Die Einbeziehung der Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände [1 ed.] 9783428549696, 9783428149698

Der EuGH hat dem in Art. 4 Abs. 3 EUV normierten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit die Pflicht der EU-Mitgliedstaaten

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German Pages 287 Year 2017

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Die Einbeziehung der Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände [1 ed.]
 9783428549696, 9783428149698

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 29

Die Einbeziehung der Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände Von Kerstin Bogusch

Duncker & Humblot · Berlin

KERSTIN BOGUSCH

Die Einbeziehung der Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Landgericht Göttingen

Band / Volume 29

Die Einbeziehung der Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Von Kerstin Bogusch

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Sommersemester 2015 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-14969-8 (Print) ISBN 978-3-428-54969-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-84969-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Das am 26. November 2015 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung der Korruption hat bei Erstellung des Manuskripts Berücksichtigung gefunden, Rechtsprechungs- und Literaturnachweise sind auf dem Stand von Juli 2016. An erster Stelle gilt mein aufrichtiger Dank meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Martin Böse, der für die Gestaltung und Schwerpunktsetzung dieser Arbeit wichtige Anregungen gab und ihr Entstehen stets unterstützte. Herrn Prof. Dr.­ Rainer Zaczyk danke ich herzlich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens. Mein besonderer Dank gebührt zudem Herrn Prof. Dr. Wulf-Henning Roth, an dessen Lehrstuhl ich während des Entstehens dieser Arbeit tätig sein durfte, ebenso wie all meinen Lehrstuhlkollegen. Ferner danke ich Herrn Prof. Dr. Kai Ambos für die Aufnahme meiner Dissertation in die Reihe „Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht“. Darüber hinaus möchte ich mich bei Herrn Jörg Bogusch bedanken, der mir stets mit Rat, Tat und seinem unermüdlichen Zuspruch zur Seite stand, ebenso wie bei Herrn Daniel Bogusch für die vielen ermutigenden und ablenkenden Gespräche. Des Weiteren danke ich Herrn Ahmed Abdelrahman sowie Frau Regine Surbach und Frau Anna Daum für ihre Freundschaft in allen Phasen meiner Promotion. Schließlich – und nicht zuletzt – möchte ich meinen Eltern Frau Renate Karin und Herrn Edgar Bogusch für ihre grenzenlose Unterstützung während meiner Promotionszeit sowie auf meinem gesamten Lebensweg danken. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Düsseldorf, im Dezember 2016

Kerstin Bogusch

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Einführung

19

2. Kapitel

Gang der Untersuchung

23

3. Kapitel

Zum Untersuchungsobjekt

25

A. Das Rechtsgut und seine Bedeutung für das deutsche Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Der Begriff des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 III. Funktionen des Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 B. Arten von Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 II. Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Staatliche Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Kollektive Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Abgrenzungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Staatliche Allgemeinrechtsgüter mit kollektivem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . 43 IV. Folgerungen und Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 C. Die Bestimmung der Auslandseigenschaft eines Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

8

Inhaltsverzeichnis 4. Kapitel



Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht – Grundsätze

49

A. Die Bedeutung des transnationalen Strafrechts (§§ 3 ff. StGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 B. Ausgangspunkt: Der originäre innerstaatliche Bezug des deutschen Strafrechts . . . . 51 C. Traditionelle Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften 53 I. Grundsätzlicher Schutz ausländischer Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . 53 II. Kein Schutz ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Schutz ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 1. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 D. Der Grundsatz der individuellen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

5. Kapitel

Die ausdrückliche Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände

68

A. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf ausländische Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 I. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. §§ 89a, 89b, 91 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. §§ 102 bis 104a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 3. § 108e StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 4. § 132a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 5. § 152 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 6. § 162 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 7. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. b, Abs. 2 StGB (ex § 2 IStGHGleichstG) . . . . . . . 77 8. NTSG, § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c, Abs. 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 9. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a, b, c (ex Art. 2 § 1 IntBestG) . . . . . . . . . . . . . . . . 82 10. Art. 42 SDÜ, Art. 15 EU-RhÜbk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. § 129b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2. § 261 Abs. 8 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Inhaltsverzeichnis

9

3. § 299 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5. Art. 2 § 2 IntBestG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6. § 96 Abs. 4 AufenthG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 B. Zwischenfazit und Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 C. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 I. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf staatliche Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB (ex Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. § 370 Abs. 6 S. 2 AO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. § 18 Abs. 5 AWG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf kollektive Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. § 330d Abs. 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. § 38 WpHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 D. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

6. Kapitel



Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als unionsrechtliche Grundlage einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten

122

A. Einführung in den Regelungsgehalt des Art. 4 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 I. Art. 4 Abs. 1 EUV – „Mitgliedstaatenzentrierte Kompetenzordnung“ . . . . . . . . . 123 II. Art. 4 Abs. 2 EUV – „Wahrung der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten“ . . . . . . . . 124 B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Genese des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Entwicklung zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Der Terminus „Unionstreue“ und seine Bedeutung für den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Ursprung des Begriffs der Unionstreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 b) Die Bundestreue und ihre Bedeutung im deutschen Verfassungsrecht . . . 130 c) Inhaltliche Auswirkungen der parallelen Begriffswahl? . . . . . . . . . . . . . . 131

10

Inhaltsverzeichnis II. Funktion des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 III. Regelungsgehalt des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 137 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 2. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3. „Verpflichtungen“ i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 4. Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

C. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als Grundlage einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten? 144 I. Fehlende Konkretisierung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zu einer wechselseitigen strafrechtlichen Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . 144 II. Existenzberechtigung einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten als Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 b) Erforderlichkeit – Supranationale Strafrechtssetzungskompetenz der EU? 150 c) Schutzobjekte: Supranationale europäische Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . 151 d) Europäisierung des Rechtsgutskonzepts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 e) Unionsrechtliches Rahmensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Obergrenze: Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts . . . . . . 156 bb) Untergrenze: Gleichstellungsgebot und Mindesttrias . . . . . . . . . . . . 157 (1) Gleichstellungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 (2) Mindesttrias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 f) Vertragskonformität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 aa) Die immanente Grenze des Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, Art. 4 Abs. 1 EUV – Mitgliedstaatliche Strafrechtssetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 bb) Die immanente Grenze des Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV – Strafrechtsspezifisches Schonungsgebot . . . . . . . . . . . . . 162 g) Ausprägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Schaffung von Straftatbeständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 bb) Unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EUMitgliedstaaten zur Erfüllung ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht gegenüber der EU? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169

Inhaltsverzeichnis

11

I. Wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten bezüglich kollektiver Allgemeinrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 1. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der Umwelt durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Das Auswirkungsprinzip im europäischen Wettbewerbsrecht als Argument für einen wechselseitigen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Kapitalmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der Kapitalmärkte durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 III. Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf kollektive Allgemeinrechtsgüter anderer EU-Mitgliedstaaten durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. §§ 71, 71a BNatSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. § 264a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. § 265 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 4. § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 5. § 298 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6. §§ 315b ff. StGB, § 21 StVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 7. §§ 58, 59 LFGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 IV. Wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten bezüglich staatlicher Allgemeinrechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 1. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres Vermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des Vermögens durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer öffentlichen Verwaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 aa) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Schutzobjekt der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten . . 204

12

Inhaltsverzeichnis bb) Die Bedeutung des Prinzips gegenseitigen Vertrauens im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der öffentlichen Verwaltungen durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 3. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht durch die EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 4. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses . . . . . . . . . . . . 215 a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses durch die EU-Mitgliedstaaten . 217 V. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 VI. Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf staatliche Allgemeinrechtsgüter anderer EU-Mitgliedstaaten durch Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 1. §§ 120 Abs. 1 StGB, 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. § 123 Abs. 1 4. Fall StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. § 132 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 4. § 133 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 5. § 136 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6. § 145d StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 7. §§ 153 ff. StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 8. § 164 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 9. § 258 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 10. § 261 Abs. 1 und 2 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245

7. Kapitel



Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten

248

A. Die Beschränkung des nationalen Strafanwendungsrechts der EU-Mitgliedstaaten zur Vermeidung positiver Jurisdiktionskonflikte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

Inhaltsverzeichnis

13

B. Die Ausdehnung des nationalen Strafanwendungsrechts als Konsequenz der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . 249 C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept für positive Kompetenzkonflikte zwischen den EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

8. Kapitel

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

259

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

Abkürzungsverzeichnis a. A. anderer Ansicht Amtsblatt der EU ABl. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ABl. EG Abs. Absatz (Absätze) Abschn. Abschnitt AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung Anh. Anhang Anl. Anlage Anm. Anmerkung AO Abgabenordnung AöR Archiv des öffentlichen Rechts Art. Artikel Allgemeiner Teil AT AufenthG Aufenthaltsgesetz Aufl. Auflage AuslG Ausländergesetz BB Der Betriebs-Berater Bd. Band Beck’scher Online-Kommentar BeckOK Bürgerliches Gesetzbuch BGB BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGHZ BörsG Börsengesetz bspw. beispielsweise Besonderer Teil BT BT-Drs. Drucksache des Bundestags BtMG Betäubungsmittelgesetz BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise ca. circa DB Der Betrieb ders. derselbe d. h. das heißt dies. dieselben Dok. Dokument DÖV Die Öffentliche Verwaltung

Abkürzungsverzeichnis

15

Deutsches Steuerrecht DStR DStZ Deutsche Steuer-Zeitung DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt E Entscheidung EG Europäische Gemeinschaft bzw. Europäische Gemeinschaften EGFinSchG EG-Finanzschutzgesetz Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EGV Einf. Einführung Einl. Einleitung endg. endgültig etc. et cetera EU Europäische Union EUBestG EU-Bestechungsgesetz Gericht der Europäischen Union EuG EuGH Europäischer Gerichtshof EuR Europarecht Eu-RhÜbk Europäisches Rechtshilfeübereinkommen EuStR Europäisches Strafrecht Vertrag über die Europäische Union EUV Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EuZW Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWGV Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EWS f. folgende folgende (Mehrzahl) ff. FG Festgabe Fn. Fußnote FS Festschrift GA Goltdammers Archiv für Strafrecht GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GeldwRL Geldwäscherichtlinie GG Grundgesetz GMBl. Gemeinsames Ministerialblatt Grundrechte-Charta der Europäischen Union GRC GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GS Gedächtnisschrift GWB Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen herrschende Meinung h. M. HRRS Höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht Hrsg. Herausgeber HS Halbsatz i. d. F. in der Fassung in der Regel i. d. R. im Ergebnis i.E. i. e. S. im engeren Sinne IGH Internationaler Gerichtshof IntBestG Internationales Bestechungsgesetz IntStR Internationales Strafrecht

16

Abkürzungsverzeichnis

im Sinne des/der Internationaler Strafgerichtshof Gesetz über das Ruhen der Verfolgungsverjährung und die Gleichstellung der Richter und Bediensteten des Internationalen Strafgerichtshofes i. V. m. in Verbindung mit im weiteren Sinne i.w.S. Juristische Arbeitsblätter JA JR Juristische Rundschau Jura Juristische Ausbildung Juristische Schulung JuS JZ Juristenzeitung Kap. Kapitel KMStR Kapitalmarktstrafrecht Dokument der Kommission KOM LFGB Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch LG Landgericht lit. Buchstabe(n) LK Leipziger Kommentar Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzbuch LMBG Monatsschrift für deutsches Recht MDR MOG Gesetz zur Durchführung der Gemeinsamen Marktorganisation MüKo Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen mit Wirkung vom m.W.v. North Atlantic Treaty Organisation NATO neue Fassung n. F. NJW Neue Juristische Wochenschrift NK Nomos-Kommentar Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ NTS NATO-Truppenstatut NTSG NATO-Truppen-Schutzgesetz Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht NZV Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD OLG Oberlandesgericht OrgKG Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der organisierten Kriminalität Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen PJZS RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts RFSR RG Reichsgericht RGBl. Reichsgerichtsblatt RGSt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen RIW/AWD Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters i. S. d. IStGH IStGHGleichstG

Abkürzungsverzeichnis

17

RL Richtlinie Rn. Randnummer(n) Rs. Rechtssache RStGB Reichsstrafgesetzbuch s. siehe S. Seite(n)/Satz (Sätze) Schlussantr. Schlussanträge Schengener Durchführungsübereinkommen SDÜ SEV Sammlung Europäischer Verträge Slg. Sammlung siehe oben s. o. sog. sogenannte(r) SteuerStR Steuerstrafrecht StGB Strafgesetzbuch StGB-E Strafgesetzbuch-Entwurf StPO Strafprozessordnung StR Strafrecht StraFo Strafverteidiger Forum StrÄndG Strafrechtsänderungsgesetz StV Strafverteidiger StVG Straßenverkehrsgesetz siehe unten s. u. u. und u. a. und andere Unterabsatz (Unterabsätze) UAbs. UAbschn. Unterabschnitt Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anUklG deren Verstößen UN-SuchstoffÜbK UN-Suchtstoffübereinkommen UWG Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verb. verbundene VersR Versicherungsrecht VG Verwaltungsgericht vgl. vergleiche VO Verordnung VölkerR Völkerrecht VölkerStR Völkerstrafrecht Vor Vorbemerkung(en) WaffG Waffengesetz WaffR Waffenrecht Gesetz zur Neuregelung des Waffenrechts WaffRNeuRegG Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität WiKG WirtschaftsR Wirtschaftsrecht wistra Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM WPflG Wehrpflichtgesetz WpHG Wertpapierhandelsgesetz WuW Wirtschaft und Wettbewerb

18

Abkürzungsverzeichnis

Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen zum Beispiel z. B. ZBJI Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZIS Zeitschrift für das juristische Studium ZJS ZÖR Zeitschrift für Öffentliches Recht ZPO Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik ZRP ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft z. T. zum Teil Zeitschrift für Umweltrecht ZUR zust. zustimmender ZA-NTS

1. Kapitel

Einführung „Entschlossen, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben“1, haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Vertrag von Lissabon2 als „neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“3 gefasst. Der europäische Integrationsprozess schreitet also weiter voran und bedeutet den kontinuierlichen und für Neuerungen stetig offenen „Ausbau der politischen und rechtlichen Verflechtung der Mitgliedstaaten“4 der Europäischen Union. Mit dem Vertrag von Lissabon ist das ursprünglich auf die Schaffung einheitlicher Wirtschaftsverhältnisse in den europäischen Mitgliedstaaten konzentrierte europäische Integrationsvorhaben5 insbesondere im Hinblick auf seine politische Ebene in den Fokus unionaler Bemühungen gerückt. Die EU hat es sich nunmehr zur verbindlichen Aufgabe gemacht, ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu bieten6 und erklärt damit ihre Intention, die bereits durch den Vertrag von Maastricht7 eingeleitete mitgliedstaatliche Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Justiz- und Innenpolitik8 zu stärken, um ihr ausgewiesenes Ziel, den Frieden zwischen den Völkern Europas, zu sichern9. Dass sich speziell das Strafrecht zu einem zentralen Anknüpfungspunkt europäischer Integrationspolitik entwickelt hat, liegt in der drastischen Kriminalitätsentwicklung in Europa begründet10. Denn durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital auf dem europäischen Binnenmarkt sowie den be 1

1. Erwägungsgrund der Präambel zum EUV. Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 13.12.2007 (ABl. 2007 Nr. C 306, S. 1, berichtigt ABl. 2008 Nr. C 111, S. 56, ABl. 2009 Nr. C 290, S. 1) in Kraft seit 1.12.2009 (BGBl. 2009 II, S. 1223); vgl. die konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in ABl. 2012 Nr. C 326, S. 1. 3 Art. 1 Abs. 2 EUV. 4 Calliess/Ruffert/Calliess, 3. Aufl., Art. 1 EUV, Rn. 6. 5 Bleckmann, EuR, S. 23. 6 Art. 3 Abs. 2 EUV. 7 Vertrag über die Europäische Union vom 7.2.1992, ABl. EG 1992 Nr. C 191, S. 1. 8 Geiger/Khan/Kotzur, Präambel, Rn. 9. 9 Art. 3 Abs. 1 EUV. 10 Hecker, JA 2007, S. 561; ders., EuStR, § 1, Rn. 32; ders., Iurratio 2009, S. 81. 2

20

1. Kap.: Einführung

reits durch das Schengener Abkommen11 veranlassten Wegfall der Personenkontrollen an den Grenzen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wurden insbesondere grenzüberschreitende Kriminalitätsformen begünstigt12. Der Absatz inkriminierter Waren und Dienstleistungen, Eingriffe in den Wirtschaftsund Finanzkreislauf, Korruption sowie der internationale Terrorismus sind nur Beispiele für die umfassende Ausbildung der transnationalen Kriminalität13. Die EU-Mitgliedstaaten mussten erkennen, dass ihr nationales, vom europäischen Integrationsprozess bislang kaum berührtes Kriminalstrafrecht allein dieser Gefahr keinen Einhalt bieten kann, sondern nur eine gemeinsame, transnationale Ver­ brechensbekämpfung im europäischen Rechtsraum14. Die Strafrechtswissenschaft befasst sich seit Anfang der 90er Jahre mit der Erarbeitung supranationaler strafrechtlicher Konzeptionen. Wesentliche Bedeutung erlangte dabei der unter der Bezeichnung „Corpus Juris der strafrechtlichen Regelungen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ (­ „Corpus Juris“)15 veröffentlichte Gesetzesentwurf einer Arbeitsgruppe europäischer Strafrechtswissenschaftler16. Mit einem Kodex materieller straf- und strafverfahrensrechtlicher Bestimmungen, der auf einer die Strafrechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten umfassend vergleichenden Studie basiert17, bot das Corpus Juris erstmals einen fundierten Vorschlag zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der finanziellen Interessen der EU auf supranationaler Ebene18 und entwickelte sich damit zum Vorbild für weitere Rechtsakte zur Vereinheitlichung des euro­päischen Strafrechts19, wie etwa das 2001 vorgelegte Grünbuch der Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der EG und zur Schaffung einer Euro­päischen Staatsanwaltschaft20. Ein anderes Modell stellen die sogenannten „Europa-Delikte“21 dar, 11 Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 14.6.1985 (Schengen I), GMBl. 1986, S. 79 ff. 12 Hecker, EuStR, § 1, Rn. 32 f. 13 Vgl. hierzu Hecker, EuStR, § 1, Rn. 32 ff. 14 Hecker, JA 2007, S. 561; ders., EuStR, § 1, Rn. 32; ders., Iurratio 2009, S. 81 f. 15 Die unter der Leitung von Prof. Mirielle Delmas-Marty erarbeitete ursprüngliche Fassung (Delmas-Marty (Hrsg.), Corpus Juris, S.  13 ff.) wurde als überarbeitetes „Corpus Juris Florence“ („Corpus Juris 2000“) (http://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/lshellmann/ images/Corpus_juris.pdf (zuletzt abgerufen 22.8.2016)) 1999 dem Europäischen Parlament vorgelegt, vgl. Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 14, Rn. 30. 16 Zu Inhalt und Bedeutung des Corpus Juris vgl. Delmas-Marty/Sieber, Corpus Juris, S. 1, 6 ff.; Wattenberg, StV 2000, S. 95 ff.; Otto, Jura 2000, S. 98 ff.; Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 14, Rn.  30 ff.; Satzger, Europäisierung, S.  87 ff.; ders., IntStR, S.  123; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 83 ff.; Brockhaus, ZIS 2006, S. 481 ff. 17 Delmas-Marty/Sieber, Corpus Juris, S. 1, 6. 18 Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 14, Rn. 36. 19 Satzger, IntStR, S. 123, sowie vorausschauend Delmas-Marty/Sieber, Corpus Juris, S. 1, 9. 20 KOM (2001) 715 endg.; vgl. hierzu Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 14, Rn. 37 ff. 21 Das private Gesetzeskonzept entstand unter der Leitung von Klaus Tiedemann, vgl. Tiedemann (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der EU, S. 449 ff.; vgl. hierzu Satzger, IntStR, S. 124.

1. Kap.: Einführung

21

die ein europaweit geltendes Wirtschaftsstrafrecht vorsehen22. Verwiesen sei da­ rüber hinaus auf das „Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege“23 und das „Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik“24. Ungeachtet dieser auch für die künftige Entwicklung des europäischen Strafrechts Bedeutung behaltenden Vorschläge, wurde der EU eine allgemeingültige Kompetenz zur Setzung supranationalen Kriminalstrafrechts auch im Vertrag von Lissabon nicht zugesprochen25. Daher ist die Europäische Union bisweilen nicht imstande, ihre eigenen, supranationalen Rechtsgüter selbst umfassend strafrechtlich zu schützen26. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH in der Rechtssache „Griechischer Maisskandal“27 bereits Art. 5 EWGV, der Vorgängernorm des Art. 4 Abs. 3 EUV, der den zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten geltenden Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit normiert, die Pflicht der EU-Mitgliedstaaten entnommen, ihr nationales Strafrecht in den Dienst der EU zu stellen, um die unionalen Rechtsgüter zu schützen28 und damit die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten formuliert29. Derweil stehen auch die Rechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten unter dem Einfluss des Unionsrechts und werden durch dieses ausgestaltet. Manche Rechtsgüter auf mitgliedstaatlicher Ebene weisen sogar einen unmittelbaren Zusammenhang mit supranationalen Rechtsgütern der EU auf. So bezieht sich etwa der euro­ päische Umweltschutz auf die Umwelt in den einzelnen EU-Mitgliedsländern und der europäische Wettbewerb betrifft denjenigen Wettbewerb, der auf den Märkten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stattfindet. Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV müssen die Mitgliedstaaten der EU bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben, auch im Verhältnis untereinander kooperieren30. Die EUMitgliedstaaten sind verpflichtet, die durch das Unionsrecht geschützten Rechte 22 Trotz ihrer Bedeutung für die Entwicklung eines Europäischen Strafrechts sind besagte Vorschläge nicht ohne Kritik geblieben, insbesondere im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit nationalen verfassungsrechtlichen Grundsätzen, beispielsweise dem ultima ratio-Prinzip, vgl. Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 85 ff.; Wattenberg, StV 2000, S. 95 ff.; Otto, Jura 2000, S. 98 ff. 23 Schünemann (Hrsg.), Ein Gesamtkonzept für die europäische Strafrechtspflege, passim. 24 ZIS 2009, S. 697 ff.; vgl. aktuell auch das Manifest zum Europäischen Strafverfahrensrecht, ZIS 2013, S. 412 ff. 25 Grünewald, JZ 2011, S. 972, 974; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 83; Böse, Krey FS, S. 7, 16;­ Heger, ZIS 2009, S. 406, 415; Zöller, ZIS 2009, 340, 343 f. 26 Satzger, Europäisierung, S. 328; ders., IntStR, S. 135; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 1. 27 EuGH, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965 (Kommission/Griechenland). 28 EuGH, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965, Rn. 23 ff. (Kommission/Griechenland). 29 Vgl. hierzu Satzger, Europäisierung, S. 334 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 27 ff. 30 EuGH, Rs. C-32/79, Slg. 1980, 2403, Rn. 25, 46 (Kommission/Vereinigtes Königreich); Rs.  C-42/82, Slg.  1983, 1013, Rn.  36 (Kommission/Frankreich); Rs.  C-235/87, Slg.  1988, 5589, Rn. 19 (Matteucci); Rs. C-251/89, Slg. 1991, I-2797, Rn. 57 (Athanasopoulos u. a.).

22

1. Kap.: Einführung

und Interessen der anderen Mitgliedsländer zu wahren31. Diese Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten kann ein erforderliches Mittel darstellen, um ihrer Loyalitätspflicht gegenüber der Europäischen Union nachzukommen32. Insofern können auch auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten erforderlich sein33. Es stellt sich die Frage, ob die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet sein können, entsprechend ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht gegenüber der EU auch den strafrechtlichen Schutz der Rechtsgüter auf mitgliedstaatlicher Ebene im Sinne einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht zu gewährleisten und eine insoweit bestehende, auch den deutschen Staat treffende Obliegenheit die Einbeziehung der Rechtsgüter von anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände erforderlich macht.

31

EuGH, Rs. C-32/79, Slg. 1980, 2403, Rn. 46 (Kommission/Vereinigtes Königreich). Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 52. 33 Vgl. zu der Geltung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit für die PJZS bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon GA Kokott, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 26 (Pupino). 32

2. Kapitel

Gang der Untersuchung Vorliegender Untersuchung liegt eine induktive Vorgehensweise zugrunde. Die in der deutschen Rechtsordnung bereits existierenden Strafvorschriften, die Rechtsgüter anderer EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen, sind Ausgangspunkt für die Ermittlung einer allgemeingültigen Begründung für wie auch für die Diskussion von Einwänden gegen eine Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf die Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten. Im Hinblick auf die im 4. Kapitel dargestellte, generell bestehende Problematik um den Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht, wird die deutsche Strafrechtsordnung im 5. Kapitel zunächst auf Bestimmungen untersucht, die ausländische Rechtsgüter auch von Nicht-Mitgliedstaaten der EU in ihren Schutzbereich einbeziehen und die Beweggründe des deutschen Gesetzgebers hierfür erörtert. Die anschließende Betrachtung derjenigen Strafnormen, die eine Schutzbe­ reichs­erweiterung beschränkt auf Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten enthalten sowie der gesetzgeberischen Motivation für ihren ausdrücklichen Schutz wird zeigen, dass die Einbeziehung von Rechtsgütern anderer Mitgliedstaaten der EU in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände Ausdruck des zwischenstaatlichen Zusammenwirkens der europäischen Mitgliedstaaten ist, das seine primärrechtliche Grundlage in dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV findet. Da der EuGH die aus jenem unionalen Rechtsgrundsatz gefolgerte Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zur Indienststellung ihres nationalen Kriminalstrafrechts bislang nur auf die supranationalen Rechtsgüter der EU bezogen hat und nicht auch auf Rechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten, wird im 6. Kapitel der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als Basis einer entsprechenden, im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander bestehenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht erörtert, unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu dem grundsätzlichen zwischenstaatlichen Pflichtenverhältnis in der EU sowie der Bedeutung seines Urteils in der Rechtssache „Griechischer Maisskandal“. In der Folge werden die gewonnenen Ergebnisse überprüft, indem deutsche Straftatbestände, die keine ausdrückliche Schutzbereichserweiterung auf mitgliedstaatliche Rechtsgüter enthalten, daraufhin begutachtet werden, ob ihre Auslegung im Lichte des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV eine entsprechende Schutzbereichsausdehnung rechtfertigt.

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2. Kap.: Gang der Untersuchung

Im 7.  Kapitel werden die strafanwendungs- sowie strafverfahrensrechtlichen Auswirkungen einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten dargelegt. Zur Bestimmung des Gegenstands der vorliegenden Untersuchung wird jedoch zunächst, im 3. Kapitel, die Bedeutung des Rechtsguts für das deutsche Strafrecht skizziert. Anschließend werden die den möglichen Trägern von Rechtsgütern entsprechenden Arten von Rechtsgütern dargestellt, bevor der Frage nachgegangen wird, welche Rolle der Rechtsgutsträger im Fall seiner Auslandseigenschaft für die Schutzwürdigkeit des Rechtsguts nach deutschem Strafrecht spielt.

3. Kapitel

Zum Untersuchungsobjekt A. Das Rechtsgut und seine Bedeutung für das deutsche Strafrecht I. Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts Zentrale Aufgabe des Strafrechts ist es, Rechtsgüter vor ihrer Verletzung oder Gefährdung zu schützen1. Diese heute herrschende Ansicht ist nicht ohne Kritik geblieben, jedoch wird dem Rechtsgüterschutz auch bei abweichenden Aufgabenbestimmungen des Strafrechts2 seine wesentliche Bedeutung zugestanden3. Nach Amelung muss das Rechtsgüterschutzprinzip mit seiner Theorie der Sozialschädlichkeit verknüpft werden. Von der aufklärerischen Sozialschadenslehre ausgehend, erklärt er die „Sicherung der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens“4 zur zentralen Aufgabe des Strafrechts. Die Herstellung und Sicherung der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens sei jedoch „keine Frage des Schutzes einer abzählbaren Menge wertvoller Objekte“ im Sinne der Rechtsgutslehre, sondern stelle ein „organisatorisches Problem“ dar5. Die Gesellschaft müsse als soziales System verstanden werden, das mittels organisatorischer und gesetzgebender sowie kultureller und wertevermittelnder Strukturen seinen Fortbestand sichert6. Unter Zugrundelegung jener soziologischen Systemtheorie definiert Amelung den Begriff des Verbrechens als Störung dieses sozialen Systems7.

1

BVerfGE 45, 187, 253 f.; Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 1; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 7; SK/ Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 3; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 109; Schönke/Schröder/ Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn. 9; MüKo/Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 45 ff.; Lackner/Kühl, Vor §§ 13–21, Rn. 4; Satzger, Europäisierung, S. 291; Rudolphi, Honig FS, S. 151; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 10; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 7; Heger, Europäisierung des deutschen Umweltstrafrechts, S. 195. 2 Amelung, Rechtsgüterschutz, S.  1, 330 ff. („Sicherung der Bedingungen menschlichen Zusammenlebens“); Jakobs, StR AT, S. 35 ff. (Schutz der „Enttäuschungsfestigkeit der wesentlichen normativen Erwartungen“); Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 1 ff., 3 („Schutz der elementaren sozialethischen Gesinnungs- (Handlungs-) werte“). 3 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 330 ff., 393 ff.; Jakobs, StR AT, S. 39 ff., 45; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 3 ff., 4. 4 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 1, 330 ff. 5 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 264. 6 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 350 ff., 356 f. 7 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 358 ff.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

Sozialschädlich sei „eine dysfunktionale Erscheinung, ein Sozialphänomen, das es verhindert oder erschwert, daß das Sozialsystem der Gesellschaft die Probleme seines Fortbestandes bewältigt.“8 Das Verbrechen sei „nur ein Spezialfall dysfunktionaler Phänomene“9, es sei „dysfunktional als Widerspruch gegen eine institutionalisierte Norm […], die für die Bewältigung der Bestandsprobleme der Gesellschaft nötig ist“10 zu begreifen. Dem müsse das Strafrecht entgegenwirken11. Das Rechtsgutsdogma behalte dabei die Funktion, aufgrund „‚verstehender‘ Ermittlung der Vorstellungen eines zweckhaft handelnden Gesetzgebers“ die Auslegung einer Strafnorm zu ermöglichen12. Es sei mit der Systemtheorie dergestalt zu verbinden, „daß man die Reflexion auf die Funktionsbedingungen der Sozialordnung als Wertungsgrundlage für die Bestimmung von Rechtsgütern betrachtet.“13 Durch den Schutz von Rechtsgütern dient das Strafrecht der Realisierung des Gemeinwohls und der Wahrung des Rechtsfriedens innerhalb der Gesellschaft14. Die Sicherung des Rechtsfriedens bildet eine elementare Aufgabe der staatlichen Gewalt15. Diese ist dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gemäß verpflichtet, im Wege der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs die Sicherheit aller Staatsbürger und das allgemeine Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen zu schützen, wie auch die Gleichbehandlung der im Strafverfahren Beschuldigten zu gewährleisten16. Das Strafrecht kann aber nicht überall eingreifen, wo sozialschädliches Verhalten auftritt, sondern muss auf den Schutz der „elementaren Werte des Gemeinschaftslebens“17 beschränkt bleiben18. Grund für diesen subsidiären Rechtsgüterschutz ist die „ultima ratio“-Funktion des Strafrechts19. Da mit dem Erlass von Strafgesetzen immer auch Grundrechtseingriffe einhergehen, folgt aus der Verfassungsbindung des Gesetzgebers beim Erlass von Strafgesetzen die Pflicht zur Beachtung eben dieser Grundrechte sowie des Verhältnismäßigkeitsprinzips20. Der Schutz durch das Strafrecht ist daher fragmentarisch21.

8

Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 361. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 361. 10 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 361. 11 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 361. 12 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 394. 13 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 394. 14 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 9. 15 BVerfGE 51, 324, 343. 16 BVerfGE 51, 324, 343 f. 17 BVerfGE 45, 187, 254. 18 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 15. 19 BVerfGE 39, 1, 47; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn.  15; Satzger, Europäisierung, S. 291. 20 Satzger, Europäisierung, S. 291. 21 BVerfGE 90, 145, 213; Roxin StR AT I, § 2, Rn.  97; Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn.15. 9

A. Das Rechtsgut und seine Bedeutung für das deutsche Strafrecht 

27

II. Der Begriff des Rechtsguts Ist es zentrale Aufgabe des Strafrechts, Rechtsgüter zu schützen, stellt sich die Frage nach dem Inhalt des Begriffs „Rechtsgut“. Die Genese des Rechtsgutsprinzips nahm ihren Beginn Anfang des 19. Jahrhunderts als Folge der Reformbewegung der Aufklärung in dem Bestreben, den materiellen Gehalt des Verbrechens zu erfassen22. Die Aufklärungsbewegung verstand den Staat, gemäß der Lehre vom Gesellschaftsvertrag, als einen vertraglichen Verbund aller in ihm lebenden Menschen, in dem diese untereinander Frieden halten und jeder Einzelne seine natürlichen Rechte ungestört genießen kann23. Der Staat garantiere seinen Bürgern ihre Rechte, verlange aber im Gegenzug von jedem die Achtung der Rechte der anderen Gesellschaftsmitglieder24. Demnach konnte v. Feuerbach dazu gelangen, als Verbrechen „eine durch ein Strafgesetz bedrohte, dem vollkommenen Recht widersprechende, Handlung“25 zu umschreiben, die „die ursprünglichen Rechte des Staats oder des Bürgers […] verletzt“26 und wies damit als Kern eines jeden Verbrechens die Verletzung subjektiver Rechte anderer aus27. Die Weiterentwicklung von der Rechtsverletzungstheorie v. Feuerbachs hin zur Rechtsgutslehre leitete im Jahre 1834 Birnbaum ein28, der erstmals das „Gut“, das dem Einzelnen oder der Allgemeinheit zustehen kann, zum Gegenstand des Verbrechens erklärte29. Die Güterlehre Birnbaums wurde mit der Lehre Bindings im Liberalismus des fortschreitenden 19.  Jahrhunderts fortgeführt, der zum ersten Mal den Begriff „Rechtsgut“ formulierte30. v. Liszt lenkte dann das Augenmerk vom subjektiven Recht als Verbrechensobjekt auf „das rechtlich geschützte Interesse“31, das er zum materiellen Kern des Rechtsguts bestimmte32.33 Bis heute ist es jedoch nicht gelungen, den Begriff des Rechtsguts eindeutig zu definieren und den erforderlichen Inhalt eines Rechtsguts zu erfassen. So werden Rechtsgüter etwa als „sozial wertvoll erkannte[n] Lebensgüter“34, als „rechtlich geschützter ideeller Wert der Sozialordnung“35, als „Lebensgüter, Sozialwerte und rechtlich anerkannte Interessen des Einzelnen oder der Allgemeinheit, die wegen 22

Vgl. hierzu Sina, Dogmengeschichte, S. 9 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 16 ff. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 19. 24 Sina, Dogmengeschichte, S. 9. 25 v. Feuerbach, Lehrbuch, § 26. 26 v. Feuerbach, Lehrbuch, § 27. 27 Sina, Dogmengeschichte, S. 10. 28 Vgl. hierzu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 48 ff., Sina, Dogmengeschichte, S. 19 ff. 29 Birnbaum, Archiv des Kriminalrechts 1834, S. 149, 171 ff., 175 ff. 30 Binding, Normen, S. 338 ff. 31 v. Liszt, ZStW 1888, S. 133, 152. 32 v. Liszt, ZStW 1888, S. 133, 151 ff.; ders., Lehrbuch, S. 4. 33 Vgl. zu der wesentlichen Bedeutung Bindings und v. Liszts für das Rechtsgutsdogma Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 52, 73 ff., Sina, Dogmengeschichte, S. 40 ff. 34 Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn. 9. 35 LK/Walter, Vor §§ 13, Rn. 13. 23

28

3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

ihrer besonderen Bedeutung für die Gesellschaft Rechtsschutz genießen“36 oder ähnlich bezeichnet. Unstreitig ist aber, dass das Rechtsgut nicht lediglich ein „conkretes, thatsächlich vorhandenes Etwas“37 ist, sondern „das allgemeinere Interesse, das sich in diesem Etwas materialisiert“38. Insofern kann das Rechtsgut klar von dem körperlich konkret bestehenden Handlungsobjekt abgegrenzt werden39. Das durch die Tat beeinträchtigte (Rechts-)Gut wird gerade nicht auf Personen oder­ Sachen beschränkbar erachtet40. Vielmehr reiche seine gedankliche Fassbarkeit aus41. Diese abstrakte Bestimmbarkeit lässt auch die Folgerung zu, Rechtsgüter nicht als statische Zustände, sondern als „werthafte […] lebendige Funktions­ einheiten“42 zu verstehen, die sich wie auch die Gesellschaft in einem ständigen dynamischen Prozess verändern und fortentwickeln43.

III. Funktionen des Rechtsgutsbegriffs Dem Rechtsgutsprinzip kommt eine systemimmanente und eine systemkritische Funktion zu44. In seiner systemimmanenten Funktion dient der Rechtsgutsbegriff der Bestimmung der Reichweite von Strafvorschriften. Insofern bildet er „vermittelt durch das güterkonstituierende Werturteil des demokratisch legitimierten Gesetzgebers, […] ein Instrument zur teleologischen Interpretation“45 bestehender Straftatbestände. So verstand bereits Binding das Rechtsgut rein formal als Produkt der Gesetzgebung. Nach seiner positivistisch-teleologischen Rechtsgutslehre war Rechtsgut „Alles, was […] in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Interesse hat, und das er deshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist.“46 Er überantwortete dem Gesetzgeber die Entscheidung über die 36

Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 11. Gerland, Der Gerichtssaal 1901, S. 81, 99. 38 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 121. 39 Amelung, Rechtsgüterschutz, S.  198 ff.; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn.  121; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 256 ff.; Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 65 ff. 40 Birnbaum, Archiv des Kriminalrechts 1834, S. 149, 150. 41 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz, S. 14. 42 SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 16. 43 SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 16. 44 MüKo/Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 45; SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 6 ff.; Otto, StR AT, § 1, Rn. 39 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 38 f.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 9; Heger, Europäisierung des deutschen Umweltstrafrechts, S. 196 f.; die Begrifflichkeiten und ihre Unterscheidung gehen zurück auf Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 19 ff. 45 Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Amelung, Der Begriff des Rechtsguts, S. 155, 156. 46 Binding, Normen, S. 353 ff. 37

A. Das Rechtsgut und seine Bedeutung für das deutsche Strafrecht 

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Existenzberechtigung und die damit verbundene Schaffung strafrechtsrelevanter Rechtsgüter47. Diese These vom positivistischen beziehungsweise systemimmanenten Rechtsgutsbegriff wurde im frühen 20. Jahrhundert weitergeführt. Seine Vertreter sprachen dem Rechtsgut nun seinen materiellen Gehalt gänzlich ab und sahen ihn als den „vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte[n] Zweck in seiner kürzesten Formel“48, beziehungsweise als „Abbreviatur des Zweckgedankens“49. Dieses Rechtsgutsverständnis legte den Grundstein für die heutige Bedeutung des Rechtsguts für die Ermittlung von Sinn und Zweck einer Strafnorm50. Beschränkte sich die Bestimmung des Rechtsguts jedoch auf seine Funktion als teleologisches Auslegungskriterium, würde es seine begrenzende Wirkung für den Strafgesetzgeber verlieren51. So kommt dem Rechtsgutsbegriff neben seiner systemimmanenten Funktion zur Bestimmung der Reichweite bestehender Strafvorschriften als Maßstab für die Rechtssetzungsbefugnis des Strafgesetzgebers eine strafbarkeitslimitierende Wirkung zu52. Schon v. Liszt vertrat in Anknüpfung an die Aufklärungsepoche einen dieser entsprechenden Rechtsgutsbegriff, der den materiellen Ursprung des Rechtsguts beleuchtet. Rechtsgüter würden nicht durch die Rechtsordnung geschaffen, sondern durch das Leben53. Es seien „Lebensinteressen, Interessen des einzelnen oder der Gesellschaft“54, die die Rechtsordnung dann zu schützen habe. Als Direktive für das legislative Tätigwerden kam den Rechtsgütern mithin eine strafbarkeitslimitierende Funktion zu55. Nachdem dem Rechtsgutsbegriff in der Zeit des Nationalsozialismus jegliche Aussagekraft abgesprochen wurde56, keimte diese liberale Rechtsgutsauffassung 47

Binding, Normen, S. 339 f., 353 ff. Honig, Einwilligung, S. 94. 49 Grünhut, Frank FG, S. 1, 8. 50 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 17. 51 Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 5. 52 Rudolphi, Honig FS, S.  151, 166 f.; SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn.  6, 8 f.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 38 ff.; MüKo/ Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 45; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 9. 53 v. Liszt, Lehrbuch, S. 4 f. 54 v. Liszt, Lehrbuch, S. 4. 55 Rudolphi, Honig FS, S. 151, 155, 157. 56 In der NS-Zeit wurde der Rechtsgutsbegriff insbesondere von der „Marburger Richtung“ (Vertreter waren die Marburger Professoren Erich Schwinge und Leopold Zimmerl) und der „Kieler Schule“ (nach den Kieler Professoren Georg Dahm, Friedrich Schaffstein u. a.) diskutiert (vgl. Sina, Dogmengeschichte, S. 78 ff.). Während die Kieler Schule den Rechtsgutsbegriff zunächst ablehnte (Dahm, ZStW 1938, S. 225, 228; vgl. Sina, Dogmengeschichte, S. 80), hielt die Marburger Richtung trotz der nationalsozialistischen Denkweise an dem Rechtsgutsbegriff als Auslegungsmittel fest (Schwinge/Zimmerl, Wesensschau, S. 60 ff., 64 f.). Später wurde der Rechtsgutsbegriff zwar einhellig anerkannt (Schwinge/Zimmerl, Wesensschau, S. 60 ff.; Dahm, ZStW 1938, S. 225, 234 ff., Gallas, Gleispach FS, S. 50, 67; vgl. Sina, Dogmengeschichte, S. 81 f.), je 48

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

wieder auf und veranlasste Vertreter des „systemkritischen“57 beziehungsweise „gesetzgebungskritischen“58 Rechtsgutsbegriffs, eine dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers Schranken setzende und so eine die Strafwürdigkeit mitbestimmende Funktion des Rechtsgutsbegriffs zu beleuchten59. Damit soll die Schaffung rechtsgutsloser Straftatbestände ausgeschlossen werden60. So gehört der Schutz bloßer Moralwidrigkeiten oder Ungehorsamstaten nicht zu der Aufgabe des Strafrechts61. Als Begrenzungskriterium staatlicher Strafgewalt muss sich das Rechtsgut von dieser unabhängig bestimmen lassen62. So gründet sich der Rechtsgutsbegriff stets auf das Grundgesetz als seine verfassungsrechtliche Grundlage63.

B. Arten von Rechtsgütern In Zusammenhang mit dem Rechtsgutsprinzip steht die für die Ausgangsfrage bedeutsame Unterscheidung bestimmter Arten von Rechtsgütern, die sich nach dem Träger des Rechtsguts richtet. Dabei kann zunächst zwischen Individualrechtsgütern und Allgemeinrechtsgütern differenziert werden.

I. Individualrechtsgüter Träger von Individualrechtsgütern kann das Individuum, also eine einzelne Person sein, aber auch eine bestimmte, eingrenzbare Personengruppe64. Individualrechtsgüter zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Inhaber  – zumindest in der Regel – über sie verfügen kann, ohne dass es dazu der Beteiligung anderer bedarf65. Es handelt sich dabei um diejenigen verfassungsrechtlich garantierten Werte, die doch nur vordergründig (vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 53). Denn sowohl die K ­ ieler Schule (vgl. Gallas, Gleispach FS, S. 50, 53 ff.) als auch die Marburger Richtung (Schwinge/­ Zimmerl, Wesensschau, S.  66 f.) vertraten, dass das Verbrechen nicht nur die Verletzung von Rechtsgütern, sondern darüber hinaus die Pflichtverletzung gegenüber der Volksgemeinschaft sei, wobei die Festlegung der Pflichten des Einzelnen als gänzlich zur Entscheidung des Gesetzgebers stehend verstanden wurde (vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 50 ff., 54, 56). 57 Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 34. 58 Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 12 Fn. 27. 59 Vgl. hierzu Rudolphi, Honig FS, S. 151, 156 f. m. w. N. 60 Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 12, 92. 61 Rudolphi, Honig FS, S. 151, 166 f.; MüKo/Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 50; Wessels/Beulke/ Satzger, StR AT, Rn. 12; Satzger, Europäisierung, S. 291; SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 19; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn.  10a; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 292. 62 Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 92; Satzger, Europäisierung, S. 292; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 292. 63 Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 92; Satzger, Europäisierung, S. 292. 64 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 19. 65 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 28.

B. Arten von Rechtsgütern

31

als für ein menschenwürdiges Dasein essentiell angesehen werden66, zum Beispiel das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die Ehre oder das Eigentum67.

II. Allgemeinrechtsgüter Dagegen werden Allgemeinrechtsgüter (auch „überindividuelle“68, „Universal-“69 oder „öffentliche“70 Rechtsgüter genannt) der Allgemeinheit, der Gesamtheit zugewiesen71. Sie dienen beliebig vielen Personen72 und bedürfen zu ihrer Verwirklichung auch einer (unbestimmten) Vielzahl von Individuen73. Dementsprechend darf jeder die Allgemeinrechtsgüter nutzen, ohne von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden zu können74. Ihren Sinn erhalten die Allgemeinrechtsgüter erst in der Gemeinschaft75. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie durch ein übergeordnetes, kollektives, nicht individuell disponibles Element miteinander verbunden werden. Allgemeinrechtsgüter sind also, im Gegensatz zu Individualrechtsgütern, nicht disponibel76. Daher ist die Unterscheidung zwischen Individual- und Allgemeinrechtsgütern auch von Bedeutung für die Beantwortung dogmatischer Fragen, beispielsweise bezüglich der Dispositionsbefugnis im Rahmen der Einwilligung und im Notwehrrecht77. Insofern wird die Trennung zwischen Individual- und Allgemeinrechtsgütern einhellig vorgenommen78, umstritten ist hingegen die Reichweite ihrer Unterscheidung. 66

Jescheck/Weigend, StR AT, S. 259. Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 11. 68 Reischel, Wirtschaftskriminalität, S.  10; MüKo/Joecks, Einleitung, Rn.  38; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 20. 69 Roxin, StR AT I, § 2 C, Rn. 10; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 126; MüKo/Joecks, Einleitung, Rn. 38. 70 Lüttger, Jescheck FS, S. 121. 71 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 127; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 21. 72 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 19; ders., JR 1996, S. 353; Anastasopoulou, Delikts­ typen, S. 28. 73 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 28; Reischel, Wirtschaftskriminalität, S. 15. 74 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 19; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 28; Kuhlen, ZStW 1993, S. 696, 704. 75 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 28. 76 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 126. 77 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 126; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn. 9a; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 259; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 29. 78 Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 8 f.; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 127; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  56 ff.; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn.  8 f.; Schönke/Schröder/ Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, Vor §§ 13 ff., Rn. 9; SK/Rudolphi/Jäger, Vor § 1, Rn. 16 f.; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 32 ff.; MüKo/Freund, Vor §§ 13 ff., Rn. 47; MüKo/­ Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  75 ff.; Lackner/Kühl, §§ 3–7, Rn.  9; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 274; LK/Walter, Vor §§ 13, Rn. 13; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 5; Satzger, IntStR, S. 94; Wessels/ 67

32

3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

Während die dualistische Lehre von zwei originär unabhängigen Rechtsgutstypen ausgeht79, werden innerhalb der monistischen Lehren Individual- und Allgemeinrechtsgüter als voneinander abgeleitet verstanden. Die monistische personale Rechtsgutslehre konzipiert das Rechtsgut von der Person her und erkennt Allgemeinrechtsgüter nur insoweit als existenzberechtigt an, als sie sich  – vermittelt – von individuellen Interessen ableiten lassen80. Dagegen funktionalisiert die monistische etatistische Rechtsgutslehre die Rechtsgüter vom Staat her; diese seien grundsätzlich „Güter der Gesamtheit“ und Individualrechtsgüter lediglich von ihnen abgeleitet oder rechtlich zugeteilt81. Im Hinblick auf den dynamischen Charakter des Rechtsgutsverständnisses in Anbetracht der Anpassung des Strafrechts an die Fortentwicklung der Gesellschaft und den sozialen Wandel82, die die zunehmende Bedeutung der Allgemeinrechtsgüter mit der teilweise verbundenen Gefahr der Entmaterialisierung des Rechtsgutsbegriffs83 zur Folge hat, erscheint die das Rechtsgut vom Bürger her materialisierende monistische personale Rechtsgutslehre vorzugswürdig. Innerhalb der Allgemeinrechtsgüter erfolgt regelmäßig eine Unterscheidung zwischen denjenigen Rechtsgütern, welchen eine Nähe zum Staat beigemessen wird und denjenigen, die der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet werden84. 1. Staatliche Allgemeinrechtsgüter So werden die in vorliegender Untersuchung als „staatliche Allgemeinrechtsgüter“ bezeichneten Interessen definiert als solche, „die dem Bestand und Funktionieren des Staates dienen“85. Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 11; Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 9 ff.; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 259; Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 27 ff.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 19, 111; ders., ZIS 2006, S.  229, 233 ff.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S.  10; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 42 f.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 22 ff.; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 152. 79 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119. 80 Hassemer, Theorie und Soziologie, S. 232 ff.; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 133. 81 Honig, Einwilligung, S. 115. 82 NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1, Rn. 131. 83 Vgl. hierzu Krüger, Entmaterialisierungstendenz, S. 20 ff. 84 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  42 Fn.  193, S.  68 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 20 f., 27 ff.; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 152; NK/Hassemer/ Neumann, Vor § 1, Rn. 132; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57 ff.; Satzger, IntStR, S. 94 f., Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 113 ff.; ders., GA 2002, S. 21, 25; Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Das Rechtsgut, S. 119, 121 ff.; ders., ZIS 2006, S. 229, 232. 85 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 42 Fn. 193; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 21.

B. Arten von Rechtsgütern

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Als staatliche Allgemeinrechtsgüter gelten zunächst diejenigen Rechtsgüter, die durch die im ersten und zweiten Abschnitt des besonderen Teils des Strafgesetz­ buchs geregelten Delikte erfasst werden86, namentlich die durch die §§ 80, 80a StGB (Friedensverrat) und die §§ 93 ff. StGB (Landesverrat) geschützte äußere Sicherheit Deutschlands gegenüber anderen Staaten87 wie auch die innere Sicherheit, die durch die §§ 81 ff. StGB (Hochverrat) und die §§ 84 ff. StGB (Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats) gewährleistet werden soll88. In diesem Zusammenhang ist auch das sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse des deutschen Staats als strafrechtliches Schutzgut des AWG zu nennen89, das als spezielles Staatsschutzinteresse90 gleicherweise als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizieren ist, wie auch das sicherheitsrechtliche Interesse der Bundesrepublik91 im Hinblick auf ihr staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht92, das das Rechtsgut des WaffG bildet. Weiter werden das Schutzgut der §§ 105 bis 106b StGB (Straftaten gegen Verfassungsorgane)93, die Freiheit der demokratischen Meinungsbildung und -äußerung innerhalb bestimmter Verfassungsorgane94, das durch die §§ 109 bis 109k StGB (Straftaten gegen die Landesverteidigung) gewährleistete Rechtsgut95 der (Funktionsfähigkeit der Bundeswehr als Mittel zur) Landesverteidigung96 sowie das Schutzgut der §§ 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) und 114 StGB (Widerstand gegen Personen, die Vollstreckungsbeamten gleichstehen)97,

86 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 28 ff. 87 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vor zum 1. und 2. Abschn., Rn. 3. 88 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vor zum 1. und 2. Abschn., Rn. 3. 89 Vgl. zu § 34 AWG a. F. Kistner, Straftaten im AWG, S. 115 ff., 121 ff. 90 Vgl. zu § 34 AWG a. F. Erbs/Kohlhaas/Diemer, § 34 AWG, Rn. 4. 91 MüKo/Heinrich, § 1 WaffG, Rn. 2; ders., Steindorf, § 1, Rn. 1; ähnlich der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum WaffRNeuRegG vom 11.10.2002 [vgl. 5. Kap. C. I. 3.], BT-Drs. 14/7758, S. 51 („sicherheitspolizeiliche Aspekte“), S. 52 („sicherheitspolitische[r] Belange“); Erbs/Kohlhaas/Pauckstadt-Maihold, § 1 WaffG, Rn.  2 („sicherheitspolitische[r] Belange“); Gade, WaffR, S. 4 („‚sicherheitspolizeiliche[n]‘ Aspekte“). 92 Der Begriff „staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht“ stammt von Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 144 ff., der einen Allgemeinrechtsgüterschutz durch das WaffG i.E. jedoch ablehnt. 93 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69. 94 NK/Wohlers/Kargl, Vor §§ 105–108e, Rn.  1; BeckOK/Valerius, § 105, Rn.  1; Schönke/ Schröder/Eser, Vor §§ 105–108e, Rn. 1; SK/Sinn/Rudolphi, Vor § 105, Rn. 1. 95 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9. 96 Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 109–109k, Rn. 1 f. 97 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 28.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

namentlich die rechtmäßige staatliche Vollstreckungstätigkeit98, als staatliche Allgemeinrechtsgüter angesehen. Auch das öffentliche Hausrecht99 i. S. d. § 123 Abs.  1 4.  Fall StGB (Hausfriedensbruch)100, der amtliche Gewahrsam über Personen101 gemäß § 120 StGB (Gefangenenbefreiung)102 und § 121 StGB (Gefangenenmeuterei)103, der von § 133 StGB (Verwahrungsbruch) umfasste104 staatliche Gewahrsam von Behörden an beweglichen Sachen in dienstlichem Verwahrungsbesitz105 sowie die staatliche Herrschaftsgewalt über Sachen106 nach § 136 StGB (Verstrickungsbruch, Siegelbruch)107 sind der Gruppe der staatlichen Allgemeinrechtsgüter zuzuordnen. Des Weiteren wird die staatliche Rechtspflege als staatliches Allgemeinrechtsgut qualifiziert108, die das Schutzgut des § 164 StGB (Falsche Verdächtigung)109, 98 H. M., BGHSt 21, 334, 365 ff.; NK/Paeffgen, § 113, Rn. 6; Lackner/Kühl, § 113, Rn. 1; Schönke/Schröder/Eser, § 113, Rn. 2; BeckOK/Dallmeyer, § 113, Rn. 2; MüKo/Bosch, § 113, Rn. 1, die teilweise (BGHSt 21, 334, 365 ff.; Lackner/Kühl, § 113, Rn. 1; Schönke/Schröder/ Eser, § 113, Rn. 2) zudem die zu den Vollstreckungshandlungen berufenen Organe als geschützt ansieht; kritisch zum Individualrechtsgüterschutz MüKo/Bosch, § 113, Rn. 1 f.; diesen ablehnend NK/Paeffgen, § 113, Rn. 7. 99 Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56, 59. 100 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; NK/Ostendorf, § 123, Rn. 10; Haak, DVBl. 1968, S. 134, 135; ähnlich BeckOK/Rackow, § 123, Rn. 4; die h. M. (OLG Köln NJW 1982, S. 2740, 2741; Fischer, § 123, Rn. 2; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 123, Rn. 1; MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 123, Rn. 1; LK/Lilie, § 123, Rn. 1) sieht dagegen im Schutzgut „Hausrecht“ wohl ausschließlich ein Individualrechtsgut, vgl. 4. Kap. C. I. 101 Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn.  59; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn.  9; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29. 102 SK/Wolters, § 120, Rn.  2; Schönke/Schröder/Eser, § 120, Rn.  1; NK/Ostendorf, § 120, Rn. 3 („formell-gesetzlich legitimierte[r] Gewahrsam“); wohl auch MüKo/Bosch, § 120, Rn. 1. 103 Schönke/Schröder/Eser, § 121, Rn.  1; BeckOK/Dallmeyer, § 121, Rn.  1; SK/Wolters, § 121, Rn. 2; LK/Rosenau, § 121, Rn. 4; NK/Ostendorf, § 121, Rn. 3 („formal-gesetzlich legitimierte[r] Gewahrsam“) die daneben die Unversehrtheit der Anstaltsbediensteten als geschützt ansehen; a. A. MüKo/Bosch, § 120, Rn. 1. 104 BGHSt 5, 155, 159; 38, 381, 386; LK/Krauß, § 133, Rn. 1; Fischer, § 133, Rn. 2; Lackner/ Kühl, § 133, Rn. 1; MüKo/Hohmann, § 133, Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 133, Rn. 1/2, die zudem das öffentliche Vertrauen in die Sicherheit der amtlichen Verwahrung und in die zuverlässige Erfüllung der Behördenaufgaben als geschützt ansehen; NK/Ostendorf, § 133, Rn.  4, unterscheidet zwischen „der amtlichen Verwahrpflicht“ und der „Funktionserhaltung dienstlicher Einrichtungen“ als Schutzgüter. 105 Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62. 106 Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59, 62. 107 H. M., BGHSt 5, 155, 157; Lackner/Kühl, § 136, Rn. 1; SK/Rudolphi/Stein, § 136, Rn. 2 f.; BeckOK/Heuchemer, § 136, Rn. 1; Fischer, § 136, Rn. 2; differenzierend Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 136, Rn. 1/2; MüKo/Hohmann, § 136, Rn. 2; LK/Krauß, § 136, Rn. 1, die durch § 136 Abs. 2 StGB die staatliche Autorität als geschützt ansehen. 108 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56, 59; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76 109 H. M., BGHSt 5, 66, 68; 9, 240, 242; Lackner/Kühl, § 164, Rn.  1; Schönke/Schröder/ Lenckner/Bosch, § 164, Rn.  1a; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  56; Fischer, § 164, Rn.  2; Wessels/­ Hettinger, StR BT/1, Rn.  686 ff.; Geilen, Jura 1984, S.  251; Schröder, NJW 1965, S.  1888,

B. Arten von Rechtsgütern

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der in den §§ 153 ff. StGB geregelten Aussagedelikte110 und des § 261 StGB (Geldwäsche)111 bildet, wie auch das Schutzgut des § 145d StGB (Vortäuschen einer Straftat)112, die staatliche Strafrechtspflege und Präventivorgane, die vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme bewahrt werden sollen113 sowie die Strafrechtspflege114 i. S. d. §§ 258 StGB (Strafvereitelung)115, 258a StGB (Strafvereitelung im Amt)116. Die gleiche Einordnung wird für das von § 170 Abs.  1 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) erfasste Rechtsgut117, das staatliche Interesse an der nur gerechtfertigten Inanspruchnahme öffentlicher Mittel118 sowie für das staatliche Vermögen119, gewährleistet durch § 264 Abs. 1 bis 6 i. V. m. Abs. 7 Nr. 1 StGB (Subventionsbetrug)120 vorgenommen. In diesem Zusammenhang ist als außerhalb des 1890, die gleichwertig den Einzelnen vor ungerechtfertigten behördlichen Maßnahmen als geschützt ansieht. Andere sehen dagegen entweder nur die Rechtspflege (RGSt 60, 317; SK/­ Rudolphi/Rogall, § 164, Rn.  1 (Individualrechtsgüterschutz als bloßer „Schutzreflex“)) oder nur die besagten Individualinteressen (NK/Vormbaum, § 164, Rn. 10) als geschützt an. 110 H. M., RGSt 73, 144, 147; BGHSt 8, 301, 309; NK/Vormbaum, Vor §§ 153 ff., Rn. 1; LK/ Ruß, Vor § 153, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 153, Rn. 1; MüKo/Müller, Vor §§ 153 ff., Rn. 7; BeckOK/ Kudlich, § 153, Rn. 1; differenzierend Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, Vor §§ 153 ff., Rn. 2; Fischer, Vor §§ 153, Rn. 2; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn. 738, die das „öffentliche Interesse an der wahrheitsgemäßen Tatsachenfeststellung“ nennen. 111 Gesetzesentwurf des Bundesrats zum OrgKG vom 15.7.1992 [vgl. 5. Kap. A. II. 2.], BTDrs. 12/989, S.  27; Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 261, Rn.  2; MüKo/Neuheuser, § 261, Rn.  7 f.; Lackner/Kühl, § 261, Rn.  1; BeckOK/Ruhmannseder, § 261, Rn.  6; kritisch NK/­ Altenhain, § 261, Rn. 12 ff. 112 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29; Satzger, IntStR, S. 95. 113 Fischer, § 145d, Rn.  2; MüKo/Zopfs, § 145d, Rn.  4 f.; NK/Schild/Kretschmer, § 145d, Rn. 1; Lackner/Kühl § 145d, Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 145d, Rn. 1; SK/ Rudolphi/Rogall, § 145d, Rn. 2. 114 LK/Walter, § 258, Rn. 4; vgl. auch MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9. 115 H. M., MüKo/Cramer/Pascal, § 258, Rn. 3; Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 258, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 258, Rn. 1; Fischer, Vor §§ 257, Rn. 2; BeckOK/Ruhmannseder, § 258, Rn. 2; i.E. wohl auch LK/Walter, § 258, Rn. 3 ff. 116 Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 258a, Rn.  1; BeckOK/Ruhmannseder, § 258a, Rn.  1; NK/Altenhain, § 258a, Rn. 1. 117 Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9. 118 BGH NJW 1959, S. 382, 383; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; anders OLG Karlsruhe NJW 1078, 1754, 1755; BeckOK/Heuchemer, § 170, Rn. 1; Fischer, § 170, Rn. 2; MüKo/Ritscher, § 170, Rn.  4; Lackner/Kühl, § 170, Rn.  1; NK/Frommel, § 170, Rn.  5; Schönke/­Schröder/ Lenckner/Bosch, § 170, Rn.  1, die das Allgemeininteresse, das vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme öffentlicher Mittel geschützt werden soll, als Rechtsgut nennen. Einhellig gilt jedoch als zudem geschütztes Individualrechtsgut der Unterhaltsberechtigte, der vor der Gefährdung seines Lebensbedarfs bewahrt werden soll. 119 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57. 120 Lüttger, Jescheck FS, S.  121, 146; Lackner/Kühl, § 264, Rn.  1; NK/Hellmann, § 264, Rn.  10; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; Schönke/Schröder/Perron, § 264, Rn.  4; a. A. MüKo/­ Wohlers/Mühlbauer, § 264, Rn. 1 ff.; LK/Tiedemann, § 264, Rn. 12 ff.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

StGB stehende Norm auch § 370 i. V. m. § 1 Abs. 1 AO (Steuerhinterziehung) zu nennen121, der das staatliche Interesse am rechtzeitigen und vollständigen Steueraufkommen beziehungsweise den staatlichen Steueranspruch schützt122, mithin das Vermögen des Staats beziehungsweise das staatliche Finanzinteresse123, soweit es aus dem Steueraufkommen gewonnen wird, was die Qualifizierung der Steuerhinterziehung als Vermögensdelikt zeigt124. Als staatliche Allgemeinrechtsgüter gelten darüber hinaus das Schutzgut des § 108e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern)125, die Integrität und Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems126, das von § 132 StGB (Amtsanmaßung) erfasste Rechtsgut127, namentlich die Autorität und Funktionsfähigkeit des Staats und seiner Organe128 sowie das Schutzgut der in den §§ 331 ff. StGB enthaltenen Amtsdelikte129, die Funktionsfähigkeit und/oder Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung130. 121 Vgl. Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  69; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9. 122 H. M., RGSt 72, 184, 186; BGHSt 40, 109, 111; 43, 381, 403; Kohlmann, SteuerStR, § 370, Rn. 9.4 ff.; BeckOK/Graf, Einführung zu § 370 AO; Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge, § 370 AO, Rn.  2; Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 370, Rn.  26; MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn. 2, 6; andere sehen zusätzlich das Besteuerungssystem als „überindividuelles“ Rechtsgut als geschützt an (Dannecker, Steuerhinterziehung, S. 167 ff., 174 ff.), wieder andere sehen das Rechtsgut in der „Gewährleistung der gleichmäßigen Lastenverteilung“ (Salditt, Tipke FS, S. 475, 479). 123 Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge, § 370, Rn. 2. 124 Kohlmann, SteuerStR, § 370, Rn.  9.7; MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn.  6; Joecks/­ Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, § 370, Rn. 26. 125 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69. 126 MüKo/Müller, § 108e, Rn.  1; Lackner/Kühl, § 108e, Rn.  1; NK/Wohlers/Kargl, § 108e, Rn. 3; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 108e, Rn. 3, die zudem das diesbezügliche Vertrauen der Allgemeinheit als geschützt ansehen. Fischer, § 108e, Rn. 2, stellt den Vertrauensschutz in den Vordergrund. 127 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59. 128 H. M., BGHSt 3, 241, 244; 12, 30 f.; Fischer, § 132 Rn.  2; Lackner/Kühl, § 132, Rn.  1; LK/Krauß, § 132, Rn.  1; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn.  607; MüKo/Hohmann, § 132, Rn.1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132, Rn.  1; zudem sehen SK/Rudolphi/Stein, § 132, Rn. 2; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 330; ansatzweise auch Schönke/Schröder/­ Sternberg-Lieben, § 132, Rn. 9, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Echtheit beziehungsweise Lauterkeit der Amtsausübung als Schutzgut des § 132 StGB an. 129 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59. 130 Während die wohl h. M. (BGHSt 30, 46, 48; BGH NJW 1985, S. 2654, 2656; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 331, Rn.  3; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  321; LK/Sowada, Vor § 331, Rn.  36; NK/Kuhlen, § 331, Rn.  12) den Lauterkeits- beziehungsweise Sachlichkeitsschutz in den Vordergrund stellt, legen SK/Rudolphi/Stein/Deiters, Vor § 331, Rn.  7 ff.; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331, Rn. 9, den Schwerpunkt auf den Funktionsfähigkeitsschutz; MüKo/Korte, § 331, Rn. 8; Fischer, § 331, Rn. 2, beschränken sich wiederum auf den Funktionsfähigkeitsaspekt. Einhellig wird jedoch zudem ein Vertrauen der Allgemeinheit als geschützt angesehen; teilweise sieht die Rspr. (BGHSt 15, 88, 96; 30, 46, 48; BGH NStZ 200l,

B. Arten von Rechtsgütern

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Schließlich müssen auch diejenigen öffentlichen Interessen den staatlichen Allgemeinrechtsgütern zugeordnet werden, die in § 353b StGB (Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht) genannt sind und gleichsam dessen Schutzgut bilden131. 2. Kollektive Allgemeinrechtsgüter Die vorliegend als „kollektive Allgemeinrechtsgüter“ bezeichneten Interessen werden dagegen allgemein als diejenigen Rechtsgüter definiert, die der Gesellschaft, also ihren Bürgern in der Gemeinschaft zugeordnet werden132. Als Beispiel für ein kollektives Allgemeinrechtsgut kann zunächst der von der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mitumfasste öffentliche Frieden gemäß den §§ 129, 129a StGB (Bildung krimineller Vereinigungen)133 angeführt werden134. Ferner wird das Allgemeininteresse an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs beziehungsweise des Verkehrs mit Wertzeichen und Wertpapieren, das durch die Geldfälschungsdelikte der §§ 146, 147 StGB gewahrt werden soll135, den kollektiven Allgemeinrechtsgütern zugeordnet136. S. 589, 590; BGH wistra 2001, S. 295, 297; BGH NStZ-RR 2005, S. 266, 267) den Vertrauensschutz als vorrangig an; vgl. zum Rechtsgut der §§ 331 ff. StGB eingehend MüKo/Korte, § 331, Rn. 2 ff. 131 H. M., Schönke/Schröder/Perron, § 353b, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 353b, Rn. 1; LK/Träger, § 353b, Rn. 2; MüKo/Graf, § 353b, Rn. 2 f.; a. A. Fischer, § 353b, Rn. 2, der die „Geheimnisse, geheimen Gegenstände und Nachrichten“ sowie „das Vertrauen der Allgemeinheit in die Verschwiegenheit amtlicher und anderer Stellen“ als Schutzgut begreift. NK/Kuhlen, § 353b, Rn. 6, sieht ausschließlich das jeweilige Geheimnis als geschützt an. 132 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 42 Fn. 193. 133 BGHSt 41, 47, 51, 53; LK/Krauß, § 129, Rn. 1; MüKo/Schäfer, § 129, Rn. 1; Lackner/ Kühl, § 129, Rn.  1; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 129, Rn.  1; dagegen sieht Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, § 129, Rn. 1, die öffentliche Sicherheit als vom öffentlichen Frieden umfasst an; a. A. wiederum SK/Rudolphi/Stein, § 129, Rn. 3; NK/Ostendorf, § 129, Rn. 5, die in § 129 StGB ausschließlich einen Vorfeldtatbestand zum Schutz der Rechtsgüter des Besonderen Teils des StGB sehen. 134 NK/Böse, Vor § 3, Rn.  60; die Einordnung des durch die §§ 129, 129a StGB erfassten Rechtsguts als staatsbezogenes Rechtsgut gleicherweise ablehnend Nehring, Kriminelle und terroristische Vereinigungen, S. 121. 135 BGH NJW 1996, S.  2802, 2804; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 146, Rn.  1;­ Lackner/Kühl, § 146, Rn. 1; Fischer, Vor §§ 146 ff., Rn. 2; NK/Puppe, Vor §§ 146 ff., Rn. 3; SK/ Rudolphi/Stein, Vor § 146, Rn.  2; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  113, 194; ders., JR 1996, S. 353. 136 So muss NK/Puppe, Vor §§ 146 ff., Rn.  2 ff., verstanden werden, die im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung der §§ 146 ff. StGB das Augenmerk auf das Allgemeininteresse, einerseits in Abgrenzung zum „Einzelinteresse des mit falschem Geld Getäuschten“ und andererseits zum „Geldmonopol des Staates“ an sich, legt.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

Gleiches gilt für das von § 264a StGB (Kapitalanlagebetrug)137 sowie von § 38 WpHG138 gewährleistete Allgemeininteresse an der Redlichkeit und/oder Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts139, für die Funktionsfähigkeit des für die Volkswirtschaft wichtigen Kreditwesens140, erfasst durch § 265b StGB (Kreditbetrug)141 wie auch für die durch den § 265 StGB (Versicherungsmissbrauch) geschützte142 soziale Leistungsfähigkeit des dem Allgemeininteresse dienenden Versicherungswesens143. Und auch die Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts und die Finanzkraft des Steuer- und Sozialsystems, die durch die §§ 95 ff. AufenthG gewahrt werden144, werden als kollektive Allgemeinrechtsgüter angesehen145. Ein kollektives Allgemeinrechtsgut bildet weiter das Schutzgut der Urkundenfälschungstatbestände der §§ 267 ff. StGB146, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Rechts- beziehungsweise Beweisverkehrs mit Urkunden147. 137

H. M., BGHZ 116, 7, 13; BeckOK/Momsen, § 264a, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 264a, Rn. 1; LK/ Tiedemann, § 264a, Rn. 13; Wessels/Hillenkamp, StR BT/2, Rn. 696; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 267 ff., die daneben auch das Vermögen der Kapitalanleger als geschützt ansieht. Für einen ausschließlichen Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts MüKo/Wohlers/Mühlbauer, § 264a, Rn. 5 ff.; Bottke, wistra 1991, S. 1, 7; Knauth, NJW 1987, S. 28; Otto, StR BT, § 61, Rn. 38; i.E. wohl auch Schönke/Schröder/Perron, § 264a, Rn. 1. Dagegen für einen ausschließlichen Schutz des Vermögens der Kapitalanleger Joecks, wistra 1986, S. 142, 143 ff.; Worms, wistra 1987, S. 242, 245; NK/Hellmann, § 264a, Rn. 3, 9; i.E. wohl auch Fischer, § 264a, Rn. 2. 138 LG Augsburg NStZ 2005, S. 109, 111; Schröder, KMStR, Rn. 109; Park/Hilgendorf, Vor § 12 WpHG, Rn.  12, § 38 WpHG, Rn.  198; MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn.  4; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S.  98; Peltzer, ZIP 1994, S. 746, 747. 139 Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 343; Satzger, IntStR, S. 95. 140 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 35 f.; Satzger, IntStR, S. 95. 141 H. M., OLG Celle wistra 1991, S. 359; Bottke, wistra 1991, S. 1, 7 f.; BeckOK/Momsen, § 265b, Rn. 3; Schönke/Schröder/Perron, § 265b, Rn. 3; LK/Tiedemann, § 265b, Rn. 9 ff., ähnlich Lackner/Kühl, § 265b, Rn. 1, die daneben das Vermögen des Kreditgebers als geschützt ansieht. Für einen ausschließlichen Schutz der funktionsfähigen Kreditwirtschaft MüKo/Wohlers/ Mühlbauer, § 265b, Rn. 1 f. Dagegen für einen ausschließlichen Schutz des Vermögens der Kreditgeber Krack, NStZ 2001, S. 505, 506; Schubarth, ZStW 1980, S. 80, 91 ff.; NK/Hellmann, § 265b, Rn. 9; Fischer, § 265b, Rn. 3. 142 H. M., BGHSt 11, 398, 399; Lackner/Kühl, § 265, Rn. 1; Mitsch, ZStW 1999, S. 65, 117; i.E. wohl auch Schönke/Schröder/Perron, § 265, Rn.  2, die daneben das Vermögen der Versicherungsunternehmen als geschützt ansieht. Für einen ausschließlichen Schutz der Leistungsfähigkeit des Versicherungswesens BGHSt 25, 261, 262; BGH wistra 1993, S. 224, 225; Otto, StR BT, § 61, Rn. 1; ders., Jura 1989, S. 24, 28. Dagegen für einen ausschließlichen Schutz des Vermögens der Versicherungsunternehmen Geppert, Jura 1998, S. 382, 383; Wolters, JZ 1998, S. 397, 399; NK/Hellmann, § 265, Rn. 15; i.E. wohl auch Fischer, § 265, Rn. 2. 143 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Satzger, IntStR, S. 95. 144 Böse, ZStW 2004, S. 680, 692; Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 81. 145 Böse, ZStW 2004, S. 680, 692. 146 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 35. 147 H. M., RGSt 50, 420, 421; 56, 235, 236; 76, 233, 234; BGHSt 2, 50, 52; Lackner/Kühl, § 267, Rn. 1; LK/Gribbohm, Vor § 267, Rn. 6; Schönke/Schröder/Heine/Schuster, § 267, Rn. 1;

B. Arten von Rechtsgütern

39

Prominentes Beispiel für ein kollektives Allgemeinrechtsgut ist zudem der freie Wettbewerb148, erfasst durch den § 298 StGB (Wettbewerbsbeschränkende Maßnahmen bei Ausschreibungen)149 und den § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr)150. Auch das Schutzgut des § 304 StGB (Gemeinschädliche Sachbeschädigung)151, das Nutzungsinteresse der Allgemeinheit an den in ihm aufgeführten Gegenständen152 sowie das durch § 305a StGB (Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel) geschützte153 Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Betriebe und Einrichtungen154 stellen kollektive Allgemeinrechtsgüter dar. Schließlich gehört die Umwelt, gewährleistet durch die §§ 324 ff. StGB (Straftaten gegen die Umwelt)155 der Gruppe der kollektiven Allgemeinrechtsgüter an156.

Fischer, § 267, Rn. 1; Otto, StR AT, S. 394; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn. 789; für einen ausschließlichen Schutz der individuellen Dispositionsfreiheit NK/Puppe, § 267, Rn.  8; SK/ Hoyer, Vor § 267, Rn. 11 ff. 148 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 343. 149 Lackner/Kühl, § 298, Rn.  1; Fischer, § 298, Rn.  6; ders., Vor § 298, Rn.  6; Schönke/­ Schröder/Heine/Eisele, Vor §§ 298 ff., Rn. 4; SK/Rogall, § 298, Rn. 4; Wessels/Hillenkamp, StR BT/2, Rn. 703; Korte, NStZ 1997, S. 513, 516; Möhrenschlager, JZ 1996, S. 822, 829; Otto, wistra 1999, S. 41; Wolters, JuS 1998, S. 1100, 1102; die wohl h. M. (Lackner/Kühl, § 298, Rn. 1; Fischer, § 298, Rn. 6; ders., Vor § 298, Rn. 6; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, Vor §§ 298 ff., Rn. 6; BeckOK/Momsen, § 298, Rn. 3; Wessels/Hillenkamp, StR BT/2, Rn. 703) sieht daneben auch das Vermögen der Mitbewerber als geschützt an. 150 BGH NJW 2006, S.  3290, 3298; Lackner/Kühl, § 299, Rn.  1; LK/Tiedemann, § 299, Rn.  1; NK/Dannecker, § 299, Rn.  4; MüKo/Krick, § 299, Rn.  2; Schönke/Schröder/Heine/­ Eisele, Vor §§ 298 ff., Rn. 4; Fischer, § 299, Rn. 2; ders., Vor § 298, Rn. 6; SK/Rogall, § 299, Rn. 7; ­Wessels/Hillenkamp, StR BT/2, Rn. 704; Mölders, Bestechung, S. 161; Randt, BB 2002, S. 2252, 2253; teilweise (Fischer, § 299, Rn. 2; ders., Vor § 298, Rn. 6; LK/Tiedemann, § 299, Rn.  5 f.; MüKo/Krick, § 299, Rn.  2; NK/Dannecker, § 299, Rn.  5; Schönke/Schröder/Heine/­ Eisele, § 299, Rn. 2; BeckOK/Momsen, § 299, Rn. 4; Wessels/Hillenkamp, StR BT/2, Rn. 704) wird daneben auch das Vermögen der Mitbewerber und des Geschäftsherrn als geschützt angesehen. 151 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60. 152 Fischer, § 304, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 304, Rn. 1; LK/Wolff, § 304, Rn. 1; NK/Zaczyk, § 304, Rn. 1; MüKo/Wieck-Noodt, § 304, Rn. 1; Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 304, Rn. 1. 153 Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 305a, Rn.  1; Fischer, § 305a, Rn.  2; BeckOK/Weidemann, § 305a, Rn. 2, die daneben das Eigentum an den in Abs. 1 aufgeführten Tatobjekten als geschützt ansehen. MüKo/Wieck-Noodt, § 305a, Rn.  1; Lackner/Kühl, § 305a, Rn.  1, stellen das Allgemeinrechtsgut in den Vordergrund. 154 So muss Fischer, § 305a, Rn. 2, verstanden werden, der § 305a StGB ausdrücklich als nicht den Staatsschutzdelikten zugehörig deklariert. 155 Die Umwelt wird nach der h. M. mit einem doppelten Rechtsgutsbezug definiert; geschützt sind die einzelnen Medien (Luft, Wasser, Boden) und Bestandteile (Flora und Fauna), jedoch nicht um ihrer selbst willen, sondern in ihrer Funktion als elementare Lebensgrundlagen des Menschen, vgl. Schönke/Schröder/Heine/Hecker, Vor §§ 324 ff., Rn. 8; LK/Steindorf, Vor § 324, Rn. 12 ff.; Lackner/Kühl, Vor §§ 324 ff., Rn. 7; differenzierend SK/Schall, Vor § 324, Rn. 19 ff. 156 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 343.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

III. Abgrenzungsprobleme Obwohl diese Gruppierung überwiegend vorgenommen wird, erscheint die Frage, ob ein Rechtsgut letztendlich den Individualrechtsgütern, den kollektiven oder aber den staatlichen Allgemeinrechtsgütern zuzuordnen ist, nicht selten schwierig zu beantworten und vermag in vielen Fällen kein eindeutiges Ergebnis zu liefern. Dabei erscheint insbesondere die Konturierung der Kollektivrechtsgüter problematisch157. So sind einerseits jene auszumachen, die Hefendehl als „Mischformen zwischen individuellen und kollektiven Rechtsgütern“ bezeichnet158, aber auch solche Rechtsgüter, die sowohl den staatlichen als auch den kollektiven Allgemeinrechtsgütern zugeordnet werden. 1. Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern Als Beispiele für Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern können die Volksgesundheit, die Sicherheit des Verkehrs und die öffentliche Sicherheit angeführt werden159. Die „Volksgesundheit“ umfasst „die Gesundheit der […] Bevölkerung im Ganzen“160 und beansprucht Geltung etwa im Lebensmittelstrafrecht oder im Betäubungsmittelstrafrecht. So wird dem Lebensmittelstrafrecht161 neben den Individualrechtsgütern des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit auch das Allgemeinrechtsgut der Volksgesundheit zugrunde gelegt162. Grund sei die Notwendigkeit, das Vertrauen der Bevölkerung in die zwingenden Verhaltensnormen bezüglich der Beschaffenheit und Qualität von Lebensmitteln als ein „Mehr“ der Summe der Gesundheit aller Volksmitglieder163 als eigenständig schützenswertes Rechtsgut zu fassen164. Die Gegenansicht verneint hingegen die Existenzberechtigung der universellen Volksgesundheit mit der Begründung, letztendlich gehe es gerade nicht um das 157

So auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 33 f. 158 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 139 ff., der den Terminus „kollektive Rechtsgüter“ aber im Sinne des hiesigen Begriffs „Allgemeinrechtsgüter“ verwendet. 159 Vgl. eingehend Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 139 ff. 160 Weber, BtMG, § 1, Rn. 3. 161 Das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzbuch (LMBG) wurde durch das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) (BGBl. 2005 I, S. 2618) ersetzt. Die in den §§ 51 ff. LMBG geregelten Straf- und Bußgeldvorschriften finden sich in den §§ 58 ff. LFGB wieder, vgl. Meyer/Streinz/Bosch, § 58 LFGB, Rn. 1. 162 Kuhlen, GA 1994, S. 347, 367; Meyer/Streinz/Bosch, § 58 LFGB, Rn. 2. 163 So bezüglich des Rechtsguts Volksgesundheit im Betäubungmittelstrafrecht Beulke/ Schröder, Anm. zu BGH NStZ 1991, S. 393, 394. 164 Kuhlen, GA 1994, S. 347, 367.

B. Arten von Rechtsgütern

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eine ­kollektive, von einer gewissen Anzahl von Individuen geteilte Ziel, nicht mit unsachgemäß hergestellten oder gar vergifteten Waren in Berührung zu kommen, sondern allein um die Verwirklichung diesbezüglich paralleler, gleichartiger Individualinteressen165. Dass die eigenen Schutzmöglichkeiten des einzelnen Rechtsgutsträgers in diesen Bereichen begrenzt sind, könne einen vorverlagerten Einsatz des Strafrechts an einer „kollektiven Schaltstation“166 nicht begründen167. Vergleichbar ablehnend wird auf die Anerkennung der Volksgesundheit als Rechtsgut des Betäubungsmittelstrafrechts (§§ 29 ff. BtMG) reagiert168. Diese sei wiederum lediglich eine Kumulation von Individualrechtsgütern, nämlich der Gesundheit derjenigen Personen, die mit den Betäubungsmitteln in Berührung gelangen169. Das abstrakte Rechtsgut Volksgesundheit für sich genommen sei ohne selbständigen Inhalt, quasi „subjektlos-inhaltsleer“170. Dieses müsse ausscheiden, um eine grenzenlose Ausdehnung der durch das Betäubungsmittelstrafrecht geschützten Rechtsgüter und mit ihr einhergehend den Verlust jeglicher das Strafrecht limitierenden Funktion zu vermeiden171. Dem wird jedoch entgegen gehalten, das Betäubungsmittelstrafrecht diene neben der körperlichen Unversehrtheit einzelner Personen auch der Volksgesundheit als „das Interesse des Staates an der Erhaltung eines gesunden Bürgerstandes und einer lebensfähigen Gesellschaftsordnung, also die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft“172. Insbesondere unter Beachtung wichtiger Aspekte wie dem Jugendschutz und dem Schutz vor organisierter Kriminalität sei es angebracht, über die individuellen Interessen hinausgehenden kollektiven Elementen und damit der Volksgesundheit Rechtsgutscharakter zuzusprechen173. Entsprechend qualifiziert auch die Rechtsprechung die Volksgesundheit

165

Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 141 f. Der Begriff stammt von Schünemann, GA 1995, S. 201, 213. 167 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 141. 168 Anastasopoulou, Deliktstypen, S.  270 f.; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  142 f.; Frisch, Stree/Wessels FS, S. 69, 94; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 191; Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers/Schünemann, Das Rechtsgüterschutzprinzip, S.  133, 146, 151; Köhler, MDR 1992, S.  739 f.; Kuhlen, ZStW 1993, S.  696, 723; vgl. auch Körner/Patzak/­ Volkmer, BtMG, § 29, Teil 4, Rn. 4 m. w. N. 169 Anastasopoulou, Deliktstypen, S.  270; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  141 f.;­ Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts, S. 191. 170 Köhler, MDR 1992, S. 739, 740. 171 Anastasopoulou, Deliktstypen, S. 271 f. 172 Beulke/Schröder, Anm. zu BGH NStZ 1991, S. 393, 394. 173 Weber, BtMG, § 1, Rn. 2 f., der „die Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die dieses von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält, mit den Aspekten des Jugendschutzes, des Schutzes vor Organisierter Kriminalität und der Gewährleistung der internationalen Zusammenarbeit bei der Suchtstoffkontrolle“ sogar als eigenständig neben der Volksgesundheit durch das BtMG geschütztes Allgemeinrechtsgut ansieht; für die Volksgesundheit als Rechtsgut des Betäubungmittelstrafrechts auch Beulke/Schröder, Anm. zu BGH NStZ 1991, S. 393, 394; Haas, Der Schutz der öffentlichen Gesundheit durch das Betäubungsmittelrecht, S. 89; Rudolphi, Anm. zu BGH JZ 1991, S. 572, 574; Otto, Jura 1991, S. 443, 444 f.; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, § 29, Teil 4, Rn. 4. 166

42

3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

als autonomes Schutzgut174. Dieses Ergebnis steht in Einklang mit der herrschenden Rechtsauffassung in Österreich, der Schweiz, Frankreich, Spanien und den Niederlanden, wo die Volksgesundheit gleicherweise als eigenständiges Rechtsgut qualifiziert wird175. Ähnlich wird im Rahmen der Straßenverkehrsdelikte (§§ 315b ff. StGB, § 21 StVG) von der herrschenden Meinung die „Sicherheit des Straßenverkehrs“ als mit eigenem, kollektivem Substrat ausgestattetes Allgemeinrechtsgut anerkannt176, im Gegensatz zu denjenigen Stimmen, die ausschließlich die Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum als Schutzgüter der Straßenverkehrsdelikte qualifizieren177. Seine Existenzberechtigung gewinnt das kollektive Allgemeinrechtsgut der Straßenverkehrssicherheit wohl durch die hierzulande hohe Bedeutung eines sicheren Straßenverkehrs sowie das damit verbundene Vertrauen der Verkehrsteilnehmer in die allgemeingültige Straßenverkehrsordnung, deren Missachtung auch unabhängig von der Beeinträchtigung der genannten Individualrechtsgüter erfolgen kann178. Geteilter sind die Meinungen im Hinblick auf die Anerkennung des Allgemeinrechtsguts „öffentliche Sicherheit“. Diese beinhaltet den objektiven Zustand des unbedrohten Daseins der Bevölkerung sowie subjektiv ihr Vertrauen in die Fortdauer dieses Zustands179. Eine Ansicht qualifiziert die öffentliche Sicherheit in diesem Sinne als autonomes und ausschließliches Schutzgut der §§ 125, 125a StGB, während der Schutz des Einzelnen nur einen Schutzreflex darstelle180. Die Gegenauffassung beurteilt die öffentliche Sicherheit hingegen als lediglich reflexartig durch die eigentlich geschützten Individualrechtsgüter mitumfasst und spricht ihr damit den eigenständigen Rechtsgutscharakter ab181. Eine vermittelnde Ansicht 174

BVerfGE 90, 145, 174; BGHSt 37, 179; BGH NStZ 1994, S. 496; 1996, 139, 140. Weber, BtMG, § 1, Rn. 7. 176 Zu den §§ 315b ff. StGB BGH NJW 1995, S. 1766, 1767; 2003, S. 836, 838; BeckOK/­ Kudlich, § 315b, Rn.  1; NK/Zieschang, § 315b, Rn.  7; ders., § 315c, Rn.  6; LK/König, § 315, Rn. 4; ders., § 316, Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, § 315b, Rn. 1; ders., § 315c, Rn.  2; BHHJJ/Burmann, § 315b StGB, Rn.  1; zu § 21 StVG BHHJJ/Janker/­ Hühnermann, § 21 StVG, Rn. 1; Mitsch, NZV 2007, S. 66, 68, die gleichrangig neben der Sicherheit des Straßenverkehrs auch Individualrechtsgüter als geschützt ansehen. Für einen nachrangigen Individualrechtsgüterschutz BGH NJW 1970, S.  1380, 1381; 1977, S.  1109; 1989, S.  2550; Lackner/Kühl, § 315b, Rn.  1; ders., § 315c, Rn.  1; BHHJJ/Burmann, § 315c StGB, Rn.  1. Für einen ausschließlichen Allgemeinrechtsgüterschutz Fischer, § 316, Rn.  2, 3; BeckOK/Kudlich, § 316, Rn. 2; NK/Zieschang, § 316, Rn. 11; Lackner/Kühl, § 316, Rn. 1; MüKo/Pegel, § 316, Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, § 316, Rn. 1. 177 SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 33; SK/Wolters, § 316, Rn. 2; MüKo/Pegel, § 315c, Rn. 1. 178 So Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  140 f., der die Straßenverkehrssicherheit als eigenständiges Allgemeinrechtsgut i.E. gleichwohl ablehnt. 179 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 125, Rn. 2; MüKo/Schäfer, § 125, Rn. 1; LK/Krauß, § 125, Rn. 1; SK/Stein/Rudolphi, § 125, Rn. 12. 180 BGHZ 89, 383, 400; BGH NStZ 1993, S. 538; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 125, Rn. 2. 181 NK/Ostendorf, § 125, Rn. 6; Hoyer, Anm. zu OLG Celle JR 2002, S. 34, 36. 175

B. Arten von Rechtsgütern

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schließlich versteht die öffentliche Sicherheit als eigenständiges Rechtsgut und sieht diese neben Interessen des Einzelnen als geschützt an182, was dem Normzweck am ehesten gerecht zu werden scheint. Während die öffentliche Sicherheit schon aufgrund des Wortlauts des § 125 StGB anerkannt werden solle, seien die Individualrechtsgüter Leib, Leben und Eigentum aufgrund der Subsidiaritätsklausel in § 125 Abs. 1 StGB zumindest als mitgeschützt anzusehen183. Ein Allgemeinrechtsgut im Sinne eines kollektiven Verbraucherinteresses, das über die Individualinteressen der einzelnen Verbraucher hinausgehend Geltung beansprucht, existiert im deutschen Recht dagegen nicht184. Die Ausführungen machen deutlich, dass es sich bei den Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern meist um solche handelt, deren „individuelles Substrat“ im Sinne einer Vielzahl gleichartiger Individualrechtsgüter auf die Einordnung als eben diese hindeutet, ein zudem bestehendes, verbindendes Element aber ihre Qualifizierung als Allgemeinrechtsgut nahe legt. Wird dieses kollektive Moment als derart bedeutsam und damit eigenständig schützenswert eingestuft, erfolgt die Klassifizierung als kollektives Allgemeinrechtsgut. Anderenfalls verbleibt es bei der Summe gleichartiger Individualinteressen. 2. Staatliche Allgemeinrechtsgüter mit kollektivem Bezug Innerhalb der Allgemeinrechtsgüter existieren wiederum solche, die eigentlich den staatlichen Interessen zuzuordnen sind, durch die Zuteilung einer zusätzlichen Vertrauens- oder Interessenskomponente jedoch darüber hinaus einen gesellschaftsrelevanten Bezug erhalten185. Beispielsweise schützt § 108e StGB mit der Integrität und Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems ein staatliches Allgemeinrechtsgut186, des Weiteren gilt aber auch das diesbezügliche Vertrauen der Allgemeinheit als Schutzgut der Vorschrift187. Ähnlich wird § 132 StGB mit der Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen eigentlich ein staatliches Allgemeinrechtsgut zugeordnet188, teilweise 182 MüKo/Schäfer, § 125, Rn. 1; Fischer, § 125, Rn. 2; LK/Krauß, § 125, Rn. 43; SK/Stein/­ Rudolphi, § 125, Rn. 2; BeckOK/Rackow, § 125, Rn. 5; Lackner/Kühl, § 125, Rn. 1. 183 MüKo/Schäfer, § 125, Rn. 1. 184 Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung, S. 24. 185 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  123 ff.; ders., GA 2002, S.  21, 25; Hefendehl/ v. Hirsch/Wohlers, Das Rechtsgut, S. 119, 127, kategorisiert in diesem Zusammenhang innerhalb der gesellschaftsrelevanten kollektiven Rechtsgüter die sogenannten „Vertrauensrechtsgüter“. 186 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 187 MüKo/Müller, § 108e, Rn.  1; Lackner/Kühl, § 108e, Rn.  1; NK/Wohlers/Kargl, § 108e, Rn. 3; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 108e, Rn. 3. 188 Vgl. 3. Kap. B. II. 1.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

und in unterschiedlichem Maße wird jedoch zudem das diesbezügliche Vertrauen der Allgemeinheit und somit ein kollektives Element als geschützt angesehen189. Ähnlich ist der von § 133 StGB geschützte, staatliche Gewahrsam von Behörden an beweglichen Sachen in dienstlichem Verwahrungsbesitz als staatliches Rechtsgut zu beurteilen190, außerdem sieht die herrschende Meinung jedoch das öffentliche Vertrauen in die Sicherheit der amtlichen Verwahrung und in die zuverlässige Erfüllung der Behördenaufgaben als erfasst an191. Die als staatliches Rechtsgut zu qualifizierende Rechtspflege bildet das Schutzgut der §§ 153 ff. StGB192, andere Autoren zeigen aber eine weitergehende Schutznuance auf, wenn sie das öffentliche Interesse an der wahrheitsgemäßen Tatsachenfeststellung nennen193. Die §§ 331 ff. StGB dienen schließlich der herrschenden Meinung nach dem staatlichen Allgemeinrechtsgut der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung194, daneben allerdings auch dem Vertrauen der Allgemeinheit in diese, während insbesondere die Rechtsprechung das besagte Allgemeininteresse als vorrangiges Rechtsgut ansieht195. Ähnlich der uneinheitlichen Einordnung der Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern, scheint auch bei den vorliegenden Beispielen das kollektive Element der Grund dafür zu sein, dass die genannten, eigentlich eindeutig als staatliche zu qualifizierenden Rechtsgüter oft nicht explizit als solche deklariert beziehungsweise sogar teilweise den kollektiven Allgemeinrechtsgütern zugeordnet werden196.

