]; MBW 5325 [CR 7, 124 f.]; MBW 5365 [CR 7, 227]; MBW 5379 [CR 7, 762]; MBW 5468 [CR 7, 350]; MBW 5564 [CR 7, 417]; MBW 5672 [CR 7, 501]; MBW 5757 [CR 7, 567]; MBW 5836 [CR 7, 804]; MBW 5880 [CR 7, 646]; MBW 5881 [CR 7, 611 f.]; MBW 5882 [CR 7, 647]; MBW 5889 [CR 7, 651]; MBW 6029 [CR 7, 759]; MBW 6033 [Regest bei Scheible, MBW R 6, 143]; MBW 6364 [CR 7, 954]; MBW 6472 [Clemen, Melanchthoniana, 450]; MBW 6699 [CR 7, 652 f.]; MBW 6714 [CR 8, 20]; MBW 6728 [CR 2, 28]; MBW 6893 [Krause, Melanchthoniana, 150]; MBW 6894 [CR 8, 104]; MBW 7174 [CR 8, 276]; MBW 7176 [CR 8, 277]; MBW 7272 [CR 8, 334]; MBW 7295 [CR 8, 350]; MBW 7401 [CR 8, 423]; MBW 7415 [CR 8, 436]; MBW 7988 [CR 8, 870] und MBW 8026 [CR 8, 892]. 100 In »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 351 ff.] bezeichnete Melanchthon diese Geburten als Zufälle der Natur, konnte aber auch von einer besonderen Bedeutung sprechen. In einer Aufzeichnung aus der Zeit nach 1530 [MBW 9412; CR 10, 111 f.] erklärte er ihr Zustandekommen. Konkrete Beispiele finden sich bei Melanchthon in MBW 390 [MBW T 2, 286, Z. 12 f.]; MBW 937 [MBW T 4/1, 260, Z. 17 ff.]; MBW 1093 [MBW T 4/2, 727, Z. 69 ff.]; MBW 5177 [CR 6, 921]; MBW 7531 [CR 8, 507]; MBW 7533 [CR 8, 508] und MBW 9412 [CR 10, 111 f.]. 101 Diese lassen sich in folgende Gruppen einordnen: – Unwetter: MBW 793 [MBW T 3, 528, Z. 28 ff.] und MBW 948 [MBW T 4/1, 297, Z. 19 ff.]; – Überschwemmungen: MBW 1093 [MBW T 4/2, 727, Z. 70 f.]; MBW 1101 [MBW T
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Vorzeichen sah Melanchthon in der Uneindeutigkeit vieler Vorzeichen102 und darin, daß nicht bei allen Vorzeichen eindeutige Rückschlüsse auf ihre Herkunft möglich seien103 – hinter den Gespenstererscheinungen und den Wunderzeichen konnte er einerseits gute oder böse Engel vermuten, die sich so den Menschen zeigen wollten,104 andererseits sah er in den Vorzeichen Fingerzeige Gottes, durch die dieser die sündige Menschheit zur Buße rufen wolle.105 Diese letztgenannte Sicht der Vorzeichen ermöglichte es ihm, ähnlich wie bei den Sternen von Gott Milderung der angedrohten Strafen und Schutz zu erbitten.106 In bezug auf die Vorzeichen war Melanchthon zwar bewußt, daß man sich auf solche Zeichen nicht verlassen könne, er verstand sie aber trotzdem als Zeichen kommenden Unheils.107 1.3.2 Melanchthons Glaube an Weissagungen Melanchthon vertraute neben Vorzeichen und astrologisch fundierten Voraussagen auch auf Weissagungen göttlich inspierter Personen, auf vom Heiligen Geist bewirkte Prophetie.108 Derartige Weissagungen fand er zum einen in der Bibel
4/2, 744, Z. 10 ff.]; MBW 1106 [MBW T 4/2, 754, Z. 12 ff.]; MBW 6472 [Clemen, Melanchthoniana, 450] und MBW 6556 [CR 7, 1066]; – Nebel: MBW 1192 [MBW T 5, 207, Z. 8 ff.]; – Tollwut: MBW 1700 [MBW T 7, 59, Z. 27 ff.]; – Heuschrecken: MBW 3043 [MBW T 11, 265, Z. 11 ff.]; – Erdbeben: MBW 3188 [MBW T 12, 128, Z. 7 ff.]; MBW 3216 [MBW T 12, 171, Z. 11 f.]; MBW 6425 [CR 7, 987]; MBW 6434 [CR 7, 993]; MBW 6438 [CR 7, 999]; MBW 6450 [CR 7, 1007]; MBW 6467 [CR 7, 1013]; MBW 6472 [Clemen, Melanchthoniana, 450]; MBW 6556 [CR 7, 1066]; MBW 6728 [CR 8, 28]; MBW 7002 [CR 8, 164]; MBW 7877 [CR 8, 734]; MBW 8883 [CR 9, 751] und MBW 9022 [CR 9, 897]; – Brände: MBW 7678 [Volz, Briefwechsel 3, 52]. 102 Vgl. MBW 3009 [MBW T 11, 224, Z. 14]. Er hielt die Vorzeichen grundsätzlich für undeutlicher als die Sterne; vgl. MBW 9412 [CR 10, 112]. 103 Vgl. MBW 6699 [CR 7, 652] und die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 223, Z. 32 f.]. 104 Vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 350 f.] und MBW 6699 [CR 7, 653]. Daneben sprach Melanchthon auch von einer möglichen natürlichen Erklärung der Wunderzeichen (vgl. »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 351]). 105 Vgl. MBW 6066 [CR 7, 769]; MBW 6699 [CR 7, 652] und »Dispositiones rhetoricae« [SupplMel 2/1, 4]. 106 Vgl. z. B. MBW 3216 [MBW T 12, 171, Z. 15 ff.]; MBW 5325 [CR 7, 125]; MBW 5564 [CR 7, 417]; MBW 5757 [CR 7, 567]; MBW 5948 [Stupperich, Briefverkehr, 58]; MBW 6438 [CR 7, 999]; MBW 6728 [CR 2, 28]; MBW 6893 [Krause, Melanchthoniana, 150]; MBW 6894 [CR 8, 104]; MBW 7415 [CR 8, 436]; MBW 7531 [CR 8, 507] und MBW 7689 [Volz, Briefwechsel 3, 53]. 107 Vgl. MBW 4957 [CR 6, 729] und MBW 5889 [CR 7, 651]. 108 Vgl. »Annotationes in Epistulam priorem ad Corinthios« von 1522 [MSA 4, 15–84; hier 66, Z. 12 f.]; MBW 1177 [MBW T 5, 172, Z. 27 f.]; zum Verständnis von Weissagung Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, 11 und de Liagre Böhl, Weissagung, 1583.
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
(vaticinia in Ecclesia) 109 und dachte hier vor allem an Bileam (Num 22–24),110 Jesaja,111 Hesekiel112 und Daniel.113 Zum anderen griff er auf Weissagungen göttlich inspirierter Seher der ferneren und näheren Vergangenheit zurück.114 Namentlich nannte er die Weissagungen Joachims von Fiore (1130/35–1202),115 des Franziskaners Johann Hilten (ca. 1420/25 – ca. 1500),116 eine Vision König Sigismunds (1368–1437), die in den 1520er Jahren gedruckt worden war,117 die Prophezeiungen des Petrus Mosellanus (1493/94–1524),118 die Vision des Schmalkaldischen Sehers Sigmund Gadaner von 1526,119 die Weissagung einer 109 Vgl. MBW 2799 [MBW T 10, 493, Z. 214 f.] und die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 223, Z. 17]. 110 Vgl. »Annotationes in Epistulam priorem ad Corinthios« [MSA 4, 66, Z. 14] und MBW 2498 [MBW T 9, 366, Z. 10]. 111 Vgl. MBW 2498 [MBW T 9, 366, Z. 10]. 112 Melanchthon deutete die Gog und Magog-Weissagung aus Hes 38 f. auf die Türken; vgl. MBW 1960 [MBW T 7, 549, Z. 107 ff.]; MBW 2808 [MBW T 10, 503, Z. 12 ff.]; MBW 3223 [MBW T 12, 178, Z. 6 ff.] und die Rede »De capta Constantinopoli« von 1556 [CR 12, 153–161, Nr. 152; hier 154]. 113 Vgl. MBW 546 [MBW T 3, 61]; MBW 769 [MBW T 3, 474–480]; MBW 1084 [MBW T 4/2, 708 f., Z. 12 ff.]; MBW 2053 [MBW T 8, 149 f.]; MBW 2067 [MBW T 8, 172 f., Z. 15 ff.]; MBW 2498 [MBW T 9, 366, Z. 10] und MBW 2599 [MBW T 9, 588, Z. 9 f.]. Besonders wichtig waren Melanchthon Dan 7 und 11. 114 Vgl. zu Melanchthons Glauben an diese Weissagungen MBW 6435 [CR 7, 995]; seine allgemeinen Aussagen über Weissagungen in MBW 1243 [MBW T 5, 285, Z. 12]; MBW 1551 [MBW T 6, 323, Z. 23 f.]; in einem Gedicht von 1535 [CR 10, 545, Nr. 125]; MBW 1929 [MBW T 7, 493, Z. 40]; MBW 2596 [MBW T 9, 578, Z. 71 ff.]; MBW 4357 [CR 6, 213]; MBW 6603 [CR 7, 1107] und MBW 8786 [Regest bei Scheible, MBW R 8, 289 f.]. 115 Vgl. MBW 218 [MBW T 1, 457, Z. 7 f.]; MBW 220 [MBW T 1, 459, Z. 2 f.] und MBW 1084 [MBW T 4/2, 709, Z. 14]; zu den Ausgaben, die Melanchthon benutzt haben könnte, Volz, MSA 7/2, 339. 116 Vgl. Melanchthons »Breves commentarii in Matthaeum« [CR 14, 543–1042; hier 841]; die Apologie zur CA Artikel 27 [BSLK, 377, Z. 32 ff.]; eine Rede an Studenten vom 18. 2 . 1542 [CR 4, 779–781, Nr. 2450; hier 780 f.]; MBW 6435 [CR 7, 995 f.]; MBW 6438 [CR 7, 999]; MBW 6450 [CR 7, 1007]; MBW 6699 [CR 7, 653]; MBW 6841 [Schirrmacher, Johann Albrecht, 365]; MBW 6892 [CR 8, 121]; MBW 6952 [CR 8, 145]; MBW 7308 (zunächst MBW 6611) [CR 7, 1112]; MBW 7688 [CR 8, 663]; MBW 7777 [Karner, Melanchthoniana, 69]; »De capta Constantinopoli« [CR 12, 154]; MBW 8786 [Regest bei Scheible, MBW R 8, 289 f.]; eine Notiz von Juni 1559 [Albrecht, Notiz, 798 f.]; MBW 9185 [CR 9, 1026] und die undatierten Postillen zum 4. Adventssonntag [CR 24, 55–71; hier 64]; zum Dreieinigkeitssonntag [CR 25, 1–28; hier 14] und zum Tag Johannes des Täufers [CR 25, 77–103; hier 80 f.]. Hintergrund der verstärkten Beachtung der Weissagungen Hiltens bei Melanchthon ab 1552 waren die vermehrten Feldzüge der Türken in Ungarn nach 1550. Vgl. zu Hiltens Weissagungen insgesamt Lemmens, Hilten, 331–340. 117 Vgl. bei Melanchthon MBW 1971 [MBW T 7, 570, Z. 37 ff.]; zu den Drucken dieser Schrift von 1520, 1521 und 1527 VD 16 O 509–514. 118 Vgl. MBW 4655 [CR 6, 441]; MBW 4661 [CR 6, 451 f.] und MBW 5196 [CR 6, 952]. 119 Vgl. MBW 1084 [MBW T 4/2, 709, Z. 14]; MBW 1145 [MBW T 5, 95, Z. 14 ff.]; MBW 1162 [MBW T 5, 131, Z. 13]; MBW 1177 [MBW T 5, 172, Z. 31 f.]; MBW 1244 [MBW T 5, 286, Z. 14] und MBW 1810 [MBW T 7, 278, Z. 18 ff.]; weitere Hinweise zu dieser Vision bei Löhr, MBW T 4/2, 709 Q.
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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unbekannten Frau aus Kitzingen,120 die Vision einer sterbenden Frau in Augsburg von 1546121 und die Prophezeiungen eines Greises in einem Dorf bei Gotha.122 Auch Weissagungen kam nach Meinung Melanchthons die Aufgabe zu, die Menschen im Auftrag Gottes zu warnen und zur Buße zu rufen.123 Entsprechend fand er auch im Hinblick auf die Drohungen dieser Weissagungen Trost im Gebet zu Gott bzw. Christus und hoffte auf göttliches Eingreifen.124 Abschließend läßt sich festhalten, daß Melanchthon Weissagungen Glauben schenkte, daß er aber Wert auf die Vertrauenswürdigkeit der Seherinnen und Seher legte und die Weissagungen seiner Meinung nach nicht über die biblische Verheißung gestellt werden sollten.125
1.4 Zusammenfassung Die vorausgehende Darstellung hat gezeigt, daß Melanchthon ein eifriger Verfechter der Astrologie war,126 der als solcher auch weithin bekannt war und geschätzt wurde127 und zu bekannten Astrologen seiner Zeit Kontakt pflegte.128 120
Vgl. MBW 1110 [MBW T 5, 27, Z. 13 ff.]; MBW 1116 [MBW T 5, 36, Z. 9 ff.] und MBW 1177 [MBW T 5, 172, Z. 34 ff.]. 121 Vgl. MBW 4404 [CR 6, 245]. 122 Vgl. MBW 5621 [CR 7, 455]. 123 Vgl. MBW 6435 [CR 7, 996]. 124 Vgl. MBW 1116 [MBW T 5, 36, Z. 16 f.]; MBW 3223 [MBW T 12, 179, Z. 9 f.]; MBW 6438 [CR 7, 999]; MBW 6603 [CR 7, 1107]; MBW 6841 [Schirrmacher, Johann Albrecht, 365]; MBW 6892 [CR 8, 121] und MBW 6952 [CR 8, 145]. 125 Vgl. »Annotationes in Epistulam priorem ad Corinthios« [MSA 4, 70, Z. 4 ff.] und MBW 4356 [CR 6, 214]. 126 Vgl. Melanchthon an Stigel ca. 1544 [MBW 3779; MBW T 13, 597 f.; hier 598, Z. 4 f.]: »me huius generis libelli fatidici non diu latent«; an Camerarius 29. 6. 1532 [MBW 1261; MBW T 5, 312–314; hier 312, Z. 8 ff.]: »Ego quidquid ei [sc. Gauricio] tribui officii, propter ea feci, ne prorsus feri et contemptores earum artium videremur, in quibus iste quadam cum laude versatur«; an Eber 29. 12. 1547 [MBW 5006; CR 6, 757 f., Nr. 4101; hier 757]: Selbstbezeichnung als Astrologus und an Stathmion 28. 6. 1550 [MBW 5838; CR 7, 622, Nr. 4748]: »scias me et genere Philosophiae, in qua versaris, delectari, et omnes venerari tuae Philosophiae Medica et Astrologicae cultores«. 127 Vgl. Johannes Dryander (1500–1560) aus Koblenz an Melanchthon 29. 5. 1534 [MBW 1443; MBW T 6, 97, Z. 3 ff.]; die Vorrede Hellers für Melanchthon zu seiner zusammen mit Johannes Schöner veranstalteten Neuausgabe von Albohalis »De iudiciis nativitatum« vom 1. 4. 1546 [MBW 4214; Originaldruck der Schrift, Nürnberg 1546, A 2 a und A 4b]; die Sammlung von Schriften astrologischer Autoren, die Gervasius Marstaller († 1578) 1549 in Paris herausgab unter dem Titel »Artis divinatricis quam astrologiam seu iudicariam vocant encomia et patrocinia« (vgl. Short-title Catalogue, 303), in der auch Melanchthon vorkam (vgl. Caroti, Melanchthon’s Astrology, 121), und den Verweis auf einen polnischen Astrologen, der wegen Melanchthon nach Wittenberg gekommen war, in WA 59, 731, Z. 1–3. 128 Dazu zählte z. B. der Italiener Lucas Gauricius (1475–1558), einer der angesehensten Astrologen des 16. Jahrhunderts (vgl. zu ihm Knappich, Geschichte der Astrologie, 230 und Lexikon der Astrologie, 95). Er war der Verfasser eines berühmten astrologischen Werkes von 1552 mit dem Titel »Tractatus astrologicus judicariae«. Melanchthon widmete ihm die Vorrede zu Camerarius’ »Norica« im Februar 1532 [MBW 1223; MBW T 5, 254–256]. Im
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Die Astrologie nahm in seinem System der Wissenschaften (orbis artium) einen gewichtigen Platz ein.129 Bei seiner Haltung zur Astrologie läßt sich keine innere Entwicklung feststellen, er blieb zeit seines Lebens bei der von seinem Lehrer Stöffler übernommenen Gestalt der Astrologie.130 Er vertrat diese öffentlichkeitswirksam im wissenschaftlichen Kontext und wandte diese theoretische Grundlage selbst ausgiebig an. Er war fasziniert von Voraussagen aller Art und überzeugt davon, daß man die Zukunft vorhersehen könne. Hierbei hielt er astrologische Zeichen für besonders verläßlich wegen ihrer Fundierung durch die Astronomie,131 aber auch von Voraussagen anderer Natur ließ er sich beeindrucken. Der Komplex der Astrologie wurde mit Vorzeichen und Weissagungen für Melanchthon dadurch zusammengehalten, daß er all diese Phänomene letztendlich auf Gott zurückführte. Dies wird besonders deutlich in einer Äußerung aus dem Jahr 1535, wo er betonte, Finsternisse, Planeten-Konjunktionen, Vorzeichen und Kometen seien nichts anderes als Orakel Gottes, die den Menschen Unheil und Veränderungen ankündigten.132 Der gesamte Komplex von Astrologie und Voraussagen stand für Melanchthon also nicht in Konkurrenz zur Theologie, sondern beide waren für ihn eng miteinander verbunden und gleichwertige Teile seines großen philosophischen Gesamtsystems. Er sah sich darin in der Nachfolge von Ptolemäus und Aristoteles.133 Die Astrologie wurde zum einen als Erkenntnishilfe des Schöpfergottes in die Theologie integriert, zum anderen wurde sie zusammen mit dem Vorzeichenglauben für eine Theologie der Buße fruchtbar gemacht. Dementsprechend lag es Melanchthon fern, in seiner Astrologie irgendeine Art von Aberglauben zu vermuten,134 sie war für ihn vielmehr ein Zeichen von Frömmigkeit.135 Er versuchte, zu einem April / M ai 1532 verbrachte Gauricius vier Tage bei Melanchthon in Wittenberg (vgl. dazu Melanchthon Anfang Mai 1532 an Baumgartner [MBW 1239; MBW T 5, 280 f.; hier 281, Z. 5 ff.] und an Camerarius [MBW 1240; MBW T 5, 281–283; hier 283, Z. 35 ff.] und an Camerarius 2. 5. 1532 [MBW 1241; MBW T 5, 283 f.; hier 284, Z. 13 ff.]). Der Kontakt zwischen Melanchthon und Gauricius hielt auch in späteren Jahren an (vgl. Melanchthon an Osiander 29. 1. 1539 [MBW 2142; MBW T 8, 304 f.; hier Z. 21 f.]; an Gauricius 1. 10. 1543 [MBW 3330; MBW T 12, 349 f.] und an Pistorius 22. 10. 1547 [MBW 4937; CR 6, 710 f., Nr. 4048; hier 710]). Allerdings war ihr Verhältnis wohl nicht ungetrübt (vgl. Melanchthon an Camerarius 29. 6. 1532 [MBW 1261; MBW T 5, 312–314; hier 312, Z. 8 ff.]). Vgl. zudem Melanchthons Hinweis auf einen nicht näher bekannten Astrologen im Brief an Moller 29. 11. 1547 [MBW 4975; CR 7, 225, Nr. 4 413]. 129 Vgl. Caroti, Melanchthon’s Astrology, 110 und Bellucci, Mélanchthon et la Défense de l’Astrologie, 621. 130 Vgl. Bellucci, Mélanchthon et la Défense de l’Astrologie, 590 und Methuen, Role of Heavens, 388. 131 Vgl. Caroti, Melanchthon’s Astrology, 110. 132 Vgl. »De dignitate astrologiae« [CR 11, 261]. 133 Vgl. Methuen, Role of Heavens, 402. 134 Vgl. Melanchthons Vorrede zu Schöners »De iudiciis nativitatum libri tres« vor 2. 8. 1545 [MBW 3978; CR 5, 817–824, Nr. 3241; hier 820 und 822]. 135 Vgl. Melanchthons Reden »De dignitate astrologiae« von 1535 [CR 11, 262 und 266] und »An leges damnent praedictiones astrologicas« vom 17. 4. 1536 [CR 10, 714].
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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Gleichgewicht zwischen Astrologie und Theologie zu kommen, so daß weder Gott entthront noch die Verantwortlichkeit der Menschen geschmälert noch die Wirkung der Sterne geschwächt wurde.136 Sicher war er sich darüber im Klaren, daß er in seiner praktischen Anwendung der Astrologie manchmal etwas zu weit ging.137 Er betrachtete aber die Beschäftigung mit der Astrologie als Erholung, die niemandem schade und ihm deshalb zugestanden werden müsse.138
Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen 2.1 Gegen Melanchthon persönlich gerichtete Kritik Melanchthons astrologische Neigungen wurden von 1532 bis in die 1550er Jahre hinein von verschiedenen Personen kritisiert. Es gibt allerdings nur noch wenige direkte Zeugnisse dieser Kritik. Der Großteil der Anschuldigungen muß aus Berichten erschlossen werden, die sich zum einen in Melanchthons Briefen, zum anderen in der Melanchthon-Biographie von Camerarius finden. Einer der beständigsten Kritiker Melanchthons in bezug auf seine astrologischen Neigungen war Luther. Er äußerte sich vor allem in den 1530er Jahren in Briefen und Tischreden über die seiner Ansicht nach allzu starke Ergebenheit Melanchthons an die Astrologie und bezeichnete Melanchthons Neigungen als heillos, schwärmerisch und schäbig.139 136
Vgl. Bellucci, Mélanchthon et la Défense de l’Astrologie, 622. Das wird etwa deutlich, wenn er seinen eigenen astrologischen Überlegungen über die langsame Heilung seiner Hand im Brief an Dietrich 15. 4. 1541 [MBW 2668; MBW T 10, 128 f.; hier 129, Z. 15] den Satz anschloß: »Sed has nugas omitto«. 138 Vgl. Melanchthons Grynäus gewidmete Vorrede zu Peurbachs »Theoricae novae planetarum« von November 1534 [MBW 1509; MBW T 6, 231, Z. 111 f.]; den Brief an Camerarius 9. 3. 1536 [MBW 1706; MBW T 7, 68 f.; hier 69, Z. 27 ff.]; seine Vorrede zu Schöners »De iudiciis nativitatum libri tres« vor 2. 8. 1545 [MBW 3978; CR 5, 824] und die Rede »De astronomia et geographia« [CR 11, 297]; zu einer ähnlichen Sichtweise auch Luther, unten Kap. 2 .3. 139 Vgl. Luther an Melanchthon 26. 2 . 1532 [MBW 1222; MBW T 5, 253 f.; hier 254, Z. 20 f.]: »plus satis tibi astragalizonti et ominoso mathematico« (zur Bezeichnung der Astrologie als Würfelspiel auch WA Tr 1, 105, Nr. 251, Z. 8 f.); Tischrede 8. 12. 1532 [WA Tr 3, 12, Nr. 2834b; hier Z. 31]: »Philippus meus multum deditus est huic studio [sc. astrologiae]«; Brief an Melanchthon 29. 8. 1535 [MBW 1615; WA Br 7, 244 f., Nr. 2231; hier 244, Z. 9 f.]: »nunc altera coniunctio transiit innoxia, et in tribus diebus ne naturale quidem funus fuit« (zum Verständnis als Verspottung der astrologischen Vermutungen Melanchthons auch Clemen, WA Br 7, 245, Anm. 3 ); Tischrede zwischen 1. und 14. 1. 1537 [WA Tr 3, 373, Nr. 3520; hier Z. 14 ff.]: »Doleo Philippum Melanthonem astrologia adeo haerere, quia maxime luditur; nam facile afficitur signis coelestibus et suis cogitationibus luditur . . . Jch habe nie wollen gleuben, das es im so ernst were«; Tischrede Sommer 1540 [WA Tr 5, 96, Nr. 5368; hier Z. 16]: »Philippus mit seiner heillosen vnd schwermerischen astrologia« und Tischreden zwischen 7. und 24. 8. 1540 [WA Tr 4, 684, Nr. 5147; hier Z. 7 ff.]: »Dominus Philippus . . . mit seiner heilosen vnd schebichten astrologia«. 137
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Zudem scheint man Melanchthons Neigungen in Nürnberg kritisch gesehen zu haben. So berichtete Melanchthon 1532 in einem Brief an Camerarius, er rechne mit Spott von seiten der Nürnberger für sein Lob des Astrologen Gauricius in seiner Vorrede zu den »Norica« des Camerarius.140 Und 1542 äußerte sich Melanchthon in einem Brief an Dietrich verärgert über Dietrichs Nachricht, der Nürnberger Lehrer Michael Roting habe seine Voraussagen verspottet.141 Als weiterer Kritiker trat 1547 der Meißner Schulrektor Georg Fabricius (1516–1571) in Erscheinung,142 dem Melanchthon des öfteren über seine durch Konstellationen und Vorzeichen hervorgerufenen Ängste berichtet hatte. Fabricius schrieb in einem Brief an den Medizinprofessor und Rektor der Leipziger Universität Wolfgang Meurer (1513–1585), Melanchthon lasse sich seiner Meinung nach zu stark von ungünstigen Voraussagen für das bevorstehende Jahr beeindrucken.143 Ferner wurde Melanchthon wegen seiner astrologischen Neigungen von Flacius kritisiert, der sich, als er erfuhr, daß Melanchthon 1548 aufgrund einer Mondfinsternis den Tod des Kaisers vorausgesagt hatte, verwundert darüber äußerte, daß ein so gebildeter Mann wie Melanchthon sich einer so nutzlosen Tätigkeit wie der Deutung der Zukunft aus den Sternen hingebe.144 Der letzte namentlich bekannte Kritiker ist der Italiener Lelio Sozzini (1525– 1562), der den Sommer 1550 in Wittenberg verbrachte und sich in dieser Zeit mit Melanchthon auch über astrologische Themen unterhalten zu haben scheint. Im August schrieb er in einem Brief an Bullinger, er habe den Eindruck, Me140 Vgl. Melanchthon an Camerarius 12. 3. 1532 [MBW 1224; MBW T 5, 257–259; hier 258, Z. 5 ff.]: »nihil me movit, ne, si nos mutuo praedicaremus, risum praeberemus ἢ ἀνθηρολόγῳ ἢ τισιν ἄλλοις τοῖς παρ’ ὑμῖν« und seine Gauricius gewidmete Vorrede zu den »Norica« des Camerarius von Februar 1532 [MBW 1223; MBW T 5, 254–256]; zu Gauricius oben Anm. 128. 141 Vgl. zu Roting auch oben Abschnitt I, Kap. 3.1 und unten Anm. 198; Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon 3, 410 und Ders., Münz-Belustigungen, 175; zu seiner Kritik Melanchthons Brief an Dietrich 20. 6. 1542 [MBW 2987; MBW T 11, 200 f.; hier 201, Z. 14 ff.]: »De meis praedictionibus Micaeli ἡμᾶς μυκτηρίζοντι καὶ κωμῳδοῦντι dicas honestius esse in divinationibus bene ominari amicis quam excusare contractus usurarios«. 142 Fabricius war seit 1546 Rektor der Fürsten- und Landschule in Meißen (vgl. DBE 3, 213). 143 Vgl. Fabricius an Meurer 1. 11. 1547 [Fabricius, Epistolae, 43 f., Nr. 43; hier 43]: »Attulit mihi ab eo [sc. Melanchthone] literas Petrejus suaves et humanas . . . Earum exemplar . . . adjunxi. Vides quid sentiat de futuri anni malis; respondi audacter [sc. MBW 4944], videtur enim plusculum tribuere illis divinationibus«. Melanchthon hatte in dem angesprochenen Brief an Fabricius vom 18. 10. 1547 [MBW 4931; CR 6, 704 f., Nr. 4042; hier 704] von seiner Besorgnis wegen der zu erwartenden Häufung von Finsternissen gesprochen: »Tres sunt eclipses exiguo intervallo, sed media Solis in Scorpio, ubi in ipsas tenebras incurrunt Mars, Venus et Mercurius. Si de mundi fine pronunciare liceret, dicerem excidium orbis terrarum significari«. 144 Vgl. Flacius’ Schriften »Entschuldigung an die Universitet zu Wittemberg der Mittelding halben« von 1549 (VD 16 F 1266) und »Omnia latina scripta . . . hactenus sparsim contra Adiaphoristicas fraudes« von 1550 (VD 16 F 1296) [nach Olson, Flacius, 109 f.].
V. Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen
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lanchthon stütze sich mehr auf die Sterne als auf Gott, den Schöpfer der Sterne.145 Auf die Existenz weiterer Kritiker kann zwar aus den Berichten von Melanchthon und Camerarius geschlossen werden, ihre Namen bleiben aber im Dunkeln. Melanchthon berichtete in Briefen immer wieder darüber, er sei wegen seiner Astrologie scharf angegriffen worden und man habe ihm Aberglauben und Ängstlichkeit vorgeworfen, weil er sich durch Weissagungen leiten lasse.146 Und Camerarius wandte sich in seiner »Vita Melanchthonis« von 1566 gegen Kritiker, die Melanchthon zu seinen Lebzeiten als Urheber und Förderer abergläubischer Studien verhöhnt hätten und diese Vorwürfe auch nach seinem Tod noch vorbrächten.147
2.2 Kritik an der Astrologie insgesamt 2.2.1 Der Bezug der allgemeinen Astrologie-Kritik zu Melanchthon Neben den bisher genannten Vorwürfen gegen Melanchthon gab es auch Kritik, die sich nicht direkt gegen ihn richtete, sondern sich grundsätzlich gegen eine Beschäftigung mit der Astrologie und gegen ihre Behandlung an den Universitäten wandte. Diese betraf Melanchthon in zweierlei Hinsicht: Zum einen war er einer der prominentesten Vertreter der wissenschaftlichen Astrologie seiner Zeit und mußte sich als solcher von grundsätzlicher Astrologie-Kritik angesprochen fühlen. Da er eine starke Verbundenheit mit Gleichgesinnten verspürte, trafen ihn auch Angriffe auf andere Astrologen, mit denen er in Beziehung stand. Zum anderen ist zu vermuten, daß manche Kritiker wegen Melanchthons großer Autorität und Beliebtheit nicht wagten, ihn in ihren astrologiekritischen Schriften direkt anzugreifen, ihn aber durch mehr oder weniger eindeutige Bemerkungen spüren ließen, daß auch er gemeint war.148 145
Vgl. Sozzini an Bullinger 20. 8. 1550 [Sozzini, Opere, 176–178, Nr. 17; hier 177, Z. 6 f.]: »unus ille ab astris ne magis an ab astrorum conditore ac domino pendeat ignoro«; zum Verständnis der Stelle Rotondò, Sozzini-Opere, 177, Anm. 4 ; zu ihren Gesprächen in Wittenberg Melanchthon an Stathmion Januar / Februar 1551 (?) [MBW 5990; CR 7, 633, Nr. 4760]. 146 Vgl. Melanchthon an Seyfriedt 30. 11. 1533 (?) [MBW 1382; MBW T 5, 518, Z. 14]: »qui[dam] nos calumniantur propter astrologiam«; an Camerarius 9. 3. 1536 [MBW 1706; CR 3, 105 f., Nr. 1451; hier 105]: »risi indignationem tuam, qui tam graviter fers reprehendi sententiam nostram et iudicium culpari, quibus probantur et commendantur Mathematicae disciplinae . . . de divinationibus, quod quendam ostendis deridentem has« und die Vorrede zu einem Werk von Maior 5. 5. 1552 [MBW 6435; CR 7, 994–998, Nr. 5112; hier 995]: »Ego . . ., etiamsi timidus aut supersticiosus dicar, fateo me . . . vaticiniis moveri«. 147 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 97: »existebant tunc tamen aliqui, qui illi [sc. Melanchthoni] tanquam autori approbatorique superstitiosi studii obtrectarent, totamque occupationem hujus disciplinae malam ac perniciosam esse assererent: et nunc etiam liberius a quibusdam hoc nomine mortuo maledicitur«. 148 Vgl. dazu das astrologiekritische Werk des Tübinger Dichterhumanisten Nikodemus
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Teil 1: Die Kritik an Melanchthon in ihrem historischen Kontext
Im folgenden soll untersucht werden, ob und inwiefern die grundsätzliche Astrologie-Kritik, die zu Melanchthons Lebzeiten geäußert wurde und uns bekannt ist, einen Bezug zu ihm hatte. 2.2.1.1 Die Kritik Luthers Eine eindeutige Relation zwischen der allgemeinen Astrologie-Kritik und Melanchthon bestand bei Luther.149 Da sich Luther in seiner Kritik an der Astrologie – wie oben dargestellt – oft gegen Melanchthon direkt wandte,150 ist zu vermuten, daß auch seine allgemeine Kritik an der Astrologie vor allem Melanchthon treffen sollte. Gegen diese Kritik wehrte sich Melanchthon sicher in erster Linie im persönlichen Gespräch mit Luther.151 Aber auch sein Eingehen auf grundsätzliche Kritik in seinen zahlreichen akademischen Reden zu astrologischen Themen vor dem Wittenberger Publikum und seine Bemühungen um das Wohlwollen seiner Zuhörer weisen darauf hin, daß er versuchte, Luthers astrologiekritischen Einfluß in Wittenberg zurückzudrängen. Verschiedene seiner Äußerungen weisen darauf hin, daß die öffentliche Kritik an seiner Unterstützung für die Astrologie im Frühjahr 1536 einen Höhepunkt erreichte.152 Ob es in Wittenberg neben Luther weitere Kritiker gab, läßt sich nicht mehr feststellen, da Melanchthon keine Namen nannte. 2.2.1.2 Die Kritik von Stoltz und Aurifaber Desweiteren ist auf die astrologiekritische Schrift der beiden Weimarer Theologen Stoltz und Aurifaber zu verweisen, die Anfang des Jahres 1554 in Jena unter dem Titel »Kurtze Verlegung der unchristlichen Practica Magistri Johannis HeFrischlin (1547–1590) »De astronomicae artis, cum doctrina coelesti, et naturali philosophia, congruentia, . . . libri quinque. Passim inserata est huic operi solida divinationum astrologicarum confutatio« von 1586, in dessen Vorrede er sich für seine Kritik an der Astrologie rechtfertigte, obwohl er wisse, daß Melanchthon sie befürwortet habe [2a f.]: »Etsi autem non ignoro, quantum isti viri tribuerint τῇ μαντικῇ, diuinationi Astrologiae, quantum Philippus ipse: quia tamen rationes habeo non contemnendas (opinor) quae me ab illorum sententia retrahunt, & aliorum partibus accedere hortantur: iccirco neminem puto fore, qui aegre sit laturus, quod ego veterum & recentium Scriptorum armis, contra Astrologicas diuinationes milito«. 149 Vgl. zu Luthers Ablehnung der Astrologie Ludolphy, Luther über Astrologie; Dies., Luther und die Astrologie und Lämmel, Luthers Verhältnis zu Astronomie und Astrologie. 150 Vgl. dazu oben Kap. 2 .1. 151 Vgl. die Hinweise auf Diskussionen der beiden über astrologische Themen in den Tischreden zwischen 2. und 26. 1. 1533 [WA Tr 3, 57, Nr. 2892b, Z. 10]; zwischen 2. und 7. 8. 1540 [WA Tr 4, 668, Nr. 5113, Z. 16 ff.] und ohne Datum [WA Tr 5, 334, Nr. 5734, Z. 23 ff. und 558, Nr. 6250, Z. 6 ff.]. 152 Vgl. Melanchthon an Camerarius 9. 3. 1536 [MBW 1706; MBW T 7, 68, Z. 7 ff.]; die auffallend lange captatio benevolentiae in seiner Rede »An leges damnent praedictiones astrologicas« vom 17. 4. 1536 [CR 10, 712] und die Bemerkung in der Rede »De astronomia et geographia« von 1536 [CR 11, 294]: »omissa divinatrice parte, ne quod mihi certamen accersam«; dazu auch Kusukawa, Transformation, 138.
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benstreits, auff das jar 1554, zu Erffurd ausgangen« erschien. Auch hier läßt sich ein Zusammenhang mit Melanchthon nachweisen:153 Die Schrift richtete sich zunächst – wie der Titel schon sagte – gegen den Erfurter Mediziner Johannes Hebenstreit d. J. (1525–1569) und seine Voraussagen für das Jahr 1554.154 Hebenstreits Prognosen waren für Stoltz und Aurifaber aber wohl nur der aktuelle Auslöser ihrer Schrift, weil sie ein besonders gutes Beispiel für die große Beliebtheit der Astrologie darstellten. Der Widerspruch dagegen war der eigentliche Grund ihrer Schrift.155 Melanchthons Namen nannten sie in ihrer Schrift zwar nicht explizit, es gibt aber zahlreiche Anhaltspunkte dafür, daß ihre Kritik neben Hebenstreit vor allem Melanchthon und anderen Mitgliedern der Wittenberger Universität galt: Zum ersten könnte sich ihre Schrift nicht nur an Hebenstreits Prognose, sondern auch an einer von Melanchthon oder Peucer stammenden astrologisch fundierten Prognose vom Oktober 1553 entzündet haben.156 Zum zweiten betonten Stoltz und Aurifaber, ihre Schrift sei auf Rat Amsdorfs erfolgt, der seit den 1530er Jahren ein erbitterter Gegner Melanchthons war.157 Zum dritten beriefen sich Stoltz und Aurifaber auf die astrologiekritische Haltung Luthers,158 der in dieser Frage ein beständiger Kritiker Melanchthons war. Ein vierter Hinweis auf Melanchthon und andere Wittenberger Professoren liegt in der Klage von Stoltz und Aurifaber, auch hochgelehrte Männer an den Universitäten hätten zur Ausbreitung der Astrologie beigetragen.159 Schließlich deuten auch die vielen Äußerungen Melanchthons und sein Verhalten in den Wochen und Monaten nach dem Erscheinen der Schrift darauf hin, daß er sich persönlich angegriffen fühlte: Er bekräftigte immer wieder, auch er werde kritisiert, er wolle sich aber nicht reizen lassen und werde die Schrift nicht beantworten.160 Die Schrift von Aurifaber und Stoltz führte sogar 153 Diesen Zusammenhang sahen schon von Döllinger, Die Reformation 1, 383 und Schmidt, Melanchthon, 685. Sie sprechen allerdings meinem Ermessen nach etwas zu unbefangen und ohne weitere Nachweise von einer Schrift gegen Melanchthons (!) astrologische Voraussagen. 154 Diese Voraussagen sind verzeichnet bei Zinner, Bibliographie, 220, Nr. 2084; vgl. zu weiteren »Praktiken« Hebenstreits Hellmann, Geschichte, 27. 155 Vgl. »Kurtze Verlegung«, B 1a: Bezeichnung der Praktik Hebenstreits als »kern vnd ausbund«. 156 Vgl. dazu Bretschneider, CR 8, 229, Anm. *). 157 Vgl. »Kurtze Verlegung«, A 2b; zu Amsdorfs Kritik an Melanchthon im Auswertungsteil Abschnitt II, Kap. 1.1.3.1. 158 Vgl. »Kurtze Verlegung«, v. a. E 1b. 159 Vgl. »Kurtze Verlegung«, A 3b. 160 Vgl. Melanchthon an Stathmion 16. 2 . 1554 [MBW 7086; CR 8, 226 f., Nr. 5546; hier 227]: »Saepe enim a venenatis hominibus opprimuntur calumniis studiosi doctrinae physicae. Nuper ociosi quidem ἐν τῇ μεθωναίῃ αὔλῃ ediderunt scriptum contra praedictiones astronomicas. Etsi non sine dolore legi: tamen rixari cum illis non volo«; an Hájek 1. 3. 1554 [MBW 7096; CR 8, 235 f., Nr. 5558]: »Editus est recens liber a concionatoribus aulae Thuringicae contra significationes astrorum, in quo Academia nostra sugillatur. Sed semper fu erunt, sunt et erunt hypocritae inimici verae philosophiae . . . Sed nos iudicia istorum non
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dazu, daß Melanchthon in ihnen noch zwei Jahre später den Inbegriff ungelehrter Kritiker erblickte.161 Zudem stellte er sich auf die Seite des namentlich angegriffenen Hebenstreit, bot ihm seine Hilfe an und ermahnte ihn, er solle sich durch diese Schrift nicht provozieren lassen.162 2.2.1.3 Weitere protestantische Astrologie-Kritiker Während bei Luther und den beiden ernestinischen Theologen ein Bezug ihrer allgemeinen Astrologie-Kritik zu Melanchthon naheliegt, ist ein solcher bei weiteren protestantischen Astrologie-Kritikern wahrscheinlich, wenn auch nicht ähnlich sicher nachzuweisen. So gab es neben Luther in Melanchthons Umfeld weitere Personen, die der Astrologie kritisch gegenüberstanden. Eine entsprechende Haltung ist sowohl von Andreas Osiander wie auch vom sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich bekannt. Da beide Melanchthon in anderer Hinsicht sehr kritisch gegenüberstanden, ist zu vermuten, daß sie auch an seiner Beschäftigung mit der Astrologie Anstoß nahmen, wenngleich es dafür keine direkten Zeugnisse gibt.163 excrucient, et coniunctionem nostram tueamur«; an Stigel 1. 3. 1554 [MBW 7100; CR 8, 232, Nr. 5553]; an Stathmion 16. 5. 1554 [MBW 7183; CR 8, 280 f., Nr. 5602, hier 281]; an Hebenstreits Vater 5. 8. 1554 [MBW 7250; CR 8, 325 f., Nr. 5648, hier 325]; an Hebenstreit 18. 8. 1554 [MBW 7262; CR 8, 329 f., Nr. 5653; hier 330]: »Legimus magno cum dolore, et quis sit λογοδαίδαλος, cum tibi obiiciat, te adhibere λογοδαίδαλον, video, ac miror, cur tantopere cupiat me provocare ad scribendum . . . Te oro et obtestor, ut nihil eis respondeas, quanquam dira accusatio est. Video, quaeri ab illis occasiones horribilium dissensionum et tumultuum«; an Stathmion 18. 8. 1554 [MBW 7263; CR 8, 329, Nr. 5652]: »Oratio de Orione [CR 12, 46–52, Nr. 137] scripta est ante editionem scripti veterum nostrorum amicorum, qui Physicas praedictiones damnarunt. Et hanc ipsam ob causam non est edita, ne illi se dicerent a nobis κωμωδεῖσθαι. Omnes iniurias decrevi . . . silentio vincere«; an Vicentius 24. 8. 1554 [MBW 7269; CR 8, 225, Nr. 5544]: »In Thuringia quaedam factio novum certamen movet de astrologia, et me quoque sugillant« und die Vorrede zum Kommentar des Proklos zu einem Werk des Ptolemäus vom 1. 9. 1554 [MBW 7278; CR 8, 337–341, Nr. 5660; hier 338]: »accusant nos quidam μωρόκακοι atrociter ac vociferantur, nos invitare hominum studia ad quaerendas damnatas praedictiones« (der Ausdruck μωρόκακος wurde schon von Ptolemäus und Proklos für die Kritiker der Astrologie verwendet; vgl. z. B. Ptolemäus’ Werk »Tetrabiblos« in der Ausgabe des Camerarius von 1553, 167). 161 Vgl. Melanchthon an Languet 15. 7. 1556 [MBW 7890; CR 8, 797–799, Nr. 6031; hier 798]. 162 Vgl. Melanchthon an Hebenstreit 27. 6. 1554 [MBW 7225; CR 8, 313, Nr. 5633]: »Te . . . adhortor, ne rixeris cum illis artium vituperatoribus . . . Sicubi possem tibi prodesse, mea officia tibi non defutura essent« und an Hebenstreits Vater 5. 8. 1554 [MBW 7250; CR 8, 325 f., Nr. 5648]: »Vos oro, ut sitis animo tranquillo . . . Hortatus sum etiam eum, ut prorsus omittat certamina cum iis, qui non studio veritatis sed propter alias causas ei adversantur. Mea officia filio non deerunt«. 163 Vgl. zu Osiander seinen Brief an Melanchthon 2. 9. 1546 [MBW 4376; CR 6, 230 f., Nr. 3552; hier 231]: »nihil eis [sc. vaticiniis] tribuam, nisi cum sacris consentiant litteris«; zudem Melanchthon an Dietrich 1. 12. 1536 [MBW 1816; MBW T 7, 287 f.; hier 288, Z. 19 f.]: »Miror te non significasse, quo vultu dominus Osiander picturas vaticinii acceperit«. Möglicherweise gehörte Osiander bereits 1532 zu den oben Kap. 2 .1, Anm. 140 erwähnten
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Auch bei den folgenden beiden Astrologie-Kritikern ist ein mehr oder weniger enger Bezug zu Melanchthon möglich, wenn auch nicht direkt nachweisbar: 1549 wandte sich Calvin in einer Schrift gegen die sogenannte Judizialastrologie, das heißt gegen Voraussagen der Astrologie, die sich auf den Weltuntergang und andere umfassende Ereignisse bezogen,164 und kennzeichnete diese als teuflischen Aberglauben.165 Auch wenn Calvin damit Melanchthon nicht direkt angriff, traf er den Kern seiner Astrologiegläubigkeit, die ihm aus Gesprächen und Briefen sicher bekannt war. 1557 gab Thomas Erastus (1524–1583), der Leibarzt der hennebergischen Grafen, eine neue Übersetzung des astrologiekritischen Werkes von Girolamo Savonarola (1452–1498) heraus und stellte sich damit in die Reihe der grundsätzlichen Astrologie-Kritiker.166 Als Grund für sein Werk gab er an, er habe nach der Rückkehr von einem längeren Italienaufenthalt mit Erschrecken festgestellt, welch großen Einfluß die Astrologie in Deutschland ausübe, und die Übersetzung in Angriff genommen, da er von der vanitas der Astrologie überKritikern Melanchthons in Nürnberg. Zu seiner sonstigen Kritik an Melanchthon im Auswertungsteil Abschnitt II, Kap. 3.2.1.1. Vgl. zu Johann Friedrich Melanchthon an Menius Mitte Juni 1547 [MBW 4780; CR 6, 568 f., Nr. 3909; hier 568]: »Genesin tuam novi, et nolo prorsus omnes illas astrorum significationes contemni . . . Utinam captivus Princeps non contempsisset significationes illas physicas, quae in eius genesi sunt non obscurae!«; vgl. auch von Minkwitz an Melanchthon 20. 1. 1548 [MBW 5036; Flemming, Briefwechsel Melanchthons, 30 f., Nr. 11; hier 30]: »optandum sane erat, ut scribis, optimum principem nostrum non prorsus contempsisse haec ipsa φιλοσοφούμενα aut paruisse consiliis eorum, qui a hoc doctrinae genere omnino abhorrebant« (der Brief Melanchthons, auf den von Minkwitz antwortete, ist nicht erhalten, vgl. aber Melanchthons Bitte an Crodelius 9. 1. 1548 [MBW 5021; CR 775 f., Nr. 4117], von Minkwitz einen Brief zu übergeben). Zu Johann Friedrichs sonstiger Kritik an Melanchthon im Auswertungsteil Abschnitt II, Kap. 2 .1.1.2. Da die astrologiekritische Haltung Johann Friedrichs allgemein bekannt war, mußte es den Weimarer Theologen Stoltz und Aurifaber ein Stein des Anstoßes sein, daß Hebenstreit seine Praktik Johann Friedrich gewidmet hatte. Sie warfen ihm vor, er wolle damit den Aberglauben stärken und den Anschein erwecken, die Astrologie gefalle Johann Friedrich. Dagegen betonten sie, daß Johann Friedrich die Astrologie ablehne (vgl. »Kurtze Verlegung«, B 3a f.). 164 Vgl. Smolinsky, Deutungen der Zeit, 4. 165 Vgl. Calvins Schrift mit dem Titel »Advertissement contre l’Astrologie qu’on appelle iudiciaire: et autres curiositez qui regnent auiourd’huy au monde« [CR 35, 513–542]. Sie muß Anfang 1549 erschienen sein, denn schon am 1.3. erschien sie in lateinischer Übersetzung mit dem Titel »Admonitio adversus astrologiam, quam iudicarium vocant. Aliasque Praeterea Curiositates nonnullas, quae hodie per universum fere orbem grassantur« (die Vorrede trägt das Datum des 22.2.). Die Bezeichnung der Astrologie als diabolica superstitio bzw. »superstition diabolique« findet sich in CR 35, 515 f. und in der lateinischen Ausgabe 12. 166 Vgl. die Schrift Savonarolas »Opera singolare . . . contra l’astrologia divinatrice in cor roboratione delle refutatione astrologice del . . . Pico de la Mirandola« von 1497 ( 21536). Erastus’ Schrift trägt den Titel »Astrologia confutata. Ein wahrhaft gegründte unwidersprechliche confutation der falschen Astrologei oder abgottischen wahrsagung aus des himels und der gestirnen lauff der wahrheit zu steuer unnd dem gemeinen man zur warnung, aus welscher unnd lateinischer sprach wie volgend zu sehen von neuem ins deutsch gebracht« (VD 16 S 2040).
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zeugt sei.167 In der Folgezeit wandten sich viele Verfechter der Astrologie gegen Erastus – unter ihnen auch der astrologisch interessierte Coburger Arzt Christoph Stathmion –, worauf hin es zwischen den beiden Medizinern zu einem längeren Briefwechsel kam, in dem sie über verschiedene Probleme der Astrologie diskutierten,168 und 1569 zu einer Schrift des Erastus gegen Stathmion.169 Erastus wußte vom Kontakt zwischen Stathmion und Melanchthon170 und hatte Melanchthon in seiner Auseinandersetzung mit Stathmion möglicherweise auch namentlich angesprochen. Da seine Briefe allerdings nicht mehr im Original vorliegen und er in der überarbeiteten und veröffentlichten Fassung alle Namen getilgt hatte, um niemanden zu verletzen,171 und zudem keine Briefe von Stathmion erhalten sind, in denen er Melanchthon über die Kritik des Erastus berichtete,172 läßt sich diese Vermutung nicht mehr nachprüfen. Die genannten Personen und Schriften sind Zeichen dafür, daß die astrologie-feindliche Stimmung im Lauf des 16. Jahrhunderts wuchs. Melanchthon wußte darum173 und versuchte, dem auf zweifache Weise zu begegnen: Einerseits war er bemüht, nicht alle astrologischen Diskurse an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, um so weitere Kritik zu verhindern; 174 andererseits ließ er 167 Vgl. Erastus in der Vorrede zu seinem Werk »De Astrologia divinatrice« von 1564, A 1a–A 2b. 168 Erastus veröffentlichte seine Briefe einige Jahre später in überarbeiteter Form in der Schrift »De Astrologia divinatrice Epistolae D. Thomae Erasti, iam olim ab eodem, ad diuersos scriptae, & in gratiam ueritatis studiosiorum in lucem aeditae«, Basel 1580 (VD 16 E 3669). Die Vorrede stammt vom 1. 11. 1564, deshalb ist zu vermuten, daß der erste Druck der Schrift um das Jahr 1565 erfolgte (vgl. Wesel-Roth, Erastus, 157). Vgl. zum Zustandekommen des Briefwechsels und zu den Gründen für die Überarbeitung und Herausgabe der Briefe Erastus’ Vorrede, A 2a. Die Briefe Stathmions scheinen nicht erhalten zu sein. 169 »Defensio Libelli Hieronymi Savonarolae De Astrologia Divinatrice, adversus Christophorum Stathmionem, Medicum Coburgensem, in qua simul declaratur, quae sit ista Divinatio; quae eius partes: ad quam praenotationis speciem pertineat: quomodo a licitis Divinationibus differat; Accessit huic alia eiusdem argumenti disputatio, qua 178. Theses pro divinatione Astrologica«, Paris 1569 [Vorrede vom April 1568]. 170 Vgl. »De Astrologia divinatrice«, A 2a. 171 Vgl. »De Astrologia divinatrice«, A 2a. 172 Vgl. aber Melanchthon an Stathmion 1. 6. 1555 (möglicherweise auch aus einem späteren Jahr; vgl. Scheible, MBW R 7, 318) [MBW 7513; CR 7, 794, Nr. 4904], wo er angesichts der astronomischen Interessen Wilhelms IV. von Hessen-Kassel (1532–1592) feststellte: »Dignior hic laude est, quam Medicus aulae Hennebergicae, qui astris bellum infert magnis clamoribus . . . Quaeso ut nobis aliquid de tuo vicino [sc. Erasto] scribas«. 173 Vgl. seine Vorrede zu Schöners »De iudiciis nativitatum libri tres« vor 2. 8. 1545 [MBW 3978; CR 5, 817–824, Nr. 3241; hier 817] »Opinor . . . multos esse, qui laudent hoc iudicium Periclis«, der das Vorzeichen einer Sonnenfinsternis nicht ernstnahm. 174 Vgl. Melanchthons Bitte an Bucer 1. 10. 1548 [MBW 5310; CR 7, 157 f., Nr. 4372], er möge verhindern, daß seine vor zwölf Jahren verfaßte Physik-Vorlesung gedruckt werde, da es sich um eine alte Fassung handle, die aufgrund ihrer astrologischen Beispiele für ihn und für den Drucker gefährlich werden könne (»in veteri sunt exempla astrologica, quae proferri etiam typographo periculosum esset«). Das besagte Lehrbuch der Physik erschien zwar 1549 unter dem Titel »Initia doctrinae physicae« [CR 13, 179–412, Nr. 3 ] (vgl. die Vorrede an M. Meienburg 29. 9. 1549 [MBW 5641; CR 7, 472–477, Nr. 4603]), Melanchthon vermied al-
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keine Gelegenheit aus, die allgemeine Kritik an der Astrologie zu widerlegen. Die Auseinandersetzung damit nahm in all seinen Äußerungen zur Astrologie einen breiten Raum ein – und zwar nicht nur in den bereits genannten Reden vor Wittenberger Publikum, sondern auch in den über Wittenberg hinaus wirksamen Vorreden, Lehrbüchern und Kommentaren; zudem beschimpfte er die Astrologie-Kritiker mit großer Heftigkeit.175 Dieser Eifer ist zum einen durch seine Sorge zu erklären, die Jugend könne sich durch die GrundsatzKritik vom Studium der Astronomie und Astrologie abbringen lassen.176 Zum anderen deutet er aber auch darauf hin, daß Melanchthon sich so stark mit der »wissenschaftlichen« Astrologie identifizierte, daß er sich durch jede gegen sie oder andere ihrer Vertreter gerichtete Kritik stets mit angegriffen fühlte. Diese Beobachtung läßt es sinnvoll erscheinen, im Rahmen der vorliegenden Darstellung neben den direkten Vorwürfen an Melanchthon auch die grundsätzliche Astrologie-Kritik heranzuziehen. 2.2.2 Die inhaltliche Kritik an der Astrologie Um untersuchen zu können, ob und inwiefern diese Kritik Melanchthon auch inhaltlich traf, muß erhellt werden, welche Vorwürfe von verschiedenen Personen gegen die Astrologie vorgebracht wurden. Zunächst wurde der Astrologie von ihren Kritikern der Status einer Wissenschaft (ars bzw. scientia) abgesprochen.177 Als Grund dafür wurde angeführt, sie erfülle nicht die für diesen Status erforderlichen Kriterien des Nutzens und der Zuverlässigkeit. Die Kritiker bezeichneten sie vielmehr als unnütz und unzuverlässig und behaupteten, sie könne sich nicht auf Erfahrungswerte stützen.178 lerdings den Begriff »Astrologie«, obwohl weite Passagen dieses Lehrbuches der Astrologie gewidmet sind (vgl. Methuen, Role of Heavens, 397). Januar / Februar 1551 (?) betonte Melanchthon gegenüber Stathmion [MBW 5990; CR 7, 633, Nr. 4760], in bezug auf manche wissenschaftliche Diskussionen müsse man verhindern, daß sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich würden. 175 Er bezeichnete sie als gottlos, ja sogar als Gottesfeinde, als unverschämt, arrogant, ungebildet und unmenschlich; vgl. z. B. Vorrede vor 17. 8. 1531 [MBW 1176; MBW T 5, 165, Z. 55]: ἄθεοι ; Brief an Seyfriedt 30. 11. 1533 (?) [MBW 1382; MBW T 5, 518, Z. 19 und Z. 22]: impudentia ineruditorum; Vorrede November 1534 [MBW 1509; MBW T 6, 230, Z. 63 und Z. 78 f.]: θεόμαχοι , arrogans, immanitas; [MBW T 6, 232, Z. 153]: indocti; Rede »De dignitate astrologiae« von 1535 [CR 11, 265]: impietas. 176 Vgl. z. B. Vorrede vor 17. 8. 1531 [MBW 1176; MBW T 5, 169, Z. 196 ff.]; Brief an Seyfriedt 30. 11. 1533 (?) [MBW 1382; MBW T 5, 518, Z. 20 ff.]; Vorreden von November 1534 [MBW 1509; MBW T 6, 232, Z. 152 ff.]; 7. 8. 1536 [MBW 1770; MBW T 7, 198, Z. 87 ff.]; vor 5. 8. 1537 [MBW 1927; MBW T 7, 489, Z. 106 ff.]; vor 2. 8. 1545 [MBW 3978; CR 5, 818]; Rede an die Wittenberger Professoren von Mai 1553 [CR 8, 79] und »De Orione« von 1553 [CR 12, 50 f.]. 177 Vgl. Calvin, »Admonitio«, 14: Er ärgerte sich darüber, daß die Astrologen sich »quoda[m] pallio« als Mathematiker bezeichneten und so als »artium liberalium professores« erscheinen wollten. 178 Vgl. zu dieser Kritik:
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Sie lehnten auch den in diesem Zusammenhang oft herangezogenen Vergleich der Astrologie mit der Medizin ab.179 Zudem wurde von seiten der Kritiker über die Vermischung der Astrologie mit der Astronomie geklagt. Im Spätmittelalter gab es im allgemeinen keine scharfe Unterscheidung zwischen Astronomie und Astrologie, wie sie heute besteht, beide Begriffe wurden oft synonym verwendet.180 Auch bei den Gegnern der Astrologie begegnet diese Unschärfe.181 Trotz dieser begrifflichen Unklarheit forderten sie eine klare Trennung zwischen dem, was wir heute als Astrologie, und dem, was wir als Astronomie bezeichnen. Sie setzten sich dafür ein, die Astrologie aus dem Kanon der Wissenschaften auszuschließen und nur die Astronomie beizubehalten.182 – Luther: zur Ablehnung ihres Status als ars bzw. scientia eine Aussage zum neunten Gebot von 1518 [WA 1, 404, Z. 1 f.]; Tischrede 8. 12. 1532 [WA Tr 3, 12, Nr. 2834b, Z. 27 ff.] und ohne Datum [WA Tr 5, 558, Nr. 6251]; zum Vorwurf der Unsicherheit der Astrologie die Vorrede zur Übersetzung der Weissagungen Lichtenbergers 1527 [WA 23, 7–12, hier 11]; Jesajavorlesung 1527–1530 [WA 31/2, 381]; zwei Tischreden erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 322, Nr. 678 und 421, Nr. 857] und zwischen 10. und 22. 1. 1532 [WA Tr 2, 457, Nr. 2413a]; Brief an Melanchthon 26. 2 . 1532 [MBW 1222; MBW T 5, 253 f.; hier 254, Z. 21 f.]; Tischrede Sommer / Herbst 1533 [WA Tr 1, 275, Nr. 589]; Genesisvorlesung 1535–45 [WA 42, XXI und 33 f.; WA 44, 388]; Tischreden zwischen 18.6. und 28. 7. 1537 [WA Tr 3, 448, Nr. 3606b]; zwischen 13. und 15. 7. 1539 [WA Tr 4, 439, Nr. 4705]; 21.5.– 11. 6. 1540 [WA Tr 5, 613, Nr. 5013]; 2.–7. 8. 1540 [WA Tr 4, 668, Nr. 5113] und ohne Datum [WA Tr 5, 334, Nr. 5734 und 557, Nr. 6249]. – Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 4b f.: Die Astrologen »wolten gern widerumb eine kunst / vnd nützliche nötige weisheit draus [sc. aus der Astrologie] machen«, aber sie könne keine Kunst sein, »weil es keine Principia, oder demonstrationes hat« und sie sich öfter täusche als richtig liege. Zudem gründe sie sich nur auf »Particular Erfarung« und verfüge über keine natürlichen Ursachen; B 4b: Die Astrologie sei ungewiß und verfüge nicht über demonstrationes, Erfahrung und rerum principia; deshalb sei sie auch keine Kunst, sondern unnütz; vgl. zudem C 2b. – Erastus, »De Astrologia divinatrice«, 12: »nullis . . . vel naturae vel rationis principijs niti dixi« und »Defensio«, 132: »experie[n]tiam illis patrocinari nullam posse«. Vgl. das Referat dieser Kritik bei Melanchthon in den Reden »De dignitate astrologiae« von 1535 [CR 11, 262] und »An leges damnent praedictiones astrologicas« vom 17. 4. 1536 [CR 10, 714] und in den Vorreden vor 2. 8. 1545 [MBW 3978; CR 5, 823] und vom 29. 9. 1549 [MBW 5641; CR 7, 473]. Weitere Belege zu dieser Kritik bei Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 190, bes. Anm. 142. 179 Vgl. Luthers Tischrede zwischen 2. und 7. 8. 1540 [WA Tr 4, 668, Nr. 5113] und Erastus, »De Astrologia divinatrice«, 10. 180 Vgl. Bergdolt, Petrarca, 227, Anm. 2 ; Methuen, Role of Heavens, 395, Anm. 51 und Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 172 f., bes. Anm. 32. Als Beispiel kann hier auf das anonyme Werk »Astronomia Teutsch. Himmels Lauff, wirckung unnd Natürliche Influentz der Planeten unnd Gestirn, Auß grund der Astronomei«, Frankfurt 1571 (VD 16 A 3971) verwiesen werden. 181 Vgl. bei Luther WA Tr 3, 57, Nr. 2892a im Vergleich mit Nr. 2892b; WA Tr 3, 275, Nr. 3332; WA Tr 3, 449, Nr. 3606b; WA Tr 5, 558, Nr. 6251 und bei Calvin, »Admonitio«, passim. 182 Vgl. zu dieser Kritik: – Luther: zur kategorischen Ablehnung der Astrologie, aber Befürwortung der Astronomie
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Auch die Grundlage der Astrologie, die Behauptung einer Wirkung der Gestirne auf das irdische Unheil und die Schicksale der einzelnen Menschen, wurde als uneinsichtig verworfen. Die Überzeugung eines physischen Einflusses der Gestirne auf die Erde war zwar im 16. Jahrhundert Allgemeingut, es gab aber Streit über die Art und Weise dieser Wirkung und die Möglichkeiten ihrer Erkenntnis. Es wurden deshalb drei Wirkungen der Gestirne unterschieden: Licht (lux), Bewegung (motio) und Einfluß der Sterne auf die einzelnen Menschen, ihre Konstitution und ihr Schicksal (influentia in inferiora). Die beiden ersten wurden auch von den Gegnern der Astrologie akzeptiert, die dritte hingegen nicht. Infolgedessen wurde von ihnen auch das Stellen von Horoskopen abgelehnt.183
z. B. Tischreden erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 418, Nr. 855]; zwischen 10. und 22. 1. 1532 [WA Tr 2, 457, Nr. 2413a, Z. 28 f.]; zwischen 28.9. und 23. 11. 1532 [WA Tr 2, 619 f., Nr. 2730b] und zwischen 26. und 29. 1. 1533 [WA Tr 3, 79, Nr. 2919a, Z. 12 ff.]. – Stoltz und Aurifaber: zur entschiedenen Wendung gegen eine Vermischung von Astronomie und Astrologie »Kurtze Verlegung«, A 4b: Man müsse darauf achten, daß sich »die vngewisse Astrologia / nicht vnter die löbliche / freie Kunst / vnd Astronomi / so von Gott gegeben / vnd zu diesem Leben nützlich sein / einschliche«, sondern »abgesondert« bleibe; B 3a: Vorwurf an Hebenstreit, er vermenge Astronomie und Astrologie und verderbe damit auch die Astronomie; B 4b: Bekenntnis zur Astronomie als Gabe Gottes. – Erastus, »Defensio«, 133 und Calvin, »Admonitio«, 15. Weitere Belege zu dieser Kritik bei Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 189. Der Versuch einer Trennung von Astronomie und Astrologie findet sich bereits im 15. Jahrhundert bei den Astrologie-Kritikern Pico della Mirandola (1463–1494) (vgl. Wunder, in: Melanchthons Astrologie, 13 und Shulman, Geschichte der Astrologie, 92 und 95) und bei Benedikt Ellwanger (ca. 1446–1515) in seiner Schrift »Judicia vel prognostica astrologorum superstitiosa quam nephanda sint et saluti animarum contraria« von 1464 (vgl. Machilek, Astronomie und Astrologie, 27). 183 Vgl. zu dieser Kritik: – Luther: Er lehnte die Wirkung der Gestirne auf die Menschen und entsprechend auch die Horoskopstellerei entschieden ab und gestand den Sternen unter Berufung auf Gen 1,14 nur die Rolle als Zeichen (signa) für Tag und Nacht zu; vgl. Tischrede zwischen 18.8. und 26. 12. 1531 [WA Tr 2, 322, Nr. 2102, Z. 10 ff.]; Kirchenpostille 1522 [WA 10/1.1, 571 f.]; Predigt über Gen 1 29. 3. 1523 [WA 14, 106–109; hier 107, Z. 17 f. und Z. 34 f.]; Brief an Spalatin 23. 3. 1524 [WA Br 3, 260 f., Nr. 724; hier 260, Z. 4 ff.]; Festpostille 1527 [WA 17/2, 362 f.; hier 362, Z. 32 ff.]; Predigten zum Buch Genesis 1527 [WA 24, 24–59; hier 43 f.]; Tischreden erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 322, Nr. 678, Z. 16]; zwischen 26. und 31. 5. 1532 [WA Tr 3, 193, Nr. 3148]; zwischen 26. und 29. 1. 1533 [WA Tr 3, 79, Nr. 2919a, Z. 17 f.]; zwischen 2. und 7. 8. 1540 [WA Tr 4, 668, Nr. 5114]; Winter 1542/43 [WA Tr 5, 223, Nr. 5538, Z. 1 f.]; Frühjahr 1543 [WA Tr 5, 254, Nr. 5573, Z. 21 ff.] und Juli 1543 [WA Tr 4, 543, Nr. 4846]. – Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 3b: Ablehnung einer Wirkung der Sterne auf die Herzen der Menschen, von Horoskopstellerei und von Voraussagen im Blick auf Kriege, Teuerung, Seuchen u. ä. – Erastus, »De Astrologia divinatrice«, 14: Anerkennung der Sterne als »generales . . . effectrices caussae«. – Calvin: Er anerkannte zwar eine gewisse cognatio zwischen den inferiora corpora und den Sternen, wandte sich aber dagegen, daß die Astrologen daraus Schlüsse für das Leben jedes
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Schließlich wurde der Astrologie vorgehalten, sie sei mit den Grundwerten des christlichen Glaubens und der christlichen Ethik unvereinbar.184 Folgende Argumente wurden in diesem Zusammenhang vorgebracht: Die Astrologen maßten sich mit ihren Voraussagen an, wie Gott zu sein, niemand außer Gott verfüge jedoch über die Kenntnis der Zukunft.185 Zudem nehme die Astrologie Gott die Verantwortung für Glück und Unglück aus der Hand und schreibe sie den Sternen zu,186 sie mache Kreaturen, das heißt die Planeten zu Göttern187 und verstoße so gegen das erste Gebot.188 Die Astrologie wolle Einfluß auf das einzelnen zogen und Aussagen über den Zustand der gesamten Welt trafen (vgl. »Admonitio«, 17 f. und 23). Schon Pico della Mirandola hatte zwar Licht und Wärme anerkannt (vgl. Knappich, Geschichte der Astrologie, 189 und Kristeller, Acht Philosophen, 58), die influentia in inferiora hingegen abgelehnt (vgl. Melanchthons Vorrede vor 17. 8. 1531 [MBW 1176; MBW T 5, 167, Z. 106 ff.]). 184 Vgl. Stoltz und Aurifaber, Kurtze Verlegung, B 1a: Die Astrologie schade sowohl der Gottesfurcht als auch der Disziplin; B 4b: Bezeichnung der Astrologie als Gotteslästerung; E 3b f.: Aufruf an die Leser, nicht den Astrologen zu glauben, sondern der Heiligen Schrift zu folgen. Weitere Belege zu dieser Kritik bei Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 190 f. Derartige Kritik wurde im 15. Jahrhundert z. B. von Sebastian Brant (1457–1521) (vgl. seine Schrift »Das Narrenschiff« von 1494, Kap. 65 »Vo[n] achtung des gstirns«, Verse 29 f.: »Dar vmb gloubt der nit recht jnn got / Der vff das gstirn sollch glouben hat«) und von Benedikt Ellwanger (vgl. Machilek, Astronomie und Astrologie, 27) geäußert. In bezug auf die Ethik wurde befürchtet, der Behauptung einer Wirkung der Gestirne auf die Menschen folge zwangsläufig ein deterministisches Weltbild und die Einschränkung der menschlichen Willensfreiheit, an der man aber wegen ihrer Wichtigkeit in der Ethik unbedingt festhalten müsse. Schon Basilius der Große lehnte einen Einfluß der Gestirne ab, weil er befürchtete, daß dann Gott als Urheber aller menschlichen Vergehen bezeichnet werden müsse. Es war ihm jedoch wichtig, den Ursprung des moralisch Bösen nicht in Gott, sondern im freiwilligen Abfall des Menschen zu sehen (vgl. Klose, Basilius der Grosse, 54 ff. und bei Basilius die sechste Homilie des Hexameron über die Erschaffung der Lichter, Kapitel 7 [BKV 27/2, 99–101]). Das Problem eines Widerspruchs zwischen Astrologie und Willensfreiheit beschäftigte auch die italienischen Renaissance-Philosophen im 15. Jahrhundert (vgl. Braunsperger, Astrologie der Blütezeit, 10 f.). In Deutschland stellte einen solchen Widerspruch z. B. Benedikt Ellwanger fest (vgl. Machilek, Astronomie und Astrologie, 27). Vgl. den Hinweis auf diese Kritik auch in Melanchthons Rede »An leges damnent praedictiones astrologicas« vom 17. 4. 1536 [CR 10, 714]. 185 Vgl. Luther in seiner Vorrede zu den Weissagungen Lichtenbergers von 1527 [WA 23, 8] und Erastus, »De Astrologia divinatrice«, 9 f. und 13. 186 Vgl. Luthers Tischrede zwischen 29.1. und 9. 2 . 1533 [WA Tr 3, 114, Nr. 2952b, Z. 25 f.] und Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 3b f. 187 Vgl. Luthers Tischrede erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 421, Nr. 858, Z. 40]; zu seiner häufigen Feststellung, wir Menschen seien Herren über die Sterne und nicht umgekehrt, Festpostille 1527 über Mt 2,1–12 [WA 17/2, 363, Z. 8 f.]; Tischreden zwischen 1. und 14. 1. 1537 [WA Tr 3, 373, Nr. 3520, Z. 19 f.]; Sommer 1540 [WA Tr 5, 96, Nr. 5368, Z. 19]; zwischen 7.–24. 8. 1540 [WA Tr 4, 684, Nr. 5147, Z. 10 f.] und ohne Datum [WA Tr 5, 419, Nr. 5989k]. 188 Vgl. zu dieser Kritik Luthers »Instructio pro confessione peccatorum« 1518 [WA 1, 257–265; hier 259, Z. 27 f.]; »Unterweisung, wie man beichten soll« 1519 [WA 2, 57–65; hier 60, Z. 40 f.]; Zusammenfassung der zehn Gebote 1520 [WA 7, 194–229; hier 207, Z. 24 f.];
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Handeln der Menschen nehmen und so an die Stelle der zehn Gebote treten.189 Sie bringe einerseits die Menschen von der Erkenntnis ihrer Sünden ab und verleite sie zu Hochmut, indem sie schlechte Neigungen den Sternen zuschreibe.190 Andererseits habe sie im Gegensatz zur Theologie nur negative Voraussagen vorzuweisen und schrecke so die Menschen in ungehörigem Maße.191 Zu guter Letzt wurde es als Sakrileg angesehen, die Astrologie mit dem Zeugnis der Heiligen Schrift zu belegen und zum Beispiel von einer astrologischen Betätigung der Erzeltern zu sprechen.192 Statt dessen wurden von den Gegnern Bibelstellen angeführt, die ihre Ablehnung der Astrologie stützen sollten, etwa Jes 47,12 f. aus der Gerichtsrede über Babel193 und Jer 10,2, wo sich Jeremia gegen die Götzen der Heiden wandte.194 Vergleicht man Melanchthons Aussagen zur Astrologie195 und die allgemeine Astrologie-Kritik, ergeben sich erstaunliche Parallelen, was zusätzlich zu den oben genannten Argumenten dafür spricht, daß sich auch die allgemeine Astrologie-Kritik gegen Melanchthon richtete.
