Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels: Gemeinsame Tagung der Internationalen Hegel-Gesellschaft und der Internationalen Hegel-Vereinigung, 10.–12.04.2003, Erasmus Universität Rotterdam [Reprint 2014 ed.] 9783050047201, 9783050040868

Der vorliegende Band enthält Beiträge zu allen systematisch wichtigen Texten aus Hegels Jenaer Zeit. Das gilt für die Di

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German Pages 274 [276] Year 2004

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Table of contents :
Geleitwort 1
Geleitwort 2
Das Verhältnis von Philosophie und Geschichte am Anfang der Jenaer Periode des Hegelschen Denkens und dessen aktuelle Bedeutung
Das Verhältnis Hegels zu Kant in den frühen Jenaer Texten und seine Vorgeschichte in der Frankfurter Zeit
Philosophische Kritik in Hegels Systemkonzeption von 1801/02
Zur Rekonstruktion eines Systems der Sittlichkeit im ‚Naturrechtsaufsatz‘
Selbstbewusstsein, Skeptizismus und Solipsismus in Hegels Jenaer ‚Systementwürfen I bis III‘
Hegels Naturphilosophie der Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die Systemkonzeption
Raum und Zeit in Hegels Jenaer Systementwürfen
Natur und Geist oder Leib und Seele? Eine Perspektive auf Hegels Systemansatz in den ‚Jenaer Systementwürfen I‘
Die Bedeutung der ‚Mitten‘ des Bewusstseins (Sprache, Arbeit, Familie) in Hegels Systementwurf von 1803/04 und die spätere veränderte Konzeption
,Esel ist ein Ton‘. Das Bewusstsein und die Namen in Hegels Jenaer Systementwürfen von 1803/04 und 1805/06
Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins (1801-1805/06)
Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität. Zum Paradigmenwechsel Hegels in Jena
Unendliche Bestimmtheit und wahrhafte Individualität in Hegels Logik-Entwurf von 1804/05
Zur Revision der praktischen Philosophie Hegels in dem Systementwurf von 1805/06
Der Begriff des Gewissens im Gesamtbild der Systemkonzeption in der ‚Phänomenologie des Geistes‘
Hegels Systemkonzeption in der ‚Phänomenologie des Geistes‘
Die ‚Phänomenologie‘ - Konsequenz oder Krise in der Entwicklung Hegels?
Kurzbiographien der Autoren
Personenregister
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Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels: Gemeinsame Tagung der Internationalen Hegel-Gesellschaft und der Internationalen Hegel-Vereinigung, 10.–12.04.2003, Erasmus Universität Rotterdam [Reprint 2014 ed.]
 9783050047201, 9783050040868

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Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels Herausgegeben von Heinz Kimmerle

Hegel-Forschungen Herausgegeben von Andreas Arndt Karol Bai Henning Ottmann

Die Eigenbedeutung der Jenaer Systemkonzeptionen Hegels Gemeinsame Tagung der Internationalen Hegel-Gesellschaft und der Internationalen Hegel-Vereinigung, 10. - 12.04.2003, Erasmus Universität Rotterdam

Herausgegeben von Heinz Kimmerle

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Vereniging Trustfonds Erasmus Universiteit Rotterdam und der Stiftung für interkulturelle Philosophie und Kunst

ISBN 3-05-004086-6 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2004 Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN / ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Lektorat: Mischka Dammaschke Einbandgestaltung: Günter Schorcht, Schildow Satz: Julia Brauch, Berlin Druck: MB Medienhaus Berlin GmbH Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Geleitwort 1 Geleitwort 2

7 10

HEINZ KIMMERLE

Das Verhältnis von Philosophie und Geschichte am Anfang der Jenaer Periode des Hegeischen Denkens und dessen aktuelle Bedeutung

11

MARTIN BONDELI

Das Verhältnis Hegels zu Kant in den frühen Jenaer Texten und seine Vorgeschichte in der Frankfurter Zeit

25

PETER JONKERS

Philosophische Kritik in Hegels Systemkonzeption von 1801/02

45

PAUL CRUYSBERGHS

Zur Rekonstruktion eines Systems der Sittlichkeit im , Naturrechtsaufsatz '

61

KLAUS VIEWEG

Selbstbewusstsein, Skeptizismus und Solipsismus in Hegels Jenaer Systementwürfen I bis III'

75

WOLFGANG NEUSER

Hegels Naturphilosophie der Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die Systemkonzeption

89

VIOLETTA L . WAIBEL

Raum und Zeit in Hegels Jenaer Systementwürfen

99

ULRICH SCHLÖSSER

Natur und Geist oder Leib und Seele? Eine Perspektive auf Hegels Systemansatz in den Jenaer Systementwürfen Γ

117

6

WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK

Die Bedeutung der ,Mitten' des Bewusstseins (Sprache, Arbeit, Familie) in Hegels Systementwurf von 1803/04 und die spätere veränderte Konzeption

135

BIRGIT SANDKAULEN

,Esel ist ein Ton'. Das Bewusstsein und die Namen in Hegels Jenaer Systementwürfen von 1803/04 und 1805/06

149

CHRISTOF SCHALHORN

Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins (1801-1805/06)

165

KLAUS DÜSING

Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität. Zum Paradigmenwechsel Hegels in Jena

185

BRADY BOWMAN

Unendliche Bestimmtheit und wahrhafte Individualität in Hegels Logik-Entwurf von 1804/05

201

MYRIAM BIENENSTOCK

Zur Revision der praktischen Philosophie Hegels in dem Systementwurf von 1805/06

215

KAROL BAL

Der Begriff des Gewissens im Gesamtbild der Systemkonzeption in der .Phänomenologie des Geistes'

Lu D E

229

VOS

Hegels Systemkonzeption in der ,Phänomenologie des Geistes'

239

OTTO PÖGGELER

Die Phänomenologie' - Konsequenz oder Krise in der Entwicklung Hegels?

257

Kurzbiographien der Autoren

268

Personenregister

273

Anmerkung des Herausgebers zur Zitierweise Wo immer es möglich ist, werden die Texte Hegels nach der Historisch-kritischen Ausgabe zitiert: G.W .F. Hegel, Gesammelte Werke, hg. im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Bd.4, 6 und 7), in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft hg. von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften (übrige bisher erschienene Bände), Hamburg 1968 ff. Nach dieser Ausgabe wird verwiesen durch: GW, Zahl des Bandes, Seitenzahl.

Geleitwort 1

Der .Kalte Krieg', den dankenswerterweise kaum noch jemand erinnert, übte ideologische Wirkungen bis in die vermeintlich objektiven und wertneutralen Bereiche der Wissenschaft. Hegel als eminent historischer Denker wäre darüber nicht erstaunt gewesen. Er wurde jedoch Opfer der Geschehnisse, weil über Jahrzehnte die orthodoxe wie die liberale Schule des Marxismus Rückschlüsse auf die Interpretation des ideenspendenden Vorgängers suggerierten. Jene dialektischen Kämpfe um die Dialektik sind inzwischen erledigt. Was die beiden im Namen Hegels vor die internationale Öffentlichkeit tretenden Gesellschaften trotz allem dauerhaft eint, ist der gemeinsame, durch Parteinahmen nicht überbietbare Respekt vor einem Großen der deutschen, ja in allem Ernste modernen Philosophie. Die gemeinsam veranstaltete Tagung in Rotterdam im Frühjahr 2003, deren Organisation und publizistische Verantwortung Heinz Kimmerle zu danken ist, liefert nur ein Beispiel für die Chancen sachlicher Kooperation. Die Jenenser Phase Hegels als Prozess seiner Systemvergewisserung bietet aufgrund der editorischen Leistungen, die erbracht wurden, den Philologen immer noch Stoff zur Diskussion. Philosophisch gesehen beginnt sich hier das Charakteristische der Hegeischen Stellung im Idealismus zu artikulieren. Eine dem Geiste des Erasmus verpflichtete Universität schien ein passender Ort für die einschlägigen Verhandlungen.

Heidelberg, im Januar 2004

Rüdiger Bubner Präsident der Internationalen zum Studium der Hegeischen

Vereinigung Philosophie

Geleitwort 2

Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse einer von Heinz Kimmerle organisierten Tagung an der Erasmus Universiteit Rotterdam, die nicht nur eine wissenschaftliche Arbeitstagung, sondern auch ein Wissenschafts-Politikum darstellte: es war die erste Tagung überhaupt, die von der Internationalen Hegel-Vereinigung und der Internationalen Hegel-Gesellschaft gemeinsam veranstaltet wurde. Beide Gesellschaften waren und sind sich darin einig, dass es mehr als ein Jahrzehnt nach dem Ende des kalten Krieges an der Zeit ist, auch die von ihm hervorgebrachten wissenschaftspolitischen Frontstellungen zu überwinden, die seinerzeit dazu geführt hatten, neben der Internationalen Hegel-Gesellschaft die Internationale Hegel-Vereinigung ins Leben zu rufen. Die Konfrontation soll abgelöst werden durch eine sachbezogene, gleichberechtigte Kooperation beider Gesellschaften, deren Anstrengungen darauf gerichtet sind, Hegels Philosophie im philosophischen Bewusstsein unserer Zeit gegenwärtig zu halten. In der Verfolgung dieses gemeinsamen Anliegens werden sich - so steht zu hoffen - auch die noch bestehenden Differenzen bearbeiten lassen. Die Rotterdamer Tagung zum Jenaer Hegel war hierfür ein Anfang, dem weitere Schritte folgen sollten. Dass dieser Anfang möglich wurde, dafür danken wir auch den Sponsoren - der Verenigung Trustfonds Erasmus Universiteit Rotterdam, der Stiftung für interkulturelle Philosophie und Kunst in Zoetermeer und einmal mehr dem Istituto Italiano per gli studi filosofici in Neapel, dessen Verdienste um die Förderung des Studiums der Hegelschen Philosophie gar nicht hoch genug veranschlagt werden können. Besonderer Dank aber gilt Heinz Kimmerle, der mit großem Einsatz diese Tagung vorbereitet und auch die Verantwortung für die Herausgabe ihrer Ergebnisse übernommen hat.

Berlin, im Januar 2004

Andreas Arndt Vorsitzender der Internationalen Hegel-Gesellschaft

HEINZ KIMMERLE

Das Verhältnis von Philosophie und Geschichte am Anfang der Jenaer Periode des Hegeischen Denkens und dessen aktuelle Bedeutung

Einleitung Man wird sagen können, dass in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts im Zusammenhang mit den Arbeiten an der Neudatierung und Kritischen Edition der Jenaer Schriften Hegels ein erster Ansatz zu ihrer Neuinterpretation gemacht worden ist. Das geschah in erster Linie im Hegel-Archiv, das sich in diesen Jahren in Bonn und seit 1969 in Bochum befand, aber natürlich auch an anderen Orten. Die Diskussionen im Hegel-Archiv haben ihren Niederschlag in einigen wichtigen Monographien und Zeitschriftenartikeln gefunden.1 In dem von O. Pöggeler herausgegebenen Band: Hegel. Einfährung in seine Philosophie (Freiburg/München 1977) haben von den damaligen Mitgliedern des Hegel-Archivs R.-P. Horstmann die Jenaer Systemkonzeptionen' und W. Bonsiepen die Phänomenologie des Geistes' behandelt. Besonders erwähnenswert aus diesen Jahren sind auch die Bücher von W.Ch. Zimmerli: Die Frage nach der Philosophie. Interpretationen zu Hegels ,Differenzschrift'. Bonn 1974 (HegelStudien Beiheft 12) und von L. Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes (Freiburg/München 1979). Eine erste Bilanz, an deren Erarbeitung sowohl Mitarbeiter des Hegel-Archivs als auch andere deutsche Hegel-Forscher aus Heidelberg, Marburg und anderen Orten beteiligt waren, findet sich in dem in der Anmerkung 1 zu dieser Seite bereits genannten 1980 von D. Henrich und K. Düsing herausgegebenen Band: Hegel in Jena. In der französischsprachigen Hegel-Literatur verarbeitet G. Gérard die neue Textbasis der Jenaer Schriften in dem Buch: Critique et dialectique. L'itinéraire de Hegel à léna (1801-1805) (Bruxelles 1982). 1983 erscheint in Oxford der umfangreiche zweite Band des kanadischen Hegel-Forschers H.S. Harris zum jungen Hegel: Hegel's Deve-

H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels ,System der Philosophie' in den Jahren 1800-1804, Bonn 1970 (Hegel-Studien Beiheft 8); R.-P. Horstmann, .Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption'. In: Philosophische Rundschau 19 (1972), 87-118; K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976 (HegelStudien Beiheft 15); K.R. Meist, .Hegels Systemkonzeption in der frühen Jenaer Zeit'. In: D. Henrich/K. Düsing (Hg.), Hegel in Jena, Bonn 1980 (Hegel Studien Beiheft 20), 59-79.

12

HEINZ KIMMERLE

lopment. Night Thoughts (1801-1806). In den 70er und Anfang der 80er Jahren sind in Leuven unter der Leitung von A. Wylleman eine Reihe von Beiträgen zur Erforschung des Jenaer Hegel erarbeitet worden (insbesondere von A.J. Leijen, L. De Vos, P. Cruysberghs und P. Jonkers). Diese sind in dem vom Leiter der Forschungsgruppe herausgegebenen Band: Hegel on the Ethical Life, Religion, and Philosophy (Leuven/Dordrecht 1984) zusammengefasst. In Italien und in Japan hat man die vorliegenden Ergebnisse aufgegriffen und weiter bearbeitet.2 Nach längerer Pause erfolgt ein erneuter Anschub deutscher Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet in Jena selbst. K. Vieweg hat sich mit einigen Mitarbeitern besonders der Naturphilosophie dieser Periode zugewandt. 1998 erscheint in München der von ihm herausgegebene Band: Hegels Jenaer Naturphilosophie (jena-sophia II, 1), der vor allem Beiträge einer in Jena gehaltenen internationalen Tagung zu diesem Thema aus dem Jahr 1994 enthält. Ferner ist für die neue Thematisierung der Jenaer Systementwürfe wichtig, dass Band 5 von Hegels Gesammelten Werken". Schriften und Entwürfe (1799-1808), herausgegeben unter Mitarbeit von Th. Ebert von M. Baum und K.R. Meist, der auch zu den Systementwürfen aus dieser Zeit wichtiges neues Material enthält, als der letzte Band mit Jenaer Schriften 1998 erschienen ist. Damit ist zur Zeit eine Situation gegeben, in der aus einer gewissen historischen Distanz heraus die Arbeiten zu einer Neuinterpretation der Jenaer Systementwürfe wieder aufgegriffen, zusammen gefasst und weiter geführt werden können. Es ist ebenso sehr ein notwendiges und wichtiges wie auch aussichtsreiches Desiderat der Hegel-Forschung, die Eigenbedeutung der Jenaer Systementwürfe Hegels gegenüber seinen Jugendschriften und den späteren Systemkonzeptionen seit der Wissenschaft der Logik (1812) ausdrücklich zum Thema zu machen. In den Jenaer Systementwürfen, in denen Hegel sich weitgehend suchend und experimentierend verhält, sind Motive enthalten, die sich beim späteren Hegel so nicht mehr finden, und im Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen des Systemdenkens überhaupt lassen sich aus diesen Texten neue Einsichten gewinnen. Meine eigenen Aufzeichnungen aus den Jahren von 1964 bis 1969, die damals zu einer neuen Chronologie der Jenaer Schriften geführt haben, habe ich bis heute aufbewahrt und kann im Zweifelsfall darauf zurückgreifen. Vor allem die Aufzeichnungen zur Buchstabenstatistik, die Dokumentation des Vorkommens bestimmter Buchstabenformen in sämtlichen Manuskripten Hegels aus dieser Zeit, insbesondere des so genannten Balken-s, haben inzwischen beinahe Museumswert. Ich darf hier kurz in ErinA. Nuzzi, Logica e sistema. Sull'idea ragione.

Sullo sviluppo

dell'idea

hegeliana

di filosofia,

di natura in Hegel,

Genova 1992; L. Illeterati, Natura e

Trento 1995; G. Cantillo, Le forme

umano. Studi su Hegel, Napoli 1996; K. Kozu, Das Bedürfnis gel-Studien Beiheft 30); J. Yorikawa, Hegels Hegels.

1797-1803,

Entstehung

Weg zum System. Die Entwicklung

dell'

Bonn 1988 (Heder

Philosophie

Frankfurt/M. u.a. 1996 (Hegeliana 6); Y. Kubo, Der Weg zur

Metaphysik.

und Entwicklung

na-sophia II, 5).

der Philosophie,

der Vereinigungsphilosophie

beim frühen Hegel, München 2000 (je-

13

D A S VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

nerung rufen, dass das Reinschriftmanuskript zur Logik, Metaphysik, Naturphilosophie, das jetzt den Hauptbestandteil des Bandes 7 der Historisch-kritischen Ausgabe mit Texten aus den Jahren 1804/05 bildet, lange Zeit als ,Hegels Erstes System' galt und auf das Ende der Frankfurter Zeit oder auf das Jahr 1801 datiert wurde. Die übrigen Ergebnisse der Neudatierung, die ja bekannt sind und die als Grundlage für die Einteilung der Jenaer Bände der Kritischen Ausgabe gedient haben, lasse ich hier unerwähnt.3 Helmut Schneider und Kurt Rainer Meist haben wichtige Einzelkorrekturen an den Vorschlägen zur neuen Chronologie der Jenaer Schriften angebracht4 und natürlich haben alle Herausgeber der Bände 4 bis 9 der Gesammelten Werke Hegels die Datierung kontrolliert und präzisiert. In dem Fragment Die Idee des absoluten Wissens..., das auf den Herbst 1801 datiert ist, fasst Hegel ,kurz den Inhalt' seiner damaligen Systemkonzeption zusammen: ,Die ...Wissenschafft der Idee als solche wird der Idealismus oder die Logik seyn, welche zugleich in sich begreifft ... wie [sie] als Wissenschafft der Idee selbst Metaphysik ist ... alsdann wird die Wissenschafft übergehen in die Wissenschafft der Realität der Idee', und zwar zunächst zur Philosophie der Natur, danach zur Philosophie des Geistes. Hier wird die Idee ,ihre idealen Momente ... in sich zusammenfassen, und das Reich des Bedürfnisses und des Rechts sich unterwerfend sich als freyes Volk real seyn'. Nach der Logik und Metaphysik als Erstem Teil, der Natur- und Geistesphilosophie als den beiden Teilen der Realphilosophie wird nach Hegels Worten ,im 4ten Theil' die Philosophie der Religion und der Kunst behandelt, wo die Philosophie ,zur reinen Idee zurükkehrt, und die Anschauung Gottes organisirt' ,5 Mein heutiger Beitrag richtet sich nicht auf diese Systemkonzeption vom Anfang der Jenaer Zeit im Ganzen. Er widmet sich einer bescheideneren Aufgabe. Ich beschäftige mich mit dem ersten kurzen Abschnitt der Schrift Differenz des Fichte'sehen und Schelling'sehen Systems der Philosophie, die aus der ersten Hälfte des Jahres 1801 stammt. In der Kritischen Ausgabe sind es dreieinhalb Seiten, in der Originalausgabe waren es acht Seiten, auf denen Hegel die .geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme' erörtert.6 Diesen Text möchte ich zunächst möglichst genau, gewissermaßen Satz für Satz, lesen und zu verstehen suchen. Nach dieser textnah verbleibenden Lektüre werde ich in einem ersten Deutungsschritt Hegels Auffassung zum Verhältnis von Philosophie und Geschichte in diesem Text aus meiner Sicht zusammenfassend darstellen. Die allgemeinen Aussagen Hegels zur Aufgabe der Philosophie, die ,zu allen Zeiten dieselbe' ist und zu jeder Zeit, in jeder historischen Periode, als eine interessante Individualität' ausgebildet wird, versuche ich in einem dritten Abschnitt auf geoS. dazu GW 8, 348-361. Auf diesen Seiten des Anhangs zu Band 8 sind die Grundlagen für die Neudatierung der Jenaer Schriften in die historisch-kritische Ausgabe aufgenommen. H. Schneider, ,Zur Dreiecks-Symbolik bei Hegel'. In Hegel-Studien

6 (1973), 5 5 - 7 7 ; s. den

,Editorischen Bericht' in: G W 5 , 5 4 9 - 7 4 5 , für den K.R. Meist verantwortlich zeichnet. 5

GW5,263-264.

6

G W 4 , 9 - 1 2 ; die Seitenzahlen der Originalausgabe werden in den Kolumnentiteln wiedergegeben.

14

HEINZ KIMMERLE

graphische oder kulturelle Unterschiede zu übertragen, für die diese Aussagen in derselben Weise gültig sein müssten. Auf diese Weise suche ich den Hegeischen Text für eine aktuelle Fragestellung fruchtbar zu machen.

1. Satz-für-Satz-Lektüre des Abschnitts ,Geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme' Hegel ist sich bewusst, dass in seiner Zeit auf eine lange .Vergangenheit' zurückgeblickt werden kann, in der ,eine Menge philosophischer Systeme' hervorgetreten sind. Dies hat zur Folge, dass gegenüber dem systematischen Philosophieren eine .Indifferenz' in dem Sinn entstanden ist, dass ,der Trieb zur Totalität', der dem systematischen Philosophieren zugrunde liegt, nicht mehr dazu führt, den Wahrheitsanspruch des Philosophierens von innen heraus unter Beweis zu stellen, sondern stattdessen einer .Vollständigkeit der Kenntnisse' über vergangene Systeme nachzustreben. Solche äußerlich bleibenden Kenntnisse zeugen nicht nur von Indifferenz gegenüber der philosophischen Wissenschaft und Wahrheit, sondern auch von purer Neugierde, die mehr oder weniger wahllos Tatsachen sammelt. Diese Haltung hat genug daran, den diversen Systemen der Vergangenheit Namen zu geben und durch die ,Findung eines Nahmens' ihre vermeintliche Herrschaft über die betreffende Philosophie zu begründen. Das bedeutet: diese Kenntnisse betreffen ,fremde Objekte'; in ihnen setzt sich nicht heutiges Philosophieren zu den Systemen der Vergangenheit ins Verhältnis. Es entsteht der Eindruck, dass das Wissen von Philosophie nie etwas anders war, ,als eine derartige Kenntniß'. Aus der ,Vorerinnerung', die dem hier zu lesenden ersten Abschnitt der Differenzschrift vorangestellt ist, wissen wir, dass Hegel bei diesen Ausführungen unter anderen an Autoren wie K.A. Eschenmayer und C.L. Reinhold denkt, insbesondere an die von dem letzteren herausgegebenen Bey träge zur leichtern Uebersieht des Zustandes der o

Philosophie beym Anfange des 19. Jahrhunderts. Im ersten Beitrag, der von Reinhold selbst verfasst worden ist, findet sich ein Überblick der philosophischen Systeme von Bacon bis Kant. Reinhold äußert sich ferner zur Fortsetzung des Kantischen Neuansatzes im Fichteschen und Schellingschen System der Philosophie, ohne deren Differenz überhaupt zu bemerken. Dass philosophische Systeme in dieser Weise .geschichtlich behandelt' werden, lässt sich nach der Auffassung Hegels nicht vermeiden. Sie existieren nicht nur als .lebendige Gestalt', sondern auch als ,Erscheinung'. Dadurch können sie ,in eine todte Meinung und von Anbeginn in eine Vergangenheit' verwandelt werden. Der .lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt', offenbart ,dem geschichtlichen Benehmen, das aus irgendeinem Interesse auf Kenntnisse und Meinungen auszieht', sein .Inneres nicht'. 7 8

Ebd., 5-8. Heft 1, Hamburg 1801, von 1801-1803 erschienen noch die Hefte 2-6.

D A S VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

15

Dazu bedarf es, dass er .durch einen verwandten Geist' erkannt und wieder zum Leben erweckt wird. Die geschichtliche Betrachtung, durch die er dazu ,dienen muß, die übrige Kollektion von Mumien und den allgemeinen Hauffen der Zufälligkeiten zu vergrößern', kann dem .lebendigen Geist der in einer Philosophie wohnt', gleichgültig sein'. Sie berührt ihn nicht und ist ihm sicher nicht wesentlich. Reinholds Behandlung der .Geschichte der Philosophie' bleibt indessen nicht in derart radikalen Oberflächlichkeiten stecken. Er wendet sich dieser Geschichte zu, um tiefer in den ,Geist der Philosophie' einzudringen, um die .Realität der Erkenntniß' zu ergründen, indem er die .eigentümlichen Ansichten seiner Vorgänger' sammelt und .durch neue eigenthümliche Ansichten' weiter zu führen sucht. Aus der Reinoldschen Sicht bilden die Systeme der Vergangenheit, die ,sowohl zu verschiedenen Zeiten, als auch zu gleicher Zeit von verschiedenen Philosophen, auf sehr verschiedene Weise aufgestellt' worden sind, bestimmte .Vorübungen', um ,den einst gelingenden Versuch', die Philosophie gültig darzustellen, .wenn anders derselbe der Menschheit beschieden ist, vorbereitend herbeyzuführen'. Aber auch dieser Art des Umgehens mit ihrer Geschichte liegt nach der Argumentation Hegels eine unangemessene ,Vorstellung von Philosophie' zugrunde. Sie wird als ,eine Art von Handwerkskunst' aufgefasst, die .sich durch immer neu erfundene Handgriffe verbessern läßt', bis schließlich ,ein allgemeingültiger letzter Handgriff' gefunden wird. Die philosophische Wissenschaft wird so ,ein todtes Werk fremder Geschicklichkeit', dem die .bisherigen philosophischen Systeme' als .Vorübungen großer Köpfe' erscheinen. Wichtig ist, dass Hegel hier die .teleologische Ansicht' einer Geschichte der Philosophie, wie sie von Reinhold vertreten wird, ausdrücklich ablehnt. Für Hegel ist vielmehr ,das Absolute, wie seine Erscheinung die Vernunft, ewig ein und dasselbe'. Und Jede Vernunft, die sich auf sich selber gerichtet und sich erkannt hat, hat eine wahre Philosophie producirt'. Damit hat sie die Aufgabe der Philosophie, die ,wie ihre Auflösung, zu allen Zeiten dieselbe ist', für sich gelöst. In einer solchen Philosophie hat es die Vernunft ,nur mit sich zu thun', was sie braucht, findet sie in sich selbst. In Hinsicht auf ihr ,innres Wesen', auf das eigentlich Philosophische in der Philosophie, gibt es deswegen ,weder Vorgänger noch Nachgänger'. Es ist auch nicht adäquat, von ,eigenthümlichen Ansichten' der Philosophie oder der Vorgänger heutiger Philosophen zu sprechen. Eigentümlich oder individuell besonders ist allenfalls die Form, nicht aber das Wesen der Philosophie. Denn sie hat es mit dem Absoluten zu tun, ihr Element ist die Allgemeinheit und nicht die individuelle Besonderheit. Man kann den ,kühnen Schritten anderer', Philosophen der Vergangenheit und der eigenen Gegenwart, nicht gerecht werden, wenn man sie lediglich als .Vorübungen' der eigenen Philosophie oder im Falle ihres Misslingens als .Geistesverirrungen' auffasst. Die Philosophie stellt sich ihrer eigenen und eigentlichen Aufgabe, wenn sie das Bewusstsein hinter sich lässt, das in Besonderheiten befangen' bleibt, das nicht in der Lage ist, die allgemeinen, im Denken selbst gegebenen Grundlagen als Ausgangspunkt zu nehmen. Die wahre Philosophie, die Hegel auch die philosophische Spekulation'

16

HEINZ KIMMERLE

nennt, ist dazu sehr wohl in der Lage, indem die Vernunft ,sich zu sich selbst erhebt, und allein sich selbst, und dem Absoluten, das zugleich ihr Gegenstand wird, sich anvertraut'. Wenn die Besonderheiten, Beschränkungen und Eigentümlichkeiten auf diesem Weg überwunden sind, bilden ,die philosophischen Systeme verschiedener Zeitalter und Köpfe' nicht mehr ,rein-eigenthümliche Ansichten', von denen sich lernen lässt und die in aufsteigender Linie zu einer schließlich gelingenden Darstellung führen, in der die .Aufgabe der Philosophie' definitiv gelöst sein wird. Sie sind vielmehr eine interessante Individualität, in welcher die Vernunft aus dem Bauzeug eines besondern Zeitalters sich eine Gestalt organisirt hat'. Die Besonderheiten, Beschränkungen und Eigentümlichkeiten der jeweils eigenen Zeit sind gewissermaßen ins Medium des Allgemeinen aufgenommen, in die Selbsterfassung des Denkens, das sie nicht als etwas Zufälliges und Zusammenhangloses stehen lässt und wiedergibt. Indem die Philosophie zu allen Zeiten so vorgeht und ihre Aufgabe erfüllt, findet sie in den .Systemen verschiedener Zeitalter und Köpfe' sich selbst wieder, ,Geist von ihrem Geist, Fleisch von ihrem Fleisch'. Sie schaut sich in ihnen als sich selbst, ,als ein und dasselbe' an. Sie ist ein .lebendiges Wesen' und erkennt in einer früheren Philosophie ,ein anderes lebendiges Wesen', Deshalb lässt sich sagen: Jede Philosophie ist in sich vollendet und hat ... die Totalität in sich'. Sie gibt sich selbst Einheit, Ganzheit und Zusammenhang, indem sie sich streng und ausschließlich im Medium des Denkens bewegt. Darin ist sie der Kunst verwandt, die in ihrem jeweiligen Medium der bildlichen Darstellung oder der Sprache etwas in sich Vollendetes schafft. Die Früheren, etwa Apelles oder Sophokles, sind nicht die Vorläufer der Späteren, etwa Raphaels oder Shakespeares. Sie haben jeder zu ihrer Zeit dasselbe getan, nämlich in ihrem ästhetischen Medium ein ,ächtes Kunstwerk' hervorgebracht. Und über den Zeilenabstand hinweg erkennen die Späteren in den Früheren sich selbst, ,eine verwandte Kraft des Geistes'. Ebenso verhält es sich mit der Vernunft und den philosophischen Systemen der Vergangenheit als , ihren früheren Gestaltungen' . Hegel erwähnt bei diesem Vergleich von Philosophie und Kunst bildliche Darstellungen und die Sprache, nicht aber die Musik. In einem seiner Sonette an Orpheus hat Rilke denselben Gedanken für die Musik ausgesprochen - oder genauer für das Lied, wobei er seine Gedichte und Gedichte überhaupt auch als Lieder auffasst. Ich zitiere die beiden ersten Strophen dieses Sonetts:

DAS VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

17

Wandelt sich rasch auch die Welt wie Wolkengestalten, alles Vollendete fällt heim zum Uralten. Über dem Wandel und Gang, weiter und freier, schwebt noch dein Vor-Gesang, g Gott mit der Leier. Dabei muss man berücksichtigen, dass sich die Aufgabe der Philosophie nicht zu jeder Zeit stellt, jedenfalls nicht zu jeder Zeit mit gleicher Dringlichkeit. Hegel hat in der ,Vorerinnerung' schon davon gesprochen, dass in bestimmten Zeiten und so auch in seiner eigenen Zeit ein ,Bedürfniß der Philosophie' - genauer gesagt ein gesteigertes Bedürfnis der Philosophie entsteht. Was Hegels eigene Zeit betrifft, haben Fichte und Schelling mit ihren Systemkonzeptionen auf dieses Bedürfnis in verschiedener Weise geantwortet, der letztere in einer umfassenderen und konsistenteren Weise als der erstere. In Schleiermachers Reden über die Religion sieht Hegel eine indirekte, das heißt nicht unmittelbar philosophische Antwort auf dieses Bedürfnis, sofern darin auf ihre Weise ebenfalls die Einseitigkeiten des Kantischen und Fichteschen Systemdenkens überwunden werden. Die Natur wird in diesem Text nicht länger vernachlässigt, sondern ,die Vernunft selbst in eine Übereinstimmung mit der Natur gesetzt', und zwar so, ,daß sie sich selbst zur Natur aus innerer Kraft gestaltet'.10 In dem Abschnitt, der auf die Erörterungen der .geschichtlichen Ansicht philosophischer Systeme' folgt, wird die Frage nach dem ,Bedürfniß der Philosophie' genauer behandelt. .Zerrissene Harmonie' oder .Entzweiung' wird als der ,Quell des Bedürfnisses der Philosophie' angegeben. Dabei wird einerseits die .zerrissene Harmonie' in der Philosophie .durch sich hergestellt und selbstthätig gestaltet', das heißt im Medium des Allgemeinen dargestellt, andererseits prägt die .besondere Form, welche die Entzweiung trägt', der spekulativen Überwindung dieser Entzweiung ihren Stempel auf. Um von dem ersteren zur letzteren zu gelangen, muss der Verstand, der die Gegensätze gegeneinander fixiert, sich zur Vernunft erheben, in der die Einheit der Gegensätze gedacht wird. Was ,im Leben der Menschen' fehlt, wird in der Philosophie und von der Philosophie ergänzt: die .Macht der Vereinigung'. Die Philosophie hat selbst keine Voraussetzung; sie fängt mit sich selbst an, mit dem Denken, das sich auf sich selbst richtet. ,Das, was man Voraussetzung der Philosophie nennt, ist nichts anderes, als das

9

R.M. Rilke, Werke, herausgegeben von V. M. Engel, U. Fülleborn, H. Nalewski, A. Stahl, Bd. 2, Gedichte. 1910-1926, hg. v. M. Engel und U. Fülleborn, Darmstadt 1996,250. 10

GW 4,7-8.

18

HEINZ KIMMERLE

(soeben) ausgesprochene Bedürfniß', freilich so, dass diese Voraussetzung der Philosophie erst von dieser selbst aus erfasst und ausgesprochen werden kann.11 Wie die Philosophie im Einzelnen auszusehen hat, muss hier nicht erörtert werden. Hegel sagt an dieser Stelle nur kurz etwas darüber, wie sie beginnt und welche Denkrichtung mit diesem Beginn angezeigt wird. ,Für den Standpunkt der Entzweyung' ist das Absolute, die Einheit oder Synthese der Gegensätze das .Unbestimmte und Gestaltlose', das Nichts oder die Nacht, aus der das Licht allererst heraustreten muss. Deshalb ist in der Philosophie ,das Nichts das Erste, woraus alles Seyn, alle Mannichfaltigkeit des Endlichen hervorgegangen ist'. In ihrem Fortgang hat die Philosophie diese Gegensätze zu vereinen, ,das Seyn in das Nichtseyn - als Werden, die Entzweyung in das Absolute - als seine Erscheinung, das Endliche in das Unendliche - als Leben zu setzen'. Damit sind der Anfang und die Grundthemen der Logik und Metaphysik angegeben, die auch die realphilosophischen und den letzten abschließenden Teil des Systems der Philosophie strukturieren, in dem Religion und Kunst behandelt werden. Wie wir sehen, ist der höchste, alles in sich zusammenfassende Begriff, der des Lebens.

2. Erster Deutungsschritt: Wie denkt Hegel in diesem Text das Verhältnis von Philosophie und Geschichte? In diesem Text wendet sich Hegel in erster Linie gegen bestimmte Formen, wie in seiner Zeit die Philosophie geschichtlich betrachtet wird. Sowohl das Sammeln von Kenntnissen über philosophische Systeme der Vergangenheit aus einem enzyklopädischen Interesse oder aus bloßer Neugierde als auch das Aufbauen auf philosophischen Leistungen der Vergangenheit mit dem Ziel, die Aufgabe der Philosophie ihrer endgültigen Lösung näher zu bringen, hält Hegel für unangemessen. Das legt den Schluss nahe, dass er jede geschichtliche Ansicht philosophischer Systeme ablehnt. Seine These ist: Die Philosophie hat keine Geschichte, ihre Aufgabe ist zu allen Zeiten dieselbe. Eine vergleichbare Auffassung hat in neuerer Zeit Althusser für dasjenige vorgetragen, das er .Ideologie' nennt. Die Philosophie kann in seiner Sicht als eine Form der Ideologie gelten. Er sieht es so, dass die Ideologie, keine eigene Geschichte' hat. Ihre immer gleiche Aufgabe besteht darin, als ein ,Reflex der realen Geschichte' mit ihren ökonomischen und politischen Bedingungen für jede historische Periode das »Verhältnis der Individuen zu (diesen) ihren wirklichen Lebensbedingungen' darzustellen. Die Philosophie hat bei Althusser insofern eine besondere Rolle, als sie für ihre Aufgabe von den Wissenschaften ausgeht und über sie auf die geschichtlichen Gegebenheiten bezo12 gen ist.

Ebd., 12-16, Einfügung in Klammern im Zitat von mir, HK. L. Althusser, Marxismus und Ideologie, Berlin 1973, s. bes. 144—147.

D A S VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

19

Für Hegel, in dem soeben gelesenen Text, ist die Philosophie nicht über die Wissenschaften - oder jedenfalls nicht ausschließlich über sie - auf die Geschichte bezogen. Das ,Bauzeug eines besonderen Zeitalters', mit dem die philosophischen Systeme arbeiten, wenn sie sich zu einer besonderen Gestalt ausformen, ist in einem allgemeineren Sinn das Denken dieses Zeitalters. Indem das Denken - oder die Vernunft - sich auf sich selbst richtet, richtet es sich auf dieses vorphilosophische zeitbedingte Denken. Sie beginnt also und bewegt sich von da aus im Medium des Denkens selbst. Das ist es, was ,die Alten', vor allem Aristoteles, und unter den Neueren zum Beispiel Spinoza oder dem Ansatz nach Kant und Fichte in ihrem jeweiligen Zeitalter getan haben. Eben diese Aufgabe will Hegel, mit Schelling über Kant und Fichte hinausgehend, aber in einer mehr direkten philosophischen Weise als Schleiermacher in den Reden über die Religion, für seine Zeit zu lösen suchen. Die Philosophie beruft sich ausschließlich auf die Vernunft. In ihr stellt sich das Denken auf sich selbst, es ist sowohl Subjekt als auch Objekt. Aber das Denken ist jeweils das Denken eines besonderen Zeitalters und in ihm sind die Besonderheiten dieses Zeitalters als bestimmte Denkweisen gegeben. Diese werden der immer gleichen Methode, nämlich der verallgemeinernden begrifflichen Erfassung unterworfen, bei der insbesondere die inneren Zusammenhänge und die dynamischen gegenseitigen Beziehungen der Denkbestimmungen herauszustellen sind. So organisiert sich das Denken zu einer lebendigen Gestalt. Diese Aufgabe der Philosophie ist um so notwendiger, wenn das Denken eines Zeitalters starr geworden ist, unbeweglich und unlebendig, bestehende Gegensätze gegeneinander fixierend. Diese Art des Denkens ist dann der Ausdruck der Zerrissenheit und Entzweiung im Leben eines Zeitalters. Indem die Philosophie das starr gewordene Denken in seinen inneren Zusammenhängen erfasst und dynamisiert, steht sie zugleich im Dienst des Lebens, das seine Zerrissenheit und Entzweiung überwinden muss. Wie sich diese in der Philosophie und von der Philosophie zu vollziehende Überwindung im ökonomischen und politischen Leben auswirkt, ist eine wichtige, aber doch untergeordnete Frage.

3. Aktualisierung: Wie ist von diesem Text aus das Verhältnis der Philosophie zu anderen geographischen oder kulturellen Bedingungen zu denken? Mich beschäftigt die Frage, ob und wie dasjenige, was Hegel hier über die Aufgabe der Philosophie im Verhältnis zu anderen zeitlichen oder historischen Gegebenheiten sagt, übertragen werden kann auf ihr Verhältnis zu anderen geographischen oder kulturellen Gegebenheiten. Es ist mir bewusst, dass ich damit eine Frage stelle, die weit über das hinausgeht, was sich direkt aus den Texten Hegels herauslesen lässt. Aber wer mich kennt, wird sich nicht wundern, dass ich es nicht lassen kann, auch im Blick auf den

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HEINZ KIMMERLE

hier behandelten Text die Problematik der kulturellen Bedingungen des Philosophierens anzuschneiden. Im Rahmen einer Aktualisierung des Hegeischen Denkens halte ich diese Frage durchaus für fruchtbar. Ich gehe von der Annahme aus, dass die Erörterung der Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Kultur auch ein neues Licht auf das bei Hegel selbst thematisierte Verhältnis von Philosophie und Geschichte wirft. In erster Linie ist es die Gleichstellung von Philosophie, wahrer Philosophie oder spekulativer Philosophie mit philosophischen Systemen, die von den Philosophien anderer Kulturen aus als fragwürdig erscheint. Dabei ist sogleich anzumerken, dass diese Gleichstellung auch im eigenen historischen Rahmen des Hegeischen Denkens nicht unproblematisch ist, wenn man zum Beispiel an Piaton, Montaigne oder Pascal und in der nachhegelschen Zeit an Nietzsche, Wittgenstein oder Adorno denkt. Weniger systematische Stile des Philosophierens, dialogische, essayistische, epigrammatische oder aphoristische, bilden indessen in der europäisch· westlichen Philosophie eher die Ausnahme. Unter anderen kulturellen Bedingungen als den europäisch-westlichen stehen sie stärker im Vordergrund, wobei man bedenken muss, dass eine antisystematische Denkweise - wie die Adornos - eine strikt systematische Philosophie, wie sie bei Hegel, Spinoza oder Aristoteles vorzufinden ist, als Gegenposition voraussetzt. Der geschichtliche Horizont der Philosophie, die ,zu allen Zeiten dieselbe' ist, wird bei Hegel durch den Typus des systematischen Philosophierens im europäisch-westlichen Sinn umgrenzt. Wenn er von ,den Alten' spricht oder in Manuskripten zur Vorlesung über ,Logik und Metaphysik' aus dem Herbst von 1801 vom ,ältesten Alten', das er wiederherstellen will, denkt er, im Sinn der Querelle des Anciens et des Modernes des späten Mittelalters und der beginnenden Renaissance, an die für die europäischwestliche Philosophie klassische Zeit der Griechen, also vor allem an Piaton und Aristoteles.13 Wenn aber interkulturell in einem weiteren, über Europa hinausgehenden Sinn und auch innereuropäisch die Gleichstellung von Philosophie und systematischer Philosophie nicht aufrecht erhalten werden kann, öffnet sich dieser geschichtliche Horizont. Und der Blick wird frei, auch andere Stile des Philosophierens in Europa und außerhalb Europas ernst zu nehmen und genauer zu betrachten. Von indischer, chinesischer und auch afrikanischer Philosophie wird man sagen können, dass sie im Blick auf den Typus des Philosophierens eher narrativ als argumentativ, eher bildhaft als begrifflich vorgehen. Sie sind gewiss nicht unsystematisch, in dem Sinn, dass sie nicht Zusammengehöriges auch als solches erfassen und darstellen. Aber das Streben nach einem alles umfassenden System ist ihnen fremd. Dabei arbeiten sie in ihrer Weise an der Lösung der immer und überall gleichen Aufgabe der Philosophie, sofern sie sich nur auf das Denken stellen, sofern sich in ihnen das Denken unter den Gegebenheiten des jeweiligen Zeitalters auf sich selbst richtet. Unter Anwendung dieses Kriteriums lässt sich in diesen Kulturen Philosophie von anderen intellektuellen Tätig-

13

GW 5,274.

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D A S VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

keiten, etwa Kunst, Religion oder Politik unterscheiden. Zeitlich gesehen reichen die chinesische und die indische Philosophie wesentlich weiter zurück als die europäischwestliche. Piaton ist 425 und Aristoteles 384 v.u.Z. geboren, während man annehmen muss, dass Laozi sein Buch Tao te king bereits um 600 v.u.Z. verfasst hat. Die ältesten indischen Veden, die Rig-Veda und die Artharva-Veda, in denen Religiöses und Philosophisches freilich weitgehend ungeschieden sind, werden auf 2000 bis 1000 v.u.Z. datiert. Ein radikal erscheinendes Beispiel für eine wenig systematisch vorgehende Philosophie sind philosophische Sprichwörter beziehungsweise der philosophische Gebrauch von Sprichwörtern - oder sollte man sie philosophische Weisheitssprüche nennen - in subsaharisch afrikanischen Kulturen. Es sind philosophische oder philosophisch gebrauchte Weisheitssprüche, die zugleich in einem praktischen Lebenszusammenhang stehen. Sie sind aus dem allgemeinen Sprachgebrauch entnommen oder werden in diesen übergehen. Die Sages (englisch oder französisch auszusprechen), die in afrikanischen Gemeinschaften den politischen Führern und auch Privatpersonen in schwierigen Entscheidungssituationen oder in existentiell wesentlichen Fragen Ratschläge geben oder gaben, gebrauchen hierbei häufig bestehende Sprichwörter oder Spruch Weisheiten, und sie prägen häufig selbst Formulierungen, die zu Sprichwörtern werden. So kann zum Beispiel das Sprichwort: ,Ein Baum am Rande der Straße wird immer Narben haben' in der Gemeinschaft der Gikuyu im heutigen Kenia von einem Sage in einem spezifisch philosophischen Kontext gebraucht werden. Es drückt dann die besondere Verletzlichkeit menschlicher Existenz in öffentlicher Stellung aus. In einer polysymbolischen Verwendung kann es auch bedeuten, dass menschliches Leben nicht ohne Beschädigung möglich ist. Für einen Sage gehört ein solches Sprichwort zu dem Vorrat an Kenntnissen und an Weisheit, über den er oder sie verfügt und in dem das Denken eines Zeitalters zusammengefasst ist. In einem Buch des kenianischen Philosophen G.J. Wanjohi ist der Vorrat an philosophischer Weisheit, der in den heute im Gebrauch befindlichen Gikuyu-Sprichwörtern enthalten ist, nach einer ihnen selbst entnommenen Logik systematisiert. Es zeigt sich, dass diese offene und variable Systematik mit der Einteilung der Philosophie in verschiedene Disziplinen durchaus verwandt ist, die wir im europäisch-westlichen Kontext kennen, dass sie aber auch mit eigenen, aus einer afrikanischen Denktradition abgeleiteten Einteilungsprinzipien arbeitet.14 Es ist mir sehr wichtig, dass Hegel in seiner Charakterisierung der immer gleichen Aufgabe der Philosophie den Vergleich mit der Kunst heranzieht. Für die Kunst geht er wie für die Philosophie davon aus, dass sie keine Geschichte hat - jedenfalls nicht in irgendeinem teleologischen Sinn von Verbesserungen bei Späteren gegenüber Früheren. Georges Bataille drückt diesen Sachverhalt so aus, dass die Höhlenmalerei, die in Lascaux gefunden worden ist und die mehr als 20.000 Jahre alt ist, im Blick auf ihre ästhetische Qualität von keiner späteren Malerei übertroffen wird. ,Es besteht' nach Batailles G.J. Wanjohi, The Wisdom and Philosophy of the Gikuyu Proverbs.

The Kihooto

Nairobi 1997,97ff.; Kihooto ist in der Sprache der Gikuyu das Wort für .Vernunft'.

World-View,

22

HEINZ KIMMERLE

Worten ,eine geheime Verwandtschaft zwischen der Kunst von Lascaux und den bewegtesten und tiefsten schöpferischen Epochen' der Menschheit.15 Bei der Kunst ist es communis opinio, dass sie nicht nur immer, zu allen Zeiten, sondern auch überall, an allen Orten in der Welt ,in sich vollendet' sein kann. Deshalb möchte ich den Vergleich gern durchziehen und auch für die Philosophie behaupten dass sich zu allen Zeiten und an allen Orten Beiträge zur Lösung ihrer Aufgabe finden lassen, die in sich vollendet sind und Totalität in sich haben. Für ein gemeinsames Kolloquium von Philosophen, Kunstwissenschaftlern und Ethnologen, das 1992 in Münster gehalten worden ist, wurde als Titel gewählt: ,Der Mensch als homo pictor?'16 Ich möchte hier den ,kühnen Schritt' wagen und dem Hegeischen Vergleich folgend auch von der Philosophie sagen, dass sie zur conditio humana gehört. Wie hinter dem Titel des Münsteraner Kolloquiums: Der Mensch als homo pictor! ein Fragezeichen steht, möchte ich meine Auffassung vom Menschen als homo philosophicus als eine experimentelle Hypothese verstanden wissen, die gewiss nicht jeder sogleich für sich akzeptieren wird, der sich mit Philosophie beschäftigt, insbesondere nicht wenn es dabei vorwiegend um akademische Philosophie geht. Abschließend will ich noch darauf hinweisen, dass Hegels polemische Haltung gegenüber einer .geschichtlichen Ansicht philosophischer Systeme' nicht bedeutet, dass er auf anderen Gebieten als denen der Philosophie und der Kunst nicht durchaus geschichtliche Veränderungen annimmt, die auch philosophisch relevant sind. So konstatiert er am Anfang der Jenaer Periode im Blick auf die politische Geschichte, dass Deutschland auf Grund von Ereignissen in seiner unmittelbaren Gegenwart ,kein Staat mehr ist'.17 Dass indessen auch hier kein teleologisches Geschichtsverständnis vorauszusetzen ist, zeigt sich darin, dass für das deutsche Volk mit dem Verlust seiner Staatlichkeit am Anfang des 19. Jahrhunderts ,die Auflösung und Abtrennung von der sittlichen Totalität' verbunden ist.18 Das Verhältnis von politischer und allgemeiner Geschichte zur Philosophie beim Jenaer Hegel ist ein eigenes Thema, zu dessen Erforschung es zwar bereits einige Beiträge gibt, das aber auch auf der Grundlage aller verfügbaren Texte noch einmal neu angegangen werden muss.19 Im Naturrechtsaufsatz von 1802 deutet Hegel in einigen Formulierungen an, dass die Sittlichkeit eines Volkes, das heißt das ,Ganze von Sitten und Gesetzen' in einem Volk, durch die jeweilige ,Zeitperiode' bestimmt wird. Diese ist aus dem Gang der .Geschichte' als der .Bildung des allgemeinen (Menschen)Geschlechts' zu begreifen. An dieser Stelle gibt Hegel selbst parallel zu den zeitlich-geschichtlichen Bedingungen G. Bataille, Die Höhlenbilder von Lascaux oder die Geburt der Kunst, Genf 1983,130. 16

H. Kämpf und R. Schott (Hg.), Der Mensch als homo pictor? Die Kunst traditioneller

Kulturen

aus der Sicht von Philosophie und Ethnologie, Bonn 1995. 17

GW5,25,161.

Ig 19

G W 4 , 4 8 3 , s. zum folgenden Absatz 479. W. Siep, Praktische Philosophie im Deutschen Idealismus, Frankfurt/M. 1992, s. 142-158: ,7. Praktische Philosophie und Geschichte beim Jenaer Hegel'.

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DAS VERHÄLTNIS VON PHILOSOPHIE UND GESCHICHTE

geographisch-kulturelle an. Er führt aus, dass die bestimmte Form der Sittlichkeit eines Volkes auch ,aus der Geographie' zu verstehen ist, etwa aus dem ,Klima' einer bestimmten Weltgegend, in dem ,sie sich ... [zu] einer besondern und der allgemeinen Cultur organisirt'. Die hier erwähnte Parallelität von zeitlich-geschichtlichen und geographisch-kulturellen Bedingungen kann freilich nicht unmittelbar und vollständig, aber vielleicht mittelbar und als Hinweis die Übertragung der ,immer gleichen Aufgabe' der Philosophie ,zu allen Zeiten' auf alle Orte oder Weltteile unterstützen, die ich vorschlagen möchte.

Nachwort Die aktuelle Bedeutung, die der Auffassung Hegels zum Verhältnis von Philosophie und Geschichte, wie er sie am Anfang der Jenaer Periode seines Denkens vertritt, im obigen Text beigemessen wird, ist für viele sicherlich ebenso überraschend, wie die hier herausgestellte Hegeische Auffassung im Gesamten der Entwicklungsgeschichte seines Denkens ungewöhnlich ist. Seit 1805/06 arbeitet Hegel konkret daran, eine Geschichte der Philosophie zu konzipieren und in seinen Vorlesungen vorzutragen. In demselben Jahr bezeichnet er die Natur, die im ersten Teil der Vorlesung über Realphilosophie behandelt wird, als ein .ruhendes Kunstwerk' und den Geist, der im zweiten Teil dieser 20

Vorlesung systematisch zur Darstellung kommt, als .Weltgeschichte'. Damit hat er in diesem Jahr das viel diskutierte Verhältnis von System und Geschichte im Zusammenhang seiner Philosophie selbst thematisiert. Für die Frage nach der Geschichte der Philosophie und deren Verhältnis zum System ist insbesondere der systematische Aufbau der ,Wissenschaft der Logik' und die geschichtliche Abfolge philosophischer Systeme von den alten Griechen über die mittelalterliche Verbindung von antiker Philosophie und christlicher Theologie, die Philosophie der Neuzeit seit Descartes, sowie Kant, Fichte und Schelling bis zu ihm selbst relevant. Zur Frage des Verhältnisses von System und Geschichte im Hegeischen Denken seit 1805/06 will ich hier indessen nicht Stellung nehmen, so interessant und schwierig sie auch sein mag. Auch das Problem, wie Hegel in der Zeit von 1801 bis 1805/06 von der Auffassung, dass die Philosophie ihrem Wesen nach keine Geschichte hat, zur Konzeption einer Geschichte der Philosophie und ihrer Beziehung zum Gesamten des Systems gelangen konnte, soll uns hier nicht beschäftigen. Das kann nur im Rahmen einer genauen Erforschung der Entwicklung des Hegeischen Denkens in Jena geklärt werden. An dieser Stelle liegt mir daran, das Besondere und, wenn man so will, Einzigartige der Auffassung Hegels zur .geschichtlichen Betrachtung philosophischer Systeme' vom Anfang der Jenaer Zeit herauszustellen und klar zu machen, dass gerade dieser Auffassung eine tief greifende aktuelle Bedeutung zukommt. Dadurch wird unterstrichen, dass 20

GW8,286-287.