IV. Folgerungen und Zwischenfazit Besagte Abgrenzungsprobleme liegen wohl begründet in der umstrittenen Beziehung der Rechtsgutsgruppen zueinander. So kann einerseits festgehalten werden, dass sich aufgrund des hierzulande durch das Grundgesetz demokratisch geprägten Staatsverständnisses jedes Allgemeinrechtsgut, kollektiver wie staatlicher Natur, im Wege einer personal-funk 189

SK/Rudolphi/Stein § 132, Rn.  2; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S.  330; Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, § 132, Rn. 9. 190 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 191 BGHSt 5, 155, 159; 38, 381, 386; LK/Krauß, § 133, Rn. 1; Fischer, § 133, Rn. 2; Lackner/ Kühl, § 133, Rn. 1; MüKo/Hohmann, § 133, Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 133, Rn. 1/2. 192 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 193 Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, Vor §§ 153 ff., Rn. 2; Fischer, Vor §§ 153, Rn. 2; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn. 738. 194 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 195 BGHSt 15, 88, 96; 30, 46, 48; BGH NStZ 2000, S. 589, 590; BGH wistra 2001, S. 295, 297; BGH NStZ-RR 2005, S. 266, 267. 196 Vgl. etwa zu § 153 ff. StGB Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 68 Fn. 2, S. 74 ff.

B. Arten von Rechtsgütern

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tionalen Deutung immer auf den Einzelnen als letztendlich Begünstigten zurückführen lassen kann197. Dieses „verfassungsrechtliche[s] Materialisierungskriterium“198, das dem Umstand Rechnung trägt, „dass der Mensch den obersten aller Werte darstellt, auf den der Staat zu gründen ist“199, ist Ausgangspunkt der monistischen personalen Rechtsgutskonzeption, die, wie bereits erörtert, sowohl kollektive als auch staatliche Allgemeinrechtsgüter nur insoweit als existenzberechtigt anerkennt, als sich diese von einem Individualrechtsgut ableiten lassen200. Dem oben beschriebenen Vertrauenselement kommt dabei die Funktion eines Verbindungsglieds zwischen Individuum und staatlicher Institution zu und gewährleistet so die geforderte Ableitungsbeziehung201. Die Verbindung durch die Vertrauenskomponente hat aber auch zur Folge, dass die Trennlinie zwischen den einzelnen Rechtsgutsgruppen, insbesondere den staatlichen und kollektiven Allgemeinrechtsgütern, „aufgeweicht“ wird202. Andererseits ist Hefendehl zuzustimmen, wenn er der durch das Grundgesetz ausgestalteten Staatskonzeption ein Kriminalstrafrecht, das ausschließlich auf den Individualrechtsgüterschutz zugeschnitten ist, als nicht (mehr) gerecht werdend einstuft203. Dieses sei vielmehr – abgeschwächt – in einem das Individuum lediglich priorisierenden Sinne zu deuten204. So könne zugleich dem Erfordernis Genüge getan werden, infolge der gewandelten, mehr und mehr sozial strukturierten Staatsordnung den Allgemeinrechtsgütern als eigenständigen Rechtsgütern Bedeutung zuzugestehen, ohne jedoch, im Gegensatz zu dem dualistischen Rechtsgutsverständnis, das die beiden Rechtsgutsgruppen als voneinander unabhängig einordnet205, die Rückführbarkeit des Allgemeinrechtsguts auf das Individuum zu negieren206. Die Grenzziehung solle vorgenommen werden zwischen den kollektiven Allgemeinrechtsgütern, die den Individualinteressen nahe stehen beziehungsweise deren unmittelbarer Verwirklichung dienen und den staatlichen Allgemeinrechtsgütern, deren Individualbezug durchaus besteht, wenn auch in einer vermittelteren Art und Weise207. 197

Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 82; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 21 Fn. 44. 198 Hefendehl, GA 2002, S. 21, 24. 199 Hefendehl, GA 2002, S. 21, 24; ähnlich ders., Kollektive Rechtsgüter, S. 59. 200 Vgl. 3. Kap. B. II. 201 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 124. 202 So i.E. auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 34. 203 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 61 ff.; ders., GA 2002, S. 21, 24; ders., ZIS 2006, S. 229, 233 f. 204 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 65 ff.; ders., ZIS 2006, S. 229, 233. 205 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119. 206 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 76 ff., 78 f.; ders., GA 2002, S. 21, 24. 207 Hefendehl, GA 2002, S. 21, 24; ders., Kollektive Rechtsgüter, S. 78 f., 81 f.; ders., ZIS 2006, S.  229, 233 f., der insofern die Grenze zwischen Individual- und Allgemeinrechtsgütern als nicht identisch mit derjenigen zwischen personalen und nicht-personalen Interessen qualifiziert.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

Dieses Verständnis hat jedoch zur Folge, dass die Abgrenzung zwischen Individualrechtsgut und kollektivem Allgemeinrechtsgut an Bedeutung einbüßt, wenn nicht sogar eine gänzliche Vernachlässigung erfährt. Hierin liegt wohl auch die Entwicklung der oben dargestellten, in Bezug auf ihre Einordnung umstrittenen Mischformen zwischen diesen beiden Rechtsgutsgruppen begründet, denen im Fall ihrer Qualifizierung als Allgemeinrechtsgüter die Tendenz einer Vorfeldkriminalisierung angelastet wird208. Die Folgen der Schwierigkeit, Rechtsgüter der Gruppe der Individualrechtsgüter, der kollektiven oder eben der staatlichen Allgemeinrechtsgüter zuzuordnen, liegen auf der Hand. Eine uneinheitliche Kategorisierung lässt die Grenzen zwischen den Individualrechtsgütern und den kollektiven Allgemeinrechtsgütern auf der einen sowie zwischen den kollektiven und den staatlichen Allgemeinrechtsgütern auf der anderen Seite verschwimmen. Die eigentliche Dreiteilung wird ­eingeebnet, so dass die Möglichkeit, für jede der drei Gruppen eigene Kriterien aufzustellen, die für alle der jeweiligen Gruppe zugehörigen Rechtsgüter allgemeine Geltung beanspruchen können, erheblich beeinträchtigt ist. Während sich die Problematik bei den Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern auf die Frage ihrer Einordnung im Einzelfall konzentriert, die grundsätzliche Unterscheidung der beiden Rechtsgutsgruppen aber eindeutig ist, erscheint die Abgrenzung staatlicher und kollektiver Allgemeinrechtsgüter im Grundsatz, über die Fälle der staatlichen Allgemeinrechtsgüter mit individuell unterschiedlich zu gewichtendem kollektiven Bezug hinaus, unklar. Dementsprechend werden in der Literatur insbesondere die staatlichen und die kollektiven Allgemeinrechtsgüter als nicht scharf voneinander abgrenzbar deklariert209. So existieren unterschiedliche Kategorisierungsvorschläge, die sich, abgesehen von ihrer Terminologie, auch inhaltlich unterscheiden210. Konkret zeigt sich dies in der Positionierung der Trennlinie zwischen beiden Rechtsgutsgruppen, mit der praktischen Folge, dass sich bei denjenigen Einteilungen, die die Gruppe der staatlichen Allgemeinrechtsgüter besonders restriktiv definieren, der Umfang der kollektiven Allgemeinrechtsgüter automatisch ausweitet und umgekehrt. Mancher Autor nimmt schon gar keine genaue Differenzierung vor, son 208

Vgl. hierzu eingehend Roxin, StR AT I, § 2, Rn. 10, 68 ff. Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 152 f. Fn. 151; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  68 Fn.  2; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 33 ff. 210 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69 f., unterscheidet zwischen den „Spezifische[n] Rechtsgüter[n] des Staates“ und den „Kollektivrechtsgüter[n] i.w.S.“; Lüttger, Jescheck FS, S.  121, 152, differenziert zwischen staatlichen Rechtsgütern und den sogenannten „überstaatlichen Gemeinschaftswerten“; Hefendehl, GA 2002, S. 21, 25; ders., Kollektive Rechtsgüter, S. 113 ff., der an Stelle des hiesigen Terminus „Allgemeinrechtsgüter“ in Abgrenzung zu den Individualrechtsgütern den Begriff „kollektive Rechtsgüter“ verwendet, trennt innerhalb der kollektiven Rechtsgüter zwischen denjenigen „zum Schutz staatlicher Rahmenbedingungen“ einerseits sowie den „Freiheitsräume für die Individuen schaffenden Rechtsgüter[n]“ andererseits. 209

C. Die Bestimmung der Auslandseigenschaft eines Rechtsguts

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dern verbleibt bei der Trennung von Individual- und Allgemeinrechtsgütern211. Diese Zweiteilung erscheint jedoch bereits problematisch insofern, als die Qualifizierung eines Rechtsguts als Individualrechtsgut sowie als kollektives oder als staatliches Allgemeinrechtsgut in Bezug auf die im Folgenden zu behandelnde Frage relevant wird, inwieweit ausländische Rechtsgüter, und speziell diejenigen der anderen EU-Mitgliedstaaten, in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften Eingang finden. Im Hinblick dessen und da ein besseres Lösungsmodell nicht ersichtlich ist, sollen trotz der aus der vorliegenden Abgrenzungsproblematik resultierenden Skepsis gegenüber der herrschenden Unterscheidung zwischen Individualrechtsgütern, staatlichen sowie kollektiven Allgemeinrechtsgütern, diese Dreiteilung sowie die entsprechend vorgenommene Kategorisierung der in der deutschen Strafrechtsordnung existierenden Rechtsgüter212 der vorliegenden Untersuchung zugrunde gelegt werden.

C. Die Bestimmung der Auslandseigenschaft eines Rechtsguts Bereits für die Frage, wie die Auslandseigenschaft eines Rechtsguts zu bestimmen ist, erlangt wieder der Rechtsgutsträger Bedeutung. So gilt ein Rechtsgut dann als „ausländisch“, wenn sein Träger ein ausländischer Staatsangehöriger, eine ausländische Gemeinschaft oder ein ausländischer Staat ist213. Ausländische Rechtsgüter sind demnach Interessen, die nach der deutschen Rechtsordnung Rechtsgutsqualität besitzen, deren Träger aber ausländisch ist214. Der Ansatz, das Vorliegen eines ausländischen Rechtsguts davon abhängig zu machen, ob die Gesetzgebung des betreffenden ausländischen Staats das jeweilige Rechtsgut zu einem eben solchen erhebt215, ist dagegen abzulehnen. Denn sie stellt die rechtlichen Wertungen des ausländischen Staats in den Vordergrund. Die nationale Strafrechtsordnung würde so ihre souveräne Beurteilungskompetenz verlieren216. Es muss jedoch Sache des deutschen Gesetzgebers bleiben, zu ent 211 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 10 ff.; LK/Werle/Jeßberger, Vor 3, Rn. 274 ff. 212 Vgl. 3. Kap. B. I. und II. 213 Lüttger, Jescheck FS, S. 121; v. Weber, Frank FG, S. 269, 276; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 47; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 13; Mölders, Bestechung, S. 162 f.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 14; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 30; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 73. 214 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 44. 215 Binding, Handbuch des Strafrechts, S. 391; Oehler, Mezger FS, S. 83, 97. 216 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 46.

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3. Kap.: Zum Untersuchungsobjekt

scheiden, was durch die inländische Strafrechtsordnung schützenswert ist217. Dabei richtet sich der Anknüpfungspunkt der Auslandseigenschaft eines Rechtsguts im Sinne des deutschen Rechts nach seinem Ursprung und somit bei Individualrechtsgütern nach der Staatsangehörigkeit ihres Trägers218, bei kollektiven Allgemeinrechtsgütern nach der Staatszugehörigkeit der betreffenden Gemeinschaft als ihre Trägerin und bei staatlichen Allgemeinrechtsgütern nach ihrem Träger selbst. Taugliche Trägerin von Rechtsgütern ist neben Individuen, Kollektiven und einzelnen Staaten auch die Europäische Union. Denn die EU stellt eine Internationale Organisation mit eigener völkerrechtlicher Rechtspersönlichkeit dar219. So kann sie gemäß der Differenzierung in der deutschen Rechtsgutsdogmatik als privatrechtsfähige internationale juristische Person i. S. d. Art.  335 AEUV220 zum einen In­ haberin von Individualrechtsgütern sein, beispielsweise als Eigentümerin von beweglichem oder unbeweglichem Vermögen i. S. d. Art. 335 S. 1 AEUV, sowie als Trägerin ihres hierdurch eingeräumten Hausrechts221. Als supranationale Organisation verfügt die EU aber auch über hoheitliche Rechtsgüter222.223 Die Rechtsgüter der Union sind wie diejenigen der EU-Mitgliedstaaten gegenüber dem deutschen Staat insofern als ausländisch zu qualifizieren, als die Europäische Union als ihre Trägerin eine autonome, internationale Organisation mit eigener Völkerrechts­ subjektivität darstellt und damit nicht inländisch ist224. 217

Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 46. 218 Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S.  30; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 14. 219 Streinz/Pechstein, Art. 1 EUV, Rn. 13 f.; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 1; Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, vgl. 6. Kap. B. I. 2. c). 220 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 24. 221 Satzger, Europäisierung, S. 349; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 38 f.; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 55; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 294. 222 Satzger, Europäisierung, S.  349 ff.; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 39 ff. 223 In Anlehnung an die nationale Differenzierung „staatliche“ und „kollektive“ Allgemeinrechtsgüter könnte innerhalb der hoheitlichen Rechtsgüter der EU eine Unterscheidung zwischen ihren Eigeninteressen als supranationale Organisation an sich sowie den supranationalen Rechtsgütern, die den Mitgliedstaaten beziehungsweise ihren Bürgern als Kollektiv dienen, angedacht werden. Sieber, Geerds FS, S. 113, 118, unterscheidet insofern neben den als Individualrechtsgüter der Unionsbürger per se durch das nationale Strafrecht geschützten Grundrechten und Grundfreiheiten zwischen „dem Eigeninteresse der EG“ und „dem Interesse am Schutz der verschiedenen europäischen Politiken“. Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 223 ff., möchten die „genuinen europäischen Rechtsgüter“ wiederum auf die hoheitlichen Eigeninteressen der EU beschränken, vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 224 Vgl. hierzu eingehend Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 165 f.; Dannecker/Möhrenschlager, Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter, S. 162, 163, versteht die Rechtsgüter der EU als „Unterfall“ der ausländischen Rechtsgüter.

4. Kapitel

Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht – Grundsätze Das grundsätzliche Problem um den Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht unterliegt bis heute einer vielfältigen Diskussion1. Auch wenn vorliegende Thematik speziell die Begutachtung von Rechtsgütern anderer EU-Mitgliedstaaten betrifft, sind die generellen Aussagen zum Schutz ausländischer Rechtsgüter gleichwohl von Interesse.

A. Die Bedeutung des transnationalen Strafrechts2 (§§ 3 ff. StGB) Vorab ist die Bedeutung der §§ 3 ff. StGB für den Umfang des Schutzbereichs eines deutschen Straftatbestands zu klären. Die §§ 3 ff. StGB regeln zum einen die „Strafberechtigung“3 der deutschen Strafgewalt, sprich, inwieweit eine Tat, ungeachtet eines grenzüberschreitenden Bezugs, der deutschen Strafgewalt unterliegt und zum anderen, ob dabei deutsches Strafrecht anwendbar ist („Strafanwendungsrecht“)4. Prozessrechtlich wird in diesem Fall parallel die Zuständigkeit der deutschen Gerichte begründet („Straf-

1 Etwa Reschke, Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht, 1962; Lüttger, Bemerkungen zu Methodik und Dogmatik des Strafschutzes für nichtdeutsche öffentliche Rechtsgüter, Jescheck FS, S. 121 ff., 1985; Obermüller, Der Schutz ausländischer Rechtsgüter im deutschen Strafrecht im Rahmen des Territorialitätsprinzips, 1999; Golombek, Der Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, 2010; speziell im Hinblick auf europäische Rechtsgüter Gröblinghoff, Die Verpflichtung des deutschen Strafgesetzgebers zum Schutz der Interessen der Europäischen Gemeinschaften, 1996; Vormbaum, Der Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten durch das deutsche Strafrecht, 2005. 2 Der übliche Terminus „Internationales Strafrecht“ ist insofern missverständlich, als den §§ 3 ff. StGB über ihren rein nationalen Charakter hinaus eine vermeintlich dem Internationalen Privatrecht entsprechende Funktion zumindest in Bezug auf dessen ausgewiesene kollisionsrechtliche Aufgabe nicht zukommt, da sie nur zu einer einseitigen Ausdehnung des nationalen Strafrechts auf grenzüberschreitende Sachverhalte führen und damit „transnational“ wirken, vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 9; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 1; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 5. 3 Satzger, IntStR, S. 33. 4 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 8; ders., ZIS 2011, S. 336, 337; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 2; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–7, Rn. 1; Satzger, IntStR, S. 33; Schultz, GA 1966, S. 193, 194.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

gerichtsbarkeit“)5. Das Strafanwendungsrecht markiert so den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der materiellrechtlichen Straftatbestände und umgrenzt das nach deutschem Recht strafbare Unrecht6. Die §§ 3 ff. StGB können insofern als (vor die Klammer gezogene) Tatbestandsmerkmale angesehen werden7, die dem materiellen Recht zuzuordnen sind8. Im Verhältnis zur vorliegend problematischen Reichweite des tatbestandlichen Schutzbereichs deutscher Strafvorschriften wird somit zutreffend im Grundsatz eine Prüfung der §§ 3 ff. StGB auf gleicher Ebene gefordert9. Die Auffassung, die die Frage des Schutzbereichs als den §§ 3 ff. StGB wesensnotwendig vorgeschaltet versteht10, verdient allerdings Zustimmung, soweit nur nach Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit von Handlung und gegebenenfalls Erfolg die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts begründet werden kann11. Dagegen vermag die Ansicht, die den §§ 3 ff. StGB den „logischen Vorrang“12 vor der Schutzbereichsfrage mit dem Argument einräumt, die fehlende deutsche Strafgerichtsbarkeit stelle bereits ein die materielle Prüfung erübrigendes Prozesshindernis dar13, nicht zu überzeugen, sofern dessen Begründung seinerseits die Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit erfordert14. Die für die vorliegende Untersuchung entscheidende Notwendigkeit einer strikten Unterscheidung zwischen der Frage nach der Reichweite des tatbestandlichen Schutzbereichs und der der §§ 3 ff. StGB wird indes einhellig bejaht15. 5

NK/Böse, Vor § 3, Rn. 8; ders., ZIS 2011, S. 336, 337; einschränkend Schönke/Schröder/ Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 7. 6 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 9. 7 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 9, 55; ders., Maiwald FS, S. 61, 69; Neumann, Müller-Dietz FS, S. 589, 599. 8 BGHSt 20, 22, 25; 27, 5, 8; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 9, 51, 55; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 3; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 267; Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S. 115; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 50 ff. 9 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 55. 10 Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 4; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 31; Oehler, Anm. zu OLG Karlsruhe JR 1978, S. 381, 382; Nowakowski, JZ 1971, S. 633, 634; Schröder, JZ 1968, S. 241, 242. 11 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 55. 12 SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 31. 13 SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 31; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 273; Satzger, IntStR, S. 33, 94. 14 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 55. 15 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  6, 141 ff.; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S.  31, 39; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S.  1, 15 ff.; Jescheck/Weigend, StR AT, S.  176 f.; ­ Lüttger,­ Jescheck FS, S.  121, 122 f.; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn.  4; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn.  9; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  73; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  55; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 31; Oehler, Anm. zu OLG Karlsruhe JR 1978, S. 381, 382; Nowakowski, JZ 1971, S. 633, 634; Schröder, JZ 1968, S. 241, 242; Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S.  113 Fn.  33; a. A. Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen­

B. Der originäre innerstaatliche Bezug des deutschen Strafrechts

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Den Vorschriften der §§ 3 ff. StGB kann somit keine Aussage über die Frage nach der Einbeziehung ausländischer Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich des deutschen Strafrechts entnommen werden. Im Anschluss an die in vorliegender Arbeit untersuchten Schutzbereichserweiterungen wird jedoch auf die Konsequenzen für das deutsche Strafanwendungsrecht einzugehen sein.

B. Ausgangspunkt: Der originäre innerstaatliche Bezug des deutschen Strafrechts Als Ausgangspunkt für die Darstellung der Problematik um die Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände soll die Tatsache dienen, dass das Strafrecht einen ursprünglichen, originären nationalen Bezug in sich trägt. So ist die Strafrechtsordnung eines Staats wegen ihres freiheitsbeschränkenden Charakters Ausdruck der staatlichen Autorität16. Insofern wird das nationale Strafrecht als „unmittelbare[r] Reflex nationaler Souveränität“17 beziehungsweise als „Hausgut der Souveränität der Staaten“18 angesehen, das die staatliche Gewalt einer Nation über ihre Staatsbürger abbildet19. Das Strafrecht ist jedoch nicht nur Ausdruck staatlicher Souveränität, sondern wie kein anderes Rechtsgebiet durch die nationalen Traditionen, Wertvorstellungen, ihre nationale Historie und Kultur geprägt20. Denn die Gestaltung der Strafrechtsordnung einer Nation, die Entscheidung, welches Verhalten strafwürdig ist, steht unter maßgeblichem Einfluss von Religion, Tradition und Werten der jeweiligen Staatsgemeinschaft. Sie ist ein „negativ formulierter Spiegel der Werte und Werthaltungen einer Gesellschaft“21. Mithin gelten die sozial-ethischen Wertvorstellungen einer Rechtsgemeinschaft auch als „Wurzeln des Strafrechts“22. Diese werden verkörpert durch die die je­ weilige Strafrechtsordnung konstituierenden Straftatbestände und die durch diese geschützten Rechtsgüter. Dem Strafrecht kommt somit ein ganz natürlicher, origiStrafanwendungsrechts, S. 46 ff., die davon ausgeht, dass ausländische Rechtsgüter grundsätzlich in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände einbezogen werden, sofern diese über § 3 StGB (Inlandstat) oder § 7 Abs. 2 Nr. 1 1. Fall StGB (Auslandstat eines Deutschen) Anwendung finden und kein tatbestandsspezifischer Ausschluss vorliegt. 16 Satzger, Europäisierung, S. 157 f. 17 Satzger, Europäisierung, S. 158. 18 Ebel/Kunig, Jura 1998, S. 617, 621. 19 Satzger, Europäisierung, S. 157 f. 20 Rüter, ZStW 1993, S. 30, 35; Schubarth, ZStW 1998, S. 825, 847. 21 Kreuzer/Scheuing/Sieber/Tiedemann, Europäisierung, S. 133, 134; ders., JZ 1996, S. 647. 22 Wessels/Beulke/Satzger, StR AT, Rn. 15; Satzger, Europäisierung, S. 160; ders., IntStR, S. 128.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

närer Bezug zu den nationalen Rechtsgütern zu23, wenn diese die Identität dieses Staats widerspiegeln, indem sie versinnbildlichen, was nach den nationalen Wertvorstellungen schützenswert ist. In dieser Hinsicht kann behauptet werden, es sei primäre Aufgabe des deutschen Strafrechts, die nationalen Rechtsgüter zu schützen24. So hat die Rechtsprechung wiederholt erklärt, das Strafrecht sei als innerstaatliches Ordnungsrecht in erster Linie dazu berufen, inländische Belange zu schützen25. Vorliegende Aussage darf aber nicht in einer den Anwendungsbereich nationaler Vorschriften grundsätzlich und von Beginn an einschränkenden Art und Weise begriffen werden. Wenn die Rede ist von der „primären Aufgabe“ des Strafrechts und seiner Berufung „in erster Linie“, ist dies nicht als eine „Vorrangigkeit“ zu verstehen, die dem Schutz nationaler Interessen eine exklusive Position innerhalb eines qualitativen Rangverhältnisses zuweist, sondern vielmehr in einem die ursprüngliche, genuine Aufgabe des nationalen Strafrechts beschreibenden Sinne26. Dementsprechend schließt der primäre Auftrag des nationalen Strafrechts, die inländischen Rechtsgüter zu schützen, der Rechtsprechung nach den Schutz auch ausländischer Rechtsgüter nicht grundsätzlich aus27. So vermag auch der Umstand, dass der Mehrheit der deutschen Strafvorschriften kein ausdrücklicher Auslandsbezug entnommen werden kann, nicht die Annahme zu rechtfertigen, das deutsche Strafrecht schütze grundsätzlich nur deutsche Rechtsgüter und ausländische Rechtsgüter seien lediglich ausnahmsweise in den Schutzbereich der deutschen Strafrechtsordnung einbezogen28. Entsprechende Aussagen sind gerade nicht Ausdruck eines derartigen rechtsverbindlichen „Regel-Ausnahme-Verhältnisses“29, sondern geben lediglich die – noch vorherrschende – ausdrückliche Ausgestaltung der deutschen Straftatbestände wieder30. Dass manche Strafnormen ausländische Rechtsgüter explizit in ihren Schutzbereich einbeziehen und andere wiederum eine wortwörtliche Beschränkung auf inländische Rechtsgüter enthalten, lässt gerade keinen Rückschluss auf einen generellen Ausschluss zu31. 23 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 19; v. Weber, Frank FG, S. 269, 276. 24 Vgl. hierzu eingehend Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 131 f. 25 BGHSt 21, 277, 280; 22, 282, 285; 29, 85, 88; BGH NStZ 1984, S. 360, 361; OLG Saarbrücken NJW 1975, S. 506, 507; OLG Stuttgart NJW 1977, S. 1601, 1602. 26 So auch Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 19. 27 BGHSt 21, 277, 280; 22, 282, 285 f.; OLG Saarbrücken NJW 1975, S. 506, 507; OLG Stuttgart NJW 1977, S. 1601, 1602. 28 So aber Oehler, Mezger FS, S. 83, 97; Jescheck, Maurach FS, S. 579, 583. 29 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 132. 30 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 132, der jedoch insofern in seiner derzeitigen Argumentation weiter geht, als aus seiner Sicht der Umstand, dass ausländische Rechtsgüter nur ausnahmsweise durch das deutsche Strafrecht geschützt werden, „eine Beschreibung des tatsächlich bestehenden Zustands im geltenden Strafrecht“ sei. 31 RGSt 8, 53, 56 f.; BGHSt 21, 277, 280; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 132; Nowakowski, JZ 1971, S. 633, 634; Vogler, NJW 1977, S. 1866, 1867; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 20.

C. Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften

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Zu beachten ist vielmehr, dass der die Souveränität und die Wertvorstellungen eines Staats widerspiegelnde Wesenszug nicht bei allen Rechtsgütern und damit den Straftatbeständen, die diese Rechtsgüter erfassen, in gleicher Intensität gegeben ist32. In diesem Zusammenhang wird wieder die Kategorisierung eines Rechtsguts als Individualrechtsgut, kollektives oder eben staatliches Allgemeinrechtsgut bedeutsam. Dass letztere Rechtsgutsgruppe einen engeren Bezug zu dem jeweiligen die nationale Souveränität verkörpernden Staatsapparat aufweist als etwa die Individualrechtsgüter, ist bereits ihrer Bezeichnung immanent. In dieser Hinsicht haben sich zur Beantwortung der Frage, ob ein deutscher Straftatbestand auch ausländische Rechtsgüter schützt, zwischen den Rechtsgutsgruppen differenzierende „traditionelle[n] Grundsätze“33 herausgebildet. Inwieweit der Schutzbereich deutscher Strafvorschriften auf ausländische Rechtsgüter ausgedehnt werden kann, hängt damit maßgeblich von der präzisen Benennung und Einordnung des von der jeweiligen Norm prinzipiell erfassten Rechtsguts als Individualrechtsgut, kollektives oder staatliches Allgemeinrechtsgut ab34.

C. Traditionelle Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften I. Grundsätzlicher Schutz ausländischer Individualrechtsgüter Individualrechtsgüter sind umfassend durch das nationale Strafrecht eines Staats geschützt, unabhängig davon, ob sie einem inländischen oder einem ausländischen Rechtsgutsträger zustehen35. Dies ergibt sich aus einem allgemeinen Grundsatz des völkerrechtlichen Fremdenrechts, nach dem Ausländern ein Mindestmaß an strafrechtlichem Schutz garantiert wird, indem ihre Individualrechtsgüter wie Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Privatgeheimnisse, Familienrechte und Vermögen wie inländische Interessen durch die nationalen Strafrechtsordnungen geschützt werden (sog. „minimum standard of justice“)36. Der völkerrechtliche 32

Satzger, Europäisierung, S. 162. Satzger, IntStR, S. 94. 34 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 107. 35 BGHSt 29, 85, 88; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 8; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; LK/Werle/ Jeßberger, Vor § 3, Rn. 272; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 78; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 176; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 5; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 125; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 12; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 147; Jescheck, Maurach FS, S. 579, 583; Oehler, JR 1980, S. 485; Vogler, NJW 1977, S. 1866, 1867. 36 Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn.  9; LK/Gribbohm, Vor § 3, Rn.  163; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 78; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Jescheck/Weigend, StR AT, S. 176; Lüttger, Jescheck FS, S.  121, 147; Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S.  89 ff.; Vogler, NJW 1977, S. 1866, 1867; kritisch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 25. 33

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

Mindeststandard ist gemäß Art. 25 GG Bestandteil des Bundesrechts und gilt demnach auch im Rahmen des StGB37. Und ebenso Individualrechtsgüter, deren Träger ein ausländischer Staat oder die EU38 ist, sind durch das deutsche Strafrecht geschützt39. Denn das nach Art. 25 GG gleichsam im StGB geltende, universelle Völkerrecht gibt vor, dass jeder Staat das sich erlaubtermaßen auf seinem Staatsgebiet befindliche Eigentum anderer Staaten so zu schützen hat wie das Eigentum von Ausländern allgemein nach dem internationalen Standard40. Für die Mitgliedstaaten der EU kann die Pflicht zum strafrechtlichen Schutz von Individualrechtsgütern ausländischer Unionsbürger zudem auf das unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV gestützt werden, der im Anwendungsbereich des Unionsrechts jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet41. Ferner wird vertreten, die Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Rechtsgutsträgern bezüglich ihrer individuellen Rechtsgüter sei schon verfassungsrechtlich und rechtsstaatlich geboten42. Zwar kann ein entsprechend Art. 18 AEUV an die Staatsangehörigkeit anknüpfendes Diskriminierungsverbot nicht bereits Art. 3 Abs. 3 GG entnommen werden43. Individualrechtsgüter seien im deutschen Grundgesetz jedoch meist als „Jedermannsrechte“ verankert und die beispielsweise durch die Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 und 14 GG verkörperten Freiheiten enthielten bereits absolute Gleichstellungsgebote von In- und Ausländern44. Die Verpflichtung des nationalen Strafgesetzgebers zum Schutz dieser ausländischen Individualrechtsgüter ergibt sich danach quasi originär aus dem GG. Den grundsätzlichen Schutz ausländischer Individualrechtsgüter gewährleisten auch diejenigen nationalen Straftatbestände, die sowohl Individual- als auch Allgemeinrechtsgüter erfassen.

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Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 147. Dannecker/Möhrenschlager, Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter, S.  162, 163; Gröblinghoff, Die Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 38 f., 69; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 294. 39 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 147 ff.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33. 40 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 148. 41 Der EuGH legt den sachlichen Anwendungsbereich des Art.  18 AEUV weit aus. Aus­ reichend sei eine „gemeinschaftsrechtlich geregelte[n] Situation“ (EuGH, Rs. 186/87, Slg. 1989, 195, Rn. 10 (Cowan/Trésor public)), das heißt ein Sachverhalt, der einen irgendwie gearteten Bezug zum Unionsrecht aufweist. Insoweit steht die bislang fehlende Strafrechtssetzungskompetenz der EU einer Anwendung des Art. 18 AEUV auf das Kriminalstrafrecht der EU-Mitgliedstaaten nicht entgegen, vgl. Streinz/Streinz, Art. 18 AEUV, Rn. 20. 42 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 60 ff.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 11 f. 43 BeckOK GG/Kischel, Art. 3, Rn. 132 ff., 226. 44 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 61. 38

C. Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften

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Als Voraussetzung wird insofern pauschal gefordert, der jeweilige Tatbestand müsse zumindest zusätzlich Individualrechtsgüter schützen45. In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Schutzbereichsausdehnung aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards ausschließlich auf ausländische Individualrechtsgüter bezieht, ist diese Aussage jedoch in der Weise zu konkretisieren, dass das Individualrechtsgut im Rahmen der betreffenden Strafvorschrift als autonomes Schutzgut neben den Allgemeinrechtsgütern stehen muss46. Seine Einordnung als bloßer Schutzreflex reicht dagegen für eine Schutzbereichserweiterung aufgrund des völkerrechtlichen Grundsatzes nicht aus47. Zu den Straftatbeständen, die ein dementsprechend eigenständiges Individualrechtsgut umfassen, kann § 164 StGB (Falsche Verdächtigung) gezählt werden, der zunächst die Rechtspflege, aber auch den Einzelnen vor ungerechtfertigten behördlichen Maßnahmen schützt48. Letztgenannter genießt demzufolge aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards mit jeder Staatsangehörigkeit strafrechtlichen Schutz durch § 164 StGB49. Gleiches muss für den Unterhaltsberechtigten im Rahmen des § 170 Abs. 1 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) gelten50. Dessen Lebensbedarf wird nach der herrschenden Meinung als eigenständiges­ Individualrechtsgut neben dem staatlichen Interesse an einer nur gerechtfertigten Inanspruchnahme staatlicher Mittel geschützt51. Ein anderes Ergebnis unterläuft das bezüglich des Individualrechtsguts eindeutig einschlägige völkerrechtliche Fremdenrecht52. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob in diesem Zusammenhang bereits eine Aussage über den Schutz derjenigen Allgemeinrechtsgüter getroffen werden kann, 45 BGHSt 21, 277, 281; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  79; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 275; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 33. 46 MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 79; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 275. 47 MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 79; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 275. 48 H. M., BGHSt 5, 66, 68; 9, 240, 242; Fischer, § 164, Rn. 2; Lackner/Kühl, § 164, Rn. 1; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 164, Rn. 1a; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn.  686 ff.; Geilen, Jura 1984, S.  251; Schröder, NJW 1965, S.  1888, 1890, vgl. 3. Kap. B. II. 1. 49 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 306; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 33; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 80. 50 OLG Karlsruhe NJW 1978, S.  1754, 1755; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  56; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 80; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 35; a. A. BGHSt 29, 85, 87; Fischer, § 170, Rn. 3a; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 33; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 170, Rn. 1b; MüKo/Ritscher, § 170, Rn. 6; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 210 ff.; Schlüchter, Oehler FS, S. 307, 315 ff. 51 BGH NJW 1959, S. 382, 383; OLG Karlsruhe NJW 1978, S. 1754, 1755; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 170, Rn. 1; a. A. Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 210 ff.; Schlüchter, Oehler FS, S. 307, 315 ff., vgl. 3. Kap. B. II. 1. 52 Insoweit in ihrer Ablehnung konsequent Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 210 ff.; Schlüchter, Oehler FS, S. 307, 315 ff., die den Unterhaltsberechtigten als lediglich mittelbar geschützt ansehen.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

die neben den nach obigem Grundsatz generell geschützten Individualrechtsgütern durch dieselbe Strafvorschrift erfasst werden. Vertreten wird, bei gleich­ berechtigt nebeneinander stehenden Individual- und Allgemeinrechtsgütern sei im Fall ihrer Auslandseigenschaft der Schutz Letzterer als „nicht hinwegzudenkende Konsequenz“53, als „conditio sine qua non“54 auf die grundsätzliche Einbeziehung des Individualrechtsguts anzusehen55. Immer, wenn ein ausländisches Individualrechtsgut aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards das Schutzobjekt eines deutschen Straftatbestands bildet, genießt demzufolge auch das durch diese Vorschrift erfasste Allgemeinrechtsgut, quasi akzessorisch, im Fall seiner Auslandseigenschaft den Schutz durch jenen deutschen Straftatbestand56. Dagegen entfällt die Einbeziehung des ausländischen Allgemeinrechtsguts, falls ein aufgrund völkerrechtlichen Fremdenrechts schutzwürdiges Individualrechtsgut nicht existent ist. Für die Erfüllung des Tatbestands des § 164 StGB reicht nach der herrschenden Meinung gemäß der sogenannten „Alternativitätstheorie“ die Beeinträchtigung eines der beiden potentiell erfassten Schutzgüter aus57. Die inländische Rechtspflege ist demnach auch dann geschützt, wenn das Individualschutzgut durch Einwilligung entfällt. Wäre in dieser Konstellation Träger der Rechtspflege hingegen 53 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, 211. 54 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 195. 55 In diesem Sinne auch Schlüchter, Oehler FS, S. 307, 315 ff. 56 In diesem Zusammenhang auch § 113 StGB nennen muss, wer als dessen Schutzgut neben der staatlichen Vollstreckungstätigkeit gleichrangig die zu den Vollstreckungshandlungen berufenen Organe ansieht, wer durch § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB neben dem amtlichen Gewahrsam gleichwertig die Unversehrtheit der Anstaltsbediensteten für gewährleistet hält sowie § 170 Abs. 1 StGB, wer durch diesen neben dem staatlichen Interesse an der nur gerechtfertigten Inanspruchnahme staatlicher Mittel gleichwertig den Unterhaltsberechtigten als geschützt ansieht, vgl. 3. Kap. B. II. 1.; ferner die §§ 264a, 265, 265b StGB nennen muss, wer als gleichwertiges Schutzgut des § 264a StGB neben der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts das Vermögen der Kapitalanleger qualifiziert, wer durch § 265 StGB die soziale Leistungsfähigkeit des den Allgemeininteressen dienenden Versicherungswesens und auf gleicher Ebene das Vermögen der Versicherungsunternehmen als geschützt versteht sowie durch § 265b StGB das Funktionieren des für die Volkswirtschaft wichtigen Kreditwesens und gleichwertig daneben das Vermögen des Kreditgebers. Zudem die §§ 298, 299 StGB nennen muss an dieser Stelle, wer vertritt, durch § 298 StGB sei neben dem Wettbewerb gleichwertig das Vermögen der Mitbewerber geschützt sowie durch § 299 StGB das Vermögen der Mitbewerber und des Geschäftsherrn und § 305a StGB anführen muss, wer als dessen Schutzgut neben dem Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit lebenswichtiger Betriebe und Einrichtungen gleichrangig das Eigentum an den in Abs. 1 aufgeführten Tatobjekten ansieht, vgl. 3. Kap. B. II. 2. Die §§ 315b ff. StGB, § 21 StVG an dieser Stelle aufführen muss schließlich, wer der Ansicht ist, neben der Sicherheit des Straßenverkehrs seien gleichrangig das Leben, die Gesundheit und das Eigentum geschützt, vgl. 3. Kap. III. 1. 57 BGHSt 5, 66, 68; 9, 240, 242; Lackner/Kühl, § 164, Rn. 1; Schönke/Schröder/Lenckner/ Bosch, § 164, Rn. 1a; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56; Fischer, § 164, Rn. 2; Wessels/Hettinger, StR BT/1, Rn. 688; Geilen, Jura 1984, S. 251; Schröder, NJW 1965, S. 1888, 1890.

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ein ausländischer Staat, müsste die Einbeziehung der Rechtspflege aufgrund ihrer Akzessorietät zum vorliegend nicht dem Schutzbereich unterfallenden Individualrechtsgut verneint werden58. In diesem Fall wäre das ausländische (staatliche) Allgemeinrechtsgut wieder unabhängig zu betrachten mit der Folge, dass sich die Frage, ob es in den Schutzbereich des deutschen Straftatbestands einbezogen wird, allein nach den für ausländische Allgemeinrechtsgüter geltenden Regeln richtet59. Grundsätzlich gesondert betrachtet werden muss demgegenüber das Hausrecht i. S. d. § 123 Abs. 1 4. Fall StGB, wenn es einem ausländischen öffentlichen Träger zuzuordnen ist60. Denn § 123 Abs. 1 StGB (Hausfriedensbruch) stellt keinen Straftatbestand mit doppeltem Schutzzweck in dem Sinne dar, dass er gleichzeitig ein Individual- sowie ein Allgemeinrechtsgut schützt und sich der Schutz des ausländischen Allgemeinrechtsguts demnach als notwendige Konsequenz aus dem völkerrechtlichen Individualrechtsgüterschutz ergeben könnte. Vielmehr variiert die Rechtsgutsnatur des durch § 123 Abs. 1 StGB geschützten Hausrechts je nachdem, welche Örtlichkeit i. S. d. § 123 Abs.  1 StGB betroffen ist. In Bezug auf Räumlichkeiten, die zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind i. S. d. § 123 Abs. 1 4. Fall StGB, ist das Hausrecht als öffentlich und damit als (staatliches) Allgemeinrechtsgut einzuordnen, während hinsichtlich der anderen in § 123 Abs.  1 StGB genannten Örtlichkeiten das Hausrecht privater Natur ist und somit ein Individualrechtsgut darstellt61. Letzteres ist nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard unabhängig von der Nationalität seines Trägers geschützt. Ob das öffentliche Hausrecht i. S. d. § 123 Abs. 1 4. Fall StGB im Fall seiner Auslandseigenschaft in den Schutzbereich des § 123 Abs. 1 StGB einbezogen wird, beurteilt sich hingegen immer unabhängig davon, nach den für staatliche Allgemeinrechtsgüter allgemein geltenden Regeln62. Denn das Hausrecht ist, je nach konkretem Tatobjekt, alternativ, also entweder als Individualrechtsgut oder als Allgemeinrechtsgut zu qualifizieren. Es liegt gerade kein paralleler „doppelter“ Schutz eines Individual- und eines Allgemeinrechtsguts vor. Folglich kann im Fall der Auslandseigenschaft des öffentlichen Hausrechts sein Schutz nicht als „conditio sine qua non“ auf den Schutz eines aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards schlechthin erfassten Individualrechtsguts begründet werden63. 58 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 195 Fn. 19. 59 Vgl. 4. Kap. C. II. und III. 60 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56. 61 NK/Ostendorf, § 123, Rn. 10; Haak, DVBl. 1968, S. 134, 135; BeckOK/Rackow, § 123, Rn.  4; die h. M. (OLG Köln NJW 1982, S.  2740, 2741; Fischer, § 123, Rn.  2; Schönke/­ Schröder/Sternberg-Lieben, § 123, Rn. 1; MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 123, Rn. 1; LK/Lilie, § 123, Rn. 1) sieht dagegen im Schutzgut „Hausrecht“ wohl ausschließlich ein Individualrechtsgut, vgl. 3. Kap. B. II. 1. 62 Vgl. 4. Kap. C. II. 63 Vgl. aber zur Einbeziehung des öffentlichen Hausrechts in den Schutzbereich des § 123 Abs. 1 4. Fall StGB aufgrund völkerrechtskonformer Auslegung (Art. 22 Abs. 2 Wiener Diplomatenrechtskonvention) NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

Schließlich muss unterschieden werden zwischen der Koexistenz eines Individualrechtsguts und eines Allgemeinrechtsguts innerhalb eines Tatbestands mit doppeltem Schutzzweck und einem kollektiven Allgemeinrechtsgut als alleiniges Schutzgut einer Vorschrift, wenn Letzteres, wie dies insbesondere bei den Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern der Fall ist, gerade nicht als Summe mehrerer gleichartiger Individualrechtsgüter nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard schlechthin durch das deutsche Strafrecht geschützt wird, sondern aufgrund des diese verbindenden, kollektiven Elements als ein kollektives Allgemeinrechtsgut (mit Individualbezug) zu qualifizieren ist. Diesem Allgemeinrechtsgut kann der Schutz durch das deutsche Strafrecht jedenfalls nicht schon auf Basis des völkerrechtlichen Mindeststandards zugesprochen werden.

II. Kein Schutz ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter Dagegen gelten ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter als grundsätzlich nicht in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften einbezogen64. Zur Begründung wird angeführt, die durch das deutsche Strafrecht geschützten staatlichen Rechtsgüter seien meist „ganz eng mit den Eigenarten des deutschen staatlichen Aufbaus, der deutschen Rechtsorganisation oder Rechtsstruktur, den deutschen kulturellen, sozialen oder sittlichen Verhältnissen verbunden, so daß sie inhaltlich nicht auf entsprechende ausländische Güter übertragen werden können“65 und die sie schützenden Straftatbestände demnach nicht auf entsprechende ausländische Interessen anwendbar seien66. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang auf die originäre Funktion des deutschen Strafrechts, das „als innerstaatliches Ordnungsrecht in erster Linie zum Schutz inländischer Belange berufen ist“67. Die Schutzwürdigkeit staatlicher Rechtsgüter fremder Staaten hänge von deren Integrität und Verfasstheit als dem deutschen Staat entsprechendes freiheitlichdemokratisches Gemeinwesen ab68. Ob eine Hoheitsgewalt und ihre Belange derart beschaffen sind, dass man sie mit Mitteln des deutschen Strafrechts schützen

64 BGHSt 22, 282, 285; 29, 85, 89; BGH NStZ 1984, S. 360, 361; Oehler, JR 1980, S. 485; ders., IntStR, Rn. 233, 778 ff.; ders., Mezger FS, S. 83, 98; Schröder, JZ 1968, S. 241, 244; ders., NJW 1968, S. 283; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 10; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 277; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 58; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Satzger, Vor §§ 3–7, Rn.  9; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn.  34; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 34; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 5; Satzger, IntStR, S. 94. 65 Oehler, JR 1980, S. 485. 66 Oehler, Anm.  zu OLG Karlsruhe JR 1978, S.  381, 382; ders., JR 1980, S.  485; ders., IntStR, Rn. 233, 778 ff.; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76. 67 BGHSt 22, 282, 285; ähnlich BGHSt 29, 85, 88 f. 68 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 58; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 35.

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sollte, habe jedoch auch außenpolitische Bedeutung69. Der internen Staatsgewalt könnten diesbezügliche Entscheidungen nicht überantwortet werden70. Dieser Linie folgt der BGH, wenn er zudem feststellt, die Schutzbereichserweiterung bestimmter deutscher Straftatbestände auf eine ausländische Staatsgewalt und Souveränität könne der betroffene Staat sogar als Verletzung seiner Staatshoheit werten71. Dementsprechend kann bereits dem Wortlaut zahlreicher deutscher Strafbestimmungen eine Schutzbereichsbeschränkung auf inländische staatliche Allgemeinrechtsgüter entnommen werden. Hierzu sind die Staatsschutzdelikte der §§ 80 ff. StGB zu zählen, die aufgrund ihrer expliziten Inbezugnahme der Bundesrepublik Deutschland als in der Regel auf den Schutz der innerstaatlichen Rechtsgüter beschränkt gelten72. Gleiches ist für diejenigen Strafvorschriften anzunehmen, die die ausdrücklich auf das deutsche Recht beschränkten Tatbestandsmerkmale des Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, des Richters i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB oder des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB enthalten, wie § 113 StGB73, § 120 Abs. 2 StGB74, § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB75 oder § 258a StGB76. Darüber hinaus werden aber auch neutral formulierte Normen, deren Wortlaut keine ausdrückliche Inlandsbeschränkung enthält, als im Grundsatz ausschließ 69

Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 35. Schröder, JZ 1968, S. 241, 244; Oehler, Mezger FS, S. 83, 99; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 58; Hecker, EuStR, § 2, Rn.  5; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn.  35; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 34; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 277, ferner Rn. 301 zu den §§ 153 ff. StGB. 71 BGHSt 22, 282, 285; 29, 85, 89; diese Argumentation wird jedoch für missverständlich erklärt insofern, als einer Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände völkerrechtliche Grundsätze nicht entgegenstehen. Im Gegenteil könne ein derartiger Rechtsgüterschutz gerade im Interesse des ausländischen Staats liegen (Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 135; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 58; ähnlich Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 96 f.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 124). Diese Auffassung bestätigt § 89a StGB, vgl. 5. Kap. A. I. 1. 72 Schröder, NJW 1968, S.  283; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn.  36; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn.  9; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  295; MüKo/­ Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  76; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn.  9; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn.  34;­ Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 123; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 5; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 28. 73 OLG Hamm JZ 1960, S.  576 mit zust. Anm.  Schröder; ders., NJW 1968, S.  283; NK/ Böse, Vor § 3, Rn. 57; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 9; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 295; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 5; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  69; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29. 74 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 295. 75 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 295. 76 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 295. 70

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

lich die deutschen staatlichen Interessen schützend ausgelegt77, wie § 120 Abs. 1 StGB78, § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB79, § 123 Abs. 1 4. Fall StGB80, § 132 StGB81, § 133 StGB82, § 136 StGB83, § 145d StGB84, die §§ 153 ff. StGB85, § 258 StGB86, § 261 StGB87, § 264 Abs. 1 bis 6 i. V. m. Abs. 7 Nr. 1 StGB88 sowie § 370 i. V. m. § 1 Abs. 1 AO89.

77 Während LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  296, im Hinblick auf den tradierten Auslegungsgrundsatz mit dem Sinn und Zweck besagter Vorschriften argumentieren, soll nach NK/Böse, Vor § 3, Rn. 58, aus dem Gesetzeswortlaut derjenigen Tatbestände mit expliziten Beschränkungen auf innerstaatliche Rechtsgüter auf den gesetzgeberischen Willen geschlossen werden können, staatliche Rechtsgüter anderer Nationen auch aus dem Schutzbereich neutral formulierter Strafvorschriften auszunehmen. 78 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 297; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69 f.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29; nicht zwischen der Wortlautauslegung des § 120 Abs.  2 StGB und der teleologischen Auslegung des § 120 Abs. 1 StGB differenzierend Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9. 79 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 297; nicht zwischen der Wortlautauslegung des § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB und der teleologischen Auslegung des § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB differenzierend Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36. 80 OLG Köln NJW 1982, S. 2740; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 56. 81 OLG Stuttgart NStZ 2007, S. 527, 528; Schröder, NJW 1968, S. 283; Schönke/­Schröder/ Sternberg-Lieben, § 132, Rn.  1; LK/Krauß, § 132, Rn.  13; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn.  9; ders., § 132, Rn.  4; MüKo/Hohmann, § 132, Rn.  8; SK/Rudolphi/Stein, § 132, Rn.  5; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 155. 82 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 133, Rn. 1/2; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 9; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 68. 83 NK/Böse, Vor § 3, Rn.  59; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn.  9; Lackner/Kühl, § 136, Rn.  1; BeckOK/Heuchemer, § 136, Rn. 1. 84 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 59; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 9; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Lackner/Kühl, Vor § 3, Rn.  9; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  297; Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9; SK/Rogall/Rudolphi, § 145d, Rn. 2; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29. 85 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  301; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  76; Schönke/­ Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36; BeckOK/Kudlich, § 153, Rn. 1; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn.  9; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  59; Lüttger, Jescheck FS, S.  121, 159 ff.; Schröder, JZ 1968, S. 244; a. A. SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 35. 86 NK/Böse, Vor § 3, Rn.  59; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn.  76; MüKo/Cramer/Pascal, § 258, Rn. 3; Lackner/Kühl, Vor §§ 3–7, Rn. 9; dies., § 258, Rn. 1; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 297; LK/Walter, § 258, Rn. 16; BeckOK/Ruhmannseder, § 258, Rn. 2; Schönke/Schröder/ Stree/Hecker, § 258, Rn. 1; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 29. 87 MüKo/Neuheuser, § 261, Rn.  7; Lackner/Kühl, § 261, Rn.  1; BeckOK/Ruhmannseder, § 261, Rn. 6. 88 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57. 89 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 57; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 76; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 69.

C. Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften

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III. Schutz ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter? 1. Problemaufriss Eine entsprechend tradierte Aussage über die Einbeziehung ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände lässt sich hingegen nicht ausmachen. Vielmehr erfolgt bei der Erörterung der Schutzbereichsproblematik nicht selten eine generelle Betrachtung ausländischer Allgemeinrechtsgüter ohne Differenzierung zwischen staatlichen und kollektiven Interessen90. Eine Ablehnung des Schutzes ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter durch deutsche Strafvorschriften wird deshalb oft mit den oben dargestellten, primär den Ausschluss ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter rechtfertigenden Ansätzen begründet91. Diese Vorgehensweise spiegelt die grundsätzlichen Schwierigkeiten einer eindeutigen Typisierung speziell der kollektiven Allgemeinrechtsgüter wider und der damit verbundenen Möglichkeit, für diese Rechtsgutsgruppe allgemeingültige Kriterien aufzustellen92. 2. Lösungsansätze Die Rechtsprechung formuliert zwar über diejenigen Aussagen, die sich konkret auf staatliche Allgemeinrechtsgüter beziehen, hinaus im Allgemeinen als Voraussetzung für einen Einschluss ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich nationaler Straftatbestände, die betreffenden Rechtsgüter müssten allen zivilisierten Staaten gemeinsam sein93. Ein weiterer, ähnlich genereller Ansatz lautet, „das deutsche Strafrecht schützt ausländische Rechtsgüter, wenn es sich um allgemeine Kulturgüter handelt, die inhaltlich mit den entsprechenden inländischen Rechtsgütern übereinstimmen“94. Auch wenn kollektiven Rechtsgütern als Rechtsgüter der Gesellschaft die Fähigkeit, jene Voraussetzungen zu erfüllen, nicht schlechthin abzusprechen ist, kann besagten Formeln jedoch kein allgemeingültiger Grundsatz für die Einbeziehung speziell ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter entnommen werden95.

90 Lüttger, Jescheck FS, S.  121, 176 ff.; LK/Werle/Jeßberger, Vor 3, Rn.  274 ff.; MüKo/­ Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 75 ff.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 10 ff. 91 Vgl. hierzu eingehend Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 36 ff. 92 So auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 33 f.; vgl. 3. Kap. B. III. und IV. 93 BGHSt 8, 349, 355 ff.; 21, 277, 280; OLG Saarbrücken NJW 1975, S.  506, 507; OLG Stuttgart NJW 1977, S. 1601, 1602; OLG Karlsruhe NJW 1978, S. 1754, 1755. 94 Reschke, Schutz ausländischer Rechtsgüter, S. 89. 95 Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 39.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

In der Literatur wird außerdem der Versuch unternommen, entsprechend der vorgeschlagenen Grenzziehung zwischen kollektiven Allgemeinrechtsgütern, die Individualinteressen nahe stehen und staatlichen Allgemeinrechtsgütern96, zwischen dem Schutz ausländischer „individualrechtsgutsbezogener“ kollektiver Allgemeinrechtsgüter und ausländischer „staatsbezogener“ kollektiver Allgemeinrechtsgüter zu unterscheiden. Nach Böse sollen diejenigen ausländischen kollektiven Allgemeinrechtsgüter, die einen erkennbar engen Bezug zu ihrem Staat und seinen Institutionen auf­ weisen, nicht in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände einbezogen werden können97. Auf sie griffen die Bedenken durch, die den einen Schutz ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter verneinenden Grundsatz substantiieren98. So gilt etwa die ausländische öffentliche Ordnung wegen ihres engen Bezugs zu dem jeweiligen Staatsapparat als nicht vom Schutzbereich der §§ 125 ff. StGB erfasst99. Entsprechend argumentiert werden kann im Hinblick auf die staatlichen Allgemeinrechtsgüter mit kollektivem Bezug100. Aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe zum Staat und seinen Einrichtungen weisen diese eine überwiegend staatliche Prägung auf, so dass im Fall ihrer Auslandseigenschaft eine Einbeziehung in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände regelmäßig zu verneinen sein wird. Insofern also die Rechtsgüter der §§ 108e StGB, 132 StGB, 133 StGB, 153 ff. StGB und 331 ff. StGB nicht bereits als „rein“ staatliche Allgemeinrechtsgüter und die sie schützenden Tatbestände deshalb als grundsätzlich nicht auf entsprechende ausländische Interessen anwendbar eingeordnet wurden101, muss eine Einbeziehung im Fall ihrer Auslandseigenschaft im Grundsatz abgelehnt werden, auch wenn besagten Schutzgütern ein Vertrauenselement und damit ein gewisser aber eben verhältnismäßig schwacher und damit in den Hintergrund tretender Individualbezug zuzusprechen ist102. Als taugliches Schutzgut deutscher Strafvorschriften werden dagegen diejenigen ausländischen kollektiven Allgemeinrechtsgüter qualifiziert, die eine enge Verbindung zu Individualinteressen aufweisen. Bilde das kollektive Allgemeinrechtsgut nicht mehr als ein Sinnbild für hinter ihm stehende, es konstituierende Individualrechtsgüter und seien Letztere derart augenscheinlich, müsse das kollektive Allgemeinrechtsgut im Fall seiner Auslandseigenschaft vom Schutzbereich deutscher Straftatbestände erfasst sein103. Für dieses wirkt dann der völkerrecht 96

Vgl. 3. Kap. B. IV. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60. 98 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66. 99 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60. 100 Vgl. 3. Kap. B. III. 2. 101 Vgl. 4. Kap. C. II. 102 a. A. bezüglich §§ 153 ff. StGB SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 35. 103 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 35; Satzger, IntStR, S. 95. 97

C. Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften

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liche Mindeststandard. Als dementsprechende „Chiffre“104 für Individualrechtsgüter werden die als Mischformen zwischen Individualrechtsgütern und kollektiven Allgemeinrechtsgütern vorgestellte öffentliche Sicherheit im Fall ihrer Auslandseigenschaft als durch § 125 StGB105 sowie die Sicherheit des Straßenverkehrs im Ausland durch die §§ 21 ff. StVG106 geschützt angesehen107. In diesem Zusammenhang gelten zudem, aufgrund ihrer mittelbar individualschützenden Funktion, die Sicherheit und Zuverlässigkeit des ausländischen Rechts- beziehungsweise Beweisverkehrs mit Urkunden durch die Urkundenfälschungstatbestände der §§ 267 ff. StGB108, das im Ausland bestehende Nutzungsinteresse der Allgemeinheit an den in § 304 StGB aufgeführten Gegenständen109 sowie die soziale Leistungsfähigkeit des den Allgemeininteressen dienenden ausländischen Versicherungswesens durch § 265 StGB und das Funktionieren des­ ausländischen Kreditwesens durch § 265b StGB als geschützt110. Dieser mittelbare Individualbezug ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter wird jedoch in mancher Hinsicht für eine Begründung ihrer Einbeziehung 104

Satzger, IntStR, S. 95. OLG Celle JR 2002, S. 33, 34; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Satzger, IntStR, S. 95; dagegen den Schutz der kollektiven Allgemeinrechtsgüter durch § 125 StGB als „conditio sine qua non“ auf den Schutz durch § 125 StGB ebenso erfasster Individualrechtsgüter zurückführend Hoyer, Anm. zu OLG Celle JR 2002, S. 34, 36; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 80; Schönke/Schröder/ Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36. 106 BGHSt 8, 349, 355; 21, 277, 281; OLG Karlsruhe NJW 1985, S. 2905; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; Satzger, IntStR, S. 95; dagegen den Schutz der kollektiven Allgemeinrechtsgüter durch § 316 StGB als „conditio sine qua non“ auf den Schutz durch § 316 StGB ebenso erfasster Individualrechtsgüter zurückführend MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 83; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 37; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 312; Fischer, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ausschließlich auf den Individualrechtsgüterschutz abstellend SK/Hoyer, Vor § 3, Rn. 33. 107 Obwohl ihre Qualifizierung als kollektive Allgemeinrechtsgüter hochumstritten ist [vgl. 3. Kap. B. III. 1.], werden die Rechtsgüter der öffentlichen Sicherheit sowie der Sicherheit des Straßenverkehrs in dieser Untersuchung als kollektive Allgemeinrechtsgüter anerkannt in Anbetracht der Tatsache, dass, würde ihnen der kollektive Charakter abgesprochen, sie als Individualrechtsgüter aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards gleichwohl strafrechtlichen Schutz genießen. 108 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; i.E. BGHSt 18, 333, 334 (zu § 279 StGB); Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  207 ff.; Lackner/Kühl, § 267, Rn. 1. Besondere Beachtung verdient allerdings § 271 StGB aufgrund seines systematischen Zusammenhangs mit § 348 StGB, der wegen seiner Wortlautgrenze auf den Schutz der innerstaatlichen Rechtsgüter beschränkt ist, vgl. Satzger, Europäisierung, S. 579 ff.; insofern differenzierend auch NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 310; Satzger/ Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 9; Hecker, EuStR, § 10 Rn. 70 ff.; Wabnitz/­ Janovsky/Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 8 f. 109 NK/Böse, Vor § 3, Rn.  60; differenzierend Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn.  36; a. A. LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 298. 110 BGH wistra 1993, S. 224, 225 (zu § 265 StGB a. F.); NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60; i.E. auch Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn.  7 (zu den §§ 264a, 265b StGB); a. A. OLG Stuttgart NStZ 1993, S. 545; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 212 f. 105

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften für nicht ausreichend erachtet. So zieht Satzger den Schutz der Funktionsfähigkeit des nichtdeutschen Versicherungs- und Kreditwesens durch die §§ 265, 265b StGB aufgrund ihrer nur mittelbaren Rückführbarkeit auf eine individualschützende Komponente in Zweifel111. In der Tat stellt sich die Frage, wie eng der Bezug eines kollektiven Allgemeinrechtsguts zu Individualinteressen sein muss, um im Fall seiner Auslandseigenschaft einen Schutz durch das deutsche Strafrecht im Hinblick auf eben diese schlechthin in den Schutzbereich einbezogenen Individualrechtsgüter rechtfertigen zu können, wann ein kollektives Allgemeinrechtsgut als „Chiffre“ für hinter ihm stehende Individualrechtsgüter und deshalb als ausländisches Rechtsgut als durch das deutsche Strafrecht geschützt qualifiziert werden kann und wann „nur“ ein mittelbarer Zusammenhang mit Individualinteressen gegeben ist und im Fall dessen, wann dieser mittelbare Bezug für die Begründung seines Schutzes durch die nationalen Strafvorschriften ausreicht und wann nicht112. Diese Abgrenzungsproblematik lässt sich wiederum mit der Tatsache erklären, dass im Endeffekt jedes Rechtsgut auf den Einzelnen als Begünstigten rückführbar ist, was, wie gesehen, auch für die staatlichen Allgemeinrechtsgüter gilt, die nach dem traditionellen Grundsatz im Fall ihrer Auslandseigenschaft nicht vom Schutz der deutschen Strafrechtsordnung erfasst werden113. Nichtsdestotrotz ist den vorliegend genannten kollektiven Allgemeinrechtsgütern im Gegensatz zu staatlichen Allgemeinrechtsgütern ein eindeutig engerer Bezug zum Individuum zu bescheinigen. So darf auch dem ausländischen Versicherungs- und Kreditwesen eine Schutzbedürftigkeit durch die §§ 265, 265b StGB jedenfalls nicht mit dem Argument abgesprochen werden, diese seien eher dem fremden Staat und seinen Institutionen zuzuordnen. Insofern erscheint zur Beantwortung der Frage, inwieweit ausländische kol­ lektive Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften einbezogen werden, eine Differenzierung danach, ob der Bezug des betreffenden kollektiven Allgemeinrechtsguts zu Individualinteressen oder aber zu dem eigenen Staatsapparat intensiver ist, der richtige Ansatzpunkt, zumal so der Schwierigkeit Rechnung getragen wird, speziell die kollektiven Allgemeinrechtsgüter einerseits von Individualrechtsgütern, andererseits von staatlichen Allgemeinrechtsgütern abzugrenzen. Aufgrund eben dieses fließenden Übergangs zwischen Individualrechtsgütern, kollektiven und staatlichen Allgemeinrechtsgütern ist einem 111

Satzger, IntStR, S. 95. In diesem Zusammenhang vermag auch die Abgrenzung zu denjenigen kollektiven Allgemeinrechtsgütern Probleme zu bereiten, die als „conditio sine qua non“ auf den Schutz durch denselben Tatbestand gleichwertig geschützter Individualrechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften einbezogen werden, was wiederum davon abhängt, ob man durch einen Straftatbestand ein kollektives Allgemeinrechtsgut sowie gleichwertig daneben ein Individualrechtsgut oder eben (vorrangig) nur ein kollektives Allgemeinrechtsgut als geschützt ansieht, vgl. MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 79, sowie 4. Kap. C. I. 113 Vgl. 3. Kap. B. IV. 112

C. Grundsätze zur Schutzbereichsbestimmung deutscher Strafvorschriften

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kollektivrechtsgutsspezifischen, allgemeinen Grundsatz die einzelfallabhängige Entscheidung, ob ein kollektives Allgemeinrechtsgut im Fall seiner Auslandseigenschaft vom deutschen Strafrecht zu erfassen ist, entsprechend seines individuellen Gehalts vorzuziehen. Wobei gleichwohl die in der Tat bestehenden traditionellen Grundsätze zur Behandlung von ausländischen Individualrechtsgütern wie auch von ausländischen staatlichen Allgemeinrechtsgütern Beachtung finden.

IV. Zwischenfazit Vorliegender Problemaufriss zeigt: Die grundlegende Frage, inwieweit ausländische Rechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände einzubeziehen sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Vielmehr erlangt für die Schutzbereichsbestimmung eines Straftatbestands die Einordnung seiner Schutzgüter als Individualrechtsgut, kollektives oder staatliches Allgemeinrechtsgut maßgebliche Bedeutung. Individualrechtsgüter sind aufgrund des völkerrechtlichen „minimum standard of justice“ immer in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften einbezogen. Ihre Betrachtung kann deshalb im weiteren Verlauf der Untersuchung vernachlässigt werden. Dagegen gelten ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter mit ihrem intensiven Bezug zu dem eigenen Staatsapparat und der von diesem verkörperten staatlichen Souveränität als grundsätzlich nicht durch das deutsche Strafrecht geschützt. Problematisch gestaltet sich dagegen, eine ähnlich allgemeingültige Aussage über die Schutzbereichsbestimmung bei Tatbeständen zum Schutz von kollektiven Allgemeinrechtsgütern zu treffen, was in der generellen Schwierigkeit begründet liegt, insbesondere diese Rechtsgutsgruppe einheitlich zu typisieren und einerseits von den generell geschützten Individualrechtsgütern, andererseits von den nach obigem Grundsatz nicht erfassten staatlichen Allgemeinrechtsgütern abzugrenzen. Jedoch ist auch bezüglich der kollektiven Allgemeinrechtsgüter für die Frage, inwieweit diese im Fall ihrer Auslandseigenschaft in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften einbezogen werden, entsprechend der traditionellen Grundsätze zur Behandlung von Individualrechtsgütern einerseits und staatlichen Allgemeinrechtsgütern andererseits bedeutsam, ob ihr Bezug zum Individuum oder zu dem jeweiligen Staatsapparat intensiver ist. Speziell im Hinblick auf die Frage, wann ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter durch das deutsche Strafrecht zu schützen sind, zeigt sich aber bereits, dass diese nur angemessen beantwortet werden kann, wenn für jedes betroffene Rechtsgut individuell entschieden wird.

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4. Kap.: Der Schutz ausländischer Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht

D. Der Grundsatz der individuellen Auslegung Da es mithin nicht möglich ist, trotz der bestehenden traditionellen Grundsätze die Frage, inwieweit ausländische Rechtsgüter in den Schutzbereich des deutschen Strafrechts einbezogen werden, umfassend beantworten zu können, kommt der von der herrschenden Meinung gleichwohl vertretenen Notwendigkeit, jede deutsche Strafvorschrift im Wege einer individuellen Auslegung daraufhin zu über­ prüfen, ob sie nur inländische oder auch ausländische Rechtsgüter erfasst114, entscheidende Bedeutung zu. Hierbei sind die traditionellen Auslegungsmethoden heranzuziehen, namentlich die grammatikalische beziehungsweise Wortlautauslegung, die systematische, historische und teleologische Auslegung115. Dem Normtext der meisten deutschen Straftatbestände lässt sich kein expliziter Auslandsbezug entnehmen. Eine diesbezügliche Auslegung mit primärer Anknüpfung an ihren Wortlaut ist somit nicht möglich. Die Frage, ob diese neutral formulierten Vorschriften auch ausländische Rechtsgüter in ihren Schutzbereich einbeziehen, muss vielmehr nach ihrem Sinn und Zweck beantwortet werden. Insoweit werden sie für eine entsprechende teleologische116 Auslegung für „offen“ erklärt117. Leichter zu beantworten erscheint dagegen die Schutzbereichsweite derjenigen deutschen Straftatbestände, die einen expliziten Auslandsbezug beinhalten, sei es innerhalb der Strafnorm selbst oder durch ein diese ergänzendes Gesetz. Dieser Auslandsbezug muss als im Gesetzeswortlaut fixierter Wille des Gesetzgebers bei der Auslegung betreffender Straftatbestände unbedingte Beachtung finden118. Der mögliche Wortsinn einer Strafnorm markiert dabei die äußerste Grenze der zulässigen richterlichen Auslegung119. Der Entstehungsgeschichte einer Norm kann dagegen in der Regel nur insoweit Bedeutung zugestanden werden, als sie die

114 BGHSt 20, 45, 51 ff.; 21, 277, 280; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 132; LK/Gribbohm, Vor § 3, Rn 161; Oehler, JR 1980, S. 485; Nowakowski, JZ 1971, S. 633, 634; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 71 ff.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 21; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 4. 115 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 129 f. 116 LK/Gribbohm, Vor § 3, Rn. 176; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 75; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 31. 117 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 132; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S.  31; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 14. 118 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 278; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 124, 177, der im Hinblick dessen die Schutzbereichserweiterung nationaler Straftatbestände auf ausländische Allgemeinrechtsgüter i.E. auf jene Vorschriften beschränken möchte, die einen ausdrücklichen Auslandsbezug aufweisen. 119 BVerfGE 71, 108, 115; 73, 206, 235; BGHSt 4, 144, 148.

D. Der Grundsatz der individuellen Auslegung

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Richtigkeit eines bereits gewonnenen Auslegungsergebnisses bekräftigt oder noch bestehende Zweifel behebt120. Welche ausländischen Allgemeinrechtsgüter aufgrund des wörtlichen Auslandsbezugs der jeweiligen Strafvorschrift konkret in den Schutzbereich einbezogen werden und im Hinblick auf die Thematik dieser Arbeit, inwieweit speziell Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten den Schutz durch das deutsche Strafrecht genießen, ist wiederum für jeden Einzelfall gesondert zu ermitteln. Indes werden die folgenden Ausführungen zeigen, dass jene expliziten, insbesondere aufgrund aktueller Gesetzesänderungen erfolgten Schutzbereichserweiterungen auf ausländische Allgemeinrechtsgüter eine dynamische Auslegung neutraler Straftatbestände indizieren. Diese dynamische Auslegung ist ambivalent: So kann eine im Gesetzeswortlaut verankerte Erweiterung eines Straftatbestands auf bestimmte ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter als ausdrücklich durch den Gesetzgeber legitimierte Ausnahme gewertet werden, die im Umkehrschluss bezüglich neutral gefasster Straftatbestände eine restriktive Auslegung gebietet, die sich dem traditionellen Grundsatz gemäß auf den innerstaatlichen Strafschutz beschränkt121. Dagegen deuten andere explizite Schutzbereichserweiterungen einen Paradigmenwechsel an, wenn ihre Wertung die Grundlage bildet für eine dynamische, die tradierten Grundsätze relativierende Auslegung neutraler Straftatbestände122.

120

BVerfGE 11, 126, 130; 20, 238, 253; 59, 128, 153; 64, 261, 275; BGHSt 8, 294, 298; 11, 52, 53. 121 Vgl. 5. Kap. A. I. 6. sowie 6. Kap. D. VI. 7. 122 Vgl. 5. Kap. C. I. 1., 3., 4. und 6. Kap. D. IV. 2. bis 4. sowie VI. 1. bis 6. und 8. bis 10.

5. Kapitel

Die ausdrückliche Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

A. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf ausländische Allgemeinrechtsgüter A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

I. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter 1. §§ 89a, 89b, 91 StGB Als Ausdruck eines gesetzgeberischen Sinneswandels im Hinblick auf die Einbeziehung ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände, könnten bereits die §§ 89a, 89b, 91 StGB gewertet­ werden. § 89a StGB stellt die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe. Als primär von der Vorschrift geschützt gelten die in ihrem Abs. 1 S. 2 aufgeführten Staatsschutzrechtsgüter1, sprich der Bestand und die Sicherheit von Staaten und internationalen Organisationen sowie die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik2. Entsprechend werden die Rechtsgüter des § 89b StGB3 (Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) sowie des § 91 StGB4 (Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) bestimmt. Nur zudem, mittelbar, sofern zugleich die be 1

BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 89a, Rn. 3a; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89a, Rn. 1g. 2 MüKo/Schäfer, § 89a, Rn. 3; Fischer, § 89a, Rn. 5; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 89a, Rn. 3a; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89a, Rn. 1g; kritisch aber i.E. wohl auch NK/ Paeffgen, § 89a, Rn. 8 ff.; Lackner/Kühl, § 89a, Rn. 2. 3 Fischer, § 89b, Rn. 2, § 89a, Rn. 5; MüKo/Schäfer, § 89b, Rn. 6 („Bestand sowie die äußere und innere Sicherheit eines Staates“); BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 89b, Rn. 2 („‚Staatsschutzrechtsgüter‘“); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89b, Rn. 1 („Bestand und Sicherheit eines Staates und der Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland“); NK/­ Paeffgen, § 89b, Rn. 3 („Staatschutz-Rechtsgüter[n]“). 4 MüKo/Schäfer, § 91, Rn. 4; Fischer, § 91, Rn. 2, § 89a, Rn. 5; Schönke/Schröder/Sternberg-­ Lieben, § 91, Rn. 1; NK/Paeffgen, § 91, Rn. 4 („Ungestörtheit der Sicherheit eines Staates, den Bestand der Verfassung“); Lackner/Kühl, § 91, Rn. 1.

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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sagten staatlichen Allgemeinrechtsgüter tangiert sind, werden die von den §§ 211, 212, 239a und 239b StGB umfassten Individualrechtsgüter potentieller Opfer vorbereiteter Gewalttaten als durch die §§ 89a5, 89b6 und 917 StGB geschützt angesehen. Die Gegenansicht8, die von einem primären Schutz dieser Individualrechtsgüter ausgeht, vermag bereits in Anbetracht des expliziten Staatsschutzbezugs in der Staatsschutzklausel des § 89a Abs. 1 S. 2 StGB9 sowie der systematischen Stellung der Vorschriften im ersten Abschnitt des Besonderen Teils des Straf­ gesetzbuchs10 nicht zu überzeugen. Wie dargelegt, werden durch die im ersten und zweiten Abschnitt des Besonderen Teils des StGB normierten Delikte gemeinhin staatliche Allgemeinrechtsgüter geschützt11. Konkret gewährleisten die §§ 89a, 89b und 91 StGB gemäß § 89a Abs. 1 S. 2 StGB den Bestand und die Sicherheit „eines Staates“. Der Normwortlaut öffnet insoweit den Schutzbereich besagter Vorschriften für alle 193 Staaten dieser Erde12. Die Integrität eines jeden Staats, ungeachtet seiner rechtsstaatlichen Verfasstheit, als schutzwürdig anzusehen, wird jedoch für den deutschen Staat als demokratischer Rechtsstaat nachvollziehbar als problematisch erachtet. In dieser Hinsicht wäre es ausreichend gewesen, § 89a StGB auf die Bundesrepublik und gegebenenfalls die EU-Mitgliedstaaten beziehungsweise die NATO-Vertragspartner zu beschränken13. Dass die §§ 89a, 89b und 91 StGB, unabhängig von ihrem konkreten Schutzumfang, ausdrücklich auch ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich einbeziehen, steht allerdings in Widerspruch zu dem traditionellen Auslegungsgrundsatz, nach dem ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter grundsätzlich nicht durch das deutsche Strafrecht geschützt werden14. Die Abkehr von dem tradierten Grundsatz liegt in der gesetzgeberischen Motivation zur Schaffung der §§ 89a, 89b und 91 StGB begründet. Die durch das Gesetz zur Verfolgung der Vorbereitung schwerer staatsgefährdender Gewalttaten (GVVG) vom 30. Juli 200915 in das StGB eingefügten Vorschriften basieren auf Art. 7 des am 5 MüKo/Schäfer, § 89a, Rn.  3; Fischer, § 89a, Rn.  5; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 89a, Rn. 3a; NK/Paeffgen, § 89a, Rn. 7; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89a, Rn. 1g;­ Lackner/Kühl, § 89a, Rn. 2. 6 MüKo/Schäfer, § 89b, Rn.  6; Fischer, § 89b, Rn.  2, § 89a, Rn.  5; NK/Paeffgen, § 89b, Rn. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89b, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 89b, Rn. 1. 7 MüKo/Schäfer, § 91, Rn. 4; Fischer, § 91, Rn. 2, § 89a, Rn. 5; NK/Paeffgen, § 91, Rn. 4; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 91, Rn. 1; Lackner/Kühl, § 91, Rn. 1. 8 SK/Zöller, § 89a, Rn. 8. 9 MüKo/Schäfer, § 89a, Rn. 3. 10 MüKo/Schäfer, § 89a, Rn. 3; Fischer, § 89a, Rn. 5. 11 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 12 Gazeas/Grosse-Wilde/Kießling, NStZ 2009, S.  593, 595; Schönke/Schröder/SternbergLieben, § 89a, Rn. 5; MüKo/Schäfer, § 89a, Rn. 18; Fischer, § 89a, Rn. 16; NK/Paeffgen, § 89a, Rn. 8. 13 NK/Paeffgen, § 89a, Rn. 9 Fn. 4. 14 Vgl. 4. Kap. C. II. 15 BGBl. 2009 I, S. 2437.

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

1. Juli 2007 in Kraft getretenen Übereinkommens des Europarats zur Verhütung des Terrorismus vom 16. Mai 200516 sowie auf Art. 2 bis 6 und 9 des EU-Rahmenbeschlusses 2002/475/JI vom 13.  Juni 2002 zur Bekämpfung des Terrorismus17, nach denen die öffentliche Aufforderung zur Begehung einer terroristischen Straftat, die Anwerbung sowie die Ausbildung für terroristische Zwecke innerstaatlich unter Strafe gestellt werden sollen18. Zudem entspricht § 89a Abs. 2 Nr. 4 StGB den Vorgaben der Art. 2 und 4 des UN-Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 199919.20 Die §§ 89a, 89b und 91 StGB beziehen somit auch ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich ein. Mit dieser ausdrücklichen Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände erfüllt die Bundesrepublik Deutschland ihre europa- und völkerrechtliche Umsetzungsverpflichtung. 2. §§ 102 bis 104a StGB Der dritte Abschnitt des Besonderen Teils im StGB (§§ 102 bis 104a StGB) hat seiner Überschrift gemäß „Straftaten gegen ausländische Staaten“ zum Inhalt. Aufgrund dieses insoweit eindeutig formulierten Auslandsbezugs müssten die §§ 102 ff. StGB als Musterbeispiele für deutsche Strafnormen mit einer expliziten Schutzbereichserweiterung auf ausländische staatliche21 Rechtsgüter gelten22. Denn da die Straftat ihrem Wesen nach Rechtsgutsbeeinträchtigung ist23, liegt der Schluss nahe, Straftaten gegen ausländische Staaten seien wesensnotwendig solche, die ausländische Rechtsgüter erfassen. Diese Folgerung entspricht der sogenannte These vom Auslandsschutz24, die den Schutzbereich der §§ 102 bis 104a StGB auf den ausländischen Staat mit seinen Organen und Einrichtungen beschränkt, aber auch der sogenannten dualistischen These der herrschenden Lehre25, die den fremden Staat sowie das Interesse der Bundesrepublik an ungestörten zwischenstaatlichen Beziehungen in den Schutzbereich besagter Vorschriften einbezieht. 16

SEV-Nr. 196. ABl. EG 2002 Nr.  L 164, S.  3, zuletzt geändert durch Änderungsrahmenbeschluss 2008/919/JI vom 28.11.2008 (ABl. 2008 Nr. L 330, S. 21). 18 MüKo/Schäfer, § 89, Rn. 11; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 89a, Rn. 1a. 19 UN-Dok. A/RES/54/109. 20 MüKo/Schäfer, § 89a, Rn. 13; NK/Paeffgen, § 89a, Rn. 46. 21 NK/Böse, Vor §§ 3, Rn. 57; Satzger, IntStR, S. 94. 22 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 125; in diesem Sinne auch NK/Böse, Vor §§ 3, Rn. 57; Satzger, IntStR, S. 94; Mölders, Bestechung, S. 164 f. 23 Vgl. 3. Kap. A. I. 24 MüKo/Kreß, Vor §§ 102 ff., Rn. 6 ff.; Fischer, § 102, Rn. 1 ff. 25 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 125 ff.; LK/Bauer/Gmel, Vor § 102, Rn. 1; Lackner/Kühl, Vor 3. Abschn., Rn.  1; SK/Wolter/Rudolphi, Vor § 102, Rn.  2; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 102–104a, Rn. 2; Otto, StR BT, § 86, Rn. 1. 17

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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Vereinzelt wird allerdings auch ein ausschließlich nationales Interesse zum Rechtsgut der §§ 102 bis 104a StGB erklärt26. Diese Ansicht lässt sich allein im Hinblick auf die Normhistorie erklären: Die damaligen §§ 102 ff. RStGB standen noch unter der Überschrift „Feindliche Handlungen gegen befreundete Staaten“, der der Schutz nationaler Interessen an ungestörten Beziehungen zum Ausland entnommen wurde27. Diese Interpretation ist insoweit nachvollziehbar, als der Begriff „befreundete“ die Einbeziehung des Interesses Deutschlands an guten Beziehungen zu anderen Staaten in den Schutzbereich der betreffenden Vorschriften indizierte. Trotzdem vermag ein ausschließlich innerstaatliche Interessen berücksichtigendes Verständnis bereits im Hinblick auf den damaligen Überschriftswortlaut nicht zu überzeugen. Denn schon die damalige Fassung enthielt einen eindeutigen Auslandsbezug, dessen Ausdrücklichkeit zumindest auch die Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter erforderte. Das lediglich innerstaatliche Interessen erfassende Schutzgutverständnis der §§ 102 bis 104a StGB kann jedenfalls ab der Wortlautänderung der Abschnittsüberschrift durch das 3. StrÄndG vom 4. August 195328 in „Straftaten gegen ausländische Staaten“ nicht mehr aufrecht gehalten werden. Diese gebe nun ausdrücklich die Schutzrichtung des Delikts vor, wie Lüttger29 zu Recht feststellt. Der Verzicht auf das die innerstaatlichen Interessen repräsentierende Adjektiv „befreundete“ könnte sogar als Argument gegen den Schutz deutscher Interessen angeführt werden. Für die Einbeziehung ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich der §§ 102 bis 104a StGB spricht darüber hinaus das in § 104a StGB geregelte Erfordernis eines Strafverlangens der ausländischen Regierung30. Darüber hinaus wird dem völkerrechtlichen Bezug der §§ 102 ff. StGB allein durch den Schutz der besagten ausländischen Rechtsgüter Rechnung getragen. So verpflichtet das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (Wiener Diplomatenrechtskonvention)31 die Vertragsstaaten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Angriffe auf die Person, die Freiheit oder die Würde eines Diplomaten zu verhindern (Art. 29 der Konvention). Ähnlich gibt das Übereinkommen über die Verhütung, Verfolgung und Bestrafung von Straftaten gegen völkerrechtlich geschützte Personen einschließlich Diplomaten (Diplomatenschutzübereinkommen)32 den Vertragsstaaten auf, Angriffe auf völkerrechtlich geschützte Personen mit angemessenen Strafen zu bedrohen (Art. 1 Abs. 1, 2 des Übereinkommens) und damit auch die Repräsentanten ausländischer Staatsinteressen in den nationalen Strafschutz einzubeziehen. Auch wenn beide Übereinkommen 26

NK/Wohlers/Kargl, Vor §§ 102 ff., Rn. 2. Vgl. hierzu Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 125 Fn. 18 m. w. N. 28 BGBl. 1953 I, S. 735. 29 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 125. 30 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 125. 31 BGBl. 1964 II, S. 959, vgl. 4. Kap. C. I. Fn. 63. 32 BGBl. 1973 II, S. 1746. 27

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

nicht die unmittelbare Grundlage der §§ 102 ff. StGB bilden33, ist ihr für den deutschen Staat verbindlicher Inhalt in die Auslegung der nationalen Strafvorschriften einzubeziehen34. Zudem verpflichtet das klassische Völkergewohnheitsrecht einen Staat, einen auf seinem Gebiet begangenen, ihm nicht zurechenbaren Angriff von Privatpersonen auf einen der in den §§ 102 ff. StGB genannten Repräsentanten eines ausländischen Staats zu bestrafen oder den Täter an den durch die Tat geschädigten fremden Staat auszuliefern (aut dedere aut judicare), anderenfalls droht dem Gebietsstaat die völkerrechtliche Haftung35. Insoweit spiegelt die Abschnittsüberschrift der §§ 102 bis 104a StGB die gesetzgeberische Motivation wider, zu der dem Völkerrecht innewohnenden „Koordinierung der staatlichen Souveränitätssphären“36 beizutragen. Die §§ 102 bis 104a StGB beziehen somit auch ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich ein. Dieser Schutz fremder Allgemeinrechtsgüter basiert auf der Stellung des deutschen Staats in der völkerrechtlichen Staatengemeinschaft. 3. § 108e StGB Der durch das 48. StrÄndG vom 23. April 201437 neu gefasste und am 1. September 2014 in Kraft getretene § 108e StGB regelt die Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern. Die Vorschrift schützt die Sachlichkeit der Entscheidungsfindung als Voraussetzung für die als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende Funktionsfähigkeit des jeweiligen repräsentativen Systems38. Nach § 108e Abs. 1 StGB wird bestraft, wer sich als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder bestechen lässt, gemäß § 108e Abs. 2 StGB macht sich strafbar, wer einen der genannten Mandatsträger besticht. § 108e Abs. 3 StGB stellt nun einen ausdrücklichen Auslandsbezug der Bestimmung her, indem er den in § 108e Abs. 1 und 2 StGB normierten Kreis der möglichen Vorteilsempfänger gemäß Nr.  4, § 108e Abs.  1 StGB a. F. entsprechend, um die Mitglieder des Europäischen Parlaments erweitert39 sowie darüber hinaus nach Nr. 5 um die Mitglieder einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Organisation und gemäß Nr. 6 um die Mitglieder eines Gesetzgebungsorgans eines auslän 33

MüKo/Kreß, Vor §§ 102 ff., Rn. 3. Vgl. 5. Kap. B. 35 MüKo/Kreß, Vor §§ 102 ff., Rn. 2. 36 MüKo/Kreß, Vor §§ 102 ff., Rn. 8. 37 BGBl. 2014 I, S. 410. 38 MüKo/Müller, § 108e, Rn.  1; Lackner/Kühl, § 108e, Rn.  1; NK/Wohlers/Kargl, § 108e, Rn. 3; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 108e, Rn. 3, vgl. 3. Kap. B. II. 1. 39 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) aa). 34

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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dischen Staats40. Gemäß § 108e Abs. 1 und 2 StGB macht sich somit auch strafbar, wer sich als Abgeordneter des Europäischen Parlaments, als Mitglied einer parlamentarisch organisierten internationalen Organisation oder eines ausländischen Gesetzgebungsorgans bei der Wahrnehmung seines Mandats bestechen lässt beziehungsweise einen dieser Mandatsträger besticht und damit die Sachlichkeit der Entscheidungsfindung innerhalb derjenigen Institution beeinträchtigt, dem der Vorteilsempfänger angehört. Die Ausdehnung des personalen Anwendungsbereichs durch § 108e Abs. 3 StGB bewirkt somit im Fall der Nr. 4 und 5 eine Einbeziehung der Integrität und Funktionsfähigkeit des Europäischen Parlaments sowie internationaler Organisationen in den Schutzbereich des § 108e Abs.  1 und 2 StGB, die, auch wenn die Bundesrepublik beteiligt ist, keine nationalen staatlichen, sondern eigenständige und insofern ausländische überstaatliche Rechtsgüter darstellen41. § 108e Abs. 3 Nr. 6 StGB wiederum hat eine Einbeziehung ausländischer staatlicher Allgemeinrechtsgüter zur Folge, wobei jedoch wie im Fall der §§ 89a, 89b und 91 StGB die Frage gestellt werden muss, ob ein jeder ausländischer Staat dieser Erde, ungeachtet seiner rechtsstaatlichen Verfasstheit, als durch die deutsche Strafrechtsordnung schützenswert zu erachten ist42. Die Einbeziehung der betreffenden ausländischen überstaatlichen und staatlichen Rechtsgüter durch § 108e Abs. 3 Nr. 4, 5 und 6 StGB in den Schutzbereich des § 108e Abs.  1 und 2 StGB entspricht den völkerrechtlichen Grundlagen der Vorschrift. So wurden durch die Neufassung des § 108e StGB die UN-Konvention gegen Korruption vom 31. Oktober 200343 sowie das Strafrechtsübereinkommen des Europarats über Korruption vom 27. Januar 199944 umgesetzt45. Art. 16 i. V. m. Art. 2 lit. b und c des UN-Übereinkommens bestimmt, dass jeder Vertragsstaat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen hat, um die Bestechung und Bestechlichkeit von Angehörigen ausländischer Gesetzgebungsorgane oder einer internationalen Organisation in ihrem innerstaatlichen Recht mit Strafe zu belegen. Zudem gibt Art. 10 des Strafrechtsübereinkommens den Vertragsparteien auf, auch die Bestechung und Bestechlichkeit von Mitgliedern einer parlamentarischen Versammlung einer inter- oder supranationalen Organisation, der die Vertragsparteien angehören, in ihrem nationalen Recht als Straftat zu umschreiben. § 108e Abs. 3 Nr. 4 und 5 StGB bewirken demnach eine Schutzbereichserweiterung der Abs. 1 und 2 auf ausländische überstaatliche Rechtsgüter sowie § 108e Abs. 3 Nr. 6 auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter, mit der der deutsche Staat seinen völkervertraglichen Verpflichtungen nachgekommen ist.

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Vgl. zum Verhältnis des § 108e StGB zu Art. 2 § 2 IntBestG 5. Kap. A. II. 5. Vgl. zu dem Rechtsgut der Rechtspflege internationaler Organisationen im Verhältnis zum deutschen Staat Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 165 ff., sowie 3. Kap. C. und 5. Kap. A. I. 6. 42 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 43 BGBl. 2014 II, S. 763. 44 SEV-Nr. 173. 45 Fischer, § 108e, Rn. 1; SK/Sinn/Rudolphi, § 108e, Rn. 6. 41

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

4. § 132a StGB Gemäß § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB ist das unbefugte Führen inländischer, aber auch ausländischer Amts- oder Dienstbezeichnungen beziehungsweise das Tragen ausländischer Uniformen, Amtskleidungen oder Amtsabzeichen strafbewehrt. Der wörtliche Auslandsbezug der durch das Gesetz zur Änderung des StGB vom 28. Juni 193546 eingefügten Norm indiziert wiederum den Schutz eines ausländischen Rechtsguts. Auch wenn dies im Grundsatz erkannt wird47, unterbleibt meist eine konkrete Benennung des erfassten ausländischen Schutzguts. Nach herrschender Meinung dient § 132a StGB dem Schutz der Allgemeinheit vor dem Auftreten von Personen, die sich durch den nicht verdienten Gebrauch einer qualifizierten Bezeichnung oder eines qualifizierten Erscheinungsbilds den Schein besonderer Funktionen, Fähigkeiten und Vertrauenswürdigkeit geben48. § 132a StGB wird damit die Funktion zugewiesen, Verhaltensweisen im Vorfeld der Betrugskriminalität und Hochstapelei zu ahnden49. Ob diese Bestimmung als ausschließlich inländische oder auch ausländische Rechtsgüter erfassend zu verstehen ist, wird allerdings nicht deutlich. Lüttger sieht neben der inländischen Allgemeinheit das Interesse des ausländischen Staats an der Autorität seiner Titel, Amtsbezeichnungen und Uniformen als Schutzgut des § 132a StGB an und bezieht sich dabei auf den ausdrücklichen Auslandsbezug der Vorschrift50. In diesem Sinne spricht auch der BGH von dem „Interesse des betreffenden ausländischen Staates“, sieht dieses aber „nicht, jedenfalls nicht nur“ als vom Schutz des § 132a StGB umfasst an51. Teils stößt die Einbeziehung staatlicher Allgemeinrechtsgüter ausländischer Nationen auf Ablehnung mit der pauschalen Begründung, Aufgabe des deutschen Strafrechts sei es nicht, ausländische Behörden zu schützen52. Tatsächlich muss § 132a StGB aufgrund seines insofern eindeutigen Wortlauts auch ausländische Allgemeinrechtsgüter in seinen Schutzbereich einbeziehen. Denn Lüttger ist zuzustimmen, wenn er betont, neben der inländischen Allgemeinheit auch staatliche Rechtsgüter anderer Nationen als Schutzgut des § 132a StGB anzusehen, könne jedenfalls nicht das Argument entgegengehalten werden, das deutsche Strafrecht diene grundsätzlich nicht dem Schutz ausländischer staatlicher Belange53. Dieses könne schon dem vorliegend eindeutigen, im Gesetzeswortlaut manifestierten Willen des Gesetzgebers nicht Stand hal 46

RGBl. 1935 I, S. 839. Oehler, IntStR, Rn. 238; Kahle, § 132a StGB, S. 73. 48 BGHSt 31, 61, 62; 36, 277, 279; Fischer, § 132a, Rn.  2; Schönke/Schröder/Sternberg-­ Lieben, § 132a, Rn. 3; Lackner/Kühl, § 132a, Rn. 1; MüKo/Hohmann, § 132a, Rn. 1. 49 LK/Krauß, § 132a, Rn. 1; Kahle, § 132a StGB, S. 62. 50 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 172 f. 51 BGH GA 1966, S. 279. 52 Fischer, § 132a, Rn. 2; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132a, Rn. 3; vgl. 4. Kap. C. II. 53 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 173 Fn. 261. 47

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ten54. Insbesondere auch im Hinblick auf ein im deutschen Inland begangenes, unbefugtes Führen ausländischer Amts- oder Dienstbezeichnungen beziehungsweise das Tragen ausländischer Uniformen etc. ist der Einbeziehung des Interesses des betroffenen ausländischen Staats an der Autorität dieser ihm zuzuordnenden Gegenstände zuzustimmen. Der Schutzbereich des § 132a StGB umfasst somit ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter. 5. § 152 StGB Schutzgut der Geldfälschungstatbestände nach den §§ 146 ff. StGB bildet das kollektive Allgemeinrechtsgut des Allgemeininteresses an der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Geldverkehrs beziehungsweise des Verkehrs mit Wertzeichen und Wertpapieren55. § 152 StGB normiert nun die Anwendbarkeit der §§ 146 bis 151 StGB auf Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebiets. Dieser ausdrückliche Auslandsbezug hat nach einhelliger Ansicht die Ausdehnung des Schutzbereichs der §§ 146 ff. StGB auf ein ausländisches Rechtsgut zur Folge56. Konkret wird das als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende „Währungsmonopol fremder Staaten“57 genannt. Dies überzeugt, beeinträchtigt doch auch ein in Deutschland in Verkehr gebrachtes, ausländisches Falschgeld in erster Linie die Währungshoheit des betreffenden Staats58. Diese Interpretation gründet sich auf den Umstand, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Schaffung des § 152 StGB ihrer völkervertraglichen Verpflichtung aus Art. 5 des Internationalen Abkommens zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 20 April 192959, ihren Strafschutz auch auf ausländische Wert­träger zu erstrecken, nachgekommen ist60.