2.3 Zusammenfassung Überblickt man die Kritik, die von Zeitgenossen gegen Melanchthon in bezug auf seine astrologischen Neigungen vorgebracht wurde, läßt sich zusammenfassend festhalten, daß sich die Vorwürfe in erster Linie gegen seine Beschäftigung Tischreden erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 519, Nr. 1026, Z. 13 f.]; zwischen 30.8. und 20. 9. 1532 [WA Tr 2, 216, Nr. 1788] und zwischen 10. und 28. 9. 1532 [WA Tr 2, 602, Nr. 2690] und Erastus, »De Astrologia divinatrice«, A 1a; zu diesem Argument auch Leppin, Antichrist und Jüngster Tag, 190. 189 Vgl. Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 4a. 190 Vgl. zu diesem Vorwurf Luther in einer Auslegung zum neunten Gebot von 1518 [WA 1, 404, Z. 24 f.] und in einer Vorlesung über Salomo von 1526 [WA 20, 60, Z. 13] und Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 3b und B 4b. 191 Vgl. Luthers Predigt über Lk 21,25 vom 4. 12. 1530 [WA 32, 232]; Tischreden erste Hälfte 1530er Jahre [WA Tr 1, 322, Nr. 678] und zwischen 18.8. und 26. 12. 1531 [WA Tr 2, 322, Nr. 2102, Z. 14]; Predigt zu Lk 21,25 vom 10. 12. 1531 [WA 34/2, 459–482; hier 470 und 482]; Tischrede zwischen 7.4. und 1. 5. 1532 [WA Tr 2, 109, Nr. 1480, Z. 20 f.] und Genesisvorlesung 1535–1545 [WA 42, XXI, Z. 21 f.]. 192 Vgl. dazu – Luther in seiner Auslegung des neunten Gebots 1518 [WA 1, 405, Z. 8 f.] und seine Wendung gegen eine Heranziehung von Gen 1,14 zur Bestätigung der Astrologie, z. B. in der Genesisvorlesung aus den Jahren 1535–45 [WA 42, 33]. – Stoltz und Aurifaber, »Kurtze Verlegung«, A 2a f., B 1b, B 4a und C 1a ff. – Erastus, »Defensio«, 150 ff. 193 Vgl. bei Luther in seiner Jesaja-Vorlesung 1527–1530 [WA 25, 298, Z. 25 und WA 31/2, 381, Z. 16] und im Nachtrag zu dieser Vorlesung 1528/30 [WA 59, 386]. 194 Vgl. grundsätzlich Bellucci, Mélanchthon et la Défense de l’Astrologie, 605; als Beispiele Luther an Heß 31. 1. 1529 [WA Br 5, 13 f., Nr. 1377; hier 14, Z. 10 ff.] und an Wiskamp 19. 10. 1532 [WA Br 6, 380 f., Nr. 1969; hier 381, Z. 10 f.]. 195 Vgl. oben Kap. 1.2.
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mit der Astrologie im engeren Sinne, seinen Glauben an auf ihrer Grundlage erstellte Voraussagen und die Verbindung zwischen Astrologie und Theologie richteten, nicht so sehr gegen sein Vertrauen auf Vorzeichen (wie Kometen und Wunderzeichen) und Weissagungen, die damals überaus viele Menschen bewegten und die überwiegend als Drohungen Gottes verstanden wurden, so zum Beispiel auch von Kritikern Melanchthons wie Luther, Fabricius, Erastus oder Johann Friedrich,196 auch wenn Luther gleichzeitig deutlich machte, daß die Christen solcher Zeichen Gottes nicht bedürften, viele von ihnen uneindeutig seien und man vorsichtig sein müsse, da auch Zeichen des Teufels mit im Spiel sein könnten.197 Diejenigen Kritiker, die Melanchthons astrologische Neigungen im engeren Sinne kritsierten, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Eine erste Gruppe von Kritikern zeigte Unverständis gegenüber dem hohen Stellenwert, den Melanchthon Voraussagen verschiedenster Art (divinationes, praedictiones, vaticinia) beimaß, die sowohl von ihm selbst als auch von anderen stammten. Ihnen ging es also um Melanchthons praktische Anwendung der Astrologie. Zu ihnen gehören Fabricius, Roting und Flacius, die Melanchthon alle persönlich kannten; Roting und Fabricius standen zudem in einem freund-
196 Vgl. zu Luther seine Briefe an Speratus 13. 6. 1522 [WA Br 2, 559–562, Nr. 509; hier 559, Z. 6 ff.]; an Rühel 23. 5. 1525 [WA Br 3, 507–509, Nr. 874; hier 508, Z. 28 ff.] und an Spalatin 12. 1. 1523 [WA Br 3, 15 f., Nr. 571; hier 15, Z. 10]; die gemeinsam mit Melanchthon verfaßte Schrift »Deutung der zwo greulichen Figuren, Bapstesels zu Rom Mönchkalbs zu Freiberg in Meissen funden« von 1523 [WA 11, 369–385; hier 380, Z. 4 ff.]; seine Vorrede zur Übersetzung der Weissagungen Lichtenbergers von 1527 [WA 23, 7–12; hier 10, Z. 9 ff.]; seine Briefe an Linck 7. 3. 1529 [WA Br 5, 27–29, Nr. 1388; hier 28, Z. 12 ff.]; an Hecker 13. 4. 1529 [WA Br 5, 50–52, Nr. 1406; hier 51, Z. 15 ff.]; an Weller 19. 6. 1530 [WA Br 5, 375–377, Nr. 1594; hier 376, Z. 24]; an Jonas 29. 6. 1530 (?) [WA Br 5, 408–411, Nr. 1610; hier 410, Z. 39 f.]; an Melanchthon 21. 8. 1530 [MBW 1034; MBW T 4/2, 575 f.; hier 576, Z. 10] und 26. 8. 1530 [MBW 1047; MBW T 4/2, 602–608; hier 606, Z. 5 f.]; an Jonas 26. 8. 1530 [WA Br 5, 579 f., Nr. 1700; hier 580, Z. 10 f.]; an Linck 18. 8. 1531 [WA Br 6, 165 f., Nr. 1856; hier 165, Z. 8 ] und an Spalatin 10. 10. 1531 [WA Br 6, 203–205, Nr. 1872; hier 204, Z. 24 ff.]; seine Genesisvorlesung aus den Jahren 1535–45 [WA 42, 32, Z. 17 ff.]; eine Tischrede aus der Zeit zwischen 2. und 4. 8. 1538 [WA Tr 4, 21, Nr. 3937, Z. 2 ff.]; zudem Friedrich, Astrologie und Reformation, 107; Köstlin, Luther 2, 516; Warburg, Heidnisch-antike Weissagung, 35 und Lämmel, Luthers Verhältnis zu Astronomie und Astrologie, 312; zu Fabricius seine Briefe an Eber 12. 1. 1551 [CR 7, 721–723, Nr. 4840; bes. 722]; an Melanchthon nach 22. 10. 1551 [MBW 6242; Regest bei Scheible, MBW R 6, 223 f.; hier 223]; 8. 3. 1556 [MBW 7734; Regest bei Scheible, MBW R 7, 399] und 17. 11. 1556 [MBW 8029; Regest bei Scheible, MBW R 7, 512 f.; hier 513]; zu Erastus seine Schrift über die Bedeutung von Kometen von 1579 (»De cometarum significatione commentariolus«; VD 16 E 3686); zu Johann Friedrich Melanchthons Brief an Jonas Ende Januar 1538 [MBW 1985; MBW T 8, 34–36; hier 35, Z. 14 ff.]. 197 Vgl. Luthers Vorrede zur Übersetzung der Weissagungen Lichtenbergers von 1527 [WA 23, 7–12; hier 7 f. und 11, Z. 16 ff.] und Predigten vom 18. 5. 1529 [WA 29, 376–379; hier 377] und vom 10. 12. 1531 [WA 34/2, 459–482; hier 462, Z. 15 ff.].
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schaftlichen Verhältnis zu ihm.198 Deshalb ging wohl bei ihnen die Kritik nicht über ein gewisses Unverständnis und Spott hinaus. Bei weiteren, unbekannten Kritikern war der Ton jedoch schärfer, wenn sie Melanchthon wegen seines Glaubens an Voraussagen als ängstlich und abergläubisch bezeichneten. Eine zweite Gruppe von Kritikern griff Melanchthon als Vertreter und Förderer einer wissenschaftlichen Astrologie an und warf ihm vor, er richte dadurch Schaden im Volk an. Auch unter ihnen wurde gegen Melanchthon der Vorwurf des Aberglaubens erhoben. Hierher gehören Sozzini, die bei Melanchthon und Camerarius genannten, aber nicht namentlich bekannten Kritiker und grundsätzliche Astrologie-Kritiker wie die beiden Weimarer Theologen Stoltz und Aurifaber, Calvin und Erastus. Auch Luther ist zu dieser Gruppe hinzuzuzählen. Allerdings war wohl bei ihm seine Zuneigung zu Melanchthon dafür verantwortlich, daß er ihm die Astrologie, wenn sie in einem gewissen Rahmen blieb, trotz seiner eigenen ablehnenden Haltung als eine Art Spiel und Erholung zugestand.199
198
Fabricius hatte 1536 in Wittenberg studiert (vgl. Album Academiae Vitebergensis 1, 162). Er pflegte zwischen 1546 und 1559 einen regen Briefwechsel mit Melanchthon (vgl. den ersten erhaltenen Brief dieses Briefwechsels 26. 08. 1546 [MBW 4367] und den letzten 19. 7. 1559 [MBW 9004]). Roting hatte ab 1520 ebenfalls in Wittenberg studiert (vgl. Album Academiae Vitebergensis 1, 98) und war sowohl mit Luther als auch mit Melanchthon eng befreundet (vgl. zur Freundschaft zwischen Melanchthon und Roting z. B. ihren Briefwechsel und die häufigen Grüße Melanchthons an Roting in seinen Briefen an Camerarius). Allerdings scheint das Verhältnis zwischen Melanchthon und Roting nicht immer ungetrübt gewesen zu sein (vgl. Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon III, 410; VII, 326 und Ders., Münz-Belustigungen, 174 f.). 199 Vgl. Luthers Tischrede Sommer / Herbst 1531 [WA Tr 1, 7, Nr. 17, Z. 9 f.]: »Ego puto, quod Philippus astrologica tractat, sicut ego bibo ein starcken trunck birs, quando habeo graves cogitationes«; seine Genesisvorlesung 1535–45 [WA 42, 33, Z. 33 f.]: »Ego, si quis eas [sc. praedictiones astrologicas] defendat minus pertinaciter, non valde repugno. Oportet enim ingeniis suos lusus concedi« und seine Tischrede 21.5.–11. 6. 1540 [WA Tr 4, 613, Nr. 5013, Z. 1 f.]: »ego sum contentus, si non tenent eam [sc. astrologiam] artem; so laß ich in damit spilen«.
Teil 2
Auswertung Einleitung Nachdem im ersten Teil der Arbeit die Vorwürfe, die gegen Melanchthon im Lauf seines Lebens erhoben wurden, in ihrem historischen Kontext dargestellt wurden, sollen sie nun im Auswertungsteil nach inhaltlichen Gesichtspunkten zusammengestellt, auf mögliche Entwicklungen und Zusammenhänge hin untersucht und mit Melanchthons eigenen Positionen verglichen werden (Abschnitt I). Dadurch wird erkennbar, welche Kritikpunkte sich durch Melanchthons gesamtes Leben hindurchzogen und welche lediglich punktuell begegneten, welche Kritikpunkte in konkreten und nachvollziehbaren Bezügen stehen und welche zu unhinterfragten Klischees wurden. In einem zweiten Abschnitt (II) werden Melanchthons zeitgenössische Kritiker untersucht und kategorisiert. Ziel dieses Abschnitts ist es herauszustellen, welche Kritiker immer wieder und welche lediglich im Zusammenhang einzelner Ereignisse in Erscheinung traten. Zudem soll die Zusammenstellung mögliche Gemeinsamkeiten der Kritiker zutage fördern und Einblick in ihre Motivationen gewähren.
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe Innerhalb des ersten großen Abschnitts der Auswertung behandelt das erste Kapitel die Vorwürfe, die sich gegen Melanchthons Theologie richteten, und zwar sowohl gegen einzelne Lehrstücke wie auch gegen seine Theologie als ganze. Das zweite Kapitel ist der Kritik an Melanchthons kirchenpolitischem Agieren gewidmet, das heißt seinen Kontakten zu Vertretern der Altgläubigen und den Zugeständnissen, die er ihnen machte. Im dritten Kapitel geht es um die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen; da dieses Thema im ersten Teil der Arbeit bereits gebündelt dargestellt wurde, kann sich das Kapitel auf eine kurze Wiederholung beschränken. Ein viertes Kapitel dreht sich um Vorwürfe, die Melanchthon in bezug auf seinen Umgang mit anderen Menschen gemacht wurden. Und das fünfte Kapitel schließlich beschäftigt sich mit Vorwürfen, die Melanchthons Persönlichkeit und Überzeugungen betrafen.
Kapitel 1: Die Kritik an Melanchthons Theologie Die erste überlieferte Kritik an Melanchthons Theologie wurde 1527 in bezug auf seine »Articuli« geäußert. Sie setzte sich dann fort im Zusammenhang des Augsburger Reichstags 1530 und anläßlich von Melanchthons »Consilium ad Gallos« 1534. Von 1535 bis zu Melanchthons Tod intensivierte sich die Kritik an seiner Theologie und entzündete sich immer wieder neu an seinen Äußerungen zu Fragen der Lehre, ob an den verschiedenen Auflagen seiner »Loci«, seinen Vorlesungen, Kommentaren, Lehrbüchern oder Gutachten. Dabei wurde zum ersten Kritik an konkreten Lehraussagen geäußert (1.1), zum zweiten richteten sich Vorwürfe gegen Melanchthons Umgang mit den Kirchenvätern (1.2), zum dritten wurde seine Theologie mit verschiedenen Etikettierungen versehen und dadurch als ganze und grundsätzlich in Frage gestellt (1.3).
1.1 Kritik an konkreten Lehraussagen Im folgenden werden zunächst diejenigen Vorwürfe zusammengestellt, die sich an konkreten Lehraussagen Melanchthons festmachen lassen. Die einzelnen theologischen Streitfragen werden dabei allerdings nicht en détail diskutiert
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Teil 2: Auswertung
und bewertet, da dies den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde und es zudem fundierte Untersuchungen zu vielen Einzelfragen gibt, auf die verwiesen werden kann. Die Reihenfolge der Darstellung der Kritikpunkte orientiert sich am Auf bau der späteren Auflagen von Melanchthons »Loci«.1 1.1.1 Trinitätslehre und Christologie Kritik an Melanchthons Trinitätslehre, das heißt konkret an der darin ausgeführten Christologie, wurde 1556 von Matthias Flacius und Melanchthons ehemaligem Schüler Werner Steinhausen geäußert. Beide wandten sich gegen die christologischen Aussagen Melanchthons – wie sie sich zum Beispiel in seinen »Loci« finden 2 –, der Sohn Gottes sei das Wort bzw. der λόγος Gottes und der Vater erzeuge den Sohn durch Anschauung und Denken. Sie sahen darin eine Unterstützung der Mißachtung des geistlichen Amtes, wie sie bei Caspar von Schwenckfeld begegne.3 Weitere Kritik an Melanchthons Christologie erhob 1559 Herzog Christoph von Württemberg, der im Zuge der Auseinandersetzungen über das Abendmahl bemängelte, Melanchthons Aussagen über die Himmelfahrt Christi und sein Sitzen zur Rechten Gottes in der Neuauflage seines Kolosserkommentars seien unklar und stünden daher in der Gefahr, im Sinne einer Trennung der beiden Naturen in Christus verstanden zu werden. Dies führe dazu, daß sie von Verfechtern einer calvinistischen Abendmahlslehre als Argument gegen die Realpräsenz herangezogen würden.4 Melanchthons Christologie wurde zu seinen Lebzeiten kritisiert, allerdings nur von Einzelpersonen. Eine Beziehung zwischen den einzelnen Vorwürfen läßt sich nicht ausmachen; es handelt sich vielmehr um Beobachtungen einzelner Kritiker, die an unterschiedlichen Aspekten der Christologie Melanchthons mehr oder weniger großen Anstoß nahmen und vermutlich sehr unterschiedliche Motive für ihre Kritik hatten. 1.1.2 Anthropologie – das Verständnis des freien Willens Im Unterschied zur Christologie wurde Melanchthons Anthropologie intensiver Kritik unterzogen. Dabei stand bei allen Kritikern die Frage im Mittelpunkt, welche Fähigkeiten dem Menschen nach dem Fall noch zugesprochen werden können und vor allem welche nicht. Der erste Kritiker, der Melanchthons Anthropologie in Zweifel zog, war Veit Amerbach: 1539 kritisierte er Melanchthons Thesen »De concupiscentia« und 1
Vgl. zu einem solchen Auf bau auch Scheible, Art. Melanchthon, 389 ff. Vgl. Melanchthons »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 183 ff.; bes. 184, Z. 16 ff.]. 3 Vgl. die Belege zu dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1. 4 Vgl. zum Zustandekommen dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.5; zum Abendmahl unten Kap. 1.1.5.2; zu Melanchthons später Christologie Brandy, Christologie, 32 ff. 2
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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ab 1541 wandte er sich mit dem Werk »Quatuor libri de anima« gegen Melanchthons Lehrbuch der Anthropologie, das 1540 unter dem Titel »Commentarius de anima« erschienen war. Er stieß sich unter anderem an Melanchthons Aufteilung der appetitiones und – vermutlich damit verbunden – an Melanchthons Aussagen zur natürlichen Bosheit des Menschen. Berücksichtigt man Amerbachs spätere Wendung zum Katholizismus und seine starke humanistische Prägung, ist zu vermuten, daß er Melanchthons Anthropologie unter anderem deshalb kritisierte, weil er sie als zu lutherisch und daher als zu negativ empfand.5 Im Gegensatz zu Amerbach erschienen Melanchthons Anthropologie und Erbsündenlehre allen anderen Kritikern als zu optimistisch und zu positiv, das heißt als eine unangemessene Hochschätzung der natürlichen Fähigkeiten des Menschen. So nahm zum Beispiel Nikolaus von Amsdorf 1541 an Melanchthons Aussage in den »Loci« Anstoß, der Mensch besitze die Fähigkeit, geringe Sünden ohne Hilfe des Heiligen Geistes zu meiden; und in der »Kölner Reformation« störte ihn die Aussage Melanchthons, der Mensch verliere die Gnade wegen des Falls, aber gegen sein eigenes Gewissen.6 Es ist zu vermuten, daß die Kritik von Flacius an Melanchthons Erbsündenlehre im Jahr 1556 oder 1557, über die nichts Näheres bekannt ist, in eine ähnliche Richtung ging.7 Und 1558 bemängelte auch Caspar von Schwenckfeld Melanchthons philosophische und (allzu) positive Anthropologie.8 Das Lehrstück, an dem sich die Kritik an Melanchthons Anthropologie in erster Linie festmachte, war sein Verständnis des freien Willens. In seinen »Loci« von 1521 hatte sich Melanchthon in der Frage der Freiheit des menschlichen Willens noch der Position Luthers angeschlossen.9 1527 rückte er jedoch von Luthers Determinismus ab und bezog in der Frage der Willensfreiheit eine Position zwischen Luther und Erasmus.10 Er war dabei von psychologischen Erwägungen bestimmt und versuchte, die Möglichkeit der menschlichen Willensfreiheit in Anlehnung an die antike philosophische Tradition zu begründen. In Artikel 18 der »Confessio Augustana« ließ er dabei noch Vorsicht walten. In seinen »Loci« von 1535 sprach er dann jedoch erstmals von den drei Ursachen 5
Vgl. zu den Belegen und Umständen dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 9 ; zu Amerbachs humanistischer Prägung Fischer, Trolmann, 26; zu weiterer Kritik Amerbachs, die aus einer ähnlichen Motivation heraus erfolgte, unten Kap. 1.1.3.3. 6 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 14 und Kap. 15. 7 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1, bes. Anm. 230. 8 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. 9 Vgl. die »Loci« von 1521 [MSA 2/1, 17, Z. 3 ff.]. 10 Vgl. Melanchthons Kommentar zum Kolosserbrief von 1527 [MSA 4, 209–303; hier 221–225 (zu Kol 1,15)]; seine »Articuli« von 1527 [CR 26, 7–28; hier 26–28] und den »Unterricht der Visitatoren« von 1528 [MSA 1, 215–271; hier 252 f.]; zu den Veränderungen im Kolosserbrief-Kommentar seine Rede »Discendae theologiae ratio« von 1530 [CR 2, 455– 461, Nr. 953; hier 457].
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einer guten Handlung, nämlich dem Wort, dem Heiligen Geist und dem menschlichen Willen, der nicht müßig sei, sondern gegen seine eigene Schwachheit ankämpfe.11 Seit der Auflage seiner »Loci« von 1548 verwendete er die erasmische Formel, die Freiheit sei die Fähigkeit, sich zur Gnade hinzuwenden, und interpretierte sie dahingehend, daß der Mensch, der auf die Verheißung höre, versuche, ihr beizupflichten und die Sünden, die gegen das Gewissen stehen, abzulegen.12 Für diesen Umschwung in Melanchthons Willenslehre waren vor allem zwei Gründe verantwortlich: zum einen seine Scheu, das Böse in irgendeiner Weise auf Gott selbst zurückzuführen, zum anderen der Gedanke der Universalität der göttlichen Gnade, das heißt die Abneigung, die Gnade nur auf die Erwählten einzuschränken. Deshalb kam er zu dem Schluß, die Entscheidung über Annahme und Ablehnung der göttlichen Gnade müsse beim Menschen liegen. Diese Entscheidungsmöglichkeit des Willens bestand für Melanchthon zwar lediglich in einem minimalen, kraftlosen Zustimmen zur Bewegung durch den Heiligen Geist, war für ihn aber dennoch unverzichtbar bei einem mit der Gottebenbildlichkeit ausgezeichneten und vernunftbegabten Geschöpf Gottes wie dem Menschen, den er nicht als einen unbeweglichen Block abwerten wollte. Ihm lag daran, durch die Betonung einer Mitwirkung des Menschen an seiner Bekehrung die Verantwortung und Schuld des Menschen in bezug auf das Heil zu steigern und im Gegensatz zu gewissen Einseitigkeiten in den Anschauungen Luthers hervorzuheben.13 Die geschilderte Entwicklung der Willenslehre Melanchthons stieß bei vielen Theologen im lutherischen Lager auf Widerstand und wurde immer wieder als Form des Synergismus gegeißelt.14 Interessanterweise setzte die Kritik aber nicht 1527, sondern erst 1530 ein, und auch dies nur sehr vage und nicht unmittelbar gegen Melanchthon gerichtet. So bemängelte Martin Bucer während des Augsburger Reichstags 1530, man habe in den Ausschußverhandlungen am 16. 11
Vgl. die »Loci« von 1535 [MSA 2/1, 243, Anm.]: »videmus coniungi has causas, Verbum, Spiritum sanctum et voluntatem non sane otiosam, sed repugnantem infirmitati suae«; zudem »Philosophiae moralis epitomes libri duo« von 1546 [MSA 3, 151–301; hier 186, Z. 26 ff.]; »Examen ordinandorum« von 1552 [CR 23, 1–102; hier 15]; die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 243, Z. 15 ff.]: »tres causae bonae actionis, verbum Dei, Spiritus sanctus et humana voluntas assentiens nec repugnans verbo Dei« und »Explicatio Symboli Niceni« von 1561 [CR 23, 347–584; hier 435]. 12 Vgl. z. B. die »Loci« von 1559 [MSA 2/1, 245, Z. 30 ff.]: »Liberum arbitrium in homine facultatem esse applicandi se ad gratiam, id est, audit promissionem et assentiri conatur et abiicit peccata contra conscientiam«. 13 Vgl. zur dargestellten Entwicklung und zu den Charakteristika der Willenslehre bei Melanchthon Meinhold, Melanchthon, 79 ff.; Peters, Der Mensch, 60 ff.; Lohse, Reformation, 80 f.; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 124; Frank, Theologische Philosophie, 312 f.; Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 71 ff.; Strohm, Melanchthon, 22 ff.; Matz, Willenslehre, 232 ff.; Michel, Der synergistische Streit, 252 ff. und in aller Ausführlichkeit Graybill, Free Will, 81 ff. 14 Vgl. Wagner, Bekehrung, 461 und Strohm, Melanchthon, 24.
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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und 17. August unzulässigerweise mit der Lehre vom freien Willen gespielt.15 Auch im Blick auf Melanchthons »Loci« von 1535 war die Kritik noch verhalten; Amsdorf schrieb seine Anfragen an Melanchthons Willenslehre zwar nieder, veröffentlichte diese Schrift aber nicht und verzichtete darauf, Melanchthons Namen zu nennen.16 Auch 1536 blieb seine Kritik noch indirekt; 17 erst 1544 in bezug auf die »Kölner Reformation« war Melanchthon als Zielscheibe seiner Kritik klar zu erkennen.18 Die Tatsache, daß sich Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen 1537 besorgt über Melanchthons von Luther abweichende Position in der Frage des freien Willens äußerte,19 macht deutlich, daß sich die Kritik an dieser Lehrfrage bereits Ende der 1530er Jahre zu festigen begann. Einen Höhepunkt erreichte sie allerdings erst nach Luthers Tod in den 1550er Jahren.20 Die Kritik entzündete sich zunächst an der Darstellung der Willensfreiheit in den »Leipziger Artikeln« 154821 und dann in den folgenden Jahren an jeder neuen Veröffentlichung Melanchthons, in der er seine Position zur Willenslehre darlegte, so zum Beispiel an den späten Auflagen seiner »Loci«, an seiner Auslegung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses, an seiner Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel 1558/59 und am »Corpus doctrinae« von 1560.22 Vorgebracht wurde die Kritik von verschiedenen Vertretern der sogenannten Flacianer – Flacius, Amsdorf, Johannes Stoltz, Joachim Mörlin und in besonderer Weise Nikolaus Gallus – und fand durch ihren Einfluß 1558/59 auch den Weg ins Weimarer Konfutationsbuch, wo die Kritik durch die Vermutung erweitert wurde, Melanchthons »falsche« Haltung in der Willensfrage hänge mit einem »falschen« Verständnis der Erbsündenlehre zusammen.23 1559 schlossen sich der Kritik zudem Heinrich Bullinger und Johannes Agricola an.24 Luther selbst griff Melanchthon in dieser Frage nicht an – für den Kolosserkommentar schrieb er sogar 1529 eine rühmende Vorrede, die »Loci« von 1535 lobte er, und auch im Blick auf die »Loci« von 1543 ist keinerlei Kritik bekannt.25 Und doch war es Luthers Auffassung, die für alle Kritiker Melanchthons in dieser Frage maßgeblich war: seine Überzeugung, daß die Frage des menschlichen Willens ein Kriterium für die richtige Interpretation der gesamten biblischen Botschaft darstelle und die Unfreiheit des menschlichen Willens einen 15
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.1.4. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 17 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 , Anm. 50. 18 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 19 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 6. 20 Vgl. auch ihre Erwähnung in Heerbrands Gedenkrede zum Tode Melanchthons vom 15. 5. 1560 [CR 10, 310]. 21 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 22 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1, Kap. 15 und Kap. 18. 23 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 14, bes. Anm. 348. 24 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 15 und Kap. 17. 25 Vgl. Luthers Vorrede zu Melanchthons Kolosser-Kommentar von 1529 [WA 30/2, 68 f.] und Strohm, Melanchthon, 24. 16
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Teil 2: Auswertung
Orientierungspunkt für die Lehre bilde, und damit verbunden die Sorge, daß man infolge der Hochschätzung der Fähigkeiten des menschlichen Willens die Wirkung des Heiligen Geistes und der Gnade mindere.26 Melanchthons Anthropologie erschien also allen lutherischen Kritikern als zu optimistisch und wurde daher als eine Form des Synergismus bezeichnet. 1.1.3 Rechtfertigung und neuer Gehorsam Melanchthons Rechtfertigungslehre ist der Teil seiner Theologie, der mehr Kritik erfahren hat als die meisten anderen Themen, was bereits im Blick auf die Lehre vom freien Willen anklang. Problematisiert wurden von den Kritikern insbesondere die Rolle der Buße für die Rechtfertigung, die Bedeutung der guten Werke und der tertius usus legis, Melanchthons Haltung zum sola fide, seine forensische Fassung der Rechtfertigungslehre und sein Verständnis des Begriffs »Wiedergeburt«. 1.1.3.1 Gesetz und Evangelium – die Rolle der Buße für die Rechtfertigung Wie Luther lag auch Melanchthon an einer strengen Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium bei gleichzeitiger Betonung ihres engen Zusammenwirkens. Das Gesetz Gottes war für Melanchthon die Größe, die als von Gott gegebene Lehre vorschreibt, wie das gottgewollte Sein und Handeln des Menschen aussehen sollte. Damit ist es zum einen Ort der Ethik, insofern die äußere, fragmentarische Erfüllung des Gesetzes als usus civilis das Zusammenleben der Menschen in der sündigen Welt ermöglicht. Zum anderen hat es eine theologische Funktion, indem seine radikalen Forderungen die Sünde der Menschen aufdecken – der zweite, später als usus theologicus bzw. elenchticus bezeichnete Gebrauch des Gesetzes. Das Evangelium als offenbarte Verheißung der um Christi willen geschenkten Versöhnung und als Zuspruch der Sündenvergebung für den durch das Gesetz erschütterten Menschen war davon nach Ansicht Melanchthons strikt zu unterscheiden. Unbeschadet dieser grundlegenden Unterscheidung definierte er das Evangelium bereits 1524 in Anlehnung an Lk 24,47 als die Predigt von Buße und Vergebung. Er ging davon aus, daß sich in der Buße die Forderungen des Gesetzes und die durch den Heiligen Geist bewirkte Reue und Vergebung ineinanderfügten und die Buße auf diese Weise – als Vorbereitung auf die eigentliche Bekehrung – das Gesetz in seiner theologischen Funktion mit dem Evangelium verknüpfe.27 26
Vgl. Kolb, Gallus’ Critique, 87 f. Vgl. zur Definition des Evangeliums die Belege im Darstellungsteil, Abschnitt IV, Kap. 5.1, Anm. 229; zu den usus legis z. B. die »Loci« von 1535 [CR 21, 405]: »Legis officia . . . Primum est civile, videlicet, ut coherceat omnes homines disciplina quadam . . . Secundum officium ac proprium legis divinae est, ostendere peccata, accusare, perterrefacere et damnare conscientias«; ferner Meinhold, Melanchthon, 81 f.; Scheible, Art. Melanchthon, 391 f.; Ders., Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 82 f. und Ders., Aufsätze zu Melanchthon, 27
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Es waren insbesondere diese Definition des Evangeliums und die Rolle der Buße darin, die im Verlauf von Melanchthons Leben verschiedene Lutheraner zu Kritik veranlaßten. Erstmals geschah dies 1527: Melanchthon hatte im Zuge der Visitation in Kursachsen bemängelt, daß das Evangelium in erster Linie als Vergebung der Sünden und nicht so sehr als Buße verkündigt werde, und dies mit einer wachsenden Zügellosigkeit im Volk in Verbindung gebracht. Diese Einsicht hatte ihn zu der Forderung bewegt, die Predigt von der Buße als notwendige Voraussetzung und Vorbedingung des Glaubens zu forcieren und das Gesetz in seiner theologischen und das heißt Sünden aufdeckenden Funktion wieder mehr in den Vordergrund zu stellen.28 An diesen Aussagen Melanchthons stieß sich insbesondere Agricola. Er kritisierte, daß Melanchthon die Buße mit der Gottesfurcht und nicht mit der Liebe zur göttlichen Gerechtigkeit beginnen lasse und zudem nicht zwischen Gottesfurcht und Strafangst unterscheide. Zudem nahm er Anstoß an der großen Bedeutung der Gesetzespredigt und an der Stellung der Buße vor dem Glauben, die seiner Ansicht nach aus dem Glauben und auf ihn folgend dargestellt werden müsse.29 An diese Kritik knüpfte Agricola im Jahr 1537 an, und Jakob Schenck schloß sich ihm an.30 Für das Verständnis und die Bewertung dieser Vorwürfe ist Agricolas eigene theologische Entwicklung und seine (skeptische) Stellung zum Gesetz zu berücksichtigen.31 Es blieb jedoch nicht bei der Kritik der sogenannten Antinomisten. 1536 wandte sich auch Konrad Cordatus gegen Melanchthons Verständnis der Buße, nachdem Caspar Cruciger in einer von Melanchthon formulierten Vorlesung die Reue und das ernsthafte Bemühen des Menschen neben Christus als dem Grund, weswegen wir gerechtfertigt werden (causa propter quam), als notwendige Ursache der Rechtfertigung (causa sine qua non) bezeichnet hatte. Cordatus sah in dieser Aufwertung der menschlichen Mitwirkung an der Rechtfertigung einen schweren Irrtum und verglich die causa sine qua non mit einem bösartigen Geschwür, gegen das man vorgehen müsse – Kritik, die laut Luther auch Michael Stifel und Amsdorf teilten und der sich 1537 zudem Georg Solmius und Leonhard Beyer anschlossen.32 Diese Kritik scheint so vehement und öffentlichkeitswirksam geäußert worden zu sein, daß sich 1537 auch der sächsische Kurfürst Johann Friedrich mit einer Anfrage bezüglich ihrer Rechtfertigungslehre an Melanchthon und Cruciger wandte.33 1541 stellte Amsdorf die Aussage der 243 ff.; Richter, Gesetz und Heil, 372 f. und Ders., Melanchthons Verständnis, 25 und Korsch, Melanchthon und die dialektische Theologie, 245. 28 Vgl. zu Melanchthons Haltung 1527 im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.1.3 und Kap. 4.2.2.4 a). 29 Vgl. zu Agricolas Kritik im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2. 30 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 7 und Kap. 10. 31 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.3 b). 32 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. 33 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 6.
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»Loci« in Frage, die Buße sei notwendig zur Rechtfertigung.34 1546 kritisierte Melanchthons ehemaliger Schüler Andreas Musculus seine Äußerungen zur Johannestaufe, in denen Melanchthon die Verknüpfung von Buße und Vergebungsaussagen betont hatte.35 Und in den 1550er Jahren wurde Melanchthons Definition des Evangeliums von Gallus und Flacius kritisiert. Beide hielten Melanchthon vor, die Zuordnung der Buße zum Evangelium vertrage sich nicht mit der auch von ihm vertretenen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium, denn für sie gehörte die Buße eindeutig auf die Seite des Gesetzes und nicht auf die Seite des Evangeliums. Sie warfen Melanchthon daher eine Verfälschung der Lehre von der Buße vor und rückten ihn in die Nähe zu Agricolas Antinomismus, weil sich auch dieser auf Lk 24,47 berief und den Evangeliumsbegriff auf eine Bußfunktion hin erweiterte, wenn auch mit völlig anderer Ausrichtung.36 1.1.3.2 Neuer Gehorsam – die Bedeutung der guten Werke und der tertius usus legis Ab 1535 geriet Melanchthon immer wieder wegen seiner Überzeugung in die Kritik, die guten Werke seien als Frucht und Folge der Rechtfertigung notwendig für das ewige Leben und im Sinne eines tertius usus legis von den Gläubigen zu fordern – eine Einsicht, die ähnlich wie seine Bußlehre aus Erfahrungen bei der Visitation und auf dem Hintergrund altgläubiger Vorwürfe erwachsen war, die lutherische Lehre verderbe die Sittlichkeit.37 Als er 1535 entsprechende Formulierungen in die Neuauflage seiner »Loci« aufnahm,38 wurde er zunächst von Agricola angegriffen, der diese Aussagen als »versalzenes Muß« bezeichnete.39 Entsprechende Kritik im Blick auf die »Loci« äußerte zudem Amsdorf,40 und 1536 stimmte auch Cordatus in den Chor der Kritiker ein, weil er in der Behauptung einer Notwendigkeit guter Werke einen unangemessenen erasmianischen Einfluß sah.41 1549 warfen Flacius, Gallus und Amsdorf Melanchthon und seinen Kollegen hinsichtlich der »Leipziger Artikel« vor, sie hätten die Notwendigkeit der guten Werke zu stark betont, verfälschten dadurch die lutheri34
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 14. Vgl. Melanchthons Aussagen in seinem Brief an Dietrich vom 12. 3. 1543 [MBW 3192; MBW T 12, 132–135] und seine Reaktion auf die Kritik des Musculus im Brief an ihn vom 12. 4. 1546 [MBW 4229; CR 6, 104–107, Nr. 3439; hier 105]. 36 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1; zudem Mau, Gesetz, 86 f. und Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 82. 37 Vgl. Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 82. 38 Vgl. die »Loci« von 1535 [CR 21, 406]: »Tertium officium legis in his, qui sunt fide iusti, est, ut et doceat eos de bonis operibus, quaenam opera Deo placeant, et praecipiat certa opera, in quibus obedientiam erga Deum exerceant . . . Tertius usus repetetur in loco de operibus«; [CR 21, 429]: »bona opera ita necessaria sunt ad vitam aeternam, quia sequi reconciliationem necessario debent«. 39 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 40 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4, Anm. 70 und Kap. 14. 41 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. 35
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sche Lehre und bestätigten päpstliche Lehren.42 Flacius knüpfte in den 1550er Jahren an diese Kritik an und hielt Melanchthon vor, seine Formulierungen zur Rechtfertigungslehre erweckten den Eindruck, als geschehe die Rechtfertigung aus Glaube und Liebe.43 Im Jahr 1558 erneuerte er diese Kritik anläßlich des »Frankfurter Rezesses«, und die sächsischen Herzöge schlossen sich an: Sie bemängelten, daß im Rezeß die guten Werke nicht ausdrücklich genug aus dem Prozeß der Rechtfertigung ausgeschlossen würden und die durch den Heiligen Geist geschehende Erneuerung des Menschen mit dem neuen Gehorsam und den guten Werken vermischt werde. Zudem werde in bezug auf die guten Werke die (ihrer Meinung nach falsche) Ansicht Maiors nicht vehement genug verworfen.44 1558 meldete sich auch Musculus zu Wort, der Melanchthons Dreiteilung der Buße in Reue, Glauben und neuen Gehorsam, wie sie zum Beispiel in seiner Schrift »Examen ordinandorum« begegnete, ablehnte, weil dadurch die Rolle der guten Werke über die Maßen betont werde.45 Vermutlich angeregt durch die Kritik des Musculus meldete sich 1559 schließlich noch einmal Agricola zu Wort und geißelte Melanchthons Behauptung einer Notwendigkeit guter Werke.46 Trotz dieser Kritik hielt Melanchthon zeit seines Lebens an der Hochschätzung der guten Werke und damit an der Überzeugung fest, daß die guten Werke notwendig seien,47 er riet allerdings dazu – insbesondere nach dem Streit um Georg Maior –, den Zusatz ad salutem wegzulassen, da er zu Mißverständnissen führen könne.48 Neben den Vorwürfen hinsichtlich einer Überbetonung der guten Werke, die vor allem von gnesiolutheranischer Seite erhoben wurden, wurden Melanchthons Aussagen zu neuem Gehorsam und guten Werken auch von Schwenckfeld angegriffen. Da sein Anliegen eine sichtbare Besserung der Menschen war, gingen ihm Melanchthons Aussagen nicht weit genug.49
42
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1. 44 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13; zu ähnlicher Kritik auch das Weimarer Konfutationsbuch von 1558/59 und im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 14. 45 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 16. 46 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 17. 47 Vgl. z. B. Melanchthons Briefe an Luther, Jonas, Bugenhagen und Cruciger 1. 11. 1536 [MBW 1802; CR 3, 179–181, Nr. 1480; hier 180]; an Bucer 23. 4. 1537 [MBW 1895; CR 3, 356, Nr. 1566] und an Scarabäus 2. 6. 1537 [MBW 1910; CR 5, 753 f., Nr. 3185; hier 754] und seine Aussagen im »Frankfurter Rezeß« vom 18. 3. 1558 [CR 9, 489–507, Nr. 6483; hier 498 f.]. 48 Vgl. z. B. Melanchthons Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel von 1558 [MSA 6, 334, Z. 15 ff.]; seine »Propositiones« von 1559 [CR 12, 645–657, Nr. 69; hier 655] und seine Äußerung gegenüber Ramsbeck 26. 1. 1560 [MBW 9209; Müller, Melanchthoniana, 135 und 139 f.; hier 139]. 49 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. 43
460
Teil 2: Auswertung
1.1.3.3 Die Bedeutung der Exklusivpartikel sola fide Häufig verbunden mit den bisher geschilderten Vorwürfen an seiner Rechtfertigungslehre wurde Melanchthon vorgehalten, er lehne die Exklusivpartikel sola fide ab bzw. vertrete sie nicht ausdrücklich genug. In diversen Verhandlungen über die lutherische Rechtfertigungslehre hatte Melanchthon immer wieder erlebt, welch große Verwirrung die Formel sola fide bei den altgläubigen Gegnern hervorrief und wie schnell sie zu einem Reizwort geworden war, das beständigen Widerspruch erregte.50 Ein derartiges Unverständnis wird auch an der Kritik Amerbachs, der ja wenig später zum Katholizismus zurückkehrte, am sola fide aus dem Jahr 1542 deutlich; er befürchtete, die sola fide-Lehre hebe das Prinzip der menschlichen Willensfreiheit auf und führe – modern gesprochen – »zu einem unkritischen Libertinismus«.51 Um solchen Vorwürfen entgegenzuwirken und auch angesichts seiner eigenen Erfahrungen bei der Visitation, verwendete Melanchthon häufig das seiner Ansicht nach weniger mißverständliche Wort gratis im Sinn einer Exklusivpartikel bzw. wich auf andere Umschreibungen aus.52 Auch wenn er das sola fide also nicht konsequent verwendete, stand für ihn jedoch – seinen eigenen Angaben zufolge – die 50 Vgl. z. B. die »Confutatio« von 1530 [Immenkötter, Confutatio, 84–87 (zu CA 4) und 120–123 (zu CA 20)], in der die durch die Exklusivpartikel ausgedrückte Verwerfung der menschlichen Werke vehement zurückgewiesen wurde; zudem Lexutt, Rechtfertigung, 71. 51 Frank, Amerbach, 111; vgl. a. a. O., 113; zu Amerbachs Kritik im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 9 ; zudem oben Kap. 1.1.2. 52 Vgl. zur Verwendung von gratis bzw. des deutschen Äquivalents »umsonst« z. B. Na 5 (dazu im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.2.2, Anm. 47 ) [BSLK, 57, Z. 14]; CA 4 [BSLK, 56, Z. 4 ]; »Loci« von 1535 [CR 21, 423]; »CA variata« von 1540 [MSA 6, 15, Z. 7]; die Briefe an Amerbach April 1542 [MBW 2949; MBW T 11, 152–154; hier 153, Z. 14 f.]: »Egoque magis usus sum particula ›gratis‹, quae fortassis minus parit certaminis«; an Buchholzer 6. 6. 1548 [MBW 5176; CR 7, 1011 f., Nr. 5131; hier 1011]: »Retineo exclusivam: et sicut antea plerumque usus sum particula Gratis, quae minus habet ambiguitatis, et a Paulo usurpatur«; [1012]: »de particula Sola, perpetua est haec adversariorum cavillatio, Fidem non esse solam« und an Korte 25. 3. 1551 [MBW 6031; CR 7, 756 f., Nr. 4868; hier 757]: »De vocabulo sola in multis conventibus magnae rixae fuerunt«; »sum usus exclusiva gratis«; »Confessio Saxonica« von 1551 [MSA 6, 100, Z. 27]; »Examen ordinandorum« von 1552 [MSA 6, 198, Z. 5 ff.]; zur übereinstimmenden Bedeutung von sola fide und gratis eine Aufzeichnung Melanchthons zu CA 4 und 6 von November / Dezember 1540 [MBW 2569; MBW T 9, 507– 515; hier 510, Z. 96 f.]: »Nec aliter utimur exclusiva sola, quam Paulus usus est exclusiva gratis«. Die Exklusivpartikel sola fide bzw. das deutsche Äquivalent »allein« verwendete Melanchthon z. B. in seinen »Loci« von 1521 [MSA 2/1, 88, Z. 18; 107, Z. 25 f. und 141, Z. 9 ]; in seinen Vorarbeiten zu CA 20 von ca. April 1530 [MBW 894; MBW T 4/1, 134–137; hier 134, Z. 17 und 135, Z. 19]; in der deutschen Fassung von CA 20 [BSLK, 76, Z. 28]; in einer Zusammenstellung der Unterschiede zwischen Lutherischen und Altgläubigen von 1539 [Stupperich, Der unbekannte Melanchthon, 159–169; hier 159]; in einem Gutachten für Moibanus von Ende November / Anfang Dezember 1551 [MBW 6268; CR 8, 608–612, Nr. 5872; hier 608] und in der Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel von 1558 [MSA 6, 324, Z. 18 ff. und 328, Z. 7]. Andere Formulierungen finden sich z. B. in der lateinischen Fassung von CA 20 [BSLK, 76, Z. 28 f.]: »remissionem peccatorum et gratiam . . . tantum fide consequimur«.
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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Rechtfertigung allein aus Glauben, der zentrale Inhalt der lutherischen Rechtfertigungslehre, zu keinem Zeitpunkt in Frage.53 Das sahen seine Kritiker allerdings anders. Für sie war das sola fide gerade deshalb, weil es sich in den Diskussionen mit den Altgläubigen als Reizwort erwiesen hatte, die einzige geeignete Formel, das Proprium der evangelischen Rechtfertigungslehre adäquat auszudrücken und »den kontroverstheologischen Differenzpunkt zu pointieren«,54 und stellte daher eine Art Lackmus-Test für eine wahrhaft lutherische Rechtfertigungslehre dar. Wegen seines Verzichts auf das sola fide wurde Melanchthon erstmals im Rahmen der Ausschußverhandlungen beim Augsburger Reichstag 1530 kritisiert: Als man sich im VierzehnerAusschuß auf eine Formel zur Rechtfertigung einigte, in der das sola fehlte, stieß dies bei verschiedenen Protestanten auf Widerstand. Direkte Kritik äußerte zwar nur Bucer, indirekt zeigten jedoch auch Johannes Brenz, Luther und Johann Friedrich von Sachsen, daß sie mit der Streichung nicht einverstanden waren.55 Im Zuge seiner Kritik an der Rolle der Buße innerhalb von Melanchthons Rechtfertigungslehre verlieh 1536 auch Cordatus seiner Sorge um den Bestand des sola fide Ausdruck.56 Und 1542 mahnte Georg Spalatin in bezug auf die »CA variata« von 1540 mangelnde Deutlichkeit beim sola fide an.57 1549 warfen Flacius, Gallus und Amsdorf Melanchthon und seinen Kollegen in ihrer Kritik an den »Leipziger Artikeln« vor, sie hätten das sola fide absichtlich ausgelassen – die Ersetzung des sola durch »vornehmlich« akzeptierten sie nicht –, verfälschten dadurch die lutherische Rechtfertigungslehre und bestätigten die Lehre des Papstes.58 Besonders Amsdorf hatte zwar immer wieder betont, daß man von der Rechtfertigung auch ohne das sola klar und zutreffend sprechen könne, in der durch das »Augsburger Interim« gegebenen Bekenntnissituation hielt er den Verzicht auf das sola jedoch für überaus gefährlich.59 In den 1550er Jahren knüpfte insbesondere Flacius immer wieder an die Kritik des Jahres 1549 an und hielt Melanchthon vor, er verwende das sola fide in seinen Schriften ohne den nötigen Nachdruck und bezeichne die Exklusivpartikel vielmehr als Spitzfindigkeit.60
53 Vgl. Melanchthon an Korte 25. 3. 1551 [MBW 6031; CR 7, 757]: »Rem ipsam semper retinui«. Unterstützt wird diese Sicht Melanchthons auch von gegenwärtigen Forschern, vgl. z. B. Hägglund, Melanchthon versus Luther, 124; Lohse, Reformation, 78 und Dingel, Der Majoristische Streit, 237. 54 Lexutt, Rechtfertigung, 112; vgl. a. a. O., 122. 55 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.1.1. 56 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. 57 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 58 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 59 Vgl. Dingel, Der Majoristische Streit, 233 f. 60 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1.
462
Teil 2: Auswertung
1.1.3.4 Die Bedeutung der effektiven Gerechtigkeit für die Rechtfertigung Neben den bisher genannten Aussagen Melanchthons zur Rechtfertigungslehre wurden auch seine imputative bzw. forensische Fassung der Rechtfertigungslehre und damit verbunden seine Haltung zur effektiven Gerechtigkeit problematisiert. Melanchthon verstand die Rechtfertigung – im Unterschied zu Luther – seit 1531 vor allem als ein Urteil Gottes, durch das dem reuigen Sünder die Gerechtigkeit Christi angerechnet werde.61 Der beständigste Kritiker Melanchthons in dieser Frage war Andreas Osiander. Er behauptete im Rückblick, er habe an Melanchthons Rechtfertigungslehre bereits im Jahr 1530 kritisiert, daß sie nicht so »lauter und klar« sei wie die Luthers, sagte allerdings nicht, auf welche Inhalte sich seine angebliche Kritik, für die es sonst keine Hinweise gibt, bezog.62 Seine erste inhaltlich konkrete Kritik stammt aus dem Jahr 1535, als er Melanchthons Aussagen zur Rechtfertigungslehre in der Neuauflage seiner »Loci« angriff und das weitgehende Fehlen von Aussagen zur effektiven Gerechtigkeit bemängelte, die ihm selbst sehr am Herzen lag,63 – Kritik, die er im Rahmen der sogenannten Osiandrischen Streitigkeiten um seine eigene Rechtfertigungslehre in den Jahren 1551 und 1552 erneuerte: Er hielt Melanchthon vor, er berücksichtige die johanneischen Aussagen über die Einwohnung der göttlichen Natur Christi in den Gläubigen zu wenig, weswegen auch Aussagen zur dadurch zustande kommenden Erneuerung fehlten.64 Für das Verständnis und die Bewertung dieser Kritik ist zu berücksichtigen, daß die beiden Theologen zwar dieselbe reformatorische Sprache sprachen, »die Schlüsselbegriffe aber unterschiedlich verstanden«.65 Osiander war allerdings nicht der einzige, der sich an Melanchthons (imputativer) Fassung der Rechtfertigungslehre stieß. 1557 kritisierten Flacius und Gallus Melanchthons Unterscheidung zwischen äußerlicher Gerechtigkeit und innerer Neuwerdung im Abschnitt »De magistratu« der »Confessio Saxonica« 66 – wohl deshalb, weil ihnen an der engen Einheit zwischen innerer Neuwerdung und äußerer Erneuerung lag, die ihrem Empfinden nach bei Melanchthon in der Gefahr stand, in zwei Teile auseinanderzufallen. Flacius erneuerte seine Anfragen 1558 anläßlich des »Frankfurter Rezesses«, und auch Schwenckfeld bemängelte Melanchthons imputative Fassung der Rechtfertigungslehre im »Frankfurter Rezeß«.67 61 Vgl. z. B. Melanchthons Aussage im »Frankfurter Rezeß« vom 18. 3. 1558 [CR 9, 489– 507, Nr. 6483; hier 495]; zudem Meinhold, Melanchthon, 82; Scheible, Art. Melanchthon, 392 und Ders., Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 82. 62 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.3. 63 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 64 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.1. 65 Briskina, Melanchthon und Osiander, 242. 66 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 7. 67 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13.
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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1.1.3.5 Das Verständnis des Begriffs »Wiedergeburt« Weitere Kritik richtete sich gegen Melanchthons Verständnis des Begriffes der »Wiedergeburt«. Melanchthon konnte die Wiedergeburt eines Menschen einerseits mit dem gesamten Prozeß seiner Bekehrung in eins setzen, andererseits jedoch beide voneinander unterscheiden und die Bekehrung mit contritio und mortificatio, die Wiedergeburt hingegen mit der vivificatio und dem Glauben eines Menschen gleichsetzen.68 Im letzteren Sinn hatte Melanchthon in der (unter dem Namen Crucigers veröffentlichten) Auslegung des Johannesevangeliums von 1546 betont, in einer christlichen Gemeinde seien auch Menschen vorzufinden, die noch nicht neugeboren seien. An dieser Aussage stieß sich Osiander und warf Melanchthon vor, er leiste dadurch den Wiedertäufern Vorschub. Da der Begriff »Wiedergeburt« für Osiander gemäß Tit 3,5 ausschließlich als Synonym für die Taufe zu verstehen war, konnte er Melanchthons Aussagen nur schwärmerisch deuten: Menschen in einer christlichen Gemeinde seien getauft. Menschen, die noch nicht wiedergeboren seien, müssten erst noch neugeboren werden oder aber der ewigen Verdammnis anheimfallen – was niemandes Wunsch sein könne. Daraus folge, daß die bereits getauften, aber noch nicht wiedergeborenen Menschen noch einmal getauft werden müssten. Die Behauptung, daß jemand getauft, aber noch nicht wiedergeboren sei, sei also wiedertäuferisch und daher zu verdammen.69 Osianders Kritik kam allein aufgrund eines von Melanchthon verschiedenen Verständnisses der Wiedergeburt zustande. 1.1.3.6 Zusammenfassung Betrachtet man die unterschiedlichen Vorwürfe, die Melanchthon hinsichtlich seiner Rechtfertigungslehre gemacht wurden, und bezieht die im Abschnitt zuvor geschilderte Kritik an seinem Verständnis des freien Willens mit ein, so lassen sich diese dahingehend zusammenfassen, daß den Kritikern bei Melanchthon zum einen der menschliche Anteil am Prozeß der Rechtfertigung und damit die Nähe zum katholischen Rechtfertigungsverständnis als zu groß erschienen und sie ihm deshalb eine Form von Synergismus vorwarfen und daß sie sich zum anderen an seinen Begrifflichkeiten und an seinem Ins-VerhältnisSetzen der verschiedenen Aspekte der Rechtfertigung stießen. Sicher wurde er vor allem deshalb so scharf angegriffen, weil Luther die Rechtfertigungslehre als das Fundament aller reformatorischen Entscheidungen verstanden hatte.70 Auch wenn die Unterschiede zwischen Melanchthon und Luther in der Rechtfertigungslehre nicht geleugnet werden können oder sollen, stellt sich die Frage, wie sie zu bewerten sind. Sind sie auf Melanchthons spöttischen Umgang mit 68
Vgl. Wagner, Bekehrung, 460. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.1. 70 Vgl. z. B. die »Schmalkaldischen Artikel« Luthers von 1537 [BSLK, 416, Z. 23 ff.]. 69
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Teil 2: Auswertung
der Rechtfertigungslehre zurückzuführen, wie dies Cordatus 1536 behauptete,71 und als Abweichen von der lutherischen Rechtfertigungslehre sowie als Verderbnis und Verfälschung derselben zu bewerten? 72 Oder handelt es sich nicht vielmehr um unterschiedliche Akzentsetzungen Luthers und Melanchthons bei grundsätzlicher Einigkeit in der Sache,73 wofür auch spricht, daß sich Luther selbst nie offen kritisch zu Melanchthons Rechtfertigungslehre äußerte? 74 1.1.4 Ekklesiologie 75 Melanchthons Lehre von der Kirche wurde zu seinen Lebzeiten von nur einem Theologen explizit kritisiert, und zwar von Agricola im Jahre 1559. Er nahm daran Anstoß, daß Melanchthon die Sichtbarkeit der Kirche mehr betonte als Luther,76 und bezeichnete dies als Irrlehre.77 1.1.5 Sakramente Die Kritik an Melanchthons Sakramentenlehre konzentrierte sich abgesehen von einigen kleineren Vorwürfen in bezug auf die Zahl der Sakramente (1.1.5.1) und sein Absolutionsverständnis (1.1.5.3) auf verschiedene Aspekte seiner Abendmahlslehre (1.1.5.2). 1.1.5.1 Die Zahl der Sakramente Zu den Sakramenten, verstanden als neutestamentliche Zeichen der Gnade, zählten für Melanchthon Taufe, Abendmahl und Absolution. Zudem konnte er auch der Ordination den Rang eines Sakraments zuerkennen.78 Die von den Altgläubigen praktizierte Firmung lehnte er jedoch als unnütze Zeremonie ab. 71
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. So z. B. von den Flacianern in bezug auf die »Leipziger Artikel« geäußert (vgl. oben Kap. 1.1.3.2 und Kap. 1.1.3.3). 73 Vgl. Pauck, Luther und Melanchthon, 20; Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 70; Wengert, Melanchthon and Luther, 69 und Flogaus, Luther versus Melanchthon?, 45. 74 Vgl. Pauck, Luther und Melanchthon, 20. 75 Vgl. auch die Vorwürfe in bezug auf Melanchthons Haltung zur bischöflichen Jurisdiktion unten Kap. 2 .4.3. 76 Vgl. z. B. Melanchthons »Propositiones« von 1553 [CR 12, 588–600, Nr. 65; hier 599] und von 1558 [CR 12, 398–436; hier 434] und die undatierten Postillen zum Tag von Petrus und Paulus [CR 25, 120–132; hier 129] und zum Sonntag Sexagesimae [CR 24, 391–414; hier 400 f.]; zudem Dorner, Geschichte, 271 f.; Meinhold, Melanchthon, 86 ff.; Lau, Melanchthon und die Ordnung, 104 und Scheible, Art. Melanchthon, 393. 77 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 17. 78 Vgl. die »Loci« von 1559 [MSA 2/2, 501, Z. 7 ff.]: »numerentur haec Sacramenta: Baptismus, Coena Domini, Absolutio, quae sunt externi ritus et sunt signa totius Evangelii, et . . . testimonia remissionis peccatorum seu reconciliationis, de qua praecipue dicitur in definitione usitata: Sacramentum est signum gratiae . . . Mihi maxime placet etiam addi Ordinationem . . ., id est vocationem ad ministerium Evangelii et publicam eius vocationis approbationem«. 72
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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Statt dessen plädierte er für eine Art Prüfung und ein Bekenntnis zur Lehre verbunden mit öffentlicher Fürbitte, das heißt für einen Vorläufer der bis heute in der evangelischen Kirche praktizierten Konfirmation.79 Ebenso wie die Firmung lehnte er auch die in der päpstlichen Kirche übliche Ölung ab, in der er eine zum Aberglauben verkommene Zeremonie sah.80 Als sich Melanchthon und seine Kollegen in einem Gutachten zum »Augsburger Interim« für Kurfürst Moritz von Sachsen Mitte Juni 1548 positiv zur Stellung der Priesterweihe als Sakrament äußerten, wurden sie deshalb von Amsdorf angegriffen, der dadurch eine Stärkung päpstlicher Mißbräuche befürchtete.81 In bezug auf die Äußerungen der Wittenberger Theologen zu den Sakramenten in den »Leipziger Artikeln«, bei denen sie die Reihenfolge des »Augsburger Interims« – Taufe, Firmung, Buße, Abendmahl, Ölung, Priesterweihe, Ehe – beibehalten hatten, wurde ihnen von Flacius vorgeworfen, sie wollten die Siebenzahl der Sakramente wieder aufrichten, anstelle – wie es angemessen wäre – die gottlose altgläubige Praxis zu strafen. Inhaltlich hatten sich die kursächsischen Theologen zur Firmung ähnlich wie oben beschrieben geäußert und sie als Konfirmation gefaßt, ohne dabei den Begriff »Sakrament« zu verwenden. Dagegen stellte Flacius klar, daß man die Firmung keinesfalls als Sakrament anerkennen und wieder einführen könne, weil sie den Anforderungen eines Sakraments nicht genüge und zudem ein gottloser Ritus sei. Ferner griff Flacius den Artikel von der Ölung an, der allerdings gegen den Willen Melanchthons und seiner Kollegen in die »Leipziger Artikel« aufgenommen worden war.82 Sowohl Amsdorf als auch Flacius nahmen an den Äußerungen der Wittenberger Theologen zu den Sakramenten Anstoß, weil sie dadurch eine Stärkung päpstlicher Mißbräuche befürchteten. Dabei fällt auf, daß insbesondere Flacius die Äußerungen Melanchthons und seiner Kollegen bewußt mißverstand, weil ihm das gesamte Werk der »Leipziger Artikel« ein Dorn im Auge war, woraus Vorwürfe erwuchsen, die bis auf die Übernahme der Reihenfolge aus dem »Augsburger Interim« keinen konkreten Anhaltspunkt an Aussagen der Wittenberger haben. 1.1.5.2 Abendmahl Melanchthons Abendmahlslehre gehört neben seinem Verständnis des freien Willens und seiner Fassung der Rechtfertigungslehre zu den am meisten kriti79
Vgl. die »Loci« von 1559 [MSA 2/2, 507, Z. 19 ff.]: »ritus confirmationis, quem retinent Episcopi, est prorsus otiosa ceremonia. Utile autem esset explorationem et professionem doctrinae fieri et publicam precationem pro piis«. 80 Vgl. die »Loci« von 1559 [MSA 2/2, 508, Z. 3 ff.]: »ritus unctionis, qui nunc est, tantum est superstitiosa ceremonia . . . Ideo unctio illa cum suis appendicibus reiicienda est«. 81 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2. 82 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b).