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HEINZ KIMMERLE

die Jenaer Systemkonzeptionen Hegels wichtig sind, weil in ihnen Auffassungen enthalten sind, die sich beim späteren Hegel nicht mehr finden, die aber besonders auch wegen ihrer aktuellen Relevanz beachtet und genau interpretiert zu werden verdienen.

MARTIN BONDELI

Das Verhältnis Hegels zu Kant in den frühen Jenaer Texten und seine Vorgeschichte in der Frankfurter Zeit

In der ,Vorerinnerung' der Differenzschrift von 1801 spricht Hegel davon, dass in der Fortentwicklung der Kantischen Philosophie deren .Geist vom Buchstaben geschieden' werden musste.1 Mit diesem Diktum wird eine für die Systemansätze des deutschen Idealismus typische Ansicht zum Ausdruck gebracht: Die nach der Ära Kants in Erscheinung tretende eigentliche Philosophie soll als Resultat der Befreiung des Geistes der Kantischen Philosophie von ihrem Buchstaben begriffen werden.2 Dabei macht Hegel Geist und Buchstaben der Kantischen Philosophie an bestimmten Begriffen oder Argumentationsschritten der transzendentalen Deduktion der Verstandesbegriffe aus der Kritik der reinen Vernunft fest. Den Geist des ,ächten Idealismus' der Philosophie Kants verkörpert seines Erachtens besonders das ,Princip' dieser Deduktion, wird darin doch ,das Princip der Spekulation, die Identität des Subjekts und Objekts, aufs bestimmteste ausgesprochen.'3 Den Buchstaben der Kantischen Philosophie dagegen erkennt Hegel in erster Linie in der ,Form' wieder, in welcher die Deduktion der Kategorien durchgeführt worden ist; in dieser Form spiegelt sich seiner Meinung nach der fatale Versuch, die auf der Stufe der Vernunft verortete spekulative Identität von Subjekt und Objekt mittels bloßer Verstandesbestimmungen zu artikulieren. Im Kant-Abschnitt des 1802 publizierten Aufsatzes , Glauben und Wissen' 4 dient Hegel diese Kontrastierung von Prinzip und Form der Kategoriendeduktion als Leitfaden einer umfassenderen kritischen Stellungnahme zur Kantischen Philosophie. Unter Heranziehung einschlägiger Ergebnisse aus allen drei Kritiken wird exemplifiziert, dass der Begründer des Kritizismus das Prinzip der Deduktion in stets neuen Anläufen trefflich ausgesprochen, schließlich aber auf Grund seiner räsonierenden und formalistischen Denkart nicht richtig zur Entfaltung gebracht hat. Im Rahmen des Naturrechtsaufsatzes von 1802/03 behandelt Hegel nochmals und in erweiterter Form die Haupt-

Differenz des Fichte'sehen und Schelling'sehen Systems der Philosophie, GW 4 , 5 . S. u.a. R.-P. Horstmann, ,The early philosophy of Fichte and Schelling', in: The Companion to German Idealism, hg. von Κ. Ameriks, Cambridge 2000,117 ff. GW 4 , 6 . GW4,325-346.

Cambridge

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M A R T I N BONDELI

thesen der praktischen Vernunftkritik nach diesem kritischen Denkmuster.5 Kants Bestreben, das ,erhabene Vermögen der Autonomie der Gesetzgebung der reinen Vernunft' zur Geltung zu bringen, wird zu den großen Leistungen der neueren Philosophie gezählt, seine Aufstellung eines kategorischen Imperativs jedoch als Herabsetzung dieses Vermögens zu einer .Production von Tavtologien' moniert.6 Die doppelperspektivische Beurteilung von Kants Philosophie, die hiermit in Hegels früher Jenaer Phase manifest wird, ist nicht von episodischer Natur. Im Gegenteil: Sie ist Wesen und Konstante von Hegels Kant-Kritik. In allen weiteren Phasen seines Denkens hält er an ihr fest. Nicht zu übersehen ist allerdings, dass sie im Gefolge der Ausarbeitung einer der Idee der absoluten Identität gemäßen Begriffs- und Wissensform modifiziert wird. Nach der frühen Jenaer Zeit generiert Hegel unter den Termini .Subjektivität' und ,Geist' logisch-dialektische Strukturen des Begriffs und expliziert damit die als intellektuelle Anschauung gefasste spekulative Identität von Subjekt und Objekt η

gleichfalls als ein Wissen diskursiver Art. Zudem macht er spätestens mit der .Einleitung' in die Phänomenologie des Geistes kenntlich, dass das Bedürfnis der Philosophie nicht mehr nur, wie noch in der Differenzschrift behauptet wurde, dort entsteht, wo Denkformen der .Entzweiung' ein flüssiges intelligentes Anschauen oder Begreifen der Sache verhindern,8 sondern auch dort, wo das Bestreben ausbleibt, sich zu einer mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit und Wahrheit auftretenden Form von Wissen zu erheben.9 Diese Veränderungen ziehen verständlicherweise Präzisierungen der Kritik an Kants Deduktionsverfahren nach sich; sie führen dazu, dass strukturelle Probleme, welche die Auffassungen von Subjektivität und erfahrungsbezogenem Erkennen aufwerfen, größere Aufmerksamkeit erfahren.10 Kein Zweifel besteht auch darüber, dass Hegel zu seiner doppelperspektivischen Beurteilung Kants nicht unvorbereitet gekommen ist, dass er sie vielmehr in einem Denkprozess, der sich über die Ausbildungs- und Hauslehrerjahre der Tübinger, Berner und Frankfurter Zeit erstreckt, erarbeitet hat. Dabei gehört zu den wesentlichen Merkmalen

,Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein Verhältniß zu den positiven Rechtswissenschaften', GW4, 417-485, s. bes. 434-443. 6

7

8

Ebd., 435. Zu dieser Veränderung, die sich in mehreren Schritten vollzieht und für die der Dialektik-Begriff im ,Naturrechtsaufsatz' einen ersten wichtigen Anstoß gibt, vgl. M. Baum, Die Entstehung der Hegeischen Dialektik, Bonn 1989,2. Aufl., 225 ff. Vgl. G W 4 , 1 2 . Zu den Hintergründen von Hegels Zuwendung zur Frage nach dem .wahren Wissen' vgl. M. Bondeli, .Hegel und Reinhold ', in: Hegel-Studien 30 (1995), 73 ff.

10

Belegt wird dies durch Hegels spätere Stellungnahmen zu Kants Apperzeptionsbegriff und Paralogismus-Kritik (vgl. Wissenschaft der Logik. Zweiter Band. GW 12, 17ff., 192ff.) sowie durch spätere Reflexionen zum Verhältnis von Kategorien und Erfahrung (vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830). G W 2 0 , 7 8 ff.).

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

27

dieses Denkprozesses, dass Hegel, ehe er sich gegen Kant zu wenden beginnt, mit dessen Position längere Zeit Übereinstimmung bekundet. Auffällig ist zudem, dass er in der Periode seiner Anlehnung an Kant nicht darum bemüht ist, das Gesamtgebäude der Vernunftkritik eingehend zu rezipieren, kommentieren und in verbesserter Form darzustellen - ein Unternehmen, für das seit Anfang der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts insbesondere Jacob Sigismund Beck und Karl Leonhard Reinhold stehen. Hegel geht es um eine selektive und vornehmlich auf Fragen der praktischen Vernunft konzentrierte Aneignung Kantischer Resultate, und seine philosophische Ambition erstreckt sich hauptsächlich auf einen in seiner Anwendung zu erweiternden praktischen Kantianismus. Wie ich in einem ersten Teil der folgenden Ausführungen zeigen möchte, ist Hegels Jenaer Kant-Kritik das Resultat einer Überwindung ebendieses Typs des Kantianismus. Hegel versteht ihn von einem bestimmten Zeitpunkt an als eine unvollständige und überdies in grundlegenden Aussagen inkonsistente Position innerhalb des neueren Denkens von Vernunft und Freiheit und gelangt schließlich zur Überzeugung, dass er durch eine neue, höhere philosophische Formation, eine Formation, zu der sich vor allem in Jacobis Glaubensphilosophie und in den nachkantischen Systemansätzen Fichtes und Schellings wichtige Ressourcen finden, abgelöst werden muss. Dass dieser Entstehungszusammenhang von Hegels Jenaer Kant-Kritik auf deren inhaltliche Ausrichtung abfärbt, ist unverkennbar. Hegel ist in den ersten Jenaer Jahren vor allem ein eifriger Verfechter seines neu gewonnenen Standpunktes und negiert dementsprechend heftig die überwundene Kantische Position. Er meldet sich somit keineswegs als Kritiker zu Wort, der auf eine zuverlässige Präsentation und immanent ansetzende Erörterung Kantischer Thesen und Argumente aus ist. Aus diesem Grund ist, wie ich in einem zweiten Teil meiner Ausführungen darlegen möchte, Hegels Kant-Kritik allerdings auch problematisch: Kantische Ansichten werden zu unspezifisch und zu einhellig durch den eigenen Standpunkt gezeichnet wiedergegeben. Erst wenn man gewisse argumentative Schritte hinzudenkt, vermag Hegels Kritik auf Probleme, die sich aus Kantischen Voraussetzungen ergeben, aufmerksam zu machen.

I. Bei seinen Denkversuchen in Tübingen und Bern gab Hegel sich als Denker zu erkennen, der von der Anwendung Kantischer Resultate eine die politische Umwälzung in Frankreich flankierende geistige Revolution erwartet.11 Hegels Fragmente, Briefe und andere Dokumente aus dieser Zeit belegen, dass er, dieser Erwartung entsprechend, für ein philosophisches Konzept Partei nahm, das man insgesamt als religionskritisch und aufklärungspragmatisch ausgerichteten Kantianismus der moralisch-praktischen und Vgl. Hegel an Schelling, 16. April 1795. Briefe von und an Hegel. Hg. von J. Hoffmeister. Vier Bände, Hamburg 1969 (4. Auflage), Bd. 1,23.

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MARTIN BONDELI

ästhetischen Vernunft kennzeichnen kann.12 Markante Anknüpfungspunkte dieses Kantianismus waren der der Methodenlehre der Kritik der praktischen Vernunft entnommene Gedanke der Subjektivierung der Gesetze der praktischen Vernunft13 sowie die aus dem dritten Stück der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft stammende Idee der Verankerung der individuellen Moral in einem .ethischen Staat'.14 Diese Anknüpfungspunkte dienten Hegel zur Schärfung seines Verständnisses einer gegen die damalige theologische Orthodoxie in Vorschlag gebrachten - subjektiven Religion oder Volksreligion. Bedeutsam war überdies die seit 1795 einsetzende Beschäftigung mit der die Idee einer Welt moralischer Zwecke verteidigenden Postulatenlehre. Sie führte Hegel, entgegen jenen Autoren, die christliche Dogmen in Kantische Postulate verwandelten,15 zu einer autonomistischen Auslegung der Postulate des Daseins Gottes und der Unsterblichkeit der Seele: Gott und Unsterblichkeit sollen als Momente oder verwandte Vorstellungen der Selbstrealisierung des moralisch handelnden Menschen aufgefasst werden.16 Zudem entsprang dieser Beschäftigung vermutlich der Plan eines von Kantischen Prämissen ausgehenden vollständigen Systems aller Ideen' oder ,aller praktischen Postulate'.17 Dabei war um die Mitte der 90er Jahre allerdings weder die den Atheismusvorwurf evozierende autonomistische Deutung des Postulatbegriffs noch das Vorhaben eines beim Begriff moralischer Freiheit anhebenden Systems der Ideen oder Postulate eine singuläre Erscheinung. Wer bei Fichte 1796 das 18

.Kollegium über die Moral' und die Vorlesung zur ,Wissenschaftslehre nova methodo' hörte, fand zu solchen Fortentwicklungen von Kants Postulatenlehre reichlich Zu Hegels Kantianismus der Tübinger und Berner Zeit s. bes. H. Wacker, Das Verhältnis des jungen Hegel zu Kant, Berlin 1932, 63 ff.; P. Kondylis, Die Entstehung der Dialektik. Eine Analyse der geistigen Entwicklung von Hölderlin, Schelling und Hegel bis 1802, Stuttgart 1979, 235ff.; M. Bondeli, Der Kantianismus des jungen Hegel. Die Kant-Aneignung und Hegels auf seinem Weg zum philosophischen

Kant-Überwindung

System, Hamburg 1997, lOff.; R. Pozzo, ,Zu Hegels

Kantverständnis im Manuskript zur Psychologie und Transzendental-philosophie aus dem Jahre 1794 (GW 1, Text Nr. 27)', in: M. Bondeli und H. Linneweber (Hg.), Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit, München 1999, 15 ff.; T. Pinkard, Hegel. A Biography, Cambridge 2000,58 ff. 13

Vgl. Kritik der praktischen Vernunft, A 269.

14

Vgl. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' in: I. Kant,

Akademie-Textaus-

gabe, Bd. 6 , 9 5 ff. 15

Siehe dazu Schelling an Hegel. Dreikönigsabend 1795 sowie Hegel an Schelling, 30. August

16

Diese Haltung kommt besonders im Fragment ,Ein positiver Glauben...' aus der späten Berner

1795. Briefe von und an Hegel. Bd. 1,14 und 29f.

17

Zeit zum Ausdruck. Vgl. GW 1,352 ff. Vgl. ,Das „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus'" - Kritische Edition in: Mytholo-

18

gie der Vernunft, hg. von C. Jamme und H. Schneider, Frankfurt/M. 1984,11, Z3-4. .Kollegium über die Moral („Ethicen secundum dictata"), Sommer 1796'. S. dazu die Nachschrift von O. Mirbach. J.G. Fichte, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Reihe IV, Bd. 1,9 ff.

29

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

Anregung. Ebenso kursierten Ansätze dieser Art bei Kantianern, die von der Äußerung aus der .Vorrede' der Kritik der praktischen Vernunft, der Begriff der Freiheit mache den ,Schlußstein' des .Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus', 19 beflügelt wurden. In Bern beispielsweise schrieb 1792 Philipp Albert Stapfer, später Kulturminister der helvetischen Republik und nach 1800 zusammen mit Charles de Villers ein Pionier des französischen Kantianismus, Gedanken zu einer Kantischen Freiheitslehre nieder, die als System von praktischen, theoretischen und ästhetischen Ideen ausgeführt werden sollte.20 Während für manche damaligen Kantianer die Anwendung von Resultaten ihres philosophischen Helden bis ins erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts ein brisantes sozialreformerisches Projekt blieb, nahm Hegels philosophische Entwicklung in den Frankfurter Jahren bekanntlich eine andere Richtung. Nicht mehr moralische Subjektivität, nicht mehr subjektive oder Volksreligion, sondern dialektische Vereinigung von Subjekt und Objekt lautete fortan die Losung. Dabei sind für diese Veränderung vor allem zwei Gründe anzuführen. Dies ist erstens die Tatsache, dass Hegel in Frankfurt einem Diskussionszirkel um Hölderlin angehörte, in dem nicht die Aneignung der Kantischen Philosophie, sondern ein zu den gemeinsamen Tübinger Voraussetzungen gehörendes und durch das Studium von Quellen des Neuplatonismus und geläuterten Spinozismus bereichertes Denken der Einheit von Einem und Vielem im Vordergrund stand.21 Zweitens sind die Enttäuschungen hinsichtlich der revolutionären Wirkung, die man sich vom Kantianismus erhofft hatte, zu nennen. Hegel sah offenbar sein philosophisches Konzept der Berner Jahre als gescheitert an. Für gescheitert hielt er es dabei nicht deshalb, weil es keinen revolutionären Impuls erbracht, sondern weil es sich als Ausdruck einer falschen revolutionären Geisteshaltung erwiesen hatte. Wie man aus Hegels Frankfurter Fragmenten ab 1798 herauslesen kann, verschrieb sich dieses Konzept einem Ideal der individuellen und gemeinschaftlichen Subjektivität, das sich von der bekämpften Objektivität nicht zu befreien vermochte. Eine Befreiung musste deshalb misslingen, weil diesem Ideal zufolge das Subjekt das Objekt lediglich dominieren oder vernichten, ihm nicht zugleich in der Absicht einer Vereinigung auf höherer Stufe gegenübertreten wollte. In der Tat kam dies einer durch ,Flucht' oder ,Furcht vor Vereini-

Vgl. Kritik der praktischen Vernunft, A 4. Siehe M. Bondeli, Kantianismus

und Fichteanismus

in Bern. Zur philosophischen

Geistesge-

schichte der Helvetik sowie zur Entstehung des nachkantischen Idealismus, Basel 2001, 194ff., 205 ff. Zu Hegels damaliger Aufnahme des Neuplatonismus siehe vor allem J. Halfwassen, ,Die Rezeption des Neuplatonismus beim Frankfurter Hegel - Neue Quellen und Perspektiven', in: M. Bondeli und H. Linneweber (Hg.), Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit, München 1999, 105ff.; zu Hegels frühem Spinozismus siehe M. Bondeli, ,Spinozanische und antispinozanische Denkfiguren in Hegels philosophischer Entwicklung bis 1800', in: Spinoza

im

Deutschland des 18. Jahrhunderts. Zur Erinnerung an Hans-Christian Lucas, hg. von E. Schürmann, N. Waszek und F. Weinreich, Stuttgart 2002,503 ff.

30

M A R T I N BONDELI 22

gung' gekennzeichneten Abhängigkeit des Subjekts vom Objekt gleich. Genauer besehen war die Diagnose einer gescheiterten revolutionären Subjektivität nicht nur ein Grund für Hegels Distanzierung vom Kantianismus, sie bestimmte auch die Richtung seiner Frankfurter Neuorientierung, ließ sie doch eine Denkfigur in den Mittelpunkt treten, die sich für Hegels künftigen Begriff von dialektischer Vereinigung von Subjekt und Objekt als grundlegend herausstellen sollte. Sie prägte die Vorstellung, eine Subjektivität (Begriff, Denken), welche die Objektivität (Anschauung, Sinnlichkeit) unterdrücke, ignoriere oder zu einem formlosen Stoff hinabsetze, sei Zeichen der Dualität, der Nicht-Vereinigung, mithin einer Art von Herrschaft. Letztlich bedeute diese Subjektivität aber auch Selbsttäuschung, zumal sie in der Tat nur ein Gedanke mit partikulärer Bestimmung, mit Gewalt, somit ohne Allgemeinheit, Macht, ohne Realität sei.23 Es ist unschwer zu erkennen, dass Hegel diese Denkfigur nicht nur auf den revolutionären Zeitgeist und den entsprechenden Typ von Kantianismus, sondern gleichfalls auf Kants Begriff moralischer Subjektivität anzuwenden begann. Da Hegel seine Idee dialektischer Vereinigung von Subjekt und Objekt sowohl als Gegenpol einseitiger Subjektivität als auch als höhere, vereinigungsphilosophisch geläuterte Stufe der zuvor im Einklang mit Kant vertretenen Auffassung von moralischer Subjektivität betrachtete, erscheint die am Anfang der Jenaer Jahre manifest werdende doppelperspektivische Kant-Beurteilung nicht als zufällig. Der Versuch, eine Unterscheidung zwischen einer überholten und einer noch aktuellen Seite der Kantischen Subjektivitätsidee zu treffen, war damit nahe liegend. Dabei arbeitete Hegel einer Konkretisierung dieser Unterscheidung dadurch vor, dass er nach Widersprüchen in Kantischen Thesen suchte. Die Jenaer Auffassung, es gelte einen Widerspruch zwischen Inhalt und Form Kantischer Bestimmungen aufzulösen, war vorgezeichnet. Hegel gelangte im Laufe der Frankfurter Jahre nicht nur zur Ansicht, Kants Begriff der Moralität sei Ausdruck einseitiger Subjektivität. Er war offenbar auch der Meinung, gewisse Kantische Bestimmungen des Moralitätsbegriffs seien inkonsistent. Der Gedanke einer moralischen Freiheit im Sittengesetz widerspreche sich, da dieses defacto zugleich ein Herrschaftsgesetz sei, ein Gesetz, in dem die Sinnlichkeit ,unterjocht', ,Liebe' als Pflicht ,geboten' werde;24 desgleichen widerspreche sich der allgemeine Gedanke der moralischen Freiheit, zumal er auf der einen Seite als zwanglose Vernunfteinsicht, auf der anderen als Gesetz, Gebot und dadurch als Zwang zu begreifen sei. Die Konsequenz, die es daraus nach Hegels Ansicht zu ziehen galt, war: dass die Begriffe des Sittengesetzes und der Moralität fortan in den höheren Standpunkt der Sittlichkeit aufzuheben sind. Als widersprüchlich erachtete Hegel ferner Kants Vorschlag, das Dasein Gottes als Postulat der praktischen Vernunft oder, mit anderen Worten, das ,Sein' als 22 23

Vgl. G.W .F. Hegel, Theologische Jugendschriften,

hg. von H. Nohl, Tübingen 1907, 376.

Für diese Überlegung steht besonders Hegels Fragment von 1799/1800 ,Der immer sich vergrößernde Widerspruch...' Vgl. H. Kimmerle, .Anfänge der Dialektik', in: Der Weg zum 24

System.

Materialien zum jungen Hegel, hg. von C. Jamme und H. Schneider, Frankfurt/M. 1990,274ff. Vgl. Theologische Jugendschriften, 267, 388.

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

31

.Sollen' oder ,Glauben' zu begreifen.25 Denn damit wird, so Hegels maßgebende Überlegung, einerseits ein höchstes Sein supponiert, das ex definitione jenseits aller Unterscheidungen und damit auch jener von Sein und Sollen steht, andererseits dieses Prinzip zugleich aber nur als etwas Gesolltes, Geglaubtes und damit Beschränktes begriffen. Aus Hegels Sicht fiel Kant damit von einem als negativ theologisch zu benennenden Glauben an das Sein zurück in einen Glauben an ein Geglaubtes und damit in eine Variante der positiven Theologie.26 Wie Hegels 8. Habilitationsthese27 belegt, sollte auch dieser Punkt konzeptuelle Folgen für sein weiteres Philosophieren haben. Kants GottesPostulat wurde am Ende als Gedanke wahrgenommen, der sich mit dem besagten Widerspruch selbst zerstört und der eine höhere Form des Denkens des Absoluten aufnötigt. Und diese höhere Form wurde in einem neuen Spinozismus entdeckt. Wenn Hegel sich von Kant distanzierte, indem er für eine dem Spinozismus vergleichbare Auffassung des Glaubens an das höchste Sein eintrat, so versteht sich, dass er nicht mehr bei der Vorstellung verweilen konnte, die dialektische Vereinigung von Subjekt und Objekt erstrecke sich auf eine anti-dualistische Modifizierung von Kantischen Bestimmungen der praktischen Vernunft. Mit der Auffassung des Glaubens an das Sein wurde der Gedanke dialektischer Vereinigung von Subjekt und Objekt nun folgerichtig auch als Prinzip und Synonym dieses Seins verstanden: Bereinigung und 28

Sein sind gleichbedeutend', schrieb Hegel in einer urteilslogischen Auslegung dieser Verklammerung nieder. Er war somit dazu übergegangen, die Vereinigungsidee auf der Basis einer Metaphysik des Seins auszuformulieren. Dabei war diese Metaphysik des Seins, zumal der Gedanke der Vereinigung von Subjekt und Objekt jenen der Vereinigung von Freiheit und Natur einschließen sollte, eine in ihrem Prinzip neuartige, in ihrem Anspruch der Totalisierung, der Vereinheitlichung von theoretischer und praktischer Vernunft aber wiederum klassische Metaphysik. Hegel konnte in diesem Stadium seines Denkens deshalb nicht mehr mit Kants Reformulierung der metaphysica generalis als Ontologie (d.h. Transzendentalphilosophie) und mit Kants Integration der metaphysica specialis in die Postulatenlehre übereinstimmen. Aber auch über eine Metaphysik der praktischen Vernunft im Sinne der Fichteschen Wissenschaftslehre und über die im .Ältesten Systemprogramm' festgehaltene These, der zufolge ,die ganze Meta29 physik künftig in die Moral fällt', war Hegel hinaus, zumal ihm eine Idee der Vereinigung von Freiheit und Natur vorschwebte, in welcher die Natur zu ihrem ungeschmälerten Recht kommen sollte. Wie den beiden philosophisch aufschlussreichen Frankfurter Texten, dem Fragment .Glauben und Sein' und dem ,Systemfragment von 1800', zu entnehmen ist, stand He25

Vgl. ebd., 382f., 385.

26

Vgl. ebd., 385.

27

, Vili. Materia postulati 28 29

rationis, quod philosophia

critica exhibet, earn ipsam philosophiam

strilit, etprincipium est SpinozismV, G W 5 , 2 2 7 . Theologische Jugendschriften, 383. ,Das „älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus'", Kritische Edition, 11, Ζ 1.

de-

32

MARTIN BONDELI

gels Metaphysik des Seins im Banne eines - in erster Linie mit dem Neuplatonismus in Verbindung zu bringenden - Denkens des überreflexiven Einen. Damit rückte er in die Nähe der erklärtermaßen an die Tradition der docta ignorantia anschließenden Glaubensphilosophie Jacobis. Das Sein wird von Hegel ausdrücklich als ,Sein außer der Re30

flexion' gefasst. Soweit es dabei als das in die Sphäre der Reflexion eintretende Sein schlechthin genommen wird, ist es ein Widersprüche (,Antinomien') produzierendes und auflösendes Verhältnis von Reflexivität und Überreflexivität. Vor diesem Hintergrund stellte Hegel die dem Sein zugeschriebene Grundstruktur dialektischer Vereinigung von Subjekt und Objekt auch erstmals im Hinblick auf eine dialektische Denkform der Selbstnegation des Einen dar. Das Sein als das Verbindende von Subjekt und Objekt ist in seiner reflexiven Grundstruktur eine .Verbindung der Verbindung und der NichtVerbindung'.31 Die Negation der Verbindung, die NichtVerbindung, führt, weil sie von der Verbindung selbst gesetzt wird, zu dieser zurück, ist damit nun aber eine Verbindung höherer Stufe. Der Meinung Jacobis, das größte Verdienst des philosophischen Forschers bestehe darin, auf der höchsten Stufe der Reflexion über dieselbe hinauszuschreiten und im Medium des Glaubens oder der Anschauung ,Daseyn zu enthüllen',32 hätte Hegel in dieser Phase beipflichten können. Damit ist zugleich gesagt, dass Hegel damals mit einer Entgegensetzung von Reflexion als positivem Glauben einerseits und Spekulation als negativem oder Seinsglauben andererseits operierte und somit noch entfernt war von der im Aufsatz Glauben und Wissen in Vorschlag gebrachten Entgegensetzung von Reflexion als Glauben schlechthin einerseits und Wissen als Spekulation andererseits. Erst Hegels Auffassung, der Glaube schlechthin sei eine Spielart der Reflexion, ermöglichte es ihm sodann, das Denken Kants und Jacobis als Varianten ein und derselben Reflexionsphilosophie darzustellen. Wie schließlich das ,Systemfragment von 1800' verdeutlicht, hatte Hegel seine Frankfurter Metaphysik des Seins über die Entfaltung dialektischer Vereinigungsstrukturen hinaus als einen zur Hauptsache naturphilosophisch ausgerichteten Systemansatz fortzuentwickeln unternommen, wobei unverkennbar Anregungen durch Schellings naturphilosophische Schriften von 1797 im Spiel waren. Das Sein in den Bedeutungen von .Leben' und ,Natur' wurde nun auch als Ausgangs- und Endpunkt eines Systems der Reflexion, der diversen Organisationen' des Lebendigen, positioniert.33 Und dieses System seinerseits sollte als ein antinomisch fortschreitender, zum Unendlichen strebender Prozess von raum-zeitlichen, physischen (die Himmelskörper betreffenden) und geistig-religiösen Bestimmungen begriffen werden. Ausgehend von diesem Systemansatz war der Übergang zu Hegels naturphilosophisch orientierten Systemskizzen der

Theologische Jugendschriften, 348. 31

32

Ebd., 348. Vgl. F.H. Jacobi, Schriften zum Spinozastreit,

33

hg. von K. Hammacher und I.-M. Piske, Werke.

Gesamtausgabe hg. von K. Hammacher und W. Jaeschke, Bd. 1,1. Hamburg 1998,29. Vgl. Theologische Jugendschriften, 345-351, passim.

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

33

frühen Jenaer Zeit34 wie auch zu seinem ersten Logik-Konzept35 präfiguriert. Wenn Hegel 1801 an das echt idealistische Kantische Prinzip der Deduktion der Kategorien appelliert, so bedeutet dies, dass er nun auch den Plan eines geist- oder subjektphilosophischen Systems in Angriff nimmt. Das in seinem obersten Reflexionsgesetz als dialektische Vereinigung zu deutende Sein soll offenbar in Zukunft nicht nur im Hinblick auf ein System der Natur oder der Logik ausgefaltet werden, sondern auch im Hinblick auf ein System, welches vom Prinzip der Kantischen Deduktion ausgeht und in dessen Rahmen die Kantische Kategorienlehre auf neuartige Weise zu generieren ist, namentlich in der Weise, dass die Kategorien, wie es in der Differenzschrift heißt, nicht mehr zu ,ruhenden todten Fächern'36 gemacht werden. Es ist offensichtlich, dass Hegel bei der Aufstellung eines Systems dieser Art an eine nachkantische Systemidee anknüpft, die hauptsächlich auf Reinhold, Beck, Fichte und Schelling zurückgeht. Die genannten Autoren vertraten die These, Kants ursprüngliche Apperzeption sei das Prinzip des vollständigen Zusammenhangs der Kategorien sowie der entscheidende Ausgangspunkt für den Beweis synthetischer Erkenntnis a priori. Und ihren Neudarstellungen eines Systems der Vernunftkritik ging die Meinung voraus, das Prinzip der Apperzeption sei bei Kant nicht skeptizismusresistent und überdies in bezug auf Ableitungen - sowohl was die Herleitung der Kategorien (bzw. ihrer Vollständigkeit) als auch was die Frage ihrer objektiven Gültigkeit betrifft - nicht durchsichtig dargestellt worden. Infolgedessen wurde ein evidenter ,Satz des Bewusstseins' (Reinhold), ein als Erzeugen des a priori Synthetischen zu begreifendes .ursprüngliches Vorstellen' (Beck), ein nicht bezweifelbares tätiges ,Ich' (Fichte, Schelling) an die Stelle von Kants ursprünglicher Apperzeption gesetzt und das erste Prinzip in seinem Verhältnis zu den Kategorien und deren Erkenntnisleistung als eine Art Grund-FolgeVerhältnis ausformuliert. Während Hegel diesen Weg der Fortentwicklung Kants lange Zeit für wenig sinnvoll hielt, ist er spätestens um 1800 davon überzeugt, dass die kommende Philosophie diesen und keinen anderen weiter beschreiten muss. Und er erachtet es als erforderlich, an die entwickeltste Gestalt dieses Wegs anzuschließen. Wie Hegel in der Differenzschrift konstatiert, ist Fichte derjenige, der mit der Auffassung eines tätigen Ich den Geist des Kantischen Prinzips der Deduktion in ,reiner und strenger Form heraus gehoben'37 hat. Der weitere Kontext zeigt allerdings, dass Hegel Schelling noch über Fichte stellt. Denn seines Erachtens hat Schelling die besagte Denkrichtung nicht nur zu Recht durch eine Naturphilosophie ergänzt, er hat sie ebenfalls vom Fichteschen Mangel einer ungeschlossenen Systemgestalt befreit. Aus Hegels Sicht dürfte Schelling

Vgl. H. Kimmerle, .Hegels Naturphilosophie in Jena', in: Hegel in Jena, hg. von D. Henrich und K. Düsing, Bonn 1980,209 ff. 35

36

Vgl. Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler. Herausgegeben, eingeleitet und mit Interpretationen versehen von K. Düsing, Köln 1988,63 ff. GW4,5.

34

MARTIN BONDELI

schließlich auch deshalb der Maßstab sein, weil er das Prinzip der Kantischen Deduktion in struktureller Hinsicht am reichsten entfaltet hat. Er hat dieses Prinzip, das für Hegel wie erwähnt die .absolute Identität von Subjekt und Objekt' ist, über die Idee der Vereinigung von Denken und Anschauung sowie von praktischer und theoretischer Vernunft hinaus mit Fichte auch als Selbstbeziehung des Subjekts oder als intellektuelle Anschauung und schließlich als wahrheitstheoretische Vorstellung der ,Übereinstim38

mung eines Objektiven mit einem Subjektiven' entfaltet. Dass Hegel fortan neben den beiden Bedeutungen von Vereinigung auch die Identität im Sinne der Selbstbeziehung des Subjekts in sein Verständnis des Prinzips der Deduktion aufnimmt, belegt 39 die in der Differenzschrift erfolgte Parteinahme für eine ,transcendental Anschauung'.

II. Die Kritik an der Kantischen Philosophie, die Hegel in den frühen Jenaer Texten äußert, ist neben der erwähnten Prägung durch bestimmte Charakteristika ihrer Vorgeschichte in der Frankfurter Zeit durch die Polemik gezeichnet, die im Zuge der Etablierung des gemeinsam mit Schelling herausgegebenen Kritischen Journals der Philosophie gegen so genannte unphilosophische Strömungen geführt wird. Durch diese Polemik nimmt Hegels Kritik zuweilen eine Form an, welche die zurückgewiesenen Positionen als auswechselbar erscheinen lässt. So deckt sich die Kritik an Kant in .Glauben und Wissen' über weite Strecken mehr als nur dem äußeren Rahmen nach mit jener an Fichte und Jacobi. Zudem treffen Hegels Abrechnungen mit Autoren, welche die Philosophie ausgehend von empirischen oder psychologischen Tatsachen erklären, die Philosophie auf oberflächlichen Skeptizismus oder bloße Logik reduzieren oder sie in Lehrbüchern zu Kants Kategorientafel breitschlagen, immer auch Kant. Auch beim Durchgang durch die Kantische Lehre spricht Hegel davon, dass diese über einen .psychologischen' und .formalen Idealismus' ebenso wenig hinauskommt wie über einen erweiterten .Lockea< 40

nismus . Allerdings sind diese und ähnliche Angriffe gegen Kant ins richtige Verhältnis zu setzen. Hegel geht im selben Atemzug davon aus, Kants Idealismus sei im Grunde transzendental und überschneide sich somit auch mit dem echten Idealismus. Und diese Überzeugung erweist sich als entscheidend für die Art der Kritik, um die es Hegel in der Hauptsache zu tun ist: Es soll aufgewiesen werden, dass Kant nicht wegen, sondern trotz seines transzendentalen Idealismus zu Ansichten gelangt, die auf der Stufe der genannten zu verurteilenden unechten Idealismen stehen. Mit diesem Vorhaben steht die Vgl. F.W.J. Schelling, System des transzendentalen von K.F.A. Schelling, 1/3,339. 39

Vgl. G W 4 , 2 7 f f .

40

Vgl. GW 4, 331-333.

Idealismus.

Schellings Sämtliche

Werke, hg.

35

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

doppelperspektivische Kant-Kritik im Zentrum. Es soll darum gehen, den transzendentalen Idealismus auf seine Seiten des echten und des falschen Idealismus hin zu untersuchen. Was die doppelperspektivische Kant-Kritik im Einzelnen betrifft, äußert Hegel sich bei der Auseinandersetzung mit der Kritik der reinen Vernunft nun erstmals zur zentralen Frage nach der Möglichkeit von synthetischen Urteilen a priori. Zu Beginn des Kant-Abschnittes von .Glauben und Wissen' wird auf die große Bedeutung dieser Frage hingewiesen und umgehend festgehalten, Kants Antwort darauf offenbare, dass der Gedanke einer apriorischen Synthesis im Grunde nichts anderes sei als die ursprüngliche absolute Identität' von Subjekt und Prädikat, Besonderem und Allgemeinem, Sein und Denken.41 Die absolute Identität ihrerseits soll, wie in der Differenzschrift bereits gesagt worden ist, von Kant am treffendsten in dem als ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption dargelegten Prinzip der Kategoriendeduktion zum Ausdruck gebracht worden sein.42 Auf dieser Basis werden im Durchlauf durch das Gebäude der theoretischen Vernunftkritik jene Begriffe oder Denkfiguren herausgehoben, welche in die Richtung der absoluten Identität weisen. Allem voran sind dies die als Vermittlung von abstrakter Verstandeseinheit und bloßer Mannigfaltigkeit aufzufassenden Vorstellungen der .transzendentalen Einbildungskraft'43 und der - vom bloßen ,Ich denke' abzuhebenden - .synthetischen Einheit' der Apperzeption.44 Positiv vermerkt werden zudem der in Anknüpfung an Piaton eingeführte, für das Denken des Unendlichen zentrale Begriff der transzendentalen ,Idee' 45 sowie der Versuch, kosmologische Antinomien aufzustellen und deren Auflösung in Erwägung zu ziehen.46 Ergänzt wird diese Reihe verdienstvoller Einsichten aus Kants erster Kritik schließlich durch Hinweise auf die in der Kritik der Urteilskraft näher entwickelten Ideen der .reflektierenden Urteilskraft' und des .intuitiven Verstandes',47 welche mit der Vereinigungsfunktion der Einbildungskraft bzw. mit dem Bemühen, das Höchste zu denken, in Zusammenhang ge-

Vgl. ebd., 326-328. - Die Ansicht, Kants Frage nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori sei im Grunde die Frage nach einem geeigneten Prinzip der Einheit, dürfte wesentlich auf Maimón und Fichte zurückgehen. War Maimón der Meinung, die besagte Frage lasse sich nicht unabhängig von der Vorstellung einer Einheit von Begriff und Anschauung, Geist und Materie beantworten (vgl. S. Maimón, Versuch über die Transzendentalphilosophie über die symbolische

Erkenntnis und Anmerkungen,

mit einem

Anhang

Berlin 1790, 62), war Fichte der Ansicht, sie

mit der - im dritten obersten Grundsatz der Wissenschaftslehre von 1794 formulierten - Synthesis von Ich und Nicht-Ich beantwortet zu haben (vgl. J.G. Fichte, Grundlage der gesamten schaftslehre. J.G. Fichtes Sämtliche Werke, hg. von I. H. Fichte, Bd.1,114). 42

Vgl. .Glauben und Wissen', G W 4 , 3 2 9 .

43

Vgl. ebd., 334,341.

44

Vgl. ebd., 327 f.

45

Vgl. ebd., 336.

46

Vgl. ebd., 337 f.

47

Vgl. ebd., 335,339, 341.

Wissen-

36

MARTIN BONDELI

bracht werden.48 Der negativen Seite der Kritik entsprechend, wird bei all diesen Begriffen oder Denkfiguren gleichzeitig behauptet, dass ein Riickfall auf die Stufe der Reflexionsphilosophie stattfinde, dies weil sie bald mangelhaft ausformuliert, bald mit gegenteiligen, endlichen Bestimmungen vermischt worden seien. Dabei schälen sich zwei zentrale Vorwürfe heraus. Hegel wendet erstens ein, Kants ursprüngliche Apperzeption sei trotz ihrer identitätsphilosophischen Ausrichtung nur ein .formales' Prinzip der Subjektivität: ein ,leeres Ich', ein substanzloser ,intellectueller Punct'.49 Zweitens wird moniert, das mit dem Verfahren der transzendentalen Deduktion in Vorschlag gebrachte Verhältnis von Erkennen und zu erkennendem Gegenstand sei trotz identitätsphilosophischer Stoßrichtung dualistisch. Insbesondere sieht Hegel in ihm ein Erkenntnismodell, bei dem auf der Seite des Denkens eine Form ohne Stoff, auf der Seite des Gegenstandes ein Stoff ohne Form, ein .formloser Klumpen', steht.50 Im Blick auf Kants praktische Vernunftkritik ergibt sich dasselbe zwiespältige Ergebnis: Der Würdigung, dass Kant die vernünftige Auffassung von praktischer Autonomie freigelegt hat, folgt die Klage über ihre reduzierte Auslegung. Autonomie werde so gefasst, dass alles Sinnliche als heteronom, alles Vernünftige als .absolutes Jenseits' des Sollens und Glaubens erscheine.51 Über die Frankfurter Kritik am Sittengesetz als Herrschaftsgesetz hinaus erörtert Hegel nun auch erstmals genauer, was die Abstraktheit oder Leerheit dieses Gesetzes bedeutet. Im ,Naturrechtsaufsatz' ist von Formalismus' die Rede.52 Dieser entsteht nach Hegel dadurch, dass das Vermögen der Selbstgesetzgebung mit dem Sittengesetz, d.h. der Aufforderung, Maximen unter einem Verallgemeinerungstest zu wählen, zu einem .analytischen' Satz, dem auf das Praktische 53

übertragenen .Satz des Widerspruchs', gemacht wird.

Und er besteht eigens dann,

dass bei der Maximenwahl vom ,Inhalt' oder der ,Materie' der Maxime völlig abgesehen wird, in Hegels Worten, dass eine »absolute Abstraction von aller Materie des Willens' stattfindet.54 Ferner wird die Frankfurter Kritik an Kants These, Moralität sei die höchste Stufe der praktischen Vernunft, durch die Ansicht ergänzt, dass bei Kant Moralität und Legalität gesamthaft und auch je für sich betrachtet ein verhängnisvolles komplementäres Gebilde von freier Vernunft und Zwang darstellen und dadurch sittliches Handeln verunmöglichen.55 In der praktischen Philosophie Kants gibt es demgemäß weder Zwang noch Freiheit, sondern nur Zwitterformen von Zwang und Freiheit.

Mit diesem Hinweis gibt Hegel nicht zuletzt zu verstehen, dass Kants dritte Kritik rangmäßig die höchste sein sollte. 49

Vgl. ebd., 328,336 f.

50

V g l . ebd., 332.

51

V g l . ebd., 344 f.

52

,Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts', G W 4 , 4 3 6 . 53

V g l . ebd., 435.

54

V g l . ebd.

55

Vgl. ebd., 442.

37

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

Eine Grundschwierigkeit, die sich beim Versuch einer Beurteilung dieser Hegeischen Vorwürfe gegen Kant ergibt, liegt darin, dass man es mit zu wenig differenziert wiedergegebenen und zum Teil durch Projektionen verzerrten Kantischen Ansichten zu tun hat. Hegel kritisiert Kant, indem er ihn gleichsam als unglücklichen Vorläufer der eigenen Vereinigungsidee porträtiert. Wie erwähnt, kommt dieses Vorgehen nicht von ungefähr. Es hängt damit zusammen, dass Hegel sich einen Kant zurechtlegte, dessen hauptsächliche Resultate bei konsequenter Ausdeutung zu einer Einheitsidee Spinozistischer Natur führen. Und es wird auch dadurch befördert, dass Hegel sich einen durch die nachkantische Systemidee interpretierten Kant zu eigen machte. Was Hegels Wiedergabe der Hauptgedanken der theoretischen Vernunftkritik anbelangt, führt seine eigenwillige Kant-Deutung dazu, dass eine apperzeptionstheoretische Lesart der transzendentalen Deduktion in den Vordergrund tritt. Bei dieser Lesart fällt die Argumentation, die Kant mit der für ihn wesentlichen, objektiven Seite seines Deduktionsverfahrens verbindet, weg. Kant geht es in erster Linie um den Nachweis, dass es bestimmte Bedingungen der sinnlichen Anschauung und des Verstandes gibt, die notwendig und hinreichend für das Gegebensein von Erfahrungssätzen sind, und dass diese Bedingungen ebendeshalb als objektiv gültig oder als Bedingungen der Gegenstände von Erfahrung aufzufassen sind.56 Dagegen spielt für Hegel ein Nachweis dieser Art keine Rolle, und dementsprechend bezieht Hegel sich bei seiner Rede von Kants Prinzip der Deduktion offenkundig auch nicht auf das diesen Nachweis kennzeichnende ,Principium' der Deduktion aus § 14 der Kritik der reinen Vernunft.51 Umso mehr werden Ansichten hervorgehoben, die man Kant zufolge der subjektiven Seite der transzendentalen Deduktion zuzurechnen hat. Zum einen favorisiert Hegel die Idee, das Urteil sei Produkt einer Setzung aus der ursprünglichen Apperzeption, was darauf hindeu"

58

tet, dass er an Kantische Äußerungen zur objektiven Einheit der Apperzeption anschließt und dass er unter dem Prinzip der Deduktion den ,obersten Grundsatz' der ursprünglichen Apperzeption aus § 16 und § 17 der Kritik der reinen Vernunft versteht. Zum anderen ist die Ansicht dominant, ein entscheidendes Kriterium gültiger Urteile sei die gelungene Einheit von Denken und Anschauung sowie von gedachtem und wirklichem Gegenstand. Das Prinzip der Deduktion wird dadurch ausdrücklich ein Prinzip der Vereinigung, zu dem man bei Kant eine Parallele in der Hypothese über die allgemeine Wurzel' der zwei ,Stämme' der Erkenntnis, des Rationalen und Empirischen,59 findet. Genau dieses Prinzip der Vereinigung ist es, so unterstellt Hegel schließlich, das Kant mit den Auffassungen der Einbildungskraft bzw. der synthetischen Einheit der Apperzeption vorbildlich auf den Begriff gebracht hat. Diese apperzeptionstheoretische Lesart von Kants transzendentaler Deduktion ist folgenreich. Aus ihr ergibt sich eine sehr fragwürdige Ansicht darüber, welche Bedeutung 56 57 58 59

Siehe dazu besonders Kritik der reinen Vernunft, A 93f., Β 126; A 156-158, Β 195-198. Vgl. ebd., A 94, Β 126. Vgl. ebd., Β 140-142. Vgl. ebd., A 835, Β 863.

38

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und Funktion Kant der ursprünglichen Apperzeption und der Einbildungskraft zugeschrieben habe und was in diesem Punkt sodann mangelhaft geblieben sei. Für Kant selbst ist die ursprüngliche Apperzeption insofern höchste Bedingung von Erkenntnis, als sie die grundlegende Funktion einer bestehenden Einheitsinstanz des Denkens hat. Ohne diese Instanz könnte das unter Raum und Zeit gegebene Mannigfaltige nicht gedacht werden, was nicht heißt, dass mit ihr schon etwas erfahren oder erkannt wird, und was auch nicht heißt, dass sie zu den deduzierbaren Bedingungen von Erkenntnis gehört. Die Bedingungen, die Erfahrungsaussagen ermöglichen und sich deshalb auch als deduzierbar herausstellen, sind vielmehr die Kategorien. So wie Hegel die Sache darstellt, hat Kant die ursprüngliche Apperzeption dagegen im Sinne eines selbstbezüglichen Prinzips in Vorschlag gebracht; und aus dieser Sicht wird gleichzeitig der Einwand erhoben, Kant habe allerdings diese selbstbezügliche Struktur der Apperzeption nicht zureichend expliziert. In der Wissenschaft der Logik wird Hegel diesen Einwand konkretisieren: Kant, so wird dort erklärt, hätte die als Selbstrealisierung des Begriffs zu verstehende Apperzeption als Ausgangspunkt der Ausfaltung der Kategorien und der Konstitution eines Erkenntnisobjekts darstellen sollen.60 Nun ist zwar nicht auszuschließen, dass Kant die unter anderem als .Selbstbewusstsein' gekennzeichnete ursprüngliche Apperzeption als eine Art von Selbstbeziehung denkt.61 Sicher ist aber, dass er mit einer solchen Auslegung der Apperzeption nicht der Ansicht ist, diese sei als einheitsstiftendes Prinzip zugleich Bewegungsprinzip für die Entwicklung der Kategorien62 sowie der mit ihnen verbundenen Konstitution eines Erkenntnisobjekts. Und es gibt von Kants Denkvoraussetzungen her auch keinen Grund dafür, eine solche Ansicht zu vertreten. Wenn Hegel an dieser Stelle eine Leerheit oder fehlende Entwickeltheit des Kantischen Apperzeptionsbegriffs diagnostiziert, so greift er zumindest kein Problem auf, das sich Kant-immanent plausibel machen lässt.63 Es ist nicht ersichtlich, weshalb Kants Annahme, Apperzeption und Kategorien seien Erkenntnisbedingungen unter60 61

Dazu besonders GW 12,17 ff. Kants berühmtes Diktum über den .Zirkel', der sich einstellt, sobald das Ich sich selbst denkt, etwas über sich aussagt (vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 346, Β 404), will nicht besagen, jedweder Versuch, ein selbstbezügliches Ich zu denken, sei sinnlos. Vielmehr steht es im Kontext von Kants Kritik an Vorstellungen über die Erkennbarkeit des Ich an sich. In diesem Punkt stimme ich mit Düsing überein; vgl. K. Düsing, Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002,114ff„ 161 f.

62

Dass Hegel damit eine Auffassung von Kategorienentwicklung vorschwebt, die mit Kants Kategorienlehre kaum verträglich ist, zeigt K. Cramer, ,Kant oder Hegel - Entwurf einer Alternative', in: Kant oder Hegel? Über Formen der Begründung in der Philosophie, 63

hg. von D. Henrich,

Stuttgart 1983,140-148. Anderer Meinung ist hier offenbar K. Düsing (Subjektivität und Freiheit, 160ff., 171 ff., 179). Düsing geht davon aus, dass Hegel mit der Forderung nach Vermittlung von Apperzeption (Struktur der Selbstbezüglichkeit) und Objektkonstitution eine .Lücke' in Kants Deduktionsverfahren aufdeckt. Meines Erachtens handelt es bei dieser Lücke nicht um eine echte Lücke im Sinne Kants.

DAS VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

39

schiedlicher Natur und Funktion, inkonsistent sein sollte. Was die Einbildungskraft betrifft, ist es zwar nicht abwegig, sie mit der synthetischen Einheit der Apperzeption in Verbindung zu bringen.64 Jedoch macht es ausgehend von Kants Problemlage wenig Sinn, die Einbildungskraft bzw. synthetische Einheit der Apperzeption im Hinblick auf eine Einheit von Begriff und Anschauung zu interpretieren, wie Hegel sie mit seiner Idee von Vereinigung von Subjekt und Objekt vertritt. Bei Kant hat die Einbildungskraft, d.h. die Auffassung schematisierter Kategorien, unterschiedliche Funktionen. Sie dient der Bedeutungs- und Objektbildung eines Begriffs und ist, wenn man sie im Zusammenhang von Kants Diktum liest, wonach die synthetische Einheit der Apperzeption dasjenige ist, was die analytische Einheit möglich macht, nichts anderes als der Garant dafür, dass das ,Ich denke' kein ,zerstreutes' oder »vielfarbiges' Selbst ist.65 Zudem ist sie Bestandteil der Erklärung, wie durch Kategorien Erfahrungsaussagen über raumzeitliche Gegebenheiten trotz der Heterogenität von Denken und sinnlicher Anschauung möglich sind. Dass dabei nie prinzipiell erklärt werden kann, weshalb heterogene Bestimmungen wie Anschauung und Denken übereinstimmen, wie Heterogenes aus einem gemeinsamen Ursprung entsteht, war für Kant klar. Deshalb wird auch der Vorwurf, Kant zernichte seine eigene Idee der Einbildungskraft bzw. synthetischen Einheit der Apperzeption durch einen Form-Stoff-Dualismus, für eine Kritik, welche die Kantische Perspektive einbezieht, gegenstandslos. Bei den Einlassungen zur praktischen Vernunftkritik gelangt Hegel mit seiner eigenwilligen Kant-Deutung zu einer teleologischen Lesart des Sittengesetzes. Es ist eine Lesart, in welcher nicht Kants Sittengesetz in der Bedeutung der Maximenwahl im Mittelpunkt steht, sondern ein zum Sittengesetz erhobenes Postulat der Realisierung des höchsten Gutes. Dieser Lesart, die einer Umgewichtung des Kantischen Verhältnisses von Sittengesetz und Postulat des höchsten Gutes gleichkommt, hat zweifelsohne Fichtes Sittenlehre mit ihrer Herleitung des Sittengesetzes aus dem Begriff der Selbsttätigkeit entscheidend vorgearbeitet.66 Hegel steht der Vorstellung eines sich selbstmächtig realisierenden Sittengesetzes seit der späten Berner Zeit nahe, in der Naturrechtsschrift bringt er sie auf den Punkt: Er spricht von der .großen Seite der Kantischen und Fichteschen Philosophie', die darin bestehe, das ,Wesen des Rechts und der Pflicht' mit dem ,Wesen des denkenden und wollenden Subjekts' gleichgesetzt zu haben.67 Allerdings, so umgehend der Einwand, habe Kant sich mit dem kategorischen Imperativ im Sinne der Maximenwahl auf eine typische Verstandesbestimmung festgelegt, so dass die Gleichsetzung von freiem, vernünftigem Wollen und dem Wesen von Pflicht und Recht wiederum aufgelöst werde. Es besteht kein Zweifel, dass Hegel hier Kants Vorgehen mit jenem Fichtes zusammenwirft. Kant hat die besagte Gleichsetzung nie vertreten. 64 65

Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 78, Β 103. Vgl. ebd., Β 133 f.