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Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 173 Fn. 261. Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 56 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 279; Jescheck, StR AT, § 18 III 8; Oehler, IntStR, Rn. 238, 792; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 152, Rn.  1; Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn.  12; NK/Puppe, § 152, Rn.  2; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 175; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 193. 57 NK/Puppe, § 152, Rn. 2; ähnlich Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 175 („Interesse fremder Staaten am auswärtigen Schutz ihrer jeweiligen Währung“). 58 In diesem Sinne auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 88. 59 Bekanntmachung über das internationale Abkommen zur Bekämpfung der Falschmünzerei vom 10.11.1933, RGBl. 1933 II, S. 913. 60 Lackner/Kühl, § 152, Rn. 1; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 152, Rn. 1; LK/Ruß; § 152, Rn. 1; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 174. 55

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

§ 152 StGB enthält folglich eine qualitative Schutzbereichserweiterung der ursprünglich ein kollektives Allgemeinrechtsgut umfassenden §§ 146 bis 151 StGB auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter. Diese dient der Erfüllung der aus besagtem internationalen Abkommen entstehenden völkervertraglichen Verpflichtung des deutschen Staats. 6. § 162 Abs. 1 StGB Die in den §§ 153 ff. StGB enthaltenen Aussagedelike schützen das staatliche Allgemeinrechtsgut der Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege61. § 162 Abs. 1 StGB erklärt nun die §§ 153 bis 161 StGB auch auf falsche Angaben in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht, das durch einen für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Rechtsakt errichtet worden ist, für anwendbar. Als durch einen für die Bundesrepublik aufgrund ihrer Parteistellung verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag errichtet gelten der IStGH62, der IGH63, der EGMR64, der EuGH65 und das EuG66, Gerichte, die auf einem sonstigen für Deutschland verbindlichen Rechtsakt basieren, sind der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien sowie derjenige für Ruanda67.68 Der in § 162 Abs. 1 StGB enthaltene Auslandsbezug wird gemeinhin als Schutzbereichserweiterung der §§ 153 bis 161 StGB auf die Rechtspflege der genannten Gerichte gewertet69. Denn eine Falschaussage vor einem dieser Gerichte beeinträchtigt denknotwendig auch die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege eben dieses Gerichts. Da die besagten Gerichte die Hoheitsgewalt internationaler Organisationen als eigenständige Völkerrechtssubjekte verkörpern beziehungsweise selbst internationale Organisationen darstellen, handelt es sich bei ihrer Rechtspflege gegenüber dem deutschen Staat um ein ausländisches überstaatliches Rechtsgut70. Mit besagter Schutzbereichserweiterung der §§ 153 bis 161 StGB wird die Intention der völkervertraglichen Grundlage des § 162 StGB verwirklicht. § 162 StGB 61

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. BGBl. 2000 II, S. 1393. 63 BGBl. 1973 II, S. 505. 64 EMRK vom 4.11.1950 (BGBl. 1950 II, S. 685) i. d. F. der Bekanntmachung vom 17.5.2002 (BGBl. 2002 II, S. 1054). 65 Art. 251–281 AEUV. 66 ABl. EG 1988 Nr. L 319, S. 1. 67 Kap. VII (Art. 41f) der Satzung der Vereinten Nationen. 68 Sinn, NJW 2008, S. 3526, 3527. 69 Sinn, NJW 2008, S. 3526, 3527; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 162, Rn. 2; Fischer, § 162, Rn. 2; BeckOK/Kudlich, § 162, Rn. 3; Lackner/Kühl, §§ 162, Rn. 2; Satzger/Schluckebier/ Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 10. 70 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 165 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 205. 62

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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wurde durch das Gesetz vom 31.  Oktober 200871 zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates vom 22. Dezember 2003 zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie72 eingefügt, die konkrete Verpflichtung ergibt sich jedoch aus Art. 70 Abs. 1, 4 lit. a des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 199873.74 Das Statut bildet die völkervertragliche Grundlage des IStGH, dessen Zuständigkeit drei Delikte des Völkerstrafrechts, namentlich Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, umfasst75. In seinem Art. 70 Abs. 4 lit. a i. V. m. Abs. 1 lit. a hält es die Vertragsstaaten an, ihre bestehenden Strafgesetze zur Ahndung von vorsätzlichen Falschaussagen, die in einem Verfahren vor dem IStGH im Inland oder von einem Angehörigen des Vertragsstaats im Ausland begangen werden, entsprechend anzuwenden76. § 162 Abs. 1 StGB bewirkt demnach eine Schutzbereichserweiterung der §§ 153 bis 161 StGB auf ausländische überstaatliche Rechtsgüter, mit der Deutschland seiner völkervertraglichen Verpflichtung nachgekommen ist. 7. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. b, Abs. 2 StGB (ex § 2 IStGHGleichstG) Schutzgut der in den §§ 331 ff. StGB enthaltenen Bestechungsdelikte ist die als staatliches Allgemeinrechtsgut zu bewertende Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung77. Bislang galten die §§ 331 ff. StGB für sich genommen als ausschließlich auf das innerstaatliche Allgemeinrechtsgut bezogen, da ihre ausdrücklich nach deutschem Recht zu bestimmenden Tatbestandsmerkmale des Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB, des Richters i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB sowie des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB einer Schutzbereichserweiterung auf ausländische Rechtsgüter entgegen standen78. Allerdings 71

BGBl. 2008 I, S. 2149. ABl. 2004 Nr. L 13, S. 44, aufgehoben und ersetzt m.W.v. 17.12.2011 durch Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. 2011 Nr. L 335, S. 1, berichtigt ABl. 2012 Nr. L 18, S. 7). 73 BGBl. 2000 II, S. 1393, 1448 f. 74 MüKo/Müller, § 162, Rn. 4; Sinn, NJW 2008, S. 3526, 3527; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 162, Rn. 2; Fischer, § 162, Rn. 2; BeckOK/Kudlich, § 162, Rn. 3; Lackner/Kühl, §§ 162, Rn. 2. 75 Bergmann, Handlexikon der EU, Internationaler Strafgerichtshof. 76 Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 162, Rn. 2. 77 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 78 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 301; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 36; vgl. 4. Kap. C. II. 72

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

stellte bereits § 2 des Gesetzes über das Ruhen der Verfolgungsverjährung und die Gleichstellung der Richter und Bediensteten des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGHGleichstG)79 von extern einen ausdrücklichen Auslandsbezug der §§ 331 bis 336, 338 StGB her, indem er diese auf Bestechungshandlungen für anwendbar erklärte, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder Diensthandlung bezüglich Richter, Amtsträger und sonstiger Bediensteten des IStGH beziehen. Durch das 4.  Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20.  November 201580 wurde die Gleichstellungsbestimmung des § 2 IStGHGleichstG in den neuen, am 26.  November 2015 in Kraft getretenen § 335a StGB (Ausländische und internationale Bedienstete) integriert, der die §§ 331 ff. StGB auf bestimmte Mitglieder ausländischer und internationaler Gerichte und Behörden für anwendbar erklärt81. Die Bestechlichkeit und Bestechung von Richtern des IStGH werden nunmehr von § 335a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfasst, der für die Anwendung der §§ 332 und 334 StGB auf eine Tat bezüglich einer künftigen richterlichen Handlung oder Diensthandlung einem Richter ein Mitglied eines internationalen Gerichts gleichstellt82. Die Bestechlichkeit und Bestechung von sonstigen Bediensteten des IStGH unterfallen nunmehr § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB, der insofern die Gleichstellung eines Amtsträgers und eines Bediensteten einer internationalen Organisation normiert83. Darüber hinaus regelt § 335a Abs. 2 Nr. 1 StGB für die Anwendung der Vorteilsannahme gemäß § 331 StGB sowie der Vorteilsgewährung nach § 333 StGB auf eine Tat, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder künftige Diensthandlung bezieht, explizit die Gleichstellung eines Mitglieds des IStGH mit einem Richter sowie § 335a Abs. 2 Nr. 2 StGB die Gleichstellung eines Bediensteten des IStGH mit einem sonstigen Amtsträger. Anders als in § 2 IStGHGleichstG wird für die Beamten und sonstigen Bediensteten des IStGH in Abgrenzung zu dem in § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB legaldefinierten Begriff nun nicht mehr der Terminus „Amtsträger“, sondern „Bedienstete“ verwendet84. Dieser nunmehr durch den § 335a StGB vermittelte Auslandsbezug der §§ 331 bis 336 und 338 StGB spiegelt den Willen des Gesetzgebers wider, die den IStGH betreffenden Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich einzubeziehen85. Denn eine Bestechungshandlung bezüglich der genannten Amtsträger des IStGH hat denknotwendig eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit eben des IStGH zur Folge86. Durch die explizite Gleichstellung von Richtern und Bediensteten des IStGH mit dem ursprünglich im nationalen Sinne zu verstehen 79

BGBl. 2002 I, S. 2162. BGBl. 2015 I, S. 2025. 81 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 f., 24, 27; BeckOK/ Heintschel-Heinegg, § 335a, Rn. 1. 82 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 25. 83 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 25. 84 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24. 85 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 25. 86 In diesem Sinne NK/Kuhlen, § 331, Rn. 14. 80

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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den Amtsträger und Richter i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB wurde die dieser Schutzbereichserweiterung entgegenstehende Wortlautgrenze in den §§ 331 ff. StGB aufgehoben. Da es sich bei dem IStGH um eine internationale Organisation handelt87, die eigene Hoheitsgewalt ausübt, ist ihre Funktionsfähigkeit und Lauterkeit gegenüber dem deutschen Staat als ausländisches überstaatliches Rechtsgut zu qualifizieren88. Ziel der Übernahme der Bestechungsregelungen des § 2 IStGHGleichstG in das StGB ist es, dem Rechtsanwender die Kenntnisnahme dieser speziellen Gleichstellungsvorschrift zu erleichtern89. Jene Schutzbereichserweiterung der Bestechungsdelikte realisiert die Vorgaben der völkervertraglichen Grundlage des IStGHGleichstG und des § 335a StGB90. Das IStGHGleichstG bildete Art. 2 des Gesetzes vom 21. Juni 2002 zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs91, nach dessen Art. 70 Abs. 4 lit. a i. V. m. Abs. 1 lit. d und f die Vertragsstaaten angehalten sind, ihre bestehenden Strafgesetze, die die Bestechung und Bestechlichkeit von Amtsträgern regeln, auf Verfahren vor dem IStGH entsprechend anzuwenden92. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. b, Abs. 2 StGB bewirkt somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 331 bis 336, 338 StGB auf ein ausländisches überstaatliches Rechtsgut in Erfüllung der dementsprechenden, sich aus besagtem Abkommen ergebenden, vertragsstaatlichen Verpflichtung des deutschen Staats. 8. NTSG, § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c, Abs. 3 StGB § 1 Abs.  1 Nr.  1 bis 7 des Gesetzes über den Schutz der Truppen des Nordatlantikpakts durch das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (NATO-TruppenSchutzgesetz – NTSG)93 normiert die Geltung der §§ 93 bis 97, 98 bis 100 i. V. m. §§ 101 und 101a StGB zum Schutz der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts und ihrer in Deutschland stationierten Truppen, nach § 1 Abs.  2 Nr. 1 bis 10 NTSG sind zum Schutz der in Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts die §§ 87, 89, 90a Abs.  1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB, jeweils i. V. m. § 92a, b StGB, die §§ 109d bis 109g i. V. m. §§ 109i, 109k StGB, die §§ 113, 114 Abs.  2 StGB, der § 120 StGB, die §§ 125, 125a StGB, der § 132 StGB sowie der § 305a StGB anwendbar. Die bislang in § 1 Abs. 2 Nr. 10 NTSG enthaltene Regelung, die die §§ 333 Abs. 1 und 3, 334 Abs. 1 und 3, 335 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 2 Nr. 1 und 3 sowie den § 336 StGB auf Soldaten 87

Bergmann, Handlexikon der EU, Internationaler Strafgerichtshof. Vgl. 5. Kap. A. I. 6. 89 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 13. 90 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 11. 91 BGBl. 2002 I, S.  2144, vgl. auch den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 11. 92 BGBl. 2000 II, S. 1393, 1448 f. 93 BGBl. 2008 I, S. 491. 88

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

und sonstige Bedienstete der in Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts für anwendbar erklärte, findet sich nunmehr in dem neu geschaffenen § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c und Abs. 3 StGB wieder94. Das NTSG bewirkt somit den Auslandsbezug besagter Vorschriften des StGB. Sein Wortlaut gibt insoweit eindeutig den gesetzgeberischen Willen wieder, die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten des Nordatlantikpakts in den Strafschutz der genannten Tatbestände einzubeziehen95. Dass sich die Bestimmung auf die im Inland stationierten Truppen der Vertragsstaaten bezieht, steht dem nicht entgegen, „denn der Ort des Tätigwerdens der Organe besagt nichts über die Nationalität der dahinterstehenden Rechtsgutträger.“96 In diesem Zusammenhang zu beachten ist aber, dass es sich bei den in Bezug genommenen Normen des StGB gerade um solche handelt, die ursprünglich auf den deutschen Staatsschutz fixiert sind, was sich meist, wie etwa bei den im ersten und zweiten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs geregelten Delikten, bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt. Diese im Wortlaut verankerte Beschränkung auf inländische staatliche Allgemeinrechtsgüter schließt, wie gesehen, eine Schutzbereichserweiterung betreffender Strafvorschriften eigentlich aus97. Deshalb ist die spezifische Modifizierung besagter Straftatbestände durch die im NTSG beziehungsweise nunmehr auch im § 335a StGB enthaltenen Maßgaben zwingend erforderlich. Nach § 1 Abs.  1 Nr.  1 bis 7 NTSG werden die NATO-Vertragsstaaten im Hinblick auf die §§ 93 ff. StGB explizit der Bundesrepublik gleichgestellt. Gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 NTSG erfolgt in Bezug auf die §§ 87 ff. StGB eine entsprechende Gleichstellung der Truppen der Vertragsstaaten. Daneben werden gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 7 NTSG die §§ 123, 124 StGB auf die von den Truppen zum öffentlichen Dienst genutzten Räume für anwendbar erklärt. Eine weitere Erweiterung vollzieht § 1 Abs.  2 Nr.  5 NTSG, der den ausschließlich nach deutschem Recht zu bestimmenden Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB im Hinblick auf die §§ 113 ff. StGB mit Soldaten und Beamten dieser Truppen gleichstellt. Dementsprechend enthält der neue § 335a StGB, der die vormals in § 1 Abs. 2 Nr. 10 NTSG enthaltene Regelung übernimmt, in seinem Abs. 3 Nr. 1 und 2 für die Anwendung des § 333 Abs. 1 und 3 StGB eine Gleichstellung von Soldaten und Bediensteten der in Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts mit Soldaten der Bundeswehr und sonstigen Amtsträgern i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB sowie in seinem Abs. 3

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Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 ff., 13, 25 ff., sowie 5. Kap. A. I. 7.; BeckOK/Heintschel-Heinegg, § 335a, Rn. 6 ff. 95 Vgl. Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 162 ff.; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 205, die insofern im Umkehrschluss eine Schutzbereichserweiterung der §§ 153 ff. StGB mangels ausdrücklicher Aufnahme in die Vorgängervorschrift des NTSG ablehnen. 96 Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 162; zustimmend Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 204 f. 97 Vgl. 4. Kap. C. II. sowie 5. Kap. A. I. 7.

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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Nr. 3 eine Gleichstellung von Personen, die bei diesen Truppen beschäftigt oder für sie tätig und auf Grund einer allgemeinen oder besonderen Anweisung einer höheren Dienststelle der Truppen zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Obliegenheiten förmlich verpflichtet worden sind, mit für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB, im Gegensatz zu § 1 Abs. 2 Nr. 10 NTSG allerdings ausschließlich bezüglich Taten, die sich auf künftige Diensthandlungen beziehen98. Da die NATO als Verbindung von Völkerrechtssubjekten aufgrund eines völkerrechtlichen Vertrags eine internationale Organisation darstellt, ist zudem § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b und c StGB einschlägig99. Dieser stellt für die Anwendung der §§ 332 und 334 StGB, auch i. V. m. § 335, auf Taten, die sich auf künftige Diensthandlungen beziehen, Soldaten, Beamte und besonders verpflichtete Personen der in Deutschland stationierten Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten der NATO den Amträgern i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB gleich100. Die tatbestandsimmanente Wortlautgrenze der vorliegend in Bezug genommenen Vorschriften wird damit aufgehoben. Das NTSG und § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c und Abs. 3 StGB bewirken mithin eine Schutzbereichserweiterung der genannten Tatbestände des StGB auf staatliche Allgemeinrechtsgüter nichtdeutscher Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts101. Auch diese Ausweitung des Schutzbereichs deutscher Strafvorschriften hat augenscheinlich einen völkervertraglichen Hintergrund. Das NTSG basiert auf Art. VII Abs.  11 des NATO-Truppenstatuts (NTS)102 i. V. m. Art.  29 des Zusatzabkommens über die Rechtsstellung der Truppen der Vertragsparteien hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen (ZA-NTS)103, die die Aufnahmestaaten zum Erlass strafrechtlicher Schutzvorschriften für die öffentlichen Rechtsgüter der Entsendestaaten verpflichten104. Der Zweck des NATO-

98 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S.  25 f.; BeckOK/ Heintschel-Heinegg, § 335a, Rn. 8. 99 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S.  26; BeckOK/ Heintschel-­Heinegg, § 335a, Rn. 7. 100 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S.  26, zustimmend BeckOK/Heintschel-Heinegg, § 335a, Rn. 7, der insoweit § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b und c StGB lediglich für einschlägig erklärt, „Soweit das NATO-Truppen-Schutzgesetz den Straftatbestand der Bestechung (§ 334 Abs. 1, 3, § 335 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 2 Nr. 1, 3, § 336 StGB) auch gegenüber Soldaten, Beamten und besonders verpflichteten Personen von Truppen der nichtdeutschen Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes für anwendbar erklärt“. Hierbei bezieht sich der Gesetzesentwurf auf § 1 Abs.  2 Nr.  10 NTSG, der allerdings durch § 335a StGB ersetzt wurde. 101 Fischer, Vor §§ 3–7, Rn.  5; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 279; MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 85; Schönke/Schröder/Eser, Vor §§ 3–9, Rn. 39; Satzger/ Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn.  10; Hecker, EuStR, § 2, Rn.  8; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 30. 102 BGBl. 1961 II, S. 1190, 1198. 103 BGBl. 1961 II, S. 1218, 1242. 104 Birke, Strafverfolgung nach dem NATO-Truppenstatut, S. 28.

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Truppenstatuts beziehungsweise des Nordatlantikpakts im weitesten Sinne, die gegenseitige Freiheit und Sicherheit zwischen den Vertragsstaaten des Nordatlantikpakts, wird so gewährleistet. Das NTSG und § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b, c und Abs. 3 StGB bringen mithin eine Schutzbereichserweiterung der §§ 87 ff., §§ 109 ff., §§ 113 ff., §§ 120 ff., des § 132 sowie der §§ 332 ff. StGB auf die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen NATO-Mitgliedstaaten mit sich. Diese Schutzbereichserweiterung dient der Erfüllung der dem deutschen Staat als Vertragsnation des Nordatlantikpakts obliegenden völkervertraglichen Schutzverpflichtung gegenüber den anderen NATO-­ Vertragsstaaten. 9. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a, b, c (ex Art. 2 § 1 IntBestG) Einen weiteren Auslandsbezug der Bestechungsdelikte bewirkte bislang Art. 2 § 1 des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 17. Dezember 1997 über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung – IntBestG)105. Dieser bestimmte die Anwendung des § 334, auch i. V. m. den §§ 335, 336, 338 Abs. 2 StGB, auf aktive Bestechungen, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder Diensthandlung beziehen und die begangen werden, um sich oder einem Dritten einen Auftrag oder einen unbilligen Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr zu verschaffen oder zu sichern. Im Hinblick dessen stellte Art. 2 § 1­ IntBestG dem bisweilen ausschließlich nach deutschem Recht zu bestimmenden Amtsträger beziehungsweise Richter i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB Richter, Amtsträger und Soldaten eines ausländischen Staats sowie Person gleich, die beauftragt sind, öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrzunehmen sowie Richter eines internationalen Gerichts, Amtsträger, Soldaten oder sonst eine Person, die beauftragt ist, Aufgaben einer internationalen Organisation wahrzunehmen. Mit dieser ausdrücklichen Gleichstellungsregelung wurde die Wortlautgrenze des § 334 StGB abermals eingeebnet. Folge war deshalb auch in diesem Fall eine Schutzbereichserweiterung der Vorschrift auf ausländische Allgemeinrechtsgüter106. Wie die Gleichstellungvorschriften des IStGHGleichstG107 und des NTSG108 wurde auch die Gleichstellungsbestimmung des Art.  2 § 1 IntBestG durch das

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BGBl. 1998 II, S. 2327. Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 194; Tinkl, wistra 2006, S. 126, 127; MüKo/Korte, § 331, Rn. 9; NK/Kuhlen, § 331, Rn. 14; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 91. 107 Vgl. 5. Kap. A. I. 7. 108 Vgl. 5. Kap. A. I. 8. 106

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 in den neuen, am 26. November 2015 in Kraft getretenen § 335a StGB integriert109. Für die Anwendung der §§ 332 und 334 StGB, auch i. V. m. § 335 StGB, stellt nunmehr § 335a Abs. 1 Nr. 1 StGB bezüglich Taten, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder eine künftige Diensthandlung beziehen, deutschen Richtern i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a und Nr. 3 StGB Mitglieder ausländischer und internationaler Gerichte gleich, § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB enthält die diesbezügliche Gleichstellung von Bediensteten ausländischer Staaten sowie von Personen, die beauftragt sind, Aufgaben einer internationalen Organisation wahrzunehmen, mit sonstigen Amtsträgern, und § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. b StGB stellt insofern sonstigen Amts­ trägern Bedienstete einer internationalen Organisation sowie Personen gleich, die beauftragt sind, Aufgaben einer internationalen Organisation wahrzunehmen. § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. c StGB regelt schließlich für die Anwendung der §§ 332 und 334 StGB bezüglich Taten, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder eine künftige Diensthandlung beziehen, die Gleichstellung von sonstigen Amtsträgern mit ausländischen Soldaten und mit Soldaten, die beauftragt sind, Aufgaben einer internationalen Organisation wahrzunehmen110. Wie im Fall des IntBestG führt auch dieser, nunmehr durch § 335a Abs. 1 StGB vermittelte Auslandsbezug der in Bezug genommenen Bestechungsvorschriften zu einer Schutzbereichserweiterung auf ausländische Allgemeinrechtsgüter111. Während die Gesetzesüberschrift des IntBestG sowie die Tatbestandsvoraussetzung seines Art. 2 § 1, der ein Handeln, „um einen Auftrag oder unbilligen Vorteil im internationalen geschäftlichen Verkehr zu erlangen“ forderte und insofern dem den Wettbewerb schützenden § 299 StGB entsprach, den Schluss nahe legten, als Schutzgut des IntBestG weniger das eigentliche, staatliche Allgemeinrechtsgut der §§ 331 ff. StGB, die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung – hier bezogen auf ausländische Staaten – als vielmehr den als kollektives Allgemeinrechtsgut einzuordnenden internationalen Wettbewerb anzusehen112, führt § 335a Abs. 1 StGB, dessen Wortlaut keinen Bezug mehr zum internationa-

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Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 ff., 24, 27. Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24 f. Wie im Fall des IStGHGleichstG gilt nunmehr in Abgrenzung zu dem in § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB legaldefinierten Begriff der Terminus „Bedienstete“ an Stelle des im IntBestG verwendeten Begriffs „Amtsträger“, vgl. 5. Kap. A. I. 7. 111 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24: Der „Normzweck der Bestechungsdelikte“, nämlich „die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes und das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese Lauterkeit“ gelte, „– wenn auch eingeschränkt – auch für internationale Korruptionstaten.“ Kritisch hierzu Hoven/Kubiciel/Weigend, Strafanwendungsrecht bei Auslandskorruption, S. 109, 119. Wie im Fall des IStGHGleichstG gilt nunmehr in Abgrenzung zu dem in § 11 Abs.  1 Nr.  2 StGB legaldefinierten Begriff der Terminus „Bedienstete“ an Stelle des im IntBestG verwendeten Begriffs „Amtsträger“, vgl. 5. Kap. A. I. 7. 112 Tinkl, wistra 2006, S. 126, 127; MüKo/Korte, § 331, Rn. 9; NK/Kuhlen, § 331, Rn. 14, vgl. 5. Kap. A. II. 5. 110

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

len geschäftlichen Verkehr enthält113, zu eben dieser Schutzbereichserweiterung der §§ 332, 334 StGB auf die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit ausländischer öffentlicher Verwaltungen. Diese Rechtsgutsbestimmung entspricht, neben dem Verzicht auf den tatbestandlichen Zusammenhang zum internationalen geschäftlichen Verkehr in § 335a Abs. 1 StGB, der Regierungsbegründung zu dem Umstand, dass § 335a Abs. 1 StGB, im Gegensatz zu Art. 2 § 1 IntBestG, die Gleichstellung besagter Personengruppen nicht mehr nur für die Anwendung des Bestechungstatbestands gemäß § 334 StGB, sondern zudem für die Bestechlichkeit nach § 332 StGB vorsieht114. Mit dem Schutzgut der Bestechungstatbestände, der Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung und dem Vertrauen der Allgemeinheit in diese Lauterkeit, sei es unvereinbar, ausländische Bedienstete inländischen Amtsträgern ausschließlich für den Tatbestand der aktiven Bestechung und nicht auch in gleicher Weise für die passive Bestechlichkeit gleichzustellen115. Die völkervertraglichen Grundlagen des § 335a StGB stützen diese Interpretation. Während die OECD-Konvention über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr von 1997116, auf der auch das IntBestG basiert117, die Vertragsstaaten in ihrem Art. 1 verpflichtet, diejenige Bestechung ausländischer Amtsträger unter Strafe zu stellen mit der Intention, einen Auftrag oder unbilligen Vorteil im internationalen Geschäftsverkehr zu erlangen, und damit einen Zusammenhang der Tathandlung mit dem internationalen geschäftlichen Verkehr verlangt, ist eine solche Beschränkung des Tatbestands mit den Vorgaben des Strafrechtsübereinkommens des Europarats über Korruption vom 27. Januar 1999118 nicht mehr vereinbar119. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a bis c StGB bewirkt somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332 und 334 StGB auf ein ausländisches staatliches Allgemeinrechtsgut in Erfüllung der dementsprechenden, sich aus besagtem Abkommen ergebenden, vertragsstaatlichen Verpflichtung des deutschen Staats120.

113

Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 f., 24; BeckOK/ Heintschel-Heinegg, § 335a, Rn.  3.2.; Hoven/Kubiciel/Weigend, Strafanwendungsrecht bei Auslandskorruption, S. 109, 116; Isfen, JZ 2016, S. 228, 229. 114 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7, 24. 115 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24. 116 BGBl. 1998 II, S. 2329. 117 Hecker, EuStR, § 5, Rn. 15; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331, Rn. 5; Fischer, § 331, Rn. 1. 118 Vgl. 5. Kap. A. I. 3. 119 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 12, 24. 120 Einen weiteren Bestechungstatbestand mit Auslandsbezug enthält Art. 2 § 2 IntBestG, vgl. 5.  Kap. A. II. 5., eine weitere Ausdehnung des Schutzbereichs der §§ 332, 334 StGB bringt § 335a Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a StGB mit sich, soweit er Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG übernimmt, vgl. 5. Kap. C. I. 1.

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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10. Art. 42 SDÜ, Art. 15 EU-RhÜbk Gemäß Art. 42 des Schengener Durchführungsübereinkommens (Schengen II – SDÜ)121 werden Beamte, die im Rahmen einer grenzüberschreitenden Observation oder Nacheile gemäß den Art. 40, 41 SDÜ im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens von Schengen122  – dies sind mit Ausnahme von Großbritannien, Irland und Zypern die Mitgliedstaaten der EU sowie Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein123 – eine Aufgabe erfüllen, den Beamten dieser Vertragspartei bezüglich Straftaten, denen diese Beamten zum Opfer fallen oder die sie begehen würden, gleichgestellt. Seinem eindeutigen Wortlaut nach enthält Art. 42 SDÜ eine Gleichstellungsregelung124. Indem er den Anwendungsbereich derjenigen nationalen Strafbestimmungen, deren Tatbestand einen nach innerstaatlichem Recht bestellten Polizeibeamten als Opfer oder als Täter betrifft, im Rahmen der genannten Maßnahmen auf die Beamten der anderen Schengenstaaten ausweitet, bewirkt Art.  42 SDÜ im Anwendungsbereich dieser Delikte eine Gleichstellung der ausländischen mit den inländischen Beamten, mit der auch die Wortlautgrenze des Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB eingeebnet wird. Die Gleichstellung gilt gemäß Art. 42 SDÜ ausdrücklich sowohl für diejenigen nationalen Strafvorschriften, die Beamte als Opfer, also als Tatobjekt betreffen, als auch für die Amtsdelikte, die einen Beamten als Täter vorsehen, so dass sowohl der Widerstand gegenüber einem ins Inland nachgeeilten ausländischen Polizisten gemäß § 113 StGB125 als auch ein Bestechungsdelikt, das dieser im Rahmen seiner Rechtshilfetätigkeit als Täter begeht, nach den §§ 331 ff. StGB strafbar sein können126. Eine entsprechende Gleichstellungsregelung enthält Art.  15 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Euro 121 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14.6.1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom 19.6.1990 (BGBl. 1993 II, S. 1013). 122 Vgl. 1. Kap. 123 http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/FAQ/VisumFuerD/17-Schengenstaaten.html? nn=350374 (zuletzt abgerufen 22.8.2016). 124 Hecker, EuStR, § 5, Rn.  45; im Grundsatz auch Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn.  19; a. A. wohl Böse/Heger, EuStR, § 5, Rn.  40 („strafrechtliche Verweisungsnorm“). 125 Hecker, EuStR, § 5, Rn.  45; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner/Gleß, Art.  42 SDÜ, Rn. 1; a. A. Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 19, mit der Begründung, ein Beamter eines anderen Schengenstaats könne insoweit nicht als „‚Opfer‘“ einer Straftat gelten; kritisch auch Böse/Heger, EuStR, § 5, Rn. 41, unter dem Aspekt, eine europarechtskonforme Auslegung dahingehend, die Beamten der anderen Schengenstaaten als „Amtsträger“ i. S. d. § 113 StGB anzusehen, verstoße gegen das Analogieverbot; eine Strafbarkeit nach § 113 StGB sei aber möglich, sofern Art. 42 SDÜ eine unmittelbare Anwendbarkeit des § 113 StGB bewirke und beide Regelungen einen „hybride[n] Gesamttatbestand“ bilden. 126 Hecker, EuStR, § 5, Rn.  45; Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn.  19; Böse/­ Heger, EuStR, § 5, Rn. 41.

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

päischen Union (EU-RhÜbk)127, der inhaltlich an Art. 42 SDÜ angelehnt ist128 und, mit Ausnahme von Griechenland, Italien und Irland129, für die EU-Mitgliedstaaten sowie gemäß Art. 2 Abs. 1 EU-RhÜbk für Island und Norwegen130 neben diesen tritt131. Art. 15 EU-RhÜbk bestimmt, dass im Rahmen von kontrollierten Lieferungen, gemeinsamen Ermittlungsgruppen und verdeckten Ermittlungen i. S. d. Art.  12 bis 14 EU-RhÜbk Beamte aus einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der jeweilige Einsatz erfolgt, in Bezug auf Straftaten, die gegen sie begangen werden oder die sie selbst begehen, den Beamten des Einsatzmitgliedstaats gleichgestellt werden. Indem die Art.  42 SDÜ und 15 EU-RhÜbk das nationale Strafrecht auch auf Straftaten von oder gegenüber Beamten der anderen Vertragsstaaten während der Ausübung eigener Hoheitsgewalt für anwendbar erklären, bewirken sie mithin eine Schutzbereichserweiterung des § 113 StGB auf das staatliche Allgemeinrechtsgut der rechtmäßigen staatlichen Vollstreckungstätigkeit132 sowie der §§ 331 ff. StGB auf das staatliche Allgemeinrechtsgut der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung133 des betreffenden Vertragsstaats134. Die Einbeziehung der Rechtsgüter der anderen Vertragsstaaten in den Schutzbereich der deutschen Strafvorschriften entspricht wiederum dem Zweck des Titels III des SDÜ (Polizei und Sicherheit), der die polizeiliche, grenzüberschreitende Kooperation zur Aufklärung strafbarer Handlungen im gemeinsamen Rechtsraum der Vertragsparteien erleichtern soll135 und damit dem letztendlichen Ziel des SDÜ, die innere Sicherheit trotz Abbaus der Binnengrenzkontrollen zwischen den Vertragsparteien des Abkommens von Schengen zu gewährleisten136. Gleicherweise dient die durch die Art.  42 SDÜ und 15 EU-RhÜbk vermittelte Schutzbereichserweiterung der deutschen Strafvorschriften dem Zweck des EURhÜbk, die justizielle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten insbeson-

127 Übereinkommen vom 29.5.2000 – gemäß Artikel 34 des Vertrags über die Europäische Union vom Rat erstellt – über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. EG 2000 Nr. C 197, S. 3, Gesetz in BGBl. 2005 II, S. 650. 128 Schomburg/Lagodny/Gleß/Gleß/Schomburg, Art. 15 EU-RhÜbk, Rn. 1. 129 Schomburg/Lagodny/Gleß/Gleß/Schomburg, EU-RhÜbk Kurzübersicht, Rn. 4. 130 Vgl. Art. 1 Abs. 1 des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Anwendung einiger Bestimmungen des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des dazugehörigen Protokolls von 2001, ABl. 2004 Nr. L 26, S. 3. 131 Vgl. Schomburg/Lagodny/Gleß/Gleß/Schomburg, Art. 2 EU-RhÜbk, Rn. 3. 132 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 133 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 134 Bzgl. Art.  42 SDÜ auch NK/Böse, Vor § 3, Rn.  57; einschränkend Wabnitz/Janovsky/ Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 19. 135 Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner/Gleß, Einführung in die Schengen-Zusammenarbeit, Rn. 34. 136 Hecker, EuStR, § 5, Rn. 29.

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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dere im Hinblick auf die Abschaffung der Grenzkontrollen durch das Schengener Abkommen zu verbessern137. Mithin führen Art.  42 SDÜ und Art.  15 EU-RhÜbk zu einer Schutzbereichserweiterung der §§ 113, 331 ff. StGB auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter. Diese dient der Erfüllung der dem deutschen Staat als Vertragsnation des SDÜ und des EU-RhÜbk obliegenden völkervertraglichen Schutzverpflichtung gegenüber den anderen Vertragsstaaten.

II. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter 1. § 129b StGB Die §§ 129, 129a StGB ahnden die Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen. Ihr Schutzgut bildet die als kollektives Allgemeinrechtsgut einzuordnende öffentliche Sicherheit und Ordnung einschließlich des Rechtsfriedens138. § 129b StGB normiert nun die Geltung der §§ 129 und 129a StGB auch für kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland. Diesem ausdrücklichen Auslandsbezug ist seinem Wortlaut nach keine Beschränkung auf Rechtsgüter bestimmter Staaten zu entnehmen. Dementsprechend wird durch § 129b StGB eine Schutzbereichserweiterung der §§ 129, 129a StGB auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung weltweit als nahe liegend erachtet139. Gleichwohl hält eine Ansicht eine Einschränkung der Schutzbereichserweiterung in räumlicher Hinsicht für erforderlich. Das die öffentliche Sicherheit umfassende Rechtsgut auf der ganzen Welt finde ausschließlich als „sicherheits-politische Formel“140 Akzeptanz, biete wegen seiner akademischen Natur jedoch keine Orientierung für das Tätigwerden deutscher Strafverfolgungsbehörden141. Zudem wird, wie im Fall der §§ 89a, 89b und 91 StGB142 und des § 108e StGB143, einer universellen Schutzbereichserweiterung der §§ 129, 129a StGB entgegen gehalten, die Vorschriften seien auf eine demokratische Rechtsstaatsordnung zugeschnitten und könnten somit nur für entsprechend organisierte Länder gelten144. Folglich könne die Schutzbereichserwei 137 Vgl. 3. Erwägungsgrund des EU-RhÜbk sowie die Besonderen Erwägungen im Erläuternden Bericht zum EU-RhÜbk, ABl. 2000 Nr. C 379, S. 7. 138 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. und speziell zu dem Rechtsgut der öffentlichen Sicherheit 3. Kap. B. III. 1. sowie 4. Kap. C. III. 2. Fn. 108. 139 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 129b, Rn. 2; LK/Krauß, § 129b, Rn. 1. 140 Fischer, § 129b, Rn. 3. 141 LK/Krauß, § 129b, Rn. 2; Fischer, § 129b, Rn. 3. 142 Vgl. 5. Kap. A. I. 1. 143 Vgl. 5. Kap. A. I. 3. 144 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 14/8893, S. 8; MüKo/Schäfer, § 129b, Rn. 2; LK/Krauß, § 129b, Rn. 2.

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

terung der §§ 129, 129a StGB durch § 129b StGB nur auf Rechtsgüter derjenigen der Bundesrepublik entsprechend demokratisch strukturierten Staaten, jedenfalls aber in dem gemeinsamen europäischen Rechtsraum bejaht werden145. Unabhängig von der genauen Reichweite spiegelt die Schutzbereichsausdehnung der §§ 129, 129a StGB auf die den öffentlichen Frieden einschließende öffentliche Sicherheit und Ordnung der der Bundesrepublik entsprechend demokratisch strukturierten Staaten die Intention der unionsrechtlichen Grundlagen des § 129b StGB wider. Der durch das 34. StrÄndG vom 22. August 2002146 eingefügte § 129b StGB setzt zum einen die Vorgaben der Gemeinsamen Maßnahme 98/733/ JI – vom Rat aufgrund K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21. Dezember 1998147 um148. Danach sollten die EU-Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen zur strafrechtlichen Bewehrung terroristischer Handlungen treffen (Art. 2, 4 der Gemeinsamen Maßnahme) mit dem Ziel, eine verbesserte unionsweite Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität zu erreichen149. Darüber hinaus reagierte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 129b StGB insbesondere auf die Vorgaben des Rahmenbeschlusses 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung150, der die EU-Mitgliedstaaten gemäß seines 9 Abs.  3 i. V. m. Art. 2 Abs. 2 verpflichtet, das Anführen beziehungsweise die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung unabhängig vom Ort ihrer Operationsbasis sowie unabhängig vom Tatort der zum Vereinigungszweck gehörenden Straftaten zu sanktionieren. Während sich der Vorentwurf des § 129b StGB dementsprechend ausschließlich auf Vereinigungen in den Mitgliedstaaten der EU erstreckte, fand die Norm unter Berücksichtigung der Anschläge des 11. September 2001 ihre endgültige Fassung151. § 129b StGB bewirkt somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 129, 129a StGB auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter. Vor dem Hintergrund der besagten europäischen Rechtsakte dient diese der Realisierung der hieraus entstehenden mitgliedstaatlichen Verpflichtungen des deutschen Staats. 145

MüKo/Schäfer, § 129b, Rn. 2; den Rechtsgüterschutz auf die EU beschränkend LK/Krauß, § 129b, Rn. 2. 146 BGBl. 2002 I, S. 3390. 147 ABl. EG 1998 Nr. L 351, S. 1, aufgehoben m.W.v. 11.11.2008 durch Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24.10.2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, ABl. 2008 Nr. L 300, S. 42. 148 LK/Krauß, § 129b Entstehungsgeschichte; Lackner/Kühl, § 129b, Rn. 1; Schönke/Schröder/ Sternberg-Lieben, § 129b, Rn. 1; BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 129b, Rn. 1. 149 Vgl. 2. Erwägungsgrund der Gemeinsamen Maßnahme, 1. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses. 150 ABl. EG 2002 Nr.  L 164, S.  3, zuletzt geändert durch Änderungsrahmenbeschluss 2008/919/JI vom 28.11.2008 (ABl. 2008 Nr. L 330, S. 21), vgl. BeckOK/v. Heintschel-Heinegg, § 129b, Rn. 1. 151 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 129b, Rn. 1; MüKo/Schäfer, § 129b, Rn. 1.

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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2. § 261 Abs. 8 StGB § 261 StGB beinhaltet die Geldwäschetatbestände. Es macht sich strafbar, wer einen Gegenstand, der aus einer in § 261 Abs. 1 S. 2 StGB genannten rechtswidrigen Tat herrührt, im Wege einer in § 261 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 StGB genannten Tathandlung in den Wirtschafts- und Finanzkreislauf einschleust152, gemäß § 261 Abs. 5 StGB auch dann, wenn er nur leichtfertig nicht erkennt, dass der Gegenstand aus einer in Abs. 1 S. 2 genannten Vortat herrührt. Schutzgut der Vorschrift bildet das staatliche Allgemeinrechtsgut der Rechtspflege in ihrer Aufgabe, Wirkungen von Straftaten zu beseitigen153. § 261 Abs. 8 StGB stellt den in seinen Abs. 1, 2 und 5 genannten Tatobjekten nun solche gleich, die aus einer im Ausland begangenen Tat im Sinne seines Abs. 1 S. 2 herrühren, falls die Tat auch am Tatort strafbewehrt ist. Diesem Gesetzeswortlaut wird eine Schutzbereichserweiterung auf ausländische Rechtsgüter entnommen im Hinblick darauf, auch das durch die Vortat beeinträchtigte Rechtsgut falle in den Schutzbereich des § 261 StGB154. Ob neben der Rechtspflege durch § 261 Abs.  2 StGB, der als abstraktes Gefährdungsdelikt das Sichverschaffen, Verwahren und Verwenden von Gegenständen i. S. d. Abs. 1 erfasst, grundsätzlich auch das durch die Vortat verletzte Rechtsgut geschützt ist, ist umstritten, wird jedoch weitgehend von der Literatur bejaht mit dem nachvollziehbaren Argument der dogmatischen Nähe des § 261 StGB zu § 257 StGB155. Schutzgut der Geldwäschetatbestände sind somit auch diejenigen Allgemeinrechtsgüter, die durch die Vortat beeinträchtigt wurden. Hierbei handelt es sich beispielsweise mit den Schutzgütern des § 108e StGB (Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a), der §§ 332, 334 StGB (Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a), des § 370 AO (Abs. 1 S. 2 Nr. 4 lit. b), oder des § 89a StGB (Abs. 1 S. 2 Nr. 5) um staatliche Allgemeinrechtsgüter156, bei denjenigen, die durch die §§ 267 ff., durch § 299 und durch die 326 ff. StGB (Abs. 1 S. 2 Nr. 4 lit. a), durch § 96 AufenthG und § 38 WpHG (Abs. 1 S. 2 Nr. 4 lit. b) und durch die §§ 129 und 129a StGB (Abs. 1 S. 2 Nr. 5) geschützt werden, um kollektive Allgemeinrechtsgüter157. § 261 Abs. 8 StGB soll diejenigen Fälle erfassen, in denen die Vortat im ­Ausland von einem Ausländer begangen wird158. Eine im Ausland von einem Ausländer ver 152

Fischer, § 261, Rn. 19. Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 154 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 66 f. 155 Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 261, Rn. 2; MüKo/Neuheuser, § 261, Rn. 12; Lackner/ Kühl, § 261, Rn. 1; i.E. auch BeckOK/Ruhmannseder, § 261, Rn. 6; dagegen sieht SK/Hoyer, § 261, Rn. 1 f., konkret die materiell-rechtliche[n] Ansprüche, deren Gegenstand aus einer strafrechtswidrigen Vortat ‚herrührt‘“ sowie die „Prävention gegenüber neuen Straftaten der organisierten Kriminalität“ als durch § 261 StGB geschützt an; Otto, Jura 1993, S. 329, 331, lehnt den Schutz des durch die Vortat beeinträchtigten Rechtsguts wiederum gänzlich ab. 156 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 157 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 158 NK/Altenhain, § 261, Rn. 45. 153

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

übte Vortat i. S. d. § 261 Abs. 1 S. 2 StGB, ohne Bezug zum Inland, beeinträchtigt jedoch unweigerlich auch die entsprechenden ausländischen Allgemeinrechtsgüter. Dies bestätigt etwa die Stellung des § 89a StGB als taugliche Vortat i. S. d. § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StGB, der mit dem Bestand und der Sicherheit anderer Staaten ausdrücklich ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter schützt159, wie auch die Qualifizierung der §§ 129, 129a StGB i. V. m. § 129b StGB zu möglichen Vortaten i. S. d. § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 StGB, die insoweit mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung anderer Staaten auch ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich einbeziehen160. Des Weiteren kann in diesem Zusammenhang die Neufassung des § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a StGB durch das 48. StrÄndG vom 23. April 2014 angeführt werden, der mit § 108e StGB und dessen Abs. 3 nun auch die Bestechlichkeit und Bestechung ausländischer Mandatsträger zur tauglichen Vortat der Geldwäsche bestimmt und insofern eine Schutzbereichsausweitung auf die Funktionsfähigkeit von Gesetzgebungsorganen anderer Staaten als ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter enthält161. Schließlich gelten nach der mit dem 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 erfolgten Reform des § 261 StGB nach dessen Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a der § 332 Abs. 1 und 3 sowie § 334 StGB als Vortaten der Geldwäsche nunmehr auch i. V. m. § 335a StGB, der eine Einbeziehung von Bediensteten ausländischer Gerichte und Behörden in den Anwendungsbereich der Bestechungsdelikte und damit deren Schutzbereichserweiterung auf das ausländische überstaatliche Rechtsgut der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit des IStGHs beziehungsweise das ausländische staatliche Allgemeinrechtsgut der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der öffentlichen Verwaltung anderer Staaten bewirkt162 sowie gemäß § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 lit.  a StGB nunmehr § 299 StGB taugliche Vortat der Geldwäsche bildet, der den ausländischen Wettbewerb als ausländisches kollektives Allgemeinrechtsgut schützt163. Folglich müssen durch § 261 Abs. 8 StGB auch diejenigen staatlichen und kollektiven Allgemeinrechtsgüter anderer Staaten, die von den in Abs. 1 S. 2 genannten Tatbeständen erfasst werden, in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen werden. Dieses Ergebnis stimmt mit der gesetzgeberischen Motivation zur Schaffung der Geldwäschevorschrift überein. § 261 StGB basiert auf dem Gesetz zur Bekämp 159

Vgl. 5. Kap. A. I. 1. Vgl. 5. Kap. A. II. 1. 161 Vgl. 5. Kap. A. I. 3. 162 Vgl. 5. Kap. A. I. 7. bis 9. Durch die Ergänzung des § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a StGB um § 335a StGB wurden Art. 2 § 4 IntBestG, der die Bestechung ausländischer Amtsträger i. S. d. § 334 StGB als taugliche Vortat des § 261 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. a StGB bestimmte, sowie Art. 3 EUBestG, der die Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten und von EU-Institutionen i. S. d. §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB als taugliche Vortat des § 261 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 lit. a StGB qualifizierte, in das StGB integriert, vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 19 f. 163 Vgl. 5. Kap. A. II. 3. sowie den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 20. 160

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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fung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15. Juli 1992 (OrgKG)164. Mit diesem ist Deutschland seinen Verpflichtungen nachgekommen, die sich neben dem UN-Suchtstoffübereinkommen vom 20. Dezember 1988165 und dem Geldwäscheübereinkommen des Europarats vom 8. November 1990166 aus der Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche (1. GeldwRL)167, ersetzt durch die Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung (3. GeldwRL)168 ergeben169. Sowohl das UN-SuchtstoffÜbK als auch das Geldwäscheübereinkommen des Europarats entstanden im Hinblick auf die Bedrohung des weltweiten legalen Wirtschafts- und Finanzverkehrs durch die Geldwäsche als Ausprägung der organisierten Kriminalität170. Entsprechend bezwecken die europäischen Richtlinien die Bekämpfung der Geldwäsche, um die Integrität der staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen der Mitgliedsländer zu schützen, die von einer funktionsfähigen Marktwirtschaft abhängig sind und die durch die mit der Geldwäsche bezweckten kriminellen Strukturen gefährdet werden171. Geldwäsche finde meist grenzüberschreitend statt, so dass ausschließlich auf nationaler Ebene getroffene Maßnahmen nur begrenzte Wirkung entfalten172. Die Mitgliedstaaten werden dementsprechend zur Verwirklichung geeigneter Maßnahmen verpflichtet (Art. 14 der 1. GeldwRL). Da nach der 1. GeldwRL im Rahmen einer effektiven Geldwäschebekämpfung innerhalb der EU auch die die Grenzen zu Drittländern überschreitenden Taten zu beachten waren, erstreckt sich die durch § 261 Abs. 8 StGB ergebende Schutzbereichserweiterung nicht nur auf die Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten, sondern auch auf diejenigen von Drittstaaten173. § 261 Abs.  8 StGB enthält somit eine Schutzbereichserweiterung sowohl auf staatliche als auch auf kollektive ausländische Allgemeinrechtsgüter. Diese dient der Verwirklichung derjenigen Schutzpflichten, die den deutschen Staat als Vertragsstaat der zugrunde liegenden internationalen Vorgaben treffen.

164

BGBl. 1992 I, S. 1302. BGBl. 1993 II, S. 1137. 166 BGBl. 1998 II, S. 520. 167 ABl. EG 1991 Nr. L 166, S. 77, aufgehoben m.W.v. 15.12.2005. 168 ABl. 2005 Nr. L 309, S. 15, zuletzt geändert durch Änderungsrichtlinie 2010/78/EU vom 24.11.2010 (ABl. 2010 Nr. L 331, S. 120). 169 Hecker, EuStR, § 11, Rn. 62. 170 Dannecker, Jura 1998, S. 79, 83; Satzger, Europäisierung, S. 397 f. 171 Dannecker, Jura 1998, S. 79, 83. 172 Vgl. 6. Erwägungsgrund der 1. GeldwRL, 5. Erwägungsgrund der 3. GeldwRL. 173 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 67. 165

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

3. § 299 StGB § 299 StGB normiert in seinem Abs. 1 die Bestechlichkeit und in Abs. 2 die Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Sein Schutzgut ist das kollektive Allgemeinrechtsgut Wettbewerb174. Auch § 299 StGB wurde mit dem 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 neu gefasst. Der bisherige § 299 Abs. 3 StGB, nach dem die Abs. 1 und 2 „auch für Handlungen im ausländischen Wettbewerb“ galten, wurde ohne inhaltliche Änderung in die Abs. 1 und 2 integriert175. Nach § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB macht sich nunmehr strafbar, wer im geschäftlichen Verkehr als Angestellter oder Beauftragter eines Unternehmens einen Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge, nach Abs. 2 Nr. 1, wer im geschäftlichen Verkehr einem Angestellten oder Beauftragten eines Unternehmens einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er bei dem Bezug von Waren oder Dienstleistungen ihn oder einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzuge. Ob dieser wörtliche Auslandsbezug überhaupt eine konstitutive Schutzbereichserweiterung enthalten kann, richtet sich nach der bereits vor Einführung des bislang geltenden § 299 Abs. 3 StGB umstrittenen Frage der Reichweite des Schutzbereichs von § 299 Abs. 1 und 2 StGB a. F. Denn während die damals herrschende Lehre den Schutzbereich des § 299 StGB a. F. als auf den inländischen Wettbewerb beschränkt ansah176, vertrat eine andere Ansicht die Einbeziehung auch ausländischer Wettbewerbsordnungen in seinen Schutzbereich177. Letztere vermochte sich jedoch nicht durchzusetzen, allein im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot i. S. d. Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB178. Zudem sollte laut Begründung zum Entwurf des § 299 StGB die Verlagerung der nach einhelliger Ansicht179 allein den nationalen Wettbewerb betreffenden Ursprungsregelung des § 12 UWG in das StGB außer einer Aufhebung der Strafrahmen keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen mit sich bringen180. Der BGH hat sich der herr-

174

Vgl. 3. Kap. B. II. 2. Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 6, 22. 176 Randt, BB 2000, S. 1006, 1008; ders., BB 2002, S. 2252, 2255; Heerspink, wistra 2001, S.  441 Fn.  5; Weidemann, DStZ 2002, S.  329, 332; Demuth/Peykan, DStR 2003, S.  1426; Schmitz, RIW 2003, S. 189, 193. 177 Schönke/Schröder/Heine, 26. Aufl., § 299, Rn. 2; Walter, wistra 2001, S. 321, 324 ff.; aktuell auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 102 ff. 178 Saliger/Gaede, HRRS 2008, S. 57, 64. 179 BGH NJW 1968, S. 1572, 1574; Hefermehl, Anm. zu BGH GRUR 1958, S. 197, 200; Spengler, DB 1962, S. 1397, 1400; Heerspink, wistra 2001, S. 441 Fn. 5. 180 BT-Drs. 13/5584, S. 15. 175

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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schenden Lehre angeschlossen und die Abs. 1 und 2 des § 299 StGB a. F. als auf den inländischen Wettbewerb beschränkt erklärt181. Dementsprechend ist § 299 Abs.  3 StGB a. F. mit der herrschenden Meinung eine konstitutive Erweiterung des Schutzbereichs von § 299 Abs. 1 und 2 StGB a. F. auf den gesamten ausländischen Wettbewerb zu entnehmen182. Dieses Ergebnis gilt nunmehr für den neu gefassten § 299 StGB. In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass ein den Tatbestand des § 299 Abs. 1 oder 2 StGB erfüllendes Verhalten im Inland den inländischen Wettbewerb tangiert, dasselbe Verhalten im Ausland jedoch nicht entsprechend den ausländischen Wettbewerb beeinträchtigt. Die Intention zu dieser Schutzbereichsausdehnung geht eindeutig aus der Regierungsbegründung zum Entwurf des § 299 Abs. 3 StGB a. F. hervor, nach der die Vorschrift klären soll, dass die Abs. 1 und 2 a. F. „nicht nur Handlungen im inländischen Wettbewerb erfassen, sondern den Wettbewerb generell, das heißt weltweit schützen.“183 Und auch die völkervertragliche Grundlage der Vorschrift zeigt die Intention zu besagter Schutzbereichserweiterung184. § 299 Abs. 3 StGB a. F. basiert auf dem Gesetz von 2002185 zur Ausführung der Gemeinsamen Maßnahme 98/742/JI vom 22. Dezember 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union aufgenommen – betreffend die Bestechung im privaten Sektor186, ersetzt durch den am 22. Juli 2003 in Kraft getretenen Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor187. Diese verpflichtet jeden Mitgliedstaat, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen (Art. 2 Abs. 2 der Gemeinsamen Maßnahme, Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses), um Verzerrungen des Wettbewerbs im gemeinsamen Markt zu verhindern sowie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts (Art.  3 Abs.  3 UAbs. 1 S. 1 EUV) zu gewährleisten188. Bestechungen im privaten Sektor seien meist ein grenzüberschreitendes Problem, das am effektivsten durch eine gemeinsame Maßnahme der EU bekämpft werde189. Auf europäischer Ebene ist dies der Schutz des Wettbewerbs auf dem gemeinsamen Markt, auf nationaler Ebene der

181

BGHSt 52, 323, 339 ff. Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 299, Rn.  29a; NK/Dannecker, § 299, Rn.  74; MüKo/ Krick, § 299, Rn. 37; Mölders, Bestechung, S. 202; Rönnau, JZ 2007, S. 1084, 1085; Schuster/ Rübenstahl, wistra 2008, 201, 205.; für eine lediglich deklaratorische Wirkung des § 299 Abs. 3 StGB Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 102 ff.; Haft/Schwoerer, Weber FS, S. 367, 381 ff., sehen in § 299 Abs. 3 StGB wiederum eine vom Gesetzgeber eigentlich ungewollte Erweiterung des Handlungsorts i. S. d. §§ 3 ff. StGB. 183 BT-Drs. 14/8998, S. 9. 184 Vgl. hierzu Mölders, Bestechung, S. 24 ff. 185 BGBl. 2002 I, S. 3387. 186 ABl. EG 1998 Nr. L 358, S. 2. 187 ABl. 2003 Nr. L 192, S. 54. 188 Vgl. 10. Erwägungsgrund der Gemeinsamen Maßnahme. 189 Vgl. 1. Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses. 182

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Schutz des ­Wettbewerbs in einzelnen Teilen des gemeinsamen Markts190. Dieser Vorgabe wird durch einen wechselseitigen Strafschutz des Wettbewerbs in den EU-Mitgliedstaaten und damit der Einbeziehung auch des Wettbewerbs in den anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 299 StGB entsprochen. Dass die Schutzbereichserweiterung wiederum einen weltweiten Umfang erhielt und nicht auf den Wettbewerb zwischen den europäischen Mitgliedstaaten beschränkt ist, steht dem Charakter des § 299 StGB wie auch des § 261 Abs. 8 StGB als Ausprägung des europäischen Integrationskonzepts nicht entgegen191. Vielmehr sind die Beweggründe für den weltweiten Schutz in der Gefahr zu sehen, den Binnenmarkt auch im Verhältnis zu Drittstaaten zu beeinflussen192 sowie in der inhaltlichen Konformität mit der durch den vormaligen Art. 2 § 1 IntBestG bewirkten Schutzbereichserweiterung der §§ 334 ff. StGB193. § 299 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB enthalten somit eine Schutzbereichserweiterung auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter. Vor dem Hintergrund der besagten europäischen Rechtsakte dient diese der Verwirklichung der hieraus entstehenden mitgliedstaatlichen Verpflichtungen des deutschen Staats. 4. § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB Schutzgut der in den §§ 324 ff. StGB normierten Umweltdelikte bildet das kollek­tive Allgemeinrechtsgut der Umwelt mit ihren Medien Gewässer, Luft und Boden194. Während § 330d Nr. 1 StGB a. F. die die Umweltdelikte regelnden Bestimmungen zunächst nur auf Gewässer „im Geltungsbereich dieses Gesetzes“ für anwendbar erklärte, definiert § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB seit seiner inhaltlichen Neufassung durch das Zweite Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkriminalität vom 27. Juni 1994195 als Gewässer „ein oberirdisches Gewässer, das Grundwasser und das Meer.“ Dem nunmehr einer räumlichen Beschränkung entbehrenden Wortlaut wird gemeinhin eine Schutzbereichserweiterung der §§ 324 ff. StGB auf ausländische Gewässer entnommen196.

190

Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 103. Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 64. 192 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 64. 193 BT-Drs. 14/8998, S. 10, vgl. 5. Kap. A. I. 9. 194 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 195 BGBl. 1994 I, S. 1440. 196 Fischer, § 330d, Rn. 2a; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 330d, Rn.  1; Lackner/Kühl, § 324, Rn. 2 f.; NK/Ransiek, § 330d, Rn. 1; MüKo/Schmitz, § 330d, Rn. 2; SK/Schall, § 330d, Rn. 4; BeckOK/Witteck, § 330d, Rn. 2; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 193 f.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 93; zu § 326 Abs. 1 Nr. 4 lit. a StGB Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 156. 191

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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Diese Interpretation stützt auch die Regierungsbegründung zum Reformentwurf des § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB, die die Neufassung mit dem Zweck begründet, in verstärktem Ausmaß Auslandstaten, insbesondere mit Taterfolg im Ausland, zu erfassen197. Während eine Ansicht den unbeschränkten Wortlaut des § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB ausschließlich als Schutzbereichserweiterung auf ausländische Gewässer wertet198, wird § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB überwiegend auch als die Umweltmedien Luft und Boden erfassend ausgelegt199. In der Tat wäre eine unterschiedliche Behandlung der einzelnen Umweltmedien unpraktikabel. Darüber hinaus wird hierfür auch gar kein Anlass gesehen200. Eine Wortlautgrenze, die der schutzbereichserweiternden Auslegung auf die gesamte ausländische Umwelt entgegensteht, besteht jedoch bei denjenigen Tatbeständen, die verwaltungsakzessorisch ausgestaltet sind201.202 So knüpfen etwa die §§ 311, 324a, 325, 325a, 326 Abs. 3 sowie § 328 Abs. 3 StGB an die „Verletzung verwaltungsrechtlicher Pflichten“ i. S. d. § 330d Abs. 1 Nr. 4 StGB an. Diese betrifft jedoch nur den Verstoß gegen deutsche Verwaltungsvorschriften sowie, i. V. m. § 330d Abs. 2 Nr. 1 StGB, gegen solche der EU-Mitgliedstaaten203. Wegen des akzessorischen Bezugs der Umweltstrafbestimmungen ausschließlich zu den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten kann ihr Schutzgut jedenfalls nicht in der Umwelt weltweit gesehen werden. Mit Ausnahme der verwaltungsakzessorisch ausgestalteten Tatbestände bewirkt somit bereits § 330d Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Schutzbereichserweiterung der §§ 311, 324 ff. StGB auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter. 5. Art. 2 § 2 IntBestG Art. 2 § 2 IntBestG, der im Gegensatz zu Art. 2 § 1 IntBestG nach dem 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 fortgilt204, normiert die Bestechung von Mitgliedern eines Gesetzgebungsorgans eines ausländischen Staats oder einer parlamentarischen Versammlung einer internationalen Orga-

197

BT-Drs. 12/192, S. 30. LK/Steindorf, § 326, Rn. 94. 199 Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 330d, Rn. 3; MüKo/Schmitz, Vor §§ 324 ff., Rn. 147; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 95. 200 Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 330d, Rn. 3. 201 Fischer, § 330d, Rn.  2a; Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 330d, Rn.  4; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66; Hecker, ZStW 2003, S. 880, 893; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 95. 202 Vgl. zur Verwaltungsakzessorietät des deutschen Umweltstrafrechts eingehend Heger, Europäisierung des deutschen Umweltstrafrechts, S. 177 ff. 203 Hecker, EuStR, § 2, Rn. 7, § 10, Rn. 73. 204 Vgl. 5. Kap. A. I. 9. 198

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

nisation im Zusammenhang mit internationalem geschäftlichen Verkehr. ­Damit betrifft die Vorschrift denselben Adressatenkreis wie § 108e Abs.  3 Nr.  5 und 6 StGB205, verlangt jedoch kein mandatsbezogenes Handeln des Abgeordneten, während § 108e StGB im Gegenzug kein Handeln im geschäftlichen Verkehr vor­ aussetzt206. Insofern unterscheidet sich auch die Schutzrichtung beider Regelungen: Art. 2 § 2 IntBestG schützt den internationalen Wettbewerb als ausländisches kollektives Allgemeinrechtsgut207. Denn es ist davon auszugehen, dass eine ausschließlich einen Vorteil im internationalen Geschäftsverkehr intendierende Bestechungshandlung, selbst wenn sie gegenüber einem der benannten Mandatsträger vorgenommen wird, zumindest primär den internationalen Wettbewerb beeinträchtigt. Schutzgut des § 108e StGB bildet dagegen das (ausländische) staatliche Allgemeinrechtsgut der Integrität und Funktionsfähigkeit des repräsentativen Systems208. Die völkervertragliche Grundlage des IntBestG stützt diese Interpretation. Das IntBestG basiert auf der OECD-Konvention über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr von 1997209,210 die die Vertragsstaaten in ihrem Art.  1 verpflichtet, die Bestechung ausländischer Amtsträger mit der Intention, einen Auftrag oder unbilligen Vorteil im internationalen Geschäftsverkehr zu erlangen, unter Strafe zu stellen. Der Titel der Konvention sowie ihr Zweck, der Schutz offener und wettbewerblich strukturierter Märkte211, indizieren, als Schutzgut des IntBestG den internationalen Wettbewerb zu qualifizieren212. Art. 2 § 2 IntBestG enthält somit eine Schutzbereichserweiterung auf ein ausländisches kollektives Allgemeinrechtsgut. Vor dem Hintergrund des besagten internationalen Abkommens dient diese Schutzbereichsausdehnung der Realisierung der hieraus entstehenden strafrechtlichen Schutzpflicht des deutschen Staats gegenüber den anderen Vertragsstaaten.

205

Vgl. 5. Kap. A. I. 3. Fischer, § 108e, Rn. 13. 207 Vgl. 5. Kap. A. I. 9. 208 Vgl. 5. Kap. A. I. 3. 209 BGBl. 1998 II, S. 2329. 210 Hecker, EuStR, § 5, Rn. 15; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331, Rn. 5; Fischer, § 331, Rn. 1. 211 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum IntBestG, BT-Drs. 13/10428, S. 1. 212 Heerspink, wistra 2001, S 441, 445; MüKo/Korte, § 331, Rn. 9; NK/Kuhlen, § 331, Rn. 14; Krause/Vogel, RIW 1999, S. 488, 489; Tinkl, wistra 2006, S. 126, 127; a. A. Schünemann, GA 2003, S. 299, 309. 206

A. Deutsche Straftatbestände und ausländische Allgemeinrechtsgüter

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6. § 96 Abs. 4 AufenthG Die §§ 95 ff. AufenthG213 regeln das Ausländerstrafrecht. Dieses soll im weitesten Sinne die Allgemeinheit vor unkontrollierter Zuwanderung bewahren214. Vom Schutzbereich der §§ 95 ff. AufenthG umfasst sind insofern die kollektiven Allgemeinrechtsgüter der Funktionsfähigkeit des Arbeitsmarkts und der Finanzkraft des Steuer- und Sozialsystems215. Die überwiegend verwaltungsakzessorisch ausgestalteten Strafvorschriften des AufenthG dienen der Durchsetzung der sich aus den verwaltungsrechtlichen Vorschriften des AufenthG ergebenden Verhaltenspflichten im Hinblick auf diese kollektiven Allgemeinrechtsgüter und damit auch der Stabilisierung der diesbezüglichen staatlichen Kontroll- und Ordnungssysteme216. Dem Ausländerstrafrecht wird daher ein sogenannter „gestuft-doppelte[r] Normzweck“ zugesprochen217. § 96 Abs. 4 AufenthG stellt nun einen ausdrücklichen Auslandsbezug her, indem er die Anwendung der in seinem Abs. 1 Nr. 1 lit. a und Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1, 2 und 5 sowie in seinem Abs. 3 normierten Einschleusungstatbestände auf Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der EU oder eines Schengen-Staats, das heißt neben der Mitgliedstaaten der EU von Island, Norwegen, der Schweiz und Liechtenstein218, erweitert. Ein Verstoß gegen die ausländischen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen, insbesondere in der durch § 96 Abs. 4 AufenthG auch erfassten Konstellation, dass die Tat von Ausländern im Ausland begangen wurde219, 213 Das AufenthG trat am 1.1.2005 als Art.  I des Zuwanderungsgesetzes (BGBl. 2004 I, S.  1950) in Kraft. § 96 AufenthG entspricht weitgehend seiner Vorgängervorschrift § 92a AuslG, wurde jedoch um die drei Straftatbestände des Abs. 2 Nr. 3 bis 5 erweitert, vgl. Erbs/ Kohlhaas/Senge, AufenthG Vorbemerkungen, Rn. 6 ff. Der einleitende Satzteil des § 96 Abs. 4 AufenthG wurde durch Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.8.2007 (BGBl. 2007 I, S. 1970) sowie zuletzt durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (BGBl. 2011 I, S. 2258) geändert, vgl. Bergmann/Dienelt/Winkelmann, § 96 AufenthG, Rn. 1. 214 Böse, ZStW 2004, S. 680, 692; Geisler, ZRP 2001, S. 171, 175; Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 78 f. 215 Böse, ZStW 2004, S. 680, 692; Lorenz, NStZ 2002, S. 640, 641 Fn. 17; MüKo/Gericke, § 95 AufenthG, Rn. 1. 216 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 77 f.; Böse, ZStW 2004, S. 680, 692; Lorenz, NStZ 2002, S. 640, 641; Bergmann/Dienelt/Winkelmann, § 95 AufenthG, Rn. 5; MüKo/ Gericke, § 96 AufenthG, Rn. 1; Letzterer sieht daneben durch § 96 Abs. 2 Nr. 3, 4 AufenthG die körperliche Unversehrtheit und durch Nr. 5 Leben, Gesundheit und Menschenwürde des geschleusten Ausländers als geschützt an, wohingegen er einen Schutz des Geschleusten vor finanzieller Ausbeutung auch nach der Gesetzesreform ablehnt; vgl. zu § 92a Abs. 1 AuslG Böse, ZStW 2004, S. 680, 685 ff., der einen Individualrechtsgüterschutz gänzlich verneint. 217 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S.  77; Lorenz, NStZ 2002, S.  640, 641; Böse, ZStW 2004, S. 680, 692. 218 Vgl. 5. Kap. A. I. 10. 219 MüKo/Gericke, § 96 AufenthG, Rn. 41.

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

führt jedoch denknotwendig zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des jeweiligen nationalen Arbeitsmarkts sowie der Finanzkraft des Steuer- und Sozialsystems des betroffenen Staats. Demnach müssen auch die entsprechenden Rechtsgüter der genannten Staaten als durch § 96 Abs. 4 AufenthG in den Schutzbereich des deutschen Ausländerstrafrechts einbezogen qualifiziert werden220. Dieses Ergebnis wird wiederum gestützt durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. § 96 Abs.  4 AufenthG basiert auf Art.  27 Abs.  1 SDÜ221. So erlegte Art. 27 Abs. 1 SDÜ den Mitgliedstaaten die Pflicht auf, angemessene Sanktionen gegen jede Person vorzusehen, die einen Drittausländer bei seiner illegalen Einreise oder seinem illegalen Aufenthalt in einem Vertragsstaat unterstützt und dabei zu Erwerbszwecken handelt. Als Folge der Integration des Schengen-Besitzstands222 in die EU durch den Amsterdamer Vertrag223 wurde Art. 27 Abs. 1 SDÜ ersetzt durch die Richtlinie 2002/90/EG des Rates vom 28. November 2002 zur Definition der Beihilfe zur unerlaubten Ein- und Durchreise und zum unerlaubten Aufenthalt224. Primärrechtliche Grundlagen der Richtlinie sind Art. 61 lit. a und Art. 63 Nr. 3 lit. b EGV (Art. 67 ff. EUV)225. Die Bestimmungen dienen wiederum der gemeinsamen Asyl-, Einwanderungs- und Ausländerpolitik in der EU. Diese kann jedoch nur durch einen lückenlosen Schutz aller mitgliedstaatlicher Kontrollund Ordnungssysteme erreicht werden. Insbesondere im Hinblick auf die Fülle auch an innereuropäischen Grenzüberschreitungen in Verbindung mit Einschleusungsstraftaten bedarf es hierzu eines wechselseitigen Strafschutzes der entsprechenden Rechtsgüter. § 96 Abs.  4 AufenthG enthält somit eine Schutzbereichserweiterung auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter, die der Erfüllung der völkervertraglich übernommenen strafrechtlichen Schutzpflicht des deutschen Staats dient.

B. Zwischenfazit und Folgerungen Die vorliegenden Beispiele zeigen, dass die deutsche Strafrechtsordnung diverse Straftatbestände aufweist, die ausdrücklich auch ausländische Allgemeinrechtsgüter in den deutschen Strafschutz einbeziehen. Dabei handelt es sich um 220

So i.E. auch Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 16. Bergmann/Dienelt/Winkelmann, § 96 AufenthG, Rn. 19. 222 Der Schengen-Besitzstand setzt sich zusammen aus dem Abkommen von Schengen (Schengen I) und dem SDÜ, den diesbezüglichen Beitrittsprotokollen und -übereinkommen weiterer Mitgliedstaaten der EU, aus den Rechtsakten zur Durchführung des SDÜ sowie den Beschlüssen und Erklärungen des aufgrund des SDÜ eingesetzten Exekutivausschusses, vgl. Hecker, EuStR, § 5, Rn. 68 Fn. 101. 223 Vgl. Protokoll über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen SchengenBesitzstand (ABl. EG 1997 Nr. C 340, S. 93), zuletzt geändert durch Protokoll Nr. 1 zum Lissa­bon­ ner Vertrag vom 13.12.2007 (ABl. 2007 Nr. C 306, S. 165, berichtigt ABl. 2009 Nr. C 290, S. 1). 224 ABl. EG 2002 Nr. L 328, S. 17. 225 Bergmann/Dienelt/Winkelmann, § 96 AufenthG, Rn. 19. 221

B. Zwischenfazit und Folgerungen

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ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter, aber auch um staatliche Allgemeinrechtsgüter anderer Nationen, denen dem traditionellen Grundsatz nach der Schutz durch das deutsche Strafrecht eigentlich verwehrt wird226. Jene Schutzbereichserweiterungen basieren meist auf völkerrechtlichen Verträgen, denen der deutsche Staat beigetreten ist, oder auf Völkergewohnheitsrecht. Beide Rechtsinstitute verfolgen übergeordnete Ziele, deren Verwirklichung eine staatenübergreifende Zusammenarbeit erfordert, wobei Völkergewohnheitsrecht allgemein verpflichtend, also inter omnes wirkt, während völkerrechtliche Verträge ausschließlich die Vertragsparteien binden (Wirkung inter partes)227. Das jeweilige Ziel wird von den beteiligten Staaten zu ihrem gemeinsamen Vertragsgegenstand erklärt beziehungsweise liegt im gemeinschaftlichen Interesse der internationalen Staatengemeinschaft und dient damit letztendlich auch den einzelnen Nationen selbst228. Es kann auch den strafrechtlichen Schutz bestimmter Rechtsgüter beinhalten, wenn dieser umfassend nur durch ein intergouvernementales Zusammenwirken realisiert werden kann229. Sofern das betreffende Ziel erreicht wird, sind die Parteien eines völkerrechtlichen Vertrags grundsätzlich frei in der Wahl der Mittel zur Umsetzung ihrer vertraglichen Pflichten230. Auch in Form strafrechtlicher Sanktionierungsgebote richten sich diese jedoch ausschließlich an die Unterzeichnerstaaten als Vertragsparteien, eine unmittelbare Verpflichtung des Einzelnen scheidet aus231. Das Völkervertragsrecht und das Völkergewohnheitsrecht sind aber auch taugliche Rechtsquellen des Völkerstrafrechts232. Das Völkerstrafrecht umfasst all diejenigen Normen, die eine unmittelbare Strafbarkeit des Einzelnen nach dem Völkerrecht begründen233. Das Bedürfnis für ein Völkerstrafrecht liegt in der Existenz von Rechtsgütern begründet, die, ähnlich den supranationalen Rechtsgütern der EU, nicht ausschließlich dem Individuum, dem Staat oder der Gesellschaft zustehen, sondern der internationalen „Staatengemeinschaft als Ganzer“234. Dabei handelt es sich im Hinblick auf die sich von Nation zu Nation unterscheidenden Wertvorstellungen, die in der Ausgestaltung der innerstaatlichen Strafrechtsordnungen münden, um solche Rechtsgüter, deren strafrechtlicher Schutz einem weltweit geltenden Mindeststandard entspricht, zu dem beispielsweise Tatbestände gegen Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu zählen 226

Vgl. 4. Kap. C. II. und III. Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 133. 228 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 2. 229 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 133. 230 BGHSt 34, 256, 259; Maunz/Dürig/Nettesheim, Art. 59, Rn. 173. 231 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 133 f. 232 Satzger, IntStR, S. 288; vgl. Art. 38 Abs. 1 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs (IGH-Statut), BGBl. 1973 II, S. 505, 521. 233 Werle, VölkerStR, Rn. 86; Satzger, IntStR, S. 286; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 82. 234 Satzger, IntStR, S. 286; ähnlich Werle, VölkerStR, Rn. 95; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 131 f. 227

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

sind235. Diese Rechtsgüter der Staatengemeinschaft stehen nicht zur Disposition der einzelnen Staaten und bedürfen demnach eines von dem nationalen Strafrecht unabhängigen überstaatlichen Schutzes236. Selbst wenn nicht ausgeschlossen ist, dass auch die innerstaatlichen Strafrechtsordnungen einen umfassenden Schutz der Rechtsgüter der Staatengemeinschaft gewährleisten, stellt das Völkerstrafrecht einen solchen eigenen, autonomen Schutzmechanismus zur Verfügung237 und durchbricht so die auf dem Gebiet des Strafrechts bestehende einzelstaatliche Souveränität238. Während für internationale Strafgerichte völkerstrafrechtliche Regelungen unmittelbar gelten, scheitert ihre direkte Anwendung in Deutschland allerdings an dem Gesetzlichkeitsprinzip und Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG239. Völkerrechtliche Verträge stellen im Gegensatz zum Völkergewohnheitsrecht kein (Völker-)Strafrecht im engeren Sinne dar, da sie selbst nicht die das Kriminalstrafrecht kennzeichnende Rechtsfolge der Strafduldungspflicht für den Einzelnen beinhalten240. Vielmehr verpflichten sie ausschließlich die Vertragsstaaten, bestimmte Strafpflichten durch die Umsetzung in innerstaatliches Recht auf den Einzelnen anwendbar zu machen241. Zu dessen letztendlicher Bestrafung bedarf es damit innerstaatlichen Maßstäben entsprechend gefasster, nationaler Straftatbestände242. Aber auch ein unmittelbarer völkergewohnheitsrechtlich begründeter Strafschutz ausländischer Rechtsgüter scheidet in Deutschland aus. Das Völkergewohnheitsrecht ist zwar als Element der „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ i. S. d. Art. 25 S. 1 GG Bestandteil des deutschen Bundesrechts243, geht dem Grundgesetz in der Normenhierarchie jedoch nach244. Folglich sind auch strafrechtliche Regelungen, die auf Völkergewohnheitsrecht basieren, an das verfassungsrechtliche Gesetzlichkeitsprinzip des Art.  103 Abs.  2 GG gebunden und müssen somit in der deutschen Strafrechtsordnung kodifiziert sein245. Die betrachteten Strafvorschriften erfüllen besagte Vorgaben und verschaffen so dem völkergewohnheitsrechtlich sowie völkervertraglich motivierten Strafschutz im innerstaatlichen Recht Geltung. 235

Satzger, IntStR, S. 287; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 2, 4; vgl. zu den Tatbeständen des Völkerstrafrechts auch Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 92 ff. 236 Satzger, IntStR, S. 286. 237 Satzger, IntStR, S. 286. 238 Werle, VölkerStR, Rn. 95. 239 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 79; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 3; Satzger, IntStR, S. 286; Wilkitzki, ZStW 1987, S. 455, 460 f. 240 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 131. 241 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 131. 242 Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 136; Vogel, JZ 1995, S. 331, 334; Wilkitzki, ZStW 1987, S. 454, 464 f. 243 Maunz/Dürig/Herdegen, Art. 25, Rn. 23; Schmidt, Externe Strafpflichten, S. 70. 244 Graf Vitzthum/Proelß/Kunig, VölkerR, S. 120. 245 Graf Vitzthum/Proelß/Kunig, VölkerR, S. 118 f.

B. Zwischenfazit und Folgerungen

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Bei nationalen Straftatbeständen, die auf der völkerrechtlichen Pflicht zur Ahndung bestimmter Verhaltensweisen basieren, handelt es sich um die sogenannten „treaty (based) crimes“246. Entsprechende innerstaatliche Straftatbestände müssen gemäß des Grundsatzes völkerrechtsfreundlicher Auslegung so ausgelegt werden, dass sie den in nationales Recht zu implementierenden völkerrechtlichen Sanktionierungsvorgaben genügen247. Nach dem BVerfG sei davon auszugehen, dass der nationale Gesetzgeber nicht von völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands abweichen oder ihre Verletzung ermöglichen will248. Deshalb soll bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten derjenigen der Vorzug gewährt werden, die gleichzeitig den völkerrechtlichen Anforderungen genügt249. Freilich kommt der völkerrechtsfreundlichen Auslegung eine zwingende Vorrangwirkung nicht bereits durch den Rang des Völkerrechts in der innerstaatlichen Normenhierarchie zu, da zwar das Völkergewohnheitsrecht durch Art. 25 S. 2 GG dem einfachgesetzlichen Recht hierarchisch vorgeht, völkerrechtliche Verträge aufgrund ihrer Transformation i. S. d. Art. 59 Abs. 2 GG jedoch lediglich den Rang eines einfachen Gesetzes erhalten250. Die Sonderrolle der völkerrechtlichen Auslegung gegenüber den klassischen Auslegungsmethoden vermittelt gleichwohl die dem angesprochenen Art. 25 GG, aber auch der Präambel oder den Art. 1 Abs. 2 und 9 Abs. 2 GG zu entnehmende, völkerrechtsfreundliche Tendenz des Grundgesetzes251. Indem der deutsche Staat seine nationalen Straftatbestände funktionalisierte, um den Verpflichtungen nachzukommen, die sich aus seiner Beteiligung an völkerrechtlichen Verträgen beziehungsweise als verantwortungsvolles Mitglied der allgemeinen Staatengemeinschaft ergeben, hat er das deutsche Kriminalstrafrecht, das die nationalen Wertvorstellungen in besonderem Maße widerspiegelt, völkerrechtlichen Einflüssen zugänglich gemacht und sich insoweit bewusst seiner Kompetenz begeben, über Umfang und Ausgestaltung seiner Strafrechtsordnung als unabhängige Nation souverän zu entscheiden252. Diese Einbuße an staatlicher Autonomie durch die Teilnahme an völkerrechtlichen Beziehungen, das innerstaatliche Kriminalstrafrecht betreffend, zeigt sich insbesondere im Hinblick auf die Erweiterung derjenigen nationalen Straftatbestände, die ursprünglich den Schutz staatlicher Allgemeinrechtsgüter bezwecken und aufgrund ihres damit verbunden spezifischen, bereits in ihrem Wortlaut angelegten Bezugs zu der innerstaatlichen Staatsordnung einem Schutz auslän 246 Satzger, IntStR, S.  291; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  2; vgl. zur Terminologie auch Werle, Völker­StR, Rn. 130. 247 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 3; Mölders, Bestechung, S. 175. 248 BVerfGE 75, 1, 18 ff. 249 Isensee/Kirchhof/Tomuschat, § 226, Rn. 36; Satzger, Europäisierung, S. 523. 250 Satzger, Europäisierung, S. 524. 251 BVerfGE 18, 112, 121; 31, 58, 75 f.; Isensee/Kirchhof/Tomuschat, § 226, Rn. 36; Stern, Staatsrecht I, S. 475 f.; Bleckmann, DÖV 1979, S. 309 ff.; ders., DÖV 1996, S. 137 ff.; Satzger, Europäisierung, S. 523 f. 252 Satzger, Europäisierung, S. 158.

102

5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

discher Interessen grundsätzlich verschlossen bleiben. In diesem Fall wird im Zuge der völkerrechtlichen Pflichterfüllung ein besonders sensibler Bereich der innerstaatlichen Strafrechtsordnung zugunsten schützwürdiger Interessen anderer Nationen geöffnet, was sich nach außen hin durch Einebnung der in den betreffenden Tatbeständen enthaltenen Wortlautgrenze zeigt. Die Einbeziehung staatlicher Allgemeinrechtsgüter derjenigen ausländischen Staaten, die neben der Bundesrepublik an internationalen Abkommen teilnehmen und über ein mit der deutschen Grundordnung vereinbares Wertesystem verfügen, in den Schutzbereich des eben diese Verfasstheit widerspiegelnden, deutschen­ Kriminalstrafrechts, birgt jedenfalls keinen Widerspruch in sich. Insofern wird der tradierte Grundsatz, besagte Straftatbestände seien ausschließlich dem Schutz innerstaatlicher Allgemeinrechtsgüter zugänglich, in zulässiger Weise relativiert. Dagegen bestätigen diejenigen ausdrücklichen Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände, die auf Abkommen ausschließlich zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union basieren und sich auf ausländische Allgemeinrechtsgüter kollektiver Natur beziehen, die auf das überwiegende individuelle Substrat jener Rechtsgüter zurückzuführende grundsätzliche Offenheit von Strafvorschriften zum Schutz kollektiver Allgemeinrechtsgüter, auch entsprechende ausländische Interessen zu schützen, indem diese durch den deutschen Strafgesetzgeber ausdrücklich nicht nur auf die kollektiven Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten, sondern darüber hinaus auch auf diejenigen von Drittländern erstreckt werden253.

C. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union basiert mit den Gründungsverträgen254 gleichsam auf einer völkervertraglichen Grundlage255. Bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009256 galt die sogenannte Drei-Säulen-Struktur der EU, die den EUV a. F. als völkerrechtlich geprägten Dachvertrag begriff, der die EG, die „Gemeinsame Außen- und Sicher 253

NK/Böse, Vor § 3, Rn. 60. Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. 1957 II, S. 766; Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft vom 25.3.1957, BGBl. 1957 II, S. 1014; Vertrag von Maastricht vom 7.2.1992, ABl. EG 1992 Nr. C 191, S. 1; Vertrag von Amsterdam vom 10.11.1997, ABl. EG 1997 Nr. C 340, S. 1; Vertrag von Nizza vom 10.3.2001, ABl. EG 2001 Nr. C 80, S. 1; vgl. hierzu Graf Vitzthum/Proelß/Klein/Schmahl,­ VölkerR, S. 354 f. 255 Satzger, Europäisierung, S. 36; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 43. 256 Vgl. 1. Kap. 254

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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heitspolitik“ (GASP) und die „Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Inneres“ (ZBJI) als die sogenannten „drei Säulen“ miteinander verklammerte257. Innerhalb der ersten Säule führten die der Europäischen Gemeinschaft durch die Mitgliedstaaten zugewiesenen Hoheitsrechte zu der Entwicklung einer eigenen Rechtsordnung258 mit der Befugnis der EG zur eigenständigen Rechtssetzung259. Das europäische Gemeinschaftsrecht zeichnete sich durch seine unmittelbare Wirksamkeit aus, sprich, dass es im Gegensatz zu klassischen völkerrechtlichen Verträgen nicht nur die Mitgliedstaaten als solche zu binden imstande war, sondern darüber hinaus ohne einen weiteren Umsetzungsakt oder Vollzugsbefehl innerhalb der Mitgliedstaaten wirksam wurde und somit auch Rechte und Pflichten für den Einzelnen begründen konnte („Durchgriffswirkung“)260. Der EG wurde insoweit die Fähigkeit übertragen, auf den „Souveränitätspanzer“261 ihrer Mitgliedstaaten einzuwirken262. So hat der EuGH zahlreichen Normen des primären Gemeinschaftsrechts eine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedstaaten zugesprochen263, in Bezug auf das sekundäre Gemeinschaftsrecht, das seit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam264 nach qualifizierten Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU und unter Beteiligung des Europäischen Parlaments erlassen wurde265, ist seit jeher zu unterscheiden: Verordnungen sind in den Mitgliedstaaten unmittelbar wirksam, was sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut (Art. 288 UAbs. 2 AEUV, Art.  249 Abs.  1 EGV) ergibt266. Dagegen binden Richtlinien (Art.  288 UAbs.  3 AEUV, Art. 249 Abs. 2 EGV) grundsätzlich267 nur die Mitgliedstaaten in Bezug auf die zu erreichenden Ziele und müssen zudem in das nationale Recht der Mitgliedstaaten umgesetzt werden, um unmittelbare Wirkung zu erlangen268. Die Umsetzung der Richtlinienvorgabe kann durch legislatives Tätigwerden sowie durch richtlinienkonforme Auslegung bereits bestehenden Rechts in den Mitgliedstaaten erfolgen269. Die autonome Gemeinschaftsrechtsordnung mit ihrer einheitlichen Geltung in allen Mitgliedstaaten sowie die unmittelbare Wirkung von EG-Recht im innerstaatlichen Bereich bildeten die Grundlage für den Vorranganspruch des Ge 257

Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 106. EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, 1251, 1270 (Costa/E. N. E. L.). 259 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 22, 101 ff. 260 Satzger, Europäisierung, S. 39. 261 Der Begriff stammt von Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 308. 262 Graf Vitzthum/Proelß//Klein/Schmahl, VölkerR, S. 258. 263 Z. B. EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1963, 1 (Van Gend & Loos); Rs. 57/65, Slg. 1966, 257 (Lütticke). 264 ABl. EG 1997 Nr. C 340, S. 1. 265 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Eikenberg, Art.  179 AEUV, Rn.  25; Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo/Schoo, Art. 294 AEUV, Rn. 7. 266 Satzger, Europäisierung, S. 39; ders., IntStR, S. 99; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 51; Oppermann/ Classen/Nettesheim, EuR, S. 120. 267 Vgl. zu der ausnahmsweisen Durchgriffswirkung von Richtlinien Hecker, EuStR, § 4, Rn. 53. 268 Hecker, EuStR, § 4, Rn. 52; Satzger, InStR, S. 91. 269 Hecker, EuStR, § 4, Rn. 52, vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb). 258

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

meinschaftsrechts270, der wiederum den sich von anderen Internationalen Organisationen unterscheidenden überstaatlichen, supranationalen Charakter der EG auszeichnete271. Obgleich auch innerhalb der ersten Säule entsprechende Rechtsakte erlassen wurden272, fanden bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon strafrechtsrelevante Aktivitäten in erster Linie im Bereich der dritten Säule der ehemaligen EU statt273. Die GASP und die ZBJI als zweite und dritte Säule waren im Gegensatz zu der ersten Säule nicht supranational, sondern intergouvernemental organisiert274. Weil es sich bei der Außenpolitik sowie der Justiz und der inneren Sicherheit, dem Strafrecht entsprechend, um Belange handelt, die in besonderem Maße Ausdruck staatlicher Souveränität sind, sollten diese nicht Bestandteil der EG-Rechtsordnung sein, deren Rechtsakte in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung haben konnten275. So war die Zusammenarbeit in Strafsachen durch den Vertrag von Maastricht276 der dritten Säule zugewiesen worden und fand als „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ primär durch völkerrechtliche Kooperation der Mitgliedstaaten statt277. Beschlüsse in diesem Bereich erfolgten nach dem Einstimmigkeitsprinzip im Rat der EU und bedurften als völkerrechtliche Abkommen immer der Umsetzung in nationales Recht278. Durch den Vertrag von Amsterdam wurde die ZBJI umstrukturiert und in Teilen als „Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen“ (PJZS) in die Art.  29 ff. EUV a. F. integriert279. Damit verblieb sie in der intergouvernemental geprägten dritten Säule280. Die Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten innerhalb der PJZS i. S. d. Art. 29 ff. EUV a. F. hatte zum Ziel, den Bürgern in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ein hohes Maß an Sicherheit zu bieten. Das diesbezüglich nach Art. 29 EUV a. F. geregelte „gemeinsame Vorgehen der Mitgliedstaaten“ sollte nunmehr die schrittweise Annahme von Maßnahmen zur Festlegung von Mindestvorschriften in bestimmten Kriminalitätsbereichen beinhalten (Art. 31 lit. e EUV a. F.). Zur Erreichung dieses Ziels konnten neben der weiterhin bestehenden Möglichkeit rein völkerrechtlicher Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. d EUV a. F. (Art. K.3 Abs. 2 lit. c EUV in der Fassung von Maastricht) nun erstmals gemäß Art. 34 Abs. 2 S. 2 270 Satzger, Europäisierung, S. 43 ff.; vgl. hierzu auch EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, 1251, 1270 (Costa/E. N. E. L.). 271 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 22. 272 Vgl. hierzu Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 16. 273 Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 17. 274 BVerfGE 113, 273, 300 ff.; Schwarze/Böse, Art.  29 EUV, Rn.  2; Hillgruber, Anm.  zu EuGH JZ 2005, S. 841; Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 106 f. 275 Satzger, IntStR, S. 100. 276 ABl. EG 1992 Nr. C 191, S. 1. 277 Hecker, EuStR, § 4, Rn. 79; Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 8. 278 Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 9. 279 Hecker, EuStR, § 5, Rn. 67. 280 Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 13.