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Teil 2: Auswertung
sierten Teilen seiner Lehre.83 Dabei entzündeten sich die meisten Vorwürfe an der Veränderung seiner Auffassung zum Abendmahl im Lauf seines Lebens. Die beiden anderen Vorwürfe, die im folgenden zuerst genannt werden, sind demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. a) Das Verhältnis zur altgläubigen Abendmahlsauffassung Die scholastische Transsubstantiationslehre hatte Melanchthon bereits während seiner Zeit in Tübingen als problematisch empfunden, 1519 stellte er ihre Verbindlichkeit dann wie Luther vehement in Frage – eine Ablehnung, die sich im Lauf seines Lebens weiter verstärkte.84 Dennoch wurde er 1548 hinsichtlich seiner Stellungnahme zum »Augsburger Interim« von Amsdorf und Laski angegriffen, weil ihnen eine explizite Widerlegung der Transsubstantiationslehre fehlte und sie daher eine Stärkung dieses päpstlichen Mißbrauchs befürchteten.85 b) Das Verhältnis zur zwinglianischen Abendmahlslehre im Jahr 1529 Wie Luther hielt auch Melanchthon in den 1520er Jahren trotz Ablehnung der Transsubstantiationslehre an der Realpräsenz fest.86 Im Abendmahlsstreit zwischen Luther und verschiedenen Anhängern eines zwinglianischen Verständnisses im Jahr 1526 blieb Melanchthon zwar nach außen hin »strikte auf Luthers Seite«,87 in seinen eigenen Aussagen zur Abendmahlslehre scheute er jedoch davor zurück, sich unmißverständlich festzulegen – so wohl auch im Gespräch mit Zwingli beim Marburger Religionsgespräch 1529.88 Diese Haltung Melanchthons reizte insbesondere Zwingli zum Widerspruch, und er warf ihm zum einen vor, er habe sich inhaltlich wankend und unsicher gezeigt und gegen jede Art von Festlegung gesträubt, zum anderen gab er Melanchthon die Schuld für die nicht erfolgte Einigung mit Luther im Blick auf die Abendmahlslehre.89
83 Vgl. auch die Einschätzung Heerbrands in seiner Gedenkrede für Melanchthon vom 15. 5. 1560 [CR 10, 310]. 84 Vgl. Melanchthons undatierbares Gutachten für einen Unbekannten [MBW 9390; CR 7, 882, Nr. 5009]; Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 83 und Ders., Melanchthon-Forschung, 97. 85 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2. 86 Vgl. z. B. die »Loci« von 1521 [MSA 2/1, 156]. 87 Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 84. 88 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.3.1 und Exkurs (im Anschluß an Kap. 5.4), Teil 1. 89 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.3.2.2.
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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c) Die Annäherung an die oberdeutsche Abendmahlsauffassung in den 1530er Jahren – das Verständnis der Realpräsenz Ende des Jahres 1529 wurde Melanchthons Überzeugung, Luthers – und damit auch sein – Verständnis der Realpräsenz stehe in Einklang mit den Kirchenvätern, durch Oekolampad im Mark erschüttert. Zudem konnte Bucer in den Jahren nach dem Augsburger Reichstag Melanchthons Abneigung gegenüber den Oberdeutschen beseitigen und ihn für sein innerprotestantisches Einigungsvorhaben gewinnen. Gemeinsam erarbeiteten sie eine Lehrformel, »die das lutherische Anliegen der wesentlichen Gegenwart Christi in der Mahlfeier festschrieb, ohne den Glauben an seine Einschließung in Brot und Wein und den Empfang auch durch Ungläubige verbindlich zu machen«,90 indem sie cum pane statt in pane formulierten. Diese Formel wurde von Luther in der Wittenberger Konkordie 1536 akzeptiert, obwohl er selbst an seinem Verständnis des Empfangs von Leib und Blut Christi nicht nur mit, sondern in den Elementen festhielt. 1540 änderte Melanchthon den zehnten Artikel der »Confessio Augustana« und hoffte, durch eine Formulierung im Anschluß an die Wittenberger Konkordie werde das Bekenntnis nun auch für die Reformierten annehmbar.91 Auch in den folgenden Jahren hielt Melanchthon in all seinen Veröffentlichungen zum Abendmahl an der Realpräsenz fest, bestimmte die Art der Präsenz jedoch der Wittenberger Konkordie entsprechend (und damit anders als Luther), um seine Aussagen für eine calvinistische Interpretation offenzuhalten. Um den Gedanken einer Einschließung des Leibes und Blutes Christi in Brot und Wein zu vermeiden, vertrat er dabei seit 1538 die These, die Gegenwart Christi sei an die sakramentale Handlung gebunden.92 An dieser Meinungsänderung Melanchthons in der Abendmahlsfrage und das heißt an seiner Annäherung an die oberdeutsche Abendmahlsauffassung und dem ihr entsprechenden Verhalten wurde vor allem von verschiedenen Lutheranern im Lauf seines Lebens heftige Kritik geäußert.93 Erste derartige Kritik ist wohl bereits in dem 1535 von Jonas und Cruciger in bezug auf Melanchthons »Loci« geäußerten Vorwurf zu sehen, er habe das Thema vernachlässigt.94 Kon90
Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 84. Vgl. Artikel 10 der »CA variata« von 1540 [BSLK, 65, Z. 45 f. und MSA 6, 19, Z. 31– 33]: »De Coena Domini docent, quod cum pane et vino vere exhibeantur corpus et sanguis Christi vescentibus in Coena Domini«. 92 Vgl. zur Entwicklung der Abendmahlslehre Melanchthons im Darstellungsteil den Exkurs in Abschnitt I im Anschluß an Kap. 5.4; Abschnitt II, Kap. 2 und Abschnitt III, Kap. 13.2; zudem Meinhold, Melanchthon, 84 ff.; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 125; Scheible, Art. Melanchthon, 393 f. und Ders., Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 70 f. und 83 ff. 93 Vgl. den Rückblick Melanchthons auf die Kritik an seiner Abendmahlslehre im Brief an Hardenberg 12. 1. 1560 [CR 9, 1029 f., Nr. 6908; hier 1030]: »Totos iam viginti annos expecto exilia, propterea quod ostendi, me ἀρτολατρείας non probare«. 94 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 91
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kreter wurde die Kritik im Zuge der Wittenberger Konkordie 1536: Aufgrund der durch Bucer und Melanchthon zustande gekommenen Einigung waren Luther und Kurfürst Johann Friedrich in Sorge, Melanchthon könne zu einem Anhänger der zwinglianischen Abendmahlslehre werden – Zweifel, die beide in den kommenden Jahren nicht mehr losließen. Ebenso wandten sich Amsdorf und Vertreter Nürnbergs – wohl vor allem Osiander – vehement gegen das Einigungswerk und damit auch gegen Melanchthons Haltung in der Abendmahlsfrage.95 Verdächtigungen dieser Art führten dazu, daß Melanchthon bei Aussagen zur Abendmahlslehre vorsichtiger wurde.96 Weitere Kritik konnte er dadurch jedoch nicht verhindern. Sowohl Luther als auch Amsdorf brachten ihre Bedenken gegenüber Melanchthons Abendmahlslehre in den kommenden Jahren immer wieder zum Ausdruck: Luther sah sich darin durch die Beobachtungen bestätigt, daß Melanchthon das Abendmahl als Zeremonie bezeichnete und das Sakrament lange Zeit nicht empfangen habe.97 Ähnlich nahm auch Amsdorf in bezug auf Melanchthons »Loci« von 1541 am Gebrauch des Begriffs »Zeremonie« für das Abendmahl Anstoß.98 Hinsichtlich der »Kölner Reformation« von 1544 erschienen beiden die Aussagen zum Abendmahl als zu undeutlich, vor allem im Blick auf die Realpräsenz, und sie mahnten Erklärungen gegen die zwinglianischen »Schwärmer« an.99 Während des Regensburger Religionsgesprächs 1541 wurde Melanchthons These, außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs des Abendmahls gebe es kein Sakrament und damit auch keine Gegenwart Christi, von Wenzeslaus Linck kritisiert.100 An den Aussagen der »Leipziger Artikel« von 1548 zum Abendmahl fehlten Justus Menius deutlichere Hinweise auf die Gegenwart Christi und den Glauben der Sakramentsempfänger.101 In den 1550er Jahren verschärfte sich derartige Kritik, und Melanchthon wurde zunehmend offen als »Calvinist« und »Sakramentierer« verdächtigt, obwohl er versuchte, sich aus allen Abendmahlsstreitigkeiten herauszuhalten. 1551/52 warf ihm Osiander vor, seine Aussagen zum Abendmahl könnten schwärmerisch, das heißt im Sinne Zwinglis gedeutet werden.102 Weitere Vorwürfe dieser Art wurden vor allem im Zuge des sogenannten Zweiten Abendmahlsstreits im Jahr 1552 und weiterer Auseinandersetzungen um das Abendmahl, im Rahmen von Ereignissen wie dem Wormser Religions95 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 3 ; zu anhaltenden Zweifeln Johann Friedrichs seinen Brief an Brück 27. 8. 1537 [nach Vetter, Luthers Stellung, 89 f.] und im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 96 Vgl. Vadian an Zwick 1. 11. 1536 [Vadianische Briefsammlung 5, 376 f., Nr. 923]: »cautus est in omnibus responsionibus, id quod plerumque prudentis est«. 97 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15, bes. Anm. 215 und unten Kap. 2 .4.2. 98 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 14. 99 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 100 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.2. 101 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 102 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.1.
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gespräch 1557, als Reaktion auf Äußerungen Melanchthons wie zum Beispiel den »Frankfurter Rezeß« 1558 oder das »Corpus doctrinae« von 1560 und im Weimarer Konfutationsbuch von 1558/59 vorgebracht – und zwar von Flacius, Gallus, Matthias Lauterwald, Bartholomäus Battus dem Älteren, Tilemann Heshusen, Amsdorf, Mörlin und Erasmus Sarcerius. Melanchthon wurde dabei immer wieder dasselbe vorgeworfen: Er habe seine Abendmahlslehre geändert; zur Begründung dieses Vorwurfes wurde von den Kritikern häufig auf Melanchthons Schriften des Jahres 1529 verwiesen, in denen er ihrer Ansicht nach noch richtig gelehrt hatte.103 Seine Aussagen zum Abendmahl seien zu kurz und daher (vor allem in bezug auf die Realpräsenz) unklar und mißverständlich, woraus die Kritiker schlossen, er sei ein Gegner der Realpräsenz, wolle ins zwinglianische Lager überlaufen, den »Sakramentierern« helfen, die Unterschiede zwischen ihnen und den Lutherischen verdunkeln bzw. das Luthertum an die »Sakramentierer« verraten. Joachim Westphal und Andreas Poach kritisierten darüber hinaus 1557 ähnlich wie Linck 1541 Melanchthons These, außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs gebe es kein Sakrament. Und auch die Kritik Herzog Christophs von Württemberg an Melanchthons christologischen Aussagen zur Himmelfahrt Christi und seinem Sitzen zur Rechten Gottes aus dem Jahr 1559 war von Sorge um die Realpräsenz getragen.104 Melanchthons Aussagen zum Abendmahl wurden allerdings nicht nur von Lutheranern, sondern auch von reformierter Seite kritisiert. Auch Johannes Calvin, Bullinger und Albert Hardenberg bemängelten die Undeutlichkeit der Aussagen, interpretierten sie in Verbindung mit Melanchthons Zurückhaltung in den Abendmahlsstreitigkeiten der 1550er Jahre als mangelnde Unterstützung ihrer Positionen und warfen ihm vor, er fördere durch seine Abendmahlslehre die altgläubige Anschauung und verschlimmere die Angriffe der lutherischen Gegner der Reformierten.105 d) Zusammenfassung In bezug auf die Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre ist festzuhalten, daß ihr Schwerpunkt auf Melanchthons Annäherung an die oberdeutsche Abendmahlsauffassung und damit auf seinen Aussagen zur Realpräsenz lag. Interessanterweise erschienen Melanchthons Aussagen zur Realpräsenz fast allen Kritikern als zu undeutlich und daher mißverständlich. Ihnen allen lag an einer klaren Unterscheidung zwischen lutherischer und reformierter Abendmahls 103
Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 129: »Sane rediens mecum in memoriam earum rerum, quae illis temporibus [sc. 1529] gestae fuerunt, non possum non vehementer succensere quibusdam, qui ignari omnium quaedam tunc dicta atque etiam scripta Philippi Melanchthonis nunc contra ipsum colligunt atque proferunt«. 104 Vgl. zur Kritik der 1550er Jahre im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2; Kap. 11; Kap. 13; Kap. 14 und Kap. 18; zu Herzog Christophs Kritik zudem oben Kap. 1.1.1. 105 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1.
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auffassung, und sowohl die lutherischen wie die reformierten Kritiker wollten Melanchthon eindeutig auf ihrer Seite wissen. Durch seine vermittelnde Position und das Bemühen, sich aus allen Streitigkeiten herauszuhalten, entzog sich Melanchthon allerdings einer klaren Einordnung auf eine Seite. Seine Ratschläge zum Laienkelch, auf die weiter unten einzugehen sein wird,106 verstärkten den Verdacht vieler Lutheraner, Melanchthon sehe im Abendmahl lediglich eine Zeremonie und befinde sich damit auf seiten der Zwinglianer und Calvinisten. Hinsichtlich der Kritiker ist festzuhalten, daß sie in bezug auf Melanchthons Aussagen zur Realpräsenz sehr vielfältig waren und auch Luther in dieser Frage erstmals offen in den Chor der Kritiker der Theologie Melanchthons einstimmte. 1.1.5.3 Absolution Neben Melanchthons Abendmahlsauffassung wurde auch sein Verständnis der Absolution kritisiert, die ihm neben Taufe und Abendmahl als drittes Sakrament galt. Melanchthon setzte sich dafür ein, daß die Gläubigen das Abendmahl häufig empfingen, es war ihm jedoch wichtig, daß es mit jedem Kommunikanten zuvor ein persönliches Vorgespräch gab. Eine entsprechende Verbindung von Beichte und Abendmahl vertrat er öffentlich erstmals im Zusammenhang der Visitation 1527 und dann im Rahmen des Augsburger Reichstags 1530. Im Hintergrund dieser Verbindung stand einerseits sein Interesse am Lebenswandel der Gläubigen, andererseits der Wille, Vorwürfen der Altgläubigen zu begegnen, die Lutherischen gingen unangemessen und nachlässig mit dem Abendmahl um.107 Einer solch engen Verbindung von Beichte und Abendmahl stand auch Luther aufgeschlossen gegenüber, wenngleich er im Gegensatz zu Melanchthon in der Begrifflichkeit höchste Vorsicht walten ließ, damit das neue sogenannte Glaubensverhör nicht mit dem altgläubigen Beichtzwang verwechselt würde.108 Genau diese begriffliche Klarheit schienen Melanchthons Kritiker bei ihm vermißt zu haben, und so wurde er 1527 von Philipp von Hessen und 1530 von den Nürnberger Theologen und das heißt wohl vor allem von Osiander kritisiert. Philipp von Hessen stieß sich daran, daß die Beichte durch die Verknüpfung mit dem Abendmahl als Teil der Buße beibehalten bzw. obligatorisch gemacht werden sollte. Und die Nürnberger Theologen sahen in der protestantischen Zusage beim Augsburger Reichstag, keinem Kommunikanten das Abendmahl ohne vorherige Beichte zu reichen, eine gefährliche Ursache für Mißverständnisse, da sie auf einen erneuten Zwang zur mündlichen Beichte 106
Vgl. unten Kap. 2 .4.2. Vgl. die Belege zu Melanchthons Aussagen im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2, Anm. 263 und Abschnitt II, u. a. Kap. 1.2.8, Kap. 1.3.4.4 und Kap. 3.6.2.4, bes. Anm. 647; zudem Scheible, Art. Melanchthon, 393. 108 Vgl. Vercruysse, Schlüsselgewalt und Beichte, 164 f. 107
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hinauslaufe und man dadurch wieder ein päpstliches Gefängnis aufrichte.109 In bezug auf die Aussagen der »Leipziger Artikel« von 1548 zur Beichte wurde von Amsdorf lediglich kritisiert, sie klängen, als sollten wieder alle Sünden aufgezählt werden; die enge Verbindung von Beichte und Abendmahl wurde jedoch von keinem der zahlreichen Kritiker erwähnt.110 Daraus läßt sich schließen, daß sich die Verbindung von Beichte und Abendmahl mittlerweile durchgesetzt hatte.111 Unabhängig von ihrer Verbindung mit dem Abendmahl kritisierte Bullinger 1559 Melanchthons Festhalten an der Privatabsolution in seinen »Responsiones ad impios articulos Bavaricae inquisitionis«, weil die mit ihr verbundenen Gefahren die Vorteile bei weitem überwögen.112
1.2. Kritik an Melanchthons Umgang mit den Kirchenvätern Die Übereinstimmung seiner Lehre mit den altkirchlichen Bekenntnissen und den Schriften verschiedener Kirchenväter war Melanchthon neben der Gründung seiner Aussagen in der Heiligen Schrift zeit seines Lebens ein großes Anliegen.113 Der Aufweis der Übereinstimmung reformatorischer Aussagen mit der Alten Kirche war nach Ansicht Melanchthons eine gute Möglichkeit, sowohl Studenten wie Altgläubigen zu vermitteln, daß die reformatorische Bewegung keine neuen Lehren verbreite,114 sondern am vetus consensus ecclesiae ca109
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2 und Abschnitt II, Kap. 3.6.2.4. Vgl. die Aussagen der »Leipziger Artikel« vom 24. 12. 1548 [MBW 5387; CR 7, 261 bzw. PKMS 4, 255 (Zitat)]: »Die Busse, Beicht vnnd Absolution . . . sollen fleissig gelert, vnnd gepredigt, vnnd das volck zur Beicht deme priester zuthuen . . . mit fleis ermhannt vnnd angehalden werden, . . . Es sol auch niemandts zum hochwürdigen Sacrament des leibs vnnd Bluts Christi gelassen werden ehr habe dan zuuorn deme priester gebeicht, vnnd die Absolution vonn jme entpfangenn«; zur Kritik daran im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 111 Vgl. auch ein gemeinsames Gutachten von Luther, Jonas und Melanchthon für Johann von Sachsen vom 4./5. 8. 1531 [MBW 1175; MBW T 5, 154–162; hier 159, Z. 87 ff.]: »Es gefellt uns warlich auch nicht, das man die absolution solt aus der kirchen komen und die leute so rohe hin lassen zum sacrament lauffen. Und wie wol wir niemand bey einer todsunden zur beicht wollen zwingen noch zwingen lassen, auch nicht verpflichten, alle sunde zu erzelen und die gewissen (wie unter dem bapst) zu martern; doch ist das eben so wenig zu leiden, das man die beicht verbieten und die absolution aus der kirchen verstossen wil. Denn es mus ia eine form und zucht ynn der kirchen bleiben, welche on die beicht nicht zu[e] rhalten sein wil«. 112 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 15. 113 So hielt er z. B. an Begriffen fest, die bereits bei den Kirchenvätern gebräuchlich waren (vgl. unten Kap. 1.3.1.1), und änderte aufgrund der seiner Ansicht nach besseren Belege durch die Kirchenväter seine Haltung zur Realpräsenz (vgl. oben Kap. 1.1.5.2 c). Vgl. auch die Hinweise in Heerbrands Gedenkrede zum Tode Melanchthons vom 15. 5. 1560 [CR 10, 303] und bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 49 und 94. 114 Vgl. derartige Vorwürfe z. B. in der päpstlichen Vollmacht für Campeggio vom 16. 3. 1530 [Gussmann, Ratschläge 1, 249–252; hier 251], er solle den deutschen Ständen vor Augen stellen, »in quas detestabiles hereses tot conciliis totque sanctorum patrum decretis 110
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Teil 2: Auswertung
tholicae Christi als gemeinsamer Grundlage festhalte. Er hoffte, die altgläubigen Gegner dadurch mit ihren eigenen Waffen schlagen zu können. Allerdings betonte er, daß es sich bei der Autorität der Kirchenväter im Vergleich zur Heiligen Schrift um eine abgeleitete Autorität handelte, sich die reine Lehre der Alten Kirche nicht bei allen Kirchenvätern gleichermaßen finden lasse und man ihre Aussagen daher stets kritisch lesen müsse.115 Das Interesse Melanchthons an der Verankerung seiner Aussagen in der Alten Kirche stand in einem engen Zusammenhang mit dem ihn prägenden humanistischen Ruf ad fontes.116 Melanchthons Umgang mit den Kirchenvätern wurde allerdings im Lauf seines Lebens immer wieder in Frage gestellt und angegriffen. Da gab es zunächst Kritiker, die Melanchthons (ihrer Ansicht nach allzu) kritischen Umgang mit den Kirchenvätern problematisierten, zum einen (veriam pridem explosas et damnatas sint prolapsi«. Entsprechend versuchten die Altgläubigen beim Augsburger Reichstag – z. B. in der »Confutatio« –, die Richtigkeit ihrer Aussagen durch Väterzitate zu belegen. 115 Vgl. z. B. Melanchthons Vorrede zu den »Loci communes« von März 1521 [MBW 132; MBW T 1, 267–272; hier 271, Z. 32 ff.]; seine Stellungnahme für Campeggio von Mai 1524 [MBW 324; MBW T 2, 133–135; hier 134, Z. 14 ff.]; die Briefe an Eberbach 17. 11. 1527 [MBW 627; MBW T 3, 221 f.; hier 222, Z. 12 f.]: »non est boni viri temere a veterum scriptorum sententia discedere« und an Billicanus 1. 12. 1529 [MBW 843; MBW T 3, 639; hier Z. 11 ff.]; die Vorrede zu den »Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena domini« von Januar / Februar 1530 [MBW 863; MBW T 4/1, 42–50; hier 46, Z. 10 ff.]; zum Augsburger Reichstag 1530 im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.2.8; die Vorrede für Grynaeus vor 17. 8. 1531 [MBW 1176; MBW T 5, 163–171; hier 170, Z. 216 f.]; die Briefe an einige Evangelische in Venedig Anfang Januar 1539 [MBW 2135; MBW T 8, 283–289; hier 285, Z. 23 ff.] und an Heath 1. 4. 1539 [MBW 2174; MBW T 8, 382–384; hier 383, Z. 26 ff., bes. Z. 32 ff.]: »non velim prorsus aboleri ac deleri veterum scripta, ut quidam nimis duri critici postulant . . .; sed iudicandi sunt ex fontibus . . . Hoc modo prophetis et apostolis tribuitur authoritas summa et ἀνεπίληπτος«; die Schrift »De ecclesia et de autoritate verbi Dei« von 1539 [MSA 1, 323–386, Nr. 18]; eine »Protestatio« für das Wormser Religionsgespräch vom 22. 10. 1540 [MBW 2533; MBW T 9, 429–422; hier 432, Z. 97 ff.]; eine Aufzeichnung von November/Dezember 1540 [MBW 2569; MBW T 9, 507–515; hier 511, Z. 143 ff.]; die Vorrede zu den »Loci« von Ende August / A nfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 487–494; hier 488, Z. 42 ff.]; den Brief an Brück April / M ai 1542 [MBW 2950; MBW T 11, 154–157; hier 155, Z. 16 ff.]; das Gutachten für den Kölner Erzbischof Hermann von Wied von Dezember 1544 [MBW 3775; MBW T 13, 581–593; hier 582, Z. 27 ff.]; die Vorreden zum ersten Band der Werke Luthers vom 5. 3. 1545 [MBW 3829; CR 5, 691–696, Nr. 3147; hier 692] und zur Ausgabe von Augustins »De spiritu et litera« von Juli 1545 [MBW 3973; CR 5, 803–810, Nr. 3235; hier 804 f.]; den Brief an Camerarius November 1550 [MBW 5953; CR 9, 413 f., Nr. 6429]; die Vorreden zu einem Gedicht auf Mencel vom 13. 12. 1550 [MBW 5962; CR 7, 696–698, Nr. 4826; hier 696 f.] und zu Maiors »Refutatio horrendae prophanationis coenae domini« von Oktober 1551 [MBW 6249; CR 7, 877–881, Nr. 5008; hier 881]; die Rede bei der ersten Session des Wormser Religionsgesprächs vom 11. 9. 1557 [MBW 8337; CR 9, 265–268, Nr. 6339; hier 266 f.] und den Bericht über das Wormser Religionsgespräch von Ende Dezember 1557 [MBW 8468; CR 9, 393–395, Nr. 6414; hier 394]; zudem Gussmann, Melanchthon und Eck, 308; Fraenkel, Testimonia Patrum und Scheible, Art. Melanchthon, 390. 116 Vgl. Augustijn, Humanisten, 42; Stupperich, Melanchthon, 316 und Strohm, Melanchthon, 12.
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ständlicherweise) auf altgläubiger Seite,117 zum anderen aber wohl (überraschenderweise) auch auf protestantischer Seite.118 Daneben wurde auf protestantischer Seite hauptsächlich die (allzu hohe) Bedeutung und Autorität, die Melanchthon den Kirchenvätern beimaß, kritisiert. Eine erste Andeutung solcher Kritik lag möglicherweise in Luthers Vorrede zu Brenz’ Amoskommentar aus dem Jahr 1530, wo er in bezug auf die Kirchenväter forderte, ihre Schriften äußerst sorgfältig zu lesen, um sich nicht in unsicherer Lehre zu verlieren und sich den Zugang zur Erkenntnis der Wahrheit nicht zu versperren. Diese Aussagen können als versteckte Kritik an den zahlreichen Kirchenväterzitaten der CA interpretiert werden.119 Offene Kritik an der großen Autorität der Kirchenväter begegnete erstmals im Zusammenhang des »Consilium ad Gallos« 1534, wobei sich die Vorwürfe von Thomas Blarer und Johannes Zwick neben Melanchthon auch gegen Bucer richteten. Blarer und Zwick kritisierten die Wichtigkeit der Kirchenväter in den Gutachten von Bucer und Melanchthon, weil sie die Berufung auf sie als Bedrohung des Prinzips sola scriptura empfanden und in ihrer Hochschätzung einen gefährlichen Rückschritt hin zum Katholizismus sahen.120 Als sich Melanchthon 1549 in einer Rede auf den Kirchenvater Basilius berief, um die Argumentation der »Leipziger Artikel« zu den Adiaphora zu stützen, wurde dies von Antonius Corvinus bemängelt, der darauf hinwies, daß man diesen Kirchenvater nicht höher setzen dürfe als Luther.121 Weitere Kritik an der großen Rolle, die die Kirchenväter und damit (nach Ansicht der Kritiker) die Philosophie neben Bibel und Luthers Schriften für Melanchthons Denken hatten, äußerten in den 1550er Jahren Hieronymus Weller und Heshusen.122 Ein weiterer Hinweis auf derartige Kritik könnte schließlich in den Aussagen von Joachim Camerarius in seiner MelanchthonBiographie liegen, der das Verhältnis von Heiliger Schrift und Kirchenvätern bei Melanchthon folgendermaßen zu erklären versuchte und sich damit vielleicht an mögliche Kritiker wandte: Melanchthon habe natürlich gewußt und 117 Vgl. den Hinweis bei Camerarius, De vita Melanchthonis, 231: »Neque ego nunc de iis dicam, qui, quoties minus clementer attinguntur eorum ulcera, vociferantur atque clamant immoderate . . . Hos igitur talibus disputationibus et isto libello [sc. »De ecclesia et autoritate verbi dei«] offensos fuisse mirandum non est« und die Zusammenstellung bei Fraenkel, Testimonia Patrum, 308, Anm. 3. Zu den altgläubigen Kritikern zählten z. B. Cochlaeus und Jakob Latomus (1475–1544). 118 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 231: »Verum ego ex aliis quoque, in quibus essent neque a caussa alieni, et erga Philippum Melanchthonem affecti haud male, audivi, quum de eo libello sic loquerentur, ut illum aperte reprehenderent, tanquam audacius facientem judicium, et nimis fidenter probnunciantem de iis rebus, quarum hominis privati et unius quamvis sapientis atque docti, cognitio non esset« und dazu Fraenkel, Testimonia Patrum, 307 f. 119 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 d). 120 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 121 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.1 und Kap. 3.2.2.4 a). 122 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1.
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Teil 2: Auswertung
verteidigt, daß die reine Lehre der Kirche ausschließlich aus der Heiligen Schrift stamme, habe aber dennoch daran festgehalten, daß diese Lehre durch den Konsens der Alten Kirche hindurch wie durch ein Flußbett geführt werde.123 Die genannte Kritik hatte ihren Grund vor allem in der Sorge um das Verständnis der Heiligen Schrift als einziger legitimer Quelle für Kirche und Theologie und damit im Bemühen um die Bewahrung des Schriftprinzips sola scriptura, das für die reformatorische Bewegung von Anfang an Kriterium rechtmäßiger Lehre war, aber stets gegen altgläubige Angriffe124 verteidigt werden mußte. Zudem lag den Kritikern daran, sich von der altgläubigen Arbeitsweise, das heißt konkret von der Gründung von Aussagen in der Tradition abzugrenzen. Die Kritik an Melanchthons allzu kritischem Umgang mit den Kirchenvätern scheint demgegenüber lediglich einen kleinen Raum eingenommen zu haben.
1.3 Grundsätzliche Etikettierungen und Infragestellungen der Theologie Melanchthons Die meisten Kritiker beließen es nicht bei Kritik an einzelnen Lehrfragen, sondern unterzogen die Theologie Melanchthons darüber hinaus einer umfassenden und grundsätzlichen Kritik, indem sie sie mit verschiedenen Wertungen bzw. Etikettierungen versahen. Dabei läßt sich allerdings meist nicht entscheiden, welche Kritik die ursprünglichere ist, die Vorwürfe gegenüber einzelnen Lehraussagen oder die mit den Etikettierungen gegebene grundsätzlichere Infragestellung der Theologie Melanchthons. Inhaltlich bezogen sich die Etikettierungen zum ersten auf die aus Sicht der Kritiker zu große Nähe theologischer Aussagen Melanchthons zur altgläubigen Lehre (1.3.1), zum zweiten wurde der Einfluß von Philosophie und Humanismus auf Melanchthons Theologie in Frage gestellt (1.3.2), und zum dritten bemängelten die Kritiker Abweichungen der Theologie Melanchthons von Luther und einem (ihrer Ansicht nach bestehenden) lutherischen Lehrkonsens (1.3.3). 1.3.1 Die »Nähe« theologischer Aussagen zur altgläubigen Lehre Viele Kritiker warfen Melanchthon vor, seine Lehre befinde sich in zu großer Nähe zur altgläubigen Lehre, sei also nicht deutlich genug als evangelisch zu 123 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 130: »Fontem autem doctrinae integrae et sincerae in Ecclesia, unde ea haurietur universa, praeter sacras literas nullum aperiendum admittendumque, quum et sciret et imprimis defenderet, doctrinam nihilominus quasi deduci, ut liquido flumine et sine ambagibus manaret, per consentientem antiquitatis piae atque religiosae explanationem, tanquam alveum, debere statuebat«. 124 Vgl. z. B. die Aussagen Amerbachs, nachdem er wieder zum Katholizismus konvertiert war, laut Melanchthons Brief an Brück von April / Mai 1542 [MBW 2950; MBW T 11, 155, Z. 16 ff.].
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erkennen. Dies machten sie zum einen an altgläubigen Begriffen, zum anderen an bestimmten Lehrinhalten fest. 1.3.1.1 Das Verhältnis von Begriffen und Inhalt in der Lehre von der Buße Melanchthon lag daran, die Lehren des Papsttums und ihre den Menschen vertrauten Formulierungen nicht vollständig zu verwerfen; er wollte vielmehr einige von ihm als gut befundene beibehalten und sie behutsam der neuen Lehre anpassen.125 Dies war seiner Ansicht nach insbesondere bei der Lehre von der Buße angebracht, und so hielt er bei seinen Aussagen zur Buße zunächst an der altgläubigen Dreiteilung und das heißt an den Begriffen contritio, confessio und satisfactio fest, so zum Beispiel 1527 im Rahmen der Visitation in seinen »Articuli«. Er hoffte, den Menschen mithilfe dieser geläufigen Aufteilung, die bereits von den Kirchenvätern benutzt worden war, die neuen Inhalte leichter vermitteln zu können, weil er davon überzeugt war, daß viele neue Bezeichnungen für die Buße zwar theologisch richtig seien, aber vom Volk und sogar von manchen Gelehrten nicht verstanden würden.126 1527 stieß diese Beibehaltung altgläubiger Begriffe insbesondere bei Aquila auf Kritik, der in der Dreiteilung der Buße ein papistisches Lehrstück sah, das man rigoros abweisen müsse.127 Im Jahr 1530 verwendete Melanchthon zwar im zwölften Artikel der »Confessio Augustana« die Aufteilung der Buße in Reue (contritio) und Glauben ( fides), die sich mittlerweile unter den Protestanten durchgesetzt hatte, in den Ausschußverhandlungen gestand er dann jedoch zu, daß man an der Dreiteilung der Buße in contritio, confessio und satisfactio festhalten könne, wobei man sich nicht über das dahinterstehende Verständnis von Beichte und Genugtuung einigen konnte.128 Dieses Zugeständnis ärgerte insbesondere verschiedene Vertreter der Reichsstadt Nürnberg, die entschieden gegen diese Festlegung protestierten. Ähnlich wie Aquila 1527 sahen sie in der Beibehaltung der römischen Dreiteilung eine unangebrachte Bestätigung päpstlicher Lehren.129 Sie drückten damit die Meinung einer Mehrheit der Protestanten aus, die die römische Dreiteilung unter Hinweis auf mögliche Mißbräuche und das fehlende Schriftzeugnis ablehnten,130 125 Vgl. z. B. Melanchthons Vorrede zu den »Loci« von Ende August / Anfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 492, Z. 186 ff.]: »Ego . . . dedi operam, ut proprie et recte loquerer in explicandis dogmatibus, retineo etiam phrases in ecclesia veterum consensu comprobatas«. 126 Vgl. die Belege zu Melanchthons Haltung im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.4 a). 127 Vgl. zu dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2. 128 Vgl. CA 12 und den entsprechenden Artikel in der »Apologie« [BSLK, 67, Z. 1 ff. und 252, Z. 34 ff.]; zu den Ausschußverhandlungen im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.4.5.1. 129 Vgl. zu dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.1.2. 130 Vgl. z. B. Luther in seinen Schriften »Wider die Bulle des Endchrists« von 1520 [WA 6, 613–629; hier 624, Z. 7 ff.]: »Es ist nit gegrundet in der schrifft und den heyligen altenn lerernn, das die pusz hab drey stuck, die rew, die beicht und die genugtuung« (lateinische Version in WA 6, 610, Z. 5 ff.); »Grund und Ursach aller Artikel« von 1521 [WA 7, 299–457;
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wenngleich es neben Melanchthon auch andere Theologen gab, die ähnlich wie er an den hergebrachten Begriffen festhielten.131 1536 machte Cordatus seine Kritik am Verständnis der Buße als einer causa sine qua non für die Rechtfertigung ebenfalls am althergebrachten Begriff der contritio fest, den er als papistisch empfand und der daher seiner Ansicht nach durch biblische Begriffe ersetzt werden sollte.132 Als Melanchthon und seine Kollegen in den »Leipziger Artikeln« von 1548 im Zuge der Umsetzung des »Augsburger Interims« in Kursachsen wiederum auf die altgläubige Dreiteilung der Buße anspielten, stieß dies bei vielen lutherischen Theologen auf Ablehnung. Sie befürchteten, daß die altgläubigen Bischöfe aus diesem Abschnitt eine Bestätigung ihrer eigenen Ansichten über Genugtuung und Ablässe herauslesen könnten, und forderten daher die eindeutig protestantische Einteilung der Buße in »Erkenntnis der Sünde« und »Glauben«.133 Alle Kritiker sahen in der Beibehaltung der altgläubigen Dreiteilung der Buße eine unangemessene Bestätigung päpstlicher Lehren. Melanchthons pädagogische Interessen stellten für sie dabei keine akzeptable Begründung dar. Für sie gab es vielmehr im Gegensatz zu Melanchthon keine Trennung von Inhalt und Begriffen, sondern beides stand für sie in einer untrennbaren Beziehung zueinander. 1.3.1.2 Der Vorwurf, Melanchthons Lehre sei »papistisch« Neben der Kritik an »katholischen« Begriffen gab es auch Vorwürfe, die Melanchthons gesamte Theologie aufgrund von bestimmten Lehraussagen in zu großer Nähe zur altgläubigen Lehre sahen und sie daher als »papistisch« brandmarkten. Ein solcher Vorwurf wurde 1527 wohl erstmals von Aquila und Agricola erhoben, die aufgrund von Melanchthons Äußerungen zu Buße und Gesetz im Zuge der Visitation – Melanchthons eigenen Angaben zufolge – be klagten, er sei zu einem Papisten geworden.134 1536 bezeichnete Cordatus Melanchthons (von Cruciger vorgetragene) Rechtfertigungslehre als papistisch.135 Auch Melanchthons Aussage in der Vorrede zu seinen »Loci« von 1541, er habe niemals die päpstlichen Irrtümer aufrechterhalten und befestigen hier 351, Z. 14 ff.] und in einer Predigt am 11. 4. 1531 [WA 34/1, 301–310; hier 301 ff.]; zudem das im Zuge der Vorbereitungen für den Augsburger Reichstag in Brandenburg-Ansbach von Caspar Löner (1493/95–1546) erstellte Gutachten von März (?) 1530 [Gussmann, Ratschläge 2, 96–168, Nr. 3 ; hier 125, Z. 34 ff.]. 131 Vgl. die für Georg von Brandenburg-Ansbach im Rahmen der Reichstagsvorbereitungen erstellten Gutachten von Johann Rurer von März (?) 1530 [Gussmann, Ratschläge 2, 3–47, Nr. 1; hier 12, Z. 13 ff.] und von Georg Amerbacher vom 4. 4. 1530 [Die fränkischen Bekenntnisse, 482–538; hier 521]. 132 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4, bes. Anm. 67. 133 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 134 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2. 135 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4.
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wollen,136 spricht dafür, daß entsprechende Vorwürfe erhoben wurden, es ist allerdings unklar, hinsichtlich welcher konkreten Lehrstücke. 1549 warfen Flacius und Gallus Melanchthon und seinen Kollegen in bezug auf die Rechtfertigungslehre der »Leipziger Artikel« vor, sie bestätigten damit die Lehre des Papstes.137 1.3.2 Der Einfluß von Philosophie und Humanismus auf Melanchthons Theologie »Melanchthon kam . . . als überzeugter Humanist nach Wittenberg. Er wurde reformatorisch und durch und durch lutherisch – und blieb doch Humanist«.138 Diese bleibende humanistische Ausrichtung, diese Synthese von Humanismus und Reformation ist in Melanchthons theologischem Schaffen vor allem darin greif bar, daß er die Wichtigkeit der alten Sprachen und der philosophischen Wissenschaften für die Theologie betonte,139 sich dementsprechend selbst als Theologe weiterhin philosophischen Themen widmete, wobei er auf die rechte Unterscheidung von Theologie und Philosophie entsprechend der Unterscheidung von Evangelium und Gesetz Wert legte,140 »Luthers Glaubensverständnis des Evangeliums eine humanistisch-wissenschaftliche Form«141 gab und versuchte, »die reformatorische Entdeckung Luthers für eine umfassende Erneuerung der Gesellschaft fruchtbar zu machen«.142 136
Vgl. Melanchthons Vorrede zu den »Loci« von Ende August / Anfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 493, Z. 211]: »stabilire adversariorum errores nunquam volui«. 137 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 b). 138 Pauck, Luther und Melanchthon, 13; ähnliche Einschätzungen auch bei Horn, Melanchthon als Astrologe, 132; Pflanz, Stigel, 34; Wiedenhofer, Formalstrukturen, bes. 1 und 5 und Strohm, Melanchthon, bes. 9. 139 Vgl. bei Melanchthon z. B. seine Briefe an Spalatin 23. 2 . 1523 [MBW 265; MBW T 2, 52 f.; hier 52, Z. 2 ff.] und 13./14. 9. 1524 [MBW 342; MBW T 2, 177 f.; hier 178, Z. 17 ff.]; seinen Studienplan für einen Theologiestudenten von Ende 1529 / Anfang 1530 [MBW 854; MBW T 3, 665–677; hier 677, Z. 123] und seine Briefe an Rhau ca. 1. 9. 1533 [MBW 1356; MBW T 5, 475–477; hier 476 f., Z. 12 ff.]; an Myconius 6. 11. 1537 [MBW 1962; MBW T 7, 552 f.; hier 552, Z. 3 ff.] und an Seidemann 9. 11. 1544 [MBW 3727; MBW T 13, 493–498; hier 497, Z. 40 ff.] und die Vorrede zu seinen »Erotemata Dialectices« vom 1. 9. 1547 [MBW 4875; CR 6, 653–658, Nr. 3992; hier 655]; zudem Höss, Melanchthon, 23 und Scheible, Art. Melanchthon, 389. 140 Vgl. Melanchthons Aussagen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie in den Disputationen »De discrimine evangelii et philosophiae« von 1532/33 [Haussleiter, Kompendium, 109–112, Nr. C.I] und »De doctrina philosophiae et de fine bonorum« vom 3. 7. 1540 [Haussleiter, a. a. O., 116–118, Nr. C.V] und in der (nicht verwendeten) Vorrede zu seinen Werken aus dem Jahr 1541 [MBW 2780; MBW T 10, 451–459; hier 457, Z. 152 ff.]; zudem Meinhold, Melanchthon, 77; Frank, Theologische Philosophie; Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 81 und Mager, Melanchthons Impulse, 111 f. 141 Pauck, Luther und Melanchthon, 22; vgl. Mager, Melanchthons Impulse, 106 und Leppin, Luther, 151. 142 Strohm, Melanchthon, 16; vgl. Melanchthons eigene Aussagen in seinem Brief an Camerarius 22. 1. 1525 [MBW 371; MBW T 2, 239–241; hier 240, Z. 22 f.]: »Ego mihi ita conscius sum non aliam ob caussam unquam τεθεολογηκέναι , nisi ut vitam emendarem«; in
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An dieser humanistischen Ausrichtung Melanchthons und ihrem Niederschlag in seiner Theologie nahmen im Lauf seines Lebens verschiedene protestantische Kritiker Anstoß. Andeutungen von Melanchthon weisen darauf hin, daß entsprechende Kritik bereits in den 1520er Jahren geäußert wurde,143 der erste namentlich faßbare Kritiker war Cordatus, der seine Angriffe auf Melanchthons Rechtfertigungslehre in den Jahren 1535 und 1536 unter anderem damit begründete, daß diese zu sophistisch, philosophisch und unangemessen stark von Erasmus beeinflußt sei.144 Melanchthon selbst sah in diesen (und ähnlichen) Vorwürfen Kritik an seiner Beschäftiung mit der Philosophie überhaupt,145 Cordatus allerdings wollte seine Kritik so grundsätzlich nicht verstanden wissen.146 Weitere Vorwürfe im Blick auf Melanchthons humanistische Ausrichtung wurden in den 1550er Jahren geäußert. Eine nicht näher bekannte Person hielt Melanchthon im Jahr 1550 vor, er schränke durch philosophische Begriffe den theologischen Meinungsbildungsprozeß ein. Gallus, Flacius und Amsdorf kritisierten 1551 Melanchthons Neubearbeitung seiner Ethik, wohl wegen ihrer Ausrichtung an Aristoteles. Zudem wurde Melanchthon im Lauf der 1550er Jahre von Flacius, Weller, Stoltz, Johannes Aurifaber, Heshusen und im Weimarer Konfutationsbuch vorgeworfen, daß die Philosophie (und damit das Kriterium der Vernunftgemäßheit) neben der Bibel und Luthers Schriften einen zu großen Einfluß auf sein Werk ausübe und durch eine solche Vermischung von Philosophie und Theologie die Reinheit der Lehre in Gefahr sei; diese Kritik war teilweise verbunden mit Kritik an Melanchthons Hochschätzung der Kirchenväter.147 Im Zuge der Osiandrischen Streitigkeiten brachte der Rede »De Philosophia« von 1536 [CR 11, 278–284, Nr. 38; hier 283] und in seiner »Philosophiae moralis epitomes« von 1538 [CR 16, 21–164, Nr. 1; hier 25]: »utilitates huius doctrinae [sc. philosophiae] . . . quod conducit ad disciplinam et paedagogiam, quam Deus requirit . . . sicut dicitur: Studia abeunt in mores [Ovid, Heroidum Epistulae 15,83]«; zudem Mager, Melanchthons Impulse, 106. 143 Vgl. Melanchthons Studienplan für einen Theologiestudenten von Ende 1529 / Anfang 1530 [MBW 854; MBW T 3, 677, Z. 124]: »nonnulli vituperant alias artes«. 144 Vgl. zur Kritik des Cordatus im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. 145 Vgl. Melanchthon an Camerarius 29. 11. 1536 [MBW 1815; MBW T 7, 285 f.; hier 285, Z. 4 ff.]: »Me absente Amsdorfius et Cordatus magnas tragoedias excitarunt. Nec aliunde oritur res nisi ex odio literarum, quas me putant isti quidem vehementius propugnare, quod adolescentiam crebro ad haec communia studia adhortari soleo«; an Aepinus 25. 3. 1537 [MBW 1875; MBW T 7, 394 f.; hier 395, Z. 18 ff.]; an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428; hier 428, Z. 94 f.]; an Myconius 21. 8. 1537 [MBW 1933; MBW T 7, 499–501; hier 500, Z. 9 ff.] und an Dietrich 13. 10. 1537 [MBW 1956; MBW T 7, 539–541; hier 540, Z. 31 f.]. 146 Vgl. Cordatus an Melanchthon 17. 4. 1537 [MBW 1892; MBW T 7, 434 f.; hier 435, Z. 12 ff.]: »te rogo . . ., ne sycophantis illis credas, qui me dicunt te multis infestiorem reddere, quod philosophiam praedices«. 147 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1 und Kap. 14; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 165: »Alii . . . conjunctionem firmam non fore [sc. inter Lutherum et Melanchthonem] augurabantur, quod nimis philosophica esset doctrina Philippi de actionibus virtutis et officiis« und a. a. O., 359: »aliis prudentiae humanae rationes criminantibus,
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auch Osiander die von ihm beklagten Abweichungen in der Theologie Melanchthons mit einer angeblichen philosophischen Verblendung Melanchthons in Verbindung.148 In bezug auf die »Confessio Saxonica« witterte Amsdorf durch die Worte menschlicher Vernunft und Weisheit die Gefahr einer Verschleierung der in diesem Werk seiner Ansicht nach erfolgten Verleugnung Christi.149 1558 wies auch Schwenckfeld in seiner Kritik des »Frankfurter Rezesses« darauf hin, daß die Philosophie einen (schädlichen) Einfluß auf Melanchthons Theologie ausübe.150 1559 begründete Bullinger seine Kritik an Melanchthons Aussagen zur menschlichen Willensfreiheit in seiner Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel ebenfalls damit, daß diese aus der Philosophie kämen und daher Zweifel verursachten und der Kirche schadeten.151 Agricola schließlich warf Melanchthon im selben Jahr vor, in seinen Werken stünde lediglich Grammatisches und nichts Geistliches.152 Auch Luther war vom Humanismus geprägt – wenn auch nicht so stark und nachhaltig wie Melanchthon –, er hatte jedoch schnell eine eigenständige Position gegenüber den humanistischen Grundsätzen und Anliegen eingenommen. Im Blick auf die (aristotelische) Philosophie hatte er sich bereits 1517 im Rahmen seiner Abgrenzung von der scholastischen Theologie klar gegen ihre Verwendung in der Theologie ausgesprochen, verwies alle Philosophie in die Grenzen der bloßen Vernunft und mahnte stets zu einer klaren Unterscheidung von Philosophie und Theologie.153 Melanchthons humanistisch-wissenschaftliches Denken und Arbeiten wies er zwar nicht ausdrücklich ab,154 möglicherweise geht aber seine kritische Anmerkung im Blick auf die »Loci« von 1535, die vorige Auflage des Lehrbuches sei »viel wermer und brunstiger« gewesen,155 in eine entsprechende Richtung.
non etiam nullis Philosophiae eruditionem hac occasione exprobrantibus«. Auf einen entsprechenden Vorwurf läßt auch die rechtfertigende Aussage Heerbrands in seiner Gedenkrede für Melanchthon vom 15. 5. 1560 [CR 10, 300] schließen: »doctrinae Theologicae et philosophicae discrimen recte docuit«. 148 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.1. 149 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 7. 150 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. 151 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 15. 152 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 17. 153 Vgl. z. B. Luthers »Disputatio de homine« von 1536 [WA 39/1, 175–180]; zudem Walter, Philosophie, 664 f.; Leppin, Universitätswissenschaft, 65; Ders., Humanismus, 69 und Beutel, Theologie als Unterscheidungslehre, 453 f. In der Einschätzung der Philosophie als »mißlungener Versuch des Menschen, ausschließlich mit seinen natürlichen und damit unzureichenden Mitteln seine Bestimmung zu erreichen«, konnte Luther an mittelalterliche Traditionen anknüpfen (Schönberger, Philosophie, 1295). 154 Vgl. Luther in einem Gespräch mit Cordatus 24. 10. 1536 [Kolde, Analecta Lutherana, 264–266; hier 266]: »Tribuo D. philippo scientiam literarum et philosophiae praeterea nihil« und Pauck, Luther und Melanchthon, 22. 155 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 .
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Die Kritik an Melanchthons humanistischer Prägung und die Vorwürfe gegenüber der philosophischen Fundierung seiner Theologie lassen sich folgendermaßen zusammenfassen. Terminologisch waren die Vorwürfe zwar uneinheitlich, der Kern der Kritik war allerdings stets derselbe, ob das an Melanchthon Kritisierte nun als unangemessener Einfluß der Vernunft oder der Philosophie bezeichnet wurde, ob sich die Kritik an einzelnen Inhalten, Begriffen, Methoden oder an seinem Gesamtsystem entzündete.156 Den Begriff »Humanismus« kannten Melanchthons Zeitgenossen noch nicht, der Einfluß der Bewegung, die wir heute mit diesem Begriff kennzeichnen,157 war aber genau das, an was die Kritiker Anstoß nahmen. Im Hintergrund derartiger Kritik stand häufig ein bestimmtes (negativ konnotiertes) Verständnis von Vernunft und Philosophie, das sicherlich durch Luthers Äußerungen zur Rolle von Philosophie und Vernunft für die Theologie beeinflußt war. Davon ausgehend bestand für Melanchthons Kritiker ein unvereinbarer Gegensatz zwischen Philosophie / Metaphysik und Theologie, Vernunft und Offenbarung, philosophischen Autoren / Begriffen / Methoden und der Bibel (bzw. Luthers Schriften) wobei sie stets betonten, daß man beide keinesfalls vermischen dürfe – eine Erkenntnis, der auch Melanchthon beigepflichtet hätte. Die aus der (heidnischen) Antike stammende Philosophie – vor allem die des Aristoteles, die von zentraler Bedeutung für die mittelalterliche Scholastik gewesen war – und die ihr entsprechende Arbeitsweise wurden dabei gemeinsam mit der Vernunft auf der Seite des (hochmütigen, verblendeten und sündigen) Menschen verortet, wohingegen die Theologie als von Gott kommend angesehen wurde. Verständlicherweise konnte Philosophie und menschlicher Vernunft auf dieser Grundlage keinerlei klärende oder die (reformatorische) Theologie unterstützende Funktion zugeschrieben werden, die sie in den Augen Melanchthons hatte, sondern es konnten lediglich negative Auswirkungen gesehen werden – wie zum Beispiel Verursachung von Zweifeln, Veränderung, Verunklarung und Bedrohung der reformatorischen Theologie und reinen Lehre und damit Schaden für die Kirche. Melanchthons Hochschätzung der Philosophie wurde interessanterweise vor allem mit dem Einfluß des Erasmus in Verbindung gebracht, der zwar ein herausragender Humanist war und von Melanchthon sehr geschätzt wurde, aber sicher nicht der einzige war, der ihn in dieser Hinsicht prägte.158 Es ist daher wahrscheinlich, daß die Kritiker für ihre Nennung des Erasmus über seine konkrete Bedeutung für Melanchthon hinaus noch andere Gründe hatten: Die Kritiker nannten ihn wohl als einen 156
Vgl. auch den Vorwurf der Vernunftorientiertheit unten Kap. 5.4. Vgl. Scheible, Humanismus, 1941. 158 Vgl. zum Verhältnis zwischen Melanchthon und Erasmus z. B. Melanchthons Brief an Erasmus vom 23. 3. 1538 [MBW 664; MBW T 3, 287–289; hier 289, Z. 42 ff.] und Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 77 f.; zu weiteren Personen, die Melanchthon in humanistischer Hinsicht prägten, im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 1.1. 157
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Hauptvertreter des christlichen Humanismus, der sehr bewußt der römischkatholischen Kirche die Treue gehalten hatte,159 und im Sinne eines Konkurrenten zu Luther, um die inhaltlichen Gegensätze Humanismus und Reformation, Philosophie und Theologie durch zwei gegensätzliche Personen zu ergänzen, denen für ihre jeweilige Bewegung eine orientierende Funktion zukam, wobei auch hier der Aspekt der Unvereinbarkeit mitschwang. 1.3.3 Melanchthons »Abweichen« von Luther und vom lutherischen Lehrkonsens Viele Vorwürfe gegenüber Melanchthons Theologie kamen dadurch zustande, daß die Kritiker seine Aussagen an Luthers Lehre und einem (von ihnen konstruierten) lutherischen Lehrkonsens maßen und dabei in ihren Augen unangemessene Abweichungen feststellten, die sie dann der Kritik unterzogen. Eine solche vergleichende Betrachtung von Lehraussagen Melanchthons ist erstmals im Zuge der Visitation 1527 zu beobachten, als Melanchthons Äußerungen in den »Articuli« zu den Themen Buße und Gesetz und die ihnen zugrundeliegende Exegese paulinischer Aussagen an Luther gemessen wurden. Von lutherischer Seite wurde er darauf hin heftig kritisiert – Agricola fürchtete um die Reinheit der neuen Lehre, und Aquila scheint Melanchthon sogar ein Abweichen vom Christentum vorgehalten zu haben.160 Auf altgläubiger Seite hingegen wurde Melanchthons Abweichen von Luther als positives Zeichen vermerkt und gab Anlaß zur Hoffnung, Melanchthon könne in den Schoß der römischen Kirche zurückgeholt werden.161 Ab Mitte der 1530er Jahre scheint sich die Berufung auf Luthers Autorität in Lehrfragen verstärkt zu haben, und es kam immer wieder zu Gerüchten über Abweichungen Melanchthons von Luther und über seine angeblich neuen Lehren.162 Im Jahr 1536 etwa begründete Cordatus seine Kritik an Melanchthons Rechtfertigungslehre damit, daß sie im Widerspruch zur Lehre Luthers stehe, und warnte Melanchthon davor, sich vom (durch Luther bestimmten) Wittenberger Lehrkonsens, der von allen unanimiter vertreten werden müsse, zu entfernen.163 1537 verwies Johann Friedrich für seine Kritik an Melanchthons Haltung zum Laienkelch interessanterweise darauf, daß diese nicht der »Confessio Augustana« entspreche,164 wodurch deutlich wird, daß das Augsburger Bekenntnis nun nicht mehr als eine Schrift Melanchthons angesehen wurde, sondern bereits auf dem Weg zu einem gemein159
Vgl. Pauck, Luther und Melanchthon, 13 und Leppin, Luther, 256. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 b) und Kap. 4.2.2.2. 161 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.1. Eine ähnlich positive Wertung der Nicht-Übereinstimmung Melanchthons mit Luther findet sich bereits früher bei dem Humanisten Johannes Dantiscus; vgl. dazu seinen Reisebericht von 1523 [Hipler, Kopernikus und Luther, Beilage IV und in deutscher Übersetzung a. a. O., 54–56]. 162 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 6 und Hassencamp, Hessische Kirchengeschichte 1, 407. 163 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. 164 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 7. 160
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Teil 2: Auswertung
samen lutherischen Bekenntnis war; 1544 äußerte Johann Friedrich von Sachsen die Sorge, daß in der »Kölner Reformation« nicht alles der reinen Lehre entspreche.165 Mit Luthers Tod 1546 und den einschneidenden Ereignissen im Gefolge des Schmalkaldischen Krieges steigerte sich Luthers Autorität weiter, seinen Schriften wurde zunehmend normative Bedeutung zugeschrieben, und seine Lehre wurde nun häufig als die reine Lehre schlechthin angesehen und konnte mit dem Evangelium gleichgesetzt werden166 – eine Sichtweise, die zum Beispiel bei Amsdorf167 und Anton Otto168 anzutreffen ist. Dies führte dazu, daß sich Melanchthon nun noch stärker als früher dem Vorwurf ausgesetzt sah, er verbreite neue Lehren und drohe, vom (angeblich eindeutigen) lutherischen Bekenntnis, von der reinen Lehre bzw. vom Wort Gottes abzufallen.169 Entsprechende Befürchtungen scheinen in den Jahren nach 1546 viele Protestanten umgetrieben zu haben, so zum Beispiel den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich, der wohl deshalb nach dem Tode Luthers nicht Melanchthon, sondern Bugenhagen aufforderte, sich für die Bewahrung der reinen Lehre in Wittenberg einzusetzen.170 Geäußert wurden derartige Bedenken zudem, nachdem Melanchthon im Jahr 1547 in den Dienst des neuen sächsischen Kurfürsten Moritz getreten war,171 und im Zusammenhang der Verhandlungen um die Umsetzung des »Augsburger Interims«; im Blick auf die »Leipziger Artikel« gingen manche Kritiker in ihrer Polemik sogar so weit, Melanchthon und seinen 165
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. Vgl. Kaufmann, Konfession und Kultur, 68 ff. 167 Vgl. Amsdorfs Schriften »Auff die kuenstliche Spoettische . . . Oration . . . Beurische vnd einfeltige antwort« von 1549, C 4a [zitiert nach Rogge, Amsdorff, 487 f.]: »Das gebe Gott / das wir . . . bei dem bleiben / das Doctor Martinus heiliger gedechtnis nach GOttes wort zuhalten geordent hat / Denn er war der man/ den Gott seine Kirchen zu reformieren vnd gubernieren erwelet vnd erweckt hat«; »Das itzund die rechte zeit sey« von 1551, A 2b: »Luthers lehre ist nichts anders / denn die reine lehre des heiligen Euangelij« und »Das D. Pfeffinger seine missethat . . . leugnet« von 1559, D 4b [zitiert nach Nebe, Reine Lehre, 8]: »ich schrieb eben / was der Luther schreibt«; ähnlich hatte sich Amsdorf allerdings auch schon vor Luthers Tod geäußert (vgl. seinen Brief an Johann Friedrich von Sachsen 18. 6. 1544 [Delius, Amsdorf-BW, Nr. 4 40]); zudem Stille, Amsdorf, 95; Brinkel, Amsdorf, 92 und Reichert, Antwort, 268. 168 Vgl. Otto an Jonas 30. 6. 1549 [ Jonas-BW 2, 288 f., Nr. 904]: »sententia Lutheri, id est Christi«. 169 Vgl. z. B. die Aussage Mörlins von 1562 [zitiert nach Diestelmann, Mörlin, 238, der diese allerdings nicht näher nachweist]: »Dass ich aber um seiner [sc. Melanchthons] Gaben und Nutzen willen, auch dasjenige rühmen sollte, das er nach der Zeit Luthers gegen Gottes Wort und seine eigene Lehre getan oder geschrieben hat, werden diese guten Herren weder mir noch keinem guten Menschen zumuten« (mit »Gottes Wort« war hier wohl Luthers Lehre gemeint); zudem die Zurückweisungen derartiger Vorwürfe in der Grabrede Veit Örtels für Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 87–206, Nr. 7136; hier 201 und 202 (Zitat)]: »Mutationem . . . in schola et Ecclesiis, nulam vidimus, neque aliter docuit Philippus post bellum quam ante bellum, sicut aliqui de eo falso vociferantur« und in der Gedenkrede Heerbrands vom 15. 5. 1560 [CR 10, 304 und 310]. 170 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Anm. 2 . 171 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1. 166
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Kollegen vorzuwerfen, sie verleugneten Christus und dienten dem Antichristen.172 In den 1550er Jahren wurden mit Hinweis auf ein Abweichen von Luther bzw. vom lutherischen Lehrkonsens vor allem Melanchthons Aussagen zur menschlichen Willensfreiheit,173 zur Rechtfertigungslehre,174 zum Verständnis der Buße,175 zur Abendmahlslehre176 und zur Ekklesiologie177 kritisiert. Als Vergleichspunkt und im Sinne einer Lehrgrundlage wurden dabei vor allem folgende Schriften herangezogen und gegen Melanchthon ins Felde geführt: zum einen die »Confessio Augustana«, die seit 1555 reichsrechtlich anerkannt war und in den innerprotestantischen Streitigkeiten in ihrer (unveränderten) Gestalt von 1530 zum »Kriterium der Rechtgläubigkeit«178 erhoben wurde – sie wurde etwa von Flacius und Gallus genannt, als sie Melanchthon vorwarfen, die »Confessio Saxonica« stelle einen Abfall von der CA dar; 179 zum anderen Luthers »Schmalkaldische Artikel« – so zum Beispiel in der Antwort des sächsischen Herzogs Johann Friedrich II. auf den »Frankfurter Rezeß« aus dem Jahr 1558.180 Mörlin führte in einer Schrift gegen Melanchthon aus dem Jahr 1561 sogar CA und »Schmalkaldische Artikel« gemeinsam an.181 Zu den Vorwürfen, Melanchthon weiche von Luther und vom lutherischen Lehrkonsens ab, ist abschließend festzuhalten: Es kann und soll nicht geleugnet werden, daß es bei einzelnen theologischen Fragen inhaltliche Unterschiede bzw. unterschiedliche Akzentsetzungen zwischen Melanchthon und Luther bzw. dem Wittenberger Lehrkonsens gab – sofern ein solcher zu ihren Lebzeiten existierte; das gilt, auch wenn Melanchthon selbst (in seinen Reaktionen auf Vorwürfe) stets behauptete, er habe keine neuen Lehren hervorbringen wollen, sondern die Dinge lediglich weniger scharf (minus vehementer, minus horride) ausgedrückt, im Vergleich zu Luther und anderen manches gemildert (mitigare, 172 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2, Kap. 3.2.2.2 und Kap. 3.2.2.4 a) und oben Kap. 1.1.3.2 und Kap. 1.1.3.3. 173 Vgl. zur Kritik der Flacianer im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1; zur Kritik Agricolas Abschnitt IV., Kap. 17. 174 Vgl. zur Kritik Osianders im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.1: Im Zusammenhang des Osiandrischen Streits bemängelte Osiander Melanchthons Widerspruch zu Luther in der Rechtfertigungslehre und unterstellte ihm, er sei nach Luthers Tod von dessen Lehre abgefallen, falls er sie überhaupt jemals richtig verstanden habe. 175 Vgl. zur Kritik der Flacianer im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1. 176 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.4: Heshusen warf Melanchthon 1559 vor, Luther habe ihm nicht genügt und er sei deshalb immer weiter gesunken und schließlich Calvinist geworden, was Heshusen dazu veranlaßte, Melanchthon als Schurken (veterator) zu bezeichnen. 177 Vgl. zur Kritik Agricolas oben Kap. 1.1.4. 178 Wallmann, Lutherische Orthodoxie, 697. 179 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 7. 180 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. Johann Friedrich II. machte damit das persönliche Bekenntnis seines Vaters zu den »Schmalkaldischen Artikeln« zu einem allgemeinen (vgl. Leppin, Johann Friedrich, 123; ferner Michel, Der synergistische Streit, 276). 181 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 18.
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Teil 2: Auswertung
mollire) oder ausgelassen, um Streit zu vermeiden, sich im Blick auf Begriffe tolerant gezeigt, wenn in der Sache Übereinstimmung herrschte, und absurde Lehrmeinungen berichtigt – die Unterschiede waren in den Augen Melanchthons also eher formaler als inhaltlicher Natur.182 Unabhängig davon, ob man diesem Erklärungsversuch Melanchthons zustimmt oder nicht, stellt sich die grundsätzlichere Frage, warum sich das Verständnis und die Bewertung der Theologie Melanchthons überhaupt zwangsläufig an Luther und dem in Wittenberg vorherrschenden Konsens orientieren muß und ob man der von Melanchthons Kritikern aufgestellten Gleichung Wort Gottes = Aussagen Luthers = reine Lehre und damit der Kanonisierung der Lehre Luthers wirklich zustimmen kann. Ausgehend davon ist schließlich zu fragen, ob man Unterschiede zwischen Luther bzw. dem lutherischen Lehrkonsens und Melanchthon als Abweichen, Verdunklung oder gar Abfall bezeichnen und damit der »traditionelle[n] Rede von Melanchthon als dem Apostaten und Verräter des Luthertums«183 Recht geben sollte oder ob man diese Differenzen nicht vielmehr als Ausdruck eines eigenständigen theologischen Denkens Melanchthons sehen kann und muß, das eine zweite Form des Evangelischen neben der spezifisch lutherischen darstellt.184 *** 182 Vgl. z. B. Melanchthon an Erasmus 12. 5. 1536 [MBW 1735; MBW T 7, 114–116; hier 115, Z. 15 und Z. 30 f.]; an Amsdorf Anfang November 1536 [MBW 1805; MBW T 7, 269 f.; hier 270, Z. 8 ff.]; an Camerarius 29. 11. 1536 [MBW 1815; MBW T 7, 285 f.; hier 285, Z. 14]; an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428; hier 426, Z. 50]; an Dietrich 22. 6. 1537 [MBW 1914; MBW T 7, 463–465; hier 464, Z. 11 ff.]; an Glaser, Schwebel und Hilspach 3. 8. 1537 [MBW 1926; MBW T 7, 485 f.; hier 486, Z. 16]; an Myconius 21. 8. 1537 [MBW 1933; MBW T 7, 499–501; hier 500, Z. 20 f.]; an Brenz 12. 10. 1537 [MBW 1952; MBW T 7, 533–535; hier 534, Z. 33 f.]; an Dietrich 13. 10. 1537 [MBW 1956; MBW T 7, 539–541; hier 540, Z. 18 ff.]; an Brenz 15. 9. 1538 [MBW 2092; MBW T 8, 216–218; hier 217, Z. 23 und Z. 26]; das Protokoll des Beginns des Kolloquiums zwischen Eck und Melanchthon 14. 1. 1541 [ADRG 2/1, 213–222, Nr. 117; hier 214, Z. 4 f.]; die Briefe an Camerarius ca. 7. 3. 1545 [MBW 3833; CR 5, 332, Nr. 2883]; an Dietrich 13. 9. 1545 [MBW 4013; CR 5, 851 f., Nr. 3269; hier 851]; an Georg von Anhalt 5. 4. 1547 [MBW 4685; CR 6, 472 f., Nr. 3821; hier 472]; an Buchholzer 20./21. 4. 1547 [MBW 4717; CR 6, 377, Nr. 3724]; an Osiander 25. 5. 1549 [MBW 5543; CR 6, 108–110, Nr. 3441; hier 109 f.]; an Gallus 1. 12. 1556 [MBW 8042; CR 8, 915–917, Nr. 6127; hier 916]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924–926, Nr. 6133B; hier 926] und an Johann Albrecht von Mecklenburg 25. 2 . 1557 [MBW 8137; CR 9, 103–105, Nr. 6198B; hier 105]. Diese Sichtweise Melanchthons teilte auch Erasmus; vgl. seinen Brief an Laski vom 5. 3. 1534 [Erasmus-OE 10, 362 f., Nr. 2911; hier 363, Z. 24 ff.]: »Scribit ille quidem minus violenter, sed a dogmatis lutheranis nusquam culmum latum discedit; est ipse, pene vt ita dixerim, ipso Luthero lutheranior«. 183 Wallmann, Melanchthonbild im Pietismus, 15; vgl. auch die Einleitung, Anm. 11. 184 Vgl. Baur, Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte, Leipzig 31867, 287 [nach Gestrich, Luther und Melanchthon, 35]; Hägglund, Melanchthon versus Luther, 124; Strohm, Melanchthon, 9; die Beiträge des Tagungsbands »Der Theologe Melanchthon« und Matz, Willenslehre, 250.