66 67

Siehe J.G. Fichte, Das System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre. tes Sämtliche Werke, hg. von I. H. Fichte, B d . 4 , 5 4 f f . Vgl. ,Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts', GW4,441.

J.G. Fich-

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MARTIN BONDELI

Davon abgesehen ist auch Hegels detailliertere Kritik an Kants Sittengesetz sehr zweifelhaft. Der Allgemeinheitscharakter dieses Gesetzes ist nicht, wie Hegel meint, vergleichbar mit einer Form, bei der von aller Materie der Willkür abstrahiert worden ist, so dass nun jede beliebige Materie hinzukommen kann. Er entspricht vielmehr einer Form, welche bestehende Materien der Willkür auswählt, so dass gerade nur bestimmte Materien für sie in Frage kommen. Schließlich trifft Hegel mit seiner kritischen Reflexion über die unsittliche Vorstellung eines freien Zwanges oder einer zwanghaften Freiheit erneut Fichte und nicht Kant. Hegel wendet sich in dieser Sache gegen die doppelte Konzeption des Rechts aus Fichtes Naturrechtslehre. Attackiert wird die Auffassung, es bestehe auf der einen Seite ein auf freier Anerkennung zwischen selbstbewussten Individuen beruhendes ,Rechtsgesetz' oder ,Urrecht', auf der anderen Seite ein 68

die institutionelle Gewalt repräsentierendes ,Zwangsgesetz' oder ,Zwangsrecht'. Für Kant gibt es kein doppeltes Recht (keine ,zwei Stücke' des Rechts); Recht besteht wesentlich in der ,Befugnis zu zwingen'.69 Der moralische Gehalt des so verstandenen Rechts beschränkt sich darauf, dass ein Recht bestehen soll, das nicht nur legal, sondern auch moralisch legitim ist. Obschon nun Hegels Kant-Kritik mit dieser identitätsphilosophischen Skizzierung der Kantischen Philosophie der Sache wenig gerecht wird und sich deshalb vielfach als haltlos erweist, ist sie in ihren zentralen Angriffspunkten bedenkenswert. Werden diese präziser ausformuliert, verweisen sie am Ende auf Schwierigkeiten, die nicht mehr nur mit Hegels Kant-Bild, sondern durchaus auch mit Kants eigener Argumentation zusammenhängen. Dies sei abschließend an drei Beispielen gezeigt. (1) Wie erwähnt, gibt es keinen einsichtigen Grund, weshalb Kant die ursprüngliche Apperzeption in ihrem Verhältnis zu den Kategorien und zur Konstitution des Erkenntnisobjekts als Prozess der Selbstbeziehung oder Selbstrealisierung hätte darstellen sollen. Es gibt aber einen guten Grund für die Forderung, Kant hätte klären müssen, welcher epistemische Status der ursprünglichen Apperzeption zukommt. Die ursprüngliche Apperzeption in ihrer Funktion als Einheitsgarant des Denkens kann für Kant vor dem Hintergrund der Paralogismus-Kritik einerseits nur ein 70ausschließlich .logischer' Begriff oder eine Bestimmung des ,bloßen Denkens' sein. Denn im Unterschied zu den Kategorien ist sie keine logische Bedingung der Erkenntnis, die auch deduzierbar ist und auf diese Weise zugleich als objektiv gültig angesehen werden kann. Andererseits ist ebenfalls offensichtlich, dass Kant die ursprüngliche Apperzeption als ein intelligibles Vermögen begreift, dessen Existenz nicht zu bestreiten ist. Andernfalls wäre die transzendentale Deduktion ohne sicheres Fundament. Doch wie lässt sich die ursprüngliche Apperzeption mit Kantischen Mitteln als etwas Existierendes ausweisen? Es war Gottlob Ernst Schulze, der dieses Problem 1792 im Aenesidemus und sodann erneut in der Kritik der theoretischen Philosophie von 1801 eindringlich zur Debatte stellte. Nach Vgl. J.G. Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre. Sämtliche Werke, hg. von I.H. Fichte, Bd.III, 11 ff., 112ff., 145 f. 69 70

Vgl. Metaphysik der Sitten, in: Akademieausgabe, Bd. VI, 231 f. Kritik der reinen Vernunft, Β 135,404-407,409,428.

J.G. Fichtes

41

D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

Schulze bleibt es völlig unentschieden, ob Kant die ursprüngliche Apperzeption als ,Ding an sich', ,Noumenon' oder transzendentale Idee' (psychologische Idee) begriffen hat.71 Zudem ist Schulze zufolge Kants Behauptung, die analytische Einheit der Apperzeption sei nur unter der Voraussetzung der synthetischen Einheit möglich, nicht einsichtig, zumal Einheit durch das Bestehen von Synthesis (Verbindung, Hinzufügung) nicht begreiflich gemacht werden kann und deshalb in der Vorstellung von syntheti72

scher Einheit je schon vorausgesetzt wird. Kant selber ist nicht verborgen geblieben, dass hier ein gravierendes Problem seines Deduktionsverfahrens besteht. Seinem Versuch, dieses zu bewältigen, fehlt allerdings ein klares und einheitliches Profil. Er manifestiert sich zum einen im Bestreben, die Frage nach der Existenz der ursprünglichen Apperzeption dahingehend zu beantworten, dass wir ein allem Denken zugrunde liegendes Ich-Gefühl haben, ein Gefühl, das sich mit dem Aktus der Intelligenz äußert. Zum anderen deutet er sich im Bemühen an, die als intelligibel gefasste synthetische Einheit der ursprünglichen Apperzeption zugleich als Datum des inneren Sinnes, als zeitliches Ereignis, zu begreifen und damit als empirisch gehaltvollen Begriff der IchEinheit auszuweisen, was schließlich, da ein solcher Begriff einer Idee oder Hypothese der theoretischen Vernunft gleichkommt, in der These kulminiert, die Einheit der ursprünglichen Apperzeption lasse sich letztlich nur durch die aus dem Sittengesetz fol73

gende apodiktisch gewisse Forderung der Einheit der moralischen Person sichern. In Bezug auf diesen Befund ist Hegels Vorwurf, Kant sei über die Vorstellung einer formalen Subjektivität nicht hinausgekommen, zumindest insofern triftig, als Kant mit einem reduzierten Verständnis von inhaltlicher Subjektivität operiert. Kant denkt die Einheit (d.h. Nicht-Zerstreutheit) des Ich nach dem Modell eines beharrenden Dinges (einer kontinuierlichen Linie). Weil die Einheit des Ich aber kein beharrendes Ding in Raum und Zeit sein kann, ist sie als ideelles zeitliches Ding (kontinuierlich bestehende Seele) zu fassen, dessen Dasein durch die praktische Vernunft gefordert wird. Hegel dagegen denkt die Einheit des Ich nach dem Modell eines sich ins Allgemeine und Gegenständliche entäußernden formalen und einzelnen Fürsichseins.74 Die Einheit des Ich oder das .Selbstgefühl' wird dadurch als etwas vorgestellt, was sich mittels Bezug auf den ,Leib' und in einem Prozess des ,Anerkennens' herausbildet. Mit diesem Zugang besteht die Möglichkeit, die Einheit des Ich ohne Rückgriff auf einen vor-kritischen Substanzgedanken wie auch ohne die Reduktion auf eine Forderung durch die praktische Vernunft geltend zu machen.

G.E. Schulze, Aenesidemus oder über die Fundamente der von dem Herrn Professor Reinhold in Jena gelieferten Elementar-Philosophie, 72

hg. von M. Frank, Hamburg 1996,113 ff.

G.E. Schulze, Kritik der theoretischen Philosophie, 2. Band, Hamburg 1801, 348-354.

73

Zu diesen Ansätzen bei Kant siehe Martin Bondeli, ,Zum ontologischen Status von Kants „ursprünglich-synthetischer Einheit der Apperzeption'", in: Interpretation und Argument, hg. von H. Linneweber und G. Mohr, Würzburg 2002,155-170. 74

Vgl. Enzyklopädie, GW 20,429 ff.

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(2) Es ist, wie erwähnt, ausgehend von Kants Problemlage wenig sinnvoll, auf die Frage, wie Verstand und sinnliche Anschauung als heterogene Vorstellungen einander dennoch entsprechen, mit der Annahme eines ursprünglichen Dritten zu antworten. Sinnvoll, und dies auch vor Kantischem Hintergrund, ist aber offenbar die Klärung der Frage, wie das Verhältnis zwischen der kategorial erschlossenen (d. h. möglichen) und der gegebenen, wirklichen Erfahrung genauer aufzufassen ist. Kant hat den nach dem Prinzip der Ermöglichung von Erfahrung (der Form nach) geführten Beweis synthetischer Urteile a priori mit dem Verständnis von , möglicher' Erfahrung in Verbindung gebracht75 und die davon unterschiedene gegebene, wirkliche Erfahrung nach der Seite der empirischen (nicht-apriorischen) Erfahrung erörtert. Dadurch ergibt sich ein das Verhältnis von möglicher und wirklicher Erfahrung betreffendes Zirkel- oder Faktizitätsproblem, auf das erstmals Maimón hingewiesen hat.76 Dieses Problem lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: Der nach dem Prinzip der Ermöglichung von Erfahrung geführte Beweis synthetischer Urteile a priori ist überzeugend, erstreckt sich aber auf Gegenstände möglicher und nicht wirklicher Erfahrung. Dass die wirkliche Erfahrung unter der möglichen Erfahrung steht, ist damit ebenfalls bewiesen, zumal jene allein durch diese denkbar ist; nicht bewiesen ist damit jedoch, dass die wirkliche Erfahrung auch genau der gesetzmäßigen Ordnung, welche durch die mögliche Erfahrung vorgegeben wird, entspricht. Wenn eine Entsprechung von möglicher und wirklicher Erfahrung angenommen wird - eine Annahme, die nahe liegend ist, weil ansonsten die mögliche Erfahrung als bloß konstruierte, nicht auf Wirklichkeit bezogene Erfahrung bezeichnet werden könnte - , so wird dies als ein .Faktum' vorausgesetzt. Im Falle des Verhältnisses von möglicher und wirklicher Erfahrung ist Kants Beweis somit zirkulär. Genau auf diese Problematik macht nun gerade auch Hegel aufmerksam, wenn er Kant eine unzulässige Form-Stoff-Dichotomie anlastet. Denn diese Dichotomie ist für Hegel nicht nur Zeichen eines Dualismus von Denken und Anschauung, von Erscheinung und Ding an sich, sondern auch einer schroffen Trennung des Erfahrungsgegenstandes in eine gesetzmäßige, geordnete Formseite und eine völlig formlose Stoffseite. In der Enzyklopädie wird Hegel den Vorwurf der Form-Stoff-Dichotomie noch präziser in diese Richtung explizieren und ebenfalls zum Schluss gelangen, Kants Beweis sei nichts als die ,Erklärung' eines .Faktums'.77 Hegels Kritik erweist sich dabei insoweit als fruchtbar, als sie aufdeckt, dass der Kantische Beweis Vermittlungen im Verhältnis von Kategorie und Erfahrung voraussetzt. Denn es muss erstens davon ausgegangen werden, dass Stufen der wirklichen Erfahrung bestehen, die sich durch unterschiedliche Grade der Annäherung an das Ideal möglicher Erfahrung auszeichnen. Zweitens wird bei der mit Kants Beweis einhergehenden Ansicht, dass Kategorien Erfahrung (der Form nach) möglich machen und 75

Vgl. Kritik der reinen Vernunft, A 783, Β 811. 76

Vgl. S. Maimón, Versuch

77

über die Transzendentalphilosophie

mit einem Anhang über die

Berlin 1790, 186; S. Maimón, Streifereien Philosophie, Erster Teil, Berlin 1793,51. Vgl. Enzyklopädie, GW20,78. lische Erkenntnis

und Anmerkungen,

symbo-

im Gebiete

der

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D A S VERHÄLTNIS HEGELS ZU KANT IN DEN FRÜHEN JENAER TEXTEN

dass Kategorien nur ,Sinn' und .Bedeutung' haben, wenn sie sich auf Erfahrung beziehen,78 unterstellt, dass Kategorie und Erfahrung je schon in einem Wechselverhältnis stehen. Denn Kategorien können Erfahrung (der Form nach) nur ermöglichen, wenn sie Kategorien mit Sinn und Bedeutung sind; sie müssen somit schon auf Erfahrung bezogen worden sein. Die Erfahrung, auf die Kategorien bezogen werden müssen, um Sinn und Bedeutung zu haben, muss ihrerseits schon kategorial vermittelt worden sein. Andernfalls wüsste man nicht, auf welche empirischen Daten Kategorien zu beziehen sind. Ist mit diesem kritischen Räsonnement zwar nicht aufgewiesen, dass Kants Beweis durch eine andere Erkenntnismethode zu ersetzen ist, so ist doch gezeigt, dass er ergänzungsbedürftig ist. (3) Was schließlich Hegels Einwände gegen die praktische Vernunftkritik betrifft, ist mit dem wenig überzeugenden Formalismusvorwurf gegen das Sittengesetz noch nicht gesagt, dass jedwede Kritik an einer Abstraktheit von Kants Moralitäts- und Rechtsverständnis unangebracht ist. Eine Kritik dieser Art verfügt über einen besseren Ausgangspunkt, wenn das Problem der Durchsetzung der mittels Anwendung des Sittengesetzes als gültig befundenen moralischen Gebote und juristischen Satzungen berücksichtigt wird. Kant antwortet auf die Frage, was den realistischen Gehalt seiner Idee eines Zustandes der Menschheit, in welchem legitime moralische Gebote und juristische Satzungen regieren, ausmacht, mit einer Geschichtsphilosophie, bei der die Anschauung im Mittelpunkt steht, dass die menschliche Naturgewalt sich durch innere Widersprüche zerreibt und dass dadurch die intelligiblen, moralischen Anteile des Menschen sich entfalten und in der Bil79

dung moralisch-bürgerlicher Staaten und Staatenverbindungen niederschlagen können. Dadurch stützt Kant am Ende seine Moral- und Rechtsauffassung durch ein Geschichtskonzept, das man als negativ oder instrumenten bezeichnen muss. Sie kennt keine positive, der nicht-instrumentellen Moral- und Rechtsauffassung korrespondierende Macht. Bei Hegel dagegen steht und fällt die Durchsetzung von moralischen Geboten und juristischen Satzungen mit einer Verwirklichung des Sittlichen. Nicht die Schwächung menschlicher Naturgewalten, sondern die Beförderung von Prozessen der Anerkennung und deren Stabilisierung in Institutionen soll die Durchsetzung von Moral und Recht ermöglichen. Leider hat Hegel diesen Gedanken, der 80 eine unumgängliche Konkretisierang von Kants Moral- und Rechtsverständnis darstellt, nur auf den einzelnen Staat und nicht auch auf die von Kant geforderte Staatenföderation bezogen. 70

79

Kritik der reinen Vernunft, A 240 f., Β 299. Das geschieht bekanntlich besonders in den Abhandlungen Idee zu einer allgemeinen

80

in weltbürgerlicher

Geschichte

Absicht (1784) und Zum ewigen Frieden (1795).

Dass Hegel im Rahmen dieser Konkretisierung auch Subjektprozesse beschreibt, die man unter das Stichwort der ,Intersubjektivität' subsumieren kann, ist wiederholt erörtert worden, zuletzt erneut bei J. Habermas, Wahrheit und Rechtfertigung.

Philosophische

Aufsätze, Frankfurt/M. 1999,

186ff. Erstaunlich ist allerdings, dass Hegel diesen intersubjektiven Ansatz in all seinen späteren Stellungnahmen zur Philosophie Kant so gut wie gar nicht ins Spiel bringt. Die Kritik an Kants abstrakter Subjektivität richtet sich nicht oder zumindest nur in vager Andeutung gegen das monologische Subjekt.

PETER JONKERS

Philosophische Kritik in Hegels Systemkonzeption von

1801/02

Einleitung Wie wir auf Grund des Vorlesungsverzeichnisses der Jenaer Universität wissen, gab es zwischen Hegels Lehrtätigkeit um 1801/02 und seinen kritischen Aufsätzen aus dieser Periode wichtige thematische Überschneidungen. Hegel arbeitete damals ökonomisch: er publizierte, was er lehrte bzw. er lehrte, was er publizierte.1 Dieser eher formelle Hinweis wird inhaltlich bestätigt durch die Untersuchung der frühen Jenaer Schriften, insbesondere durch den Vergleich zwischen den beiden Vorlesungsmanuskripten ,Introducilo in Philosophiam' und ,Logica et Metaphysica' einerseits, und der Differenzschrift und den Aufsätzen im Kritischen Journal der Philosophie andererseits. Hierin liegt die Berechtigung des Versuchs, die fragmentarischen Vorlesungsmanuskripte durch den Inhalt der publizierten Schriften soweit wie möglich zu ergänzen und zugleich die unklare systematische Funktion dieser kritischen Texte aufgrund der frühen Jenaer Systementwürfe Hegels zu erläutern. Ein wichtiger Aspekt dieser doppelten Beziehung zwischen beiden Textgruppen betrifft die Funktion der philosophischen Kritik im Rahmen der Einleitung in das System der Philosophie und der Logik als dessen Ersten Teil. Dabei geht es erstens um die Frage, wie das philosophierende Subjekt sich zum System der Philosophie verhält, und zweitens um die Rolle des endlichen Denkens innerhalb der spekulativen Philosophie. Diese zwei Fragen stehen im Mittelpunkt des hier folgenden Beitrags. Der bisherige Stand der Forschung in Hinsicht auf das Problem der Einleitung in die Philosophie in den frühen Jenaer Vorlesungsmanuskripten lässt sich auf folgende Weise zusammenfassen. Aus den Fragmenten der Vorlesungen ,Introducilo in Philosophiam' und ,Logica et Metaphysica' des Wintersemesters 1801/02 geht hervor, dass Hegel daW. Chr. Zimmerli, .Inwiefern wirkt Kritik systemkonstituierend?' In: D. Henrich und K. Diising (Hrsg.), Hegel in Jena. Die Entwicklung des Systems und die Zusammenarbeit mit Schelling. (Hegel-Studien, Beiheft 20) Bonn 1980, 82. Ich beziehe mich hier vor allem auf M. Baum, ,Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel'. In: D. Henrich und K. Düsing (Hrsg.), Hegel in Jena, 119-138 und L. Siep, Der Weg der Phänomenologie Phänomenologie

des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels ,Differenzschrift'

des Geistes'. Frankfurt/M. 2000,55-59.

und

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PETER JONKERS

bei zwei verschiedenen Einleitungskonzeptionen vorschweben. Gleich am Anfang der ,Introducilo' sagt er paradoxerweise, ,dass die Philosophie als Wissenschaft weder einer Einleitung bedarf, noch eine Einleitung verträgt' (GW 5, 259). Sie bedarf keiner Einleitung, weil sie selbst der innere Kern aller Wissenschaften ist und deswegen keine andere, äußere Wissenschaft zu ihrer Begründung braucht. Zudem verträgt die Philosophie auch keine Einleitung. Denn auf diese Weise würde sie ihre Abhängigkeit von den anderen Wissenschaften anzeigen. Vielmehr sind die Wissenschaften in dem Sinn abhängig von der Philosophie, dass sie ihre Wissenschaftlichkeit gerade ihr verdanken. Als spekulatives Erkennen des Absoluten ist die Philosophie mit dem Gedanken einer externen Einleitung unvereinbar. Zusammenfassend sagt Hegel: ,die Philosophie [ist] vollendet und rund' (GW 5, 260). Hiermit wendet er sich, wie bekannt, gegen Reinhold und Bardiii, die der Logik als Theorie der Denkformen diese Einleitungs- und Grundlegungsfunktion einräumten. ,Es ist [...] nichts so sehr zu vermeiden, als daß nicht die ganze Philosophie selbst in ein Einleiten verwandelt, oder daß das Einleiten für Philosophie genommen werde' (GW 5, 259-260). Denn auf diese Weise hält man sich außerhalb des eigentlichen Philosophierens auf. Aber in einem anderen, auf die philosophierenden Subjekte bezogenen Sinn kann dennoch von einer Einleitung in die Philosophie die Rede sein. Ihr Zweck ist, ,diese subjectiven Standpunkte über sich selbst aufzuklären und sie mit dem objectiven der Philosophie zu verständigen' (GW 5, 259). Dieses Aufklären bedeutet im Besonderen, dass der Philosophierende das Einseitige und Beschränkte seines subjektiven Standpunkts einsehen muss, und .durch [seine] beschränkten Formen hindurch die Aufgabe in größerm und allgemeinerem Standpunkte fassen lern[t], und sich in dem Gegenstand der Philosophie erkennen lernft]' (GW 5, 259). Im Gegensatz zu der oben erwähnten objektiven Einleitung ist diese Bewegung vom endlichen zum unendlichen Erkennen für das philosophierende Subjekt jedoch nicht etwas äußeres, sondern entspricht seinem eigenen, aber noch nicht bewussten Bedürfnis nach einem Erkennen, in dem die Gegensätze nicht ignoriert, sondern im Absoluten aufgehoben sind. Während nach Hegels Auffassung in den vorhergehenden Jahren die Religion den Menschen noch über alle Entzweiung erheben konnte, hat sie nach der Darstellung am beginn der Jenaer Zeit diese Rolle in der Modernität ausgespielt, denn sie hat diese Bedeutung ,nur bis auf eine gewisse Stuffe der Bildung' (GW 4, 14). Deswegen ist jetzt nur noch die Philosophie imstande die Gegensätze und die Beschränktheit aufzuheben. Dieses Aufheben hat sowohl eine innerphilosophische als auch eine historisch-kulturelle Dimension. Die erste (innerphilosophische) zeigt sich im Journal-Aufsatz Glauben und Wissen, in dem Hegel sich bemüht, die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in allen ihren Formen, die der Endlichkeit verhaftet bleiben, vollständig darzustellen und damit die Möglichkeit zu schaffen, ,daß die wahre Philosophie, aus dieser Bildung erstehend, und die Absolutheit der Endlichkeiten derselben vernichtend, mit ihrem Ganzen, der Totalität unterworfenen Reichthum sich als vollendete Erscheinung zugleich darstellt' (GW4, 413). Die zweite (historisch-kulturelle) wird in der Einleitung der Dif-

PHILOSOPHISCHE KRITIK IN HEGELS SYSTEMKONZEPTION VON 1 8 0 1 / 0 2

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ferenzschrift sichtbar, in der Hegel sein eigenes Zeitalter als die Zeit einer sich immer verschärfenden Entzweiung deutet: ,Je weiter die Bildung gedeyht, je mannichfaltiger die Entwicklung der Äußerungen des Lebens wird, in welche die Entzweyung sich verschlingen kan, desto grösser wird die Macht der Entzweyung, [...] desto fremder dem Ganzen der Bildung und bedeutungsloser die Bestrebungen des Lebens, sich zur Harmonie wieder zu gebähren' (GW 4, 14). Diese Macht der Entzweiung zeigt sich überall in der modernen Welt, zum Beispiel in der Entfremdung der Menschen von den Institutionen und politischen Verhältnissen (namentlich in dem Zusammenbruch des Ancien régime in Frankreich), im Konflikt zwischen christlichem Glauben und Wissenschaft während der Aufklärung und in den literarischen und philosophischen Streitfragen, wie dem Pantheismusstreit und dem Atheismusstreit.3 In diesem verhängnisvollen Zustand entsteht das Bedürfnis der Philosophie, die imstande ist die Entzweiung aufzuheben. Das philosophierende Subjekt auf diesen Standpunkt zu erheben ist daher die Aufgabe einer Einleitung in die Philosophie; sie ist ,eine Art von Bindungsmittel und Brükke zwischen den subjektiven Formen und der objektiven und absoluten Philosophie' (GW5,261). Im Unterschied zu dieser eingeschränkten, subjektiven Funktion einer Einleitung in die Philosophie erörtert Hegel in einem weiteren Fragment, das den Manuskripten zur Vorlesung .Logica et Metaphysica' entstammt, die Notwendigkeit einer Logik als Einleitung oder Propädeutik der eigentlichen Philosophie. In dieser Logik will er ,auf diesen Charakter des Philosophierens daß es im allgemeinen von endlichen Anfängen ausgeht [...] diese propädeutische Rüksicht nehmen, und von dem endlichen im demselben anfangen um von ihm aus, nemlich insofern es vernichtet wird, zum Unendlichen [zu] gehen' (GW5, 271). In dieser Hinsicht stimmt die Aufgabenstellung der ,Logik' also mit der Bewegung, die im Fragment ,Introducilo in Philosophiam' ausgeführt wurde, überein. Anders als in der subjektiven Konzeption der .Introducilo' ist die Einleitung in der Gestalt einer Logik aber eine .spekulative', denn sie hat unter anderem die Aufgabe, ,die Bestrebung des Verstands darzustellen, wie er die Vernunft in einer Produktion der Identität nachahmt, aber nur eine formelle Identität hervorbringen kan; - um aber den Verstand als nachahmend zu erkennen, müssen wir uns zugleich das Urbild, das er kopirt, den Ausdruck der Vernunft selbst immer vorhalten. [...] Ich glaube, daß von dieser spekulativen Seite allein die Logik als Einleitung in die Philosophie dienen kan, insofern sie die endlichen Formen als solche fixirt indem sie die Reflexion vollständig erkennt und aus dem Wege räumt, daß sie der Spekulation keine Hindernisse in den Weg legt; und zugleich gleichsam in einem Widerschein immer das Bild des Absoluten vorhält, und damit vertraut macht' (GW 5, 272-273). Das bedeutet, dass diese einleitende Logik im Voraus schon über eine Idee der spekulativen Einheit verfügen muss, um die Antinomien der Reflexion aufweisen und aufheben zu können. Hierin unterscheidet sie

Vgl. Siep, Der Weg der Phänomenologie, stituierend?' , 84.

55 f. und Zimmerli, .Inwiefern wirkt Kritik systemkon-

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sich von der subjektiven Einleitung, die diese Idee eben nicht voraussetzt, sondern das philosophierende Subjekt seines Bedürfnisses danach bewusst machen soll. Es besteht also in den frühen Jenaer Vorlesungsmanuskripten gleichzeitig eine subjektive und eine spekulative Auffassung der Einleitung in die Philosophie.4 Streng genommen hat sie sogar drei Funktionen, die später insgesamt von der Phänomenologie des Geistes übernommen werden: sie führt von einseitigen philosophischen Standpunkten zur Spekulation; sie reflektiert die Bildungsgeschichte des Geistes und bereitet ihre nächste Stufe vor; und sie kritisiert die Logik des endlichen Denkens, die den überholten Stufen der Kultur und den Reflexions- und Verstandesphilosophien der Zeit zugrunde liegt.5 In diesem Beitrag werde ich die Frage nach dem Grund dieser Unterschiede in Hegels Konzeption einer Einleitung in die Philosophie erörtern. Dabei spielt die Frage nach der Aufgabe und dem Inhalt der philosophischen Kritik eine entscheidende Rolle. Deswegen werde ich in erster Linie vom Einleitungsaufsatz des Kritischen Journals der Philosophie: ,Über das Wesen der philosophischen Kritik' ausgehen. Zwar bieten die Differenzschrift und die anderen Aufsätze des Kritischen Journals, auf welche die Forschung sich meistens bezieht, wichtiges Material, um den Inhalt dieser beiden Einleitungskonzeptionen näher zu bestimmen, aber in dem Einleitungsaufsatz erfahren wir mehr und wichtigeres über ihren Status.

1. Subjektives Philosophieren und objektive Philosophie Gleich am Anfang seines Aufsatzes ,Über das Wesen der philosophischen Kritik' äußert Hegel sich sehr explizit über das Verhältnis zwischen subjektivem Philosophieren und objektiver Philosophie. Der Grund dafür ist, dass diese Problematik eng mit einer Kernfrage des Kritischen Journals und der philosophischen Kritik überhaupt zusammenhängt, nämlich der eines objektiven Maßstabs der Kritik. ,Die Kritik [...] fordert einen Maaßstab, der von dem Beurtheilenden eben so unabhängig, als von dem Beurtheilten, nicht von der einzelnen Erscheinung, noch der Besonderheit des Subjects, sondern von dem ewigen und unwandelbaren Urbild der Sache selbst hergenommen seye' (GW4, 117). Die Sache, um die es sich in der Philosophie handelt, ist das Absolute; und die Vernunft, welche die Aufgabe hat diese Sache philosophisch, und das heißt hier kritisch, zu erkennen, ist die Erscheinung des Absoluten. Im Gegensatz zu Kants kritischer Philosophie weigert Hegel sich also, .zwischen die Vernunft und ihr Selbsterkennen eine Wand fzu] stellen, durch welche dieses eine wesentliche Verschiedenheit der Erscheinung werden könnte' (GW4, 117).

Baum, ,Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel', 122. Siep, Der Weg der Phänomenologie

des Geistes, 58 f.

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In der wahren Philosophie ist der Gegensatz zwischen dem Absoluten (der Sache) und deren Erkenntnis (der kritischen Vernunft) aufgehoben. Das bedeutet erstens, dass das Absolute die Bedingung der Möglichkeit jeder objektiven Kritik ist und deswegen von ihr schlechthin vorausgesetzt werden muss. Denn sonst hätte ,jene [die Kritik] in alle Ewigkeit nur Subjectivitäten gegen Subjectivitäten, niemals das Absolute gegen das Bedingte zu setzen' (GW4, 117). Die zweite Bedeutung der Objektivität der Kritik ist, dass ,die Philosophie nur Eine ist, und nur Eine seyn kann, [was darauf beruht,] daß die Vernunft nur Eine ist' (GW4, 117). Das stimmt mit Hegels Auffassung in der ,Introducilo' überein, dass die Philosophie in sich vollendet und rund ist. Auch in Hinsicht auf die Unmöglichkeit einer äußeren Einleitung in die Philosophie stimmen beide Texte mit einander überein: ,Das Wahre [bedarf] keines Gängelbandes, um an demselben herbeigeführt zu werden', sondern muss ,gleich für sich selbst aufzutreten die Kraft in sich tragen' (GW 4,123). Aber wie verhält sich das empirische, subjektive Philosophieren, das von sehr verschiedenen subjektiven Standpunkten und mannigfaltigen Formen der Bildung ausgeht, zu dieser objektiven Philosophie? Denn nach der ,Introducilo' könnte ,der Zwek einer Einleitung in die Philosophie bloß sein, diese subjectiven Standpunkte über sich selbst aufzuklären und sie mit dem objectiven der Philosophie zu verständigen' (GW 5, 259). Der Aufsatz ,Über das Wesen der philosophischen Kritik' und Hegels andere frühe Jenaer Veröffentlichungen bieten nicht nur viel mehr Material um diese Fragen zu beantworten als die beiden Vorlesungsmanuskripte 1801/02, sondern gehen auch näher auf die komplizierten Probleme ein, die in diesem Zusammenhang aufkommen. Wie in den Vorlesungsmanuskripten spielt auch in diesen Schriften die Frage nach dem Übergang von den verschiedenen empirischen Ausgangspunkten des Philosophierens zur absoluten Philosophie eine zentrale Rolle. Aber besonders in dem Einleitungsaufsatz des Kritischen Journals ist Hegels Antwort auf diese Frage wesentlich tiefgreifender, indem er den Grund dieser Verschiedenheit und die Möglichkeit ihrer Aufhebung in die absolute Philosophie zu bestimmen versucht. Zuerst fällt ins Auge, dass in dem Aufsatz über die philosophische Kritik die allgemeine Aufgabe einer Einleitung in die Philosophie spezifisch der philosophischen Kritik zukommt. ,Wenn eine wahre Wirkung von einer Kritik' an den immer neu auftauchenden Formen der Philosophie oder dessen, was sich so darstellt, erwartet werden soll, ist diese ,nicht ein bloß negatives Zerschlagen dieser Beschränktheiten, sondern [wird] von ihr eine Wegbereitung für den Einzug wahrer Philosophie erwartet' (GW 4, 127). Das Bild einer Wegbereitung entspricht in der ,Introducilo' demjenigen einer Brücke zwischen dem subjektiven Philosophieren und der objektiven Philosophie. Insbesondere ist es die Aufgabe der Kritik eine .Beziehung' des philosophischen Standpunkts ,mit demjenigen, in dessen Dienst sie ist', also dem Absoluten oder der Idee der Philosophie, zustande zu bringen, was auch inhaltlich Hegels Auffassung einer Einleitung in die Philosophie entspricht (GW4, 118).6

Hegel formuliert in diesem Zusammenhang das Wesen der Kritik auch als ,eine Subsumtion unter die Idee'. In dieser Passage geht es aber um den umgekehrten Umstand, nämlich dass die Kritik

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Grundlegend für die Möglichkeit dieser Beziehung und demnach auch für die Möglichkeit der objektiven Beurteilung eines philosophischen Standpunkts überhaupt ist aber, dass die beiden Seiten dieser Beziehung sich gegenseitig als philosophisch anerkennen. Beide akzeptieren die absolute Idee der Philosophie als ihren gemeinschaftlichen, objektiven Maßstab. Das bedeutet, dass die Kritik nur für diejenigen Standpunkte verständlich ist, ,in welchen die Idee der Einen und selben Philosophie vorhanden ist; eben so [kann sie] nur solche Werke betreffen [...], in welchen diese Idee als mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu erkennen ist' (GW4, 118). Die Kehrseite davon ist aber, dass ,das Geschäft der Kritik [...] für diejenigen und an denjenigen Werken durchaus verlohren [ist], welche jener Idee entbehren sollten. Mit diesem Mangel der Idee kommt die Kritik am meisten in Verlegenheit' (GW 4, 118). Denn hier droht die Kritik gerade in der Ausführung ihrer Aufgabe ihren Zweck zu verfehlen. Wenn die Idee der Philosophie nicht als der objektive Maßstab der Beurteilung akzeptiert wird, und die Kritik und das von ihr Kritisierte sich nicht gegenseitig als Philosophie anerkennen, schlägt die Kritik fehl und bekommt den Anschein, dass sie nur Subjektivitäten gegen Subjektivitäten setze, was gerade das Gegenteil einer objektiven Kritik ist. Nach der Ansicht der philosophischen Kritik ist der Gegenpart eine Unphilosophie. Und nach der Auffassung der letzteren ist die Kritik ein fremder Gerichtshof und ihr Urteil ein einseitiger Machtspruch. Statt einer gegenseitigen Anerkennung gibt es dann nur noch eine gegenseitige Verwerfung. ,Wenn die Kritik selbst einen einseitigen Gesichtspunkt gegen andere eben so einseitige geltend machen will, so ist sie Polemik und Partheysache' (GW4, 127). Dies bedeutet aber paradoxerweise, dass die Kritik gerade in den Fällen, wo sie am dringendsten erfordert wird, scheitert. Damit droht aber auch das Projekt einer Einleitung in die Philosophie fehlzuschlagen. Denn eine Brücke zu bauen oder eine Beziehung zustande zu bringen zwischen Parteien, die einander den Rücken zukehren, hat keinen Sinn. Daraus ergibt sich, dass grundsätzlich zwischen zwei Möglichkeiten der Kritik zu unterscheiden ist: eine objektive, auf Grund einer gegenseitig anerkannten Idee des Absoluten, und eine subjektive, worin nur zwei Subjektivitäten gegen einander auftreten und einander einfach verwerfen. Dieser Unterschied ist indessen nicht identisch mit den beiden Auffassungen einer Einleitung in die Philosophie in den Vorlesungsmanuskripten 1801/02, die in der Forschung als die spekulative und die subjektive oder ,epagogiQ

sehe' angedeutet werden. Denn die subjektiven Auffassungen am Beginn des Philosophierens sind etwas grundsätzlich Anderes als eine subjektive Philosophie.

ihre Beziehung zu gewissen philosophischen Werken abbricht, weil die Idee der Philosophie darin fehlt. Analog zu diesem Unterschied teilt Hegel in der Einleitungsvorlesung die philosophischen Systeme ein ,in eigentliche Philosophie' und ,in einen Schein von Philosophie' (GW5, 260). Baum, ,Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel', 122. Für die Kennzeichnung ,epagogisch' vgl. Zimmerli, .Inwiefern wirkt Kritik systemkonstituierend?', 87ff.

PHILOSOPHISCHE KRITIK IN HEGELS SYSTEMKONZEPTION VON 1 8 0 1 / 0 2

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Die Frage stellt sich deshalb so: Wie kann die philosophische Kritik, auch in der Lage, in der es keine gegenseitige Anerkennung gibt und zwei Subjektivitäten einander widerstreiten, trotzdem eine wahre Wirkung haben, indem sie sich auf irgendeine Weise auf die Unphilosophie beziehen kann? Wie kann sie etwas mehr tun, als ,ein bloß negatives Zerschlagen [der] Beschränktheiten' (GW 4, 127) der Unphilosophie anzustreben? Im Allgemeinen muss die Kritik sich so organisieren, dass den .Beschränktheiten [...] die Prätension und der Genuß ihres ephemerischen Daseyns verbittert und abgekürzt wird', ohne dass man sie dabei ,als das ewig sich wälzende Rad, das jeden Augenblick eine Gestalt, welche die Welle oben hinauf trug, hinunterzieht, erblicke' (GW4, 127). Wenn der Kritik diese positive Beziehung nicht gelingt, scheitert auch das Projekt einer Einleitung in die Philosophie. Dann bietet sie dem Menschen nur ,Trost und Befestigung für seine Entfernung von der Philosophie, indem er a priori durch Induktion die Philosophie, an welcher das Beschränkte scheitert, auch für eine Beschränktheit ansieht' (GW4, 127). Um diese Möglichkeit vermeiden zu können, muss untersucht werden, welche die empirischen Standpunkte sind, von dem das Philosophieren ausgeht, um dann fragen zu können, wie diese sich zur absoluten Philosophie erheben lassen. Die empirischen Standpunkte, die Hegel sich konkret vor Augen hält, sind der gesunde und der gemeine Menschenverstand. Trotz ihrer ähnlichen Namen, sind sie wesentlich verschieden, und deswegen funktioniert die Kritik in beiden Fälle auf eine unterschiedliche Weise. Grundlegend dafür ist, dass der gesunde Menschenverstand zwar einseitige, aber dennoch vernünftige Einsichten hat, ,mit denen der Mensch sich vernünftig durchs Leben durchhilft, [...] richtige Standpunkte, von denen er ausgeht, und zu denen er zurückkehrt' (GW 4, 20), während diese dem gemeinen Menschenverstand überhaupt fehlen. Wenn man sich in Erinnerung bringt, dass ,das wahre Bedürfniß der Philosophie doch wohl auf nichts anders als darauf [geht], von ihr und durch sie leben zu lernen' (GW 5, 261), bedeutet das allerdings, dass die Kritik die einzelnen Wahrheiten dieses gesunden Menschenverstandes nicht einfach als Beschränktheiten verwerfen darf. Denn dieser Verstand hat auch eine vernünftige Seite, die darin besteht, dass seine Aussprüche durch eine Ahnung der Totalität oder des Absoluten unterstützt und begleitet werden, und davon ihre Bedeutung herleiten. Aber sie .enthalten nicht auch fürs Bewusstseyn ihre Beziehung auf die absolute Totalität, sondern diese bleibt im Innern und unausgedrükt' (GW 4, 20). Deswegen hat der gesunde Menschenverstand ein ambivalentes Verhältnis zur Philosophie: er spricht seine vereinzelten subjektiven Einsichten für die endliche Reflexion aus und lässt sie damit in gewisser Weise als ein Wissen und eine systematische Erkenntnis gelten. Aber eben dadurch läuft er das Risiko, seine Kraft aufzugeben; denn nur dank der relativen, nicht systematisch ausgedrückten Wahrheit seiner Einsichten und seiner inneren, unausgesprochenen Ahnung vom Absoluten kann der endliche Verstand den Menschen vernünftig durchs Leben helfen. Konkret heißt dies, dass der Mensch auf diese Weise entgegengesetzte reflexive Einseitigkeiten überwinden kann. Ein Beispiel der Verfahrensweise des gesunden Menschenverstandes ist die Antwort

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Voltaires auf das von Leibniz, Kant, Fichte und viele anderen aufgeworfene Problem des Pessimismus oder Optimismus anlässlich des Übels in der Welt. ,Da eine philosophische Idee [der Optimismus] in die Erscheinung herabgezogen, und mit den Principien der Empirie verbunden, unmittelbar eine Einseitigkeit wird, so stellt der wahrhafte gesunde Menschenverstand ihr die andere Einseitigkeit [den Pessimismus], die sich ebenso in der Erscheinung findet, entgegen, und zeigt damit die Unwahrheit und Lächerlichkeit der ersten' (GW4,405). Dieses ambivalente Verhältnis des gesunden Menschenverstandes zur Philosophie macht aber zugleich seine Aufhebung durch die Kritik möglich. Einerseits werden seine .relativen Identitäten [...], die ganz, wie sie erscheinen, in ihrer beschränkten Form auf Absolutheit Anspruch machen, [...] Zufälligkeiten für die philosophische Reflexion' (GW 4, 20). Aber andererseits erkennt die philosophische Kritik ,auch das Absolute in demjenigen, was den Aussprüchen des gesunden Menschenverstandes zum Grunde liegt' (GW 4, 20). Im gesunden Menschenverstand ist also zwar die Idee des Absoluten nicht als mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu erkennen, aber trotzdem ist sie als Gefühl oder noch nicht bewusst vorhanden. Demnach ist die Aufgabe der Kritik in diesem Falle, um ,die dem gesunden Menschenverstand bewußtlose Identität zum Bewusstseyn [zu bringen]' (GW4, 21). Auf diese Weise können die subjektiven Standpunkte des gesunden Menschenverstandes durch ihre beschränkten Formen hindurch den absoluten Standpunkt der objektiven Philosophie erkennen lernen, oder wird ihnen das Bedürfnis der Philosophie klar gemacht. Im Gegensatz zu der von Zimmerli vertretenen These lässt sich hieraus jedoch nicht schließen, dass ,Kritik hier nun zu einem kommunikativen Geschäft [wird]' und dass die Aufhebung des gesunden Menschenverstandes eine immanente Selbsttranszendierung des natürlichen Bewusstseins in Richtung auf philosophisches Wissen wäre'. Denn ,der gesunde Verstand kann es nicht fassen, wie das für ihn unmittelbar Gewisse für die Philosophie zugleich ein Nichts ist; denn er fühlt in seinen unmittelbaren Wahrheiten nur ihre Beziehung aufs Absolute, aber trennt dieß Gefühl nicht von ihrer Erscheinung, durch welche sie Beschränkungen sind' (GW4, 20). Deswegen versteht der gesunde Menschenverstand die Spekulation nicht nur nicht, sondern muss sie auch hassen, wenn er von ihr erfährt. Die Welt der Philosophie ist ihm eine verkehrte Welt. Noch weniger kann die philosophische Kritik als ein kommunikatives Geschäft gelten, wenn sie sich auf den gemeinen Menschenverstand bezieht. Er leitet seinen Namen her von seinem Bestreben, ,sogleich die philosophischen Ideen wie sie hervortreten, populär oder eigentlich gemein zu machen' (GW4, 124). Der Unterschied zum gesunden Menschenverstand besteht darin, dass diesen ,das Absolute in einem Gefühl' bei dem Aufweis von Entgegegesetzten begleitet, und ,dieß ihnen allein die Bedeutung giebt', während ,man solche Wahrheiten des gemeinen Menschenverstandes für sich nimmt, sie bloß verständig, als Erkenntnisse überhaupt, isolirt' (GW4, 20). Die relati-

,Inwiefern wirkt Kritik systemkonstituierend?', 85, 89.

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ven Wahrheiten des gesunden Menschenverstandes sind also den sich für absolute, philosophische Erkenntnisse ausgebenden Gewissheiten des gemeinen Verstandes entgegengesetzt. Die Philosophie des gemeinen Verstandes ist im Grunde genommen die eigentliche Unphilosophie, weil ihr die Idee der Philosophie völlig fehlt. Sie ist eine Art, die ,im Besitz der Philosophie zu seyn vorgibt, die Formen und Worte, in welchen große philosophische Systeme sich ausdrücken, gebraucht, [...] aber im Grunde ein leerer Wortdunst ohne innern Gehalt ist' (GW4, 120). Ihre Popularität ist ein Zeichen der Zeit: ,In diesen Zeiten der Freyheit und Gleichheit [...], in welchen sich ein so großes Publicum gebildet hat, das nichts von sich ausgeschlossen wissen will, sondern sich zu allem gut, oder alles für sich gut genug hält, hat das Schönste und das Beste dem Schicksal nicht entgehen können, daß die Gemeinheit, die sich nicht zu dem, was sie über sich schweben sieht, zu erheben vermag, es dafür so lange behandelt, bis es gemein genug ist, um zur Aneignung fähig zu sein; und das Plattmachen hat sich zu einer Art von anerkannt verdienstlicher Arbeit emporgeschwungen' (GW4, 125). Hegel gibt folgendes Beispiel von der Verfahrensweise des gemeinen Verstandes: Wenn in der Philosophie gefordert wird, dass nichts unbewiesen hingestellt werden soll, findet ,der gemeine Verstand gleich die Inconsequenz [...], daß man das Absolute nicht bewiesen hat'. Oder wenn die Philosophie davon ausgeht, dass ,mit der Idee des Absoluten unmittelbar sein Seyn gesetzt [werde], weiß der gemeine Verstand einzuwenden, er könne sich sehr gut etwas denken, eine Idee von etwas machen, ohne daß darum nothwendig sey, daß dieses gedachte Etwas zugleich ein Daseyn habe' (GW4, 178). Der Fehler, den der gemeine Verstand dabei macht, ist dass er ,das Absolute mit dem Endlichen genau auf denselben Rang [setzt], und die Forderungen, die in Rücksicht auf das Endliche gemacht werden, auf das Absolute aus [dehnt]' (GW 4, 178). Es ist für Hegel völlig klar, dass die Kritik sich vorzüglich auf diesen Schein der Philosophie richten und ihn zunichte machen muss. ,Da es nichts ekelhafteres giebt, als diese Verwandlung des Emsts der Philosophie in Plattheit, so hat die Kritik alles aufzubieten, um dieß Unglück abzuwehren' (GW4, 120). Aber die entscheidende Frage bleibt, wie die Kritik die Schein- oder Unphilosophie kritisieren kann, ohne sich selbst als philosophische Kritik aufzugeben? Diese Arbeit ist hier wesentlich schwieriger als im Falle des gesunden Menschenverstandes. Während es sich bei diesem darum drehte, die ,dem gesunden Menschenverstand bewußtlose Identität zum Bewusstseyn [zu bringen]', handelt es sich hier darum, das ,im Bewußtseyn des gemeinen Verstandes nothwendig entgegengesetzte zur bewußten Identität [zu konstruieren]' (GW4, 21). Es gibt also keine Analogie zwischen der bewusstlosen Identität des gesunden und der unüberwindlichen Entgegensetzung des gemeinen Menschenverstandes. Deswegen muss ihre Aufhebung auch auf eine unterschiedliche Weise durchgeführt werden.10 Die Frage ist jetzt, wie die Kritik das Entgegengesetzte des gemeinen Verstandes zur absoluten Iden-

Dies im Gegensatz zu Zimmeriis Auffassung, ebd., 88-89, die eine ,Analogie-Prätention' zwischen beiden sieht.

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tität konstruieren kann, ohne sich auf eine implizit vorhandene Idee des Absoluten stützen zu können? Um diese Aufgabe zu lösen, muss die Kritik nach Hegel zunächst erzählen, wie der gemeine Verstand die einzelnen Erscheinungen seiner negativen, unphilosophischen Auffassungen ausspricht und öffentlich bekennt. Dabei treten mehrere Parteien gegen einander auf, die sich mit einander in einen Kampf einlassen. Das hat zur Folge, dass ,aùch die wahre Philosophie [...] sich gegenüber [...] der Unphilosophie des äußern polemischen Ansehens [nicht] erwehren [kann]' (GW4, 127). Wie kann die Kritik aber vermeiden, dass sie in diesem Falle nicht nur ,äußerlich', sondern grundsätzlich als Polemik und Parteisache erscheint? Dazu macht die Kritik gewissermaßen einen Umweg, indem sie den antiken Skeptizismus ins Spiel bringt. Dieser ist ,auf eine eben nicht philosophische, sondern populäre Weise gegen den gemeinen Menschenverstand oder das gemeine Bewußtseyn gewendet' (GW4, 215). Die Tropen des Skeptizismus zeigen diesem Verstände das ,unstete' seiner Gewissheiten, an dem er festhält oder klebt als einem Ewigen. Im Anschluss an die oben erwähnten Beispiele treibt der Skeptizismus die entgegengesetzten Einsichten des gemeinen Menschenverstandes auf die Spitze, nämlich dass in der Philosophie alles bewiesen werden muss, aber zugleich auch nichts bewiesen werden kann, oder dass mit der Idee des Absoluten unmittelbar sein Sein gesetzt werden muss, aber zugleich auch nicht notwendig gesetzt werden muss. Aus dieser Verfahrensweise ergibt sich, dass der Skeptizismus dieses Aufzeigen nicht durchführt, indem er die Idee des Absoluten als Maßstab der Kritik in Anspruch nimmt, sondern auf ,eine Art, welche gleichfalls dem gemeinen Bewußtseyn nahe liegt' (GW 4, 215). Das Prinzip de& Skeptizismus ist: pariti logoi logos isos antikeitai (GW 4, 208). Auf Grund davon stellt er also den Gewissheiten des gemeinen Verstandes andere, entgegengesetzte Gewissheiten gegenüber. Diese sind nicht dem Absoluten entnommen, sondern dem gemeinen Menschenverstand selbst. Weil alle diese Gewissheiten ein gleiches Recht haben, sich geltend zu machen, entsteht hieraus eine Antinomie, die auch vom gemeinen Verstand erkannt wird. Auf diese Weise erkennt der gemeine Verstand selbst das Unstete seiner Gewissheiten und damit seine eigene Unwahrheit. Hieraus ergibt sich erstens, dass die Kritik mithilfe des Skeptizismus imstande ist, den gemeinen Verstand aufzuheben, ohne einen nicht von diesem anerkannten Maßstab einbeziehen zu müssen. Die Verfahrensweise dieser Kritik gleicht derjenigen, die bezüglich des gesunden Menschenverstandes angewandt wird. In diesem Falle werden die relativen, empirischen Wahrheiten anderen, eben so relativen Wahrheiten entgegensetzt, während die philosophische Kritik im Falle des gemeinen Verstandes (mithilfe des Skeptizismus) die ,ewigen' Gewissheiten des gemeinen Verstandes anderen vermeintlich ebenso ,ewigen' Gewissheiten gegenüberstellt. Auf diese Weise kann die Kritik vermeiden in eine unfruchtbare Polemik mit der Unphilosophie zu verfallen. Zwar ist diese Kritik des gemeinen Menschenverstandes kein kommunikatives Geschäft auf Grund der gegenseitig anerkannten Idee der Philosophie, aber sie beruht ebenso wenig

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auf einem einseitigen Machtspruch. Dabei ist das Resultat der skeptischen Kritik ein Negatives: sie führt das philosophierende Subjekt nicht zu einer positiven Erkenntnis des Absoluten, sondern zeigt nur negativ auf, dass der gemeine Verstand auf eine Antinomie hinausläuft. Auf Grund dieser Analyse lässt sich in Hinsicht auf die Rolle der philosophischen Kritik im Rahmen einer Einleitung in die Philosophie Folgendes feststellen. Das philosophierende Subjekt geht von endlichen Standpunkten aus, die sich auch beim gesunden und gemeinen Menschenverstand finden, und wird durch eine epagogische Kritik dieser Standpunkte zum Absoluten als dem wahren Ausgangspunkt der Philosophie hingeführt. Erstens ist es kennzeichnend für den Anfang dieser Bewegung, dass es diesem Subjekt an einem klaren Bewusstsein der Idee des Absoluten fehlt. Diese ist bestenfalls in ihm als ein inneres, unbewusstes Gefühl vorhanden. Zwar kommt die Kritik, die das philosophierende Subjekt zu der Idee der Philosophie hinführen muss, dadurch in Verlegenheit, aber trotzdem scheitert sie nicht. Zweitens ist es für das Gelingen dieser epagoge entscheidend, dass die Kritik diese Bewegung ohne die apriorische Annahme der Idee der Philosophie ausführt. Auf ihrem Weg zeigt sie im Fall des gesunden Menschenverstandes die Zufälligkeit seiner relativen Wahrheiten auf und versucht sein bewusstloses Gefühl der absoluten Identität zum Bewusstsein zu erheben, beziehungsweise zeigt sie im Fall des gemeinen Menschenverstandes mithilfe des Skeptizismus das Unstete seiner Gewissheiten auf und erzeugt so eine Antinomie, welche die Unhaltbarkeit dieser Gewissheiten sichtbar macht. Drittens lässt sich schließen, dass der Skeptizismus zwar nicht ohne weiteres zum Systemteil der Metaphysik gehört, aber wohl eine entscheidende Rolle spielt im Rahmen von Hegels früher Jenaer Konzeption einer Einleitung in die Philosophie.11 Letzteres gilt auch mehr im Allgemeinen für die philosophische Kritik als solche. Sie ist nicht ohne weiteres die erste Stufe der Philosophie selbst, sondern kann nur ,als die erste Stufe zur Philosophie angesehen werden; denn der Anfang der Philosophie muß ja die Erhebung über die Wahrheit seyn, welche das gemeine Bewußtseyn gibt, und die Ahndung einer höhern Wahrheit' (GW4, 216, Hervorhebung im Zitat von mir, PJ).