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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lit.  b EUV a. F. Rahmenbeschlüsse erlassen werden, die die Gemeinsame Maßnahme nach Art. K.3 Abs. 2 lit. b EUV in der Fassung von Maastricht ersetzten281. Während die Bindungswirkung der Gemeinsamen Maßnahmen umstritten war282, wiesen Rahmenbeschlüsse Parallelen zu den gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien i. S. d. Art. 249 Abs. 3 EGV auf insofern, als auch sie der Rechtsangleichung dienten sowie hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich waren, die Wahl der Form und Mittel aber den Mitgliedstaaten überließen283. Eine unmittelbare Wirkung wurde jedoch nach Art. 34 Abs. 2 S. 2 lit. b S. 3 EUV a. F. ausdrücklich ausgeschlossen284, worin eine klare Abgrenzung der völkerrechtlich geprägten PJZS zum supranationalen Gemeinschaftsrecht gesehen wurde285. So herrschte Uneinigkeit darüber, ob der Rahmenbeschluss völkerrechtlicher oder unionsrechtlicher Natur sei286. Jedenfalls lässt sich eine Pflicht zur Berücksichtigung von Rahmenbeschlüssen bei der Auslegung innerstaatlichen Rechts bereits dem Gebot völkerrechtsfreundlicher Auslegung entnehmen287. Bei nationalen Umsetzungsakten könne unterstellt werden, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des jeweiligen Rahmenbeschlusses – wie diejenigen völkerrechtlicher Verträge – zutreffend habe umsetzen wollen288. Durch den Vertrag von Lissabon wurde die Säulenstruktur und damit die Unterscheidung zwischen EG und EU aufgegeben, die EU erhielt eine einheitliche Rechtspersönlichkeit und wurde Rechtsnachfolgerin der EG (Art.  1 Abs.  3 S.  3 EUV)289. Die GASP bleibt Teil  des EUV, der EGV wurde in den „Vertrag über die Arbeitsweise der Union“ (AEUV) umbenannt290. Infolge ihrer Überführung in den AEUV wurde die PJZS in den supranationalen Bereich integriert und die Regelungsinstrumentarien i. S. d. Art. 34 Abs. 2 EUV a. F. durch die einheitlichen Rechtsakte des Art. 288 EUV ersetzt291. Der Erlass sekundären Unionsrechts erfolgt nun regelmäßig, und so auch auf dem Gebiet des Strafrechts (Art. 82 bis 85 AEUV), im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch den Rat und das Euro-

281

Calliess/Ruffert/Suhr, 3. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 13. Vgl. hierzu v.d. Groeben/Schwarze/Wasmeier, Art. 34 EUV, Rn. 8 m. w. N. 283 Calliess/Ruffert/Suhr, 3. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 13; Grabitz/Hilf/Röben, Art. 34 EUV, Rn. 15; Herrmann, Anm. zu EuGH EuZW 2005, S. 436, 437; Schwarze/Böse, Art. 34 EUV, Rn. 6; ders., Art. 29 EUV, Rn. 2, weisen insofern auf die bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestehende supranationale Prägung der PJZS hin, vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb). 284 Satzger, IntStR, S. 100; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 79. 285 v.d. Groeben/Schwarze/Wasmeier, Art. 34 EUV, Rn. 9; Streinz/Satzger, 1. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 9. 286 Vgl. hierzu v.d. Groeben/Schwarze/Wasmeier, Art. 34 EUV, Rn. 10 m.w. N. 287 Schwarze/Böse, Art. 34 EUV, Rn. 6; Streinz/Satzger, 1. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 9; v.d. Groeben/Schwarze/Wasmeier, Art. 34 EUV, Rn. 12; Herrmann, Anm. zu EuGH EuZW 2005, S. 436, 437, vgl. aber zudem 6. Kap. C. II. 2. g) bb). 288 Herrmann, Anm. zu EuGH EuZW 2005, S. 436, 437. 289 Satzger, IntStR, S. 101. 290 Satzger, IntStR, S. 101. 291 Hecker, EuStR, § 5, Rn. 76. 282

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

päische Parlament auf Vorschlag der Kommission292. Die früheren Rechtsakte der dritten Säule behalten aber so lange ihre Rechtswirkung, bis sie in Anwendung der Verträge aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert werden293. Folglich sind auch die Vorgaben dieser europäischen Rechtsakte, den völkerrechtlichen Verpflichtungen entsprechend, bei der Begutachtung nationaler Straftatbestände im Hinblick auf eine Erweiterung ihres Schutzbereichs auf ausländische Allgemeinrechtsgüter zu beachten. Neben strafrechtlichen Schutzbereichserweiterungen, die auf völkergewohnheits- und völkervertragsrechtlichen beziehungsweise unionsrechtlichen Verpflichtungen des deutschen Staats beruhen und sich auf Allgemeinrechtsgüter anderer Nationen weltweit beziehen, bestehen indes auch explizite strafrechtliche Schutzbereichsausdehnungen, die der deutsche Strafgesetzgeber aufgrund der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EU ausschließlich auf Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten vorgenommen hat.

I. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf staatliche Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten 1. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB (ex Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG) Neben dem IStGHGleichstG294, dem NTSG295 und dem IntBestG296 bestimmte bislang das EUBestG einen allerdings ausschließlich den europäischen Rechtsraum betreffenden Auslandsbezug der Bestechungsvorschriften. So vermittelte Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EUBestG einen Auslandsbezug der §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB, indem er im Hinblick auf aktive und passive Bestechungshandlungen für künftige richterliche Handlungen oder Diensthandlungen dem deutschen Richter i. S. d. § 11 Abs.  1 Nr.  3 StGB den Richter eines anderen EU-Mitgliedstaats und gemäß Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. a EUBestG einem sonstigen Amts­ träger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB297 denjenigen eines anderen Mitgliedstaats der EU gleichstellte. Sofern Bestechungshandlungen bezüglich dieser mitgliedstaatlichen Amtsträger die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen, etwa weil die Amtsträger aufgrund der Funktion ihres Amts mit den europäischen Finanz 292

Hecker, EuStR, § 4, Rn. 7. Art. 9 des Protokolls über die Übergangsbestimmungen, ABl. 2007 Nr. C 306, S. 159, 163, zuletzt geändert durch EU-Beitrittsakte 2013 der Republik Kroatien vom 9.12.2011 (ABl. 2012 Nr. L 112, S. 21). 294 Vgl. 5. Kap. A. I. 7. 295 Vgl. 5. Kap. A. I. 8. 296 Vgl. 5. Kap. A. I. 9. 297 Vgl. hierzu MüKo/Korte, § 332, Rn. 5; ders., wistra 1999, S. 81, 84; Heinrich, Keller GS, S. 103, 110. 293

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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mitteln unmittelbar in Berührung kommen, bewirkte Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG eine – qualitative – Schutzbereichserweiterung der §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB auf das finanzielle Interesse der EU298. Dem EUBestG nach galten die §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB jedoch nicht nur für diejenigen Bestechungshandlungen hinsichtlich mitgliedstaatlicher Amtsträger, die die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, sondern auch für die Bestechlichkeit und Bestechung mitgliedstaatlicher Amtsträger ohne unmittelbaren Bezug zum EU-Finanzhaushalt299. Da ein solches tatbestandsmäßiges Verhalten eines Amtsträgers eines anderen EU-Mitgliedstaats i.S.d §§ 332 oder 334 StGB denknotwendig die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der Verwaltung eben dieses Mitgliedstaats beeinträchtigt300, wurde dem EUBestG eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB auf die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der Verwaltungen der anderen EU-Mitgliedstaaten entnommen301. Indes wurde auch Art. 2 EUBestG durch das 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption mit Wirkung vom 26. November 2015 in das StGB überführt302. Die vormals in Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a EUBestG enthaltene Gleichstellungsregelung bezüglich Richter der anderen EU-Mitgliedstaaten ist nun in § 335a Abs. 1 Nr. 1 StGB enthalten, der, wie bereits erörtert303, für die Anwendung der §§ 332 und 334 StGB, jeweils auch i. V. m. § 335 StGB, auf eine Tat, die sich auf eine künftige richterliche Handlung oder künftige Diensthandlung bezieht, einem Richter i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a und Nr. 3 StGB Mitglieder ausländischer Gerichte gleichstellt304. Die die sonstigen Amtsträger der EU-Mitgliedstaaten betreffende Gleichstellungsbestimmung des Art.  2 § 1 Nr.  2 lit.  a EUBestG findet sich nunmehr in § 335a Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB305. Wie gesehen, stellt dieser einem sonstigen Amtsträger einen Bediensteten eines ausländischen Staates sowie eine Person gleich, die beauftragt ist, öffentliche Aufgaben für einen ausländischen Staat wahrzunehmen306. Neben dem nunmehr verwendeten Terminus „Bedienstete“307 enthält § 335a Abs. 1

298

Pieth, ZStW 1997, S. 754, 772; LK/Sowada, Vor § 331, Rn. 27. Korte, wistra 1999, S. 81, 83; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 59 f. 300 So auch Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 91. 301 Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S.  193; Tinkl, wistra 2006, S.  126, 127; LK/Sowada, Vor § 331, Rn.  27; NK/Kuhlen, § 331, Rn.  14; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  62; Pieth, ZStW 1997, S.  756, 772; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 58 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 91. 302 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 f., 24, 26. 303 Vgl. 5. Kap. A. I. 7. und 9. 304 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24. 305 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24. 306 Vgl. 5. Kap. A. I. 9. 307 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24 sowie 5. Kap. A. I. 7. und 9. 299

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Nr. 2 lit. a StGB im Unterschied zu Art. 2 § 1 Nr. 2 lit. a ­EUBestG keine Einschränkung über den Verweis auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB308. Wie seine in Art. 2 § 1 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 lit. a EUBestG enthaltenen Vorgängerregelungen bewirkt somit auch § 335a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 lit. a StGB durch die in ihm enthaltene Gleichstellung von Amtsinhabern der anderen EU-Mitgliedstaaten mit nationalen Amtsträgern eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332 und 334 StGB auf die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der Verwaltungen der anderen EU-Mitgliedstaaten. Dieses Ergebnis spiegelt die Intention der unionsrechtlichen Grundlagen des EUBestG und des § 335a StGB wider. Wie § 335a StGB309 basiert bereits das EUBestG310 auf dem Protokoll aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Euro­ päische Union zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 27.  September 1996311 und dem dieses ergänzende, am 28.  September 2005 in Kraft getretene und durch das­ EUBestBekämpfÜbkG312 umgesetzte Übereinkommen aufgrund von Art.  K.3 Abs. 2 lit. c des Vertrages über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind vom 25. Juni 1997313.314 Das Protokoll verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, auch Bestechungshandlungen von oder gegenüber nationalen Amtsträgern der anderen Mitgliedstaaten unter Strafe zu stellen, soweit hierdurch die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigt werden oder beeinträchtigt werden können (Art. 1 bis 3 des Protokolls). Es verkörpert die Vorgabe des Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV (Art. 280 Abs. 1 und 2 EGV), der die Mitgliedstaaten anhält, Betrügereien und sonstige gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit den gleichen Maßnahmen zu bekämpfen, die sie auch zur Bekämpfung von Taten gegen ihre eigenen finanziellen Interessen ergreifen. Um eine umfassende justizielle Zusammenarbeit i. S. d. Art. 67 AEUV zu gewährleisten, die eine generelle Bekämpfung von Bestechungshandlungen auf EU-Ebene erfordert, wurden die EU-Mitgliedstaaten durch das Übereinkommen aber auch angehalten, über diejenigen Bestechungshandlungen, an denen Beamten anderer Mitgliedstaaten beteiligt sind und

308 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 24 f.; Isfen, JZ 2016, S. 228, 229. 309 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 11. 310 MüKo/Korte, § 331, Rn.  21; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331, Rn.  4; Wabnitz/­ Janovsky/Dannecker/Bülte, 2. Kap., Rn. 91 ff., 95 f., 101. 311 ABl. EG 1996 Nr. C 313, S. 2. 312 Gesetz zu dem Übereinkommen vom 26.5.1997 über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind vom 21.10.2002, BGBl. 2002 II, S. 2727. 313 ABl. EG 1997 Nr. C 195, S. 2. 314 MüKo/Korte, § 331, Rn.  21; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 331, Rn.  4; Wabnitz/­ Janovsky/Dannecker/Bülte, 2. Kap., Rn. 91 ff., 95 f., 101.

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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durch die die EU-Finanzinteressen unmittelbar geschädigt werden oder geschädigt werden können hinaus, auch die Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern der anderen Mitgliedstaaten ohne unmittelbaren Bezug zu den finanziellen Interessen der EU zu sanktionieren315. Insofern besteht auch bezüglich der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der nationalen Verwaltungsapparate ein wechselseitiges Schutzinteresse der EU-Mitgliedstaaten. § 335a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 lit. a StGB bewirkt somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332 und 334 StGB auf staatliche Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten. 2. § 370 Abs. 6 S. 2 AO § 370 Abs. 1 bis 5 AO enthalten die Straftatbestände der Steuerhinterziehung, deren Schutzgut der als staatliches Allgemeinrechtsgut einzuordnende staatliche Steueranspruch beziehungsweise das diesbezügliche staatliche Vermögen bildet316. § 370 Abs. 6 S. 1 AO erstreckt die Geltung der in den Abs. 1 bis 5 enthaltenen Steuerstraftatbestände nun auf „Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden oder die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat zustehen“. Neben der Qualifizierung der „Einfuhr- und Ausfuhrabgaben“ als Steuern i. S. d. AO nach § 3 Abs. 3, Abs. 1 AO i. V. m. Art. 4 Nr. 10 und 11 der Verordnung (EWG) Nr.  2913/92 des Rates vom 12.  Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften317 (Zollkodex), erfolgte durch das 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 eine Ergänzung des in § 370 Abs.  3 S.  2 Nr.  2 und 3 AO tatbestandlichen Amtsträgerbegriffs durch Einfügung des Europäischen Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB als Tatbestandsmerkmal, wodurch die Gleichstellungsvorschrift des Art. 2 § 1 Abs.  2 Nr.  2 EUBestG in das StGB überführt wurde318, die dem Amtsträger i. S. d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 AO a. F. Gemeinschaftsbeamte i. S. d. Art. 2 § 1 Abs.  1 Nr.  2 lit.  b EUBestG und Mitglieder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften i. S. d. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c EUBestG gleichstellte und somit die insofern bestehende Wortlautgrenze einebnete. Der vorliegende Auslandsbezug trifft damit die Aussage, dass § 370 AO auch diejenige Steuerhinterziehung mit Strafe belegt, die europaweite Ein- und Ausfuhrabgaben zum Gegenstand hat,

315

Vgl. die Art. 1 bis 3 sowie die Erwägungsgründe des Übereinkommens. Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 317 ABl. EG 1992 Nr. L 302, S. 1, berichtigt ABl. EG 1993 Nr. L 79, S. 84 und ABl. EG 1996 Nr. L 97, S. 38, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (ABl. 2013 Nr. L 269, S. 1, berichtigt ABl. 2013 Nr. L 287, S. 90) m.W.v. 1.5.2016. 318 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7 ff., 26 f. 316

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

so dass auch ausländische Vermögensinteressen dem Schutzbereich der Vorschrift unterfallen319. Es stellt sich jedoch die Frage, ob auch der Steueranspruch der einzelnen Mitgliedstaaten erfasst ist. Dies ist bereits zu bezweifeln im Hinblick auf den Wortlaut des § 370 Abs. 6 S. 1 AO, nach dem nur solche Steuern erfasst werden, die durch die Mitgliedstaaten „verwaltet“ werden, wohingegen explizit auch die­ jenigen Steuern als geschützt gelten, die einem Mitgliedstaat der Europäischen Freihandelsassoziation oder einem mit dieser assoziierten Staat „zustehen“. Dass ausdrücklich nicht auch diejenigen Steuern einbezogen sind, die den einzelnen Mitgliedstaaten zustehen, erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. d. Zollkodex der Union zustehen und nur ihre Erhebung durch die Mitgliedstaaten erfolgt320. Insofern ist durch § 370 Abs.  6 S. 1 AO ausschließlich der Steueranspruch der EU selbst, nicht aber der einzelnen Mitgliedstaaten erfasst. Allerdings stellt auch § 370 Abs. 6 S. 2 AO einen ausdrücklichen Auslandsbezug her, indem er die Abs. 1 bis 5 zudem für anwendbar erklärt, „wenn sich die Tat auf Umsatzsteuern oder auf die in Artikel 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchssteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (ABl. L 9 vom 14.1.2009, S. 12) genannten harmonisierten Verbrauchssteuern bezieht, die von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verwaltet werden“. Insofern wird der den sachlichen Anwendungsbereich regelnde § 1 AO erweitert um besagte Verbrauchs- und Umsatzsteuern, die von den anderen Mitgliedstaaten verwaltet werden und im Gegensatz zu § 370 Abs. 6 S. 1 AO diesen auch zustehen321. Damit ist § 370 Abs. 6 S. 2 AO eine Schutzbereichserweiterung seiner Abs. 1 bis 5 auf den die benannten Steuern betreffenden Steueranspruch der anderen EU-Mitgliedstaaten beziehungsweise das diesbezügliche mitgliedstaatliche Vermögen zu entnehmen. Eine Einschränkung ist jedoch für § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 AO zu machen. Da dieser seinen Anwendungsbereich auf nationale und Europäische Amtsträger, aber gerade nicht auf mitgliedstaatliche Amtsträger ausdehnt, scheitert ein Schutz auch des Steueranspruchs der anderen Mitgliedstaaten an der Wortlautgrenze des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 AO. Abgesehen von dieser Ausnahme bewirkt § 370 Abs. 6 S. 2 AO somit eine Schutzbereichserweiterung der Abs. 1 bis 5 auf den Steueranspruch und damit das Vermögen der anderen Mitgliedstaaten. Dieses Ergebnis trägt der Entstehungsgeschichte der Vorschrift322 Rechnung. Die in § 370 Abs.  6 AO enthaltene Regelung basiert auf dem EGFinSchG von 319

MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn.  9; Erbs/Kohlhaas/Hadamitzky/Senge, § 370 AO, Rn.  2; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 89. 320 MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn. 59. 321 MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn. 60. 322 Vgl. hierzu MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn. 35 ff.

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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1998323, dessen unionsrechtliche Grundlage wiederum das Übereinkommen vom 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG324 bildet, das am 17. Oktober 2002 in Kraft trat und die Mitgliedstaaten in seinem Art. 1 Abs.  2 verpflichtet, betrügerische Handlungen zu Lasten des Unionshaushalts unter Strafe zu stellen. Auch dieses Übereinkommen verkörpert die Vorgabe des Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV an die Mitgliedstaaten, gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete rechtswidrige Handlungen mit den gleichen Maßnahmen zu bekämpfen, die sie auch zur Bekämpfung von Taten gegen ihre eigenen finanziellen Interessen ergreifen. Da die Wahrung der finanziellen Interessen der EU von den Finanzbeiträgen und damit der Bonität der einzelnen Mitgliedstaaten abhängt325, besteht auch bezüglich des nationalen Vermögens der EU-Mitgliedstaaten ein wechselseitiges Schutzinteresse. § 370 Abs. 6 S. 2 AO bewirkt somit eine ausdrückliche Schutzbereichserweiterung von § 370 Abs. 1 bis 5 AO mit Ausnahme der Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 auf staatliche Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten. 3. § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG Das WaffG schützt das sicherheitsrechtliche Interesse der Bundesrepublik im Hinblick auf ihr staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht326. Der enge Bezug des WaffG zum staatlichen Kontrollregime spiegelt sich in der verwaltungsakzessorischen Ausgestaltung der in den §§ 51 ff. WaffG enthaltenen Straftatbestände wider327. Die Verweisung in den als Blankettnormen ausgestalteten Strafvorschriften auf deutsche Ausfüllungsregelungen bestätigt wiederum eine grundsätzliche Beschränkung ihres Schutzbereichs auf das sicherheitsrechtliche Interesse im­ Inland328. Indes bedarf gemäß § 2 Abs. 2 i. V. m. Anl. 2 Abschn. 2 UAbschn. 1 i. V. m. § 31 Abs. 1 WaffG auch diejenige Person einer verwaltungsbehördlichen Erlaubnis, die eine dort genannte Schusswaffe oder Munition in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union verbringt. § 31 Abs. 1 WaffG macht dabei, als Voraussetzung für die Erteilung der diesbezüglichen Erlaubnis durch die deutsche Behörde, die Zustimmung des Empfängermitgliedstaats erforderlich. Wer ohne eine dementsprechende Erlaubnis eine erlaubnispflichtige Schusswaffe oder Munition in einen

323

BGBl. 1998 II, S. 2322. ABl. EG 1995 Nr. C 316, S. 49. 325 Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art.  311 AEUV, Rn.  3; Streinz/Niedobitek, Art.  311 AEUV, Rn. 11. 326 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 327 Vgl. zu der Verwaltungsakzessorietät der §§ 51 ff. WaffG Erbs/Kohlhaas/Pauckstadt-­ Maihold, Vor §§ 51–53 WaffG, Rn. 1. 328 NK/Böse, Vor §§ 3, Rn. 66; vgl. auch 5. Kap. A. II. 4. 324

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

EU-Mitgliedstaat verbringt, macht sich nach dem mit dem WaffRNeuRegG vom 11. Oktober 2002329 eingefügten § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG strafbar. Dadurch, dass § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG aufgrund seiner Inbezugnahme des § 31 Abs. 1 WaffG das Verbringen der genannten Objekte sowohl unter Verstoß gegen das deutsche Waffenrecht als auch, inzident, gegen die von dem Empfängerstaat aufgestellte verwaltungsrechtliche Zustimmungspflicht entsprechend einer rein inländischen Tathandlung unter Strafe stellt, macht er das sicherheitsrechtliche Interesse des jeweiligen Empfängerstaats in der konkreten Form seines staatlichen Gewaltmonopols im Waffenrecht zu seinem Schutzgut, während er den durch seine verwaltungsakzessorische Ausgestaltung manifestierten Bezug zur innerstaatlichen Rechtsordnung einebnet. Dieses Ergebnis spiegelt die Intention des deutschen Gesetzgebers wider. Laut Begründung zum Gesetzesentwurf sei die Strafbewehrung des illegalen Verbringens besagter Gegenstände innerhalb des EU-Raums erforderlich330. Vor dem Hintergrund, dass an den Binnengrenzen keine Grenzkontrollen mehr statt finden331, kann nur eine Strafbarkeit über die nationalen Grenzen hinaus und damit ein überstaatlicher Rechtsgüterschutz eine lückenlose Strafbewehrung gewährleisten. Eine entsprechende unionsrechtliche Verpflichtung folgt aus der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (Waffenrichtlinie)332.333 Diese hält die Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Waffenrecht auf mitgliedstaatlicher Ebene an (Art. 16 der Richtlinie). Die Aufhebung aller Polizei- und Zollkontrollen an den innergemeinschaftlichen Grenzen mit dem Ziel, den Binnenmarkt als Raum ohne Personen- und Sicherheitskontrollen zu verwirklichen334, mache eine wirksame Regelung notwendig, die innerhalb der Mitgliedstaaten die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Feuerwaffen sowie ihres Verbringens in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht335. Eine entsprechende Regelung werde unter den Mitgliedstaaten ein größeres Vertrauen hinsichtlich der Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit schaffen336. Somit bezieht § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG ausdrücklich auch staatliche Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich ein. 329

BGBl. 2002 I, S. 3970. BT-Drs. 14/7758, S. 82. 331 Erbs/Kohlhaas/Pauckstadt-Maihold, § 52 WaffG, Rn.  67; MüKo/Heinrich, § 52 WaffG, Rn. 70. 332 ABl. EG 1991 Nr. L 256, S. 51, zuletzt geändert durch Richtlinie 2008/51/EG des Europäschen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 (ABl. 2008 Nr. L 179, S. 5). 333 Erbs/Kohlhaas/Pauckstadt-Maihold, § 52 WaffG, Rn.  67; MüKo/Heinrich, § 52 WaffG, Rn. 70. 334 Vgl. 1. und 2. Erwägungsgrund der Richtlinie. 335 Vgl. 4. Erwägungsgrund der Richtlinie. 336 Vgl. 5. Erwägungsgrund der Richtlinie. 330

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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4. § 18 Abs. 5 AWG Schutzgut des AWG bildet das sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse Deutsch­lands337. Wie im WaffG stellen auch die durch das Gesetz zur Modernisierung des Außenwirtschaftsrechts vom 6.  Juni 2013338 (AWG-Novelle)  reformierten und nun in den am 1. September 2013 in Kraft getretenen §§ 17 und 18 AWG zu verortenden Strafvorschriften Blanketttatbestände dar339. Zwar nehmen die §§ 17 und 18 AWG auch internationale und insbesondere Regelungen der EU in Bezug340, so dass die Verweisung auf die Ausfüllungsvorschriften des AWG keine Schutzbereichsbeschränkung seiner Straftatbestände auf das inländische sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse indiziert. Zumindest bezüglich der in Abs.  1 der Ermächtigungsnorm des § 4 AWG zur Beschränkung des grundsätzlich freien Außenwirtschaftsverkehrs ausdrücklich genannten, den inländischen Staatsschutz betreffenden außen- und sicherheitspolitischen Belange341 ist jedoch zunächst von einer Beschränkung des im AWG enthaltenen Strafschutzes auf das sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse der Bundesrepublik auszugehen. Allerdings macht sich gemäß § 18 Abs.  5 S.  1 Nr.  1 bis 4 AWG auch strafbar, wer entgegen der Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates vom 5. Mai 2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter-Verordnung)342 handelt, indem er bei der Ausfuhr oder einer Vermittlungstätigkeit gegen Genehmigungsvorschriften des EU-Mitgliedstaats verstößt, in dem er niedergelassen ist. Jene Ahndung einer Zuwiderhandlung gegen die verwaltungsrechtlichen Genehmigungsbestimmungen eines anderen Mitgliedstaats gemäß § 18 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4 AWG führt zu dem strafrechtlichen Schutz auch des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses dieses Mitgliedstaats im Sinne eines außenpolitischen Interesses gegenüber den anderen Mitgliedstaaten. Dieses Ergebnis spiegelt die gesetzgeberische Motivation zu der Dual-Use-­ Güter-Verordnung wider. Eine europaweit einheitliche Durchführung der Kontrollen der Verbringung von bestimmten Gütern mit doppeltem, das heißt sowohl militärischem als auch zivilem Verwendungszweck, sei wünschenswert, um die

337

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. BGBl. 2013 I, S. 1482; vgl. zu den Änderungen der Straf- und Bußgeldvorschriften durch die AWG-Novelle Wabnitz/Janovsky/Harder, 23. Kap., Rn. 24 ff. 339 MüKo/Wagner, Vor §§ 17 ff. AWG, Rn. 29 ff. 340 MüKo/Wagner, Vor §§ 17 ff. AWG, Rn. 20 ff. 341 Vgl. zu § 7 AWG a. F. Erbs/Kohlhaas/Diemer, § 7 AWG, Rn. 1. 342 ABl. 2009 Nr. L 134, S. 1, berichtigt ABl. 2009 Nr. L 224, S. 21, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr.  388/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.4.2012 (ABl. 2012 Nr. L 129, S. 12). 338

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5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

europäische Sicherheit zu verbessern343. Jeder Mitgliedstaat sei angehalten, insofern wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen344. § 18 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4 AWG bezieht mithin ausdrücklich auch staatliche Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich ein.345

II. Ausdrückliche Schutzbereichserweiterungen auf kollektive Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten 1. § 330d Abs. 2 StGB Ursprünglich galt als Schutzgut der in den §§ 311, 324 ff. StGB enthaltenen, verwaltungsakzessorisch ausgestalteten Tatbestände i. S. d. § 330d Nr. 4 StGB a. F. das auf den nationalen Bereich beschränkte kollektive Allgemeinrechtsgut Umwelt346. Indes erfuhr § 330d StGB durch das 45. StrÄndG zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom 6. Dezember 2011347 eine Änderung dahingehend, dass sein bisheriger Inhalt unverändert in einem Abs. 1 platziert sowie ein neuer zweiter Abs. hinzugefügt wurde. § 330d Abs. 2 S. 1 StGB bestimmt nun, dass für die Anwendung der §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB in Fällen, in denen die Tat in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen wird, verwaltungsrechtlichen Pflichten, vorgeschriebenen oder zugelassenen Verfahren, Untersagungen, Verboten, zugelassenen Anlagen, Genehmigungen und Planfeststellungen ent­ sprechende Pflichten, Verfahren, Untersagungen, Verbote, zugelassene Anlagen, Genehmigungen und Planfeststellungen auf Grund einer Rechtsvorschrift oder eines Hoheitsaktes des anderen Mitgliedstaats gleich stehen, gemäß § 330d Abs. 2 S. 2 StGB jedoch nur, soweit diese einen Rechtsakt der EU oder EAG umsetzen oder anwenden sowie umweltschützend sind. Die meisten nationalen Umweltrechtsakte basieren heutzutage auf europäischen Grundlagen i. S. d. § 330d Abs.  2 S.  2 StGB348. Folglich sind die §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB auch dann anwendbar, wenn der Täter die umweltschädigende Handlung in einem anderen EU-Mitgliedstaat unter Verletzung einer 343

Vgl. 18. Erwägungsgrund der Verordnung. Vgl. 19. Erwägungsgrund der Verordnung. 345 Vgl. in diesem Zusammenhang die Art. 42 SDÜ und 15 EU-RhÜbk (5. Kap. A. I. 10.), die eine ebenfalls unionsrechtlich motivierte Schutzbereichserweiterung deutscher Strafvorschriften auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter bewirken. 346 Schönke/Schröder/Heine/Hecker, § 330d, Rn. 4; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66; Hecker, ZStW 2003, S.  880, 893; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 95; vgl. 5. Kap. A. II. 4. 347 BGBl. 2011 I, S. 2557; vgl. hierzu eingehend Heger, HRRS 2012, S. 211 ff. 348 Heger, HRRS 2012, S. 211, 218. 344

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

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Rechtspflicht eben dieses Mitgliedstaats vornimmt. Damit wird auch der Schutzbereich der deutschen Umweltstrafvorschriften auf die durch das tatbestandsmäßige Verhalten verletzte Umwelt in dem betreffenden Mitgliedstaat erstreckt. Indem § 330d Abs. 2 S. 1 StGB besagte Pflichten, Verfahren, Untersagungen, Verbote, zugelassene Anlagen, Genehmigungen und Planfeststellungen der anderen EU-Mitgliedstaaten den innerstaatlichen und damit denjenigen Tatbestandsmerkmalen gleich stellt, die den Straftatbeständen, die sie enthalten, eine Verwaltungsakzessorietät vermitteln, wird der durch die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung manifestierte Bezug zur innerstaatlichen Rechtsordnung349 aufgelöst. Dieser steht einer Schutzbereichserweiterung der §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB nun nicht mehr entgegen.350 Die Schutzbereichserweiterung der §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB auf die Umwelt in den anderen EU-Mitgliedstaaten durch § 330d Abs.  2 StGB spiegelt die Intention der europarechtlichen Grundlage wider. Die auf Art.  175 Abs. 1 EGV (Art. 192 Abs. 1 AEUV) gestützte Richtlinie 2008/99/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt351 verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verletzungen des unionalen Umweltschutzrechts zu ahnden352, indem sie die in den Art.  3 und 4 der Richtlinie beschriebenen Straftaten gegen die Umwelt in ihrem nationalen Recht mit strafrechtlichen Sanktionen versehen (Art. 5 der Richtlinie). Die Sicherstellung eines wirksameren Umweltschutzes sei auf nationaler Ebene nicht aus­ reichend und deshalb besser auf Unionsebene zu gewährleisten353. § 330d Abs. 2 StGB bewirkt somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB auf kollektive Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten.

349 Vgl. hierzu Hecker, EuStR, § 10, Rn. 73; ders., ZStW 2003, S. 880, 892 ff.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66. 350 Allerdings galt die fortgeschrittene Harmonisierung des nationalen Umweltrechts der EU-Mitgliedstaaten bereits vor Einfügung des § 330d Abs. 2 StGB als Anknüpfungspunkt für eine Schutzbereichserweiterung des nationalen Umweltstrafrechts im Wege unionsrechtskonformer Auslegung. Sowohl unmittelbar geltendes unionales Umweltrecht als auch die Umsetzung der in diesem Bereich erlassenen Vielzahl an Richtlinien in jedem Mitgliedstaat habe einen – der Gleichstellung durch § 330d Abs. 2 S. 1 StGB entsprechenden – Wertungsgleichklang entstehen lassen, so dass auch das harmonisierte Umweltverwaltungsrecht der anderen EU-­Mitgliedstaaten als Teile eines gemeinsamen europäischen Umweltrechts als durch die deutschen Strafvorschriften erfasst galt (Hecker, ZStW 2003, S. 880, 897 ff.; ders., EuStR, 3. Aufl., § 10, Rn. 73; NK/Böse, 3. Aufl., Vor § 3, Rn. 66). Insofern ist durch Einfügung des § 330d Abs. 2 StGB eine positivrechtliche Klarstellung durch den Gesetzgeber erfolgt (BT-Drs. 17/5391, S. 11; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 7; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66). 351 ABl. 2008 Nr. L 328, S. 28. 352 Vgl. 10. Erwägungsgrund der Richtlinie. 353 Vgl. 14. Erwägungsgrund der Richtlinie.

116

5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

2. § 38 WpHG § 38 WpHG enthält die Strafvorschriften des WpHG. § 38 Abs. 1 und Abs. 2a WpHG stellen Verstöße gegen verbotene Insidergeschäfte nach § 14 WpHG und den Art.  38 ff. der Verordnung (EU) Nr.  1031/2010354 unter Strafe, § 38 Abs.  2 WpHG sanktioniert Verstöße gegen das Verbot von Marktmanipulationen i. S. d. § 20a WpHG355. Die Straftatbestände sind wiederum als Blankette konzipiert, die direkt oder über die Ordnungswidrigkeitstatbestände des § 39 WpHG auf die Verbote der §§ 14, 20a Abs.  1 WpHG und der Art.  38 ff. der Verordnung (EU) Nr.  1031/2010 verweisen356. Ihr Schutzgut bildet die Funktionsfähigkeit des­ Kapitalmarkts357. Als Blankettstraftatbestand richtet sich der Schutzbereich des § 38 WpHG nach dem räumlichen Anwendungsbereich seiner Bezugsnormen358. So stellt zunächst der durch Gesetz vom 6.  Dezember 2011 mit Wirkung vom 13.  Dezember 2011359 neu eingefügte § 38 Abs.  2a WpHG Verstöße gegen die Verordnung (EU) Nr. 1031/2010 der Kommission vom 12. November 2010 über den zeitlichen und administrativen Ablauf sowie sonstige Aspekte der Versteigerung von Treibhausgasemissionszertifikaten gemäß der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über ein System für den Handel mit Treibhausgas­ emissionszertifikaten in der Gemeinschaft (Emissionshandelsrichtlinie)360 unter Strafe. Wie gesehen, bildet die Verordnung im Inland aber auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbares Recht361. Ein Insidergeschäft in einem anderen Mitgliedstaat in Zusammenhang mit der Versteigerung von Treibhausgasemissionszertifikaten, das gegen die Verordnung verstößt, kann jedoch mindestens eine Beeinträchtigung des Kapitalmarkts in diesem Mitgliedstaat zur Folge haben, so dass § 38 Abs. 2a WpHG mit seinem Verweis auf die EU-Verordnung auch die Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich einbezieht. Die Schutzbereichsweite des § 38 Abs.  1 und 2 WpHG richtet sich aufgrund seiner Verwaltungsakzessorietät nach dem räumlichen Anwendungsbereich der §§ 14 Abs. 1, 20a Abs. 1 WpHG362.

354 ABl. 2010 Nr.  L 302, S.  1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr.  176/2014 der Kommission vom 25.2.2014 (ABl. 2014 Nr. L 56, S. 11). 355 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 1. 356 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 1; MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn. 1. 357 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 358 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 121 f. 359 BGBl. 2011 I, S. 2481. 360 ABl. 2003 NR. L 257, S.  32, zuletzt geändert durch Art.  1 Änderungsverordnung (EU) 421/2014 vom 16.4.2014 (ABl. 2014 Nr. L 129, S. 1, berichtigt ABl. 2014 Nr. L 140, S. 177). 361 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 121, vgl. 5. Kap. B. 362 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 123 ff.

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

117

Die Verbotsnormen der §§ 14 Abs.  1, 20a Abs.  1 WpHG beinhalten zunächst einen Auslandsbezug dergestalt, dass sie für Tathandlungen gelten, die zwar im Inland begangen werden, aber Finanzinstrumente betreffen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind i. S. d. §§ 12 Abs.  1 Nr.  2 und 20a Abs.  1 S.  2 Nr.  2 WpHG363. Auch wenn Handlungsort das Inland ist, sind ein Insiderhandel beziehungsweise eine ­Marktmanipulation mit einem solchen Finanzinstrument tauglich, jedenfalls den Kapitalmarkt in dem EU-Mitgliedstaat zu beeinträchtigen, an dessen Börse das Finanzinstrument zugelassen ist, so dass § 38 Abs. 1 und 2 StGB auch insoweit seinen Schutzbereich auf die Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten ausdehnt. Eine Möglichkeit zur Ahndung von Tathandlungen im Ausland bewirkt der durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz vom 28. Oktober 2004364 eingefügte § 1 Abs. 2 WpHG. Als einseitige Kollisionsnorm365 erstreckt § 1 Abs. 2 WpHG den Anwendungsbereich der §§ 14 Abs. 1 und 20a Abs. 1 WpHG auch auf Handlungen und Unterlassungen im Ausland, vorausgesetzt, dass diese Auslandstaten sich auf Finanzinstrumente beziehen, die an einer inländischen Börse gehandelt werden. An einer inländischen Börse gehandelte Finanzinstrumente sind solche, die im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen oder die in den regulierten Markt oder in den Freiverkehr einbezogen sind, also diejenigen Finanzinstrumente, die in den §§ 12 S. 1 Nr. 1, 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 WpHG genannt sind366. Damit gelten die §§ 14 Abs. 1 und 20a Abs. 1 WpHG gemäß § 1 Abs. 2 WpHG auch für Taten im Ausland, sofern sie nur an einer inländischen Börse gehandelte Finanzinstrumente betreffen367. Ist dieser Inlandsbezug gegeben, sind die Verbotsnormen der §§ 14 Abs. 1 und 20a Abs. 1 WpHG räumlich unbegrenzt anwendbar mit der Folge, dass sie jedes missbräuchliche Verhalten weltweit erfassen könnten368. Um eine Kollision der §§ 14 Abs.  1 und 20a Abs.  1 WpHG mit abweichenden ausländischen Rechtsvorschriften zu vermeiden, verlangt eine Ansicht für die Anwendung des deutschen Rechts entsprechend § 130 Abs. 2 GWB, dass sich die konkrete Tat im Sinne des völkergewohnheitsrechtlichen Auswirkungsprinzips369 auf den inländischen Markt auswirken muss370. Die Gegenstimmen bezweifeln jedoch die Ergiebigkeit einer Beschränkung der §§ 14 Abs.  1 und 20a Abs.  1 WpHG anhand der mit dem Auswirkungsprinzip verbundenen

363

Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 127; MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn. 159. BGBl. I 2004, S. 2630. 365 Assmann/Schneider/Assmann, § 1 WpHG, Rn. 4. 366 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 129. 367 Erbs/Kohlhaas/Wehowsky, § 38 WpHG, Rn. 37. 368 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 129, 131. 369 Vgl. hierzu MüKo/Ambos, Vor §§ 3–7, Rn. 20 ff. 370 Holzborn/Israel, WM 2004, S. 1948, 1949; Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 131; MüKo BGB/Lehmann, Int. Finanzmarktrecht, Rn. 481; vgl. 6. Kap. D. I. 1. c). 364

118

5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

Kriterien371 beziehungsweise halten eine Restriktion der deutschen Verbotsnormen zumindest im europäischen Rechtsraum aufgrund der fortgeschrittenen Harmonisierung der einschlägigen nationalen Rechtsbereiche für nicht erforderlich372. Im Fall einer Pflichtenkollision im Verhältnis zu Drittstaaten wird das deutsche Recht allerdings unter bestimmten Umständen für nicht anwendbar erklärt373. Insofern ist davon auszugehen, dass § 38 Abs. 1 und 2 WpHG durch Inbezugnahme der §§ 14 Abs. 1 und 20a Abs. 1 WpHG i. V. m. § 1 Abs. 2 WpHG jedenfalls Tathandlungen in den anderen EU-Mitgliedstaaten erfasst, sofern diese Finanzinstru­ mente betreffen, die an einer inländischen Börse gehandelt werden. Ein missbräuchliches Verhalten in Bezug auf ein an einer deutschen Börse gehandeltes Finanzinstrument, das sich in einem europäischen Mitgliedstaat abspielt, kann jedoch zumindest den Kapitalmarkt eben dieses EU-Mitgliedstaats beeinträchtigen. Mithin bewirkt § 1 Abs. 2 WpHG durch die räumliche Ausweitung der §§ 14 Abs.  1 und 20a Abs.  1 WpHG eine Schutzbereichserweiterung des § 38 Abs.  1 und 2 WpHG auf die Kapitalmärkte der anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Schließlich enthält § 38 Abs. 5 WpHG einen weiteren Auslandsbezug insofern, als er die Gruppe der Bezugsnormen, die neben denen der §§ 14, 20a WpHG geeignet sind, die Blanketttatbestände der §§ 38 Abs. 1 und 2 WpHG auszufüllen, auf ausländische Verbote ausdehnt374. Voraussetzung ist allerdings, dass die ausländischen Bezugnormen den §§ 14, 20a WpHG entsprechen375. Insoweit verlangt die herrschende Ansicht, dass die konkrete Tathandlung, würde sie sich im Inland abspielen, nach den §§ 14 Abs. 1, 20a Abs. 1 WpHG untersagt wäre376. So wird ein Verhalten im Ausland, das gegen ein ausländisches Verbot verstößt aber ein Finanzinstrument betrifft, dass nicht auch im EU-Raum zugelassen ist, nicht von § 38 Abs. 5 WpHG erfasst377. Vielmehr werden über § 38 Abs. 5 WpHG diejenigen Verbotsnormen zu Bezugsnormen des § 38 Abs. 1 und 2 WpHG erklärt, die sich über diejenigen nach § 12 S. 1 Nr. 3 oder nach den §§ 12 S. 2, 20a Abs. 1 S. 3 WpHG 371

Assmann/Schneider/Assmann, § 1 WpHG, Rn. 4b. Kölner Kommentar/Versteegen/Baum, § 1 WpHG, Rn. 15; Assmann/Schneider/Assmann, § 1 WpHG, Rn. 4b; Schwark/Zimmer/Schwark, § 1 WpHG, Rn. 15; Erbs/Kohlhaas/Wehowsky, § 1 WpHG, Rn. 3. 373 Assmann/Schneider/Assmann, § 1 WpHG, Rn. 4b; Erbs/Kohlhaas/Wehowsky, § 1 WpHG, Rn. 3. 374 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn.  134 f.; Assmann/Schneider/Vogel, § 38 WpHG, Rn. 65; MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn. 245. 375 Vgl. hierzu Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 135 ff.; Assmann/Schneider/ Vogel, § 38 WpHG, Rn. 66 ff. 376 Kondring, WM 1998, S. 1369, 1372; Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 136; Assmann/Schneider/Vogel, § 38 WpHG, Rn. 67; Schwark/Zimmer/Zimmer/Cloppenburg, § 38 WpHG, Rn. 15. 377 Kondring, WM 1998, S. 1369, 1372; Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 136; Assmann/Schneider/Vogel, § 38 WpHG, Rn.  67; MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn.  244;­ Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 100. 372

C. Deutsche Straftatbestände und Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten

119

hinaus auf Finanzinstrumente beziehen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind i. S. d. §§ 12 S. 1 Nr. 2 und 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG und in ausländischen Vorschriften normiert sind378. Dementsprechend bewirkt § 38 Abs. 5 WpHG durch die Ausdehnung der Bezugsnormen der Blanketttatbestände des § 38 Abs. 1 und 2 WpHG auf ausländische Verbote eine Schutzbereichserweiterung des § 38 Abs. 1 und 2 WpHG insoweit, als ein im Ausland vorgenommener Insiderhandel beziehungsweise eine Marktmanipulation mit einem an einer Börse eines EU-Mitgliedstaats zugelassenen Wertpapier unter Verstoß gegen ein ausländisches Verbot den Kapitalmarkt in den anderen EU-Mitgliedstaaten als Teile des EU-Kapitalmarkts i. S. d. Art.  63 ff. AEUV beeinträchtigt. Eine weitergehende Schutzbereichs­erweiterung des § 38 Abs. 1 und 2 WpHG auf die Kapitalmärkte von Drittstaaten bezweckt § 38 Abs. 5 WpHG nicht379. Folglich beziehen sowohl § 38 Abs. 2a WpHG i. V. m. den Art. 38 ff. der Verordnung (EU) Nr. 1031/2010, als auch § 38 Abs. 1 und 2 WpHG, zum einen i. V. m. den §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 und 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG, zum anderen i. V. m. den §§ 14 Abs. 1, 20a Abs. 1 über § 1 Abs. 2 WpHG sowie über Abs. 5 WpHG auch die Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich ein380. Als Schutzgut des § 38 WpHG gilt insofern die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte in der gesamten EU beziehungsweise im Europäischen Wirtschaftsraum381. Die Anerkennung der „Funktionsfähigkeit des europäischen Kapitalmarktes“382 als Rechtsgut des Insiderrechts sowie die Intention zu dessen Schutz hat der deutsche Gesetzgeber auch in seinen Erwägungen zum Entwurf des Zweiten Finanzmarktförderungsgesetzes vom 26.  Juli 1994383, mit dem § 38 WpHG eingeführt wurde, speziell im Hinblick auf die ursprünglich in § 38 Abs. 2 WpHG enthaltene Bestimmung des Abs. 5 unmissverständlich ausgedrückt: „Die zunehmende Öffnung der Märkte und die damit verbundene Zunahme des Wettbewerbs erlauben es nicht, die nationalen Finanzmärkte isoliert zu betrachten.“384 Dieses Ergebnis trägt der europarechtlichen Grundlage des § 38 wie auch des § 1 Abs. 2 WpHG Rechnung. Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz erfolgte in Umsetzung der Richtlinie 89/592/EWG des Rates zur Koordinierung der Vor 378 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 133 ff.; Assmann/Schneider/Vogel, § 38 WpHG, Rn. 63 ff. 379 Kondring, WM 1998, S.  1369, 1372; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 98 ff. 380 Kondring, WM 1998, S. 1369, 1372; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 98; bezüglich § 38 Abs. 5 WpHG wohl auch Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 16. 381 Kölner Kommentar/Altenhain, § 38 WpHG, Rn. 2. 382 BT-Drs. 12/6679, S. 57. 383 BGBl. 1994 I, S. 1749. 384 BT-Drs. 12/6679, S. 33.

120

5. Kap.: Ausländische Rechtsgüter im Schutzbereich deutscher Straftatbestände

schriften betreffend Insider-Geschäfte vom 13.  November 1989 (Insiderrichtlinie)385, die ersetzt wurde durch die Richtlinie 2003/06/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insidergeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch) (Marktmissbrauchsrichtlinie)386.387 Die Marktmissbrauchsrichtlinie bildet wiederum die unionsrechtliche Grundlage des Anlegerschutzverbesserungsgesetzes, mit dem § 1 Abs.  2 WpHG eingefügt wurde388. Diese verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten zur Sanktionierung des unerlaubten Insiderhandels (Art.  13 der Insiderrichtlinie, vgl. auch Art.  14 der Marktmissbrauchsrichtlinie) um die Integrität der Finanzmärkte zu gewährleisten389. Der freie Kapitalverkehr ist wiederum von zentraler Bedeutung für die Realisierung des Binnenmarkts390 sowie das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion391. Deren Beeinträchtigung auf Ebene der Mitgliedstaaten zu verhüten sei nicht ausreichend und daher besser auf Unionsebene zu erreichen392. Entsprechend verpflichtet die Emissionshandelsrichtlinie, auf der § 38 Abs. 2a WpHG basiert, die EU-Mitgliedstaaten zur Sanktionierung von Verstößen (Art. 16 der Richtlinie), um die Integrität des Binnenmarkts zu gewährleisten und Wettbewerbsverzerrungen entgegen zu wirken393. Dieses Ziel sei durch ein individuelles Handeln der einzelnen Mitgliedstaaten kaum zu erreichen und daher ein gemeinsames Tätigwerden auf Unionsebene erforderlich394. § 38 WpHG bezieht somit ausdrücklich auch kollektive Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich ein.395

D. Zwischenfazit Die vorliegenden Ausführungen zeigen, dass diejenigen deutschen Straftatbestände, die selbst oder mittels Inbezugnahme durch externe Regelungen eine ausdrückliche Schutzbereichserweiterung auf Allgemeinrechtsgüter anderer EUMitgliedstaaten enthalten, nicht nur solche in den deutschen Strafschutz einbeziehen, die nach der deutschen Dogmatik den kollektiven Allgemeinrechtsgütern 385

ABl. EG 1989 Nr. L 334, S. 30, aufgehoben m.W.v. 11.4.2003. ABl. EG 2003 Nr.  L 96, S.  16, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) 596/2014 vom 16.4.2014 (ABl. 2014 Nr. L 173, S. 1). 387 Vgl. hierzu MüKo/Pananis, § 38 WpHG, Rn. 14 ff. 388 Kölner Kommentar/Versteegen/Baum, § 1 WpHG, Rn. 5. 389 Vgl. 2. Erwägungsgrund der Marktmissbrauchsrichtlinie. 390 Vgl. 1. und 3. Erwägungsgrund der Marktmissbrauchsrichtlinie. 391 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 499. 392 Vgl. 41. Erwägungsgrund der Marktmissbrauchsrichtlinie. 393 Vgl. 7. Erwägungsgrund der Emissionshandelsrichtlinie. 394 Vgl. 30. Erwägungsgrund der Emissionshandelsrichtlinie. 395 Vgl. in diesem Zusammenhang § 129b StGB [5. Kap. A. II. 1.], § 299 StGB [5. Kap. A. II. 3.] sowie § 96 Abs. 4 AufenthG [5. Kap. A. II. 6.], die eine ebenfalls unionsrechtlich motivierte Schutzbereichserweiterung auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter enthalten. 386

D. Zwischenfazit

121

zugeordnet werden können, sondern in Widerspruch zu dem traditionellen Grundsatz auch als staatliche Allgemeinrechtsgüter zu qualifizierende mitgliedstaatliche­ Interessen. Entsprechend der Einbeziehung ausländischer Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich des deutschen Strafrechts aufgrund völkerrechtlicher Verpflichtungen, setzt der deutsche Gesetzgeber durch die ausdrückliche Erstreckung des Strafschutzes auf die Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten diejenigen Verpflichtungen um, die den deutschen Staat als Mitglied der EU aus unionsrechtlichen Maßgaben in Gestalt unionaler Sekundärrechtsakte treffen. Das europäische Sekundärrecht gewährleistet wiederum die Durchsetzung des primären Unionsrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten. Die umfassende Realisierung der Unionsrechtsordnung wird mithin gesichert nicht nur durch den mitgliedstaatlichen Strafschutz der jeweils eigenen, nationalen Allgemeinrechtsgüter, sondern gerade auch durch die Einbeziehung der Allgemeinrechtsgüter der anderen EUMitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände. Es stellt sich die Frage, ob diese Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf die Rechtsgüter von EU-Mitgliedstaaten als Ausdruck einer allgemeinen, gegenseitigen strafrechtlichen Assimilierungsverpflichtung der EUMitgliedstaaten qualifiziert werden können. Denn bei Bestehen einer solchen allgemeingültigen Pflicht zum strafrechtlichen Schutz der Allgemeinrechtsgüter auch der anderen EU-Mitgliedstaaten könnte zumindest im europäischen Rechtsraum die Problematik um die Einbeziehung ausländischer Allgemeinrechtsgüter in den Schutzbereich neutraler Straftatbestände gelöst werden396. Im Hinblick auf die „Mais-Rechtsprechung“ des EuGH kommt als primärrechtliche Grundlage für eine wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten die Bestimmung des Art. 4 Abs. 3 EUV in Betracht.

396 Vgl. zu dem speziell den Rechtsgüterschutz innerhalb der EU betreffenden Lösungsansatz bereits Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 33 ff.

6. Kapitel

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als unionsrechtliche Grundlage einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten A. Einführung in den Regelungsgehalt des Art. 4 EUV Dem europäischen Integrationsvorhaben kommt innerhalb der europäischen Verträge seit jeher eine herausragende Bedeutung zu1. Nach dem ersten Erwägungsgrund der Präambel zum EUV in der Fassung des Vertrags von Lissabon besteht der Entschluss, „den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozeß der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben“. Entsprechend heißt es in Art. 1 Abs. 2 EUV, der (EU)Vertrag stelle „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar“. Diese Formulierung spiegelt den dynamischen Charakter der EU wider, der den noch nicht abgeschlossenen, sondern kontinuierlich fortschreitenden und für Neuerungen stetig offenen „Ausbau der politischen und rechtlichen Verflechtung der Mitgliedstaaten“2 bedeutet und auch nach dem Vertrag von Lissabon für ein weiteres Fortschreiten des Integrationsprozesses offen ist3. Als Vertragsparteien sind die Mitgliedstaaten an den primärrechtlich verankerten Integrationsprozess gebunden4. Zur Erreichung des durch die europäischen Verträge angestrebten Ziels, eines immer engeren Zusammenschlusses der europäischen Völker5 zur Förderung der europäischen Integration und damit der Verwirklichung der Europäischen Union als Verbund all ihrer Mitgliedstaaten, ist das Zusammenwirken der EU und ihrer Mitgliedstaaten somit unerlässlich6. Art. 4 EUV regelt die dem Verhältnis der EU und ihrer EU-Mitgliedstaaten zugrunde liegenden Prinzipien. Er lautet: 1 Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 41, spricht von einem „Kernbegriff bei der Einigung Europas“. 2 Calliess/Ruffert/Calliess, 3. Aufl., Art. 1 EUV, Rn. 6. 3 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 1 EUV, Rn. 11; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 1 EUV, Rn. 11; vgl. 1. Kap. 4 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 675. 5 Vgl. 1. Erwägungsgrund der Präambel zum EWGV, BGBl. 1957 II, S. 766. 6 Söllner, Art. 5 EWGV, S. 3; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 3.

A. Einführung in den Regelungsgehalt des Art. 4 EUV

123

„(1) Alle der Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben gemäß Artikel 5 bei den Mitgliedstaaten. (2) Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. (3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.7 Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben.8 Die Mitgliedstaaten unterstützen die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe und unterlassen alle Maßnahmen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.“9

Während die in Art.  4 Abs.  3 UAbs.  2 und 3 EUV enthaltene Regelung bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bestand, wurden Art.  4 Abs.  3 UAbs. 1 sowie Abs. 2 S. 1 und 2 EUV aus Art. I-5 des gescheiterten Verfassungsvertrags (EVV)10 übernommen, Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 EUV sind neu eingefügt worden11.

I. Art. 4 Abs. 1 EUV – „Mitgliedstaatenzentrierte Kompetenzordnung“12 In Anbetracht des stetigen Kompetenzzuwachses der „immer enger werdenden Union“, wiederholt Art. 4 Abs. 1 EUV bezüglich der Kompetenzordnung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten die Geltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 EUV. Danach wird die Union nur innerhalb der Grenzen der ihr von den Mitgliedstaaten zugewiesenen Kompetenzen tätig (Art. 5

7

Im Folgenden „UAbs. 1“. Im Folgenden „UAbs. 2“. 9 Im Folgenden „UAbs. 3“. 10 Vertrag über eine Verfassung für Europa, ABl. 2004 Nr. C 310, S. 1, zuletzt geändert durch Protokoll über die Bedingungen und Einzelheiten der Aufnahme der Republik Bulgarien und Rumäniens in die Europäische Union vom 25.4.2005 (ABl. 2005 Nr. L 157, S. 29), außer Kraft m.W.v. 1.11.2013. 11 Lenz/Borchardt/Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 1; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 3. 12 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 2. 8

124

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Abs. 2 EUV S. 1 EUV). Sie besitzt keine Kompetenz-Kompetenz, das heißt sie ist nicht in der Lage, sich selbst Zuständigkeiten zu verschaffen13. Vielmehr verbleiben diejenigen Zuständigkeiten, die der EU in den Verträgen nicht übertragen wurden, bei den Mitgliedstaaten (Art. 5 Abs. 2 S. 2 EUV). Art. 4 Abs. 1 EUV stellt damit in Ergänzung des Art. 1 Abs. 1 EUV, wonach die Mitgliedstaaten die Union gründen sowie der Regeln des Vertragsänderungsverfahrens gemäß Art. 48 EUV, klar, dass auch nach dem Vertrag von Lissabon die „Allzuständigkeit“14 bei den Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“15 verbleibt16. Dies verdeutlicht die fortbestehende souveräne Staatlichkeit der EU-­ Mitgliedstaaten als „Träger der Union“17 und bildet zugleich die Basis der demokratischen Legitimation der Europäischen Union18. Darüber hinaus akzentuiert die Positionierung der im Grunde deklaratorischen Regelung gerade in einen ersten Abs.  des Art.  4 EUV die Bedeutung der Vermutung für die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten19, die auch und insbesondere im Rahmen der folgenden Abs. zu beachten ist, die das grundsätzliche Verhältnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten regeln.

II. Art. 4 Abs. 2 EUV – „Wahrung der Staatlichkeit der Mitgliedstaaten“20 Das in Art. 4 Abs. 2 EUV enthaltene Gebot zur Achtung der nationalen Identität, der Gleichheit sowie der grundlegenden staatlichen Funktionen der Ver­ tragsparteien richtet sich an die EU mit ihren Organen und Einrichtungen21. Indem die Mitgliedstaaten die bislang in Art. 6 Abs. 3 EUV a. F. enthaltene Identitätsklausel nicht nur übernommen, sondern diese konkretisiert und darüber ­hinaus um das Gebot der Gleichheit sowie der Achtung der grundlegenden Funktio­ nen des Staats ergänzt haben, betonen sie angesichts des fortschreitenden Inte­ 13

Streinz/Streinz, Art. 4, Rn. 10; ders., Art. 5 EUV, Rn. 5; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 5 EUV, Rn. 6; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 13. 14 Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 13. 15 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 24. 16 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 2; Calliess/Ruffert/Calliess/ Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 1 f.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 10; v.d. Groeben/Schwarze/ Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 13. 17 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 10; ders., EuR, Rn. 146. 18 BVerfGE 89, 155, 186 f., 194 ff., 198 ff.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 10. 19 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 4; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/ Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 15. 20 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 3. 21 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  5; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 12; Calliess/Ruffert/Callies/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 22; v.d. Groeben/Schwarze/ Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 47.

A. Einführung in den Regelungsgehalt des Art. 4 EUV

125

grationsprozesses ihr Anliegen, ihre souveräne Staatlichkeit auch weiterhin zu bewahren22. Der Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen i. S. d. Art.  4 Abs.  2 S.  1 EUV knüpft an einen dem Völker-23 sowie dem Bundesstaatenrecht24 innewohnenden Rechtsgedanken an. Er gebietet die „statusrechtliche Gleichheit“25 der Mitgliedstaaten gegenüber der EU. Damit sind Letzterer unsachgemäße Unterscheidungen zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten untersagt, etwa im Sekundärrecht26. Zugleich gewährleistet der Grundsatz der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen aber auch das unionsrechtliche Gebot der einheitlichen Geltung und Anwendung des Unionsrechts27. Insbesondere die bislang in Art. 6 Abs. 3 EUV a. F. enthaltene Identitätsklausel unterstreicht den staatlichen „Selbstbehauptungswillen der Mitgliedstaaten“28 gegenüber der Europäischen Union29. Trotz ihrer Einordnung als unionsrechtlicher Terminus ist der Inhalt der nationalen Identität anhand des innerstaatlichen Verfassungsrechts der Mitgliedstaaten zu ermitteln30. Zu der nationalen Identität eines Staats gehören diejenigen Werte historischer, politischer, rechtlicher, wirtschaftlicher, sozialer, religiöser, sprachlicher und kultureller Art, „die das Selbstverständnis und die Eigenart eines Staates oder eines Volkes prägen“31. Art. 4 Abs. 2 EUV wirkt in der Hinsicht restriktiv, als er sich ausdrücklich auf die „politischen und verfassungsmäßigen Strukturfragen“32 der Mitgliedstaaten konzentriert, wobei Letztere auch politische, soziale sowie kulturelle Eigenheiten umfassen33. Von der Union zu achten sind insbesondere die „Grundprinzipien der Staatsorganisa-

22 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 8 f.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 11; Geiger/ Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 3. 23 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 11; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 6; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 13; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 18. 24 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  6; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 13; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 18. 25 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  7; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 13. 26 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  7; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 13; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 21. 27 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 7; v.d. Groeben/Schwarze/ Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 19. 28 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 11. 29 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 11; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 3. 30 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  13, 22; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 31 Calliess/Ruffert/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  14; ähnlich Geiger/Khan/Kotzur, Art.  4 EUV, Rn. 3. 32 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 14. 33 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 15; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 31.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

tion“34, die von den mitgliedstaatlichen Verfassungs- und Höchstgerichten als „integrationsfester Bestandteil“35 ausgewiesen wurden, sowie die „Grundwerte des jeweiligen Staates“36, sprich diejenigen nationalen Eigenheiten mit fundamentaler Bedeutung für die innerstaatliche Ordnung, die über die den Mitgliedstaaten gemeinen Wertvorstellungen hinausgehen37. So hat das BVerfG in seinem LissabonUrteil auch im Bereich der Strafrechtspflege die zentrale Gestaltungsmöglichkeit der Bundesrepublik zugesprochen38. Demgegenüber belässt die Regelung insofern, als nicht mehr und nicht weniger als die grundlegenden Strukturen der nationalen Identität geschützt sind39, auch Raum für die gleichwohl zu beachtende Rolle der einzelnen Nationen als Gliedstaaten der EU im Sinne einer „europäischen Identität“40. Es gilt, ein ausgewogenes Verhältnis herzustellen zwischen den mit der Mitgliedschaft in der EU verbundenen Obliegenheiten einer gemeinsamen, europäischen Politik und der Wahrung mitgliedstaatlicher Autonomie und nationaler Individualität41. Art. 4 Abs. 2 S. 2 EUV verpflichtet die EU schließlich zur Achtung der grundlegenden Funktionen der Mitgliedstaaten und S. 3 stellt diesbezüglich klar, dass die nationale Sicherheit weiterhin in den Verantwortungsbereich der einzelnen Staaten fällt. Eine entsprechende Regelung findet sich mit Art. 72 AEUV auch für den „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ (Art. 67 ff. AEUV)42, dessen Vorschriften nicht die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren­ Sicherheit berühren. Die in Art. 4 Abs. 2 EUV enthaltene Achtungsverpflichtung der EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten stellt eine Ausprägung des in Art. 4 Abs. 3 EUV fixierten Grundsatzes dar43, der im Folgenden zu untersuchen ist.

34 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 22; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 28. 35 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 23; ähnlich v.d. Groeben/ Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 30. 36 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 28. 37 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 22 f.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 38 BVerfGE 123, 359 f. 39 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 16; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 14. 40 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 49. 41 Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 11. 42 Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 4; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 17. 43 Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 10.

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

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B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit Art. 4 Abs. 3 EUV unterstellt das Verhältnis von EU und Mitgliedstaaten dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit. Gemäß Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV sind die Union und ihre Mitgliedstaaten angehalten, sich bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Aufgaben nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gegenseitig zu achten und zu unterstützen. Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 und 3 EUV konkretisieren die in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV enthaltene Regelung, indem sie insofern bestehende mitgliedstaatliche Handlungsund Unterlassungspflichten nennen. So müssen die Mitgliedstaaten nach Art.  4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art ergreifen sowie nach Art.  4 Abs.  3 UAbs.  3 EUV die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgabe unterstützen und alle Maßnahmen unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden könnten.

I. Genese des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit Während Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV erst durch den Vertrag von Lissabon eingefügt wurde, besteht die in Art. 4 Abs. 3 EUV UAbs. 2 und 3 EUV enthaltene Regelung seit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften44. Sie stimmt inhaltlich mit Art. 10 EGV überein, der seit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam 1999 galt45. Dessen Wortlaut entsprechen wiederum die Vorläuferbestimmungen der Art. 5 EGV in der Maastrichter Fassung (in Kraft seit 1. November 1993) sowie Art. 5 EWGV (in Kraft seit 1. Januar 1958)46. 1. Entwicklung zu einem allgemeinen Rechtsgrundsatz Demzufolge erlegten die Vorgängernormen des Art. 4 Abs. 3 EUV ihrem Wortlaut nach allein den Mitgliedstaaten vertragliche Handlungs- und Unterlassungspflichten auf. Insofern war ihr Rechtsgehalt zunächst nicht zweifelsfrei. Art.  5 EWGV wurde anfangs lediglich als gesetzliche Fixierung des völkerrechtlichen 44 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 50; v.d. Groeben/Schwarze/ Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 59. 45 v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 63. 46 Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 1, bezeichnet die Bestimmung aufgrund ihres dauerhaften Bestands als „Teil der Erfolgsgeschichte der europäischen Integration“.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Grundsatzes „pacta sunt servanda“ angesehen47. Schnell entwickelte sich jedoch die einhellige Ansicht, in Anbetracht des Verhältnisses der EG und ihrer Mitgliedstaaten, das über eine rein völkerrechtliche Prägung hinausgeht, sei die Vorschrift nicht rein deklaratorisch, sondern weise einen spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Gehalt auf48. Auch gegenüber der Auffassung, die Art. 5 EWGV als bloße „Loyalitätsbestimmung“49 ohne eigene Rechtsverbindlichkeit einordnete, setzte sich in der späteren Rechtsprechung50 und Literatur51 die Meinung durch, die Regelung treffe gerade nicht nur eine programmatische Feststellung, sondern begründe, ungeachtet ihrer offenen Fassung, verbindliche Rechtspflichten. Diese im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten entstehenden Obliegenheiten wurden jedoch anfänglich auf diejenigen Anwendungsfälle beschränkt, die dem Wortlaut der primärrechtlichen Grundlage entnommen werden konnten. Art.  5 EWGV sei als abschließende Regelung zu verstehen52. Ein normüberschreitender Grundsatz galt dagegen als „methodisch verfehlt, sachlich unbegründet und nicht weniger unergiebig“53. Im Jahr 1983 formulierte der EuGH erstmals den übergreifenden Charakter des Grundsatzes, indem er explizit feststellte, dass „gemäß dem Grundsatz, daß den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen gegenseitige Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit obliegen, wie er namentlich dem Artikel 5 EWG-Vertrag zugrunde liegt“54. Auch in seinen folgenden Entscheidungen bescheinigte der EuGH „der/den Verpflichtung(en) zu(r) loyaler/n Zusammenarbeit“55, „der/den Pflich­ t(en) zu(r) (loyaler/n) Zusammenarbeit“56 beziehungsweise dem „Grundsatz/Prin-

47

Schulze-Eggert, Die Verletzung von Vertragspflichten, S. 29. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 214; Constantinesco, EuR, S. 295; Bleckmann, DVBl. 1976, S. 483. 49 Fuß, EuR 1968, S. 353, 366. 50 EuGH, Rs. C-6 u. 11/69, Slg. 1969, 523, Rn.  14/17 (Kommission/Frankreich); Rs. C-22/70, Slg. 1971, 263, Rn.  20/22 (AETR); Rs.  C-78/70, Slg.  1971, 487, Rn.  5 (Deutsche Grammophon); Rs. C-51/54, Slg. 1971, 1107, Rn. 3/4 (International Fruit). 51 Bleckmann, DVBl. 1976, S.  483; Schwarze/Hatje, Art.  10 EGV, Rn.  2; Grabitz/Hilf/ v. Bogdandy, Art. 10 EGV, Rn. 2; Schulze/Zuleeg/Marauhn, § 7, Rn. 16; Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art.  10 EGV, Rn.  15; v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art.  10 EGV, Rn.  2; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 20 ff. 52 Söllner, Art. 5 EWGV, S. 28; Fuß, DÖV 1964, S. 37, 42; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 215 ff. 53 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 217 f. 54 EuGH, Rs. C-230/81, Slg. 1983, 255, Rn. 37 (Luxemburg/Parlament). 55 EuGH, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879, Rn. 33 (Kommission/Deutschland); Rs. C-264/ 96, Slg. 1998, I-4695, Rn. 31 (ICI); Rs. C-64/05 P, Slg. 2007, I-11, 389, Rn. 70 (Schweden/ Kommission). 56 EuGH, Rs. C-217/88, Slg. 1990, I-2879, Rn. 33 (Kommission/Deutschland); Rs. C-349/93, Slg. 1995, I-343, Rn. 13 (Kommission/Italien); Rs. C-404/97, Slg. 2000, I-4897, Rn. 40 (Kommission/Portugal); Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011, Rn. 30 f. (Roquette Frères); Rs. C-512/99, Slg. 2003, I-845, Rn.  53 (Deutschland/Kommission); Rs.  C-339/00, Slg.  2003, I-11  757, Rn. 70 ff. (Irland/Kommission). 48

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

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zip (der) loyaler/n Zusammenarbeit“57 eine über die primärrechtliche Positivierung hinausreichende Bedeutung58. Diese Rechtsprechung findet nun in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV ihre primärrechtliche Kodifizierung. Wie seine Vorgängernormen stellt Art. 4 Abs. 3 EUV die „pars pro toto“-Regelung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes der loyalen Zusammenarbeit dar59. Der in Art. 4 Abs. 3 EUV normierte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit bildet mithin einen „allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts“60. 2. Der Terminus „Unionstreue“ und seine Bedeutung für den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit a) Ursprung des Begriffs der Unionstreue Das Schrifttum bezeichnet den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit auch als „(Grundsatz der) Unionstreue“61 beziehungsweise, bevor die EU durch den Vertrag von Lissabon Rechtsnachfolgerin der EG wurde, als „(Grundsatz der) Gemeinschaftstreue“62. Begründet wird diese Begriffswahl mit einer Vergleichbarkeit 57 EuGH, Rs. 14/88, Slg. 1989, 3677, Rn. 20 (Italien/Kommission); Rs. C-165/91, Slg. 1994, I-4661, Rn. 32 (Van Munster); Rs. C-512/99, Slg. 2003, I-845, Rn. 63 (Deutschland/Kommission); Rs. C-99/02, Slg. 2004, I-3353, Rn. 17 (Kommission/Italien); Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 32 (Kommission/Jégo-Quéré u. Cie SA); Rs. C-344/01, Slg. 2004, I-2081, Rn. 79 (Deutschland/Kommission); Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 42 (Pupino). 58 Z. B. EuGH Rs.  C-344/01, Slg.  2004, I-2081, Rn.  79 (Deutschland/Kommission); Rs. C-99/02, Slg. 2004, I-3353, Rn. 17 (Kommission/Italien); Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 32 (Kommission/Jégo-Quéré u. Cie SA); Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 42 (Pupino). 59 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 27; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/ Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  38; Geiger/Khan/Kotzur, Art.  4 EUV, Rn.  5; Lenz/Borchard/Lenz, Art.  4 EUV, Rn.  11; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn.  8; zu den Vorgängervorschriften des Art.  4 Abs.  3 EUV Bleckmann, EuR, S.  252; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 192 f.; ders., EuR, 1987, S. 237, 242; Wille, Pflicht der Organe der Euro­ päischen Gemeinschaft, S. 82; Unruh, EuR 2002, S. 41, 46. 60 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 27; ähnlich Calliess/Ruffert/­Calliess/ Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 34; Streinz/Pechstein, Art. 4 EUV, Rn. 30; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 5; Lenz/Borchard/Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 11; zu den Vorgängervorschriften des Art. 4 Abs. 3 EUV v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art. 10 EGV, Rn. 1; ­Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 192; ders., EuR, 1987, S. 237, 242; Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 159; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 3, 13 ff.; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 110 ff.; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847; Unruh, EuR 2002, S. 41, 60. 61 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 33; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 5; Hecker, EuStR, § 7, Rn.  2; Safferling, IntStR, S.  374; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7; NK/ Böse, Vor §§ 3, Rn. 61; bereits vor Erlass des Vertrags von Lissabon eine Unionstreue bejahend Zuleeg, NJW 2000, 2846, 2848; Unruh, EuR 2002, S. 41, 45 ff. 62 Bleckmann, DVBl. 1976, S. 483, 486 ff.; ders., RIW 1981, S. 653; Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 168; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 10 ff.; Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 188 ff.; ders., EuR, 1987, S. 237, 242; Lück, Die Gemeinschaftstreue, passim; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, passim; Bauer, Bundestreue, S.  210;

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

des europäischen Rechtsgrundsatzes mit dem Grundsatz der Bundestreue im deutschen Verfassungsrecht63. b) Die Bundestreue und ihre Bedeutung im deutschen Verfassungsrecht Die Bundestreue ist ein ungeschriebener, verfassungsimmanenter Rechtsgrundsatz64, der dem „Wesen des Bundesstaates“65, dem „Grundverhältnis von Gesamtstaat und Gliedstaaten“66 entstammt67. Wie die etwa im österreichischen, belgischen oder spanischen Verfassungsrecht ähnlich gelagerten Grundprinzipien68 enthält die Bundestreue „die verfassungsrechtliche Pflicht, daß die Glieder des Bundes sowohl einander als auch dem größeren Ganzen und der Bund den Gliedern die Treue halten und sich verständigen.“69 Die Bundestreue vermittelt „ein bündisches Prinzip des Einstehens füreinander“70, Bund und Länder sollen bei der Wahrnehmung ihrer eigenen Aufgaben den gemeinsamen Interessen Rechnung tragen71. Für die Funktionsfähigkeit der „bundesstaatlichen Solidargemeinschaft“72 ist dieses verfassungsrechtliche Gleichgewicht essentiell73. Als umfassender Rechtssatz und Rechtsquelle entsprechender Rechtspflichten garantiert die Bundestreue die solidarische Zusammenarbeit von Bund und Ländern, insbesondere im Hinblick auf die Verteilung der Zuständigkeiten74. Ihre Kompetenzen dürfen Bund und Länder nur mit der gebotenen und ihnen zumutbaren Rücksicht auf das Gesamtinteresse des Bundesstaats und auf die Belange aller Länder wahrnehmen75. Die Bundestreue dient somit als Regulativ widerstreitender Interessen, die mit der Zuweisung von Hoheitsgewalt sowohl an den Bund als auch an die Bundesländer entstehen76. Sie wirkt dort, „wo die Interessen des Bundes und der Länder auseinanderlaufen, und zwar so, daß Satzger, Europäisierung, S. 172; Egli, Die Bundestreue, S. 471; v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art. 10 EGV, Rn. 1; ders., NJW 2000, S. 2846. 63 Lück, Die Gemeinschaftstreue, S.  92 ff., 130; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S.  18; Bleckmann, DVBl. 1976, S.  483, 486 ff.; Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 196 („Verwandtschaft“); Bauer, Bundestreue, S. 210 („Parallele[n]“); v. d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art.  10 EGV, Rn.  1 („Vorbild“); ders., NJW 2000, S.  2846 („Parallele“); Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 192 („Anlehnung“). 64 BVerfGE 6, 309, 361; 12, 205, 254; 81, 310, 337. 65 BVerfGE 8, 122, 138. 66 BVerfGE 31, 314, 354. 67 Unruh, EuR 2002, S. 41, 51 f. 68 Woelk, ZÖR 1997, S. 527, 530 ff., 539 ff., 545; Unruh, EuR 2002, S. 41, 48. 69 BVerfGE 1, 299, 315. 70 BVerfGE 72, 330, 386. 71 Bayer, Bundestreue, S. 55; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 13. 72 BVerfGE 72, 330, 386. 73 Unruh, EuR 2002, S. 41, 52. 74 Unruh, EuR 2002, S. 41, 53; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 7. 75 BVerfGE 81, 310, 337; 92, 203, 230. 76 Bayer, Bundestreue, S. 115; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 13; Unruh, EuR 2002, S. 41, 53.

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

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der eine Teil (und damit mittelbar das Ganze) Schaden nimmt, wenn der andere Teil seine Maßnahmen […] ausschließlich seinen Interessen entsprechend treffen würde.“77 Im Hinblick dessen ist die Bundestreue verfassungsrechtliche Grundlage für zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen den Ländern untereinander bestehende Verpflichtungen zur Kooperation78 und zur gegenseitigen Rücksichtnahme79. Sie bildet ein „an die Dynamik des Föderalismus gekoppeltes, entwicklungsoffenes80 Strukturprinzip, das immer wieder aufs Neue zu konkretisieren ist.“81 c) Inhaltliche Auswirkungen der parallelen Begriffswahl? Fraglich ist, ob dieser begrifflichen Parallelenziehung auch Bedeutung für die Bestimmung des Inhalts des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zukommt. Ein Teil  des Schrifttums gebrauchte den Terminus „Gemeinschaftstreue“ zur Versinnbildlichung der Entwicklung des gemeinschaftlichen Rechtsgrundsatzes in Anlehnung an den Grundsatz der Bundestreue im deutschen Verfassungsrecht82. In Anbetracht der durch den EuGH konstatierten, wechselseitigen Kooperationspflichten der EG und ihrer Mitgliedstaaten über die primärrechtliche Fixierung hinaus, wurde die im deutschen Verfassungsrecht geltende Bundestreue zur Substantiierung der gemeinschaftsrechtlichen Pflichten herangezogen und ihre Anwendungsbedingungen auf die gemeinschaftsrechtliche Ebene übertragen83. Der Einsatz der zu dem Grundsatz der Bundestreue bestehenden Erkenntnisse zur Entwicklung eines gemeinschaftlichen Rechtsgrundsatz wurde mit dem Argument legitimiert, die EG weise eine „quasi ‚bündische[n]‘ Natur“84 auf, beziehungsweise entspreche „weitgehend schon einem Bundesstaat“85. Dieser Begründungsansatz stieß jedoch auf Ablehnung. Da die EG gerade kein Bundesstaat (im Werden) darstelle, könne ein auf europäischer Ebene wirkender Rechtsgrundsatz nicht anhand der für den Bundesstaat Deutschland geltenden Bundestreue entwickelt werden86. 77

BVerfGE 31, 314, 355; ähnlich BVerfGE 43, 291, 348. v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 44; Unruh, EuR 2002, S. 41, 56. 79 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 37; Unruh, EuR 2002, S. 41, 53. 80 BVerfGE 8, 122, 140; Bauer, Bundestreue, S.  313 ff., zitiert nach v. Mangoldt/Klein/ Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 37. 81 v. Mangoldt/Klein/Starck/Sommermann, Art. 20 GG, Rn. 37. 82 Ehle, RIW 1963, S. 157, 159; Zweigert, RabelsZ 1964, S. 601, 620; Däubler, NJW 1968, S. 325, 326; v.d. Groeben/Theising/Ehlermann/Bleckmann, Art. 5 EWGV, Rn. 1; v.d. Groeben/ Schwarze/Zuleeg, Art.  10 EGV, Rn.  1; allgemein zur Übertragbarkeit bundesstaatlicher Begriffe auf die damalige EG Ophüls, NJW 1963, S. 1697, 1698. 83 Bleckmann, EuR, S. 251 ff. 84 Zweigert, RabelsZ 1964, S. 601, 620. 85 Bleckmann, EuR, S. 253. 86 Constantinesco, EuR, S. 295; Feige, Der Gleichheitssatz, S. 90; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 217 f.; Rengeling, EuR 1974, S. 216, 222; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 28; Grabitz, Stillhalte-Verpflichtungen, S. 40; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 85 f. 78

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Vorstehende Argumentation gilt für die heutige EU fort. Denn auch nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist diese als Rechtsnachfolgerin der EG mit der herrschenden Ansicht87 nicht als Bundesstaat zu beurteilen. Es fehlt ihr an den für die Qualifizierung als souveräner Staat erforderlichen Elementen im Sinne der allgemeinen Staatslehre, wie einem eigenen Staatsvolk und -gebiet sowie aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung nach Art. 5 Abs. 1 EUV freilich an einer selbstbestimmten, umfassenden Hoheitsgewalt88. Die EU stellt vielmehr eine internationale Organisation mit nunmehr gemäß Art. 47 EUV ausdrücklich zugewiesener völkerrechtlicher Rechtspersönlichkeit dar89, die zur Teilnahme an internationalen Beziehungen mit anderen Staaten oder internationalen Organisationen befähigt ist90. Zu beachten ist allerdings, dass insbesondere im Innenverhältnis das Handeln der Europäischen Union über das rein völkerrechtlich geprägte eines Staatenbundes hinausgeht91. Zwar basiert die EU mit ihren Gründungsverträgen auf völkerrechtlichen Verträgen, diese stellen jedoch die Grundlage für die durch die Mitgliedstaaten – wenn auch begrenzt  – erfolgte Übertragung von Hoheitsrechten92 und der damit einhergehenden Entwicklung der autonomen Unionsrechtsordnung dar93. Insofern wird auch von dem „Verfassungscharakter der Gründungsverträge“94 gesprochen. Die Einordnung der Europäischen Union als Staatenbund beziehungsweise klassische internationale Organisation wird dieser im Hinblick auf ihre sich kontinuierlich verdichtenden autonomen Züge jedenfalls nicht gerecht95. Vielmehr ist bereits die damalige EG als supranationale (überstaatliche) Organisation bezeichnet worden96. Der Begriff der Supranationalität97 verdeutlicht dabei die Eigenständigkeit der EU, die sie durch ihre mit jener Fülle an eigenen Kompetenzen ausgestattete autonome Rechtsordnung erlangt hat, der Vorrang gegenüber nationalen Rechtsnormen zukommt sowie die Union aufgrund ihrer Durchgriffswirkung befähigt, auf den „Souveränitätspanzer“98 der Mitgliedstaaten einzuwirken99. 87 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 1 EUV, Rn. 29; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 1 EUV, Rn. 66; Streinz/Pechstein, Art. 1 EUV, Rn. 10; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 1 EUV, Rn. 5; Safferling, IntStR, S. 375; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 23. 88 Streinz/Pechstein, Art. 1 EUV, Rn. 10; Art. 5, Rn. 5; Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 1 EUV, Rn. 29. 89 Vgl. 3. Kap. C. 90 Streinz/Pechstein, Art.  1 EUV, Rn.  13 f.; Hecker, EuStR, § 4, Rn.  1; a. A. Oppermann/­ Classen/Nettesheim, EuR, S. 24. 91 Streinz/Pechstein, Art. 1 EUV, Rn. 11; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 24. 92 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 1 EUV, Rn. 29; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 1. 93 Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 22, 102 ff., vgl. 5. Kap. B. 94 Streinz/Kokott, Art. 47 EUV, Rn. 10. 95 Streinz/Pechstein, Art.  1 EUV, Rn.  13; Calliess/Ruffert/Calliess, Art.  1 EUV, Rn.  29;­ Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 24; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 1. 96 BVerfGE 22, 293, 296; 89, 155, 181. 97 Vgl. hierzu eingehend Fremuth, Die EU auf dem Weg in die Supranationalität, S. 23 ff. 98 Bleckmann, Grundgesetz und Völkerrecht, S. 308. 99 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 67 ff.; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 22; Graf Vitzthum/Proelß/Klein/Schmahl, VölkerR, S. 258, 354 f., vgl. 5. Kap. B.

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

133

Das BVerfG begriff bereits die EG in seinem Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Zustimmungsgesetzes zum Maastrichter Vertrag als neuartige Organisationsform, als einen „europäischen Staatenverbund“100. Dieses Verständnis hält es in seiner Lissabon-Entscheidung aufrecht, indem es die Europäische Union beschreibt als „enge, auf Dauer angelegte Verbindung souverän bleibender Staaten, die auf vertraglicher Grundlage öffentliche Gewalt ausübt, deren Grundordnung jedoch allein der Verfügung der Mitgliedstaaten unterliegt und in der die Völker – das heißt die staatsangehörigen Bürger – der Mitgliedstaaten die Subjekte demokratischer Legitimation bleiben.“101 Die Charakterisierung der EU als „Staatenverbund“ hat sich in Deutschland weitgehend durchgesetzt102. Angesichts dieser grundlegenden strukturellen Besonderheiten der EU kann der Begriff der Unionstreue auch heute nicht als Indiz für eine Bundesstaatlichkeit der EU103 und der hierdurch gerechtfertigten uneingeschränkten Heranziehung des im Bundesstaat Deutschland vorherrschenden Grundsatzes der Bundestreue zur Ausformung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit auf europäischer Ebene gedeutet werden104. Nicht abgestritten werden kann hingegen die Identität des rechtlichen Motivs bei­der Prinzipien, dessen Ausgangspunkt in den gleichwohl bestehenden strukturellen Gemeinsamkeiten des Bundesstaats Deutschland und der EU begründet liegt105. So bildet auch die Europäische Union als Staatenverbund gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten eine „funktionale Einheit“106 mit einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis ihrer Rechtssubjekte aufgrund ihrer föderal gegliederten Organisationsstruktur mit einem „‚Mehrebenensystem eigener Art‘“107, in dem sowohl den Staaten als auch dem Verbund selbst Hoheitsgewalt zukommt108. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der EU richtet sich nach der Grundregel der durch die Mitgliedstaaten gesteuerten begrenzten Einzel 100

BVerfGE 89, 155, 181. BVerfGE 123, 267, 348. 102 Calliess/Ruffert/Calliess, Art.  1 EUV, Rn.  36; Streinz/Pechstein, Art.  1 EUV, Rn.  12;­ Safferling, IntStR, S.  375; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S.  21 ff.; Streinz, EuR, Rn. 137; kritisch Geiger/Khan/Kotzur, Art. 1 EUV, Rn. 5. 103 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 33. 104 So Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 191, in Bezug auf die für die vormalige EG geltende „Gemeinschaftstreue“ und Unruh, EuR 2002, S. 41, 60, in Bezug auf die für die EU vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltende „Unionstreue“. 105 Vgl. hierzu eingehend Unruh, EuR 2002, S. 41, 57 ff. 106 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 53; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 30. 107 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 3. 108 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 33; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 53; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 2 f.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 30; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 24; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847; Unruh, EuR, 2002, S. 41, 58. 101

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

ermächtigung der Union gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV109. Insofern ist das Kompetenzgeflecht innerhalb der EU weitmaschiger als etwa im Bundesstaat Deutschland110, jedoch nehmen die Mitgliedstaaten auch auf die der Europäischen Union zugewiesenen Regelungsbereiche erheblichen Einfluss, indem sie diese „ergänzen, ausgestalten und wirksam […] machen“111, wie auch umgekehrt, obgleich weniger intensiv, das Unionsrecht die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durchdringt112. Die Rechtsordnungen der mitgliedstaatlichen und der supranationalen Ebene sind somit auch in dem Staatenverbund EU eng miteinander verwoben113. Ein Umstand, der auch Spannungsmomente in sich birgt114, denen die Mitgliedstaaten und die EU nur durch gegenseitige Achtung und Rücksicht, durch gegenseitiges Vertrauen Einhalt gebieten können. Wie im Bundesstaat Deutschland und in jedem anderen föderalen System resultiert demnach auch innerhalb der Europäischen Union aus der Nähebeziehung mehrerer Rechtssubjekte ein Treueverhältnis mit wechselseitigen Treuepflichten, so dass auch sie zur Sicherung eines diese Treuepflichten beinhaltenden, den Ebenen übergeordneten Grundsatzes bedarf, wobei es sich jedoch um einen solchen originär unionsrechtlichen Charakters handeln muss, der den strukturellen Besonderheiten der EU Rechnung trägt115. Dieser hat seine Gestalt in dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV gefunden. Das wie dem Bundesstaat Deutschland auch der EU anhaftende Bedürfnis eines übergeordneten, wechselseitige Treuepflichten enthaltenden Prinzips stellt mithin das identische rechtliche Motiv beider Rechtsgrundsätze dar116. Eben diese punktuelle Identität wird durch die parallele Begriffswahl „Bundestreue“ und „Unionstreue“ widergespiegelt. Aus jener „identische[n] normative[n] Grundlegung“117 beider Grundsätze wurde bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon eine Vergleichbarkeit der Grundzüge ihrer Wirkungsweise sowie die Übertragung der allgemeinen Anwendungsbedingungen der Bundestreue auf den unionalen Rechtsgrundsatz gefolgert, in der Tat begrenzt durch die zwingende Beachtung der der Europäischen Union innewohnenden strukturellen Eigenheiten118.

109

Vgl. 6. Kap. A. I. Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 149. 111 Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2849. 112 Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 149; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2849. 113 Streinz, EuR, Rn. 200 f. 114 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 3; Unruh, EuR 2002, S. 41, 58. 115 Wuermeling, Kooperatives Gemeinschaftsrecht, S. 191 f.; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S. 18; Unruh, EuR 2002, S. 41, 59 ff.; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 112 ff. 116 Unruh, EuR 2002, S. 41, 59; Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 110. 117 Unruh, EuR 2002, S. 41, 59. 118 Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 92, 103 ff., 154 ff.; Unruh, EuR 2002, S. 41, 60 f. 110

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

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II. Funktion des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV soll, entsprechend der Funktion der Bundestreue auf bundesstaatlicher Ebene, die Funktionsfähigkeit der Europäischen Union sicherstellen119. Diese ist in Anbetracht der durch Art. 4 Abs. 1 EUV akzentuierten Zuständigkeitsverteilung zur Durchsetzung ihrer Ziele auf die Unterstützung und damit kontinuierliche Mitarbeit und Integrationsbereitschaft ihrer Mitgliedstaaten angewiesen120. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV soll gewährleisten, dass trotz der Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten die Ziele der Union verwirklicht werden121. Dementsprechend bescheinigt der EuGH dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit als fundamentalem Prinzip eine für die Wahrung der Funktionsfähigkeit der EU als Rechtsunion überragende Bedeutung122. Seine Verletzung gefährde „die wesentlichen Grundlagen der Gemeinschaftsrechtsordnung“123 und „beeinträchtigt die Rechtsordnung der Gemeinschaft bis in ihre Grundfesten.“124 Die Literatur begreift den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit als „Geschäftsgrundlage des (gesamten europäischen) Integrationsprojekts“125. Mit seiner Kodifizierung in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV erhält er nun auch offiziell den Status eines „unionalen Verfassungsprinzip[s]“126. Dass der bislang im Hinblick auf Art. 10 EGV beziehungsweise Art. 5 E(W)GV entwickelte Grundsatz auch im Rahmen des Unionsrechts galt, obgleich eine entsprechende Regelung im EUV fehlte, war bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon gemeinhin anerkannt127. 119 Woelk, ZÖR 1997, S. 527, 541; Feinäugle, Hoheitsgewalt im Völkerrecht, S. 110; Schwarze/ Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 22; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/­Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 67; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 17. 120 Geiger/Khan/Kotzur, Art.  4 EUV, Rn.  5; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art.  4 EUV, Rn. 22; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S. 51. 121 Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 196. 122 Z. B. EuGH Rs.  C-344/01, Slg.  2004, I-2081, Rn.  79 (Deutschland/Kommission); Rs. C-99/02, Slg. 2004, I-3353, Rn. 17 (Kommission/Italien); Rs. C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425, Rn. 32 (Kommission/Jégo-Quéré u. Cie SA); Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 42 (Pupino). 123 EuGH, Rs. C-101/91, Slg. 1993, I-191, Rn. 23 (Kommission/Italien). 124 EuGH, Rs. C-39/72, Slg. 1973, 101, Rn. 25 (Kommission/Italien). 125 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  35; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 54; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 67; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 4. 126 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 51; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 30; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 68. 127 EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn.  42 (Pupino); Rs. C-354/04 P, Slg. 2007, I-1579, Rn.  52 (Gestoras Pro Amnistía u. a./Rat); Rs. C-355/04, Slg. 2007, I-1657, Rn.  52 (Segi u. a./Rat); GA Kokott, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 24 ff.­ (Pupino); Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art.  10 EGV, Rn.  7; Schwarz/Hatje, Art.  10 EGV, Rn. 4; Grabitz/Hilf/v. Bogdandy, Art. 10 EGV, Rn. 5; Zuleeg, NJW 2000, S. 2846, 2847; Unruh, EuR 2002, S. 41, 62 ff.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Die unionsrechtliche Grundlage wurde aus einer Gesamtschau der Vorschriften des EUV gefolgert128. Der EuGH stellte im Zusammenhang mit seiner Entscheidung für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ihres nationalen Rechts fest, die EU könne die ihr durch Art. 1 Abs. 2 und 3 EUV a. F. zugewiesene Aufgabe, „die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten“129, um das Ziel des Unionsvertrags, „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas“130, zu erreichen, nur erfüllen, „wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit […] auch im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen gelten würde, die im Übrigen vollständig auf der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen beruht“131. Entsprechend der Bundestreue auf bundesstaatlicher Ebene bildet der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV den offenen, abstrakten und daher stufenweise konkretisierungsbedürftigen normativen Ausgangspunkt132 für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der wechselseitigen Treuepflichten der EU und den Mitgliedstaaten133, der mit der Rechtsprechung des EuGH134 sowie von der Lehre135 auszufüllen ist. Der EuGH sichert gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Ihm kommt somit eine tragende Rolle bei der Auslegung des unionalen Primärrechts zu136. Dabei wendet der EuGH grundsätzlich den auch von den nationalen Gerichten gebrauchten herkömmlichen Auslegungskanon an137. Neben seiner Auslegungsbefugnis entnahm der Gerichtshof in Anbetracht des dynamischen, im Lichte der Integrationsziele zu verstehenden Charakters der EURechtsordnung138 Art. 220 EGV (jetzt Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EUV) zudem 128

GA Kokott, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 26 (Pupino). EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 41 (Pupino). 130 EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 41 (Pupino). 131 EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 42 (Pupino). 132 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 38. 133 Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 128; Woelk, ZÖR 1997, S. 527, 541; Calliess/Ruffert/ Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 38; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 3. 134 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  38; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn.  29; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  56; Schulze/Zuleeg/­ Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn.  17 f.; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S.  40 ff.; Unruh, EuR 2002, S. 41, 66. 135 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 38; Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S. 43. 136 Riesenhuber/Pechstein/Drechsler, Europ. Methodenlehre, § 7, Rn. 14. 137 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, Art. 19 EUV, Rn. 36; Böse, GA 2003, S. 744, 747; vgl. 4. Kap. D. 138 Riesenhuber/Pechstein/Drechsler, Europ. Methodenlehre, § 7, Rn. 11, 33; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, Art.  19 EUV, Rn.  36; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 103; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Mayer, Art. 19 EUV, Rn. 66. 129

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

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eine Rechtsfortbildungsbefugnis139. Insofern wurde ihm die Rolle als „Integrationsmotor[s]“140 oder Hüter gemeinschaftlicher „Fortschrittskompetenzen“141 zugedacht. Wegen der weitgehend deklaratorischen Natur der Neuerungen des Art. 4 Abs. 3 EUV gegenüber Art. 10 EGV, die die materielle Aussage der Bestimmung weiterführen, ist die zu Art. 10 EGV beziehungsweise zu Art. 5 E(W)GV ergangene Rechtsprechung wie auch die erschienene Literatur für die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 EUV als weiterhin maßgeblich zu erachten142.