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Exkurs: Die Kritik an Melanchthons Umgang mit der »Confessio Augustana« Neben veränderten Lehrinhalten stießen sich einige Kritiker auch an Melanchthons allgemeinem Umgang mit der von ihm verfaßten »Confessio Augustana«, denn ähnlich wie mit seinen anderen Schriften185 verfuhr Melanchthon auch mit der CA: Er sah sie nicht als ein abgeschlossenes Werk an, sondern bemühte sich, sie beständig zu verbessern und den gegenwärtigen Umständen anzupassen, insbesondere im Jahr 1540.186 Diese Haltung stieß bei verschiedenen Protestanten auf Widerspruch. Erstmals wissen wir von derartiger Kritik aus dem Jahr 1537; sie wurde von Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen geäußert, als er von Plänen Melanchthons erfuhr, die CA zu verändern und anderweitig drucken zu lassen. Er machte deutlich, daß dies keinesfalls ohne seine Bewilligung und die der anderen protestantischen Stände geschehen könne.187 Massiv wurde derartige Kritik allerdings erst im Blick auf die Veränderungen, die Melanchthon 1540 an der CA vornahm. Interessanterweise wurden entsprechende Vorwürfe beim Wormser Religionsgespräch selbst nur von Vertretern der Altgläubigen geäußert, von protestantischer Seite dagegen erst im Lauf der folgenden Jahre und Jahrzehnte, vor allem in der Zeit nach Melanchthons Tod, nachdem man sich auf die »CA invariata« von 1530 als Bekenntnisgrundlage geeinigt hatte.188
***
Kapitel 2: Die Kritik an Melanchthons kirchenpolitischem Agieren189 – Infragestellung seines Verhaltens und seiner Zugeständnisse gegenüber Altgläubigen Im Rahmen des Speyerer Reichstags 1529 unternahm Melanchthon seine ersten Schritte auf (kirchen)politischem Parkett und war von nun an ein wichtiger Teilnehmer bei den unterschiedlichsten Verhandlungen zwischen Altgläubigen und reformatorisch Gesinnten, teilweise fungierte er sogar als Wortführer der Protestanten. Neben den offiziellen Verhandlungen trat er dabei teilweise auch in privaten Kontakt und in Sonderverhandlungen mit verschiedenen Vertretern 185 Vgl. Melanchthons Rede »Discendae theologiae ratio« von 1530 [CR 2, 455–461, Nr. 953; hier 457]; seine Briefe an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428; hier 427, Z. 52 f.] und an Seidemann 9. 11. 1544 [MBW 3727; MBW T 13, 493–498; hier 497, Z. 57 f.] und im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 186 Vgl. das Protokoll des Beginns des Kolloquiums zwischen Melanchthon und Eck vom 14. 1. 1541 [ADRG 2/1, 217, Z. 11 f.] und BSLK, XX. 187 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 6. 188 Z. B. von Johannes Wigand in seiner Historia, 122, 148 ff. und 154. In der Zeit nach Melanchthons Tod wurde in diesem Zusammenhang immer wieder auf die von Georg Rörer überlieferte angebliche Äußerung Luthers hingewiesen (die allerdings in den Tischreden nicht nachgewiesen ist): »Philippe, Philippe, ihr thut nicht recht, daß ihr Augustanam Confessionem so offt ändert, denn es ist nicht euer, sondern der Kirchen Buch« (vgl. Cyprian, Historia, 194 und Goeze, Notwendige Erinnerungen, 104). 189 Eine entsprechende Kategorie findet sich auch bei Hägglund, Melanchthon versus Luther, 126.
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Teil 2: Auswertung
der Altgläubigen, die er hoffte, in seinem Sinn beeinflussen zu können, oder mit denen er das Gespräch unter (humanistisch) Gleichgesinnten suchte – so zum Beispiel beim Speyerer Reichstag 1529, beim Augsburger Reichstag 1530 und bei den Religionsgesprächen der Jahre 1540/41. Zudem war er stets von der Hoffnung getragen, den Prozeß der Einigung und damit die Sicherung des Friedens durch zurückhaltendes Auftreten und inhaltliches Entgegenkommen fördern zu können. Melanchthons Kontakte zu Altgläubigen an sich und sein Verhalten in derartigen Gesprächen und Verhandlungen (2.1), seine Einschätzung verschiedener Vertreter der Altgläubigen (2.2), seine Milde und Nachgiebigkeit (2.3) und seine konkreten Aussagen und Zugeständnisse (2.4) stießen jedoch nicht allenthalben auf Zustimmung, sondern wurden vor allem auf protestantischer Seite zum Teil heftig kritisiert. Anflüge solcher Kritik begegneten bereits 1521, in verstärktem Maß setzten die Vorwürfe jedoch erst 1529 ein und begleiteten dann Melanchthons gesamtes kirchenpolitisches Agieren bis zu seinem Lebensende, wobei die Schwerpunkte in den Jahren 1530, 1534/35 und 1548/49 lagen und Melanchthons Verhalten beim Augsburger Reichstag, seine Kontakte zu Frankreich und seine Haltung in den Verhandlungen um die Umsetzung des »Augsburger Interims« betrafen.
2.1 Melanchthons Kontakte zu Altgläubigen und sein Verhalten in Gesprächen mit ihnen Für einige Kritiker boten bereits Melanchthons Kontakte zu bestimmten Altgläubigen an sich Anlaß zur Sorge, andere stießen sich an der angeblichen Heimlichkeit der Gespräche und an der ihrer Ansicht nach mangelnden Autorisierung Melanchthons durch eine Mehrheit der Protestanten oder bemängelten die Art und Weise, in der er Altgläubigen begegnete. Interessanterweise wurde derartige Kritik nicht nur von protestantischer (2.1.1), sondern auch von altgläubiger Seite (2.1.2) geäußert. 2.1.1 Protestantische Kritik Von protestantischer Seite wurde derartige Kritik zum ersten Mal im Zusammenhang des Augsburger Reichstags 1530 geäußert, bei dem Melanchthon sowohl offiziell wie auch in Sonderverhandlungen mit verschiedenen Vertretern der Altgläubigen zusammentraf und ihnen seine Vermittlungsvorschläge vorlegte – zum größten Teil mit Wissen und Billigung seines Kurfürsten. Besonderen Anlaß zu Kritik bot dabei vor allem Melanchthons Brief an Campeggio vom 4. Juli, der von vielen als schmachvoll und unterwürfig empfunden wurde, so zum Beispiel von Lucio Paolo Roselli, einem venezianischen Anhänger der Reformation, und von Flacius und Rörer, die ihre Kritik allerdings erst in spä-
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terer Zeit äußerten. Sie alle warfen Melanchthon neben konkreten Zugeständnissen vor, durch Aussagen wie Dogma nullum habemus diversum ab Ecclesia Romana verleugne er die lutherische Lehre.190 Im Blick auf die Verhandlungen des Vierzehner- und Sechser-Ausschusses und weiterer Gespräche im September kritisierten Vertreter der protestantischen Stände in Augsburg, Melanchthon und seine Kollegen hätten ohne das Wissen und die Zustimmung der Stände Vorschläge übergeben bzw. sich auf Unterhandlungen eingelassen und somit eigenmächtig gehandelt. Dieser Vorwurf wurde von Vincentius Obsopoeus noch durch die Unterstellung gesteigert, Melanchthon habe ohne Befugnis und gegen den Willen der anderen Protestanten gehandelt, trotz ihres Widerspruchs seine Absichten durchgesetzt und sei daher hinterlistig vorgegangen.191 Ähnliche Kritik äußerten Antoine Morelet du Musseau, Thomas Blarer, Johannes Zwick und Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen im Blick auf Melanchthons »Consilium ad Gallos« in den Jahren 1534/35: Sie hielten Melanchthon vor, er habe überaus große Zugeständnisse ohne das Wissen anderer protestantischer Theologen, Fürsten und Städte gemacht, dadurch seine Kompetenzen überschritten und eigenmächtig gehandelt.192 In den folgenden Jahren wurde Melanchthon von Luther und möglicherweise von weiteren nicht mehr identifizierbaren Protestanten wegen seiner Widmungsvorreden für den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg und den englischen König Heinrich VIII. aus den Jahren 1527, 1532 und 1535 angegangen, weil diese Widmungen als unangemessene Würdigung der Gegner und als Buhlen um die Gunst der Mächtigen empfunden wurden.193 Im Jahr 1537 reichten die wertschätzenden Äußerungen des für den Papst tätigen italienischen Humanisten Jacopo Sadoleto in einem Brief an Melanchthon aus, um seine Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen, wobei hier nur Osiander namentlich als Kritiker bekannt ist.194 In bezug auf sein Gespräch mit dem kaiserlichen Vertreter Granvella in Worms 1540/41 wurde Melanchthon wiederum von Osiander kritisiert, der ihm vorhielt, er habe diesen Kontakt nicht ehrlich zugegeben, was den impliziten Vorwurf enthielt, Melanchthon wolle seine Sonderverhandlungen und die besprochenen Inhalte vor den anderen Protestanten geheimhalten bzw. vertuschen. Ähnliche Verdächtigungen scheint auch der sächsische Kurfürst Johann Friedrich geäußert zu haben.195 Im Jahr 1548 waren es die Verhandlungen der kursächsischen 190
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.4.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.7.3. 192 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 193 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 und Kap. 11 und Luthers Tischreden vom 10. 7. 1539 [WA Tr 4, 437 f., Nr. 4699; hier 437, Z. 24 f.]: »Es rewet mich, das Magister Philippus seine schonsten prefaciones an die losesten buben geschrieben hatt« und aus der Zeit zwischen 11. und 19. 6. 1540 [WA Tr 4, 640, Nr. 5067, Z. 24 f. und WA Tr 4, 653, Nr. 5091, Z. 10 (Zitat)]: »Er [sc. Melanchthon] hat . . . seine bucher vbel dedicirt«. 194 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 8. 195 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 191
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Theologen mit Vertretern der Altgläubigen über die Umsetzung des »Augsburger Interims«, die bei einigen Protestanten Kritik auslösten. So hielt zum Beispiel Flacius Melanchthon und seinen Kollegen ihre Zusammenarbeit mit den altgläubigen Bischöfen und dem kursächsischen Hof unter dem neuen Kurfürsten Moritz vor, weil sie seiner Ansicht nach heimlich erfolgt und dadurch der öffentlichen Diskussion entzogen war.196 Und 1551 schließlich stieß sich Amsdorf am kursächsischen Beschluß, das Konzil zu beschicken und sich – wie er es ausdrückte – mit dem Papst zu vergleichen, weil er darin ein Hofieren des Papstes und eine unangemessene Gehorsamsbezeugung ihm gegenüber sah.197 2.1.2 Altgläubige Kritik Wegen seiner Sonderverhandlungen in Augsburg 1530 wurde Melanchthon nicht nur von protestantischen Kritikern angegriffen, sondern auch von altgläubiger Seite. So warf ihm Cochlaeus vor, er sei bei den verschiedensten Altgläubigen herumgelaufen und in ihre privaten Herbergen eingedrungen, um ihnen mit süßen Worten die Lehren seiner »Sekte« nahezubringen und sie hinterlistig zur Annahme seines Kompromißprogramms zu bewegen. Eck behauptete, Melanchthon habe sich gegenüber Campeggio nur deshalb erniedrigt, um seine Milde und Nachsicht zu erzwingen; man könne ihm jedoch nicht trauen. In ähnlicher Weise hatten sich wohl auch Campeggio und Fabri über Melanchthon geäußert.198 1537 knüpften Cochlaeus und Fabri an diese Kritik an und charakterisierten Melanchthon als Inbegriff der Unbeständigkeit, weil sie in Sorge waren, Altgläubige wie Sadoleto könnten durch sein Verhalten und seine – ihrer Ansicht nach nur vordergründig entgegenkommend klingenden – Äußerungen zu einer völlig falschen Einschätzung seiner Person verleitet werden und sich (unbegründeten) Hoffnungen hingeben, Melanchthon könne wieder auf den rechten Weg gebracht werden.199 Erneute Zweifel an der Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit Melanchthons wurden auf altgläubiger Seite 1548 im Blick auf seine Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« laut; sie wurden wiederum von Cochlaeus und von Witzel geäußert.200 Diese Urteile über Melanchthon waren vornehmlich dafür verantwortlich, daß auf katholischer Seite bis ins 20. Jahrhundert hinein ein negatives Melanchthonbild vorherrschte.201
196
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 7. 198 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.4.2. 199 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 8. 200 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1. 201 Vgl. unten Kap. 5.1.2 und Kap. 5.2. 197
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2.2 Melanchthons Einschätzung von Altgläubigen und sein Kaiserbild Bei seinen Verhandlungen mit Vertretern der Altgläubigen – vor allem bei denjenigen, mit denen er sich durch gemeinsame humanistische Ideale verbunden fühlte – war Melanchthon von der (mehr oder weniger großen) Hoffnung getragen, er könne Verständnis für die protestantische Sache wecken, seine Gesprächspartner zum Einlenken bewegen und dadurch den Weg für eine Einigung und Frieden ebnen. 1529 setzte er zum Beispiel auf König Ferdinand,202 1530 auf Kaiser Karl V. und verschiedene andere Altgläubige.203 Und auch in späteren Jahren hielt er trotz zahlreicher negativer Erfahrungen mit Altgläubigen an seiner grundsätzlich positiven Sicht des Kaisers fest, auch wenn sich daneben bisweilen kritische Töne finden.204 Diese optimistische Einschätzung verschiedener Altgläubiger und insbesondere des Kaisers sowie die Erwartungen, die Melanchthon an Verhandlungen mit ihnen knüpfte, wurden im Lauf seines Lebens von vielen Protestanten in Frage gestellt. Anflüge solcher Kritik scheinen bereits in der ersten Hälfte der 1520er Jahre vorhanden gewesen zu sein, es ist allerdings unklar, von wem und in welchem Zusammenhang sie geäußert wurde.205 Die erste Kritik, die sich an konkreten Personen festmachen läßt, fällt ins Jahr 1529, als sich Bucer und Jakob Bedrotus an Melanchthons Wohlwollen und Verehrung für Kaiser Karl V. und König Ferdinand stießen – wohl vor allem deshalb, weil sie darin einen wichtigen Grund für seine Ablehnung der Zwinglianer sahen.206 Diese Kritik erneuerten Bucer und Sturm im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 im Blick auf die gesamte kursächsische Delegation und beklagten angesichts der Lobeshymnen auf den Kaiser, es werde gar nicht wahrgenommen, daß er diese Milde lediglich aus taktischen Gründen vorspiele. Im Zusammenhang mit derartigen Befürchtungen scheint auch das Gerücht über eine unheilvolle Bittschrift Melanchthons an den Kaiser entstanden zu sein. Neben Melanchthons positivem 202
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.1.4. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, z. B. Kap. 1.1, Kap. 1.2.6, Kap. 1.3.3, Kap. 1.3.4, Kap. 1.4.4 und Kap. 1.4.5. 204 Vgl. z. B. Melanchthons Vorrede zur Apologie von April 1531 [MBW 1148; MBW T 5, 99–101; hier 101, Z. 44 ff.]; den Beschluß des ersten Teils der Apologie von Ende April / A nfang Mai 1531 [BSLK, 327, Z. 5 ff.]; seinen Brief an Erasmus 25. 10. 1532 [MBW 1287; MBW T 5, 353 f.; hier 354, Z. 19]; eine Vorrede von August 1533 [MBW 1354; MBW T 5, 471–474; hier 473, Z. 65 f.]; seine Briefe an Dietrich 25. 11. 1537 [MBW 1968; MBW T 7, 563–565; hier 565, Z. 37 ff.] und 4. 5. 1540 [MBW 2424; MBW T 8, 241 f.; hier 242, Z. 7 ff.]; an Camerarius 17. 3. 1545 [MBW 3849; CR 5, 704–707, Nr. 3157; hier 706]; an Obernburger 5. 9. 1547 [MBW 4886; Krause, Melanchthoniana, 119 f., Nr. 35; hier 119] und an Camerarius 24./25. 4. 1548 [MBW 5138; CR 6, 877–879, Nr. 4216; hier 878]. 205 Vgl. Melanchthons Warnung an Obsopoeus in seinem Brief vom 15. 8. 1526 [MBW 488; MBW T 2, 462–465; hier 464, Z. 47 ff.]: »De carmine ad Carolum, quod scribis, invidiam vitandam esse tibi duxi. Nam ego meo malo sum expertus, quantum periculi sit in his turbis hoc genus libellos edere«. 206 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.3.2.1 und Kap. 5.4.2.3. 203
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Kaiserbild wurde allerdings auch seine Einschätzung anderer Altgläubiger problematisiert. So zeigte sich zum einen Luther verwundert darüber, daß Melanchthon Altgläubigen wie dem päpstlichen Legaten und Vertretern des Kaiserhofes vertraute und etwas Positives von (Sonder-)Verhandlungen mit ihnen erwarten konnte, und erneuerte seine Kritik angesichts der Ausschußverhandlungen. Zum anderen wurde Melanchthon und seinen Kollegen von Matthäus Alber und Hieronymus Baumgartner vorgeworfen, sie schätzten die Altgläubigen zu positiv ein und nähmen deren gefährliche Hintergedanken nicht wahr.207 Die Infragestellung von Melanchthons Kaiserbild war im Jahr 1539 auch Gegenstand einer Schmähschrift, deren Verfasser behauptete, Melanchthon verlange in seinen Schriften, man müsse dem Kaiser gehorchen, lehre aber in seinen Vorlesungen, man müsse die Waffen gegen den Kaiser erheben – Aussagen, für die der (uns unbekannte) Verfasser sogleich bestraft wurde.208 Im Zuge des Wormser Religionsgesprächs 1540/41 hielt Osiander Melanchthon vor, er wolle durch seine Aktivitäten unter allen Umständen die Gunst des Kaisers erlangen.209 Unverständnis gegenüber Melanchthons positiver Einschätzung des Kaisers stand auch hinter der Charakterisierung der Wittenberger Theologen als adulatores Caesaris, das heißt Speichellecker des Kaisers – entsprechend äußerte sich Amsdorf 1548 in Reaktion auf Melanchthons Ratschläge für den sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich während des Schmalkaldischen Krieges, sich dem Kaiser zu unterwerfen.210 Und auch im Blick auf die »Leipziger Artikel« hielt Amsdorf Melanchthon vor, er habe damit vor allem dem Kaiser schmeicheln wollen.211 All diese Kritik führte jedoch nicht dazu, daß Melanchthon seine positive Einschätzung des Kaisers in Frage stellte, vielmehr hielt er bis an sein Lebensende an ihr fest.212 Ganz anders als von den genannten protestantischen Kritikern wurde Melanchthons Haltung zu Kaiser Karl V. und König Ferdinand im Jahr 1548 von einem Befürworter des »Augsburger Interims« wie Agricola wahrgenommen, der ihm aufgrund seiner Gutachten zum Interim Lügen und Undankbarkeit gegenüber den beiden Herrschern vorwarf.213 207 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.4.1.1, Kap. 3.4.1.3, Kap. 3.9.1 und Kap. 3.9.2. 208 Vgl. Conon an Roth 31. 8. 1539 [Buchwald, Wittenberger Stadt- und UniversitätsGeschichte, 144 f., Nr. 174; hier 144]: »D. Philippum uero in scriptis suis quidem praecipere Caesari esse obediendum, tamen in publicis lectionibus docere, arma contra Caesarem mo uenda esse«. 209 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 210 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1. 211 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.5. 212 Vgl. Melanchthons Rede »De congressu Bononiensi« von 1559 [CR 12, 307–317, Nr. 169; hier 309]: »Scio fore qui mihi ut probrum obiicient, quod in hac commemoratione non vitupero Carolum«; zum positiven Kaiserbild a. a. O. [CR 12, 315 f.]. 213 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1.
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2.3 Melanchthons Nachgiebigkeit gegenüber Altgläubigen Neben den bisher genannten Aspekten wurde Melanchthon im Blick auf seinen Umgang mit Altgläubigen immer wieder vorgehalten, er äußere und erweise sich als zu milde und zu nachgiebig. Dieser Vorwurf war meist mit der Kritik an einzelnen Zugeständnissen verbunden, auf die im folgenden Teilkapitel (2.4) eingegangen wird, häufig wurde er allerdings auch pauschal geäußert.214 Erste Anflüge derartiger Kritik liegen in Luthers Bemerkung, Melanchthon sei in seiner Widerlegung des Urteils der Pariser Theologen 1521 zu sanft mit den Gegnern verfahren.215 Auch im Jahr 1527 scheint man Melanchthon vorgeworfen zu haben, er sei zu zurückhaltend und gehe im Rahmen der Visitation nicht heftig genug gegen die Lehren des Papsttums vor.216 Beim Speyerer Reichstag 1529 warf ihm Johannes Furster vor, er habe allenthalben seine Bereitschaft zum Nachgeben signalisiert.217 Massiv wurde die Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit und Milde gegenüber den Altgläubigen im Zusammenhang des Augsburger Reichstags 1530 und bezog sich auf die CA, seine Sonderverhandlungen, die Ausschußsitzungen und weitere Gespräche im September.218 Entsprechende Vorwürfe wurden zudem laut im Blick auf Melanchthons »Consilium ad Gallos« von 1534,219 die Frankfurter Friedensverhandlungen im Jahr 1539220 und das Regensburger Religionsgespräch 1541.221 Einen zweiten Höhepunkt erlebte die Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit im Zuge der Auseinandersetzungen um das »Augsburger Interim« und dessen Umsetzung in Kur sachsen in den Jahren ab 1548.222 Melanchthons Kritiker empfanden sein Verhalten und seine Äußerungen als zu milde und zu nachgiebig, weil sie das Ideal eines entschiedenen und kompromißlosen Verhaltens gegenüber den Altgläubigen hatten.
214
Zur grundsätzlichen Infragestellung der Nachgiebigkeit Melanchthons unten Kap. 5.2. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 1. 216 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2. 217 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.1. 218 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II: zur CA Kap. 3.3.1.1 a), 3.3.1.2, 3.3.1.3 und 3.3.1.4; zu den Sonderverhandlungen Kap. 3.4.1.2 und 3.4.1.3; zu den Ausschußsitzungen Kap. 3.5.1.1 und 3.5.1.2 und zu den Gesprächen im September Kap. 3.5.1.4. 219 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 220 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 12. Im selben Jahr berichtete Melanchthon auch in seinem Testament über entsprechende Kritik, es ist allerdings unklar, auf welche früheren Ereignisse er sich dabei bezog (vgl. Melanchthons Testament vor 12. 11. 1539 [MBW 2302; MBW T 8, 597–601; hier 599, Z. 55 f.]: »Scio quosdam aliquando suspicatos esse me quaedam moliri in gratiam adversariorum«). 221 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.2. 222 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 3.2, bes. 3.2.2.2. 215
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2.4 Konkrete Zugeständnisse Während Luthers Aufenthalt auf der Wartburg in den Jahren 1521 und 1522 setzte sich Melanchthon in Wittenberg engagiert für Neuerungen beim Gottesdienst und für die Abschaffung von Mißbräuchen wie zum Beispiel Privatmessen, Bilder und Heiligenverehrung ein und kommunizierte 1522 als einer der ersten unter beiderlei Gestalt. Infolge der sich unmittelbar anschließenden Wittenberger Bewegung wurde er jedoch in den folgenden Jahren vorsichtiger bei der Umsetzung von Reformen und bemühte sich zunehmend, Rücksicht auf die Schwachen im Glauben zu nehmen 223 – eine Haltung, die insbesondere verschiedene Zeremonien und den Laienkelch betraf und Melanchthon sein gesamtes Leben hindurch prägte.224 Da er viele Themen, die die Diskussionen mit den Altgläubigen über die gesamte Reformationszeit hinweg beherrschten, als reine Äußerlichkeiten betrachtete, sah er auch kein Problem darin, den Altgläubigen in Verhandlungen über diese Fragen unter bestimmten Voraussetzungen entgegenzukommen, weil er hoffte, dadurch zu Frieden und Einigkeit beitragen zu können. Getrieben von dieser Hoffnung und unter dem Druck der Altgläubigen weitete er seine Bereitschaft zum Nachgeben insbesondere 1530 auch auf weniger äußerliche Fragen wie Privatmessen, Klöster und die Priesterehe aus. Die im folgenden dargestellten kritisierten Themen hängen mit der Theologie (Melanchthons) zusammen, sind aber keine Lehrfragen im eigentlichen Sinn, was sich beispielsweise daran zeigt, daß sie mit Ausnahme der Zeremonien nicht in den »Loci« thematisiert und fast durchweg im zweiten Teil der CA unter dem Stichwort »Mißbräuche« behandelt werden. 2.4.1 Zugeständnisse bei äußerlichen Zeremonien Seit 1522 läßt sich Melanchthons Haltung zu rein äußerlichen und von Menschen erdachten Zeremonien und Gebräuchen (ceremoniae, mores, traditiones humanae, ritus ecclesiastici) so charakterisieren, daß er sich bemühte, ihnen keine allzu große Bedeutung beizumessen. Deshalb riet er im Blick auf die Einführung der Reformation stets, man solle nur diejenigen Zeremonien abschaffen, die dem Wort Gottes widersprächen und Evangelium und Gewissen in Gefahr brächten, hergebrachte Traditionen wie (Meß-)Kleidung, (lateinische) Gesänge, Bilder, Fasten, bestimmte Feiertage und Speisegebote solle man jedoch belassen und um des Friedens und der Ordnung willen halten, wenn dies ohne Sünde geschehen könne und die Gebräuche nicht als Gottesdienst oder im Sin-
223
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .2, Kap. 2 .3, Kap. 2 .5 und Kap. 2 .7. Vgl. z. B. Melanchthon an Bording 17. 7. 1545 [MBW 3955; CR 5, 794 f., Nr. 3223; hier 794] mit Verweis auf Röm 14,1; an Pacheleb 1. 2 . 1548 [MBW 5049; Regest bei Scheible, MBW R 5, 242 f.; hier 243] und an von Schwendi 10. 2 . 1552 [MBW 6342; Kupke, Melanchthon Briefe, 319 f.; hier 319]: »semper aliquid infirmitatis populo est condonandum«. 224
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ne eines rechtfertigenden Werkes verstanden würden 225 – eine Haltung, die grundsätzlich auch Luther 226 und viele andere Protestanten 227 teilten und die von Altgläubigen wie zum Beispiel Erasmus sehr geschätzt wurde.228 Als sich im Zuge der Visitation im Jahr 1527 herausstellte, daß es vielen Menschen – insbesondere in den Klöstern – schwerfiel, auf ihre gewohnten Gebräuche zu verzichten, sah sich Melanchthon in seiner Haltung bestätigt und forderte in seinen »Articuli«, die Schwachen hinsichtlich der Abschaffung bestimmter Riten noch eine gewisse Zeit zu schonen – ein Entgegenkommen, das 1528 auch in den »Unterricht der Visitatoren« übernommen wurde.229 Im Zusammenhang des Augsburger Reichstags 1530 gelangte das Thema Zeremonien erneut auf die Tagesordnung, und mit Zustimmung von Luther und Melanchthons Wittenberger Kollegen wurde das Angebot eines Nachgebens bei bestimmten (allerdings nicht näher gekennzeichneten) Traditionen konstitutiver Teil des kursächsischen Kompromißprogramms – wobei diese (akzeptablen) Gebräuche in den Erörterungen nun häufig als gleichgültige Mitteldinge bzw. Adiaphora bezeichnet wurden.230 Unabhängig von diesem Zugeständnis betonte Me225
Vgl. z. B. Melanchthons Denkschrift von Januar / Februar 1522 [MBW 206; MBW T 1, 440 f.; hier 440, Z. 6 ff.]; seine Briefe an Heß ca. Mitte November 1522 [MBW 244; MBW T 1, 505 f.; hier Z. 7 ff.] und an Ökolampad 14. 2 . 1524 [MBW 311; MBW T 2, 115 f.; hier 116, Z. 5 ff.]; die »Epitome renovatae ecclesiasticae doctrinae« für Philipp von Hessen von Juni 1524 [MSA 1, 179–189, Nr. 12; hier 186, Z. 17 ff.] und seinen Brief an Philipp von Ende August / Anfang September 1526 [MBW 491; MBW T 2, 469–477; hier 472–474 und 476, Z. 46 ff.]; die Briefe an Baumgartner 1. 1. 1526 [MBW 438; MBW T 2, 383–385; hier 385, Z. 29 ff.] und an Alber 4. 1. 1526 [MBW 442; MBW T 2, 393 f.; hier 393, Z. 2 ff.] und das Gutachten für den Nürnberger Rat vom 28. 5. 1526 [MBW 464; MBW T 2, 423–425]. In ähnlicher Weise äußerte sich Melanchthon auch gegenüber Altgläubigen; vgl. z. B. seine Stellungnahme für Campeggio von Mai 1524 [MBW 324; MBW T 2, 133–136; hier 134, Z. 16 ff. und 136, Z. 20 ff.]. 226 Vgl. die Belege im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.2, Anm. 633; zudem Luthers Predigt vom 11. 3. 1522 [WA 10/3, 21–30, Nr. 3 ; hier 26 ff.]; seine Schrift »Wider die himmlischen Propheten« von 1525 [WA 18, 62–125; hier 112, Z. 20 ff.]; das gemeinsam mit Jonas und Melanchthon verfaßte Gutachten für Johann von Sachsen vom 4. 8. 1531 [MBW 1175; MBW T 5, 154–162; hier 157, Z. 6 ff.]; die Zirkulardisputation »De concilio Constantiensi« von 1535 [WA 39/1, 13–39; hier 22 f., Z. 32 ff.]: »die liebe ist Keiserin uber die Ceremonien, und Ceremonien sollen der liebe, nicht aber liebe den Ceremonien weichen« und das gemeinsam mit Melanchthon, Cruciger, Bugenhagen und Maior verfaßte Gutachten für Johann Friedrich von Sachsen von Januar 1546 [MBW 4118; CR 6, 7–10, Nr. 3352; hier 9]: »die Lahr soll rein bleiben, ob man gleich Gedult haben soll mit denen, die in Abthuung der Mißbräuch und Anrichtung besserer Ordnung langsam sind, auch ob gleich in äußerlichen unnöthigen Stücken ungleichheit bleibet«. 227 Vgl. z. B. das Gutachten von Feurelius vom 10. 3. 1530 [Die fränkischen Bekenntnisse, 631–655; hier 643 f.] und die Belege im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.2, Anm. 636. 228 Vgl. Erasmus an Melanchthon 6. 9. 1524 [MBW 341; MBW T 2, 167–176; hier 171, Z. 74 f.]. 229 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.1.3. 230 Vgl. z. B. das Gutachten der Wittenberger Theologen für Johann von Sachsen ca. 27. 3. 1530 [MBW 883; MBW T 4/1, 95–109; hier 98, Z. 88]: »ordnungen . . ., die fur mittel gehalten werden« und Melanchthons Briefe an Heß 6. 9. 1530 [MBW 1066; MBW
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lanchthon allerdings immer wieder, zum Beispiel in CA 7, daß eine Übereinstimmung bei den Zeremonien für die Einheit der Kirche nicht erforderlich sei.231 Als deutlich wurde, wie schwer sich die Einigung mit den Altgläubigen gestaltete, weitete Melanchthon das mögliche Zugeständnis bei Traditionen in verschiedenen Verhandlungen mit Vertretern der Altgläubigen aus, indem er nun auch explizit von Meßzeremonien sprach und sich zu größtmöglicher Gleichförmigkeit bereit erklärte.232 Auch in den folgenden Jahren riet er dazu, äußerliche Bräuche beizubehalten, sofern sie nicht abgöttisch seien, und warnte davor, es wegen Nebensächlichkeiten wie den Adiaphora zum status confessionis kommen zu lassen oder Verfolgung auf sich zu nehmen.233 Im Jahr 1534 finden sich entsprechende Aussagen Melanchthons auch in seinem »Consilium ad Gallos«, wobei er klar auf die Bedingungen für solche Zugeständnisse hinwies,234 und 1537 schlug er in einem Sondervotum zu Luthers »Schmalkaldischen Artikeln« vor, man könne den Altgläubigen beim Konzil anbieten, falls der Papst das Evangelium dulden sollte, bestimmte Adiaphora beizubehalten.235 Nachdem die Reformation Ende der 1530er Jahre in vielen Gebieten eingeführt worden war, trat die neue Frage auf, wie man mit Adiaphora verfahren solle, wenn diese bereits abgeschafft waren: ob man sie wiedereinführen oder unbeachtet lassen solle. Melanchthon riet zu letzterem, da er nicht wollte, daß jemand gegen sein Gewissen zu etwas gezwungen werde, und mahnte die Herrscher in dieser FraT 4/2, 646 f.; hier 647, Z. 19]: ceremoniae indifferentes; an Micyllus nach 13. 10. 1530 [MBW 1092; MBW T 4/2, 721–723; hier 722, Z. 14] und an Silberborner Ende Oktober / A nfang November 1530 [MBW 1093; MBW T 4/2, 723–729; hier 726, Z. 54]: »ἀδιάφοροι«; zudem die Gutachten von Rurer [Gussmann, Ratschläge 2, 3–47, Nr. 1; hier 41, Z. 13]: »mittelmessige Dinge« und der Kulmbacher Geistlichkeit von März (?) 1530 [Gussmann, a. a. O., 47–96, Nr. 2 ; hier 58, Z. 22]; zur Herkunft und Bedeutung dieser Begriffe Syamken, Adiaphora, 58. 231 Vgl. zu Melanchthons Haltung in der Frage der Zeremonien in Augsburg im Darstellungsteil Abschnitt II, passim, bes. Kap. 1.1 und Kap. 1.2.8. 232 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.2.6.1; Kap. 1.3.4.4; Kap. 1.3.4.7 und Kap. 1.4.5, bes. Kap. 1.4.5.2 b) und c); zudem den Rückblick in der Vorform der Apologie vom 22. 9. 1530 [BSLK, 327, Z. 4 4 f.]; zu entsprechenden Zusagen im Blick auf die Klöster unten Kap. 2 .4.5. 233 Vgl. Melanchthon an Rothmann Ende 1531 [MBW 1208; MBW T 5, 233–235; hier 235, Z. 34 ff.]; das mit Jonas verfaßte Gutachten für einen unbekannten Ritter aus dem Jahr 1531 [MBW 1209; MBW T 5, 236–238; hier 236, Z. 4 ff.]; die Gutachten für Joachim II. von Brandenburg von Mai 1532 [MBW 1248; MBW T 5, 292–294; hier 294, Z. 53 f.] und für Georg von Anhalt vom 6. 3. 1535 [MBW 1549; MBW T 6, 316 f.; hier Z. 1 ff.]; die Aussagen in den »Loci« von 1535 [CR 21, 510 ff.]; das Gutachten für die Universität Tübingen vom 10. 6. 1538 [MBW 2051a; MBW T 8, 145 f.; hier 146, Z. 21 ff.] und den Brief an Heinrich VIII. von England 1. 4. 1539 [MBW 2175; MBW T 8, 384–389; hier 387, Z. 70 ff.]. 234 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zu den Zeremonien im »Consilium ad Gallos« (vor 1. 8. 1534, MBW 1467) insbesondere MBW T 6, 141, Z. 256 ff. (1. Fassung) und 143, Z. 11 ff. und 145, Z. 68 ff. (2. Fassung) und im Brief an du Bellay (1. 8. 1534, MBW 1469) MBW T 6, 173, Z. 13 f. 235 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 5.
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ge zu Mäßigkeit.236 Durch die Forderungen des »Augsburger Interims« wurde die Frage der Adiaphora 1548 erneut virulent. Ähnlich wie 1530 signalisierten Melanchthon und seine kursächsischen Kollegen in den Diskussionen um die Umsetzung des Interims ihre Bereitschaft, den Altgläubigen in der Frage der Adiaphora entgegenzukommen. Melanchthon betonte, man solle in bezug auf gleichgültige Zeremonien Geduld zeigen und eine gewisse Knechtschaft ertragen und nicht über Nebensächlichkeiten streiten oder ihretwegen gar die Gemeinden verlassen – allerdings natürlich nur dann, wenn die betreffenden Traditionen den Inhalten der lutherischen Lehre nicht widersprächen. Zudem sagten seine Kollegen und er in den »Leipziger Artikeln« ähnlich wie 1530 zu, man wolle die Messe auch weiterhin mit den gewohnten Gesängen, Gewändern und Zeremonien halten.237 Infolge der heftigen Kritik, die diese Haltung Melanchthons hervorrief und über die sogleich zu berichten ist, gelangte er zwar zunehmend zu der Einsicht, daß auch ein Nachgeben bei den Zeremonien gewisse Nachteile in sich barg und Schwache verletzen konnte, da ja Änderungen in diesem Punkt für jedermann sofort sichtbar waren und daher das Volk bewegten,238 er änderte jedoch seine Haltung in dieser Frage nicht grundsätzlich und erteilte auch in den folgenden Jahren Ratschläge wie in den Jahrzehnten zuvor.239 Kritik an Melanchthons Haltung zu Zeremonien begegnete erstmals im Rahmen der Visitation im Jahr 1527. Dabei klagten Agricola und Graf Albrecht von Mansfeld Melanchthon an, er wolle bereits abgeschaffte Gebräuche wiedereinführen und damit das Papsttum wiederaufrichten.240 Weitere Kritik an Melanchthons Haltung zu den Zeremonien wurde im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 geäußert, und zwar von Bucer, Luther, Johannes Eisenmenger, Alber und den Vertretern Hessens und Nürnbergs. Zwar waren auch die meisten von ihnen prinzipiell davon überzeugt, daß man bei Adiaphora unter bestimmten Voraussetzungen nachgeben könne, beim Reichstag sahen sie diese Bedingungen jedoch nicht als gegeben an. Sie verwiesen zum ersten darauf, daß Zugeständnisse bei den Adiaphora nur dann Sinn machten, wenn Einigkeit in 236 Vgl. z. B. Melanchthon an Georg von Anhalt 5. 9. 1540 [MBW 2490; MBW T 9, 354 f.; hier 355, Z. 13 ff.] und 22. 8. 1544 [MBW 3663; MBW T 13, 387 f.; hier 387, Z. 9 ff.]. 237 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .1 und Kap. 3.1; zur Aufforderung, nicht zu streiten, Melanchthon an einen Unbekannten April / Anfang Mai 1548 [MBW 5142; Regest bei Scheible, MBW R 5, 283] und an Meienburg 14. 11. 1548 [MBW 5348; CR 7, 191–193, Nr. 4 401; hier 193]. 238 Vgl. Melanchthon an Moller 27. 10. 1549 [MBW 5664; CR 7, 456–458, Nr. 4587; hier 457]: »Ego . . . saepe suasi, ut nunc nulla novitatis species ostenderetur, quia populus mox clamat, deleri Evangelium, vel quaeri initia opprimendi Evangelii«. 239 Vgl. z. B. Melanchthons Gutachten für Gemeinden in Siebenbürgen 16. 1. 1558 [MBW 8498; CR 9, 429–432, Nr. 6445; hier 430] und für August von Sachsen 4. 3. 1558 [MBW 8543; CR 9, 462–478, Nr. 6471; hier 475 f.] und seinen Brief an Friedrich III. von Liegnitz 1. 10. 1558 [MBW 8742; CR 9, 634 f., Nr. 6610; hier 635]. 240 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2.
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den Hauptfragen bestehe und ihnen ein wirkliches Entgegenkommen bei den Altgläubigen gegenüberstehe, wovon man in Augsburg weit entfernt sei. Zum zweiten bemängelten sie, daß zu wenig berücksichtigt werde, daß hinter der altgläubigen Forderung eines Nachgebens bei den Adiaphora der Anspruch des Papstes stehe, die durch ihn erlassenen Gebote bzw. Verbote seien göttlich, woraus folge, daß man bei Nicht-Erfüllung bzw. Übertretung sündige; durch ein Nachgeben bei den Adiaphora bestätige man somit die gottlosen Begründungsmuster der Altgläubigen. Zum dritten machten sie darauf aufmerksam, daß derartige Zugeständnisse von den Altgläubigen sehr weit ausgelegt würden und für die Protestanten die Gefahr bestünde, später als wortbrüchig zu gelten, wenn sie nicht in allen Punkten ihren Zugeständnissen entsprechend handelten. Zum vierten schließlich betonten sie, daß durch die Wiedereinführung bestimmter Zeremonien die christliche Freiheit Schaden nehmen könne, neuer Zwang und Ärgernis für die Menschen entstehe und diejenigen, die sich nicht an die neu festgelegten Zeremonien hielten, gewaltsam ins Exil getrieben werden könnten.241 Nach einigen Jahren Pause brach die Kritik an Melanchthons Haltung zu den Adiaphora im Jahr 1534 anläßlich seines »Consilium ad Gallos« und des Gutachtens von Bucer wieder auf, an deren Zugeständnissen sich Zwick sowie Thomas und Margarete Blarer stießen. Sie merkten an, daß Melanchthons und Bucers Hoffnung, durch das Nachgeben bei Adiaphora könne eine Annahme der wahren Lehre Christi und eine Abschaffung eines Großteils der offensichtlichen Mißbräuche erreicht werden, sinnlos sei. Zudem wiesen sie darauf hin, daß man bereits abgeschaffte Zeremonien nicht wieder einführen dürfe, und beriefen sich hierfür auf Luther. Durch die Wiedereinführung von (ihrer Ansicht nach unnützen) Zeremonien befürchteten sie neue Knechtschaft und damit Schaden für die protestantischen Gemeinden.242 Im Vorfeld des Schmal241 Vgl. zur Kritik des Jahres 1530 im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.2 und Kap. 3.6.2.5 a). 242 Vgl. zu dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zu den Vorwürfen im einzelnen Zwick an Bucer 28. 1. 1535 [Hottinger, Historia 7, 666–669; hier 668]: »zu was nachtheil es bey unsern Kirchen reichen wird. Maxime si quid ceremoniarum abrogatarum restituendum esset«; T. Blarer an A. Blarer 17. 2 . 1535 [Blaurer-BW 1, 660 f., Nr. 540; hier 660]: »Fallit [Bucerus] enim etiamnum quosdam pristinarum ecclesiarum status et hê prêstigiê inutilium ceremoniarum, quê quidem demulcent christianos animos vana specie relligionis, id vero in maximum detrimentum dexterioris et synceri vivendi ordinis, qui cum etiam levissimo errore confunditur, paulatim exit in eos labirinthos, quos iam pridem incauti omnes incidimus« und die Zurückweisung im Brief von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 641–648, Nr. 529; hier 646]: Gegen die Überzeugung Bucers und Melanchthons (»Augustae . . . si reliquae ecclesiae puritatem evangelii admississent, vota et indictum coelibatum remisissent, quae apertam habent superstitionem, removissent, parati omnes eramus aliquas ceremonias repetere concordiae causa, quae apud nos sunt abrogatae. Misere docti essent nostri, si gravarentur eo, quod reciperent aliquos ritus per se licitos et a veteribus bene usurpatos, efficere vel impetrare, ut totus orbis noster Christum pure reciperet omnemque superstitionem manifestam profligaret«) erhoben T. Blarer und Zwick die Einwände »Conditio . . . ista est impossibilis« und »Lutherus prohibet restituere ullos ritus, qui
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kaldischen Bundestages 1537 kam es zwar nicht zu direkter Kritik an Melanchthon, sein Vorschlag, sich in der Frage der Adiaphora bei einem Konzil nachgiebig zu zeigen, wurde jedoch von Luther unmißverständlich zurückgewiesen.243 1544 stieß sich Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen daran, daß in der »Kölner Reformation« von 1543, an der Melanchthon in entscheidender Weise mitgewirkt hatte, päpstliche Zeremonien enthalten waren; was Johann Friedrich mit seiner Anfrage allerdings genau im Blick hatte, läßt sich nicht erkennen.244 Massiv wurde die Kritik an Melanchthons Haltung zu den Adiaphora in den Auseinandersetzungen um die angemessene Stellung zum »Augsburger Interim« in den Jahren ab 1548, die nach ihrem Hauptstreitpunkt auch als »Adiaphoristischer Streit« bezeichnet werden.245 Hinsichtlich Melanchthons Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« in verschiedenen Gutachten und in seinem Brief an von Carlowitz hielten ihm Amsdorf und Gallus seine Zustimmung zu papistischen Zeremonien wie den Speisegeboten vor, weil sie davon eine Stärkung päpstlicher Mißbräuche befürchteten, und auch Brenz machte auf die möglichen negativen Konsequenzen von Änderungen bei den Adiaphora aufmerksam. Matthias Ratzeberger bezeichnete die Zugeständnisse gar als Gotteslästerung.246 Als das Zugeständnis verschiedener Adiaphora in die »Leipziger Artikel« aufgenommen wurde und Melanchthon auch sonst immer wieder betonte, man müsse wegen der Adiaphora Knechtschaft ertragen, weitete sich die Kritik aus, und die Zahl seiner Kritiker stieg: Im Lauf des Jahres 1549 und danach meldeten sich Menius, Hardenberg, Flacius, Gallus, Amsdorf, Johannes Aepinus, Corvinus, Christoph Hoffmann, Gabriel Zwilling, Michael Schultes, Calvin und viele andere zu Wort. Sie warfen Melanchthon und seinen Kollegen zum ersten vor, sie wichen von ihrer früheren Meinung ab, wenn sie den Gegnern jetzt mehr als jemals zuvor bei den Adiaphora entgegenkämen und die Bereitschaft zeigten, Riten wiedereinzuführen, die sie selbst früher getadelt hätten. Ähnlich wie die Kritiker des Jahres 1530 wiesen sie zum zweiten darauf hin, daß in der gegenwärtigen Situation die notwendigen Voraussetzungen für ein Nachgeben in der Frage der Zeremonien nicht gegeben seien. So hörten Adiaphora wie der Chorrock ihrer Ansicht nach in dem Moment auf, unverfängliche Mitteldinge zu sein, in dem sie gegenüber unnachgiebigen Altgläubigen zugestanden würden, die die Adiaphora als notwendigen Gottesdienst begriffen und das gesamte Papsttum wiederherstellen wollten. Zum dritten betonten die Kritiker, daß gar nicht alle Traditionen, die unter dem Begriff iam aboliti sunt«. T. Blarer warf Bucer und Melanchthon nach Bucers Bericht vor, »ut legibus, quas praescribimus, Gallia ad evangelii libertatem veniret, doles [sc. Blarer] autem illis etiam Germanum orbem addici«. 243 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 5. 244 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 245 Vgl. zu dieser Bezeichnung auch im Darstellungsteil Abschnitt IV, Anm. 8. 246 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 2 .2.2.
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Adiaphora zugestanden würden, wirkliche Mitteldinge seien, bei einigen handle es sich vielmehr um nicht zu tolerierende Menschenlehren – zum Beispiel Speisegebote und das Fronleichnamsfest. Dementsprechend warfen sie Melanchthon und seinen Kollegen vor, sie dehnten die Adiaphora zu weit aus, trügen durch ihre Zugeständnisse zur Stärkung der päpstlichen Unterdrückung und damit zur Gefährdung der christlichen Freiheit bei und setzten dadurch die reine Lehre aufs Spiel. In bezug auf die Zeremonien bei der Messe erhoben sie den Vorwurf, Melanchthon und seine Kollegen wollten die altgläubige Messe wieder aufrichten und die deutschen Gesänge abschaffen. Melanchthons Argumente, mit denen er versucht hatte, die Wichtigkeit eines Nachgebens bei den Adiaphora zu untermauern – die Förderung von Zucht und Ordnung, die Berufung auf die Alte Kirche und die Hoffnung auf Ruhe und Frieden –, wurden von den Kritikern samt und sonders zurückgewiesen.247 Melanchthons Haltung zu den Adiaphora wurde auch in seinem letzten Lebensjahrzehnt immer wieder der Kritik unterzogen, wobei die Kritiker stets auf die bekannten Argumentationsmuster zurückgriffen.248 Zur Kritik an Melanchthons Haltung zu den Adiaphora läßt sich zusammenfassend festhalten, daß es den Kritikern nicht so sehr um seine Zugeständnisse an Schwache ging, die sie fast alle auch selbst guthießen, sondern fast immer um das Entgegenkommen gegenüber den Altgläubigen. Dabei hängen die Vorwürfe einiger Kritiker sicher damit zusammen, daß es keinen allgemeinen Konsens darüber gab, was zu den Adiaphora zählte und was nicht, und hier die Meinungen Melanchthons und seiner Kritiker zum Teil weit auseinandergingen. Für die meisten standen jedoch nicht konkrete Einzelzeremonien im Vordergrund, sondern vor allem die Frage nach den Adressaten und den notwendigen Voraussetzungen der Zugeständnisse. Und das Nachdenken über ein mögliches Nachgeben bei Traditionen war stets mit Gedanken über die daraus resultierende Außenwirkung und Aufnahme in den Gemeinden verbunden, die in ihnen das Bedürfnis verstärkte, die eigene gewachsene kirchliche Identität zu verteidigen,249 – ein Aspekt, der von Melanchthon anders eingeschätzt, vielleicht auch unterschätzt wurde.250 2.4.2 Zugeständnisse beim Laienkelch Obwohl er selbst als einer der ersten unter beiderlei Gestalt kommuniziert hatte, setzte sich Melanchthon 1527 genau in dieser Frage für eine Schonung der Schwachen ein. Ausschlaggebend für diese Haltung war die Beobachtung der 247
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 a) und 3.2.2.4 b). Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11, Kap. 13 und Kap. 18. 249 Vgl. Wartenberg, Städtische Theologen, 108 f. 250 Vgl. Wartenberg, Melanchthon, 82 und Scheible, Anm. 317, in: Camerarius, Das Leben Melanchthons, 209. 248
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Visitatoren, daß vor allem in den Klöstern hinsichtlich des Gebrauchs des Abendmahls in beiderlei Gestalt viele von Gewissensnöten geplagt waren. Da man niemanden zum Laienkelch zwingen wollte, riet Melanchthon in seinen »Articuli« von 1527 dazu, die Schwachen unter anderem bei der Einführung des Laienkelchs eine gewisse Zeit zu schonen – ein Zugeständnis, das mit Luthers Billigung auch Eingang in den »Unterricht der Visitatoren« von 1528 fand.251 Eine entsprechende Haltung nahm Melanchthon auch beim Augsburger Reichstag 1530 ein, wo er in den Ausschußverhandlungen gemeinsam mit den anderen protestantischen Delegierten das Angebot unterbreitete, den Menschen auch in evangelischen Gemeinden zu ermöglichen, unter einer Gestalt zu kommunizieren, und zusagte, keinen zu verdammen, der das Abendmahl unter einer Gestalt empfange.252 In seinem »Consilium ad Gallos« aus dem Jahr 1534 knüpfte er an diese Zusagen an und forderte, in der Frage des Laienkelchs solle kein Teil den anderen verdammen.253 Vergleichbare Ratschläge und Zugeständnisse erneuerte Melanchthon auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten, wobei er immer wieder deutlich machte, daß der Kelchentzug zwar gegen die Einsetzung, die Verwendung beider Gestalten als äußerliche Zeremonie jedoch dispensierbar sei.254 Diese Haltung Melanchthons hatte unter anderem zur Folge, daß sich ein nicht näher bekannter Schulmeister aus Borna 1542 auf ihn berief, um seine Auffassung zu stützen, der Abendmahlsgenuß sei ein Adiaphoron.255 Derartige Vorkommnisse waren sicher mit dafür verantwortlich, daß Melanchthons Ratschläge zum Laienkelch immer wieder heftig kritisiert wurden. Erstmals begegnete derartige Kritik im Zusammenhang der Visitation 1527: Kurfürst Johann von Sachsen äußerte Bedenken, ob ein seelsorglicher Rat wie das Zugeständnis an die Schwachen, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu empfangen, wie von Melanchthon und Luther vorgeschlagen, wirklich in eine offizielle Schrift wie den »Unterricht« aufgenommen werden 251
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.1.3. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.4.5.2 b) und Kap. 1.4.5.2 c). 253 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 254 Vgl. z. B. Melanchthon an einen Unbekannten 24. 2 . 1529 [MBW 758; MBW T 3, 453, Z. 3 ff.]; das gemeinsam mit Jonas und Luther verfaßte Gutachten für Johann von Sachsen vom 4./5. 8. 1531 [MBW 1175; MBW T 5, 154–162; hier 159, Z. 77 ff.]; den Brief an Joachim II. von Brandenburg 23. 4. 1532 [MBW 1234; MBW T 5, 273–275; hier 274, Z. 4 ff.] und das Gutachten für ihn von Mai 1532 [MBW 1248; MBW T 5, 292–294; hier 292, Z. 1 ff.]; die Briefe an einen Unbekannten 1. Hälfte 1533 [MBW 1341a; MBW T 5, 455 f.] und an einen Hauptmann aus dem Jahr 1535 [MBW 1683a; MBW T 6, 560–563; hier 562, Z. 75 ff.]; das gemeinsam mit Bucer in Regensburg vorgebrachte Gegenvotum vom 26. 5. 1541 [MBW 2710; MBW T 10, 222–224; hier 224, Z. 62 ff.] und das Gutachten für den Kölner Erzbischof Hermann von Wied von Dezember 1544 [MBW 3775; MBW T 13, 581– 593; hier 590, Z. 248 ff.]; zu den 1537 gegenüber Schenck geäußerten Ratschlägen im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 7. 255 Vgl. Melanchthon an Spalatin 31. 3. 1542 [MBW 2919; MBW T 11, 112, Z. 2 ff.]. 252
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solle.256 Im Jahr 1530 sprachen sich zahlreiche Kritiker gegen die Zugeständnisse der protestantischen Delegierten aus, so zum Beispiel Martin Meglein, Gereon Sailer und Matthäus Alber. Und Luther stellte klar, daß man allenfalls eine Zusage wie im »Unterricht« von 1528 machen könne, daß man jedoch nicht zugestehen dürfe, das Abendmahl auch in protestantischen Gebieten unter einer Gestalt zu reichen, wie es der protestantische Vorschlag getan hatte.257 An dieser Ablehnung hielt Luther auch im Zuge der Beratungen im Vorfeld des Bundestages von Schmalkalden 1537 fest, als Melanchthon Nachgiebigkeit beim Laienkelch ins Gespräch brachte und vorschlug, diejenigen nicht zu verdammen, die das Abendmahl in fremden Ländern noch unter einer Gestalt nähmen, weil ihnen das Evangelium noch nicht frei gepredigt werde.258 Luther wertete derartige Ratschläge Melanchthons als zusätzliches Indiz für seine unklare Haltung zur Realpräsenz.259 Die Forderung in Melanchthons Gutachten aus dem Jahr 1534, in der Frage des Laienkelchs dürfe kein Teil den anderen verdammen, erregte den Widerspruch des sächsischen Kufürsten Johann Friedrich, der ähnliche Kritik auch in den kommenden Jahren äußerte.260 Im Jahr 1537 brachte auch Schenck Zweifel an der Haltung Melanchthons vor, die ihm in persönlichen Briefen und im »Unterricht« begegnet war, weil er in Sorge war, Altgläubige in evangelischen Gebieten könnten unter Berufung auf derartige Aussagen das Abendmahl unter einer Gestalt verlangen. Im Gegensatz zu Melanchthon war er der Auffassung, man müsse predigen und lehren, daß ein Gebrauch des Sakraments unter einer Gestalt gegen die Schrift sei und daher niemandem erlaubt werden dürfe. Zudem sorgte er sich darum, daß sich das Abendmahl durch Ratschläge wie die von Melanchthon zu einer dispensierbaren Zeremonie entwickle – ein Vorwurf, der ähnlich auch im Zusammenhang mit Melanchthons Abendmahlslehre immer wieder aufgetaucht war.261 Neben der Sorge um das richtige Verständnis des Abendmahls war für die Kritik an Melanchthons Zugeständnissen beim Laienkelch sicher vor allem dessen Symbolwert ausschlaggebend. Der Laienkelch war schon »das zentrale Symbol der böhmischen Hussiten gewesen«, durch das »eine Praxis der mittelalterlichen Kirche rückgängig gemacht« worden war, »die sich im hohen Mittelalter aus Scheu vor dem Sakrament entwickelt hatte, als Laien sich Sorgen gemacht hatten, den zum Blut Christi verwandelten Wein zu verschütten und sich damit an Christus selbst zu versündigen. Diese Sorgen waren lange vorbei – für die 256
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a) Johann von Sachsen. Vgl. zur Kritik des Jahres 1530 im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.3. 258 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 5. 259 Vgl. den Bericht Brücks über ein Gespräch mit Luther in der Beilage zu seinem Brief an Johann Friedrich von Sachsen 10. 10. 1537 [Vetter, Luthers Stellung, 103 f., Nr. 1; hier 103]. 260 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1, Kap. 6 und Kap. 7. 261 Vgl. zu Schencks Vorwürfen im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 7; zur Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre oben Kap. 1.1.5.2 c). 257
I. Systematisierung der gegen Melanchthon erhobenen Vorwürfe
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Hussiten und nun auch für die Wittenberger war der Entzug des Kelches für die Laien ein Ausdruck der hierarchisierten Kirche, die sie ablehnten«.262 Auf diesem Hintergrund wird verständlich, warum vielen Lutherischen ein Nachgeben beim Laienkelch als unangemessen erschien und mehr als bei anderen Fragen auch Fürsten in die Kritik einstimmten, da sie sich für eine einheitliche Praxis in ihrem Gebiet verantwortlich fühlten. 2.4.3 Das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion Die Ansichten der Protestanten über die Frage, welche Rolle den altgläubigen Bischöfen bzw. Bischöfen überhaupt in der Kirche zukommen sollte, waren gespalten. Viele wollten zur Sicherung der kirchlichen Ordnung das Bischofs amt (mit Beschränkung auf seine geistlichen Aufsichtsfunktionen) beibehalten und diese Aufgabe nicht in die Hände weltlicher Herrscher geben – in bezug auf die altgläubigen Bischöfe natürlich nur unter der Voraussetzung, daß diese die freie Verkündigung des Evangeliums nicht behinderten.263 Andere plädierten dafür, die Sorge um die Ordnung der Kirche den Fürsten bzw. anderen weltlichen Herrschern zu überlassen – eine Position, die vor allem von weltlichen Machthabern selbst vertreten wurde, so zum Beispiel von verschiedenen Reichsstädten und von Philipp von Hessen, in dessen Gebiet die Jurisdiktionsgewalt der Bischöfe bereits 1529 offiziell aufgehoben wurde.264 Melanchthon war zeit seines Lebens Anhänger einer episkopalen Ordnung (politia ecclesiastica), ohne die er ein Abgleiten der Kirche in die Tyrannei befürchtete, und vertrat diese Meinung, wo immer er gefragt war – trotz aller Kritik.265 Da es sich bei der Frage der bischöflichen Gewalt um ein zentrales Thema handelte, war es immer wieder auch Gegenstand von Verhandlungen mit den Altgläubigen, 262
Leppin, Luther, 194. Vgl. neben den verschiedenen »evangelischen« Bischöfen der Reformationszeit z. B. den von Melanchthon verfaßten Brief Joachims II. von Brandenburg an Sigismund I. von Polen ca. 20. 10. 1539 [MBW 2291; MBW T 8, 560–565; hier 561, Z. 13]; Tröger, Bischof, 690 ff. und Hauschild, Bischof, 1617. 264 Vgl. zur Haltung weltlicher Machthaber das Gutachten von Luther, Jonas, Bugenhagen, Cruciger und Melanchthon für Johann Friedrich von Sachsen vom 18. 1. 1540 [MBW 2352; MBW T 9, 65–84; hier 81, Z. 424 ff.]: »Wenn gleich die bischoffe die rechte lahr annemen, die selbige zu fuddern und tuchtige personen dazu zu halden sich erbieten, so werden doch villeicht die grossen stett und ettlich fursten nicht gern leiden, das ihnen widerumb ein iurisdiction eingereumbt solt werden«; zur Stellung Hessens im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1, bes. Anm. 616 und Sell, Melanchthon und die Reformation, 67. 265 Vgl. z. B. das gemeinsam mit Luther und Jonas verfaßte Gutachten für Johann von Sachsen vom 4./5. 8. 1531 [MBW 1175; MBW T 5, 154–162; hier 160, Z. 106 ff.]; Melanchthon an Erasmus 25. 10. 1532 [MBW 1287; MBW T 5, 353 f.; hier 354, Z. 22 f.]: »Conor . . . in honorem adducere τὸ ἀξίωμα τῆς πολιτείας ἐκκλησιαστικῆς« und an Cricius 27. 10. 1532 [MBW 1288; MBW T 5, 355 f.; hier 356, Z. 28 f.] und die Vorrede zu einer Schrift über das Konzil von August 1533 [MBW 1354; MBW T 5, 471–474; hier 473, Z. 60 f.]; zur Charakterisierung der Ansicht Melanchthons auch den Brief von Erasmus an ihn 6. 9. 1524 [MBW 341; MBW T 2, 171, Z. 76 f.]. 263
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bei denen es konkret um ein Verbleiben der Protestanten unter der (äußerlichen) Herrschaft der Bischöfe bzw. um eine Rückkehr unter dieselbe ging, das heißt um die Anerkennung ihrer Zuständigkeit für Visitationen und Ordinationen, ihrer Kompetenz, über bestimmte Adiaphora zu entscheiden, die Handhabung des Bannes und die Gerichtsbarkeit, insbesondere in Ehefragen; 266 daneben spielten auch Besitzgarantien für die Bischöfe eine Rolle. Als Verhandlungsthema ist die bischöfliche Jurisdiktion zwar bereits beim Speyerer Reichstag 1529 erwähnt,267 entscheidend wurde sie allerdings erst ein Jahr später im Rahmen des Augsburger Reichstags. Ein mögliches Nachgeben in dieser Frage war neben dem Zugeständnis bestimmter Zeremonien zentraler Teil des kursächsischen Kompromißprogramms, auf das sich die Wittenberger Theologen im Vorfeld des Reichstags verständigt hatten, und wurde auch von anderen Protestanten wie zum Beispiel Brenz unterstützt.268 Vor allem gegenüber Vertretern der Altgläubigen war es Melanchthon wichtig zu betonen, daß die Protestanten kein Interesse an einer Auflösung der bischöflichen Herrschaft in der Kirche hatten, sondern bereit waren, sich der Jurisdiktion der Bischöfe zu unterstellen – entsprechend äußerte er sich zum Beispiel auch in seinem »Consilium ad Gallos« aus dem Jahr 1534.269 In den Jahren danach scheint Melanchthon allerdings zunehmend an der Möglichkeit einer Verwirklichung seines Ideals mit den gegenwärtigen Bischöfen gezweifelt zu haben; das beweisen die Aussagen in seinem »Tractatus de potestate Papae«, den er im Auftrag des Schmalkaldischen Bundestags 1537 verfaßt hatte, und in anderen Veröffentlichungen.270 Bei den Religionsgesprächen 1540/41 versicherte Melanchthon zwar Vertretern der Altgläubigen wie dem kaiserlichen Unterhändler Granvella und Kaiser Karl V. wieder, die Protestanten ließen die politische Stellung der Bischöfe um der Ordnung willen unangetastet, machte dieses Zugeständnis aber davon abhängig, daß die Bischöfe ihre Aufgaben ernst nähmen, das heißt vor allem reine 266
Vgl. allgemein zur Unterscheidung zwischen äußerlicher und innerlicher Amtsgewalt Melanchthons undatierte Postille zum 5. Sonntag nach Epiphanias [CR 24, 365–376; hier 370]: »Duplex est potestas ministerii: alia Ordinis, alia Iurisdictionis. Potestas ordinis est mandatum Christi ad docendum Evangelium, et administranda Sacramenta. Potestas iurisdictionis est iudicium de externis et notoriis delictis«. 267 Vgl. Melanchthon an Reiffenstein (?) nach 14. 5. 1529 [MBW 780; MBW T 3, 503– 507; hier 505, Z. 23 f.]. 268 Vgl. die Belege im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1, Anm. 613, Anm. 614 und Anm. 618 und die grundsätzlichen Aussagen zum Bischofsamt in CA 28 [BSLK, 396– 402]. 269 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zur bischöflichen Jurisdiktion im »Consilium ad Gallos« (vor 1. 8. 1534, MBW 1467) insbesondere MBW T 6, 134, Z. 29 ff. (1. Fassung) bzw. 144, Z. 30 ff. (2. Fassung) und im Brief an du Bellay (1. 8. 1534, MBW 1469) MBW T 6, 173, Z. 12 f. 270 Vgl. Melanchthons »Tractatus« von 1537 [BSLK, 489–496] und die Vorrede zu seinem Römerbrief kommentar für Philipp von Hessen 1. 1. 1540 [MBW 2336; MBW T 9, 27–32; hier 30, Z. 86 ff. und 32, Z. 155 ff.].