In Gegensatz zu Baum, ,Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel', 128 ff.

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2. Endliches Denken und spekulative Philosophie Im vorigen Abschnitt habe ich gezeigt, dass es für die philosophische Kritik in Rahmen einer Einleitung in die Philosophie grundlegend ist, dass die Idee der Philosophie darin nicht von vornherein als objektiver Maßstab aufgeführt wird, um zu vermeiden dass die Kritik gegenüber anderen sich als philosophisch ausgebenden Positionen als ein einseitiger Machtspruch erscheint. In seinem Aufsatz ,Über das Wesen der philosophischen Kritik' erörtert Hegel aber auch die Möglichkeit einer Kritik, die eine Philosophie beurteilen muss, in der durchaus ,die Idee der Einen und selben Philosophie vorhanden ist' (GW 4, 118). Eigentlich müsste man sogar sagen, dass diese Kritik primär einen Sinn hat, wenn sie Werke betrifft, ,in welchen diese Idee mehr oder weniger deutlich ausgesprochen zu erkennen ist' (GW 4, 118). Denn nur in diesem Falle kann sie diese Werke objektiv beurteilen, indem sie sich zur Aufgabe macht, die ,Art und den Grad, in welchem sie frey und klar hervortritt, so wie den Umfang, in welchem sie sich zu einem wissenschaftlichen System der Philosophie herausgearbeitet hat, deutlich zu machen' (GW4, 119). In Gegensatz zu Zimmerli12 nenne ich diesen zweiten Kritiktypus nicht 13

,historisch', sondern im Anschluss an Baum spekulativ. Denn dasjenige, was von dieser Kritik kritisiert wird, sind nicht die empirischen Standpunkten des philosophierenden Subjekts, sondern ,die Formen des spekulativen Denkens', wie sie ,als solche Formen der Endlichkeit [...] in der Logik aufgenommen werden' (GW5, 272). Weil die Kritik sich also auf der Ebene des unendlichen Erkennens oder der Metaphysik bewegt, ist sie spekulativ. Sie geht mit anderen Worten davon aus, dass das Bedürfnis des philosophierenden Subjekts nach Philosophie schon im Rahmen der Einleitung ausgedrückt ist. Wie sich zeigen wird, spielt auch diese zweite Möglichkeit der philosophischen Kritik eine bedeutende Rolle in Hegels früher Jenaer Systemkonzeption: Wie die subjektive Kritik im direkten Zusammenhang steht mit einer epagogischen Einleitung, so gibt es auch eine enge Verbindung zwischen der spekulativen Kritik und dem ersten Teil des Systems der Philosophie selbst, deren Grundstruktur insbesondere im Vorlesungsmanuskript .Logica et Metaphysica' aufgezeigt wird. Im Folgenden versuche ich die Unterschiede dieser beiden Kritiktypen näher zu bestimmen. Wenn die Idee des Absoluten in vielerlei besonderen philosophischen Standpunkten, obgleich auf abstrahierte Weise, ausdrücklich vorhanden ist, besteht das Geschäft der Kritik darin, eine Kommunikation zwischen diesen Standpunkten und der objektiven Philosophie zu bewirken. Weil aus den Philosophien, die diese Standpunkte ausarbeiten, die Tendenz hervorgeht, dass sie die Idee der Philosophie mehr oder weniger klar und vollendet zum Ausdruck bringen, ist die Aufgabe der Kritik eine andere als beim gemeinen und sogar beim gesunden Menschenverstand, worin diese Idee entweder völlig abwesend ist oder lediglich unbewusst vorhanden und unausgedrückt bleibt. Zimmerli, .Inwiefern wirkt Kritik systemkonstituierend?', 9 4 f f . Baum, ,Zur Methode der Logik und Metaphysik beim Jenaer Hegel', 122.

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Zwar führt die Kritik in beiden Fällen eine Bewegung vom Endlichen zum Unendlichen oder Absoluten aus, aber die spekulative Kritik unterscheidet sich gerade darin, dass sie diese Philosophien explizit aufgrund des gemeinschaftlich anerkannten Maßstabs des Absoluten beurteilen kann, ohne von ihnen als ein einseitiger Machtspruch abgelehnt zu werden. Im Unterschied zur epagogischen Kritik, die ja die Aufgabe hat, das philosophierende Subjekt allmählich zur eigentlichen Philosophie hinzuführen, kann die spekulative Kritik voraussetzen, dass diese Idee in den von ihr kritisierten Philosophien vorhanden und von ihnen anerkannt ist. Deswegen gehört dieser Kritiktypus eben nicht zur Einleitung in die Philosophie, sondern zum ersten Systemteil der Philosophie, nämlich der ,Logik und Metaphysik'.14 Als die ausgearbeitete Wissenschaft der Idee begreift diese Logik und Metaphysik in sich, ,wie die Bestimmtheiten der Form, welche die Idee in sich schließt, sich zu absoluten zu constituiren versuchen; d.i. sie wird, wie [sie] als Wissenschaft der Idee selbst Metaphysik ist, die falsche Metaphysik der Beschränkten philosophischen Systeme vernichten' (GW 5, 263). Am Ende des Fragments ,Logica et Metaphysica' sagt Hegel etwas Ähnliches: ,Von diesem höchsten Prinzip der Philosophie aus, werden wir uns die Möglichen Systeme der Philosophie konstruiren können, wir werden in den verschiedenen Systemen, wenn sie nur Philosophie sind, das Bestreben erblikken, ein und ebendenselben Grundsatz darzustellen; das eine wird nur mehr den einen Faktor der Totalität, ein andres den andern hervortreten machen' (GW5, 274-275). Es ist im Rahmen dieses Beitrags nicht erforderlich, die schon vielfach kommentierte Grundstruktur dieses Systemteils nochmals zu analysieren. Stattdessen werde ich mich auf die Frage beschränken, welche Funktion die spekulative Kritik in diesem Zusammenhang hat. Aus den oben angeführten zwei Passagen der Vorlesungsmanuskripte lässt sich die Aufgabe der Kritik im Rahmen der Logik entnehmen. Wie bekannt ist die allgemeine Aufgabe der Einleitung in die Philosophie, dass das .Absolute [...] fürs Bewusstseyn konstruirt werden [soll]' (GW4, 16). Dazu muss sie zuerst ,die Formen der Endlichkeit auf[...]stellen, und zwar nicht empirisch zusammengerafft, sondern wie sie aus der Vernunft hervortreten, aber durch den Verstand des Vernünftigen beraubt, nur in ihrer Endlichkeit erscheinen' (GW 5, 272). Damit die Metaphysik das Absolute in seiner Absolutheit darstellen kann, muss die Logik zuerst die endlichen Bestimmtheiten in ihrer Abstraktheit und Entgegensetzung darstellen. Ein ausgearbeitetes Beispiel dafür, wie sich die wesentliche Funktion der Kritik darstellt, ist der Aufsatz ,Glauben und Wissen', in dem Hegel die Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen darstellt. ,Wenn auf diese Art dem Gegensatze des Dualismus seine höchste Abstraction gegeben, und die Philosophie damit nicht aus der Sphäre unserer Reflexionskultur herausgeführt worden ist, so ist schon die Form der höchsten Abstraction des Gegensatzes von der größten Wichtigkeit und von diesem schärfsten Extrem

14

Ebd.

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der Uebergang zur ächten Philosophie um so leichter', so schreibt Hegel im Einleitungsaufsatz (GW 4, 124). Die Bedeutung dieser Darstellung hängt eng mit der Grundstruktur des spekulativen Wissens zusammen. Denn ,der Spekulation [...] steht das endliche Erkennen, oder die Reflexion gegenüber, nicht als ob beyde absolut einander entgegengesetzt wären, das endliche Erkennen, oder die Reflexion abstrahiert nur von der absoluten Identität desjenigen was in der vernünftigen Erkenntniß aufeinander bezogen, oder einander gleichgesetzt ist' (GW 5, 271). Das bedeutet, dass die Gestalten des endlichen Erkennens die Materie der unendlichen Erkenntnis bilden, aber durch die Kritik von ihrer Endlichkeit befreit werden müssen. Das geschieht im Hinblick auf die zeitgeschichtlich hervorgetretenen Gestalten des Philosophieren im dem Aufsatz ,Glauben und Wissen'. Was die spekulative Kritik betrifft, so verrät sie in der systematischen und vollständigen Weise, in der sie diese Gestalten darstellt, schon ihren spekulativen Ursprung. Denn sie führt diese Darstellung nicht wegen dieser Gestalten selbst aus, sondern um damit die äußere Möglichkeit zu setzen, dass ,die wahre Philosophie, aus dieser Bildung entstehend, und die Absolutheit der Endlichkeiten derselben vernichtend, mit ihrem ganzen, der Totalität unterworfenen Reichthum sich als vollendete Erscheinung zugleich darstellt' (GW 4, 413). Das heißt, dass die Kritik bereits bei der Aufstellung dieser endlichen Gestalten die Idee des Absoluten als Richtschnur nimmt. Zur Konstruktion des Absoluten für das Bewusstsein gehört aber mehr als die vollständige und systematische Darstellung des Materials aus dem ,Bauzeug eines besondern Zeitalters' (GW4, 12). Zwar ist das Material der spekulativen Philosophie das endliche Erkennen, aber in seiner Abstraktion genügt es natürlich nicht für die Konstruktion des Absoluten. Dazu ist außerdem notwendig, dass dieses Material in Hinsicht auf seine Brauchbarkeit beurteilt und so verarbeitet und aufeinander bezogen wird, dass die Konstruktion daraus hervorgeht. Dieses ist das Geschäft der Kritik, wie es in der Funktion der Logik im Systemteil ,Logik und Metaphysik' zum Ausdruck kommt. Sie arbeitet wie ein Baumeister, der das Absolute konstruiert, aber sich dabei .zugleich das Urbild [...], den Ausdruk der Vernunft selbst immer vor [hält]' (GW 5, 272). Denn sonst könnte sie nicht wissen, was der Verstand nachahmt oder wovon er abstrahiert. Das weist darauf hin, dass die Kritik in ihrer Verarbeitung eine positive und eine negative, vernichtende Seite hat, die meistens verflochten sind. ,Wenn es sich hier zeigt, daß die Idee der Philosophie wirklich vorschwebt, so kann die Kritik an die Foderung und an das Bedürfniß, das sich ausdrückt, das objective, worin das Bedürfniß seine Befriedigung sucht, halten, und die Eingeschränktheit der Gestalt aus ihrer eigenen ächten Tendenz nach vollendeter Objectivität widerlegen' (GW4, 119). Konkret bedeutet das, dass die Kritik einerseits anerkennen muss, dass das endliche Denken .insgeheim von der Vernunft getrieben [wird],zu einer Identität zu gelangen' (GW 5, 272). Aber andererseits muss die Vernunft diese Bestrebung kritisieren, weil sie eben nur ein Bestreben ist und keine vollendete, objektive Wirklichkeit. Beides geschieht mit Hilfe der Idee des Absoluten als Maßstab der Kritik. Um den Philosophien

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seiner Zeit klar zu machen, dass sie eine Identität oder Totalität hervorbringen, hält die Hegeische Kritik ihnen das Urbild der absoluten Identität vor; das ist ihre konstruktive oder positive Seite. Mit demselben Urbild zeigt sie aber auch auf, das diese Philosophien die absolute Identität nur nachahmen in dem Sinne, dass sie nur eine formelle Identität und nur einen Faktor der Totalität hervorbringen; das ist die vernichtende Seite der Kritik. Die Aufhebung der endlichen Formen des Erkennens, wie sie die Logik innerhalb der ,Logik und Metaphysik' vollbringt, hält beide Aspekte der Kritik zusammen, indem sie zeigt, welche .Bedeutung und welchen Gehalt die endlichen Formen des Erkennens für die Vernunft haben' (GW 5,272). Hiermit ist die spekulative Kritik an das Ende ihrer Wirksamkeit angekommen und wird den Übergang in das unendliche Erkennen der Metaphysik gemacht; denn ,die Erkenntniß der Vernunft insofern sie der Logik angehört, wird ein negatives Erkennen derselben' bleiben (GW 5, 272).

Schluss Im diesem Aufsatz habe ich versucht, die Rolle der philosophischen Kritik in Hegels frühen Jenaer Systemfragmenten zu erklären. Mein Ausgangspunkt war die Grundfrage der Kritik an die kritisierten philosophischen Standpunkte, nämlich ob die Idee der Philosophie darin auf eine systematisch ausgedrückte Weise vorhanden sei. Hieraus ergab sich ein Unterschied zwischen zwei Kritiktypen, einer subjektiven oder epagogischen und einer spekulativen. Wie bekannt, spielen sie eine wesentliche Rolle in Hegels Vorlesungsmanuskripten ,Introducilo in Philosophiam' und ,Logica et Metaphysica'. Wenn man von diesem Gesichtspunkt aus die Frage nach dem Verhältnis einerseits der Einleitung in die Philosophie und andererseits der Logik und ihrer Funktion innerhalb der ,Logik und Metaphysik' betrachtet, stellt sich folgendes heraus. Die Einleitung hat die Aufgabe, das philosophierende Subjekt, das sich noch nicht der Idee des Absoluten bewusst ist, mittels einer epagogischen Kritik zu dieser Idee als dem Ausgangspunkt der Philosophie hinzuführen; sie hat ihm sein Bedürfnis der Philosophie klar zu machen. Die spekulative Kritik aber geht eben von dieser Idee aus und kann die endlichen Philosophien mit ihr konfrontieren. Das Ergebnis dieser Kritik ist die Aufhebung des endlichen Denkens im unendlichen Denken der Metaphysik, wie dies in systematischer Weise von der Logik innerhalb der ,Logik und Metaphysik' als des Ersten Teils des Systems der Philosophie auszuführen ist. Indem sie die Reflexion als die Lieferantin des Grundstoffes des unendlichen Erkennens und damit als .Instrument des Philosophierens' anerkennt, schränkt die Kritik auch die Bedeutung der Reflexion ein, so dass sie der Spekulation keine Hindernisse in den Weg legt. Das bedeutet aber, dass in der hier betrachteten frühen Jenaer Systemkonzeption die spekulative Kritik der zeitgeschichtlich hervorgetretenen Philosophien,

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wie sie in .Glauben und Wissen' ausgearbeitet ist, und die Logik innerhalb des Systemteils ,Logik und Metaphysik' je auf ihre Weise eine Einleitung in die Philosophie sind, der zur Metaphysik hinführen und diese ermöglichen.15

Für die Logik innerhalb der .Logik und Metaphysik' der frühen Jenaer Zeit wird dies von K. Diising, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen zum Prinzip der Idealismus und zur Dialektik (Hegel-Studien, Beiheft 15), Bonn 1976,93 ff. näher ausgearbeitet.

PAUL CRUYSBERGHS

Zur Rekonstruktion eines Systems der Sittlichkeit im ,Naturrechtsaufsatz'

In diesem Beitrag versuche ich, die Architektonik eines Systems der Philosophie, insbesondere eines Systems der Sittlichkeit zu rekonstruieren, und zwar auf Grund desjenigen Materials, das sich im ,Naturrechtsaufsatz' finden lässt. Um die damaligen Behandlungsweisen des Naturrechts kritisieren zu können, musste Hegel von einer Idee der Aufgabe der Philosophie im Allgemeinen und des Naturrechts im Besondern ausgehen. Der konkrete Zusammenhang des Hegeischen Projekts im ,Naturrechtsaufsatz' war die damalige Dominanz der kritischen Philosophie, deren weitgehender Formalismus zu einer unüberwindlichen Trennung von Philosophie und empirischem Wissen geführt zu haben schien. Dabei wurde die empirische Erkenntnis der Welt außerhalb der Kompetenz der Philosophie gehalten und nur den positiven Wissenschaften überlassen. Das war schon mit den Naturwissenschaften der Fall und drohte auch mit den Rechtswissenschaften zu geschehen. Es war offensichtlich Hegels und Schellings Projekt mit ihrem Kritischen Journal der Philosophie den Zusammenhang mit den von der Philosophie losgelösten Wissenschaften wiederherzustellen und so die .Aussicht auf die wahre Palingenesie aller Wissenschaften durch Philosophie', wie es in der Ankündigung des Kritischen Journals heißt, einzuleiten. (GW 4, 503) Die Wiedergeburt der Wissenschaften sollte also von der Philosophie ausgehen, und es ist klar, dass für Schelling und Hegel dabei nicht nur die Wissenschaften, sondern auch die Philosophie selbst einer Reformation bedurfte. Insbesondere sollte die Philosophie den Mut haben, wieder das Absolute zum Ausgangspunkt und Endpunkt der Philosophie zu machen. Nur die Anerkennung des Absoluten als Alpha und Omega der Philosophie wäre imstande sowohl die Philosophie selbst als auch die empirischen Wissenschaften aus der Krise herauszuholen. Damit wollten Hegel und Schelling den Schaden beheben, den die kritische Philosophie dadurch angerichtet hatte, dass sie gerade das Absolute als unerkennbar aus dem Bereich der Philosophie und der Wissenschaften überhaupt ausgeschlossen hatte. Die Frage, weshalb das Absolute nötig war, um den Zusammenhang der Einzelwissenschaften mit der Philosophie wiederherzustellen, kann an dieser Stelle so beantwortet werden, dass die Anerkennung des Absoluten, d.h. eines Unbedingten, dem gegenüber kein Äußeres mehr sein oder gedacht werden kann, den Zusammenhang aller Dinge gewährleistet. (GW4, 417) Die erste Frage ist deshalb, wie Hegel, und wir werden uns im Folgenden auf ihn beschränken, das Absolute wieder in die Philosophie ein-

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zuführen versucht hat. Ferner werden wir untersuchen, wie die Idee des Absoluten Hegel dazu gebracht hat, die Skizze eines philosophischen Systems zu entwerfen, das, im Vergleich mit dem späteren System, einen relativ einfachen Charakter hatte. Am auffälligsten ist dabei, dass Hegel noch keinen Unterschied zwischen einer Philosophie des objektiven und des absoluten Geistes gemacht zu haben scheint.1 Wir werden dabei feststellen können, dass Hegel die Philosophie der Sittlichkeit als die gesamte Philosophie des Geistes auffasst. Zum Schluss werde ich untersuchen, in wiefern dies neu entworfene System sich zu den so genannten positiven Wissenschaften verhält. Wir werden uns dabei auf den ,Naturrechtsaufsatz' beschränken, da dieser uns am deutlichsten die neue Perspektive Hegels auf das Verhältnis von Philosophie und Wissenschaft zeigt.

Philosophie als absolute Wissenschaft Allererst soll deutlich sein, dass Hegel die Philosophie als eine Wissenschaft, stärker als die oder die absolute Wissenschaft (GW 4, 418) betrachtet. Wenn bestimmte Wissenschaften sich von der Philosophie getrennt haben, bedeutet dies, dass sie sich damit aus der .Kategorie der Wissenschaft überhaupt' ausgeschlossen haben. (GW4, 417) Hegel will es also bei der Emanzipation der positiven Wissenschaften von der Philosophie nicht bewenden lassen; oder vielmehr, er will die verselbständigten Wissenschaften, nachdem sie sich, wie z.B. die Mechanik oder die Physik, von der Philosophie losgelöst hatten oder, wie die positiven Rechtswissenschaften, sich loszulösen drohten, wieder in die Philosophie eingliedern. Unabhängig von der Philosophie können sie nach Hegels Ansicht nur noch als ,sogenannte' Wissenschaften betrachtet werden. Im Einklang mit dem Platonischen Unterschied zwischen episteme und doxa behauptet Hegel, nur die Philosophie könne (weil auf Ideen orientiert) den Status einer episteme beanspruchen, während die von der Philosophie (d.h. von der Idee) getrennten Wissenschaften sich mit dem untergeordneten Status von doxa begnügen müssten. Da sie sich nur ,bittweise' der Verstandesbegriffe bedienen und ihr Gegenstand so ,dem Mitteldinge zwischen Nichts und Realität' oder ,der Vermischung von Seyn und Nichtseyn' angehört, können diese Wissenschaften nicht anders als gestehen, dass sie sich ,nur im empirischen Meynen' bewegen, also doxa sind. (GW 4, 419) Den ,sogenannten' Wissenschaften gegenüber wird die Philosophie von Hegel als die ,absolute Wissenschaft' aufgeführt. (GW4, 418) Diese Qualifikation selbst scheint sie dem Faktum zu verdanken, dass sie selbst ,im Absoluten' ist. Die Frage ob eine Wissenschaft im Absoluten sei oder nicht, ist für Hegel tatsächlich das Kriterium ihrer Wissenschaftlichkeit. Dies gilt nicht nur für die Philosophie im Allgemeinen, sondern auch ι

Hypothetischerweise würde ich hierzu behaupten, dass Hegel sich vom Piatonismus, namentlich von Xenokrates hat beeinflussen lassen, der ja als erster eine Dreiteilung der Philosophie in Logik oder Dialektik, Physik und Ethik unternommen hat.

ZUR REKONSTRUKTION EINES SYSTEMS DER SITTLICHKEIT

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für die einzelnen philosophische Wissenschaften. (GW 4, 420) Hegel macht also gleich klar, dass die Philosophie das Absolute zum Ausgangspunkt nehmen muss. Mit einem Relativen als letztem Prinzip kann die Philosophie sich nicht zufrieden geben: ein Relatives verweist ja immer auf dasjenige, worauf es bezogen ist, so dass die Suche nach einem solchen Prinzip nur zu Ende gebracht werden kann, wenn ein Absolutes, oder vielmehr, wenn das Absolute selbst gefunden ist. Die Philosophie soll also nach den Auffassungen des Jenaer Hegel im Absoluten ihren Aufenthalt haben. Das Absolute scheint Hegel dabei mit dem Kantischen Begriff der (absoluten) Vernunftidee zusammenfallen zu lassen. (GW4, 422) Hierbei stoßen wir auf eine Frage. Hegel scheint das eine Mal das Absolute, ein anderes Mal die Idee zu dem Prinzip der Philosophie zu machen, und man kann sich fragen, in wiefern oder wie beide zusammenfallen können. Diese Frage wird später wieder auftauchen, wenn wir die Momente des Absoluten beziehungsweise der Idee zu explizieren versuchen. Vorläufig können wir jedoch schon behaupten, dass, wenn der Begriff des Absoluten beinhaltet, dass außerhalb desselben nichts weder sein noch gedacht werden kann, dem Grundprinzip des Idealismus entsprechend das Absolute als Idee gedacht werden soll.

Der Entwurf eines philosophischen Systems Die Konstruktion der (Vernunft)Idee (oder des Absoluten) in ihren (seinen) Momenten ist offensichtlich die erste Aufgabe der Philosophie. Vor allem soll dabei die Idee ,rein' in ihren Momenten konstruiert werden. Diese reine Darstellung der Idee scheint als Aufgabe der ,Logik' zuzufallen. Die ,Logik' oder vielmehr ,das Logische' wird von Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' als die Sphäre des rein Ideellen bezeichnet (GW4, 418): die ,Logik' soll die Idee in ihrer Reinheit darstellen und so die reine, zugleich absolute Form der Idee darbieten.3 Diese Form ist komplex und entwickelt sich nach ihren verschiedenen Momenten, welche Entwicklung von Hegel an dieser Stelle nicht systematisch dargestellt wird, aber Im Aufsatz ,Wie der gemeine Menschenverstand die Philosophie nehme' wird derselbe Gedanke, aber hier in theologisch-metaphysischer Sprache, zum Ausdruck gebracht. Im gegenwärtigen Augenblick, so Hegel, sei es zunächst das Interesse der Philosophie, .einmal wieder Gott absolut vornehin an die Spitze der Philosophie als den alleinigen Grund von allem, als das einzige principium essendi und cognoscendi zu stellen, nachdem man ihn lange genug neben andere Endlichkeiten, oder ganz am Ende als ein Postulat, das von einer absoluten Endlichkeit ausgeht, gestellt hat'. (GW4,179) Man kann sich auch fragen, inwiefern die ,Logik' zugleich auch als .Metaphysik' gedacht werden kann oder soll (vgl. das Fragment ,Über die Idee des absoluten Wesens', in: GW5, 263). Im .Naturrechtsaufsatz' haben wir dafür keinen Beleg. Zwar wird einige Male die ,Metaphysik' zur Sprache gebracht, aber man kann nicht behaupten, dass Hegel sie so mit der .Logik' verknüpft, dass diese selbst bereits .Metaphysik' ist.

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mit einiger Vorsicht doch schon als dialektisch charakterisiert werden kann. Soweit wir wissen, wird der Terminus ,Dialektik' im ,Naturrechtsaufsatz' zum ersten Mal in Hegels Werken benutzt. In dem Passus, wo er auftaucht, wird gesagt, die Dialektik habe zu zeigen, dass ein Ding ,nach seinem Begriff', namentlich nach dem Begriff des Verhältnisses (worüber später) .überhaupt nichts an sich ist'. (GW4, 446) Damit wird der Dialektik eine negative Aufgabe zugewiesen: sie soll die Nichtigkeit willkürlich aufgestellter Begriffe zeigen, d.h. sie soll zeigen, wie die prätendierte Selbständigkeit dieser Begriffe sich jedes Mal auflöst. Diese Auflösung hat jedoch auch eine positive Seite: das Aufzeigen der Nichtigkeit der fixierten Begriffe bedingt zugleich, dass jedes Mal deutlich wird, wie die einseitig verabsolutierten Bestimmungen notwendig mit ihrem Gegenteil zusammen gehören. Die Dialektik, die diese Zusammengehörigkeit herausstellt, sei es auch mit dem Zweck, eine vermeinte Selbständigkeit in ihrer Nichtigkeit aufzuweisen, vollzieht im Grunde nichts wesentlich Anderes als die Dialektik in ihrer voll entwickelten Gestalt, welche die ,Logik' bei der Selbstbestimmung des reinen Denkens jedes Mal über die Beschränkungen einer logischen Bestimmung hinausführt. Es geht bereits hier um diese dialektische Bewegung, sei es auch, dass Hegel es an dieser Stelle, wie sich eindeutig aus einem parallelen Text im System der Sittlichkeit entnehmen lässt, noch vorzieht, nur die negative Seite dieses Bestimmens als dialektisch zu bezeichnen und die positive Seite vielmehr als Aufnahme ins Absolute zu charakterisieren.4 Die Philosophie soll sich nicht mit der Aufgabe der ,Logik' begnügen, die Idee des Absoluten in ihren formalen Momenten darzustellen. Sie soll auch zeigen, ,wie die absolute Idee nach den Momenten der absoluten Form' in der Darstellung des Naturrechts .erscheint'. (GW4, 421) Das Erscheinen - auch hier begegnen wir wieder einem platonisierenden Terminus - spielt sich in der empirischen Welt ab, die als solche Gegenstand der empirischen Wissenschaften ist. Aufgabe der besondern philosophischen Wissenschaften dagegen ist es, ausdrücklich das Empirische mit dem Ideellen, d.h. mit der Idee zu verbinden. Was in der empirischen Anschauung gegeben ist, soll von den besondern philosophischen Wissenschaften, namentlich von der .Philosophie der Natur' und der .Philosophie der Sittlichkeit', auf die ideelle Form bezogen werden.5 Hierin besteht die Arbeit der Vernunft: sie soll sich alles dessen, das sie umfasst und durchdringt, als Idee bewusst werden. (GW4, 428) Es ist deshalb die Idee, die es ermöglicht, das

Im System der Sittlichkeit,

wo der Terminus .Dialektik' ebenfalls auftaucht, sieht man, dass die

Dialektik zunächst rein negativ zu interpretieren ist. Wenn die .absolute Form' sich nicht nur als Bestehen des Gegensatzes, sondern auch ,im Vernichtetseyn des Gegensatzes' ausdrückt, wird das .rein negativ[e]' Setzen dieses Vernichtetseins .dialektisch' genannt. Insofern das Negative jedoch nicht fixiert wird, ist es ,im Absoluten'. ( G W 5 , 3 1 0 ) Die Philosophie als Idealismus oder Metaphysik soll auch einen weiteren Schritt vollziehen. Sie soll, nach dem Fragment .Über die Idee des absoluten Wesens', zeigen, .wie das absolute Wesen selbst in der Idee sein Bild gleichsam entwirft', sich aber weiterhin ,in der Natur realisirt [...] und dann als Geist sich resumirt'. (GW 5 , 2 6 2 )

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Prinzip der empirischen Wissenschaften ,nach seinem höhern Zusammenhang und Nothwendigkeit' zu erfassen. (GW4, 418) Die reine Form der Idee wird von Hegel deshalb als ,das Wesen jeder Wissenschaft' angesehen, sie macht die Wissenschaftlichkeit sowohl der besonderen philosophischen als auch der empirischen Wissenschaften aus (ebd.).6 Wie aber sollen wir diese reine Form der Idee (oder das Absolute) denken? Zuerst als Einheit, bestimmter als absolute Einheit. (Ebd.) Auch dies könnte man als Piatonismus oder mindestens als Neuplatonismus bezeichnen.7 Zugleich weist es auf die Kantische Idee der Vernunfteinheit hin. Auch bei Kant hat die Philosophie es zu ihrer letzten Aufgabe zu rechnen die systematische Einheit' aller Vermögen der Vernunft zu denken, wie es in der Kritik der reinen Vernunft heißt.8 Diese setzt die ,Form eines Ganzen der Erkenntnis' voraus, die jedem Teil seine Stelle in diesem Ganzen und sein Verhältnis zu den übrigen Teilen a priori bestimmt.9 Aber im Gegensatz zu Kant und zum Neuplatonismus ist für Hegel diese Einheit nicht ein Unerreichbares oder Unerkennbares, ist die Einheit nicht .lediglich nur projektierte Einheit',10 sondern erkennbares und in sich zu artikulierendes Prinzip aller wissenschaftlichen Erkenntnis. Für Kant hat die Vernunft nur ein .regulatives Verhältnis zum Wissen', bei Hegel dagegen hat sie eine konstitutive Funktion.11 Das Absolute wird von Hegel nicht nur zur ,höchsten Idee', sondern auch zum .einzigen Seyn' erhoben (GW4, 124). Oder vielmehr, die Idee ist nicht nur Gedanke, sondern zugleich auch höchste Wirklichkeit. Dieses Prinzip, das sowohl principium essendi wie auch principium cognoscendi ist, gewährt der Wissenschaft innere Notwendigkeit und verhütet, dass sie nur eine empirische Sammlung oder einen Haufen von Erkenntnissen bieten wird (GW 4, 422). Wie in der späteren , Logik' entwickelt die Idee nach diesen Ausführungen in einem die Grundstruktur des Denkens und der Wirklichkeit und ist als solche unumgängliche Grundlage der übrigen philosophischen und empirischen Wissenschaften.

Nur einmal wird im .Naturrechtsaufsatz' der Terminus .das Logische' im Kontext der Beschreibung des Verhältnisses der Philosophie zu den empirischen Wissenschaften verwendet. Die besonderen philosophischen Wissenschaften sind jeweils ein .selbstständiges und vollendetes Bild' das von der .Anschauung' einer empirischen Wissenschaft .aufgenommen' werden kann. Das genügt jedoch nicht, denn .die Anschauung und das Bild' müssen .mit dem logischen vereinigt' werden. (GW4,418) In der Philosophie, nicht als eine ihrer besonderen philosophischen Wissen7 8

9 10

schaften, sondern als .absolute Wissenschaft' ist die Idee als .reine Idee'. (Ebd.) Vgl. K. Düsing, Hegel und die Geschichte der Philosophie, Darmstadt 1983. S . z . B . B 678ff. Kritik der reinen Vernunft, A 645. Ebd., 647. S. in dem Aufsatz des Kritischen Journals: .Ueber das Wesen der philosophischen Kritik', GW4, 122.

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Die absolute Einheit selbst wird von Hegel auf verschiedene Weisen expliziert.12 Da keine ausgearbeitete ,Logik' aus dieser Zeit überliefert ist, beschränken wir uns jedoch darauf, sie einmal als Einheit oder Identität von Einheit und Vielheit, einmal auch als Einheit von Anschauung und Begriff zu erklären. Anders als im System der Sittlichkeit ist letztere im .Naturrechtsaufsatz' nicht die am meisten gängige Explikation.13 Dominant ist vielmehr, neben noch andere Formeln, die Erklärung als Einheit von Einheit und Vielheit. Man könnte vermuten, dass die letztere sich mehr an die Idee des Absoluten, die andere dagegen mehr an die Idee der Idee anschließt. Dazu haben wir aber kein eigentliches Belegmaterial. Wir können jedoch vermuten, dass die Bestimmungen von Anschauung und Begriff mehr als die der Einheit und Vielheit dem ideellen Charakter der Idee gerecht werden. Die Möglichkeit einer Explikation der absoluten Einheit findet Hegel formell gerade darin, dass ,in der Idee unmittelbar das Gesetz der absoluten Form und der Totalität ist, nach dem eine Bestimmtheit weiter zu erkennen und zu entwickeln ist'. (GW4, 471) Es ist nicht leicht zu verstehen, was dieses Gesetz der absoluten Form beinhaltet, aber falls die letztere mit der Intelligenz oder dem Begriff zusammenfällt, dann können wir uns vielleicht erlauben, dieses Gesetz auf den Begriff des Unendlichen zu beziehen. Die Logik des Unendlichen wird im ,Naturrechtsaufsatz' deutlich als Motor des Denkens gefasst. Das Denken ist ja seiner Form nach wesentlich durch Unendlichkeit charakterisiert. Die verschiedene Formen der Unendlichkeit selbst wurden von Hegel schon kurz in ,Glauben und Wissen' behandelt, (GW 4, 358-359) aber auch im ,Naturrechtsaufsatz' spielt die Unendlichkeit als unterliegendes Prinzip der zwar von Hegel scharf kritisierten kritischen Philosophie eine entscheidende Rolle. Als Prinzip der Bewegung und Veränderung besteht das Unendliche wesentlich darin, ,das unvermittelte Gegentheil seiner selbst zu seyn'. (GW 4, 431) Von ihm heißt es auch: sein Wesen ist ,der absolute Übergang ins entgegengesetzte', oder schließlich auch: es ist ,das Verschwinden jeder Realität in seinem (sie!) Gegentheil'. (Ebd.). Die Unendlichkeit des Denkens treibt jeden Gedanken eines Bestimmten oder Endlichen notwendigerweise über sich selbst ins Unendliche hinaus. Eine radikale Reflexion wird jedoch das Endliche nicht nur negieren, sondern dieses mindestens auch als negiertes oder zu negierendes, und

Hegel spricht in diesem Zusammenhang vom Absoluten und seiner Erscheinung, ferner wird das Absolute auch als Einheit von Indifferenz und Verhältnis, von Einheit und Vielheit, vom Ideellen und Reellen, von Freiheit und Notwendigkeit, von der Substanz und ihrer Attributen, von Anschauung und Begriff gedacht. Das System der Sittlichkeit fängt gleich mit der Bestimmung der Idee als Identität von Anschauung und Begriff an: ,Um die Idee der absoluten Sittlichkeit zu erkennen, muß die Anschauung dem Begriffe vollkommen adäquat gesetzt werden, denn die Idee ist selbst nichts anders, als die Identität beider.' (GW5, 279) Im ,Naturrechtsaufsatz' heißt es, dass ,die Vollendung der Wissenschaft [...] erfodert, dass [...] die Anschauung [...] mit dem logischen [d.h. dem Begriff] vereinigt, und in das rein ideelle aufgenommen sey'. (GW 4,418)

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deshalb auch positiv setzen. Sowohl das Bestehen der Entgegengesetzten (die Realität) wie auch das Nichts des Bestehens soll deshalb gesetzt werden. Kurz zusammengefasst bedeutet dies, dass die absolute Einheit nicht einfach als Einheit, sondern, da sie sonst mit einem Gegensatz zur Vielheit behaftet und deshalb nicht absolut sein würde, als Einheit von Einheit und Vielheit gedacht werden soll. (GW4, 432^33) Dabei wird die Idee oder das Absolute näher bestimmt als Einheit oder Identität der Indifferenz von Einheit und Vielheit einerseits und der Differenz von beiden andererseits. Die nähere Bestimmung des Momentes der Differenz als Verhältnis erlaubt uns, die Erscheinung der Idee oder des Absoluten genauer zu erfassen. Ein Verhältnis erlaubt ja mindestens theoretisch eine doppelte Bestimmung oder eine Wechselwirkung. Entweder bestimmt das eine Extrem, die Vielheit, das andere, die Einheit, oder umgekehrt die Einheit die Vielheit. Im ersteren Fall erscheint das Absolute als ,physische Natur', im zweiten als .sittliche Natur'. (GW4, 433) Beide Erscheinungsweisen des Absoluten - von Hegel auch in der Weise Spinozas als Attribute der Einen Substanz charakterisiert - werden zuerst in paralleler Weise entwickelt. Das heißt, dass die Eine Wirklichkeit in ihrem Wesen entweder als physisch oder als sittlich gedacht werden kann, oder dass (in der Sprache der kritischen Philosophie) die Phänomene entweder von der theoretischen oder von der praktischen Vernunft aus gedacht werden können (GW4, 432). Beide erscheinen als gleichwertig, aber gerade die Bestimmung des Absoluten als Einheit von Anschauung und Begriff wird die sittliche Natur als die höhere hervorheben. Wie sollen wir diese Einheit von Anschauung und Begriff denken? Ich möchte dabei folgendermaßen verfahren. Wenn der Begriff die reine Einheit repräsentiert, dann soll die Anschauung als Vielheit gedacht werden. Auch hier jedoch wird die Dialektik zeigen, dass weder Begriff noch Anschauung etwas für sich Seiendes sind, sondern in ihrer Einheit gedacht werden müssen. Was sich als Anschauung meldet, ist deshalb immer auch schon eine Einheit, nie reine Vielheit. Das in der Anschauung Gegebene ist tatsächlich eine positive Menge von Bestimmtheiten, die jedoch nicht als nur neben einander bestehend gedacht werden dürfen. Hegel deutet mit dem Terminus Anschauung auf eine positive Indifferenz der Bestimmtheiten hin. (GW 4, 439) Oder besser gesagt: die Anschauung ist nicht nur Vielheit, das heißt ein Verhältnis von Einheit und Vielheit, in welchem die Vielheit das erste ist, sondern zugleich auch die Indifferenz von beiden. Die Bestimmtheiten machen auch für die Anschauung ein Ganzes aus; sie werden in der Anschauung nicht als abgesonderte und entgegengesetzte fixiert, sondern vielmehr zusammengefasst und objektiviert. (GW4, 440) Dies erlaubt Hegel, die Anschauung als ,eine lebendige Beziehung' (GW4, 440) und eine ,innere Totalität' (GW 4, 439-440) zu charakterisieren. Was sich in der Anschauung darstellt, ist deshalb die unendliche Expansion des Universums (oder auch: die physische Natur, die aber selbstverständlich idealistisch, d.h. nie getrennt vom erkennenden Subjekt, aufzufassen ist). Dabei soll diese Erkenntnis zugleich Selbsterkenntnis sein: die Anschauung soll zugleich Anschauung ihrer selbst

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oder Selbstanschauung sein. In dieser Selbstanschauung wird die Expansion des Universums in sich selbst zurückgenommen. Dieses Zurücknehmen ist als unendlicher Begriff oder auch als Intelligenz oder Geist zu begreifen. In ein und derselben Anschauung sind deshalb sowohl die Natur als auch der Geist gegeben. Das würde heißen, dass Anschauung und Begriff tatsächlich eins sind - und dass der Geist, gerade als Resumtion der Natur, der letzteren gegenüber, als das Höhere angesehen werden muss. (GW4, 464) Die sittliche Welt soll dann ferner als die Selbstorganisation des Geistes aufgefasst werden, und ist als solche auch wieder Einheit von Anschauung und Begriff.14 Die Natur ist also selbst ,das absolute Selbstanschauen und die Wirklichkeit der unendlich differentiirten Vermittlung und Erfaltung'. (GW 4, 464) Der Geist ist dagegen auch Selbstanschauung, aber Anschauung seiner selbst als seiner selbst oder ,das absolute Erkennen*. (Ebd.) Er ist das Zurücknehmen des Universums in sich selbst und umfasst so die Totalität des Vielen. Zugleich jedoch ist er die absolute Idealität dieser Totalität. Der Geist vernichtet so das Auseinandersein der Natur und ist auf diese Weise tatsächlich unendlicher Begriff. In seiner polemischen Auseinandersetzung mit der kritischen Philosophie hebt Hegel nachdrücklich dem reinen, formalen Begriff gegenüber die positive Einheit der Anschauung hervor. Gegenüber der Leerheit des reinen Begriffs betont er den unendlichen Reichtum des Universums. Das bedeutet jedoch nicht, dass er den Begriff als Prinzip verwirft. Wenn die Anschauung zugleich Selbstanschauung sein soll, bedeutet dies gerade, dass die Anschauung auch in das rein Ideelle, das heißt ja doch in den Begriff aufgenommen werden soll. (GW4, 418; s. auch 422) Den absoluten Begriff charakterisiert Hegel zunächst als das Prinzip der Entgegensetzung, und als die Entgegensetzung selbst. (GW4, 441) Er ist damit das absolute unmittelbare Gegenteil seiner selbst: Nichts und damit zugleich Sein. Durch das Vernichten jeder Mannigfaltigkeit, so lese ich, setzt der absolute Begriff zugleich letztere als das ihm selbst Entgegengesetzte. Dieses Sich-setzen, das zugleich ein sich Entgegensetzen ist, ist die formale Struktur des absoluten Begriffs. Er soll als das absolut Negative verstanden werden, das gerade dadurch mit dem positiv Absoluten, wie es in der Anschauung gegeben ist, vollkommen eins sein kann. Der absolute Begriff kann auch als absolute Form verstanden werden. Als solche ist er das rein Ideelle, das in seiner Absolutheit imstande ist, das Reelle oder die Substanz, wie sie in der Anschauung gegeben ist, vollkommen in sich aufzunehmen. (GW 4, 463) So ist die absolute Form wahrhaft mit der absoluten Substanz verbunden. Die absolute Form ,ist also allein fähig, indem sie absolute Einzelheit ist, absolute Allgemeinheit zu sein, indem sie absolute Negation und Subjectivität ist, absolute Position und Objectivität, indem absolute Differenz und Unendlichkeit, absolute Indifferenz, und die Totalität actu in der Entfaltung aller Gegensätze, und potentia in dem absoluten vernichtet-

Vgl. dazu das Fragment .Über die Idee des absoluten Wesens', GW 5,263.

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und einsseyn derselben, die höchste Identität der Realität und Idealität zu seyn.' (GW4, 464) Der Begriff als absolute Form spielt deshalb auch beim frühen Jenaer Hegel eine entscheidende Rolle. Auch wenn er vor die Leerheit eines von der Anschauung isolierten und dieser entgegengesetzten Begriffs warnt, bedeutet dies nicht, er verwerfe den Begriff zu Gunsten eines platten Empirismus oder irgendeiner mystischen intellektuellen Anschauung. Nur in der Einheit von Anschauung und Begriff zeigt sich die wahrhafte Bedeutung der Dinge. Auf Grund der Idee des Absoluten oder auch der Idee der Idee hat Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' also sowohl die Idee der physischen Natur als auch die der sittlichen Natur konstruiert. Was die physischen Natur betrifft, hat er sich fast ausschließlich auf die Konstruktion ihrer Idee beschränkt (nur einige kurze Verweise auf die Elementen, den Kristall, das Sonnensystem, die Erde, das Tierreich sind zu erwähnen). Was dagegen die Philosophie der Sittlichkeit betrifft, hat er die sittliche Idee auch in ihren Momenten darzustellen versucht, sei es auch, dass er vor allem das Moment des Verhältnisses, insbesondere das der (negativen) Einheit oder des absoluten Begriffs herausgehoben hat. (GW4, 449) Im ,Naturrechtsaufsatz' wollte Hegel zeigen, wie die Idee der Sittlichkeit, im besondern durch das Moment der Unendlichkeit, sich eine konkrete Gestalt gibt. Da die Idee aber nicht nur Begriff, sondern auch Anschauung ist, hatte Hegel mit der Konstruktion der Idee auch die Gestalt zu zeigen, ,in welcher der Geist sich selbst vollkommen objektiv [...] anschaut', so heißt es am Ende des Aufsatzes. (GW4, 484) Diese Anschauung ist selbstverständlich nicht rein empirisch, aber auch nicht rein ideell. Deshalb soll sie sich auf die ,schönste Gestalt' in der Erscheinung beziehen, diejenige Gestalt, die als ,die reinste und freyste Individualität' in der empirischen Welt am besten die ,hohe Idee der absoluten Sittlichkeit' zum Ausdruck bringt. (Ebd.)15 Ich übergehe die Weisen, wie das Moment der Unendlichkeit oder des Negativen, innerhalb der positiven Gestalt eines Volkes, selbst Gestalt gewinnt. (GW4, 449 ff.) Im Anschluss an Aristoteles und Piaton entwickelt Hegel eine Ständelehre, damit das Negative in seiner doppelten Erscheinung (einmal als Negieren des Endlichen, d.h. konkret als Tapferkeit im Krieg, zum anderen als Bestehen des zu negierenden Endlichen, als System der politischen Ökonomie oder System der allgemeinen gegenseitigen Abhängigkeit) seine geeignete Stelle zugewiesen bekommt. In der Selbstorganisation eines Volkes realisiert der Geist seine eigene sittliche Natur zu einem Reich der Freiheit, das sich der Notwendigkeit der physischen Natur nicht entgegensetzt, sondern diese zugleich sich an-organisiert. (GW4, 479) Das bestimmte Klima einer Region und die konkreten historischen Umstände eines bestimmten Zeitalters konstituieren die besondere Lage, in der die Freiheit sich selbst eine konkrete Gestalt geben kann. Das Positive, das der Natur und der Geschichte angehört, ist für die sich eine Gestalt gebende Freiheit kein Hindernis, sondern vielmehr das Element, in dem sie, wie der Fisch im Wasser, Der Verweis auf die .schönste Gestalt' der Sittlichkeit schließt bei Hegels schon in Frankfurt vorhandenem .ästhetischen Piatonismus' (Diising, Hegel und die Geschichte der Philosophie, 69) an.

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sich realisieren kann. Natur und Geist sind so nicht länger, wie in der kritischen Philosophie, einander entgegengesetzt, sondern tatsächlich mit einander versöhnt. Ausschlaggebend dabei ist, dass immer nicht nur das Verhältnis von Einheit und Vielheit, sondern immer auch schon ihre Indifferenz mit im Spiel ist. Ohne letztere wäre ein Volk kein organisiertes oder besser sich organisierendes Ganzes, also keine Gestalt, sondern nur eine Menschenmenge, die von einer Regierungsgewalt nur äußerlich zu beherrschen wäre. Dass das Sittliche eine Gestalt ist, ist gerade die Seite der Anschauung, welche in der kritischen Philosophie verloren gegangen war. Innerhalb des Staates als Gestalt des Sittlichen weist Hegel sowohl der Regierung und dem Militär, als auch der Ökonomie, dem Rechtssystem, der Erziehung, dem System der Gesetzgebung und auch der Religion die geeigneten Stellen an. Vor allem die Stelle der Religion verdient hier unsere Aufmerksamkeit, da sie von Hegel noch nicht gesondert, sondern vielmehr als krönender Abschluss des Systems der Sittlichkeit dargestellt wird. Als solcher ergänzt sie wesentlich die Arbeit der Gesetzgebung. (GW4, 469) Letztere besteht darin, dass den besondern Sitten eines Volkes die Form der Allgemeinheit erteilt wird, dass was in einem Volke Recht ist, auch als solches gedacht, d.h. auf die Ebene des Ideellen erhoben wird. Insofern die Gesetzgebung der allgemeine Ausdruck des gemeinschaftlichen Seins und Tuns aller ist, soll diese Allgemeinheit auch auf der ideellen Ebene wieder mit dem Besondern des Volkes vereinigt werden. Dies geschieht in der Religion, in der Anschauung, der Anbetung und dem Kultus des Gottes des Volkes. Der Gott des Volkes vereinigt deshalb die Bürger über die Unterschiede ihrer Ständen und deren besondere Interessen hinweg. Das heißt, dass die Religion in diesem Text noch ausschließlich als Volksreligion fungiert. Dies findet gerade darin seinen Grund, dass, wenn auch die Religion keine Abstraktion sein darf, sondern die Form einer Gestalt annehmen soll, sie auch in der Form der Besonderheit erscheinen muss. Dem abstrakten Verstandesgott der Aufklärung gegenüber verteidigt Hegel hier die Positivität der Volksreligion, nicht in dem Sinn, dass die Religion von dem Ganzen der Kultur eines Volkes abgeschnitten, diesem gegenüber verselbständigt ist - das wäre eine Art von Positivität, die von Hegel in Übereinstimmung mit seiner Auffassung in den Jugendschriften gerade abgewiesen wird (wie auch die Positivität einer Gesetzgebung, die nicht länger den Sitten angemessen ist) - sondern eine Positivität, die gerade der Besonderheit eines bestimmten Volkes entspricht. Es ist diese Sorge ums Konkrete und Anschauliche, die Hegel dazu bringt, das Verhältnis von Moral und Naturrecht anders als die neuere Philosophie in antikisierendem Sinn zu verstehen. (GW 4, 467 ff.) Wo ,die neuern Systeme der Sittlichkeit' (seit Hobbes eigentlich schon) die Einzelheit, ,ein für sich seyn' zum Prinzip gemacht haben, kehrt Hegel zu der Antike zurück, die Sittlichkeit der Polis vor die Moralität der Individuen zu stellen. Wo im Kantianismus die Moral (oder Moralität) deutlich dem Naturrecht (dem System der Legalität) überhoben ist, ist dies bei Hegel nicht mehr der Fall. Bei Kant und Fichte hat das Naturrecht eine nur formelle und negative Bedeutung, da es nur das äußerliche und deswegen formelle Einssein mit dem sittlichen Imperativ be-

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trifft. Da Hegel aber die Sittlichkeit des Volkes nicht als Legalität im Sinne eines Zwangsverhältnisses auffasst, kann er die Moral dem Naturrecht wieder unterordnen. Jetzt soll das Naturrecht konstruieren, ,wie die sittliche Natur zu ihrem wahrhaften Rechte gelangt' (GW 4, 468) - und dies geschieht ja nur in der konkreten historischen Gestalt eines Volkes. Der Moral dagegen kommt es nach Hegel nur zu, die Sittlichkeit des Volkes im Einzelnen auszudrücken oder zu reflektieren. Das heißt also, dass die Moral sich selbst keinen Inhalt geben kann. Der Inhalt stammt aus dem .allgemeinen Geiste'. (GW4, 468) Deshalb soll die Sittlichkeit des Einzelnen auch als .negative Sittlichkeit' bestimmt werden: sie ist nur die Möglichkeit oder Fähigkeit, in der allgemeinen Sittlichkeit zu sein. Diese Möglichkeit differenziert sich in verschiedene ,sittliche Eigenschaften' oder auch ,Tugenden', welche den eigentlichen Gegenstand der Moral bilden. Sittliche Eigenschaften des Einzelnen, wie Mut, Mäßigkeit oder Sparsamkeit (welche man gewöhnlich als Tugenden charakterisiert) haben als solche jedoch noch keine sittliche Bedeutung. Sie haben nur die Funktion, den Fixierungen, die immer die allgemeine Sittlichkeit zu gefährden drohen, im Einzelnen vorzubeugen. Hegel bestimmt diese sittlichen Eigenschaften, die alles Bestimmte in die Indifferenz der allgemeinen Sittlichkeit aufnehmen, nur als Tugenden, insofern sie mit der konkreten Gestalt eines konkreten Lebens - das heißt eines Lebens ,in und mit und für sein Volk' - verbunden sind. Moral wird so zur Tugendlehre oder zur .Naturbeschreibung der Tugenden' (GW4, 469) nach plutarchischem Modell. Da jedoch nur die Mitglieder des ersten (so genannten edlen) Standes imstande sind, alle Fixierungen des Einzelnen radikal aufzulösen, braucht man auch noch eine Art Bürgermoral. Diese wird dann den bourgeois, den Mitgliedern des zweiten Standes zugewiesen. Letztere fixieren sich sowieso auf Besitz und Eigentum. Hier kann man genau genommen nicht von Tugenden sprechen, gerade deshalb weil die bourgois nicht radikal zur Indifferenzierung der Einzelheiten in ihrem Leben imstande sind. Für sie ist die Kantische Bestimmung der Moralität am besten geeignet. Um beide Arten von Moral auseinander zu halten, nennt Hegel die .Naturbeschreibung der Tugenden' Ethik und behält den neueren Terminus Moral der Moralität den bourgeois

Auch die Erziehung bzw. Erziehungswissenschaft ist ein Teil der absoluten Sittlichkeit bzw. praktischen Philosophie. Beim Kind ist die Totalität des Sittlichen noch ,ein Eingehülltes und Unentfaltetes'. (GW4, 469) Die Sittlichkeit soll hier noch .werden' und die Erziehung ist das fortgehende Aufheben des Subjektiven, welches als das Negative zu begreifen ist. Negativ ausgedrückt hat sie die Zucht und das Bezwingen des Subjektiven zum Zweck; positiv wird das Kind ,an der Brust der allgemeinen Sittlichkeit getränkt', damit es in den allgemeinen Geist übergeht. Zweck der Erziehung ebenso wie der Ethik ist es, das Kind nach dem Wort des Pythagoreers ,zum Bürger eines wohleingerichteten Volkes' zu machen.