III. Regelungsgehalt des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit 1. Anwendungsbereich Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV betrifft „Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben“ und UAbs. 2 „Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“. Demgemäß beziehen sich die Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen ergeben, auf alle Bereiche, die den in den vorhergehenden Vorschriften, insbesondere in Art. 3 EUV und der Präambel, fixierten Zielen des EUV entsprechen143. Die Präambel des EUV nennt als Vertragsziele unter anderem die Förderung des europäischen Integrationsprozesses und der Demokratie, die Stärkung der Solidarität und Effizienz auf europäischer Ebene sowie die Verwirklichung des euro­ päischen Binnenmarkts. Die bereits in der Präambel genannten Vertragsziele werden durch Art. 3 EUV aufgegriffen und in den dort genannten allgemeinen Zielbestimmungen präzisiert144. So nennt Art. 3 Abs. 1 EUV als „Fernziele[n]“145, „Metaziele“146 beziehungsweise „Endziele“147 die Förderung des Friedens der EU, ihrer Werte (Art. 2 EUV) und des Wohlergehens ihrer Völker. Zu erreichen sind diese durch die in Art.  3 Abs. 2 bis 5 EUV aufgezählten Aufgaben und Nahziele148 beziehungsweise „Mittel­ 139

Everling, JZ 2000, S. 217, 221; Riesenhuber/Pechstein/Drechsler, Europ. Methodenlehre, § 7, Rn. 57; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Borchardt, § 15, Rn. 17, 57 ff. 140 Calliess/Ruffert/Wegener, Art. 19 EUV, Rn. 18; ähnlich Söllner, Art. 5 EWGV, S. 5. 141 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Schwarze, Art. 19 EUV, Rn. 37. 142 Calliess/Ruffert/Puttler/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 25; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/ Schill, Art. 4 EUV, Rn. 51. 143 EuGH, G.  2/91, Slg.  1993, I-1061, Rn.  10 (IAO); Calliess/Ruffert/Kahl, Art.  4 EUV, Rn. 47; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 25; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 23; Bleckmann, DVBl. 1976, S. 483, 484; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 70. 144 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 13. 145 Geiger/Khan/Kotzur, Art. 3 EUV, Rn. 1. 146 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 29. 147 Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 195. 148 Geiger/Khan/Kotzur, Art. 3 EUV, Rn. 1.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

ziele[n]“149, wie die Errichtung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 3 Abs. 2 EUV) und eines Binnenmarkts (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV), durch den Umweltschutz (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV) sowie die Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts und der­ Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten (Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 EUV). Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (Art. 67 ff. AEUV) wird nach Art. 3 Abs. 2 EUV „ohne Binnengrenzen“ geboten. Im Sinne des zugrunde liegenden Schengener Abkommens150 diente der Wegfall der Grenzkontrollen (Art. 67 Abs. 2, 77 Abs. 1 lit. a AEUV) der Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts i. S. d. Art. 26 AEUV151. Durch die Aufnahme des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Art.  3 Abs.  2 EUV wurde die Supranationalisierung der PJZS kodifiziert, nach dem speziell der Raum der Sicherheit in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität geboten werden soll, gemäß Art. 67 Abs. 3 AEUV unter anderem durch Angleichung des nationalen materiellen Strafrechts152. Das in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV enthaltene Binnenmarktziel umfasst nach Art. 26 Abs. 2 AEUV konkret die Errichtung eines Raums ohne Binnengrenzen, in dem die Grundfreiheiten, sprich der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet werden. Dabei bildet ein wesentliches Element des Binnenmarkts und zugleich eine vertragliche Zielbestimmung der in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der EU (Art. 3 Abs. 1 lit. b, 101 ff. AEUV) fallende freie europäische Wettbewerb, trotz seiner durch den Vertrag von Lissabon erfolgten Platzierung in dem dem EUV angehängten „Protokoll (Nr. 6) über den Binnenmarkt und den Wettbewerb“, das klarstellen soll, dass der Binnenmarkt i. S. d. Art. 3 EUV ein System enthält, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt153. Die Verwirklichung des Binnenmarkts erfordert zudem die Berücksichtigung außerökonomischer Ziele, wie den europäischen Gesundheitsschutz (Art. 168 AEUV) und den Verbraucherschutz (Art. 12, 169 AEUV)154. Die Umweltziele in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV erfahren ihre Konkretisierung in den Art. 191 ff. AEUV155. Durch die diese ergänzende Querschnittsklausel des Art. 11 AEUV wird der Umweltschutz zu einer allgemeinen Zielbestimmung

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Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 195. Vgl. 1. Kap. 151 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 35. 152 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 37; vgl. 5. Kap. C. 153 Geiger/Khan/Kotzur, Art. 3 EUV, Rn. 7; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 41; Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 335 f. 154 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 26 AEUV, Rn. 14. 155 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 55. 150

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

139

erhoben156, die sowohl an die Union als auch an die einzelnen Mitgliedstaaten gerichtet ist157. In Art. 3 Abs. 3 UAbs. 3 EUV, der als weitere unionale Aufgabe die Förderung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts sowie die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten bestimmt, sind einerseits das „Kohäsions“und andererseits das „Solidaritätsziel“ verankert158. Während ersteres den Grundsatz der mitgliedstaatlichen Gleichheit im Sinne einer Gleichbehandlung der­ einzelnen Mitgliedstaaten im Hinblick auf die finanzielle Förderung durch die Union umfasst, dient das Solidaritätsziel der Bewahrung des Gleichheitsprinzips159. Denn dieses verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Rechtsvorschriften der EU zu beachten und Störungen wegen nationaler Interessen zu unterlassen, um „das mit der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft verbundene Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten“160 nicht zu beeinträchtigen. Zu beachten ist, dass die Mitgliedstaaten auch in denjenigen Bereichen, die gemäß Art. 4 Abs. 1 EUV in ihre Zuständigkeit fallen, Maßnahmen zu unterlassen haben, die die Verwirklichung der Ziele der Union gefährden oder in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigen161. Der EuGH bezieht in den Anwendungsbereich des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit sogar „Maßnahme[n] zur Durchführung eines […] von den Mitgliedstaaten außerhalb des Anwendungsbereichs der Verträge geschlossenen Übereinkommens“ ein, wenn diese „die Anwendung einer Bestimmung der Verträge oder des davon abgeleiteten Rechts oder das Funktionieren der Gemeinschaftsorgane behindern würde[n]“162 (Absicherungsfunktion)163. Ausschließlich solche Tätigkeiten der Mitgliedstaaten, die die Ziele der EU nicht tangieren, erfasst der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV nicht (sog. Vertragsakzessorietät)164.

156

Geiger/Khan/Kotzur, Art. 191 AEUV, Rn. 5. Geiger/Khan/Kotzur, Art. 11 AEUV, Rn. 6. 158 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 57. 159 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Terhechte, Art. 3 EUV, Rn. 57. 160 EuGH, Rs. C-39/72, Slg. 1973, 101, Rn. 24 (Kommission/Italien). 161 EuGH, verb. Rs. C-6 und 11/69, Slg.  1969, 523, Rn.  14/17 (Kommission/Frankreich); Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433, Rn. 18 ff. (Factortame u. a.); Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 61; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 25. 162 EuGH, Rs. C-44/84, Slg. 1986, 29, Rn. 39 (Hurd). 163 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 46; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 25. 164 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 46; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 25; Schulze/ Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 23. 157

140

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

2. Adressaten Die Durchsetzung der vertraglichen Ziele der Europäischen Union im Wege einer einheitlichen und lückenlosen Anwendung des Unionsrechts kann nur gewährleistet werden durch eine Zusammenarbeit der verschiedenen Beziehungsebenen innerhalb der EU165. Verpflichtet sahen deshalb der EuGH wie auch die Literatur schon vor der ausdrücklichen Aufnahme der Gegenseitigkeit in den Gesetzestext des Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV über den Wortlaut des Art. 10 EGV hinaus in vertikaler Hinsicht auch die EG gegenüber den Mitgliedstaaten166 sowie horizontal die Mitgliedstaaten untereinander167. Während Art.  10 EGV zudem, wenn auch nur teilweise, ein horizontales Pflichtverhältnis zwischen den EG-­Organen untereinander entnommen wurde168, ist dieses von Art. 4 Abs. 3 EUV nun nicht mehr als erfasst anzusehen, da Art. 13 Abs. 2 S. 2 EUV insoweit eine abschließende Regelung bietet169. Art. 4 Abs. 3 EUV enthält somit, ebenso wie die Bundestreue auf bundesstaatlicher Ebene170, eine dreidimensionale Beziehungsstruktur171.

165

Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 32, vgl. 6. Kap. B. I. 2. c). EuGH, Rs. C-230/81, Slg. 1983, 255, Rn. 38 (Luxemburg/Parlament); Rs. C-52/84, Slg. 1986, 89, Rn. 16 (Kommission/Belgien); Rs. C-2/88, Slg. 1990, I-3365, Rn. 10 (Zwartveld); Rs. C-234/89, Slg. 1991, I-935, Rn.  53 (Delimitis); Rs. C-39/94, Slg. 1996, I-3547, Rn.  50 (SFEI); Rs. C-94/00, Slg. 2002, I-9011, Rn. 31 (Roquette Frères); Rs. C-251/89, Slg. 1991, I-2797, Rn.  57 (Athanasopoulos u. a.); Rs. C-339/00, Slg. 2003, I-11 757, Rn.  71 f. (Irland/ Kommission); Schwarze/Hatje, Art.  10 EGV, Rn.  13, 55 ff.; Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 18, 70 ff.; v.d. Groeben/Schwarze, Art. 10 EGV, Rn. 1, 11 ff.; Grabitz/Hilf/ v. Bogdandy, Art. 10 EGV, Rn. 9, 79 ff.; Geiger, Art. 10 EGV, Rn. 5; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art.  10 EGV, Rn.  6, 47 ff.; Unruh, EuR 2002, S.  41, 62; Zuleeg, Zusammenhalt in der EU, S. 56; Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 58 f.; Bleckmann, EuR, S. 254 ff. 167 EuGH, Rs. C-32/79, Slg. 1980, 2403, Rn. 25, 46 (Kommission/Vereinigtes Königreich); Rs. C-42/82, Slg. 1983, 1013, Rn. 36 (Kommission/Frankreich); Rs. C-235/87, Slg. 1988, 5589, Rn. 19 (Matteucci); Rs. C-251/89, Slg. 1991, I-2797, Rn. 57 (Athanasopoulos u. a.); Schwarze/ Hatje, Art. 10 EGV, Rn. 13, 58 ff.; Schulze/Zuleeg/Marauhn, § 7, Rn. 26, 48; ­Calliess/Ruffert/ Kahl, 3. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 18, 77 ff.; Grabitz/Hilf/v. Bogdandy, Art. 10 EGV, Rn. 9; v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art.  10 EGV, Rn.  1, 12; Lenz/Borchardt/Lenz, 4. Aufl., Art.  10 EGV, Rn. 1, 10; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 7; Unruh, EuR 2002, S. 41, 62; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S. 55; Zuleeg, Zusammenhalt in der EU, S. 57; Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 58; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 16 f.; Bleckmann, EuR, S. 253 ff. 168 Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 18; Schulze/Zuleeg/Marauhn, § 7, Rn. 26, 49; Lenz/Borchardt/Lenz, 4. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 11; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn.  7; a. A. v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art.  10 EGV, Rn.  1; Grabitz/Hilf/v. Bogdandy, Art. 10 EGV, Rn. 9; Schwarze/Hatje, Art. 10 EGV, Rn. 13. 169 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 45; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  52; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn.  26, 49; offen gelassen Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 7; a. A. Lenz/Borchardt/Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 23. 170 Bauer, Bundestreue, S. 212. 171 Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 46. 166

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

141

3. „Verpflichtungen“ i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV Zur näheren Bestimmung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Verpflichtungen werden, ähnlich der Konkretisierung der Bundestreue172, „Subprinzipien“173 herangezogen, namentlich das „Kooperationsprinzip“174, das „Prinzip der Rücksichtnahme“175 sowie die Pflicht zur Solidarität176. Das Kooperationsprinzip zeigt die zentrale Bedeutung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit auf: Es umfasst die wechselseitige Verpflichtung von EU und Mitgliedstaaten, „zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der EG als einer Rechtsgemeinschaft“ zusammen zu wirken177. Der elementare Stellenwert des Prinzips wird auch in der Rechtsprechung des EuGH betont178. Das Kooperationsprinzip konkretisiert sich innerhalb des Art. 4 Abs. 3 EUV in einer positiven Handlungspflicht, eingeteilt in eine Pflichterfüllungspflicht nach Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV und eine Förderungspflicht, Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 1. Fall EUV, sowie der negativen Unterlassungspflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 2. Fall EUV179. Daneben äußert es sich in einer Vielzahl sonstiger Vorschriften, zum Beispiel in Art. 5 Abs. 3 UAbs. 1, Art. 13 Abs. 2 S. 2, Art. 24 Abs. 3 EUV sowie in Art. 14, Art. 147 Abs. 1, Art. 153 Abs. 2, Art. 156, Art. 165 Abs. 1, Art. 167 Abs. 1 und 2, Art. 168 Abs.  1 UAbs.  2 und 3 sowie Abs.  2, Art.  173 Abs.  1 und 2, Art.  197, Art.  208 Abs. 1, Art. 210 Abs. 1, Art. 291 Abs. 1, Art. 317 Abs. 1 sowie Art. 325 Abs. 3 und 5 AEUV180. Das Kooperationsprinzip ist überdies Ausdruck der föderalen Organisationsstruktur der Europäischen Union und steht in Zusammenhang mit ihrer ­Bezeichnung als „kooperativer Verfassungs- und Verwaltungsverbund“181.

172

Woelk, ZÖR 1997, S. 527, 543. Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  39; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/ Marauhn, § 7, Rn. 13. 174 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 39; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn.  1; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn.  14; ähnlich Kluth, DVBl. 2004, S. 393, 401 („kooperative[n] Rechtswirkungen“). 175 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 40; Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 1; ähnlich EuGH, Rs. C-167/01, Slg. 2003, I-10 155, Rn. 45 (Inspire Art); Schulze/ Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 15. 176 EuGH, verb. Rs. C-6 und 11/69, Slg.  1969, 523, Rn.  14/17 (Kommission/Frankreich); Rs. C-39/72, Slg.  1973, 101, Rn.  24 f. (Kommission/Italien); Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/ Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 41; Unruh, EuR 2002, 41, 45 ff.; Egli, Die Bundestreue, S. 469 ff. 177 Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 1. 178 EuGH, Rs. C-54/81, Slg. 1982, 1449, Rn. 5 (Fromme); Rs. C-205–215/82, Slg. 1983, 2633, Rn. 42 (Deutsche Milchkontor); Rs. C-213/89, Slg. 1990, I-2433, Rn. 19 (Factortame u. a.). 179 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  39; Geiger/Khan/Kotzur, Art.  4 EUV, Rn. 8. 180 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 39. 181 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 14; Egli, Die Bundestreue, S. 476; ähnlich Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S. 56 („kooperative Verfassungs- und Verwaltungsgemeinschaft“), vgl. 6. Kap. B. I. 2. c). 173

142

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Das Rücksichtnahmegebot enthält den an die EU selbst wie auch an ihre Mitgliedstaaten gerichteten Auftrag, aufeinander Rücksicht zu nehmen182. Für die Union ist die Verpflichtung, die Angelegenheiten der Mitgliedstaaten zu achten, nun durch die in Art. 4 Abs. 2 EUV enthaltene „Identitätsklausel“ gesetzlich fixiert und konkretisiert worden183. Daneben ist der Rücksichtnahmegrundsatz insbesondere in Art. 1 Abs. 2, Art. 4 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3 und 4 sowie in Art. 24 Abs. 3 EUV normiert184. Ihm kann ebenfalls durch Tun und durch Unterlassen nachgekommen werden185. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ist schließlich Ausdruck des selbständigen allgemeinen verfassungsrechtlichen Solidaritätsprinzips186, das die europäischen Verträge beherrscht187. Das allgemeine Solidaritätsprinzip erlangt insbesondere Bedeutung für die Beziehung der Mitgliedstaaten untereinander (vgl. Art.  2, Art.  3 Abs.  3 UAbs.  3 EUV), indem es diese verpflichtet, sich gegenseitig zu unterstützen und ausgleichenden Beistand zu leisten188. Die Art. 4 Abs. 3 EUV entspringenden Verpflichtungen dienen der Durchsetzung des allgemeinen Solidaritätsprinzips, der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ist als seine „Spezialausprägung“189 zu verstehen. Daneben findet das allgemeine Solidaritätsprinzip Ausdruck speziell in dem 6.  Erwägungsgrund der Präambel des EUV sowie in Art. 1 Abs. 3 UAbs. 3, Art. 24 Abs. 2 und 3, Art. 25 lit. c, Art. 31 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 und 3, Art. 32, 34 und 35 EUV sowie in Art. 121 Abs. 1, Art. 146 Abs. 2, Art. 168 Abs. 2, Art. 171 Abs. 2, Art. 173 Abs. 2, Art. 175 Abs. 1, Art. 222, Art. 325 Abs. 3 S. 2 und Art. 351 UAbs. 2 S. 2 AEUV190. 4. Rechtswirkungen Der in Art.  4 Abs.  3 EUV primärrechtlich kodifizierte, allgemeine unionsrechtliche Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit kann, in Entsprechung zu der Bundestreue auf bundesstaatlicher Ebene, Grundlage unmittelbarer autonomer Verpflichtungen sowohl der EU-Mitgliedstaaten als auch der Union selbst sein. So vermag Art. 4 Abs. 3 EUV neben seiner bereits gesetzlich bestehende Verpflichtungen ergänzenden Funktion selbst primärrechtliche Pflichten zu begrün-

182

Streinz/Streinz, 1. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 1. Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 10; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 3. 184 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 40. 185 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 40. 186 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 41. 187 Egli, Die Bundestreue, S. 469 f.; Bieber, Solidarität und Loyalität, S. 7 f. 188 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 41. 189 Egli, Die Bundestreue, S. 470. 190 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 41. 183

B. Art. 4 Abs. 3 EUV – Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

143

den191. Dementsprechend konstitutiv wirkt er, wenn ein Mitgliedstaat nur durch eine einzige Maßnahme seine Verpflichtung aus dem EU-Recht erfüllen kann (Ermessensreduzierung auf Null)192. Dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit kommt als allgemeinem Rechtsgrundsatz ferner eine über seine primärrechtliche Kodifizierung hinausreichende Bedeutung zu193. Verstöße gegen das rechtlich verbindliche Prinzip können durch den EuGH überprüft und mit Sanktionen belegt werden194.

IV. Zwischenfazit Die allgemeinen Ausführungen zu dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV weisen diesen als originär unionalen Rechtsgrundsatz aus, der, dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Bundestreue im Bundesstaat Deutschland entsprechend, das Verhältnis der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten beherrscht. Zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der EU bildet der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV den konkretisierungsbedürftigen Ausgangspunkt für die Begründung verbindlicher Rechtspflichten sowohl der Union selbst als auch der EU-Mitgliedstaaten in Gestalt von Kooperations-, Rücksichtsnahme- oder Solidaritätspflichten. Diese können vertikal zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten aber auch im horizontalen Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten untereinander bestehen. Zu untersuchen ist nun, inwieweit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV die konkrete Pflicht der EU-Mitgliedstaaten zum ge­ genseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer nationalen Allgemeinrechtsgüter zu entnehmen ist.

191 EuGH, Rs. C-285/96, Slg. 1998, I-5935, Rn.  19 f. (Kommission/Italien); Grabitz/Hilf/­ Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art.  4 EUV, Rn.  52; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 43; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 27; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 16; Lenz/Borchardt/Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 17; v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art. 10 EGV, Rn.  2; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S.  20 ff.; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 3, 8 ff. 192 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  43; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/ Marauhn, § 7, Rn. 16; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 28. 193 Vgl. 6. Kap. B. I. 1. 194 Hatje, Loyalität als Rechtsprinzip, S. 84 ff.; Unruh, EuR 2002, S. 41, 61; Calliess/Ruffert/ Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 42.

144

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

C. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als Grundlage einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten? C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

I. Fehlende Konkretisierung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zu einer wechselseitigen strafrechtlichen Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten Wie seine Vorgängernormen regelt Art. 4 Abs. 3 EUV das Verhältnis der EUMitgliedstaaten untereinander nicht ausdrücklich. Neben den sich aus primärrechtlichen leges speciales (Art. 121 Abs. 1, 156 UAbs. 1, 165 Abs. 1 S. 1, 167 Abs. 2, 197 und 222 AEUV)195 sowie sekundärrechtlichen Bestimmungen196 ergebenden, horizontalen Pflichten der EU-Mitgliedstaaten entnahm der EuGH jedoch bereits dem von Art. 5 EWGV teilpositivierten Loyalitätsgrundsatz eine „intermitgliedstaatliche[n]“197 Wirkung198. Diese „Systemnotwendigkeit im Mehrebenensystem“199 leitete der Gerichtshof aus „dem Gemeinschaftssystem“200 her. Dementsprechend gilt das horizontale Pflichtenverhältnis der Mitgliedstaaten im gesamten Anwendungsbereich des Unionsrechts201. Dass die Mitgliedstaaten der EU nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV untereinander zur Kooperation, Rücksichtnahme und Solidarität verpflichtet sind, betonte der Gerichtshof auch in weiteren Entscheidungen202 und wurde gleichermaßen von der Literatur203 anerkannt. Gegenüber der einhelligen Anerkennung der auch zwischenstaatlichen Bedeu­ tung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV wurde 195

Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 116. Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  119; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 92. 197 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 116. 198 EuGH, Rs. C-42/82, Slg.  1983, 1013, Rn.  36 (Kommission/Frankreich); Rs.  C-251/89, Slg. 1991, I-2797, Rn. 57 (Athanasopoulos u. a.). 199 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 48. 200 EuGH, Rs. C-42/82, Slg. 1983, 1013, Rn. 36 (Kommission/Frankreich). 201 v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art.  4 EUV, Rn.  77; Schwarze/Becker/Hatje/ Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 78; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 48. 202 EuGH, Rs. C-32/79, Slg. 1980, 2403, Rn. 25, 46 (Kommission/Vereinigtes Königreich); Rs. C-235/87, Slg. 1988, 5589, Rn. 19 (Matteucci). 203 v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 65, 72, 150 ff.; Calliess/Ruffert/ Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 46; Calliess/Ruffert/Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, 116 ff.; Schulze/ Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 26, 48; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 6, 78; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 52; Lenz/Borchardt/ Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 1, 21; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 6; Unruh, EuR 2002, S. 41, 62 ff.; Wille, Pflicht der Organe der Europäischen Gemeinschaft, S.  55; Zuleeg, Zusammenhalt in der EU, S. 57; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 18 ff.; 68; Lück, Die Gemeinschaftstreue, S. 58; Due, Der Grundsatz der Gemeinschaftstreue, S. 16 f.; Bleckmann, DVBl. 1976, S. 483, 486; ders., EuR, S. 253 ff. 196

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

145

die Spezifizierung der gegenseitigen mitgliedstaatlichen Pflichten jedoch allge­mein vernachlässigt204. Eine Aussage zur Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Strafrechtspflege traf bisher lediglich die Kommission205. Die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ergebende Kooperations­pflicht der mitgliedstaatlichen Verwaltungen habe mit dem Wegfall der Binnengrenzen an Bedeutung gewonnen206. Dies gelte insbesondere auch für die nicht harmonisierten Rechtsbereiche, in denen keine supranationale Gesetzgebungskompetenz besteht, um bilateralen Schwierigkeiten aufgrund unterschiedlicher nationaler Vorschriften entgegen zu wirken und so etwa die finanziellen Interessen der EU besser gegen Betrug schützen zu können207. Insofern treffe die aus dem Loyalitätsgebot folgende Verpflichtung auch die mitgliedstaatlichen Strafrechtspflegeorgane, durch gegenseitige Unterstützung208 und mit der erforderlichen Transparenz durch Informationsaustausch209 verhältnismäßig und vertraulich210 zu kooperieren211. Eine Konkretisierung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV im Hinblick auf intermitgliedstaatliche strafrechtliche Verpflichtungen, insbesondere den nationalen Rechtsgüterschutz betreffend, ist bislang allerdings nicht erfolgt.

II. Existenzberechtigung einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten als Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit 1. Vorüberlegung Die Herleitung einer wechselseitigen strafrechtlichen Schutzpflicht der EUMitgliedstaaten aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV könnte sich als erforderlich erweisen im Hinblick auf den Normauftrag des Grundsatzes innerhalb der Unionsrechtsordnung. Grundlegende Funktion des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV stellt, wie erörtert, die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Europäischen Union dar212. Durch ein loyales Zusammenwirken der EU und ihrer 204 Calliess/Ruffert/Calliess/Ruffert/Kahl, Art.  4 EUV, Rn.  116; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 92. 205 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament über die Entwicklung der Zusammenarbeit der Verwaltungen bei der Anwendung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts für den Binnenmarkt, KOM (1994) 29 endg. 206 KOM (1994) 29 endg., S. 10. 207 KOM (1994) 29 endg., S. 2, 11. 208 KOM (1994) 29 endg., S. 3. 209 KOM (1994) 29 endg., S. 4. 210 KOM (1994) 29 endg., S. 5. 211 Calliess/Ruffert/Calliess/Ruffert/Kahl, Art. 4 EUV, Rn. 117. 212 Vgl. 6. Kap. B. II.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Mitgliedstaaten auf allen Ebenen sollen trotz der Verteilung der Zuständigkeiten die vertraglichen Ziele umfassend verwirklicht werden. Zur Sicherung und Durchführung des Unionsrechts sind indes, als Träger der Union i. S. d. Art.  4 Abs.  1 EUV, primär die Mitgliedstaaten berufen213. Ihnen kommt eine „Wächterfunktion“214 in Bezug auf die Unionsrechtsordnung zu. Sie sind angehalten, alles zu tun, um die volle Wirksamkeit aller unionsrechtlichen Vorschriften sicherzustellen215 (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2 EUV) sowie alles zu unterlassen, was die Vertragsziele gefährden könnte (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV)216. Insbesondere müssen die Mitgliedstaaten dem für die Funktionsfähigkeit der Union unabdingbaren Gebot der einheitlichen Geltung und Anwendung des Unionsrechts nachkommen217, das der EuGH aus Art. 5 EWGV entwickelt hat218. Aufgrund des ausschließlich das vertikale Pflichtenverhältnis nennenden Wortlauts des Art. 10 EGV galten die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber der EU bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon als Schwerpunkt des Regelungsgehalts219. Dass diese dem vertikalen Beziehungsgefüge entspringende mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Sicherung der unionalen Interessen von den Mitgliedstaaten stets zu beachten ist, stellte der EuGH bei seinen bisherigen Aussagen zu dem sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Pflichtenverhältnis gerade auch zwischen den Mitgliedstaaten in den Vordergrund. So hob der Gerichtshof hervor, die Mitgliedstaaten seien zur Kooperation verpflichtet, um eine effektive Förderung und Sicherstellung der gemeinschaftlichen Interessen zu erreichen220. Die Kommission sei beispielsweise berechtigt, den Mitgliedstaaten aufgrund des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit gegenseitige Mitteilungspflichten aufzuerlegen, um ihre nun in Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV festgelegte Mitwirkungsverpflichtung gegenüber der EU zu akzen­ tuieren221. Des Weiteren müssten die EU-Mitgliedstaaten die Anwendung unions­ rechtlicher Bestimmungen erleichtern und „zu diesem Zweck jeden anderenMitgliedstaat, dem eine Verpflichtung aus dem Gemeinschaftsrecht obliegt, […] unterstützen.“222 Die Mitgliedstaaten seien auch zur loyalen Zusammenarbeit angehalten, um ihre sich aus dem europäischen Sekundärrecht ergebenden Aufgaben 213

Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S.  161, 197; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 72; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 33; Schwarze/Hatje, Art. 10 EGV, Rn. 16. 214 Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S. 161, 197. 215 EuGH, Rs. C-30/70, Slg. 1970, 1197, Rn. 10 (Scheer); Pache, Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 240. 216 Vgl. 6. Kap. B. III. 1. 217 Schwarz/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 28 ff.; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 33; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 20. 218 EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 f. (Costa/E. N. E. L.). 219 Calliess/Ruffert/Kahl, 3. Aufl., Art. 10 EGV, Rn. 18. 220 EuGH, Rs. C-3, 4, 6/76, Slg. 1976, 1279, 1313, Rn. 42/43 f. (Kramer). 221 EuGH, Rs. C-141/78, Slg. 1979, 2923, 2942, Rn. 8 f. (Seefischerei). 222 EuGH, Rs. C-235/87, Slg. 1988, 5589, Rn. 19 (Matteucci).

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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zu erfüllen223. Den EU-Mitgliedstaaten obliege die Pflicht, all diejenigen „Rechte und Interessen zu wahren, die für die anderen Mitgliedstaaten und ihre Staatsangehörigen durch das Gemeinschaftsrecht geschützt werden“224. Die Aussagen des EuGH machen deutlich, dass die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden zwischenstaatlichen Verpflichtungen stets final, in Zusammenhang mit der Treuepflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union zu sehen sind. Das intermitgliedstaatliche Treueverhältnis wird beeinflusst von der vertikalen Pflichtenstellung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit der EU. Die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten untereinander sind somit im Wirkbereich des Treueverhältnisses aller Mitgliedstaaten gegenüber der Union zu interpretieren. So kann die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ein erforderliches Mittel darstellen, um ihrer Loyalitätspflicht gegenüber der EU nachzukommen225. Folglich könnte eine aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende strafrechtliche Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten untereinander in Anbetracht einer Verpflichtung der Mitgliedstaaten gegenüber der EU geboten sein. 2. Die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union Um die Einhaltung des Unionsrechts sicherzustellen, ist dem an die EU-Mitgliedstaaten adressierten Loyalitätsgebot des Art.  4 Abs.  3 EUV die alle Staatsgewalten bindende „gesamtstaatliche“226 Pflicht zur Sanktionierung von Verstößen gegen das Unionsrecht zu entnehmen227. a) Rechtsentwicklung Dieser Ausformung der sich aus Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV ergebenden Verpflichtung liegt ein weitreichender Entscheidungsprozess des EuGH zugrunde228. So stellte der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache „Amsterdam Bulb“229 zunächst fest, die Mitgliedstaaten seien im Rahmen ihrer sich aus Art. 5 223

EuGH, Rs. C-251/89, Slg. 1991, I-2797, Rn. 57 (Athanasopoulos u. a.). EuGH, Rs. C-32/79, Slg. 1980, 2403, Rn. 46 (Kommission/Vereinigtes Königreich). 225 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 52. 226 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art.  4 EUV, Rn.  35; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 31. 227 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art.  4 EUV, Rn.  52; Streinz/Streinz, Art.  4 EUV, Rn. 34. 228 Vgl. hierzu eingehend Satzger, Europäisierung, S. 331 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 16 ff. 229 EuGH, Rs. C-50/76, Slg. 1977, 137 (Amsterdam Bulb). 224

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

EWGV ergebenden Verpflichtung, alle geeigneten Maßnahmen zur Erfüllung des Gemeinschaftsrechts zu treffen, berechtigt, Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Ge- und Verbote zu sanktionieren230 und unterstrich dabei die mitgliedstaatliche Wahlfreiheit in Bezug auf Erlass und Ausgestaltung der Sanktionen, die auch strafrechtliche Maßnahmen enthalten könnten231. Eine Restriktion dieser Wahlfreiheit nahm der EuGH im Zuge seiner Entscheidung in der Rechtssache „von Colson und Kamann“232 vor, in der es um Sanktionen zivilrechtlicher Natur ging233. Zwar sei es den Mitgliedstaaten überlassen, unter den gegebenen Möglichkeiten zur Sanktionierung des vorliegenden Verstoßes auszuwählen, damit ihre Wirksamkeit und abschreckende Wirkung gewährleistet ist, müsse die gewählte Sanktion jedoch in einem angemessenen Verhältnis zu dem erlittenen Schaden stehen234. Während der EuGH in dieser Entscheidung dem Mindesterfordernis der „abschreckenden Wirkung“ erstmals unabhängig davon, ob die Sanktionen zivil-, verwaltungs- oder strafrechtlicher Natur sind, Geltung zusprach235, bezog er die Voraussetzungen der „Wirksamkeit“ und „Ange­ messenheit“ zunächst noch ausschließlich auf zivilrechtliche Sanktionen236. Speziell in Bezug auf strafrechtliche Sanktionen enthielt dann das „Mais-­Urteil“237 maßgebende Aussagen238: Im Jahr 1987 hatte die Kommission die Griechische Republik in Zusammenhang mit zwei Schiffsladungen Mais verklagt, die ein Unternehmen aus Griechenland nach Belgien ausgeführt hatte. Offiziell war der Mais von den griechischen Behörden als griechischer Mais angemeldet worden, so dass weder die griechischen noch die belgischen Behörden die der EG zustehenden Agrarabschöpfungen erhoben. In Wahrheit war er jedoch aus dem Drittstaat Jugoslawien eingeführt worden. Nach Überzeugung der Kommission war diese Abgabenhinterziehung von griechischen Beamten begangen und später durch falsche Urkunden und Erklärungen zu verdecken versucht worden. Nachdem Aufforderungen der Kommission an die Griechische Republik, entsprechende Verfahren einzuleiten, ohne erkennbaren Erfolg blieben, leitete die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren (Art. 226 EGV – Art. 258 AEUV) ein.239 Der EuGH stellte in seinem Urteil vom 21. September 1989 fest, die Griechische Republik habe gegen die sich aus Art. 5 EGV ergebenden Pflichten verstoßen, weil 230

EuGH, Rs. C-50/76, Slg. 1977, 137, 150, Rn. 32 (Amsterdam Bulb). Satzger, Europäisierung, S. 332; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 20; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 10. 232 EuGH, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891 (v. Colson u. Kamann). 233 Satzger, Europäisierung, S. 333; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 20. 234 EuGH, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, 1909, Rn. 28 (v. Colson u. Kamann). 235 Satzger, Europäisierung, S. 334; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 22. 236 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 11 f.; Satzger, Europäisierung, S. 334. 237 EuGH, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965 (Kommission/Griechenland), vgl. 1. Kap. 238 Vgl. hierzu Satzger, Europäisierung, S. 334 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 24 ff. 239 Satzger, Europäisierung, S. 334 f.; ders., IntStR, S. 136; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 25. 231

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sie es unterlassen habe, die in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Straf- und Disziplinarmaßnahmen gegen diejenigen Personen einzuleiten, die an der Durchführung und Verdeckung der Abschöpfungshinterziehung beteiligt waren240. In seinen Entscheidungsgründen führte der EuGH aus: „Enthält eine gemeinschaftsrechtliche Regelung keine besondere Vorschrift, die für den Fall eines Verstoßes gegen die Regelung eine Sanktion vorsieht, oder verweist sie insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften, so sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 EWG-Vertrag verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten. Dabei müssen die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktionen verbleibt, nament­lich darauf achten, daß Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muß. Außerdem müssen die nationalen Stellen gegenüber Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht mit derselben Sorgfalt vorgehen, die sie bei der Anwendung der entsprechenden nationalen Rechtsvorschriften walten lassen.“241

Mit der auf Art. 5 EWGV gestützten Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Verstöße gegen gemeinschaftsrechtliche Vorschriften wie vergleichbare Verstöße gegen nationales Recht zu sanktionieren, führte der EuGH das „Gleichstellungsgebot“242 ein. Dieses verkörpert das „Assimilierungsprinzip“243, indem es die Mitgliedstaaten anhält, ihr nationales Kriminalstrafrecht, das den Schutz nationaler Rechtsgüter bezweckt, auf vergleichbare EU-Interessen zu erstrecken244. Zudem übertrug der EuGH in seiner Entscheidung die Mindestanforderungen „Wirksamkeit“ und „Angemessenheit“ auch auf strafrechtliche Sanktionen245. Durch Einführung des Gleichstellungsgebots sowie der Mindestanforderungen „Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit und Abschreckung“ („Mindesttrias“246) für das mitgliedstaatliche Strafrecht im Dienste des Gemeinschaftsrechts, verdichtete der EuGH die im Vorhinein den Mitgliedstaaten eingeräumte Befugnis, für Sanktionen gegen Gemeinschaftsrechtsverletzungen zu sorgen, zu einer entsprechenden Verpflichtung zur Ahndung von Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht247. 240

EuGH, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965, Rn. 1 ff. (Kommission/Griechenland). EuGH, Rs. C-68/88, Slg. 1989, 2965, Rn. 23 ff. (Kommission/Griechenland). 242 Satzger, Europäisierung, S. 336. 243 „Assimilierung“ („Assimilation“) bezeichnet also die strafrechtliche Gleichbehandlung von vergleichbaren nationalen und supranationalen Interessen (Tiedemann, NJW 1993, S. 23, 27). Sie ist zu unterscheiden von dem Begriff der Harmonisierung, der die Angleichung nationa­len Rechts bedeutet, vgl. Oppermann/Classen/Nettesheim, EuR, S. 514 ff.; Ambos, IntStR, S. 451. 244 Satzger, Europäisierung, S. 336; ders., IntStR, S. 136; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 28; Safferling, IntStR, S. 459. 245 Satzger, Europäisierung, S. 336; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 28. 246 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 13; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 26. 247 Satzger, Europäisierung, S. 337; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 27. 241

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Grund für die Assimilierungsverpflichtung der Mitgliedstaaten gegenüber der EU gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV ist das Unvermögen der Union, mangels Strafrechtssetzungskompetenz selbst für den strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter Sorge zu tragen248. b) Erforderlichkeit – Supranationale Strafrechtssetzungskompetenz der EU? Neben den in der Strafrechtswissenschaft entwickelten, bereichsspezifischen Vorschlägen zur Schaffung supranationalen Strafrechts249, wurde bereits vor Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags die Frage diskutiert, ob die ehemalige EG eine supranationale Strafrechtssetzungskompetenz innehat. Während eine Ansicht die E(W)G zum Erlass supranationaler Kriminalstrafnormen für grundsätzlich ermächtigt hielt250, sprach ihr die wohl herrschende Lehre eine supranationale Rechtssetzungsbefugnis auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts ab, da eine entsprechende, nach dem in Art. 5 EGV (Art. 5 Abs. 1, 2 EUV) verankerten Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung erforderliche Kompetenzzuweisung der Mitgliedstaaten an die EG nicht vorliege251. Zur Begründung wurden die Regelung der PJZS als „Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“ im Rahmen der dritten, intergouvernemental geprägten Säule der EU und die damit einhergehende ausdrückliche Kompetenzzuweisung an die Mitgliedstaaten angeführt252. Den in den Kompetenznormen des EGV enthaltenen Vorbehaltsklauseln, die dieses Verhältnis widerspiegelten, etwa in Art. 280 Abs. 4 S. 2 EGV, schrieb die herrschende Ansicht eine diesbezügliche Klarstellungsfunktion zu253. 248

Von einem „Dilemma“ sprechen Satzger, Europäisierung, S. 328; ders., IntStR, S. 135; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 16. 249 Vgl. 1. Kap. 250 Böse, Strafen und Sanktionen, S. 61 ff., 78, 94; ders., GA 2006, S. 211, 220 ff.; Dannecker/ Appel, Lebensmittelstrafrecht, S. 179, 183; Pache, Schutz der finanziellen Interessen der EG, S. 341; ders., EuR 1993, S. 173, 178 ff. 251 Ambos, IntStR, 2. Aufl., S. 418 ff.; Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 101; Satzger, Europäisierung, S. 98 ff., 143; ders., IntStR, 3. Aufl., S. 98; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 4 ff.; Griese, EuR 1998, S. 462, 476; Musil, NStZ 2000, S. 68, 69; Dannecker, Jura 2006, S. 95, 96; Rosenau, ZIS 2008, S. 9, 16; Zimmermann, Jura 2009, S. 844, 845; gleichwohl wurde seit jeher die Existenz einiger weniger unmittelbar anwendbarer primär- und sekundärrechtlicher Spezialnormen vertreten, die gemeinsam mit nationalen Straftatbeständen, auf die sie verweisen, ausnahmsweise „genuines Unionsstrafrecht“ schafften, im Primärrecht beispielsweise Art. 30 EuGH-Satzung und Art. 194 Abs. 1 UAbs. 2 EAGV, vgl. Hecker, EuStR, § 7, Rn. 6 ff.; Böse, Strafen und Sanktionen, S. 107 ff.; a. A. Satzger, Europäisierung, S. 198 ff.; ders., IntStR, S. 115 ff. 252 Satzger, Europäisierung, S. 141 ff.; ders., IntStR, 3. Aufl., S. 99; Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 4, Rn. 94; demgegenüber forderte Böse, GA 2006, S. 211, 215 ff., eine unabhängige Betrachtung der Art. 29 ff. EUV a. F. mit Verweis auf die ausschließliche Harmonisierungsfunktion dieser Normen durch Mindestvorschriften. 253 Satzger, ZRP 2001, S. 549, 553; ders., Europäisierung, S. 138 ff.; ders., IntStR, 3. Aufl., S. 99; Musil, NStZ 2000, S. 68, 69.

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Der Vertrag von Lissabon brachte diesbezügliche Neuerungen dahingehend mit sich, dass besagte Vorbehaltsklauseln, wie in der Nachfolgevorschrift des Art. 280 Abs. 4 EGV, 325 Abs. 4 AEUV, gestrichen wurden, was gemeinhin zu der Schlussfolgerung veranlasste, neben Harmonisierungsmaßnahmen durch den Erlass von Richtlinien mit Mindestvorschriften nach Art. 83 Abs. 1 und 2 AEUV sei nun der Erlass supranationaler Straftatbestände zur Betrugsbekämpfung möglich254. Dafür spreche auch die Überführung der PJZS in das supranationale Unionsrecht im Zuge der Auflösung der ehemaligen Säulenstruktur der EU255. Während in diesem Zusammenhang als Voraussetzung für eine supranationale Strafrechtssetzungskompetenz teilweise die Errichtung einer europäischen Staatsanwaltschaft gefordert wird256, lehnt die Gegenansicht eine Strafrechtssetzungskompetenz der EU auch auf Grundlage des Art. 325 Abs. 4 AEUV gänzlich ab257. Zu betonen ist, dass, sieht man die besagten Vorschriften mit der wohl herrschenden Meinung als potentielle Kompetenzgrundlagen zur Setzung supranationalen Strafrechts an, diese lediglich bereichsspezifische, nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV notwendige Ausnahmen darstellen258. Eine allgemeingültige supranationale Rechtssetzungsbefugnis auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts haben die Mitgliedstaaten der EU auch durch den Vertrag von Lissabon nicht überantwortet259. Der EuGH spricht insofern von einer grundsätzlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Strafgesetzgebung260. c) Schutzobjekte: Supranationale europäische Rechtsgüter Das Mais-Urteil des EuGH führte nicht zuletzt zu der Anerkennung eigener strafrechtlich schützenswerter Rechtsgüter und Interessen der EU, der sogenannten „supranationalen europäischen Rechtsgüter“261. 254 Rosenau, ZIS 2008, S.  9, 16; Heger, ZIS 2009, S.  406, 416; Zimmermann, Jura 2009, S. 844, 846; Schramm, ZJS 2010, S. 615; Mansdörfer, HRRS 2010, S. 11, 18; Grünewald, JZ 2011, S.  972, 973; Satzger, IntStR, S.  119 ff.; ders., ZRP 2010, S.  137; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 81 f.; ders., Iurratio 2009, S. 81, 85; Safferling, IntStR, S. 461; Ambos, IntStR, S. 447; Auch die Art. 33 und 79 Abs. 2 lit. c und d AEUV werden als entsprechende Kompetenzgrundlagen diskutiert, vgl. Satzger, IntStR, S. 120. 255 Fremuth, Die EU auf dem Weg in die Supranationalität, S.  304; Schramm, ZJS 2010, S. 615; Grünewald, JZ 2011, S. 972, 973; Satzger, IntStR, S. 119, vgl. 5. Kap. B. 256 Heger, ZIS 2009, S. 406, 416. 257 Sturies, HRRS 2012, S. 273, 288. 258 Grünewald, JZ 2011, S. 972, 974; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 83; Ambos, IntStR, S. 444, 447. 259 Grünewald, JZ 2011, S. 972, 974; Hecker, EuStR, § 4, Rn. 83; Böse, Krey FS, S. 7, 16; Heger, ZIS 2009, S. 406, 415; Zöller, ZIS 2009, 340, 343 f. 260 EuGH Rs. C-387/93, Slg. 1995, I-4663, Rn.  58 (Banchero); Rs. C-274/96, Slg. 1998, 7637, Rn. 17 (Bickel u. Franz); vgl. insofern auch BGHSt 25, 190, 193 f.; 27, 181, 182; 41, 127, 131 f.; 123, 267, 359 f. 261 Satzger, Europäisierung, S.  348; ähnlich Hecker, EuStR, § 7, Rn.  31 („supranationalen europäischen Schutzgütern“).

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Zwar stellte das Bezugsobjekt der durch den Gerichtshof ausgesprochenen mitgliedstaatlichen Assimilierungspflicht ausschließlich das finanzielle Interesse der damaligen EG dar, entsprechend des offenen Entscheidungswortlauts („Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht“) vertritt die herrschende Lehre jedoch ein extensives Verständnis der supranationalen europäischen Rechtsgüter262. Die mitgliedstaatliche Assimilierungsverpflichtung müsse bezüglich aller Rechtsgüter der EU gelten, die für deren Bestand und Funktionsfähigkeit von Bedeutung sind, sprich „alle personellen, sachlichen und finanziellen Mittel, die der Gemeinschaft die Erfüllung ihrer vertraglich vorgesehenen Aufgaben erst ermöglichen“263. Zudem gebiete die umfassende Gewährleistung einer funktionsfähigen EU die Qualifizierung des allgemeinen unionalen Interesses an der Anwendung und Durchführung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten, einschließlich seiner Sekundärrechtsnormen, des Interesses an der Verwirklichung der Grundfreiheiten sowie der unionalen Politiken als schutzwürdige Rechtsgüter264. Diese absolute Deutung wurde mit Art. 10 EGV (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 2, 3 EUV) als gesetzliche Grundlage der mitgliedstaatlichen Assimilierungsverpflichtung begründet, der die Mitgliedstaaten anhält, „alle geeigneten Maßnahmen“ gegenüber der EU zu treffen, um deren Funktionsfähigkeit zu gewährleisten. Im Hinblick auf die unzureichenden Möglichkeiten der EU, Verstöße gegen ihre Rechtsordnung selbst strafrechtlich zu ahnden, müsse die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Indienststellung ihres nationalen Strafrechts umfassend gelten265. So kommen konkret, abgesehen von den durch das nationale Strafrecht schlechthin geschützten Individualrechtsgütern der EU266, als „hoheitliche“ supranationale Rechtsgüter im weiteren Sinne neben ihrem finanziellen Interesse (Art. 325 AEUV) die Europäische Rechtspflege267 (Art. 19 EUV) in Betracht, amtliche Titel und Berufsbezeichnungen268 und der amtliche Gewahrsam von Unionsbeam­ 262 Vgl. hierzu Satzger, Europäisierung, S. 347 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 31 ff.; Böse, Strafen und Sanktionen, S. 417; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 5, 38 ff., 69 ff.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 208; Dannecker, Jura 2006, S. 95, 99 ff.; Tiedemann, NJW 1993, S. 23 ff.; Dannecker/Möhrenschlager, Einbeziehung ausländischer Rechtsgüter, S. 162, 163. 263 Satzger, Europäisierung, S. 348. 264 Satzger, Europäisierung, S.  348 ff.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S.  208; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 19 ff., 46 ff.; a. A. Schünemann/Bitzilekis/KaiafaGbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 223, die als „genuine europäische Rechtsgüter“ ausschließlich diejenigen qualifizieren, „die jedem Staat als Gewaltträger zustehen können und damit nach klassischer Ansicht in die Kategorie der staatlichen Rechtsgüter fallen, vorausgesetzt, dass ihr solche Rechtsgüter auch von den Mitgliedstaaten als substantielle Elemente ihres Bestandes bereits zuerkannt worden sind“, also diejenigen hoheitlichen Eigeninteressen der EU, die auf mitgliedstaatlicher Ebene über ein vorliegend als staatliches Allgemeinrechtsgut einzuordnendes Pendant verfügen, vgl. 3. Kap. C. 265 Satzger, Europäisierung, S. 347 f. 266 Vgl. 3. Kap. C. und 4. Kap. C. I. 267 Hecker, EuStR, § 7, Rn. 31; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 103 f. 268 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  42; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 95 f.

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ten269 (Art. 30 ff. AEUV), die Verschwiegenheit gemeinschaftlicher Stellen270 (Art. 339 AEUV) sowie die Lauterkeit der Amtsführung der Bediensteten der EU271 (Art. 340 AEUV) und die Organisation und Autorität der Gemeinschaft272 (Art. 13 ff. EUV). Weiter sind als supranationale europäische Rechtsgüter die Sicherheit und Zuverlässigkeit des europäischen Rechtsverkehrs mit Urkunden273, sowie das Inter­ esse der EU an der Durchsetzung bestimmter Unionspolitiken274, wie die Gewährleistung des in Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV enthaltenen Binnenmarkts275 zu qualifizieren. In diesem Zusammenhang gewinnen nach Art.  26 Abs.  2 AEUV auch die Grundfreiheiten als eigenständige supranationale europäische Rechtsgüter Bedeutung276, der europäische Wettbewerb sowie der europäische Verbraucher- und Umweltschutz277. Schließlich stellt auch das Interesse der EU an der umfassenden Sicherstellung der Anwendung des Sekundärrechts ein supranationales europäisches Rechtsgut dar278. Das heißt, das unionale Sekundärrecht, das dem Schutz strafrechtlich relevanter Rechtsgüter dient, ist selbst Schutzobjekt. d) Europäisierung des Rechtsgutskonzepts? Das weite Verständnis der EU-Schutzgüter ist jedoch nicht ohne Kritik ge­ blieben279. So wird angeführt, besagte Interpretation berge die Gefahr der Entstehung „apokrypher, ätherischer und leicht manipulierbarer Rechtsgüter“, eine Ausuferung 269 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  42; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 94 f. 270 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 45; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/ Brühann, Art. 339 AEUV, Rn. 2; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 96 ff. 271 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  45; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S. 98 ff. 272 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 40 ff. 273 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  42; Pabsch, Der strafrechtliche Schutz, S.  95; a. A. Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 225. 274 Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 208; Sieber, Geerds FS, S. 113, 118; für eine Qualifizierung des Interesses der EU an der Verwirklichung ihrer Unionspolitiken im Allgemeinen als supranationales europäisches Rechtsgut Satzger, Europäisierung, S. 350, vgl. 6. Kap. B. III. 1. 275 Sieber, Geerds FS, S. 113, 118. 276 Satzger, Europäisierung, S. 350; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 31; Sieber, Geerds FS, S. 113, 118. 277 Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 208; Sieber, Geerds FS, S. 113, 118; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 31, speziell zum supranationalen Rechtsgut Umwelt ders., ZStW 2003, S. 880, 897; Ruhs, ZJS 2011, S. 13, 19; die Umwelt als supranationales europäisches Rechtsgut ablehnend Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 225. 278 Satzger, Europäisierung, S.  350; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 19 ff., 46 ff.; Moll, Blankettstrafgesetzgebung, S. 208. 279 Weigend, ZStW 1993, S. 789 ff.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

der kriminalstrafrechtlichen Schutzpflicht auf mitgliedstaatlicher Ebene sei vorprogrammiert280. Wie gesehen, versteht sich diese jedoch zumindest in Deutschland in ihrer ultima ratio-Funktion als subsidiärer Rechtsgüterschutz der von der deut­schen Strafrechtsordnung als sanktionierungsbedürftig eingestuften Rechtsgüter281. Die fehlende Qualifizierung supranationaler europäischer Rechtsgüter als solche im Sinne des nationalen Rechtsgutverständnisses kann jedoch nicht deren Ausschluss aus dem Schutzbereich des nationalen Strafrechts begründen282. Zu beachten ist, dass eine Anerkennung supranationaler europäischer Rechtsgüter auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht möglich ist283. Denn in Anbetracht der Tatsache, dass dem Rechtsgutsprinzip in den anderen mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen nicht der gleiche Stellenwert wie in Deutschland zugesprochen wird284, würde entsprechend dieser unterschiedlichen Bedeutungsgebung eine von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat variierende Bestimmung des supranationalen europäischen Rechtsguts und seiner hiervon abhängigen strafrechtlichen Bewehrung dem Gebot der einheitlichen Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts zuwiderlaufen285. Insofern ist als Grundlage für die Definition supranationaler europäischer Rechtsgüter, gleich der Basis ihrer Entstehung, ausschließlich die europäische Rechtsordnung als maßgebend anzusehen286. Mit ihrem Beitritt zu den Verträgen haben sich die Mitgliedstaaten gemäß Art.  4 Abs.  3 EUV verpflichtet, im Wege einer stets loyalen Zusammenarbeit die auf eine autonome Rechtsordnung fußende Funktionsfähigkeit der EU sicherzustellen287. Dies erfordert wiederum den Schutz aller Rechtsgüter und rechtlich geschützten Interessen der Union, die für ihre Existenz und Funktionsfähigkeit sowie für die Durchsetzung ihrer Politiken von Bedeutung sind288 und somit möglicherweise auch neuartiger, dem nationalen Rechtsgutsverständnis noch fremder Rechtsgüter, die nicht schlechthin im Sinne dieses Verständnisses eingeordnet werden können. So mag ein Teil  der besagten EU-Rechtsgüter im Sinne der deutschen Dogmatik weder der Rechtsgutsgruppe der Individual- noch derjenigen der staatlichen oder kollektiven Allgemeinrechtsgüter zugeordnet werden können. Eine Demontage

280

Weigend, ZStW 1993, S. 774, 801. Vgl. 3. Kap. A. I. 282 Vgl. zu der Frage, ob die EU bei ihrer Rechtssetzung zur Beachtung des deutschen Rechtsgutskonzepts verpflichtet ist, Heger, Europäisierung des deutschen Umweltstrafrechts, S. 199 ff. 283 Vgl. zu der grundsätzlichen Erforderlichkeit einer Kriminalpolitik auf europäischer Ebene Satzger, ZIS 2009, S. 691 ff.; ders., ZRP 2010, S. 137 ff., als Anlass für das Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik, abgedruckt in ZIS 2009, S. 697 ff., vgl. 1. Kap. 284 Vogel, GA 1998, S. 127, 148. 285 Satzger, Europäisierung, S. 351. 286 Satzger, Europäisierung, S. 351; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 292. 287 Satzger, Europäisierung, S. 351, vgl. 6. Kap. B. II. 288 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 281

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des Rechtsgutsbegriffs ist gleichwohl nicht zu befürchten, da auch die supranationalen europäischen Rechtsgüter zumindest insoweit nachvollziehbar bleiben, als auch ihnen die Rückführbarkeit auf das Individuum durchaus nachgewiesen werden kann289. Die Wahrung der jeweiligen durch die nationale Rechtsguts- und Sanktionsmethodik entwickelten grundsätzlichen Wertesysteme eines jeden Mitgliedstaats erfolgt schließlich und primär durch einen weiteren Schritt: Denn nach der Qualifizierung der auch neuartigen supranationalen europäischen Rechtsgüter als potentielle Schutzobjekte der nationalen Strafrechtsordnungen hängt die letztendliche Entscheidung, ob diese den Schutz durch einen bestimmten mitgliedstaatlichen Straftatbestand nun auch tatsächlich erhalten, von der Vereinbarkeit ihrer Einbeziehung mit dem bereits angedeuteten, durch den EuGH im Rahmen seiner Mais-Rechtsprechung entwickelten Rahmensystem ab290, das im Folgenden noch näher zu betrachten ist. Durch das Assimilierungsprinzip, das dieses bestimmt, orientiert sich das unionsrechtliche Rahmensystem an dem Strafrecht der EU-Mitgliedstaaten, womit ihm wiederum eine Schonung der nationalen Strafrechtsordnungen immanent ist. Die EU-Mitgliedstaaten sind mithin gegenüber der EU zum umfassenden strafrechtlichen Schutz der supranationalen europäischen Rechtsgüter verpflichtet. Diese vertikale strafrechtliche Assimilierungspflicht stellt eine Ausprägung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Handlungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU dar291. e) Unionsrechtliches Rahmensystem Die Indienststellung des mitgliedstaatlichen Strafrechts zum Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter ist in ein unionsrechtlich vorgegebenes „Rahmensystem“292 eingebunden, das die Mitgliedstaaten zu beachten haben293. Die Obergrenze bilden die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, die Untergrenze das vom EuGH entwickelte Gleichstellungsgebot sowie die Mindesttrias „Wirksamkeit, Angemessenheit, Abschreckung“294. Sowohl Unter- als auch Obergrenze dieses Rahmens sind Ausfluss der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU295. Es handelt sich um unionsrechtliche Kriterien, die einer autonomen Interpretation durch 289

Hefendehl, ZIS 2006, S. 229, 232 ff. Satzger, Europäisierung, S. 351 ff. 291 Satzger, Europäisierung, S. 330 f. 292 Satzger, Europäisierung, S. 330, 360. 293 Satzger, Europäisierung, S. 330, 360 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 36 ff. 294 Satzger, Europäisierung, S. 360 f.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 36, 41. 295 Satzger, Europäisierung, S. 330. 290

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

den EuGH unterliegen, um ihre einheitliche Definition und damit ein homogen angewendetes Rahmensystem in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten296. Allerdings machte der EuGH deutlich, dass den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Wahl der Sanktion zusteht297. Solange sie sich innerhalb des unionalen Rahmens bewegen, verfügen die Mitgliedstaaten mithin über einen Beurteilungsspielraum, der sich wiederum auf die Reichweite der gerichtlichen Nachprüfungskompetenz des EuGH auswirkt298. So kann der EuGH im Rahmen von Vertragsverletzungsverfahren nach den Art. 258 ff. AEUV die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende mitgliedstaatliche Pflicht, bei der Funktionalisierung ihres nationalen Strafrechts das unionale Rahmensystem einzuhalten, überwachen, muss dabei jedoch den mitgliedstaatlichen Einschätzungsspielraum billigen, so dass sich seine Überprüfung auf eine Vertretbarkeitskontrolle beschränkt299. aa) Obergrenze: Allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts Die Obergrenze des Rahmensystems, das die EU-Mitgliedstaaten bei der Assimilierung ihres nationalen Strafrechts zugunsten supranationaler europäischer Rechtsgüter zu beachten haben, bilden die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts300. Entsprechend ihrer sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden generellen Pflicht, alles zu tun, um die volle Wirksamkeit aller unionsrechtlichen Vorschriften sicherzustellen (Art.  4 Abs.  3 UAbs.  2 EUV) sowie alles zu unterlassen, was die Vertragsziele gefährden könnte (Art. 4 Abs. 3 UAbs. 3 EUV), dürfen die Mitgliedstaaten kein unionsrechtswidriges nationales Strafrecht setzen beziehungsweise aufrecht erhalten301. Die Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten stehen grundsätzlich in Wechselwirkung mit den im unionalen wie im Interesse des Einzelnen stehenden Grundfreiheiten302. Deren hinreichende Beachtung durch das nationale Sanktionenrecht misst der EuGH grundsätzlich an den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Diskriminierungsverbots303. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erlaubt nur geeignete, erforderliche und, im Sinne des Diskriminierungsverbots im Vergleich zu gleichartigen innerstaatlichen 296

Satzger, Europäisierung, S. 361 f.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 53. EuGH, Rs. 68/88, Slg. 1989, 2965, Rn.  24 (Kommission/Griechenland); Rs. C-326/88, Slg. 1990, I-2911, Rn. 17 (Hansen); Rs. C-7/90, Slg. 1991, I-1471, Rn. 11 (Vandevenne); Rs. C-36/94, Slg. 1995, I-3573, Rn. 20 (Siesse). 298 Satzger, Europäisierung, S. 362; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 53. 299 Satzger, Europäisierung, S. 362, 375; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 54. 300 Satzger, Europäisierung, S. 361; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 41. 301 EuGH, Rs. 8/77, Slg. 1977, 1495, Rn. 6 (Sagulo); Rs. 88/77, Slg. 1978, 473, Rn. 16 (Schonenberg); Rs. 269/80, Slg. 1981, 3079, Rn.  16 f. (Tymen); Satzger, Europäisierung, S.  297; ders., IntStR, S. 130. 302 Satzger, Europäisierung, S. 298; ders., IntStR, S. 132; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 41 ff. 303 EuGH, Rs. 118/75, Slg. 1976, 1185, Rn.  21/22 (Watson); Rs. 41/76, Slg. 1976, 1922, Rn. 31/37 (Donckerwolcke); Rs. 203/80, Slg. 1981, 2595, Rn.  27 (Casati); Rs. 299/86, Slg. 1988, 1213, Rn. 23 (Drexl). 297

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Verstößen, angemessene Strafen innerhalb der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen304. Insofern ist auch im Hinblick auf die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Strafrecht zugunsten des Unionsrechts zu funktionalisieren, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Obergrenze zu beachten305. bb) Untergrenze: Gleichstellungsgebot und Mindesttrias Die Untergrenze des unionsrechtlichen Rahmens für das zum Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter zu assimilierende nationale Strafrecht ergibt sich aus dem vom EuGH als Ausprägung der mitgliedstaatlichen Loyalitätspflicht i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV entwickelten Gleichstellungsgebot sowie der Mindesttrias „Wirksamkeit, Angemessenheit und Abschreckung“306. Die von dem Gerichtshof in diesem Zusammenhang immer zunächst ausgesprochene Forderung der Geeignetheit der getroffenen Maßnahmen, um die Geltung und die Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, stellt keine eigenständige Mindestvoraussetzung dar, sondern einen einleitenden Obersatz, der jedoch stets auf die Auslegung der folgenden Rahmenkriterien einwirkt, indem diese ihn konkretisieren und er so ihre Zielrichtung lenkt307. (1) Gleichstellungsgebot Das Gleichstellungsgebot, das die mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht verkörpert, verpflichtet die Mitgliedstaaten, Verstöße gegen supranationale Rechtsgüter der EU nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln zu sanktionieren wie nach Art und Schwere gleichartige Zuwiderhandlungen gegen nationales Recht308. Die „Gleichartigkeit“ der Verstöße wird durch den jeweiligen Mitgliedstaat anhand der unionsrechtlich definierten Rahmenbegriffe beurteilt309. Ob eine Zuwiderhandlung gleicher Art ist, ist durch einen Vergleich der verletzten unionsrechtlichen und der entsprechenden nationalen Vorschrift im Hinblick auf ihren Schutzzweck zu ermitteln310.

304

Satzger, Europäisierung, S. 371, 305. Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 16; Satzger, Europäisierung, S. 337, 354 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 48 ff. mit Verweis auf EuGH, Rs. C-326/88, Slg. 1990, I-2911, Rn. 19 (Hansen); kritisch Böse, Strafen und Sanktionen, S. 422 ff. 306 Satzger, Europäisierung, S. 360 f.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 36 ff. 307 Satzger, Europäisierung, S. 363; Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 22, der die Wirkung der Geeignetheit jedoch auf das Gleichstellungserfordernis beschränkt. 308 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. a). 309 Satzger, Europäisierung, S. 365; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 56. 310 Satzger, Europäisierung, S. 365. 305

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Gleicher Art sind Verstöße dann, wenn sie Interessen berühren, die miteinander vergleichbar sind311. Dies ist wiederum dann der Fall, wenn die verglichenen Rechtsnormen dasselbe, sprich ein identisches Rechtsgut schützen oder wenn sie zumindest „funktionell gleichwertige[s]“312 Schutzgüter betreffen, das heißt, wenn ihnen im Rahmen der jeweiligen Rechtsordnung vergleichbare Funktionen beigemessen werden313. Ist ein Verstoß gleicher Art, muss er zudem die gleiche Schwere aufweisen314. Gleicher Schwere ist ein Verstoß dann, wenn die Verletzung des betreffenden supranationalen europäischen Rechtsguts „ähnlich intensiv ist“315, also eine Intensität aufweist, die, gemäß dem Fall, das Rechtsgut wäre inländisch, eine Straftat begründet316. Die Bewertung der Schwere des Verstoßes unterliegt einem weiten Ermessensspielraum des beurteilenden Mitgliedstaats; diese muss lediglich nachvollziehbar und vertretbar sein317. (2) Mindesttrias Außerdem muss die betreffende nationale Sanktion der vom EuGH vorgegebenen Mindesttrias genügen, sprich die mitgliedstaatliche Ahndung muss „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein318. Wurde zuvor eine zu assimilierende mitgliedstaatliche Sanktion ermittelt, die das Gleichstellungsgebot erfüllt, fungiert die Mindesttrias für das mitgliedstaatliche Recht, das zum Schutz des betreffenden supranationalen europäischen Rechtsguts zum Einsatz zu bringen ist, als „Maßstab“319, als dessen Richtlinie. Die Mindesttrias gilt jedoch auch dann, wenn das Gleichstellungsgebot zuvor nicht zur Anwendung gekommen ist320. Ist dies der Fall, weil ein vergleichbares Schutzgut auf nationaler Ebene nicht existiert oder ein gleichartiger Verstoß gegen das innerstaatliche Recht nicht ermittelt werden kann, übernimmt die Mindesttrias er 311

Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 23; Satzger, Europäisierung, S. 365; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 57. 312 Hecker, EuStR, § 7, Rn. 57. 313 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  23 f.; Satzger, Europäisierung, S. 365; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 57. 314 Satzger, Europäisierung, S. 366. 315 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  24; Satzger, Europäisierung, S. 366. 316 Satzger, Europäisierung, S. 366; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 58. 317 Satzger, Europäisierung, S. 366. 318 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. a). 319 Satzger, Europäisierung, S. 364, 368. 320 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  24 f.; Satzger, Europäisierung, S. 363 f., 368; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 60.

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satzweise, als „Substitut“321, die Funktion der unionsrechtlichen Untergrenze für die mitgliedstaatliche strafrechtliche Schutzpflicht bezüglich derjenigen euro­ päischen Rechtsgüter, die kein Pendant auf mitgliedstaatlicher Ebene besitzen322. Nur durch die Gewährleistung des strafrechtlichen Schutzes auch dieser supranationalen europäischen Interessen wird dem durch die Rechtsprechung des EuGH vermittelten Grundgedanken, einen wirksamen, umfassenden Schutz der unionalen Rechtsgüter durch die Mitgliedstaaten zu garantieren, Genüge getan323. Im Sinne des durch den EuGH formulierten Obersatzes ist eine Sanktionsregelung wirksam, wenn sie die Eignung besitzt, die Geltung und Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten. So muss die mitgliedstaatliche Sanktion tatsächlich dazu beitragen, die Ziele der betreffenden unionsrechtlichen Vorschrift zu realisieren, sprich, die supranationalen Rechtsgüter effektiv und umfassend zu schützen324. Sie muss geeignet sein, den Täter von weiteren Verstößen abzuhalten (negative Spezialprävention), die Allgemeinheit von einem Verstoß abzu­ schrecken (negative Generalprävention) sowie das allgemeine Rechtsbewusstsein zu stärken (positive Generalprävention)325. Insofern sind das Wirksamkeits- und Abschreckungs­erfordernis als eine zusammengehörende Rahmenvorgabe zu behandeln326. Das von dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Obergrenze der mitgliedstaatlichen Assimilierungspflicht zu unterscheidende Angemessenheitserfordernis als Mindestgebot verlangt schließlich, dass die Mitgliedstaaten nur solche Maßnahmen treffen, die den Grad und die Schwere der Verletzung des unionalen Rechtsguts hinreichend berücksichtigen327. In dem durch diesen unionsrechtlichen Rahmen vorgegebenen Umfang sind die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, den Schutzbereich ihres nationalen Strafrechts auf supranationale europäische Rechtsgüter auszudehnen. f) Vertragskonformität Fraglich ist, ob die strafrechtliche Schutzpflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Europäischen Union als Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV mit dem unionalen Primärrecht, insbesondere mit der Loyalitätspflicht der EU gegenüber den Mitgliedstaaten, die gleichsam aus Art. 4 Abs. 3 EUV erwächst, vereinbar ist328. 321

Satzger, Europäisierung, S. 368; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 60. Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  24 f.; Satzger, Europäisierung, S. 363, 368; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 60. 323 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 25. 324 Satzger, Europäisierung, S. 368 f.; ders., IntStR, S. 135; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 62. 325 Satzger, Europäisierung, S. 368; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 62. 326 Satzger, Europäisierung, S. 368; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 62. 327 Satzger, Europäisierung, S. 371 f.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 65. 328 Vgl. hierzu eingehend Satzger, Europäisierung, S. 376 ff. 322

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Der nunmehr gemäß Art. 4 Abs. 3 UAbs. 1 EUV ausdrücklich wechselseitig wirkende Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet auch die EU und ihre Organe329. Sie beinhaltet die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die „elementaren“330 beziehungsweise „berechtigten“331 Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten. aa) Die immanente Grenze des Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, Art. 4 Abs. 1 EUV – Mitgliedstaatliche Strafrechtssetzungskompetenz Wie gesehen, besitzt die Europäische Union auch nach dem Vertrag von Lissabon jedenfalls keine umfassende Kompetenz zur Setzung von Kriminalstrafrecht332. Im Sinne des in Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV geregelten Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung haben die Mitgliedstaaten der EU diese Zuständigkeit nicht übertragen und sind somit ausschließlich selbst zum Erlass kriminalstrafrechtlicher Vorschriften befugt. Die explizite Wiederholung der Geltung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung in Art. 4 Abs. 1 EUV verdeutlicht, dass diese Kompetenzverteilung auch und insbesondere im Hinblick auf sich aus Art.  4 Abs.  3 EUV ergebende Loyalitätspflichten zu berücksichtigen ist333. Die Rücksichtnahmepflicht der EU gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV bezieht sich auch auf den Kompetenzbereich der EU-Mitgliedstaaten334. Mithin würde die Union mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, supranationale europäische Rechtsgüter zu schützen, ihre ihnen gegenüber gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Art. 4 Abs.  1 EUV obliegende Loyalitätspflicht verletzen, wenn die Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten eine Kompetenzanmaßung der EU zur Folge hat335. Formalrechtlich bewirkt die Assimilierungsverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV keine Kompetenzverlagerung auf die Union, denn die Entscheidung, ob und inwieweit zum Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter kriminalstrafrechtliche Vorschriften erlassen werden, trifft allein der nationale Gesetzgeber336. Die unionsrechtliche Einflussmöglichkeit beschränkt sich hier auf das Vertragsverletzungsverfahren i. S. d. Art. 258 ff. AEUV337. Ein in einem Ver 329

v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Obwexer, Art. 4 EUV, Rn. 4, 64, 137 ff.; Calliess/Ruffert/ Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 109; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 111; Lenz/Borchardt/Lenz, Art. 4 EUV, Rn. 20; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 4. 330 BVerfGE 89, 155, 184; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Marauhn, Art. 7, Rn. 47; Calliess/Ruffert/ Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 110. 331 Satzger, Europäisierung, S.  173; ders., IntStR, S.  129; v.d. Groeben/Schwarze/Zuleeg, Art. 10 EGV, Rn. 11. 332 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. b). 333 Vgl. 6. Kap. A. I. 334 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 111; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 7. 335 Vgl. hierzu auch Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 30 ff. 336 Satzger, Europäisierung, S. 377. 337 Satzger, Europäisierung, S. 376 f.

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tragsverletzungsverfahren erkanntes, pflichtwidriges Verhalten der mitgliedstaatlichen Legislative hat nach Art. 260 Abs. 1 AEUV ein Feststellungsurteil zur Folge. Dessen Missachtung kann wiederum die Verhängung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes mit sich bringen (Art. 260 Abs. 2 AEUV). Eine Möglichkeit, die Mitgliedstaaten gerichtlich zu verpflichten, kriminalstrafrechtliche Normen zum Schutz ihrer Rechtsgüter zu erlassen, ist der EU jedoch nicht gegeben338. Rein formalrechtlich bleibt der Mitgliedstaat „Herr über sein Kriminalstrafrecht“339. Jedoch könnte de facto eine Verlagerung der Strafrechtssetzungskompetenz auf die Europäische Union vorliegen340. Dies wäre dann der Fall, wenn die unionsrechtlichen Vorgaben, die die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten konkretisieren, dermaßen repressiv auf den nationalen Gesetzgeber wirken, dass diesem weder ein Entschließungs- noch ein Auswahlermessen verbleibt und somit die nach außen hin auf einer autonomen Entscheidung des Mitgliedstaats basierende Kompetenzausübung in Wirklichkeit durch die EU fremdbestimmt wurde341. Im Hinblick auf ihren sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungsauftrag wurde den Mitgliedstaaten jedoch ausschließlich ein unionsrechtlicher Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen den Mitgliedstaaten Raum für autonome Entscheidungen über die Art und Weise der Erfüllung ihrer Verpflichtung verbleibt342. Selbst das Gleichstellungsgebot und die Mindesttrias, die die Untergrenze des unionsrechtlichen Rahmensystems konstituieren343, belassen den EU-Mitgliedstaaten einen Entscheidungsspielraum344. So sind diese bei Bestehen eines Straftatbestands, der einen Verstoß gegen innerstaatliches Recht erfasst, der mit dem vorliegenden unionsrechtlichen Verstoß vergleichbar ist, nach dem Gleichstellungsgebot zwar zur Sanktionierung verpflichtet, durch die Möglichkeit, ihre betroffenen Strafvorschriften zu modifizieren bis hin zu der vollständigen Entkriminalisierung des jeweiligen Verstoßes, verbleibt jedoch den Mitgliedstaaten die letztendliche Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ der Sanktionierung345. Und auch im Hinblick auf ihre obligatorische Verpflichtung zur Beachtung der Mindesttrias behalten die EU-Mitgliedstaaten Ihre Stellung als autonome Entscheidungsträger. Denn allein sie bestimmen über Art und Weise der Funktionalisierung ihrer innerstaatlichen Strafrechtsordnung, um im Ergebnis eine „wirksame, angemessene und abschreckende“ Sanktionierung von Verstößen gegen supranationale europäische Rechtsgüter zu erreichen346. 338

Satzger, Europäisierung, S. 377. Satzger, Europäisierung, S. 377. 340 Vgl. hierzu Satzger, Europäisierung, S. 377 ff. 341 Satzger, Europäisierung, S. 377. 342 Satzger, Europäisierung, S. 378. 343 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. e). 344 Satzger, Europäisierung, S. 378 ff. 345 Satzger, Europäisierung, S. 380. 346 Satzger, Europäisierung, S. 379. 339

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende strafrechtliche Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten hat somit auch keine faktische Kompetenzverlagerung auf die EU zur Folge347. Sie ist mit Art. 5 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EUV, Art. 4 Abs. 1 EUV vereinbar und stellt somit keine Verletzung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Rücksichtnahmepflicht der EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten dar. bb) Die immanente Grenze des Art. 4 Abs. 3 EUV i. V. m. Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV – Strafrechtsspezifisches Schonungsgebot Eine Ausprägung des in Art. 4 Abs. 3 EUV fixierten Loyalitätsgrundsatzes stellt die Achtungsverpflichtung der Europäischen Union gegenüber den Mitgliedstaaten dar348. Gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV hat die EU die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten zu achten, zu der diejenigen spezifischen Grundwerte eines Mitgliedstaats zählen, die über die allen Vertragsstaaten gemeinen Prinzipien hinausgehen349. Das Strafrecht spiegelt in besonderem Maße die sozio-kulturellen Wertvorstellungen einer Nation wider und damit die nationale Identität auch der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV350. Einen dementsprechenden Stellenwert hat das BVerfG in seinem Lissabon-Urteil dem Bereich des Strafrechts für die Bundesrepublik zugesprochen351. Die EU ist demnach gemäß Art.  4 Abs.  3 i. V. m. Abs. 2 S. 1 EUV zur Achtung des mitgliedstaatlichen Kriminalstrafrechts verpflichtet. Die Obliegenheit der EU zur Achtung des mitgliedstaatlichen Kriminalstrafrechts schließt jedoch die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum strafrechtlichen Schutz der supranationalen europäischen Rechtsgüter nicht schlechthin aus352. Denn, wie gesehen, ist das nationale Strafrecht nicht in jeglicher Ausprägung, sprich nicht mit allen Straftatbeständen in gleichem Maße mit den staatsspezifischen Wertvorstellungen verbunden und somit einer Schutzbereichserweiterung auf andere als innerstaatliche Rechtsgüter verschlossen, so dass auch das Strafrecht der EU-Mitgliedstaaten nicht als europäischen Einflüssen komplett unzugänglich, als „integrationsresistent“353 und damit den Schutz auch anderer, euro 347

Satzger, Europäisierung, S. 381. Calliess/Ruffert/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 10; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 110. 349 Vgl. 6. Kap. A. II. 350 Satzger, Europäisierung, S. 169; ders., IntStR, S. 129; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/ Schill, Art. 4 EUV, Rn. 29. 351 BVerfGE 123, 267, 359 f., vgl. 6. Kap. B. I. 2. c). 352 Satzger, Europäisierung, S. 169. 353 Der Begriff „ Integrationsresistenz des Kriminalstrafrechts“ stammt von Satzger, Europäisierung, S. 156. 348

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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päischer Interessen versagend bezeichnet werden kann354. Mit ihrem Beitritt zur EU haben sich die Mitgliedstaaten in den Dienst der Integration gestellt und sich in diesem Rahmen ihrer Autonomie begeben, um die Ziele der europäischen Verträge zu erreichen355. Insoweit sind sie nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen. Wegen des Unvermögens der EU, ihre Rechtsgüter selbst strafrechtlich zu schützen, zählt hierzu auch die Pflicht zur Indienststellung ihres nationalen Strafrechts. Die mitgliedstaatliche strafrechtliche Assimilierungspflicht stellt somit nicht automatisch eine Verletzung der Achtungspflicht der EU i. S. d. Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV dar356. Um ihrer Achtungspflicht nachzukommen, ist die Union jedoch im Gegenzug zu einer die nationalen Besonderheiten schonenden Indienstnahme der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen angehalten357. Diese sich aus Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 S. 1 EUV ergebende, an die EU gerichtete Pflicht zur schonenden Inanspruchnahme der mitgliedstaatlichen Kriminalstrafrechtsordnungen, stellt die rechtliche Fixierung des „strafrechtsspezifischen Schonungsgrundsatz[es]“358 beziehungsweise des „strafrechtsspezifischen Schonungsgebots“359 dar360. Dem strafrechtsspezifischen Schonungsgebot hat der EuGH hinreichend Rechnung getragen, indem er den Mitgliedstaaten in Bezug auf ihre sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende Assimilierungspflicht ausschließlich ein Rahmensystem mit Mindestvoraussetzungen vorgegeben und ihnen so einen Entscheidungsspielraum belassen hat, wie sie ihrer Pflicht nachkommen361. Aufgrund des Gleichstellungserfordernisses und der Mindesttrias sind die Mitgliedstaaten in der Lage, neue Straftatbestände in Übereinstimmung mit ihrer Strafrechtsordnung zu schaffen sowie bestehende Tatbestände auch mit dem innerstaatlichen Recht vereinbar auszulegen362. Dieses wird somit vor Systembrüchen bewahrt363 und die Unterschiede in den mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen, diejenigen nationalen Besonderheiten, die die Identität eines Staats widerspiegeln, bleiben bestehen364.

354

Satzger, Europäisierung, S. 162; ders., IntStR, S. 126 f. Sieber/Zuleeg, Europäische Einigung, S. 41, 42; Satzger, Europäisierung, S. 158. 356 Satzger, Europäisierung, S. 378, 166 ff. 357 Satzger, Europäisierung, S. 169; vgl. in diesem Zusammenhang das „Notbremserecht“ der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art. 83 Abs. 3 AEUV als Korrektiv für die weitreichenden strafrechtlichen Harmonisierungskompetenzen der EU. 358 Satzger, IntStR, S. 129. 359 Vgl. hierzu eingehend Satzger, Europäisierung, S. 166 ff., 377 ff.; ders., IntStR, S. 129, sowie BVerfGE 123, 253, 359 f.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 29, 40; Böse, ZIS 2010, S. 76, 85; Mansdörfer, HRRS 2010, S. 11, 19; Heger, ZIS 2009, S. 406, 410. 360 Satzger, IntStR, S. 129. 361 Satzger, Europäisierung, S. 378; ders., IntStR, S. 135 f. 362 Hecker, EuStR, § 7, Rn. 29. 363 Satzger, Europäisierung, S. 380 f.; ders., IntStR, S. 135; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 29. 364 Gröblinghoff, Verpflichtungen des Strafgesetzgebers, S.  32; Satzger, Europäisierung, S. 380 f. 355

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende strafrechtliche Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten stellt somit keine Verletzung des an die Europäische Union gerichteten Achtungsgebots gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV als Ausprägung ihrer aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Rücksichtnahmepflicht dar365. g) Ausprägungen Die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Pflicht der EU-Mitgliedstaaten zur Assimilierung ihres Strafrechts, um supranationale europäische Rechtsgüter zu schützen, stellt eine gesamtstaatliche, an alle Staatsfunktionen gerichtete Verpflichtung dar366. aa) Schaffung von Straftatbeständen Die nationale Legislative kann der Assimilierungspflicht Rechnung tragen durch die Schaffung von Strafgesetzen367. Der deutsche Strafgesetzgeber hat im Zuge dessen Vorschriften in das Straf­ gesetzbuch eingefügt, die den Schutzbereich von bestehenden Tatbeständen, die ursprünglich meist staatliche und damit nach dem traditionellen Grundsatz allein inländische Allgemeinrechtsgüter erfassen, auf supranationale Interessen erweitern. So stellt § 108e StGB die Bestechung deutscher und ausländischer Europaparlamentarier im Europäischen Parlament unter Strafe368 und schützt somit auch die Sachlichkeit der Entscheidungsfindung beziehungsweise die Integrität und Funktionsfähigkeit des EU-Organs Europäisches Parlament369. § 162 StGB erklärt die in den §§ 153 bis 161 StGB enthaltenen Aussagedelikte auch auf falsche Angaben in einem Verfahren vor dem EuGH und dem EuG für anwendbar und hat somit eine Schutzbereichserweiterung der §§ 153 bis 161 StGB auf das supranationale Interesse der Rechtspflege dieser Gerichte zur Folge370. Nach § 264 Abs. 7 Nr. 2 365

Satzger, Europäisierung, S. 381. Vgl. 6. Kap. C. II. 2. 367 Satzger, Europäisierung, S.  565; ders., IntStR, S.  169; Hecker, EuStR, § 7, Rn.  67; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Weißer, § 42, Rn. 31. 368 Hecker, EuStR, § 7, Rn.  67; Fischer, § 108e, Rn.  12; Lackner/Kühl, § 108e, Rn.  10; Schönke/Schröder/Eser, § 108e, Rn. 5; MüKo/Müller, § 108e, Rn. 15; LK/Bauer/Gmel, § 108e, Rn. 8; Epp, Die Abgeordnetenbestechung, S. 211, 369. 369 Vgl. 5. Kap. A. I. 3. Dagegen erklärt § 108d StGB die Bestechungstatbestände der §§ 107 ff. StGB nur auf die innerstaatliche Wahl der deutschen Abgeordneten zum Euro­päischen Parlament für anwendbar (Schönke/Schröder/Eser, § 108d, Rn.  2; MüKo/Müller, § 108d, Rn.  2) und bewirkt somit keine Schutzbereichserweiterung auf supranationale Interessen der EU. 370 Sinn, NJW 2008, S. 3526, 3527; Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 162, Rn. 2; Fischer, § 162, Rn. 2; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Satzger, IntStR, S. 96; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 10, 67. 366

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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StGB sind Tatobjekte des durch § 264 StGB strafbewehrten Subventionsbetrugs auch Leistungen aus öffentlichen Mitteln nach dem Recht der EU, so dass auch das supranationale hoheitliche Rechtsgut der EU-Finanzinteressen beziehungsweise des EU-Haushalts von dessen Schutzbereich erfasst ist371. Die durch das 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption mit Wirkung vom 26. November 2015 reformierten §§ 331, 332, 333 und 334 StGB beziehen nunmehr auch Europäische Amtsträger i. S. d. neu geschaffenen § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB als Vorteilsempfänger in ihren Tatbestand ein372. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB ist Europäischen Amtsträger, wer nach lit. a Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts der Europäischen Union ist, wer gemäß lit. b Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union oder einer auf Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung ist, oder wer nach lit. c mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Europäischen Union oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung beauftragt ist. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB übernimmt damit den bislang geltenden Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. b, Nr. 2 lit. b und c EUBestG, der einem deutschen Richter i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Mitglieder eines Gerichts der EU, einem sonstigen Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB diejenigen der Union selbst sowie Mitglieder der Kommission und des Rechnungshofs der EU gleichstellte373 und insofern, neben Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a und Nr. 2 lit.  a EUBestG374, eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB auf das in Zusammenhang mit der Lauterkeit ihrer Verwaltung stehende finanzielle Interesse der EU bewirkte375. Dieses supranationale euro­päische Rechtsgut wird nunmehr bei einer Tathandlung i. S. d. §§ 332 und 334 StGB von oder gegenüber Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten durch § 335a Abs.  1 Nr.  1, 2 lit. a StGB376 und, sofern sich die Bestechungshandlung auf Europäische Amtsträger als Vorteilsempfänger bezieht, durch die neu gefassten §§ 331, 332, 333 und 334 StGB selbst geschützt. Dass die Strafbarkeit Europäischer Amtsträger auf die Vorteilsannahme i. S. d. § 331 sowie auf die Vorteilsgewährung gemäß § 333 StGB erweitert wurde, soll einem umfassenden Schutz der finanziellen Interessen der EU dienen, der wegen der fehlenden Strafrechtssetzungskompetenz der Union allein den Mitgliedstaaten obliegt377. § 370 Abs. 6 S. 1 AO bewirkt eine Schutz 371

Schönke/Schröder/Perron, § 264, Rn. 4; Hecker, EuStR, § 2, Rn. 6, § 7, Rn. 69 ff.; Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 176; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 92; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 57. 372 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 5 ff., 18 f., 23 f. 373 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 7, 18 f. 374 Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 375 Tinkl, wistra 2006, S. 126, 127; Westhoff, RIW 1999, S. 950, 951; LK/Sowada, Vor § 331, Rn. 27; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 24; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S.  58 ff.; Golombek, Schutz ausländischer Rechtsgüter im System des deutschen Strafanwendungsrechts, S. 92; Obermüller, Schutz ausländischer Rechtsgüter im Rahmen des Territorialitätsprinzips, S. 194. 376 Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 377 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 23.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

bereichserweiterung der Steuerstraftatbestände in seinen Abs. 1 bis 5 auf den Steueranspruch und damit das finanzielle Interesse der EU378, indem er zunächst deren Geltung auf europaweite Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erstreckt. Diese werden wiederum gemäß § 3 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 AO ausdrücklich als Steuern i. S. d. AO qualifiziert. Der in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 AO tatbestandliche Amtsträgerbegriff wird nunmehr durch das Tatbestandsmerkmal des Europäischen Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB ergänzt, wodurch die Gleichstellungsvorschrift des Art. 2 § 1 Abs. 2 Nr. 2 EUBestG übernommen wurde379, die dem Amtsträger i. S. d. § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 und 3 AO a. F. Gemeinschaftsbeamte i. S. d. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EUBestG und Mitglieder der Kommission der Europäischen Gemeinschaften i. S. d. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 lit. c EUBestG gleichstellte und somit die insofern bestehende Wortlautgrenze einebnete380. Des Weiteren erklärt § 12 Abs. 1 S. 1 MOG § 370 Abs. 1 bis 5 AO auf zu Marktordnungszwecken erhobene Abgaben für anwendbar381 und erweitert damit ebenso dessen Schutzbereich auf ein supranationales EU-Interesse382. Auch in diesem Fall gilt jetzt, über § 369 Abs.  2 AO, der Begriff des Europäischen Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs.  1 Nr.  2a StGB383. Sowohl § 2 des Gesetzes zur Gewährleistung der Geheimhaltung der dem Statistischen Amt der Europäischen Gemeinschaften übermittelten vertraulichen Daten (SAEG-Übermittlungsschutzgesetz)384, als auch Art. 2 § 8 des Europol-Gesetzes385 stellen schließlich für die Verletzung von Dienstgeheimnissen nach § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2, Abs. 3 und 4 StGB ihre Bediensteten den Amtsträgern des § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB gleich und erweitern so den Schutzbereich des § 353b StGB auf die dementsprechenden supranationalen EU-Interessen386. bb) Unionsrechtskonforme Auslegung Die mitgliedstaatliche Judikative kann der Assimilierungspflicht zum Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter durch die unionsrechtskonforme Auslegung bestehender Straftatbestände nachkommen387.