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Lehre und Reformen zugestünden und förderten.271 Als immer deutlicher wurde, daß die meisten Bischöfe keine Anstalten machten, sich entsprechend zu verhalten, riet auch Melanchthon dazu, über die Jurisdiktion erst zu verhandeln, sollte eine Einigung in zentralen Lehrfragen erzielt worden sein – eine Voraussetzung, die Luther bereits 1530 im Blick auf die Adiaphora angemahnt hatte272 –, und äußerte den Wunsch, die Fürsten möchten doch geeignete Bischöfe an die Stelle der gegenwärtigen setzen.273 Trotz und neben seiner kritischen Sichtweise der amtierenden Bischöfe274 hielt Melanchthon allerdings an seinem Ideal fest und wollte die Hoffnung nie ganz aufgeben, daß sich durch das Zugeständnis der Jurisdiktion an die Bischöfe doch noch Frieden erreichen lasse. Zudem äußerte er sich in den 1540er Jahren auch zunehmend kritisch über das fürstliche Eingreifen in die kirchliche Organisation.275 In den Diskussionen um das »Augsburger Interim« und seine Umsetzung erklärten Melanchthon und seine Kollegen durchweg ihre grundsätzliche Bereitschaft, den Altgläubigen neben Zeremonien auch bei der bischöflichen Jurisdiktion entgegenzukommen – unter der Bedingung, daß rechte Lehre und Gottesdienst erhalten blieben, keine Wiederaufrichtung von Mißbräuchen verlangt werde, die der rechten Lehre zuwider seien, und die Bischöfe nicht widergöttlich Recht
271 Vgl. Melanchthon an Granvella 22. 12. 1540 [MBW 2596; MBW T 9, 575–578; hier 576, Z. 7 ff. und 577, Z. 62 ff.] und an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204; hier 201, Z. 7 f.]; sein mit Bucer verfaßtes Gegenvotum zu Artikel 19 des Regensburger Buches vom 26. 5. 1541 [MBW 2707; MBW T 10, 217–219; hier 218, Z. 37 ff.]; seine Denkschrift für Karl V. vom 12. 7. 1541 [MBW 2752; MBW T 10, 369–391 passim]; die Vorrede zu den Gegenvoten des Regensburger Gesprächs von September 1541 [MBW 2817; MBW T 10, 517–524; hier 521, Z. 123 ff.] und im Rückblick das fragmentarische Gutachten über das Konzil aus der zweiten Dezemberhälfte 1542 [MBW 3117; MBW T 11, 369–373; hier 372, Z. 76 ff.] und den Brief an Mordeisen 11. 6. 1559 [MBW 8980; CR 9, 832 f., Nr. 6771; hier 832]. 272 Vgl. Melanchthons Gutachten für Moritz von Sachsen ca. 4. 1. 1542 [MBW 2868; Regest bei Scheible, MBW R 3, 249 f.; hier 249] und oben Kap. 2 .4.1; zu dieser Voraussetzung als Maßgabe für Verhandlungen mit den Altgläubigen auch Luther, Jonas, Bugenhagen und Melanchthon an Johann Friedrich von Sachsen 7. 1. 1540 [MBW 2346; MBW T 9, 51– 55; hier 53, Z. 36 ff.]; ihr Gutachten für die Nürnberger Prediger vom 17. 2 . 1540 [MBW 2376; MBW T 9, 121–132; hier 129, Z. 160 ff.] und das Gutachten von Luther, Bugenhagen, Cruciger, Maior und Melanchthon für Johann Friedrich von Sachsen vom 14. 1. 1545, die sogenannte Wittenberger Reformation [MBW 3793; CR 5, 578–606, Nr. 3114; hier 585 und 598]. 273 Vgl. die von Melanchthon verfaßte Vorrede Dietrichs zu Luthers Micha-Kommentar für Amsdorf vom 22. 10. 1542 [MBW 3070; MBW T 11, 300–304; hier 302, Z. 61 f.]. 274 Vgl. Melanchthon an Mathesius 10. 11. 1547 [MBW 4955; CR 6, 723 f., Nr. 4067; hier 723] und an Moller 6. 12. 1547 [MBW 4981; CR 7, 230 f., Nr. 4 420; hier 231]. 275 Vgl. z. B. Melanchthon an Caesarius 25. 7. 1543 [MBW 3282; MBW T 12, 278 f.; hier 279, Z. 40 ff.] und seine Gutachten für Johann Friedrich von Sachsen vom 24. 4. 1545 [MBW 3890; CR 5, 744 f., Nr. 3179; hier 744], für Georg von Anhalt vom 17. 11. 1546 [MBW 4451; CR 6, 312, Nr. 3654] und für Georg und Johann von Anhalt vom 17./18. 1. 1547 [MBW 4556; Stupperich, Melanchthons Gedanken, 93–95, Anhang 1; hier 94].
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sprächen.276 Angesichts des Verhaltens der Bischöfe äußerte Melanchthon allerdings auch Zweifel an der Umsetzbarkeit dieser Forderungen und übte teilweise heftige Kritik an ihnen.277 Ob wegen der heftigen Kritik im Zusammenhang des Adiaphoristischen Streits, über die sogleich berichtet wird, oder aus anderen Gründen – was wahrscheinlicher ist – kam in den 1550er Jahren auch Melanchthon zunehmend von seiner Forderung ab, die Herrschaft in der Kirche den altgläubigen Bischöfen zu überlassen, und riet im Anschluß an Luther zur Einrichtung eigener Kirchengerichte (consistoria), die über Ehesachen und Bann entscheiden sollten.278 Kritik an Melanchthons Haltung zur bischöflichen Jurisdiktion begegnete erstmals im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 und wurde sowohl von grundsätzlichen Befürwortern wie von Gegnern eines Nachgebens in diesem Punkt geäußert, konkret von Luther und von Vertretern Hessens (Erhard Schnepf, Landgraf Philipp und andere) und Lüneburgs sowie der Städte Nürnberg (Baumgartner, Lazarus Spengler, Johann Hepstein, Osiander und andere), Reutlingen (Alber), Schwäbisch Hall (Eisenmenger) und Straßburg (Bucer und andere). Dabei entzündete sich die Kritik in erster Linie an den Aussagen des Vorschlags, mit dem die protestantischen Delegierten im Vierzehnerausschuß am 20. August auf den altgläubigen Vorschlag geantwortet hatten. Es ist nachvollziehbar, daß die Protestanten, die grundsätzlich für eine Abschaffung des bischöflichen Amtes waren – wie zum Beispiel Philipp von Hessen oder Alber –, das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion rundweg ablehnten. Aber auch viele derjenigen, die sich eine Wiederherstellung der bischöflichen Gewalt prinzipiell vorstellen konnten, griffen Melanchthon und seine Mitstreiter an und begründeten ihre Haltung folgendermaßen: Da die amtierenden Bischöfe keine guten Hirten, sondern lediglich Wölfe, Mörder und Unterdrücker des Wortes Gottes seien, sollte man sich ihrer Herrschaft nicht unterstellen oder ihnen die Macht über andere Menschen und die Sorge für das Wort Gottes 276
Vgl. die Belege im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .1 und Kap. 3.1; zudem die Erklärung der kursächsischen Theologen vom 18. 10. 1548 [MBW 5333; CR 7, 174–178, Nr. 4389; hier 175]. 277 Vgl. z. B. das Gutachten von Bugenhagen, Cruciger und Melanchthon für den Goslarer Rat 8. 3. 1548 [MBW 5076; Regest bei Scheible, MBW R 5, 252 f.; hier 253]; Melanchthons Gutachten für Moritz von Sachsen vom 29. 4. 1548 [MBW 5141; CR 6, 888–890, Nr. 4220; hier 889] und seinen Brief an Buchholzer 6. 11. 1549 [MBW 5674; Kawerau, Nachträge, 71, Nr. 111]. 278 Vgl. den Briefwechsel zwischen den hennebergischen Grafen Wilhelm und Georg Ernst und den Wittenberger Theologen: die Anfrage der Grafen an Melanchthon vor 8. 9. 1551 [MBW 6196; Dersch, Henneberg, 31–33, Nr. 4 ]; Melanchthons Antwort an die Grafen 8. 9. 1551 [MBW 6198; CR 7, 1173 f., Nr. 5301]; Bugenhagen, Maior und Melanchthon an die Grafen 30. 11. 1551 [MBW 6267; CR 7, 1174 f., Nr. 5302] und das Gutachten von Melanchthon und Sarcerius für die Grafen vom 12. 2 . 1552 [MBW 6345; CR 7, 1176–1178, Nr. 5303]. Das Konsistorium wurde allerdings erst 20 Jahre später eingerichtet (vgl. Herrmann, Thüringische Kirchengeschichte 2, 107). Vgl. zudem Melanchthons Aussagen im »Frankfurter Rezeß« vom 18. 3. 1558 [CR 9, 489–507, Nr. 6483; hier 502 f.].
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anvertrauen. Vom Zugeständnis der Jurisdiktion an sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt befürchteten die Kritiker die Unterdrückung des Evangeliums und die Aufrichtung und Stärkung alter Mißbräuche und damit der päpstlichen Macht und Herrschaft insgesamt.279 Weitere Kritik an Melanchthons Nachgeben bei der bischöflichen Jurisdiktion wurde 1534/35 in Basel und Konstanz im Hinblick auf sein »Consilium ad Gallos« laut. Ein solches Zugeständnis erschien den städtischen Kritikern als Rückschritt, und auch sie verwiesen darauf, daß man den gegenwärtigen Bischöfen nicht trauen könne.280 Als Melanchthon und seine kursächsischen Kollegen das Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion 1548 im Zuge der Diskussionen um das »Augsburger Interim« erneuerten, erregte dies wiederum Kritik, und zwar bei Amsdorf, Ratzeberger, Corvinus, Flacius, Gallus, Zwilling und Schultes, wobei die Begründungen für die Vorwürfe dieselben waren wie 1530 und 1534.281 Da Melanchthon in den folgenden Jahren seine Meinung zur Frage der bischöflichen Jurisdiktion änderte, begegneten keine dementsprechenden Vorwürfe mehr, allerdings blieb das Thema kirchliche Organisation innerhalb des Protestantismus auch in den 1550er Jahren sensibel. Dies zeigen die kritischen Äußerungen verschiedener Protestanten in bezug auf Melanchthons Rat zur Einrichtung von Kirchengerichten. Anfragen dazu erhoben 1551 der hennebergische Graf Georg Ernst (1511–1583), der in Sorge war, die von Melanchthon empfohlene Einrichtung eines kircheninternen Gerichts könne als »papistischer Sauerteig« und als Verkürzung der Gewalt der Obrigkeit verstanden werden,282 und 1558 die sächsischen Herzöge im Hinblick auf Melanchthons Aussagen zu Kirchengerichten im »Frankfurter Rezeß«.283 Überblickt man die Kritik an Melanchthons Haltung zur bischöflichen Jurisdiktion, so läßt sich zusammenfassend festhalten, daß es unter den Kritkern sehr unterschiedliche Motivationen gab. Einige Kritiker standen dem Konzept einer episkopalen Ordnung der Kirche grundsätzlich skeptisch und ablehnend gegenüber und lehnten Melanchthons Aussagen aus diesem Grund ab. Diese Kritiker entstammten zum großen Teil Reichsstädten, die durch Melanchthons Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion ihre gerade erst erkämpfte Unabhängigkeit vom jeweiligen Bischof und damit die weitere Durchführung der Reformation gefährdet sahen.284 Melanchthons eigene Erklärung für derartige Vor279
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1. Vgl. zur Kritik von Morelet du Musseau, Zwick, T. und M. Blarer im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 281 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2, Kap. 2 .2.2 und Kap. 3.2.2.4 b). 282 Vgl. Georg Ernst von Henneberg an Bugenhagen, Maior und Melanchthon ca. Mitte Dezember 1551 [MBW 6282; referiert bei Weinrich, Henneberg, 296]: Anfrage, »ob durch dergleichen Consistorium nicht etwas entstehe, das nach Papistischen Sauer-Teige schmecke; und nicht dadurch der Obrigkeit Arm verkürtzet werde«. 283 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. 284 Vgl. zu derartigen Hintergründen bei den zeitgenössischen Kritikern im Darstellungs280
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Teil 2: Auswertung
würfe, daß nämlich die Kritiker dem Volk und den (ihrerseits an der Macht interessierten) Fürsten nach dem Mund redeten,285 greift zu kurz. Andere Kritiker wollten das Bischofsamt bzw. eine ihm entsprechende Institution zwar prinzipiell auch für die neu entstehende protestantische Kirche erhalten, waren jedoch skeptisch hinsichtlich der für solch ein Angebot notwendigen Voraussetzungen – das heißt konkret die Amtsführung der amtierenden Bischöfe – und seine Umsetzbarkeit und befürchteten daher eine negative Symbolwirkung solch eines Zugeständnisses in der einfachen Bevölkerung. Zudem war das Zugeständnis sicher deshalb vielen suspekt, weil sie wußten, daß es den Altgläubigen überaus wichtig war und von ihnen nur allzu gern, jedoch ohne Gegenleistungen angenommen werden würde.286 2.4.4 Das Zugeständnis der weltlichen Autorität des Papstes Eng verbunden mit der Frage der bischöflichen Jurisdiktion war für Melanchthon die Frage einer möglichen Anerkennung der Oberhoheit des Papstes über die Bischöfe iure humano, wenn dadurch Frieden und Einigkeit befördert werden könnten – auch dies freilich unter der Bedingung, daß das reine Evangelium zugelassen werde und die Frommen nicht zu gottlosen Praktiken gezwungen würden. Eine entsprechende Position vertrat Melanchthon 1530 in Gesprächen und Verhandlungen mit Vertretern der Altgläubigen, 1534 in seinem »Consilium ad Gallos«, 1537 in den Beratungen über die »Schmalkaldischen Artikel« Luthers und in den Diskussionen um das »Augsburger Interim« 1548.287 Diese Einstellung hinderte ihn allerdings nicht daran, die Autorität des Papstes bzw. seines Vertreters bei den Religionsgesprächen 1540/41 zu bestreiten und die Mißstände der weltlichen Herrschaft des Papstes anzuprangern.288 Kritik an der Haltung Melanchthons zur Autorität des Papstes wurde erstmals 1530 geäußert, allerdings nicht in bezug auf seine Verhandlungsposition gegenüber den Altgläubigen – was damit zusammenhängen könnte, daß diese nicht nach außen gedrungen war –, sondern im Blick auf fehlende Aussagen der CA teil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1 (am Ende); Moeller, Zwick, 173 f. und Höss, Melanchthon, 28. 285 Vgl. Melanchthon an Mordeisen 11. 6. 1559 [MBW 8980; CR 9, 832]: »Lapidatus sum . . . ab iis, qui et principibus et vulgo scelerate assentantur«. 286 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1 (am Ende). 287 Vgl. im Darstellungsteil zu 1530 Abschnitt II, Kap. 1.2.6.1, Kap. 1.3.4.4 und Kap. 1.4.5; zu 1534 Abschnitt III, Kap. 1 und im »Consilium ad Gallos« (vor 1. 8. 1534, MBW 1467) insbesondere MBW T 6, 134, Z. 18 ff. und Z. 29 ff. (1. Fassung): »Concedunt nostri . . . quod Romanus pontifex praeest omnibus episcopis. Hanc canonicam politiam . . . nemo prudens improbat . . ., si intra fines suos maneat, hoc est, si pontifex et episcopi non abutantur authoritate sua ad opprimendam veram doctrinam«; Melanchthons Sondervotum 1537 ist zitiert in Abschnitt III, Kap. 5, Anm. 98; zu 1548 Abschnitt IV, Kap. 2 .1 und Kap. 3.1. 288 Vgl. Melanchthons »Protestatio« für das Wormser Religionsgespräch vom 22. 10. 1540 [MBW 2533; MBW T 9, 429–433; hier 431, Z. 50 ff.] und seine Denkschrift für Karl V. vom 4. 6. 1541 [MBW 2720a (ehemals 2715); MBW T 10, 264–275; hier 265, Z. 1 ff.].
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zur Charakterisierung des Papstes als Antichrist – dies wurde von Luther wie auch von anderen Protestanten moniert.289 1535 stießen sich Thomas Blarer und Zwick neben Zeremonien und bischöflicher Jurisdiktion an der Anerkennung des Papstes, unter anderem mit dem Argument, daß von ihm nur Schlechtes zu erwarten sei.290 An Melanchthons Sondervotum in den Beratungen 1537 nahm der sächsische Kurfürst Johann Friedrich Anstoß.291 Und erwartungsgemäß wurde Melanchthon auch im Zusammenhang des Streits um das »Augsburger Interim« wegen seiner Aussagen zum Papst angegriffen, und zwar von denselben Kritikern, die bereits am Zugeständnis der bischöflichen Jurisdiktion Anstoß genommen hatten, und mit denselben Argumenten.292 1551 ereiferte sich Amsdorf über den kursächsischen Beschluß, das Konzil zu beschicken und mit dem Papst zu verhandeln, weil er den Eindruck hatte, daß dadurch der Papst hofiert und zum Ausdruck gebracht werde, man solle neben dem Evangelium auch dem Papst und damit dem Antichristen gehorsam sein. Überhaupt fehlten ihm in der von Melanchthon verfaßten »Confessio Saxonica« Aussagen, die den Papst als Antichristen charakterisierten.293 Die Kritik, die Amerbach 1542 an Melanchthons Aussagen zum Primat des Papstes übte, läßt sich nicht mehr exakt rekonstruieren. Es ist jedoch sicher, daß sie einen völlig anderen Fokus hatte als die bisher genannten Vorwürfe; denn aus der Auseinandersetzung Melanchthons mit der Kritik Amerbachs in einem Brief an Brück wird zumindest so viel deutlich, daß es Amerbach um die bischöfliche Sukzession ging, also auch diese Kritik Amerbachs als Vorbotin seiner Konversion zum Katholizismus verstanden werden muß.294 2.4.5 Zugeständnisse bei den Klöstern Die Frage nach dem angemessenen Umgang mit Klöstern beschäftigte die Reformatoren von Anfang an. Im Zuge der evangelischen Bewegung und Luthers Kritik am Mönchtum verließen zahlreiche Mönche und Nonnen ihre Klöster, viele Klöster wurden aufgelöst und ihr Vermögen zur materiellen Absicherung von Reformen verwendet – ein Prozeß, der seit 1524 von den Obrigkeiten in verschiedenen reformatorisch orientierten Territorien und Städten systematisch 289
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 c) und Kap. 3.3.1.2. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zu Zwicks Kritik die Aussagen in seinem Brief an Bucer 28. 1. 1535 [Hottinger, Historia 7, 666–669; hier 668]: »Mihi vero nemo hominum persuaserit, authore Pontifice bene habituram Ecclesiam. Nonne ille homicida est Ecclesiae?«; zu den Vorwürfen Blarers die Zurückweisung Bucers in seinem Brief an Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 641–648, Nr. 529; hier 643]: »videmur [sc. Melanchthon et Bucer] . . . admittere conciliationem nostrorum cum pontifice«. 291 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 5. 292 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2, Kap. 2 .2.2 und Kap. 3.2.2.4 b). 293 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 7. 294 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 9. 290
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vorangetrieben wurde.295 Es gab allerdings auch viele Mönche und Nonnen, die der neuen Lehre skeptisch gegenüberstanden, was insbesondere bei Visitationen wie der kursächsischen im Jahr 1527 deutlich wurde. Bei solchen Klöstern plädierten Melanchthon und seine Mitvisitatoren dafür, sie nicht gewaltsam aufzulösen und ihre Insassen nicht zur Reformation zu zwingen, sondern ihnen die neue Lehre zu verkündigen und sie schrittweise an die Neuerungen heranzuführen.296 Ähnliche Überlegungen Melanchthons zu Zeremonien und Laienkelch klangen bereits an. Als die protestantischen Delegierten im VierzehnerAusschuß des Augsburger Reichstags 1530 auf Druck der Altgläubigen zusagten, die verbliebenen Nonnen und Mönche ihrer eigenen Verantwortung zu überlassen, ihnen ihre Zeremonien zu lassen und keine Gewalt gegen sie anzuwenden, stieß dies auf geteiltes Echo und rief insbesondere Kritik bei den Vertretern Nürnbergs und bei Luther hervor, die befürchteten, dieses Zugeständnis könne als Bestätigung der altgläubigen Messe verstanden werden und eine Wiederaufrichtung von Mißbräuchen, die erneute Verführung von Menschen und die Erschwerung weiterer Klosteraustritte zur Folge haben.297 2.4.6 Zugeständnisse bei der Messe Im Mittelpunkt der Reform des Gottesdienstes stand für die Protestanten von Anfang an die Abschaffung all dessen, was ihrer Ansicht nach dem Evangelium widersprach. Dazu zählten insbesondere die als Winkelmessen charakterisierten Privatmessen und die Meßkanones, in denen das (abgelehnte) Opferverständnis der Eucharistie besonders deutlich zum Ausdruck kommt.298 Diese Haltung teilte auch Melanchthon. Dennoch ließ er sich beim Augsburger Reichstag 1530 zusätzlich zu der bereits erwähnten Zusage, die Messen mit allen zugehörigen Zeremonien zu halten, aufgrund altgläubiger Forderungen auch auf die Überlegung ein, bei Privatmessen und Meßkanones nachzugeben, das heißt konkret, den Privatmessen nicht zu wehren und die Kanones mit Glossen zu versehen, um das protestantische Verständnis zu sichern.299 Allein das Nachdenken über solche Zugeständnisse erschien seinen Kritikern als unangemessene Nachgiebigkeit und wurde von Bucer, Luther, Meglein, Sailer, Obsopoeus und Camerarius angegriffen. Die Kritiker verwiesen auf die Gottlosigkeit solcher »Menschenlehren« und die Gefahr, durch eine Wiedereinführung von Privatmessen und Meßkanones die lutherische Lehre zu verleugnen und die päpstliche Lehre wieder aufzurichten. Bei der Ablehnung möglicher Glossen wurde zudem auf die Überforderung einfacher Menschen hingewiesen.300 295
Vgl. Hauschild, Reformation, 55 ff. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.1.2 und Kap. 4.1.3. 297 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.7. 298 Vgl. Cornehl, Gottesdienst, 54 ff. und Kaufmann, Abendmahl, 24. 299 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.4.8.1 und Kap. 1.4.8.2. 300 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.5 b). 296
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2.4.7 Zugeständnisse bei der Priesterehe Auch die Priesterehe und die Haltung zum Zölibat waren Fragen, bei denen bereits in den 1520er Jahren in Gestalt zahlreicher Klerikerheiraten öffentlichkeitswirksame Änderungen vorgenommen wurden, die die Menschen bewegten.301 Obgleich dieses Thema auch für Melanchthon zu den zentralen Änderungen der neuen Bewegung gehörte, machten er und seine Mitdelegierten im Vierzehner-Ausschuß des Augsburger Reichstags 1530 infolge altgläubiger Forderungen die Zusage, man werde sich bemühen, freiwerdende Pfarrstellen mit unverheirateten Priestern zu besetzen.302 Dieses Zugeständnis mißfiel insbesondere Sailer, Alber und den hessischen Theologen, die die Ausschußmitglieder auf ihre eigenen Schriften aufmerksam machten, in denen sie sich bisher gegen ein Verbot der Priesterehe ausgesprochen hatten. Wie bei den anderen Themen befürchteten die Kritiker auch hier eine Bestätigung des päpstlichen Mißbrauchs und Ärgernis im Volk.303 2.4.8 Zugeständnisse bei der Heiligenverehrung Ähnlich wie die bisher behandelten Themen war auch die Frage des rechten Umgangs mit den Heiligen von Anfang an strittig zwischen den Altgläubigen und Vertretern der reformatorischen Bewegung. Nach reformatorischer Auffassung war eine Anbetung und Anrufung der Heiligen als Vermittler zwischen Gott und den Gläubigen infolge der Konzentration der Soteriologie auf das solus Christus ausgeschlossen, man gestand ihnen lediglich eine Vorbildfunktion für das Leben der Gläubigen zu.304 Diese Meinung teilte auch Melanchthon.305 In den Ausschußverhandlungen des Augsburger Reichstags 1530 gestanden er und seine protestantischen Mitdelegierten allerdings neben dem Erhalt von Heiligengedenktagen und -festen, die zu den Adiaphora gerechnet wurden, zu, daß Engel und Heilige bei Gott für die Gläubigen eintreten, auch wenn mangels Schriftbeweis strittig blieb, ob man die Heiligen anrufen solle.306 Dieses Zuge301
Vgl. Price, Zölibat, 729 f. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.4.5.2 b). 303 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.6. 304 Vgl. Schulz, Heiligenverehrung, 664 f. 305 Vgl. zu Melanchthons Ablehnung der Heiligenanrufung z. B. das Gutachten der Wittenberger Theologen für Johann von Sachsen von ca. 27. 3. 1530 [MBW 883; MBW T 4/1, 95–109; hier 108, Z. 368 ff.]; Artikel 21 von CA und Apologie [BSLK, 83b–c und 316–326]; Melanchthons Gutachten für Johann von Sachsen vom 7./8. 9. 1530 [MBW 1070; MBW T 4/2, 664–671; hier 666 f., Z. 60 ff.]; Bucers und Melanchthons Gegenvotum zu Artikel 20 des Regensburger Buches vom 26. 5. 1541 [MBW 2708; MBW T 10, 219 f.]; Melanchthons Vorrede zum Bericht über die Religionsgespräche von Ende Dezember 1541 / Anfang Januar 1542 [MBW 2865; MBW T 10, 600–607; hier 605, Z. 124 ff.]; seinen Brief an Cruciger 9. 5. 1543 [MBW 3241; MBW T 12, 202 f.; hier 203, Z. 3 ff.] und Scheible, Melanchthon, 135. 306 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 1.4.5.1. 302
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ständnis stieß bei Bucer, den Nürnberger Theologen und wohl auch bei Luther auf Ablehnung, und sie wiesen darauf hin, daß es auch für die Fürbitte der Heiligen keinen Schriftbeweis gebe und man durch dieses Zugeständnis neben Christus weitere Mittler erhebe, was im Kirchenvolk zu Mißbräuchen und Verwirrung führen könne.307 Als sich Melanchthon in seinem »Consilium ad Gallos« 1534 ähnlich äußerte wie 1530, wurde er dafür erneut kritisiert, und zwar von Morelet du Musseau und den Geschwistern Blarer.308 2.4.9 Der Verzicht auf Aussagen zum Fegefeuer Die Lehre vom Fegefeuer wurde von den Reformatoren von Anfang an rigoros abgelehnt; so auch von Melanchthon. Als er sie 1530 in der »Confessio Augustana« aus taktischen Gründen ausließ, stieß dies bei Luther auf Kritik,309 was dazu führte, daß er sie in der Apologie im Artikel von der Buße erwähnte.310
2.5 Zusammenfassung Angesichts der Vielzahl und Heftigkeit der Vorwürfe, die in bezug auf Melanchthons kirchenpolitisches Agieren vorgebracht wurden, und angesichts ihrer immer wieder erfolgten Steigerung durch den Vorwurf des Verrats und die Annahme, Melanchthon könne von der Gegenseite bestochen worden sein,311 stellt sich abschließend die Frage, welche Gründe dafür verantwortlich gemacht werden können. Melanchthons eigene Charakterisierung der Kritik – die er in ähnlicher Weise auch im Blick auf den Vorwurf der Lehrabweichung vorbrachte312 –, er werde lediglich wegen seiner Milde und Vorsicht (moderatio, lenitas, timiditas, ἐπιείκεια ) kritisiert und weil er sich weniger heftig (minus vehementer, minus pertinaciter) als andere ausdrücke,313 reicht als Erklärung sicher nicht aus. 307
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 c) und Kap. 3.6.1.3. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 309 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.1 c). 310 Vgl. den 12. Artikel der Apologie [BSLK, 280, Z. 34 ff.]; zur Ablehnung des Fegefeuers auch Melanchthons Brief an Krzysztoporski zweite Hälfte 1539 [MBW 2333; MBW T 8, 661; hier Z. 10 ff.]. 311 Vgl. im Darstellungsteil zu 1527 Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2 (der Vorwurf des Verrats allerdings nur laut einem Bericht von Camerarius); zu 1530 Abschnitt II, Kap. 3.8.1.2; zu 1534 Abschnitt III, Kap. 1; zu 1540/41 Abschnitt III, Kap. 13.1 und zu 1548 Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.1, Kap. 3.2.2.2 und Kap. 3.2.2.5. 312 Vgl. oben Kap. 1.3.3 am Ende. 313 Vgl. z. B. Melanchthons Aussagen im Blick auf die Kritik im Rahmen der Visitation 1527 im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2, Anm. 259 und Kap. 4.2.2.4 a); hinsichtlich der Kritik beim Augsburger Reichstag 1530 Abschnitt II, Kap. 3.5.1.2, Anm. 553 und Anm. 563 und Kap. 4.1, Anm. 801; zur Kritik an seinem »Consilium ad Gallos« von 1534 Abschnitt III, Kap. 1, Anm. 27; im Blick auf die Kritik Schencks im Jahr 1537 Melanchthons Brief an Brenz 12. 10. 1537 [MBW 1952; MBW T 7, 533–535; hier 534, Z. 27 f.]; hinsichtlich der Kritik des kursächsischen Hofes Melanchthons Brief an Eber 26. 12. 1546 [MBW 4518; 308
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Es sind vielmehr folgende zwei Aspekte zu bedenken. Zum ersten ist zu berücksichtigen, daß die Altgläubigen von vielen Protestanten aufgrund schmerzlicher Erfahrungen in erster Linie als Gegner angesehen wurden – eine Sichtweise, die Verhandlungen und Kompromisse mit ihnen erschwerte. Melanchthons Hoffnung, daß man durch Nachgeben Einheit und Frieden erreichen könne, wurde nicht von sehr vielen geteilt. Zudem war bei zahlreichen Protestanten angesichts der konkreten Gegebenheiten und der unnachgiebigen Haltung der meisten Altgläubigen keine Bereitschaft zum Nachgeben vorhanden, auch wenn sie dies in einigen Fragen grundsätzlich für möglich hielten. Die Angst, von der Gegenseite über den Tisch gezogen zu werden, führte daher auf beiden Seiten dazu, daß ein kompromißloses Verhalten favorisiert und Kompromisse kategorisch abgelehnt wurden. Zum zweiten war im Blick auf die verhandelten Inhalte sicher ausschlaggebend, daß die meisten von ihnen zwar nicht zu den elementaren reformatorischen Lehrinhalten gehörten, jedoch einen hohen Symbolwert besaßen und ein (mögliches) Nachgeben in diesen Fragen daher verschiedenste Ängste auslöste: Angst um eine Gefährdung der (neu gewonnenen) christlichen Freiheit,314 um eine Stärkung der (soeben erst abgeschafften) päpstlichen Mißbräuche, um die Erschütterung der (noch nicht gefestigten) evangelischen Identität bei den Gläubigen und damit Angst um den Bestand der Reformation.315 Möglicherweise hat Melanchthon die Rolle von Äußerlichkeiten und die WirCR 6, 351 f., Nr. 3696; hier 351]; ohne konkreten Bezug die Briefe an Agricola 1. 2 . 1543 [MBW 3158; MBW T 12, 75 f.; hier 76, Z. 11 ff.]; an Johann von Anhalt 15. 1. 1547 [MBW 4553; CR 6, 364 f., Nr. 3708; hier 364] und an Buchholzer 4. oder 10. 2 . 1551 [MBW 5994; CR 7, 540 f., Nr. 4663; hier 541]. Dieser Sichtweise Melanchthons schlossen sich z. B. auch Camerarius in seiner »Vita Melanchthonis« (vgl. a. a. O., 320) und Örtel in seiner Grabrede für Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 196 und 202] an. 314 Entsprechend äußerten sich 1527 Albrecht von Mansfeld und Agricola im Blick auf Melanchthons Aussagen zu Traditionen, Buße und Gesetz im Zuge der Visitation (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.2). Beim Augsburger Reichstag 1530 wurde Schaden für die christliche Freiheit von vielen Kritikern aufgrund von Melanchthons Entgegenkommen bei bischöflicher Jurisdiktion, Adiaphora und Meßzeremonien erwartet (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.1, Kap. 3.6.2.2 und Kap. 3.6.2.5 a); 1534/35 aufgrund seiner Zugeständnisse bei verschiedenen Zeremonien im »Consilium ad Gallos« (vgl. zu dieser Kritik im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zu den Vorwürfen im einzelnen die Zurückweisungen Bucers in seinen Briefen an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 646]: »ferres [sc. Blarer] . . ., ut legibus, quas praescribimus, Gallia ad evangelii libertatem veniret, doles autem illis etiam Germanum orbem addici«; [647]: Aussage Blarers: »liberatos nos Germanos a foedissimo pontificis imperio autoritate divina et publico christianorum consensu« und an T. und M. Blarer ca. 8. 1. 1536 [Blaurer-BW 1, 772–776, Nr. 672; hier 772]: »nihil illis impositum volo, quod non imposuit illis ipse sponsus earum [sc. ecclesiarum]«); und ab 1549 ebenfalls im Blick auf das Entgegenkommen der »Leipziger Artikel« bei den Adiaphora (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 a). 315 Diese Ängste begegneten besonders im Rahmen des Augsburger Reichstags 1530 (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.5.1.2 a) bis Kap. 3.5.1.2 d), angesichts von Melanchthons »Consilium ad Gallos« von 1534 (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1, bes. Anm. 28) und im Zusammenhang der Umsetzung des »Augsburger Interims« ab 1548 (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.2 und Kap. 3.2.2.4 a).
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Teil 2: Auswertung
kung so mancher seiner Zugeständnisse unterschätzt.316 Seine Kritiker jedoch haben seine Fähigkeiten zum Ausgleich zu wenig gewürdigt.317
Kapitel 3: Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen hat bereits durch ihre Behandlung in einem eigenen Abschnitt eine Systematisierung erfahren. Das vorliegende Kapitel kann sich daher darauf beschränken, die Kritik noch einmal kurz zusammenzufassen. Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen wurde ab ca. 1532 vorgebracht und erreichte ihren Höhepunkt (ähnlich wie die Vorwürfe gegenüber seiner Theologie) im Jahr 1536.318 Neben inhaltlicher Kritik an der Astrologie Melanchthons319 äußerten seine Kritiker insbesondere Vorwürfe, die auf seine Einstellung und Haltung gegenüber der Astrologie und der mit ihrer Hilfe gewonnenen Vorhersagen und auf die Verbindung der Astrologie mit dem christlichen Glauben zielten, wobei diese von Spott bis zu Verhöhnungen reichten. Von Luther und Fabricius wurde ihm etwa vorgehalten, er sei der Astrologie allzu sehr ergeben und lasse sich zu stark von ungünstigen Voraussagen beeindrucken. Flacius wunderte sich über Melanchthons Beschäftigung mit der (seiner Ansicht nach nutzlosen) Deutung der Zukunft aus den Sternen und tat sich schwer, sie mit Melanchthons Bildung in Einklang zu bringen. Sozzini kritisierte Melanchthons Vertrauen auf die Sterne, weil er darin eine Konkurrenz zum Vertrauen auf Gott erblickte. Ähnliches wollten wohl die Kritiker sagen, die die Astrologie im allgemeinen (so Calvin) und Melanchthon im besonderen (so namentlich nicht bekannte Personen) als abergläubisch (superstitiosus) 320 bezeichneten.321 316
Vgl. Schäfer, Melanchthon zwischen den Konfessionen, 159. Vgl. Köpf, Melanchthon – Leben und Werk, 47. 318 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.1. 319 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .2.2. 320 Die Begriffe superstitio bzw. Aberglaube wurden in der Reformationszeit sehr häufig verwendet, vor allem zur Kennzeichnung der Gottlosen, der Mißbräuche der Papstkirche und als Begleiterscheinung des Teufels (vgl. zu Luther die in WA 68, 339 f. und WA 69, 9 verzeichneten Stellen). Auch Melanchthon benutzte die Begriffe, z. B. in seiner Beurteilung der römischen Kirche (vgl. oben Kap. 1.1.5.1; die Vorrede zu den »Loci« von Ende August / Anfang September 1541 [MBW 2799; MBW T 10, 487–494; hier 489, Z. 58] und seinen Brief an Camerarius 12. 4. 1548 [MBW 5118; CR 6, 850 f., Nr. 4198; hier 851]) und in Abgrenzung von falscher Anwendung der Astrologie (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 1.2.1). Im Lauf des 16. Jahrhunderts setzte sich der deutsche Begriff »Aberglaube« als Übersetzung des lateinischen superstitio durch, um vom Standpunkt des rechten Glaubens aus den verkehrten Glauben zu kennzeichnen (vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 1, 32; Küenzlen, Aberglaube, 55 und Schwegler, Wunderzeichenberichte, 42). 321 Vgl. zu all diesen Vorwürfen im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1 und Kap. 2 .2.1.3. 317
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Die Kritik an Melanchthons astrologischen Neigungen kam wohl bei den meisten Kritikern dadurch zustande, daß sie selbst der Astrologie ablehnend gegenüberstanden und deshalb kein Verständnis für Melanchthons Interesse daran auf bringen konnten.
Kapitel 4: Die Kritik an Melanchthons Umgang mit anderen Menschen Infolge seiner Tätigkeit als Professor der Wittenberger Fakultät und als Teilnehmer an zahlreichen Reichstagen und Verhandlungen der Reformationszeit hatte Melanchthon zeit seines Lebens mit den verschiedensten Menschen zu tun, seien es Kollegen, Schüler, Fürsten oder Gegner. Nachdem sein Verhältnis zu den Altgläubigen bereits thematisiert wurde,322 soll es im folgenden um seine Beziehungen zu den Menschen in seinem näheren Umfeld (4.1) und um seinen Umgang mit Andersdenkenden (4.2) gehen.
4.1 Melanchthons Verhältnis zu Menschen in seinem Umfeld 4.1.1 Martin Luther Luther war sicher einer der Menschen, mit denen Melanchthon in besonders intensivem Kontakt stand. Allerdings war ihr Verhältnis nicht ungetrübt, und so kam es immer wieder zu Reibereien und auch zu expliziter Kritik Luthers an Melanchthon in bezug auf verschiedene Lehrfragen und Melanchthons kirchenpolitisches Agieren, wie in den vorangehenden Kapiteln deutlich wurde.323 Neben dieser inhaltlichen Kritik wurden von unterschiedlicher Seite auch Vorwürfe geäußert, die das Verhältnis zwischen Luther und Melanchthon an sich problematisierten. Da gab es zunächst Äußerungen von Luther selbst, der nicht damit zufrieden war, wie Melanchthon ihn einschätzte. Als Melanchthon 1521 während Luthers Abwesenheit diese immer wieder beklagte und Luthers Unersetzlichkeit betonte, warf ihm dieser von der Wartburg aus vor, er überschätzte ihn in seiner Bedeutung.324 In ähnlicher Weise ärgerte sich Luther auch 1530 über Melanchthon und betonte von der Coburg aus sein Mißfallen über Äußerungen Melanchthons, er wolle der Autorität Luthers folgen, weil seine Kollegen dadurch den Anschein erweckten, als verträten sie in Augsburg lediglich die Sache Luthers und nicht auch ihre eigene.325 Sinn dieser kritischen Äußerungen Luthers war es, Melanchthon zu mehr Eigenständigkeit und Zutrauen zu ermuti322
Vgl. oben Kap. 2 . Vgl. die Zusammenstellung von Luthers Kritik unten Abschnitt II, Kap. 1.1.1.1. 324 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .1. 325 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.2.2.1. 323
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Teil 2: Auswertung
gen. Ähnliches wollte wohl auch Amerbach bezwecken, als er Melanchthon 1542 vorhielt, er unterstütze in knechtischer Verehrung fremde Irrtümer und das heißt wohl die Lehren Luthers.326 Weitere Kritik am Verhältnis zwischen Luther und Melanchthon wurde im Jahr 1548 geäußert, nachdem sich Melanchthon in seinem Brief an von Carlowitz über Luther und seine φιλονεικία – was entweder im Sinne von Streitsucht oder als Kompliment an Luthers Streitbarkeit verstanden werden kann – geäußert hatte. Von den protestantischen Kritikern wurde φιλονεικία ausschließlich negativ verstanden, und so erhoben sie folgende Vorwürfe: Ratzeberger und ähnlich Dietrich von Maltzan hielten Melanchthon vor, er wälze die Schuld für die aktuelle mißliche Lage auf Luther (und auf Gott) ab und bezeichne Luthers Eifer fälschlicherweise als Streitsucht. Einige Jahre später knüpfte Osiander an diese Kritik an und warf Melanchthon vor, er habe seinem Haß gegen Luther freien Lauf gelassen; zusätzlich behauptete er, Melanchthon habe Luther nur deshalb schlechtgemacht, um selbst berühmter zu werden.327 4.1.2 Die sächsischen Kurfürsten Vor allem aufgrund seiner Tätigkeit als Professor an der kursächsischen Universität Wittenberg fühlte sich Melanchthon dem kursächsischen Hof verpflichtet und wurde von den verschiedenen kursächsischen Fürsten regelmäßig als Berater in Anspruch genommen.328 Sein Verhältnis zu den Kurfürsten Friedrich, Johann und insbesondere Johann Friedrich war zwar nicht ungetrübt – vor allem Johann Friedrich trat immer wieder als Kritiker Melanchthons in Erscheinung,329 und es ist kein Geheimnis, daß auch Melanchthon dem kursächsischen Hof und seiner Politik kritisch gegenüberstand, dort stets Feinde vermutete und sich häufig unverstanden und ungerecht behandelt fühlte330 –, 326
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 9. Vgl. zur Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2.2.2; zum Verständnis von φιλονεικία Kap. 2 .1. 328 Vgl. zu Melanchthons Pflichtgefühl z. B. seine Briefe an Baumgartner 31. 10. 1524 [MBW 348; MBW T 2, 187–190; hier 188, Z. 21 ff.] und an Brück 27. 11. 1546 [MBW 4468; CR 6, 285, Nr. 3619]. 329 Vgl. die Zusammenstellung der Melanchthon-Kritik der kursächsischen Fürsten unten Abschnitt II, Kap. 2 .1. 330 Vgl. z. B. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a) Agricola; Melanchthon an Camerarius 10. 1. 1535 [MBW 1525; MBW T 6, 274–276; hier 276, Z. 24 f.]; an Baumgartner 21. 1. 1535 [MBW 1529; MBW T 6, 283 f.; hier 284, Z. 15 ff.]; an Camerarius 4. 10. 1535 [MBW 1638; MBW T 6, 467 f.; hier 467, Z. 11 ff.]; an Jonas 11. 10. 1535 [MBW 1644; MBW T 6, 476; hier Z. 5 ff.]; an Heresbach November 1535 [MBW 1667; MBW T 6, 513 f.; hier 514, Z. 22 ff.]; an Burchard 19./20. 1. 1536 [MBW 1690; MBW T 7, 40–45; hier 43, Z. 42 ff.]; an Jonas 5. 2 . 1537 [MBW 1843; MBW T 7, 334; hier Z. 12 f.]; an Baumgartner 15. 3. 1543 [MBW 3196; MBW T 12, 139 f.; hier 140, Z. 18 f.]; an Bucer 4. 11. 1543 [MBW 3364; MBW T 12, 407–409; hier 408, Z. 25 ff.]; an Menius 13. 2 . 1544 [MBW 3454; MBW T 13, 85 f.; hier 86, Z. 13 ff.]; an Baumgartner 20. 6. 1546 [MBW 4291; CR 6, 176 f., Nr. 3488; hier 177]; 327
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explizite Kritik an seinem Verhältnis zu den kursächsischen Fürsten wurde allerdings erst in der Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg geäußert, und zwar, als Melanchthon sich entschied, den neuen sächsischen Kurfürsten Moritz zu unterstützen und nach Wittenberg zurückzukehren. Dieses Verhalten wurde von vielen Protestanten als Untreue und Undankbarkeit gegenüber dem gefangenen Johann Friedrich und seinen Söhnen empfunden. Darüber hinaus wurde Melanchthon vorgeworfen, er spreche schlecht über seinen früheren Kurfürsten und über den Weimarer Hof und verbiete, daß für den Gefangenen gebetet werde.331 Melanchthons Brief an den Rat des neuen sächsischen Kurfürsten von Carlowitz von April 1548 und vor allem die darin geäußerte Kritik an Luther wurde von Ratzeberger als unangemessene Schmeichelei gegenüber den Mächtigen und als Form von Gotteslästerung gegeißelt.332 Agricola ging sogar so weit zu behaupten, Melanchthon habe Johann Friedrich um sein Land gebracht und plane dasselbe auch mit Moritz.333 4.1.3 Melanchthons Schüler Eine weitere Gruppe von Menschen, mit denen Melanchthon eng verbunden war, waren die Studenten der Universität Wittenberg. Melanchthon lag die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses sehr am Herzen, und er war stets bemüht, seine Studenten so gut wie möglich zu fördern und zu unterstützen, indem er sie zum Beispiel anderen Gelehrten empfahl oder für bestimmte Stellen vorschlug.334 Trotz dieses Bemühens blieb es nicht aus, daß er wegen seiner Empfehlungspraxis und seines Umgangs mit Studenten kritisiert wurde. Erstmals wurde derartige Kritik von Obsopoeus geäußert, der sich 1526 wohl bei der Vergabe von Stellen am Nürnberger Gymnasium übergangen gefühlt hatte. Er warf Melanchthon vor, er liebe nur das Seine und unterstütze ausschließlich seine eigenen Schüler; ihn dagegen habe er verraten und verletzt.335 1536 scheint ein ähnlicher Fall in Wittenberg aufgetreten zu sein; denn Melanchthon berichtete in einem Brief, Katharina Luther (1499–1552) habe von ihm verlangt, den Johannes Saxo Holstenius († 1561) zu protegieren, weil dieser beklagt habe, daß an Camerarius 23. 11. 1546 [MBW 4458; CR 6, 287 f., Nr. 3623; hier 287]; an Meienburg 20. 12. 1546 [MBW 4505; CR 6, 300 f., Nr. 3641; hier 301]; an Milichius 21. 12. 1546 [MBW 4507; CR 6, 324 f., Nr. 3668; hier 325] und an Baumgartner 23. 2 . 1547 [MBW 4601; CR 6, 398 f., Nr. 3744; hier 398]. 331 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1. 332 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.2 und oben Kap. 4.1.1. 333 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1. 334 Vgl. die zahlreichen Empfehlungsschreiben in Melanchthons Briefwechsel; zu seiner Hilfsbereitschaft im allgemeinen z. B. Gelenius an Melanchthon 15. 3. 1536 [MBW 1709; MBW T 7, 71–73; hier 72, Z. 16 f.]: »illa, quae in me contulisti, singulari naturae tuae bonitati ad iuvandos mortales expositissimae soli imputo« und Wriedt, Melanchthon, 285 ff. 335 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 3.
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Melanchthon die (nieder)sächsischen Studenten im Vergleich mit seinen oberdeutschen Landsleuten benachteilige.336 In ähnlicher Weise äußerte sich 1536/37 auch Cordatus; er hielt Melanchthon wiederholt vor, er gehe schlecht mit denen um, die er nicht so sehr möge.337 Die 1538 geäußerte Vermutung Melanchthons, Lemnius schmähe ihn, weil er einen anderen mehr gefördert habe als ihn,338 zeigt – unabhängig davon, ob sie zutraf oder nicht –, daß Melanchthon um die Kritik an seinem Umgang mit Studenten und an seiner Empfehlungspraxis wußte und stets mit neuerlichen Vorwürfen rechnete.
4.2 Melanchthons Umgang mit Andersdenkenden und Schwärmern und seine Haltung in innerprotestantischen Auseinandersetzungen Im Lauf der Reformationszeit gab es neben den Kämpfen mit Altgläubigen immer wieder innerprotestantische Streitigkeiten, und es kam zu Abspaltung von der reformatorischen Bewegung, mit denen sich diese auseinandersetzen mußte. Das erste Ereignis dieser Art war die sogenannte Wittenberger Bewegung in den Jahren 1521/22, die dadurch an Brisanz gewann, daß Luther weit entfernt auf der Wartburg saß und Melanchthon und seine Kollegen alleine mit den an sie gestellten Herausforderungen klarkommen mußten. Für Melanchthon hieß das konkret, Position zu beziehen zu den Neuerungsbestrebungen im Blick auf den Gottesdienst, die von den Wittenberger Augustinermönchen und von Karlstadt betrieben wurden, und zu den sogenannten Zwickauer Propheten, die mit dem Anspruch auftraten, ihre Lehren direkt von Gott empfangen zu haben. Aufgrund seines Verhaltens in dieser Zeit geriet Melanchthon bei den unterschiedlichsten Personen in die Kritik: Kurfürst Friedrich von Sachsen tadelte Melanchthon und seine Kollegen, weil sie nicht gegen die Mönche vorgegangen seien und die Vorgänge im Zusammenhang der Meßreform nicht (rechtzeitig) berichtet hätten. Melanchthons Unterstützung für die Reformen führte zudem dazu, daß er von Herzog Georg von Sachsen angegriffen wurde, der als Grund für das Verhalten Melanchthons Unerfahrenheit anführte. Hinsichtlich der Zwickauer Propheten wurde Melanchthon einerseits sein vertrauter Umgang mit Stübner, einem der »Propheten«, vorgehalten, andererseits sein Schwanken und seine Unsicherheit in der Beurteilung des prophetischen Anspruchs und der Aussagen der drei Männer. Die Erfahrungen dieses Jahres prägten Melanchthons Umgang mit Andersdenkenden nachhaltig. Da er sein eigenes zurückhaltendes Verhalten gegenüber den Zwickauer Propheten bereute und zu der Überzeugung gelangte, in ihnen liege die Wurzel aller Schwärmerei 336 Vgl. Melanchthon an Jonas 9. 6. 1536 [MBW 1752a; MBW T 7, 164 f.; hier 164, Z. 6 ff ]: »Nuper ἡ Δέσποινα mecum egit de iuvando Holstenio. Ait illum queri, quod tantum nostra gentis homines iuvare studeam et Saxones arte impediam«. 337 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4 ; bes. die Belege in Anm. 76 und Anm. 81. 338 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 11.
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begründet, plädierte er in späteren Jahren im Blick auf schwärmerische Bewegungen im Zweifel immer für ein hartes Vorgehen.339 4.2.1 Melanchthons Umgang mit Zwinglianern und Calvinisten Melanchthons Plädoyer für ein hartes Vorgehen gegen Schwärmer galt auch im Blick auf die Zwinglianer, die er teils wegen ihrer Abendmahlslehre, vor allem aber aus politischen Gründen ablehnte, und das, obwohl er enge persönliche Kontakte zu einigen von ihnen wie zum Beispiel zu seinem Studienfreund Oekolampad pflegte. Seine Ablehnung der Zwinglianer erreichte ihren Höhepunkt in den Jahren 1529 und 1530.340 Da seine Haltung auch von anderen Lutherischen geteilt wurde, ist es nachvollziehbar, daß Kritik an seinem Verhältnis zu den Zwinglianern in dieser Zeit ausschließlich von zwinglianischer Seite geäußert wurde. So warf ihm Oekolampad immer wieder Unaufrichtigkeit vor, wohl weil er Melanchthons Freundschaftsbezeugungen und seine scharfe Ablehnung der Zwinglianer nicht zusammenbringen konnte. Hinsichtlich seines Verhaltens beim Marburger Religionsgespräch warf Bucer Melanchthon vor, er habe mehr als alle anderen Lutheraner im Verborgenen gegen die Zwinglianer gehetzt und Luther im Blick auf eine Bruderschaft zwischen Lutherischen und Zwinglianern zurückgehalten, als dieser zum Einlenken bereit gewesen sei. Im Blick auf Melanchthons Verhalten in der Zeit nach dem Religionsgespräch zeigte sich Bullinger verärgert darüber, daß sich die Wittenberger nicht an die in Marburg getroffene Verabredung hielten, sich in Liebe zu begegnen, sondern sich sowohl in der Öffentlichkeit wie im Geheimen unfreundlich über die Zwinglianer äußerten. Melanchthon persönlich warf er zudem vor, er habe die Marburger Ereignisse im Nachhinein falsch und das heißt zum Vorteil der Lutherischen und zum Nachteil der Zwinglianer dargestellt. Bucer kritisierte ferner Melanchthons Ansicht, die Zwinglianer müßten mit Waffengewalt zum Gehorsam genötigt werden, und betrachtete sie als Zeichen seiner Unerfahrenheit. Derartige Urteile führten sowohl bei Philipp von Hessen wie bei verschiedenen Zwinglianern zu der Überzeugung, daß Melanchthon in entscheidender Weise dafür verantwortlich war, daß es 1529 nicht zu einer Einigung zwischen Lutherischen und Zwinglianern gekommen war.341 In bezug auf Melanchthons Verhalten gegenüber den Zwinglianern beim Augsburger Reichstag 1530 setzten sich derartige Vorwürfe fort. Dabei wurde ihm neben der Kritik, die allen Lutherischen galt – Haß und Raserei gegen die Zwinglianer –, insbesondere vorgeworfen, er schmähe die Zwinglianer und verbreite 339 Vgl. zu den Ereignissen und zur Kritik der Jahre 1521/22 im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 . 340 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.2.1.2, Kap. 5.4.1 und Teil 1 des Exkurses (im Anschluß an Kap. 5.4) und Abschnitt II, Kap. 2 .1. 341 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.3, Kap. 5.2.2.2, Kap. 5.3.2.1 und Kap. 5.4.2.
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bei den Altgläubigen Lügen über sie, um sie dadurch zum Sündenbock zu machen und die Lage der Lutherischen beim Reichstag zu verbessern.342 Melanchthons grundlegende Änderung seiner Haltung gegenüber den Zwinglianern in der Zeit nach dem Augsburger Reichstag und seine inhaltliche Annäherung an ihre Abendmahlslehre brachte zwar entsprechende Kritik auf zwinglianischer Seite zum Verstummen, rief allerdings neue Kritiker auf den Plan. So wurde ihm zum Beispiel 1549 im Blick auf die Auslassung antizwinglianischer Ausfälle Luthers in der Wittenberger Lutherausgabe von Amsdorf vorgehalten, er schone dadurch die (zwinglianischen) Schwärmer.343 Und 1558 bzw. 1560 hielten ihm Westphal und Mörlin zudem vor, er begünstige die Calvinisten in mehreren Städten.344 Besonders intensive Kritik entbrannte infolge von Melanchthons distanzierter Haltung im zweiten Abendmahlsstreit des Jahres 1552. Die Reformierten waren zwar grundsätzlich erfreut über Melanchthons Meinungsänderung, hatten sich aber offenbar mehr von ihm erwartet und waren daher enttäuscht über seine Zurückhaltung in den Auseinandersetzungen um das Abendmahl. Insbesondere Calvin, Bullinger und Hardenberg griffen ihn deswegen in den folgenden Jahren immer wieder heftig an und warfen ihm allzu langes Schweigen, Unentschiedenheit und Zögerlichkeit vor, denn sie befürchteten, daß sich durch sein Verhalten die der Kirche schädlichen Angriffe der lutherischen Gegner der Reformierten verschlimmern könnten. Hardenberg betonte zudem, Melanchthon habe sich seine Bedrängnis selbst zu verdanken, da er Freund und Feind entgegenkommen wolle.345 Anstoß an Melanchthons Schweigen nahmen allerdings nicht nur die Reformierten, sondern auch Melanchthons lutherische Gegner, wenn auch aus entgegengesetzten Motiven. Flacius und Gallus empfanden Melanchthons Schweigen keineswegs als neutral und hielten ihm daher vor, er streite aus Rücksicht auf seinen Freund Hardenberg nicht über das Abendmahl und bekräftige durch seine Zurückhaltung die (falschen) Aussagen der Reformierten hinsichtlich eines Konsenses in der Abendmahlsfrage.346 4.2.2 Melanchthons Verhalten in weiteren innerprotestantischen Auseinandersetzungen und gegenüber Abweichlern in den eigenen Reihen Neben den Auseinandersetzungen zwischen Lutherischen und Zwinglianern gab es zahlreiche weitere größere und kleinere Streitigkeiten innerhalb der reformatorischen Bewegung, zu denen sich Melanchthon verhalten mußte.
342
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.12. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 4. 344 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.2 und Kap. 8.2.2.4. 345 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 346 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.1. 343
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Da die beiden Torgauer Prediger Zwilling und Schultes 1549 gegen die Einführung einer neuen, auf den »Leipziger Artikeln« fußenden Agende protestiert hatten, wurden sie mehrere Wochen lang im Wittenberger Schloß gefangen gehalten. Obwohl sich Melanchthon und seine Kollegen für eine Begnadigung einsetzten, wurde ihnen von Flacius die üble Behandlung der beiden Prediger vorgehalten.347 In den sogenannten Osiandrischen Streitigkeiten in den Jahren 1551 und 1552, die sich an Osianders Rechtfertigungslehre entzündet hatten, wurde Melanchthon zum einen von Osiander selbst angeriffen, zum anderen von seinen lutherischen Gegnern. Osiander hielt ihm vor, er habe seine Schüler in Königsberg gegen ihn aufgehetzt und dadurch den Streit erst angefacht. Andere Kritiker wie Christoph Stathmion, Gallus und Flacius kritisierten Melanchthons Zurückhaltung in diesem Streit und die Milde seiner Schrift gegen Osiander und hielten ihm vor, er habe in dieser Schrift den Irrtum Osianders nicht kenntlich gemacht und einiges geschrieben, was dieser als Zustimmung zu seiner Lehre interpretieren könne.348 Im Zuge des Wormser Religionsgesprächs 1557 hielten die Vertreter der Gnesiolutheraner Melanchthon vor, er schweige zu Osianders Irrtum und wolle dadurch den Vertretern Württembergs seine Gunst erweisen.349 Im Blick auf die sogenannten Maioristischen Streitigkeiten über die Notwendigkeit guter Werke zur Seligkeit in den Jahren 1552 bis 1558 wurde Melanchthon von Flacius und Gallus vorgeworfen, er äußere sich nicht klar genug gegen Maior, sondern sei zu nachsichtig, gebe Maior nach und unterstütze dadurch seine (falsche) Sichtweise der guten Werke.350 Als Melanchthon im Zuge des Heidelberger Abendmahlsstreits im Jahr 1559 seinen ehemaligen Schüler Heshusen, der im Streit mit einem calvinstisch gesinnten Diakon stand, kritisierte, ärgerte sich dieser darüber, daß Melanchthon ihn verurteilt hatte, ohne ihn vorher zu hören.351 4.2.3 Zusammenfassung Im Blick auf Melanchthons Umgang mit Schwärmern und Andersdenkenden innerhalb der reformatorischen Bewegung läßt sich zusammenfassend festhalten, daß seine Haltung aufgrund der Ereignisse der Jahre 1521/22 grundsätzlich unnachgiebig war – wohl vor allem deshalb, weil er Unordnung und Umsturz befürchtete. In konkreten Streitigkeiten bemühte er sich allerdings stets auch um Zurückhaltung – häufig in der Hoffnung, dadurch eine weitere Zuspitzung 347
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6. 349 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11. 350 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1. 351 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.4. 348
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verhindern zu können. Interessanterweise wurden beide Verhaltensweisen Melanchthons kritisiert, und er erschien Kritikern je nach Standpunkt als zu hart oder als zu milde.
Kapitel 5: Die Kritik an Melanchthons Persönlichkeit und Überzeugungen Bei vielen der bisher genannten Vorwürfe, die sich gegen konkrete Lehraussagen, Zugeständnisse und Verhaltensweisen Melanchthons richteten, schwang Kritik an seiner Persönlichkeit, seinen (angeblichen) Charaktereigenschaften und seinen Überzeugungen mit, oder sie entstand aus ihnen. Diese Kritik stellte teilweise die Person Melanchthons oder einzelne seiner Eigenschaften in Frage, teilweise lag in ihr aber auch der Versuch, Melanchthons Aussagen und Verhalten nachzuvollziehen und tieferliegende Motivationen und Hintergründe für das an ihm Kritisierte auszumachen, vor allem für seine Lehränderungen und für seine Nachgiebigkeit in Verhandlungen mit den Altgläubigen.
5.1 Die Vorwürfe der Zweideutigkeit, Unredlichkeit und Heuchelei Melanchthon wurde im Lauf seines Lebens des öfteren vorgehalten, er äußere und verhalte sich bewußt zweideutig und entziehe sich damit einer klaren Festlegung – Kritik, die zum Vorwurf der Unredlichkeit und Heuchelei gesteigert werden konnte. Derartige Charaktereigenschaften Melanchthons meinten seine Kritiker sowohl in bezug auf Lehrfragen (5.1.1) als auch im Blick auf seine Zugeständnisse in Verhandlungen mit Altgläubigen (5.1.2) wahrnehmen zu können. 5.1.1 Lehrfragen Seine zeitgenössischen Kritiker empfanden Melanchthon zum einen hinsichtlich bestimmter Äußerungen zu Lehrfragen als zweideutig, unklar und schwer faßbar und hatten dabei vor allem seine Haltung in der Abendmahlslehre im Blick. Angesichts von Melanchthons Verhalten beim Marburger Religionsgespräch 1529 – dem Signal von Nachgiebigkeit und Versöhnungsbereitschaft im Zweiergespräch mit Zwingli, in privaten Unterhaltungen mit Hedio und in Gestalt seiner Unionsformel einerseits, seinem Verhalten im Hauptgespräch und seiner konsequenten Ablehnung eines Bündnisses mit den Zwinglianern auf politischer Ebene andererseits – beklagte sich Zwingli darüber, Melanchthon habe sich gegen jede Art von Festlegung gesträubt, und verglich ihn deshalb sowohl mit dem wandlungsfähigen Meeresgott Proteus als auch mit einem sich ständig windenden Aal.352 Als sich Melanchthon in den 1530er Jahren der ober352
b).
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.3.1 und Kap. 5.3.2.2 und oben Kap. 1.1.5.2
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deutschen Abendmahlslehre annäherte und sich ab dieser Zeit bemühte, seine Formulierungen zur Abendmahlslehre auch für eine reformierte Interpretation offenzuhalten, führte dies auf lutherischer Seite zu dem Vorwurf, seine Aussagen seien zu undeutlich und verschleierten dadurch seinen Wechsel auf die Seite der Reformierten.353 In diesen Zusammenhang gehört auch die Kritik an Melanchthons christologischen Aussagen, deren Unklarheit Herzog Christoph von Württemberg deshalb bemängelte, weil er befürchtete, sie könnten als Argumente gegen die Realpräsenz benutzt werden.354 Gleichzeitig waren aber auch die Anhänger einer calvinistischen Abendmahlslehre unzufrieden mit Melanchthon – besonders angesichts seiner Zurückhaltung im zweiten Abendmahlsstreit ab 1552 – und hielten ihm sein Schweigen, Unentschiedenheit und Zögerlichkeit vor.355 Der Vorwurf der Zweideutigkeit und Unklarheit betraf jedoch neben der Abendmahlslehre auch andere Lehrfragen. So wurde etwa bemängelt, Melanchthon habe gegenüber den die Rechtfertigungslehre betreffenden Lehrverirrungen von Osiander und Maior geschwiegen bzw. sich nicht klar genug gegen sie geäußert, und dies könne fälschlicherweise als Zustimmung verstanden werden.356 Zudem wurde ihm von Amsdorf 1544 vorgeworfen, in der »Kölner Reformation« seien einige undeutliche Formulierungen enthalten.357 Neben dieser protestantischen Kritik wurde Melanchthon wegen seiner inhaltlichen Zweideutigkeit auch von katholischer Seite angegriffen, und zwar von Cochlaeus, der Melanchthon – wie er es nannte – hinterlistige Milde (moderatio subdola) im Blick auf seine Aussagen zum freien Willen in den »Articuli« von 1527 vorwarf.358 5.1.2 Zugeständnisse in Verhandlungen mit Altgläubigen Eine unangemessene Zweideutigkeit, Unklarheit und Unredlichkeit sahen seine Kritiker neben den Lehraussagen auch in Äußerungen Melanchthons in Verhandlungen mit Altgläubigen, in denen er sich um zurückhaltende Formulierungen bemühte und Zugeständnisse in verschiedenen Fragen anbot. Von Zeitgenossen wurden in diesem Zusammenhang einerseits der im Vierzehnerausschuß des Augsburger Reichstags 1530 übergebene protestantische Vorschlag, andererseits die »Leipziger Artikel« von 1548 genannt. Die Kritiker stellten die Zweideutigkeiten in Melanchthons Aussagen in Frage, weil sie in Sorge waren, diese seien dadurch offen für eine Interpretation im Sinne der Irrtümer des Papsttums. Einige von ihnen unterstellten Melanchthon zudem Unredlichkeit 353
Vgl. oben Kap. 1.1.5.2 c). Vgl. oben Kap. 1.1.1 und Kap. 1.1.5.2 c). 355 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 356 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1. und Kap. 11. 357 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 358 Vgl. Cochlaeus, Commentaria, 181. 354
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und aktiven Täuschungswillen, beispielsweise dadurch, daß sie ihn als »Mittagsteufel« bezeichneten, das heißt als Teufel, der sich nicht als solcher zu erkennen gibt, sondern sich bemüht, seine falschen Aussagen zu verschleiern.359 Eine im Sinn von Zustimmung zu deutende Zweideutigkeit bemängelten Melanchthons Kritiker auch in bezug auf sein Schweigen, zum Beispiel hinsichtlich des »Augsburger Interims« von 1548.360 Entsprechende Vorwürfe gab es jedoch nicht nur auf protestantischer, sondern auch auf altgläubiger Seite. Der Vorwurf der Zweideutigkeit, Heuchelei und des Betrugs wurde vor allem im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 geäußert und ausgehend davon immer wieder erneuert, zum ersten durch von Tetleben, der hinter der Uneindeutigkeit des protestantischen Vorschlags ein bewußtes Täuschungsmanöver vermutete; 361 zum zweiten durch Cochlaeus, der Melanchthon im Blick auf seine Sonderverhandlungen, die CA und seinen Einheits- und Friedenswillen Heuchelei und Täuschung vorwarf und ähnliche Kritik stets von Neuem auflegte, zum Beispiel hinsichtlich des Kontakts zwischen Melanchthon und Sadoleto im Jahr 1537, die »Kölner Reformation« 1544 und Melanchthons Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« 1548; 362 zum dritten durch Fabri, der ebenfalls im Blick auf Sadoleto Melanchthons angebliche Verstellung kritisierte und ihn dabei (ähnlich wie Zwingli) mit den Göttern der Wandlung Vertumnus und Proteus verglich; 363 und zum vierten durch Witzel, der 1549 an der Aufrichtigkeit der Zugeständnisse Melanchthons zweifelte.364 Zudem scheint Melanchthon im Rahmen des Wormser Religionsgesprächs 1540 mit derartigen Vorwürfen von altgläubiger Seite gerechnet zu haben, denn er betonte gegenüber dem Vertreter des Kaisers Granvella, seine Zugeständnisse erfolgten ohne jegliche Zweideutigkeit.365 Es läßt sich also zusammenfassend sagen, daß Melanchthon sowohl Protestanten wie Katholiken in einigen seiner Lehraussagen und im Blick auf seine Zugeständnisse an Altgläubige als zweideutig und unklar erschien und dies immer wieder mit dem Vorwurf der Heuchelei und des Betrugs verknüpft wurde. Dahinter stand sicher bei vielen Verunsicherung und das Gefühl, nicht genau zu wissen, wie sie Melanchthon einschätzen sollten, denn es fiel schwer, damit umzugehen, daß er »im Zwischenbereich all dessen, das nicht als zwingende 359 Vgl. zur Kritik 1530 und 1549 im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.7.2 und Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.1, Kap. 3.2.2.3 und Kap. 3.2.2.4 a). 360 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2. 361 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.7.2. 362 Vgl. zur Kritik des Cochlaeus im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.2, Kap. 3.4.2, Kap. 3.5.2, Kap. 3.9.3.2, Kap. 3.9.4.2 und zusammenfassend Kap. 5.2; Abschnitt III, Kap. 8 und Kap. 15; Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1. 363 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 8. 364 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1. 365 Vgl. Melanchthon an Granvella 22. 12. 1540 [MBW 2596; MBW T 9, 575–578; hier 578, Z. 79 f.]: »quod largiar, ingenue sine ambiguitate largiar«.