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Das Verhältnis der praktischen Philosophie zu den positiven Rechtswissenschaften Wenden wir uns zum Schluss unserem anfanglichen Thema wieder zu, der Verselbständigung der positiven Rechtswissenschaften, die um 1800 an der Tagesordnung war. Hegel urteilt nicht mild über die Selbständigkeit der positiven Rechtswissenschaften, die sich außerhalb der Philosophie hält, sich also ihrer Kritik zu entziehen versucht, aber doch zugleich prätendiert, ,ein absolutes Bestehen und eine wahre Realität zu haben'. (GW4, 421) Letzteres, so lautet Hegels These, ist vom Prinzip her ausgeschlossen: extra philosophiam nulla salus. Hegel hegt zwar keine Bedenken dagegen, dass Wissenschaften selbständig und empirisch sind (wie könnte er auch, ohne ganz unzeitgemäß zu sein?) (GW 4, 418); doch sollen sie mit der Philosophie verbunden bleiben. Dies heißt, dass die Selbständigkeit der Wissenschaften nur relativ sein kann. Doch braucht der Zusammenhang mit der Philosophie nicht bewusst zu sein. Stärker ausgedrückt: die Wissenschaften brauchen nicht ausdrücklich ,νοη der Wissenschaft der Philosophie selbst' auszugehen. (GW4, 417) Nur sollen sie irgendwie - wenn es nicht anders kann, unbewusst und sozusagen intuitiv - mit dem Absoluten und so auch mit der Philosophie verbunden bleiben. Dies scheint vor allem erforderlich, weil sonst immer die Gefahr einer .Verunreinigung mit fixen Begriffen' auf der Lauer liegt. (GW 4, 418) Das ist gerade das Problematische an einer (modernen) wissenschaftlichen Empirie, die sich zwar ständig auf die Erfahrung, d.h. auf Anschauungen beruft, aber faktisch diese doch immer ,in das intellectuelle' (GW 4, 472) erhebt, dies jedoch nicht radikal genug vollzieht, und sich deshalb auf bestimmte, einseitige Begriffe fixiert. Gegen solch eine unvollkommen reflektierte Anschauung, setzt Hegel die so genannte ,alte' (GW4, 428) oder ,reine' (GW4, 420) Empirie (man kann hier an Aristoteles, noch mehr aber vielleicht an klassische Geschichtsschreiber wie Herodot und Thukydides denken), denen es nicht so sehr um wissenschaftliche Unterbauung als vielmehr um die Darstellung und die Architektonik einer .großen und reinen Anschauung' (GW 4, 428) zu tun war. Solche Empirie kann sich zwar nicht auf Wissenschaftlichkeit berufen, aber ist doch mehr der Idee und der Vernunft, und deshalb der Philosophie verwandt, als was sich zeitgenössisch Theorie und Wissenschaft zu nennen pflegt. Schließlich - und so komme ich zu meinem Ausgangspunkt zurück - ist es die Philosophie, die als letzte Richterin über die Wissenschaftlichkeit einer Wissenschaft entscheidet. ,Ob etwas eine subjective Ansicht oder eine objective Vorstellung, ein Meynen oder Wahrheit sey, kann die Philosophie allein ausmachen'. (GW4, 472)17 Wenn deshalb die Rechtswissenschaften sich inzwischen als ,eigene' Wissenschaften konstituiert haben, dann liegt darin nicht das eigentliche Problem. ,Ein guter Teil dessen, was Hegel geht soweit zu behaupten dass, was die Philosophie nicht als reell einzuordnen weiß, nicht wahrhaft in der Erfahrung vorkommen kann.

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positive Rechtswissenschaften heißt, vielleicht das Ganze derselben,' könnte ganz gut ,in die vollkommen entwickelte und ausgebreitete Philosophie fallen', so Hegel. (GW4, 471)18 Auch der empirische Charakter der Rechtswissenschaften, - dass sie in der wirklichen Welt anwendbar sind, ,sich auf individuelle Systeme bestehender Verfassungen und Gesetzgebungen beziehen und einem bestimmten Volke sowie einer bestimmten Zeit angehören' (ebd.) - ist im Grunde unproblematisch. Gerade von der Philosophie darf man erwarten, dass sie auf die Wirklichkeit anwendbar sei und dass ihr Gegenstand .individuell, lebendig und bestehend' ist. (Ebd.) Wie kann man in diesem Zusammenhang noch von positiven Wissenschaften sprechen? Positiv nennt Hegel jetzt eine Wissenschaft dann, wenn sie ,in der Entgegensetzung ist, und Bestimmtheiten festhält, also Gedankendinge oder Dinge der Einbildung für absolut nimmt und seine Grundsätze hieraus nimmt'. (GW4, 472) Solcher Positivität entgegen kann man ganz einfach eine entgegengesetzte Bestimmtheit herausheben und zeigen, dass dieselbe ebenso in der Erfahrung gegeben ist. Für Hegel jedoch geht es vor allem um die Frage - und das ist eine philosophische Angelegenheit - ob das, was in der Erfahrung gegeben ist, in den »absoluten Zusammenhang des Ganzen' (GW4, 483) einzureihen sei oder nicht. Ist dies nicht der Fall, dann soll man von einer (negativ zu bewertenden) Positivität sprechen. Positivität hängt dann nicht so sehr mit dem empirischen Gehalt einer Wissenschaft zusammen als vielmehr damit, dass, innerhalb der Wissenschaft, ein Besonderes außer dem Zusammenhang des Ganzen gehalten, also isoliert und verselbständigt wird; oder aber, dass eine bestimmte Wissenschaft selbst die andere zu kolonisieren versucht. Das Privatrecht, das ein eigenes Prinzip wie etwa den Vertrag, ins Staatsrecht einzuführen versucht, liefert für das letztere ein starkes, von Hegel besonders gerügtes Beispiel. Es ist die Aufgabe der Philosophie, so Hegel, den besondern Wissenschaften die Idee des Ganzen vor Augen zu halten und sie innerhalb ihrer eigenen Grenzen zu halten. Die einseitige Fixierung bestimmter theoretischer Begriffe und die Kolonisierung anderer Wissenschaften betreffen formelle Formen von Positivität, denen gegenüber Hegel sich sowieso polemisch verhält. Das ist nicht der Fall, wenn Positivität den Inhalt einer Wissenschaft betrifft. Wissenschaften können ja auch positiv genannt werden, sofern ihr Inhalt ein Besonderes ist. Diese Art von Positivität gilt es, dem Formalismus gegenüber gerade zu verteidigen. Hier manifestiert sich also wieder Hegels Vorliebe für die Empirie, fürs Geschichtliche, für das in der Anschauung Gegebene. Es ist klar, dass es Hegel nicht um das Empirische als solches zu tun ist. Was ihn interessiert, ist die .sittliche Lebendigkeit des Volkes', die gerade darin besteht, ,daß es eine Gestalt hat'. (GW 4, 484) Keine Gestalt jedoch ist ohne empirische Bestimmtheit, kein Volk ohne Geographie und Geschichte; nicht als etwas Positives im ersten negativen Sinn des Wortes, sondern als ,absolut mit der Allgemeinheit vereint, und durch sie belebt'. 18

,Die bestimmte Wissenschaft ist nichts anders, als die fortgehende Darstellung und Analyse (das Wort im höheren Sinne genommen) wie das, was die Philosophie unentwickelt als eine einfache Bestimmtheit läßt, sich wieder verzweigt, und selbst Totalität ist.' (GW4,471)

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(GW4, 479) ,Und diese Seite', so fügt Hegel hinzu, ,ist auch darum sehr wichtig, damit erkannt wird, wie die Philosophie die Nothwendigkeit ehren lehrt'. (Ebd.) Was die Philosophie uns lehrt, ist also (1) dass es in der praktischen Philosophie zuerst um die konkrete Gegenwart geht (vgl. das Hic Rhodus, hic saltus aus der Vorrede der Rechtsphilosophie)·, und (2) dass die konkrete Gegenwart nur ein Glied in der ganzen Kette der Notwendigkeit der Geschichte ist. Ob dies als säkularisierte Theodizee oder aber als Gelassenheit dem Utopismus eines Völkerstaats oder einer Weltrepublik gegenüber oder als beide zugleich zu lesen sei, lasse ich unentschieden.

KLAUS VIEWEG

Selbstbewusstsein, Skeptizismus und Solipsismus in Hegels Jenaer Systementwürfen I bis III'

1524 hatte ein berühmter in Rotterdam geborener Humanist verkündet, dass er leicht geneigt sei, sich in mancher Hinsicht auf die Seite der Skeptiker zu schlagen. Darauf erging aus dem Munde eines nicht minder prominenten deutschen Theologen folgende unmissverständliche Antwort: , Spiritus sanctus non est Scepticus' - der heilige Geist habe nichts Zweifelhaftes oder unsichere Meinungen in die Herzen der Menschen geschrieben, sondern feste Gewissheiten. Mit dieser historischen Fußnote wird die Richtung der folgenden Überlegungen angezeigt. Auf der Textbasis der Jenaer Systementwürfe I bis III (1803/04, 1804/05 und 1805/06) soll ein durchaus bekannter Hegelscher Gedankengang, der schon vor 1803 von erheblicher Relevanz war, aus einer neuen Perspektive betrachtet werden. Im Vordergrund steht das Verständnis von Negativität im Kontext der häufig vorkommenden Rede von der Gleichgültigkeit und des doppelsinnigen Gebrauchs dieses Terminus. Es dreht sich um die im Stich wort Gleichgültigkeit verborgene, implizite Auseinandersetzung Hegels mit dem pyrrhonischen und speziell mit dem neuzeitlichen Skeptizismus. Hegel versteht den Pyrrhonismus bekanntlich als eine Gestalt des Selbstbewusstseins und sieht im neuzeitlichen subjektiven Idealismus eine neue Form dieser skeptischen Denkungsart} Das Selbstbewusstsein werde als ,alle Realität und Wahrheit ausgesprochen', wobei zwei Hauptvariationen zu unterscheiden sind: a) der Solipsismus (Egoismus), der die Einzigkeit des Bewusstseins eines Ich behauptet (das formal einzelne Selbstbewusstsein) und b) ein transzendentaler Solipsismus (Egoismus), in welchem das Selbstbewusstsein als Ich = Ich, das transzendentale Ich als Ich-heit ,alle Wesenheit und Dasein' ist. Für die erste Variante stehen der ,leere Idealismus' von Berkeley und Hume, für die zweite, höhere Form Fichtes Idealismus der Moralität. Das Selbstbewusstsein wird in seiner Einzigkeit genommen, ist .vollkommen in sich beschlossen'. Alles vermeintliche Anderssein, alle Gegenständlichkeit oder Welt gilt nur als dieses Selbstbewusstsein. Es ist selbst alle Realität, alle Wirklichkeit - alle Dinge gelten als

Vgl. G.W .F. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, in: Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel, Frankfurt/M. 1971, Bd.20, 269-270. Im Historischen Wörterbuch der Philosophie, hg. Von J. Ritter und K. Gründer, Basel/Stuttgart 1972ff. findet sich unter dem Stichwort Solipsismus ebenfalls der Hinweis auf die Verbindung von Pyrrhonismus, Solipsismus und Idealismus (Bd.8,1018,1023).

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Empfindungen und Vorstellungen bzw. als Wollen und Wissen. Hegel begreift diesen pyrrhonischen Gehalt als unabdingbaren Durchgangspunkt für das Denken von Einzelheit und freier Subjektivität. Zwei Aspekte für Hegels Umgang mit der Skepsis sollen vorangestellt sein: Erstens kann festgehalten werden, dass Hegel in den Systementwürfen ab 1803/04 sein Konzept der Aufhebung der pyrrhonischen Skepsis als der ,freien Seite jeder Philosophie' mit erheblichem argumentativen Aufwand fortführt, ein Konzept der Inklusion des Skeptizismus, das in den Arbeiten aus den Jahren 1801 und 1802 programmatisch fixiert und in ersten Ansätzen versucht, aber keineswegs eingelöst wurde. Zweitens ist es für Hegel von zentraler Bedeutung, dass die Inklusion der adaptierten skeptischen Muster nicht nur eine Sache der theoretischen Philosophie ist, sondern die Aufhebung in epistemischer und praktisch-ethischer Hinsicht erfolgen muss. Hegel versucht die Komplementarität von erkenntnistheoretischer und sittlicher Dimension, von theoretischer und praktischer Idee aufzuweisen, dies im direkten Anschluss an die im Skeptizismus-Aufsatz' des Kritischen Journals der Philosophie (1801/02) im Hinblick auf den antiken Pyrrhonismus getroffene Unterscheidung zwischen der Freiheit des Denkens und der Freiheit des Charakters. Im Systementwurf I ist von der theoretisch-idealen und praktisch-realen Konstitution des Bewusstseins, von der rein theoretischen und praktischen Existenz des Geistes die Rede. Die Heraushebung der praktischen Seite scheint durch folgende Punkte gerechtfertigt: Im Zentrum des alten Pyrrhonismus steht ein praktischethisches Axiom - Glück als Ataraxia, als .Meeresstille der Seele'. Die Skepsis des Pyrrhon versteht sich als gelebte Haltung, als ,Wahl eines Lebens oder einer Handlungsweise', wie Sextus Empiricus die skeptische Lebensform beschreibt. Die pyrrhonische Gleichgültigkeit umfasst sowohl die Isosthenia - die Gleich-Gültigkeit bzw. Gleich-Kräftigkeit von Urteilen als auch die Àdiaphoria - den Zustand der Unterschiedslosigkeit der Richtung des Tuns, eine praktische Indifferenz. Aus der Isosthenie resultieren die Aporia als Weglosigkeit, die Aphasia als die Behauptungslosigkeit und die Epoche als Urteilsenthaltung - das ,Dahin-Gestellt-Sein-Lassen' - so Friedrich Immanuel Niethammer in der ersten Übersetzung des Hauptwerkes von Sextus Empiricus ins Deutsche. Aus der praktischen Gleichgültigkeit erwachse die Apatheia - der Weise lasse sich in keine Richtung ziehen, er spüre gar nicht, dass er gezogen wird, er lässt alles dahingestellt sein. Aufhebung des Pyrrhonismus beinhaltet für Hegel die Aufhebung der radikal genommenen pyrrhonischen Freiheit des Denkens und Wollens und die Herstellung einer Kohärenz von Wissen und Lebensform. Die entsprechenden Hegeischen Begriffe sind hier Erkennen und Anerkennen. Die inhaltliche Zielrichtung, die Inklusion von echter Negati vität und Subjektivität sowie die Begründung eines vernünftigen Selbst-Verhältnisses, kann wie folgt formuliert werden: die Bewahrung und Überwindung der im Pyrrhonismus präsenten Tendenz reiner oder bloßer Subjektivität. Vgl: K. Vieweg, Philosophie München 1999.

des Remis. Der junge Hegel und das ,Gespenst

des

Skepticismus'.

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SELBSTBEWUSSTSEIN, SKEPTIZISMUS UND SOLIPSISMUS

Im ,Skeptizismus-Aufsatz' charakterisierte Hegel das Ur-Pyrrhonische als ,Freyheit des Charakters', einer Indifferenz gegen jegliche Objektivität, die jedem Philosophen eigen sein muss. Er muss sich als ein ,Selbst' verstehen, Selbstbewusstsein als diese ,Selbstigkeit' haben. Der Pyrrhoniker hält sich ,in der reinen Negativität, die durch sich selbst eine reine Subjectivität ist'. Seine Affektion soll in keiner Weise ,eine Meynung noch Behauptung über ein objectives Seyn' ausdrücken.3 Mit dieser rein negativen Haltung wird jede Voraussetzung, jede Annahme, aber zugleich auch jeglicher Geltungsanspruch preisgegeben. Beim Verharren in dieser Extremposition, die Hegel auch Eitelkeit' oder ,Egoität' nennt, geht die philosophische Relevanz verloren. Im antiken Skeptizismus manifestierte sich zuerst diese anfängliche, erste Stufe des Selbstbewusstseins, das formale, einzelne Selbstbewusstsein. Dieser alte Skeptizismus gilt als „das Rückkehren in das einzelne Bewußtsein, aber so daß ihm dieses nicht die Wahrheit ist oder daß er sein Resultat nicht ausspricht' ,4 Der alte Skepticus artikuliert so das Dahingestellt-Sein-Lassen oder verharrt in Stummheit.5 Das dem antiken Pyrrhonismus implizite Moment der reinen, bloßen, einzelnen Subjektivität bringt der moderne Skeptizismus auf den Punkt. Diese neuzeitliche Skepsis tritt als Idealismus auf, zunächst als subjektiver Idealismus, der das Selbstbewusstsein oder die Gewissheit seiner selbst als ,alle Realität und Wahrheit ausspricht'.6 Mit der Kernthese: ,Alle Gegenstände sind meine Vorstellungen' wendet sich der Solipsismus als diese erste Version eines subjektiven Idealismus gegen jegliches Voraussetzen von Dingen oder einer Welt, gegen allen Glauben an Realität. Das Prinzip des ,leeren Idealismus' zeige ,in allem Seyn dies reine Mein des Bewußtseyns auf' und spreche ,die Dinge als Empfindungen oder Vorstellungen' aus, indem es dieses reine Mein des η

Bewusstseins ,als vollendete Realität aufgezeigt zu haben wähnt'. Sein ist mein Empfinden oder Vorstellen, die Außenwelt ein Konstrukt meiner Vorstellung. Dieser Idealismus enthalte gleich dem alten Skeptizismus einen inneren Gegensatz, nur dass sich der eine negativ, der andere positiv ausdrückt, beide aber die widersprechenden Gedanken des reinen Bewusstseins als ,alle Realität' und des sinnlichen Empfindens ,als einer gleichen Realität' zusammenbringen wollen.8 Wie der antike Pyrrhonismus ist dieser

Hegel, ,Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie. Darstellung seiner verschiedenen Modifi4

cationen und Vergleichung des neuesten mit dem alten', GW4,197-238, s. 217 und 221-222. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie,

5

in: Werke in zwanzig Bänden, Bd.20,

270. (Hervorhebung vom Verfasser, KV.) Zur Alternative Sprechen - Schweigen, die eine Crux des Skeptizismus darstellt, sind auch andere Stellen Hegels wichtig, u.a. über den Skeptizismus sowie über die Stummheit des moralischen Bewusstseins und die Sprache als Dasein des Geistes (Phänomenologie des Geistes,

GW 9,

119-128 und 324-332). Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, 7 8

Bd.20,270. Hegel, Phänomenologie des Geistes, GW9,136. Ebd.

in: Werke in zwanzig

Bänden,

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KLAUS VIEWEG

moderne Skeptizismus in seinem Wesen ein ,Empiricus', ein Empirismus. W. Windelband spricht in diesem Sinne mit Bezug auf Berkeley von einem »psychologischen Nominalismus'.9 Es handelt sich um ein in der Empirie herumtaumelndes Bewusstsein, das nur die Form geändert hat: was vorher Ding war, gilt jetzt als Vorstellung. Zugleich werde in einem solchen Vorgehen, besonders durch Hume, das Problem der Ding- und der Ich-Identität aufgeworfen.10 Es dreht sich in diesem Kontext um das Problem des Solipsismus, des .metaphysischen Egoismus', das Kant treffend beschrieben hat: ob ich nämlich ,als denkendes Wesen außer meinem Dasein noch das Dasein eines Ganzen anderer, mit mir in Gemeinschaft stehender Wesen (Welt genannt) anzunehmen Ursache habe'. 11 Hegels Konzept der Inklusion der Skepsis - so die Hauptthese - schließt notwendig die Aufhebung des Solipsismus als einer modernen Form der Skepsis ein, und zwar des Solipsismus (Egoismus) in theoretischer und praktischer Hinsicht. Aufzuheben ist ein Idealismus, der die prinzipielle Exklusion der Andersheit lehrt und nur das eigene, individuelle Bewusstsein als vorstellendes und begehrendes anerkennt. Dieses Verhältnis zu sich selbst im Status der ersten Person, dies Ich ist der ,Meister aller Bestimmung', der ,aus12

schließende, affirmative Punkt'. Hegel verweist in diesem Zusammenhang auf das ,Ich des modernen Reflexionsglaubens', worin 13 ,die Einsamkeit der Subjektivität' allein festgehalten und nur sie allein anerkannt werde. Es handelt sich um das einzeln-einzige Selbstbewusstsein, welches theoretisch auf die Vorstellung und praktisch auf die Begierde reduziert ist. Es ist das subjektiv meinende Ich. Jegliches Andere wurde negiert, alle Andersheit ist ohne ,Selbstigkeit', ein Gegenstand, der nicht vom Ich unterschieden ist. Dies begreift Hegel als eine notwendige Durchgangsstufe des Selbstbewusstseins, als einen ersten, unabdingbaren Schritt hin zu einem angemessenen Verständnis seiner selbst. In Hegels Umgang mit dem solipsistischen Prinzip verknüpfen sich somit drei wesentliche Problemfelder: a) die logische Bestimmung der Einzelheit, d.h. der Einheit von Einzelnem, Besonderem und Allgemeinen im Begriff, b) die skeptische Kritik am Außenwelt-Realismus und die Frage der Begründung von Objektivität bzw. Welt, c) das Verhältnis zwischen Selbstbewusstsein und Anerkennung, von Subjektivität und Intersubjektivität. 9

W. Windelband, Die Geschichte der neueren Philosophie. 10

11

12

Bd. 1, Leipzig 1907, 324.

Vgl. dazu K.R. Westphal, Hegel, Hume und die Identität 1998. I. Kant, Anthropologie

in pragmatischer

Dinge, Frankfurt/M.

Hinsicht, Akademie-Ausgabe, Bd. 7 , 1 3 0 .

Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie 349.

wahrnehmbarer

der Religion, in: Werke in zwanzig Bänden, Bd. 16,

SELBSTBEWUSSTSEIN, SKEPTIZISMUS UND SOLIPSISMUS

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Die folgenden drei Abschnitte beinhalten den Versuch, anhand der Jenaer Systementwürfe Hegels Argumentationsgang für die formulierte Hauptthese der Aufhebung des Solipsismus offen zu legen.

Systementwürfe I (1803/04). Das aussagelose und tatenlose Bewusstsein und die ,Freyheit seines Eigensinns' In den Fragmenten 18 und 20, die zur Geistesphilosophie des Systementwurfs von 1803/04 gehören, thematisiert Hegel die absolut negative Seite des Bewusstseins, das Absolutsein des Bewusstseins als eines negativen. Diese Negativität erscheint als eine vom Bewusstsein vollzogene absolute Abstraktion, ein Aufheben des Gegenstandes als eines dem Bewusstsein Ungleichen oder Anderen, als ein Be-freien von aller Einzelheit der Anschauung und Empfindung. Im Bewusstsein werde damit die Bestimmtheit dieser Einzelheiten getilgt, die nur der Allgemeinheit des Bewusstseins angehören (GW 6, 284-285). Alles dem Bewusstsein vermeintlich Gegen-ständige, Äußere ist ein allgemeines, gleichgültiges: ,Jede Form zwischen absolut einzelnen ist eine gleichgültige'. (GW 6, 307, Erststufe) Die einzelnen Sachen, von denen wir ausgehen, sind den Pyrrhonikern zufolge gleichermaßen ohne Unterschiede'. Mit dieser aus der Negation erwachsenen Allgemeinheit des Einzelnen verwandelt sich alle Bestimmtheit, die Welt schlechthin in eine Bestimmtheit des Bewusstseins. Das scheinbar Andere des Bewusstseins erweist sich als das Andere im Bewusstsein selbst. Das Gleichgültigwerden und Befreien erfolgt somit durch das Bewusstsein, durch das Denken, welches diese Allgemeinheit hervorbringt. In der Radikalität haben wir dann ein Bewusstsein von der totalen Unwesentlichkeit und Unselbständigkeit jeglicher Andersheit; es kann nicht mehr in bisherigem Sinne von Gegen-ständigem oder Anderem gesprochen werden. Dies bedeutet auch Freiheit von allem so genannten .Gegebenen', von aller dogmatischen Setzung im Sinne einer inhaltlichen Voraus-setzung, speziell die Vermeidung einer dogmatisch-realistischen Erschleichung einer Außen-weit. Als weitere Resultate dieser abstrakten Negativität ergibt sich zum ersten der Kontrast von Leerheit und der nicht vollständigen Aufhebung des Einzelnen; denn das Andere des Bewusstseins bleibt auch was es war. Das Allgemeine erscheint so nur als Sammlung von Bewusstseins-Fragmenten, Hegel spricht von ,Stücken' und von einer ,empirischen Einbildungskrafff. Das pyrrhonische Bewusstsein versteht sich als ein solches, dem das je Einzelne zu-fällt, alle Bestimmtheit ist zufällig, das Bewusstsein eines Empiricus, der sich nach dem Diesen als ihm je Zufallenden richtet, diese Stücke des Hier und Jetzt in ihrer Gleichgültigkeit nimmt und sich nach ihnen als .Phänomenen' richtet.14

Es handelt sich um die Alleinherrschaft eines blinden Wollens des Diesen.

80

KLAUS VIEWEG

Das Leben wird in unzählige, zufällige Einzelheiten, Er-lebnisse oder Augenblicke, die man erleidet und dann erzählend berichtet, pulverisiert. Empirismus und Egoismus sind laut F. Schlegel zwei Seiten der einen Medaille des Dogmatismus.15 Im Absolutsein des Bewusstseins als eines Negativen ist - so Hegels Befund - Alles jetzt Eines, Einzelnes, Einziges geworden, gewissermaßen die zweite Seite der Allgemeinheit der Einzelheit. Hegel spricht von der ,absolut leeren Einfachheit', der Vereinzelung' und der absoluten ,Einzelnheit'. (GW6, 284) Dies sei ein Moment, durch das der Geist, indem er das Negative, die Einzelheiten der Natur, des Äußeren in sich organisiert, die Totalität des Bewusstseins des Einzelnen wird. Aufgrund der vollzogenen Tilgung alles Objektiven bleibt als Resultat ein rein Subjektives, eine bloße Ich-heit, die sich - mit Fichte gesprochen - nur negativ vorstellen lässt, nämlich als .völlige absolute Einerleiheit', worin keine Verschiedenheit sein kann. Das Bewusstsein macht sich Hegel zufolge selbst zu diesem einfachen Punkt der Sich-selbst-Gleichheit, als Selbst-beziehung auf negative Weise. Diese absolute Einzelnheit in Form dieses absolut einfachen Punktes des Bewusstseins repräsentiert ein unabdingbares Moment der absoluten Subjektivität. Für Hegel ist mit dieser Punktualität aber nur ein abstraktes, nicht das wahre Selbstbewusstsein, nicht die wirkliche Subjektivität konstituiert. Die konsequente Sicht dieser einzelnen Punktualität, Momentanität des Hier und Jetzt als des Diesen, das gemeint wird, impliziert allerdings die Alternative entweder die Welt zum bloßen Schein zu erklären oder mittels verschiedenartiger unmittelbarer Gewissheiten die Objektivität, die Existenz der Welt einfach zu postulieren. Im radikalen Vollziehen des Selbstbezugs sieht Hegel einen notwendigen Durchgangspunkt für die Konstitution von Selbstbewusstsein, einer neuen Philosophie der Subjektivität. In den Entwürfen von 1803/04 erscheint ,dieses formale Seyn des Bewußtseyns' als das formale Absolute, das keine wahrhafte Realität habe. Die Leerheit, die Bestimmungslosigkeit als einzige Bestimmung wird als ,stummes Bewußtseyn' charakterisiert. (GW 6, 285) Damit rückt Hegel indirekt eine Hauptschwierigkeit des Skeptikers in den Blick: die Problematik des Äußerns, des ,Aüsserlichwerdens' - wie es im Systementwurf I heißt (GW 6, 286). Dieses Äußern oder Bestimmen als Überwindung des rein Formalen beinhaltet theoretisches und praktisches Verlassen der Stummheit als des Nicht-Äußerns; Hauptstichworte sind Mitteilung und Tätigkeit, Sprache und Handeln. Dies bildet den Hintergrund, von dem aus Hegels Überlegungen zu Sprache, Arbeit, Familie etc. ansetzen. Das formale Sein der Unendlichkeit als Stille des In-Sich-Seins bleibt zugleich ein ,leeres, wahrheitsloses, wachendes oder schlaffendes Traümen'. (GW 6, 285) Dass hier klare Anspielungen auf die skeptische Tradition vorliegen und dass Hegel in der Jenaer Zeit damit vertraut war, hat Klaus Düsing in seinem Aufsatz über sinnliche Gewissheit mit Bezug auf die antiken Denker Kratylos, Gorgias und Sextus gezeigt. Es handelt sich um die These von der Unmöglichkeit der Mitteilung ei-

15

Vgl. dazu in .Glauben und Wissen' GW4, 317-324.

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nes Wahren, der Unfähigkeit der Sprache, Seiendes zu erfassen.16 Laut Montaigne können die Pyrrhoneer ihre Gedanken in keinerlei Redeweise ausdrücken, sie bräuchten eine neue Sprache. Hegel kennt auch die diesbezügliche Diskussion um 1800. Erwähnt seien hier zwei aufschlussreiche Positionen, die zum skeptischen Umfeld zählen: Niethammers Jenaer Freund, der zum Kreis der Grundsatz-Skeptiker gehörende Johann Benjamin Erhard, hoffte ,mit allen Systemen (und allen Grundsätzen') fertig zu werden' und ,dem Skepticism einen vollkommenen Sieg über alles theoretische zu verschaffen'. Aber das Resultat solchen Hinwegspülens aller Fundamente und Systeme sei eine .fürchterliche Einsamkeit'.17 Allerdings müsse der Solipsist an seiner eigenen Existenz zweifeln, es 18

,bleibt ihm kein denkbarer Begriff von sich'. Die Inkohärenz im Pyrrhonismus bestehe auch darin, dass der .konsequente Skeptiker schon inkonsequent handle, wenn er nur mit jemand spricht und sich die Mühe gibt einen bissen Brot zu essen - er weiß ja nicht, ob es ihn nährt'. Niethammer berichtet Erhard später, dass jetzt ausgerechnet im nach-Reinholdschen Jena eine neue Version des Egoismus (Solipsismus), eine neue Doktrin der .fürchterlichsten Einsamkeit' beträchtliches Aufsehen erregt, ,ein Ichismus, der noch konsequenter als sein verstorbener Vorfahr aber auch noch grundloser und noch abgeschmackter scheint.'19 Erhard, der unter dem Namen des antiken Skeptikers Arkesilas aufritt, hat auch die Kluft zwischen dem Inneren und der sprachlichen Form zugespitzt fixiert: ,Es gibt eine wahre Philosophie, sie lässt sich aber nicht öffentlich vortragen. Von jedem Vorgetragenen kann man niemals wissen, ob es wahr oder falsch ist. Dies kann man nur von dem unmittelbar Selbstgedachten wissen, und sobald man es sich in Worten merkt, hört diese Evidenz auf.' Man könne - so Erhards Schlussfolgerung20- ,nie wissen, ob man etwas weiß, oder nicht weiß, sondern man glaubt es jederzeit.' Das Dilemma, in das die Skeptiker und Solipsisten geraten, wird deutlich: im Unaussprechlichen soll die Wahrheit liegen, nur tragen sie dies in Form der Sprache vor und geraten damit in die vom Zweifel kontaminierte Zone der Reflexion. Sie hätten - mit Hegels Worten gesagt - bei der stummen Gewissheit bleiben müssen, beim inneren Orakel. Der konsequente Skeptiker müsse mit Stillschweigen und Nicht-Denken endigen - so der exzellente Skepsis-Kenner Friedrich Schlegel. Seine romantische Ironie charakterisiert er deshalb mit dem Paradox: , Unmöglichkeit und Notwendigkeit einer vollständigen Mitteilung'.

K. Diising, ,Die Bedeutung des antiken Skeptizismus für Hegels Kritik der sinnlichen Gewißheit', in: Hegel-Studien 8 (1973), 119-130. Brief von Erhard an Niethammer vom 6. August 1794. In: W. Baum, Friedrich Immanuel Niethammer. Korrespondenz mit dem Klagenfiirter Herbart-Kreis. Wien 1995,106. Erhard an Niethammer vom 12. Juni 1794. In Baum, Niethammer 97. Niethammer an Erhard vom 27. Oktober 1794. In: Baum, Niethammer 108. J.B. Erhard an F.K. Forberg vom 7.8.1794. In: Journal fiir Menschenkenntnis, hung und Staatenwohl, Jena 1794,241.

Menschenerzie-

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KLAUS VIEWEG

Im Rekurs auf ihren Gründervater insistieren die Pyrrhoniker auf der Skepsis als gelebter Haltung, als Lebensform, aber Aussage- wie Tatenlosigkeit sind eben auch ein Äußern, ein Inhaltlich-werden. Die Bestimmungslosigkeit ist, wenn auch die einzige, so doch eine Bestimmung. Dahin-gestellt-sein-lassen ist eben auch ein Tun, die philosophische Apragmosyne eine Täuschung. Am Schluss von Fragment 20 wird das Absolutsein des Individuellen als eines solchen als ,Freyheit seines Eigensinns' (GW 6, 296) charakterisiert, auch hier im doppelten Sinn des Eigenen und des Eigensüchtigen. ,[D]er Einzelne kann sich zu disem Punkte machen, er kann von allem absolut abstrahiren, alles aufgeben; er kann nicht abhängig gemacht, an nichts gehalten werden, jede Bestimmtheit an der er gefaßt werden soll, kann er von sich abtrennen, und im Tode seine absolute Unabhängigkeit und Freyheit, sich als absolut negatives Bewußtseyn realisiren.' (Ebd.) Der Gehalt dieses Satzes findet sich an zwei entscheidenden Stellen von Hegels Begründung der praktischen Philosophie sinngemäß wieder - in den §§ 4 bis 7 der Rechtsphilosophie und im Zusammenhang der Erörterungen von Selbstbewusstsein und Anerkennung.

Systementwürfe II (1804/05). Vom gleichgültigen zum wahrhaften Verhältnis Dass in dieser Zeit das Absolute als eine sich selbst erkennende Selbstbeziehung, ein denkendes Selbstverhältnis zum Kernpunkt von Hegels neuer Metaphysik der Subjektivität avanciert, wird kaum bestritten. Was aber möglicherweise stärker pointiert und anhand der Systementwürfe genauer erschlossen werden könnte, ist die von Manfred Baum dezidiert vertretene These, dass die wichtigste Quelle für Hegels Überlegungen zum Relativen und Absoluten der skeptische Haupttropus der Relation bei Sextus Empricius gewesen ist, dass Hegel die Grundbestimmung des Absoluten ab 1802 in Auseinandersetzung mit diesem skeptischen ,Übertropus' gewonnen hat.21 Hegel ist sich darüber im Klaren, dass seine früheren Gedanken über das Absolute eben noch nicht gegen die pyrrhonischen Einreden resistent waren. Den Ausgangspunkt für die Lektüre von Systementwürfe II aus dem genannten Blickwinkel bildet wiederum der ,Skeptizismus-Aufsatz', in dem Hegel eine folgenreiche und auch umstrittene Umdeutung der 5 Tropen des Agrippa beginnt, der eigentlichen Rüstkammer skeptischer Waffen gegen jeglichen Dogmatismus, des eigentlichen spekulativen Karfreitag. Die zentralen Momente dieser Adaption seien kurz zusammengefasst: a) die Aufnahme der Tropen als Argumente; b) die Herstellung einer internen Logik dieser Argumente durch Umstellung der Reihenfolge (3-5-4-2) und der AnordM. Baum: Artikel .Relation', in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. von J. Ritter und K. Gründer, Bd.8, 600. Zu Hegels Interpretation der fünf Tropen des Agrippa s. Vieweg, Philosophie des Remis, München 1999, 144—150.

SELBSTBEWUSSTSEIN, SKEPTIZISMUS UND SOLIPSISMUS

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nung in der Kreisform mit Tropus 1 als Anfangs- und Endpunkt sowie c) die Bewertung dieser Argumente als Argumente der Reflexion, mithin die Feststellung ihrer Unwirksamkeit gegen die neue Philosophie des Absoluten. ,Es kann vom Vernünftigen nach dem dritten Tropus nicht gezeigt werden, daß es nur im Verhältniß, in einer notwendigen Beziehung auf ein anderes ist; denn es selbst ist nichts als das Verhältniß.'22 Bei dieser knappen, nur programmatischen Aussage setzen die ausführlicheren Erwägungen im Systementwurf von 1804/05 an. Der im 2. Tropus fixierte unendliche Progressus, die schlechte Unendlichkeit, bleibt beim Begriff der einfachen Beziehung stehen, bei einem bloß additiven Verhältnis, d.h. die Beziehung auf sich selbst und die Beziehung auf Anderes sind nur durch ,das Und' verknüpft, sie stehen gleich-gültig, gleich-kräftig zueinander. Die schlechte Unendlichkeit gilt als die letzte Stufe einer Unfähigkeit, den Gegensatz auf eine absolute Weise aufzuheben. Das ewige ,Grenze setzen' und .Grenze aufheben' gleicht einer permanenten Addition, deren Summe am St. Nimmerleinstag fixiert werden soll. Die Forderung des Aufhebens des Gegensatz-Verhältnisses werde zwar aufgestellt, aber die Er23

füllung ausgeschlossen, ein Aufgehobensein, das schlechthin nicht realisiert, leer sei. Die Aufhebung der Isosthenie, die Überwindung der Gleichgültigkeit sieht Hegel im Gedanken einer absoluten Relation, eines ,absoluten Gegensatzes' bzw. der ,wahrhafften Unendlichkeit'. (GW7, 33) Das Andere ist das unmittelbare Gegenteil, das es selbst ist, nicht ein Anderes überhaupt, gegen das es für sich gleichgültig wäre. In diesem Zusammenhang spielt Hegel direkt auf Sextus' Epoché an: Der Pyrrhonist formuliert ,das Stillstehn des Verstandes, aufgrund dessen wir etwas weder aufheben noch setzen'. Bei Hegel liest man: ,beydes setzt sich ebenso unmittelbar als es sich aufhebt'. (GW7, 34) Die Frage nach einem Grund der absoluten Relation (4. Tropus) hebe sich selbst auf, denn sie reanimiere den Dualismus, sie bringe beide Seiten wieder in eine .mangelhafte' Beziehung des Und, des ausschließlich Für-sich-seienden, Gleich-gültigen. Beide sind nur in Relation aufeinander, was sie sind, so ist weder das eine noch das andere für sich selbst. Wechselseitig werde somit die Gleichgültigkeit aufgehoben, (s. ebd.) Bei der Annahme eines Grundes im Sinne eines schlechthin Ersten und Unbewiesenen (4. Tropus der Voraussetzung), eines willkürlichen Anfangs bleibt Anderes als , Un vertilgtes', ,Gleich-Gültiges'. Der Pyrrhoniker kann mit gleichem Recht das Gegenteil dieses postulierten Anfangs annehmen. Hegel verweist darauf, dass dieser .willkürliche Anfang [...] absolut viele neben sich hatte', dass dies Vorausgesetzte ein Verhältnis auf das von ihm Ausgeschlossene und damit laut Tropus 3 nicht absolut sein kann. (GW 7, 129). Erst in der konzipierten absoluten Einheit von Einzelnem und Allgemeinem könne die Einzelheit als ein Allgemeines gedacht werden, das ,alle Gleichgültigkeit der Bestimmtheit, und alles Halbebeziehen vernichtet hat.' (GW7, 157, Hervorhebung vom Verfasser, KV) Das ,Halbebeziehen' richtet sich implizit gegen das pyrrhonische Verständnis der Relation, gegen den ,Übertropus'. Die wahre Selbstbeziehung ist kein Hegel,,Verhältniß des Skepticismus zur Philosophie', GW4,220. 23

S.GW7,30-33.

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Gleich-Gültigsein, keine Beziehung, in der gleichgültiges Fremdes eintritt. Die Einzelnen bleiben eben nicht mehr ,unbezogene Gleichgültige'. Im Anschluss daran unterscheidet Hegel innerhalb des Theoretischen zwischen dem vorstellenden Ich, der Monade, und dem denkenden Ich; im Praktischen zwischen praktischer Monade, geprägt von Sehnen und Sollen, und dem praktischen Ich. Das pyrrhonische und solipsistische Einzelne wird somit auf der Ebene der Vorstellung und des Begehrens angesiedelt. Sobald es sich als denkende Ich-heit versteht, verkennt es sich selbst.24 Die Gleichgültigkeit der Bestimmtheiten, der Einzelheiten gegeneinander wird aufgehoben, ,das vorherige gleichgültige Verhältniß wird wahrhafftes Verhältniß' (von Hegel,Geist' genannt), ein denkendes Selbstverhältnis, in dem zum Anderen keine bloß exklusive, keine ausschließende Beziehung existiert. (GW7, 167) Die bloße Negativität des pyrrhonischen Ich wie des solus ipse hingegen bedeute die prinzipielle Exklusion des Anderen.

Systementwürfe III (1805/06) Das Anderslose oder die vollendete ,einsame Existenz'. All-Einheit und Alleinheit Im Systementwurf von 1805/06 konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf den Abschnitt ,b) Willen', in dem Hegel eine nähere Beschreibung dessen bietet, was im ,Skeptizismus-Aufsatz' ,Freyheit des Charakters' heißt. Der Wille gilt als das Für-sichsein, das allen fremden, seienden Inhalt getilgt hat. Als ,Schluß in sich selbst', das ,anderslose', der reine Selbst-bezug, m.a.W. die Selbst-anerkennung des Ich als Einzelnheit, ist für Hegel ein unverzichtbares Moment der Freiheit des Wollens. Bei diesem konstitutiven Prinzip seiner praktischen Philosophie handelt es sich um das einfache Selbstverhältnis des Selbstbewusstseins in Form der Vorstellung, pyrrhonisch gesprochen um die Gewissheit seiner selbst im Sinne von Gleichmut, Ruhe des Ich in sich. Darin manifestiert sich komplementär zur Freiheit des Denkens hier die Freiheit des Wollens, die Ataraxia in Form ursprünglicher Gleichgültigkeit der Philosophie gegen die Welt schlechthin - ,alle Fesseln der sittlichen Welt und hiemit alle Stützen in dieser Welt zu stehn, müssen gefallen sein'. Es handelt sich um die innere Souveränität und Autonomie, die prinzipielle Negation von Welt schlechthin, der freie Schluss in sich, das radikal freie Be-schließen. Die Bewahrung des pyrrhonisch-solipsistischen Prinzips geht - genau wie in theoretischer Hinsicht - mit der Kritik der abstrakten Einzelnheit als purer Negativität einher. Während auf theoretischer Seite die absolute Abstraktion zu einem bloß subjektiv meinenden Ich, zur Beliebigkeit und Eitelkeit des je Meinigen führt - laut Sextus müsse jeVgl. K. Vieweg, ,Der Anfang der Philosophie - Hegels Aufhebung des Pyrrhonismus', in: W. Welsch/K. Vieweg (Hg.), Das Interesse des Denkens. Hegel aus heutiger Sicht, München 2003.

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SELBSTBEWUSSTSEIN, SKEPTIZISMUS UND SOLIPSISMUS

dem Satz des Skeptikers der Satz ,wie es mir scheint' voraufgehen - haben wir hier die anderslose Subjektivität als unbeschränkte Willkür des Einzelnen, die ,Freyheit' als das ,leere, formale' Wollen. ,Es ist in sich beschlossen', ein Für-sich-sein, das allen fremden Inhalt getilgt hat, die Negativität als das alles Andere Ausschließende, nur auf sich selbst Gerichtete. (GW8, 202-203) Die Inhaltslosigkeit ist zwar ein unabdingbarer, aber selbst der einzige Inhalt, die Zwecklosigkeit zwar ein notwendiger, aber selbst der einzige, alleinige Zweck. Dieses solipsistische oder egoistische Prinzip charakterisiert Hegel - nachdem er in früherer Jenaer Zeit von absoluter Egoität sprach - jetzt mit dem Satz: .Seine einsame Existenz ist vollendet' (GW 8, 208, Fußnote 2) Es handelt sich um die absolut partikulare Subjektivität, die All-Einheit als Allein-Sein, die radikale Einsamkeit der Ich-heit. Die Gleichgültigkeit erscheint als Angst der einzig-einsamen Seele vor einer möglichen Existenz der Welt, kontrastiert jedoch durch das Grauen vorm Alleinsein. Die scheinbare Tatenlosigkeit des Pyrrhonikers bleibt bei Sextus ,ansichtslose Unterwerfung' unter das gerade Gegebene. Das Verharren bei der innerlichen Freiheit, der reinen Selbstsucht des Willens, bedeutet nach Hegel die Einnahme eines Standpunktes, wo die Einzelnen gleichsam nicht wahrhaft handeln, nicht wahrhaft Einzelne sind, sie haben ,nur zu wollen'. Impliziert ist die Abwesenheit einer sittlich lebendigen Einheit, die vollkommene Gleichgültigkeit des Lebens. Mit dem notwendigen Denken der Bestimmtheit des Willens, des Einzelnen als Lebendigen beginne dann das ,Herabsteigen aus der Welt des Himmels', die Anerkennung als Überwindung der Gleichgültigkeit, mit Hegels Worten der Übergang vom freien, 25

gleichgültigen Sein der Ich-heit zu anerkennenden Selbstbewusstseinen, vom .Naturzustand' der einsamen Monade zum wahren Selbst-Verhältnis, zur Lebensform der Freiheit. (GW 8, 209-215) Dies gelinge nur auf Grund des Erkennens oder wie Hegel bewusst formuliert - des Anerkennens des Inhaltlichen, Natürlichen, der Bestimmtheit als des Absoluten, des denkenden Selbstbezugs als der Aufhebung des vorstellenden und sehnend-begehrenden und verstandesmäßig-reflexiven Selbstbezugs. In der Einheit von denkendem Erkennen und Anerkennen, eines Systems der Logik und eines Systems der Sittlichkeit, höre das Selbst auf, dies (bloß) Einzelne zu sein. Die Anders- und Weltlosigkeit, die Gleichgültigkeit der Pyrrhoniker und Solipsisten könne auf diese Weise aufgehoben werden. In seiner Wissenschaft der Logik brachte Hegel diese Aufhebung auf den Punkt: ,Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frey ist, ist nichts anderes als Ich oder das reine Selbstbewußtseyn. [...] Ich aber ist diese erstlich reine sich auf sich beziehende Einheit, und diß nicht unmittelbar, sondern indem es von aller Bestimmtheit und Inhalt abstrahirt und in die Freyheit der schrankenlosen Gleichheit mit sich selbst zurückgeht. So ist es AllgeVgl. dazu M. Quante, ,Die Persönlichkeit des Willens und das Ich als Dieser. Bemerkungen zum Individuationsproblem in Hegels Konzeption des Selbstbewußtseins', in: M. Quante/E. Rózsa (Hg.): Vermittlung

und Versöhnung. Die Aktualität

sendes Europa, Münster u. a. 2001.

von Hegels Denken für ein

zusammenwach-

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KLAUS VIEWEG

meinheif, Einheit, welche nur durch jenes negative Verhalten, welches als Abstrahiren erscheint, Einheit mit sich ist und dadurch alles Bestimmtseyn in sich aufgelöst enthält. Zweitens ist Ich ebenso unmittelbar als die sich auf sich selbst beziehende Negativität Einzelnheit, absolutes Bestimmtseyn, welches sich anderem gegenüberstellt, und es ausschließt; individuelle Persönlichkeit [...] absolute Allgemeinheit, die eben so absolute Vereinzelung ist.' (GW 12, 17)

Anhang Relevante Stellen aus den Jenaer Systementwürfen. Hervorhebungen des Verfassers sind durch „KV" gekennzeichnet, alle anderen finden sich im Original. Jenaer Systementwürfe I [...] aber das allgemeine das besondert wird, ist das allgemeine Element des Bewußtseyns selbst [...] es ist in ihm die Bestimmtheit der Empfindung das dieses der Zeit und des Raumes getilgt, und ihre Succession und Koordination erscheint als eine freye, sie ist ganz gleichgültig [KV] für das allgemeine Element [...]. (GW 6,285) Dieses stumme Bewußtseyn ist das formale Seyn in seinem allgemeinen Elemente der Unendlichkeit und nur die formale Besonderung dieses allgemeinen Elements. (GW6,285 f.) Diese Aüsserlichkeit ist zunächst eine ganz allgemeine, gleichgültige [KV]; und ebendarin ist das Bewußtseyn noch nicht darin als für sich selbst [...]. (GW6,285f.) Dieser absolut einfache Punkt des Bewußtseyns ist das Absolutseyn desselben; aber als eines Negativen, oder es ist das absolutseyn des Individuums als eines solchen, als eines Einzelnen [KV]; es ist die Freyheit seines Eigensinns. (GW6,296) Jede Form zwischen absolut einzelnen ist eine gleichgültige [KV] [...]. (GW6,307) Jenaer Systementwürfe II [D]er absolute Widerspruch des unendlichen vertilgt im einfachen das entgegengesetzte, aber das einfache ist nur insofern einfaches, als es diß entgegengesetzte aufhebt, und aus seinem Anderswerden es selbst ist; aber ebenso absolut ist darum das andersseyn, oder der Gegensatz; indem das einfache ist, so ist dieser ihm gegenüber, und das gegen den Gegensatz gleichgültige [KV] für sich seyn des Einfachen wäre ebenso ein gleichgültiges [KV] für sich seyn des Gegensatzes; aber das Einfache und der Gegensatz sind selbst wieder ebenso der Gegensatz; denn jedes ist wesentlich nicht zu seyn was das andere ist [...]. (GW7,36) Diese absolute Einheit der Einzelnheit und Allgemeinheit, oder Ich, ist es darin, daß die Einzelnheit nun, indem sie diß ist, als entgegengesetztes, unmittelbar einfach, oder das entgegengesetzte nur für sie ein aufgehobenes ist; [...] ein allgemeines sich selbstgleiches, das alle Gleichgültigkeit der Bestimmtheit, und alles Halbebeziehen vernichtet [KV] hat. (GW 7, 157)

SELBSTBEWUSSTSEIN, SKEPTIZISMUS UND SOLIPSISMUS

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Die Monade stellt sich die Welt vor, und die Schranke ihrer Vorstellung, das wo sie aufhört, ist das Gegentheil das ihr fremde. [...] ihr Wesen ist die Einzelnheit, das negiren eines Andern, die Ausschliessung [alle Hervorh. KV]. (GW7,158) das Aufheben der Taüschung [...] Das entgegengesetzte ist nur eine Taüschung [KV], d.h. ein Nichts in sich selbst, oder es ist die formale Reflexion [...]. (GW7,161) Das Ich ist als theoretisches, Geist überhaupt, als realisirtes praktisches Ich, für welches die Bestimmtheit selbst absolute Bestimmtheit, Unendlichkeit ist, absoluter Geist. (GW7,165) Das Ganze erscheint, als erstes Moment, passiv, nur auf sich selbst bezogen, sich selbst gleich, und seine Trennung als etwas, wogegen es gleichgültig ist, als absolut zufällig [...] Die geheime Beziehung welche die Theile aufeinander haben, hervortretend, hebt ihre Gleichgültigkeit gegeneinander auf, sie zeigen sich schlechthin nur als ein Verhältniß [...] Das vorherige gleichgültige Verhältniß wird wahrhaftes Verhältniß [...] ein Verhältniß seiner selbst [alle Hervorh. KV] [...]. (GW7,166f.) Das formale Erkennen, als der Krais, der sich von dem unterscheidet, was den Kraislauff macht, ist für sich, in sich geschlossen, gleichgültig gegen die Bestimmtheit seines Innhalts; eine Monade [...] die von ihrer Bestimmtheit nicht afficirt wird, aber die bestimmt ist, indem es ihrer Viele gibt [alle Hervorh. KV] [...]. (GW 7,168) Was also sich im Welt, oder Gattungsprocesse aufhebt, ist diß, daß für die Monade, das Für sich seyn derselben als einer bestimmten, diese Bestimmtheit, die das formale Erkennen mitbrachte, verschwindet [...] Die Selbsterhaltung der Monade ist ihr Negiren eines anderen [...] Ihr Selbsterhalten hebt sich für sie selbst [auf], indem ihr Negiren des andern sich aufhebt [...] das andere wird für die Monade, sie selbst; das Negative ist nicht das Negiren eines andern, sondern das Negiren ihrer selbst als eines wesentlich einzelnen [alle Hervorh. KV] [...]. (GW7,169) Jenaer Systementwürfe III Der Willen ist fürsich&cyn, das allen fremden, seyenden Inhalt in sich getilgt hat; dadurch aber ist es das anderslose [KV\, das Inhaltslose, und fühlt diesen Mangel·, es ist aber ein Mangel, der ebenso positiv ist; (er ist der Zweck; die Form, daß er nur [ÍTV] Zweck ist, ist das mangelnde Seyn [...]. (GW 8,203) Seine einsame [KV] Existenz ist vollendet [...]. (GW8,208) Das fr eye gleichgültige [KV] Seyn von Individuen gegeneinander [...]. (GW 8,214) In dem Anerkennen [KV] hört das Selbst auf diß [ÄTV] einzelne zu seyn; es ist rechtlich im Anerkennen, d.h. nicht mehr in seinem unmittelbaren Daseyn. Das anerkannte ist anerkannt als unmittelbar geltend, durch sein Seyn; - aber eben diß Seyn ist erzeugt aus dem Begriffe-, es ist anerkanntes Seyn [...]. (GW8,215)

WOLFGANG NEUSER

Hegels Naturphilosophie der Jenaer Zeit und ihre Bedeutung für die Systemkonzeption

Die neuzeitlichen subjekttheoretischen Ansätze zur Erklärung des Erkennens haben aus intrinsisch-systematischen Gründen eine Schwierigkeit mit dem Verstehen von Natur. Wenn, wie etwa im Argumentationskonzept von Descartes, das Verstehen von Welt nur aus einem Verstehen des Ich möglich ist und andererseits das Ich die einzige Struktur ist, die wir wirklich erkennen können, dann bleibt in einem radikal formulierten Erklärungsansatz die Natur immer als etwas, das außerhalb des Subjektes situiert und nicht erklärbar ist. Prinzipiell bleibt dieses Problem auch nach den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts bestehen, als das Subjekt nicht mehr nur - wie zuvor - als handelndes Subjekt interpretiert wird sondern als Subjekt, das auf sich selbst reflektiert. Hegels Beschreibung der Natur als ,das Andere des Geistes' eröffnet eine logische Perspektive, die aus dem Widerspruch in der Idee der Natur zu einer Wesensbestimmung der Natur führt. Hegel benennt dieses Problem in einem der Fragmente aus den Vorlesungsmanuskripten von 1803/04 als die Entgegensetzung zwischen dem ,sogenannten Realismus' und dem ,sogenannten Idealismus'.1 Ich zitiere: ,Es ist also ganz auf dem Standpunkte des Gegensatzes, wo sich der sog. Realismus und der sog. Idealismus bilden und sich darüber [entzweyen] entweder ob nemlich diß, daß etwas Farbe ist, im Object oder im Subject in der Seite der Thätigkeit oder der Seite der Passivität des Bewusstseyns gegründet so daß diese beyden Seiten absolut an und für sich bestehen und nicht vielmehr im Bewußtseyn selbst nur als aufgehobene seyen; der erste läßt dem Subject, nur die formale Thätigkeit der Vergleichung der seyenden Ähnlichkeit, der Idealismus der die ideelle Seite des Gegensatzes als das absolut reale, für sich seyende als absolute Substanz betrachtet, dem Object gar nichts. Es ist über einen solchen unvernünftigen Streit eigentlich nichts vernünftiges zu sagen'} Diese Position, die Hegel 1803/04 formuliert, bestimmt zumindest das Problembewusstsein Hegels bereits seit 1801 und bleibt insofern wirksam, als er später bis hin zum Systemkonzept der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse einen Idealismus vertritt, der trotz vieler Beispiele von ,Systemzwang' mit großem Realitätssinn einhergeht. Hegels Frage ist, in welchem Verhältnis Geist und Natur oder Vernunft und Natur oder Subjekt und Objekt zueinander stehen, um nur einige Entge1

GW 6,291.