378

MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn. 9; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61, vgl. 5. Kap. C. I. 2.  Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 9, 27. 380 Vgl. 5. Kap. C. I. 2. 381 Busse, MOG, § 12, Rn.  9; MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn.  10; Wabnitz/Janovsky/ Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 14. 382 MüKo/Schmitz/Wulf, § 370 AO, Rn.  10 („Lenkungsfunktionen“); NK/Böse, Vor § 3, Rn.  61 („finanzielle[n] Interessen der Union“); Wabnitz/Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn. 14 („fiskalische[n] Interessen der Europäischen Gemeinschaften“). 383 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 27. 384 BGBl. 1993 I, S. 336. 385 BGBl. 1997 II, S. 2150. 386 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Satzger, Europäisierung, S. 567; wohl auch Wabnitz/Janovsky/ Möhrenschlager, 3. Kap., Rn. 26. 387 Satzger, Europäisierung, S. 565; ders., IntStR, S. 169 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 67. 379

C. Grundlage einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts der EUMitgliedstaaten stellt eine Ausprägung der sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU dar388. Im Sinne des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit ist ein nationales Gericht nach der Rechtsprechung des EuGH verpflichtet, sein innerstaatliches Recht „unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden.“389 Art. 4 Abs. 3 EUV bildet demnach die unionsrechtliche Grundlage der mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung ihrer nationalen Rechtsvorschriften390, wie auch die Rechtsgrundlage der mitgliedstaatlichen Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung ihres nationalen Rechts391. Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung besteht allerdings nur, soweit das nationale Recht den mitgliedstaatlichen Gerichten überhaupt einen von diesen selbst auszulotenden Beurteilungsspielraum gewährt, der eine Auslegung im Sinne des Unionsrechts erlaubt392. Dem Gebot unionsrechtskonformer Auslegung nationalen Rechts kommt im Verhältnis zu den übrigen nationalen Auslegungsmethoden insofern kein abso­ luter Vorrang zu, aber die hervorgehobene Position eines „primus inter pares“: Von mehreren nach nationaler Methodik vertretbaren Auslegungsergebnissen soll die unionsrechtskonforme Variante gewählt werden393. Die Begrenzung der Pflicht unionsrechtskonformer Auslegung erfolgt mithin durch die nationalen Ausle­ gungsregeln sowie durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die Teil des Unionsrechts sind, insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und durch das Rückwirkungsverbot394. 388 Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Hatje, Art. 4 EUV, Rn. 48; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/ Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 97; Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 99; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 4 EUV, Rn. 38; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn. 33; Satzger, Europäisierung, S. 527; ders., IntStR, S. 169; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 7 f.; Söllner, Art. 5 EWGV, S. 79. 389 EuGH, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rn. 28 (v. Colson u. Kamann). 390 EuGH, Rs. C-165/91, Slg. 1994, I-4686, Rn.  32 ff. (Van Munster); Rs. C-262/97, Slg. 2000, I-7347, Rn. 38 ff. (Engelbrecht); Satzger, Europäisierung, S. 527; ders., IntStR, S. 169; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 7 f. 391 Als Rechtsgrundlage des Gebots richtlinienkonformer Auslegung gilt Art.  4 Abs.  3 EUV teilweise ausschließlich (Nettesheim, AöR 1994, S. 261, 268), teilweise neben Art. 288 UAbs. 3 AEUV (Satzger, Europäisierung, S. 527 f.; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 8), Böse, Strafen und Sanktionen, S. 426; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, S. 258, qualifizieren in diesem Zusammenhang Art. 288 UAbs. 3 AEUV als gegenüber Art. 4 Abs. 3 EUV speziellere Vorschrift, ziehen Letzteren jedoch wiederum ergänzend heran. 392 EuGH, Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rn. 28 (v. Colson u. Kamann); Satzger, Europäisierung, S. 533; ders., IntStR, S. 169 f.; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 26 ff. 393 Satzger, Europäisierung, S. 532; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 29; Ambos, InStR, S. 497. 394 EuGH, Rs. C-80/86, Slg. 1987, 3969, 3986, Rn.  13 (Kolpinghuis Nijmegen); Satzger, Europäisierung, S. 533 ff.; ders., IntStR, S. 170; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 35 ff.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Auch das nationale Strafrecht ist nach dem Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung so zu interpretieren, wie es dem Unionsrecht am besten Rechnung trägt395. Aufgrund des bereits vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon unionsweit geltenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit396, verpflichtete der EuGH die Mitgliedstaaten gleichermaßen innerhalb der vormals intergouvernemental strukturierten PJZS zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung ihres nationalen Rechts. Um das mit dem Rahmenbeschluss angestrebte Ergebnis zu erreichen, müsse das nationale Gericht seine Auslegung „so weit wie möglich an Wortlaut und Zweck des Rahmenbeschlusses ausrichten, um das mit ihm angestrebte Ergebnis zu erreichen“397. Mit dieser Vorgabe zog der EuGH eine deutliche Parallele zu der mitgliedstaatlichen richtlinienkonformen Auslegungspflicht und deutete bereits damit die über einen völkerrechtlichen Charakter hinaus­gehende supranationale Tendenz der damaligen dritten Säule an398. Da die in diesem Rahmen getroffenen Rechtsakte weiterhin wirksam sind, obgleich die Regelungsinstrumentarien des Art. 34 Abs. 2 EUV a. F. mit dem Vertrag von Lissabon durch die einheitlichen Rechtsakte des Art. 288 EUV ersetzt wurden399, behält auch das Gebot zur rahmenbeschlusskonformen Auslegung als Unterfall der unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts seine Bedeutung; seine unionsrechtliche Grundlage bildet nun ebenfalls Art. 4 Abs. 3 EUV400. Eine spezifische Grenze für den deutschen Strafrechtsanwender folgt jedoch aus dem strafrechtlichen Gesetzlichkeitsprinzip, das sich aus seiner nationalrechtlichen Verankerung (Art.  103 Abs.  2 GG, § 1 StGB) sowie aus dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts ergibt401. Die unionsrechtskonforme Auslegung eines Straftatbestands ist demnach nur möglich, wenn diese noch mit dem Wortlaut des Straftatbestands vereinbar ist; eine über diesen hinausgehende, in anderen Rechtsgebieten zulässige richterliche Rechtsfortbildung zu Lasten des Beschuldigten ist ausgeschlossen402. So reguliert die Wortlautgrenze insbesondere bei strafrechtlichen Vorschriften die unionsrechtskonforme Auslegungsmöglichkeit der nationalen Gerichte und damit die Einflussnahme des Unionsrechts auf das mitgliedstaatliche Strafrecht im Sinne des strafrechtsspezifischen Schonungsgebots403. 395 Satzger, IntStR, S.  170; vgl. insbesondere zur europarechtskonformen Auslegung des Strafrechts auch ders., Europäisierung, S.  538 ff.; Schröder, Richtlinien, S.  340 ff.; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 40 ff. 396 Vgl. 6. Kap. B. II. 397 EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 43 (Pupino). 398 Schwarze/Böse, Art. 34 EUV, Rn. 6; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 79 f. 399 Vgl. 5. Kap. B. 400 Hecker, EuStR, § 10, Rn. 81. 401 EuGH, verb. Rs. C-74/95 und C-129/95, Slg. 1996, I-6629, Rn. 25 (Telecom Italia); Satzger, IntStR, S. 170. 402 Satzger, Europäisierung, S. 552; ders., IntStR, S. 170. 403 Satzger, Europäisierung, S. 551.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Demnach kann der Schutzbereich neutral formulierter Straftatbestände im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung auf die den nationalen Schutzgütern entsprechenden supranationalen Rechtsgüter der EU erstreckt werden404, zum Beispiel der Schutzbereich der kollektive Allgemeinrechtsgüter erfassenden §§ 267 ff. StGB405 aber auch der Schutzbereich der §§ 132 StGB406, 133 StGB407, 136 StGB408 und 145d StGB409, die ursprünglich den Schutz staatlicher und demzufolge dem traditionellen Grundsatz nach ausschließlich inländischer Allgemeinrechtsgüter bezwecken.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten zur Erfüllung ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht gegenüber der EU? D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

Um die auf vertikaler Ebene bestehende strafrechtliche Assimilierungspflicht gegenüber der Europäischen Union erschöpfend und effektiv zu erfüllen, könnten sich aufgrund der Finalität des intermitgliedstaatlichen Pflichtenverhältnisses auch zwischenstaatliche Maßnahmen der EU-Mitgliedstaaten als erforderlich erweisen. 404

Satzger, Europäisierung, S. 571 ff.; ders., IntStR, S. 171 ff.; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 65 ff.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61. 405 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 42, 71 f.; Satzger, Europäisierung, S. 579 ff.; ders., IntStR, S. 174; Hecker, § 10, Rn. 70 ff.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; ders., Strafen und Sanktionen, S.  434 f.; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S.  303 ff.; Wabnitz/­ Janovsky/Möhrenschlager, 3.  Kap., Rn.  8 f.; einschränkend Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 121 ff., der § 271 StGB im Hinblick auf dessen inhaltliche Nähe zu § 348 StGB eine Wortlautgrenze für eine europarechtskonforme Auslegung entnimmt, vgl. 4. Kap. C. III. 2., Fn. 109. 406 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  42, 71; Satzger/Schluckebier/­ Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ders., Europäisierung, S. 572 f.; ders., IntStR, S. 173; Hecker, EuStR, § 10, Rn.  66 f.; NK/Böse, Vor § 3, Rn.  61; NK/Ostendorf, § 132, Rn.  10;­ Lackner/Kühl, § 132, Rn.  4; a. A. LK/Krauß, § 132, Rn.  13; MüKo/Hohmann, § 132, Rn.  8; Fischer, § 132, Rn. 4; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132, Rn. 1; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 296 ff.; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 155, die einen Verstoß gegen das Analogieverbot annehmen. 407 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S.  42, 71; Satzger/Schluckebier/­ Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn.  11; ders., Europäisierung, S.  573; ders., IntStR, S.  173;­ Hecker, EuStR, § 10, Rn. 68 f.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Lackner/Kühl, § 133, Rn. 3; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 298 (bezüglich § 133 Abs. 1 1. Fall StGB); a. A. Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben, § 133, Rn. 1/2. 408 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 42, 71; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ders., Europäisierung, S. 573 ff.; ders., IntStR, S. 174 (bezüglich § 136 Abs. 2 StGB); Jens, Der nationale Strafrechtsanwender, S. 299 (bezüglich § 136 Abs. 2 StGB). 409 NK/Schild/Kretschmer, § 145d, Rn. 9.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Dass die Mitgliedstaaten auch im Rahmen ihrer strafrechtlichen Zusammenarbeit der Loyalitätspflicht gegenüber der EU Rechnung tragen müssen, machte der EuGH in seiner „Pupino-Entscheidung“410 deutlich. Der Unionsvertrag stelle nach Art. 1 Abs. 2 und 3 EUV a. F. „eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar, wobei die Aufgabe der Union […] darin besteht, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten.“411 Diese könne die EU jedoch nicht erfüllen, „wenn der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, der insbesondere bedeutet, dass die Mitgliedstaaten alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen nach dem Recht der Europäischen Union treffen, nicht auch im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen gelten würde, die im Übrigen vollständig auf der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen beruht“412. Die Ausführungen des EuGH deuteten bereits den eine rein intergouvernementale Form der Zusammenarbeit überschreitenden Charakter der PJZS an413. Denn sie belegen, dass die EU-Mitgliedstaaten auch im Rahmen der vormals intergouvernemental gestalteten PJZS verpflichtet waren, ihrer Loyalitätspflicht gegenüber der EU umfassend nachzukommen414. Dies muss gerade nun, nach der Supranationalisierung der PJZS mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, gelten. Und dass die strafrechtliche Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten auch eine Schutzbereichserweiterung nationaler Strafvorschriften auf die Allgemeinrechtsgüter anderer Staaten erforderlich machen kann, zeigen die durch den deutschen Straf­ gesetzgeber geschaffenen §§ 129b und 299 StGB415. Demzufolge könnte eine wechselseitige strafrechtliche Schutzpflicht der EUMitgliedstaaten als Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV für notwendig erklärt werden, wenn nur so der mitgliedstaatliche Loyalitätsauftrag gegenüber der EU i.S.d Art. 4 Abs. 3 EUV, die supranationalen Rechtsgüter mittels ihres nationalen Strafrechts zu schützen, erfüllt werden kann. In diesem Zusammenhang wird die grundsätzliche Beziehung der supranationalen europäischen Rechtsgüter und der nationalen Rechtsgüter relevant, denn eine wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten wäre notwendig, wenn ein Mitgliedstaat einem supranationalen europäischen Rechts 410

EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285 (Pupino). EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 41 (Pupino). 412 EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 42 (Pupino). 413 Hecker, EuStR, § 10, Rn. 80; Gärditz/Gusy, GA 2006, S. 225, 236 f.; Masing, NJW 2006, S. 264, 266; Calliess/Ruffert/Suhr, 3. Aufl., Art. 34 EUV, Rn. 15 ff.; Herrmann, Anm. zu EuGH EuZW 2005, S. 436, 438. 414 Vgl. hierzu GA Kokott, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-105/03, Slg. 2005, I-5285, Rn. 26 (Pupino). 415 Vgl. 5. Kap. A. II. 1. und 3. 411

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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gut strafrechtlichen Schutz nur lückenlos gewähren kann, indem er auch Rechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich seines nationalen Strafrechts einbezieht. Ausgangspunkt dieser Überlegung bildet die Tatsache, dass die EU, wie erörtert, den Zusammenschluss ihrer Mitgliedstaaten bildet, in territorialer, sachlicher und personeller Hinsicht416. Zwar werden die supranationalen europäischen Rechtsgüter ausschließlich durch das Unionsrecht definiert und zu strafrechtlich schützenswerten Interessen erhoben, während die nationalen individuellen, kollektiven und staatlichen Rechtsgüter durch die nationalen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten bestimmt werden417. Trotz dieser unterschiedlichen rechtlichen Basis sind die supranationalen europäischen Rechtsgüter im Verhältnis zu den Rechtsgütern auf nationaler Ebene jedoch in den wenigsten Fällen als „Aliud“ anzusehen. Denn hinter der EU als Trägerin der supranationalen europäischen Rechtsgüter sind immer ihre sie konstituierenden Mitgliedstaaten auszumachen, die wiederum, als Staatsapparat oder als Gemeinschaft ihrer Staatsbürger, die Träger ihrer nationalen individuellen, staatlichen und kollektiven Rechtsgüter stellen. So wird die Erörterung der Beziehung der supranationalen europäischen Rechtsgüter und der Rechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten zueinander über eine dem deutschen Rechtsgutsprinzip entsprechende Reduzierbarkeit auf das Individuum als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ hinaus Zusammenhänge aufzeigen.

I. Wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten bezüglich kollektiver Allgemeinrechtsgüter Der intensivste Zusammenhang besteht zwischen bestimmten supranationalen europäischen Rechtsgütern und solchen nationalen Interessen, die nach der deutschen Rechtsgutsdogmatik als kollektive Allgemeinrechtsgüter eingeordnet werden können. 1. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Umwelt a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Die Art. 191 ff. AEUV regeln die Umweltpolitik der Europäischen Union. Diese steht nach Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 2 EUV in Verbindung mit der Gewährleistung des europäischen Binnenmarkts i. S. d. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV. So muss 416

Vgl. 6. Kap. B. I. 2. c). Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c) und d).

417

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

der Binnenmarkt einerseits ökologische Standards erfüllen418, andererseits dienen unionsweit einheitliche Umweltschutzvorgaben der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und damit der Stärkung des Binnenmarkts419. Insofern ist die Kompetenz der EU zu einer europäischen Umweltpolitik gemäß den Art. 191 ff. AEUV i. V. m. den Art. 4 Abs. 2 lit. e, 11 AEUV derjenigen zur Realisierung des europäischen Binnenmarkts (Art. 26 AEUV) gefolgt420. Der Schutz der Umwelt stellt mithin ein eigenständiges unionales Vertragsziel dar421 und damit ein europäisches supranationales Rechtsgut422. Es erfasst in sachlicher Hinsicht jedenfalls die natürliche Umwelt423, räumlich erstreckt sich der europäische Umweltschutz auf die Umwelt im Geltungsbereich des EUV und des AEUV, auch wenn er nicht unbedingt auf diesen beschränkt ist424. Folglich betrifft der Umweltschutz die Umwelt im gesamten europäischen Raum und damit die Umwelt innerhalb der Mitgliedstaaten als dasselbe, als ein identisches Interesse. Zur Durchsetzung der primärrechtlichen Vorgaben auf dem Gebiet des Umweltrechts wurden bis heute zahlreiche unionale Sekundärrechtsakte erlassen425. Schwerpunkte bilden die Sektoren Luftreinhaltung, Lärmbekämpfung, Abfallwirtschaft, Chemikaliensicherheit, Gewässer-, Natur- und Klimaschutz426. Durch das umweltrechtliche Sekundärrecht wurde das supranationale Umweltschutzrecht in den Mitgliedstaaten implementiert und das mitgliedstaatliche Recht durch dieses ausgeformt. Mithin gilt das supranationale Umweltschutzrecht nun in den Mitgliedstaaten in Form ihres harmonisierten nationalen Umweltrechts427. Ein bereits auf nationaler Ebene bestehendes, von der deutschen Strafrechtsordnung als kollektives Rechtsgut kernstrafrechtlich durch die §§ 311, 324 ff. StGB geschütztes Interesse wurde somit durch seine Qualifizierung als Vertragsziel der EU dergestalt überformt, dass es zu einem gemeinsamen europäischen, nun auf supranationaler Ebene durch das europäische Umweltrecht geschützten Rechtsgut erhoben wurde.

418

Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 191 AEUV, Rn. 1. Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV, Rn. 2; Hecker, EuStR, § 8, Rn. 25, 43. 420 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV, Rn. 2. 421 Calliess/Ruffert/Calliess, Art. 191 AEUV, Rn. 5; Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV, Rn. 16; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 191 AEUV, Rn. 5; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 74; Heger, Die Euro­ päisierung des deutschen Umweltstrafrechts, S. 77; Ruhs, ZJS 2011, S. 13. 422 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 423 Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV, Rn. 41. 424 Streinz/Kahl, Art. 191 AEUV, Rn. 44. 425 Hecker, ZStW 2003, S. 880, 897 ff.; ders., EuStR, § 10, Rn. 74. 426 Hecker, EuStR, § 8, Rn. 43. Ein Überblick über die wichtigsten umweltrechtlichen Sekundärrechtsakte findet sich bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, Art. 192 AEUV, Rn. 132 ff. 427 Vgl. zu den Auswirkungen des europäischen Umweltrechts auf das deutsche Umweltstrafrecht eingehend Hecker, ZStW 2003, S. 880, 898 ff. 419

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der Umwelt durch die EU-Mitgliedstaaten Die Identität des rechtlich geschützten Interesses auf nationaler und auf supranationaler Ebene hat zur Folge, dass die Verletzung einer unionsrechtlichen Vorschrift, die dieses Interesse schützt, das Gleichstellungsgebot als Mindestvoraussetzung für die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV folgende strafrechtliche Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU erfüllen kann. Das Gleichstellungsgebot verlangt die Beeinträchtigung einer unionsrechtlichen Vorschrift, die ein Rechtsgut schützt, das mit einem durch die nationale Strafrechtsordnung erfassten Rechtsgut körperlich identisch oder zumindest funktionell austauschbar ist. Dann sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Verstöße gegen die unionsrechtliche Vorschrift, die das supranationale europäische Rechtsgut schützt, wie nach Art und Schwere vergleichbare Verstöße gegen nationales Recht mit Sanktionen zu belegen428. Die Erfüllung der die Assimilierungspflicht auslösenden Mindestvoraussetzungen, neben der Gleichartigkeit des geschützten Interesses im Sinne des Gleichstellungsgebots die mit einem Verstoß gegen nationales Recht vergleichbare Schwere sowie eine wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionierung der Verletzung des die Umwelt schützenden Rechts429, gewährleistet die der EU durch Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 S. 1 EUV vorgegebene Schonung des mitgliedstaatlichen Strafrechts430. Demnach obliegt den Mitgliedstaaten die Pflicht, Verletzungen des Unionsrechts, das dem Umweltschutz dient, wie nach Art und Schwere vergleichbare Verstöße gegen das nationale Umweltschutzrecht zu bestrafen431. Sind die EU-Mitgliedstaaten aber nun verpflichtet, einen Verstoß gegen das unionale Umweltrecht, das die Umwelt als supranationales Interesse schützt, mittels ihres nationalen Strafrechts zu ahnden, muss diese Assimilierungspflicht auch die Verletzung einer unionsrechtlich harmonisierten Umweltschutzvorschrift jedes anderen Mitgliedstaats als Teil  des gemeinsamen unionalen Umweltrechts erfassen432. Denn das harmonisierte mitgliedstaatliche Umweltrecht schützt die Umwelt in dem jeweiligen Mitgliedstaat als substantiellen Teil des unionalen Umweltrechts. Nur auf diese Weise vermag das supranationale europäische Rechtsgut einen lückenlosen Schutz zu erhalten. Ein parzellierter Strafrechtsschutz ausschließlich durch denjenigen Mitgliedstaat, in dem sich eine Beeinträchtigung des Rechtsguts auswirkt, wird den unionsrechtlichen Vorgaben dagegen nicht gerecht.

428

Vgl. 6. Kap. C. II. 2. e) bb) (1). Vgl. 6. Kap. C. II. 2. e) bb) (2). 430 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. f) bb). 431 Hecker, ZStW 2003, S. 880, 898. 432 Hecker, ZStW 2003, S. 880, 898; ders., EuStR, § 10, Rn. 73, 75; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 66. 429

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

c) Das Auswirkungsprinzip im europäischen Wettbewerbsrecht als Argument für einen wechselseitigen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz durch die EU-Mitgliedstaaten Indes findet sich, einem derartig parzellierten Strafrechtsschutz entsprechend, im deutschen Kartellrecht eine Zuständigkeitsbeschränkung des deutschen Staats auf Auswirkungen von Rechtsgutsverletzungen im Inland. So ist das deutsche Kartellrecht nach § 130 Abs. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)433 nur auf solche Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, die sich im Geltungsbereich des GWB, sprich auf dem Gebiet der Bundesrepublik434, auswirken, unabhängig davon, ob die jeweilige Wettbewerbsbeschränkung von in- oder ausländischen Unternehmen im In- oder Ausland veranlasst worden ist435. § 130 Abs. 2 GWB verkörpert das völkergewohnheitsrechtliche Auswirkungsprinzip, das für eine Anwendung inländischen Rechts auf Auslandstaten eine Beeinträchtigung des geschützten inländischen Rechtsguts verlangt436. Das Auswirkungsprinzip in § 130 Abs.  2 GWB gilt grundsätzlich auch bei Anwendung des EU-Kartellrechts437. Das Rangverhältnis zwischen dem deutschen und dem europäischen Kartellrecht bestimmt sich primär nach Art.  3 der Verordnung (EG) Nr.  1/2003 des Rates vom 16.  Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art.  81 und 82 des Vertrages niedergelegten Wettbewerbsregeln438 (Kartellverordnung), die heute in den Art. 101, 102 AEUV enthalten sind. Ist demnach die deutsche Kartellbehörde zur parallelen Anwendung des nationalen und des europäischen Kartellrechts ermächtigt und verpflichtet, gilt das Auswirkungsprinzip auch im Verhältnis zwischen den EU-Mitgliedstaaten439. Nach § 130 Abs. 2 GWB ist das deutsche Kartellrecht somit auf Wettbewerbsbeschränkungen anwendbar, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat veranlasst worden sind und sich auf den deutschen Markt auswirken440, Auswirkungen von Wettbewerbsbeschränkungen ausschließlich in anderen Mitgliedstaaten sind hingegen nicht von der Anwendbarkeitsbestimmung des § 130 Abs. 2 GWB umfasst441. Eine dem Anwendungsbereich des § 130 Abs.  2 GWB entsprechende, den Zuständigkeitsbereich der nationalen Kartellbehörden der EU-Mitgliedstaaten auf Auswirkungen von Wett-

433

BGBl. 2005 I, S. 2114. Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, § 130, Rn. 113. 435 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Schwensfeier/Knauff/Stockmann, §  130 GWB, Rn. 1. 436 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, § 130, Rn. 123; vgl. 5. Kap. C. II. 2. 437 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, § 130, Rn. 97, 311, 336; Böse, EWS 2007, S. 202, 207. 438 ABl. EG 2003 Nr. L 1, S. 1, zuletzt geändert durch Anh. I Änderungsverordnung (EG) 487/2009 vom 25.5.2009 (ABl. 2009 Nr. L 148, S. 1). 439 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, § 130, Rn. 97. 440 Immenga/Mestmäcker/Rehbinder, GWB, § 130, Rn. 311. 441 Böse, EWS 2007, S. 202, 207. 434

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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bewerbsverstößen im Inland beschränkende Ansicht äußerte auch die Kommission in ihrer Bekanntmachung vom 27. April 2004 über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden442. Eine derartige Zersplitterung der Zuständigkeiten der mitgliedstaatlichen Kartellbehörden muss jedoch bereits unter Praktikabilitätsgesichtspunkten angezweifelt werden443. So lassen sich Auswirkungen von Wettbewerbsbeeinträchtigungen in den meisten Fällen schon geographisch nicht eindeutig zuordnen444. Zudem sind die für Unternehmen entstehenden Nachteile zu beachten, die eine Kompetenzbeschränkung der Mitgliedstaaten auf die Ahndung nationaler Auswirkungen von Kartellverstößen zur Folge hat. Legt eine Kartellbehörde bei der Bestimmung einer Sanktion für einen Wettbewerbsverstoß nämlich nur die Auswirkungen auf dem eigenen Hoheitsgebiet zugrunde, sehen sich Unternehmen regelmäßig der Gefahr einer mehrfachen Bebußung desselben Kartellverstoßes ausgesetzt445. Dieses Ergebnis verstößt jedoch gegen das unionsrechtliche Doppelverfolgungsverbot446. Dessen Voraussetzung einer identischen Tat muss insbesondere vor dem Hintergrund der Kartellverordnung bejaht werden, die mit den Art. 101, 102 AEUV die Anwendung derselben Rechtsnormen ein und derselben Rechtsordnung und damit den Schutz eines identischen Rechtsguts vorgibt447. Insofern verkennt die Kommission auch, dass die mitgliedstaatlichen Kartellbehörden ausschließlich EU-Recht anwenden. So verpflichtet die Kartellverordnung die EU-Mitgliedstaaten zur Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts (Art. 3 und 5 der Verordnung) und insoweit auch zur Ahndung entsprechender Zuwiderhandlungen durch im innerstaatlichen Recht vorgesehene Sanktionen (Art. 5 4. Spiegelstrich der Verordnung). Die Mitgliedsländer sind mithin verpflichtet, den Wettbewerb nicht nur auf dem eigenen Territorium, sondern auf dem gemeinsamen Markt sicherzustellen. Um diesem unionalen Schutzauftrag umfassend nachkommen zu können, müssen die nationalen Kartellbehörden jedoch in der Lage sein, auch Auswirkungen von Wettbewerbsbeeinträchtigungen in anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen448. Da jene unionale Pflicht zur umfassenden Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts jeden Mitgliedstaat bindet, ist ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot nicht zu befürchten449. Der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU bezüglich ihres supranationalen Rechtsguts des europäischen Umweltschutzes 442

ABl. 2004 Nr. C 101, S. 43. Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 105. 444 Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 105. 445 Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 104. 446 Vgl. 7. Kap. C. 447 Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 105, vgl. 6. Kap. D. III. 5.  448 Böse, EWS 2007, S. 202, 207; Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 106. 449 Böse, EWS 2007, S. 202, 208; Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 106. 443

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

folgt somit, quasi akzessorisch450, eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihr nationales Strafrecht auch zum Schutz der nach der deutschen Dogmatik als kollektives Allgemeinrechtsgut eingeordneten Umwelt in den anderen Mitgliedstaaten zu assimilieren. Die hinreichende Schonung des mitgliedstaatlichen Strafrechts ist insofern gewährleistet, als die Assimilierungspflicht weiterhin zum Schutz eines identischen, supranationalen europäischen Interesses besteht. Die sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht kann durch Sekundärrechtsakte eine Konkretisierung erfahren451. Vorliegend verpflichtet die auf Art. 175 Abs. 1 EGV (Art. 192 Abs. 1 AEUV) gestützte Richtlinie 2008/99/EG über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt die Mitgliedstaaten, die in ihren Abs. 3 und 4 beschriebenen Straftaten gegen die Umwelt mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu ahnden (Art. 5 der Richtlinie)452 und konkretisiert somit die den Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV obliegende Verpflichtung zur strafrechtlichen Gewährleistung des supranationalen europäischen Umweltschutzes. Die ordnungsgemäße Umsetzung dieser sekundärrechtlichen Vorgaben, die selbst ein durch das mitgliedstaatliche Strafrecht zu schützendes EU-Rechtsgut bilden453, kann deshalb gleichsam als „Mittelziel“454 zur Erreichung eines effektiven Schutzes des primärrechtlich verankerten supranationalen Umweltschutzes angesehen werden. Der deutsche Gesetzgeber ist seiner diesbezüglichen Assimilierungsverpflichtung durch Schaffung des § 330d Abs. 2 StGB nachgekommen. Die Betrachtung dieser Vorschrift hat gezeigt, dass sie zur umfassenden Durchsetzung des supra­ nationalen Umweltschutzes i. S. d. Art. 191 ff. AEUV eine Erstreckung der Schutzbereiche der §§ 311, 324a, 325, 326, 327 und 328 StGB auf die Umwelt auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten bewirkt455.

450 Vgl. zu der Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zur gegenseitigen Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Forderungen zur akzessorischen Funktionssicherung des Unionsrechts Dutta, EuR 2007, S. 744, 756 ff. 451 Böse, Strafen und Sanktionen, S.  414; Satzger, Europäisierung, S.  395, 459; Hecker, EuStR, § 8, Rn.  10. Gehen die sekundärrechtlichen Anforderungen allerdings über diejenigen Vorgaben hinaus, die die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV folgende strafrechtliche Assimilierungspflicht konkretisieren, stellt sich die Frage der strafrechtlichen Anweisungskompetenz durch Richtlinien, vgl. Satzger, Europäisierung, S. 391 ff.; Hecker, EuStR, § 8. 452 Vgl. 5. Kap. C. II. 1.  453 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 454 Vgl. Bieber/Ress/Bleckmann, Die Bindungswirkung, S.  161, 191 ff., 195, der Art.  5 EWGV die Funktion zuspricht, die Pflichten der Mitgliedstaaten als Mittelziele zur Durchsetzung der primärrechtlichen Vertragsziele festzulegen, vgl. auch 6. Kap. B. III. 1. 455 Vgl. 5. Kap. C. II. 1.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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2. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Kapitalmärkte a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Art. 63 Abs. 1 AEUV sichert den freien Kapitalverkehr, Art. 63 Abs. 2 AEUV den freien Zahlungsverkehr. Nach Art. 26 Abs. 2 AEUV stellt die Freiheit des Kapitalverkehrs eine wesentliche, den europäischen Binnenmarkt prägende Grundfreiheit dar456. Sie gehört damit zu den supranationalen europäischen Rechtsgütern457. Die Freiheit des Kapitalverkehrs im Binnenmarkt bildet wiederum die Basis für die Errichtung eines einheitlichen „europäischen Finanzraums“458, eines „EU-Kapitalmarktes“459. Die nach dem deutschen Verständnis als kollektive Allgemeinrechtsgüter einzuordnenden nationalen Kapitalmärkte bezeichnen hingegen den Kapitalverkehr auf dem jeweiligen nationalen Markt innerhalb der Staatsgrenzen eines Mitgliedstaats. Im Verhältnis zueinander sind der europäische Kapitalmarkt und die nationalen Kapitalmärkte jedoch nicht als „Aliud“ im Sinne voneinander isoliert agierender Institutionen zu verstehen. Denn die nationalen Märkte der Mitgliedstaaten bilden zusammengefasst den gemeinsamen Binnenmarkt460. Die mitgliedstaatlichen Märkte, auf dem der freie Kapitalverkehr stattfindet, sind somit sachlich und räumlich Teilelemente des gemeinsamen Markts. Die zunehmende Öffnung der mitgliedstaatlichen Finanzmärkte aufgrund des freien Kapitalverkehrs hat demgemäß ihre „Verflechtung“461 zu dem euro­ päischen Kapitalmarkt zur Folge. Dieser wird neben den Prinzipien der gegenseitigen Anerkennung und der Herkunfts- beziehungsweise Sitzlandkontrolle verwirklicht durch die Angleichung divergierender mitgliedstaatlicher Rechtsvorschriften mittels Mindestharmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Kapitalmarktrechts462. So wurde bis heute das den freien Kapitalverkehr schützende Unionsrecht i. S. d. Art. 63 AEUV durch zahlreiche Sekundärrechtsakte in das nationale Recht der Mitgliedstaaten implementiert, um einen effektiven Schutz des primär-

456

Streinz/Sedlaczek/Züger, Art. 63 AEUV, Rn. 1. Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 458 Ohler, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Art. 56 EGV, Rn. 3; Streinz/ Sedlaczek/Züger, Art. 63 AEUV, Rn. 1; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 338. 459 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 13; ähnlich Ohler, Europäische Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit, Art.  56 EGV, Rn.  3; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/ Wojcik, Art. 63 AEUV, Rn. 79. 460 Kruck, ne bis in idem im Europäischen Kartellverfahrensrecht, S. 180; Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 103, sprechen von einer „engen Wechselbeziehung zwischen den nationalen Märkten der Mitgliedstaaten und dem Gemeinsamen Markt“; differenzierend auch Streinz/ Sedlaczek/Züger, Art. 63 AEUV, Rn. 1. 461 v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Wojcik, Art. 63 AEUV, Rn. 79. 462 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 13, 339 f. 457

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

rechtlich verankerten supranationalen Rechtsguts zu erreichen463. Einen sektoralen Schwerpunkt bildet das europäische Börsenrecht. In diesem Zusammenhang zu nennen sind insbesondere die Richtlinie 2001/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Börsennotierung und über die hinsichtlich dieser Wertpapiere zu veröffentlichenden Informationen464 (Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie), die Richtlinie 2003/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 betreffend den Prospekt, der beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren oder bei deren Zulassung zum Handel zu veröffentlichen ist465 (Prospektrichtlinie), die Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.  Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind466 (Transparenzrichtlinie)  sowie die Marktmissbrauchsrichtlinie467. Das durch diese europäischen Vorgaben harmonisierte mitgliedstaatliche Kapitalmarktrecht ist Teil  eines gemeinsamen euro­ päischen Kapitalmarktrechts und der Kapitalmarkt auf supranationaler und nationaler Ebene insoweit als dasselbe, als ein identisches Interesse zu qualifizieren, das als ein bereits auf nationaler Ebene bestehendes, von der deutschen Strafrechtsordnung als kollektives Allgemeinrechtsgut geschütztes Interesse zu einem gemeinsamen europäischen, auf supranationaler Ebene gewährleisteten Schutzgut erhoben wurde. b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der Kapitalmärkte durch die EU-Mitgliedstaaten Die Identität des rechtlich geschützten Interesses auf nationaler und auf supranationaler Ebene erfüllt wiederum das Gleichstellungsgebot als Voraussetzung der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten. Das Vorliegen der die Assimilierungspflicht auslösenden Mindestvoraussetzungen, neben der Gleichartigkeit des geschützten Interesses im Sinne des Gleichstellungsgebots die mit einem Verstoß gegen nationales Recht vergleichbare Schwere sowie eine wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionierung der Verletzung des die­ 463 Ein Überblick über die wichtigsten kapitalmarktrechtlichen Sekundärrechtsakte findet sich bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 EUV, Rn. 344 ff. (Rn. 408 ff. speziell zum Börsenrecht der EU). 464 ABl. EG 2001 Nr. L 184, S. 1, berichtigt ABl. 2001 Nr. L 217, S. 18, zuletzt geändert durch Änderungsrichtlinie 2005/1/EG vom 9.3.2005 (ABl. 2005 Nr. L 79, S. 9). 465 ABl. 2003 Nr. L 345, S. 64, berichtigt ABl. 2014 Nr. L 218, S. 8, zuletzt geändert durch Änderungsrichtlinie 2014/51/EU vom 16.4.2014 (ABl. 2014 Nr. L 153, S. 1). 466 ABl. 2004 Nr. L 390, S. 38, zuletzt geändert durch Änderungsrichtlinie 2013/50/EU vom 22.10.2013 (ABl. 2013 Nr. L 294, S. 13). 467 Vgl. 5. Kap. C. II. 2.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Kapitalverkehrsfreiheit schützenden Rechts, gewährleistet die hinreichende Schonung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen. Mithin sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Verstöße gegen das den europäischen Kapitalmarkt schützende Unionsrecht wie Verstöße gegen nationales Kapitalmarktrecht zu bestrafen. Das Unionsrecht, das den freien Kapitalverkehr auf dem europäischen Kapitalmarkt i. S. d. Art. 63 AEUV schützt, besteht auch in diesem Fall gleichsam in Form des harmonisierten nationalen Kapitalmarktrechts in den einzelnen Mitgliedstaaten. Damit muss die diesen obliegende Verpflichtung, ihr nationales Strafrecht zum Schutz des europäischen Kapitalmarkts zu funktionalisieren, auch die Verletzung einer auf den nationalen Kapitalmarkt als Teil des europäischen Kapitalmarkts bezogenen harmonisierten Rechtsnorm jedes anderen Mitgliedstaats erfassen, um den freien Kapitalverkehr im europäischen Rechtsraum umfassend gewährleisten zu können. Diesen vermag ein parzellierter, auf den jeweils eigenen Kapitalmarkt beschränkter Strafschutz hingegen nicht zu bieten. Ein supranationales europäisches Rechtsgut kann nur effektiv geschützt werden, wenn jeder Mitgliedstaat in der Lage ist, auch Beeinträchtigungen ausschließlich in anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen468. Der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU bezüglich des freien Kapitalverkehrs auf dem europäischen Kapitalmarkt folgt somit die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die nach der deutschen Dogmatik als kollektives Allgemeinrechtsgut eingeordneten Kapitalmärkte der anderen Mitgliedstaaten in den Schutz ihres nationalen Strafrechts einzubeziehen. Die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten wurde durch die Insiderrichtlinie, ersetzt durch die Marktmissbrauchsrichtlinie, sekundärrechtlich konkretisiert469. Der Pflicht der Mitgliedstaaten, dem Insiderhandel mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu begegnen (Art. 14 der Marktmissbrauchsrichtlinie und Art. 16 der Emissionshandelsrichtlinie, vgl. auch Art. 13 der Insiderrichtlinie), um die Integrität der europäischen Finanzmärkte zu gewährleisten470, ist Deutschland im Wege legislativen Tätigwerdens nachgekommen durch Schaffung des § 1 Abs. 2 und des § 38 WpHG, der i. V. m. den §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 und 20a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 WpHG sowie über seine Abs. 2a und 5 die Kapitalmärkte in der gesamten EU beziehungsweise im Europäischen Wirtschaftsraum in seinen Schutzbereich einbezieht471.472 468

Vgl. 6. Kap. D. I. 1. b). Böse, Strafen und Sanktionen, S. 412; Satzger, Europäisierung, S. 398; Hecker, EuStR, 2. Aufl., § 8, Rn. 34. 470 Vgl. 2. Erwägungsgrund der Marktmissbrauchsrichtlinie. 471 Vgl. 5. Kap. C. II. 2. 472 Vgl. in diesem Zusammenhang wiederum § 129b StGB [5. Kap. A. II. 1.], § 299 StGB [5. Kap. A. II. 3.] sowie § 96 Abs. 4 AufenthG [5. Kap. A. II. 6.], die eine ebenfalls unionsrechtlich motivierte, ausdrückliche Schutzbereichserweiterung auf ausländische kollektive Allgemeinrechtsgüter enthalten. 469

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

II. Zwischenfazit Es hat sich gezeigt, dass die Umwelt wie auch die Kapitalmärkte in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten Rechtsgebiete betreffen, die der Rechtssetzungskompetenz der EU unterliegen und durch unionale Sekundärrechtsakte weitgehend harmonisiert wurden. Hierdurch erfolgte eine Erhebung von mitgliedstaatlichen Interessen, die nach der deutschen Dogmatik als kollektive Allgemeinrechtsgüter einzuordnen sind, zu einem auf europäischer Ebene zu schützenden supranationalen Rechtsgut. Aufgrund dieser Überformung kann die Beeinträchtigung des Umweltschutzrechts der EU sowie des freien Kapitalverkehrs auf dem euro­ päischen Kapitalmarkt auch durch eine Verletzung der Umwelt beziehungsweise der Kapitalmärkte in den einzelnen Mitgliedstaaten erfolgen. Aus der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i.S.d Art. 4 Abs. 3 EUV in Bezug auf jene supranationalen europäischen Rechtsgüter folgt somit unmittelbar eine Pflicht der Mitgliedstaaten, ihre mit diesen Rechtsgütern der EU identischen, nationalen kollektiven Allgemeinrechtsgüter wechselseitig strafrechtlich zu schützen. Der deutsche Staat ist seiner sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Pflicht zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt sowie der Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten bereits durch strafgesetzgeberisches Tätigwerden nachgekommen. Das Gleichstellungsgebot, das aufgrund der Identität der Rechtsgüter auf mitgliedstaatlicher und auf supranationaler Ebene erfüllt ist, gewährleistet wiederum das strafrechtsspezifische Schonungsgebot, so dass ein Ausgleich geschaffen werden konnte zwischen der strafrechtlichen Assimilierungspflicht, die den deutschen Staat als Mitglied der EU nach Art. 4 Abs. 3 EUV trifft, und der die EU gemäß Art. 4 Abs. 2 und 3 EUV bindenden Pflicht zur Beachtung der nationalen Identität ihrer Mitgliedstaaten.

III. Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf kollektive Allgemeinrechtsgüter anderer EU-Mitgliedstaaten durch Auslegung Der gesamtstaatlichen Pflicht zur Funktionalisierung ihres nationalen Strafrechts können die EU-Mitgliedstaaten auch durch Auslegung bestehender Strafvorschriften nachkommen473. So kann die Auslegung deutscher, neutral formulierter Straftatbestände im Lichte der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten, die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgt, eine Einbeziehung von nach dem deutschen Verständnis als kollektive Allgemeinrechtsgüter qualifizierten Interessen anderer EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände zum Ergebnis haben, 473

Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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sofern diese mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch die EU-Rechtsordnung derart überformt wurden, dass ihre Verletzung gleichsam eine Beeinträchtigung eines supranationalen europäischen Rechtsguts bedeutet. 1. §§ 71, 71a BNatSchG Die §§ 71, 71a BNatSchG stellen Verstöße gegen Bestimmungen des Artenschutzes unter Strafe. Geschütztes Rechtsgut ist die dem kollektiven Allgemeinrechtsgut Umwelt474 zugehörige Pflanzen- und Tierwelt475. So stellt sich die Frage, ob die §§ 71, 71a BNatSchG im Lichte der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten dahingehend ausgelegt werden können, dass sie auch die Pflanzen- und Tierwelt in den anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen. Zwar sind die in ihrer jetzigen Fassung auf dem 45. StrÄndG zur Umsetzung der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom 6. Dezember 2011476 basierenden Strafvorschriften des BNatSchG insoweit nicht neutral formuliert, als nach § 71 Abs. 2 sowie § 71a Abs. 2 BNatSchG zu bestrafen ist, wer der Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tierund Pflanzenarten durch Überwachung des Handels477 zuwiderhandelt. Jene Ausgestaltung steht der Auslegung der Bestimmungen vor dem Hintergrund des Art. 4 Abs. 3 EUV jedoch nicht entgegen. Denn die §§ 71 Abs. 2, 71a Abs. 2 BNatSchG sanktionieren in ihrer Funktion als Blankettgesetze Verstöße gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht478. Das die Umwelt als unionales Rechtsgut schützende EU-Umweltrecht i. S. d. Art. 191 ff. AEUV gilt in Gestalt von Verordnungen gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV in den Mitgliedstaaten unmittelbar und bildet somit gemeinsam mit dem harmonisierten nationalen Umweltrecht das die Umwelt in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten als Teile des supranationalen EU-Rechtsguts betreffende gemeinsame europäische Umweltrechtrecht. Dessen Beeinträchtigung haben die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV wie gleich schwere Verstöße gegen nationales Recht wirksam, angemessen und abschreckend zu sanktionieren479. Insofern hat 474

Vgl. 3. Kap. B. II. 2. Landmann/Rohmer/Sanden, § 71 BNatSchG, Rn. 2. 476 Vgl. 5. Kap. C. II. 1. 477 ABl. EG 1997 Nr. L 61, S. 1, berichtigt ABl. 1997 Nr. L 100, S. 72 und Nr. L 298, S. 70, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 1320/2014 vom 1.12.2014 (ABl. 2014 Nr. L 361, S. 1). 478 Satzger, Europäisierung, S. 229 ff.; ders., IntStR, S. 152 ff.; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 76 ff., vgl. 5. Kap. B. 479 Hecker, ZStW 2003, S. 880, 898. 475

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

die Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der EU im Hinblick auf den supranationalen europäischen Umweltschutz in den Blankettstrafvorschriften der §§ 71, 71a BNatSchG einen ausdrücklichen Niederschlag gefunden. Eine Verletzung des europäischen Umweltrechts stellt jedoch in diesem Fall gerade eine Handlung unter Verstoß gegen die Verordnung in einem anderen EU-Mitgliedstaat dar, die die Pflanzen- und Tierwelt in diesem Mitgliedstaat als Teil des supranationalen europäischen Rechtsguts Umwelt beeinträchtigt. Um die mitgliedstaatliche strafrechtliche Assimilierungspflicht umfassend zu gewährleisten, muss folglich auch die Pflanzen- und Tierwelt anderer EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des BNatSchG einbezogen werden. Die Auslegung des § 71 Abs. 2 und des § 71a Abs. 2 BNatSchG im Lichte der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten führt somit zu ihrer Schutzbereichserweiterung auf die Pflanzen- und Tierwelt auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten480. 2. § 264a StGB § 264a StGB regelt den Kapitalanlagebetrug. Es wird bestraft, wer im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Wertpapieren und anderen marktrelevanten Aktionen über die für die Entscheidung über den Erwerb erheblichen Umstände täuscht. Rechtsgut der Vorschrift ist wie dasjenige der §§ 1 Abs. 2, 38 WpHG die als kollektives Allgemeinrechtsgut einzuordnende Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts481. Fraglich ist, ob der neutral formulierte § 264a StGB angesichts der den EU-Mitgliedstaaten gemäß Art.  4 Abs.  3 EUV obliegenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass sein Schutzbereich auch die Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten erfasst482. 480 Darüber hinaus könnte insofern, als die Verordnung (EG) Nr. 338/97 des Rates vom 9. Dezember 1996 über den Schutz von Exemplaren wildlebender Tier- und Pflanzenarten durch Überwachung des Handels gemäß ihres Art. 21 die Verordnung (EWG) Nr. 3626/82 des Rates vom 3. Dezember 1982 zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen (Washingtoner Artenschutzübereinkommen, BGBl. 1975 II, S. 777) in der Gemeinschaft (ABl. EG 1982 Nr. L 384, S. 1) ersetzt, als Rechtsgüter der §§ 71, 71a StGB auch die durch das Übereinkommen einbezogene Pflanzen- und Tierwelt von Drittstaaten als Teil der weltweiten Umwelt in Betracht gezogen werden. 481 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 482 Insoweit, als neben der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts das Vermögen der Kapitalanleger als gleichrangig geschütztes Rechtsgut des § 264a StGB angesehen wird, kommt unabhängig davon ein dem nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard grundsätzlich bestehenden Schutz dieses Individualrechtsguts akzessorisch folgender Schutz ausländischer Kapitalmärkte in Betracht, vgl. 4. Kap. C. I.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Wie gesehen, wurde das mitgliedstaatliche Kapitalmarktrecht durch diverse unionale Sekundärrechtsakte, wie die Kapitalmarktpublizitätsrichtlinie, die Prospektrichtlinie, die Transparenzrichtlinie und die Marktmissbrauchrichtlinie, harmonisiert483. Die durch das nationale Kapitalmarktrecht bestimmten mitgliedstaatlichen Kapitalmärkte sind insoweit zu einem europäischen Kapitalmarkt verbunden worden, auf dem ein gemeinsames europäisches Kapitalmarktrecht gilt. Aufgrund dieser Überformung sind entsprechende Aktionen auf den mitgliedstaatlichen Kapitalmärkten Ausdruck der Kapitalverkehrsfreiheit i. S. d. Art.  63 AEUV. Beeinträchtigungen des freien Kapitalverkehrs auf dem europäischen Kapitalmarkt haben die EU-Mitgliedstaaten im Sinne ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen­ Assimilierungspflicht gegenüber der EU wie Verstöße gegen innerstaatliches Recht zu ahnden. In Erfüllung des Gleichstellungsgebots durch die Qualifizierung des deutschen Kapitalmarkts als Teil des europäischen Kapitalmarkts und damit als mit dem supranationalen EU-Rechtsgut identisch, des Erfordernisses eines gleich schweren Verstoßes sowie der Mindesttrias, die wiederum das strafrechtsspezifische Schonungsgebot gewährleisten, ist der deutsche Staat verpflichtet, auch ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. d. § 264a StGB in Bezug auf den europäischen Kapitalmarkt zu sanktionieren. Dieses ist jedoch auch eine Täuschungshandlung in den anderen EU-Mitgliedstaaten unter Beeinträchtigung ihrer durch das harmonisierte nationale Kapitalmarktrecht definierten Kapitalmärkte als Teile des europäischen Kapitalmarkts, auf dem der freie Kapitalverkehr stattfindet. Um der mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht umfassend Genüge zu tun, müssen folglich auch die Kapitalmärkte der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 264a StGB einbezogen werden. Die Auslegung des § 264a StGB in Anbetracht der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten führt mithin zu der Einbeziehung auch der Kapitalmärkte der anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich484. 3. § 265 StGB § 265 StGB normiert den Versicherungsmissbrauch. Bestraft wird, wer auf eine versicherte Sache einwirkt, um sich oder einem Dritten die Versicherungsleistung zu verschaffen. Schutzgut der Vorschrift stellt das kollektive Allgemeinrechtsgut der sozialen Leistungsfähigkeit des den Allgemeininteressen dienenden Versicherungswesens dar485. 483

Vgl. 6. Kap. D. I. 2. a). So i.E. auch LK/Tiedemann, § 264a, Rn. 118. 485 Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 484

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Auch § 265 StGB ist neutral formuliert und könnte daher hinsichtlich der die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV treffenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht dahingehend auszulegen sein, dass sein Schutzbereich auch die Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft der anderen EU-Mitgliedstaaten erfasst486. Der europäische Finanzraum besteht neben dem Wertpapiermarkt aus einem Banken- und Versicherungsmarkt ohne Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs i. S. d. Art.  63 AEUV und des Dienstleistungsverkehrs i. S. d. Art.  56 AEUV487. Der europäische Versicherungsmarkt basiert auf der Verflechtung der Versicherungswirtschaft in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten insoweit, als die nationalen Aufsichtsrechte harmonisiert488 und so die mitgliedstaatliche Versicherungswirtschaft europäisiert wurde489. Die Mindestharmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts der EU-Mitgliedstaaten vollzog sich durch „drei sog. Richtliniengenerationen“490 mit dem Ziel, einen einheitlichen Versicherungsbinnenmarkt zu schaffen491. Mithin wurde das Versicherungswesen auf mitgliedstaatlicher Ebene dergestalt überformt, als das Versicherungsaufsichtsrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten nun Teil eines gemeinsamen unionalen Versicherungsrechts bildet, das den freien Kapital- und Dienstleistungsverkehr auf dem europäischen Versicherungsmarkt als supranationales europäisches Rechtsgut gewährleistet. Beeinträchtigung des europäischen Versicherungsmarkts haben die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht gegenüber der EU wie Verstöße gegen innerstaatliches Recht zu sanktionieren. Die Qualifizierung des deutschen Versicherungswesens als Teil des europäischen Versicherungsmarkts erfüllt das das strafrechtsspezifische Schonungsgebot gewährleistende Gleichstellungsgebot als Voraussetzung der strafrechtlichen Schutzpflicht. Liegt zudem ein gleich schwerer Verstoß und die Mindesttrias vor, ist der deutsche Staat verpflichtet, auch ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. d. § 265 StGB in Bezug auf den europäischen Versicherungsmarkt zu ahnden. Dieses ist jedoch auch in Form eines Versicherungsmissbrauchs gegenüber einem Versicherungsunternehmen in den anderen EU-Mitgliedstaaten unter Beeinträch 486 Unabhängig davon kommt insofern, als neben der Leistungsfähigkeit des Versicherungswesens das Vermögen der Versicherungsunternehmen als gleichrangig geschütztes Rechtsgut des § 265 StGB angesehen wird, ein dem nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard grundsätzlich bestehenden Schutz dieses Individualrechtsguts akzessorisch folgender Schutz der ausländischen Versicherungswirtschaft in Betracht, vgl. 4. Kap. C. I. 487 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Bischof/Jung, § 20, Rn. 21. 488 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Bischof/Jung, § 20, Rn. 2; Wandt, VersR, Rn. 67. 489 Wandt, VersR, Rn. 68. 490 Wandt, VersR, Rn. 67; ähnlich Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich, § 2, Rn. 25 ff. 491 Beckmann/Matusche-Beckmann/Mönnich, § 2, Rn.  13 ff.; Schulze/Zuleeg/Kadelbach/­ Bischof/Jung, § 20, Rn. 2; Wandt, VersR, Rn. 67.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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tigung ­ihrer durch das harmonisierte nationale Versicherungsaufsichtsrecht definierten Versicherungswirtschaft als Teil  des europäischen Versicherungsmarkts gegeben492. Die umfassende Erfüllung der mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht erfordert somit auch den Schutz der Versicherungswirtschaft der anderen EU-Mitgliedstaaten durch § 265 StGB. Folglich ist § 265 StGB im Hinblick auf die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art.  4 Abs.  3 EUV dahingehend auszu­ legen, dass er auch die Versicherungswirtschaft der anderen EU-Mitgliedsländer in seinen Schutzbereich einbezieht. 4. § 265b StGB § 265b StGB regelt den Kreditbetrug. Bestraft wird, wer in Zusammenhang mit der Gewährleistung eines Kredits gegenüber einem Kreditinstitut eine Täuschungshandlung begeht. Geschütztes Rechtsgut stellt das als kollektives Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende Funktionieren des für die Volkswirtschaft wichtigen Kreditwesens dar493. Auch der neutral formulierte § 265b StGB könnte im Lichte der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht dahingehend auszulegen sein, dass auch das Kreditwesen der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich fällt494. Wie gesehen, beinhaltet der Europäische Finanzraum auch einen euro­päischen Bankenmarkt, auf dem der freie Kapital- und Dienstleistungsverkehr i. S. d. Art. 63, 56 AEUV stattfindet495. Zu diesem einheitlichen Bankenmarkt ist die Kreditwirtschaft der einzelnen Mitgliedstaaten insoweit verschmolzen, als das Bankenaufsichtsrecht in den Mitgliedstaaten harmonisiert wurde496. So wurde mit der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen497 nunmehr, zusammen mit der Ver­ 492

So i.E. auch LK/Tiedemann, § 265, Rn. 40. Vgl. 3. Kap. B. II. 2. 494 Insoweit, als neben der Funktionsfähigkeit des Kreditwesens das Vermögen der Kreditgeber als gleichrangig geschütztes Rechtsgut des § 265b StGB angesehen wird, kommt unabhängig davon ein dem nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard grundsätzlich bestehenden Schutz dieses Individualrechtsguts akzessorisch folgender Schutz ausländischer Kreditwesen in Betracht, vgl. 4. Kap. C. I. 495 Vgl. 6. Kap. D. III. 3. 496 Ein Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Bankenrechts findet sich bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 344 ff. 497 ABl. 2013 Nr. L 176, S. 338, berichtigt ABl. 2013 Nr. L 208, S. 73, zuletzt geändert durch Änderungsrichtlinie 2014/59/EU vom 15.5.2014 (ABl. 2014 Nr. L 173, S. 190). 493

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

ordnung (EU) 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr.  645/2012498 der „Kern einer […] euro­ päischen Kreditwesen-Regulierung“499 geschaffen. Das nationale Bankenrecht, das die Kreditwirtschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten regelt, ist mithin Teil eines gemeinsamen EU-Bankenrechts. Dieses schützt das supranationale euro­ päische Rechtsgut des freien Kapital- und Dienstleistungsverkehrs auf dem europäischen Bankenmarkt. Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten auf dem europäischen Bankenmarkt müssen die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht, die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgt, gegenüber der EU wie Verstöße gegen innerstaatliches Recht ahnden. Das eine hinreichende Schonung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen gewährleistende Gleichstellungsgebot ist durch die Qualifizierung der deutschen Kreditwirtschaft als Teil des europäischen Bankenmarkts und im Falle der gleichen Schwere des Verstoßes gegeben, so dass dem deutschen Staat die Pflicht obliegt, auch ein tatbestandsmäßiges Verhalten i. S. d. § 265b StGB in Bezug auf den europäischen Bankenmarkt mit wirksamen, angemessenen und ab­ schrecken­den Maßnahmen zu ahnden. Ein Verhalten, das den europäischen Bankenmarkt beeinträchtigt, ist jedoch auch ein Kreditbetrug gegenüber einem Kreditinstitut in den anderen EU-Mitgliedstaaten unter Beeinträchtigung der durch das harmonisierte nationale Kreditwesenrecht definierten Kreditwirtschaft als Teil des europäischen Bankenmarkts, auf dem der freie Kapital- und Dienstleistungsverkehr stattfindet. Die mitgliedstaatliche strafrechtliche Assimilierungspflicht findet somit nur dann umfassende Erfüllung, wenn auch die Kredit­wesen der anderen EU-Mitgliedstaaten vom Schutzbereich des § 265b StGB erfasst werden. Die Auslegung des § 265b StGB vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV führt demzufolge zu der Einbeziehung auch der Kreditwesen der anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich500.

498 ABl. 2013 Nr. L 176, S. 1, berichtigt ABl. 2013 Nr. L 321, S. 6, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung 2015/62 vom 10.10.2014 (ABl. 2015 Nr. L 11, S. 37). 499 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Ress/Ukrow, Art. 63 AEUV, Rn. 344. 500 So i.E. wohl auch LK/Tiedemann, § 265b, Rn.  117, der jedoch die Anwendbarkeit des § 265b StGB auf Tathandlungen in Bezug auf Kreditinstitute in den anderen EU-Mitgliedstaaten und damit den Schutz ihrer Kreditwirtschaft unabhängig von der mitgliedstaatlichen­ Assimilierungspflicht gegenüber der EU bejaht.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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5. § 298 StGB § 298 StGB regelt die Strafbarkeit wettbewerbsbeschränkender Absprachen bei Ausschreibungen. Geschütztes Rechtsgut ist das kollektive Allgemeinrechtsgut des freien Wettbewerbs501. § 298 StGB ist neutral gefasst, so dass sich die Frage stellt, ob die Bestimmung in Ansehung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten dahingehend ausgelegt werden kann, dass auch der Wettbewerb in den anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich fällt502. Auch in diesem Fall ist das Verhältnis des unional verbürgten Rechtsguts und der entsprechenden Interessen auf mitgliedstaatlicher Ebene zu betrachten. So bildet der freie Wettbewerb auf dem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt i. S. d. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV eine unionale Zielbestimmung und damit ein supranationales europäisches Rechtsgut503. Dieses schützen die Art.  101 ff. AEUV vor Beschränkungen durch Unternehmen. Demgegenüber stellt das entsprechende nationale, nach der deutschen Dogmatik als kollektives Allgemeinrechtsgut einzuordnende Interesse denjenigen Wettbewerb auf dem jeweiligen nationalen Markt innerhalb der Staatsgrenzen eines Mitgliedstaats dar504. Im Verhältnis zueinander sind der europäische Wettbewerb und der nationale Wettbewerb jedoch wiederum nicht als „Aliud“ zu verstehen, die jeder für sich „hermetisch abgeschlossene Abteilungen“505 bilden. Denn wie gesehen, macht der nationale Markt, an den der nationale Wettbewerb anknüpft, sachlich und räumlich einen mitgliedstaatlichen Teil des gemeinsamen Markts aus. Die jeweiligen nationalen Märkte der Mitgliedstaaten bilden zusammengefasst den gemeinsamen Markt506, den der euro­päische Wettbewerb betrifft. Aufgrund dieses übereinstimmenden „Kerngehalt[s]“507 muss der Wettbewerb auf nationaler und auf supranationaler Ebene als ein und dasselbe, als ein identisches Rechtsgut qualifiziert werden508. Die EU-Rechtsordnung be 501

Vgl. 3. Kap. B. II. 2. Insofern, als neben dem Wettbewerb das Vermögen der Mitbewerber als gleichrangig geschütztes Rechtsgut des § 298 StGB angesehen wird, kommt unabhängig davon ein dem nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard grundsätzlich bestehenden Schutz dieses Individualrechtsguts akzessorisch folgender Schutz des ausländischen Wettbewerbs in Betracht, vgl. 4. Kap. C. I. 503 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 504 Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 103; Böse, EWS 2007, S. 202, 203. 505 GA Colomer, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-213/00 P, Slg. 2004, I-230, Rn. 91 (Italcementi SpA); ders., Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-217/00 P, Slg. 2004 I-230, Rn. 173 (Buzzi Unicem SpA). 506 Vgl. 6. Kap. D. I. 2. a). 507 GA Colomer, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-213/00 P, Slg. 2004, I-230, Rn. 91 (Italcementi SpA); ders., Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-217/00 P, Slg. 2004 I-230, Rn. 173 (Buzzi Unicem SpA). 508 GA Colomer, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-213/00 P, Slg. 2004, I-230, Rn. 91 (Italcementi SpA); ders., Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-217/00 P, Slg. 2004 I-230, Rn. 173 (Buzzi Unicem SpA); Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 103; Böse, EWS 2007, S. 202, 203, 207. 502

188

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

stimmt auch in diesem Fall kein neuartiges Rechtsgut, sondern überformt ein bereits auf nationaler Ebene bestehendes, in der deutschen Rechtsordnung als kollektives Allgemeinrechtsgut anerkanntes Interesse, indem es dieses zu einem unionalen Rechtsgut erhebt. Die Unionsrechtsordnung betrifft „den Schutz des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt, die nationalen Wettbewerbsordnungen den Schutz des Wettbewerbs in einzelnen Teilen des Gemeinsamen Marktes.“509 Zur Realisierung des freien Wettbewerbs in der EU wurden die unmittelbar anwendbaren Art.  101 und 102 AEUV durch zahlreiche unionale Sekundärrechtsakte ergänzt510, das mitgliedstaatliche Recht durch diese ausgeformt und so das unionale Wettbewerbsrecht in den Mitgliedstaaten implementiert. Insoweit ist neben dem Ziel der Verwirklichung des Wettbewerbsprinzips speziell zur Schaffung eines Vergabebinnenmarkts mit unbeschränkter Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit511 in Deutschland das GWB an das unionale Wettbewerbsrecht angepasst worden512. Die Pflicht hierzu folgte insbesondere aus der unmittelbar anwendbaren Kartellverordnung, die den Vorrang des europäischen Kartellrechts vor den nationalen Kartellrechtsordnungen der Mitgliedstaaten bestimmt513. Mit der Qualifizierung des deutschen Wettbewerbs als Teil des europäischen Wettbewerbs wird das Gleichstellungsgebot erfüllt, das wiederum das strafrechtsspezifische Schonungsgebot gewährleistet. Mithin ist der deutsche Staat nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, gleich intensive Beeinträchtigungen des europäischen Wettbewerbs wirksam, angemessen und abschreckend zu sanktionieren. Ein den europäischen Wettbewerb beeinträchtigendes Verhalten ist jedoch auch ein Submissionsbetrug bezüglich Ausschreibungen in den und durch die anderen EU-Mitgliedstaaten514, der den durch das unionale Wettbewerbsrecht definierten nationalen Wettbewerb als Teil  des europäischen Wettbewerbs tangiert. Entsprechend der Kompetenz der nationalen Kartellbehörden, bei ihrer Sanktionierung auch Auswirkungen von Wettbewerbsverstößen in den anderen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen515, muss mithin auch der Wettbewerb in den anderen EU-Mitgliedstaaten zum Schutzgut des § 298 StGB erklärt werden, damit der deutsche Staat seine mitgliedstaatliche strafrechtliche­ Assimilierungspflicht umfassend erfüllen kann.

509

Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 103, vgl. 5. Kap. A. II. 3. Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Mäger, § 16, Rn. 11. Ein Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Kartellrechts findet sich bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/ Mäger, § 16, S. 647 f. 511 Vgl. hierzu Immenga/Mestmäcker/Dreher, GWB, Vor §§ 97 ff., Rn. 6. 512 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Mäger, §  16, Rn.  1, 45; Immenga/Mestmäcker/Immenga/ Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., Einleitung, Rn. 4. 513 Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Mäger, § 16, Rn. 34, vgl. 6. Kap. D. I. 1. c). 514 Böse, EWS 2007, S.  202, 207; NK/Dannecker, § 298, Rn.  107; LK/Tiedemann, § 298, Rn.  54; Lackner/Kühl, § 298, Rn.  1; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, § 298, Rn.  8; MüKo/­ Hohmann, § 298, Rn. 113. 515 Vgl. 6. Kap. D. I. 1. c). 510

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

189

Somit führt die Auslegung des § 298 StGB im Hinblick auf die aus Art.  4 Abs. 3 EUV folgende strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten zu seiner Schutzbereichserweiterung auf den Wettbewerb auch in den anderen Mitgliedstaaten. 6. §§ 315b ff. StGB, § 21 StVG Die §§ 315b ff. StGB und § 21 StVG beinhalten die Straßenverkehrsdelikte. Mit der herrschenden Meinung bildet ihr Schutzgut das kollektive Allgemeinrechtsgut der Sicherheit des Straßenverkehrs516. Sowohl die §§ 315b, 315c und 316 StGB, als auch § 21 StVG sind neutral formulierte Vorschriften, so dass wiederum gefragt werden kann, ob in Folge ihrer Auslegung vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Assimilierungspflicht, die den EU-Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV obliegt, auch die Sicherheit des Straßenverkehrs in den anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einzubeziehen ist517. Entscheidend ist wieder, ob die auf nationaler Ebene bestehenden Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut überformt wurden. Art.  26 Abs. 2 AEUV definiert den gemäß Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV durch die europäischen Verträge als primäres Ziel verfolgten Binnenmarkt als „einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist.“ Der „Verkehr“ in der Europäischen Union ist insoweit Instrument zur Realisierung des Binnenmarkts518. Als „Verkehrsbinnenmarkt“519 bildet er darüber hinaus jedoch auch selbst einen Bestandteil des europäischen Binnenmarkts520. Dementsprechend erklärt Art. 90 AEUV den Verkehr zur eigenständigen Politik der EU. Damit ist auch die europäische Verkehrspolitik als supranationales europäisches Rechtsgut zu qualifizieren521. 516 Vgl. zur umstrittenen Qualifizierung der Straßenverkehrssicherheit als kollektives Allgemeinrechtsgut 3.  Kap.  B. III. 1.  Die hier vertretene Anerkennung der Straßenverkehrssicherheit als kollektives Allgemeinrechtsgut kann insbesondere im Hinblick auf ihren strafrechtlichen Schutz im Fall ihrer Auslandseigenschaft legitimiert werden; denn als Summe von Individualrechtsgütern würde diese nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard sowieso durch das nationale Strafrecht geschützt werden, vgl. 4. Kap. C. III. 2. Fn. 108. 517 Insofern, als neben der Sicherheit des Straßenverkehrs Leib, Leben und Vermögen der Straßenverkehrsteilnehmer als gleichrangig geschützte Rechtsgüter der §§ 315b ff. StGB und des § 21 StVG angesehen werden, kommt unabhängig davon ein dem nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard grundsätzlich bestehenden Schutz dieser Individualrechtsgüter akzessorisch folgender Schutz der ausländischen Straßenverkehrssicherheit in Betracht, vgl. 4. Kap. C. I. 518 Calliess/Ruffert/Martinez, Art. 90 AEUV, Rn. 24 ff. 519 Streinz/Schäfer, Art. 90 AEUV, Rn. 41. 520 Calliess/Ruffert/Martinez, Art. 90 AEUV, Rn. 24 ff. 521 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c).

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Die Art. 90 bis 100 AEUV konkretisieren die europäische Verkehrspolitik. Ausge­ wiesenes Ziel der gemeinsamen Verkehrspolitik innerhalb der Europäischen Union ist nach Art. 91 Abs. 1 lit. c AEUV die Verkehrssicherheit522. Sachlich bezieht sich diese gemäß Art. 100 AEUV neben dem Eisenbahn- und Binnenschiffsverkehr auch auf den Straßenverkehr. Der räumliche Anwendungsbereich der unionalen Verkehrspolitik erstreckt sich auf die Staatsgebiete der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art.  52 EUV523. Die als kollektives Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende Sicherheit des Straßenverkehrs in den einzelnen Mitgliedstaaten und die Verkehrssicherheit als Element der primärrechtlich verbürgten Verkehrspolitik sind somit ein identisches Interesse. Zur Herstellung der primärrechtlich verbürgten Straßenverkehrssicherheit in der EU wurden bislang vier Aktionspläne524 sowie diverse Sekundärrechtsakte erlassen525. Hervorzuheben sind die Richtlinie 91/671/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gurtanlegepflicht in Kraftfahrzeugen mit einem Gewicht von weniger als 3,5 Tonnen526, die Richtlinie 92/6/EWG des Rates vom 10. Februar 1992 über Einbau und Benutzung von Geschwindigkeitsbegrenzern für bestimmte Kraftfahrzeugklassen in der Gemeinschaft527, die Entscheidung 93/704/EG des Rates vom 30. November 1993 über die Einrichtung einer gemeinschaftlichen Datenbank über Straßenverkehrsunfälle528, der Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.  Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen529 sowie die Richtlinie 2011/82/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen über die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikte530, die gemäß ihres Art.  2 für die Geschwindigkeitsübertretung, das Nichtanlegen des Sicherheitsgurts, das Überfahren eines roten Lichtzeichens, die Trunkenheit im Straßenverkehr, das Fahren unter Drogeneinfluss, das Nichttragen eines Schutzhelms, die unbefugte Benut­zung eines Fahrstreifens sowie die rechtswidrige Benutzung eines Mobiltelefons oder anderer Kommunika­ tions­geräte beim Fahren gilt. Jene Sekundärrechtsakte haben zu einer Harmonisie 522

Grabitz/Hilf/Nettesheim/Boeing/Maxian Rusche/Kotthaus, Art. 90 AEUV, Rn. 119. Grabitz/Hilf/Nettesheim/Boeing/Maxian Rusche/Kotthaus, Art. 90 AEUV, Rn. 121. 524 Vgl. die jüngste Mitteilung der Europäischen Kommission „Ein Europäischer Raum der Straßenverkehrssicherheit: Leitlinien für die Politik im Bereich der Straßenverkehrssicherheit 2011–2020“, KOM (2010), 389 endg. vom 20.7.2010. 525 Ein Überblick über die im Sektor Straßenverkehrssicherheit erlassenen Sekundärrechtsakte findet sich bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Boeing/Kotthaus/Maxian Rusche, Art. 91 AEUV, Rn. 58 ff. 526 ABl. EG 1991 Nr. L 373, S. 26, zuletzt geändert durch Richtlinie 2003/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.4.2003 (ABl. 2003 Nr. L 115, S. 63). 527 ABl. EG 1992 Nr. L 57, S. 27, zuletzt geändert durch Richtlinie 2002/85/EG des Euro­ päischen Parlaments und des Rates vom 5.11.2002 (ABl. 2002 Nr. L 327, S. 8). 528 ABl. EG 1993 Nr. L 329, S. 63, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003 (ABl. 2003 Nr. L 284, S. 1, 5). 529 ABl. 2005 Nr. L 76, S. 16, zuletzt geändert durch Änderungsrahmenbeschluss 2009/299/ JI vom 26.2.2009 (ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24). 530 ABl. 2011 Nr. L 288, S. 1. 523

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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rung der nationalen Rechtsordnungen und insoweit zu einer Implementierung des unionalen Straßenverkehrsrechts in das nationale Recht der EU-Mitgliedstaaten geführt. Das ursprünglich auf nationaler Ebene durch das jeweilige Straßenverkehrsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten geschützte kollektive Allgemeinrechtsgut der Straßenverkehrssicherheit wurde somit zu einem gemeinsamen, einheitlich unionsrechtlich geschützten, supranationalen europäischen Rechtsgut erhoben531. Aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht sind die EU-Mitgliedstaaten gegenüber der EU verpflichtet, Beeinträchtigungen der unional verbürgten Straßenverkehrssicherheit wie Verstöße gegen nationales Recht zu ahnden. Da die Sicherheit des deutschen Straßenverkehrs einen Teil des supranationalen Rechtsguts bildet, ist das Gleichstellungsgebot, das wiederum das strafrechtsspezifische Schonungsgebot gewährleistet, erfüllt, so dass der deutsche Staat gleichsam verpflichtet ist, ein den Tatbestand der §§ 315b, 315c, 316 StGB sowie des § 21 StVG erfüllendes Verhalten, das die europäische Straßenverkehrssicherheit tangiert, mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu belegen. Ein demgemäß tatbestandsmäßiges Verhalten stellen jedoch auch gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, Gefährdungen des Straßenverkehrs, die Trunkenheit im Verkehr und das Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen die durch das harmonisierte nationale Straßenverkehrsrecht definierte Sicherheit des Straßenverkehrs in den anderen EU-Mitgliedstaaten als Teil der europäischen Straßenverkehrssicherheit dar. Eine lückenlose Erfüllung der mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht erfordert folglich auch die Einbeziehung der Sicherheit des Straßenverkehrs in den anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich der §§ 315b ff. StGB und des § 21 StVG. Die Auslegung der §§ 315b, 315c, 316 StGB sowie des § 21 StVG in Ansehung der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art.  4 Abs. 3 EUV führt somit zu dem Ergebnis, dass auch die Sicherheit des Straßenverkehrs in den anderen Mitgliedsländern in ihren Schutzbereich einzubeziehen ist. 7. §§ 58, 59 LFGB Die §§ 58 und 59 LFGB sanktionieren Verstöße gegen lebens- und futtermittel­ rechtliche Vorschriften. Soweit das Allgemeinrechtsgut Volksgesundheit als ihr Schutzgut angesehen wird532, stellt sich wiederum die Frage, ob die §§ 58, 59 LFGB angesichts der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 531

Vgl. zu der Qualifizierung der Sicherheit des Straßenverkehrs als supranationales Anliegen OLG Karlsruhe, NJW 1985, S. 2905; a. A. Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/SymeonidouKastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 225. 532 Vgl. zur umstrittenen Qualifizierung der Volksgesundheit als kollektives Allgemeinrechtsgut 3. Kap. B. III. 1. Wie im Fall der öffentlichen Sicherheit und der Straßenverkehrssicherheit kann die Anerkennung der Volksgesundheit als kollektives Allgemeinrechtsgut insbesondere

192

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten dahingehend ausgelegt werden können, dass sie gleicherweise die Volksgesundheit der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen. § 58 Abs. 2, 2a sowie § 59 Abs. 2 LFGB sind als Blankettstrafnormen ausgestaltet. § 58 Abs. 2 und § 59 Abs. 2 Nr. 1 LFGB stellen den Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit533 (BasisVO) unter Strafe, die §§ 58 Abs. 2a Nr. 1 und 59 Abs. 2 Nr. 6 LFGB sanktionieren Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung (EG) Nr. 1334/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Aromen und bestimmte Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften zur Verwendung in und auf Lebensmittel534, § 58 Abs. 2a Nr. 2 LFGB ahndet Verstöße gegen die Verordnung (EG) Nr. 124/2009 der Kommission vom 10. Februar 2009 zur Festlegung von Höchstgehalten an Kokzi­diostatika und Histomonostatika, die in Lebensmitteln aufgrund unvermeidbarer Verschleppung in Futtermittel für Nichtzieltierarten vorhanden sind535 sowie die §§ 58 Abs. 2a Nr. 3 und 59 Abs. 2 Nr. 7 LFGB Zuwiderhandlungen gegen die Verordnung (EU) Nr. 10/2011 der Kommission vom 14. Januar 2011 über Materialien und Gegenstände aus Kunststoff, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen536. § 59 Abs. 2 Nr. 2 LFGB bestraft darüber hinaus den Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebensund Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs537, § 59 Abs. 2 Nr. 3 LFGB ahndet die Zuwiderhandlung gegen die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel538, Art. 59 Abs. 2 Nr. 4 LFGB im Hinblick auf ihren strafrechtlichen Schutz im Fall ihrer Auslandseigenschaft legitimiert werden in Anbetracht der Tatsache, dass sie als Summe von Individualrechtsgütern nach dem völkerrechtlichen Mindeststandard sowieso durch das nationale Strafrecht geschützt würde, vgl. 4. Kap. C. III. 2. Fn. 108. 533 ABl. EG 2002 Nr.  L 31, S.  1, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 652/2014, vom 15.5.2014 (ABl. 2014 Nr. L 189, S. 1). 534 ABl. 2008 Nr. L 354, S. 34, berichtigt ABl. 2010 Nr. L 105, S. 115, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 1098/2014 vom 17.10.2014 (ABl. 2014 Nr. L 300, S. 41). 535 ABl. 2009 Nr. L 40, S. 7, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 610/2012 vom 9.7.2012 (ABl. 2012 Nr. L 178, S. 1). 536 ABl. 2011 Nr. L 12, S. 1, berichtigt ABl. 2011 Nr. L 278, S. 13, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) 2015/174 vom 5.2.2015 (ABl. 2015 Nr. L 30, S. 2). 537 ABl. 2005 Nr. L 70, S. 1, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 2015/552 vom 7.4.2015 (ABl. 2015 Nr. L 92, S. 20). 538 ABl. 2006, Nr. L 404, S. 9, berichtigt ABl. 2007 Nr. L 12, S. 3, berichtigt ABl. 2008 Nr. L 86, S. 34, berichtigt ABl. 2009 Nr. L 198, S. 87, berichtigt ABl. 2013 Nr. L 160, S. 15, zuletzt geändert durch Art. 1 Änderungsverordnung (EU) Nr. 1047/2012 vom 8.11.2012 (ABl. 2012 Nr. L 310, S. 36).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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diejenige gegen die Verordnung (EG) Nr. 1332/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über Lebensmittelenzyme539 und § 59 Abs. 2 Nr. 5 LFGB stellt Verstöße gegen die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe540 unter Strafe. Besagte Sekundärrechtsakte dienen der Durchsetzung des unionalen Gesundheitsschutzes i. S. d. Art. 168 AEUV (vgl. Art. 5 der BasisVO). Dieses supranationale europäische Rechtsgut541 betrifft die „öffentliche Gesundheit“542, die „Volksgesundheit“543 in den EU-Staaten, die durch ihre Qualifizierung als Unionspolitik zu einem nun durch das Unionsrecht zu schützenden Rechtsgut erhoben wurde. Zur Verwirklichung des primärrechtlich verankerten Gesundheitsschutzes sind auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts zahlreiche Unionssekundärrechtsakte, wie die genannten Verordnungen, erlassen und insofern ein einheitliches unionales Gesundheitsschutzrecht in den EU-Mitgliedstaaten implementiert worden544. Verstöße gegen das den europäischen Gesundheitsschutz gewährleistende Recht müssen die EU-Mitgliedstaaten wiederum aufgrund ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV wie gleich schwere Verstöße gegen nationales Recht mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen ahnden. Auch in den §§ 58 Abs. 2, 2a, 59 Abs. 2 LFGB ist die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Indienststellung ihres nationalen Strafrechts bei Zuwiderhandlungen gegen das unionale Gesundheitsschutzrecht in Gestalt der Verordnungen, die dort in Bezug genommen werden, ausdrücklich normiert545. Das europäische Gesundheitsschutzrecht wird jedoch verletzt gerade im Wege einer Zuwiderhandlung gegen die sekundärrechtlichen Verordnungen in jedem EU-Mitgliedstaat unter Beeinträchtigung dessen nationaler Volksgesundheit. Somit muss auch diese von den Strafvorschriften des LFGB umfasst sein, um die mitgliedstaatliche strafrechtliche Assimilierungspflicht lückenlos zu gewährleisten. Die Auslegung der §§ 58 Abs. 2, 2a, 59 Abs. 2 LFGB im Lichte der aus Art. 4 Abs.  3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten führt folglich zu ihrer Schutzbereichserweiterung auf die Volksgesundheit auch in den anderen Mitgliedstaaten. 539

ABl. 2008 Nr. L 354, S. 7, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr. 1056/ 2012 vom 12.11.2012 (ABl. 2012 Nr. L 313, S. 9). 540 ABl. 2008 Nr. L 354, S. 16, berichtigt ABl. 2010 Nr. L 105, S. 114 und ABl. 2012 Nr. L 322, S.  8, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) Nr.  2015/538 vom 31.3.2015 (ABl. 2015 Nr. L 88, S. 4). 541 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 542 Streinz/Lurger, Art.  168 AEUV, Rn.  10; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Schmidt am Busch, Art. 168 AEUV, Rn. 9. 543 Streinz/Lurger, Art. 168 AEUV, Rn. 10. 544 Ein Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Lebensmittelrechts findet sich bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Streinz, § 24, S. 1381 ff. 545 Hingegen wird die Verfassungsmäßigkeit der §§ 58 Abs. 3 Nr. 1, 2, 59 Abs. 3 Nr. 1, 2 lit. a, b LFGB im Hinblick auf die Art. 81 Abs. 1 S. 2, 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG bezweifelt, vgl. Hecker, EuStR, § 7, Rn. 93 ff.; Satzger, IntStR, S. 159 f.

194

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Die BasisVO dient neben dem Gesundheitsschutz gemäß seiner Art.  5 und 8 gleichermaßen dem Schutz der Verbraucherinteressen i. S. d. Art. 169 AEUV. Der unionsrechtliche Verbraucherschutz bezieht sich auf die Bürger der EU als natürliche Personen, die nicht zu gewerblichen oder beruflichen Zwecken tätig werden546 und erhebt deren Schutz in ihrer Eigenschaft als Verbraucher somit zu einem supranationalen europäischen Rechtsgut547. Das europäische Verbraucherschutzrecht wurde wiederum durch unionales Sekundärrecht in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen integriert548. Aufgrund ihrer aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht sind die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Beeinträchtigungen auch des europäischen Verbraucherschutzes mit wirksamen, angemessenen und ab­ schrecken­den Sanktionen zu bewehren unter der Voraussetzung, dass dieses supranationale europäische Rechtsgut mit einem Rechtsgut auf mitgliedstaatlicher Ebene eine Gleichartigkeit im Sinne des Gleichstellungserfordernisses aufweist. In der deutschen Strafrechtsordnung ist der Verbraucherschutz an sich kein anerkanntes kollektives Allgemeinrechtsgut549. Der strafrechtliche Schutz der Interessen der Verbraucher erfolgt im deutschen Recht neben den §§ 58, 59 LFGB insbesondere in Form des Individualrechtsgüterschutzes durch die Tötungsdelikte (§§ 212, 222 StGB), die Körperverletzungsdelikte (§§ 223, 229 StGB), durch den Betrugstatbestand (§ 263 StGB) sowie durch § 314 StGB (Gemeingefährliche Vergiftung)550. Jene Straftatbestände beziehen den betroffenen Rechtsgutsträger im Fall seiner Auslandseigenschaft bereits aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards in ihren Schutzbereich ein551 und gewährleisten auf diesem Weg einen wirksamen, angemessenen und abschreckenden strafrechtlichen Schutz der europäischen Verbraucher im Sinne der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten. Wie auch im Fall der Volksgesundheit sowie der öffentlichen Sicherheit552 und der Straßenverkehrssicherheit553 würde die Anerkennung des Verbraucherschutzes als kollektives Allgemeinrechtsgut insofern zu keinem anderen Ergebnis führen.

546 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Pfeiffer, Art. 169 AEUV, Rn. 24; Streinz/Lurger, Art. 169 AEUV, Rn. 12; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 169 AEUV, Rn. 2. 547 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 548 Ein Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte auf dem Gebiet des Verbraucherschutzrechts findet sich bei Schulze/Zuleeg/Kadelbach/Schulte-Nölke, § 23, Rn. 16 ff. 549 Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung, S. 24, vgl. 3. Kap. B. III. 1. 550 Vergho, Der Maßstab der Verbrauchererwartung, S. 34. 551 Vgl. 4. Kap. C. I. 552 Vgl. 5. Kap. A. II. 1. 553 Vgl. 6. Kap. D. III. 6.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

195

IV. Wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten bezüglich staatlicher Allgemeinrechtsgüter? Eine andere Situation zeigt sich hingegen, betrachtet man das Verhältnis der supranationalen europäischen Rechtsgüter und der staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten. Wie gesehen, ist die Europäische Union in ihrer Funktion als supranationale Organisation auch Trägerin von hoheitlichen Rechtsgütern, wie ihrem finanziellen Interesse, dem Interesse an ihrem Bestand, der Europäischen Rechtspflege, amtlicher Titel und Berufsbezeichnungen, dem amtlichen Gewahrsam von Unionsbeamten, der Verschwiegenheit gemeinschaftlicher Stellen, der Lauterkeit der Amtsführung der Bediensteten der EU sowie ihrer Organisation und Autorität554. All jene europäischen Rechtsgüter besitzen mitgliedstaatliche Pendants, die ihnen funktional entsprechen. Diese nationalen Interessen können dem deutschen Verständnis nach als staatliche Allgemeinrechtsgüter eingeordnet werden555. Das Verhältnis zwischen den hoheitlichen Eigeninteressen der EU und ihren mitgliedstaatlichen Gegenstücken ist jedoch zunächst nur insofern zu beschreiben, als diese separat, in dem unionalen Mehrebenensystem unabhängig voneinander existieren. So besteht das finanzielle Interesse der EU auf der einen und dasjenige der einzelnen Mitgliedstaaten auf der anderen Seite, die Autorität der EU einerseits und die Autorität der Mitgliedsländer andererseits, die Rechtspflege der europäischen Gerichte und Organe separat von der nationalen Rechtspflege in den Mitgliedstaaten, amtliche Titel und Berufsbezeichnungen, der amtliche Gewahrsam, Geheimnisse sowie die Lauterkeit der Amtsführung der Bediensteten der EU unabhängig von den entsprechenden Rechtsgütern der Bediensteten der einzelnen Mitgliedstaaten. Anders als bei dem zuvor erörterten Vergleich der supranationalen europäischen Rechtsgüter und der mitgliedstaatlichen kollektiven Allgemeinrechtsgüter, ist bei den supranationalen Eigeninteressen und den staatlichen Allgemeinrechtsgütern der Mitgliedstaaten zumindest keine „Schnittmenge“ in dem Sinne auszumachen, dass Rechtsgüter auf mitgliedstaatlicher Ebene Bestandteil eines Ganzen, des supranationalen europäischen Interesses bilden und insofern von dem Bestehen eines identischen Rechtsguts gesprochen werden könnte. Grund für die unabhängige Existenz der Interessen auf mitgliedstaatlicher und auf supranationaler Ebene ist der die staatlichen Allgemeinrechtsgüter als solche definierende, enge Bezug zu dem jeweiligen Staatsapparat556. Die staatlichen Allgemeinrechtsgüter betreffen den eigenen Staat, seine Autorität und seine Einrichtungen, die eigene Finanzhoheit, die Rechtspflege der nationalen Gerichte, 554

Vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222, 223, vgl. 6. Kap. C. II. 2. c). 556 Vgl. 4. Kap. C. II. 555

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

die amtlichen Titel und Berufsbezeichnungen, den amtlichen Gewahrsam, die Verschwiegenheit sowie die Lauterkeit der Amtsführung der eigenen Beamten. Sie werden allein durch die innerstaatlichen Organisationsstrukturen konstituiert und den diese fixierenden Rechtsordnungen ausgeformt. Denn eine Kompetenzzuweisung an die EU gemäß Art.  5 Abs.  1 S.  1, Abs.  2 EUV ist in den Bereichen, die die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten betreffen, im Gegensatz zu denjenigen aufgezeigten mit Bezug zu mitgliedstaatlichen kollektiven Allgemeinrechtsgütern, bislang nicht erfolgt. Die innerstaatlichen Allgemeinrechtsgüter sind insoweit als isoliert von der EU-Rechtsordnung, als von dieser unangetastet anzusehen. Die supranationalen Eigeninteressen entstehen demgegenüber originär, mit einem entsprechenden Bezug ausschließlich zu dem Organisationsapparat der Europäischen Union als „quasi-staatliche[n] Einheit“557. Dieses unabhängige Bestehen der staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten gegenüber den supranationalen Rechtsgütern der EU ist Ausdruck der Beständigkeit der mitgliedstaatlichen Souveränität in Anbetracht der fortschreitenden europäischen Integration. Trotz der fehlenden unmittelbaren Verbindung mit den staatlichen Allgemeinrechtsgütern der EU-Mitgliedstaaten sind die genannten hoheitlichen Eigeninteressen der Europäischen Union indes nicht schutzlos gestellt. Denn auch sie erfahren strafrechtlichen Schutz aufgrund der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten, sofern sie die Anwendungsbedingungen des Gleichstellungserfordernisses als Voraussetzung der Assimilierungspflicht erfüllen, das, wie er­ örtert, auch dann vorliegt, wenn das durch das Unionsrecht geschützte Rechtsgut mit dem nationalen zwar nicht identisch, aber funktional gleichwertig ist558. Der deutsche Strafgesetzgeber ist der mitgliedstaatlichen Assimilierungspflicht bezüglich hoheitlicher Eigeninteressen der EU durch Schaffung der §§ 108e, 162, 264 Abs.  7 Nr.  2 StGB, des Art.  2 § 1 EUBestG beziehungsweise nunmehr der Neufassung der §§ 331, 332, 333 und 334 sowie durch Schaffung des § 335a Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a StGB, des § 370 Abs. 6 S. 1 AO, des § 12 Abs. 1 S. 1 MOG, des § 2 SAEG-Übermittlungsschutzgesetz und des Art.  2 § 8 EuropolG nachgekommen559, darüber hinaus ist der Schutzbereich der §§ 132, 133, 136 und 145d StGB durch unionsrechtskonforme Auslegung auf diejenigen hoheitlichen Eigeninteressen der EU auszudehnen, die den innerstaatlichen Schutzgütern dieser Vorschriften funktional entsprechen560. Deutsche Strafnormen, die dem Schutz staatlicher Allgemeinrechtsgüter dienen, werden so zum Schutz hoheitlicher Eigeninteressen der EU funktionalisiert. Der in der grundsätzlichen Beschränkung dieser Straftat 557 Schünemann/Bitzilekis/Kaiafa-Gbandi/Symeonidou-Kastanidou, Theorie der genuinen europäischen Rechtsgüter, S. 222. 558 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. e) bb) (1). 559 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) aa). 560 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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bestände zum Ausdruck kommende, in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV verankerte, staatliche Souveränitätsanspruch tritt in diesem Fall hinter der mitgliedstaatlichen Treuepflicht, die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt, zurück. Andererseits gewährleistet das durch die funktionale Gleichwertigkeit der Interessen auf nationaler und auf supranationaler Ebene erfüllte Gleichstellungsgebot die hinreichende Beachtung des strafrechtsspezifischen Schonungsgrundsatzes und verhindert so eine unangemessene Beeinträchtigung des mitgliedstaatlichen Souveränitätsanspruchs. Insofern lässt sich eine dieser vertikalen Assimilierungspflicht unmittelbar folgende Verpflichtung zum strafrechtlichen Schutz staatlicher Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten, wie im Fall der kollektiven Allgemeinrechtsgüter, mangels Identität der Rechtsgüter auf nationaler und supranationaler Ebene zwar nicht begründen. Gleichwohl könnte sich aus dem Grundsatz der loyalen Zu­sammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV auch bezüglich staatsbezogener Allgemeinrechtsgüter eine wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten ergeben. Denn die Beispiele des § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB (ex Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG), des § 370 Abs. 6 S. 2 AO sowie des § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG und des § 18 Abs. 5 AWG zeigen, dass in den Schutzbereich deutscher Strafvorschriften auch Interessen anderer Mitgliedstaaten einbezogen werden, die nach der deutschen Rechtsgutsdogmatik als staatliche Allgemeinrechtsgüter eingeordnet werden können561. Endziel stellt wiederum der Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter dar. 1. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres Vermögens a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Die EU-Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV ausdrücklich verpflichtet, zur Bekämpfung rechtswidriger Handlungen gegen das supranationale europäische Rechtsgut der finanziellen Interessen der EU die gleichen Maßnahmen wie gegen Beeinträchtigungen ihrer eigenen finanziellen Interessen zu ergreifen. Die Vorschrift wird als primärrechtliche Fixierung der durch das MaisUrteil des EuGH konstatierten, strafrechtlichen Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Finanzhoheit der EU gewertet562. Verkörpert wird die konkret die finanziellen Interessen der EU betreffende mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht durch das Übereinkommen vom 26. Juli 1995 betreffend den Schutz der finanziellen Interessen der EG, das die Mitgliedstaaten verpflichtet, be 561

Vgl. 5. Kap. C. I. Streinz/Satzger, Art. 325 AEUV, Rn. 4; Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 325 AEUV, Rn. 5; Geiger/Khan/Kotzur, Art. 325 AEUV, Rn. 3; Hecker, EuStR, § 14, Rn. 4. 562

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

trügerische Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der EU in ihren nationalen Rechtsordnungen als Straftaten auszugestalten und wirksam, angemessen und abschreckend zu sanktionieren. Der deutsche Strafgesetzgeber ist dieser Vorgabe durch Schaffung des § 370 Abs.  6 S.  1 AO nachgekommen, der den Schutzbereich der Steuerstraftatbestände des § 370 Abs. 1 bis 5 AO, die ursprünglich den als staatliches Allgemeinrechtsgut einzuordnenden innerstaatlichen Steuer­anspruch schützen, auf den Steueranspruch der EU erstreckt563. Damit hat er Verletzungen des eine funktionale Gleichwertigkeit mit dem Schutzgut auf mitgliedstaatlicher Ebene aufweisenden supranationalen Rechtsguts im Sinne der Mindesttrias mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen versehen und diese unter Nutzung seines Entscheidungsspielraums, der ihm durch das Übereinkommen belassen wurde, zugleich harmonisch in das bestehende nationale Strafrechtssystem eingefügt. Der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht des deutschen Staats konnte somit unter hinreichender Schonung des nationalen Strafrechts Rechnung getragen werden. Zu beachten ist jedoch, dass das Finanzinteresse der EU und die finanziellen Interessen der Mitgliedstaaten über ihre funktionale Gleichwertigkeit hinaus Zusammenhänge aufweisen. Die nationalen Finanzinteressen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die als staatliche Allgemeinrechtsgüter qualifiziert werden können, sind sowohl gegenüber der EU als auch im Verhältnis zu den anderen Mitgliedsländern autark. Allerdings befinden sich die finanziellen Interessen der EU in einer gewissen Abhängigkeit von der Vermögenssituation und damit dem Steueraufkommen ihrer Mitgliedstaaten. Zwar besteht gemäß Art. 311 AEUV das System der Eigenfinanzierung der EU. Gleichwohl handelt es sich bei dem Hauptteil der die Eigenmittel der EU bildenden Einnahmen faktisch um Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten564. So stellen die auf dem mitgliedstaatlichen Bruttonationaleinkommen basierenden Eigenmittel, die rund 76 % der Gesamteinnahmen der EU ausmachen, tatsächlich, in materieller Hinsicht, Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten dar565. Und auch der Eigenmittelcharakter der Einnahmen aus dem Mehrwertsteueraufkommen der Mitgliedstaaten mit rund 11 % Eigenmittelanteil566, ist zweifelhaft567. Lediglich die Agrarabgaben und Zölle bilden echte Eigenmittel568, machen jedoch nur rund 12 % der Eigenmittel der EU aus569.