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Lehre oder klare Häresie bestimmt war«, nach Kompromissen suchte, »die gelegentlich durch eine Reduktion der Klarheit eine Deutungsoffenheit aufwiesen, die es unterschidlichen Positionen ermöglichte, sich in ihnen wiederzufinden«.366
5.2 Die Vorwürfe der Nachgiebigkeit, der Unbeständigkeit und des Wankelmuts In enger Verbindung mit dem Vorwurf der Zweideutigkeit und Unredlichkeit bzw. in Steigerung desselben wurde Melanchthon von seinen Kritikern grundsätzliche charakterliche Unsicherheit, Schwäche, Entschlußlosigkeit, eine ständige Neigung zum Nachgeben nach allen Seiten und damit Unbeständigkeit und Wankelmut 367 bescheinigt. Dies ging häufig mit Kritik an konkretem Nachgeben Melanchthons in Verhandlungen mit Altgläubigen 368 oder an seiner Veränderung von Lehrinhalten einher bzw. entwickelte sich aus ihr. Der erste bekannte Kritiker, der meinte, an Melanchthon derartige Charaktereigenschaften feststellen zu können, war Furster, der ihm im Zuge des Speyerer Reichstags 1529 unterstellte, mangelnde Willens- und Charakterstärke und fehlende Durchsetzungskraft gegenüber dem Machtwillen anderer habe dazu geführt, daß er allenthalben seine Bereitschaft zum Nachgeben signalisiert habe.369 Auch 1530 führte die Kritik an Melanchthons Nachgiebigkeit dazu, daß sein Charakter in Frage gestellt und ihm Wankelmut, Unbeständigkeit und Schwäche vorgehalten wurden, und zwar sowohl von protestantischer wie auch von altgläubiger Seite.370 1534 vermuteten Blarer und Zwick Schwäche hinter Melanchthons Zugeständnissen in seinem »Consilium ad Gallos«,371 und der sächsische Kurfürst Johann Friedrich war in Sorge, die Franzosen könnten die »Wankelmütigkeit« Melanchthons ausnutzen und ihn zu weiterem Nachgeben veranlassen.372 Ähnliche Befürchtungen und Äußerungen Johann Friedrichs begegneten auch 1536 vor den Verhandlungen mit den Oberdeutschen,373 im
366 Leppin, Melanchthon und die Obrigkeit, 315; vgl. Köpf, Der Reformator Melanchthon, 23. 367 Vgl. zum Verständnis von Wankelmut Grimm, Deutsches Wörterbuch 13, 1807–1809. 368 Vgl. oben Kap. 2 .3. 369 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.1. 370 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.3.1.4, Kap. 3.5.1.1, Kap. 3.5.1.2, Kap. 3.10.1.1 d) und Kap. 3.10.1.2. Rückschlüsse auf derartige Kritik lassen sich auch aus dem Lob der constantia und pertinacia Melanchthons in Camerarius’ Brief an Luther vom 6. 8. 1530 [WA Br 5, 540 f., Nr. 1679; hier 540, Z. 7 f.] ziehen. 371 Vgl. zur Kritik 1534 im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1; zum Vorwurf der Schwäche (infirmitas) die Zurückweisung im Brief von Bucer an T. Blarer und Zwick Anfang Februar 1535 [Blaurer-BW 1, 643]. 372 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1, Anm. 36. 373 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 3.
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Teil 2: Auswertung
Zuge von Melanchthons Streit mit Schenck im Jahr 1537,374 im Zusammenhang des Regensburger Religionsgesprächs 1541375 und nach dem Schmalkaldischen Krieg 1547,376 wodurch deutlich wird, daß Johann Friedrich in diesem Punkt seit Mitte der 1530er Jahre eine festgefahrene Meinung über Melanchthon hatte, die er offenbar nicht mehr hinterfragte. In Anknüpfung an seine Kritik an Melanchthons (zu sanfter) Widerlegung des Urteils der Pariser Theologen von 1521377 erklärte Luther in einer Tischrede aus dem Jahr 1539, Melanchthon sei im Gegensatz zu ihm selbst den Papisten gegenüber zu zurückhaltend und feure sie dadurch aufs Neue an.378 Im Rahmen der Religionsgespräche 1540/41 wurde der Vorwurf der Unbeständigkeit von altgläubiger Seite erhoben, und zwar angesichts der veränderten CA, und Osiander bezeichnete Melanchthon als Paradebeispiel für die allgemeine (negativ bewertete) Wandelbarkeit (mutabilitas) des Menschen.379 In den Auseinandersetzungen um das »Augsburger Interim« 1548 wurde Melanchthon von Flacius ermahnt, sich aufgrund seiner Milde nicht zu Nachgiebigkeit hinreißen zu lassen, und mußte sich dann konsequenterweise angesichts der »Leipziger Artikel« Unbeständigkeit und einen grundsätzlichen Hang zu Nachgiebigkeit und Schwäche in Gefahr vorwerfen lassen.380 Angesichts von Melanchthons Zurückhaltung im zweiten Abendmahlsstreit vermutete auch Calvin eine grundsätzliche Schwäche und Biegsamkeit Melanchthons hinter seinem Verhalten.381 In den 1550er Jahren wurde entsprechende Kritik an Melanchthons Charakter und Person immer wieder geäußert, und zwar meist losgelöst von konkreten Ereignissen – zum Beispiel von Amsdorf, der behauptete, Melanchthon sei leicht abzulenken und irrezuführen, und von Velsius, der Melanchthon als unsicheren Menschen charakterisierte, der sich schnell zu etwas hinreißen lasse.382 374 Vgl. Johann Friedrich an Brück 12. 9. 1537 [zitiert nach Vetter, Luthers Stellung, 95]: »das menlein . . . weichen und wankelmotigen Gemütes ist«. 375 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.2. 376 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1. 377 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 1 und oben Kap. 2 .3. 378 Vgl. die Tischrede Luthers vom 8. 5. 1539 [WA Tr 4, 385 f., Nr. 4577; hier 385, Z. 20 ff.]: »Philippus nimis est modestus. Cuius modestia papistae saltem inflantur . . . Komen die papisten mir also, ich will sie anders stöbern«. 379 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 380 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.1 und Kap. 3.2.2.2 und Flacius’ offenen Brief an Melanchthon vom 20. 10. 1549 [MBW 5655; Regest bei Scheible, MBW R 5, 527–529; hier 528]. 381 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 382 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, zu Amsdorf Kap. 5.2 und zu Velsius Kap. 12. Rückschlüsse auf derartige Vorwürfe lassen sich auch aus der häufigen Betonung der constantia Melanchthons in den Gedenkreden anläßlich seines Todes von Örtel 21. 4. 1560 [CR 10, 200 und 202 f.] und Heerbrand 15. 5. 1560 [CR 10, 304 f.] ziehen. Der Vorwurf der leichten Beeinflußbarkeit Melanchthons spricht auch aus der Interpretation eines Traums von ihm aus dem Jahr 1541 [CR 20, 685–687; hier 686]: »Monitus nimirum est hoc somnio Philippus, ut sibi caveret ab istis impiis Christi et Antichristi conciliationibus. Verum ille, quanquam pri-
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Im Hintergrund der Vorwürfe der Nachgiebigkeit und des Wankelmuts stand wohl ähnlich wie bei dem der Zweideutigkeit und Heuchelei die Unzufriedenheit der Kritiker damit, Melanchthon nicht einschätzen zu können, und der daraus hervorgehende Wunsch nach Klarheit und Standhaftigkeit. Vielleicht berücksichtigten seine Gegner auch zu wenig, daß sich Melanchthon in Verhandlungen als Diplomat verstand – eine Prägung, die bis in seine Kindheit zurückreicht – und seine Aussagen als Verhandlungsposition und nicht als ewig gültige Wahrheiten verstand.383
5.3 Die Vorwürfe der Ängstlichkeit, des Kleinmuts, der übergroßen Sorgen und mangelnden Glaubensstärke Eine weitere Gruppe negativer Charaktereigenschaften, die Kritiker sehr häufig an Melanchthon festzustellen glaubten, waren Ängstlichkeit (timor, timiditas, metus, angor), Kleinmütigkeit (pusillanimitas, μικροψυχία ), Zaghaftigkeit, Feigheit, ein übergroßer Hang zu Sorgen (curae, sollicitudines) und mangelnde Glaubensstärke – Eigenschaften, die in der Kirche meist negativ bewertet wurden.384 Wie die in den beiden vorangehenden Kapiteln genannten Eigenschaften wurden auch sie oft in Zusammenhang mit anderen Vorwürfen genannt, vor allem als Grund für Melanchthons Nachgiebigkeit und seine Lehrveränderungen, und entwickelten sich dann bereits zu seinen Lebzeiten zu Klischees. Erste Kritik in diese Richtung äußerten 1521/22 Luther und Spalatin, die ihm ausgehend von seinen Klagen über Luthers Abwesenheit Kleinmut und mangelnde Tapferkeit vorwarfen.385 1529 wurde ihm in den Monaten nach dem Speyerer Reichstag vorgehalten, seine Sorgen und Ängste seien zu stark und überschritten das rechte Maß – mit der Begründung, sie seien ein Zeichen von Undankbarkeit Gott gegenüber, lästig für die Mitmenschen und hinderlich für wichtige Unternehmungen.386 Im Rahmen des Augsburger Reichstags 1530 vermuteten Bucer und Capito Ängstlichkeit als Grund für das Entgegenkommen in der CA und waren in Sorge, die Niedergeschlagenheit der Sachsen könne dazu führen, daß sie den Gegnern zu weit entgegenkämen. Und Brenz äußerte sich (selbst)kritisch über seine und Melanchthons Ängstlichkeit vor mo ab isto nefario scelere abhorruit, tamen tandem a Ducibus et Achitophelibus persuasus est«. 383 Vgl. Wengert, Beyond Stereotypes, 29 f. und Kohnle, Melanchthon und die Bündnisverhandlungen, 45. 384 Vgl. z. B. die Schrift von Johannes Gerson (1363–1429) »Contre conscience trop scrupuleuse« von 1400/01 [Gerson, Œuvres complètes 7/1, 140–142, Nr. 306]; die Belege aus Luthers Schriften in WA 66, 442 f. s. v. metuo; WA 68, 416 f. s. v. timor; WA 68, 420 s. v. timeo und WA 64, 148 f. s. v. pusillanimis und pusillanimitas und die württembergische Große Kirchenordnung von 1559 mit dem Titel »Summarischer und einfältiger Begriff«, 70b. 385 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .1. 386 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.2.2.1.
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Übergabe der CA. Prägender war jedoch die Kritik Luthers (in seinen bekannten »Trostbriefen«), Dietrichs und Osianders, durch die die Grundlage des Klischees vom glaubensstarken Luther und vom zaghaften Melanchthon gelegt wurde, wobei Osiander seine Kritik noch dadurch erweiterte, daß er Melanchthon ein (negativ konnotiertes) melancholisches Temperament bescheinigte.387 Dietrich erschienen Melanchthons Sorgen nicht nur 1530, sondern auch im Fall »Lemnius« im Jahr 1538 als unbegründet und daher kritikwürdig.388 Und auch Osiander knüpfte beim Wormser Religionsgespräch 1540/41 an seine Kritik des Jahres 1530 an und warf Melanchthon vor, er lasse sich von den Äußerungen der Altgläubigen zu schnell schrecken.389 Die Vorwürfe der Ängstlichkeit und des Kleinmuts scheinen auch in den kommenden Jahren immer wieder geäußert worden zu sein, wofür Äußerungen Melanchthons, die sich mit keinem konkreten Ereignis sicher in Verbindung bringen lassen, aus dem Jahr 1544 und ohne sicheres Datum sprechen.390 1548/49 wurde von Melanchthons Gegnern ähnlich wie 1530 vermutet, seine zurückhaltenden Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« und die »Leipziger Artikel« lägen in seiner Furcht, Ängstlichkeit, Kleinmütigkeit und seinem Mißtrauen begründet.391 Im Rahmen des zweiten Abendmahlsstreits unterstellte Calvin Melanchthon Mitte der 1550er Jahre als Motiv für seine Zurückhaltung Ängstlichkeit.392 Und auch in bezug auf seine astrologischen Neigungen wurde Melanchthon Ängstlichkeit vorgehalten, weil er sich nach Ansicht seiner Kritiker zu sehr von Voraussagen und Weissagungen leiten ließ.393 Die Erwähnung und Zurückweisung des Vorwurfs der Ängstlichkeit in der Melanchthon-Biographie des Camerarius394 spricht dafür, daß er am Ende seines Lebens weit verbreitet war. Die Vorwürfe der Ängstlichkeit und der übergroßen Sorgen prägten das Melanchthonbild in besonderer Weise. Auch wenn keineswegs bestritten werden soll und kann, daß Melanchthon zeitweise von starken Ängsten und Sorgen 387
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.10.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 11. 389 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 390 Vgl. Melanchthon an Mörlin 6. 2. 1544 [MBW 3445a; MBW T 13, 68 f.; hier 68, Z. 4 ff.]: »Semper fui et ero hortator nostris pastoribus, ut . . . foveant suarum ecclesiarum concordiam nec pugnent de inanibus negociis. Si ideo timidus dicor aut stultus, feram aequo animo« und zwei Briefe unklaren Datums an einen unbekannten Adressaten [MBW 9379; CR 3, 178 f., Nr. 1479 und MBW 9380; CR 3, 179, bei Nr. 1479]: »Nec me poenitet huius meae moderationis [sc. in dissensionibus], etsi aula nostra interdum id timiditatem καὶ μικροψυχίαν interpretata est«. 391 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 3.2.2.5. 392 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 393 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1. 394 Vgl. Camerarius, De vita Melanchthonis, 105: »criminationes, ut . . . nimium . . . timidus . . . perhiberetur«; 359: »circumspectio et sollicitudines . . . non modo hac in parte sed multis aliis notatae et reprehensae fuerunt. Aliis timorem . . . criminantibus«; 366: »neque aegre ferat . . . cautionem timoris nomine infamari«. 388
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geplagt war,395 stellt sich die Frage, wie man dies bewertet – ob man die Ängste und Sorgen zwangsläufig abwertend darstellen und Melanchthon ein ängstliches Wesen bescheinigen muß oder ob man sie nicht auch als Ausdruck seines hohen Verantwortungsgefühls für Staat, Kirche und Gesellschaft und seiner Sensibilität für die Nöte seiner Mitmenschen verstehen kann.396 Dieses Verständnis entspräche auch der Einschätzung Luthers, der immer wieder darauf aufmerksam machte, daß sich Melanchthons Sorgen im Gegensatz zu seinen eigenen auf das Gemeinwesen und nicht auf seine eigene Person und sein Leben bezögen,397 ebenso der Selbsteinschätzung Melanchthons.398
5.4 Der Vorwurf der Vernunftorientiertheit Die Kritik an Melanchthons Vernunftorientiertheit stand in einem engen Zusammenhang mit den Vorwürfen der Ängstlichkeit bzw. mangelnden Glaubensstärke, weil die Kritiker die Vernunft als Konkurrentin des Glaubens betrachteten und vermuteten, daß in der Orientierung an der Vernunft der Grund für Melanchthons Ängstlichkeit und darin wiederum das Motiv für seine Nachgiebigkeit liege. Zudem hängen die Vorwürfe auch mit der Kritik am Einfluß von Philosophie und Humanismus auf Melanchthons Theologie zusammen.399 395 Vgl. z. B. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.2.1.2; Abschnitt II, Kap. 3.10.1, Anm. 731 und zu den mit Sternen und Vorhersagen verbundenen Ängsten Abschnitt V, Kap. 1.2 und Kap. 1.3 passim. 396 Vgl. z. B. Scheible, Luther und Melanchthon, 144 f. und Wriedt, Melanchthon, 277, Anm. 2 und 294. In ähnlicher Weise versuchte schon Camerarius, De vita Melanchthonis, 125 und 359, Melanchthons Angst im Sinne von Aufmerksamkeit (attentio), Umsichtigkeit (circumspectio) oder Vorsicht (cautio) zu verstehen. 397 Vgl. z. B. Luther in Tischreden vom Herbst 1531 [WA Tr 1, 30, Nr. 80; hier Z. 1 ff.]: »Parvae et levae causae me multum movent, magnae autem non movent, sic enim cogito: Hoc est supra te, du kanst es nit halten, ergo so lass es gehen. Diversum facit Philippus. Is meis negotiis non movetur, sed movent eum illa grandia reipublicae et religionis. Me privata tantum premunt. Sic sunt varia dona« und aus der Zeit zwischen 21.5. und 11. 6. 1540 [WA Tr 4, 637, Nr. 5054; hier Z. 8 ff.]. 398 Vgl. z. B. Melanchthon in Briefen an Camerarius 10. 11. 1527 [MBW 622; MBW T 3, 211 f.; hier 211, Z. 14 f.]: »Nec me tam domesticae miseriae conturbant quam mala publica«; 26. 3. 1528 [MBW 669; MBW T 3, 294 f.; hier 295, Z. 18 f.] und 11. 10. 1528 [MBW 715; MBW T 3, 386–388; hier 387, Z. 13 ff.]; an Luther 26. 8. 1530 [MBW 1046; MBW T 4/2, 600–602; hier 601, Z. 7]; an Camerarius 23. 6. 1532 [MBW 1257; MBW T 5, 307 f.; hier 308, Z. 24 f.]; an Jonas ca. 10. 8. 1535 [MBW 1597; MBW T 6, 409 f.; hier 410, Z. 8 f.]; an Dietrich 1. 11. 1538 [MBW 2111; MBW T 8, 243 f.; hier 243, Z. 8 f.]; an Camerarius ca. 10. 3. 1542 [MBW 2907; MBW T 11, 97–99; hier 98, Z. 23 f.] und 21. 2 . 1543 [MBW 3171; MBW T 12, 96 f.; hier 96, Z. 5 ff.]; an Dietrich 11. 8. 1544 [MBW 3653; MBW T 13, 373 f.; hier 374, Z. 10 f.]; an Jonas d. J. 7. 10. 1545 [MBW 4028; CR 5, 859 f., Nr. 3281; hier 860]; an Lauterbach 28. 10. 1546 [MBW 4422; CR 6, 252 f., Nr. 3584; hier 253] und in dem gemeinsam mit anderen verantworteten Schreiben an die kurfürstlichen Räte vom 13. 4. 1549 [MBW 5501; CR 7, 363–366, Nr. 4515; hier 365]; zudem Camerarius, De vita Melanchthonis, 87 und 255. 399 Vgl. oben Kap. 1.3.2.
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Teil 2: Auswertung
Entsprechende Kritik wurde erstmals von Furster geäußert, der Melanchthon beim Speyerer Reichstag 1529 vorwarf, er gewähre der Vernunft zu viel Raum und lasse sich zu stark von der Weltweisheit, das heißt von der Erkenntnis aus menschlichem Bemühen heraus leiten, anstatt auf Gott zu vertrauen.400 Weit folgenreicher und wirkmächtiger war allerdings die Kritik, die im Rahmen des Augsburger Reichstags 1530 gegen Melanchthon vorgebracht wurde, weil sie sich in Gestalt von Luthers »Trostbriefen« schnell verbreitete und so das Melanchthonbild bis zu seinem Tod und darüber hinaus nachhaltig prägte.401 Luther warf ihm ähnlich wie Furster vor, er wolle alle Dinge mit der menschlichen Vernunft regieren, anstatt sich auf Gott und seine Verheißungen zu verlassen – Kritik, der sich im Blick auf die Ausschußverhandlungen auch Spengler anschloß.402 Luther selbst äußerte ähnliche Bedenken auch in späterer Zeit, allerdings eher im Kreis von Vertrauten.403 Eine öffentlichkeitswirksame Wiederauflage erlebte der Vorwurf im Zuge der Streitigkeiten um das »Augsburger Interim« in den Jahren ab 1548 und wurde unter anderem von Gallus, Amsdorf, Flacius, Corvinus und Johann Friedrich von Sachsen geäußert, die in Melanchthons Vertrauen auf menschliche Weisheit und Vernunft den Grund für seine Nachgiebigkeit sahen.404 Kritik an Melanchthons Vernunftorientiertheit lag wohl auch in seiner Bezeichnung als epikureisch, das heißt auf das IrdischMaterielle bezogen, durch Velsius im Jahr 1558.405
5.5 Der Vorwurf der Fixierung auf irdischen Frieden, Einheit und Ruhe Eine letzte Gruppe von Charaktereigenschaften, die häufig als Grund für Melanchthons Nachgiebigkeit und andere an ihm kritisierte Verhaltensweisen angeführt wurden, waren die Fixierung auf irdischen Frieden (pax mundi, pax externa), Einheit (concordia), Harmonie und Ruhe (quies), die vor allem dadurch eine negative Konnotation erhielten, daß die Kritiker sie in einen Gegensatz zur Orientierung am Frieden Christi, am Bekenntnis, am Gewissen und an Gottes Reich und Ehre setzten. Anflüge derartiger Kritik begegneten erstmals im Zuge des Speyerer Reichstags 1529, als Philipp von Hessen Melanchthons Einigungsbestrebungen in bezug auf die Altgläubigen in Frage stellte.406 Im Rahmen des Augsburger Reichstags 1530 wurde Melanchthon insbesondere hinsichtlich seines Verhaltens in 400
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 6.1.1. 402 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.10.2. 403 Vgl. den Bericht Brücks über ein Gespräch mit Luther Anfang Mai 1536 [WA Br 7, 412 f., Beilage zu Nr. 3022; hier 412]: »Es wäre ein teurer gelehrter Mann, sprach Martinus, aber die Vernunft plagte ihn darneben«. 404 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 3.2.2.5. 405 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 12. 406 Vgl. im Darstellungeteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.2. 401
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den Ausschußverhandlungen von zahlreichen Kritikern vorgeworfen, sein Wille zur Einigung mit den Altgläubigen sei unangemessen, weil man Christus und Belial nicht versöhnen könne, und er lasse sich in seinem Denken und Handeln zu stark von der Rücksicht auf den zeitlichen Frieden leiten.407 1534 wurden Melanchthons Erwartungen im Blick auf die Erreichbarkeit von Frieden und Einheit in Verbindung mit seinem »Consilium ad Gallos« problematisiert.408 Und 1548 wurden Melanchthons Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« unter anderem deshalb kritisiert, weil sie nach Ansicht von Amsdorf und Gallus aufgrund von Melanchthons Sehnsucht nach Frieden und Ruhe zu zurückhaltend ausgefallen waren.409 An diese Kritik knüpften die Flacianer und der ehemalige sächsische Kurfürst Johann Friedrich im Blick auf die »Leipziger Artikel« an und unterstellten Melanchthon und seinen kursächsischen Kollegen, sie suchten mehr den zeitlichen Frieden als die Ehre Gottes,410 ein Vorwurf, den Johann Friedrichs Sohn, Johann Friedrich II., 1558 hinsichtlich des »Frankfurter Rezesses« wiederholte.411 Die an Melanchthon kritisierte Charaktereigenschaft konnte auch so umschrieben werden, daß er allen dienen wolle und dadurch letztlich zwischen allen Stühlen sitze, zum Beispiel von Luther 1539 ohne konkreten Bezug,412 von Flacius in Anbetracht der »CA variata« von 1540,413 von Amsdorf im Blick auf die »Kölner Reformation« von 1544414 und von Hardenberg hinsichtlich Melanchthons Haltung im zweiten Abendmahlsstreit.415 Verwandte Vorwürfe wurden von Zeitgenossen zudem im Blick auf Melanchthons zurückhaltendes Verhalten in innerprotestantischen Auseinandersetzungen geäußert, zum Beispiel in den Osiandrischen Streitigkeiten416 und im Gefolge des zweiten Abendmahlsstreits. Im Hinblick auf letzteren mußte sich Melanchthon Mitte der 1550er Jahre von Calvin und Bullinger vorwerfen lassen, das Motiv für seine Zurückhaltung im Streit liege in seiner Sehnsucht nach Muße begründet.417 Und Flacius warf ihm 1556 vor, er streite aus Rücksicht auf Hardenberg nicht über das Abendmahl.418 Ein weiteres Feld, in dem Vorwürfe im Blick auf Melanchthons Harmoniebedürfnis begegnen, ist sein Umgang mit der gegen ihn vorgebrachten Kritik. Er ging zwar einige Male zu Gegenangriffen über – etwa 1530 und in den 407
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.9.3.1 und Kap. 3.9.4.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 409 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2. 410 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.5. 411 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 13. 412 Vgl. die Tischrede Luthers vom 8. 5. 1539 [WA Tr 4, 385 f., Nr. 4577; hier 385, Z. 21 ff.]: »Qui vult ex charitate omnibus servire«. 413 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.1. 414 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 15. 415 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 416 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.2. 417 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1. 418 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.1. 408
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1550er Jahren – und mußte sich in diesem Zusammenhang mangelnde Kritikfähigkeit, Unbußfertigkeit und ungerechtfertigte Schmähung seiner Gegner vorwerfen lassen,419 es gab daneben aber auch Kritik, die sich an Melanchthons Bemühen stieß, öffentliche Stellungnahmen zu den Vorwürfen zu vermeiden und diese statt dessen geduldig zu ertragen, ein Verhalten, das Melanchthon ähnlich wie andere seiner Eigenschaften mit den Begriffen moderatio und philosophia (im Sinne von Lebensführung) umschrieb und das er an den Tag legte, weil er hoffte, dadurch eine weitere Ausbreitung der Streitigkeiten verhindern und damit Schaden von der Kirche abwenden zu können.420 Vorwürfe dieser Art gegenüber Melanchthons Schweigen sind vor allem aus den 1550er Jahren bekannt.421 Zu Melanchthons Friedens- und Einheitsstreben läßt sich zusammenfassend festhalten, daß dieses durchaus vorhanden war422 – zunächst in bezug auf die Altgläubigen, ab 1531 zunehmend im Blick auf die innerprotestantische Einheit – und auch Melanchthon selbst wußte, daß er um des Friedens und der Einheit willen nachgab423 und diese Sehnsucht tief in ihm verwurzelt war,424 es stellt sich allerdings wie bei den anderen Charaktereigenschaften die Frage, ob man sie zwangsläufig negativ bewerten muß oder ob man nicht eher versuchen sollte, sie aus ihrer Herkunft heraus zu verstehen – hierfür sind zum einen ein419 Vgl. zu Melanchthons Gegenangriffen und zur zeitgenössischen Kritik daran im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 4 ; Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.6, Kap. 9 und Kap. 19. 420 Vgl. zu Melanchthons Haltung im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.4 b) und Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.6 und Kap. 19; zudem seine Briefe an Myconius 23. 10. 1535 [MBW 1651; MBW T 6, 485 f.; hier 486, Z. 13 ff.]; an Cordatus 15. 4. 1537 [MBW 1889; MBW T 7, 424–428; hier 426, Z. 27 ff.]; an Dietrich 22. 6. 1537 [MBW 1914; MBW T 7, 463–465; hier 464, Z. 8 ff.]; an Camerarius 31. 8. 1538 [MBW 2086; MBW T 8, 197–199; hier 197, Z. 7 ff.]; an Meienburg 20. 10. 1542 [MBW 3068; MBW T 11, 297 f.; hier 298, Z. 12 f.]; an Medler 28. 3. 1543 [MBW 3207; MBW T 12, 154–156; hier 155, Z. 6 ff.] und 2. 7. 1545 [MBW 3940; CR 5, 785 f., Nr. 3214; hier 786]; an Musculus 12. 4. 1546 [MBW 4229; CR 6, 104–107, Nr. 3439; hier 105] und an Georg von Anhalt 5. 4. 1547 [MBW 4685; CR 6, 472 f., Nr. 3821]. 421 Vgl. zur Kritik an Melanchthons Schweigen im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.6, Kap. 13 und Kap. 19; zudem den Brief von Cruciger an Dietrich nach 22. 10. 1542 [Fischer, Trolmann, 155 f., Nr. 13; hier 155]: »Philippi prope nimia est patientia« und Melanchthons oben Anm. 390 zitierte Briefe unklaren Datums an einen unbekannten Adressaten. 422 Vgl. z. B. im Darstellungsteil zu 1529 Abschnitt II, Kap. 5.1.1.4 und zu 1530 die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 3.9.4, Anm. 723. 423 Vgl. bei Melanchthon z. B. seinen Brief an Kaiser Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 201–204; hier 201, Z. 5 ff.]: »fateor me quaedam studio pacis et concordiae, quae disputari diutius poterant, concessisse alteri parti«; sein Gutachten für Moritz von Sachsen 1. 4. 1548 [MBW 5110; CR 6, 842–845, Nr. 4190; hier 845] und seine Äußerungen in einem Gespräch mit von Komerstadt am 1./2. 4. 1548 [MBW 5112; Regest bei Scheible, MBW R 5, 267]. 424 Vgl. bei Melanchthon z. B. seinen Brief an Nausea nach 20. 12. 1540 [MBW 2592; MBW T 9, 565 f.; hier 566, Z. 11]: »natura a rixis abhorreo«; zu seiner Friedensethik Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 218 ff.
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schneidende Erfahrungen ernster Gefährdung im Zuge des Kriegs um das Landshuter Erbe in Melanchthons Kindheit zu nennen,425 zum anderen seine humanistische Prägung.426
5.6 Zusammenfassung Überblickt man die Vorwürfe, die gegenüber Melanchthons Persönlichkeit vorgebracht wurden, und vergleicht sie mit seinen eigenen Aussagen, so fällt bei den meisten dieser Charaktereigenschaften und Überzeugungen auf, daß sie bei Melanchthon tatsächlich in mehr oder weniger starker Ausprägung vorlagen – so etwa ein besonderes Bemühen um Milde, Mäßigung, Frieden, Einheit und die beständige Sorge um das Gemeinwesen –, es stellt sich allerdings die Frage, ob und wie man diese bewerten soll, ob man sie wie viele Kritiker negativ verstehen und auf einen schwachen und schwierigen Charakter schließen muß oder ob man Melanchthon im Gegenteil in bezug auf einige seiner Persönlichkeitsmerkmale sogar als Vorbild sehen sollte. Unabhängig davon, wie man sich in dieser Frage entscheidet, steht fest, daß die Bewertung eines Menschen wie Melanchthon in besonderer Weise vom Menschenbild der eigenen Gegenwart abhängt. Zu seinen Lebzeiten (und weit darüber hinaus) herrschte das Ideal des tapferen, harten, standhaften Mannes, der seine (nach Möglichkeit zeitlebens unveränderte und eindeutige) Meinung in unerschütterlichem Gottvertrauen, unerschrocken und unabhängig von jeglichem äußeren Druck vertritt und bei dem alle Mitmenschen stets wissen, woran sie sind, – ein Bild, dem Melanchthon nach Ansicht seiner Kritiker in keinster Weise entsprach, was häufig durch den plakativen Vergleich mit Zeitgenossen wie Luther, Amsdorf, Flacius oder Philipp von Hessen zum Ausdruck gebracht wurde. Zudem spielte für die Kritik eine Rolle, daß sich Melanchthon mit Mäßigung und der Vermeidung von Streit Tugenden verpflichtet fühlte, die zwar auch christliche Tugenden waren, von seinen Kritikern hingegen aufgrund ihres humanistischen Hintergrunds problematisiert wurden.
425 Vgl. Scheible, Melanchthon, 14; ähnlich Ders., Aufsätze zu Melanchthon, 30 und 218 f. und Wriedt, Melanchthon, 278 f. 426 In bezug auf den Umgang mit Kritik wurde eine entsprechende Haltung auch von Erasmus propagiert (vgl. seinen Brief an Melanchthon 6. 6. 1536 [MBW 1750; MBW T 7, 158–161; hier 160, Z. 35 f.]; vgl. zum humanistischen Interesse an Frieden Seibt, Karl V., 92; Schorn-Schütte, Karl V., 24 und Schwab, Friedensdiskurs des Erasmus; zudem – allerdings nicht ganz unkritisch – Hammann, Nomismus und Antinomismus, 83 ff. und Zöllner, Melanchthons Stellung zum Bauernkrieg, 188.
II. Die Kritiker Melanchthons Nach der inhaltlichen Systematisierung der Vorwürfe im vorangehenden Abschnitt sollen nun diejenigen Kritiker Melanchthons zusammengestellt und einer näheren Untersuchung unterzogen werden, die uns namentlich bekannt sind. Der diachrone Blick auf die Kritiker dient dazu herauszustellen, wer die Kritiker Melanchthons waren, das heißt, welche von ihnen sein gesamtes Leben hindurch in Erscheinung traten, so daß bei den Vorwürfen möglicherweise eine Art Entwicklung erkennbar wird, und welche lediglich im Zusammenhang einzelner Ereignisse auftraten. Der Sinn der Kategorisierung der Kritiker Melanchthons liegt zudem darin, mögliche Gemeinsamkeiten in bezug auf ihre Motivation und die Hintergründe ihrer Kritik zu erkennen. Die Zusammenstellung beschränkt sich auf die protestantischen Kritiker, da sie im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen und altgläubige Kritiker lediglich am Rande herangezogen wurden. Grundlage für die Kategorisierung der Kritiker ist ihre Beziehung zu Melanchthon, das heißt konkret die Frage, in welchem Kontext Melanchthon und der jeweilige Kritiker (zum ersten Mal) aufeinandertrafen. Dadurch ergibt sich eine Art geographische Gliederung in konzentrischen Kreisen: Das erste Kapitel behandelt die Kritiker, die in Wittenberg mit Melanchthon zusammenarbeiteten bzw. bei ihm studierten. Die Kritiker, um die es im zweiten Kapitel geht, stammen aus dem Gebiet (Kur)Sachsens. Das dritte Kapitel ist Kritikern aus dem gesamten Reich gewidmet. Und in einem vierten und letzten Kapitel geht es schließlich um ausländische Kritiker. Kritiker, die in mehrere Kategorien gehören, werden in jeder dieser Kategorien genannt, allerdings nur dort ausführlich behandelt, wo sich die interessantesten Einblicke ergeben.
Kapitel 1: Wittenberg Zu den Kritikern, die Melanchthon aus Wittenberg kannten, gehörten zum ersten seine Kollegen an der Universität (1.1), zum zweiten die große Schar seiner Studenten (1.2) und zum dritten Personen, die als Gäste nach Wittenberg kamen (1.3).
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1.1 Kollegen an der Universität Wittenberg 1.1.1 Martin Luther 1 Trotz ihrer grundsätzlich guten Beziehung zueinander 2 trat Martin Luther immer wieder als Kritiker seines Kollegen und Mitreformators Melanchthon in Erscheinung; es ist allerdings angesichts »ihrer hohen Begabungen und ihrer so unterschiedlichen Veranlagungen . . . geradezu überraschend, dass es nicht zu mehr Spannungen zwischen ihnen gekommen ist«.3 Die von Luther bekannten Vorwürfe stammen aus der Zeit zwischen 1521 und 1544 und betrafen folgende Bereiche: zum ersten Melanchthons von Zurückhaltung und Entgegenkommen geprägte Äußerungen und Verhaltensweisen gegenüber Altgläubigen, zum zweiten seine Persönlichkeit – Luther warf ihm Ängstlichkeit, Unsicherheit und einen übergroßen Hang zu Sorgen vor und stieß sich an seiner philosophischen Lebenshaltung –, zum dritten seine astrologischen Neigungen und zum vierten seine Lehraussagen – hier sorgte sich Luther vor allem wegen Melanchthons Rechtfertigungslehre und seiner sich den Oberdeutschen annähernden Behandlung des Abendmahls.4 Bei Luthers Kritik handelte es sich allerdings selten um scharfe Angriffe, sondern meist um Warnungen, kritische Anfragen oder auch Spott. Lediglich in bezug auf Melanchthons Mitverantwortung für die Abendmahlsaussagen der »Kölner Reformation« von 1543 war »die sachliche und persönliche Harmonie der beiden ernstlich gefährdet«.5 Ansonsten bemühte sich Luther häufig trotz seiner eigenen Anfragen an Melanchthon um eine vermittelnde Haltung und versuchte, Streitigkeiten innerhalb des reformatorischen Lagers, die sich unter anderem an 1 Über die besondere Beziehung zwischen Luther und Melanchthon wurde in den vergangenen Jahrhunderten viel diskutiert, und in der Forschungsliteratur gibt es eine Fülle von Beiträgen (vgl. z. B. Mix, Luther und Melanchthon [1901]; Hoffmann, Luther und Melanchthon [1938]; die Beiträge im Kongressband »Luther und Melanchthon« [1961]; Neuser, Luther und Melanchthon [1961]; Scheible, Luther und Melanchthon [1984]; Wengert, Melanchthon and Luther [1999] und Müller, Melanchthon und Luther [2010]). Eine Auseinandersetzung mit den in der Literatur diskutierten Frage kann und will der folgende Abschnitt nicht bieten. 2 Vgl. z. B. Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 85. 3 Müller, Melanchthons und Luther, 181. 4 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 1, Kap. 2.1, Kap. 2.4 und Kap. 5.2.2.1; die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.1; Abschnitt III, Kap. 2 bis Kap. 5, Kap. 11, Kap. 13.2 und Kap. 15; Abschnitt V, Kap. 2 .1 und Kap. 2 .2.1.1. 5 Scheible, Melanchthon als Gesprächspartner Luthers, 85. Da Luther schon 1536 wegen Melanchthons Haltung in der Abendmahlsfrage in Sorge gewesen war, muß seinen Zeitgenossen widersprochen werden, die behaupteten, Amsdorf habe Luther 1544 gegen Melanchthon aufgehetzt (so z. B. Cruciger an Dietrich 7. 9. 1544 [CR 5, 476 f., Nr. 3025; hier 477]; Brück an Johann Friedrich von Sachsen Mitte September 1544 [WA Br 10, 653–654, Beilage zu Nr. 4028; hier 653]; Musculus an A. Blarer 19. 9. 1544 [Blaurer-BW 2, 298–300, Nr. 1124; hier 299]; Bucer an Philipp von Hessen 1. 10. 1544 [Lenz, Philipp von HessenBW 2, 263–270, Nr. 195; hier 264] und Camerarius, De vita Melanchthonis, 260).
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Teil 2: Auswertung
Melanchthon entzündet hatten, klein zu halten. Denn er wußte »um den Wert, den ein humanistisch geschulter Mitreformator wie Melanchthon – neben ihm selbst – für die Reformation darstellte«.6 1.1.2 Johannes Agricola Johannes Agricola, der seit 1515 in Wittenberg studiert und 1519 zusammen mit Melanchthon den Grad eines baccalaureus biblicus erworben hatte, war bis zu seinem Weggang nach Eisleben 1525 Kollege Melanchthons.7 Trotz ihrer engen Freundschaft wurde Agricola ab 1527 zu einem der beständigsten und schärfsten Kritiker Melanchthons.8 Es war allerdings erst Agricolas Beteiligung an der Erarbeitung des »Augsburger Interims«, die »das Verhältnis zu Melanchthon definitiv kappte«.9 Agricola wandte sich zeit seines Lebens in erster Linie gegen Melanchthons Lehraussagen, vor allem zu den Themen Buße, Gesetz und Rechtfertigung.10 Zudem problematisierte Agricola Melanchthons Sorgen, übte Kritik an seiner Nachgiebigkeit und ereiferte sich über seine Ablehnung des Interims, das er selbst – Agricola – mit erarbeitet hatte.11 Im Hintergrund von Agricolas Kritik an Melanchthons Lehraussagen steht vor allem seine eigene theologische Position.12 Ob darüber hinaus gekränkte Eitelkeiten für seine Vorwürfe mitverantwortlich waren, muß offen bleiben.13
6
Strohm, Melanchthon, 24. Vgl. Scheible, MBW R 11, 41. 8 Vgl. die Äußerung Graf Albrechts von Mansfeld, Agricola »habe die Romanisten mehr geschont als die evangelischen Theologen« [zitiert nach Rogge, Streitigkeiten, 195]. 9 Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 788. 10 Vgl. zu Agricolas Kritik an Melanchthons Lehraussagen im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a), Kap. 4.2.2.2 und Kap. 4.2.2.3 b); Abschnitt III, Kap. 2 und Kap. 10 und Abschnitt IV, Kap. 17. 11 Vgl. zu Agricolas weiterer Kritik im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.2.2.1; Abschnitt II, Kap. 3.5.1.2 und Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1; zudem Melanchthons Aussagen über neuerliche Schmähungen (maledicta) Agricolas im Jahr 1547, über die nichts Näheres bekannt ist, in den Briefen an Buchholzer 24. 2 . 1547 [MBW 4608; CR 6, 403 f., Nr. 3749; hier 404], 8. 3. 1547 [MBW 4635; CR 6, 427, Nr. 3772] und 20./21. 4. 1547 [MBW 4717; CR 6, 377, Nr. 3724] und an Eber 22. 3. 1547 [MBW 4657; CR 6, 442 f., Nr. 3788; hier 443] und 16. 4. 1547 [MBW 4715; CR 6, 501, Nr. 3844]; die Hinweise auf Vorwürfe Agricolas nach Melanchthons Tod bei Kawerau, Agricola, 99 und Melanchthons zusammenfassende Äußerungen zu Agricolas Kritik in den Briefen an Stiglitz 19. 8. 1546 [MBW 4362; CR 6, 217 f., Nr. 3538; hier 217]: »scio de meis literis et de me parum amanter, nec ἐπιεικῶς iudicari apud aliquos in urbe Arctoa [sc. Berlin]« und an Buchholzer 4. 8. 1548 [MBW 5247; CR 7, 442 f., Nr. 4571; hier 442]: »propter moderatiores sententias ab illo ipso vestro reformatore [sc. Agricola] saepe colaphos accepi«. 12 Vgl. zu Agricolas theologischer Position im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.3 b). 13 Vgl. zu Agricolas persönlichen Motiven im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.3 b) und die Vermutung von Scheible, Melanchthon, 83, Agricola habe »nie verwunden«, daß der von ihm kritisierte »Unterricht der Visitatoren« als offizielles Lehrbuch gedruckt wurde. 7
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1.1.3 Die sogenannten Gnesiolutheraner Amsdorf, Flacius und Gallus Nikolaus von Amsdorf, Matthias Flacius und Nikolaus Gallus waren wohl Melanchthons wirkmächtigste Kritiker und Gegner, vor allem in der Zeit, als sie von Magdeburg aus gemeinsam den Kampf gegen die Folgen des »Augsburger Interims« anführten. Sie werden häufig als Flacianer, das heißt als Anhänger des Flacius, oder als Gnesiolutheraner bezeichnet, weil sie sich als die wahren Erben Luthers und Bewahrer der reinen lutherischen Lehre verstanden und von diesem Selbstverständnis her den Kampf gegen alle aufnahmen, die diese Lehre ihrer Ansicht nach zu verfälschen drohten.14 1.1.3.1 Nikolaus von Amsdorf Nikolaus von Amsdorf lehrte bis zu seinem Weggang nach Magdeburg 1524 neben Luther und Melanchthon in Wittenberg,15 und in dieser Zeit scheint sein Verhältnis zu Melanchthon gut gewesen zu sein.16 Wann und warum es sich verschlechterte, ist nicht mehr zu klären,17 wir wissen nur, daß Amsdorf Mitte der 1530er Jahre erstmals erkennbar als Kritiker Melanchthons in Erscheinung trat und ab diesem Zeitpunkt regelmäßig Kritik äußerte,18 allerdings stets »privately in memoranda or correspondance, never in print«.19 Der »Abstand, welcher die beiden Freunde Luthers voneinander trennt[e]«, vertiefte sich im Zuge der Auseinandersetzungen um das Interim »zu einer unüberbrückbaren Kluft«.20 Inhaltlich wandte sich Amsdorf im Lauf der Jahre zum ersten gegen Melanchthons Lehraussagen zu den Themen Rechtfertigung, Sündenlehre, freier Wille und Abendmahl – und im Zusammenhang mit dem Abendmahl gegen Melanchthons Annäherung an die Oberdeutschen –, zum zweiten gegen Melanchthons Auftreten und seine Äußerungen im Kontakt mit Altgläubigen, zum dritten gegen sein Verhalten in der Zeit nach dem Schmalkaldischen Krieg – 14 Vgl. die Charakterisierung der Gnesiolutheraner im Brief von Ursinus an Crato vom 27. 2 . 1557 [Gillet, Crato 2, 469–475, Nr. 12; hier 472]: »Laetor enim, cum video aliquos esse sapientes et pios, qui abhorrent a tumultibus, quos movet mirabile istud genus hominum, quod nescio quo nomine appellem, eos dico, qui soli volunt Lutheri doctrinae assertores et veritatis custodes ac propugnatores videri, dum sibi quidvis reprehendendi et quosvis ad infero deturbandi infinitiam licentiam sumunt. Cum tamen suis sive persuasionibus sive affectibus adeo sint obcoecati, ut omnem pietatis et iudicii opinionem apud omnes intelligentes aliquid de fundamentis doctrinae seipsos sibi detrahere non videant«. 15 Vgl. Brinkel, Amsdorf, 78 und Scheible, MBW R 11, 68. 16 Vgl. Lerche, Amsdorff und Melanchthon, 8 f. und Kolb, Amsdorf on Vessels, 328. 17 Zum Beginn der Trennung zwischen Melanchthon und Amsdorf, die vermutlich nicht im Jahr 1527 lag, im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 b), Anm. 257. 18 Vgl. Melanchthons Äußerung über die beständige Kritik Amsdorfs im Brief an Georg von Anhalt vom 5. 4. 1547 [MBW 4685; CR 6, 472 f., Nr. 3821; bes. 472]: »multas magnas contumelias . . . me adfecit« (zum Bezug auf Amsdorf Scheible, MBW R 5, 87) und Schwarz / K awerau, Amsdorf, 465. 19 Kolb, Amsdorf on Vessels, 328. 20 Reichert, Amsdorff und das Interim, 77; vgl. Rogge, Amsdorff, 492 f.
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Teil 2: Auswertung
seine Rückkehr nach Wittenberg, seine Stellungnahmen zum Interim und seine Beteiligung an der Umsetzung des Interims in Kursachsen in den Jahren 1547 und 1548 –, zum vierten gegen die Wichtigkeit, die Vernunft und Philosophie seiner Ansicht nach für Melanchthon hatten,21 und zum fünften gegen Melanchthons angeblich leichte Beeinflußbarkeit, wobei er in den beiden letzten Punkten Gründe für das von ihm kritisierte konkrete Verhalten Melanchthons sah.22 Aufgrund seiner Unzufriedenheit mit Melanchthon scheint Amsdorf Luther im Jahr 1538 vorgehalten zu haben, er nähre sich eine Schlange am Busen, und kennzeichnete Melanchthon dadurch als jemanden, dem man Gutes tut und der sich später als undankbar und verräterisch erweist.23 Die Gründe für Amsdorfs beständige Kritik an Melanchthon und für den Graben zwischen beiden sind in ihrer unterschiedlichen theologischen und philosophischen Prägung, in ihren gegensätzlichen Charakteren und in ihrem ungleichen Verständnis der Schülerschaft Luthers zu suchen.24 1.1.3.2 Matthias Flacius Matthias Flacius studierte ab 1541 an der Universität Wittenberg – auch bei Melanchthon – und wurde 1544 als Professor für Hebräisch sein Kollege.25 Er nimmt unter den Schülern, »deren anfängliche Freundschaft über eine heftige Gegnerschaft in theologischen Fragen in eine dezidierte Feindschaft umschlug, . . . eine herasuragende Position ein«.26 Zu einem der wirkungsvollsten Kritiker 21 Vgl. zu Amsdorfs Ablehnung von Vernunft und Philosophie die bei Nebe, Reine Lehre, 15 und 18 f. zitierten Aussagen und Schriften. 22 Vgl. zu Amsdorfs Kritik im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1 bis Kap. 4, Kap. 13.2; Kap. 14 und Kap. 15; Abschnitt IV, Kap. 1, Kap. 2.2.1.2, Kap. 3.2.1.1, Kap. 3.2.2, Kap. 4, Kap. 5, Kap. 7, Kap. 8.2.2.4 und Kap. 13. 23 Vgl. Melanchthon an Dietrich 22. 3. 1538 [MBW 2009; MBW T 8, 69–72; hier 70, Z. 26 f.]: »Amsdorfius Luthero scripsit »viperam eum in sinu alere«, me significans«; zu diesem Sprichwort neben den in MBW T 8, Q 27 angegebenen Quellen Röhrich, Lexikon der Redensarten 3, 1357 f.; es wurde in der Reformationszeit gerne benutzt (vgl. z. B. Luther an die Erfurter Prediger 1. 7. 1532 [WA Br 6, 333 f., Nr. 1946; hier 333, Z. 7] in bezug auf den abtrünnigen Georg Witzel und Melanchthon an Fabricius ca. 23. 8. 1549 [MBW 5612; CR 7, 449, Nr. 4581] im Blick auf Flacius). Ähnliche Kritik Amsdorfs findet in auch in der wohl auf ihn zurückgehenden Flugschrift »Sepultura Lutheri« von 1538 [Kawerau, Flugschrift]. Darin klagte Amsdorf mit Blick auf Agricola, vielleicht aber auch auf Melanchthon [Kawerau, a. a. O., 285]: »unter seinen [sc. Luthers] eignen Schülern und Zuhörern stünden etliche auf, könnten der Lection und der Lehre kein Ende erwarten, ließen sich bedünken, als hätten sie es in einem Athem flugs alles gefasset, fingen bald an mit Büchern um sich zu werfen, in alle Welt, daß man vor ihrem Buchschreiben D. Luthers Lehre und Bücher beinahe weder hören noch sehen konnte, und müßte also der gute D. Luther . . . von seinen eignen Disciplen unterdrückt und verdunkelt werden« (vgl. Kawerau, a. a. O., 291 f.); zu Amsdorfs Autorschaft Kawerau, a. a. O., 292 und Stille, Amsdorf, 104. 24 Vgl. Stille, Amsdorf, 95 und Peterson, Interims, 136. 25 Vgl. Scheible, MBW R 12, 66 f.; zur Beziehung zwischen Melanchthon und Flacius Iliæ, Praeceptor Humanissimus, 69 ff. 26 Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 792; vgl. Scheible, Melanchthon-For-
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Melanchthons wurde er 1548, als er sich über Melanchthons Haltung zum »Augsburger Interim« und seine Beteiligung an der Umsetzung der Interims in Kursachsen empörte und aus diesem Grund Wittenberg verließ. In den Jahren bis zu Melanchthons Tod überzog ihn Flacius beständig mit Vorwürfen, wobei sich diese zum einen an Melanchthons Verhalten und Äußerungen in der Gegenwart entzündeten, sich zum anderen aber auch auf längst zurückliegende Ereignisse wie den Augsburger Reichstag von 1530 oder die »CA variata« von 1540 bezogen, von denen Flacius nur aus den Berichten anderer wußte. Inhaltlich nahm Flacius vor allem Anstoß an verschiedenen Lehraussagen Melanchthons, besonders an diversen Aspekten seiner Rechtfertigungslehre, und bemängelte die fehlende Übereinstimmung mit Luther; zudem kritisierte er Melanchthons kirchenpolitisches Agieren im Zuge der Umsetzung des »Augsburger Interims«, und prangerte schließlich immer wieder die Tendenz Melanchthons an, sich inhaltlich und terminologisch nicht festzulegen und sich in Streitigkeiten zurückzuhalten.27 Die Gründe für die Kritik des Flacius liegen hauptsächlich in seiner Enttäuschung über Melanchthons Haltung zum Interim, die im Lauf der Jahre in so große Verbitterung umschlug, daß Flacius »auch vor unqualifizierten Angriffen gegen seinen einstigen Förderer und Lehrer nicht zurückschreckte«.28 Ob auch persönliche Gekränktheit des Flacius darüber eine Rolle spielte, daß er die Stelle Crucigers an der Universität Wittenberg nach dessen Tod im November 1548 nicht erhalten hatte,29 läßt sich nicht mehr feststellen. 1.1.3.3 Nikolaus Gallus Ähnlich wie Flacius hatte auch Nikolaus Gallus um das Jahr 1540 bei Melanchthon in Wittenberg studiert und war ab Juni 1548 für ein gutes Jahr sein Kollege in Wittenberg.30 1548 schloß er sich der Kritik von Amsdorf und Flacius an und überzog Melanchthon in den nächsten Jahren mit zahlreichen Vorwürfen, wenn auch nicht in der gleichen Schärfe wie seine beiden Mitstreiter.31 Gallus’ Vorwürfe richteten sich zum ersten gegen Melanchthons Stellungnahmen zum Interim und seine Beteiligung an dessen Umsetzung in Kursachsen, zum zweiten gegen Lehraussagen Melanchthons, vor allem zu den Themen schung, 93 und 97, der ihn als schärfsten Gegner und größten Feind Melanchthons bezeichnet. 27 Vgl. zu Flacius’ Kritik im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 6.1.1; Abschnitt III, Kap. 13.1; Abschnitt IV, Kap. 1, Anm. 28; Kap. 2.2.1.2; Kap. 2.2.2; Kap. 3.2.1.1; Kap. 4; Kap. 5; Kap. 6.2; Kap. 7; Kap. 8.2.1; Kap. 8.2.2.1; Kap. 9; Kap. 13 und Kap. 14 und Abschnitt V, Kap. 2 .1. 28 Diestelmann, Mörlin, 221. 29 So Melanchthon in seinem Brief an Fabricius ca. 23. 8. 1549 [MBW 5612; CR 7, 449, Nr. 4581]. 30 Vgl. Kolb, Gallus’ Critique, 90 und Scheible, MBW R 12, 116. 31 Vgl. Kolb, Gallus’ Critique, 90.
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freier Wille und Abendmahl, zum dritten gegen Melanchthons Zurückhaltung in innerprotestantischen Streitigkeiten und zum vierten gegen seinen Umgang mit Kritik.32 Der Schwerpunkt von Gallus’ Kritik lag bei den Lehraussagen und ist dadurch zu erklären, daß »preceptor and student focused their treatments on different questions and . . . were formulating positions on the basis of different paradigms«.33 1.1.4 Veit Amerbach Veit Amerbach hatte von 1522 bis 1526 bei Melanchthon studiert und war ab 1530 als Professor für Philosophie sein Kollege an der Universität.34 Als Kritiker trat er zwar bereits im Jahr 1527 in Erscheinung, als er sich – mittlerweile Unterlehrer Agricolas in Eisleben – dessen Kritik an Melanchthons Verhalten bei der Visitation anschloß,35 gewichtiger ist jedoch seine Kritik ab 1537, als er Melanchthon zum einen persönlich, zum anderen wegen diverser Lehrfragen angriff.36 Letztere Kritik wird unter anderem durch Amerbachs Entfernung vom protestantischen Standpunkt und seine (spätere) Rückkehr zum Katholizismus verständlich.37 Im Gegensatz zu Melanchthon scheint er eine Verbindung zwischen lutherischer Lehre und der Philosophie des Aristoteles nicht für möglich gehalten zu haben und war damit einer der ersten Schüler Melanchthons, der sich vom Lehrer trennte und eigene Wege ging.38 Viele der genannten Kollegen kannte Melanchthon seit langer Zeit – einige hatten sogar bei ihm studiert – und er betrachtete sie daher als (veteres) amici. So verwundert es nicht, daß ihn die Kritik dieser Kollegen in besonderer Weise verletzte und er sie als Zeichen von Undankbarkeit deutete, insbesondere bei Agricola, Amerbach und den Flacianern.39 32 Vgl. zu Gallus’ Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2.2.1.2, Kap. 2.2.2, Kap. 3.2.1.1, Kap. 5, Kap. 6.2, Kap. 7, Kap. 8.2.1, Kap. 8.2.2.1, Kap. 8.2.2.4, Kap. 9, Kap. 13, Kap. 15 und Kap. 19; zudem auch den Rückblick in Calvins Schrift »De vera participatione« von 1561 [CR 37, 462]: »De Gallo privatim apud me conquestus«. 33 Kolb, Gallus’ Critique, 94. 34 Vgl. Trusen, Amerbach, 248 und Frank, Amerbach, 103. Laut Frank, a. a. O., 104 f. war Amerbach neben Camerarius einer der »Lieblingsschüler Melanchthons«. 35 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a). 36 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 9. 37 Vgl. oben Abschnitt I, Kap. 1.1.2, Kap. 1.1.3.3, Kap. 2 .4.4 und Kap. 4.1.1. 38 Vgl. Scheible, Melanchthon als Lehrer, 21. 39 Vgl. in bezug auf Agricola Melanchthon an Jonas 20. 12. 1527 [MBW 634; MBW T 3, 231–237; hier 234, bes. Z. 54]; an Buchholzer 24. 2. 1547 [MBW 4608; CR 6, 403 f., Nr. 3749], 20./21. 4. 1547 [MBW 4717; CR 6, 377, Nr. 3724] und 9. 8. 1548 [MBW 5250; CR 7, 100 f., Nr. 4320; hier 101] und an Eber 22. 3. 1547 [MBW 4657; CR 6, 442 f., Nr. 3788; hier 433]; in bezug auf Amerbach Melanchthon an Brück April / M ai 1542 [MBW 2950; MBW T 11, 154–157; hier 157, Z. 71 ff.] und an Camerarius 4. 12. 1542 [MBW 3101; MBW T 11, 346 f.; hier 346, Z. 14 ff.]; zudem Dietrich an Camerarius 8. 7. 1538 [Fischer, Trolmann, 137 f., Nr. 1; hier 137]; in bezug auf die Flacianer Melanchthon an Weller 17. 3. 1548
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1.1.5 Weitere Wittenberger Universitätskollegen 40 Neben Luther, den Flacianern und Amerbach gab es weitere Personen, die (zeitweise) Melanchthons Kollegen in Wittenberg waren und als Kritiker in Erscheinung traten. Caspar Aquila, der 1520/21 in Wittenberg studiert hatte und zwischen 1524 und 1527 als Prediger an der Schloßkirche und als Hebräisch-Lehrer an der Universität tätig gewesen war,41 kritisierte 1527 und in den Jahren 1548/49 Melanchthons Äußerungen und Verhalten gegenüber den Altgläubigen.42 Von Justus Jonas, der von 1521 bis 1541 als Professor Melanchthons Kollege an der Universität war,43 ist zwar keine Kritik im eigentlichen Sinne bekannt, von ihm erhaltene Äußerungen über Melanchthon aus den Jahren 1530, 1535 und 1549 können allerdings im Sinne von kritischen Anfragen verstanden werden.44 Ähnlich verhält es sich mit Johannes Bugenhagen45 und Caspar Cruciger,46 die Melanchthon beide nahestanden und einige Male sogar selbst von gegen Melanchthon gerichteten Vorwürfen mit betroffen waren.47 Veit Dietrich stand ebenfalls in einer engen Beziehung zu Melanchthon,48 die durch seine kritischen Äußerungen über Melanchthons Sorgen in den Jahren 1530 und 1538 [MBW 5091; CR 6, 828 f., Nr. 4175; hier 829]; an Hardenberg 4. 5. 1549 [MBW 5519; CR 7, 404 f., Nr. 4531; hier 404]; an Collinus 13. 7. 1549 [MBW 5589; CR 7, 436, Nr. 4564]; an Schnepf 19. 7. 1549 [MBW 5598; CR 7, 810 f., Nr. 4927; hier 810]; an Fabricius ca. 23. 8. 1549 [MBW 5612; CR 7, 449, Nr. 4581]; an Spangenberg 15. 2 . 1550 [MBW 5731; CR 7, 335 f., Nr. 4 487; hier 335]; an Albrecht von Preußen 25. 2 . 1550 [MBW 5738; CR 7, 551 f., Nr. 4677; hier 551]; an Goldstein 18. 7. 1550 [MBW 5855; Regest bei Scheible, MBW R 6, 75] und Flacius an Melanchthon 8. 6. 1549 [MBW 5556; Bindseil, Epistolae, 548–555, Nr. 560; hier 550]; schließlich zusammenfassend Luther in einer Tischrede von 1544 [WA Tr 5, 417, Nr. 5989]. 40 Vgl. zu Johannes Stoltz und Georg Curio als weiteren Universitätskollegen unten Kap. 1.2, Anm. 55 und Kap. 2 .1.1.2. 41 Vgl. Scheible, MBW R 11, 83. 42 Vgl. zu Aquilas Kritik und deren Hintergründen im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a), Kap. 4.2.2.2 und Kap. 4.2.2.3 b) und Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2, Anm. 56 und Kap. 3.2.1.5. 43 Vgl. Scheible, MBW R 12, 367. 44 Vgl. zu Jonas’ Anfragen im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.10.2; Abschnitt III, Kap. 2 und Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.5. 45 Bugenhagen arbeitete (mit Unterbrechungen) von 1521 bis zu seinem Tod 1558 in verschiedenen Funktionen in Wittenberg (vgl. Scheible, MBW R 11, 234 f.). Vgl. zu seiner Anfrage aus dem Jahr 1541 im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.2. 46 Cruciger war mit Unterbrechungen von 1523 bis zu seinem Tod 1548 in Wittenberg (vgl. Scheible, MBW R 11, 320). Vgl. zu seiner Anfrage aus dem Jahr 1535 im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 47 Vgl. zu Bugenhagen im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1 und 2; zu Cruciger Abschnitt III, Kap. 4. 48 Dietrich hatte ab 1522 bei Melanchthon studiert und wirkte danach bis 1535 als Magister in Wittenberg (vgl. DBE 2, 537). Er war zeit seines Lebens einer der wichtigsten Vertrauten Melanchthons (vgl. den intensiven Briefwechsel zwischen Dietrich und Melanchthon und dazu Scheible, MBW R 11, 351 f.).
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keinerlei Beeinträchtigung erfuhr,49 auch wenn der von ihm gezogene Vergleich zwischen Luther und Melanchthon (ungewollt) zur Grundlage des Klischees vom starken Luther und vom schwachen Melanchthon wurde. Auch Joachim Camerarius, einer der engsten Freunde und Vertrauten Melanchthons, der zeitweise mit ihm in Wittenberg gelehrt hatte,50 wurde durch die freundschaftlichen Bande nicht davon abgehalten, sich in den Jahren 1530, 1539 und 1540 kritisch über Melanchthons nachgiebige Haltung gegenüber den Altgläubigen zu äußern,51 auch wenn er Melanchthon später – in seiner Biographie von 1566 – von allen Vorwürfen freisprach.
1.2 Studenten 52 Personen, die in der Zeit von Melanchthons Wirken an der Universität Wittenberg in den Jahren von 1518 bis 1560 mehr oder weniger intensiv bei ihm studiert hatten, bilden die größte und gleichzeitig die uneinheitlichste Gruppe seiner Kritiker. In einzelnen Fällen bezogen sich die Vorwürfe (ehemaliger) Studenten auf ihr Verhältnis zu Melanchthon – meist auf seine Empfehlungspraxis –,53 mehrheitlich hatten die Kritikpunkte jedoch nicht (unmittelbar) mit der Beziehung zu Melanchthon zu tun, sondern richteten sich auf theologische bzw. kirchenpolitische Fragen. Von vielen der (ehemaligen) Studenten Melanchthons ist nur vereinzelte Kritik bekannt,54 manche griffen ihn allerdings 49 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.10.1.1 c) und Abschnitt III, Kap. 11, Anm. 162. 50 Vgl. Stählin, Humanismus, 1 ff.; Scheible, MBW R 11, 253–257 und oben die Einleitung zur gesamten Arbeit. 51 Vgl. im Darstellungsteil die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 c) und in Abschnitt III, Kap. 12 und Kap. 13.2. 52 Vgl. auch die Kritik der ehemaligen Studenten Melanchthons, die später seine Kollegen wurden, oben Kap. 1.1; zu Georg Buchholzer unten Kap. 3.1 und zu den Nürnbergern Hieronymus Baumgartner und Michael Roting unten Kap. 3.2.1.1. 53 Vgl. die Kritik von Vincentius Obsopoeus, einem frühen Schüler Melanchthons (zu ihm Will / Nopitsch, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon 7, 45; zu seiner Kritik im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 3 ); zu weiteren Kritikern oben Abschnitt I, Kap. 4.1.3. 54 Vereinzelte Kritik übten folgende Personen (chronologisch geordnet nach dem Zeitpunkt ihres Studiums in Wittenberg): – Hieronymus Weller, der sich von 1517 bis 1539 (mit Unterbrechungen) in Wittenberg aufgehalten hatte (vgl. Müller, Weller, 472) und Melanchthon in den 1550er Jahren aufgrund seiner Hochschätzung von Kirchenvätern und Philosophie kritisierte, ohne ihn allerdings beim Namen zu nennen (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1); – Johannes Hachenburg, der 1519/20 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 12, 211) und sich im Zuge der Versuche, Flacius und Melanchthon miteinander auszusöhnen, kritisch über letzteren äußerte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 9 ); – Justus Menius, der von 1519 bis 1523 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Beyer, Menius, 1037) und sich kritisch zu den Zugeständnissen der »Leipziger Artikel« äußerte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.2); – Dietrich Reysmann (1503–1543/44), der 1521 bis 1523 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Album Academiae Vitebergensis 1, 102 und Bossert, Reysmann, 325) und von dessen
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auch wiederholt und mit gewisser Schärfe an und wandten sich von ihm als Person und Theologen ab.55 Es fällt auf, daß die Kritik von Melanchthons (eheKritik Melanchthon in einem Brief an Spalatin 19. 9. 1526 [MBW 499; MBW T 2, 490; hier Z. 5] berichtete: »A Resmano contumeliosas literas accepi«; es ist allerdings unklar, worauf sich die Schmähungen bezogen; – Jakob Schenck, der ab 1526 in Wittenberg studiert hatte und als Hilfslehrer tätig gewesen war (vgl. Müller, Schenk, 49) und im Jahr 1537 verschiedene Lehraussagen Melanchthons massiv kritisierte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 7 ); – Andreas Poach, der sich von 1530 bis 1541 in Wittenberg aufgehalten hatte (vgl. Buchwald, Poach, 325) und Melanchthon 1557 wegen seiner Abendmahlslehre angriff (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.2); – Werner Steinhausen, der in den 1530er Jahren in Wittenberg studiert hatte und sich 1557 Flacius’ Kritik an Melanchthons Behandlung der Christologie anschloß (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1); – Matthäus Collinus (1516–1566), der 1533 bis 1540 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 11, 298) und sich in einem Brief an Melanchthon vom 18. 3. 1558 [MBW 8558; CR 9, 488 f., Nr. 6482; hier 488] den Anklagen der Flacianer anschloß; in welcher Frage, ist allerdings unklar; – Georg Fabricius, der das Wintersemester 1536/37 in Wittenberg verbracht hatte (vgl. Scheible, MBW R 12) und sich 1547 kritisch über Melanchthons Glauben an Voraussagen äußerte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1); – Martin Chemnitz, der von 1536 bis 1538 und 1545/46 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 11, 282) und 1561 eine Schrift Mörlins gegen Melanchthon unterschrieb (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 18); – Johann Konrad Ulmer, der 1541/42 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Lier, Ulmer, 209) und sich 1549 mit kritischen Anfragen in bezug auf die »Leipziger Artikel« an Melanchthon wandte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2); – Matthias Lauterwald, der in den 1540er Jahren in Wittenberg studiert hatte (vgl. Wagenmann, Lauterwald, 79) und im Jahr 1555 Kritik an Melanchthons Abendmahlslehre übte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.1); – Matthias Wanckel, der vor 1542 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Pröhle, Wanckel, 137) und Melanchthon in bezug auf die »Leipziger Artikel« kritisierte (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.5); – Victorinus Strigel, der von 1542 bis 1546 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Koch, Strigel, 391) und Melanchthon 1557 angriff (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11). 55 (Ehemalige) Studenten, die wiederholt als Kritiker in Erscheinung traten (chronologisch geordnet nach dem Zeitpunkt ihres Studiums in Wittenberg): – Obsopoeus meldete sich nicht nur 1526 (vgl. oben Anm. 53), sondern auch 1530 zu Wort (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.2.5 und Kap. 3.7.3). – Johannes Freder, der ab 1524 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 12, 89), kritisierte Melanchthon 1556 und 1561 (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11 und Kap. 18). – Erasmus Sarcerius (vgl. zu seinem Studium in Wittenberg Tenberg, Sarcerius, 1361), der sich 1553, nachdem er aus den Diensten des sächsischen Kurfürsten Moritz nach Mansfeld gewechselt war, »den Radikalen«, das heißt den Gnesiolutheranern um Joachim Mörlin anschloß (Kolb, Controversia perpetua, 198), griff Melanchthon in den späten 1550er Jahren immer wieder an (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11 und Kap. 14). – Joachim Westphal, der von 1529 bis 1532 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Kawerau, Westphal, 185), wandte sich ab 1549 immer wieder gegen Melanchthon (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.3, Kap. 8.2.2.2 und Kap. 18). – Joachim Mörlin, der 1532 bis 1540 in Wittenberg studiert und in einem guten Verhältnis zu Melanchthon gestanden hatte (vgl. Album Academiae Vitebergensis 1, 144; Mager,
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maligen) Schülern ab 1548 stark zunahm, was teilweise daran lag, daß sich viele von ihnen der Gruppe der Gnesiolutheraner angeschlossen hatten. Die Tatsache, daß so viele ehemalige Studenten Melanchthon kritisierten, führte Mörlin, 7 und Diestelmann, Mörlin, 220), hinderte diese gute Beziehung nicht daran, sich ab 1549 wiederholt gegen Melanchthon zu wenden, da er seine vorrangige Aufgabe darin sah, das Erbe Luthers zu bewahren (vgl. zu seiner Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.4, Kap. 8.2.2.4, Kap. 11, Kap. 14 und Kap. 18; zudem Mörlins Aussagen von 1562 [zitiert nach Diestelmann, a. a. O., 238]: »Weil ich selbst trefflich viel vom Herrn Philippus halte wegen der herrlichen hohen Gaben und vortrefflichen großen Nutzen, den Gott durch diesen Manne für viele Tausende in seiner Kirche bis auf die Zeit Luthers ausgerichtet hat, ist er auch lange mein lieber Praeceptor gewesen. Dass ich aber um seiner Gaben und Nutzen willen, auch dasjenige rühmen sollte, das er nach der Zeit Luthers gegen Gottes Wort und seine eigene Lehre getan oder geschrieben hat, werden diese guten Herren weder mir noch keinem guten Menschen zumuten, weil es zu grob gegen Gottes Wort wäre« und in der Schrift »Wider die landlügen der Heidelbergischen Theologen« von 1565 [zitiert nach Wengert, Camerarius, 131, Anm. 37]: »des Mannes fall thut mir vber die massen wehe«; ferner Kaufmann, Konfession und Kultur, 81 f. und 89). – Johannes Stoltz, der in den 1530er und 1540er Jahren in Wittenberg studiert hatte und kurze Zeit als Professor auch Melanchthons Kollege gewesen war (vgl. Scheible, Stoltz, 1747), kritisierte ihn Mitte der 1550er Jahre in bezug auf die Astrologie, die (angebliche) Vermischung von Theologie und Philosophie und die Lehre vom freien Willen (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1 und Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.2). – Johannes Aurifaber, der zwischen 1537 und 1547 in Wittenberg studierte hatte (vgl. Jauernig, Aurifaber, 147), kritisierte in den 1550er Jahren die »Leipziger Artikel«, gab Melanchthon in einer zusammen mit anderen Theologen verfaßten Schrift die Schuld daran, daß es nicht zu einer Vermittlung zwischen ihm und Flacius gekommen war, und stellte Melanchthons Faible für die Philosophie und seinen Einsatz für die Astrologie in Frage (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 a), Anm. 182; Kap. 5.1; Kap. 9 und Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.1). – Johannes Wigand, der ab 1538 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Kawerau, Wigand, 270), wandte sich sowohl zu Melanchthons Lebzeiten als auch nach seinem Tod gegen ihn (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 a), Anm. 182 und Kap. 9 ; zu späterer Kritik am Verzicht auf das sola fide, am Festhalten an der Dreiteilung der Buße und an Melanchthons Nachgiebigkeit in den Augsburger Ausschußverhandlungen von 1530 Wigand, Historia, 140; zu Melanchthons Veränderungen der CA Wigand, a. a. O., 122, 148 ff. und 154. – Andreas Musculus, der von 1538 bis 1541 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Grimm, Musculus, 626), kritisierte 1546 Melanchthons Erklärung der Johannestaufe (vgl. oben Kap. 1.1.3.1) und wandte sich 1558 im Zuge des zweiten Antinomistischen Streits erneut gegen Melanchthon (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 16); – Matthäus Judex, der von 1546 bis 1549 in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 12, 374), wandte sich Ende der 1550er Jahre wiederholt gegen Melanchthon (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.2.4 a), Anm. 182 und Kap. 9 ). – Tilemann Heshusen, der von 1546 bis 1551 (mit Unterbrechungen) in Wittenberg studiert hatte (vgl. Scheible, MBW R 12, 283), griff Melanchthon Ende der 1550er Jahre massiv an (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 5.1, Kap. 8.2.2.4 und Kap. 18). Die Kritik der drei ehemaligen Melanchthon-Schüler Sarcerius, Mörlin und Heshusen, die sie nach Melanchthons Tod äußerten, war für Camerarius Mitauslöser seiner Biographie »De Vita Melanchthonis«, was meiner Ansicht nach eine Überschätzung dieser Kritik darstellt. Vgl. zur Identifizierung der von Camerarius nicht namentlich genannten Personen Strobel, in: Camerarius: De Vita Melanchthonis, 368, Anm.