2

Ebd., 291 f.

90

WOLFGANG NEUSER

gensetzungen zu benennen. In der Differenzschrift von 1801 referiert Hegel dies noch als einen schroffen Gegensatz, der sowohl von Fichte als auch von Schelling so aufgefasst werde. 1803 hat Hegel dann in einem Fragment aus einem Vorlesungsmanuskript zum ersten Mal einen Lösungsvorschlag gemacht, der in der Geschichte der Philosophie herausragend das Verstehen von Natur beschreibt.3 Diese Lösung beschreibt Hegel seitdem im Sinne einer phänomenologischen Darlegung: er reflektiert auf die Bewusstseinsstufen oder Bewusstseinszustände, die einem Verstehen von Natur entsprechen. Ab 1804/05 schließlich betont Hegel darüber hinaus, dass es das Charakteristikum von Natur und einzelnen Naturgegenständen ist, ein dem Geist Entgegengesetztes zu sein. Hegel hebt die phänomenologische Sicht auf eine philosophische Reflexionsebene und interpretiert nun das Anderssein der Natur logisch als Außereinandersein und sagt, die Begriffe von Naturgegenständen hätten dieses Außereinandersein als ihre logische Begriffsbestimmung. Hegel versteht von nun an zunehmend das Gegenüber zur Natur nicht mehr als Geist, sondern als Idee. Anderssein bezeichnet dabei die .phänomenologische' Auffassung der Natur und Außereinandersein ihre .logische' Auffassung.

I. Die phänomenologische Sicht (1801-1803/04) Hegels Problemauffassung und -lösung hängt damit zusammen, wie er die Natur als das Anderssein des Geistes bzw. der Idee auffasst. In der Differenzschrift referiert er Fichte so: ,In der Darstellung und Deduktion der Natur, wie sie im System des Naturrechts gegeben ist, zeigt sich die absolute Entgegensetzung der Natur und der Vernunft, und die Herrschaft der Reflexion in ihrer ganzen Härte.' 4 Die Lösung, die Hegel seit 1803 bis zu seiner Systemkonzeption in den verschiedenen Auflagen der Enzyklopädie (ab 1817) ansetzt,5 beruht darauf, dass die Natur, soweit sie theoretisch erfasste oder philosophisch reflektierte oder wissenschaftlich begriffene Natur ist, immer nur Natur im Reflex des Geistes ist, dass dem aber eine äußere Natur entgegensteht, die gleichsam vom reflektierenden Subjekt hinsichtlich dessen eigener Interessen selektiert wird. In dem Fragment ,Das Wesen des Geistes' von 1803 beschreibt Hegel, dass der Geist sich seinem Wesen nach dadurch bestimmt, dass er sich einer Natur entgegengesetzt findet. Die Aufgabe des Geistes ist es dann, zu sich selbst zu kommen, indem er erkennt, dass die Natur ein ihm entgegengesetztes Anderes ist. Der Geist muss sein Anderssein, die Natur, aufheben. ,Der Geist hebt die Natur, oder sein Andersseyn auf, in-

3

GW5,370.

4

G W 4 , 5 3 , ähnlich auch für Schelling, ebd., 70. Vgl. W. Neuser, ,Das Anderssein der Idee, das Außereinandersein der Natur und der Begriff der Natur', in: W. Neuser und V. Hösle (Hg.), Logik, Mathematik und Naturphilosophie im objektiven Idealismus. Festschrift für Dieter Wandschneider, Würzburg 2004,39-49.

5

91

HEGELS NATURPHILOSOPHIE DER JENAER ZEIT

dem er erkennt, daß diß sein Andersseyn er selbst ist'. 6 In Hegels Vorstellungen wird also der Geist dadurch sich seiner selbst bewusst, dass er sich an seinem Anderen, nämlich der Natur, erkennt. Das würde bedeuten: Sofern der Geist die Natur als sein Anderes interpretiert, interpretiert er sich selbst als ein Besonderes, als etwas, das einem anderen Besonderem, nämlich der Natur, seine Bestimmung verdankt. Dies - so Hegel greift aber zu kurz, denn der Geist selbst ist nicht ein Besonderer sondern das absolut Allgemeine. ,Der Geist, der sich in der Natur findet, ist in ihr als dem andersseyn seiner selbst, eben darum sich selbst ein anderes geworden'.7 In dem der Geist so vollständig sich außer sich selbst gesetzt hat, nimmt er die Position eines Absoluten ein. Umgekehrt wird der Natur der gleiche Status zugeschrieben, weil auch die Natur auf diese Weise nicht mehr als die gegen den Geist bestimmte ist, sondern in sich selbst bestimmt ist: ,Und diß, daß er ausser sich ist, ist daß er Natur ist' .8 Die Natur bestimmt sich so als das Anderssein des Geistes für sich selbst als das sich selbst Gleiche. Die Natur wird gleichsam durch den Geist, der sich von ihr befreit, weil er erkennt, dass die Natur nur die Erkenntnis seiner selbst ist, als ein außer ihm Seiendes zu einem Selbständigen. Nun wird die Natur zur Begrenzung oder zur Schranke des Geistes. Sie tritt gleichsam dem Geist als Ganzes entgegen. Der Geist wird frei, insofern er nun als absoluter der Natur entgegensteht. Damit aber wird eine neue Struktur der Natur deutlich: ,Die Natur an sich selbst ist das andersseyn des Geistes, ist für ihn ein anderes überhaupt, nicht ein Ganzes, nicht eines, nicht er selbst als das andre seiner selbst, in der gemeinen Anschauung, und er selbst in ihr in empirischer Notwendigkeit' ? Die einzelnen Naturgegenstände unter diesen Bedingungen erscheinen als vereinzelte einer Vielheit. Die Natur selbst als eine Einheit ,als das wahrhaffte Ganze derselben bleibt ein unbekanntes, ein Jenseits.'10 Betrachtet man freilich diese Natur in ihrer Ganzheit, so wird man allenfalls eine poetische Anschauung der Natur erreichen. Die Natur selbst, so Hegel, wird auf diese Weise nur zu einem .Symbol der absoluten Lebensbewegung'. Jedoch ,ein Symbol ist nur die versteckte Darstellung derselben'.11 Hegel verweist hier mit Emphase die Vorstellungen 12

**

der Romantik in den Bereich außerphilosophischer Überlegungen. Für ihn ist diese Form der Naturbetrachtung defizient, weil sie nicht dazu kommt, die einzelnen Naturgegenstände unter der Bestimmung des Andersseins der Natur zu erfassen. Deshalb beginnt nach Hegel die eigentliche Erkenntnis oder die Philosophie der Natur erst dann, wenn der Geist in seinem ganzen Inhalte ein Anderes wird und das Erkennen damit auf6

GW5,370.

7

Ebd., 371.

8

Ebd.

9

Ebd., 372.

10

CUJ Ebd.

11

Ebd., 372 f.

12

W. Neuser, .Naturphilosophie und Technikverständnis in der deutschen Philosophie des 19. Jahrhunderts', in: Deutsche Naturphilosophie und Technikverständnis, hg. von K. Pinkau und Ch. Stahlberg, Stuttgart 1998, 33-54.

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WOLFGANG NEUSER

hört, dieses Anderssein als ein Ganzes anzuschauen. Philosophie hat in diesem Erkenntnisprozess zur Aufgabe, jede einzelne Bestimmtheit als ein Außersich anzuschauen. Aber nicht nur die Natur muss in den einzelnen Naturgegenständen in die Perspektive genommen werden, sondern ebenfalls der Geist in den erkennenden Individuen. Der Geist tritt als einzelnes erkennendes Individuum auf den Plan und die einzelnen Bestimmungen werden so als für sich seiend verstanden. Auf diese Weise wird das Individuum 13

,frey von allem', und es ist allgemein, insofern für jedes einzelne erkennende Individuum das Gleiche gilt, nämlich, dass die einzelnen Naturgegenstände über die Auseinandersetzung eines jeden Einzelnen ihm auf die gleiche Weise gegenübertreten. Hegel argumentiert aus der Sicht einer Phänomenologie. Ähnlich wird er in seiner Phänomenologie des Geistes argumentieren.14 In diesem Fragment argumentiert Hegel aus der Perspektive des Geistes, wendet sich aber für das Erkennen der einzelnen Bestimmungen der Natur dem einzelnen Individuum zu. Hegel denkt darüber nach, wie sich das Denken des Andersseins des Geistes für das Individuum auswirkt, wenn es mit Natur konfrontiert wird. In einem weiteren Fragment von 180315 diskutiert Hegel diesen Sachverhalt erneut phänomenologisch aus der Perspektive eines Einzelnen. Die Konstitution des absoluten Geistes vollzieht sich für das Subjekt im Moment des Erwachens des Bewusstseins als Rezeption von einzelnen Bestimmungen der Natur, die als Natur das Andere des Geistes ist. Vor diesem Moment des Erwachens an stellt sich das Subjekt dieser Natur entgegen - Hegel spricht von Entgegenstemmen. .Dieses Stemmen aber gegen jene absolute blinde Macht (i.e. die Natur) ist nur ein Betrug, die Überzeugung, ihr (der Natur) ein Stück ihres Reichtums abgerungen, und eine eigene Sphäre eingerichtet zu haben, ist nur eine Taüschung'.16 Ein sich herausbildendes Bewusstsein, das die Natur als Anderes des Geistes erkennt, muss als ,waches Bewußtseyn' verstehen, dass zwar das Gewebe von Zufälligkeiten und die blinde Macht der Notwendigkeit der Natur sein Entgegengesetztes sind, dass aber nur im Abringen und im Kampf des Subjektes gegen diese Zufälligkeiten sich Geist als eine Beziehung zur Natur überhaupt erst konstituieren. Dabei kann sich kein entgegengesetztes Verhältnis von Einzelnen zur Natur oder zur objektiven Welt einstellen, weil das Individuum in der Natur dieser als Beziehung des Andersseins von Geist und Natur gegenübertritt. Insofern tritt das Individuum einem Allgemeinen gegenüber und erscheint darin selbst als ein Allgemeines. Das Individuum oder der Einzelne lauert gleichsam darauf, wo die Natur als Gewebe von Zufälligkeiten mit seinen eigenen individuellen Zwecken übereinstimmt. Das Individuum betrügt damit die Natur um ihre Eigenständigkeit (ihr Anderssein), in dem es so tut, als würde die Natur sich für sich selbst in ihren dem Geist entgegengesetzten einzelnen Gesetzmäßig13

GW5,373.

14

Vgl. W. Neuser, ,Verstand und Kraft', in: St. Büttner und A. Esser (Hg.), Unendlichkeit Selbstreferenz.

Festschriftßr

Peter Reisinger, Würzburg 2 0 0 2 , 3 9 - 4 9 .

15

GW5,365-369.

16

Ebd., 366. (Einfügungen in Klammern im Zitat vom Verfasser, W.N.)

und

HEGELS NATURPHILOSOPHIE DER JENAER ZEIT

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keiten bewegen, tatsächlich aber bewegt sie sich für das Subjekt, weil eben das Subjekt die Natur zu seinen Zwecken in seinem Bewusstsein konstituiert und danach handelt. In diesem Sinne ist das .Verstehen' einer äußeren Natur aus systematischen Gründen ein Selbstbetrug des Subjekts. Hegel unterscheidet an dieser Stelle zwischen einer inneren und einer äußeren Natur. Die innere Natur ist das, was der Geist als sein Anderes erkennt und an dem er sich abarbeitet. Dies ist die erkannte oder im wachen Bewusstsein präsente Natur - eine Art geistig akkulturierte Natur, die im Bewusstsein konsistent wird. Im Unterschied dazu ist die äußere Natur gleichsam die Foliante oder das Aggregat, aus dem der Einzelne lauernd das herausholt, was seinen eigenen Zwecken dient. ,Und die Zweydeutigkeit der Ansicht des Verhältnisses erlaubt, daß [...] das Individuum zwar nicht in die Speichen der Nothwendigkeit eingreiffe, und ihr Rad rückwärts, oder da und dorthin gehen mache, sondern vielmehr sich stelle als ob er es gewähren lasse, im Grunde aber durch seine Geschicklichkeit ihm seinen Weg mache; äußerlich angesehen sey dieser Weg für sich, und eine Umwälzung des Rades greiffe ununterscheidbar in die andere, aber dieses Aüssere habe ein inneres, und dieses innere sey der Zweck, der Gedanken und Willen des einzelnen; und beydes so vereinigt, daß insofern das erste für sich sey, es dem anderen helffe.' 17 In diesen beiden Fragmenten von 1803 entwickelt Hegel die Vorstellung, die er später in der Phänomenologie des Geistes ausführlich darstellen wird: Es gibt unterschiedliche Bewusstseinsformen, die eine angemessene Naturbetrachtung als zwei Naturen unterscheiden muss: Einmal gibt eine äußere Natur, die dem Subjekt niemals völlig bekannt wird und auf die das Subjekt zugreift. Als äußere Natur verschließt sie sich immer dem Geist und wird als diese äußere Natur in ihrer inneren Konsistenz auf keinen Fall erkannt. Außerdem gibt es eine innere Natur, die sich das Subjekt lauernd der äußeren Natur entnimmt, indem es Zwecksetzungen für seine Teilnahme an den Einzelheiten der äußeren Natur vornimmt. Diese Zwecksetzungen denkt Hegel aus der Perspektive des Subjektes als Zwecksetzungen des Subjektes. Gleichzeitig verbindet Hegel diese Zwecksetzung mit einer Konstitution der Beziehung von absolutem Geist und Natur. Der absolute Geist erkennt, dass er selbst nur er selbst ist, wenn er auch zugleich ein ihm Anderes erkennt. In dem Moment, in dem er dieses ihm Andere, die Natur, als etwas erkennt, das außer ihm selbst ist, setzt er sich selbst zu einem besonderen Geist herab, dem die besonderen Ereignisse der Natur entsprechen. Die besonderen Ereignisse der Natur, die einzelnen Naturgegenstände, aber machen die Natur zu einem dem Geist Anderen, das unabhängig von dem Geist verstanden oder gesetzt wird. 1803/04 hat Hegel dann in einem Fragment, das den Beginn der .Philosophie des Geistes' beschreibt, diesen Überlegungen einen weiteren Aspekt hinzugefügt: nämlich dass die Natur im Räume standfinde und ihre ganze vergangene Geschichte jeweils gegenwärtig bleibe, der Geist in dieser Reflexionstätigkeit aber Zeit oder Prozess sei, eine

17

Ebd., 367.

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WOLFGANG NEUSER

Vergangenheit habe und seine Entwicklung immer wieder vernichte.18 Warum Raum bzw. Zeit als die Grundbestimmtheit von Natur und Geist auftauchen, erläutert er in einem weiteren Fragment.19 Indem die Philosophie in ihrem ersten Schritt den Geist als Idee konstruiert und zur absoluten Sichselbstgleichheit, zur absoluten Substanz gelangt, werden - so Hegel - Tätigkeit und Passivität im Werden absolut gleich. Er beschreibt damit, wie sich zeigen wird, im Grunde den Sachverhalt, den wir zuvor im Zusammenhang mit den Fragmenten von 1803 diskutiert haben, und fährt 1803/04 fort, dass in der .Philosophie des Geistes' das Einssein von Sein und Werden sich in der absoluten Allgemeinheit, in die sich der Geist zurücknimmt, existiert. Der Geist ist aus dieser Perspektive der Philosophie des Geistes gleichsam als Reflexion auf sich selbst bei sich selbst, und die Darstellung seines Werdens ist gleichzeitig auch die Darstellung seines Seins. Diese Allgemeinheit ist als absolutes Werden die absolute Einsheit und als solche real. Der Geist ist in der Darstellung seiner selbst als absolute Allgemeinheit die Einheit zwischen seinem Sein und seinem Werden. Darin drückt sich die Zeitkomponente aus. ,Diese Idee (der absoluten Sichselbstgleichheit) fiel in der Philosophie der Natur absolut auseinander, das absolute Seyn [...] trennte sich von seinem Werden oder der Unendlichkeit, und das Einsseyn beyder war das innere das Verborgene, das im organischen sich heraushebt, und in der Form der Einzelnheit exis20 tirt, nemlich als ein numerisches Eins'.

II. Die logische Wende (1804/05) In den bisher zitierten Fragmenten waren stets der Geist oder das einzelne Subjekt Ausgangspunkt für die Bestimmung dessen, was Natur ist. Der Geist konstituiert sich selbst als dasjenige, das sich der Natur entgegengesetzt findet. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Formen von Bewusstsein. Zum einen ein Bewusstsein, das Hegel einer poetischen Anschauung der Natur zuschreibt. Sie bleibt dabei stehen, die Natur als Ganze zu verstehen und nicht die einzelnen Naturgegenstände. Dem steht ein Bewusstsein gegenüber, das Hegel ,waches Bewußtseyn' nennt, bei dem die einzelnen Bestimmungen der Natur ihrer Bestimmung nach das Anderssein zum Geist ausdrücken. Dies lässt sich nur so denken, dass einer äußeren Natur, die sich dem zwingenden und vollständigen Zugriff des Geistes entzieht, eine innere Natur entspricht, die sich durch die Zwecksetzungen des Subjektes ergibt. Die Natur, sofern sie innere Natur ist, ist die im Denken erfasste Natur, bei der das Subjekt seine Zwecke lauernd in die äußere Natur gesetzt hat. Die Natur, die von einem Subjekt einer Zwecksetzung unterworfen worden ist, ist die Vielheit der einzelnen Naturgegenstände. 18 19 20

GW6,282-288. (Fragment 20 zur ,1. Potenz' der Geistesphilosophie.) Ebd., 268. (Fragment 16: Übersicht von ,111. Philosophie des Geistes') Ebd. (Einfügung in Klammern im Zitat vom Verfasser, W.N.)

HEGELS NATURPHILOSOPHIE DER JENAER ZEIT

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In diesen Beschreibungen der Natur von 1803 und 1803/04 ist bei Hegel die innere Geschichte der Konstitution von Natur als dem Anderen des Geistes ständig präsent. Sein und Werden bleiben in der Natur getrennt und so ergibt sich ihr Einssein als das bloß Innere, als das Verborgene. 1804/05 schließlich hat Hegel die Beziehung von Geist und Natur in der Weise reflektiert, dass er aus der Perspektive der Natur das im Geist Andere darstellen kann. Dabei ergibt sich dieses Anderssein der Natur als Reflexion in sich selbst.21 Die einzelnen Bestimmungen der Natur wird Hegel nun als Bestimmungen, die an sich selbst das Außereinandersein reflektieren, darstellen. Damit geht auch eine Änderung von Hegels Blickwinkel auf diese Sachverhalte einher. Hegel wechselt von einer eher phänomenologischen Sicht zu einer logischen: Nicht mehr Geist und Bewusstsein des Individuums werden analysiert, sondern die Logik (der Begriffe) der Natur. Die Natur selbst wird ihrem Wesen nach als Anderssein begriffen. Das Anderssein ist die Natur. Dies drückt sich in den Systemkonzeptionen seit 1817 als Außereinander der Bestimmungen der Naturbegriffe aus. Das Anderssein ist gleichsam an der Natur verhaftet und äußert sich als Außereinander der einzelnen Naturgegenstände. Ab 1804/05 hat Hegel die Bedeutung der Naturphilosophie für seine Systemkonzeption, wie sie dann auch 1817 ff. formuliert wird, in den wesentlichsten Grundzügen bestimmt, und dazu gehört insbesondere seine Vorstellung vom Anderssein der Natur bezüglich des Geistes und dem daraus folgenden Außereinandersein. Hegel argumentiert, dass die Natur als Anderes des Geistes sich auf sich selbst beziehender absoluter Geist ist und damit zu einem .Moment des realen absoluten Geistes' wird. Sie ist ,sein Übergehen in den sich in diesem Anders als absoluten Geist findenden Geist [...] Die Ansicht der Natur bestimmt sich also so, daß sie nicht bloß als die Idee des Geistes, sondern als Idee [erscheint], die eine Bestimmtheit [...] an sich 22

selbst den Widerspruch dieses Anders, gegen ihr Wesen, absoluter geist zu seyn, hat.' Hiermit hat Hegel die Wendung von der phänomenologischen Sicht auf die Natur hin zur logischen Sicht erreicht. Für ihn ist nun die Natur als Idee, und zwar als eine Idee an sich selbst, die dieses Anderssein, das die Natur aus der phänomenologischen Sicht gegenüber dem Geist hatte, als ihr eigenes Wesen bestimmt. ,Daß sie Geist ist, ist nicht ein inneres, sie ist [nicht] durch eine aüssere Reflexion in sich selbst reflectirt, sondern an ihr selbst, oder wie sie existirt. Ihr Wesen an ihr selbst, ihre Realität ist, daß sie lebendige Natur, in sich reflectirte Unendlichkeit, Erkennen ist, und ihre Materie, oder ihre absolute Sichselbstgleichheit das Leben ist.' 23 Hegel bestimmt die Natur dabei in einem weiteren Schritt so, dass sie als lebendige Natur, d.h. als jene Natur, die dem Geist gegenübertritt, ihre Realität hat. Die Bestimmung der Natur, so wie sie hier in der Naturphilosophie vorgenommen wird, ist das Leben.24 ,Leben nennen wir den absoluten 21 22 23

24

GW7,179 f. Ebd., 179. Ebd., 180 f. W. Neuser, ,Der systematische Ort des Organismusbegriffs und dessen Wandel in Hegels Werk', in: Jahrbuch ßr Hegelforschung, Bd.4/5, 1998/1999, 115-142; und ders., ,Organismus als

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WOLFGANG NEUSER

Geist nach seiner Idee, oder Beziehung auf sich selbst.'25 Indem Hegel Natur als die Bestimmtheit des Geistes als ein Anderes und damit die Form des Andersseins herausstellt, wobei die einzelnen Naturphänomene eben nicht als ein Ganzes da sind, kann er Geist als etwas bestimmen, das sich als Ganzes .nicht in der Natur setzt' und .nicht in ihr real als absolutes Ich' ist.26 Gleichzeitig erscheint das Anderssein der Natur in den bestimmten Einzelheiten einzelner Naturgegenstände. ,Das Andere seiner selbst als Natur ist daher die allgemeine Bestimmtheit des Auseinander, das Element der Quantität, der nicht negativen, sondern positiven Sichselbstgleichheit, oder das Bestehen, die Gleichgültigkeit des sich auf sich selbstbeziehens; eine Entfaltung aller Momente des Geistes, die für sich als einzelne erscheinen'.27 Damit hat Hegel nun auf logischer Ebene vollzogen, was er 1803 bereits als Natur begreift, nämlich dass die Natur durch den Geist erfasst wird und das Andere des Geistes ist, und dass der Geist sich selbst als das Andere erkannt hat. Geschah dies 1803 noch auf der Ebene der phänomenologischen Betrachtung des Geistes, so hat Hegel nun die logische Wendung vollzogen, und Natur ist in ihren einzelnen Bestimmungen logisch erfasst als das Andere ihrer selbst. Dieses Andere ihrer selbst macht das Außereinandersein aus. .Diese Idee der Natur ist nun ihre allgemeine Bestimmtheit gegen den Geist, als das Anders derselben, aber sie ist an sich selbst Reflexion in sich selbst und ebendarum ist sie als die Idee sich selbst Moment, 28 das in sein Andersseyn an ihr selbst übergeht.'

III. Zusammenfassung Hegel bestimmt bereits 1803 die Natur aus ihrem Anderssein gegenüber dem Geist. Damit geht einher, dass die Natur nur als die im Bewusstsein des Subjektes präsente akkulturierte Natur verstanden ist. Natur als äußere Natur entzieht sich zwar zwingend dem erkennenden Subjekt, insofern sie niemals als Natur an sich zugänglich ist, aber diese äußere Natur wird von dem Subjekt partiell dessen Zwecksetzungen unterworfen und so zu einer inneren Natur, die die dem Subjekt zugängliche Natur ist. Dies beschreibt Hegel zunächst aus einer .phänomenologischen Sicht'. Ab 1804/05 indessen interpretiert Hegel das Anderssein der Natur gegenüber dem Geist aus der Sicht der (inneren) Natur. Natur hat nun zu ihrer Wesensbestimmung das Anderssein an sich selbst. Die Bestimmungen sind in der Natur außereinander. Der Widerspruch ist in der Idee (von der Natur) selbst. Hegel wechselt zu einer .logischen Sicht', hin zu einer

Strukturbegriff in Hegels Naturphilosophie', in: O. Breidbach und D.v. Engelhardt (Hg.), Hegel 25 26 27 28

und die Lebenswissenschaften, GW7.181.

Berlin 2002,13-26.

Ebd., 184. Ebd., 184 f. Ebd., 186. (Hervorhebungen im Zitat vom Verfasser, W.N.)

HEGELS NATURPHILOSOPHIE DER JENAER ZEIT

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logischen Beschreibung der Idee der Natur. Diese Perspektive stellt insofern eine Lösung des neuzeitlichen Problems dar, die einerseits der radikalen Auffassung der Natur als einer dem Subjekt strikt Entgegenstehenden einen logischen Ort im Begriff der äußeren Natur zuweist, andererseits mit dem Begriff der inneren Natur einen Erklärungsansatz für Naturverstehen bietet. Natur ist in ihrer Wesensbestimmung als das Andere des Geistes nur als das verstehbar, was sie in diesem Anderssein ist: innere dem Geist akkulturierte Natur.

VIOLETTA L . WAIBEL

Raum und Zeit in Hegels Jenaer Systementwürfen

,Die Wahrheit des Raumes ist die Zeit, so wird der Raum zur Zeit; wir gehen nicht so subjektiv zur Zeit über, sondern der Raum selbst geht über. In der Vorstellung ist Raum und Zeit weit auseinander, da haben wir Raum und dann auch Zeit; dieses „Auch" bekämpft die Philosophie.'1 Mit dieser von Hegel selbst nicht autorisierten Formulierung im .Zusatz' zu dem § 257 der Enzyklopädie von 1830 spricht sich in prägnanter Weise Hegels Suche aus, den intrinsischen Zusammenhang von Raum und Zeit systematisch und spekulativ zu bestimmen. Dass Raum und Zeit in der Vorstellung weit von einander entfernt liegen, leuchtet unmittelbar ein. Dass nicht bloß subjektiv das eine und dann das andere abzuhandeln sei, sondern der Raum selbst in die Zeit übergeht, ist eine Einsicht, die Hegel Schritt für Schritt mit seinen verschiedenen Konzeptionen von Raum und Zeit in Jena herausgearbeitet und in allen drei Fassungen der Enzyklopädie beibehalten hat. Welche Gründe Hegel leiteten, den intrinsischen Zusammenhang von Raum und Zeit, sowie die systematisch richtige Reihenfolge zu treffen, die er bald in der einen, bald in der anderen Richtung erprobt, soll im folgenden gezeigt werden. Hegels Ausgang von Kant hinsichtlich der Raum-Zeit-Konzeption ist unbestreitbar. Gerade weil, wie Hegel sagt, Raum und Zeit in der Vorstellung evidentermaßen so weit auseinander liegen, führt Kant den Nachweis der Idealität der beiden reinen Anschauungsformen in der Kritik der reinen Vernunft separat durch und erörtert die beiden Begriffe einzeln und unabhängig voneinander. Gleichwohl sucht Kant das notwendige Zugleichsein und die radikale Gleichwertigkeit der beiden Formen und der darin anzutreffenden Phänomene in kritischer Absicht gegen Descartes zu erweisen. Er führt dies in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft im vierten Paralogismus und in der zweiten Auflage in der Widerlegung des Idealismus aus. An Kants These sei, ohne nähere Prüfung der Argumente, hier nur erinnert. Kant zufolge bietet die Bestimmung des Verhältnisses von Raum und Zeit und ihrer Phänomene im Rahmen philosophischer Konzeptionen zugleich ein Kriterium zur Unterscheidung eines materialen (dogmatischen) und formalen (transzendentalen) Idealismus. Bekanntlich bezichtigt Kant Descartes des materialen Idealismus, weil er dem coHegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 1830, in: Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K M . Michel, Frankfurt/M. 1986, Bd. 9,48.

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gito eine höhere und gewissere Realität des Gegebenseins zubilligt, als den äußeren Gegenständen. Mithin wäre innere Erfahrung in der Zeit unmittelbar gewiss, äußere Erfahrung beruhte hingegen auf Einbildung und Schein. Die Erinnerung an Kants Descartes-Kritik ist relevant, weil Hegel sich in .Glauben und Wissen' in der Weise mit Jacobi auseinandersetzt, dass er auf Kants Argument gegen Descartes zurückgreift, um dieses Argument affirmierend gegen den .umgekehrten' Cartesianer Friedrich Heinrich Jacobi anzuwenden. Umgekehrter Cartesianer ist Jacobi deshalb in der Sache, weil bei ihm das ,Ich seine Realität und Substantialität von der Materie borge'. Hegel zitiert sehr ausführlich Kants Überlegungen zur Widerlegung des Idealismus und unterstreicht dessen These, wonach zur Erfahrung etwas erfordert sei, ,an dem sich der Wechsel der Zeit als an etwas beharrlichem bestimme, und dieß Beharrliche ist die Materie und zwar als ein apriorisches; und Substantialität ist diese in Beziehung auf Erfahrung bestimmte Beharrlichkeit in der Zeit'. Hegels Kritik an Jacobis empiristisch gefärbter Spinoza-Kritik orientiert sich argumentativ wiederum an Kant, wenn er Jacobi völliges Unverständnis dafür vorhält, dass Ideen der Vernunft ihrem Inhalt nach radikal außerzeitlich vorgestellt werden müssen, auch wenn sie selbst im Bewusstsein, also in der Zeit gedacht werden. Jacobi begreife daher auch nicht, dass die Formen von Raum und Zeit bei Kant nicht anders als ideal bestimmt sind und dennoch die in Raum und Zeit wahrgenommenen Gegenstände nicht ideal, sondern empirisch real sind. Indem sich Hegel im Hinblick auf die Konzeption von Raum und Zeit derart in den Rahmen des Kantischen Reflexionsdenkens einschreibt, affirmiert er Kants These der Idealität von Raum und Zeit bei gleichzeitiger empirischer Realität der Erscheinungen in Raum und Zeit. Er affirmiert auch die These der radikalen Gleichwertigkeit von Raum und Zeit hinsichtlich der Erscheinungen in ihnen. Doch werden Raum und Zeit zur Vernunft in Beziehung gesetzt, wird ihre Wertigkeit asymmetrisch. Das arbeitet Hegel in Jena heraus. Für das dialektische Denken Hegels im Ausgang von Kants Antinomienlehre und in Abgrenzung zu ihr darf überdies die Bedeutung der ersten beiden mathematischen Antinomien der Kritik der reinen Vernunft nicht vergessen werden, wie sich bereits in dem ,Systemfragment von 1800' abzeichnet.4 Anders als für Kant ist die

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Hegel,,Glauben und Wissen', in: GW4,366. Ebd. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 1, 419-427. - Christoph Bouton diskutiert in seiner ausführlichen und gründlichen Arbeit, Temps et esprit dans la philosophie de Hegel. De Francfort à léna, Paris 2000, die vielfaltigen Auseinandersetzungen Hegels mit Jacobi, Hölderlin, Aristoteles, Schelling, behandelt jedoch dessen Auseinandersetzung mit Kant auffallend marginal. So wäre eine Untersuchung der Bedeutung der 3. Antinomie und ihrer Koexistenzbehauptung der Zeitlichkeit des Naturmechanismus mit der Zeittranszendenz der Freiheit zu erwarten. Erstaunlich ist auch, dass hinsichtlich der Frage des Seins der Zeit Piaton und Augustinus als grundlegend für Hegels eigene Konzeption genannt werden, nicht aber Kant, der sich damit bekanntlich haupt-

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Frage der Reihenfolge der Behandlung von Raum und Zeit und damit die Frage des inneren Begründungszusammenhangs für Hegel von eminenter Bedeutung. Dass Kant an keiner Stelle ihren konstruktiven Zusammenhang entwickelt hat, ist aus der Perspektive Hegels ein zentrales Desiderat, das er in je neuen Ansätzen in der Habilitationsdissertation sowie in den drei Fassungen der Jenenser Vorlesungsmanuskripte zum .System der Philosophie' zu füllen sucht. Diese vier voneinander manchmal dramatisch unterschiedenen und aufeinander aufbauenden Raum-Zeit-Konzeptionen sollen nun im einzelnen vorgestellt werden.

1. Raum und Zeit in der ,Habilitationsdissertation' ( 1801 ) Hegel versteht seine Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum ausdrücklich als eine philosophische Abhandlung über physikalische Gegenstände, deren mathematische Betrachtungsweise es durch die Vernunft zu untersuchen gilt. Hegel warnt vor der unhinterfragten Verbindung der Physik mit der Mathematik und der unkritischen Verwechslung ihrer Gründe. Da die Gegenstände der Physik in Raum und Zeit zugleich situiert sind, muss auch in ihrer Erkenntnis beides verknüpft sein. Aber, die Geometer abstrahieren von der Zeit, die Arithmetiker vom Raum. In der höheren Geometrie des Infinitesimalen sind Raum und Zeit zwar als Einheit präsent, jedoch nur negativ, durch den Begriff des Unendlichen. Hegel betont infolgedessen, dass die mathematische Erkenntnis klar von der physikalischen zu trennen sei, und eine mathematische Realität zwar möglicherweise, aber nicht notwendig auch eine physikalische sei. Das mathematische Verfahren im eigentlichen Sinne beruht auf Begriffen und abstrakten Anschauungen, die möglicherweise ein Äquivalent in den beobachtbaren und messbaren Größen der Natur haben. Das physikalische Verfahren beruht auf empirischer Erfahrung und Beobachtung. Das philosophische Verfahren ist nun ein solches, das die Entzweiungen und einseitigen Abstraktionen der vorigen bemerkt, kritisch prüft und durch die Einsicht der Vernunft korrigiert.5 sächlich in der transzendentalen Ästhetik der Kritik der reinen Vernunft auseinandersetzt (vgl. Bouton, 198-201). Vgl. Hegel, Dissertatio Philosophica de Orbitis Planetarum. Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von W. Neuser, Weinheim 1986, 4 und 5 (hier wie im Folgenden wird Neusers Übersetzung zitiert, die parallel zur Paginierung der lateinischen Originalfassung angeordnet ist, die sich auch in den .Texten zur Habilitation (1801)' in: GW5, 221-253 aufsuchen lässt). - Die Frage, ob Hegels Ansatz die Extension pyhsikalischer, mathematischer und philosophischer Erkenntnisse genau gegeneinander abzugrenzen und dank ihrer kritisch die (vorgebliche) Konfusion der Erkenntnisbereiche in den astronomischen Resultaten Keplers und Newtons aufzudecken, grundsätzlich überzeugen kann, muss hier offen bleiben. Vgl. hierzu jedoch die instruktive Einleitung von Wolfgang Neuser. Vgl. ferner den Versuch der Rehabilitation von Hegels Dissertation im Beitrag von C. Ferrini, ,Οη the Role of Newtonian Mechanics and Philosophy of

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Im Licht dieser Intention sind auch Hegels Überlegungen zu den Begriffen von Raum und Zeit in der Dissertation zu lesen. Bei einer methodischen Zwischenüberlegung zur Untersuchung der Mechanik des Himmels unterstreicht Hegel gemäß der Programmatik der Differenzschrift, dass eine Mechanik, die sich nur auf äußere Ursachen einlasse, die Natur nicht vernünftig begreifen könne und daher nicht zum Prinzip der Identität vorzudringen vermöge, das in sich zugleich Verschiedenheit setze.6 Daher sollten nun aus dem Gesichtspunkt der Philosophie die Elemente des Planetensystems und unter ihnen Raum und Zeit in Kürze entwickelt werden. Zu diesem Zweck unterscheidet Hegel das objektive Moment der Schwere der Materie mit den zwei Polen an den Enden der so genannten Kohäsionslinie von ihren idealen subjektiven Momenten oder Polen, den beiden Potenzen Raum und Zeit. Somit ist für Hegel der Körper real als Erscheinung einer physikalischen Kraft und zugleich ideal als Darstellung einer wahren Idee in Beziehung auf Raum und Zeit.7 Die von Hegel untersuchten realen Unterschiede der Planeten als Körper der Schwere und ihre bloß idealen mathematischen Bestimmungen der Schwerkraft müssen hier übergangen werden. Die idealen Unterschiede von Raum und Zeit werden als Potenzen des Subjektiven (Zeit) und des Objektiven (Raum) verstanden. Vom Objekt ausgehend betrachtet Hegel zunächst die Materie als Raum, der erfüllt ist, dem aber in dieser Hinsicht die Form, das Subjektive fehlt. Hegel schreibt: ,Raum und Materie sind nichts anderes als der abstrakte Begriff des Objektiven: Um den physikalischen oder realen Begriff der Materie zu erkennen, muss er auch unter die Form der Subjektivität gestellt werden' .8 Die Form der Subjektivität ist die Form der Zeitlichkeit. Diese soll nun den Übergang vom abstrakten zum realen Begriff der Materie gewährleisten. Die abstrakt gedachte, den Raum füllende Materie ist als bloß dicht und ruhend gedacht. Das reale Erfülltsein der Materie impliziert, die Widerständigkeit der Materie in ihrem Begriff mitzudenken. Aber die Widerständigkeit der Materie bleibt ihrerseits negativ und leer, solange sie nicht durch den Begriff der Veränderbarkeit gedacht wird. Veränderung ist aber ohne Zeit gar nicht zu denken. Die Konstruktion der Form wird nun dadurch auf den Weg gebracht, dass die einfachste aller Formen, nämlich ein Punkt im abstrakten Raum der Vorstellung, also subjektiv in der Zeit gesetzt wird. Der in der Vorstellung gesetzte Punkt erfährt durch die Zeitform des Geistes Veränderung nun dadurch, dass er im Geist gesetzt und auf den abstrakten Raum projiziert wird, wo er sowohl fixiert wird als auch gleichzeitig aus dem Zeitpunkt schwindet und in einen neuen eintritt. Der Punkt dehnt sich so zur Linie aus und bringt Veränderung in den beiden Potenzen des Entstehens und Vergehens zur Nature in the Genesis of Hegel's Dialectic', in: Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit,von M. Bondeli und H. Linneweber-Lammerskitten, München 1999,197-224. Vgl. Hegel, Dissertation, 23; vgl. auch Differenzschrift, GW4,18. Vgl. Hegel, Dissertation, 24. Ebd., 26.

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Darstellung. Durch die bloße Setzung des Punktes durch den formbildenden Geist und der Projektion auf den abstrakten Raum werden Raum und Zeit in einer inneren Konstruktion verknüpft, und der abstrakte Raum verwandelt sich in einen konkreten. Obwohl Hegel also von der philosophischen Untersuchung der realen physikalischen und idealen mathematischen Momente der Schwerkraft der Himmelskörper zum Begriff der Materie überleitet und daher von elementaren Raumbestimmungen ausgeht, um endlich den realen Begriff der Materie mit Hilfe der Bestimmung der Zeit zu konstituieren, spricht er nicht von einem Übergang des Raumes zur Zeit, sondern umgekehrt und " 9 ausdrücklich von einem ,Ubergang der Zeit in den Raum'. Die These des Übergangs von der Zeit in den Raum bestimmt sich zugleich als Übergang von der Abstraktion (auch derjenigen der Mathematiker) in die Konkretion, der in den Horizont von Schellings Forderung nach Identität von Objekt und Subjekt gestellt ist. Hegel führt die Konstruktion und Identitätssetzung der Inkommensurabilien Zeit und Raum nun gedanklich fort: ,Die andere der Potenzen aber, der Geist, der sich nach vollzogener Abstraktion vom Raum ständig selbst erzeugt, ist die Zeit, und soweit sie diese ihre Erzeugung auf den Raum bezieht, schafft sie die Linie. Und die Linie ist der Geist, soweit er sich selbst - allerdings in der subjektiven Gestalt - erzeugt und in sich offenbar wird: (Die Linie) gibt sich die vollkommene und natürliche Gestalt, indem sie in ihr Gegenteil oder den Raum übergeht und die Fläche konstituiert, der jeder andere Unterschied fehlt, weil wir keinen anderen Unterschied als den der Ausdehnung und des Geistes selbst gesetzt haben; und diese Fläche ist ein Quadrat.10 Da der Begriff der realen Materie den Aspekt der Möglichkeit der Veränderung, also Zeitlichkeit fordert, wird der Punkt als Gestalt der Veränderung und damit als Gestalt nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum begriffen. Veränderung in den beiden Potenzen des Entstehens und Vergehens lassen sich begreifen als Erzeugung von Identität aus der Differenz und der umgekehrten Erzeugung einer neuen Differenz aus einer bestehenden Identität. Der vom Raum abstrahierende Geist erzeugt sich selbst als Wechsel von Identität und Differenz. Mit dieser Konstruktion ist der Punkt als dasjenige Moment entdeckt, das den Umschlag zwischen Raum und Zeit zu konstruieren erlaubt. Der Punkt als Scharnier zwischen Raum und Zeit ruft die innere Logik von Kants zweiter Antinomie der Kritik der reinen Vernunft auf den Plan, in der die Frage der Teilbarkeit oder Unteilbarkeit der Materie diskutiert wird. Hegel stellt der Kantischen Unversöhnlichkeit einer empiristischen Atomenlehre kleinster Partikel mit der rationalistisch gedachten unendlichen Teilbarkeit der einfachen Materie gegen den Nullpunkt eine Synthese entgegen, die den Raumempirismus mit dem Zeitrationalismus konfrontiert und durch den Gedanken der Veränderlichkeit der Materie deren Synthese als notwendige denkbar macht.

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Vgl. ebd., 27. Ebd.

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2. Das »System der speculativen Philosophie' von 1803/04 In der Fragmentensammlung aus den Vorlesungsmanuskripten zum .System der spekulativen Philosophie' von 1803/04 werden Raum und Zeit, von marginalen Erwähnungen abgesehen, nicht im Kontext der Naturphilosophie, sondern im Kontext der Geistesphilosophie abgehandelt. Dies dürfte dem fragmentarischen Zustand der Überlieferung geschuldet sein, da eine Konstruktionen der Begriffe von Raum und Zeit und ihren Dimensionen im Kontext der Naturphilosophie entsprechend den Systementwürfen II und III von 1804/05 und 1805/06 vermutet werden darf, auch wenn die entsprechenden Passagen nicht überliefert sind.11 Suchte Hegel in der Dissertation den inneren Zusammenhang, oder, mit seinen Worten, die Identität der Inkommensurabilien Raum und Zeit zu durchdenken, so ist es im Kontext der Sytementwiirfe I von 1803/04 sein Ziel, die Bedeutung der Konstruktion der Begriffe von Raum und Zeit für die Genese des Bewusstseins im Rahmen einer Argumentation zu bestimmen, die als eine Vorstufe zur Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins' im Sinn der Phänomenologie des Geistes von 1807 gesehen werden kann. Raum und Zeit gelten hier als Formen der Existenz des Bewusstseins, das als Mitte antinomischer Entgegensetzungen konstruiert wird. In Fragment 18, das in dem Systementwurf von 1803/04 zur ,Philosophie des Geistes' gehört, benennt Hegel drei Potenzen des an sich völlig freien, dann aber zu bestimmten Formen der Existenz sich selbst bindenden Bewusstseins. Die drei Potenzen sind Sprache, Werkzeug und Familiengut auf der objektiven Seite des Bewusstseins, sowie Gedächtnis, Arbeit und Familie auf der subjektiven Seite. In Fragment 20 untersucht Hegel dann die Genese von Sprache und Gedächtnis als erste Potenz der Existenz des Bewusstseins in Beziehung auf Zeit und Raum. Hegel hat dabei drei Entwicklungs12

stufen im Blick. Die erste ist die der Einzelnheit der Empfindung im Verhältnis zur Allgemeinheit des Begriffes, sowie der erfüllten einzelnen Stücke von Raum und Zeit in Beziehung zu ihrer negativ unendlichen Kontinuität. Die zweite Stufe erlaubt die UnterIm Jenaer Vorlesungsverzeichnis kündigt Hegel für den Winter 1803/04 und den Sommer 1804 auch Naturphilosophie an (vgl. H. Kimmerle, .Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit (1801-1807)', in: Hegel-Studien 4 (1967), 21-99,54). Vgl. Bouton 2000, 118, der mit der Zeitlichkeit in der Geschichte als Darstellung des absoluten Geistes eine vierte Stufe hinzuzählt, indem er das Fragment Zum Ende des Systems hinzunimmt. In der Untersuchung Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels ,System der Philosophie' in den Jahren 1800-1804, Bonn 1970, 249, unterstreicht Heinz Kimmerle die herausragende Bedeutung der Darstellung der drei Potenzen Sprache, Werkzeug und Familiengut und sieht in ihr den ältesten Kern zu Hegels .Philosophie des Geistes'. Mit der Herausarbeitung des Bewusstseins als Mitten zwischen den Dingen und dem Subjekt leite Hegel eine Wende in seiner Denkentwicklung ein, die ihn der Transzendentalphilosophie Kants und Fichtes wieder stärker annähere (vgl. ebd., 259 und 260) und mit der eine Abwertung der Naturphilosophie zugunsten der Geistphilosophie einhergehe, deren architektonischer Umbau in der Systemkonzeption von 1805/06 durchschlage (vgl. ebd., 35 und 36, ferner 162).

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Scheidung der erfüllten Einfachheit von Zeit und Raum von ihrer Leerheit, wodurch die Modalunterschiede wirklicher und möglicher Vorstellung erreicht sind, die jedoch erst durch stumme, bloß subjektiv geltende Zeichen zur Darstellung gelangen. Die dritte Stufe besteht im Übergang von den stummen Zeichen der Vorstellung zu den Zeichen, die Hegel ,Namen' nennt, und durch die allererst ,Denken' durch die Bildung von Gedächtnis und Sprache möglich wird. Hegel zeichnet hier die Zeit in eminenter Weise vor dem Raum aus, da das bewusste Erfassen ihrer Struktur im Ge-dachten durch Gedächtnis die Entwicklung des menschlichen Geistes als Denken wesentlich vorangebracht habe. Leitend ist Hegels These, dass die sinnliche Anschauung nicht bloß Vorstellungen von Dingen im Raum generiert, sondern bereits zu einfachen Abstraktionen von Raum Vorstellung fähig ist, während die Zeit nicht eigentlich angeschaut wird, sie ist ein ewig Entschwindendes. Daher fordert die Erzeugung ihres Begriffes eine höhere, zur Abstraktion im Denken fähige Stufe der Vorstellungen. In der Fähigkeit, einen abstrakten Begriff der Zeit zu generieren, sieht Hegel den Grund für die Ausbildung eines Gedachten im Gedächtnis und in der Sprache, der schließlich die Formen der Vernunft und der Idee ermöglicht. Die Stufen des Werdens des Bewusstseins stellt Hegel aus der Perspektive einer philosophischen Metareflexion dar, das heißt, im Stil der Phänomenologie des Geistes von 1807 verwendet er Begriffe und Differenzierungen, über die das werdende Bewusstsein selbst noch nicht verfügt. Die erste Stufe ist bestimmt von der in der Anschauung erzeugten Mitte durch das Vermögen der empirischen Einbildungskraft. Ihre Gegenstände sind in der Empfindung gegeben, deren wesentliche Ermöglichungsbedingungen Zeit und Raum sind. Die Empfindung manifestiert sich als Einzelnheit, die zudem ein Ideelles ist, sofern sie auf ein Anderes außer ihr, das Allgemeine im Begriff bezogen ist. Die Einzelnheit der Empfindung der empirischen Einbildungskraft bezieht Hegel in seiner philosophischen Metareflexion folgendermaßen auf die Begriffe von Zeit und Raum: ,die getrennte Unendlichkeit in der unmittelbaren Existenz ihres Begriffes, ist Zeit und Raum, und das Bewußtseyn schaut unmittelbar in Raum und Zeit an, im Räume das Einzelne als ein bestehendes, und sein Andersseyn ausser ihm, aber indem es zugleich in der Zeit gesetzt ist, so ist es als ein vergängliches als ein an ihm selbst ideelles, nicht mehr seyendes, indem es ist; nicht daß es nur in der Zeit vorübergeht, sondern daß es mit der Reflexion gesetzt ist, als in der Zeit seyend.'13 Offenkundig ist die Subjekt-Objekt-Identität von Zeit und Raum, die die Überlegungen in der Dissertation leitete, der Sache nach, aber nicht mehr terminologisch und im Detail präsent. Sofern nämlich Empfindungen subjektive Bewusstseinszustände sind, weisen sie zugleich über sich hinaus auf das, was durch sie als Objekt repräsentiert wird, und was sie zu ,einzelnen bestimmten, d.i. erfüllten Stücken der Zeit und des Raumes' macht.14 Die Einzelnheit und Vereinzelung der erfüllten Stücke von Zeit und Raum weisen auch über sich hinaus auf ihre positive Allgemeinheit in der

13 14

Hegel, GW 6,283. Ebd., 284.