563

Vgl. 5. Kap. C. I. 2. Streinz/Niedobitek, Art. 311 AEUV, Rn. 11; Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 311 AEUV, Rn. 3. 565 Streinz/Niedobitek, Art. 311 AEUV, Rn. 11; Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 311 AEUV, Rn. 3, 7, spricht insofern von „kaschierte[n] Mitgliedsbeiträge[n]“. 566 Streinz/Niedobitek, Art. 311 AEUV, Rn. 24. 567 Streinz/Niedobitek, Art. 311 AEUV, Rn. 11; Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 311 AEUV, Rn. 7. 568 Streinz/Niedobitek, Art.  311 AEUV, Rn.  11, 19; Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art.  311 AEUV, Rn. 7. 569 Streinz/Niedobitek, Art. 311 AEUV, Rn. 22. 564

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

199

Insofern, als der EU-Haushalt von dem Steueraufkommen der Mitgliedstaaten abhängt, weil er sich zumindest teilweise aus der Summe der Finanzbeiträge der einzelnen Mitgliedstaaten zusammensetzt, kann somit auch im Fall der finanziellen Interessen der EU-Mitgliedstaaten, die als die nationale Souveränität verkörpernde, staatliche Allgemeinrechtsgüter einzuordnen sind, von einer supranationalen Überformung gesprochen werden. b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des Vermögens durch die EU-Mitgliedstaaten Gemäß des die mitgliedstaatliche strafrechtliche Assimilierungspflicht verkörpernden Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV sind die EU-Mitgliedstaaten ausdrücklich angehalten, zur Bekämpfung rechtswidriger Handlungen gegen das supranationale europäische Rechtsgut der finanziellen Interessen der EU die gleichen Maßnahmen wie gegen Beeinträchtigungen ihrer eigenen finanziellen Interessen zu ergreifen. Da sich Beeinträchtigungen des Vermögens der einzelnen Mitgliedstaaten aufgrund besagtem Abhängigkeitsverhältnis jedoch auch negativ auf die finanziellen Interessen der EU auswirken, müssen die Mitgliedstaaten mithin ihr nationales Strafrecht gleichermaßen zur Ahndung rechtswidriger Handlungen zum Nachteil des Vermögens der anderen EU-Mitgliedstaaten funktionalisieren, um ihrer aus Art. 325 AEUV folgenden Aufgabe umfassend nachkommen zu können. Dementsprechend hat der deutsche Strafgesetzgeber durch die Regelung des § 370 Abs. 6 S. 2 AO den Schutzbereich seiner Abs. 1 bis 5 zudem auf den Steuer­ anspruch beziehungsweise das Vermögen der anderen EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet570. Wurde dem strafrechtsspezifischen Schonungsgebot bei der durch § 370 Abs. 6 S. 1 AO bewirkten Einbeziehung des Steueranspruchs der EU in den Schutzbereich der Vorschrift aufgrund der funktionalen Gleichwertigkeit des supranationalen europäischen Rechtsguts mit dem durch § 370 Abs. 1 bis 5 AO originär geschützten deutschen Steueranspruch Rechnung getragen, ließ sich die Schutzbereichserweiterung auf den Steueranspruch beziehungsweise das Vermö­ gen der anderen Mitgliedstaaten gemäß § 370 Abs. 6 S. 2 AO wegen der funktionalen Gleichwertigkeit dieser mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgüter mit dem ursprünglichen innerstaatlichen Schutzgut ohne Systembruch in das deutsche Strafrecht einfügen. Indem der deutsche Strafgesetzgeber durch Schaffung des § 370 Abs.  6 AO ausschließlich den bereits bestehenden nationalen Straftatbestand der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs.  1 bis 5 AO auf Beeinträchtigungen der mit dem originären Schutzgut des deutschen Steueranspruchs funktional gleichwertigen Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten sowie desjenigen der EU ausgeweitet hat, hat er den Entscheidungsspielraum genutzt, der dem deutschen Staat als Kom 570

Vgl. 5. Kap. C. I. 2.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

petenzträger auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts zusteht und so die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende strafrechtliche Assimilierungspflicht erfüllt, die nach dem strafrechtsspezifischen Schonungsgebot i. S. d. Art. 4 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 S. 1 EUV jedoch nur insoweit besteht, als sie in Übereinstimmung mit der bestehenden nationalen Strafrechtsordnung der Mitgliedstaaten umgesetzt werden kann571. Durch eine solche Ausdehnung des nationalen Strafschutzes können die EUMitgliedstaaten allerdings in die Lage gebracht werden, dass bestimmte Beeinträchtigungen ihrer Rechtsgüter durch einen anderen Mitgliedstaat strafrechtlich geahndet werden, obwohl diese in der eigenen Rechtsordnung überhaupt keine Straftat darstellen. Fraglich ist, inwieweit die EU-Mitgliedstaaten einen über den eigenen strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter hinausgehenden „aufgedrängten Rechtsgüterschutz“ billigen müssen. Zwar sind die EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, einen Schutz ihrer Allgemeinrechtsgüter durch die anderen EU-Mitgliedstaaten zu dulden als „Komplementärpflicht“ zu ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden, wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht. Diese Duldungspflicht gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr muss hinsichtlich ihres Umfangs wiederum zwischen kollektiven und staatlichen Allgemeinrechtsgütern als Schutzobjekte unterschieden werden. So kann ein Mitgliedstaat verpflichtet sein, hinzunehmen, dass eine Beeinträchtigung eines seiner kollektiven Allgemeinrechtsgüter durch einen anderen Mitgliedstaat strafrechtlich verfolgt wird, obwohl die eigene Strafrechtsordnung diese Rechtsgutsverletzung nicht sanktioniert, wenn der bestrafende Mitgliedstaat nur auf diesem Weg den Schutz eines supranationalen europäischen Rechtsguts harmonisch in seine Strafrechtsordnung einfügen und damit seiner nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV bestehenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht gegenüber der EU nachkommen konnte. Da jeden Mitgliedstaat diese Pflicht zum Schutz der supranationalen Rechtsgüter der EU trifft, erscheint im Fall derjenigen kollektiven Allgemeinrechtsgüter, die mit einem supranationalen europäischen Rechtsgut identisch sind, ein über den eigenen hinausgehender Strafrechtsschutz durch andere Mitgliedstaaten hinnehmbar, weil diese mitgliedstaatlichen Interessen durch das Unionsrecht derart überformt wurden, dass sie zu dem nun auf supranationaler Ebene zu schützenden Interesse der EU erhoben wurden. Insoweit tritt das Interesse der einzelnen Mitgliedstaaten, den strafrechtlichen Schutz ihres nun als Teil eines supranationalen europäischen Rechtsguts anzusehenden kollektiven Allgemeinrechtsguts ausschließlich in dem Umfang durchzusetzen, den ihr nationales Strafrecht vorgibt, hinter dem mit den anderen Mitgliedstaaten gemeinsamen Interesse, das supranationale Rechtsgut der EU umfassend zu schützen, zurück. 571

Vgl. 6. Kap. C. II. 2. f) bb).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Dagegen sind die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten, wie gesehen, nicht durch das Unionsrecht derart überformt worden, dass die strafrechtliche Assimilierungspflicht gegenüber der EU bezüglich ihrer supranationalen Rechtsgüter eine akzessorische wechselseitige Schutzpflicht der Mitgliedstaaten bezüglich ihrer staatlichen Allgemeinrechtsgüter zur Folge hat, deren Implementierung in die Strafrechtsordnung eines Mitgliedstaats einen anderen Mitgliedstaat zur Duldung eines aus seiner Sicht aufgedrängten Rechtsgüterschutzes verpflichten könnte. Vielmehr bestehen die staatlichen Allgemeinrechtsgüter aufgrund ihres engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat in den einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin separat und unabhängig voneinander, wie auch eigenständig im Verhältnis zu den supranationalen Rechtsgütern der EU. Insofern muss die Entscheidung über Art und Umfang des strafrechtlichen Schutzes staatlicher Allgemeinrechtsgüter auch bei Wahrnehmung der alle EU-Mitgliedstaaten treffenden, sich aus dem Grundsatz loyaler Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht bei den einzelnen Trägermitgliedstaaten verbleiben. Um einen ungewollten Strafschutz staatlicher Allgemeinrechtsgüter durch andere EU-Mitgliedstaaten zu vermeiden, kann als Korrektiv eine Ermächtigung durch den betreffenden Rechtsgutsträgermitgliedstaat in Betracht gezogen werden. So ist einerseits der bestrafende Mitgliedstaat in der Lage, seiner strafrechtlichen Assimilierungspflicht unter der erforderlichen Schonung seiner nationalen Strafrechtsordnung nachzukommen, andererseits kann der Trägermitgliedstaat im betreffenden Fall autonom darüber entscheiden, inwieweit sein staatliches Allgemeinrechtsgut durch das Strafrecht des anderen Mitgliedslands geschützt werden soll. Die durch das Ermächtigungserfordernis bewirkte wechselseitige Rücksichtnahme hinsichtlich Art und Umfang des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes in den anderen Mitgliedstaaten bewirkt wiederum eine Schonung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen vor dem Hintergrund des auch zwischen den Mitgliedstaaten untereinander wirkenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i.S.d Art. 4 Abs. 3 EUV. 2. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer öffentlichen Verwaltungen a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Da die finanziellen Interessen der EU nicht nur durch Betrug, sondern auch durch Bestechungshandlungen von oder gegenüber denjenigen Unionsbeamten sowie nationalen Amtsträgern der EU-Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden können, „die für die Erhebung, die Verwaltung oder die Bewilligung der ihrer Kontrolle unterliegenden Gemeinschaftsmittel verantwortlich sind“572, wurden die EU 572

3. Erwägungsgrund des Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1996 Nr. C 313, S. 2, vgl. 5. Kap. C. I. 1.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Mitgliedstaaten nach Art. 5 Abs. 1 des Protokolls zum Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vom 27. September 1996 verpflichtet, die Bestechung und Bestechlichkeit von Unionsbeamten sowie Amtsträgern anderer Mitgliedstaaten, soweit hierdurch die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigt werden oder beeinträchtigt werden können, mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Sanktionen zu ahnden573. Auch das Protokoll verkörpert die sich aus Art. 325 Abs. 1 und 2 AEUV ergebende, primärrechtlich verankerte, strafrechtliche Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten in Bezug auf die finanziellen Interessen der EU und definiert eine weitere Variante der „gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtete[n] rechtswidrige[n] Handlungen“ i. S. d. Art. 325 Abs. 1 AEUV, die von den Mitgliedstaaten neben derjenigen des Betrugs zu bekämpfen ist. Der deutsche Gesetzgeber ist dieser Pflicht durch Schaffung des EUBestG nachgekommen, das in seinem Art. 2 § 1 die §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB auch auf die Bestechlichkeit und Bestechung von Unionsbeamten sowie Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten für anwendbar erklärte und in diesem Zusammenhang einem deutschen Richter i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB die Richter eines Gerichts der EU sowie eines anderen Mitgliedstaats und einem sonstigen Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB Unionsbeamte und Amtsträger eines anderen EU-Mitgliedstaats gleichstellte574. Soweit Bestechungshandlungen bezüglich der genannten Amtsträger die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen oder gefährden, bezogen die §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB, die originär dem Schutz der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der innerstaatlichen Verwaltung dienen, auch die finanziellen Interessen der EU in ihren Schutzbereich ein575. Art. 2 § 1 EUBestG wurde durch das 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption vom 20. November 2015 in das StGB integriert mit der Folge, dass, sofern als Vorteilsempfänger einer Bestechungshandlung die nunmehr in § 11 Abs. 1 Nr. 2a StGB definierten Europäischen Amtsträger auftreten, die finanziellen Interessen der EU durch die neu gefassten §§ 331, 332, 333 und 334 StGB selbst und bei Bestechungshandlungen von oder gegenüber Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten durch § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB i. V. m. den §§ 332, 334 StGB geschützt werden576. Ein hoheitliches unionales Eigeninteresse erfährt somit den Schutz eines deutschen Straftatbestands, obwohl dieser kein funktional vergleichbares staatliches Allgemeinrechtsgut schützt und so das die mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht auslösende Gleichstellungsgebot gar nicht erst erfüllt ist. In diesem Fall übernimmt jedoch die Mindesttrias ersatzweise die Funktion der Untergrenze für die mitgliedstaatliche Schutzpflicht bezüglich der finanziellen Interessen der EU577. Da ein umfassender Schutz der finanziellen Interessen der EU im Sinne der Recht 573

Vgl. 5. Kap. C. I. 1. Vgl. 5. Kap. C. I. 1. sowie 6. Kap. C. II. 2. g) aa). 575 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) aa). 576 Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 577 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. e) bb) (2). 574

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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sprechung des EuGH, durch das Protokoll konstatiert, nur durch die Sanktionierung auch von Bestechungshandlungen von oder gegenüber Unionsbeamten sowie Amtsträgern anderer Mitgliedstaaten erfolgen kann, weil diese mit den unionalen Finanzmitteln unmittelbar in Berührung kommen, hat sich der deutsche Straf­ gesetzgeber entschieden, zur Gewährleistung eines wirksamen, angemessenen und abschreckenden Schutzes der EU-Finanzinteressen die §§ 332, 334 bis 336, 338 StGB dieser qualitativen Schutzbereichserweiterung zu unterziehen. Weil dem deutschen Strafgesetzgeber hierbei ein Ermessensspielraum zustand, ist auch die durch das Protokoll spezifizierte, strafrechtliche Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten in Bezug auf die finanziellen Interessen der EU mit dem strafrechtlichen Schonungsgrundsatz vereinbar. Soweit die Gleichstellungsbestimmung des § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB die Anwendung der §§ 332, 334 StGB auf Bestechungshandlungen von oder gegenüber Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten bewirkt, durch die die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigt werden oder beeinträchtigt werden können, schützen die §§ 332 und 334 StGB die finanziellen Interessen der EU und damit ein supranationales europäisches Rechtsgut unmittelbar, ohne dass es hierfür einer Einbeziehung von Rechtsgütern der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich bedarf. Art. 2 § 1 Nr. 1 lit. a, Nr. 2 lit. a EUBestG entsprechend578 gelten die §§ 332 und 334 StGB i. V. m. § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB aber nicht nur für Bestechungshandlungen von oder gegenüber Amtsträgern anderer EU-Mitgliedstaaten, die die finanziellen Interessen der EU beeinträchtigen oder beeinträchtigen können, sondern auch für die Bestechlichkeit und Bestechung mitgliedstaatlicher Amtsträger ohne unmittelbaren Bezug zum EU-Finanzhaushalt. Diese Anwendbarkeitserklärung der §§ 332 und 334, auch i. V. m. § 335 StGB durch § 335a Abs. 1 Nr. 1, 2 lit. a StGB, trägt dem das Protokoll ergänzenden Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind, Rechnung579. Das Übereinkommen hält die Mitgliedstaaten an, über diejenigen Bestechungshandlungen, an denen Beamte anderer Mitgliedstaaten beteiligt sind und durch die die EU-Finanzinteressen unmittelbar geschädigt werden oder geschädigt werden können hinaus, auch die Bestechlichkeit und Bestechung von Amtsträgern der anderen Mitgliedstaaten ohne unmittelbaren Bezug zu den finanziellen Interessen der EU zu sanktionieren. Diese umfassende Bekämpfung der Bestechung, an der nationale Amtsträger beteiligt sind, sei erforderlich zur „Verbesserung der justitiellen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in Strafsachen“580 „als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse“581.

578

Korte, wistra 1999, S. 81, 83; Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 59 f. Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 580 3. Erwägungsgrund des Übereinkommens. 581 1. Erwägungsgrund des Übereinkommens. 579

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

aa) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Schutzobjekt der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten Der in den Art. 67 ff. AEUV geregelte Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erhielt durch den Vertrag von Lissabon einen noch höheren Stellenwert, indem er nach Art. 3 Abs. 2 EUV nunmehr eines der wesentlichen Elemente der Europäischen Union bildet582. Er stellt ein eigenständiges Vertragsziel dar583. Gemäß Art. 3 Abs. 2 EUV bietet die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts „ohne Binnengrenzen, in dem – in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität – der freie Personenverkehr gewährleistet ist“. Dieser alle Mitgliedstaaten umfassende „Raum“ i. S. d. Art.  3 Abs.  2 EUV, Art. 67 Abs. 1 AEUV ist gekennzeichnet durch die drei öffentlichen Güter „Freiheit“, „Sicherheit“ und „Recht“, die jeweils „grundlegende[n] Staatsziele[n] moderner demokratischer Staatssysteme“584 bilden. Die drei Güter stehen in einem „Spannungs- und Wechselverhältnis“585 zueinander. Der Freiheitsbegriff umfasst entsprechend Art.  3 Abs.  2 EUV und Art.  67 Abs.  2 AEUV insbesondere den freien Personenverkehr im Sinne des kontrollfreien Passierens der Binnengrenzen als tatsächliche Dimension der Freizügigkeit586. Der Wegfall der Personenkontrollen an den Staatsgrenzen, der mit der Errichtung eines den freien Verkehr von Personen, aber auch von Dienstleistungen und Kapital gewährleistenden Binnenmarkts i. S. d. Art. 26 Abs. 2 AEUV verbunden ist, macht jedoch immer auch eine Verstärkung der transnationalen Sicherheitsmaßnahmen notwendig587. Den „Raum der Freiheit“ können die Unionsbürger nur vollumfänglich genießen, wenn sie sich sicher fühlen588. Dieser Umstand veranschaulicht den Zusammenhang des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts mit dem Binnenmarktziel gemäß Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV, der insofern als dessen „Komplementärziel“589 qualifiziert werden kann, aber auch die Sicherheitsbezogenheit des Freiheitsbegriffs590. Dementsprechend sollen die Mitgliedstaaten in dem Raum der Sicherheit im Wege 582

Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 76; Streinz/Weiß/Satzger, Art. 67 AEUV, Rn. 9. Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 76. 584 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 33. 585 v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Breitenmoser/Weyeneth, Art.  67 AEUV, Rn.  23; ähnlich Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 74. 586 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Röben, Art. 67 AEUV, Rn. 55; Pache, Die EU – RFSR?, S. 9. 587 Streinz/Weiß/Satzger, Art. 67 AEUV, Rn. 29; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Breitenmoser/ Weyeneth, Art. 67 AEUV, Rn. 117. 588 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 34. 589 Nr. 9 des Aktionsplans des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts vom 3.12.1998, ABl. EG 1999, Nr. C 19, S. 1. 590 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 34. 583

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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polizeilicher und justizieller Zusammenarbeit in Strafsachen diejenigen Bedrohungen durch grenzüberschreitende Kriminalitätsformen abwehren, die sich speziell aufgrund der Abschaffung der Binnengrenzen entwickeln, und so die rechtsstaatliche Sicherheit innerhalb der EU herstellen591. Das Rechtskonzept ergänzt den Raum der Freiheit und der Sicherheit, indem i. S. d. Art. 67 Abs. 4 AEUV durch die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und durch die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen jedem Bürger der EU in jedem Mitgliedstaat der gleiche Zugang zum Recht gewährt werden soll sowie, dass sich die bestehenden Rechtsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten nicht kriminalitätsbegünstigend auswirken592. Auch der Raum des Rechts ist insoweit sicherheitsbezogen, als die Betonung der rechtlichen Kooperation der Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 EUV und Art. 67 Abs. 3 AEUV auf der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen liegt593. Der Sicherheitsaspekt nimmt dementsprechend die zentrale Stellung der den Raum bestimmenden Trias ein594. Nach Art. 67 Abs. 3 AEUV wirkt die EU darauf hin, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Das Sicherheitskonzept betrifft die Sicherheitslage innerhalb des gesamten europäischen Raums595. Dieser ist als ein die Binnengrenzen der Mitgliedstaaten in den Hintergrund treten lassender Raum der „inneren Sicherheit“596 der EU zu verstehen, da nur er zur Bewältigung der durch die grenzüberschreitende Kriminalität entstandenen Bedrohung für die Bürger der Europäischen Union tauglich ist597. Mit dem Bereich Justiz und Inneres betrifft der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts allerdings einen „Kern staatlicher Souveränität“598. In dem europäischen Mehrebenensystem existiert damit sowohl eine nationale als auch eine unionale Sicherheitsgarantie, wobei Letztere im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts die mitgliedstaatlichen Befugnisse jedoch weniger beschneiden als diese mit erforderlichen Ergänzungen versehen soll599. In diesem Sinne verpflichtet Art. 67 Abs. 1 AEUV die Union i. S. d. Art. 4 Abs. 2 EUV zur Achtung der verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen ihrer Mitgliedstaaten und Art.  72

591 Streinz/Weiß/Satzger, Art.  67 AEUV, Rn.  29; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Röben, Art.  67 AEUV, Rn. 56. 592 Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S. 14, 23; Pache, Die EU – RFSR?, S. 9. 593 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 34. 594 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 30, 35; Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S. 14, 19. 595 Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 81. 596 Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S.  14, 20; Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 30, 34; Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 81; Grabitz/ Hilf/Nettesheim/Röben, Art.  67 AEUV, Rn.  56; v.d. Groeben/Schwarze/Hatje/Breitenmoser/ Weyeneth, Art, 67 AEUV, Rn. 11 f. 597 Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S. 14, 20; Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 30, 34; Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 81. 598 Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 5; vgl. 5. Kap. B. 599 Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S. 14, 20 f.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

AEUV enthält einen ordre public-Vorbehalt600. Soweit die innerstaatliche Sicherheitsgarantie ausreicht, fällt die Sicherheitspolitik demzufolge nicht in den Aufgabenbereich der EU, wo es aber eines unionsweiten Vorgehens bedarf, ist der Anwendungsbereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eröffnet601. Gerade bei grenzüberschreitender Kriminalität sind die Mitgliedstaaten nicht in der Lage, die Sicherheit ihrer Bürger durch rein nationale Maßnahmen umfassend gewährleisten zu können. Vielmehr werden unionale Maßnahmen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts notwendig. Als Mittel nennt Art. 67 Abs. 3 AEUV die Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege und den anderen zuständigen Behörden und damit die in den Art. 82 bis 86 AEUV geregelte justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen sowie die in den Art. 87 bis 89 AEUV normierte polizeiliche Zusammenarbeit. Die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen i. S. d. Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV umfasst die horizontale Kooperation zwischen Justizbehörden verschiedener EUMitgliedstaaten im Sinne jeder zielgerichteten Unterstützung bei einer in einem Mitgliedstaat anhängigen Strafsache durch eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats602. Zu den nationalen Justizbehörden gehören die für Strafsachen zuständigen Gerichte und Staatsanwaltschaften, aber auch Polizei- und Verwaltungsbehörden603. Formen der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sind unter anderem die vorläufige Festnahme, die Verhaftung und Auslieferung oder Überstellung von Beschuldigten oder bereits verurteilten Personen zum Zwecke der Strafverfolgung oder -vollstreckung, deren Durchlieferung, die Vollstreckungshilfe, aber auch Verfahrens-, Informations- und Beweishilfe sowie die Übernahme von Strafverfahren604. Ein Kernelement der zwischenstaatlichen justiziellen Kooperation, gemäß Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV sowohl in Zivil- als auch nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV in Strafsachen, stellt der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen dar605. Dieser bestimmt, dass eine in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden muss606. Die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen bildet die Basis gerichtlicher Zusammenarbeit607 und ist nach Art. 67 Abs. 3 und 4 AEUV notwendiges Mittel zur Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts608.

600

Calliess/Ruffert/Suhr, Art. 67 AEUV, Rn. 79. Pache/Ruffert, Grundlagen des RFSR, S. 14, 20. 602 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Vogel, Art. 82 AEUV, Rn. 14, 16. 603 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Vogel, Art. 82 AEUV, Rn. 15. 604 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Vogel, Art. 82 AEUV, Rn. 14. 605 Streinz/Satzger, Art. 82 AEUV, Rn. 9. 606 Streinz/Weiß/Satzger, Art. 67 AEUV, Rn. 26. 607 Streinz/Weiß/Satzger, Art. 67 AEUV, Rn. 26. 608 Streinz/Satzger, Art. 82 AEUV, Rn. 2. 601

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Die polizeiliche Zusammenarbeit i. S. d. Art. 87 Abs. 1 AEUV betrifft die polizeiliche Kooperation zwischen allen mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden, die nach innerstaatlichem Recht für den präventiven oder den repressiven Rechtsgüterschutz zuständig sind609. So ermöglicht Art. 87 Abs. 2 lit. c AEUV die Einführung gemeinsamer Ermittlungstechniken und Art. 87 Abs. 3 AEUV eine Intensivierung der operativen polizeilichen Zusammenarbeit. Die Realisierung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV macht somit eine umfassende Koordination und Kooperation von Verwaltungs- und Justizbehörden der EU-Mitgliedstaaten auf horizontaler Ebene erforderlich. Um die grenzüberschreitende Kriminalität, die sich im Zuge der Öffnung der Binnengrenzen entwickelt hat, lückenlos bekämpfen zu können, bedarf es somit eines Zusammenschlusses der staatliche Allgemeinrechtsgüter konstituie­ renden Rechtspflege- und Verwaltungsorgane der EU-Mitgliedstaaten zu einem europaweiten Sicherheitsnetz, das dem europäischen Bürger in jedem Mitgliedstaat Zugang zu Behörden und Gerichten bietet, ohne dass sich die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat bestehenden Rechtsunterschiede zu seinen Ungunsten auswirken. Zwar kann aufgrund der die Souveränität der Mitgliedstaaten widerspiegelnden, engen Verbundenheit der innerstaatlichen Rechtspflege und Verwaltung mit dem jeweiligen Staatsapparat auch in diesem Fall nicht von einer Überformung im Sinne einer Verschmelzung mitgliedstaatlicher Rechtsgüter zu einem identischen supranationalen Rechtsgut gesprochen werden. Denn in Anbetracht der durch die staatlichen Allgemeinrechtsgüter verkörperten mitgliedstaatlichen Souveränität im Bereich Justiz und Inneres, die gemäß Art.  67 Abs.  1 AEUV ausdrücklich aufrecht zu erhalten ist, kommt es gerade nicht zu der Erhebung mitgliedstaatlicher Rechtsgüter zu einem supranationalen europäischen Rechtsgut. Im Gegensatz zu bestimmten hoheitlichen Eigeninteressen der EU, wie der europäischen Rechtspflege oder der Lauterkeit der EU-Bediensteten, ist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wie die finanziellen Interessen der EU aber auch nicht gänzlich unabhängig von den mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern. Denn wie erörtert, gründet sich die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gerade auf die Zusammenarbeit der die staatliche Rechtspflege und Verwaltung konstituierenden nationalen Polizei- und Justizbehörden. Aufgrund der Tatsache, dass diese innerhalb der Mitgliedstaaten weiterhin souverän operieren i. S. d. Art. 67 Abs. 1 AEUV, gilt als Basis ihrer transnationalen­ Kooperation im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens610.

609

Grabitz/Hilf/Nettesheim/Röben, Art. 87 AEUV, Rn. 12, 14. Vgl. hierzu eingehend Kaufhold, EuR 2012, S. 408 ff.

610

208

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

bb) Die Bedeutung des Prinzips gegenseitigen Vertrauens im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts Das Prinzip gegenseitigen Vertrauens gründet sich auf den Umstand, dass die EU-Mitgliedstaaten im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts wechselseitig darauf vertrauen können müssen, „dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind und von den mitgliedstaatlichen Gerichten sachgerecht und vor allem grundrechtsgemäß angewandt werden.“611 Für die Verwirklichung und die Funktionsfähigkeit des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie speziell der justiziellen Zusammenarbeit ist das gegenseitige Vertrauen von grundlegender Bedeutung612. So weist das Stockholmer Programm613, das die politischen Vorgaben für die Realisierung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in den Jahren 2010 bis 2014 beinhaltet, das Instrument des gegenseitigen Vertrauens als „eine der wichtigsten Aufgaben in der Zukunft“614 aus. „Das gegenseitige Vertrauen zwischen den Behörden und Dienststellen der einzelnen Mitgliedstaaten und den Entscheidungsträgern ist die Grundlage für eine wirksame Zusammenarbeit in diesem Bereich.“615 Dieses müsse „zwischen allen auf nationaler und auf Unionsebene einschlägig Tätigen“616 gestärkt werden. Nur so könne sich der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu einem „Raum gegenseitigen Vertrauens zwischen den Behörden“617 entwickeln. Das gegenseitige Vertrauen ist zum einen tatsächliches Wirksamkeitskriterium rechtlicher Vorgaben im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts618. So kann der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen i. S. d. Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV „nur in einem Klima des Vertrauens zum Tragen kommen“619, und auch das Doppelverfolgungsverbot nach Art. 54 SDÜ „impliziert“620, „verlangt“621 beziehungsweise „setzt notwendig voraus“622, dass ein gegenseitiges Vertrauen der EU-Mitgliedstaaten in ihre Strafjustizsysteme besteht623. Darüber hinaus stellt das gegenseitige Vertrauen ein Rechtsprinzip dar, das mittelbar durch diejenigen sekundärrechtlichen Bestimmungen wirkt, in denen 611

Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 430. Kaufhold, EuR 2012, S. 408; Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 33. 613 ABl. 2010 Nr. C 115, S. 1. 614 ABl. 2010 Nr. C 115, S. 1, 5. 615 ABl. 2010 Nr. C 115, S. 1, 5. 616 ABl. 2010 Nr. C 115, S. 1, 18. 617 Müller-Graf/Monar, Die politische Konzeption des RFSR, S. 29, 33. 618 Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 418, 428 f. 619 4. Erwägungsgrund der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des­ Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, ABl. 2010 Nr. L 280, S. 1. 620 EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1378, Rn. 33 (Gözütok u. Brügge). 621 EuGH, Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2351, Rn. 30 (Van Esbroeck). 622 EuGH, Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 43 (Van Straaten). 623 Vgl. 7. Kap. C. 612

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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es enthalten ist und dadurch für deren Auslegung richtungsweisend ist624. Das gegenseitige Vertrauen zwischen den mitgliedstaatlichen Behörden soll es möglich machen, für die Geltung ausländischer Rechtsakte in der innerstaatlichen Rechtsordnung auf jegliche Form ihrer vorherigen Überprüfung verzichten zu können, ohne dass die betreffenden Rechtsvorschriften dafür zwingend harmonisiert werden müssen oder ihre Anwendung einer Zentralisierung bedarf625. Das gegenseitige Vertrauen bildet damit die wesentliche Voraussetzung für die Zusammenarbeit der gemäß Art. 67 Abs. 1 AEUV souverän verbleibenden, mitgliedstaatlichen Behörden in dem dezentral strukturierten, intergouvernemental geprägten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts626. Der speziell für den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geltende Grundsatz gegenseitigen Vertrauens ist bisher nicht primärrechtlich fixiert627. Gleichwohl kann die durch das Prinzip gegenseitigen Vertrauens bestimmte Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Behörden im Rahmen der Art. 67 ff. AEUV als eine Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV zwischen den Mitgliedstaaten qualifiziert werden. Denn wie gesehen, verpflichtet Art. 4 Abs. 3 EUV die Mitgliedstaaten auf horizontaler Ebene gerade im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zur vertrauensgestützten Kooperation ihrer nationalen Gerichte und Verwaltungen628. Und so wie der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Voraussetzung der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen angesehen wird, gilt die zwischen den EU-Mitgliedstaaten wirkende Unionstreue i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV als Basis für das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in Bezug auf Verwaltungsakte629. Es handelt sich um ein und denselben, primärrechtlich in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten, im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV spezifisch ausgeprägten Treueaspekt. Die Anwendung des Grundsatzes der Unionstreue zwischen den EU-Mitgliedstaaten soll im besten Fall dazu führen, „daß nach nationalem Recht der fremde Mitgliedstaat teilweise als Inland, seine Gerichte und Verwaltungsbehörden als inländische Gerichte und Verwaltungsbehörden […] zu behandeln sind“630. Insofern besteht bei den Mitgliedstaaten ein wechselseitiges Interesse auch an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der nationalen Rechtsprechung sowie der öffentlichen Verwaltung in den anderen Mitgliedsländern. Als Voraussetzung für das Zusammenwirken der Polizei- und Justizbehörden der einzelnen­ 624

Vgl. hierzu Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 428 f. m. w. N. Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 429. 626 Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 422 f. 627 Kaufhold, EuR 2012, S. 408, 428. 628 Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art. 4 EUV, Rn. 117. 629 Grabitz/Hilf/Nettesheim/v. Bogdandy/Schill, Art. 4 EUV, Rn. 93; Streinz/Streinz, Art. 4 EUV, Rn.  6; Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler, Art.  4 EUV, Rn.  119 f.; Schulze/Zuleeg/­ Kadelbach/Marauhn, § 7, Rn. 48. 630 Bleckmann, DVBl. 1976, S. 483, 486. 625

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

EU-Mitgliedstaaten im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bildet das gegenseitige Vertrauen damit quasi das „Bindeglied“ zwischen souverän verbleibenden staatlichen Allgemeinrechtsgütern, um ein supranationales europäisches Rechtsgut umfassend zu gewährleisten, das sich nicht, wie im Fall der kollektiven Allgemeinrechtsgüter, durch Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen aus der Verschmelzung mitgliedstaatlicher Rechtsgüter konstituiert. Der Treueaspekt ist mithin als Substitut für die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Bereich der staatlichen Allgemeinrechtsgüter zu qualifizieren. Insoweit kann in gewisser Weise gleichsam von einer „Überformung“ staatlicher Allgemeinrechtsgüter durch den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV gesprochen werden, der als Vertragsziel i. S. d. Art. 3 Abs. 2 EUV ein auf Basis der europäischen Rechtsordnung entstandenes, spätestens mit der durch den Vertrag von Lissabon erfolgten Supranationalisierung der PJZS auch als „supranationales“ zu qualifizierendes euro­ päisches Rechtsgut darstellt. b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes der öffentlichen Verwaltungen durch die EU-Mitgliedstaaten Aufgrund ihrer aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht haben die EU-Mitgliedstaaten auch den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV mittels ihres nationalen Kriminalstrafrechts zu schützen. Wie erörtert, gründet sich dieser auf die Koordination und Kooperation der mitgliedstaatlichen Polizei- und Justizbehörden. Die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten wird beherrscht von dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens als spezielle Ausprägung des auch intermitgliedstaatlich wirkenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV, nach dem die Mitgliedstaaten wechselseitig darauf vertrauen können müssen, dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind und von funktionsfähigen und deshalb vertrauenswürdigen Stellen ordnungsgemäß angewendet werden631. Es besteht mithin ein gegenseitiges Interesse an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Rechtsprechung und der öffentlichen Verwaltung in den anderen EU-Mitgliedstaaten. Demzufolge kann der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beeinträchtigt werden, indem besagtes vertrauensgetragene Kooperationsverhältnis der EU-Mitgliedstaaten verletzt wird, was wiederum der Fall ist, wenn die Funktionsfähigkeit eines Gerichts oder der Verwaltung eines Mitgliedstaats durch eine strafrechtlich relevante Handlung behindert wird. Insofern muss es jedem EU-Mitgliedstaat möglich sein, auch die Rechtspflege sowie die öffentlichen Verwaltungen und damit als staatliche Allgemeinrechtsgüter zu qualifizierende Interessen der anderen Mitgliedsländer durch ihr nationales Strafrecht zu schützen. Dass dieser intermitgliedstaatliche 631

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Rechtsgüterschutz bezüglich staatlicher Interessen geboten sein kann, zeigt auch der an die jeweiligen Vertragsstaaten gerichtete wechselseitige strafrechtliche Schutzauftrag in den Art. 42 SDÜ und 15 EU-RhÜbk für den Fall des hoheitlichen Tätigwerdens im Ausland632. Dementsprechend kann die aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV die wechselseitige Ahndung straftatbestandsmäßigen Verhaltens und damit den strafrechtlichen Schutz innerstaatlicher Allgemeinrechtsgüter erforderlich machen. In Bezug auf Bestechungshandlungen wird besagte Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten verkörpert durch das Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind mit seiner an die Mitgliedstaaten adressierten Vorgabe, zur Verbesserung ihrer justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auch die Bestechlichkeit und­ Bestechung von Amtsträgern der anderen Mitgliedstaaten ohne unmittelbaren Bezug zu den finanziellen Interessen der EU zu sanktionieren633. Der gegenseitige Schutz der mitgliedstaatlichen Verwaltungen wurde damit zur Unionsaufgabe erhoben634. Der deutsche Strafgesetzgeber ist dieser Verpflichtung mit der unbeschränkten Erstreckung des Anwendungsbereichs der §§ 332 und 334 StGB auf die aktive und passive Bestechung mitgliedstaatlicher Amtsträger durch Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr.  1  lit.  a und Abs.  1 Nr.  2  lit.  a EUBestG, dessen Regelung sich nunmehr in § 335a Abs. 1 Nr. 1 und 2 lit. a StGB wiederfindet, nachgekommen. Die ursprünglich dem Schutz der Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der innerstaatlichen Verwaltung dienenden Straftatbestände beziehen damit nun auch die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der Verwaltungen der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich ein635. Obwohl vorliegend das die mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht nach Art. 4 Abs.  3 EUV auslösende Gleichstellungsgebot mangels identischer oder zumindest funktional gleichwertiger Rechtsgüter auf EU- und auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht erfüllt ist, hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden, durch eine Schutzbereichserweiterung der §§ 332 und 334 StGB seiner mitgliedstaatlichen Verpflichtung nachzukommen, Beeinträchtigungen des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Sinne der Mindesttrias, die in diesem Fall die unionsrechtlich vorgegebene Untergrenze der strafrechtlichen Schutzpflicht bildet, wirksam, angemessen und abschreckend zu sanktionieren. Aufgrund der funktionalen Gleichwertigkeit der in den Schutzbereich seiner nationalen Straftatbestände­ 632

Vgl. 5. Kap. A. I. 10. Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 634 LK/Sowada, Vor § 331, Rn. 27; Pieth, ZStW 1997, S. 756, 772. 635 Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 633

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

einbezogenen Verwaltungen der anderen EU-Mitgliedstaaten mit der originär durch die betreffenden Strafnormen geschützten innerstaatlichen Verwaltung, war er in der Lage, den Schutz der mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgüter harmonisch in die deutsche Strafrechtsordnung einzufügen und hat so seinen ihm zustehenden Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Setzung von Kriminalstrafrecht optimal genutzt. Geschaffen worden ist eine Balance zwischen der den deutschen Staat gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV treffenden Assimilierungspflicht und seiner nationalen Souveränität. Ein aufgedrängter Rechtsgüterschutz dadurch, dass nach § 335a Abs.  1 Nr.  1 und 2 lit. a StGB auch die Verwaltungen anderer Mitgliedstaaten vor Bestechungshandlungen i. S. d. §§ 332 und 334 StGB geschützt werden, wenn diese in der eigenen Rechtsordnung jedoch überhaupt keine Straftat darstellen, kann wiederum durch das Erfordernis einer Ermächtigung durch den betreffenden Rechtsguts­ trägermitgliedstaat zu dem Schutz seiner staatlichen Allgemeinrechtsgüter durch die §§ 332, 334, jeweils auch i. V. m. § 335 StGB, vermieden werden636. 3. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Anknüpfungspunkt ist wiederum der in den Art. 67 ff. AEUV normierte Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Dabei betrifft der Aspekt der Sicherheit als sein wesentliches Element die Sicherheitslage im gesamten europäischen Rechtsraum als innere Sicherheit der EU. Im Verhältnis dazu umfasst die innere Sicherheit in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten die Sicherheitslage innerhalb der nationalen Staatsgrenzen637, zu der auch das sicherheitsrechtliche Interesse eines jeden Mitgliedstaats im Hinblick auf sein staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht zu zählen ist. Jene nationalen Interessen, die nach der deutschen Dogmatik als staatliche Allgemeinrechtsgüter eingeordnet werden können, fallen als Kerngehalt staatlicher Souveränität in den Aufgabenbereich der einzelnen Mitgliedsländer638. Aufgrund der fehlenden Harmonisierung der das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht betreffenden Rechtsvorschriften, bestehen die diesbezüglichen sicherheitsrechtlichen Interessen der Mitgliedstaaten grundsätzlich separat und unabhängig voneinander, so dass auch in ihrem Fall nicht von einer Überformung im Sinne einer 636

Vgl. 6. Kap. D. IV. 1. b. Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) aa). 638 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) aa). 637

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Verschmelzung mitgliedstaatlicher Rechtsgüter zu einem supranationalen europäischen Rechtsgut gesprochen werden kann. Gleichwohl ist die Funktionsfähigkeit des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV abhängig von der Wahrung der inneren Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten. Denn den EU-Mitgliedstaaten obliegt die Aufgabe, durch die Koordination und Kooperation der nationalen Polizei-, Verwaltungsbehörden sowie der Organe der Strafrechtspflege und damit durch einen Zusammenschluss der mitgliedstaatlichen Justiz- und Verwaltungsorgane zu einem unionsweiten Sicherheitsnetz im Raum der Sicherheit grenzüberschreitende Kriminalitätsformen abzuwehren639. Art.  83 Abs.  1 UAbs.  2 AEUV zeigt, dass hierzu auch die Zusammenarbeit der für die Durchsetzung des sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht zuständigen nationalen Verwaltungsbehörden gehört. Basis jener intermitgliedstaatlichen Kooperation stellt das Prinzip gegenseitigen Vertrauens als spezielle Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV dar. Als Substitut für die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen auf dem Gebiet des Waffenrechts bildet das Treueelement das Bindeglied zwischen den voneinander unabhängig bestehenden staatlichen Allgemeinrechtsgütern640. Im Hinblick auf dieses Abhängigkeitsverhältnis des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV von der auf dem Grundsatz gegenseitigen Vertrauens basierenden Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden, die zur Durchsetzung des nationalen sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht zuständig sind, kann im weiteren Sinne gleichsam von einer „Überformung“ von als staatliche Allgemeinrechtsgüter einzuordnenden Interessen der EU-Mitgliedstaaten durch ein supranationales europäisches Rechtsgut gesprochen werden. b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht durch die EU-Mitgliedstaaten Die EU-Mitgliedstaaten müssen aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV mittels ihres nationalen Kriminalstrafrechts schützen641. Wie gesehen, basiert der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts auf der Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Polizei-, Verwaltungs- und Justizbehörden. Diese müssen aufgrund des Prinzips gegenseitigen Vertrauens, das 639

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) aa). Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) bb). 641 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. b). 640

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

ihr Kooperationsverhältnis prägt, darauf vertrauen können, dass ihre nationalen Rechtsordnungen gleichwertig sind und von funktionsfähigen und deshalb vertrauenswürdigen Stellen ordnungsgemäß angewendet werden. Im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts besteht mithin ein gegenseitiges Interesse der EU-Mitgliedstaaten an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer Verwaltungs- und Justizbehörden642. Demzufolge ist von einer Verletzung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art.  67 ff. AEUV auszugehen, wenn das vertrauensvolle Kooperationsverhältnis der EU-Mitgliedstaaten dadurch tangiert wird, dass die Funktionsfähigkeit einer mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörde beeinträchtigt wird, indem diese durch eine strafrechtlich relevante Handlung an der Durchsetzung nationaler sicherheitsrechtlicher Interessen gehindert wird. Um einen lücken­losen strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gewährleisten zu können, müssen die Mitgliedstaaten demnach in der Lage sein, auch ihre sicherheitsrechtlichen Interessen gegenseitig strafrechtlich zu schützen. Die den EU-Mitgliedstaaten nach Art.  4 Abs.  3 EUV obliegende Verpflichtung zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV kann somit auch den wechselseitigen strafrechtlichen Schutz speziell der sicherheitsrechtlichen Interessen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihr staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht erforderlich machen. Verkörpert wird diese Ausprägung der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf den Raum der Freiheit der Sicherheit und des Rechts durch die europäische Waffenrichtlinie. Denn diese verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit auf dem europäischen Binnenmarkt als Raum ohne Personen- und Sicherheitskontrollen, Verstöße gegen das Waffenrecht auf mitgliedstaatlicher Ebene zu sanktionieren643. Insoweit wurde auch der Schutz des sicherheitsrechtlichen Interesses der einzelnen Mitgliedstaaten in Bezug auf das Waffenrecht zur Unionsaufgabe erhoben. Diese mitgliedstaatliche Verpflichtung hat der deutsche Gesetzgeber erfüllt, indem er gemäß § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG auch Tathandlungen, die gegen waffenrechtliche Verwaltungsvorschriften anderer EU-Mitgliedstaaten verstoßen, unter Strafe stellt. Die ursprünglich dem Schutz des sicherheitsrechtlichen Interesses der Bundesrepublik im Hinblick auf ihr staatliches Gewaltmonopol dienenden Straftatbestände im Waffenrecht beziehen somit nun auch das sicherheitsrechtliche Interesse der anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf deren staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht in ihren Schutzbereich ein644. Auch in diesem Fall hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden, seiner mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht bezüglich des Raums der 642

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) bb). Vgl. 5. Kap. C. I. 3. 644 Vgl. 5. Kap. C. I. 3. 643

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV im Wege einer straftatbestandlichen Schutzbereichserweiterung nachzukommen, obgleich das die mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht nach Art.  4 Abs.  3 EUV auslösende Gleichstellungsgebot mangels identischer oder zumindest funktional gleichwertiger Rechtsgüter auf EU- und auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht erfüllt ist. Denn aufgrund der funktionalen Gleichwertigkeit der in den Schutzbereich seiner nationalen Straftatbestände einbezogenen mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgüter mit den originär durch die betreffenden Strafnormen geschützten innerstaatlichen Allgemeinrechtsgütern war es ihm gleichwohl möglich, den Schutz des sicherheitsrechtlichen Interesses der anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihr staatliches Gewaltmonopol im Waffenrecht harmonisch in die deutsche Strafrechtsordnung einzufügen. So konnte wiederum ein Ausgleich zwischen der die Bundesrepublik gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV treffenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht und ihrer souveränen Staatlichkeit geschaffen werden. Ein aufgedrängter Rechtsgüterschutz dadurch, dass gemäß § 52 Abs.  3 Nr.  4 WaffG möglicherweise auch Verletzungen sicherheitsrechtlicher Interessen der anderen Mitgliedstaaten in Bezug auf das Waffenrecht geahndet werden, die in ihrer eigenen Rechtsordnung keine Straftat darstellen, kann wiederum durch das Erfordernis einer Ermächtigung durch den betreffenden Rechtsgutsträgermitgliedstaat zum Schutz seiner staatlichen Allgemeinrechtsgüter durch § 52 Abs. 3 Nr. 4 WaffG vermieden werden645. 4. Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihres sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses a) Überformung der mitgliedstaatlichen Rechtsgüter durch ein supranationales europäisches Rechtsgut Ausgangspunkt ist die in den Art. 206, 207 AEUV normierte gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union. Sie betrifft den Außenhandel der EU mit Drittstaaten und bildet somit die Fortsetzung des einen einheitlichen europäischen Wirtschaftsraum verfolgenden Binnenmarktkonzepts646. Als Unionspolitik ist auch die gemeinsame Handelspolitik als supranationales europäisches Rechtsgut zu qualifizieren, zu deren Durchsetzung auf Grundlage des Art. 207 AEUV diverse Sekundärrechtsakte erlassen wurden, um das supranationale Außenhandelsrecht in den EU-Mitgliedstaaten zu implementieren647. Das nationale Außenhandelsrecht 645

Vgl. 6. Kap. D. IV. 1. b). Grabitz/Hilf/Nettesheim/Weiß, Art. 207 AEUV, Rn. 28. 647 Vgl. 6.  Kap.  C. II. 2.  c). Ein Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte der autono­men Außenhandelspolitik der EU findet sich bei Grabitz/Hilf/Nettesheim/Weiß, Art. 207 AEUV, Rn. 124 ff. 646

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

der Mitgliedstaaten wurde so durch das supranationale Außenhandelsrecht ausgeformt, das nun in den Mitgliedstaaten als ihr harmonisiertes nationales Außenhandelsrecht gilt. Insofern wurde die autonome Außenhandelspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten überformt und zu einem einheitlichen Rechtsgut erhoben, das auf supranationaler Ebene zu schützen ist. In Anbetracht der ausschließlichen Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet der Handelspolitik gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV sind parallele Außenhandelsaktivitäten der Mitgliedstaaten grundsätzlich unzulässig648. Eine Ausnahme bildet jedoch die autonome Handelspolitik der EU-Mitgliedsländer, soweit sie diesen aus sicherheitspolitschen Gründen vorbehalten bleibt649. So sind die Mitgliedstaaten nach Art. 346 Abs. 1 lit. b i. V. m. Abs. 2 AEUV berechtigt, zur Wahrung ihrer nationalen Sicherheitsinteressen betreffend den Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial autonome Maßnahmen zu treffen. Hierzu gehören auch die mitgliedstaatlichen Genehmigungskompetenzen für Waren mit doppeltem Verwendungszweck (Dual-Use-Güter)650. Nach Art. 36 AEUV zulässig sind zudem nationale Ausfuhrverbote für Dual-Use-Güter aus Gründen der äußeren Sicherheit651. Hinsichtlich seiner sicherheitsrechtlichen Ausprägungen wurde der in der deutschen Rechtsordnung im AWG und in der AWV geregelte Außenhandel der Mitgliedstaaten folglich nicht durch das supranationale Außenhandelsrecht überformt. Vielmehr bestehen diese sicherheitsrechtlichen Interessen der Mitgliedstaaten, zu denen auch das als staatliches Allgemeinrechtsgut einzuordnende sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse zu zählen ist, in den einzelnen Mitgliedstaaten weiterhin separat und unabhängig voneinander. Allerdings ist auch in diesem Zusammenhang das Abhängigkeitsverhältnis des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV von der Sicherheitsgarantie innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten zu beachten, der sich gerade auf die Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Justiz- und Verwaltungsbehörden gründet, zu denen auch diejenigen zu zählen sind, die mit der Gewährleistung des innerstaatlichen sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses betraut sind. Die Kooperation der nationalen Verwaltungsbehörden wird wiederum beherrscht von dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens als spezielle Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV, der das Substitut für die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und damit das Bindeglied zwischen den voneinander unabhängig bestehenden staatlichen Allgemeinrechtsgütern bildet652. In Anbetracht dieses Abhängigkeitsver 648

Geiger/Khan/Kotzur, Art. 207 AEUV, Rn. 13. Streinz/Nettesheim/Duvigneau, Art. 207 AEUV, Rn. 19. 650 Streinz/Nettesheim/Duvigneau, Art.  207 AEUV, Rn.  19; Geiger/Khan/Kotzur, Art.  346 AEUV, Rn. 8; vgl. zu der Problematik um die Anwendung des § 346 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 AEUV auf Dual-Use-Güter eingehend Streinz/Kokott, Art. 346 AEUV, Rn. 8 ff. 651 Streinz/Kokott, Art. 346 AEUV, Rn. 14; Streinz/Schroeder, Art. 36 AEUV, Rn. 12. 652 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 649

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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hältnisses der Funktionsfähigkeit des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV von der vertrauensgetragenen Kooperation auch derjenigen mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden, die der Wahrung des nationalen sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses dienen, kann im weiteren Sinne gleichsam von einer „Überformung“ dieser als staatliche Allgemeinrechtsgüter einzuordnenden Interessen der EU-Mitgliedstaaten durch ein supranationales europäisches Rechtsgut ausgegangen werden. b) Erforderlichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses durch die EU-Mitgliedstaaten Die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende strafrechtliche Assimilierungspflicht gebietet, dass die EU-Mitgliedstaaten auch den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV mittels ihres nationalen Kriminalstrafrechts schützen653. Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gründet sich, wie gesehen, auf die Kooperation auch derjenigen mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörden, die mit der Durchsetzung des Außenwirtschaftsrechts betraut sind. Diese müssen aufgrund des Prinzips gegenseitigen Vertrauens darauf vertrauen können, dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind und von funktionsfähigen und deshalb vertrauenswürdigen Stellen ordnungsgemäß angewendet werden654. Demzufolge muss von einer Verletzung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ausgegangen werden, wenn das vom gegenseitigen Vertrauen getragene Kooperationsverhältnis der EU-Mitgliedstaaten tangiert wird, was wiederum der Fall ist, wenn eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit einer mitgliedstaatlichen Verwaltungsbehörde gegeben ist, indem diese durch eine strafrechtlich relevante Handlung an der Wahrung des nationalen sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses gehindert wird. Um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umfassend strafrechtlich schützen zu können, muss es den Mitgliedsländern demnach möglich sein, auch diese Verwaltungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten in ihren nationalen Strafrechtsschutz einzubeziehen. Die den EU-Mitgliedstaaten nach Art.  4 Abs.  3 EUV obliegende Verpflichtung zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts kann insofern auch den wechselseitigen strafrechtlichen Schutz speziell der sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteressen der Mitgliedstaaten erfordern. Diese Ausprägung der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV wird verkörpert durch die europäische Dual-Use-Güter 653

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. b). Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a).

654

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Verordnung. Denn diese hält die Mitgliedstaaten an, zur Gewährleistung der europäischen Sicherheit in Bezug auf die Verbringung von bestimmten Gütern mit doppeltem Verwendungszweck wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionsregelungen festzulegen655. Damit wurde auch der Schutz des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses zur Unionsaufgabe erhoben. Der deutsche Gesetzgeber ist dieser unionsrechtlichen Verpflichtung nachgekommen, indem er nach § 18 Abs.  5 S.  1 Nr.  1 bis 4 AWG auch Tathandlungen mit Strafe bewehrt, die gegen exportrechtliche Verwaltungsvorschriften anderer EU-Mitgliedstaaten verstoßen. Damit beziehen die ursprünglich dem Schutz des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses der Bundesrepublik dienenden Strafnormen nun auch das sicherheitsrechtliche Exportkontrollinteresse der anderen Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich ein656. Obwohl, wie in den vorstehenden Fällen, das die mitgliedstaatliche Assimilierungspflicht nach Art.  4 Abs.  3 EUV auslösende Gleichstellungsgebot mangels identischer oder zumindest funktional gleichwertiger Rechtsgüter auf EU- und auf mitgliedstaatlicher Ebene nicht erfüllt ist, hat sich der deutsche Gesetzgeber entschieden, seiner mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV betreffend durch eine straftatbestandliche Schutzbereichserweiterung nachzukommen. Aufgrund der funktionalen Gleichwertigkeit des in den Schutzbereich der nationalen Straftatbestände einbezogenen sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses der anderen EU-Mitgliedstaaten mit dem originär durch die betreffenden Strafnormen geschützten sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresse Deutschlands hat er den Schutz der mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgüter harmonisch in die deutsche Strafrechtsordnung eingefügt. So konnte wiederum eine Balance geschaffen werden zwischen der den deutschen Staat gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV treffenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht und seiner weiterhin bestehenden Souveränität. Auch in diesem Fall kann ein aufgedrängter Rechtsgüterschutz dadurch, dass nach § 18 Abs.  5 S.  1 Nr.  1 bis 4 AWG eventuell auch Beeinträchtigungen des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses der anderen EU-Mitgliedstaaten sanktioniert werden, die in ihrer eigenen Rechtsordnung gar keine Straftat darstellen, durch das Erfordernis einer Ermächtigung durch den betreffenden Rechtsguts­ trägermitgliedstaat zu dem Schutz seiner staatlichen Allgemeinrechtsgüter durch § 18 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 bis 4 AWG vermieden werden657.658 655

Vgl. 5. Kap. C. I. 4. Vgl. 5. Kap. C. I. 4. 657 Vgl. 6. Kap. D. IV. 1. b). 658 Vgl. in diesem Zusammenhang wiederum die Art.  42 SDÜ und 15 EU-RhÜbk [5. Kap. A. I. 10.], die eine ebenfalls unionsrechtlich motivierte, ausdrückliche Schutzbereichserweiterung deutscher Strafvorschriften auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter bewirken. 656

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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V. Zwischenfazit Festgehalten werden kann, dass die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EUMitgliedstaaten wegen ihres sie kennzeichnenden Bezugs zu dem eigenen Staatsapparat voneinander unabhängig bestehen. Sie betreffen Rechtsbereiche, die gerade aufgrund ihrer Verkörperung der staatlichen Souveränität des eigenen Lands bislang nicht der Kompetenz der EU unterliegen und demnach nicht durch das Unionsrecht harmonisiert wurden, so dass die mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgüter nicht durch ein supranationales europäisches Rechtsgut in der Weise überformt wurden, dass sie nun als Teile eines identischen supranationalen Interesses qualifiziert werden könnten. Der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten in Bezug auf die supranationalen europäischen Rechtsgüter folgt deshalb nicht, wie im Fall der kollektiven Allgemeinrechtsgüter, eine wechselseitige Schutzpflicht der Mitgliedstaaten bezüglich ihrer staatlichen Allgemeinrechtsgüter unmittelbar. Gleichwohl bestehen Zusammenhänge zwischen supranationalen europäischen Rechtsgütern und nationalen staatlichen Interessen der EU-Mitgliedstaaten. So sind die finanziellen Interessen der EU i. S. d. Art. 325 AEUV sehr wohl abhängig von dem staatlichen Vermögen der Mitgliedsländer, und insbesondere der in den Art. 67 ff. AEUV primärrechtlich verankerte Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gründet sich gerade auf die Zusammenarbeit der mitgliedstaatlichen Justiz- und Verwaltungsbehörden, die zum einen selbst Rechtsgüter konstituieren, die nach der deutschen Dogmatik als staatliche Allgemeinrechtsgüter einzuordnen sind, aber auch der Durchsetzung des als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierenden sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht beziehungsweise des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses der EU-Mitgliedstaaten dienen. Die intermitgliedstaatliche Kooperation im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nach den Art. 67 ff. AEUV wird beherrscht von dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens als spezielle Ausprägung des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV. Der auch die EU-Mitgliedsländer untereinander zu einer vertrauensvollen Kooperation verpflichtende Grundsatz wirkt in diesem Fall als Bindeglied zwischen den unabhängig bestehenden mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern. Der Treueaspekt bildet insofern das Substitut für die fehlende Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen im Bereich der staatlichen Allgemeinrechtsgüter. Die Abhängigkeit der Funktionsfähigkeit der supranationalen europäischen Rechtsgüter von den staatlichen Allgemeinrechtsgütern der EU-Mitgliedstaaten führt dazu, dass eine Beeinträchtigung der betreffenden staatlichen Allgemeinrechtsgüter auf mitgliedstaatlicher Ebene sich auch auf die europäischen Rechtsgüter auswirkt. Um ihren umfassenden strafrechtlichen Schutz gewährleisten zu

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

können, ergibt sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV für die Mitgliedstaaten mithin gleichsam die Pflicht, ihr nationales Strafrecht auch zum Schutz von staatlichen Allgemeinrechtsgütern der anderen Mitgliedstaaten zu funktionalisieren. Bezüglich des Vermögens, der Lauterkeit der Verwaltungen, des sicherheitsrechtlichen Interesses im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol im Waffenrecht sowie des sicherheitsrechtlichen Exportkontrollinteresses der anderen EU-Mitgliedstaaten ist der deutsche Staat seiner sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Assimilierungspflicht durch strafgesetzgeberisches Tätigwerden nachgekommen. Hierbei konnte die strafrechtlichen Schonung der deutschen Strafvorschriften dadurch gewährleistet werden, dass die nun in den Schutzbereich der deutschen Straftatbestände einbezogenen staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten den nationalen staatlichen Allgemeinrechtsgütern funktional entsprechen und so ein Ausgleich geschaffen werden konnte zwischen der den deutschen Staat als Mitglied der EU nach Art. 4 Abs. 3 EUV treffenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht und seiner nationalen Autonomie, die sich speziell in der souveränen Kriminalstrafsetzung widerspiegelt. Ein aus Sicht des Rechts­ gutsträgermitgliedstaats aufgedrängter Rechtsgüterschutz kann durch das Erfordernis einer Ermächtigung zum Schutz seiner staatlichen Allgemeinrechtsgüter vermieden werden.

VI. Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf staatliche Allgemeinrechtsgüter anderer EU-Mitgliedstaaten durch Auslegung Indes kann der aus Art.  4 Abs.  3 EUV folgenden gesamtstaatlichen Pflicht der EU-Mitgliedstaaten zur Assimilierung ihres nationalen Strafrechts neben der Schaffung von Straftatbeständen auch durch Auslegung bestehender Strafvorschriften nachgekommen werden659. Von vornherein ausgeschlossen werden muss jedoch eine schutzbereichserweiternde Auslegung derjenigen Straftatbestände, deren Gesetzeswortlaut eine Beschränkung auf die inländischen staatlichen Allgemeinrechtsgüter vorgibt660. So enthalten die Tatbestände der §§ 80 und 80a StGB, der §§ 81 ff. StGB und der §§ 93 ff. StGB mit ihrer ausdrücklichen Inbezugnahme der Bundesrepublik Deutschland eine dementsprechend schutzbereichsbeschränkende Wortlautgrenze661, wie auch die §§ 84 ff. StGB, die ihrer Überschrift gemäß diejenigen Straftatbestände normieren, die den durch das Grundgesetz definierten demokratischen Rechtsstaat 659

Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb). Vgl. 4. Kap. C. II. 661 Schröder, NJW 1968, S. 283. 660

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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der Bundesrepublik Deutschland als Schutzgut betreffen662, weiter die §§ 105 bis 106b StGB, die Straftaten ausschließlich gegen die Verfassungsorgane des deutschen Bundes oder der Länder der Bundesrepublik normieren663 sowie die §§ 109 bis 109k StGB aufgrund ihrer expliziten Inbezugnahme der deutschen Bundeswehr beziehungsweise der ausschließlich Deutsche i. S. d. § 1 WPflG betreffenden Wehrpflicht664. Eine schutzbereichsbeschränkende Wortlautgrenze ist darüber hinaus denjenigen Straftatbeständen zu entnehmen, die die ausdrücklich auf das deutsche Recht beschränkten Tatbestandsmerkmale i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB enthalten665, wie § 113 StGB i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 lit. a StGB666, § 120 Abs. 2 StGB i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB667, § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB668, § 258a StGB i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB669 oder die §§ 331 ff. StGB i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB670. Jene Straftatbestände sind aufgrund ihres entgegenstehenden Wortlauts einer schutzbereichserweiternden Auslegung auf die staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten unzugänglich. Hingegen kann die Auslegung neutral formulierter Straftatbestände im Lichte der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten eine Einbeziehung von nach dem deutschen Verständnis als staatliche Allgemeinrechtsgüter qualifizierten Interessen der anderen EU-Mitgliedstaaten zur Folge haben, soweit diese mit einem supranationalen Rechtsgut derart in Zusammenhang stehen, dass ihre Verletzung gleichsam eine Beeinträchtigung eines supranationalen europäischen Rechtsguts bedeutet. 1. §§ 120 Abs. 1 StGB, 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB § 120 StGB enthält den Straftatbestand der Gefangenenbefreiung. Nach § 120 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer einen Gefangenen befreit, ihn zum Entweichen verleitet oder ihn dabei fördert. § 121 StGB regelt die Gefangenenmeuterei und bestraft Gefangene, die sich zusammenrotten und mit vereinten Kräften gemäß Abs. 1 Nr. 2 gewaltsam ausbrechen oder nach Abs. 1 Nr. 3 gewaltsam einen von 662

LK/Laufhütte/Kuschel, Vor § 80, Rn. 20. Schönke/Schröder/Eser, § Vor §§ 105–108e, Rn. 2; NK/Wohlers/Kargl, Vor §§ 105–108e, Rn. 1. 664 Schönke/Schröder/Eser, § 109, Rn. 3. 665 Vgl. 4. Kap. C. II. 666 NK/Paeffgen, § 113, Rn. 14; MüKo/Bosch, § 113, Rn. 8. 667 LK/Rosenau, § 120, Rn. 5; NK/Ostendorf, § 120, Rn. 10; MüKo/Bosch, § 120, Rn. 25. 668 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  295; Schönke/Schröder/Eser, § 121, Rn.  7; MüKo/ Bosch, § 121, Rn. 12 f. 669 NK/Altenhain, § 258a, Rn.  3; MüKo/Cramer/Pascal, § 258a, Rn.  2; Schönke/Schröder/ Stree/Hecker, § 258a, Rn. 3. 670 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 295; Schönke/Schröder/Heine/Eisele, Vor §§ 331 ff., Rn. 2. 663

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

ihnen oder einem anderen Gefangenen zum Ausbruch verhelfen. Schutzgut beider Vorschriften bildet der amtliche Gewahrsam über die gefangenen Personen671. Es stellt sich die Frage, ob § 120 Abs. 1 und § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB im Lichte der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht dahingehend ausgelegt werden können, dass ihr Schutzbereich auch den amtlichen Gewahrsam anderer EU-Mitgliedstaaten erfasst. Das Schutzgut des amtlichen Gewahrsams stellt ein staatliches Allgemeinrechtsgut dar, weshalb die §§ 120, 121 StGB dem traditionellen Grundsatz gemäß auf den Schutz des deutschen amtlichen Gewahrsams beschränkt werden672. Bezüglich der Strafbestimmungen des § 120 Abs.  2 StGB und des § 121 Abs.  1 Nr. 1 StGB mit ihren Tatbestandsmerkmalen des ausschließlich nach deutschem Recht bestellten Amtsträgers i. S. d. § 11 Abs.  1 Nr.  2 StGB, des Richters i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 3 StGB und des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten“ nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB ergibt sich diese Schutzbereichsbeschränkung zwingend aus dem Gesetzeswortlaut673. Zwar enthalten die §§ 120 Abs. 1 und 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB keine dementsprechend schutzbereichsverkürzende Wortlautgrenze. Zumindest eine Schutzbereichserweiterung des § 120 Abs. 1 StGB begegnet jedoch systematischen Bedenken674. So beinhaltet § 120 Abs. 1 StGB den Grundtatbestand der Gefangenenbefreiung, während im Qualifikationstatbestand des § 120 Abs. 2 StGB die besagten Tatbestandsmerkmale des Amtsträgers gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB beziehungsweise des für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten i.S.d § 11 Abs. 1 Nr. 4 StGB eine Strafschärfung begründen675. Als gesetzliche Kriterien für die Abstufung der Strafhöhe müssen beide Merkmale eindeutig und trennscharf sein676. Wie gesehen, werden von § 11 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB ausschließlich die nach deutschem Recht bestellten Amtsträger und für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten umfasst. Die gesetzliche Vorgabe des § 120 Abs. 2 StGB, dass nur die i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 oder 4 StGB definierte Amtsträgereigenschaft strafschärfend wirkt, würde jedoch unterlaufen, wenn aufgrund einer Auslegung im Hinblick auf die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV der Anwendungsbereich des in § 120 Abs.  1 StGB enthaltenen Grundtatbestands auch das Verhalten ausländischer Amtsträger erfassen könnte. Deshalb erscheint es vorzugswürdig, dieser 671

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. Vgl. 4. Kap. C. II. 673 Vgl. 4. Kap. C. II. und 6. Kap. D. VI. 674 Vgl. in diesem Zusammenhang BGH NJW 2010, S.  1979, 1981 f., der eine extensive Auslegung des Vereinigungsbegriffs i. S. d. § 129 Abs. 1 StGB im Hinblick auf den Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13.6.2002 zur Terrorismusbekämpfung [vgl. 5.  Kap.  A. II. 1.] aus gesetzessystematischen Gründen ablehnt. 675 Fischer, § 120, Rn. 8. 676 Vgl. bereits die Argumentation des BGH NStZ 2008, S. 146, 148 f. zu seinen Bedenken gegen eine „europafreundliche“ Auslegung des Vereinigungsbegriffs i. S. d. § 129 Abs. 1 StGB. 672

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Auslegung des § 120 Abs. 1 StGB aufgrund entgegenstehender Gesetzessystematik keinen Raum zu geben. Hingegen begegnet eine entsprechende Auslegung des § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB keinen systematischen Bedenken. Zwar enthält auch § 121 Abs. 1 Nr. 1 StGB das Tatbestandsmerkmal i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB, dieses hat jedoch keine strafschärfende Wirkung, die es zu beachten gilt. § 121 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB enthalten lediglich verschiedene Begehungsformen desselben Delikts mit derselben Strafhöhe677. Eine Einbeziehung ausländischer Amtsträger in den Anwendungsbereich des § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB, die seine Auslegung vor dem Hintergrund der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs.  3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten mit sich bringen kann, steht demnach nicht in Widerspruch zur Gesetzessystematik. Folglich ist zumindest § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB als ein für eine Schutzbereichserweiterung auf die Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten offener Straftatbestand zu qualifizieren. Der durch die §§ 120, 121 StGB geschützte amtliche Gewahrsam an den gefangenen Personen muss durch einen hoheitlichen Akt der Polizei, einer Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts begründet worden sein678. Wie erörtert, bestehen jene Staatsorgane aufgrund ihres sie auszeichnenden engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten autonom und unabhängig voneinander. Der von ihnen auf ihrem Hoheitsgebiet ausgeübte amtliche Gewahrsam kann deshalb nicht als durch das Unionsrecht ausgeformter Teil eines nun supranational geschützten, europäischen Rechtsguts qualifiziert werden, mit der Folge dass, wie im Fall der kollektiven Allgemeinrechtsgüter, der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht in Bezug auf ein supranationales europäisches Rechtsgut unmittelbar eine wechselseitige Schutzpflicht bezüglich ihrer staatlichen Allgemeinrechtsgüter folgen würde679. Zu beachten gilt allerdings auch in diesem Fall das Abhängigkeitsverhältnis des supranationalen europäischen Rechtsguts des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV von der Funktionsfähigkeit der mitgliedstaatlichen Justizbehörden insofern, als sich dieser gerade auf die Koordination und Kooperation der öffentlichen Behörden auf horizontaler Ebene gründet. Wie gesehen, ist das zwischenstaatliche Kooperationsverhältnis der Mitgliedsländer im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geprägt von dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens als Ausprägung des zwischen den Mitgliedstaaten wirkenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV. Nach dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens müssen die Mitgliedstaaten wechselseitig darauf vertrauen können, dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind 677

NK/Ostendorf, § 121, Rn. 24. NK/Ostendorf, § 120, Rn. 6; § 121, Rn. 12. 679 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 678

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

und von funktionsfähigen und damit vertrauenswürdigen innerstaatlichen Stellen ordnungsgemäß angewendet werden. Es besteht somit ein Interesse eines jeden EU-Mitgliedstaats auch an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Justizbehörden der anderen Mitgliedstaaten680. Insoweit ist einem Mitgliedstaat auch daran gelegen, dass der amtliche Gewahrsam über gefangene Personen in den anderen Mitgliedsländern unbeeinträchtigt ausgeübt werden kann. Dies muss insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV als wesentliches Element der mitgliedstaatlichen justiziellen Zusammenarbeit gelten, nach dem eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden muss681. So ist auf Grundlage des Anerkennungsgrundsatzes gemäß Art.  82 Abs.  1 S.  2 lit. a AEUV der Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren in den Mitgliedstaaten (RbEuHb)682 erlassen worden, der gemäß seines Art. 1 Abs. 1 den Europäischen Haftbefehl definiert als „justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt“ und damit das wechselseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten speziell in Bezug auf die für die Begründung des amtlichen Gewahrsams zuständigen, nationalen Behörden unabdingbar macht. Das Vertrauen eines Mitgliedstaats in die Funktionsfähigkeit einer Behörde eines anderen Mitgliedstaats, die für die amtliche Ingewahrsamnahme von Personen zuständig ist, wird allerdings tangiert, wenn diese an der Ausübung ihres Gewahrsams über eine Person durch ein den Tatbestand der Gefangenenmeuterei nach § 121 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 StGB erfüllendes Verhalten gehindert wird. Daher muss jeder Mitgliedstaat in der Lage sein, auch den behördlichen Gewahrsam der anderen Mitgliedsländer strafrechtlich zu schützen. Der umfassende strafrechtliche Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV, von den EU-Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zu gewährleisten, erfordert demnach ihre Befähigung zur wechselseitigen Ahndung von Gefangenenmeutereien i. S. d. § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB. Damit obliegt es auch dem deutschen Strafrechtsanwender, der mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht entsprechend, den als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierenden amtlichen Gewahrsam der anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB einzubeziehen. Wegen der funktionalen Gleichwertigkeit des innerstaatlichen Gewahrsams als ursprüngliches Schutzgut und des amtlichen Gewahr-

680

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) bb). Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) aa). 682 ABl. EG 2002 Nr.  L 190, S.  1, zuletzt geändert durch Änderungsrahmenbeschluss 2009/299/EG vom 26.2.2009 (ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24). 681

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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sams der anderen Mitgliedstaaten, fügt sich diese Schutzbereichserweiterung harmonisch in die deutsche Strafrechtsordnung ein. Eine Auslegung des § 121 Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB im Lichte der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht führt somit zu der Einbeziehung auch des amtlichen Gewahrsams der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich. 2. § 123 Abs. 1 4. Fall StGB § 123 Abs. 1 4. Fall StGB regelt den Hausfriedensbruch bezüglich zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmter Räume. Es macht sich strafbar, wer in abgeschlossene Räume, die zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt oder unbefugt darin verweilt und sich trotz Aufforderung des Berechtigten nicht entfernt. Geschütztes Rechtsgut des § 123 Abs.  1 4.  Fall StGB ist das öffentliche Hausrecht683. Wiederum kann die Frage gestellt werden, ob § 123 Abs. 1 4. Fall StGB angesichts der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV dahingehend ausgelegt werden kann, dass sein Schutzbereich auch das öffentliche Hausrecht der anderen Mitgliedsländer erfasst. Das öffentliche Hausrecht ist als staatliches Allgemeinrechtsgut anzusehen, so dass § 123 Abs. 1 4. Fall StGB dem traditionellen Grundsatz nach ausschließlich das inländische Rechtsgut schützt684. Diese Schutzbereichsbeschränkung ergibt sich jedoch nicht zwingend aus dem Wortlaut der Vorschrift. So betrifft der Begriff der zum öffentlichen Dienst bestimmten Räume seiner Definition nach alle Räumlichkeiten, „in denen ihrer Bestimmung gemäß auf öffentlichrechtlichen Vorschriften beruhende Tätigkeiten ausgeübt werden, die der Erledigung staatlicher, kommunaler oder sonstiger öffentlicher Angelegenheiten dienen“685. Eine Einschränkung auf den deutschen öffentlichen Dienst enthält jene Begriffsbestimmung indes nicht. Insofern wird bereits die Tätigkeit internationaler Organisationen, an denen der deutsche Staat beteiligt ist, als von dem in den betroffenen Räumlichkeiten ausgeübten öffentlichen Dienst umfasst qualifiziert686, so dass auch das öffentliche Hausrecht dieser internationalen Organisationen Schutzgut des § 123 Abs. 1 4. Fall StGB bildet. Dementsprechend ist die neutral formulierte

683

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. Vgl. 4. Kap. C. II. 685 Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, § 123, Rn. 8; MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 22; ähnlich OLG Köln, NJW 1982, S. 2740; BeckOK/Rackow, § 123, Rn. 10; Lackner/Kühl, § 123, Rn. 4; LK/Lilie, § 123, Rn. 22; SK/Rudolphi/Stein, § 123, Rn. 30. 686 MüKo/Schäfer, § 123, Rn. 24. 684

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Bestimmung des § 123 Abs. 1 4. Fall StGB auch als offen für eine Schutzbereichserweiterung auf das öffentliche Hausrecht der anderen EU-Mitgliedstaaten zu beurteilen. Träger des öffentlichen Hausrechts sind diejenigen Organe, die in den jeweiligen Räumlichkeiten ihrer Entsprechung gemäß öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Wie gezeigt, bestehen jene Staatsorgane aufgrund ihres sie auszeichnenden engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten autonom und unabhängig voneinander. Das von ihnen auf ihrem Hoheitsgebiet ausgeübte öffentliche Hausrecht kann somit nicht als durch das Unionsrecht ausgeformter Teil eines nun supranational geschützten europäischen Rechtsguts qua­ lifiziert werden mit der Konsequenz, dass der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der Mitgliedsländer in Bezug auf ein supranationales Rechtsgut der EU unmittelbar eine wechselseitige Schutzpflicht folgen würde, die sich auf ihre staatlichen Allgemeinrechtsgüter bezieht. Allerdings ist auch in diesem Fall das Abhängigkeitsverhältnis des supranationalen europäischen Rechtsguts des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV von der Funktionsfähigkeit der Verwaltungs- und Justizbehörden der EU-Mitgliedsländer zu beachten, der sich gerade auf die Koordination und Kooperation der öffentlichen Behörden auf horizontaler Ebene gründet. Das zwischenstaatliche Kooperationsverhältnis der Mitgliedstaaten im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ist geprägt von dem Gebot gegenseitigen Vertrauens als Ausprägung des zwischen den Mitgliedstaaten wirkenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV, nach dem die Mitgliedstaaten wechselseitig darauf vertrauen können müssen, dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind und von funktionsfähigen und damit vertrauenswürdigen innerstaatlichen Stellen ordnungsgemäß angewandt werden. Es besteht demnach ein wechselseitiges Interesse der EU-Mitgliedsländer an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer nationalen öffentlichen Behörden und Dienststellen687. Dieses vertrauensgestützte mitgliedstaatliche Kooperationsverhältnis kann indes dadurch beeinträchtigt werden, dass eine innerstaatliche Dienststelle im Wege eines Hausfriedensbruchs gemäß § 123 Abs.  1 4.  Fall StGB an der Ausübung ihres öffentlichen Hausrechts gehindert wird. Eine uneingeschränkte vertrauensvolle Zusammenarbeit der EUMitgliedstaaten umfasst demnach auch die Möglichkeit des wechselseitigen strafrechtlichen Schutzes ihres öffentlichen Hausrechts. Der von den EU-Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zu gewährleistende umfassende strafrechtliche Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV bedarf folglich der gegenseitigen Ahndung von Hausfriedensbrüchen bezüglich zum öffentlichen Dienst bestimmter Räume durch die EU-Mitgliedstaaten, so dass auch der deutsche Strafrechtsanwender verpflichtet ist, das als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende öffentliche Hausrecht der anderen EU-Mitgliedstaaten durch § 123 Abs. 1 687

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a).

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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4.  Fall StGB zu schützen. Da die zu erfassenden mitgliedstaatlichen Interessen im Verhältnis zum ursprünglichen nationalen Schutzgut funktional gleichwertig sind, fügt sich diese Schutzbereichserweiterung ohne Systembruch in die deutsche Strafrechtsordnung ein. Mithin führt die Auslegung des § 123 Abs. 1 4. Fall StGB in Ansehung der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV folgenden, mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht zu der Einbeziehung auch des öffentlichen Hausrechts der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich. 3. § 132 StGB § 132 StGB regelt die Amtsanmaßung. Es wird bestraft, wer sich unbefugt mit der Ausübung eines öffentlichen Amts befasst oder eine Handlung vornimmt, die nur kraft eines öffentlichen Amts vorgenommen werden darf. Schutzgut des § 132 StGB ist die „Autorität des Staates und seiner Organe als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit einer jeden staatlichen Verwaltung und Rechtsprechung“688. Fraglich ist, ob auch diese Vorschrift vor dem Hintergrund der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV dahingehend ausgelegt werden kann, dass ihr Schutzbereich die staatliche Autorität der anderen EU-Mitgliedstaaten erfasst. Da es sich bei besagtem Schutzgut wiederum um ein staatliches Allgemeinrechtsgut handelt, wird § 132 StGB dem traditionellen Grundsatz nach als originär auf den Schutz des deutschen Interesses beschränkt eingeordnet689. Dementsprechend lehnt ein Teil der Literatur mit dem zusätzlichen Hinweis auf § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB mit seiner Legaldefinition des ausschließlich nach deutschem Recht bestellten Amtsträgers690, oder auf das Fehlen einer § 132a Abs. 1 Nr. 1 und 4 StGB entsprechenden Bestimmung beziehungsweise völkerrechtlich motivierter Gleichstellungsvorschriften691 die Anwendung des § 132 StGB auf missbräuchliche Handlungen in Bezug auf die supranationalen öffentlichen Ämter der EU ab. Dem wird jedoch entgegen gehalten, dem Wortlaut des § 132 StGB könne eine Beschränkung auf inländische öffentlicher Ämter gerade nicht entnommen werden und besagte Ämter der EU seien sehr wohl vom Schutzbereich der Vorschrift umfasst692. In der Tat enthält 688

Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter, S. 330; vgl. 3. Kap. B. II. 1. Vgl. 4. Kap. C. II. 690 LK/Krauß, § 132, Rn. 13, vgl. 4. Kap. C. II. 691 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132, Rn. 1; SK/Rudolphi/Stein, § 132, Rn. 5, MüKo/ Hohmann, § 132, Rn. 8, vgl. 5. Kap. A. I. 4. 692 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 42, 71; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ders., Europäisierung, S. 572 f.; ders., IntStR, S. 173; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 66; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; NK/Ostendorf, § 132, Rn. 10; Lackner/ Kühl, § 132, Rn. 4, vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb). 689

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine Begriffsbestimmung lediglich des Amtsträgers, nicht aber des Tatbestandsmerkmals des öffentlichen Amts i. S. d. § 132 StGB693. Dieses umfasst aber über die Amtsträger nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 StGB hinaus alle Ämter der Verwaltung und der Rechtspflege sowie von Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts, soweit sie staatlichen Zwecken zu dienen bestimmt sind694. Richtigerweise muss § 132 StGB deshalb als ein für eine Schutzbereichserweiterung auf ausländische Rechtsgüter offener Tatbestand qualifiziert werden. Die Exekutiv- und Judikativorgane der einzelnen Mitgliedstaaten, die ein öffentliches Amt i. S. d. § 132 StGB bekleiden, bestehen aufgrund ihres sie auszeichnenden engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat zwar autonom und unabhängig voneinander. Wie erörtert, ist das supranationale europäische Rechtsgut des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV jedoch abhängig von der Funktionsfähigkeit der Justizbehörden der EU-Mitgliedsländer, da er sich gerade auf die Koordination und Kooperation auf mitgliedstaatlicher Ebene gründet. Nach dem dieses zwischenstaatliche Kooperationsverhältnis beherrschenden Prinzip gegenseitigen Vertrauens als Ausprägung des auch horizontal wirkenden Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV müssen die EU-Mitgliedstaaten wechselseitig darauf vertrauen können, dass ihre Rechtsordnungen gleichwertig sind und von funktionsfähigen und vertrauenswürdigen innerstaatlichen Stellen ordnungsgemäß angewandt werden. Es besteht ein Interesse eines jeden Mitgliedstaats an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Justizbehörden der anderen Mitgliedstaaten695. Insofern müssen sich die EU-Mitgliedsländer auch darauf verlassen können, dass jene öffentlichen Ämter ausschließlich befugt und mit entsprechender Entscheidungsgewalt ausgeübt werden, insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, das gemäß Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV sowohl in Zivil-, als auch nach Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV in Strafsachen gilt und nach dem eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden muss696. Daher muss es jedem Mitgliedstaat möglich sein, auch die entscheidungsbefugten Justizbehörden der anderen Mitgliedstaaten vor Tathandlungen i. S. d. § 132 StGB strafrechtlich zu schützen. Entsprechend der Schutzbereichsweite der §§ 332 und 334 StGB697 bedarf der von den EU-Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV zu gewährleistende, umfassende strafrechtliche Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV mithin der wechselseitigen Ahndung von Amtsanmaßungen in Bezug auf öffentliche Ämter von Justizbehörden durch die EU-Mitgliedstaaten. Damit ist 693

Satzger, Europäisierung, S. 572; ders., IntStR, S. 173. LK/Krauß, § 132, Rn. 9; MüKo/Hohmann, § 132, Rn. 7; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 132, Rn. 4; Fischer, § 132, Rn. 3. 695 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 696 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) aa). 697 Vgl. 5. Kap. C. I. 1.  694

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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auch der deutsche Strafrechtsanwender verpflichtet, die als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende staatliche Autorität der anderen Mitgliedstaaten als Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit ihrer Verwaltungen und Rechtsprechung durch § 132 StGB zu schützen. Diese Schutzbereichserweiterung fügt sich harmonisch in das bestehende Strafrechtssystem ein, da die zu erfassenden mitgliedstaatlichen Interessen im Verhältnis zum ursprünglichen nationalen Schutzgut funktional gleichwertig sind. Die Auslegung des § 132 StGB angesichts der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht führt somit zu der Einbeziehung auch der Funktionsfähigkeit der staatlichen Verwaltung und Rechtsprechung der anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich698. 4. § 133 StGB § 133 StGB enthält den Straftatbestand des Verwahrungsbruchs, den begeht, wer bewegliche Sachen, die sich in dienstlicher Verwahrung befinden oder ihm oder einem Dritten dienstlich in Verwahrung gegeben worden sind, zerstört, beschädigt, unbrauchbar macht oder der dienstlichen Verfügung entzieht. Schutzgut der Norm bildet der staatliche Gewahrsam von Behörden an beweglichen Sachen in dienstlichem Verwahrungsbesitz699. Auch bezüglich dieser Strafvorschrift kann gefragt werden, ob ihre Auslegung aufgrund der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht eine Erweiterung ihres Schutzbereichs auf den staatlichen Gewahrsam von Behörden der anderen EU-Mitgliedstaaten zur Folge hat. Dem traditionellen Grundsatz nach wird auch § 133 StGB als Bestimmung, die ein staatliches Allgemeinrechtsgut schützt, zunächst als ausschließlich inländische Interessen betreffend beurteilt700. In diesem Sinne lehnt ein Teil der Literatur die Einbeziehung des dienstlichen Gewahrsams von EU-Behörden, die auf supranationaler Ebene agieren, in den Schutzbereich des § 133 StGB mangels ihrer ausdrücklichen Einbeziehung ab701. Dem wird wiederum der neutrale Wortlaut der Bestimmung entgegen gehalten und insofern ein Schutz auch des Verwahrungsbesitzes der Unionsbehörden durch § 133 StGB vertreten702. Dieser Auffassung entspre 698 Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62; a. A. Vormbaum, Schutz der Rechtsgüter von EU-Staaten, S. 155. 699 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 700 Vgl. 4. Kap. C. II. 701 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 133, Rn. 1/2, vgl. 4. Kap. C. II. 702 Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 71; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ders., Europäisierung, S. 573; ders., IntStR, S. 173; Hecker, EuStR, § 10, Rn. 68; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61; Lackner/Kühl, § 133, Rn. 3, vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb).

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chend ist der Wortlaut des § 133 StGB gleichsam als offen für eine Einbeziehung der staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich anzusehen. Von § 133 StGB erfasst ist der dienstliche Gewahrsam des gesamten öffentlichen Dienstes, sprich aller Behörden, Amtsträger und Richter, die den Verwahrungsbesitz im Rahmen ihres dienstlichen Aufgabenbereichs begründen703. Die im öffentlichen Dienst Tätigen dienen zwar primär dem eigenen Staatsapparat, die Justizorgane bestehen in den einzelnen Mitgliedsländern separat. Darüber hinaus sind die mitgliedstaatlichen Behörden jedoch, wie gezeigt, zu einer von gegenseitigem Vertrauen getragenen horizontalen Kooperation i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, die die Grundlage bildet für das supranationale europäische Rechtsgut des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ist indes nur möglich, wenn sie gegenseitig auf die Funktionsfähigkeit ihrer Behörden vertrauen können704. Insbesondere in Anbetracht des Rahmenbeschlusses 2008/978/JI des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Europäische Beweisanordnung zur Erlangung von Sachen, Schriftstücken und Daten zur Verwendung in Straf­sachen705, der auf dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen nach Art. 82 Abs. 1 S. 1, S. 2 lit. a AEUV basiert und nach dem ein Anordnungsstaat einen Vollstreckungsstaat ersuchen kann, bereits vorhandene und unmittelbar verfügbare Beweismittel zur Verwendung in Strafsachen nach dessen Prozessrecht zu erheben und zu übermitteln706, beziehungsweise angesichts der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen707, die gemäß ihres Art. 34 Abs. 2 den Rahmenbeschluss weitgehend ersetzt708, besteht ein wechselseitiges Interesse der EU-Mitgliedsländer an der Funktions­fähigkeit und Vertrauenswürdigkeit speziell derjenigen Behörden, die staatlichen Gewahrsam an beweglichen Sachen in dienstlichem Verwahrungsbesitz ausüben. Das Vertrauen des einen Mitgliedstaats in die Funktionsfähigkeit der nationalen Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats wird aber erschüttert, wenn die Behörde amtlichen Gewahrsam an Schriftstücken oder anderen beweglichen Sachen begründet und dieser i. S. d. § 133 StGB gebrochen wird. Zwar ist davon aus­zugehen, dass ein Verhalten, das den Straftatbestand des § 133 StGB erfüllt, in der Regel über das Tatortrecht desjenigen Mitgliedstaats abgedeckt ist, dem die Behörde angehört, die den Gewahrsam im konkreten Fall ausübt. Um einen lückenlosen Rechtsgüterschutz zu gewährleisten, müssen jedoch auch die anderen Mitgliedstaaten imstande sein, den staatlichen Gewahrsam dieses Mitgliedstaats strafrechtlich zu schützen. 703

MüKo/Hohmann, § 133, Rn. 6; LK/Krauß, § 133, Rn. 8; NK/Ostendorf, § 133, Rn. 11. Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 705 ABl. 2008 Nr. L 350, S. 72. 706 Streinz/Satzger, Art. 82 AEUV, Rn. 26. 707 ABl. 2014 Nr. L 130, S. 1. 708 Vgl. zu der Europäischen Ermittlungsanordnung eingehend Böse, ZIS 2014, S. 153 ff. 704

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Um ihre aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Pflicht zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV zu erfüllen, haben die EU-Mitgliedstaaten demnach den staatlichen Gewahrsam ihrer nationalen Behörden auch gegenseitig vor Verwahrungsbruch zu schützen. Dieser wechselseitige Rechtsgüterschutz auf mitgliedstaatlicher Ebene muss uneingeschränkt gelten. So dürfen die EU-Mitgliedstaaten nicht nur bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zum strafrechtlichen Schutz des staatlichen Gewahrsams der anderen Mitgliedstaaten berechtigt und verpflichtet sein. Denn auch ein rein inländischer Tathergang i. S. d. § 133 StGB ist geeignet, die vertrauensgetragene Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, etwa wenn das Tatobjekt ein im Rahmen einer später stattfindenden Europäischen Beweisanordnung zu übermittelndes Beweismittel darstellt. Die vertrauensgetragene Kooperation der EUMitgliedsländer als Voraussetzung für die Gewährleistung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV gebietet vielmehr den gleichermaßen umfassenden, unbeschränkten wechselseitigen Rechtsgüterschutz auf mitgliedstaatlicher Ebene. Damit muss auch der deutsche Strafrechtsanwender den nach der deutschen Rechtsgutsdogmatik als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierenden staatlichen Gewahrsam der Behörden der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 133 StGB einbeziehen. Ein Systembruch ist hierdurch nicht zu befürchten, da die mitgliedstaatlichen Interessen und das nationale staatliche Allgemeinrechtsgut funktional gleichwertig sind. Hinsichtlich der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV führt mithin auch die Auslegung des § 133 StGB zu der Erweiterung seines Schutzbereichs auf den staatlichen Gewahrsam von Behörden der anderen Mitgliedstaaten709. 5. § 136 StGB § 136 StGB normiert in seinem Abs.  1 den Verstrickungsbruch, den begeht, wer auf eine Sache einwirkt, die durch Hoheitsakt der freien Verfügung entzogen wurde710. § 136 Abs. 2 StGB beinhaltet den Straftatbestand des Siegelbruchs, sprich die Einwirkung auf dienstliche Siegel, die die staatliche Beschlagnahme zum Ausdruck bringen711. Schutzgut der Norm ist die innerstaatliche Herrschaftsgewalt über Sachen712. Es stellt sich wiederum die Frage, inwieweit eine Auslegung des § 136 StGB im Lichte der an die EU-Mitgliedstaaten adressierten, aus dem Grundsatz der ­loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilie 709

Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62. Fischer, § 136, Rn. 3. 711 Fischer, § 136, Rn. 8. 712 Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 710

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

rungspflicht zu dem Ergebnis führen kann, dass auch die durch Beschlagnahme oder Siegelung begründete Herrschaftsgewalt der anderen EU-Mitgliedstaaten den strafrechtlichen Schutz der Vorschrift erfährt. Auch der Schutzbereich des § 136 StGB, der ein staatliches Allgemeinrechtsgut schützt, gilt im Sinne des klassischen Auslegungsgrundsatzes zunächst als auf die deutsche Herrschaftsgewalt über Sachen beschränkt713. Allerdings wird in Anbetracht seiner neutralen Formulierung bereits eine Schutzbereichserweiterung des § 136 StGB auf das entsprechende supranationale Rechtsgut der EU vertreten714. Demgemäß kann § 136 StGB auch als offen für eine Einbeziehung von Rechtsgütern der anderen Mitgliedstaaten qualifiziert werden. Nach § 136 Abs. 1 StGB strafbar ist die Einwirkung auf Sachen, die durch eine zuständige Stelle gepfändet oder sonst dienstlich in Beschlag genommen worden sind715. Das hoheitliche Gewaltverhältnis in Form der öffentlich-rechtlichen Verstrickung wird begründet durch die für die Beschlagnahme nach den jeweils einschlägigen Vorschriften zuständige Behörde, neben dem Gerichtsvollzieher und dem Vollstreckungsgericht können dies auch das Strafgericht, die Staatsanwaltschaft und die Polizei sein716. Wie erörtert, sind jene Behörden neben ihrer Tätigkeit im Dienste des eigenen Staatsapparats gemäß des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV auch zur zwischenstaatlichen Kooperation verpflichtet, auf die sich das supranationale europäische Rechtsgut des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV gründet. Diese intermitgliedstaatliche Zusammenarbeit ist geprägt durch das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, nach dem die Mitgliedsländer wechselseitig auf die Gleichwertigkeit ihrer Rechtsordnungen vertrauen können müssen sowie, dass diese von den innerstaatlichen Stellen ordnungsgemäß angewendet werden717. Damit besteht bei den Mitgliedstaaten ein gegenseitiges Interesse an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer nationalen Justizbehörden, das auch das Vertrauen in die hoheitliche Sicherung dienstlich in Beschlag genommener Sachen umfasst. Dies muss insbesondere hinsichtlich der auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen i. S. d. Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV gemäß Art.  81 Abs.  2 lit.  a AEUV erlassenen Verordnung (EG) Nr.  805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO)718 gel 713

Vgl. 4. Kap. C. II. Gröblinghoff, Verpflichtung des Strafgesetzgebers, S. 71; Satzger/Schluckebier/Widmaier/ Satzger, Vor §§ 3–7, Rn. 11; ders., Europäisierung, S. 573 ff.; ders., IntStR, S. 174 (bezüglich § 136 Abs. 2 StGB); NK/Böse, Vor § 3, Rn. 61, vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb). 715 LK/Krauß, § 136, Rn. 7. 716 LK/Krauß, § 136, Rn. 8 ff.; MüKo/Hohmann, § 136, Rn. 9; NK/Ostendorf, § 136, Rn. 8. 717 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 718 ABl. 2004 Nr. L 143, S. 15, berichtigt ABl. 2005 Nr. L 97, S. 64 und ABl. 2008 Nr. L 50, S.  71, zuletzt geändert durch Anh. Nr.  4 Änderungsverordnung (EG) 1103/2008 vom 22.10.2008 (ABl. 2008 Nr. L 304, S. 80). 714

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

233

ten, nach der die in einem anderen Mitgliedsland ergangenen Entscheidungen automatisch, ohne Exequaturverfahren, anerkannt und vollstreckt werden719. Die Vollstreckung einer in einem EU-Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung durch einen anderen Mitgliedstaat setzt indes voraus, dass der entscheidende Mitgliedstaat darauf vertrauen kann, dass, sofern die Vollstreckung in Form der Pfändung und Versteigerung einer beweglichen Sache erfolgt, durch den Vollstreckungsmitgliedstaat auch eine unbeeinträchtigte Sicherung der gepfändeten Sache erfolgt. Dieses Vertrauen kann jedoch Schaden nehmen, wenn die durch die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats begründete staatliche Herrschaftsgewalt an der gepfändeten Sache i. S. d. § 136 Abs. 1 StGB gebrochen wird. Zur umfassenden Erfüllung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht bezüglich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV müssen die Mitgliedstaaten folglich in der Lage sein, auch die innerstaatliche Herrschaftsgewalt der anderen Mitgliedstaaten über Sachen strafrechtlich zu schützen. Während ein Verstrickungsbruch im Fall einer inländischen Pfändung auf Ersuchen eines anderen EU-Mitgliedstaats per se unter § 136 Abs. 1 StGB fällt, ist eine Einbeziehung der staatlichen Herrschaftsgewalt der anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 136 Abs. 1 StGB wie im Fall des § 133 StGB indes nicht nur bei grenzüberschreitenden, sondern auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten erforderlich in Anbetracht der Tatsache, dass auch ein Beweismittel eine beschlagnahmte Sache i. S. d. § 136 Abs. 1 StGB darstellen kann720, das gegebenenfalls im Rahmen einer später stattfindenden Europäischen Beweisanordnung an einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln ist721. Eine entsprechende Schutzbereichserweiterung kann auch dem gleicherweise neutral formulierten Straftatbestand des Siegelbruchs gemäß § 136 Abs. 2 StGB entnommen werden. So werden hinsichtlich des offenen Wortlauts der Bestimmung als „dienstliche Siegel“ i. S. d. § 136 Abs. 2 StGB auch solche Verplombungen qualifiziert, die von der Zollverwaltung eines anderen EU-Mitgliedstaats im Rahmen gemeinschaftlicher Versandverfahren zwecks zollamtlicher Überwachung von Waren im gesamten Zollgebiet der Europäischen Union angelegt werden722. Die Anwendbarkeitserklärung des § 136 Abs. 2 StGB auf jene Siegel basiert auf Art. 250 des Zollkodex723, nach dem Maßnahmen von Zollbehörden eines EU-Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten die gleichen Rechtswirkungen haben

719

Calliess/Ruffert/Rossi, Art.  81 AEUV, Rn.  19a; Schwarze/Becker/Hatje/Schoo/Stumpf, Art. 81 AEUV, Rn. 15. 720 Fischer, § 136, Rn. 5. 721 Vgl. 6. Kap. D. VI. 4. 722 BGH NStZ 1996, S.  229; Krehl, NJW 1992, S.  604, 605 f.; Satzger, Europäisierung, S. 575; Lackner/Kühl, § 136, Rn. 5; Fischer, § 136, Rn. 9; NK/Ostendorf, § 136, Rn. 11; MüKo/ Hohmann, § 136, Rn.  22; LK/Krauß, § 136, Rn.  34; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 136, Rn. 18; BeckOK/Heuchemer, § 136, Rn. 13. 723 Vgl. 5. Kap. C. I. 2.