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dazu, daß er selbst, aber auch andere Zeitgenossen den Schülern (ähnlich wie den Kollegen) Undankbarkeit vorwarfen.56
1.3 Gäste Neben den eingeschriebenen Studenten kamen immer wieder gelehrte Gäste nach Wittenberg – häufig angezogen von Melanchthon – und tauschten sich mit ihm aus. 1535 hielt sich der Gesandte des englischen Königs Christoph Mont in Wittenberg auf und freundete sich dabei mit Melanchthon an. Daß er sich im selben Jahr kritisch über Melanchthons »Consicium ad Gallos« äußerte, hängt wohl damit zusammen, daß er Melanchthon nach dessen Ablehnung einer Einladung nach England vom Gedanken einer Frankreichreise abbringen wollte.57 Im Sommer 1543 verbrachte der aus den Niederlanden stammende Theologe Albert Hardenberg einen Monat in Wittenberg, woraus ein intensiver, sich in einem regen Briefwechsel niederschlagender Kontakt zu Melanchthon entstand.58 Dies hinderte Hardenberg jedoch nicht daran, Melanchthon in den Folgejahren zu kritisieren, zum einen 1549 wegen der »Leipziger Artikel«, zum anderen 1556 im Blick auf Melanchthons Bemühen um Neutralität im zweiten Abendmahlsstreit.59 Im Sommer 1550 kam der Italiener Lelio Sozzini nach Wittenberg und unterhielt sich dabei mit Melanchthon auch über astrologische Themen. Diese Gespräche führten unter anderem dazu, daß Sozzini Melanchthon vorwarf, er stütze sich mehr auf die Sterne denn auf Gott.60
1.4 Zusammenfassung Auch wenn alle genannten Personen zu Melanchthon in mehr oder weniger engem Kontakt standen bzw. gestanden hatten, hinderte diese Nähe sie nicht daran, ihn – teilweise heftig, teilweise nur in Andeutungen – zu kritisieren. Vielmehr war der enge Kontakt in den meisten Fällen mit dafür verantwortlich, 56 Vgl. z. B. Melanchthon an Spalatin 19. 9. 1526 [MBW 499; MBW T 2, 490, Z. 5 ff.]; die gegen Schenck gerichtete Rede »De ingratitudine cuculi« von 1537 [CR 11, 335–342, Nr. 46]; Melanchthon an Camerarius 4. 12. 1542 [MBW 3101; MBW T 11, 346, Z. 14 ff.]; an Musculus 12. 4. 1546 [MBW 4229; CR 6, 104–107, Nr. 3439; hier 107] und an Goldstein ca. 7. 9. 1550 [MBW 5899; Regest bei Scheible, MBW R 6, 93]; zudem Calvin an Melanchthon 19. 11. 1558 [MBW 8782; CR 45, 384–386, Nr. 2985; hier 385]; Örtels Grabrede für Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 202]; Heerbrands Gedenkrede auf Melanchthon vom 15. 5. 1560 [CR 10, 310] und Mathesius, Luthers Leben, 16. Predigt, 404–426; hier 422, Z. 12 f. und 424, Z. 10 ff. 57 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1 und Archbold, Mont, 204. 58 Vgl. Scheible, MBW R 12, 226 f. 59 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.3 und Kap. 8.1. 60 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1.
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daß Melanchthon kritisiert wurde, kannten seine Kollegen und Studenten doch seine persönlichen Eigenarten, seine theologischen Aussagen und sein Verhalten aus eigener Anschauung, und neben den inhaltlichen Gründen konnte Kritik auch aus persönlicher Enttäuschung erwachsen.
Kapitel 2: (Kur)Sachsen Als Professor der Wittenberger Universität stand Melanchthon (zwangsläufig) in engem Kontakt zum kursächsischen bzw. sächsischen Hof, seinen Fürsten, Beamten und Theologen (2.1). Im Zuge seiner Tätigkeiten für den kursächsischen Hof – zum Beispiel bei Visitationen – kam er zudem in Kontakt mit verschiedenen Gelehrten auf dem Gebiet des Kurfürstentums (2.2).
2.1 Der kursächsische und der sächsische Hof Bis zum Schmalkaldischen Krieg war es vor allem der kursächsische Hof unter den Ernestinern Friedrich, Johann und Johann Friedrich von Sachsen, in dessen Dienst Melanchthon stand. Nachdem die Kurwürde und damit auch die Universität Wittenberg 1547 an den Albertiner Moritz von Sachsen übergegangen war, stand Melanchthon zwar weiterhin in Kontakt mit den Söhnen des gefangenen Johann Friedrich, war jedoch in erster Linie für den albertinischen Hof tätig. Kritik erntete Melanchthon sowohl von den Fürsten selbst wie auch aus ihrem Umfeld, das heißt von Hof beamten oder Hofpredigern. 2.1.1 Ernestiner 2.1.1.1 Die Kurfürsten Friedrich und Johann von Sachsen Die beiden Kurfürsten Friedrich und Johann von Sachsen traten beide nur jeweils einmal als Kritiker Melanchthons in Erscheinung. Friedrich der Weise, der bis 1525 lebte und regierte, kritisierte Melanchthon gemeinsam mit seinen Kollegen im Zusammenhang der Wittenberger Bewegung 1521/22 und warf ihm vor, er habe ohne Befehl Neuerungen eingeführt bzw. nicht ausreichend darüber berichtet.61 Friedrichs Bruder Johann der Beständige, der von 1525 bis 1532 regierte und Melanchthon erstmals zu Reichstagen und anderen Zusammenkünften mitnahm, äußerte Kritik im Jahr 1528: Er fragte im Zuge der Visitation an, ob man die Möglichkeit für die Schwachen, das Abendmahl noch eine Zeitlang unter einer Gestalt zu empfangen, in einem offiziellen Dokument wie dem »Unterricht der Visitatoren« fixieren solle, da er fürchtete, dies könne von Gegnern 61
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .2 und Kap. 2 .5.
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nicht als seelsorglicher Rat, sondern als grundsätzliches Zugeständnis verstanden werden.62 2.1.1.2 Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen Die unter Kurfürst Johann von Sachsen begonnene intensive Zusammenarbeit zwischen Melanchthon und dem kursächsischen Hof setzte sich unter Johanns Sohn Johann Friedrich in dessen Regierungsjahren 1532 bis 1547 fort. Allerdings scheint das Verhältnis zwischen Johann Friedrich und Melanchthon von Anfang an nicht ungetrübt gewesen zu sein. Johann Friedrich, der stark von Luther geprägt war und sich ihm und seiner Theologie in besonderer Weise verbunden fühlte,63 wußte zwar um die Bedeutung Melanchthons für die Universität Wittenberg und wollte ihn aus diesem Grund nicht verlieren,64 sah ihn als Theologen und Mensch allerdings zunehmend kritisch. Die ersten bekannten Vorwürfe Johann Friedrichs stammen aus dem Jahr 1535, als es anläßlich von Melanchthons Verhandlungen mit Frankreich zu einer tiefen »Vertrauens krise« 65 zwischen Melanchthon und Johann Friedrich kam. An diese Kritik knüpfte Johann Friedrich in den folgenden Jahren immer wieder an, wobei sich sein Bild von Melanchthon als einem wankelmütigen und daher nicht vertrauenswürdigen Menschen festigte. Inhaltlich kritisierte Johann Friedrich zum ersten Melanchthons Lehraussagen, vor allem zu den Themen Rechtfertigung, freier Wille und Abendmahl – stets getragen von der Sorge um die reine und einheitliche lutherische Lehre. Zum zweiten stellte er Melanchthons kirchenpolitisches Agieren in Frage, das ja meist in seinem Beisein oder in seinem Namen stattfand: Er griff die Anfrage seines Vaters im Blick auf den Laienkelch auf und problematisierte bestimmte Kontakte Melanchthons zu Altgläubigen sowie sein Nachgeben im Blick auf Adiaphora und den Papst. Dabei war Johann Friedrich von der Angst getragen, Melanchthons Äußerungen und Verhalten könnten von den Gegnern zum Anlaß genommen werden, ihn zu weiterem Nachgeben zu bewegen. Zum dritten warf er Melanchthon eigenmächtiges Handeln vor. Johann Friedrichs kritische Haltung gegenüber Melanchthon verschärfte sich, als nach dem Interim die persönliche Enttäuschung über Melanchthons Rückkehr nach Wittenberg und seinen Dienst für den neuen sächsischen Kurfürsten Moritz hinzukam.66 62
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 a). Vgl. Leppin, Luther, 311. 64 Vgl. z. B. Johann Friedrich von Sachsen an Melanchthon 27. 9. 1534 [MBW 1497; MBW T 6, 209; hier Z. 3 ff.]; Melanchthon an Camerarius 5. 12. 1534 [MBW 1510; MBW T 6, 235–237; hier 236, Z. 12 f.] und Brück an Johann Friedrich 9. 1. 1546 [CR 6, 10–12, Nr. 3353; hier 10]. 65 Kohnle, Melanchthon und die Bündnisverhandlungen, 48. 66 Vgl. zu Johann Friedrichs Kritik im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 3.6.1.1; Abschnitt III, Kap. 1, Kap. 3, Kap. 5 bis Kap. 7, Kap. 13 und Kap. 15; Abschnitt IV, Kap. 1 und Kap. 3.2.1.2 und oben Abschnitt I, Kap. 5.2. Möglicherweise kritisierte Johann Friedrich 63
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Möglicherweise beeinflußten Johann Friedrichs kritische Haltung gegenüber Melanchthon und seine persönliche Enttäuschung über Melanchthons Dienst für seinen Vetter Moritz auch das Melanchthonbild seiner Vertrauten, denn in den Jahren 1547 bis 1549 äußerten sich zum Beispiel seine beiden (ehemaligen) Leibärzte – Georg Curio und (der theologisch interessierte) Matthias Ratzeberger – kritisch über Melanchthon.67 Johann Friedrichs ehemaliger Hofprediger Christoph Hoffmann enthielt sich zwar persönlicher Kritik gegenüber Melanchthon, griff ihn jedoch inhaltlich an.68 2.1.1.3 Die Herzöge Johann Friedrich II. und Johann Wilhelm von Sachsen und der Weimarer Hof Nach dem Schmalkaldischen Krieg und der Gefangennahme Johann Friedrichs übernahmen seine beiden Söhne Johann Friedrich II. und Johann Wilhelm die Regierungsgeschäfte im Herzogtum Sachsen und standen in dieser Funktion auch im Austausch mit Melanchthon. Insbesondere Johann Friedrich II. scheint die melanchthonkritische Haltung seines Vaters übernommen zu haben und äußerte vor allem in der zweiten Hälfte der 1550er Jahre immer wieder Vorwürfe gegenüber Melanchthon,69 wobei er häufig von Mitgliedern seines Hofes, den Professoren der neugegründeten Universität Jena und den leitenden Geistlichen seines Landes unterstützt wurde.70
darüber hinaus Melanchthons astrologische Neigungen (vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.3). 67 Vgl. zu Curio, der neben seiner Tätigkeit für Johann Friedrich von 1537 bis 1543 als Professor für Anatomie Melanchthons Kollege an der Universität gewesen war, Scheible, MBW R 11, 326 f. und zu seiner Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1; zu Ratzeberger Müller, Ratzeberger und im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1, Kap. 2 .2.2 und Kap. 3.2.1.5. 68 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.2. 69 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1 und Kap. 13 und den Bericht Melanchthons im Brief an Camerarius 7. 2 . 1556 [MBW 7712; CR 8, 673 f., Nr. 5924; hier 674], er werde von einigen Fürsten scharf angegriffen, wozu laut Scheible, MBW R 7, 391 auch Johann Friedrich II. von Sachsen gehörte – worum es dabei ging, ist allerdings nicht mehr zu erhellen. 70 Dazu gehörten der Jurist Basilius Monner, der Johann Friedrich und seinen Bruder unterrichtet hatte und als Rat am sächsischen Hof tätig war, bis er 1554 Professor an der neugegründeten Universität in Jena wurde (vgl. Teichmann, Monner; zu Monners Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 11), die Hofprediger Johannes Aurifaber und Johannes Stoltz, die Superintendenten von Gotha und Mansfeld Justus Menius und Erasmus Sarcerius, der Jenaer Professor Victorinus Strigel (vgl. zur Kritik dieser fünf Schüler Melanchthons oben Kap. 1.2, Anm. 54 und 55) und der Jenaer Theologie-Professor und Superintendent Erhard Schnepf (vgl. zu ihm unten Kap. 3.1).
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2.1.1.4 Personen im Umkreis der ernestinischen Fürsten Im Zuge seines Dienstes für die ernestinischen Fürsten lernte Melanchthon weitere Personen kennen, die in den näheren oder weiteren Umkreis des Hofes gehörten, und arbeitete teilweise intensiv mit ihnen zusammen. Da ist zunächst Georg Spalatin zu nennen, ein enger Vertrauter von Kurfürst Friedrich und Berater aller ernestinischen Fürsten; mit ihm stand Melanchthon seit Anfang der 1520er Jahre in persönlichem und brieflichem Kontakt. Spalatin trat – so viel wir wissen – zweimal als Kritiker Melanchthons in Erscheinung: Im Zusammenhang der Wittenberger Bewegung 1521 warf er Melanchthon mangelnde Tapferkeit vor und 1542 kritisierte er den Rechtfertigungsartikel der »CA variata«.71 Eine weitere wichtige Person am ernestinischen Hof war der Jurist Gregor Brück, der als Rat und Kanzler bei vielen zentralen religionspolitischen Entscheidungen mitwirkte und in diesem Zusammenhang auch mit Melanchthon zu tun hatte. Von ihm ist lediglich eine ironische Bemerkung zu Melanchthon erhalten, dem er 1535 in bezug auf die vermuteten Absichten seiner neuaufgelegten »Loci« vorhielt, er strebe nach einem Kardinalshut.72 2.1.2 Albertiner Vom sächsischen Kurfürsten Moritz persönlich ist keine Kritik an Melanchthon bekannt, allerdings aus dem Umkreis seines Hofes: So scheinen einige Vertreter Melanchthon 1548 vorgeworfen zu haben, er prüfe das Interim zu genau und untergrabe dadurch eine Einigung mit dem Kaiser. Ähnliches wollte 1550 wohl auch Moritz’ Kanzler, der Jurist und Leipziger Professor Ludwig Fachs, sagen, als er sich kritisch über Melanchthons Haltung in den Verhandlungen über die »Leipziger Artikel« äußerte.73
2.2 Theologen und Gelehrte im Gebiet des (Kur)Fürstentums Folgende Theologen und Gelehrte, die im Gebiet des Kurfürstentums bzw. Herzogtums Sachsen tätig waren, bei denen jedoch keine engere Abhängigkeit von den genannten Fürsten bekannt ist, äußerten sich im Lauf der Jahrzehnte kritisch über Melanchthon: Alexius Crosner, der wegen seiner evangelischen Predigten aus dem Dienst als Schloßprediger des sächsischen Herzogs Georg von Sachsen entlassen worden war und auf der Suche nach einer neuen Stelle war, warf Melanchthon 1528 vor, er weiche mit dem »Unterricht der Visitatoren« von Luther ab.74 71
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 2 .1 und Abschnitt III, Kap. 13.1. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 2 . 73 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1 und Kap. 3.2.1.8. 74 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 b). 72
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Mitte der 1530er Jahre meldeten sich einige Theologen aus dem Gebiet des sächsischen Kurfürstentums zu Wort und kritisierten Melanchthons Rechtfertigungslehre, allen voran der Niemegker Pfarrer Konrad Cordatus, zudem der in Holzdorf bei Wittenberg als Pfarrer tätige Michael Stifel, ein gewisser Georg Solmius, von dem sonst nichts Näheres bekannt ist, und der Zwickauer Pfarrer Leonhard Beyer.75 Im Zuge der Adiaphoristischen Streitigkeiten äußerten sich 1549 die beiden Torgauer Prediger Gabriel Zwilling und Michael Schultes kritisch über die Umsetzung des »Augsburger Interims« in Gestalt der »Leipziger Artikel«.76 Der Coburger Arzt Christoph Stathmion kritisierte Melanchthon 1552 im Blick auf sein ihm als zu mild erscheinendes Vorgehen gegen Osiander.77
2.3 Zusammenfassung Im Kurfürstentum und im Herzogtum Sachsen waren es vor allem die ernestinischen Fürsten und einzelne Gelehrte, die Melanchthon wegen seiner Lehre und seinem Verhalten gegenüber den Altgläubigen kritisierten. Vom albertinischen Hof wurde er im Gegensatz dazu wegen seiner allzu harten Linie angegriffen.
Kapitel 3: Reich Auch außerhalb Sachsens gab es zahlreiche Kritiker Melanchthons – in den verschiedenen evangelischen Territorien und Städten des Reichs. Die meisten von ihnen kannten Melanchthon persönlich, einige allerdings nur aus Briefen oder aufgrund seiner wichtigen Stellung unter den Protestanten.78
3.1 Territorien Im Lauf von Melanchthons Leben meldeten sich verschiedene evangelische Landesherren und ihre (leitenden) Geistlichen mit Kritik an Melanchthon zu Wort. 75 Vgl. zur Kritik der Jahre 1536 und 1537 im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 4. Cordatus wurde wegen seiner Kritik ähnlich wie Melanchthons Wittenberger Kollegen und Studenten (vgl. oben Kap. 1.1 und Kap. 1.2) Undankbarkeit vorgeworfen, allerdings nicht von Melanchthon selbst, sondern von Cruciger, an dem sich die Kritik überhaupt erst entzündet hatte (vgl. Cruciger an Dietrich 19. 4. 1537 [CR 3, 354 f., Nr. 1564; hier 355]). 76 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.5. 77 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 6.2. 78 Weitere Vertreter von Territorien und Reichsstädten finden sich unter den in Kap. 1.2 aufgeführten Studenten Melanchthons.
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Als einer der ersten evangelischen Landesherrn außerhalb Sachsens äußerte sich 1528 Graf Albrecht von Mansfeld kritisch über Melanchthon, weil er gemeinsam mit Philipp von Hessen Anstoß an Melanchthons »Articuli« nahm, die dieser 1527 für die Visitation in Kursachsen verfaßt hatte. 1548/49 griff Albrecht Melanchthons Gutachten zum »Augsburger Interim« an und kritisierte ihn wohl auch wegen der »Leipziger Artikel«.79 Albrechts Unbehagen im Blick auf die »Leipziger Artikel« teilte auch der Mansfelder Superintendent Johannes Spangenberg und wandte sich daher im Januar 1549 im Namen seiner Geistlichen mit einer kritischen Anfrage an Melanchthon.80 Landgraf Philipp von Hessen äußerte Kritik an Melanchthon in den Jahren 1528 bis 1530. Sie hängt sicher damit zusammen, daß er in dieser Zeit besonders deutlich auf seinen eigenen politischen Zielen und Vorstellungen beharrte und daher immer wieder in Konflikt mit den Wittenberger Theologen geriet; Streitpunkte waren das Widerstandsrecht und die Bekenntniseinheit als Grundlage eines Bündnisses.81 Wie Albrecht von Mansfeld kritisierte Philipp von Hessen die »Articuli« von 1527, 1529 stellte er Melanchthons Einigungsbestrebungen beim Speyerer Reichstag in Frage sowie seine unnachgiebige Haltung hinsichtlich einer Vereinigung mit den Oberdeutschen; im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 schließlich griff er Melanchthon wegen der Zugeständnisse an die Altgläubigen an.82 Aus späteren Jahren ist keine Kritik Philipps mehr bekannt, was verständlich wird, wenn man sich klarmacht, daß Melanchthon nach 1530 auf Philipps Linie einschwenkte und sich zusammen mit Bucer um die Einheit der Protestanten bemühte.83 Philipps Kritik des Jahres 1530 teilten seine Gesandten und Theologen,84 unter ihnen Erhard Schnepf, der an diese Kritik ab 1549 anknüpfte und Melanchthon wegen der »Leipziger Artikel« und seiner Haltung in den Streitigkeiten der 1550er Jahre angriff. Diese Vorwürfe Schnepfs stehen sicher in Zusammenhang mit seinem Wirken an der neugegründeten Universität Jena und seiner Annäherung an Flacius und Amsdorf.85 Herzog Ernst von Braunschweig-Lüneburg und sein Kanzler Johannes Furster kritisierten Melanchthon sowohl beim Speyerer Reichstag 1529 als auch beim Augsburger Reichstag 1530 und hatten dabei vor allem Melanchthons
79 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 b) und Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 3.2.1.7. 80 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2. 81 Vgl. Lies, Philipp der Großmütige und Melanchthon, 61 und 64. 82 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 4.2.2.1 b) und Kap. 5.1.2.2 und die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 a). 83 Vgl. die trostreichen Worte Philipps von Hessen in seinem Brief an Melanchthon vom 3. 6. 1555 [MBW 7516; CR 8, 494 f., Nr. 5798; hier 495]. 84 Vgl. die Zusammenstellung im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 a). 85 Vgl. zu Schnepfs Kritik im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.5 und Kap. 11; zu ihren Hintergründen Ehmer, Schnepf, 945.
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nachgiebige Haltung gegenüber den Altgläubigen im Auge.86 1548 und 1549 meldete sich der Reformator und Superintendent des Fürstentums BraunschweigCalenberg Antonius Corvinus mit Kritik an Melanchthons Stellungsnahmen zum Interim, seinem Brief an von Carlowitz und den »Leipziger Artikeln« zu Wort.87 Aus dem Gebiet der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach sind uns folgende Kritiker bekannt: 1530 wurde Melanchthons Haltung beim Augsburger Reichstag vom Kitzinger Prediger Martin Meglein kritisiert, und 1535 übte der Ansbacher Hofprediger Andreas Althamer Kritik an Melanchthons »Consilium ad Gallos«.88 Johannes Brenz, der im Lauf seines Lebens neben seiner Tätigkeit als Reformator der Reichsstadt Schwäbisch Hall in den Diensten verschiedener Landesherren stand, war Melanchthon zwar eng verbunden,89 kritisierte ihn aber dennoch einige (wenige) Male: Zum einen richteten sich Brenz’ Vorwürfe gegen Melanchthons Zugeständnisse in den Ausschußverhandlungen beim Augsburger Reichstag 1530 und im Blick auf das »Augsburger Interim« 1548, zum anderen stellte er 1559 ausgehend von der von ihm entwickelten Ubiquitätslehre gemeinsam mit seinem Landesherrn Herzog Christoph von Württemberg Melanchthons christologische Grundlegung der Abendmahlslehre in Frage.90 Vertreter des seit 1539 der Reformation anhängenden Kurfürstentums Brandenburg äußerten sich 1548 in unterschiedlicher Weise kritisch über Melanchthon. Vom kurbrandenburgischen Hof wurde Melanchthon vorgeworfen, er prüfe das Interim zu genau und bringe dadurch eine Einigung mit dem Kaiser in Gefahr,91 wohingegen der Berliner Probst (und Schüler Melanchthons) Georg Buchholzer, der schon Melanchthons Rückkehr nach Wittenberg kritisiert hatte, die weitgehenden Zugeständnisse der »Leipziger Artikel« in Frage stellte.92 In den Jahren nach 1548 äußerten weitere Personen aus evangelischen Territorien Kritik an Melanchthon: 1548 Freiherr Dietrich von Maltzan von Gut Grubenhaben in Mecklenburg im Blick auf Melanchthons Aussagen über Luther in seinem Brief an von Carlowitz93 und der Superintendent der Grafschaft 86 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.1 und die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 b). 87 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2.2.1.2, Anm. 77; Kap. 2.2.2 und Kap. 3.2.1.4. 88 Vgl. im Darstellungsteil die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.1 und Abschnitt III, Kap. 1. 89 Vgl. Scheible, MBW R 11, 214 f. 90 Vgl. im Darstellungsteil die Zusammenstellung in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.1 und Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2 und Kap. 8.2.2.5. 91 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1. 92 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 1 und Kap. 3.2; zudem Scheible, Buchholzer, 1823. 93 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.2.
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Ostfriesland Johannes Laski bezüglich Melanchthons Stellungsnahmen zum »Augsburger Interim«,94 1549 Albrecht von Preußen wegen der Umsetzung des »Augsburger Interims« in Kursachsen95 und 1557 Thomas Erastus, der Leibarzt der hennebergischen Grafen, hinsichtlich des großen Einflusses der Astrologie auf Melanchthon.96
3.2 Reichsstädte Eine große Zahl von Kritikern entstammte den selbstbewußten evangelischen Reichststädten, die in zwei Gruppen auseinanderfallen, eine von Wittenberg geprägte (3.2.1) und eine (vor allem oberdeutsche), die unter dem Einfluß Zwinglis stand (3.2.2). 3.2.1 Lutherisch geprägte Reichsstädte Die weitaus größte Gruppe reichsstädtischer Kritiker Melanchthons mit lutherischer Prägung stammte aus Nürnberg. Daneben äußerten sich aber auch Vertreter anderer Reichsstädte, vor allem aus dem Süden und dem Norden Deutschlands. 3.2.1.1 Nürnberg Melanchthon stand seit 1518 in engem Austausch mit verschiedenen Vertretern der Stadt Nürnberg, fungierte für sie häufig als theologischer Berater und wurde geschätzt.97 Das hinderte Nürnberger Theologen und Ratsmitglieder allerdings nicht daran, Melanchthon immer wieder teils heftig zu kritisieren. Unter den Theologen sticht Andreas Osiander hervor. Er war seit 1522 Prediger an St. Lorenz und eine maßgebliche Stütze der Reformation in Nürnberg.98 In diesem Zusammenhang stand er in regelmäßigen Abständen in persönlichem wie brieflichem Kontakt mit Melanchthon. Allerdings kam es trotz gegenseitiger (Beteuerungen der) Wertschätzung 99 des öfteren zu Spannungen 94
Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2. Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 3.2. 96 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.3. 97 Vgl. zu Melanchthons Beziehungen nach Nürnberg z. B. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 3.1; das Asyl-Angebot Nürnbergs an Melanchthon während des Schmalkaldischen Krieges (dazu Melanchthon an Eber 19. 2 . 1547 [MBW 4595; CR 6, 396 f., Nr. 3742; hier 397]) und Höss, Melanchthon. 98 Vgl. Müller, Osiander, 719 und ausführlicher bei Zimmermann, Osiander. 99 Vgl. z. B. Melanchthon an Osiander 29. 1. 1539 [MBW 2142; MBW T 8, 304 f.; hier 304, Z. 7 ff.] und 12. 11. 1539 [MBW 2303; MBW T 8, 601–603; hier 601 f., Z. 5 ff.]; an Dietrich 12. 11. 1539 [MBW 2304; MBW T 8, 603–605; hier 604, Z. 30 ff.]; an Osiander 3. 4. 1545 [MBW 3870; CR 5, 728 f., Nr. 3172; hier 729] und ca. 1. 1. 1552 [MBW 6294; MSA 6, 452–461; hier 454, Z. 9 ff.] und an Cullmann 11. 12. 1552 [MBW 6669; CR 7, 1150–1152; hier 1151 f.]. 95
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zwischen Osiander und Melanchthon, vor allem 1530, 1540 und im Zuge der sogenannten Osiandrischen Streitigkeiten in den Jahren 1551 und 1552. Osiander kritisierte Melanchthon immer wieder heftig und nahm dabei zum ersten sein zurückhaltendes und nachgiebiges Verhalten gegenüber Altgläubigen und seine (positive) Einschätzung des Kaisers ins Visier, problematisierte zum zweiten Lehraussagen Melanchthons – vor allem seine Anthropologie und seine Rechtfertigungslehre –, und stellte zum dritten Melanchthons Persönlichkeit – in erster Linie seinen Hang zu Sorgen – in Frage.100 Die Heftigkeit der Kritik Osianders scheint Melanchthon stets von neuem überrascht zu haben, weshalb er sie unter anderem durch Osianders (wohl durchaus vorhandene) Streitsucht zu erklären versuchte.101 Allerdings lag der Hauptgrund für Osianders Kritik wohl eher in seinem von Melanchthon unterschiedenen theologischen Ansatz.102 1541 meldete sich ein weiterer Nürnberger Theologe mit Kritik an Melanchthon zu Wort. Der seit 1525 als Prediger an der Sebalduskirche tätige Wenzeslaus Linck scheint im Zusammenhang des Regensburger Religionsgesprächs Melanchthons These in Zweifel gezogen zu haben, außerhalb des einsetzungsgemäßen Vollzugs gebe es kein Sakrament und das heißt keine Gegenwart Christi.103 Wohl sah Linck durch eine solche Aussage das lutherische Verständnis der Realpräsenz in Gefahr. Melanchthon wurde jedoch nicht nur von Nürnberger Theologen, sondern auch aus den Reihen des Rates kritisiert, und zwar 1530 von den Nürnberger Gesandten in Augsburg Christoph Kreß, Klemens Volkamer und besonders heftig von Hieronymus Baumgartner, obwohl letzterer bei Melanchthon studiert hatte und in intensivem Briefwechsel mit ihm stand,104 zudem vom Nürnberger Rat, das heißt vor allem vom Ratsherrn Hieronymus Ebner und vom Ratsschreiber Lazarus Spengler.105 Neben den Theologen und den Ratsmitgliedern gab es weitere Personen in Nürnberg, die Melanchthon kritisierten, zum einen der Humanist Vincentius 100 Vgl. die Zusammenstellung von Kritik in Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 c); Abschnitt III, Kap. 2 , Kap. 4, Kap. 8 und Kap. 13.1; Abschnitt IV, Kap. 2 .2.2, Kap. 3.2.2.2 und Kap. 6.1 und Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.3; zur Kritik an Melanchthons Anthropologie zudem Osiander an Melanchthon 12. 12. 1539 [MBW 2328; MBW T 8, 651–653; hier 652, Z. 29 ff.] und Melanchthon an Dietrich 1. 1. 1540 [MBW 2337; MBW T 9, 33–36; hier 33, Z. 3 ff.] und an Brenz 8. 1. 1540 [MBW 2348; MBW T 9, 57–59; hier 58, Z. 18 f.]. 101 Vgl. Melanchthon an Dietrich 15. 2 . 1540 [MBW 2375; MBW T 9, 119 f.; hier 120, Z. 7 f.]. Der Vorwurf der Undankbarkeit an Osiander findet sich z. B. im Brief von Sabinus an Melanchthon 10. 3. 1551 [MBW 6015; Bindseil, Epistolae, 315 f., Nr. 348; hier 316]; vgl. zudem Gussmann, Ratschläge 1, 140. 102 Vgl. in bezug auf die Rechtfertigungslehre Briskina, Melanchthon und Osiander, 349 und Scheible, Aufsätze zu Melanchthon, 202 ff. 103 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 13.2. 104 Vgl. Höss, Melanchthon, 21 und 29 sowie Scheible, MBW R 11, 124 f. 105 Vgl. die Zusammenstellung im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 5.1.2.2 c).
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Obsopoeus,106 zum anderen der Lehrer Michael Roting, der zeitweise Melanchthons Schülerkreis angehört hatte und dessen naturwissenschaftliche Interessen teilte, 1542 aber über Melanchthons Vertrauen auf Voraussagen spottete.107 Neben Roting scheint es in Nürnberg weitere Personen gegeben zu haben, die über Melanchthons astrologische Neigungen spotteten; wer dies allerdings war, läßt sich nicht mehr feststellen.108 3.2.1.2 Weitere Städte Vertreter weiterer süddeutscher Reichsstädte meldeten sich 1530 im Zusammenhang des Augsburger Reichstags mit Kritik an Melanchthons Zugeständnissen zu Wort – und zwar die beiden Schwäbisch Haller Theologen Johannes Brenz und Johannes Eisenmenger sowie der Reutlinger Bürgermeister und Gesandte in Augsburg Josua Weiß zusammen mit dem Reutlinger Reformator Matthäus Alber; 109 1535 kritisierte der Heilbronner Reformator Johannes Lachmann Melanchthons »Consilium ad Gallos«.110 Auslöser für die Kritik aus verschiedenen norddeutschen (Hanse)Städten waren Melanchthons Stellungnahmen zum »Augsburger Interim« und dessen Umsetzung in Kursachsen im Jahr 1548, was etwa den Nordhauser Pfarrer Anton Otto, den Hamburger Superintendenten Johannes Aepin und den Magdeburger Rat zu kritischen Anfragen bewegte.111 Otto knüpfte auch in den folgenden Jahren an diese Kritik an und bemängelte sowohl die Wittenberger Lutherausgabe wie auch das Verhalten der Wittenberger im Zuge der Bemühungen, Melanchthon und Flacius miteinander auszusöhnen.112 Im Jahr 1556 äußerte sich Bartholomäus Battus aus Lübeck kritisch über Melanchthons Abendmahlslehre.113 3.2.2 Reichsstädte unter zwinglianischem Einfluß Die Reichsstädte, in denen (zumindest in den Anfangsjahren der Reformationszeit) zwinglianischer Einfluß vorherrschte, lagen allesamt in Oberdeutschland und hatten ihr Zentrum in Straßburg. Von dort stammen auch die meisten oberdeutschen Kritiker Melanchthons, die vor allem in den Jahren 1529 und 1530 in Erscheinung traten. Nach dem Speyerer Reichstag und im Zuge des Marburger Religionsgesprächs 1529 äußerte sich Martin Bucer kritisch über 106
Vgl. zu seiner Kritik oben Anm. 55. Vgl. zu Roting im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 3.1 und Höss, Melanchthon, 21; zu seiner Kritik im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1. 108 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt V, Kap. 2 .1. 109 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt II, Kap. 5.1.2.1 und Kap. 5.1.2.2 d); zu Brenz zudem oben Kap. 3.1. 110 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1. 111 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.2, Kap. 3.2.1.1 und Kap. 3.2.1.3. 112 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 9. 113 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.2.2.1. 107
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Melanchthon und hielt ihm vor, er hetze gegen die Zwinglianer und untergrabe alle Versuche einer innerprotestantischen Einigung; er wurde darin von dem Freiburger Griechisch-Professor Jakob Bedrotus unterstützt. Im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 knüpften Bucer und Wolfgang Capito an die Kritik des Jahres 1529 an und fügten weitere Vorwürfe hinzu, zum Beispiel in bezug auf Melanchthons nachgiebige Haltung und seine Sorgen. Hinsichtlich der Ausschußverhandlungen schlossen sich ihrer Kritik die Straßburger Gesandten Jakob Sturm und Matthis Pfarrer und der Memminger Gesandte Hans Ehinger an, zudem Vertreter der noch unentschiedenen Städte Ulm und Augsburg, die allerdings zeitweise unter starkem zwinglianischen Einfluß standen.114 In den Jahren danach verstummte die Kritik aus Straßburg, da Melanchthon in der Abendmahlsfrage einlenkte und sich gemeinsam mit Bucer um die Einheit der Protestanten bemühte. Dieses gemeinsame Ringen von Melanchthon und Bucer führte unter anderem 1534 zu Gutachten beider für den französischen König, in denen verschiedene Zugeständnisse enthalten waren, gegen die sich nun die Vertreter einer anderen oberdeutschen Stadt, nämlich Konstanz, in Gestalt des Patriziers Thomas Blarer und seines Vetters, des Reformators Johannes Zwick, zur Wehr setzten.115
3.3 Zusammenfassung Überblickt man die Vorwürfe der Vertreter der evangelischen Territorien und der Reichsstädte, fällt auf, daß sie sich bis auf wenige Ausnahmen an Melanchthons kirchenpolitischem Agieren entzündeten und sich weniger gegen Lehraussagen oder seine Person richteten. Der Ärger über Melanchthons Zugeständnisse an die Altgläubigen, insbesondere was die Jurisdiktion der Bischöfe betrifft, wird verständlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, welche Kämpfe gerade die Reichsstädte seit dem 11. Jahrhundert und verstärkt in den Anfangsjahren der Reformation ausgefochten hatten, um sich aus der Herrschaft der Bischöfe zu befreien. Da verwundert es nicht, daß sie strikt dagegen waren, in diesem Punkt Kompromißbereitschaft zu zeigen. Aber auch in anderen kirchenpolitischen Fragen waren viele Territorien und Reichsstädte tendenziell gegen Zugeständnisse, weil sie die altgläubigen Gegner und mit ihnen die Hoffnung auf Einigung häufig schon aufgegeben hatten. Statt dessen waren sie bemüht, die Neuordnung der Kirche in ihrem (meist überschaubaren) Gebiet einheitlich im Sinne der neuen Lehre vorzunehmen.
114 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.3.2.1 und Kap. 5.4.2.3 und Abschnitt II, Kap. 5.1.3 und Kap. 5.1.4. 115 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt III, Kap. 1.
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Kapitel 4: Schweiz Auch außerhalb des deutschen Reichs gab es Kritiker Melanchthons; sie stammten in erster Linie aus der Schweiz. Die Kritik von Vertretern der reformatorisch gesinnten Schweizer Städte entzündete sich in den Jahren bis 1530 vor allem an Melanchthons antizwinglianischer Haltung, aber auch an seiner Neigung, sich in Aussagen über das Abendmahl nicht festzulegen. Entsprechend äußerten sich im Jahr 1529 Melanchthons Studienkollege Johannes Oekolampad, Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger. Zwingli kritisierte zudem beim Augsburger Reichstag 1530 Melanchthons Annäherung an die Altgläubigen.116 Nachdem sich Melanchthon in den Jahren nach 1530 gemeinsam mit Bucer um eine innerprotestantische Einigung bemüht und seine Abendmahlslehre der oberdeutschen angenähert hatte, ärgerten sich die Schweizer im Zuge des zweiten Abendmahlsstreits darüber, daß sich Melanchthon aus den Streitigkeiten herauszuhalten versuchte und keine klare Position bezog. Entsprechend äußerten sich in den 1550er Jahren Bullinger und Johannes Calvin.117 Beide traten allerdings in weiteren Zusammenhängen als Kritiker Melanchthons in Erscheinung, und zwar Calvin 1549 im Blick auf die »Leipziger Artikel« und Melanchthon als Vertreter einer wissenschaftlichen Astrologie und Bullinger 1559 hinsichtlich Melanchthons Antwort auf die bayerischen Inquisitionsartikel.118
116 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt I, Kap. 5.1.2.3, Kap. 5.2.2.2, Kap. 5.3.2.2 und Kap. 5.4.2.1. 117 Vgl. zur Beziehung zwischen Melanchthon und Calvin Wengert, Epistolary Friendship. 118 Vgl. im Darstellungsteil Abschnitt IV, Kap. 8.1; zu Calvin zudem Abschnitt IV, Kap. 3.2.1.6 und Abschnitt V, Kap. 2 .2.1.3; zu Bullinger Abschnitt IV, Kap. 15.
Schluß Das negative Melanchthonbild läßt sich in all seinen Facetten in die Lebenszeit Melanchthons zurückverfolgen. Und die vorliegende Darstellung hat erwiesen, daß es nicht erst – wie oft angenommen wird – in der Folge des »Augsburger Interims« und der innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten der 1550er Jahre entstand, sondern schon viel früher: Die Kritik an Melanchthon aus den eigenen Reihen setzte bereits Anfang der 1520er Jahre ein und steigerte sich ab 1527 beständig; Höhepunkte erreichte sie im Zuge des Augsburger Reichstags 1530 und in den Jahren 1536 und 1537, als Melanchthon von zahlreichen Personen wegen seiner Lehre angegriffen wurde. Nach 1548 kulminierte die Kritik der vorangegangen Jahre, das heißt, es kamen kaum neue Vorwürfe hinzu, sondern bereits Geäußertes wurde wiederaufgenommen, gebündelt und zugespitzt. Derartige Bezüge lassen sich vor allem für die Vorwürfe nachweisen, die im Zuge des Augsburger Reichstags und in Reaktion auf die »Leipziger Artikel« geäußert wurden. Inhaltlich wurde Melanchthon im Lauf seines Lebens vor allem wegen seiner Theologie, seines kirchenpolitischen Agierens und seiner Persönlichkeit angegriffen. In bezug auf seine Theologie waren es in erster Linie seine Lehre vom freien Willen, unterschiedliche Aspekte seiner Rechtfertigungslehre und seine Aussagen zur Realpräsenz im Abendmahl, die ab 1527, verstärkt jedoch in den Jahren nach 1548 der Kritik unterzogen wurden – häufig mit dem Argument, Melanchthon stimme in diesen Fragen nicht mit Luther und einem (konstruierten) lutherischen Lehrkonsens überein. Melanchthons Theologie wurde zudem mit verschiedenen Etikettierungen versehen – zu nahe an der altgläubigen Lehre oder zu philosophisch – und dadurch auf einer noch grundsätzlicheren Ebene in Frage gestellt. Im Blick auf Melanchthons kirchenpolitisches Agieren wurden vor allem seine Zugeständnisse in Verhandlungen mit Altgläubigen angegriffen, wobei seine Äußerungen zu Zeremonien, Laienkelch und bischöflicher Jurisdiktion besonders großen Anstoß erregten. Höhepunkte erlebte diese Art der Kritik in den Jahren 1530, 1534/35 und ab 1548, und es fällt auf, daß immer wieder dieselben Begründungsmuster herangezogen wurden und die Kritiker von ähnlichen Ängsten um den Bestand der Reformation getrieben waren. Führt man sich die Phasen vor Augen, in denen besonders massive Kritik an Melanchthon geäußert wurde, fällt auf, daß es Zeiten waren, in denen die lu-
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therische Identität aufgrund äußerer Gefahren oder durch die Angriffe von Gegnern auf dem Spiel stand und nach Stabilisierung verlangte. Entsprechend stieg das Bedürfnis nach einheitlicher Lehre und klarer Abgrenzung, und man reagierte mit einer verstärkten Orientierung an Luther und seinen Aussagen. Mitte der 1530er Jahre etwa oder in den Jahren nach dem »Augsburger Interim« festigte sich das negative Melanchthonbild parallel zur lutherischen Identität.1 Häufig in Verbindung mit Kritik an seiner Theologie und seinem kirchenpolitischen Agieren wurde Melanchthons Persönlichkeit in Frage gestellt – so ging zum Beispiel Kritik an Zugeständnissen bzw. an der Änderung eines Lehrstücks regelmäßig mit dem Vorwurf eines wankelmütigen Charakters einher. Und es waren vor allem Melanchthons Persönlichkeit betreffende Kritikpunkte, bei denen bereits zu seinen Lebzeiten ein gewisser Prozeß der Verselbständigung und der Ablösung von konkreten Ereignissen und damit die Bildung von Klischees zu beobachten ist. Ein Teil der genannten altgläubigen Vorwürfe richtete sich wie die protestantische Kritik gegen Melanchthons Persönlichkeit oder die hinter seinem Handeln vermuteten Motive und kam wohl durch die Unsicherheit verschiedener Altgläubiger (aus dem Lager der Vertreter eines harten Kurses) zustande, wie sie Melanchthon einschätzen sollten. Der Vorwurf der Unredlichkeit und Heuchelei, den allen voran Johannes Cochlaeus immer wieder äußerte, wurde in bestimmten altgläubigen Kreisen schon zu Melanchthons Lebzeiten zu einer Art Klischee und hatte möglicherweise auch Einfluß auf die protestantische Sichtweise von Melanchthon. Daneben gab es regelmäßig altgläubige Vorwürfe, die der protestantischen Kritik genau entgegengesetzt waren, etwa 1521, 1530, 1541 oder 1548: Von altgläubiger Seite wurde ihm Unnachgiebigkeit vorge worfen,2 während sich protestantische Kritiker an seiner Nachgiebigkeit stießen. Diese gegensätzlichen Vorwürfe brachten Melanchthon immer wieder in Dilemmasituationen, allerdings richtete er es sich im Lauf seines Lebens auch in der Rolle des von allen Seiten Angefochtenen ein.3 1
Vgl. Dingel, Melanchthon – Freunde und Feinde, 787. Vgl. im Darstellungsteil zu 1521 Abschnitt I, Kap. 1; zu 1530 Abschnitt II, Kap. 3.11; zu 1541 Abschnitt III, Kap. 13.2; zu 1548 Abschnitt IV, Kap. 2 .2.1.1; zudem Melanchthons Brief an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217; hier 881]: »alii me frigus et glaciem nominarunt« (dazu Wengert, Philoneikos, 43) und Camerarius, De vita Melanchthonis, 105: »criminationes, ut . . . ab illis plus aequo pertinax, durus, confidens perhiberetur«. 3 Vgl. Melanchthon an Karl V. 19. 5. 1541 [MBW 2700; MBW T 10, 210–204; hier 201, Z. 2 ff.]: »Non inusitatum est eos, qui adhibentur ad conciliationes, in utriusque partis odia incurrere et utrinque plagas accipere. Id mihi non nunc primum accidit«; an Seidemann 28. 7. 1548 [MBW 5237; CR 7, 89, Nr. 4311]; an von Carlowitz 28. 4. 1548 [MBW 5139; CR 6, 879–885, Nr. 4217; hier 881]; an Steinhausen 4. 1. 1557 [MBW 8080; CR 8, 924–926, Nr. 6133B; hier 926]; 20. 9. 1557 an Bullinger [MBW 8356; CR 9, 283 f., Nr. 6348; hier 283] und an Languet [MBW 8357; CR 9, 284, Nr. 6349]; ferner Camerarius an Melanchthon 17. 8. 1549 [MBW 5611; Regest bei Scheible, MBW R 5, 506 f.; hier 506]; Ders., De vita 2
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Melanchthon wurde während seines Lebens von zahlreichen unterschiedlichen Personen aus dem Lager der Protestanten kritisiert, wobei ihn die meisten dieser Kritiker persönlich kannten, weil sie (ehemalige) Kollegen bzw. Studenten waren oder anderweitig mit ihm zu tun (gehabt) hatten. Dieser Umstand ging Melanchthon besonders nahe und bewegte ihn (und seine Getreuen) immer wieder zum Gegenvorwurf der Undankbarkeit.4 Einige dieser (ausschließlich lutherischen) Kritiker waren besonders einflußreich – entweder dadurch, daß sie Melanchthon über seine gesamte Lebenszeit hinweg kritisierten, oder weil sie ihn in der letzten Phase seines Lebens besonders häufig und heftig angriffen: Es waren die Theologen Johannes Agricola und Andreas Osiander, der sächsische Kurfürst Johann Friedrich und schließlich die sogenannten Gnesiolutheraner Matthias Flacius, Nikolaus Gallus und Nikolaus von Amsdorf, wobei letzterer schon vor 1548 ein beständiger Kritiker Melanchthons gewesen war. Auch wenn Martin Luthers Kritik an Melanchthon selten in scharfen Angriffen, sondern eher in Warnungen, kritischen Anfragen oder auch Spott bestand, gehört er dennoch zu den einflußreichen Kritikern, denn seine Aussagen wurden intensiv rezipiert und hatten besonderes Gewicht. Für das Zustandekommen der zeitgenössischen Kritik lassen sich folgende Hintergründe benennen: Sehr viele Vorwürfe entstanden, weil sich Melanchthon und seine Kritiker in ihren Charakteren, in ihren persönlichen und theologischen Prägungen und Überzeugungen, in der Art ihres theologischen Diskurses und in ihren (kirchen)politischen Zielen und Interessen teilweise gravierend unterschieden, sehr unterschiedliche Einschätzungen in bezug auf die eigene Rolle, die Gegner, die Situation oder die mit bestimmten Äußerungen und Verhaltensweisen verbundenen Konsequenzen und (möglichen) Gefahren hatten und über all dies gar kein oder zu wenig Austausch stattfand.5 Manchmal wurden vielleicht auch Erwartungen an Melanchthon gestellt, denen er nicht entsprechen konnte oder wollte. Immer wieder traten protestantische Kritiker erst dann auf den Plan, nachdem altgläubige Gegner Melanchthons Äußerungen oder Verhalten ins Visier genommen und diese als Zeichen seiner Rückkehr ins altgläubige Lager interpretiert hatten. Dazu kam, daß Melanchthon sowohl persönlich wie auch theologisch beständig an Luther gemessen wurde und jegliche Abweichung – meist ohne Frage nach Gründen – verurteilt wurde. Und Melanchthonis, 105 und Veit Örtels Grabrede für Melanchthon vom 21. 4. 1560 [CR 10, 187–206, Nr. 7136; hier 197]. 4 Vgl. zu den Vorwürfen seiner Getreuen die Rede Heerbrands anläßlich von Melanchthons Tod vom 15. 5. 1560 [CR 10, 293–313, Nr. 7140; hier 310]: »Multo enim amicorum, et discipulorum probra, ac ingratitudo, graviora sunt, quam inimicorum, longeque has magnitudine doloris exsuperant« und Camerarius, De vita Melanchthonis, 123, 206 und 249; zu Melanchthons Rede von Undankbarkeit z. B. im Auswertungsteil Abschnitt II, Anm. 39 und Anm. 56. 5 Derartige Hintergründe vermuten auch Kolb, Controversia perpetua, 209 und Leppin, Luther, 299 im Blick auf einzelne Ereignisse.
Schluß
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für die Entstehung vieler Vorwürfe – vor allem in den Jahren ab 1547 – spielte sicher auch persönliche Enttäuschung eine Rolle. Es waren wohl vor allem der immer wieder neu unternommene Vergleich Melanchthons mit Luther und die Verknüpfung der Kritik an Melanchthons Lehre mit der Infragestellung seiner Person, die das negative Melanchthonbild so wirkungsvoll machten und dafür sorgten, daß es sich über die Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart halten konnte. Nachdem nun die Entstehung des negativen Melanchthonbildes untersucht ist, wäre es reizvoll, seinen weiteren Weg durch die Jahrhunderte bis heute zu verfolgen, doch wäre dies eine neue Untersuchung, die künftigen Forscherinnen und Forschern überlassen bleiben muß.
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Jetzt auch online unter: www.haw.uni-heidelberg.de/forschung/forschungsstellen/ melanchthon/mbw-online.de.html.
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2
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Letzter Abruf 15. 10. 2012.
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Register Wenn sich die Seitenzahlen des Registers auf den Anmerkungstext beziehen, ist dies durch kursive Seitenzahlen kenntlich gemacht. Für eine Person bzw. Sache zentrale Seiten sind fett gedruckt.
Personen Das Personenregister berücksichtigt mythische, biblische und historische Personen sowie zeitgenössische Wissenschaftler/innen, sofern von ihnen mehr als nur eine Literatur angabe in den Fußnoten genannt ist. Personen des 16. Jahrhunderts, die als Absender oder Adressaten von Briefen in den Fußnoten genannt sind, bleiben im Register unberücksichtigt. Wegen der Fülle an Belegen wurden Philipp Melanchthon und Martin Luther nicht ins Personenregister aufgenommen. Aaron 355 Abel 426 Absalom 248 Achitofel 248 Adam 426 Aepinus, Johannes 354, 497 Agricola, Johannes (Islebius) 50, 53–61, 63–80, 82–84, 96, 104, 107, 128, 186, 220, 274, 290, 306, 310, 336, 348, 355, 377, 404, 455, 457–457, 464, 476, 479, 481, 490, 495, 511, 515, 534, 536, 538, 558 Agricola, Stephan 108 Alber, Matthäus 222, 234, 238, 240, 242, 251 f., 277, 490, 495, 500, 504, 509, 553 Albrecht V., Herzog von Bayern 402 Albrecht, Markgraf von Brandenburg, Erzbischof und Kurfürst von Mainz 133, 152, 154, 174, 311–313, 487 Albrecht VII., Graf von Mansfeld 63–65, 67, 338, 358, 370, 495, 511, 534, 549 Albrecht I., Herzog von Preußen 348, 551
Althamer, Andreas 222, 274, 287, 550 Ambrosius von Mailand 141 Amerbach (Trolmann), Veit 61, 66, 73, 77, 80, 308–310, 452 f., 460, 474, 507, 514, 538 Amsdorf, Nikolaus von 5, 22–26, 63, 252, 287, 291, 293–296, 317, 319–323, 330, 338 f., 351–353, 359, 361–363, 365–371, 373 f., 376, 378 f., 385, 392, 398, 437, 453, 455, 457 f., 461, 465 f., 468 f., 471, 478 f., 482, 488, 490, 497, 505, 507, 518, 521, 524, 528 f., 531, 533, 535 f., 549, 558 Antiochus IV. Epiphanes 363 Aquila, Caspar 49, 51–55, 60, 63–66, 68 f., 72 f., 76 f., 79 f., 332, 337 f., 357, 475 f., 481, 539 Aristarch 208, 323 Aristoteles 378, 432, 478, 480, 538 Arnold, Gottfried 3, 4, 197 August, Herzog von Sachsen, Kurfürst 400, 402 Augusti, Johann Christian Wilhelm 10, 63 f.