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Anschauung der Kontinuität von Raum und Zeit, noch nicht auf ihren Begriff und seine negative Unendlichkeit. Die zweite Stufe der Existenz des Bewusstseins besteht in Zeichen, denen noch nicht die Qualität von Begriffen zuzuschreiben ist. Die angeschaute Einzelnheit, die zunächst eine erfüllte ist, ist, sofern sie als Verschwundene erfahren wird, leer und ihre bloße Möglichkeit. Das Dieses und Jetzt weicht einem Ehemals und Andernorts. Das vormals in Raum und Zeit real Angeschaute ist hierin nur mehr subjektiv, das sich, wie Hegel unterstreicht, der ,Form des abstracten reinen Begriffs der Unendlichkeit unmittelbar als Zeit und Raum' verdankt.15 Die verschwundene Empfindung, das nicht mehr vorhandene .Dieses' existiert im Bewusstsein als freie Sukzession und Koordination, dann nämlich, wenn Stücke der sinnlichen Anschauung erinnernd reproduziert werden. Eine solche Sukzession und Koordination ist nach Hegel deshalb frei zu nennen, weil sie frei von der Bindung an Objekte ist und weil sich zudem ihre innere Ordnung frei formieren kann. Hegel nennt den so beschriebenen Zustand des Bewusstseins ein fremdes Sein desselben, dem keine wahre, sondern lediglich eine subjektive Realität zukomme. Dieses Bewusstsein ,ist nur als Form des abstracten reinen Begriffs der Unendlichkeit unmittelbar als Zeit und Raum [...] ein leeres, wahrheitsloses, wachendes oder schlaffendes Traümen [...], indem das Bewußtseyn in den animalischen Organismus zurükfällt, und nur als sein Begriff ist'. 16 Mit diesem Gedankenexperiment steht ein Bewusstseinszustand im Blick, in dem ein Wechsel zwischen einer wirklichen sinnlichen Anschauung und einer diffusen, nichtintentionalen Erinnerung stattfindet, der in beiden Zustandsformen notwendig auf die unhintergehbaren Anschauungsformen von Zeit und Raum bezogen ist. Die Mitte zwischen der realen, erfüllten Anschauung und der subjektiven bloßen Möglichkeit des Abwesenden wird durch stumme, subjektiv willkürliche Zeichen vorgestellt. In diesem Gedankenexperiment reflektiert Hegel die Differenz der erlebten RaumZeitlichkeit und einer solchen Erinnerung derselben, die noch nicht die Selbständigkeit und Freiheit des Begriffs erreicht hat. Das Erleben ist notwendig ein Gebundenes, das Erinnerte ist einerseits frei, aber bleibt doch auch gebunden an das vormalige Erleben. Die im .Zeichen' existierende Mitte zwischen gebundener Erfahrung und freier Willkür hebt Etwas aus dem gegebenen Kontext durch sein Bezeichnen heraus. Das so Bezeichnete wird aber aus dem lebendigen Zusammenhang in Raum und Zeit herausgelöst, ideal gesetzt und vereinzelt, also ohne seinen wahren Zusammenhang gezeugt. Das Zeichen und das Bezeichnete, das Hegel hier im Blick hat, entspricht offenbar der bei Kant anzutreffenden Synthesis der Apprehension und Reproduktion, also der Identifikation von Eigenschaften oder Dingen durch das zeitgenerierende Bewusstsein, ohne dass ihnen jedoch die Beständigkeit und Eigenständigkeit der Fixierung in der Rekognition des Begriffs verliehen wäre. Im subjektiv willkürlichen Zeichen zeigt sich für Hegel ein

15 16

Ebd., 285. EU Ebd.

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vorläufiges Bestehen, das in der bloßen Idealität des Bewusstseins zu finden ist, und das für die Generierung des höheren begrifflichen Bewusstseins relevant ist. Das Bewusstsein tritt mit der Sprache in die dritte Stufe ein, für die Hegel fordert: ,Diese stumme Bezeichnung muß die Indifferenz des Bestehens der idealen Glieder absolut aufheben' .1? Die geforderte Aufhebung der Indifferenz unter den wiedererkannten angeschauten Gegenständen vollzieht sich durch den Umschlag von der bloßen zeichensetzenden Anschauung hin zum Gedächtnis durch die Sprache. Die intendierte Pointe mit Hinblick auf Zeit und Raum wird durch eine Überlegung in Fragment 13 zur Philosophie des Organischen und dem tierischen Bewusstsein vorbereitet. Hegel rekonstruiert dort den Prozess der Empfindung als einen theoretischen Prozess und stellt fest: ,Das Gesicht hat es mit nichts körperlichem als solchem, mit seiner reinen Idealität, d.i. als aiisserer Gestalt, und mit dem absoluten Begriffe in seiner Abstraction als Zeit, die sich auf Raum bezieht, der Bewegung und Farbe [zu tun]. Im Gesicht ist das Thier bis zur letzten ihm möglichen Abstraction der Natur gedrungen. Es ist Licht und Raum, Linie und Fläche für dasselbe; und Bewegung; aber es bleibt die Zeit selbst als solche, indem ihm [sonst] die Zeit ein aüsserliches angeschautes würde, die Zeit ist die höhere Seite, es wäre die Unendlichkeit als solche, die es anschaute, oder es würde vorstellend.'18 Das Zerfallen in Raum und Zeit, die grundsätzliche Differenz ihrer Vorstellungsmodi, die für Hegel hier thematisch sind, lässt eine qualitative Differenz zwischen animalischem und entwickeltem menschlichen Bewusstsein erkennen, die wesentlich mit der Differenz der Ausbildung der Vorstellungen im Raum und in der Zeit einhergeht. Zur Abstraktion räumlicher Vorstellungen ist schon das animalische Bewusstsein fähig, weil sich der Raum dem Auge, dem Gesichtssinn präsentiert und stumme Zeichen für seine Gegenstände genügen. In der Zeit jedoch lebt und bewegt sich zwar das animalische Wesen, zur Vorstellung seiner abstrakten inneren Ordnung kann es jedoch nicht gelangen, weil die Zeit nicht als gegeben in ihren verschiedenen Dimensionen angeschaut werden kann. Daher kann Hegel in Fragment 20 konstatieren: ,Das Gedächtniß, die Mnemosyne der Alten, ist seiner wahren Bedeutung nach, nicht dieses, daß Anschauung oder was es sey, die Producte des Gedächtnisses selbst in dem allgemeinen Elemente seyen, und aus ihm hervorgeruffen, es auf eine formale Weise, die den Inhalt nichts angeht, besondert werde; sondern daß es das, was wir sinnliche Anschauung genannt haben, zur GedächtnißSache, zu einem gedachten macht; die Form des Raumes und der Zeit, worin sie ihr anders ausser sich haben, in der Zeit eben so nur ideal aufhebt, und sie an sich selbst als andre ihrer selbst setzt. Hierin erhält das Bewußtseyn erst eine Realität, daß an dem nur in Raum und Zeit idealen d.h. das anderseyn ausser sich habenden diese Beziehung nach aussen vernichtet, und es für sich selbst ideell gesetzt werde, daß es zu einem Nahmen werde.'19 17

Ebd., 287.

18

Ebd., 236-237.

19

Ebd., 287-288.

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Anders als Kant denkt Hegel hier ausdrücklich über die Differenz der Erfahrung von Raum und Zeit in der sinnlichen Anschauung und dem abstrahierenden Begreifen in der Zeit im Gedächtnis nach. Für Kant sind Raum und Zeit als apriorische Formen der Anschauung parallel und gleichrangig. Die ohnehin bestehende Differenz der räumlichen äußeren und zeitlichen inneren Erfahrung offenbart in diesem Text Hegels auf der Ebene der abstrahierenden Reflexion hin zum Denken eine weitere Differenzierung, mit der die Symmetrie der Differenten endgültig aufbricht, und der Zeit einen Primat verleiht, da es die Zeitstruktur ist, die das Bewusstsein auf eine höhere Stufe seiner Existenz hebt. Hegel betont daher: ,Der erste Act, wodurch Adam seine Herrschafft über die Thiere constituirt hat, ist, daß er ihnen Nahmen gab, d.h. sie als seyende vernichtete, 20 und sie zu für sich ideellen machte.'

3.

,L o g i k , M e t a p h y s i k , N a t u r p h i l o s o p h i e ' v o n

1804/05

Bildet in den Vorlesungsfragmenten von 1803/04 die Asymmetrie der an sich differenten und doch zusammengehörigen Begriffe von Zeit und Raum und ihre unterschiedliche Bedeutung für die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins im Zusammenhang der .Philosophie des Geistes' den Fokus der Untersuchung, so schließt die Vorlesung von 1804/05 thematisch an bei dem naturphilosophischen Kontext der Dissertation. Im Vordergrund steht die Reflexion auf die Begriffe von Zeit und Raum und die Konstraktion ihrer Dimensionen in der reflexiven Entfaltung aus einander. Ihr innerer Zusammenhang stellt Anfangs- und Endpunkt der Reflexion dar, sofern aus Raum Zeit und aus Zeit Raum werde, erreicht aber noch nicht die konstruktive Kraft späterer Fassungen. Zwar wird der Begriff der Zeit vor dem des Raumes zu Beginn der Naturphilosophie im Kontext des .Systems der Sonne' entwickelt, Hegel schickt dem aber eine Betrachtung über den Begriff des Äthers voraus, der nicht alles Sein durchdringe sondern Alles sei: ,Der Äther durchdringt nicht alles, sondern er ist selbst Alles; das Seyn, das Bestehen ist selbst nichts als dieser absolute Gährungsproceß, oder die absolute Unruhe 21

ebenso nicht zu seyn, als zu seyn.' Zufolge der Konzeption von 1804/05 ist die Natur ein verborgener Geist, den Hegel als absoluten sich nicht erkennenden Geist auch, die Bestimmungen von Zeit und Raum vorwegnehmend, als unendlich sichselbstgleichen Äther bezeichnet, von dem er zudem konstatiert: ,Die Momente des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers, sind Raum und Zeit, und die Unendlichkeit selbst ist die Bewegung, und als Totalität, ein System von Sphären oder Bewegungen.'22 Mit der Exposition der Zeit und ihren Dimensionen der Gegenwart, der Zu20 21 22

Ebd., 288. Hegel, GW7,189. Ebd., 192.

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kunft und der Vergangenheit, sowie des Raumes und den Dimensionen des Körpers, der Fläche, der Linie wird zugleich der ,Begriff der Bewegung' als derjenige Begriff in den Blick gebracht, in dem Raum und Zeit notwendig verknüpft sind. In späteren Fassungen werden Raum und Zeit gesondert von der Bewegung behandelt. Unter diesen Voraussetzungen werden der Raum als das .einfache Sichselbstgleiche' 23

und die Zeit als das .Unendliche' bestimmt. Sofern sie beide als seiend und real gedacht werden, stellen sie jeweils das Gegenteil ihrer selbst dar. Der sich realisierende Raum ist Zeit und die sich realisierende Zeit ist Raum. Die Realität von Raum und Zeit liegt in ihrer Beziehung. Ihre Realität bedeutet jedoch nicht, dass sie in irgend einem noch näher zu bezeichnenden Sinne entweder für sich bestehende Substanzen wären, oder ein dem Allgemeinen Entgegengesetztes, d.h. Eigenschaften von Dingen. Hegel schreibt nämlich über Raum und Zeit: ,es bleibt ihr Wesen diese Beziehung, sie treten nicht als Substanzen, einander gegenüber; sondern ihre Bestimmtheit ist als solche unmittelbar das allgemeine, und nicht ein dem allgemeinen entgegengesetztes, also unmittelbar nicht als ein sich aufhebendes, sondern gesetzt, als ein aufgehobenes, als ein ideelles.'24 Die Überlegungen, nach denen Raum und Zeit weder Substanzen, noch ein dem Allgemeinen Entgegentretendes, also Eigenschaften sind, schließen sich der Sache nach Kants Argumentation gegen Newtons These der Absolutheit und folglich Substanzialität von Raum und Zeit ebenso an, wie sie sich gegen die Annahme richten, die Kant Leibniz zuschreibt, nach der Raum und Zeit Prädikate der Dinge sind. Sofern sie nach Hegel ein Aufgehobenes und Ideelles sind, sind sie allgemeine Begriffe, deren Realität sich allein als bewegte Materie zeigt. Nachdem Hegel den grundsätzlichen Charakter der wechselweise aufeinander bezogenen und ideal aufgehobenen Entitäten Raum und Zeit vorgestellt hat, entwickelt er zunächst den Begriff der Zeit, um sodann zum Raum überzugehen. Auch wenn der Zeit ein normativer Primat zugesprochen ist, so wird sie, wie auch der Raum, hier nicht als genuine Existenzform des Bewusstseins untersucht, wie dies 1803/04 der Fall war. Gleichwohl ist die Zeit deshalb das erste, weil sie auch die Form des sich aussprechenden Geistes ist, der der stummen Natur seine Stimme verleiht, wie den vorausgeschickten Überlegungen zum .System der Sonne' zu entnehmen ist. Ausgehend vom Begriff des Äthers als Beziehung von Raum und Zeit lässt sich das Unendliche der Zeit als Negation des Sichselbstgleichen des Raumes denken. Das, was nicht sichselbstgleiche Einfachheit ist, bringt den Moment der Zeit, den Punkt als Grenze gegen die Totalität, und insofern die Gegenwart, das Jetzt in den Blick. Das Unendliche der Zeit wird aus dem Gesichtspunkt des Jetzt oder der Gegenwart ein Unendliches der differenten Einfachheit. Gemeint ist damit die unbestimmte Verschiedenheit der Jetztpunkte die doch auch immer das Gleiche sind. Hegel nennt dies die ,absolut

23 24

Ebd., 193. Ebd., 193-194.

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differente Beziehung des einfachen'. 25 Damit ist eine wesentliche Charakterisierung für die Erfahrung des bloßen Zeitseins im Bewusstsein gefunden, das zugleich als bleibende Gegenwart und stetige Veränderung zu denken ist. Im Hinblick auf das Ziel der Untersuchung, das durch die Überschrift ,Begriff der Bewegung' bezeichnet ist, erklärt sich, dass hier zuerst der Zusammenhang zur Zukunft und dann zur Vergangenheit konstruiert wird. Daher bezeichnet Hegel auch das Einfache der Gegenwart als das Tätige, womit zugleich der Geistcharakter des Jetzt in den Blick gebracht ist. Sofern sich dieses Tätige als Sichselbstgleiches begreift, begreift es auch sein Anderssein. Mit Blick auf das Anderssein negiert sich das Tätige in seinem Sein und denkt sein Nichtsein, das ein Nochnichtsein oder seine Zukunft ist. Das Tätige, das sein Jetzt denkt, denkt unabdingbar auch seine Zukunft, auf die hin es tätig ist. Die Gegenwart und die Zukunft sind zwar ewig different. Aber nun behauptet Hegel, dass weder die Gegenwart noch die Zukunft sind, denn wird die Gegenwart als Seiend gedacht, ist sie schon verschwunden und wird die Zukunft gedacht, ist sie noch nicht. Aus diesem Grunde kann nun gesagt werden, dass das Nichtsein und die Differenz von Gegenwart und Zukunft aufgehoben sind, wenn sie beide Vergangenes sind, in der sie beide zur Ruhe kommen. Mit dem Jetzt verknüpft Hegel den Begriff der Zeit, sofern er einfach und leer ist. Das leere Jetzt erfüllt sich in der Zukunft, wohingegen beide in der Vergangenheit, in dem Ehemals aufgehoben sind. Im Beziehungsgeflecht der Zeitdimensionen erzeugt sich die Realität der Zeit. Erst jetzt wird auch erklärlich, wodurch das Unendliche der Zeit bestimmt ist, nämlich durch die Hin- und Herbewegung der Konstitution der Zeit im Geist als einem Wechsel des Tätigen in der Zeit und ihrem Selbstbegreifen. Von dem Unendlichen der Natur, das nicht ein logisches, sondern ein metaphysisches ist, sagt Hegel zu Beginn der Naturphilosophie ganz allgemein, dass es ,die Entwicklung, oder Realisation des Erkennens, [...] die Darstellung des Erkennens in seinem Anderswerden, und in seinem Resumiren in sich selbst' sei.26 Für die Zeit heißt dies, dass sie sich durch die Einsicht in die Beziehung ihrer Dimensionen unter einander als Begriff realisiert, in dem die Konstitution von Zeiteinheiten Glieder sind, die zur Totalität in Entgegensetzung stehen. Ihre Wechselbeziehungen und ihre Reflexion konstituieren das Ganze der Zeit. Mit dem folgenden Resumé des Begriffs der Zeit leitet Hegel zugleich zur Darstellung des Begriffes vom Raum über: ,Die Vergangenheit, die hiemit ihre Beziehung auf Itzt und Einst aufgehoben, hiemit selbst nicht mehr Ehmals ist, diese reale Zeit ist die paralysirte Unruhe des absoluten Begriffes, die Zeit, die sich in ihrer Totalität das absolutandre geworden, aus der Bestimmtheit des unendlichen, dessen Darstellung die Zeit ist, in das entgegengesetzte, die Bestimmtheit der Sichselbstgleichheit übergegan-

25 26

Ebd., 194. Ebd., 180.

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gen, und so als die sichselbstgleiche Gleichgültigkeit, deren Momente in der Form dieser gegeneinander sind, Raum ist.'27 Während die Zeit, so Hegel, außer sich gehe, um zum Raum zu gelangen, muss der Raum in sich gehen, um zur Zeit zu gelangen. Dies tut der Raum, indem er sich Dimension um Dimension negiert und sich schließlich im Punkt aufhebt. Der Raum ist das 28

Sichselbstgleiche, aber er ist dies als eine schlechte Unendlichkeit, weil er Aufhebung des Negativen der Zeit ist, aus deren paralysierter Unruhe und Bewegung er hervorging. Der absolute Raum beschränkt sich gegen sich selbst als seine eigene Dimension, das heißt, die erste Dimension ist die des Raumes selbst. Hegel betont, dass die Negationen des Raumes, durch die nach einander die Dimensionen des Raumes entfaltet werden, nur eine Eingrenzung und Beschränkung des Raumes darstellen, die ihm an sich fremd sind. Während die Dimensionen der Zeit dieser wesentlich sind, Zeit als Zeit erst fassbar machen, sind die Dimensionen des Raumes bloß formal und äußerlich, eine Beobachtung, die einmal mehr die Asymmetrie von Raum und Zeit deutlich macht. Zeit wie Raum werden nach je drei Dimensionen behandelt, obwohl dem Raum genau genommen vier Dimensionen zuzuschreiben sind, zählt man seine Negation, den Punkt mit. Der Raum ist gegen die Dimension des Raumes gleichgültig, aber er ist es auch gegen jede andere seiner Dimensionen. Die Negation derjenigen Negation, die die Raumdimension erster Ordnung begründet, führt zur Dimension der Fläche. Aber auch diese ist, so Hegel, gleichgültig gegen den Raum. Für sich ist die Fläche das andere des Raumes; doch in Wahrheit ist sie sein Nichtanderes, denn ihre Beschränkung ist zugleich eine Teilung des Raumes in zwei Hälften. Es ist der Eine Raum, der geteilt wird. Der nächste Negationsschritt führt schließlich zur dritten Dimension der Linie. Die Notwendigkeit der Zeitdimensionen führte zur Totalität der Zeit. Der Raum ist auf Grund der Zufälligkeit seiner Dimensionen nicht als Totalität, sondern bloß als gesamte Menge der Momente oder Dimensionen des Raumes zu denken. Der in sich zurückgegangene Raum hin zur Dimension des Raumes, der Fläche, der Linie ist sowohl Negation seiner selbst als auch Negation seiner Dimensionen. Im Punkt hebt der Raum sich gänzlich auf und schließt sich völlig von sich aus, dieser ist seine absolute Grenze. Oder, wie Hegel auch sagt, die Totalität des Raumes besteht darin, ,absolut positiver, und absoluter negativer Raum zu seyn.'.29 Der Punkt als die absolute Negativität des Raumes und einfache Grenze desselben fällt außerhalb seiner. Wenn Hegel ihn zugleich als Tätiges und als Passive charakterisiert, so lässt sich das erstere als die in die Zeit übergegangene Grenze des Raumes interpretieren, das zweite, nämlich das Passive des Raumes kann gedacht werden als die vorgestellte Grenze des Raumes, die nicht mehr 27

28

29

Ebd., 197. Vgl. hierzu Bouton 2000, der den Hinweis von Manfred Baum in seinem Beitrag ,Zur Vorgeschichte des Hegeischen Unendlichkeitsbegriffs', in: Hegel-Studien 11 (1976), 89-124 aufnimmt und ausarbeitet, demzufolge Hegel die beiden Begriffe der schlechten und der wahren Unendlichkeit erst 1804/05 wirklich ausgebildet hat (vgl. Bouton 56 und 142-152). Hegel, GW7,201.

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Raum ist. Hier schließt sich der Kreis, sofern nach Hegels Behauptung die Realität des Raumes die Zeit ist, und umgekehrt die Realität der Zeit der Raum. Während der Äther die abstrakte leere Einfachheit von Raum und Zeit ist, ist die reale Unendlichkeit des Ganzen der Reflexion und der in ihr aufgehobenen Begriffe von Raum und Zeit die Bewegung, die Hegel im folgenden Abschnitt als erscheinende Bewegung' entwickeln wird. In der Systemkonzeption von 1804/05 geht Hegel vom Begriff des ,absoluten Geistes' in der .Metaphysik der Subjektivität' über zur Philosophie der Natur als dem ,sich realisirenden Geist' oder dem verborgenen Geist. Wie in der Dissertation ist das ,System der Sonne' nun im Begriff des Äthers dem absoluten Geist am nächsten. Von hier aus wird die Natur als fortschreitende Kontraktion des absoluten Geistes dargestellt. Daher ist es in dieser Konzeption die dem Geist verwandtere Zeit, die in den Raum übergeht.

4. Das , Vorlesungsmanuskript zur Realphilosophie' von 1805/06 Das Vorlesungsmanuskript von 1805/06 setzt bekanntlich mit der Naturphilosophie und näherhin mit ihrem ersten Teil, der Mechanik ein, die sich in drei Teile gliedert, deren erster Teil sich mit dem .Begriff des Raumes und der Zeit' beschäftigt, der sachlich dem Abschnitt ,Begriff der Bewegung' von 1804/05 entspricht. In dieser Fassung behandelt Hegel zum ersten Mal zuerst den Begriff des Raumes und dann den der Zeit. Diese neue Abfolge wird dann auch bestimmend für die Enzyklopädie. Der Äther wird, wie in der vorausgehenden Fassung, als ,nicht daseyendes Seyn' und als ,reiner Geist' begriffen, der sowohl Sichselbstgleichheit als auch Gärung, absolute Bewegung ist. Der erste Satz über den Raum bestimmt das Sein des Äthers zum Dasein: ,Der da"

30

seyende Äther ist unmittelbar der Raum.'' Mit dem Dasein des Raums kommt der Begriff des Kontinuums desselben, also mithin seine Anschauung in den Blick, um sogleich als irrelevant für den Begriff des Raumes erklärt zu werden. Damit ist deutlich, dass es hier nicht um Fragen wie das Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem, von Empfindung, Anschauung und Begriff wie in der Behandlung der Problematik von Zeit und Raum in der Geistesphilosophie des Systementwurfs von 1803/04 geht, da diese im Rahmen der Naturphilosophie keinen Ort haben. Die Entwicklung des Bewusstseins ist hier wohl bereits in den Zusammenhang der Phänomenologie des Geistes übergegangen, die dann 1807 erscheint. Doch auch dort werden die Anschauungsformen Raum und Zeit nicht ausdrücklich entwickelt, sondern erscheinen nur vermittelt in den Metaphern des Festen und Flüssigen des Selbstbewusstseins.31 Vi 31

GW8,4. Zu einer näheren Untersuchung der Zeit als Ausdruck des Geistes in der Geschichte, wie Hegel sie in der Phänomenologie des Geistes ausarbeitet, vgl. den letzten Teil der Arbeit von Bouton

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RAUM UND ZEIT IN HEGELS JENAER SYSTEMENTWÜRFEN

Die einfache Kontinuität des Raumes ist mit dem Ich eines, ist ihm innerlich, sofern sie als Anschauung gesetzt wird; als daseiende Kontinuität ist diese vom Ich unterschieden, und fällt, wie Hegel sagt, außer den Geist. Die schon 1804/05 getroffene Bestimmung des Raumes als Sichselbstgleichheit wird beibehalten und fortgedacht als absolute Quantität, die jeden Unterschied in sich negiert und aufhebt. Wie schon 1804/05 erarbeitet, wird der Begriff des Raumes mittels der durch Negation erzeugten Bewegung der Reflexion entlang der Momente des Raumes, nämlich nach den Dimensionen, entfaltet, von denen auch hier gilt, dass sie gleichgültig gegen den Raum als solchen sind. Bezogen auf diese Dimensionen spricht Hegel nun vom Raum als Substanz, was er in der vorausgehenden Fassung der Geistesphilosophie von 1803/04 noch ausdrücklich zurückgewiesen hat. Darin ist jedoch nicht ein systematischer, grundsätzlicher Paradigmenwechsel hin zu einem Newtonschen für sich real existierenden Raum zu sehen, sondern eine Terminologie, die den daseienden Äther als Erscheinung des Geistes bezeichnet. Hegel behandelt die drei Dimensionen nach jeweils drei Stellungen. Die erste behandelt die Dimensionen als Formen des Seins, in der zweiten Stellung werden die Dimensionen auf den bestimmten Raum bezogen und in der dritten zeigt sich die Verschiedenheit der Dimensionen als Verschiedenheit der Richtungen. Hinter der Rede von der Dimension in der Form des Seins verbirgt sich die Entwicklung ihrer Negativität und Positivität. Die Negationsformen, die von einer Dimension zur nächsten überleiten, werden der Sache nach aus der Konzeption im Manuskript von 1804/05 übernommen. Die sprachliche Darstellung ist straffer, prägnanter und klarer. Das Negative des Raumes als solchen ist der Punkt, der ein Nichtdasein ebenso ist, wie er nun als ein Dasein bezeichnet wird, der absoluter Anfang ist. Wird der Punkt als Dasein der Kontinuität des Einfachen des Raums gedacht, so geht der Punkt außer sich und wird Linie. Hier findet gegenüber 1804/05 eine Verkehrung der aus einander herausgesetzten Dimensionen statt. 1804/05 bestimmte die paralysierte Unruhe der Totalität der Zeit den Raum. Dieser bestimmte sich durch Negation zum dreidimensionalen Raum, um dann zur Fläche und zur Linie zu gelangen, um sich schließlich im Punkt ganz aufzuheben. Nach der Konzeption von 1805/06 kann ebenso wie der Punkt auch die Linie als Anfang und Ende begriffen werden. Als Anfang ist die Linie die Möglichkeit der Fläche, die als Negation der Negation aus der Linie herausgesetzt wird. Als Aufhebung der Dimension, nämlich als Negation der Negation gibt die Fläche die Möglichkeit der Rückkehr zum Raum. Die Dimensionen, bezogen auf den bestimmten Raum, bezeichnen Grenzen. Dies macht die zweite Stellung der Dimensionen aus. Das ist eine Überlegung, die sich als Teilaspekt der Entwicklung des Begriffs vom Raum neu eingefügt findet. Die eine Dimension stellt jeweils die Grenze der anderen dar. So ist die Fläche die Grenze des bestimmten Raums, die Linie die der Fläche und der Punkt die der Linie. Zur Bestimmung der Grenzen fügt 2000. Vgl. hierzu auch D. Wandschneider und V. Hösle, ,Die Entäußerung der Idee zur Natur und ihre zeitliche Entfaltung als Geist bei Hegel', in: Hegel-Studien

18 (1983), 173-199.

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Hegel eine wichtige Bemerkung hinzu, die die Negativität der einen Dimension gegen die andere erhellt, wenn er schreibt: ,In dieser Bedeutung verliert die einzelne Dimension ihre Bestimmtheit, welche sie vorher gegen die andre hatte; diß ist der wahre Sinn dessen, daß sie als negatives gesetzt wird.'32 Schließlich wird in der dritten und letzten Stellung im Hinblick auf die Verschiedenheiten der Dimensionen des Raumes die damit einhergehende Verschiedenheit ihrer Richtungen thematisiert. Hegel unterscheidet äußere, man könnte auch sagen, objektive Richtungen der Höhe, Breite, Länge und innere, man könnte sagen, subjektive Richtungen, nämlich Vorne und Hinten, Rechts und Links, Oben und Unten. Der Übergang zur Entwicklung des Begriffs der Zeit besteht zunächst nun darin, die dem Raum zugeschriebene ,sich gegenseitig aufhebende Entgegensetzung und Fortbewe33

gung', die in seiner Gleichgültigkeit paralysirt' ist, aufzunehmen und ihr Aufgehobensein in der Zeit zu konstatieren: Der Raum ,hört auf, diese Gleichgültigkeit zu seyn, er ist für sich in seiner ganzen Unruhe, nicht mehr paralysirt [...]. Diese reine Quantität als reiner für sich daseyender Unterschied ist das abstracte Unendliche, oder an sich selbst negative; die Zeit.'34 Sofern die Zeit als zugleich seiend und nicht seiend, als ,der daseyende reine Widerspruch', als beständiges Aufheben charakterisiert wird, ist die Sprache prägnanter in ihrer Bedeutung für eine Geistesphilosophie, deren Ziel es ist, Entzweiungen aufzuheben, als im Manuskript von 1804/05. Bemerkenswert ist, dass der Punkt ganz der Raumbetrachtung zugehörig bleibt, und an Stelle des Punktes es das Eins ist, das nun als Gelenkstelle zwischen Raum und Zeit fungiert, weil es dem Raum angehöre und gleichwohl das Eigentliche der Zeit sei. Das Eins ist der Eine Raum, der Raum als absolute Quantität, es ist aber auch das zählbar Eine als Zählbewegung der nun quantitativ gedachten Zeit. Dieses Eine ist es, das die Denkbewegung vom Eins des Raums zum Jetzt der Gegenwart lenkt. In einer etwas veränderten Terminologie und in verschlankter Form, doch in der Sache sehr ähnlich, wird von der Dimension der Gegenwart zur Zukunft und schließlich zur Vergangenheit übergeleitet. Der Gedanke, der Hegel im Manuskript von 1803/04 so wichtig war, dass nämlich die Zeit es ist, die als Gegenwärtige die Zukunft wie die Vergangenheit zu einem jetzt Gedachten, also Seienden, wenngleich nicht Realen macht, wird im Gang der Überlegungen eigens reflektiert. Daher kann Hegel sagen: ,um der Untheilbarkeit des Itzt willen, sind alle drey ein und dasselbe Itzt.'35 Auch hierdurch ist das Eins der Zeit zugleich das Eins des Raumes, die zusammen die Substanz alles Seienden sind. Das Verhältnis von Raum und Zeit wird nun so bestimmt, dass auch hier eine systematische Auszeichnung der Zeit begründet wird. Das Dasein im Raum geht über in das Gedachtsein in der Zeit, aber so, daß die Wahrheit im absoluten Begriff zur Ruhe kommt, die Zeit sich in ihrem Zeitlichkeitscharakter tilgt, um sich im Bestehen des Raumes aufgeho32 33 34 35

Hegel, GW 8,9. Ebd., 6. Ebd., 10-11. Ebd., 13.

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RAUM UND ZEIT IN HEGELS JENAER SYSTEMENTWÜRFEN

ben zu finden: ,Wenn von der Zeit gesagt wird, daß sie in der absoluten Betrachtungsart vertilgt sey; so wird sie getadelt, theils wegen der Vergänglichkeit, oder ihres negativen Charakters; aber diese Negativität ist der absolute Begriff selbst, das Unendliche, das reine Selbst des Fürsich seyns, wie der Raum das reine Ansich seyn gegenständlich gesetzt - Sie ist um deßwillen die höchste Macht alles Seyenden, und die wahre Betrachtungsart alles Seyenden ist deswegen es in seiner Zeit, d. h. in seinem Begriffe, worin alles nur als verschwindendes Moment ist, zu betrachten; - theils aber weil in der Zeit die Momente des Realen auseinandertreten, eines itzt ist, das andre gewesen ist, eine anderes seyn wird, in der Wahrheit alles ebenso als es geschieden, unmittelbar in Einer Einheit ist.'36 Damit gelangt Hegel in die Nähe der Bestimmung des ,Werdens' als eines zeitlosen Prozesses fortwährenden Negierens und wieder Aufhebens der Negation, der nach der Darstellung in der Wissenschaft Logik von 1812 durch alle folgenden logischen Bestimmungen hindurch geht. Die Dimensionen der Zeit sind am Ende der Bewegung nicht mehr in ihrer Zeitlichkeit aus einander gehalten, sondern in einem logisch-systematischen Sinn, der sich als Raum begreifen lässt. Deshalb gilt: ,Allein diß Auseinanderhalten kommt nicht der Zeit 37

als Zeit zu, sondern vielmehr dem Räume der an ihr ist.' Dass dabei die Zeit .vertilgt' wird, indem ihre Dimensionen nicht nur geschieden, sondern auch unmittelbar ein (zeitloses) Eins sind, beschreibt Hegel hier auch als eine Selbstaufhebung ihrer Dimensionen in derjenigen der Vergangenheit: ,Die Zeit geht in der Vergangenheit als ihrer Totalität selbst unter, oder diese Dimension ist das ausgesprochne Aufheben derselben.' 38

Ebd. 14. - Dies ist der systematische Kontext, der Heinz Kimmerle zu seinem Beitrag ,Kann Zeit getilgt werden?' veranlasst. Er favorisiert klar Hegels Übergang von der Zeit zum Raum in den Konzeptionen bis 1804/05 und wertet diesen als eine Verzeitlichung und Dynamisierung des Raumes, während er Hegels Übergang vom Raum zur Zeit ab 1805/06 als bedenkliche Verräumlichung (oder Quantifizierung) der Zeit interpretiert mit der systematischen Folge, dass die Zeit beim Übergang zum .absoluten Wissen' in der Phänomenologie

des Geistes .getilgt' wird, und

das Lebendige des Denkens sich in die Fixierung des Bestehens auflöst. Darin sieht er eine Zuspitzung der Problematik, die sich in der Bestimmung des Verhältnisses von Raum und Zeit in der Systemkonzeption des .Vorlesungsmanuskripts zur Realphilosophie' von 1805/06 ankündigt, sofern diese schon auf das zeitlose .Werden' der Wissenschaft der Logik vorausweist. Die .reine Vermittlung' der (zeitlosen) Zeit sinkt ,in die Unmittelbarkeit' des bloßen Außereinander zusammen und der Raum gewinnt ein Übergewicht gegenüber der Zeit (vgl. Kimmerle, Hegel-Jahrbuch 2001, Berlin 2002, 259-268). Heinz Kimmerle sei an dieser Stelle für die anregende Diskussion über die Tagung hinaus und die damit verbundene Aufforderung, über Hegels Übergangstheorem von der Zeit in den Raum und umgekehrt genau nachzudenken, herzlich gedankt. Gleichwohl sei gegen seine These, Hegels Reflexion auf das absolute Wissen am Ende der Phänomenologie

des

Geistes in Erinnerung gerufen, nach der die Wahrheit in ihrem ruhigen Bestehen gleichwohl ein neues Anfangen nicht nur zulässt, sondern geradezu fordert, der Raum also auch wieder in die

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Auf dieser Grundlage bleibt es in der Naturphilosophie und in der Philosophie des Geistes, sofern in ihr natürliche Momente eine Rolle spielen (und das ist bis in die Behandlung der Kunst und der Religion in der .Philosophie des absoluten Geistes' der Fall), bei der Zirkelstruktur von Raum und Zeit. Wo ferner die Wahrheit nicht mehr feststehende Wahrheit ist, tritt auch sie aus ihrem bisherigen Bestehen heraus, um sich zu und in einer neuen Bewegung des Denkens zu bestimmen. Der Raum geht über in die Zeit, und umgekehrt geht diese zurück in den Raum. ,Sie hat wie der Raum die Zeit, 39 so sie ihn zu ihrem Resultate.'

39

Zeit übergeht. Dennoch ist das Ziel und das letzte gesagte Wort des Philosophen (Hegel) die eingesehene Wahrheit. Hegel, GW8,14.

ULRICH SCHLÖSSER

Natur und Geist oder Leib und Seele? Eine Perspektive auf Hegels Systemansatz in den Jenaer Systementwürfen Γ

1. Einige Vorüberlegungen zum Empfindungsbegriff Von dem Verhältnis Natur und Geist ist das so genannte ,Leib-Seeleproblem' zu unterscheiden. Letzteres wird zumeist verstanden als die Frage nach dem Status dessen, was man in der Diktion des Jenaer Hegel als .Empfindung' bezeichnet, in der von den Naturwissenschaften beschriebenen Welt. Und von Empfindungen wird angenommen, dass sie nur demjenigen einzelnen Individuum, das die Empfindungen hat, zugänglich sind. Für den Einzelnen können die Empfindungen Empfindungen von etwas im Raum sein, wie z.B. Schmerzen im Knie, sie treten aber selbst nicht als Element der gemeinsamen räumlichen Welt auf, noch können sie ohne weiteres mit einem klar bestimmten räumlichen Sachverhalt identifiziert werden. Vielmehr haben sie Erlebnischarakter. In Einklang mit der Bezeichnung für einen einflussreichen Strang der Debatte, der so genannten Qualiadiskussion, wird das Empfundene häufig mit der Konzeption von Qualitäten assoziiert und damit in einem spezifischen Sinn als nichtrelational erfasst: Im Empfinden leuchtet ein Gehalt auf; dieser ist aber in seinem erlebten Sosein nicht durch die Relation zu gleichzeitigen bzw. vorhergehenden oder nachfolgenden anderen einzelnen Empfindungsgehalten oder auch Klassen von ihnen erschöpfend bestimmt. So kann ich z.B. zugleich die Empfindung einer großen Helligkeit und das Gefühl von Hunger oder auch eine räumlich für mich genau umrissene Blauwahrnehmung unten links im visuellen Feld gegenüber einer Rotempfindung oben rechts haben. Die Empfindung der Helligkeit bzw. die Blauempfindung legen aber weder für sich noch in Verbindung mit anderen Empfindungen fest, dass sich Hunger bzw. der rote Abschnitt so anfühlen und nicht anders. Streng genommen scheint die Annahme eines Wesens, das nur eine Empfindung hat, nicht widersprüchlich. Und ich kann nicht aus unserem reicheren Empfinden argumentieren, dass uns doch etwas, wie z.B. ein im Hintergrund gegebenes Geräusch, nur dann gegenwärtig ist, wenn eine Veränderung eintritt, denn dann erfasse ich es als etwas, das ich zuvor schon empfunden habe. Weiterhin scheint es zu Empfindungen zu gehören, dass die Beziehungen, in denen das empfindende Individuum zur Umwelt steht, und die natürlichen Abläufe in ihm selbst, denen es im Haben der Empfindung unterliegt, ihrerseits nur partiell der Empfindung angehören, bzw. selbst empfunden werden. Nehmen wir nun an, dass sich für das Individuum selbst durch die Empfindung ein Bezug auf etwas herstellen kann, so

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ULRICH SCHLÖSSER

scheint zu folgen, dass dieser Bezug nicht mit den genannten natürlichen Zusammenhängen wie z.B. der Reizung der Sehnerven identisch sein kann. Ist das Individuum aber als Lebewesen betrachtet durch diese Zusammenhänge definiert, so führt dies dazu, ein von dem natürlichen Lebewesen zu unterscheidenden Subjektstandpunkt in ihm anzunehmen, an den sich die Empfindungen adressieren. Die erforschbaren Beschaffenheiten der Natur werden hingegen im Ausgedehnten situiert. Und von ihnen soll gelten, dass sie durchgängig durch eine Ursache-Wirkungsbeziehung bestimmt sind; d.h. in Bezug auf jede einzelne Beschaffenheit lässt sich eine ihr vorangehende Beschaffenheit angeben, die in einer kausalen Erklärung als Grund dafür fungiert, dass die zuerst genannte so ist und nicht anders. Damit ist die Beschaffenheit in ihrem Wesen relational bestimmt. Und die Gesamtheit dieser Zusammenhänge wird als geschlossen verstanden, d.h. weder unterliegt sie Einflüssen von außerhalb ihres Feldes, noch rufen kausale Linien innerhalb ihrer solche Wirkungen außerhalb hervor, die, gegeben die Annahme, dass diese Wirkungen selbst das Feld nicht wieder beeinflussen könnten, nur nach dem aporetischen Muster von kausalen Sackgassen verstanden werden könnten. In dem Feld des Zusammenhanges kann man zwar von Zentrum und Peripherie sprechen, wie z.B. bei der mechanischen Wirkung von Erdbeben. Der Zusammenhang selbst legt aber keinerlei Perspektive fest. Es liegt auf der Hand, dass, von dem Standpunkt der philosophischen Strategie aus betrachtet, die Hegel in den Jenaer Jahren ausgearbeitet hat, diese Strukturierung des Problems teils als irreführend, teils als auf der Unterlassung der Klärung von Voraussetzungen beruhend erscheinen muss. Denn einerseits wird unterlassen zu fragen, was denn die spezifische kategoriale Struktur derjenigen Wesen ist, die über Empfindungen verfügen und in deren Zusammenhang Empfindungen auch nur sinnvoll bestimmt werden können. Sie sind als organische Lebewesen integrierte Einheiten, die sich selbst als individuierbare Einzelne und darin zugleich den Verbund, in dem sie auftreten, entgegen äußeren Einwirkungen erhalten können. Und diese kategoriale Struktur muss unterschieden werden von der physikalischer Prozesse, in denen Bewegung und Auswirkung den selbst nicht als integriert, sondern als dekomponibel beschriebenen Körpern immer äußerlich sind und sich ein Impuls auf einen Körper in ihm stets nur fortsetzt; aber auch von chemischen Prozessen, die in ihrer elementaren Form sich nicht an Einzelnen, sondern an Stoffen, deren jeder Teil selbst wieder derselbe Stoff ist, vollziehen und die sich in der ihnen spezifischen Form der Veränderung - der chemischen Reaktion - nicht erhalten, sondern nach Hegel in einen anderen Stoff wirklich transformieren. Zum anderen geht die Beschreibung irrtümlicherweise davon aus, dass die Empfindungen, und damit die Keimzelle des Geistes, sinnvoll erfasst werden können, wenn man sich auf das Individuum, das sie hat, konzentriert und annimmt, sie wären am besten in der Form eines Protokolls innerer, isolierter Erlebnisvorfälle für ein Subjekt in ihm, das selbst wiederum nur durch sie bestimmt ist, gegeben. Die umgekehrte Strategie setzt bei dem lebendigen und d.h. auch: körperhaften Individuum an und identifiziert, wenn schon nicht das Individuum selbst, so doch die Individualität als die Art einer Be-

NATUR UND GEIST ODER LEIB UND SEELE?

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ziehung, genauer einer Außenbeziehung, in der sich belebte Körper von anderen Naturdingen unterscheiden, um von dort aus zu fragen, was an internen Verhältnissen vorliegen muss, damit eine solche Beziehung bestehen kann. Wenn das Individuum sich als Einzelnes oder seinen Verbund in Selbstständigkeit und d.h. in seiner Beschaffenheit und Ausdehnung gegen anderes individuierbar erhalten können soll, so muss es (1) seine Außenbeziehung noch einmal als Bestandteil seiner selbst an sich enthalten, um auf Veränderungen in der Beziehung reagieren zu können. Darin ist vorausgesetzt, dass es sich in einem Zustand befindet, der in einen Bezug auf es selbst und einen Fremdbezug in ihm selbst analysiert werden kann, was in Hegels Augen mit der Empfindung in unentwickelter Weise vorliegt. Dies reicht aber nicht aus. Um die Kontinuität aus sich selbst heraus zu erklären, muss (2) die aktivische Zentrierung des Individuums berücksichtigt werden. Auch sie ist auf die Empfindung bezogen. Denn diese wird von dem, der sie hat, gerade nicht als etwas, das ihm nur als Vorfall gegenübersteht, erlebt. Sie tritt selbst als Defizitempfindung und Motiviertsein oder gemeinsam mit ihnen auf. Diese aktivische Zentrierung ist wiederum nur möglich, insofern der Träger nicht nur ein abstraktes Erfahrungssubjekt ist, sondern zugleich durch Normen bestimmt. Diese lassen sich aber aus nur als vorliegende Qualitäten verstandenen Empfindungen nicht ablesen - und auch nicht aus einer nach dem Muster des Unorganischen charakterisierten Natur. Sie führen zu Vollzügen und Handlungen, die sich vor dem Hintergrund und in Hinblick auf andere Individuen realisieren. Bedeutungshaft können diese Vollzüge dann und nur dann sein, wenn sie sich auf die anderen Individuen als gleichgeartete und nicht als bloße Naturobjekte, was auch stets möglich ist, beziehen so wie diese wiederum auf sie. Dadurch stellt sich nicht nur durch das Individuum, wie schon in der Reproduktion, sondern für das Individuum ein allgemeines Medium her, das die Einzelnheit desselben balanciert - dies führt auf den Begriff des Geistes. Auch ihm liegt eine Annahme über Leib und Seele zugrunde: Wir haben es nicht mit zwei Entitäten und einer Beziehung der Einwirkung zu tun, sondern mit einer Ausdrucksbeziehung; und diese ist so beschaffen, dass sich ein Selbiges in ihr durchhält. Hegels Ansatz bei den Kategorienbegriffen, die die Verfassung des Physikalischen, Chemischen, Lebendigen1 wie des Geistigen klassifizieren, lässt sich auf das Verfahren des semantischen Aufstiegs in der heutigen Diskussion des Leib-Seeleproblems beziehen. An Stelle von zwei isoliert betrachteten Begriffklassen entwickelt er aber einen komplexen Gesamtzusammenhang von kategorialen Bestimmungen, in dem die nachfolgende auf die vorangehende reagiert und damit in einem genetischen Zusammenhang mit ihr steht, zugleich aber auf sie nicht reduziert werden kann. Im Ganzen führt diese Strategie die Leib-Seelediskussion auf die grundlegendere Frage nach der Beziehung Zum Lebendigen vgl. Klaus Diisings Ansatz, auf der Basis der späteren Logik die logische Kategorie des Lebens auf das Leib-Seele-Problem zu beziehen (K. Düsing, ,Die Idee des Lebens in Hegels Logik', in: R.P. Horstmann/J.M. Petry (Hg.), Hegels Philosophie

1986).

der Natur, Stuttgart

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zwischen Natur und Geist zurück, während die erste Problemformulierung als defizitär, ja als Kategorienfehler erscheint. Will man sich auf diese Strategie einlassen, muss man sich allerdings über die Art der Übergänge, die Hegel in seinem Zusammenhang der Kategorienbegriffe anlegt, verständigen: Denn insofern Hegel die Kategorienbegriffe nicht an die Aktivität des Geistes rückbindet, sondern objektiviert und natürliche wie geistige Prozesse als Instanziierungen von ihnen fasst, auf dieser Basis aber von den Naturprozessen zum Geist vorstößt, könnte man einerseits zu der Vermutung gelangen, dass der Ansatzpunkt des Geistes stets unter den Bedingungen der natürlichen Funktion - als Lebensform des Organismus - betrachtet wird. Andererseits scheint sich aber doch die Natur im Geist zu resumieren. Und dies kann wiederum Unterschiedliches meinen: Entweder wird umgekehrt gemeint, dass sich der Witz der natürlichen Funktion überhaupt nur gegeben den Geist, und d.h. gegeben eine Anerkennungsbeziehung zu dem Gegenüber, den darin liegenden Selbstbezug in der Beziehung zu ihm sowie das Ausdrucks verhalten, an das diese gebunden sind, erschließen lässt. Auf diese Weise wäre die Natur durch ihre Rolle in den Geist integriert, dieser aber nicht wiederum um etwas anderen willen da. Es kann dies aber andererseits auch so verstanden werden, dass die Natur vollständig auf den Geist zurückgeführt wird, ihr Wesen also nicht in der Natur im Geist liegt, sondern im Geist selbst hervortritt. Dies scheint nur dann möglich, wenn das Wesen der Natur, das schon Geist ist, von ihrer Oberflächenstruktur unterschieden werden kann und die vorhergehenden Beschreibungen, insofern sie nicht unter den Bedingungen des Geistes, sondern für sich verwendet werden, sich als nicht stabilisierbar - und dies heißt für Hegel: als widersprüchlich - erweisen lassen. Ich greife im Folgenden den ersten der voneinander erheblich abweichenden Systementwürfe heraus und versuche, die Skizze an ihm zu substanziieren - und zwar so, dass ich zuerst der Stellung des Organismus in der Natur nachgehe, daran anschließend einige Aspekte von Hegels Konzeption der Empfindung nachzeichne, um dann den Übergang zum Geist zu diskutieren.

NATUR UND GEIST ODER LEIB UND SEELE?

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2. Organismen versus physikalische und chemische Gegenstände und Prozesse Wir haben gesehen: Empfindungen sind an die Organisationsform des Organischen gebunden. Organismen können aber nicht nach chemischen oder physikalischen Prinzipien erklärt werden.2 Mit dieser These wird eine philosophische Begrifflichkeit notwendig, die eine kategoriale Differenz zwischen Organismen und physikalischen bzw. chemischen Gegenständen und Prozessen festzusetzen erlaubt. a. Blickt man unter dieser Perspektive auf den so genannten ersten Jenaer Systementwurf, so stößt man zuerst auf die Bestimmung des Organismus als ,(E)infaches', bzw. .absolut (E)infaches' - und zwar unbesehen der Tatsache, dass Hegel nirgendwo die interne Komplexität des Organismus mit ähnlicher Präzision bis hinein in die Funktionsweise des Muskel- und Nervensystems verfolgt wie in den naturphilosophischen Abschnitten dieses Textes. Gemeint ist: Der Organismus ist nicht so zusammengesetzt wie die chemische Verbindung aus ihren Elementen oder der Körper der Physik aus Atomen. Zugleich kann das spezifisch Organische aber auch nicht in dem Sinn einfach sein, dass es intern komplexionslos ist oder das Auftreten von Bestandteilen im Modus relativer Selbstständigkeit ausschließt. Denn bestünde das Spezifische des Organischen nur in einer schlechthin einfachen Lebenskraft, so wäre nicht verständlich, warum wir Leben nur Dingen mit einer ganz bestimmten, uns ähnlichen Organisationsform zuschreiben. Hierauf reagiert Hegel mit einer Differenzierung in dem Begriff der Einfachheit: Wir haben es nicht, so Fr. 10, mit der ,abstracten Einfachheit' zu tun - ,diese ist nur in Bezug auf ein entgegengesetztes das Vielfache und wird aus ihm begriffen' sondern vielmehr mit einer .lebendigen Einheit', die .unmittelbar unendlich' 4 ist. Dies heißt soviel wie: es liegt etwas vor, dass sich ohne weitere vermittelnde Mechanismen über unterschiedliche begrenzte oder gar gegensätzliche, in Hegels Terminologie .endliche' Zustände durchhalten kann. Jetzt müssen wir allerdings beachten, dass sich das Organische auch aus jenen Zuständen nicht so zusammensetzen darf, als wären sie seine Elemente. Dem trägt Hegel in einem weiteren Schritt Rechnung durch eine Begrifflichkeit, die er in dieser Form schon in den fortgeschrittenen Stufen der Chemie einführt: Er bezieht die Bewegung des Sichdurchhaltens auf ,Momente'. Diese stehen, von den Elementen zu unterscheiden, für eine zweifache Bewegungsrichtung derselben: die Aufhebung der Elemente in eine strikte Einheit und deren Ausdifferenzierung. Sie weisen strukturell schon auf Phänomene wie die Einheitlichkeit der Kreislauffunktion in

G.W .F. Hegel, Jenaer Systementwürfe I, hg. von Klaus Düsing und Heinz Kimmerle, in: G.W .F. Hegel, Gesammelte Werke, Bd.6, Düsseldorf 1975, Fragment 7, 58f. Diese Ausgabe wird im Folgenden mit Angabe der Fragmentnummer und der Seitenzahl zitiert. 3

Fr.7,58.

4

Fr. 10,189.