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

wie diejenigen der nationalen Zollbehörden. Weil dem Zollkodex als europäischer Verordnung unmittelbare innerstaatliche Geltung zukommt, erhalten die aufgrund des Zollkodex veranlassten Siegel im gesamten Zollgebiet der EU eine hoheitliche Funktion, und der von einer Zollbehörde eines anderen Mitgliedstaats angelegten Zollplombe ist die gleiche Bedeutung beizumessen wie einer inländischen724. Da demzufolge das durch die Zollbehörde eines anderen Mitgliedstaats angelegte Siegel taugliches Tatobjekt des § 136 Abs. 2 StGB bildet, muss dieser denknotwendig ebenfalls die Herrschaftsgewalt der anderen EU-Mitgliedstaaten über die jeweils versiegelte Sache in seinen Schutzbereich einbeziehen. Insoweit verkörpert auch der Zollkodex den das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten und der Union prägenden Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs.  3 EUV. Denn der Zollkodex enthält das unionale Zollrecht, das das materielle und verfahrensrechtliche Zollrecht der Mitgliedstaaten harmonisiert und damit überformt und den rechtlichen Rahmen für die Zollunion gemäß Art. 28 Abs. 1 AEUV bildet. Die Zollunion gewährleistet insbesondere die Zollfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten725 und bildet damit ein Kernelement des Binnenmarkts als „Raum ohne Binnengrenzen“ i. S. d. Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 S. 1 EUV, Art. 26 Abs. 2 AEUV726. Sie wahrt die Grundfreiheiten, speziell die Warenverkehrsfreiheit sowie die Freizügigkeit der Unionsbürger im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts727. Als damit „wesentliche[r] Bestandteil“728 der EU kann die Zollunion ihrerseits als supranationales europäisches Rechtsgut qualifiziert werden, deren Beeinträchtigung die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht wie Verstöße gegen nationales Recht zu sanktionieren haben. Eine Verletzung des unionalen Zollrechts liegt jedenfalls in der Einwirkung auf im Rahmen gemeinschaftsrechtlicher Versandverfahren angebrachte Zoll­siegel. Und da diese gemäß Art. 250 des Zollkodex im gesamten Zollgebiet und damit in jedem Mitgliedstaat hoheitliche Funktionen erhalten, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat sie angebracht wurden, hat jeder Mitgliedstaat besagte Siegel, dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung entsprechend, so zu behandeln, als habe eine seiner Behörden sie ausgestellt729. Es besteht mithin ein gegenseitiges

724

BGH NStZ 1996, S. 229; a. A. Satzger, Europäisierung, S. 574 f., der in der unmittelbaren Heranziehung des Zollkodex zur Schutzbereichserweiterung des § 136 Abs. 2 StGB einen Widerspruch zur fehlenden Strafrechtssetzungskompetenz der EU sieht. Zu der Subsumtion zollamtlicher Siegel unter § 136 Abs. 2 StGB gelangt er über die unionsrechtskonforme Auslegung der Vorschrift. 725 Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 28 AEUV, Rn. 15. 726 Streinz/Kamann, Art. 28 AEUV, Rn. 2; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Herrmann, Art. 28 AEUV, Rn. 1. 727 Grabitz/Hilf/Nettesheim/Herrmann, Art. 28 AEUV, Rn. 1. 728 Calliess/Ruffert/Waldhoff, Art. 28 AEUV, Rn. 7. 729 Vgl. die Argumentation von Satzger, Europäisierung, S. 575.

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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Interesse der EU-Mitgliedsländer an der Unversehrtheit der im Rahmen gemeinschaftsrechtlicher Versandverfahren angebrachten Zollsiegel. Das bedeutet jedoch wiederum, dass ein strafrechtlich relevanter Bruch eines durch eine mitgliedstaatliche Zollbehörde angelegten Zollsiegels auch in jedem Mitgliedstaat möglich ist. Die umfassende strafrechtliche Gewährleistung des unionalen Zollrechts erfordert somit die wechselseitige strafrechtliche Ahndung des Siegelbruchs in Bezug auf zollrechtliche Siegel und damit auch die Einbeziehung der innerstaatlichen Herrschaftsgewalt der anderen Mitgliedstaaten über die versiegelten Sachen in den Schutz des nationalen Strafrechts, auch wenn diese als staatliche Allgemeinrechtsgüter einzuordnenden Interessen aufgrund ihres engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat in jedem Mitgliedstaat weiterhin separat bestehen. Im Hinblick auf einen umfassenden Schutz der Zollunion als in Art. 28 Abs. 1 AEUV primärrechtlich verankertes supranationales europäisches Rechtsgut führt demnach die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedsländer i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV zu einer wechselseitigen Schutzpflicht hinsichtlich ihrer innerstaatlichen Herrschaftsgewalt in Bezug auf im gemeinschaftlichen Versandverfahren angebrachte Siegel. Der Zollkodex als in den Mitgliedstaaten unmittelbar wirkende unionsrechtliche Vorgabe für den wechselseitigen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz auf horizontaler Ebene bildet insofern einzig eine sekundärrechtliche Konkretisierung der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Verpflichtung der EU-Mitgliedsländer, ihr nationales Strafrecht zum Schutz supranationaler europäischer Rechtsgüter zu funktionalisieren. Demnach ist auch der deutsche Strafrechtsanwender verpflichtet, die Herrschaftsgewalt der anderen Mitgliedstaaten bezüglich im gemeinschaftlichen Versandverfahren angebrachter Siegel in den Schutzbereich des § 136 Abs.  2 StGB einzubeziehen. Die Schutzbereichserweiterung des § 136 Abs. 2 StGB muss darüber hinaus jedoch auch die Herrschaftsgewalt der anderen EU-Mitgliedstaaten über jedes andere als Tatobjekt taugliche Siegel sowie rein inländische Tatvorgänge umfassen. Denn wie im Fall des § 133 StGB und des § 136 Abs. 1 StGB ist auch im Fall des § 136 Abs.  2 StGB ein lückenloser intermitgliedstaatlicher Rechtsgüterschutz erforderlich, um der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden Pflicht der Mitgliedstaaten zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des supranationalen Rechtsguts des Raums, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV zu genügen. Folglich muss der Schutzbereich des § 136 Abs. 1 und 2 StGB die als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende staatliche Herrschaftsgewalt der anderen EU-Mitgliedsländer umfassen. Auch diese Schutzbereichserweiterung fügt sich wegen der funktionalen Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Interessen im Verhältnis zum originär geschützten innerstaatlichen Rechtsgut harmonisch in die bestehende Strafrechtsordnung ein. Sowohl § 136 Abs. 1 StGB als auch § 136 Abs. 2 StGB sind somit in Anbetracht der den EU-Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV obliegenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht da-

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

hingehend auszulegen, dass sie auch die staatliche Herrschaftsgewalt der anderen Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen730. 6. § 145d StGB § 145d StGB regelt das Vortäuschen einer Straftat, das begeht, wer wider besseres Wissen einer Behörde oder einer zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Stelle vortäuscht, eine rechtswidrige Tat sei begangen worden oder ihre Verwirklichung stehe bevor. Schutzgut der Vorschrift bildet die staatliche Strafrechtspflege sowie die Präventivorgane, die vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme zu bewahren sind731. Fraglich ist, inwieweit durch Auslegung des Straftatbestands des § 145d StGB im Hinblick auf die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten, die sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergibt, auch die staatliche Strafrechtspflege und die Präventivorgane der anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich einbezogen werden können. Der Schutz des § 145d StGB wird als ein staatliches Allgemeinrechtsgut betreffend dem klassischen Auslegungsgrundsatz gemäß wiederum auf die deutsche Rechtspflege und Präventivorgane beschränkt732. Insofern müsse der Begriff der Behörde i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB restriktiv ausgelegt werden733. Dem wird jedoch bereits entgegen gehalten, aufgrund des Umstands, dass sowohl dem Wortlaut des § 145d StGB als auch demjenigen des § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB eine Beschränkung auf inländische Behörden nicht zu entnehmen ist, könnten jedenfalls die mit Strafverfolgungsaufgaben betrauten europäischen Stellen als Schutzgut des § 145d StGB in Betracht gezogen werden734. Dementsprechend kann die neutral formulierte Strafnorm auch als offen für eine Schutzbereichserweiterung auf die Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedsländer beurteilt werden. § 145d StGB schützt das staatliche Interesse, dass die Strafrechtspflege- und Präventivorgane nicht ungerechtfertigt in Anspruch genommen werden735, wobei zu den Täuschungsadressaten im Sinne der Vorschrift primär die Polizei, die Staatsanwaltschaften sowie die Gerichtsbarkeit als „Kern der Rechtspflegeinstitutionen“736 zu zählen sind737. Der Eigenschaft eines staatlichen Allgemeinrechtsguts

730

Vgl. NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62. Vgl. 3. Kap. B. II. 1. 732 Vgl. 4. Kap. C. II. 733 MüKo/Zopfs, § 145d, Rn. 13. 734 NK/Schild/Kretschmer, § 145d, Rn. 9, vgl. 4. Kap. C. II. 2. g) bb). 735 NK/Schild/Kretschmer, § 145d, Rn. 1. 736 NK/Vormbaum, Vor §§ 153 ff., Rn. 8. 737 BeckOK/Valerius, § 145d, Rn.  5; MüKo/Zopfs, § 145d, Rn.  12; NK/Schild/Kretschmer, § 145d, Rn. 9. 731

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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gemäß, betrifft die innerstaatliche Strafrechtspflege in erster Linie den eigenen Staatsapparat. Insoweit bestehen und agieren die nationalen Strafrechtspflege- und Präventivorgane in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten, wie gezeigt, separat und unabhängig voneinander. Im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV sind die mitgliedstaatlichen Polizei- und Justizbehörden nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV aber gleichsam zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet, so dass die Mitgliedstaaten auch ein wechselseitiges Interesse an der Funktions- und Vertrauenswürdigkeit der nationalen Justizbehörden haben, zu dem insbesondere im Hinblick auf das Prinzip gegenseitiger Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen i. S. d. Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV auch das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der durch die nationalen Behörden getroffenen justiziellen Entscheidungen gehört738. So sind gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 2 lit. a AEUV in Bezug auf die Anerkennung der Wirkung von Verurteilungen etwa der Rahmenbeschluss 2008/275/JI des Rates vom 24. Juli 2008 zur Berücksichtigung der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangenen Verurteilungen in einem neuen Strafverfahren739 erlassen worden sowie der Rahmenbeschluss 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union740 (Europäische Vollstreckungsanordnung), der Rahmenbeschluss 2008/947/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen741 und der Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26. Februar 2009 zur Änderung der Rahmenbeschlüsse 2002/584/JI, 2005/214/JI, 2006/783/JI, 2008/909/ JI und 2008/947/JI zur Stärkung der Verfahrensrechte von Personen und zur Förderung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Entscheidungen, die im Anschluss an eine Verhandlung ergangen sind, zu der die betroffene Person nicht erschienen ist742 sowie zudem, bezüglich der Anerkennung von Sanktionen, der Rahmenbeschluss 2005/214/JI des Rates vom 24.  Februar 2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen743. Um imstande zu sein, ihre justiziellen Entscheidungen gegenseitig anzuerkennen, müssen sich die Mitgliedstaaten jedoch auch darauf verlassen können, dass die Entscheidungen nicht auf einem den Tatbestand

738

Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). ABl. 2008 Nr. L 220, S. 32. 740 ABl. 2008 Nr. L 327, S. 27, zuletzt geändert durch Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 (ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24). 741 ABl. 2008 Nr. L 337, S. 102, zuletzt geändert durch Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 (ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24). 742 ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24. 743 Vgl. 6. Kap. D. III. 6.  739

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

des § 145d StGB erfüllenden Verhalten beruhen. Um einen umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV zu gewährleisten, müssen die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht folglich auch die staatliche Strafrechtspflege sowie die Präventivorgane der anderen Mitgliedstaaten vor unnötiger Inanspruchnahme strafrechtlich schützen können. Damit obliegt es auch dem deutschen Strafrechtsanwender, das staatliche Allgemeinrechtsgut der Strafrechtspflege sowie die Präventivorgane der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 145d StGB einzubeziehen. Wegen der funktionalen Gleichwertigkeit der innerstaatlichen Strafrechtspflege und Präventivorgane als ursprüngliches Schutzgut und der Strafrechtspflege und Präventivorgane der anderen Mitgliedstaaten, fügt sich diese Schutzbereichserweiterung wiederum ohne Systembruch in die bestehende Strafrechtsordnung ein. Mithin ist § 145d StGB ebenfalls dahingehend auszulegen, dass sein Schutzbereich angesichts der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV auch die staatliche Strafrechtspflege und die Präventivorgane der anderen Mitgliedstaaten erfasst. 7. §§ 153 ff. StGB Auch die Aussagedelikte schützen die als staatliches Allgemeinrechtsgut zu qualifizierende staatliche Rechtspflege in ihrer Funktionsfähigkeit744 und werden nach Maßgabe des traditionellen Auslegungsgrundsatzes originär auf den innerstaatlichen Rechtsgüterschutz beschränkt745. Allerdings erfahren die §§ 153 bis 161 StGB, wie gesehen, bereits durch § 162 Abs. 1 StGB eine ausdrückliche Schutzbereichserweiterung auf die ausländische überstaatliche Rechtspflege insofern, als sie auch auf Tathandlungen vor internationalen Gerichten, die durch einen für den deutschen Staat verbindlichen Rechtsakt errichtet wurden, für anwendbar erklärt werden746. Bezüglich der Rechtspflege der Gerichte der EU stellt § 162 Abs.  1 StGB die gesetzliche Fixierung der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV resultierenden strafrechtlichen Schutzpflicht der EU-Mitgliedstaaten dar, aufgrund derer eine Schutzbereichserweiterung der neutral formulierten §§ 153 ff. StGB auf die supranationale europäische Rechtspflege bereits vor Schaffung des § 162 StGB im Wege unionsrechtskonformer Auslegung angenommen wurde747. Demnach ergibt sich die Frage, ob die Aussagedelikte im Lichte der mitgliedstaatlichen strafrecht 744

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. Vgl. 4. Kap. C. II. 746 Vgl. 5. Kap. A. I. 6.  747 Vgl. vorausschauend Satzger, Europäisierung, S. 575 ff. 745

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

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lichen Assimilierungspflicht gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV dahingehend auszulegen sind, dass sie auch die staatliche Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen. Dafür kann wiederum das wechselseitige Interesse der Mitgliedstaaten an der Funktionsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer nationalen Justizbehörden angeführt werden. Zu diesem gehört, wie gezeigt, insbesondere in Anbetracht des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen sowohl gemäß Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV in Strafsachen als auch nach Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV in Zivilsachen als wesentliches Element der mitgliedstaatlichen justiziellen Zusammenarbeit auch das gegenseitige Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der in den Mitgliedstaaten getroffenen gerichtlichen Entscheidungen. Auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen neben besagten Rechtsakten in Bezug auf die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach Art. 82 Abs. 1 S. 2 lit. a AEUV748 auch zahlreiche Rechtsakte bezüglich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen i. S. d. Art. 81 Abs. 2 lit. a AEUV, wie etwa die Verordnung (EG) Nr.  1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.  Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen749 (EuGV-VO) und die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Eh­sachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr.  1347/2000750. Insoweit müssen sich die Mitgliedstaaten auch darauf verlassen können, dass die jeweiligen Justizverfahren, auf denen die unter Umständen unionsweit anzuerkennenden Entscheidungen basieren, nicht durch ein den Tatbestand der §§ 153 ff. StGB erfüllendes Verhalten verfälscht worden sind. Um einen lückenlosen strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV zu gewährleisten, müssen die EU-Mitgliedstaaten daher wegen ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht auch wechselseitig die Funktionsfähigkeit ihrer staatlichen Rechtspflege strafrechtlich schützen. Damit ist auch der deutsche Staat zu einer entsprechenden Schutzbereichserweiterung der §§ 153 ff. StGB angehalten751. In diesem Zusammenhang zu beachten ist jedoch der § 162 StGB, der mit seiner ausdrücklichen Einbeziehung der ausländischen überstaatlichen Rechtspflege in den Schutzbereich der §§ 153 bis 161 StGB einer weiteren Schutzbereichsausweitung dieser Vorschriften de lege lata entgegensteht. Es bedarf vielmehr eines

748

Vgl. 6. Kap. D. VI. 6. ABl. EG 2012 Nr.  L 351, S.  1, zuletzt geändert durch Änderungsverordnung (EU) 2015/281 vom 26.11.2014 (ABl. 2015 Nr. L 54, S. 1). 750 ABl. 2003 Nr.  L 338, S.  1, zuletzt geändert durch Art.  1 Änderungsverordnung (EG) 2116/2004 vom 2.12.2004 (ABl. 2004 Nr. L 367, S. 1). 751 So auch NK/Böse, Vor § 3, Rn. 62. 749

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6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

gesetzgeberischen Tätigwerdens, um der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV folgenden, mitgliedstaatlichen strafrechtlichen Assimilierungspflicht nachzukommen. Eine Schutzbereichserweiterung der §§ 153 ff. StGB auf die Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten durch Auslegung ist hingegen abzulehnen752. 8. § 164 StGB § 164 normiert den Straftatbestand der falschen Verdächtigung, den erfüllt, wer eine andere Person bei einer Behörde oder einem zur Entgegennahme von Anzeigen zuständigen Amtsträger oder öffentlich wider besseres Wissen einer Tat oder der Verletzung einer Dienstpflicht in der Absicht verdächtigt, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen sie herbeizuführen oder fortdauern zu lassen. Auch das Rechtsgut dieser Vorschrift bildet die Funktionsfähigkeit der staatlichen Rechtspflege, die die herrschende Meinung als gleichberechtigt neben dem Einzelnen vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme geschützt ansieht753. Aufgrund des doppelten Schutzzwecks des § 164 StGB gilt die Rechtspflege trotz ihrer Qualifizierung als staatliches Allgemeinrechtsgut auch im Fall ihrer Auslandseigenschaft als conditio sine qua non auf den als Individualrechtsgut kraft des völkerrechtlichen Mindeststandards grundsätzlich geschützten Einzelnen vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme als Schutzgut des § 164 StGB754. Insoweit sind taugliche Adressaten der falschen Verdächtigung neben den ausschließlich nach deutschem Recht bestellten Amtsträgern i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB auch ausländische Behörden755. Der dem Schutz des Einzelnen vor ungerechtfertigter Inanspruchnahme akzessorisch folgende Schutz der ausländischen Rechtspflege ist jedoch nicht möglich, sofern das Individualrechtsgut durch Einwilligung als Schutzgut entfällt. In diesem Fall wird die Rechtspflege als staatliches Allgemeinrechtsgut im Fall ihrer Auslandseigenschaft dem traditionellen Auslegungsgrundsatz gemäß nicht vom Schutzbereich des § 164 StGB erfasst756. Fraglich ist, ob dann eine Auslegung des § 164 StGB aufgrund der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 EUV eine Erweiterung seines Schutzbereichs auf die staatliche Rechtspflege der anderen­ EU-Mitgliedstaaten begründen kann, so dass diese auch bei Fehlen des Individualrechtsgüterschutzes strafrechtlichen Schutz durch § 164 StGB genießt. 752

Vgl. diesem Sinne bereits Lüttger, Jescheck FS, S. 121, 165. Vgl. 3. Kap. B. II. 1. Fn. 109. 754 Vgl. 4. Kap. C. I. 755 Schönke/Schröder/Lenckner/Bosch, § 164, Rn. 25; NK/Vormbaum, § 164, Rn. 32; Lackner/ Kühl, § 164, Rn. 3; BeckOK/Valerius, § 164, Rn. 13; a. A. SK/Rogall/Rudolphi, § 164, Rn. 32; MüKo/Zopfs, § 164, Rn. 11. 756 Vgl. 4. Kap. C. I. 753

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

241

§ 164 StGB soll die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gewährleisten, indem er ähnlich § 145d StGB verhindert, dass die staatlichen Strafverfolgungsorgane unnötig beansprucht, ihre Tätigkeit in eine falsche Richtung gelenkt und sie hierdurch davon abgehalten werden, die ihnen gesetzlich obliegenden, tatsächlich bestehenden Aufgaben zu bewältigen757. Behörden als Adressaten der falschen Verdächtigung sind alle ständigen Organe der Staatsgewalt, zu denen gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB die Gerichtsbarkeit sowie Staatsanwaltschaften und die Polizei zu zählen sind758. Wie gesehen, sind diese in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich autonom agierenden Rechtspflegeorgane im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV gleichsam zur vertrauensvollen Kooperation verpflichtet, weshalb die Mitgliedstaaten ein wechselseitiges Interesse an der Funktions- und Vertrauenswürdigkeit ihrer nationalen Justizbehörden haben, zu dem insbesondere im Hinblick auf das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen i. S. d. Art.  82 Abs. 1 S. 1 AEUV das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der durch die nationalen Behörden getroffenen justiziellen Entscheidungen gehört759. Deshalb muss jeder Mitgliedstaat in der Lage sein, auch die staatliche Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten davor strafrechtlich zu schützen, dass sie durch eine falsche Verdächtigung i. S. d. § 164 StGB unnütz in Anspruch genommen und sie hierdurch davon ab­gehalten wird, die ihr kraft Gesetzes obliegenden Aufgaben zu bewältigen. Der umfassende strafrechtliche Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV erfordert demnach, dass die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer sich aus Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht ihr nationales Strafrecht zum Schutz der Rechtspflege der anderen Mitgliedsländer vor unnötiger Inanspruchnahme durch falsche Verdächtigungen einsetzen. Damit ist auch der deutsche Strafrechtsanwender verpflichtet, das staatliche Allgemeinrechtsgut der Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 164 StGB einzubeziehen. Wegen der funktionalen Gleichwertigkeit der innerstaatlichen Rechtspflege als ursprünglich geschütztes Rechtsgut und der nun einzubeziehenden Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten, fügt sich diese Schutzbereichserweiterung harmonisch in das deutsche Strafrechts­ system ein. Folglich kann § 164 StGB in Ansehung der aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten dahingehend ausgelegt werden, dass sein Schutzbereich auch die Rechtspflege der anderen Mitgliedsländer erfasst.

757

SK/Rogall/Rudolphi, § 164, Rn. 1. NK/Vormbaum, § 164, Rn. 33. 759 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 758

242

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

9. § 258 StGB Entsprechendes lässt sich für § 258 StGB feststellen. Dieser enthält den Straftatbestand der Strafvereitelung, den erfüllt, wer absichtlich oder wissentlich vereitelt, dass eine andere Person wegen einer Tat oder Maßnahme i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB bestraft wird oder wer die Vollstreckung einer gegen eine andere Person verhängten Strafe oder Maßnahme vereitelt. Rechtsgut des § 258 StGB bildet das staatliche Allgemeinrechtsgut der Strafrechtspflege760, weshalb der Schutzbereich der Vorschrift dem klassischen Auslegungsgrundsatz gemäß wiederum auf die deutsche Strafrechtspflege beschränkt wird761. Im Gegensatz zu § 258a StGB enthält § 258 StGB jedoch keine diese Schutzbereichseinschränkung zwingend vorgebende Wortlautgrenze, sondern ist neutral formuliert, so dass er als offen zu erklären ist für eine Auslegung im Lichte der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden, wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht. Konkret schützt § 258 StGB die Strafrechtspflege im Hinblick auf ihre Aufgabe, den staatlichen Straf- und Vollstreckungsanspruch sowie Maßnahmen i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB nach Maßgabe des geltenden Rechts durchzusetzen, wobei entsprechend der Beschränkung des Schutzbereichs auf die deutsche Strafrechtspflege ausschließlich inländische Straf- und Vollstreckungsansprüche als tatbestandsmäßig i. S. d. § 258 StGB gelten762. In der Tat dienen die Organe der Strafrechtspflege, wie erörtert, in erster Linie dem eigenem Staatsapparat und damit der Durchsetzung der innerstaatlichen Straf- und Vollstreckungsansprüche. Es hat sich jedoch auch gezeigt, dass die Rechtspflegeorgane im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV gleichsam zur vertrauensvollen Kooperation verpflichtet sind, weshalb die Mitgliedstaaten ein wechselseitiges Interesse an der Funktions- und Vertrauenswürdigkeit ihrer nationalen Justizbehörden haben, zu dem insbesondere hinsichtlich des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen i. S. d. Art. 82 Abs. 1 S. 1 AEUV das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der durch die nationalen Behörden getroffenen justiziellen Entscheidungen gehört763. Zur gegenseitigen Anerkennung ihrer justiziellen Entscheidungen sind die EU-Mitgliedsländer jedoch nur in der Lage, sofern jeder Mitgliedstaat auf die lückenlose Durchsetzung der Strafund Vollstreckungsansprüche der anderen Mitgliedstaaten vertrauen kann764. Dies bedeutet, dass die Mitgliedstaaten sich darauf verlassen können müssen, dass in den anderen Mitgliedstaaten ein Vortäter nicht aufgrund eines den Tatbestand des § 258 StGB erfüllenden Verhaltens freigesprochen und auf diesem Weg die Durch 760

Vgl. 3. Kap. B. II. 1. Vgl. 4. Kap. C. II. 762 NK/Altenhain, § 258, Rn. 6; differenzierend MüKo/Cramer/Pascal, § 258, Rn. 3 f. 763 Vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a). 764 Vgl. 6. Kap. D. VI. 6. 761

D. Erforderlichkeit einer wechselseitigen Assimilierungspflicht?

243

setzung eines Strafanspruchs dieses Mitgliedstaats verhindert wird. Aus diesem Grund muss es jedem Mitgliedstaat möglich sein, auch die Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten im Hinblick auf ihre Aufgabe, den staatlichen Straf- und Vollstreckungsanspruch durchzusetzen, strafrechtlich zu schützen. Zum umfassenden strafrechtlichen Schutz des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV, der sich auf das vertrauensgetragene mitgliedstaatliche Kooperationsverhältnis gründet, müssen die EU-Mitgliedstaaten somit aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht ihr nationales Strafrecht zum Schutz der Strafrechtspflege der anderen Mitgliedstaaten funktionalisieren. Somit muss auch der deutsche Strafrechtsanwender das staatliche Allgemeinrechtsgut der Strafrechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 258 StGB einbeziehen. Da die innerstaatliche Strafrechtspflege als ursprüngliches Schutzgut und die nun zu erfassende Strafrechtspflege der anderen Mitgliedstaaten funktional gleichwertig sind, ist ein Widerspruch zu der bestehenden Strafrechtsordnung nicht zu befürchten. Angesichts der strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ist § 258 StGB mithin dahingehend auszulegen, dass er auch die Strafrechtspflege der anderen Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich einbezieht. 10. § 261 Abs. 1 und 2 StGB Zuletzt soll noch einmal § 261 StGB betrachtet werden, der die Geldwäschetatbestände normiert. Hinsichtlich der Annahme, auch das durch die in § 261 Abs. 1 S. 2 StGB genannten Vortaten beeinträchtigte Rechtsgut falle in den Schutzbereich des § 261 StGB, wurde bereits festgestellt, dass § 261 Abs.  8 StGB eine ausdrückliche Schutzbereichserweiterung auf diejenigen staatlichen und kollektiven Allgemeinrechtsgüter anderer Staaten enthält, die von den in Abs.  1 S.  2 genannten Tatbeständen erfasst werden765. Im Hinblick auf das darüber hinaus bestehende staatliche Allgemeinrechtsgut des § 261 StGB, die staatliche Rechtspflege in ihrer Aufgabe, Wirkungen von Straftaten zu beseitigen766, lässt sich indes fragen, ob § 261 Abs. 1 und 2 StGB vor dem Hintergrund der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten insoweit ausgelegt werden können, dass ihr Schutzbereich auch die staatliche Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten erfasst. 765

Vgl. 5. Kap. A. II. 2. Vgl. 3. Kap. B. II. 1.

766

244

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

Auch der Schutzbereich des § 261 StGB wird dem traditionellen Auslegungsgrundsatz entsprechend auf die deutsche Rechtspflege beschränkt, obgleich dies seinem Wortlaut nicht zu entnehmen ist767. Andererseits kann aber auch dem durch die §§ 108e, 335a, 299, 89a und 129b StGB vermittelten Auslandsbezug des § 261 Abs. 1 S. 2 StGB keine Aussage für einen Schutz auch der ausländischen Rechtspflege entnommen werden, da dieser lediglich der Konkretisierung der an den Vortaten Beteiligten im Hinblick auf § 261 Abs. 8 StGB dient und somit ausschließlich die durch die Vortaten beeinträchtigten ausländischen Allgemeinrechtsgüter zu Schutzgütern des § 261 StGB bestimmt768. Insofern sind § 261 Abs. 1 und 2 StGB als offen zu erklären für eine Schutzbereichserweiterung auf die staatliche Rechtspflege auch der anderen EU-Mitgliedstaaten. § 261 StGB soll den staatlichen Zugriff auf inkriminierte Vermögensgegenstände gewährleisten769. Indem Straftaterlöse sichergestellt und illegale Geldströme sichtbar gemacht werden, sollen die Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden, diese zurückzuverfolgen und so die Methoden der organisierten Kriminalität aufzudecken, verbessert werden770. Auch jene Organe der Strafrechtspflege sind ungeachtet ihrer Autonomie in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zur vertrauensvollen Kooperation verpflichtet, weshalb die Mitgliedstaaten ein wechselseitiges Interesse an der Funktions- und Vertrauenswürdigkeit dieser Behörden haben, das auch das Vertrauen in die obrigkeitliche Sicherung von Straftaterlösen umfasst, um illegale Finanzströme zu unterbinden. Dies muss speziell hinsichtlich des auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Straf­ sachen i. S. d. Art. 82 Abs. 1 S. 1, S. 2 lit. a AEUV basierenden Rahmenbeschlusses 2006/783/JI des Rates vom 6. Oktober 2006 zur Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Einziehungsentscheidungen771 gelten, der die wechselseitige Anerkennung solcher Strafen und Maßnahmen anordnet, die von einem mitgliedstaatlichen Gericht im Anschluss an ein Verfahren verhängt werden und zum endgültigen Entzug inkriminierter Vermögensgegenstände führen. Die wechselseitige Anerkennung justizieller Einziehungsentscheidungen ist indes nur möglich, sofern jeder Mitgliedstaat darauf vertrauen kann, dass die anderen Mitgliedstaaten eine umfassende Sicherung von Straftaterlösen gewährleisten. Deshalb muss jeder Mitgliedstaat imstande sein, auch die Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten in ihrer konkreten Aufgabe, Wirkungen von Straftaten zu beseitigen, strafrechtlich zu schützen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit der EU-Mitgliedstaaten als Voraussetzung eines umfassenden strafrechtlichen Schutzes des 767

Vgl. 4. Kap. C. II. Vgl. 5. Kap. A. II. 2. 769 Schönke/Schröder/Stree/Hecker, § 261, Rn. 2. 770 NK/Altenhain, § 261, Rn. 7. 771 ABl. 2006 Nr. L 328, S. 59, zuletzt geändert durch Rahmenbeschluss 2009/299/JI des Rates vom 26.2.2009 (ABl. 2009 Nr. L 81, S. 24). 768

E. Fazit

245

Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art. 67 ff. AEUV erfordert demnach, dass die EU-Mitgliedstaaten aufgrund ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht auch die Rechtspflege der anderen Mitgliedsländer in ihrer Aufgabe, Wirkungen von Straftaten zu beseitigen, mittels ihres nationalen Strafrechts schützen. Das bedeutet, dass der deutsche Strafrechtsanwender das staatliche Allgemeinrechtsgut der Rechtspflege der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 261 Abs. 1 und 2 StGB einzubeziehen hat. Wegen der funktionalen Gleichwertigkeit der innerstaatlichen Rechtspflege als ursprünglich geschütztes Rechtsgut und der nun einzubeziehenden Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten fügt sich auch diese Schutzbereichserweiterung harmonisch in das bestehende Strafrechtssystem ein. Somit kann auch § 261 Abs. 1 und 2 StGB im Lichte der den EU-Mitgliedstaaten obliegenden, aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV folgenden, strafrechtlichen Assimilierungspflicht dahingehend ausgelegt werden, dass sein Schutzbereich gleicherweise die Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten erfasst.

E. Fazit Es hat sich gezeigt, dass der deutsche Staat als Mitglied der Europäischen Union nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet ist, sowohl kollektive als auch staatliche Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutz seines nationalen Strafrechts einzubeziehen. Bezüglich derjenigen mitgliedstaatlichen Interessen, die nach der deutschen Rechtsgutsdogmatik als kollektive Allgemeinrechtsgüter einzuordnen sind, folgt die wechselseitige strafrechtliche Schutzverpflichtung der Mitgliedstaaten unmittelbar aus ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht zum Schutz der supranationalen Rechtsgüter der EU i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV. Denn da das nationale Recht, das die mitgliedstaatlichen Kollektivrechtsgüter betrifft, eine weitgehende Harmonisierung durch europäisches Recht erfahren hat und die nationalen Rechtsgüter damit derart überformt wurden, dass sie zu einheitlichen supranationalen Rechtsgütern erhoben wurden, die auf europäischer Ebene zu schützen sind, bedeutet eine Rechtsgutsverletzung auf mitgliedstaatlicher Ebene immer auch eine Beeinträchtigung des dem mitgliedstaatlichen Schutzauftrag unterliegenden supranationalen europäischen Rechtguts. Dagegen kann hinsichtlich der als staatliche Allgemeinrechtsgüter anzusehenden mitgliedstaatlichen Interessen aus der vertikalen strafrechtlichen Assimi­ lierungspflicht der EU-Mitgliedsländer i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV keine direkte horizontale Schutzverpflichtung gefolgert werden. Denn die staatlichen Allge­ meinrechtsgüter betreffen Rechtsgebiete, die als Kernbereiche der staatlichen Sou-

246

6. Kap.: Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV

veränität primär der nationalen Rechtssetzungskompetenz unterliegen und deshalb bislang nicht durch das EU-Recht in der Weise harmonisiert wurden, dass die nationalen Interessen, überformt, nun als Teile eines identischen supranationalen Rechtsguts qualifiziert werden könnten. Vielmehr bestehen sie in den einzelnen Mitgliedstaaten separat und unabhängig voneinander, entsprechend ihres sie charakterisierenden, engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat. Allerdings macht die aus dem Grundsatz loyaler Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Pflicht zum umfassenden strafrechtlichen Schutz bestimm­ ter EU-Rechtsgüter auch den gegenseitigen Schutz staatlicher Allgemeinrechtsgü­ ter durch die Mitgliedstaaten erforderlich, wenn ein funktionaler Zusammenhang gegeben ist zwischen der Gewährleistung eines supranationalen EU-Rechtsguts und als staatliche Allgemeinrechtsgüter zu klassifizierenden mitgliedstaatlichen Interessen. So ist insbesondere die Funktionsfähigkeit des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art.  67 ff. AEUV abhängig von mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern insofern, als sich dieser gerade auf die Zusammenarbeit der öffentlichen Verwaltung und der Justiz der einzelnen Mitgliedstaaten gründet, die den staatlichen Allgemeinrechtsgütern zuzuordnen sind. Das zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehende Treueverhältnis i. S. d. Art.  4 Abs. 3 EUV, das im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine spezielle Ausprägung in Gestalt des Prinzips gegenseitigen Vertrauens erfährt und die Mitgliedstaaten zur vertrauensgestützten Kooperation untereinander verpflichtet, um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art.  67 ff. AEUV zu gewährleisten, fungiert in diesem Fall als Bindeglied zwischen den separat bestehenden mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern und bildet so das Substitut für die fehlende Harmonisierung des jene Rechtsgüter bestimmenden nationalen Rechts. Insofern kann ein lückenloser strafrechtlicher Schutz eines supranationalen europäischen Rechtsguts auch die Einbeziehung staatlicher Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten in den nationalen Strafschutz erforderlich machen. Der deutsche Staat ist der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Verpflichtung zur Einbeziehung kollektiver wie auch staatlicher Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich seines Strafrechts bereits gesetzgeberisch nachgekommen, gleichsam kann er ihr durch Auslegung neutral formulierter Straftatbestände Rechnung tragen. Das strafrechtsspezifische Schonungsgebot, das die EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zur Beachtung der in Art. 4 Abs. 2 EUV verankerten nationalen Identität ihrer EU-Mitgliedsländer verpflichtet, erfährt im Hinblick auf die Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf die kollektiven Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten aufgrund der Identität der mitgliedstaatlichen Interessen mit dem betreffenden supranationalen europäischen Rechtsgut, die das Gleich-

E. Fazit

247

stellungsgebot als Voraussetzung des Schonungsgrundsatzes erfüllt, hinreichende Berücksichtigung. Im Fall der Einbeziehung der staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des nationalen Strafrechts, schafft die funktionale Gleichwertigkeit der erfassten mitgliedstaatlichen Interessen mit den originär geschützten nationalen Rechtsgütern die Grundlage für eine hinreichende Schonung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen. Somit kann der deutsche Staat seine aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende Pflicht, auch die Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des nationalen Strafrechts einzubeziehen, erfüllen, ohne eine Beeinträchtigung seiner nationalen Identität i. S. d. Art. 4 Abs. 2 EUV befürchten zu müssen.

7. Kapitel

Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten Die EU-Mitgliedstaaten sind aufgrund ihrer aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden strafrechtlichen Assimilierungspflicht zum gegenseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter verpflichtet. Die Anwendung der nationalen materiellen Strafvorschriften auf Verletzungen von Individual- und Allgemeinrechtsgütern der anderen Mitgliedsländer schafft die Grundlage für einen umfassenden Rechtsgüterschutz im europäischen Rechtsraum. Eine jeden Mitgliedstaat treffende Verpflichtung, auch die Rechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des nationalen Strafrechts einzubeziehen, birgt jedoch zugleich das Risiko mitgliedstaatlicher Jurisdiktionskonflikte.

A. Die Beschränkung des nationalen Strafanwendungsrechts der EU-Mitgliedstaaten zur Vermeidung positiver Jurisdiktionskonflikte? Um im europäischen Rechtsraum bereits die Entstehung konkurrierender mitgliedstaatlicher Strafansprüche zu verhindern, wird eine Beschränkung des materiellen Strafanwendungsrechts der EU-Mitgliedstaaten auf den innerstaatlichen Bereich vorgeschlagen1. Treffe die strafrechtliche Assimilierungspflicht nicht nur die Mitgliedstaaten gegenüber der EU, sondern gelte diese auch zwischen den EUMitgliedstaaten untereinander, sei der strafrechtliche Schutz mitgliedstaatlicher Rechtsgüter immer durch das materielle Strafrecht des Tatortstaats gewährleistet und daher eine Ausdehnung des nationalen Strafanwendungsrechts im Sinne des Staatsschutzprinzips aufgrund der Annahme, dass das Tatortstrafrecht nur die eigenen, die staatlichen Interessen anderer Nationen jedoch nur ausnahmsweise schützt2, nicht erforderlich3. 1 Böse/Meyer, ZIS 2011, S.  336, 342 f.; vgl. in diesem Zusammenhang aktuell auch den Modellentwurf zur Regulierung strafrechtlicher Jurisdiktionskonflikte in der EU von Böse/ Meyer/Schneider, GA 2014, S. 572 ff. 2 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 19. 3 Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 342 f.

B. Die Ausdehnung des nationalen Strafanwendungsrechts

249

In der Tat würden diejenigen Allgemeinrechtsgüter eines EU-Mitgliedstaats, die aufgrund der sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs.  3 EUV ergebenden, wechselseitigen mitgliedstaatlichen Assimilierungspflicht strafrechtlichen Schutz auch durch die anderen Mitgliedstaaten erfahren, in jedem Mitgliedstaat durch das nationale Tatortstrafrecht geschützt werden. Dies würde die Anwendbarkeit des Strafrechts des eigenen Mitgliedslands abdingbar machen. Der Einsatz der Strafgewalt ausschließlich desjenigen EU-Mitgliedstaats, auf dessen Staatsgebiet die Tat begangen wird gemäß des Territorialitätsprinzips4, könnte die Strafansprüche mehrerer Mitgliedsländer bezüglich derselben Tat verhindern und trotzdem einen lückenlosen Rechtsgüterschutz auf mitgliedstaatlicher Ebene bieten. Zu beachten ist jedoch, dass die Vermeidung von Überschneidungen mitgliedstaatlicher Strafansprüche durch eine Beschränkung ihrer nationalen Strafgewalten kein allgemeingültiges Lösungskonzept bieten kann. Denn auf diese Weise können konfligierende Strafansprüche nur bezüglich derjenigen Rechtsgüter vermieden werden, die aufgrund ihrer Überformung durch das Unionsrecht überhaupt als Bezugsobjekte der Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten zum wechselseitigen strafrechtlichen Rechtsgüterschutz in Betracht kommen, entgegen derjenigen (staatlichen) Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten, die der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht nicht unterliegen, folglich nicht in den Schutzbereich des Strafrechts auch der anderen Mitgliedstaaten einbezogen und damit ausschließlich durch die eigene Strafrechtsordnung geschützt werden. Um zu verhindern, dass eine diese Rechtsgüter verletzende Straftat überhaupt nicht verfolgt wird5, erscheint in diesen Fällen die Ausdehnung der nationalen Strafgewalt auf Auslandstaten gemäß des Staatsschutzprinzips als unerlässlich6, zumal, wird dieses konsequent angewandt, keine Überschneidungen mitgliedstaatlicher Strafansprüche innerhalb der EU zu befürchten sind, wenn jedes EUMitgliedsland nur seine eigenen Rechtsgüter schützt.

B. Die Ausdehnung des nationalen Strafanwendungsrechts als Konsequenz der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten Berücksichtigt werden muss zudem, dass die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV folgende strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gleichermaßen das nationale Strafanwendungsrecht umfasst7. Denn die wirksame Sanktionierung von Verstößen gegen das 4

NK/Böse, Vor § 3, Rn. 16. Vgl. die Argumentation von Eckstein, ZStW 2012, S. 490, 492. 6 Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 343. 7 Satzger, Europäisierung, S. 369 f.; ders., IntStR, S. 208; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 55, 64. 5

250

7. Kap.: Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen 

Unionsrecht kann nur durch eine effektive Ausgestaltung auch des innerstaatlichen Strafanwendungsrechts durch die Mitgliedsländer gewährleistet werden8. Insofern wird, in Weiterentwicklung des staatsgebietsbezogenen Territorialitätsprinzips, die Anerkennung eines europäischen Territorialitätsprinzips gefordert9. Dieses erstreckt die Strafgewalt der EU-Mitgliedstaaten über ihr eigenes Staatsgebiet hinaus auf alle Mitgliedstaaten der EU10. Es soll eine jeden Mitgliedstaat ermächtigende Strafbefugnis bestehen, für alle Straftaten, die innerhalb der EU begangen werden, unabhängig von dem konkreten Tatort und der Staatsangehörigkeit des Täters11. Als Beispiele für gesetzgeberisches Tätigwerden Deutschlands in diesem Sinne werden § 6 Nr. 8 StGB12, § 370 Abs. 7 AO13 sowie § 35 MOG14 verstanden, die die Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts zum Schutz der finanziellen Interessen der EU auf im Ausland begangene Taten ausweiten. Dementsprechend muss die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgende, auch wechselseitig wirkende, strafrechtliche Schutzpflicht der EU-Mitgliedsländer sich gleichsam auf das mitgliedstaatliche Strafanwendungsrecht beziehen und die Strafgewalt der EU-Mitgliedstaaten auf alle Straftaten ausdehnen, durch die mitgliedstaatliche Rechtsgüter beeinträchtigt werden, in jedem Mitgliedstaat, unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Täters. § 370 Abs. 7 AO, der den das staatliche Vermögen der anderen Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des § 370 Abs. 1 bis 5 AO einbeziehenden § 370 Abs. 6 S.  2 AO15 auch auf Auslandstaten für anwendbar erklärt, verkörpert diese Form des europäischen Territorialitätsprinzips. Als weiteres Beispiel ist der durch das 4. Gesetz zur Bekämpfung der Korruption mit Wirkung vom 26. November 2015 neu gefasste § 5 Nr. 15 StGB zu nennen, der Art. 2 § 2 EUBestG übernimmt16 und gemäß seiner lit. c die Tatbestände der §§ 332, 334 StGB auf Auslandstaten auch gegenüber ausländischen und damit mitgliedstaatlichen Amtsträgern erstreckt17, 8

Satzger, Europäisierung, S. 369; ders., IntStR, S. 208; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 64. Sieber/Vogler, Europäische Einigung, S. 128, 129; Satzger, Europäisierung, S. 370; ders., IntStR, S. 42, 208 f.; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 32; LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn. 253; Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S. 239; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 64. 10 LK/Werle/Jeßberger, Vor § 3, Rn.  253; Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S. 238. Das auf dem Staatsschutzprinzip basierende Unionsschutzprinzip, das die EU-Mitgliedstaaten ermächtigt, im Ausland begangene Straftaten gegen supranationale Rechtsgüter der EU zu ahnden, ist dagegen auf in Drittstaaten begangene Taten zugeschnitten, vgl. LK/Werle/­ Jeßberger, Vor § 3, Rn. 252; Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S. 258; NK/Böse, Vor § 3, Rn. 32. 11 Sieber/Vogler, Europäische Einigung, S. 128, 129; Satzger, Europäisierung, S. 370. 12 Satzger, Europäisierung, S. 370; ders., IntStR, S. 209; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 64. 13 Satzger, Europäisierung, S. 370; Hecker, EuStR, § 7, Rn. 64. 14 Satzger, Europäisierung, S. 370. 15 Vgl. 5. Kap. C. I. 2. 16 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 5, 8, 16 ff., 26. 17 Vgl. den Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/4350, S. 17. Nach alter Rechtslage konnte eine entsprechende Ausprägung des europäischen Territorialitätsprinzips Art.  2 § 2 Nr. 1 lit. b aa EUBestG entnommen werden, vgl. Pelz, StraFo 2000, S. 300, 302; Randt, BB 9

C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept

251

die wiederum i. V. m. § 335a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 lit. a StGB die Funktionsfähigkeit und Lauterkeit der Verwaltungen der anderen EU-Mitgliedstaaten in seinen Schutzbereich einbeziehen18.19 Das europäische Territorialitätsprinzip gilt zwar bislang als noch nicht völkerrechtlich abgesichert20, als Ausprägung des Vertragsprinzips21 in dem Sinne, dass sich die EU-Mitgliedstaaten mit ihrem Beitritt zu den europäischen Verträgen über die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit gemäß Art.  4 Abs.  3 EUV folgende wechselseitige Straftatverfolgung verständigt haben, ist ein Verstoß des europäischen Territorialitätsprinzips gegen das völkerrechtliche Interventionsverbot aber jedenfalls nicht zu sehen22.

C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept für positive Kompetenzkonflikte zwischen den EU-Mitgliedstaaten Umfasst die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV demnach ihr Strafrecht wie auch ihr Strafanwendungsrecht, ist die Entstehung konkurrierender Strafgewalten dadurch, dass das materielle Strafrecht mehrerer Mitgliedstaaten auf dieselbe Tat anwendbar ist23, unvermeidlich. Dementsprechend wird die Problematik konfligierender Strafgewalten vorrangig auf der Ebene des Strafverfahrensrechts als „Zuständigkeitsproblem“24 behandelt. Für positive Kompetenzkonflikte bietet der Rahmenbeschluss 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren25 einen präventiven Lösungsansatz26. Erklärtes Ziel des Rahmenbeschlusses ist es, „die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten, die Strafverfahren führen, enger

2000, S. 1006, 1007; a. A. Isfen, I. Roxin FS, S. 227, 230, der den Umstand, dass Art. 2 § 2 Nr. 1 lit. b aa EUBestG nur auf Amtsträger i. S. d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB Bezug nahm, dahingehend auslegt, dass als Amtsträger ausschließlich solche nach deutschem Recht zu verstehen sind. 18 Vgl. 5. Kap. C. I. 1. 19 Nach Szesny/Görtz, ZUR 2012, S. 405, 408 kann in diesem Sinne auch § 327 Abs. 2 S. 2 StGB verstanden werden; a. A. wohl Heger, HRRS 2012, S. 211, 217. 20 Jeßberger, Der transnationale Geltungsbereich, S. 239. 21 NK/Böse, Vor § 3, Rn. 31 f.; Isfen, I. Roxin FS, S. 227, 230. 22 Vgl. Soltész/Marquier, EuZW 2006, S. 102, 106; Böse, EWS 2007, S. 202, 208 zum Verhältnis des völkerrechtlichen Interventionsverbots und des Grundsatzes „ne bis in idem“ im unionalen Wettbewerbsrecht. 23 Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336, 337. 24 Böse/Meyer, ZIS 2011, S. 336. 25 ABl. 2009 Nr. L 328, S. 42. 26 Vgl. zu der präventiven Vermeidung positiver Kompetenzkonflikte Sieber/Satzger/ v. Heintschel-Heinegg/Eser, EuStR, § 36, Rn. 95 ff.

252

7. Kap.: Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen 

zu gestalten, um eine effizientere und ordnungsgemäße Rechtspflege zu fördern“ (Art. 1 des Rahmenbeschlusses). Wird wegen derselben Tat in mehreren EU-Mitgliedstaaten ermittelt, liegt aber noch keine verfahrensabschließende Entscheidung vor, sind die Mitgliedstaaten angehalten, Mehrfachverfolgungen durch Informationsaustausch (Art. 5 ff. des Rahmenbeschlusses) und direkte Konsultationen (Art. 10 ff. des Rahmenbeschlusses) zu vermeiden. Sofern ein Strafverfahren in einem Mitgliedstaat mit einer rechtskräftigen Entscheidung beendet wurde, kann das zwischenstaatliche „ne bis in idem“ mitgliedstaatliche Kompetenzkonflikte auflösen. Das Verbot der doppelten Verfolgung derselben Tat („ne bis in idem“) stellt einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts dar27. Grundsätzlich wirkt „ne bis in idem“ trotz seiner unionsweiten Anerkennung wie das im deutschen Recht in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte verfassungsrechtliche Prinzip auch als unionaler Rechtsgrundsatz rein rechtsordnungsintern28. Allerdings besteht seit Inkrafttreten des SDÜ 199529 in Art. 54 SDÜ ein zwischenstaatliches Doppelverfolgungsverbot. Nach Art.  54 SDÜ darf der­jenige, der in einem Vertragsstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, in einem anderen Vertragsstaat wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Dieses transnational wirkende Verbot der doppelten Strafverfolgung  gilt seit Überführung des SDÜ in den Rahmen der EU mit dem Amster­ damer Vertrag bis auf Großbritannien/Nordirland und Irland zwischen allen EUMitgliedstaaten30. Mit dem Vertrag von Lissabon ist der mit Art. 54 SDÜ bislang einfachgesetzlich fixierte, transnational wirkende Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“ im Zuge der Erhebung der Grundrechte-Charta der Europäischen Union (GRC)31 in den Rang des EU-Primärrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) in Art. 50 GRC primärrechtlich kodifiziert worden32. Art. 50 GRC bestimmt, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er in der EU bereits rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Damit wird das Doppelverfolgungsverbot in seiner „transnational-horizontalen Wirkung“33 sowohl durch Art. 50 GRC als auch durch Art. 54 SDÜ verbürgt34. Die Anwendungsvoraus 27

Satzger, Europäisierung, S. 177 f., 686; ders., IntStR, S. 207; ders., Roxin FS, S. 1515, 1519; Hecker, EuStR, § 13, Rn. 3; Böse, EWS 2007, S. 202. 28 Satzger, IntStR, S. 207; Hecker, EuStR, § 13, Rn. 3. 29 Vgl. 5. Kap. A. I. 10. 30 Ambos, IntStR, S. 454; Zöller, Krey FS, S. 501, 508. 31 Fassung vom 7.12.2000 (ABl. EG 2000 Nr. C 364, S. 1) zuletzt geändert durch EU-Grundrechtecharta vom 12.12.2007 (ABl. 2007 Nr. C 303, S. 1). 32 Böse, GA 2011, S. 504; Burchard/Brodowski, StraFo 2010, S. 179, 183; Eckstein, ZStW 2012, S. 490, 515. 33 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 1. 34 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 57.

C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept

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setzungen beider Regelungen stimmen im Wesentlichen überein, anders als Art. 54 SDÜ sieht Art. 50 GRC jedoch kein Vollstreckungselement mehr vor. Das für die Fortgeltung des Vollstreckungselements entscheidende Verhältnis beider Vorschriften ist umstritten. Als Bestimmung des EU-Primärrechts ist Art. 50 GRC gegenüber dem sekundärrechtlichen Art. 54 SDÜ grundsätzlich vorrangig35. Art. 50 GRC gilt jedoch nicht absolut, sondern unterliegt dem Einschränkungsvorbehalt in Art. 52 Abs. 1 GRC36. Ein Teil der Lehre37, wie auch der BGH38 betrachten die Regelung des Art. 54 SDÜ als solche Einschränkung des Art. 50 GRC. Dieser Auffassung ist inzwischen auch der EuGH gefolgt, der das in Art. 54 SDÜ enthaltene Vollstreckungselement als eine nach Art. 52 GRC gesetzlich vorgesehene Einschränkung des durch Art. 50 GRC verbürgten Grundsatzes „ne bis in idem“ qualifiziert39. Indes wird nicht nur der Begründungsansatz40, sondern auch die grundrechtsdogmatische Reichweite dieser Entscheidung in Zweifel gezogen41. Hingegen setzen sowohl Art. 50 GRC als auch Art. 54 SDÜ einen „Bezugsgegenstand“42 für das transnational-horizontal wirkende Doppelverfolgungsverbot voraus43. So darf niemand, der in einem Mitgliedstaat bereits rechtskräftig verurteilt worden ist, gemäß Art. 50 GRC wegen „derselben Straftat“ beziehungsweise nach Art. 54 SDÜ wegen „derselben Tat“ in einem anderen Mitgliedstaat verfolgt werden. Ungeachtet der variierenden Terminologie in beiden Vorschriften44 stellt sich die Frage, wie der Begriff „derselben (Straf)Tat“ inhaltlich zu bestimmen ist. Der EuGH legt einen autonomen, von dem nationalen Verständnis der Mitgliedstaaten losgelösten, „europäischen“ Tatbegriff zugrunde45. Dieselbe Tat i. S. d. Art. 54 SDÜ sei zu begreifen als „Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände“46, „die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sowie nach ihrem Zweck unlösbar mit 35

Böse, GA 2011, S. 504, 505. Meyer, HRRS 2014, S. 269, 270. 37 Eckstein, ZStW 2012, S. 490, 523; Hackner, NStZ 2011, S. 425, 429; Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 58; Satzger, IntStR, S. 210 f.; ders., Roxin FS, S. 1515, 1523 f.; Hecker, EuStR, § 13, Rn. 39; vgl. auch Burchard/Brodowski, StraFo 2010, S. 179, 182 ff.; Ambos, IntStR, S. 546 f. 38 BGH NJW 2011, S. 2014, 2015. 39 EuGH vom 27.5.2014, Rs. C-129/14 PPU, Rn. 55 ff. (Zoran Spasic). 40 Böse, GA 2011, S. 504, 505 ff.; Merkel/Scheinfeld, I. Roxin FS, S. 765, 770 ff.; Nestler, HRRS 2013, S. 337, 339 f. 41 Eingehend Meyer, HRRS 2014, S. 269, 272 ff. 42 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 26. 43 Vgl. hierzu eingehend Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 26 ff. 44 Vgl. hierzu Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 26. 45 EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1345, Rn.  32 ff. (Gözütok u. Brügge); Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn. 29 ff. (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 40 ff. (Van Straaten); Rs. C-288/05, Slg. 2007, I-6442, Rn. 28 ff. (Kretzinger); Rs. C-261/09, Slg. 2010, I-11477, Rn. 38 ff. (Mantello); zustimmend Böse, GA 2003, S. 744, 758; ders., EWS 2007, S.  202, 206; Ambos, IntStR, S.  543; Kische, Anm.  zu BGH wistra 2009, S. 162; a. A. Hecker, EuStR, § 13, Rn. 55. 46 EuGH, Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn. 36 (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 48 (Van Straaten); ähnlich Rs. C-288/05, Slg. 2007, I-6442, Rn. 31 (Kretzinger). 36

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7. Kap.: Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen 

einander verbunden sind“47. Damit knüpft der Gerichtshof den Tatbegriff an den tatsächlichen, der Tat zugrunde liegenden Lebenssachverhalt an48. Auf die Qualifizierung der Tat nach dem nationalen Recht der einzelnen Mitgliedstaaten oder das geschützte rechtliche Interesse könne es wegen der fehlenden Harmonisierung ihres materiellen Strafrechts nicht ankommen49. Der unionale Rechtsgrundsatz „ne bis in idem“ basiere vielmehr auf einem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedsländer in ihre Strafjustizsysteme50. Die Bestimmung des Tatbegriffs unabhängig von der materiell-rechtlichen Wertung in den einzelnen Mitgliedstaaten stützt der EuGH auf den Zweck des Art. 54 SDÜ als die Freizügigkeit des Einzelnen sicherndes Verfahrensgrundrecht51, das „verhindern soll, dass eine Person, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat in mehreren Mitgliedstaaten verfolgt wird“52. Das beschuldigtenfreundliche Verständnis des EuGH zum Tatbegriff des Art. 54 SDÜ, das angesichts der Identität der Schutzrichtungen auf Art.  50 GRC übertragen werden kann53, vertritt auch ein Teil  der Literatur54. Ein auf den tatsächlichen Lebenssachverhalt abstellender Tatbegriff sei angesichts des Schutzzwecks des Doppelverfolgungsverbots, Rechtssicherheit für den bereits einmal von einem Strafverfahren Betroffenen zu schaffen, vorzugswürdig, denn er bewahre ihn davor, hinsichtlich desselben Lebenssachverhalts erneut unter einer anderen rechtlichen Wertung strafrechtlich verfolgt zu werden55. Ein normatives Verständnis, das den Tatbegriff von der materiellen Straftat her deutet, könne dem subjektivrechtlichen Schutzzweck des Doppelverfolgungsverbots56 hingegen nicht gerecht werden57. Dies gelte auch dann, wenn die materiell-rechtliche Bewertung der Tat im Erstverfolgerstaat den Unrechtsgehalt der in den anderen betroffenen Mitgliedstaaten einschlägigen Straftatbestände einbezieht58. 47

EuGH, Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn. 38 (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 52 (Van Straaten); Rs. C-288/05, Slg. 2007, I-6442, Rn. 34 (Kretzinger). 48 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 48; ders., Anm. zu EuGH NStZ 2008, S. 162, 163. 49 EuGH, Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn. 29 ff. (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 41 ff. (Van Straaten); Rs. C-288/05, Slg. 2007, I-6442, Rn. 29 ff. (Kretzinger). 50 EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1345, Rn. 33 (Gözütok u. Brügge); Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn.  30 (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 43 (Van Straaten); vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) bb). 51 Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, S. 148 ff.; Böse, GA 2003, S. 744, 751, 760; Ambos, IntStR, S. 540. 52 EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1345, Rn. 38 (Gözütok u. Brügge); ähnlich Rs. C-436/04, Slg. 2006, I-2333, Rn.  33 (Van Esbroeck); Rs. C-150/05, Slg. 2006, I-9327, Rn. 57 (Van Straaten). 53 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 50; ders., NStZ 2012, S. 479, 484. 54 Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, S.  81, 87; Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem, S. 178 f.; Heger, HRRS 2008, S. 413, 416; Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 51; ders., Anm. zu EuGH NStZ 2008, S. 162, 164; ders., NStZ 2012, S. 479, 484. 55 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 27. 56 Vgl. hierzu Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 8 f. 57 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 51; ders., NStZ 2012, S. 479, 484. 58 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 51.

C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept

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In diesem Sinne bestimmt eine andere Ansicht im Schrifttum den Tatbegriff unter Berücksichtigung der in den involvierten Mitgliedstaaten geschützten Rechtsgüter59. Dem zwischenstaatlichen Doppelverfolgungsverbot liege „der Gedanke des grundsätzlich gleichwertigen strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes“ zugrunde60. Dieser erklärt sich vor dem Hintergrund der zweiten Zielbestimmung des Art. 54 SDÜ: So bezweckt Art. 54 SDÜ in objektiv-rechtlicher Hinsicht, als zur unionsbürgerlichen Grundrechtssicherung komplementäre Komponente, eine effektive Strafverfolgung durch die Koordination der Strafrechtspflege in den EU-Mitgliedstaaten61. Indem ein strafrechtlich relevanter, prinzipiell der Verfolgungsgewalt mehrerer Mitgliedstaaten unterliegender Sachverhalt ausschließlich durch den Erstverfolgerstaat behandelt wird, dessen Entscheidung der zwischen den Mitgliedstaaten geltenden gegenseitigen Anerkennung unterliegt, soll eine effiziente Auslastung der mitgliedstaatlichen Justizbehörden im Ganzen erreicht werden62. Der konzentrierte Einsatz der mitgliedstaatlichen Rechtspflegeorgane im Wege der durch den Grundsatz „ne bis in idem“ bestimmten, einmaligen Strafverfolgung könne jedoch nur erfolgen, wenn eine Richtigkeitsgewähr der verfahrensbeendenden Entscheidung des Erstverfolgerstaats gegeben ist63. Der Zweitverfolgerstaat müsse von der Richtigkeit der Abschlussentscheidung des erstverfolgenden Mitgliedstaats überzeugt sein, er müsse darauf vertrauen können, dass die Entscheidung des erstverfolgenden Mitgliedslands zutreffend und umfassend ist64. Insofern setze das transnationale Strafverfolgungsverbot i. S. d. Art.  54 SDÜ das gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Gleichwertigkeit ihrer Strafrechtssysteme voraus65. Nur auf Grundlage dieses Vertrauens könne der Zweitverfolgerstaat sich soweit sicher sein, die Entscheidung des erstverfolgenden Mitgliedslands anerkennen und auf eine erneute Strafverfolgung verzichten zu können, auch wenn die rechtlichen Grundlagen der Entscheidung von den einschlägigen Bestimmungen der eigenen Strafrechtsordnung abweichen66. Das gegenseitige Vertrauen beziehe sich auch auf die Gleichwertigkeit ihres nationalen strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes, denn indem der Zweitverfolgerstaat die verfahrensabschließende Entscheidung des Erstverfolgerstaats akzeptiert, erkenne er auch dessen strafrechtlichen Schutz von Rechtsgütern als dem eigenen Rechtsgüterschutz grundsätzlich gleichwertig an67. Deshalb müsse der zweitverfolgende 59 Eingehend Böse, GA 2003, S. 744, 762 f.; Ambos, IntStR, S. 544; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, S. 105. Für ein normatives Verständnis des Tatbegriffs auch Dannecker, Kohlmann FS, S. 593, 605; Vogel, Schroeder FS, S. 877, 889 f. 60 Ambos, IntStR, S. 544. 61 Ambos, IntStR, S. 540; Böse, GA 2003, S. 744, 750 f.; Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, S. 81, 85; Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, S. 148. 62 Ambos, IntStR, S. 540; Böse, GA 2003, S. 744, 750 f.; Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, S. 81, 85; Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem, S. 148. 63 Böse, GA 2003, S. 744, 752; Ambos, IntStR, S. 540. 64 Böse, GA 2003, S. 744, 752. 65 Böse, GA 2003, S. 744, 752; vgl. 6. Kap. D. IV. 2. a) bb). 66 Böse, GA 2003, S. 744, 752. 67 Böse, GA 2003, S. 744, 760; Ambos, IntStR, S. 544.

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7. Kap.: Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen 

Mitgliedstaat darauf vertrauen können, dass der Erstverfolgerstaat einen aus­ reichenden strafrechtlichen Schutz auch seiner Rechtsgüter gewährleistet68. Dieses Vertrauen sei hingegen nicht geboten, soweit der Erstverfolgerstaat eine Rechtsgutsverletzung nicht gewürdigt hat und deshalb das Strafverfolgungsinteresse des Zweitverfolgerstaats fortbesteht69. Um neben dem Schutz des Einzelnen vor mehrfacher Strafverfolgung auch die Effektivität der transnationalen Strafverfolgung gewährleisten und ein Gleich­ gewicht zwischen dem subjektiv-rechtlichen und dem objektiv-rechtlichen Regelungsziel des transnationalen Strafverfolgungsverbots i. S. d. Art. 54 SDÜ schaffen zu können, müsse der Tatbegriff somit normativ, unter Berücksichtigung der geschützten Rechtsgüter bestimmt werden70. Dieses engere Verständnis des Tatbegriffs löse besagten Zielkonflikt des Art.  54 SDÜ gleichsam im Hinblick auf die weite Auslegung der Voraussetzung der „rechtskräftigen Aburteilung“ durch den EuGH71, nach der auch nicht-richterliche Entscheidungen den zwischenstaatlichen Strafklageverbrauch herbeiführen können72. Bei der konkreten Bestimmung des Tatbegriffs seien die im erstverfolgenden Mitgliedstaat angewendeten Strafnormen in Bezug zu nehmen73. „Dieselbe Tat“ i. S. d. Art. 54 SDÜ liege vor, wenn „die Handlung und das betroffene Rechtsgut sowie ggf. die Art des Angriffs […] in beiden Tatbeständen im Wesentlichen identisch sind.“74 Das bedeutet, wenn die Verletzung der Rechtsgüter des Zweitverfolgerstaats vom Unrechtsgehalt der vom Erstverfolgerstaat angewendeten Strafvorschriften umfasst ist, ist dasselbe Rechtsgut betroffen und die Tatidentität i. S. d. Art. 54 SDÜ als Voraussetzung für das transnationale Doppelverfolgungsverbot liegt vor. Dagegen wäre das „ne bis in idem“ mangels Vorliegen „derselben Straf(Tat)“ i. S. d. Art. 50 GRC, 54 SDÜ nicht einschlägig, wenn eine Rechtsgutidentität abzulehnen ist, weil der Unrechtsgehalt der vom Erstverfolgerstaat angewendeten Strafvorschriften die Verletzung der Rechtsgüter des Zweitverfolgerstaats nicht erfasst. In diesem Fall müsse dem Zweitverfolgerstaat die Möglichkeit einer erneuten Strafverfolgung zustehen und somit das Beschuldigteninteresse, in einem anderen Mitgliedstaat erneut verfolgt zu werden, hinter dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse zurücktreten75. Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Konsequenzen für den Beschuldigten wird eine Anrechnung der durch den erstverfolgenden Mitgliedstaat verhäng 68

Böse, GA 2003, S. 744, 760. Böse, GA 2003, S. 744, 752; Ambos, IntStR, S. 544. 70 Böse, GA 2003, S. 744, 760 ff.; Ambos, IntStR, S. 544; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, S. 105. 71 EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1345, Rn. 31 (Gözütok u. Brügge). 72 Böse, GA 2003, S. 744, 745 ff., 763; Ambos, IntStR, S. 541 f. 73 Böse, GA 2003, S. 744, 761 f.; Ambos, IntStR, S. 544. 74 Böse, GA 2003, S. 744, 762; zustimmend Ambos, IntStR, S. 544; vgl. zu der Bedeutung des Rechtsguts für die Tatidentität als Voraussetzung des „ne bis in idem“ auch GA ­Colomer, Schlussantr. zu EuGH, verb. Rs. C-187/01 und C-385/01, Slg. 2003, I-1345, Rn. 56 ff. ­(Gözütok u. Brügge). 75 Böse, GA 2003, S. 744, 762. 69

C. Der Grundsatz „ne bis in idem“ als Lösungskonzept

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ten Strafe vorgeschlagen76. Diese rechtsgutsorientierte Definition „derselben Tat“ i. S. d. Art. 50 GRC, 54 SDÜ entspricht dem Tatbegriff des Grundsatzes „ne bis in idem“ im EU-Wettbewerbsrecht77. Auch wenn das rechtsgutsorientierte Verständnis des Tatbegriffs eine umfassende rechtliche Würdigung der Tat gewährleistet und dabei den Unterschieden im materiellen Strafrecht der Mitgliedstaaten besser gerecht werden kann, wird ihm berechtigterweise entgegen gehalten, die so gewonnene materielle Gerechtigkeit gehe mit einem empfindlichen Verlust an Rechtssicherheit für den Betroffenen wie auch für die nationalen Strafverfolgungsbehörden einher78. Allein in Anbetracht des primären Schutzzwecks des transnationalen Doppelverfolgungsverbots, das Vertrauen des Betroffenen in die Beständigkeit und Endgültigkeit der gegen ihn in einem Strafverfahren ergangenen staatlichen Entscheidung zu wahren79, erscheint daher der weite, beschuldigtenfreundliche Tatbegriff des EuGH vorzugswürdig. Zudem spricht auch Art.  55 Abs.  1 SDÜ für ein weites Verständnis des Tatbegriffs als Voraussetzung des in Art. 54 SDÜ normierten transnationalen Doppelverfolgungsverbots, indem er dieses eigens mit normativen Grenzen versieht. So sind die EU-Mitgliedstaaten nach Art. 55 Abs. 1 SDÜ berechtigt, Vorbehalte gegen das Verbot einer erneuten Strafverfolgung i. S. d. Art. 54 SDÜ zu erklären, um eigene Strafverfolgungsinteressen durchzusetzen80. Während Art. 55 Abs. 1 lit. a SDÜ eine erneute Strafverfolgung erlaubt, wenn es sich aus Sicht des Erstverfolgerstaats um eine Auslandstat handelt und er diese deshalb nur eingeschränkt rechtlich würdigen kann, können sich die Vertragsstaaten nach Art. 55 Abs. 1 lit. b und c SDÜ eine erneute Strafverfolgung vorbehalten, weil die Tat gewisse staatliche Interessen beeinträchtigt, die im Erstverfolgerstaat nicht strafrechtlich geschützt werden81. Gemäß Art. 55 Abs. 1 lit. b SDÜ sind dies die nationale Sicherheit oder gleichermaßen wesentliche staatliche Interessen, nach Art.  55 Abs.  1 lit. c SDÜ die Integrität der öffentlichen Amtsführung. So hat die deutsche Bundesregierung einen Art. 55 Abs. 1 lit. b SDÜ entsprechenden Vorbehalt bezüglich der im deutschen Strafrecht durch § 80 und § 80a, durch die §§ 81 bis 83, 84 bis 90b, 94 bis 100, die §§ 109 bis 109k, durch § 129 und § 129a StGB sowie durch 76

Böse, GA 2003, S. 744, 762; Ligeti, Strafrecht und strafrechtliche Zusammenarbeit, S. 106. Vgl. hierzu GA Colomer, Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-213/00 P, Slg. 2004, I-230, Rn. 88 ff. (Italcementi SpA); ders., Schlussantr. zu EuGH, Rs. C-217/00 P, Slg. 2004, I-230, Rn. 170 ff. (Buzzi Unicem SpA); Böse, GA 2003, S. 744, 762. 78 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 51. 79 Böse/Radtke, EuStR, § 12, Rn. 8. 80 Es ist mit Liebau, „Ne bis in idem“ in Europa, S.  127; Böse, EWS 2007, S.  202, 208 Fn. 70; Zöller, Krey FS, S. 501, 513, davon auszugehen, dass die gemäß Art. 55 SDÜ erklärten Vorbehalte auch nach Überführung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der EU fortgelten; a. A. Plöckinger/Leidenmühler, wistra 2003, S. 81, 82; Hecker, EuStR, § 13, Rn. 67; Ana­ gnostopoulos, Hassemer FS, S. 1121, 1128; vgl. zu den von der Bundesrepublik Deutschland vorgebrachten Vorbehalten BGBl. 1994 II, S. 631. 81 Böse, EWS 2007, S. 202, 208. 77

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7. Kap.: Strafanwendungs- und strafverfahrensrechtliche Folgen 

das AWG geschützten Rechtsgüter erklärt82. Dabei handelt es sich im Grundsatz um diejenigen nationalen Interessen, die als staatliche Allgemeinrechtsgüter nicht der aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV folgenden wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten unterliegen und deshalb nicht bereits durch das Straf(anwendungs)recht des Erstverfolgerstaats geschützt werden, so dass das Strafverfolgungsinteresse des Zweitverfolgerstaats bezüglich dieser Rechtsgüter fortbesteht. Ihre Verletzung muss daher durch den eigenen Staat im Rahmen einer erneuten Strafverfolgung gewürdigt werden können. Die in Art. 55 Abs. 1 SDÜ enthaltenen Ausnahmen vom transnationalen Doppelverfolgungsverbot i. S. d. Art. 54 SDÜ tragen so denjenigen mitgliedstaatlichen Interessen Rechnung, die gerade durch das enge, rechtsgutsorientierte Verständnis des Tatbegriffs gewährleistet werden sollen83. Dies bedeutet zunächst, dass es einer restriktiven Auslegung des Tatbegriffs gar nicht bedarf, soweit Art. 55 Abs. 1 SDÜ einschlägig ist84. Darüber hinaus darf der in Art. 55 Abs. 1 SDÜ enthaltene Ausnahmekatalog nicht aufgrund eben dieses engen Verständnisses des Tatbegriffs beliebig erweitert und so die Grenzen, die dem Doppelverfolgungsverbot de lege lata vorgegeben sind, unterlaufen werden85. So bringen die in Art. 55 Abs. 1 lit. b und c SDÜ enthaltenen Vorgaben auch zum Ausdruck, dass Ausnahmen vom transnationalen Doppelverfolgungsverbot zum Schutz anderer als der dort aufgeführten staatlichen Allgemeinrechtsgüter der EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht zulässig sind, zumal diese anderen, als kollektive wie auch als staatliche Allgemeinrechtsgüter zu qualifizierenden mitgliedstaatlichen Interessen, wie gesehen, einen Bezug zu einem supranationalen europäischen Rechtsgut aufweisen und sie aufgrund dieses Bezugs auch nicht dem Territorialvorbehalt des Art. 55 Abs. 1 lit. a 2. HS SDÜ unterfallen, weil sich ihre Verletzung immer auch in den anderen Mitgliedstaaten auswirkt86. Trotz der Unzulässigkeit einer erneuten Strafverfolgung steht eine Beeinträchtigung der Strafverfolgungsinteressen der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich dieser Allgemeinrechtsgüter gleichwohl nicht zu befürchten. Denn soweit diese der wechselseitigen strafrechtlichen Assimilierungspflicht der Mitgliedstaaten unterfallen, werden sie bereits durch das nationale Straf(anwendungs) recht des Erstverfolgerstaats umfassend geschützt. Bildet damit die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs.  3 EUV folgende, wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten die Grundlage für eine interessengerechte Anwendung des „ne bis in idem“, ermöglicht dieses die Auflösung der insoweit entstehenden positiven Kompetenzkonflikte zwischen den EU-Mitgliedstaaten. 82

BGBl. 1994 II, S. 631. Böse, EWS 2007, S. 202, 208. 84 Böse, EWS 2007, S. 202, 208. 85 Böse, EWS 2007, S. 202, 208. 86 Vgl. in Bezug auf das kollektive Allgemeinrechtsgut Wettbewerb: Böse, EWS 2007, S. 202, 208. 83

8. Kapitel

Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass der deutsche Staat als Mitgliedsland der Europäischen Union nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zu der Einbeziehung von Rechtsgütern der anderen EUMitgliedstaaten in den Schutzbereich deutscher Straftatbestände verpflichtet ist. Thematisch zugrunde liegt die Frage, inwieweit ausländische Rechtsgüter durch das deutsche Strafrecht geschützt werden1. Für die Schutzbereichsbestimmung eines Straftatbestands maßgebend ist die Kategorisierung des geschützten Rechtsguts2. Zu unterscheiden ist zwischen den sich nach dem jeweiligen Rechtsgutsträger richtenden Rechtsgutsgruppen der Individualrechtsgüter, der staatlichen Allgemeinrechtsgüter und der kollektiven Allgemeinrechtsgüter3. Während Individualrechtsgüter aufgrund des völkerrechtlichen Mindeststandards immer vom Schutzbereich der deutschen Strafvorschriften umfasst sind4, gilt eine Schutzbereichserweiterung deutscher Straftatbestände auf ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter aufgrund ihres engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat traditionell als ausgeschlossen5. Dagegen besteht zum strafrechtlichen Schutz ausländischer kollektiver Allgemeinrechtsgüter kein entsprechend gefestigter Grundsatz, was auf die Schwierigkeit zurück zu führen ist, diese Rechtsgutsgruppe einheitlich zu typisieren sowie von den anderen Rechtsgutsarten abzugrenzen6. Im Hinblick dessen bedarf es einer individuellen Auslegung jeder deutschen Strafvorschrift daraufhin, ob sie nur inländische oder auch ausländische Rechtsgüter erfasst, wobei dem Gesetzeswortlaut als verobjektivierter Wille des Gesetzgebers entscheidende Bedeutung zuzumessen ist7. So weist die deutsche Strafrechtsordnung Bestimmungen auf, die ausdrücklich sowohl ausländische kollektive als auch, ungeachtet des traditionellen Grundsatzes, ausländische staatliche Allgemeinrechtsgüter in ihren Schutzbereich einbeziehen, wobei Strafvorschriften existieren, die Allgemeinrechtsgüter anderer 1

Vgl. 4. Kap. Vgl. 4. Kap. C. 3 Vgl. 3. Kap. B. und C. 4 Vgl. 4. Kap. C. I. 5 Vgl. 4. Kap. C. II. 6 Vgl. 4. Kap. C. III. 7 Vgl. 4. Kap. D. 2

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8. Kap.: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

Nationen generell erfassen8, wie auch solche, die ausschließlich Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in ihren Schutzbereich einbeziehen9. Während die Schutzbereichserweiterungen deutscher Strafvorschriften auf Allgemeinrechtsgüter auch von Nicht-Mitgliedstaaten der EU zur Erfüllung völkervertrags- und völkergewohnheitsrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik erfolgten10, lassen sich die auf Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten beschränkten straftatbestandlichen Schutzbereichserweiterungen auf den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zurückführen, der, dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Bundestreue im Bundesstaat Deutschland entsprechend, das Verhältnis der EU und ihrer Mitgliedstaaten beherrscht und die konkretisierungsbedürftige Grundlage für die Begründung verbindlicher Rechtspflichten sowohl zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten, als auch zwischen den EU-Mitgliedstaaten untereinander bildet mit dem Ziel, die Funktionsfähigkeit der EU zu gewährleisten11. Zwar hat der EuGH dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV bislang keine zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehende Verpflichtung zum wechselseitigen strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter entnommen12, sondern in seinem Mais-Urteil ausschließlich die strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der EU zum Schutz der supranationalen europäischen Rechtsgüter bestimmt13. In Anbetracht des Normauftrags des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV, der auch das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander beherrscht und diese verpflichtet, ihre sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebende Loyalitätspflicht gegenüber der EU gleichermaßen im Rahmen ihres Pflichtenverhältnisses untereinander Rechnung zu tragen sowie angesichts der Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, ihrer sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ergebenden Loyalitätspflicht gegenüber der EU auch durch ihre Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts nachzukommen, ist ein wechselseitiger strafrechtlicher Rechtsgüterschutz der EU-Mitgliedstaaten auf Grundlage des Prinzips der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV jedoch geeignet und geboten, um ihre strafrechtliche Assimilierungspflicht gegenüber der EU zum Schutz der supranationalen europäischen Rechtsgüter zu erfüllen14. Bezüglich ihrer als kollektive Allgemeinrechtsgüter einzuordnenden Interessen folgt die wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitglied 8

Vgl. 5. Kap. A. Vgl. 5. Kap. C. 10 Vgl. 5. Kap. B. 11 Vgl. 6. Kap. B. 12 Vgl. 6. Kap. C. I. 13 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. 14 Vgl. 6. Kap. D. 9

8. Kap.: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

261

staaten unmittelbar aus ihrer strafrechtlichen Assimilierungspflicht zum Schutz der supranationalen Rechtsgüter der EU. Denn da das nationale Recht, das die mitgliedstaatlichen Kollektivrechtsgüter betrifft, eine weitgehende Harmonisierung durch europäisches Recht erfahren hat und die nationalen Rechtsgüter damit derart überformt wurden, dass sie zu einheitlichen, auf europäischer Ebene zu schützenden supranationalen Rechtsgütern erhoben wurden, bedeutet eine Rechtsgutsverletzung auf mitgliedstaatlicher Ebene immer auch eine Beeinträchtigung des dem Schutzauftrag der Mitgliedstaaten gegenüber der EU unterliegenden, supranationalen europäischen Rechtguts15. Hinsichtlich der als staatliche Allgemeinrechtsgüter anzusehenden mitgliedstaatlichen Interessen kann dagegen aus der die EU-Mitgliedstaaten gemäß des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV treffenden, vertikalen strafrechtlichen Assimilierungspflicht keine direkte horizontale Schutzverpflichtung gefolgert werden. Denn die staatlichen Allgemeinrechtsgüter betreffen Rechtsgebiete, die als Kernbereiche der staatlichen Souveränität primär der nationalen Rechtssetzungskompetenz unterliegen und deshalb bislang nicht durch das EU-Recht in der Weise harmonisiert wurden, dass sie nun als Teile eines identischen supranationalen europäischen Rechtsguts qualifiziert werden könnten. Vielmehr bestehen sie in den einzelnen Mitgliedstaaten separat und unabhängig voneinander, entsprechend ihres sie charakterisierenden engen Bezugs zum eigenen Staatsapparat. Allerdings macht die aus dem Grundsatz loyaler Zusammenarbeit i. S. d. Art.  4 Abs.  3 EUV folgende Pflicht zum umfassenden strafrechtlichen Schutz bestimmter supranationaler europäischer Rechtsgüter auch den gegenseitigen Schutz staatlicher Allgemeinrechtsgüter durch die Mitgliedstaaten erforderlich, wenn ein funktionaler Zusammenhang zwischen der Gewährleistung eines supranationalen EU-Rechtsguts und als staatliche Allgemeinrechtsgüter zu klassifizierenden mitgliedstaatlichen Interessen gegeben ist. So ist insbesondere die Funktionsfähigkeit des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gemäß den Art.  67 ff. AEUV abhängig von mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern insofern, als sich dieser gerade auf die Zusammenarbeit der den staatlichen Allgemeinrechtsgütern zuzuordnenden öffentlichen Verwaltung und Justiz der einzelnen Mitgliedstaaten gründet. Das zwischen den EU-Mitgliedstaaten wirkende Treueverhältnis i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV, das im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts eine spezielle Ausprägung in Gestalt des Prinzips gegenseitigen Vertrauens erfährt und die Mitgliedstaaten zur vertrauensgestützten Kooperation untereinander verpflichtet, um den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts i. S. d. Art. 67 ff. AEUV zu gewährleisten, fungiert in diesem Fall als Bindeglied zwischen den separat bestehenden mitgliedstaatlichen Allgemeinrechtsgütern und bildet das Substitut für die fehlende Harmonisierung des jene Rechtsgüter bestimmenden nationalen Rechts. Insofern kann das Bedürfnis eines lückenlosen strafrechtlichen Schutzes eines supranationalen euro­ 15

Vgl. 6. Kap. D. I. bis III.

262

8. Kap.: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

päischen Rechtsguts auch die Einbeziehung staatlicher Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedstaaten in den nationalen Strafschutz erforderlich machen16. Der deutsche Staat ist seiner sich aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV ergebenden Verpflichtung zur Einbeziehung kollektiver wie auch staatlicher Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich seiner nationalen Straftatbestände gesetzgeberisch nachgekommen17, gleichsam kann er ihr durch Auslegung neutral formulierter Straftatbestände Rechnung tragen18. Das strafrechtsspezifische Schonungsgebot, das die EU gegenüber ihren Mitgliedstaaten nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs. 3 EUV zur Beachtung der in Art. 4 Abs. 2 EUV verankerten nationalen Identität ihrer EU-Mitgliedsländer verpflichtet19, erfährt im Hinblick auf die Schutzbereichserweiterungen deutscher Straftatbestände auf die kollektiven Allgemeinrechtsgüter der anderen Mitgliedsländer aufgrund der das Gleichstellungsgebot als Voraussetzung des Schonungsgrundsatzes erfüllenden Identität der mitgliedstaatlichen Interessen mit dem betreffenden supranationalen europäischen Rechtsgut hinreichende Berücksichtigung20. Im Fall der Einbeziehung der staatlichen Allgemeinrechtsgüter der anderen EU-Mitgliedstaaten in den Schutzbereich des deutschen Strafrechts schafft die funktionale Gleichwertigkeit der erfassten mitgliedstaatlichen Interessen mit den originär geschützten nationalen Rechtsgütern die Grundlage für eine hinreichende Schonung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen21. Indes umfasst die aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit i. S. d. Art. 4 Abs.  3 EUV folgende, wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten nicht nur ihr materielles Strafrecht, sondern auch ihr Strafanwendungsrecht und ermächtigt so die Mitgliedstaaten im Sinne eines europäischen Territorialitätsprinzips, ihre Strafgewalt auf alle Straftaten in jedem Mitgliedstaat auszudehnen, durch die mitgliedstaatliche Rechtsgüter beeinträchtigt werden22. Ein Lösungskonzept für die durch die wechselseitige strafrechtliche Assimilierungspflicht der EU-Mitgliedstaaten entstehenden positiven Kompetenzkonflikte bietet das zwischenstaatliche „ne bis in idem“23. Das Assimilierungsprinzip bedeutet eben noch keine Harmonisierung, sondern lediglich eine Europäisierung des Strafrechts der EU-Mitgliedstaaten24. Diese durch 16

Vgl. 6. Kap. D. IV. bis VI. Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) aa) sowie D. I. und IV. 18 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. g) bb) sowie D. III. und VI. 19 Vgl. 6. Kap. C. II. 2. f) bb). 20 Vgl. 6. Kap. D. I. und III. 21 Vgl. 6. Kap. D. IV. und VI. 22 Vgl. 7. Kap. B. 23 Vgl. 7. Kap. C. 24 Kreuzer/Scheuing/Sieber/Tiedemann, Europäisierung, S. 133, 143 f. 17

8. Kap.: Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

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aus treffende Aussage sollte nicht als Kritik verstanden werden. Denn auch nach dem Vertrag von Lissabon ist eine komplette Vereinheitlichung des mitgliedstaatlichen Kriminalstrafrechts ausweislich seines Verbleibs im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten nicht beabsichtigt. Das Strafrecht spiegelt als Kernbereich der staatlichen Souveränität die traditionellen Eigenheiten der einzelnen Mitgliedstaaten wider. Ihre Vielfalt zu wahren bleibt auch im gemeinsamen Europa nach dem Vertrag von Lissabon erklärtes Ziel. Durch das Assimilierungsprinzip kann einerseits der Souveränität der einzelnen EU-Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden, indem ihre Strafrechtsordnungen zur Erfüllung ihrer strafrechtlichen Schutzpflicht ausschließlich unter Berücksichtigung des strafrechtsspezifischen Schonungsgebots funktionalisiert werden dürfen. Andererseits ermöglicht das Assimilierungsprinzip, bis zur Durchsetzung derjenigen Harmonisierungsmaßnahmen, die einen durch die europäischen Verträge für bestimmte Bereiche ausdrücklich ausgewiesenen, einheitlichen euro­ päischen Strafrechtsschutz verwirklichen, einen zweckmäßigen, hinreichend effektiven Einsatz des mitgliedstaatlichen Strafrechts im europäischen Rechtsraum.

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Sachverzeichnis Allgemeinrechtsgüter  31 ff. –– kollektive ~  37 ff. –– staatliche ~  32 ff. Amtsanmaßung (§ 132 StGB)  36, 169, 196, 227 ff. Amtsdelikte (§§ 331 ff. StGB)  36, 78 f., 79 ff., 82 ff., 89, 106 ff., 165, 196, 202, 211 f., 221, 250 Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 91 StGB)  68 ff. Assimilierungspflicht  147 ff., 169 ff., 249 ff. Assimilierungsprinzip 149 Aufnahme von Beziehungen zur ­Begehung einer schweren staatsgefährdenden ­ Gewalttat (§ 89b StGB)  68 ff. Ausländerstrafrecht (§§ 95 ff. AufenthG)  97 f. ausländische und internationale Bedienstete (§ 335a StGB)  77 ff., 79 ff., 82 ff., 107 ff., 165, 196, 201 ff., 251 Auslandseigenschaft eines Rechtsguts  47 f. Auslegung –– individuelle ~  66 f. –– rahmenbeschlusskonforme ~  168 –– richtlinienkonforme ~  167 –– unionsrechtskonforme ~  166 ff., –– völkerrechtsfreundliche ~  101, 105 Aussagedelikte (§§ 153 ff. StGB)  35, 60, 76 f., 164, 238 ff. Außenwirtschaft(sstrafrecht) (§§ 17, 18 AWG)  113 f., 215 ff. Auswirkungsprinzip  117, 174 ff. Begriffsbestimmungen (§ 330d StGB)  94 f., 114 f. Bestechlichkeit und Bestechung im ­ geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB)  39, 92 ff.

Bestechlichkeit und Bestechung von ­ Mandatsträgern (§ 108e StGB)  36, 43, 62, 72 f., 95 f. Binnenmarkt  137 f., 153, 171 f., 177, 187 ff., 189 BNatSchG  181 f. Bundestreue  130 ff. Doppelverfolgungsverbot  251 ff. EU-RhÜbk  85 ff. EUBestG  106 ff., 109, 165 f., 196 f., 201 ff., 211, 250 falsche Verdächtigung (§ 164 StGB)  34, 55 ff., 240 f. Gefangenenbefreiung (§ 120 StGB)  34, 59 f., 221 ff. Gefangenenmeuterei (§ 121 StGB)  34, 59 f., 221 ff. gegenseitiges Vertrauen  208 ff. Geld, Wertzeichen und Wertpapiere eines fremden Währungsgebiets (§ 152 StGB)  75 f. Geldwäsche (§ 261 StGB)  35, 60, 89 ff., 243 ff. Gewahrsam  34, 152 f., 195 f., 221 ff., 229 ff. Gleichstellungsgebot  149, 157 f. griechischer Maisskandal  148 ff. Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit  127 ff. Hausfriedensbruch (§ 123 StGB)  34, 57, 60, 225 ff. Individualrechtsgüter  30 f. –– ausländische ~  53 ff. IntBestG  82 ff., 95 f. internationale Gerichte (§ 162 Abs. 1 StGB)  76 f., 164, 238 ff. IStGHGleichstG  77 ff.

Sachverzeichnis Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB)  38, 182 f. Kapitalmarkt(strafrecht) (§ 38 WpHG)  38, 116 ff., 177 ff. kollektive Allgemeinrechtsgüter  37 ff. –– ausländische ~  61 ff. Kooperationsprinzip 141 Kreditbetrug (§ 265b StGB)  38, 63 f., 185 f. kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland (§ 129b StGB)  87 f. Lebensmittelstrafrecht  40 f., 191 ff. Mindesttrias  149, 157 f. Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (§ 132a StGB)  74 f. ne bis in idem  251 ff. NTSG  79 ff. öffentliche Sicherheit  42 f., 63, 87 f. öffentliche Verwaltung  36, 77 ff., 83 f., 201 ff. PJZS  104 f., 150 f., 170 positive Kompetenzkonflikte  251 ff. Prinzip der Rücksichtnahme  142 Rahmenbeschluss  104 f. Rahmensystem  155 ff. Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts  104, 126, 204 ff., 212 ff., 223, 226, 234, 237, 241, 242, 244 Rechtsgut  25 f. Rechtsgutsbegriff  27 f., 28 ff. Rechtspflege  34 f., 44, 55 ff., 76 f., 89 ff., 152, 164, 195, 238 ff., 240 f., 243 ff. Richtlinie 103 SDÜ  85 ff., 94, 211, 252 ff. Sicherheit des Straßenverkehrs  42, 63, 189 ff. sicherheitsrechtliches Exportkontrollinteresse  33, 113 ff., 215 ff. Siegelbruch (§ 136 Abs. 2 StGB)  34, 60, 169, 196, 233 ff. Solidaritätsprinzip 142

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staatliche Allgemeinrechtsgüter  32 ff. –– ausländische ~  58 ff. Staatsschutzprinzip  248 f. Steuerhinterziehung (§ 370 AO)  36, 60, 109 ff., 197 ff., Strafanwendungsrecht  49 f., 248 ff. Strafbarkeit wettbewerbsbeschränkender ­ Absprachen (§ 298 StGB)  39, 187 ff. Strafrechtspflege  35, 236 ff., 145, 213, 242 f., Strafrechtssetzungskompetenz –– mitgliedstaatliche ~  160 f. –– supranationale ~  150 f. strafrechtsspezifisches Schonungsgebot  162 ff. Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 bis 104a StGB)  70 ff. Strafvereitelung (§ 258 StGB)  35, 60, 242 f. –– im Amt (§ 258a StGB)  35, 59, 221, 242 Straßenverkehrsdelikte (§§ 315b ff. StGB, § 21 StVG)  42 f., 189 ff. supranationale europäische Rechtsgüter  151 ff. Tatbegriff  253 ff. Territorialitätsprinzip 249 –– europäisches ~  250 f. transnationales Strafrecht  49 ff., Umwelt  39, 94 f., 114 f., 153, 171 ff., 181 f. Unionstreue  129 ff. Urkunden(fälschung) (§§ 267 ff. StGB)  38, 153, 169 Verbraucherschutz  153, 194 Vermögen  35, 109 ff., 197 ff. Verordnung 103 Versicherungsmissbrauch (§ 265 StGB)  38, 63, 183 ff., Verstrickungsbruch (§ 136 Abs. 1 StGB)  34, 169, 196, 231 ff. Vertrag von Lissabon  19, 105 f., 122 ff., 151, 204, 252 Verwahrungsbruch (§ 133 StGB)  34, 44, 169, 196, 229 ff. Völkergewohnheitsrecht  72, 99 ff.

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Sachverzeichnis

Völkerstrafrecht  73, 99 ff. Völkervertragsrecht  99 ff. Volksgesundheit  40 ff., 191 ff., 194 Vollstreckungselement  252 f. Vorbereitung einer schweren staatsgefährden­ den Gewalttat (§ 89a StGB)  68 ff. Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB)  35, 169, 196, 236 ff.

Waffen(straf)recht (§ 51 ff. WaffG)  33, 111 f., 212 ff. Wettbewerb  39, 83, 92 ff., 95 f., 138, 153, 174 f., 187 ff., 257 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB)  33, 59, 79 ff., 85 ff., 221, Zollkodex  109 ff., 233 ff.