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Register
Augustinus von Hippo 25 f., 104, 141, 288, 472 Aurifaber, Johannes Vinariensis 366 f., 378, 395, 436 f., 439, 442–445, 447, 478, 542, 546 Barth, Hans-Martin 4, Barton, Peter 392 Basilius der Große 288, 346, 367, 444, 473 Battus, Bartholomäus d. Ä. 388, 368, 553 Baumgartner, Hieronymus 131, 233– 235, 247 f., 251 f., 256, 272, 276, 419, 490, 504, 552 Baur, Ferdinand Christian 8 Beckmann, Otto 180 Bedrotus, Jakob 115 f., 121, 489, 554 Bellay, Guillaume du, Seigneur de Langey 284 Bellucci, Dino 409 Besold, Hieronymus 383 Besserer, Bernhard 209, 278 Beyer, Christian 139 Beyer, Leonhard 298, 457, 548 Bileam 430 Billicanus, Theobald 120 Billing, Einar 2 Blarer, Ambrosius 100, 110 f., 115 f., 286, 510 Blarer, Margarete 287, 496 Blarer, Thomas 116, 286–288, 473, 487, 496, 507, 510 f., 523, 554 Blocquerie s. Plackery Bock, Heinrich 143 Bonfio, Luca 150 f., 154 f. Brant, Sebastian 444 Brellochs, Anton 416 Brenz, Johannes 108 f., 133, 150, 159, 167, 170, 173, 182, 188 f., 204 f., 226, 228, 239, 246, 253, 257, 260, 264, 274, 300, 339, 393, 397, 461, 473, 497, 502, 525, 550, 553 Brieger, Theodor 2 Brotbeihel, Matthias 416 Brück, Gregor 128 f., 138, 140, 153, 156 f., 159 f., 170, 174, 176, 180–182, 189 f., 193, 199, 206, 211, 217, 227 f., 241, 292 f., 297, 300 f., 304–306, 309, 313, 321, 419, 507, 547
Bucer, Martin 108–112, 115 f., 121, 133, 188 f., 190 f., 194, 196, 205, 208 f., 212, 218–221, 229–231, 240 f., 244, 246 f., 249, 254, 263, 269 f., 278, 285–288, 292–294, 300, 316, 319–322, 372, 387, 454, 461, 467 f., 473, 489, 495–497, 504, 507 f., 510 f., 517, 525, 549, 553–555 Buchholzer, Abraham 256 Buchholzer, Georg 331, 348, 550 Bugenhagen, Johannes 42 f., 48, 58, 61, 96, 125, 295, 297, 301, 317, 325, 329, 332, 352, 354 f., 364, 482, 539 Bullinger, Heinrich 114, 122, 386 f., 402, 434, 455, 469, 471, 479, 517 f., 529, 555 Bünau, Günther von 211 Burchard, Franz 315, 317 Burgo, Andrea da 91 Caemmerer, Richard Rudolph 4 Cajetan (Thomas de Vio) 148 Calov, Abraham 2–4 Calvin, Johannes 7, 349, 358, 366, 386 f., 389 f., 439, 441-443, 447, 469, 497, 512, 518, 524, 526, 529, 555 Camerarius, Joachim 7, 9–11, 24 f., 31–36, 63, 67, 93, 107, 155, 205, 207, 211, 214, 244, 257, 263, 266, 277, 280, 282, 286, 307, 313, 317, 356, 384, 392, 416, 419, 433–435, 447, 473, 508, 526 f., 538, 540, 542 Campeggio, Lorenzo 137 f., 141, 147–152, 154 f., 160, 183 f., 212–217, 219, 240, 249 f., 279, 486, 488 Campeggio, Tommaso 155, 315 Capito, Wolfgang Fabricius 120, 133, 182, 189, 192, 196, 208 f., 212, 219, 247, 251, 254, 263, 269, 278, 316, 525, 554 Carlowitz, Christoph von 334 f., 340–342, 392, 497, 514 f., 550 Caroti, Stefano 409 Castellio, Sebastian 397 Cato d.Ä., Marcus Porcius 309 Chelius s. Geiger Chemnitz, Martin 405, 541 Christoph, Herzog von Württemberg 393, 451, 469, 521, 550 Chytraeus, David 215, 394
Personen
Cicero, Marcus Tullius 414, 416 Clemens VII., Papst 91, 149 Cochlaeus, Johannes 46, 49, 133, 141, 159, 210, 216 f., 226, 228, 253, 255, 279, 283, 307, 323, 336, 473, 488, 521 f., 557 Coelestin, Georg 164 Collinus, Matthäus 541 Comander, Johannes 120 Cordatus, Konrad 142, 294–299, 303, 382, 457 f., 461, 464, 476, 478, 481, 516, 548 Corvinus, Antonius 340 f., 355, 359, 365–368, 370 f., 473, 497, 505, 528, 550 Crato, Johannes 413 Crosner, Alexius 62, 547 Cruciger, Caspar 84, 291, 294–298, 301, 317, 329, 334, 341, 372, 374, 382, 419, 457, 463, 467, 476, 537, 539, 548 Curio, Georg 338, 340, 546 Cyprian von Karthago 141 Cyprian, Ernst Salomon 2–4 Daniel 430 Dannhauer, Johann Konrad 3 f. Dantiscus, Johannes 132, 481 David 248, 422 Dietrich von Maltzan 341, 514, 550 Dietrich, Veit 9, 192, 261, 273 f., 282, 298, 307, 339, 416, 419, 434, 514, 526, 539 Dingel, Irene 6 Diokles von Karystos 424 Döllinger, Johann Jospeh Ignaz (von) 4 Dolzig, Hans von 126 f., 129, 135 Drechsel, Thomas 23 f. Dryander, Johannes 431 du Bellay s. Bellay Dürer, Albrecht 263 Eber, Paul 329, 491 Eberhard von der Mark 180 Ebner, Hieronymus 277, 552 Eck, Johannes 15, 84, 179, 141, 146, 147, 159–161, 163, 174, 176, 178, 216 f., 228, 246, 249, 251, 255, 279, 316, 318, 389, 488
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Ehinger, Hans 221, 278, 554 Eichler, Michael 198 Einsiedel, Hugold von 25–27 Eisenmenger (Isenmann), Johannes 222 f., 235, 237, 240, 241 f., 257, 274, 495, 504, 553 Elisa 326 Ellwanger, Benedikt 443 f. Erasmus von Rotterdam 111, 116, 119, 210, 223, 279, 292, 295, 411, 453, 478, 480, 484, 493, 531 Erastus, Thomas 415, 439, 440, 442–447, 551 Ernst I. der Bekenner, Herzog von Braunschweig-Lüneburg 96, 128, 227, 232, 246, 253 f., 275, 549 Fabri, Johannes 50, 88, 91 f., 95, 141, 146, 216 f., 307, 315, 488, 522 Fabricius, Georg 434, 465 f., 512, 541 Fachs, Ludwig 358, 547 Ferdinand, Erzherzog von Österreich, König, Kaiser 50, 86 f., 89–95, 97, 99, 111, 121, 155, 180 f., 289, 335, 337, 398, 489 f. s. a. Sachregister Habsburger Ficino, Marsilio 416 Flacius Illyricus, Matthias 5 f., 214, 281 f., 315, 330, 334, 338–341, 350–355, 357, 359–371, 374–379, 383, 385, 387 f., 394–396, 398–402, 406, 434, 446, 452 f., 455, 458 f., 461 f., 465, 469, 477 f., 483, 486, 488, 497, 505, 512, 518 f., 524, 528 f., 531, 535, 536 f., 540–542, 549, 553, 558 Flock, Erasmus 413 Förstemann, Karl Eduard 164 Frank, Günter 409 Franz I., König von Frankreich 284 f. Franz I., Herzog von BraunschweigLüneburg 128 Freder, Johannes 395 f., 505, 541 Friedrich III. der Weise, Herzog von Sachsen, Kurfürst 20 f., 26, 28, 514, 516, 544, 547 Friedrich II. der Weise, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst 154, 333
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Register
Friedrich III. der Fromme, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst 391 Frischlin, Nikodemus 435 f. Furster, Johannes 95–97, 121, 176, 275, 491, 523, 528, 549 Gadaner, Sigmund 430 Galen 424 Gallus, Nikolaus 10, 338–341, 352 f., 360–362, 365–370, 372, 374–379, 383, 385, 387–389, 392, 395, 398, 403, 407 f., 455, 458, 461 f., 469, 477 f., 483, 497, 505, 518 f., 528 f., 535, 537 f., 558 Gamaliel 26 Gattinara, Mercurino de 136 f. Gauricius, Lucas 431 f., 434 Geiger (Chelius), Ulrich 284 f. Gelasius I., Papst 141 Georg III. der Gottselige, Fürst von Anhalt 346, 356, 384 Georg der Fromme, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 87, 98, 129, 141, 151, 159, 169 f., 179, 181, 220, 232 Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen 15, 23, 28, 31, 56, 62, 132 f., 158, 173, 195, 200, 516, 547 Georg Ernst, Graf von Henneberg 504 f. Georg Friedrich, Markgraf von Brandenburg-Ansbach 384 Gerbel, Nikolaus 189 Gerson, Johannes 525 Goeze, Johann Melchior 3 Goldstein, Kilian 32–34 Goliath 422 Granvella, Nikolaus (Granvelle, Nikolas Perrenot de) 315, 487, 502, 522 Grisar, Hartmann 2, 4 Gropper, Johannes 316 Grynaeus, Simon 286 Gußmann, Wilhelm 2 Güttel, Kaspar 58 Hachenburg, Johannes 395, 540 Hagen, Bartholomäus 393 Hagen, Bernhard von 158 f., 174 Hardenberg, Albert 339, 354, 358, 365, 387, 469, 497, 518, 529, 543 Harms, Klaus 6
Harnack, Adolf von 2 Hartfelder, Karl 2 Haugwitz, Asmus von 38, 58 Hausmann, Nikolaus 37 Hebenstreit, Johannes d. J. 437–439, 443 Hedio, Caspar 100, 108 f., 285, 520 Heerbrand, Jakob 9, 413, 524 Heinrich VIII., König von England 290 f., 487 Heinrich II. d. J., Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel 94, 134, 158 Heinrich der Fromme, Herzog von Sachsen 114, 302 Heller, Joachim 413 Heller, Sebastian 159, 166 f., 170, 174, 182, 227, 241, 246, 256 Helt, Konrad 20 Henckel, Johannes 152, 217 Hepstein, Johann 201, 504 Hermann, Graf von Wied, Erzbischof und Kurfürst von Köln 319 f. Hermann, Graf von Neuenahr 145 Herrmann, Johannes (Pseudonym) s. Flacius Hesekiel 430 Heshusen, Tilemann 10, 379, 390–393, 405, 469, 473, 478, 483, 519, 542 Hessus, Eobanus 32 f. Hieronymus 141, 288 Hilten, Johann 430 Hintzenstern, Herbert von 2 Hippokrates 424 Hirsch, Emanuel 3 Hoffmann, Christoph 353, 363, 365, 369, 497, 546 Holl, Karl 3 Homer 111, 208 Horn, Carl Egon 410, 412 Hutter, Leonhard 3 f. Irenaeus von Lyon 141 Isenmann s. Eisenmenger Iwand, Hans Joachim 3 Jeremia 426 f., 445 Jesaja 430 Jesus 66, 397 s. a. Sachregister Christus
Personen
Joachim I. Nestor, Kurfürst von Brandenburg 154 Joachim II. Hektor, Kurfürst von Brandenburg 333, 337, 344 Joachim von Fiore 430 Johann der Beständige, Herzog von Sachsen, Kurfürst 37–39, 43, 48 f., 57, 61, 63, 67, 69, 82, 87–90, 94–96, 101, 106, 113, 125–128, 136, 138, 145, 153, 157, 159, 166, 169, 171, 173, 179, 181–183, 186, 192, 197, 204, 227, 241, 245 f., 253 f., 499, 514, 544 f. Johann, Markgraf von BrandenburgKüstrin 384 Johann VIII. von Maltitz, Bischof von Meißen 343 Johann Albrecht I., Herzog von Mecklenburg 394 Johann Friedrich I. / der Ältere (der Großmütige), Herzog von Sachsen, Kurfürst 37, 100, 128, 159, 170, 199, 205, 222, 229, 274, 288 f., 293, 297, 299, 301, 303 f., 306, 315–317, 320, 325, 327 f., 330–332, 337, 339, 353 f., 359, 370, 438 f., 446, 455, 457, 461, 468, 481 f., 485, 487, 490, 497, 500, 507, 514 f., 523 f., 528 f., 544, 545 f., 558 Johann Friedrich II. / der Mittlere, Herzog von Sachsen 329, 360 f., 395, 399–401, 483, 529, 546 Johann Wilhelm I., Herzog von Sachsen 329, 546 Johannes der Täufer 430 Johannes Chrysostomus 141, 288 Jona 422 Jonas, Justus 55, 59 f., 87, 102, 107 f., 129, 131, 133, 136, 142 f., 151, 199, 201, 212, 257, 265, 274, 291, 296 f., 302–305, 356, 364, 370, 375, 467, 539 Judas 383 Judex, Matthäus 366, 395, 542 Julius III., Papst 384 Karl V., Kaiser 87, 111, 125, 129, 134, 152, 250, 332, 335, 337, 384, 489 f., 501 s. a. Sachregister Habsburger, Kaiser
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Karlstadt, Andreas Bodenstein von 22–24, 27 f., 31, 45, 105, 117, 516 Kawerau, Gustav 2 Kegel, Andreas 334 Keim, Karl Theodor 2 Klebitz, Wilhelm 390 f. Koch, Walter 410 Krafft, Johannes 16 Kreß, Christoph 128, 133, 552 Lachmann, Johannes 287, 552 Landerer, Maximilian Albrecht von 2 Lang, Matthäus 138 f., 212, 250 Laski, Johannes 339, 466, 551 Latomus, Jakob 473 Laurentius 345 Lauterwald, Matthias 388, 469, 541 Leib, Kilian 182, 226 Lemnius, Simon 308, 311–313, 516, 526 Lezius, Friedrich 2 Linck, Wenzeslaus 20, 318, 468 f., 552 Lohse, Bernhard 17 Löner, Caspar 476 Lopéz de Bejar, Aegidius (Gil) 145 Ludendorff, Mathilde 5 Luther, Katharina 515 Lutz, Hans 91 f. Maier von Eck, Johann 174 Maior, Georg 373, 376, 384, 408, 459, 519, 521 Maria von Böhmen und Ungarn 152 Marstaller, Gervasius 431 Mathesius, Johannes 268 Maurer, Wilhelm 2, 409, 411 Mayer, Johann Friedrich 2–4 Medmann, Peter 387 Meglein, Martin 151 f., 238, 500, 508, 550 Melanchthon, Georg 102 Melanchthon, Magdalena 419 Menius, Justus 353, 363, 368, 379, 419, 468, 497, 540, 546 Metzger, Paul 2 Metzsch, Hans 303 f. Meurer, Wolfgang 434 Michaelis, Johann 4 Milichius, Jakob 295, 413
608
Register
Mithoff, Burkhard 416 f. Möhler, Johann Adam 2 Monner, Basilius 396, 546 Mont, Christoph 268 f., 543 Morelet du Museau, Antoine 286, 487, 510 Moritz, Herzog von Sachsen, Kurfürst 217, 327–330, 333, 335–337, 342–344, 346 f., 350, 356, 384, 465, 482, 488, 515, 541, 544–547 Mörlin, Joachim 355 f., 365, 391 f., 396, 401, 405, 455, 469, 482 f., 518, 541 f. Morone, Giovanni 315 Mose 26, 66 Mosellanus, Petrus 430 Mosheim, Johann Lorenz von 2 Musculus, Andreas 403 f., 458 f., 542 Myconius, Friedrich 104 Nausea, Friedrich 147, 315 Neuser, Wilhelm H. 198 Obernburger, Johannes 132 Obsopoeus, Vincentius 31–36, 246, 248, 274, 487, 508, 515, 540 f., 553 Oekolampad, Johannes 90, 97, 99, 105, 108 f., 115 f., 118–120, 467, 517, 555 Olson, Oliver Kermit 2 Örtel, Veit 9, 282, 511 Osiander, Andreas 108 f., 120, 169, 196, 207 f., 210, 219, 230, 236 f., 239, 261–263, 276, 291, 300, 307, 315 f., 341, 363, 380–383, 397–399, 408, 438, 462 f., 468, 470, 479, 487, 490, 504, 514, 519, 521, 524, 526, 542, 551 f., 558 Otto, Anton 338, 356, 366, 373, 395, 482, 553 Paracelsus 416 Pauck, Wilhelm 2 Paul III., Papst 306 Paul IV., Papst 379 Paulus 48, 66, 68, 77, 224, 237, 252, 366, 422 Peregrinos Proteus 111 Peucer, Caspar 413, 437 Pfarrer, Matthis 278, 554
Pfeffinger, Johannes 357, 375 Pflug, Julius von 132, 316, 343, 359, 386 Philipp I., Herzog von Pommern 384 Philipp I., Markgraf von Baden 94 Philipp der Großmütige, Landgraf von Hessen 2, 64, 65, 87, 89, 96–101, 104, 106–109, 113, 115, 121, 125, 128, 131, 134, 147, 156, 169 f., 172 f., 182, 187–189, 194, 201, 207, 221, 232, 234, 236, 238, 275, 292 f., 297, 321, 420, 470, 501, 504, 517, 528, 531, 549 Pico della Mirandola 439, 443 f. Pirckheimer, Willibald 32, 118 Pistorius, Johannes 316 f. Pistorius, Simon 195 Plackery, Aegidius von (Blocquerie, Gilles de) 180 Planitz, Hans von der 38 Plato 111, 423 Plinius d.Ä. 416 Poach, Andreas 390, 469, 541 Poseidon 307 Praetorius, Abdias 403 Praetorius, Johannes 390 Proteus 111, 307, 520, 522 Ptolemäus, Claudius 413, 424, 432, 438 Quintana, Juan de 145 f. Rantzau, Heinrich von 413 Ratzeberger, Matthias 330 f., 341, 357, 497, 505, 514 f., 546 Reinhold, Erasmus 413 Reuchlin, Johannes 411 Reysmann, Dietrich 540 Rhegius, Urbanus 300 Rheticus (von Leuchen), Georg Joachim 413 Ritschl, Albrecht 4 Rogers, John 340 Rörer, Georg 214, 341, 372, 485 f. Roselli, Lucio Paolo 212 f., 219, 263, 279, 486 Roting, Michael 32 f., 434, 446 f., 553 Runge, Jakob 395 f. Rurer, Johann 143
Personen
Sabinus, Anna d. J. 419 Sabinus, Georg 93, 155, 311 Sadoleto, Jacopo 306–308, 487 f., 522 Sailer, Gereon 221, 226, 238, 279, 500, 508 f. Salig, Christian August 2 Sam, Konrad 209, 239 f., 278 Sarcerius, Erasmus 391, 396, 401, 469, 541 f., 546 Savonarola, Girolamo 439 Saxo Holstenius, Johannes 515 Scheible, Heinz 1, 6, 9 f., 257 Schenck, Jakob 302–306, 308, 457, 500, 524, 541, 543 Schepper, Cornel Duplicius von 136 f. Schirrmacher, Friedrich Wilhelm 164 Schleicher, Daniel 209, 278 Schnepf, Erhard 96, 143, 159, 163, 173, 176, 207, 220, 223, 252, 275, 357, 396, 504, 546, 549 Schöner, Johannes 32, 416, 431 Schultes, Michael 347, 356, 366, 368, 497, 505, 519, 548 Schurff, Hieronymus 38 f., 43, 58 Schwarzerdt, Georg 196 Schweiß, Alexander 154, 183 Schwenckfeld, Caspar von Ossig 399 f., 452 f., 459, 462, 479 Scudus s. Tschudi Seebaß, Julius 2 Sigismund, König 430 Sinon 217, 316 Solmius, Georg 297, 457 f. Sozzini, Lelio 434, 447, 512, 543 Spalatin, Georg 18 f., 22, 24–28, 42 f., 57 f., 61 f., 128, 171, 211, 260, 303, 315, 419, 461, 525, 547 Spangenberg, Johannes 348, 549 Spener, Philipp Jacob 2 Spengler, Lazarus 44, 172, 194, 205, 230, 237, 240, 242 f., 245, 247 f., 254, 267, 272, 277, 504, 528, 552 Stadion, Christoph von 158 Stapel, Wilhelm 5 Staphylus, Friedrich 10 Stathmion, Christoph 383, 419, 440 f., 519, 548 Staupitz, Johann von 84
609
Steinhausen, Werner 378, 452, 541 Stifel, Michael 295, 457, 548 Stigel, Johannes 408, 413 Stöffler, Johannes 411, 432 Stoltz, Johannes 340, 376, 378, 415, 436 f., 439, 442-445, 447, 455, 478, 542 Storch, Nikolaus 23 f., 30 Stössel, Johannes 396 Strigel, Victorinus 396, 541 Strobel, Georg Theodor 10 Stromer von Reichenbach, Wolf 139 Stübner s. Thomae Sturm, Jakob 88, 94, 99, 108, 221, 250, 278, 315, 489, 554 Terenz (Publius Terentius Afer) 265 Tetleben, Valentin von 176, 244, 279, 522 Tetzel, Christoph 88 Thersites 308, 380, 401 Thiel, Rudolf 2 Thomae (gen. Stübner), Markus 23–25, 516 Thomas von Aquin 420 Thukydides 78 Tiepolo, Nicolò 149, 153, 155, 212, 214, 279 Timotheus 224, 366 Titus (Paulusschüler) 224, 366 Troeltsch, Ernst 4 Trolmann s. Amerbach Truchseß von Waldburg, Georg 181, 206, 251 Tschudi (Scudus), Peter 112, 248 Ulmer, Johann Konrad 348, 541 Ulrich, Herzog von Württemberg 284, 286 Ulscenius, Felix 22, 24 Ursin, Zacharias 390 Vadian, Joachim 111 f. Valdés, Alfonso de 135–138, 148, 151 f., 155, 185, 205, 248 Varenius, Heinrich 3 Vehus, Hieronymus 158, 160, 163 f., 167–169, 174 f., 180 f., 183, 206, 251
610
Register
Velsius, Justus 397, 524, 528 Veltwyk, Gérard 316 Vergil 59, 217 Vertumnus 307, 522 Virdung, Johann 416, 419 Vogler, Georg 167 Volkamer, Klemens 128, 552
Wigand, Johannes 366, 395, 485, 542 Wilhelm IV. / der Weise, Landgraf von Hessen-Kassel 440 Wimpina, Konrad 159 Witzel, Georg 336, 488, 522, 536 Wolf, Hieronymus 413 Wolfgang der Bekenner, Fürst von Anhalt-Köthen 128, 183
Walch, Johann Georg 2, 3 Wallmann, Johannes 4 Walther, Christoph 373 Wanckel, Matthias 357, 541 Weiß, Josua 128, 277, 553 Weller, Hieronymus 378, 472, 477, 540 Wengert, Timothy 1, 6 Wesel, Arnold von 133 Westphal, Joachim 355, 357, 389 f., 395, 405, 469, 518, 541 Widerstadt, Caspar 403
Xenophon 423 Ziegler, Bernhard 346, 367 Zwick, Johannes 287 f., 293, 473, 487, 496, 507, 523, 554 Zwilling, Gabriel 20, 27 f., 347, 356, 365 f., 368, 497, 505, 519, 548 Zwingli, Ulrich 7, 97, 99–101, 104, 108 f., 111–115, 117, 120 f., 190 f., 201, 222, 247 f., 269, 278, 386, 466, 468, 520, 522, 551, 555
Sachen Aal 112, 520 Abendmahl, Altarsakrament, Kommunion 3 f., 20–22, 27, 31, 62, 65, 67, 69, 82 f., 88 f., 98, 100, 108–110, 113, 117 f., 126, 141, 149, 164, 167 f., 175, 178, 238 f., 291–293, 302–304, 319–322, 339, 369, 373, 382, 386–390, 393, 396, 398, 405, 408, 452, 464– 471, 499 f., 518, 529, 533, 535, 538, 544 f., 555, 556 Abendmahlsartikel 207, 314, 321 Abendmahlsauffassung, -verständnis 3, 43, 88, 113, 293, 466 f., 469 f. Abendmahlsaussage 118, 533 Abendmahlsfeier 20 Abendmahlsfrage 105, 108, 118, 293 f., 305, 323, 387, 391, 467 f., 518, 533, 554 Abendmahlsgenuß 499 Abendmahlslehre 3, 94, 103 f., 109, 112, 118, 120 f., 188, 190, 293 f., 318, 320–322, 386–390, 393, 401 f., 452, 464–469, 483, 500, 517 f., 520 f., 541, 550, 555
Abendmahlsstreit, -streitigkeit 45, 86, 103, 117, 119 f., 122, 379, 386–391, 393, 395, 405, 466, 468 f., 518 f., 521, 524, 526, 529, 543, 555 Aberglaube, abergläubisch 413, 432, 435, 439, 447, 465, 512 Abfall, abfallen, Apostat 3, 50, 192, 247–249, 331, 382 f., 385, 397, 444, 483 f. Ablaß 207 Ablaßstreit 202 Absolution, absolutio 84, 209, 239, 369, 464, 470 f. s. a. Privatabsolution abweichen, abweichend, Abweichung, Abweichler, abweichlerisch 3, 50, 66 f., 71, 77, 85, 118, 129, 282, 299 f., 374 f., 396, 455, 464, 474, 479, 481, 483 f., 518, 558 s. a. Lehrabweichung Adiaphorismus 396 Adiaphoristischer Streit / Adiaphoristische Streitigkeiten 214 f., 326 f., 341 f., 497, 504, 548 Adiaphoron, adiaphorisch, Mittelding 48, 126, 134, 223, 236 f., 240, 243,
Sachen
299 f., 334, 336, 339, 343–346, 348, 352–355, 357, 362, 363–365, 367, 372, 396, 398, 405 f., 408, 473, 493–499, 502 f., 509, 511, 545 Affe 383 Albertiner 544, 547 Alte Kirche, altkirchlich 45, 140 f., 152, 287, 346, 367, 471 f., 474, 498 Anfechtung 59, 107, 115, 260, 406 Angst, angstvoll, ängstigen, ängstlich, Ängstlichkeit, fürchten, Furcht(samkeit) 1, 9, 17 f., 30, 35, 101 f., 104, 107, 121, 158, 188, 190 f., 209, 256–260, 262–264, 270, 280– 282, 290, 312, 323, 340, 370, 386, 411, 434 f., 525–527, 533 Anthropologie 310, 400, 452 f., 456, 552 Antichrist 202, 204, 361 f., 385, 395, 483, 507 antik, Antike 111, 262, 307, 416, 453, 480 Antinomismus, Antinomist, antinomistisch 70, 72, 84, 291, 306, 377, 457 f. Antinomistischer Streit / Antinomistische Streitigkeiten 51, 72, 83, 310 f., 403, 542 apokalyptisch 362 f., 408 »Apologie« (der CA, 1531) 183 f., 205, 293, 300, 405, 510 Ärgernis 28, 30, 46, 210, 236, 238, 241–243, 279, 367, 496, 509 Arithmetik 414 ars 413 f., 425, 441 f. »Articuli« (1527) 41, 43 f., 46–53, 55 f., 58, 63, 65, 66–68, 71–74, 82, 85, 92, 451, 475, 481, 493, 499, 521, 549 Astrologe, Astrologie, astrologisch, Judizialastrologie 9, 13, 409–421, 423–427, 429, 431–447, 451, 512 f., 526, 533, 542 f., 546, 551, 553, 555 Astronom, Astronomie, astronomisch 32, 410, 412–415, 423–426, 432, 440–443 Aufruhr, Aufrührer, aufrührerisch, Unruhe 19, 29, 37, 103, 117, 186, 191, 255, 271, 372, 416 »Augsburger Bekenntnis« / »Confessio Augustana (invariata)« (CA) (1530) 3, 123, 128 f., 139–141, 142–144,
611
148–150, 153 f., 157, 159–163, 183–185, 187, 191, 195–212, 218, 227 f. 231, 239 f., 248, 251, 257, 263, 270, 274–278, 293, 300 f., 304, 314, 384 f., 396, 405, 407 f., 453, 467, 473, 478, 481, 483, 485, 491 f., 494, 506, 510, 522, 525 f. – verändert, variata (1540) 314 f., 405, 461, 524, 529, 537, 547 – Jubiläum 282 Augustinerkloster, Augustiner(mönch), -orden 20 f., 27, 516 äußerlich, Äußerlichkeit 44, 160, 166, 182, 233, 243, 254, 334, 365, 368, 492, 494, 499, 502, 511 Bann 126, 165, 234, 502, 504 Bauer 372 Bauernkrieg 30, 32, 45, 73 Beichte 23, 49, 65, 126, 141, 149, 160 f., 164, 167, 209, 239, 369, 402, 470 f., 475 Bekehrung 454, 456, 463 Bekenntnis, Glaubensbekenntnis, bekennen, confessor 5, 68, 98, 126 f., 129–131, 137–139, 141, 157, 161, 168, 201, 203, 206, 244, 252, 325, 331, 342, 345, 359, 380 f., 389, 391, 443, 465, 482 f., 528 – altkirchliches Glaubensbekenntnis 471 – nizänisches Glaubensbekenntnis / Nizänum 374, 455 Bekenntniseinheit 549 Bekenntnisgrundlage 405, 485 Bekenntnisschrift 407 Bekenntnissituation 461 Bekenntnisstand 406 Bekenntnistreue 354 Belial 252 f., 281, 362, 395, 529 Beschneidung 224, 366 bestechen, Bestechung, Geld, Geschenk 151 f., 154–156, 248 f., 370, 510 Betrug, Betrügerei, betrügerisch – Vorwurf an Melanchthon 114, 121, 245, 262, 283, 323, 522 – Sonstiges 217, 413, 425 Bibel 26, 378, 429, 473, 478, 480
612
Register
biblisch 109, 118, 204, 237, 295, 422, 431, 455, 476 Bildersturm 28 Bildung, Bildungsstand, Ausbildung 33, 39, 44, 148, 512, 515 Bischof, bischöflich, Bischofsamt, episkopal 37, 126, 128, 137, 141, 144, 148–150, 154, 157, 160, 162 f., 165, 167, 172, 175, 199, 232–235, 248, 269–271, 278, 284, 287, 299, 333 f., 339, 343 f., 368, 408, 501–506, 507, 511, 554, 556 Blutegel 258 Bräuche, Gebräuche, Kirchenbräuche, Riten, ritus, Traditionen, Zeremonien 4, 45–48, 65, 67, 81, 85, 125 f., 141, 147–149, 153, 160, 163–165, 167, 169, 203, 207, 232, 236–238, 240–242, 287, 319 f., 334, 341, 343–346, 350, 361, 363–365, 367–369, 400, 464 f., 468, 470, 492–500, 502 f., 507 f., 511, 556 s. a. Meßzeremonien Brot (Abendmahl) 23, 28, 467 Bruderschaft, Glaubensbruder, -genosse 110, 188, 213, 247, 517 Bundestag – Schwäbischer 284 – Schmalkaldischer (1537) 140, 206, 209, 299 f., 497, 500, 502 Buße 42, 44, 46 f., 49, 58, 61, 65–67, 70 f., 73–76, 82–85, 161, 230, 319, 368 f., 377, 403, 422, 429, 431 f., 456–458, 459, 461, 465, 470, 475 f., 481, 483, 510 f., 534, 542 Bußlehre 41, 61, 458 Bußpredigt 73 Bußverständnis 84 Calvinismus, Calvinist, calvinistisch 3, 388–390, 392 f., 452, 467 f., 470, 483, 517–519, 521 Choleriker 418 Chorrock 347, 362, 365, 497 Christenheit 77, 90, 150, 152, 183, 191 Christologie, christologisch 108 f., 377 f., 452, 469, 521, 541, 550 Christus 26, 46, 53, 109 f., 143, 167, 197 f., 201, 205, 209, 213, 219 f., 223,
231, 234, 241, 244, 252–255, 257, 266, 281, 294, 302, 309, 318, 361 f., 369, 382 f., 385, 393, 395, 397, 427, 431, 452, 456 f., 462, 467–469, 472, 479, 483, 496, 500, 509 f., 528 f., 552 s. a. Leib Christi – solus Christus 509 confessio (Buße) 65, 75, 161, 230, 475 »Confessio Saxonica« (1551) 384 f., 405, 462, 479, 483, 507 »Confessio Tetrapolitana« (1530) 187 f. »Confutatio (Confessionis Augustanae)« (1530) 141, 145, 151–156, 160 f., 176, 206, 460, 472 »Consilium ad Gallos« (1534) 286, 290, 451, 473, 487, 491, 494, 496, 499, 502, 505 f., 510 f., 523, 529, 550, 553 »Corpus doctrinae christianae« (1560) 405, 455, 469 Coswiger Handlung (1557) 394 Dekalog 47, 66, 306, 310 Determinismus, deterministisch 420 f., 444, 453 Dilemma(situation) 283, 557 Diplomatie 206 Dispens 168 dispensierbar, Dispensmöglichkeit, dispensabilis 243, 303 f., 499 f. Dreißigjähriger Krieg 282 Ehe (Sakrament) 465 Ehefragen 126, 502 Ehre Gottes / Christi 28, 213, 255, 370, 528 f. eigenmächtig, Eigenmächtigkeit 245 f., 288, 487, 545 einfach, Einfachheit 45, 74–76, 81, 83, 118, 225, 241 f., 245, 273, 506, 508 Einheit, Kircheneinheit 2, 86, 99, 102 f., 115, 120, 142, 148, 152, 178, 191, 251 f., 288, 323, 332, 415, 494, 511, 528–531, 549, 554 einheitlich, Einheitlichkeit 98, 141, 501, 545, 554, 557 Einheitsstreben, -wille 2, 5, 132, 189 f., 251–253, 320, 336, 522, 530
Sachen
Einigung, vereinen, (Wieder)Vereinigung 90 f., 94 f., 98, 100 f., 108–111, 114 f., 121, 134, 136, 143 f., 149–151, 153, 155, 157 f., 161 f., 166, 173 f., 181–185, 188–190, 209, 227, 229 f., 246, 251, 269, 292, 294, 316 f., 336, 343, 362, 394 f., 466, 468, 486, 489, 494, 503, 517, 529, 547, 549 f., 554 f. Einigungsbemühung, -bestrebung, -versuch, -vorhaben, -wille 90, 92, 97, 188, 211, 252 f., 293 f., 467, 528 f., 549 (Einigungs)Formel, Unionsformel 58 f., 66, 68, 81, 83, 85, 109, 161, 228, 322, 520 Einigungsprozeß 144 Einigungsverhandlungen, Vergleichsverhandlungen 135, 154, 158 Einigungsvorschlag 128 Einigungswerk 468 Einsetzungsworte 22, 118 Eintracht 76, 78, 90, 106 empfehlen, Empfehlung, Empfehlungspraxis, -schreiben 27, 31, 33–36, 61, 311, 390, 412, 515 f., 540 Engel 162, 230 f., 422, 429, 509 Entelechiebegriff 309 Epigramm 311 f. epikureisch 397, 528 Erbsünde(nlehre) 108, 319, 377, 401, 453, 455 Erdbeben 429 Ernestiner 544 Ethik 45,47, 378, 424, 444, 456, 478 Evangelium, Evangeliumsbegriff 41, 44, 88, 96, 106, 116, 119, 183,192, 218, 235, 247, 255, 271, 290, 299, 359, 361, 377, 378, 385, 408, 456–458, 477, 482, 492, 494, 500, 505–508 Evangeliumspredigt, -verkündigung, Verkündigung des Evangeliums 126, 128, 141, 218, 233, 237, 501 Examination 175 Exegese, exegetisch, (Bibel- / Paulus-) Auslegung, auslegen 66 f., 70, 77, 121, 230, 295, 374, 382, 455, 463 Exil, Exilsplan, exilium 240, 322, 327 f., 406, 467, 496
613
Fanatiker 30, 67 Fasten 46, 492 Fastengebot 344 Fastentag 117, 160, 165, 167, 236 f. Fegefeuer 137, 201–204, 206 f., 210, 510 Feiertag, Fest(kalender) 48, 165, 172, 175, 236 f., 334, 344 f., 492 »Fidei Ratio« (1530) 201, 247 finanziell, Finanzfragen 37–40, 42 f., 330 Firmung 368, 464 f. Flacianer 350, 352, 370, 374, 377, 379, 384 f., 394, 399, 403, 407, 455, 464, 483, 529, 535, 538 f., 541 Fleischessen, -genuß 44, 117, 155 »Frankfurter Anstand« (1539) 313 »Frankfurter Rezeß« (1558) 318, 398 f., 401, 403 f., 459, 462, 469, 479, 483, 504 f., 529 Franziskaner 52, 145, 430 Freiheit, Freiheitsdrang 30, 41, 44, 46, 48, 67, 82 f., 85, 224, 232, 237, 240 f., 271, 366, 379, 496, 498, 511 Freundschaft, freundschaftlich, Freundschaftsbezeugung 10, 33 f., 53, 55, 60, 69 f., 78 f., 97, 119 f., 131, 133, 159, 306, 324, 387, 408, 447, 517, 534, 536, 540 Friede, friedlich 2, 30, 48, 60, 86, 90, 93, 116 f., 126, 128, 134, 140–144, 148, 155, 157–159, 163, 165, 172, 174–183, 218, 233, 251–255, 271 f., 288, 327, 333, 336, 340, 342, 367, 370, 399 f., 407, 486, 489, 492, 498, 503, 506, 511, 528–531 Friede von Basel (1499) 103 Friedensliebe, -wille, -streben 2, 150, 154, 188, 254 f., 522, 530 Friedenspolitik 129 Friedensstifter 136, 154 Friedensverhandlungen 313, 491 Friedenszusage 95 fromm, Frömmigkeit 153, 227, 256, 277, 296, 371, 427, 432, 506 s. a. Werkfrömmigkeit Fronleichnamsfest 365 f., 498 Fürstenbund 384
614
Register
Gebet, beten 90, 261, 287, 331, 368 f., 422, 424, 431, 515 Gebot (göttl.) 48, 243, 268, 365, 442, 444 f. Gefängnis, Arrest, Haft 311, 347, 356, 422 geheim, heimlich, Geheimgespräch, -verhandlung 98, 114, 136, 316, 359, 486, 488, 517 gehorsam, Gehorsam, Gehorsamsbezeugung, gehorchen 103, 113, 115, 134, 137, 148, 165, 202, 368, 385, 424, 488, 490, 507, 517 – neuer Gehorsam (theol.) 399, 403, 456, 458 f. geistlich 39, 45, 141, 165, 222, 391, 400, 404, 452, 479, 501 Geistlicher s. Pfarrer Gelehrsamkeit 119, 132 Geleit 384 Genugtuung, satisfactio 84, 161, 369, 475 f. Geometrie 414 (Georgs)Agende (1549) 346 f., 356, 519 Gerechtigkeit 65, 70, 75, 84, 208, 291, 380, 385, 401, 457, 462 s. a. Werkgerechtigkeit Gericht, Gerichtsbarkeit 39, 59, 126, 502 – Kirchengericht, consistorium 400, 504 f. Gesänge 160, 165, 218, 240, 334, 344 f., 369, 492, 495, 498 Geschwür 296, 457 Gesetz, gesetzlich 42, 45–47, 66 f., 70–74, 77, 82–85, 151, 160, 224, 311, 319, 347, 366, 377, 456–458, 476 f., 481, 511, 534 Gesetzespredigt 66, 457 Gesetzesverständnis 66, 72, 83 f., 310 Gespenst, Gespenstererscheinung 427, 429 Gespräch unter / von Gelehrten / Gleichgesinnten 57, 73, 80, 99, 131, 486 Gestalt (Abendmahl) – beiderlei 20–22, 167 f., 302, 492, 498 f. – eine 62, 67, 69, 82 f., 164, 167 f., 175, 178, 238 f., 302 f., 499 f., 544
Gesundheit, gesundheitlich, Gesundheitszustand 18, 69, 79, 102, 105, 261 Gewalt, gewaltsam, Waffe, Waffengewalt 21, 25, 27, 45, 47, 90, 103, 115, 129, 134, 146, 148, 150, 164, 175, 188, 240, 242, 490, 496, 508, 517 gewaltlos 28, 149 Gewissen 44, 48, 74, 83, 126, 144, 150, 165 f., 176, 179, 198, 223, 236 f., 239, 255, 276, 342, 364 f., 453 f., 471, 492, 494, 528 Gewissensfreiheit 82 Gewissensnot 47, 499 Glaube 47 f., 66, 68, 70 f., 73 f., 79, 82–84, 96, 106, 132, 160 f., 208, 225, 230, 237, 245, 259, 261, 263, 266, 267, 294, 296, 309, 357, 362, 368 f., 376, 380, 383, 392, 397, 403, 426, 444, 457, 459, 461, 463, 467 f., 475 f., 512, 527 – stellvertretender 25 f. Glaubensartikel, Artikel des Glaubens, Glaubenssatz 25, 88 f., 108, 110, 125 f., 130, 140, 157, 160, 174, 217, 228, 231, 237, 243, 303 Glaubensfrage, Frage des Glaubens 87 f., 96, 125, 131, 137, 139, 142, 144, 157, 177, 214, 220, 224, 244, 251, 266, 275 Glaubensgut 201 Glaubensinhalt 68 Glaubensleben 256 Glaubensschwäche, schwach (im Glauben) 29, 47 f., 62, 65, 67, 69, 82 f., 175, 178, 223 f., 238, 280, 302 f., 345 f., 359, 364, 492 f., 495, 498 f., 544 Glaubensstärke, (glaubens)stark 256, 261, 282, 525–527 Glaubensstreit(igkeit), Glaubenszwiespalt 93, 132, 136, 150, 185, 187, 232 Glaubensverhandlung 181 Glaubensverhör 470 Glaubensverständnis 117, 477 Glosse (luther. Anmerkung) 175, 178, 230, 241, 508 Gnade 47, 70, 368, 377, 453 f., 456, 464 Gnesiolutheraner, gnesiolutheranisch, gnesiolutherisch 4, 396 f., 399, 459, 519, 535, 541 f., 558
Sachen
Gott, göttlich 19, 23–25, 28, 48–50, 65, 70, 78, 81, 83, 97, 103, 107, 115 f., 144, 161 f., 176, 198, 201, 204, 209, 213, 224, 237, 243, 255, 259, 264–268, 276, 302, 340 f., 343, 350, 362 f., 366, 369 f., 382, 393, 399, 406, 421–424, 426 f., 429–433, 435, 443 f., 446, 452, 454, 456 f., 462, 469, 480, 482, 496, 509, 512, 514, 516, 525, 528 f., 542 f. s. a. Schöpfergott Gottes / göttliches Wort 29, 96, 98, 203, 205, 207, 227, 230, 235 f., 239, 242, 245, 267, 276, 281, 342, 364, 399, 401, 405, 452, 482, 484, 492, 504, 542 Gottebenbildlichkeit 454 Götter 307, 426, 444, 522 Gottesdienst, Sonntagsgottesdienst, gottesdienstlich 19 f., 22 f., 27 f., 164 f., 241, 333 f., 346, 365, 401, 404, 492, 497, 503, 508, 516 s. a. Messe Gottesfurcht, gottesfürchtig 65 f., 75, 83, 302, 444, 457 gotteslästerlich, (Gottes)Lästerung 223, 242, 341, 444, 497, 515 gottlos, Gottlosigkeit, widergöttlich 100, 118, 237, 241, 281, 360, 368 f., 441, 465, 496, 503, 506, 508, 512 Gottvertrauen 531 Götze, Götzendienst, abgöttisch 344, 365, 439, 445, 494 Habsburger 106, 289 Häretiker, häretisch 67, 129 Hauptsünde, Todsünde 262, 471 Heide, heidnisch 397 f., 445 heilig 217, 281, 303, 322, 392, 482 Heilige 27, 151, 162, 230 f., 287, 372, 509 f. Heiligenanrufung 162, 231, 334 (Heiligen)Bild 27–29, 117, 492 Heiligenfest, -gedenktag 162, 509 Heiligenfürbitte 231 Heiligenkult, -verehrung 201–204, 210, 287, 345, 492, 509 Heiliger Geist 319, 399, 429, 453 f., 456, 459 Heilsaneignung 71 Heilsplan 363
615
Heilsprozeß 291 Heilssicherheit 45 Herz 70, 96, 258, 443 Heuchelei, Heuchler, heuchlerisch, geheuchelt 2, 210, 216, 253, 255, 323, 336, 361, 520, 522, 525, 557 Heuschrecke 429 hierarchisch, hierarchisiert 37, 501 Himmelfahrt (Christi) 393, 452, 469 Hochmut, hochmütig 272, 391, 445, 480 Horoskop 411, 418–421, 424, 426, 443 Humanismus, Humanist, humanistisch, Humanistenkreis 1, 3, 9, 31, 47, 111 f., 119, 131, 152, 248, 262, 266, 306, 308, 346, 397, 410 f., 416, 453, 472, 474, 477–481, 486 f., 489, 527, 531, 534, 552 – Dichterhumanist 435 Hussiten 500 f. Identität 68, 498, 511, 557 Inquisition, Inquisitionsartikel (bayer.) 400, 402, 405, 455, 459 f., 479, 555 »Interim«, »Augsburger Interim« (1548) 281, 325, 327, 332–342, 343 f., 347 f., 350–363, 365, 368, 370, 372, 395, 398, 408, 461, 465 f., 476, 482, 486, 488, 490 f., 495, 497, 503, 505–507, 522, 524, 526, 528 f., 534–537, 545, 547–551, 553, 556 f. Interimist 361 Interimistischer Streit 326 Invocavit-Predigten (1522) 29 Irrlehrer 68 Islam 362 Israeliten, Gottesvolk 247, 362, 422 Jesuit 402 johanneisch 462 Johannesevangelium 121, 382, 463 Johannestaufe 458, 542 Jude, jüdisch 71, 84, 160, 233, 363 Judenchrist 224, 366 Jugend 240, 441 Jurisdiktion, ( Jurisdiktions)Gewalt 126 f., 137, 141, 144, 148–150, 154, 157, 160, 162 f., 165, 167, 172, 175, 232–234, 248, 270 f., 278, 284, 287, 334, 339,
616
Register
343 f., 368, 408, 501–505, 506 f., 511, 554, 556 Kaiser, kaiserlich 91, 95, 102 f., 113 f., 116, 121, 127 f., 130 f., 135–141, 143–145, 147 f., 151, 154–157, 159, 165, 167, 174, 177, 179, 183 f., 186, 188 f., 191, 203, 205-208, 211–213, 216 f., 224, 228 f., 247, 249, 265, 268, 276, 279, 314–316, 318, 326 f., 330, 333, 336, 342 f., 345, 361, 370, 434, 487, 522, 547, 550, 552 s. a. Personenregister Karl V. Kaiserbild 489 f. Kaiserhof 135, 137, 145, 147, 182, 185, 211, 215, 279, 490 kanonisches Recht 141 Kanzel 53, 118, 162, 199, 356, 403 Kardinalshut 292, 547 Katechismus 71 f. Katholizismus 7, 310, 453, 460, 473 f., 507, 538 Kaufmesse 48 Kelch 28 Kelchentzug 499 Ketzer, Ketzerei, ketzerisch, Verketzerung 4, 92, 140, 268, 382 Kindertaufe, Säuglingstaufe 25 f., 29, 45 Kirchenkampf 282 Kirchenordnung 237, 239, 319, 344, 346, 525 kirchenpolitisch 8, 97, 325, 451, 485 f., 510, 513, 537, 540, 545, 554, 556–558 Kirchenrecht, kirchenrechtlich 41, 43 Kirchenvater, Kirchenväterstelle, -studie, (Kirchen)Väterzitat, patristisch 77, 104 f., 109, 118, 141, 151, 161, 204 f., 210, 288, 308, 346, 367, 378 f., 451, 467, 471–475, 478, 540 Kleidervorschrift 48 Kleinmut, kleinmütig, Kleinmütigkeit, 19, 256, 262, 264 f., 370, 386, 525 f. Klischee, Stereotyp 1, 2 f., 6, 11, 261, 280, 282, 449, 525 f., 540, 557 Kloster 20, 27, 39, 47, 65, 163 f., 232, 242, 492 f., 499, 507 f. s. a. Augustinerkloster, Nonnenkloster, Prämonstratenserkloster
Klosteraustritt 508 Klosterleben 47 Klosterleute 21 Knechtschaft, Gefängnis (bildl.), Zwang 46, 67, 237, 239, 287, 345, 357, 362 f., 365, 471, 495–497 »Kölner Reformation« (1543) 319–323, 453, 455, 468, 482, 497, 521 f., 529, 533 Komet 411, 428, 432, 446 Kommunikant 23, 28, 126, 149, 239, 470 Kompromiß(lösung), Vergleich 109, 115, 151, 163, 174, 231, 343 kompromißbereit, Kompromißbereitschaft 128, 165 f., 178, 243, 554 Kompromißformel 293 kompromißlos 68, 350, 365, 491, 511 Kompromißprogramm, Kompromiß- / Vergleichsvorschlag 128, 134, 137, 141, 143, 145, 148, 152–154, 157–159, 162, 165 f., 171 f., 177, 185, 206, 216, 232, 236, 488, 493, 502 Konfession, konfessionell, Konfessionslandschaft 7, 195, 397 Konfirmation 465 Konjunktion (Planeten) 417, 432 Konkomitanzlehre 149, 168 Konkordie 113, 115 f., 122, 293 s. a. Wittenberger Konkordie »Konkordienformel« (1577) 4 Konzil, Generalkonzil, Nationalkonzil, Konzilsangebot, Konzilsausschreibung, Konzilsbitte 87 f., 90 f., 94 f., 125, 138, 144, 150 f., 157, 163 f., 171, 174–176, 178, 183, 185, 188, 201, 224 f., 230, 284, 299, 332 f., 494, 497, 501, 503 – Konzil von Trient 335, 384 f., 488, 507 Konzilien (altkirchl.) 242 Koran 362 Körpersaft 262 Kosmos 416 Kothurn 315 krank, Krankheits(bild), Erkrankung, erkranken, Gemütskrankheit 34, 56, 262 f., 274, 314, 357, 417, 424, 428 Kreuz 19, 255, 257, 266
Sachen
Krieg, Kriegsdrohung, -plan, -rüstung 186, 188, 258, 264, 269, 271, 343, 399, 416, 417 f., 428, 443, 531 s. a. Bauernkrieg, Dreißigjähriger Krieg, Peloponnesischer Krieg, Schmalkaldischer Krieg Kritikfähigkeit 272, 530 Kuckuck 305 Kurie (Rom) 90 f., 138, 149 f., 185, 216, 315 Laie 26, 39, 69, 500 f. Laienkelch 19, 28, 47 f., 62, 65, 126, 133 f., 137 f., 141, 143, 145, 149 f., 152, 157, 159, 162 f., 167 f., 171, 175, 178, 180, 232, 237 f., 243, 288, 299–303, 305 f., 470, 481, 492, 498–501, 508, 545, 556 Lebenshaltung 256, 265 f., 533 Lebenswandel 37–40, 470 Lehrabweichung, -(ver)änderung, -verirrung 331, 405, 510, 520 f., 525 Lehrbuch 1, 309, 413, 440 f., 451, 453, 479, 534 Lehrdifferenz 71, 109, 292, 301 Lehrkonsens 296, 474, 481, 483 f., 556 Lehrnorm 211 Lehrstreitigkeiten 556 Lehrtradition, Lehrgrundlage 4, 483 Lehrverbot 145, 401 Leib (Christi) 109, 199, 372, 467 »Leipziger Artikel«, »Leipziger Interim« (1548) 281, 326, 344, 350–353, 356, 359, 361–364, 367–369, 374, 406, 455, 458, 461, 465, 468, 471, 473, 476 f., 482, 490, 495, 497, 511, 519, 521, 524, 526, 529, 540–543, 547–550, 555, 556 Leipziger Disputation (1519) 15 leisetreten, Leisetreter, Leisetritt 1, 196–200 Lesung (Gottesdienst) 153, 334 Liebe, Nächstenliebe 65, 75, 84, 110, 114, 160 f., 224, 236, 376, 457, 459, 517 Liturgie 22 »Loci« (Melanchthons) 73, 290–292, 296, 298 f., 301, 310, 318 f., 322, 335, 374–377, 422 f., 427, 429 f., 451–456,
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458, 460, 462, 464–468, 472, 475–477, 479, 492, 494, 512, 547 Luther-Renaissance 3, 5 Luthertum 4, 388, 469, 484 »Magdeburger Zenturien« (1559–1574) 379 Magie, magisch 413 Maiorismus 396, 405 Maioristischer Streit 376, 519 »Marburger Artikel« (1529) 110, 112, 114 f. Mars (Planet) 417, 434 Märtyrer 345 mäßig, gemäßigt, mäßigend, Mäßigung, Mäßigkeit, maßvoll, moderatio, mild, Milde, Milderung, (ab)mildern, sanft, zurückhaltend, Zurückhaltung 15 f., 21, 27 f., 39, 46, 64 f., 78, 80, 85, 87–89, 93, 101, 104, 118–120, 122, 125 f., 132–134, 140 f., 144 f., 148, 150 f., 156, 158 f., 179, 183–185, 191, 195, 197–200, 205, 207–210, 214, 216–220, 228, 236, 250, 263, 271, 276, 278–280, 283, 285, 287, 292, 301 f., 319, 323, 338, 339 f., 350, 371, 383, 386 f., 393, 405, 420–422, 429, 469, 483, 486, 488 f., 491, 495, 510, 516, 518–521, 524, 526, 529–531, 533, 538, 548, 552 Mathematik, Mathematiker, mathematisch 411–415, 419, 424, 441 Medizin 424–426, 442 Melancholie, Melancholiker, melancholisch 262 f., 418, 526 Menschenbild 531 Menschenlehre, -satzung 224, 237, 241, 365, 498, 508 Messe, Meßgottesdienst 19–22, 27, 88 f., 126, 134, 137, 149–152, 157, 162–164, 167 f., 175, 178, 180, 182, 209, 232, 240–243, 289, 299, 344 f., 369, 495, 498, 508 s. a. Kaufmesse, Privatmesse, Seelmesse, Totenmesse, Winkelmesse – applicatio missae 175, 178 Meßaussage 209 Meßfrage 165, 167 f., 182
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Register
(Meß)Gewand, (Meß)Kleidung 22, 153, 218, 240, 334, 492 (Meß)Kanon 168 f., 171, 175, 178, 241, 334, 394, 508 Meßliturgie 28 (Meß)Opfer(vorstellung), Opferverständnis 19, 178, 202, 241, 318, 508 Meßpraxis 152 Meßreform 20, 22, 516 Meßzeremonien 494, 511 Mißbrauch 19 f., 49, 141, 153, 206, 225, 230 f., 233, 235, 238, 240, 242 f., 329, 339, 465 f., 475, 492, 496 f., 503, 505, 508–512 Mißbrauchsartikel, Reformartikel (CA) 129 f., 140 f., 160, 162, 174 f., 184, 228, 232 Mittagsteufel, »mittag teufel« 247, 404, 522 Mönch 45, 47, 52, 65, 76, 164, 242, 303, 507 f. s. a. Augustinermönch, Franziskaner Mönchtum 507 Mondfinsternis 434 nachgiebig, Nachgiebigkeit 2, 8, 103, 109, 121, 135, 173, 191, 209, 218, 220–223, 225–229, 231 f., 238, 241, 244, 249, 253 f., 256, 267 f., 270, 275–280, 283, 286 f., 301, 131, 315, 318, 334, 339, 350, 354, 360, 370, 486, 491, 497, 500, 508, 520, 523–525, 527 f., 534, 540, 542, 550, 552, 554, 557 Nationalsozialismus 5 Natur, natürlich 309, 413, 422 f., 427–429, 442, 453, 479 Naturkatastrophe 428 Naturwissenschaft, naturwissenschaftlich 1, 410–412, 414, 426 Nebenaltar 28 Neues Testament, neutestamentlich 68, 205, 241, 464 Neuplatonismus 416 Neutralität 387, 543 Nonne 47, 164, 242, 303, 507 f. Nonnenkloster 39 Nüchternheit (Abendmahl) 23
oberdeutsch 3, 7, 88–90, 93, 95, 99, 101–103, 105 f., 113, 115–117, 119, 121, 190, 207, 292–294, 301, 467, 469, 516, 523, 533, 535, 549, 551, 553–555 Obrigkeit, politische Macht 42, 103, 113, 206, 299, 302, 345, 505, 507 öffentlich, Öffentlichkeit, Öffentlichkeitswirkung, öffentlichkeitswirksam, veröffentlichen 8, 20, 22, 36, 48, 54, 56, 59, 66, 78–80, 84 f., 114, 118 f., 134, 138, 155, 186, 203, 214, 216, 226, 232, 238, 253, 255, 272, 289, 291, 303, 305 f., 320, 323, 326, 337, 341, 344, 347, 351, 359, 375, 386, 400, 402, 432, 436, 440, 455, 457, 465, 470, 488, 509, 517, 528, 530 Ölung 344, 369, 465 (Ordens)Kleid, Kutte 21, 47, 164, 242 Ordination 126, 165, 235, 396, 403, 464, 502 Ordnung 48, 165, 237, 271, 346, 366, 492, 498, 501 f. Ordnungen 37, 81, 141, 284, 493 s. a. Kirchenordnung, Schulordnung, Stadtordnung, Visitationsordnung Orthodoxie (lutherisch) 3, 4 Osiandrischer Streit / Osiandrische Streitigkeiten 211, 341, 380, 383, 462, 478, 483, 519, 529, 552 Osiandrismus 396, 405 pädagogisch 75, 81, 476 Papist, papistisch 41, 49, 51, 64, 75, 202, 204, 207 f., 230, 289, 295, 329, 341, 475 f., 497, 505, 524 Papst, päpstlich 37, 45, 91, 102 f., 105, 137, 140 f., 147 f., 150, 155, 160, 167, 171, 185, 202, 204, 206 f., 210, 213, 215, 225, 230, 235, 237–240, 242 f., 248 f., 252, 284, 287, 299 f., 309, 320, 332–334, 339, 343 f., 350, 366–368, 379, 384 f., 459, 461, 465 f., 471, 475–478, 487 f., 490, 494, 496–498, 505–509, 511, 545 Papstanhänger 213 Papsttum, Papstkirche 37, 45, 64 f., 68, 75 f., 84 f., 199–203, 207, 252, 299 f.,
Sachen
339, 361–363, 365, 475, 491, 495, 497, 512, 521 Parochie 39 paulinisch 161, 481 Peloponnesischer Krieg 78 Persönlichkeit 1, 8, 192, 256, 451, 520, 531, 533, 552, 556 f. Pest 42 Pfarrer, Prediger, Geistlicher 37–41, 44–46, 49, 62, 68 f., 77, 80, 128, 165, 175, 199 f., 235, 242, 297, 345, 347, 360, 401 Philippist 4 Philosophie, philosophisch, Philosoph, philosophia, philosophus, philosophicus, philosophari 1, 3, 36, 54, 145, 212, 265–267, 281, 295 f., 308, 337, 340, 371, 378 f., 382, 400–402, 412, 414, 425, 431 f., 436 f., 444, 453 f., 473 f., 477–481, 527, 530, 533, 536, 538, 540, 542, 556 Phlegmatiker 418 Physik 414, 426, 440 Pietismus 4 Planet, Planetengruppe 416–418, 420, 432, 442, 444 Polemik, Kontroverspolemik, polemisieren, Hetzpredigt, Schmähung, unpolemisch 7, 45 f., 54, 76, 112, 199 f., 202, 205, 254, 269, 298, 312, 322, 349, 351, 353, 380, 391, 407, 482, 530, 534, 541 Politik, politisch 26, 38, 86, 98, 102, 105, 112, 114, 143, 172, 186, 188, 191, 235, 292, 325, 424 f., 485, 502, 517, 520, 549, 558 s. a. kirchenpolitisch, religionspolitisch Prämonstratenserkloster 39 predigen, Predigt, Verkündigung 2, 22, 27–29, 40–42, 45–47, 62, 65 f., 73 f., 76, 82 f., 88, 96, 128, 134, 165, 175, 186, 203, 225, 290, 303, 306, 311, 322, 337, 349, 360, 369, 377, 403, 456 f., 471, 500 f., 547 s. a. Bußpredigt, Evangeliumspredigt, Gesetzespredigt Prediger s. Pfarrer Predigtverbot 134 f., 145 Priester 52, 164, 175, 509
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Priesterehe, Klerikerheirat 126, 134, 137, 143, 149–151, 157, 159, 162–164, 167 f., 175, 178, 180, 182, 232, 237, 242 f., 492, 509 Priesterweihe 333, 339, 465 Primat (des Papstes) 140, 201, 204, 206, 210, 300, 309, 333 f., 339, 343 f., 368, 507 Privat, Privatarbeit, -gemach, -meinung, -person 39, 109, 119, 131, 177, 186, 215 f., 251, 285 f., 297, 312, 413, 485, 488, 520, 535 Privatabsolution 239, 402, 471 Privatmesse, missa privata 19–22, 126, 143, 159, 168 f., 171, 175, 177 f., 241 f., 492, 508 Privatverhandlungen 136 Prophet, prophetisch 24, 26, 205, 401, 422, 516 s. a. Zwickauer Propheten Prophetie 429 Protestantismus 7 Prozession 237, 334 radikal, Radikalität 4, 7, 30, 47, 52, 106, 456, 541 Rationalismus 118 Realpräsenz, (wesentliche) Gegenwart (des Leibes) Christi (im Abendmahl) 104, 109 f., 118, 318, 321 f., 369, 388, 391, 393, 400, 452, 466–471, 500, 521, 552, 556 Rechtfertigung, gerechtfertigt, Rechtfertigungsartikel, -lehre 3, 73 f., 146, 160 f., 208, 210, 228 f., 231, 290–292, 294–299, 301, 303, 309 f., 315–319, 333–335, 343, 367–369, 376, 380, 382, 398 f., 401, 408, 456–464, 465, 476–478, 481, 483, 519, 521, 533–535, 537, 545, 547 f., 552, 556 Rechtfertigungsformel (Pegau 1548) 343 f. Rechtgläubigkeit 401, 483 reformiert 2, 3, 386–389, 391, 393, 467, 469 f., 518, 521 »Regensburger Buch« (1541) 316 f., 333, 356
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Register
Reich, Reichsverband, Heiliges Römisches Reich 86, 93, 95, 98 f., 102 f., 114, 141, 203, 233, 332, 532, 548, 555 Reich Gottes 266, 399, 528 Reichsregiment 93 Reichstag – Worms (1521) 18, 91 – Speyer (1526) 38 – Speyer (1529) 86–88, 91, 93–96, 98–101, 103 f., 107, 116, 121, 134, 485 f., 491, 502, 523, 525, 528, 549, 553 – Augsburg (1530) 13, 69, 86, 97, 112, 115, 123–283, 284, 451, 454, 461, 467, 470, 472, 476, 486, 489, 491, 493, 495, 499, 502, 504, 508 f., 511, 517 f., 521 f., 525, 528, 537, 549 f., 553–556 – Regensburg (1541) 316 – Speyer (1544) 320 – Augsburg (1547/48) 332, 334, 342 – Augsburg (1550) 384 rein, Reinheit, Reinerhaltung (Lehre) 67, 71, 205, 320, 325, 329, 333, 340, 343, 360, 366, 378 f., 385, 396, 398, 472, 474, 478, 480–482, 484, 493, 498, 502, 506, 535, 545 Religion 285, 332, 343, 359, 362, 366, 379, 399, 424 Religionsfrage 125, 284, 344 Religionsfreiheit 327 Religionsgesetz 322 f., 336 f., 342, 361 s. a. Interim Religionsgespräch, Reichsreligionsgespräch 86, 90 f., 97–101, 106, 159 – Marburg (1529) 86, 98, 107 f., 110, 112, 114, 116, 292, 466, 517, 520, 553 – Hagenau, Worms und Regensburg (1540/41) 229, 314–316, 318, 389, 468, 472, 485 f., 490 f., 502 f., 506, 509, 522, 524, 526, 552 – Regensburg (1546) 323 – Worms (1557) 345, 351, 353, 360, 364, 386, 396 f., 399, 468 f., 472, 519 Religionsneuerung 176 Religionspartei 141 Religionspolitik, religionspolitisch 326, 401, 547
Religionsverhandlung 172 Reue, contritio 61, 65, 75, 84, 161, 294 f., 403, 456 f., 459, 463, 475 f. Ritschlianismus, Ritschlsche Schule 3, 5 Ruhe, ruhen 2, 29, 268, 284, 340, 367, 384, 498, 528 f. »Sachsenspiegel« 71, 84 Sakrament, sakramental 39, 47, 69, 207, 209, 318, 333, 339, 345, 361, 368, 389, 464 f., 467–470, 552 Sakramentierer, Sakramentsschwärmer 3, 187, 199, 372, 388, 390, 392, 468 f. Sakramentsempfänger 468 Sakramentslehre 318, 464 Sakramentspraxis 126 Sakramentsverwaltung 40, 165 Sanguiniker 418 Saturn (Planet) 417 Schaf 362 Schlacht bei Mühlberg (24.4.1547) 327 Schlaflosigkeit 154 Schlange 102, 536 »Schmalkaldische Artikel« (1537) 299, 400, 405, 463, 483, 494, 506 Schmalkaldischer Bund 292, 328 (Schmalkaldischer) Krieg 6, 13, 325–327, 329 f., 332, 372, 407, 482, 490, 515, 524, 535, 544, 546, 551 Schmeichelei, schmeichelhaft, schmeicheln 198, 216, 309, 311, 341, 370, 490, 515 Scholastik, scholastisch 3, 466, 479 f. Schöpfer(gott), Weltschöpfer 422, 426, 432, 435 Schöpfung 319, 422 Schöpfungsbericht 426 Schrift, Heilige Schrift 77, 91, 200, 209, 303, 337, 342, 365, 444 f., 471 f., 473 f. s. a. Bibel, Gottes Wort Schriftbeweis 162, 231, 509 f. schriftgemäß 230 (Schrift)Prinzip sola scriptura 473 f. Schuld 70, 454 Schule, Lateinschule 32, 36, 40, 54, 61, 390 Schüler(kreis), Studenten (Melan chthons) 20, 23 f., 31–33, 36, 139, 155,
Sachen
215, 282, 284, 293–297, 305, 308, 311, 324–326, 357, 372, 375, 378, 380, 382 f., 390 f., 403, 408, 410, 412 f., 419, 452, 458, 471, 513, 515 f., 519, 532, 536, 538, 540–544, 546, 550, 553, 558 Schulprogramm 41 Schulordnung 32 »Schwabacher Artikel« (1529) 127, 129, 236 schwach, Schwachheit, Schwäche s. a. Glaubensschwäche – Melanchthon 15, 96, 121, 239, 256, 262–264, 282, 338–340, 371, 386, 400, 523 f., 531, 540 – andere 179, 454 Schwärmer, Schwärmerei, schwärmerisch 29–31, 37, 83, 320–322, 373, 382, 393, 433, 463, 468, 516–519 Schweizer, schweizerisch, Eidgenossen 89, 103, 109 f., 113, 117, 271, 322, 386 f., 555 Schwindsucht 424 Seelmesse 48, 334 seelsorglich 52, 62, 198, 210, 499, 545 Seher/in 427, 430 f. Sekte 183, 216, 488 Seligkeit 160, 376, 519 Seuche 247, 301, 416, 443 Skorpion 392 sola fide 160, 229, 226, 299, 315, 367, 376, 456, 460 f., 542 Solidarität, (un)solidarisch, solidarisieren 89 f., 93–95, 172 Sonderverhandlungen 135 f., 144 f., 147, 150–152, 154, 180, 185, 191, 211 f., 214–217, 219, 232, 243, 249 f., 485–488, 491, 522 Sonnenfinsternis 417, 440 Sophist, sophista, sophistisch, sophisticus, Sophisterei 16, 111, 245, 295 f., 406, 478 Sorge, sorgenvoll (von Melanchthon) 18, 24, 90, 101–103, 107, 113, 119, 121, 131, 133, 142, 153 f., 179, 184 f., 218, 256–262, 265, 273 f., 276, 278, 281, 312, 406, 525–527, 533 f., 539, 552, 554 Soteriologie 509
621
Speisegebot 160, 165, 236 f., 334, 339, 365 f., 492, 497 f. Spiritualismus, Spiritualisten 41, 108 Stadtordnung 27 f. status / casus confessionis 365, 494 Stern, Gestirn, Himmelskörper 414–418, 420–424, 426 f., 429, 433–435, 439, 442–445, 512, 543 Storchlegende 30 Streitsucht, streitsüchtig 334–336, 341, 514, 552 Stundengebet 47 Studenten s. Schüler Sünde, Sündhaftigkeit, sündig, (ver)sündigen 68, 70, 168, 200, 237, 258 f., 310, 319, 363, 369, 397, 422 f., 429, 453 f., 456 f., 471, 480, 492, 496, 500 s. a. Erbsünde, Hauptsünde Sündenbock 269, 518 Sündenerkenntnis, Erkenntnis der Sünden 76, 369, 377, 445, 476 Sündenlehre 320, 535 Sündenvergebung, Vergebung der Sünden 41 f., 44, 46 f., 83, 230, 377, 380, 456 f. Sünder 67 f., 73, 462 Symbol, Symbolwert, -wirkung 243, 500, 506, 511 Synergismus 454, 456, 463 Synergistischer Streit 375 f. tapfer, Tapferkeit 19, 107, 224, 260, 264, 272, 282, 525, 531, 547 Taufe 368, 463–465, 470 s. a. Johannestaufe, Kindertaufe Täufer, Wiedertäufer, wiedertäuferisch 30, 78, 113, 372, 382, 463 Tempel ( Jerusalem) 363 Temperament 262 f., 418, 421, 424, 526 tertius usus legis 456, 458 Testament 491 Teufel, Teufelslehre, -werk, teuflisch 24, 29, 49, 106, 117, 202, 224, 247, 251, 259 f., 262 f., 350, 362, 382 f., 395, 404, 421 f., 439, 446, 512, 522 Teufelserscheinung 427 theologia gloriae 266
622
Register
Toleranz, tolerieren 85, 171, 233, 333, 498 Tollwut 429 Tonsur 47 »Torgauer Artikel« (1530) 126, 130 Totenmesse 202 »Tractatus de potestate et primatu papae« (1537) 206, 300, 502 Tradition 118, 453, 474, 479 s. a. Lehrtradition Traditionen s. Bräuche Transsubstantiationslehre 339, 466 Trinität(slehre) 319, 377, 452 Trojanisches Pferd 217 Trost, trösten, trostreich 107, 142, 257, 259, 261, 282, 378, 422, 431, 459 Trostbrief 131, 254, 257, 260, 262 f., 265, 280, 282, 526, 528 Türken, Türkengefahr, Türkenhilfe 86 f., 93, 139, 178, 372, 430 Tyrann, Tyrannei 82 f., 235, 501 überlaufen, Überläufer 248, 393, 469 Überschwemmung 428 Ubiquitätslehre 550 Umsturz, Umwälzung 45, 102, 271, 519 unbeständig, Unbeständigkeit 111, 218, 222 f., 226, 236, 244, 262 f., 289, 307 f., 360, 488, 523 f. undankbar, Undankbarkeit 82, 107, 305, 337, 392, 490, 515, 525, 536, 538, 543, 548, 552, 558 uneinheitlich, Uneinheitlichkeit 121, 338 Unerfahrenheit 23, 30 f., 115, 121, 192, 277, 516 f. Unfriede 255, 367 Unglaube 258 f. Universität / Fakultät 410, 420, 435, 437 – Heidelberg 390 – Ingolstadt 310 – Jena 329, 357, 406, 420, 546, 549 – Königsberg 380 – Leipzig 357, 434 – Paris 15 f., 31 – Tübingen 411, 494 – Wittenberg 18, 21, 33, 38, 42, 51, 54, 107, 296, 301, 308, 311, 328–330,
412 f., 437, 513–515, 532 f., 536–540, 544–546 unnachgiebig, Unnachgiebigkeit, Hartnäckigkeit, Halsstarrigkeit 30, 34, 52, 95, 115, 128, 135, 143, 179, 181 f., 192, 219, 223 f., 262, 268, 279, 283, 316, 318, 336, 365, 497, 511, 519, 549, 557 unsicher, Unsicherheit, wankend, schwanken (von Melanchthon) 17 f., 25 f., 30, 111, 134, 397, 466, 516, 523 f., 533 »Unterricht der Visitatoren« (1528) 37, 41–44, 48–50, 55, 58, 61–63, 81–84, 175, 238, 303, 305, 453, 493, 499 f., 534, 544, 547 Unwetter 428 verfälschen, Verfälschung 3, 197, 200, 360, 367, 369, 373, 377, 458, 461, 464, 535 Verführer, Verführung, verführen 170, 241 f., 280, 382, 508 verloben, Verlobung(sfeier) 23, 31 vermitteln, Vermittler, Vermittlung, Vermittlungsbemühung, -verhandlung, -versuch, -vorschlag 59, 82 f., 85, 94 f., 154, 163, 176 f., 180, 183, 206, 245 f., 251, 274, 294, 304, 327, 356, 394 f., 470, 486, 509, 533, 542 Vernunft, vernunftbegabt, vernünftig, rational, Vernunftgemäßheit, -orientiertheit 1, 96, 121, 144, 265–267, 280, 340, 371, 378, 385, 454, 478–480, 527 f., 536 Verrat, verraten, Verräter, verräterisch 3, 33, 67, 192, 247–249, 288, 290, 331, 359, 370, 388, 469, 484, 510, 515, 536 Verstand 76, 262, 267 vir bonus 53, 158, 179, 284, 472 Visitation 36–85, 302 f., 310, 457 f., 460, 470, 475 f., 481, 491, 493, 495, 499, 538, 544, 549 (Visitations)Ordnung 40, 42–44, 48, 61 f., 81, 84 Volk, Kirchenvolk, Bevölkerung 37, 44–46, 56, 67, 71, 76, 81, 117, 200, 210, 220, 225, 230 f., 242 f., 270, 273,
Sachen
279, 361, 401, 447, 457, 475, 495, 506, 509 f. Voraussage, voraussagen 410, 413–417, 420, 424 f., 429, 432, 434, 437, 439, 443–447, 512, 526, 541, 553 voraussehen 24 Vorzeichen 410 f., 427, 429, 432, 434, 440, 446 Wahrheit 96, 104, 120, 204, 209, 213, 244, 249, 342, 345, 359, 370, 379, 397, 473, 525 Wankelmut, wankelmütig, Unentschiedenheit 223, 386, 518, 521 »Weimarer Konfutationsbuch« (1558/59) 401, 455, 469, 478 Wein 23, 73, 467, 500 Weisheit, Weltweisheit, weltweise 96 f., 148, 155, 213, 265–267, 289, 385, 442, 479, 528 weissagend, Weissagung, Prophezeiung 410, 411, 413, 415 f., 427, 429–432, 435, 442, 444, 446, 526 Welt, (inner)weltlich 81, 160, 199, 201, 219, 222 f., 250, 253 f., 259, 264, 266 f., 385, 414, 416, 420, 423 f., 444, 456, 501, 506 Weltbild 420, 444 Weltende, Weltuntergang 418, 439 Werke, gute 46, 290, 296, 310, 319, 367, 376, 398 f., 403 f., 456, 458 f., 460, 519 Werkfrömmigkeit 362 Werkgerechtigkeit 202 Wetter 416, 420 Widerruf, widerrufen, Widerrufer 49 f., 68, 75, 226, 249, 269, 297, 340 Widerstandsrecht, Widerstandsgedanke 113 f., 186, 549 Widmung, Widmungsvorrede 90–93, 95, 97, 99, 121, 285, 290–292, 311 f., 373, 487 Wiedergeburt, wiedergeboren 456, 463 Wille 368, 404, 421, 453–456
623
Willensfreiheit, freier Wille 4, 231, 291 f., 301, 320, 375, 401 f., 404 f., 444, 452 f., 455 f., 460, 463, 465, 479, 483, 521, 535, 538, 542, 545, 556 Willenslehre 291, 321, 375, 401, 403, 454 f. Winkelmesse 508 Wittenberger Bewegung (1521/22) 17–31, 47, 73, 117, 492, 516, 544, 547 Wittenberger Kapitulation (19.5.1547) 327 »Wittenberger Konkordie« (1536) 190, 292–294, 314, 467 f. Wittenberger Lutherausgabe 372–374, 553 »Wittenberger Reformation« (1545) 503 Wolf 362, 368, 503 »Wormser Buch« (1541) 316 »Wormser Edikt« (1521) 18, 26, 87, 185 Wunderzeichen 428 f., 446 zaghaft, Zaghaftigkeit 261, 282, 525 f. Zeitrechnung 424 Zölibat 48, 509 Zöllner 397 Zorn (Gottes) 341, 377, 399 Zucht, Sittenzucht, züchtig 39–42, 165, 334, 346, 366 f., 471, 498 Züricher Reformation 117 zweideutig, Zweideutigkeit, undeutlich, Undeutlichkeit, uneindeutig, Uneindeutigkeit, unklar, Unklarheit, unpräzise 2, 121, 165, 167, 199, 210, 244 f., 317, 363 f., 389, 393, 429, 442, 446, 452, 468 f., 500, 520–522, 523, 525 Zwickauer Propheten 17, 23, 25–27, 29–31, 516 Zwinglianer, (anti)zwinglianisch, Zwinglianismus 2, 30, 86, 88–90, 94, 97, 99–106, 108, 110–122, 124, 130 f., 185–192, 195, 199 f., 220, 250 f., 268 f., 278, 293 f., 382, 387, 396, 400, 466, 468–470, 489, 517 f., 520, 553–555