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der Ausdifferenzierung in Organe und über diese auf das Sichkontinuieren des Organismus selbst hin. b. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, von dem wir sagen, dass es sich durchhält, so ist diese Bestimmung nur dann sinnvoll, wenn wir dieses Etwas als klar bestimmt herausgreifen und reidentifizieren können, was nach Hegel nur dann der Fall ist, wenn ein zweiter Grundbegriff zutrifft: die Einzelnheit. Es kann dies aber nicht ein Sinn von Einzelnheit sein, der den Bestimmungen der Allgemeinheit oder Besonderheit entgegengesetzt ist. Denn gerade bei Mitgliedern natürlicher Arten gelangen wir nur gegeben das Allgemeine und die Besonderung zu einer Konturiertheit in der gewünschten Stabilität. Kommt zudem der Gattungsprozess ins Spiel, so ist das Einzelne das Allgemeine im Moment der natürlichen Reproduktion. Dann muss Hegel also auf einen anderen Sinn von Einzelnheit zielen: Gemeint ist eine numerische Bestimmung,5 die festlegt, dass etwas der Bedingung genügt, abzählbar zu sein, was z.B. nicht bei Stoffen oder Flüssigkeiten zutrifft, sondern lediglich bei äußerlich auf sie angewendeten Maßeinheiten. Auf das Organische bezogen heißt dies, dass es sich stets in Individuen organisiert. Bezogen auf den Fall des Organismus nennt Hegel diesen Sinn der Einzelnheit daher auch .Individualität'. c. Wir haben aber nur erst festgelegt, dass, wenn wir es mit einem organischen Lebewesen zu tun haben, der Begriff der Einzelnheit stets auch zutrifft und nicht schon umgekehrt; insbesondere haben wir zwar die Rede von dem Einfachen, nicht aber das Sichdurchhalten in einer Weise qualifiziert, die das Organische von anderen geschlossenen Körpern, die ihrerseits wieder physikalischen Prozessen schlechthin unterliegen können, abgrenzt. Und wir haben auch noch keinen Ansatzpunkt dafür in unsere Bestimmung aufgenommen, was das Sichdurchhalten möglich macht. Hier legt das dynamische Moment, das in Hegels Position enthalten ist, nahe, einen Blick auf die Beziehung zwischen Bewegung und Bewegtem zu werfen: Das Organische ist, so erfahren wir, .absolute Substanz'.6 Dies weist auf ein anderes Fragment voraus, das auf die uns nicht erhaltene Logik und Metaphysik Bezug nimmt. Dort lesen wir, dass die absolute Substanz .ebenso absolut ist als sie wird'? wobei das erstere sie als etwas auszeichnet, das nicht bald ist und bald nicht ist, sich also erhält; das zweite korreliert dieses Sichdurchhalten über den Terminus .Werden' mit einem Sinn von Prozessualität, der nicht selbst von außen in das Etwas - in unserem Fall das Organische - kommt oder unter äußeren Bedingungen in ihm erst ausgelöst wird, sondern stets mit ihm gegeben ist, und zwar so, dass wir nicht zuerst den Organismus haben, der sich dann zu dem Prozess be5 6

η

Fr. 16,268. Fr. 10,182. Fr. 16, 268. Genauer zeigt sich in Fr. 16, dass die unter dem Begriff der .absoluten Substanz' verhandelte Einheit von Sein und Werden in der Logik oder Metaphysik schon als ,Idee' gegeben war, in der Natur aber zerfallt und nurmehr verborgen gegenwärtig ist und sich im Organismus schließlich wieder hervorhebt. Im Organismus geschieht dies unter der Bedingung der numerischen Einzelnheit, im Geist zugleich im Modus der Allgemeinheit.

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stimmt; vielmehr ist er nur als Prozess gegeben. Als dieses Sichereignen kann das Organische sich erhalten, so Hegel im selben Satz, ,durch die Thätigkeit gegen die Passivität in dem unendlichen Gegensatze' - hier ist das Unendliche unter der Bestimmung des Gegensatzes eine Außen Verhältnis, die Passivität aus der Perspektive des Organismus also ein Einwirken, wobei die Tätigkeit (1) sich gegen das Passivsein als solches stellt, was ausschließt, dass es sich bei dem Organischen um einen sich selbst regulierenden Mechanismus handelt, der gegeben eine Störung den Ausgangszustand wieder herstellt, (2) gegen diese bestimmte Einwirkung; dies setzt wiederum voraus, dass sie als solche abgebildet wird, was selbst an die Bedingung gebunden ist, dass das Organische ein Inneres ausbildet. Das Organische ist also dieser Minimalbestimmung zufolge ein Einzelnes, das aus sich heraus tätig ist und dies von einem selbst stets bewegten Inneren her vollzieht. Als solches erhält es sich selbst und das Allgemeine, dem es angehört. Diese Bestimmung ist gerade aufgrund ihrer Allgemeinheit geeignet, einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu den anorganischen Objektbereichen herzustellen. Denn das aufgezeigte Zusammenfallen von organischem Körper und Bewegung unterscheidet das Organische von physikalischen Verhältnissen, deren Struktur Hegel im Durchgang durch die verschiedenen Bewegungstypen als Prozess der Veräußerlichung der Bewegung gegenüber dem Bewegten beschreibt; in dem an diese Veräußerlichung sich anschließenden chemischen Prozess kann dann der einschlägige Begriff von Individualität nicht mehr angewendet werden. Dem entgegen muss im Organischen die Integration zurückgewonnen werden. Folgen wir Hegel bei dem Durchgang durch die physikalischen und chemischen Prozesse, um diese These zu belegen, so müssen wir bei dem scheinbar Entferntesten - bei o

der Bewegung, die wir in den Himmelskörpern finden - ansetzen. Diese sind durch einen doppelten Bewegungstyp ausgezeichnet: Einerseits dreht sich der Himmelskörper um seine eigene Achse, was in Hegels Augen eine Beziehung auf ihn selbst darstellt; andererseits liegt eine Kreisbewegung eines sich um seine eigene Achse drehenden Himmelskörpers vor, in der er auf ein von ihm verschiedenes anderes, nämlich einen sich selbst wiederum um seine eigene Achse drehenden Himmelskörper als den Mittelpunkt seiner Kreisbewegung bezogen ist. In Nähe zu der antiken Konzeption, die sich auch in der Hervorhebung der himmlischen gegenüber der irdischen Sphäre zeigt, unterlegt Hegel diesen Prozess durch eine Schlussbewegung des Denkens und damit eine Tätigkeit, in der die Sonne, die sich zwar um sich selbst dreht, aber nur Mittelpunkt einer Kreisbewegung ist, ohne sich selbst kreisförmig zu bewegen, und die Monde, die ihrerseits nur in einer Kreisbewegung begriffen sind, ohne Mittelpunkt dieses Bewegungstyps zu sein, die Extreme darstellen, die durch die Erde, die in ihrer Selbstbewegung beide Funktionen erfüllt, zusammengeschlossen werden. In der Selbstzentrierung wie der in sich zurückkehrenden Kreisform scheint die Bewegung mit der Erhaltung des Körpers zusammenzufallen, während die Fundierung in der Schlussform des Denkens Vgl. im Folgenden zum System der Himmelsbewegung Fr. 1 und 2, zum Übergang Fr.3, 11 f. und 4 , 2 3 f . , zu den anderen Bewegungstypen Fr.3,15 und 4,29.

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der ständigen Bewegung eine Aktivitätskomponente verleiht. Die Nähe zur Philosophie des Organischen ist hier im Ausgangspunkt offensichtlich. Später unterstreicht Hegel dies noch, indem er die Selbstbeziehung in der Drehung um die eigene Achse mit dem Selbsterhalt und die Kreisbewegung mit der Gattungsreproduktion im Selbsterhalt gleichsetzt.9 Die Erde erlaubt aber nur den Übergang von der Sonne zu den Monden über die Bewegungstypen; in ihr selbst liegen sie unverbunden zusammen, so dass die Denkbewegung in einer Konzentration auf sie abbrechen muss. Gemäß Hegels Engführung von Himmels- und Denkbewegung fällt dies zusammen mit der Tatsache, dass die Erde aus ihrer Perspektive betrachtet als ruhend erscheint. Damit haben wir aber nur erst den Übergang von der himmlischen zur irdischen Mechanik, noch nicht die Veräußerlichung der Bewegung gegenüber dem Körper erreicht. Dies erfolgt erst in einem zweiten Wechsel der Perspektive, demzufolge wir von diesen Körpern und der Form ihrer Bewegung abstrahieren und statt dessen Körper überhaupt und ihr Bewegungsprinzip und hier vor allem ihre Anziehung - betrachten. Hier könnte man zunächst vermuten, dass doch die Schwere dem Körper selbst angehört. Sie hängt aber von der Anzahl der atomaren Elemente in ihm ab, die ihm als bloßer ,toter Masse' beschrieben nicht wesentlich ist. Dann ist aber auch die Kraftwirkung ein Äußerliches, das nurmehr unter den quantitativen Begriffen der Größe betrachtet wird, die gerade nicht fassen, was die Sache ist. Zudem erscheint es nur so, dass der eine Körper - gemäß der obigen Perspektive die Erde- ruht, während der andere angezogen wird. Tatsächlich bewegen sich beide aufeinander zu, unterliegen also beide einer Außenwirkung; keiner ist mit dem Ruhepunkt identisch, der im Fall auf der Linie ihrer Verbindung liegt. Als endliche und irdische unterliegt die Bewegung zudem Anfang und Ende und kehrt gerade nicht wie die Kreisbewegung in sich zurück. Und diese Entwicklung setzt sich in der Wurfbewegung fort: Was im Fall noch - hierin schon im Kontrast zur Kreisbewegung - willkürlicher Anfang war, wird hier selbst zu einem Einwirken, so dass der Körper jetzt nicht nur einer einfachen, sondern einer doppelten Außenwirkung unterliegt; der Ruhepunkt der Konstellation fällt nicht nur mit keinem der einzelnen Körper zusammen, er liegt auch nicht mehr auf einer geraden Linie der Bewegung. In der Pendelbewegung wird dann ein Ruhepunkt fixiert und die Bewegung, die noch am ehesten im Körper selbst hatte situiert werden können, nämlich jene, welche sich unmittelbar aus der Schwere ergibt, umgelenkt. In der äußeren Einwirkung des Hebels schließlich, der sich um den fixierten Ruhepunkt dreht, wird sie durch dessen Wirkmechanismus marginalisiert und die tatsächlich erfolgte Bewegung relativ zum Bezugssystem ganz von außen gesteuert. Damit ist aber in diesem Durchgang die ursprüngliche Nähe zum Prozess des Organischen vollständig verloren. Hier steht im Hintergrund, dass im Ansatzpunkt der Überlegung der Körper als in Elemente dekomponibel aufgefasst wird, wohingegen das Organische sich als stets integriert erhält. Als solches ist es nicht von außen, sondern aus und

9

Fr. 10,187.

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in sich selbst bewegt und hält als sich erhaltend den Ruhepunkt der Bewegung in sich selbst. Sucht man den Ausgangspunkt des Durchganges durch den chemischen Prozess im Systemfragment von 1803/4, so kann man sich an den Begriff der ,Gestalt' halten.10 In Anschluss an die vorherigen Bestimmungen kann sie, Hegels Überlegungen vereinfachend, als nunmehr im Körper gebundene Bewegung gefasst werden. In diesem Sinn kann Gestalt nur das haben, was an sich selbst plastisch ist. Das schlechthin Spröde muss in der Bewegung zerbersten. Um plastisch sein zu können, muss sie nach Hegel wiederum Flüssigkeit an sich enthalten. Damit ist in ihr aber zugleich das Medium, in das sie aufgelöst werden kann, gegeben. Und dies steht auf einer grundlegenderen Ebene für den Prozess ihrer Auflösung in die Elemente, die wie die Flüssigkeit selbst stofflichen Charakter haben. Sind wir aber auf der elementaren stofflichen Ebene angelangt, so ist auch die Individualität erloschen, denn jeder Teil eines solchen Stoffes ist selbst wieder ebendieser Stoff in uneingeschränkter Weise. Konnten der organische und der physikalische Körper noch gemeinsam unter der Perspektive betrachtet werden, dass von dem Organischen nichts, was ihm als Bestandteil der Bewegung von und aus der Einheit wesentlich zugehört, entfernt werden kann, ohne dass er aufhört, Organismus zu sein, während das Physikalische zerlegt werden kann, ohne aufzuhören, wenn nicht dieser, so doch ein physikalischer Körper zu sein, so verliert eine solche Überlegung bei dem bloß Stofflichen ihre sinnvolle Anwendung: das Stoffliche ist nach Hegel als Flüssiges ,ein gestaltloses'11 und damit unbesehen möglicher Unterbrechungen oder Begrenzungen in jedem seiner Teile sich selbst gleich. Hieraus ergibt sich eine weitere Folgerung: Wenn auf dieser Ebene das Moment der Veränderung ins Spiel kommen soll, so kann dies nicht eine Veränderung in Gestalt, Kontur oder Lage sein, sondern sie muss sich auf das, was der Stoff selbst ist, beziehen. Vor diesem Hintergrund vertritt Hegel, begleitet von der Polemik gegen Chemiker, die die Ausgangsstoffe der Experimente stets als in den Resultaten noch verdeckt enthalten ansehen, die These, dass in der chemischen Reaktion tatsächlich eine Transformation erfolgt.12 Wie zuvor in dem Verhältnis zwischen organischem und physikalischem Körper zeigt sich auch hier, dass die Differenz in der ontologischen Verfassung stets mit der Art der Bewegung oder Veränderung korreliert ist - und zwar so, dass hier im Gegensatz zum Organismus weder Individualität noch Erhalt gegeben ist. Zugleich legt aber die Anordnung des Ganzen, die von dem Physikalischen über das Chemische zur Philosophie des Lebendigen vordringt, doch fest, dass sich aus den Prozessbegriffen des Chemischen zuletzt ein Weg zum Organismus in seiner Individualität bahnen lassen muss. Um dies zu erreichen, verfolgt Hegel in seinem weiteren Durchgang einen langen Weg: Dieser vollzieht sich zunächst über den Kreis der chemischen 10

Fr.4,21 f. und Fr.6,42. Fr.6,42. Dies ist der erste Aspekt in der Darstellung der chemischen Elemente. Der zweite ist die Bestimmtheit der Elemente gegeneinander, kraft deren sie als spezifische Stoffe auftreten.

12

Fr.6,48.

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Elemente - gemeint sind Stickstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Kohlenstoff, in dem sich die Bewegung resümiert - dann über deren Rolle in den natürlichen Elementen, die Hegel als Luft, Feuer, Wasser und die umfassende Erde anordnet, um zuletzt diese nicht für sich, sondern nur als Prädikate der natürlichen Prozesse, die sich in der Erde vollziehen - d.i. der Gegenstände der Geo Wissenschaften - zu betrachten. Unter der Bestimmung der Erde wird dann in Gestalt der Gesteine und Metalle der geschlossene Körper, der zuvor als Ausgangspunkt in Anspruch genommen wurde, zurückgewonnen. Und hier findet der Begriff der Individualität seinen Auftritt: Es ist aber nur erst die 13

,starre Individualität', die anders als der sich bewegende und im Tätigkeitsvollzug begriffene Organismus die Außenbeziehung nicht schon an sich enthält - mit dem Ergebnis, dass dies Äußere als dem Individuellen Fremdes, Zufälliges oder Unbezogenes dieses als solches treffen und damit transformieren oder zerstören kann.

3. Empfindungen als Zustände von Organismen Der vorangegangene Überlegungsschritt sollte zeigen, wie Hegel das Organische einerseits von physikalischen und chemischen Gegenständen und Prozessen abgrenzen, zugleich aber auch in ein Verhältnis setzen will, so dass eine reduktive Strategie ebenso ausgeschlossen ist wie die Gefahr, dass Gegenstände, die gänzlich unverbundenen kategorialen Prinzipien gehorchen, nebeneinander zu stehen kommen. Dadurch ergibt sich für Hegel die Aussicht, Empfindungen als Zustände lebendiger - und das heißt: empfindender Wesen in einer Weise zu bestimmen, die auf die Natur bezogen ist, ohne naturalistisch im reduktiven Sinn zu sein. Zugleich ist mit dem Auftritt der Individualität ein Ansatzpunkt und mit dem Defizit ihrer ersten Form auch eine Richtung für die weitere gedankliche Entwicklung vorgegeben: Als Lebendiges muss das Individuum das ihm gegenüber Äußere, und das heißt zunächst: die ihm gegenüberstehende anorganische Natur und seine Beziehung auf sie an sich selbst enthalten, was in Hegels Konzeption auf unterschiedlichen Ebenen geschieht. Sie dringen ihrerseits wieder vom Äußeren zum Inneren vor. Auf der äußersten Ebene wird dieser Gedanke auf die ganz spezifische Bauform des Organismus bezogen und ist Hegels Muster der Deutung von dessen Organisation in Knochen, die den unbelebten Körpern entsprechen, und das System der Muskeln, die diese scheinbar nach mechanischen Prinzipien bewegen - all dieses ist Äußeres, aber doch Teil des Organismus selbst und wird von Hegel folgerichtig als ,aüsser(er) Organismus'14 bezeichnet. Aber der Organismus kann nicht mit jenem Zusammenhang identifiziert werden, denn dann hätten wir zwar eine Bewegung, diese wäre aber als mechanische selbst nur eine des Starren und wir wären über die , starre Individualität' und die ihr zugrunde liegende Physik nicht hinausgelangt. Vielmehr muss 13

14

Fr. 10,139. Diese Differenzierung findet sich deutlich z.B. in Fr. 15,247.

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der Organismus ein eigenes Residuum ausbilden, das zugleich auf die Bestandteile des Äußeren als einem anderen, das ihm doch selbst angehört und eingeordnet ist, in eben dieser Form bezogen ist. Dies ist in dem System der Nerven und der wiederum in einer Kreisbewegung begriffenen Blutzirkulation der Fall, die den Organismus ebenso steuern wie erhalten. Zugleich dürfen äußerer und innerer Organismus aber nicht in nur äußerlicher Weise zusammenkommen, was voraussetzt, dass sie einen gemeinsamen Bezugspunkt haben, den Hegel in der Nähe von Nerv und Mark sowie Blut und Muskel situiert. Liegt darin eine Entsprechung, so kann Hegel dann sagen, dass das Innere nicht nur auf das Äußere bezogen ist, sondern dass es zurecht als eine Reflexion des äußeren Organismus betrachtet werden kann.15 Genauer betrachtet ist der Zusammenhang so, dass nur Kraft des Inneren jene Bezugsleistung in der Reflexion erfolgt. Dies heißt aber, dass wir uns auf unserem Weg der Überlegung an den inneren Organismus halten müssen. Und von den Systemen der Nerven und des Blutes gilt nun tatsächlich, dass die einzelne Bewegung in ihnen - die Mitteilung in den Nerven und der Kreislauf des Blutes - nur unter der Bedingung des geschlossenen Gesamtsystems möglich ist, während dieses sich wiederum nur in der Permanenz dieser Bewegungen erhält. Damit sind schon zwei der Kriterien erfüllt, von denen in Bezug auf das Organische die Rede war: Wir haben es nicht mit etwas zu tun, das aus Elementen zusammengesetzt verständlich gemacht werden kann oder dessen Einheit nur in einem Teil ist, wie es z.B. noch bei solchen Pflanzen der Fall ist, in denen ein Trieb sich wieder selbst zu einer ganzen Pflanze ausbilden kann. Und der Organismus als innerer ist etwas, das nur in dem Bewegtsein besteht - ohne neuronale oder Kreislaufaktivität kein Leben. Dies ist aber nicht alles: In der bewegten Flüssigkeit des Blutes, vor allem aber in dem Medium, in dem sich der Nervenimpuls fortsetzen und mit anderen verbinden kann, finden wir ein einheitliches Einfaches, gleichsam - so Hegels Terminologie- das Allgemeine16 in den Besonderungen der Reizungen und Impulse, das sich in der Veränderung, die selbst stets wieder das Einzelne und das Ganze des Zusammenhanges betrifft, erhält. Das zweite von beiden, die Medialität des Nervensystems, ist wiederum eine Möglichkeitsbedingung dafür, dass der eine Sinn in den unterschiedlichen besonderen Sinnen und Empfindungen enthalten sein und diese in ein Bewusstsein zusammenführen kann. Dass sich der Nervenimpuls, von außen kommend, fortsetzen und mit anderen zusammentreffen kann, ist aber zugleich eine notwendige Bedingung dafür, dass überhaupt ein Äußeres repräsentiert und als äußere Natur repräsentiert werden kann. Dies ist eine der Funktionen des Nervensystems neben dem Impuls, der direkt auf das äußere System bezogen ist und in die Handlung zurückführt. Damit haben wir aber mit dem Begriff der Empfindung, der für den ersten der beiden Prozesse steht, die zweite Weise, wie ein Äußeres nunmehr als Äußeres in dem Organismus gegenwärtig sein kann, erreicht und sind zugleich zu dem Ausgangsthema zurückgelangt - aber so, dass es aus der Perspektive der Natur in den Blick kommt. 15

Fr. 13,225.

16

Ebd., 226.

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a. Die Tatsache, dass Empfindungen an den Einzelnen gebunden und diesem gegeben sind, stellt für sich genommen keine besondere Schwierigkeit dar; denn dass voneinander getrennte Einzelne auftreten und, um Einzelne sein zu können, ein Inneres ausbilden müssen, macht gerade das Wesen der organischen Form im Gegensatz zu der anderen Natur aus. Die Außengrenze des Individuums ist durch die Reichweite des indekomponiblen Kreislauf- und Nervensystems bestimmt, wobei das Nervensystem die Empfindungen für den bereitstellt, dessen Nervensystem es ist. Dass sie für ihn Empfindungen sind, liegt daran, dass dies sein Nervensystem ist, während ein anderer von ihm getrennt und nicht mit diesem Nervensystem oder Gehirn verbunden ist, sondern sich auf es als einen äußeren Gegenstand bezieht. b. Soeben war davon die Rede, dass ein Wesen, um Einzelnes zu sein und sich als Einzelnes erhalten zu können, ein Inneres ausbilden muss. Um noch genauer zu verstehen, in welchem Sinn Empfindungen in dieser Überlegung ins Spiel kommen, muss man bedenken, dass sich aufgrund des Einfachen und Allgemeinen, das sich durch das kontinuierliche Prozedieren der Kreislauf- und Nervensysteme hindurchzieht, zugleich auch der Organismus kontinuiert. Als Einzelner steht er aber auch einer von ihm unabhängigen Natur gegenüber. Folglich gibt es diese Kontinuität nur, insofern er sie gegen die Natur sichert. Dem korrespondiert, dass von den zwei Bewegungssinnen, die oben bei der ersten Charakterisierung des Organismus angeführt wurden, nur erst der des inneren Bewegtseins, nicht aber der der äußeren Tätigkeit in den Blick gekommen ist. Die Empfindung ist nun, sofern sie das Äußere repräsentieren kann, Bedingung dafür, dass dieses Tun in zielgerichteter Weise möglich ist. Denn in ihr ist die Außenbeziehung des Organismus an ihm selbst enthalten. Und insofern sich die Empfindung kraft dieser Tatsache auf ein Anderes als Äußeres bezieht, umfasst sie stets eine Beziehung des Organismus auf sich selbst, wenn auch nicht schon in expliziter Weise. Daher kann Hegel sagen, dass das ,(A)nimalische (..) in seiner Einzelnheit, in seiner Einfachheit das an17

dersseyn seiner selbst hat, sich selbst empfindet'. Es ist also nicht so, dass der Organismus vermittels der Empfindungen sich nur auf von der Einfachheit seines Lebendigseins verschiedene Vorgänge oder Dinge, wie z.B. Gegenstände der Begierde, bezieht. Würde der Organismus nur diese, nicht aber sich selbst empfinden, oder auch sich selbst, die darin empfundenen Zustände aber nicht als eigene, so müssten wir tatsächlich von einem abstrakten Subjektstandpunkt in ihm sprechen, wie es zu Beginn der Fall war. Dies wäre ein, wenn auch nicht der einzige Weg, zu dieser These zu gelangen. Wäre dem so, müsste das Empfinden allerdings unverständlich werden, denn wie sollten wir wissen, auf welche Weise das Subjekt mit dem Organismus zu korrelieren ist, wenn es auf der Seite des Subjektes keinen sicheren Anhaltspunkt dafür gibt? In diesem Sinn kann das Begreifen des Empfindens von einem Verstehen des Organismus in seiner natürlichen Funktion zumindest nicht abgelöst werden.

17

Fr. 1 5 , 2 6 0 .

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c. Selbst wenn wir Empfindungen als Zustände von Organismen in ihrer natürlichen Beschreibung verstehen, so folgt nicht, dass sie nicht durch Bezug und Gehalt ausgezeichnet oder zumindest in sie analysiert werden könnten. Ebensowenig folgt aus der Tatsache, dass das Individuum im Empfinden sich selbst empfindet, dass es sich primär selbst empfindet, seine Empfindungen also nicht auf Gegenstände außer ihm verweisen können. Dass wir es mit Zuständen von Organismen zu tun haben, die auf Gegenstände verweisen können, heißt aber auch nicht, dass sie dem Individuum nicht in der Weise separater, nicht durcheinander erschöpfend bestimmter, qualitativer Eindrücke, wie eingangs erwähnt, erscheinen können. Hegels Unterstützung für die letzten beiden Thesen lässt sich belegen, wenn man beachtet, auf welche anderen Weisen Einzelnheit die Lebensform des Individuums als einer Stufe in der kategorialen Entwicklung bestimmt. Denn einerseits kann Einzelnheit auch den Gegenstand der Empfindung auszeichnen, was Hegel am Typus der appetitiven Empfindungen, der Form des Begehrens, herausarbeitet, die sich auf ein anderes Individuum richtet. Ist Allgemeinheit hier im Spiel, so Hegel in Fragment 15, so nur .versenkt in die Einzelnheit, nur die Einzelnheit ist ge18

genwärtig'. Andererseits ist aber auch die Empfindung selbst, wenn schon nicht ein Einzelnes im Sinne des Individuums, so doch ein dieses, das als diskontinuierlich im Durchgang der Empfindungen und damit als individuierbar erscheint. Letzteres zeigt sich in Hegels Beispiel der distinkten Wahrnehmungsempfindungen. Hegel nimmt also zwei unterschiedliche Klassen von Empfindungen in den Blick und will verschiedene Aspekte an ihnen verdeutlichen. An der appetitiven Empfindung will er neben dem Gegenstandsbezug herausarbeiten, dass die Empfindungen nicht ausschließlich als Repräsentationen nach dem Muster einer theoretischen Einstellung zu beschreiben sind. Sie stehen stets auch im Zusammenhang mit Aktivitäten oder Vollzü19 gen. So stellen sie z.B. nicht etwas, sondern dieses als ,zu vernichtende(s)' vor. Die20 ser Orientierung auf den Gegenstand liegt eine Norm zugrunde. Und dies stützen auch sachliche Überlegungen, die Hegel nicht in dieser Form geltend macht: Wäre diese Norm in dem Organismus nicht gegeben, so könnte nicht erklärt werden, wie er unter unterschiedlichen, nicht in ihrer spezifischen Form antizipierbaren Einwirkungen von außen seine Richtung erhalten kann, wie es in der Bestimmung des Organismus liegt. Betrachten wir den Zusammenhang genauer, so fällt auf, dass Hegel die Empfindung nicht nur in einen Handlungszusammenhang einbettet, sondern selbst sogar nach dem Muster von Handlungen interpretiert. Denn gerade so, wie der Organismus z.B. in der Ebd. Vgl. zudem die von Hegel später geänderte Fortsetzung (260) und 261, Absatz 2. 19

20

Fr. 14,241. Vgl. hierzu den Zusammenhang zwischen nervlicher Organisation, Gefühl und Zweckmäßigkeit in M. Wolffs Darstellung des Hegeischen Ansatzes in der Enzyklopädie (M. Wolff: Das KörperSeele-Problem. Kommentar zu Hegel, Enzyklopädie (1830), §389, Frankfurt/M. 1992, insbesondere 137ff.). Zieht man die von Wolff aus Hegel gewonnene Strategie im Umgang mit dem LeibSeele-Problem heran, muss man beachten, dass er sich auf einen Hegeischen Text stützt, der hinsichtlich des Status der Natur eine im weitreichenden Maße geänderte Position dokumentiert.

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Ernährung sich einen Gegenstand einverleibt, so deutet Hegel auch die Empfindung als Aufgehobensein und Dem-Organismus-Angehören eines Äußeren, aber so, dass dieses nun ideal, d.h. im Ganzen im Organismus erfolgt, während der Gegenstand zugleich besteht. In diesem Sinn ist für Hegel die Empfindung selbst eine Handlung, die, weil sie ganz im Inneren stattfindet, gleichsam eine gehemmte Handlung ist und als solche wiederum eine Funktion als Mittelglied in einem realen Handlungszusammenhang hat.21 d. Damit ist nur erst gesagt, dass ein Äußeres als Inneres, und d.h. in der Form einer Repräsentation gegeben sein kann. Wir wissen aber noch nichts über die Bedingungen für die Bestimmtheit von Empfindungsgehalten, was auf Hegels Analyse des zweiten Beispieltyps führt. Gerade die Analogie zur Ernährung weist uns hierbei aber den Weg. Denn Hegels Kommentare zu diesem Thema machen deutlich, dass, gegeben die kategoriale Differenz des Organismus zu anderen Formen des Natürlichen, sich das, was ihm angehört oder in ihn eintritt, seiner inneren Struktur toto genere anverwandeln muss.22 Wiewohl im Ganzen Einzelnes, ist er intern unendlich strukturiert. Bezogen auf die Empfindung heißt dies: Wir dürfen u.a. nicht annehmen, dass eine Linie kausaler Einwirkung nach dem Muster eines physikalischen Prozesses durch den Organismus hindurchgeht und den Gehalt einer Empfindung je für sich genommen von seinem Bezugsobjekt her festlegt; denn dann müsste der Organismus zerfallen und wir fielen zurück auf die physikalische Stufe der Natur. Darin liegt aber nicht, dass die Empfindung nicht von außen in dem Organismus ausgelöst wird und dieses Auslösen nicht das erlebte Sosein prägt. Der Organismus muss in diesem Fall jedoch die Bedingungen des Gehalt-sein-Könnens an sich selbst aufweisen. Und dies ist nach Hegel wiederum daran gebunden, dass die einzelne Bestimmtheit, wie z.B. die einer Blauempfindung, durch die ihr gegenteiligen konturiert ist, wobei im Übergehen zu ihnen zugleich ein Farbigsein als solches im Spiel ist, das in jeder Farbe ganz gegenwärtig ist und zugleich durch alle Farben hindurchgeht. Es ist der Zusammenhang, ,daß das empfundene Blau unmittelbar aufhört, diß Blau zu seyn, und das Gegentheil seiner selbst die übrigen ihm entgegengesetzten Farben, die Einheit alles übrigen ihm in seiner Potenz Entgegengesetzten, daß es unmittelbar Farbe wird'. Hegel fügt aber hinzu: ,diß erhebt die Empfindung über sich selbst'.23 Indem die Empfindung gehaltvoll ist, ist sie doch nur eine noch ungenügende Form dessen, was sich erst in einer unterliegenden logischen Struktur realisiert, die Kriterien des Gehaltvollseins unabhängig von der Ordnung des Auftretens der einzelnen Gehalte bereitstellt. Genauer betrachtet, beschreibt Hegel die Einzelnheit der Empfindung selbst als nur erscheinende Einzelnheit, der die bereits erwähnte unendliche' Struktur als ,(v)erborgene Einheit' 24 zugrunde liegt. Damit zeigt sich: Ebensowenig wie Empfindungen auf ein Subjekt bezogen sind, sondern vielmehr an Organismen auftreten und sich in deren Nervensystem realisieren, sind sie in dem Wesen ihres Ge21

Fr. 14,241.

22

Fr. 12,220.

23

Fr. 15,262. Ebd., 261.

24

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haltvollseins als einstellige, isolierbare Qualitäten zu begreifen. Vielmehr verweisen sie in ihrem Abgegrenztsein auf Relationsterme, die einen präzisen Platz in einer nicht zuletzt durch das Auftreten des Sichdurchhaltenden getragenen Ordnung der Bestimmtheit einnehmen. Diese muss wie der Organismus in Begriffen der spekulativen Philosophie beschrieben werden. e. Wir dürfen nun allerdings nicht übersehen, dass mit der Ambivalenz der Struktur des Empfindungsgehalts schon eine Spannung auftritt, die Hegel in seiner gedanklichen Bewegung ausnutzt, um das Organische auf die folgende kategoriale Form, die er .Bewusstsein' oder ,Geist' nennt, zu beziehen. Genauer betrachtet besteht die Spannung darin, dass die Empfindung einerseits als einzelne erscheint, zugleich aber zum internen Bestand des Organismus zählt, der selbst durch die unendliche Struktur gekennzeichnet ist. Und dies heißt, dass er einerseits in einem Vollzug begriffen ist, der über jedes Einzelne als seinen Zustand hinaus und durch es hindurch führt, andererseits aber sich in diesem Vollzug hält. Will Hegel nun auf diese Weise über die Konstellation des Organischen hinausgelangen, so muss an dem Organismus im Ganzen dieselbe gedankliche Bewegung aufgezeigt werden können. Einerseits ist der Organismus für sich genommen unendlich strukturiert. Dies ist eine Bedingung dafür, Einzelnes sein zu können. Seine Definition erfolgt aber durch die Art einer Außenbeziehung, die ihn von anderen Gegenständen abgrenzt; und diese Außenbeziehung, eben jene Individualität als Abgrenzungsfunktion, enthält selbst noch kein unendliches Element. Es muss dies aber so eingeführt werden, dass die Einzelnheit auch nicht aufgehoben wird, denn diese ist ja zugleich mit der Unendlichkeit als innerer Struktur korreliert, zu der eine kategoriale Entsprechung in der Außenbeziehung gesucht wird. Im Zielpunkt der Überlegung will Hegel die gedankliche Entwicklung mit der der Empfindung selbst zusammenfallen lassen. Um einen ersten Ansatz Hegels zu verstehen, müssen wir beachten, dass schon im Empfinden in der unendlichen Struktur mit dem Sichdurchhalten ein Allgemeines auftritt. Dann haben wir auch bei dem Organismus nach einem Aufbrechen der ausschließlichen Einzelnheit zugunsten einer Allgemeinheit zu suchen. Dies erklärt, warum Hegel zunächst die Krankheit ins Spiel bringt, denn diese steht als Ansammlung des FlüssigStofflichen im Organismus und als Auflösung des Organismus in das Stoffliche für eine Machtergreifung des Kontinuierlichen, sich Durchhaltenden. Wie schon der Rückfall auf die vorangegangene Stufe indiziert, erfolgt dieses Aufbrechen der Einzelnheit aber in der Vernichtung des Einzelnen und nicht unter dessen Erhalt, so dass auch das Kontinuierliche kein wahres Allgemeines werden kann, weil dieses des Einzelnen bedarf.25 In einer zweiten Überlegung verlässt Hegel die eingangs geschilderte physiologische Seite des Organismus und begibt sich auf die Ebene des auf ein anderes bezogenen Begehrens: Es erfüllt sich im Moment der Reproduktion. In dieser ist zugleich das Allgemeine als Gattung in dem Einzelnen gegenwärtig und setzt sich in ein anderes Indivi-

25

Ebd., 249ff., insbesondere 259,2. Absatz und 261.

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duum fort. Es geschieht dies aber so, dass stets nur ein weiteres einzelnes Individuum entsteht, so dass die Einzelnheit gerade nicht modifiziert wird.26 Die dritte Überlegung baut Hegel dann in einer Wendung von der Empfindung her auf - und zwar anhand ihrer Organisation in den Sinnen. Hegel ordnet sie so an, dass er zunächst das taktile Spüren, das vor allem auf die Schwere von Körpern ausgerichtet ist, und den Gesichtssinn, der äußere Ausdehnung und Bewegung erfasst, aufeinander bezieht. Beide scheinen somit auf die Welt der Physik bezogen. Der Gegenstand von Geruchs- und Geschmackssinn ist hingegen nach Hegel ein homogenes Einfaches und das Erfasste, wie z.B. Süße oder Salzigkeit, mag an einem Körper sein, ist aber nicht der Körper selbst - wir bewegen uns hier auf der Ebene des Stofflichen. Im Ton schließlich, der von einem Körper ausgeht, aber nicht durch ihn getragen wird und sich wie ein Einfaches ausbreitet, zugleich aber bewegt und in sich strukturiert ist, werden die gegensätzlichen Pole zusammengefasst. Entscheidend ist nun aber, dass der Ton nicht nur empfunden wird, sondern dass in ihm auch ein Empfindendes aus der Einzelnheit seines Erlebens heraus sich ausdrücken und gehört werden kann, so dass jetzt ein Medium der Mitteilung nicht nur im Organismus, sondern durch die Organismen und zwischen ihnen gegeben ist. Dann liegt aber ein Allgemeines als ihnen Gemeinschaftliches vor, in 27 dem ein Einzelnes in der Mitteilung bruchlos aufgehen kann.

4. Ein Rückblick auf das Verhältnis von Natur und Geist28 In den vorangegangenen Abschnitten habe ich versucht zu zeigen, wie Hegel den Organismus als besonderen Gegenstand auszeichnet, von anderen Naturgegenständen und Prozessen abgrenzt und in dieser Abgrenzung so beschreibt, dass Empfindungen in ihm ihren notwendigen Ort haben. Die dargestellte Konstellation endet in einer Überlegung, in der in einem Bezug des Empfindens auf das Empfinden selbst sich ein reflektiertes Verhältnis der Empfindung herstellt; dies aber so, dass zugleich die Einzelnheit des organischen Individuums relativiert wird zugunsten eines gemeinsamen Mediums, in dem sich die Individuen aufeinander als empfindend beziehen. Kommt damit nun so etwas wie Geist ins Spiel, so sind wir auf der Basis der bisherigen Darstellung jetzt in der 26

Ebd., 261.

27

Fr. 13,236 ff.

28

Genauer ist die oben gewählte Formulierung .Bewusstsein oder Geist'. Diese doppelte Bezeichnung ergibt sich daraus, dass Hegel einerseits die nunmehr neu betretene Sphäre im Ganzen als die des Geistes bezeichnet, diese andererseits aber mit einer Position beginnen lässt, in der der im Geist antizipierte Sinn von Einheit in der Differenz sich für die betrachtete Konfiguration nur erst unvollkommen realisiert - das Bewusstseiende stellt sich das, dessen es sich bewusst ist, gegenüber, wiewohl dieses an sich nicht länger abgetrennt ist. In Folge ist die Einheit nur in der Form verbindender Mitten gegeben. Daraus ergibt sich eine Entwicklungsmöglichkeit in der Gesamtsphäre des Geistes, auf die ich nicht mehr eingehen werde.

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NATUR UND GEIST ODER LEIB UND SEELE?

Lage, die eingängliche Frage nach dessen Beziehung zur Natur und der Art des Übergangs zu ihm aufzunehmen. Denn wir können ausschließen, dass Hegels These, dass die 29

Natur im Geist als das existiere, was ihr Wesen ist, nur darauf hinweisen will, dass beide zwar im Gegensatz stehen, aber gerade darin aufeinander bezogen sind. Auch ist nicht gemeint, dass wir selbst als erkennender Geist doch stets schon gegenwärtig sind und wir uns wohl einzelne Naturphänomene, nicht aber die Natur als solche außerhalb von uns selbst denken können. Denn eine solche Überlegung beließe die Natur als unveränderten Gegenstand der Betrachtung, während der Geist nur in Anspruch genommen, nicht aber in seiner Struktur auf die Natur bezogen wäre. Auch ist nicht gemeint, dass die Natur nur dann bestehen kann, wenn zumindest ein Fall von subjektivem Erleben auftritt, denn der Gang der Überlegung bewegt sich auf der kategorialen Ebene. Wenden wir uns sodann den Versuchen zu, Natur und Geist über das Bindeglied des Organismus ineinander zu lesen. Hier gibt es, obwohl die Konzeption ganz von der Natur her entwickelt wurde, durchaus Grund, an der Annahme, der Geist selbst bestünde nurmehr ganz in der Funktion des Lebendigen, zu zweifeln. Ansatzpunkte dazu gibt es schon in der Analyse der Empfindung: Deren Gehalt gründet in einer logischen Struktur, die zwar dem Organismus entspricht, als Struktur der Empfindung in ihm für sich genommen aber noch gar nicht gegenwärtig ist. Und was den Organismus im Ganzen betrifft, so ist zwar seine Individualität, nicht aber jene umfassende Einheit, in der er für sich selbst mit dem anderen Individuum gehalten ist, in der organischen Form schon gegeben. Damit erscheint das Organische aber als eine Zwischenstufe, die in den Geist eingeht, der über es und folglich auch über die Natur hinausreicht. Öffnen wir allerdings die Perspektive und blicken auf die Entwicklung der Natur im Ganzen, so zeigt sich, dass auch dies nicht wahr ist: Schon oben haben wir die Nähe der ersten Form der Natur - der Bewegung der Planeten um sich selbst und um ein anderes - zur Bewegung des Organischen gesehen. Sie wird durch den Äther als einheitliches, sich durchhaltendes Medium gehalten. Noch nicht verständlich ist allerdings, wie das einheitliche Medium sich mit der Vereinzelung der bewegenden Körper fügt. Über diese Bewegung ist der Geist nun nicht nur an den Endpunkt der Natur im Organismus, sondern auch an ihren Anfang gebunden. Hier erfolgt, so Hegel 1803/4, eine Rückkehr zur Natur, aber so, dass jene Bewegung jetzt für die Bewegten selbst gegeben ist und mit dem Geist eine kategoriale Struktur gewonnen ist, in der der zuvor fehlende Zusammenhang zu der Einheit des Mediums verständlich wird. Insofern ist auch der Geist selbst nichts anderes als die im Anfang und im Ausgang intelligibel gewordene Natur.

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Fr. 15,265.

WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK

Die Bedeutung der ,Mitten' des Bewusstseins (Sprache, Arbeit, Familie) in Hegels Systementwurf von 1803/04 und die spätere veränderte Konzeption

1. Vorbemerkung Georg Lukács war es, der mit seinem Buch Der junge Hegel (1948)1 zunächst auf die frappierenden Parallelen zwischen den Jenaer Manuskripten des jungen Hegel und den Entwürfen des jungen Marx - ohne dass dieser von jenen Kenntnis haben konnte aufmerksam machte. Hegel spricht im Systementwurf von 1803/04 von den drei Mitten des Bewusstseins: der Sprache, dem Werkzeug und dem Familiengut. Ganz ähnlich, wenn auch in anderer Reihenfolge, nennt Marx in der Deutschen Ideologie (1845/46) ,drei Momente, die Produktionskraft, der gesellschaftliche Zustand und das Bewußtsein', die ,vom Anbeginn der Geschichte an und seit den ersten Menschen zugleich existiert haben und sich noch heute in der Geschichte geltend machen'. Nach seiner Darstellung können und müssen diese allerdings ,in Widerspruch untereinander geraten [...] weil mit der Teilung der Arbeit die Möglichkeit, ja die Wirklichkeit gegeben ist, daß die geistige und materielle Tätigkeit [...] verschiedenen Individuen zufallen.' 2 Lukács' Zusammenrücken der beiden jungen Denker, die sich beide in einem Abstand von 42 Jahren für ihre Geschichts- und Sozialphilosophie u.a. mit der politischen Ökonomie von Adam Smith auseinandersetzten, fand viele Nachfolger, die entweder Hegel von Marx her deuteten oder Marx von Hegel her zu korrigieren versuchten. Bei diesen Diskussionen der Parallelen wurden oft die grundlegenden Differenzen zwischen Hegels idealistischer Begriffsdialektik und der geschichtsmaterialistischen Dialektik von Marx gänzlich übersehen oder überspielt. Selbst bei denen, die sich stärker Hegel anzuschließen glaubten, werden die ,Mitten' als anthropologische Konstanten beziehungsweise evolutionäre Größen genommen. So schreibt beispielsweise Jürgen Habermas in vermeintlichem Rückgriff auf Hegel und mit Kritik an Marx: ,Wir dürfen annehmen, daß sich in den Strukturen von Arbeit und Sprache erst die Entwicklungen vollzogen haben, die zur spezifisch menschlichen Reproduktionsform des Lebens und

G. Lukács, Der junge Hegel (1948), Frankfurt/M. 1973. 2

K. Marx/F. Engels, Werke und Briefe, Berlin 1957ff. (im Folgenden zitiert als MEW), Bd.3, 29, 32.

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damit zum Ausgangszustand der sozialen Evolution geführt haben. Arbeit und Sprache sind älter als Mensch und Gesellschaft.' Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, dass Habermas mit dieser Aussage sowohl das Anliegen von Marx als auch das von Hegel verfehlt, ja ich möchte an dieser Stelle überhaupt nicht an die Debatte der 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts anknüpfen, sondern mich vorerst allein auf die Bedeutung der ,Mitten' in Hegels Jenaer Manuskripten beschränken.

2. Ausgangspunkt Als Hegel sich im Herbst 1800 entschließt, von Frankfurt nach Jena zu übersiedeln, um sich dort mit Schellings Unterstützung zu habilitieren, und sich hierfür intensiver mit Schellings jüngsten Schriften vertraut macht, vollzieht Schelling gerade einen grundlegenden Wandel seines bisherigen philosophischen Ansatzes der Entgegenstellung von Transzendentalphilosophie und Naturphilosophie zu einem absoluten System der Wirklichkeitsphilosophie, die nach einer einführenden Thematisierung der absoluten Einheit von Vernunft und Wirklichkeit in drei Systemschritten, beginnend mit der Naturphilosophie über die Philosophie des Ideellen oder des Geistes bis zur philosophischen Thematisierung des Absoluten in Kunst und Religion voranschreiten soll. Davon setzt Schelling Hegel in Kenntnis, als dieser Anfang 1801 nach Jena kommt und zunächst bei ihm auch wohnt. In den ersten Monaten des Jahres 1801 arbeiten beide - miteinander in intensivem Gespräch - : Schelling an einer ersten Skizze seines neuen Systemansatzes Darstellung meines Systems der Philosophie4 und Hegel an seiner philosophischen Erstlingsschrift Differenz des Fichte'sehen und Schelling'sehen Systems der Philosophie.5 Ohne Zweifel haben beide mannigfaltige Anregungen aus ihren gemeinsamen Diskussionen gezogen und ohne Zweifel bemüht sich Hegel auch in seiner Differenzschrift den neuen Standpunkt Schellings - mit einigen eigenen kritischen Akzentsetzungen vor allem im ersten Kapitel - adäquat wiederzugeben. Aber es kann uns heute nicht verborgen bleiben, dass sie beide von Anfang an - ohne davon zu wissen - unterschiedliche Wege der Systembildung beschritten. Während die Hegel-Forschung von einer ursprünglichen Gemeinsamkeit ausgeht und davon abgehoben jene Punkte betont, an denen schrittweise von 1801 an Hegels eigener Systementwurf deutlich wird, gilt es von der Schelling-Forschung her zu unterstreichen, dass Hegel bereits in der Differenzschrift

J. Habermas, Zur Rekonstruktion

des Historischen

Materialismus,

Frankfurt/M. 1976, 151; vgl.

auch J. Habermas, .Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser „Philosophie des Geistes'" (1967), in: ders., Technik und Wissenschaft als ,Ideologie', F.W.J. Schelling, Darstellung

meines Systems der Philosophie

Frankfurt/M. 1968,9-47.

(Mai 1801), in: Sämmtliche

hg. von K.F.A. Schelling, Stuttgart/ Augsburg 1856-1861, B d . 4 , 1 0 5 - 2 1 2 . G W 4 , 1 - 9 2 ; das Vorwort ist unterzeichnet: ,Jena im Juli 1801' (8).

Werke,

DIE BEDEUTUNG DER ,MITTEN' DES BEWUSSTSEINS

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gar nicht Schellings neue Position wiedergibt, sondern vielmehr Schellings Ansatz aus dem Jahr 1800, den er auf die absolute Einheit von Vernunft und Wirklichkeit hin denkt - jedoch in anderer Weise als Schelling selbst. Dies alles sei hier nur angeführt, um die Jenaer Systementwürfe Hegels, die ja - vom späteren Hegel her gesprochen - eine eigentümliche Mischung aus Phänomenologie und Enzyklopädie darstellen, besser verstehen zu können. Während Schelling seit dem Herbst 1800 die Wissenschaftslehre oder den transzendentalen Idealismus - wie er Fichte zu dessen Entsetzen am 19.11.1800 in einem Brief mitteilt - zu einer subjektiven' Hinführung zur Philosophie degradiert, die eigentliche Systemphilosophie dagegen gleich mit der absoluten Einheit von Vernunft und Wirklichkeit beginnen lässt, deren Durchführung in drei Teilen folgt: der Naturphilosophie, der Geistesphilosophie und der philosophischen Thematisierung des Absoluten in Kunst und Religion, stellt Hegel Schellings Position so dar, als stünden sich Naturphilosophie und transzendentaler Idealismus (Bewusstseinsphilosophie) als auf einander bezogene Systemteile entgegen, die dann noch durch eine philosophische Thematisierung von Kunst und Religion zu einem Ganzen abgerundet werden. ,Die Entgegensetzung der spekulativen Reflexion ist nicht mehr ein Objekt und ein Subjekt, sondern eine subjektive transcendentale Anschauung und eine objektive transcendentale Anschauung; jene Ich, diese Natur, beydes die höchsten Erscheinungen der absoluten sich selbst anschauenden Vernunft. Daß diese beyden entgegengesetzten, sie heißen nun Ich und Natur ... sich selbst setzen und entgegensetzen ... zugleich in dem Absoluten gesetzt werden, in dieser Antinomie erblikt die gemeine Reflexion nichts als den Widerspruch, nur die Vernunft in diesem absoluten Widerspruche die Wahrheit, durch welchen beydes gesetzt und beydes vernichtet ist, weder beyde, und beyde zugleich sind.' (GW4, 77) Bisher wurde in der Schelling- und Hegel-Forschung die unterschiedliche Systemeinteilung als die grundlegende Differenz herausgearbeitet. Ursprünglich handelt es sich dabei jedoch nur um ein Nummerierungsproblem, insofern Hegel in seiner Vorlesung von 1801/02 das, was Schelling als Einleitung dem System voranstellt, als ersten Teil einer einleitenden ,Logik und Metaphysik' zu zählen beginnt. Diesen einleitenden Charakter behalten die Texte zur ,Logik und Metaphysik'- trotz ihrer starken Systematisierung auch noch in den Systementwürfen von 1804/05 - durch die ganze Jenaer Zeit hindurch. In der Abfolge der übrigen drei Systemteile entsprechen sich äußerlich gesehen Schellings und Hegels Systementwürfe bis 1806 weitgehend: Naturphilosophie, Philosophie des Geistes und Thematisierung des Absoluten in Kunst und Religion, wobei freilich die letztere bei Hegel seit 1803/04 immer näher an die Geistesphilosophie herangerückt wird. Nach den unterschiedlichen Entwürfen in der Jenaer Zeit begreift sich dann die Wissenschaft der Logik von 1812 definitiv als ersten Teil eines dreigliedrigen Systems, dem die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes folgen. Zu wenig sind jedoch bisher die Verschiedenheiten der inneren Systemgestaltung beider Denker bedacht worden. Auf die Naturphilosophie bezogen habe ich an anderer

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WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK

Stelle diese grundlegenden Unterschiede herausgearbeitet.6 Doch viel gravierender sind ihre Differenzen in der Philosophie des Geistes. Während Schelling von 1801 an die Philosophie des Ideellen oder des Geistes - sofern er sehr sporadisch und skizzenhaft auf sie eingeht - so konzipiert, dass er darin die wirklichen Gestalten des Wissens, des Staates und der Geschichte thematisiert, lässt Hegel in den Jenaer Systementwürfen die ,Philosophie des Geistes' beim subjektiven Bewusstsein beginnen, um von hier aus eine Stufenfolge des Bewusstseins zum allgemeinen sittlichen Geist des Volkes aufzuzeigen. Somit ergibt sich in den frühen Jenaer Systementwürfen (bis 1803/04) die eigentümliche Situation und Spannung, dass es zwei Einstiege in das System gibt: die Einführung ins System durch ,Logik und Metaphysik', auf die sodann die .Naturphilosophie' folgt, sowie die Einführung in die .Philosophie des Geistes', die beginnend mit dem subjektiven Bewusstsein nun in einem transzendentalen bzw. phänomenologischen Durchgang die Geistesphilosophie als Bewusstseinsphilosophie abhandelt, worauf dann noch als vierter Systemteil die Thematisierung von Kunst und Religion folgt, so dass wie Hegel in der ersten Jenaer Vorlesung von 1801/02 ankündigt - der philosophische Gedanke , endlich im 4ten Theil in der Philosophie der Religion und Kunst zur reinen Idee zurükkehrt, und die Anschauung Gottes organisirt'7 . Erst mit der Ausarbeitung der Phänomenologie des Geistes (1806/07) vollzieht Hegel die klare Trennung, die Schelling als seinen neuen Weg im November 1800 Fichte angekündigt hatte: der Bewusstseinsphilosophie wird nur noch eine subjektive Hinführung zum System selbst zugebilligt. Das System aber muss aus sich selbst begründet, aus der absoluten Einheit von Vernunft und Wirklichkeit, beginnen, was Hegel ab 1812 im ersten Systemteil der Wissenschaft der Logik darlegt, worauf die Naturphilosophie sowie die Philosophie des Geistes folgen. Dabei hat letztere nun alle Züge subjektiver Bewusstseinsphilosophie abgestreift. Die Behandlung des absoluten Geistes ist definitiv Teil einer Philosophie des Sichselbstbegreifens des Geistes in seinen realen Gestaltungen.

3. Die Philosophie des Geistes Aus den Jenaer Jahren Hegels liegen uns zwei Entwürfe der ,Philosophie des Geistes' vor, die beide als dritter Teil des Systems der Philosophie (1803/04 und 1805/06) konzipiert sind und jeweils auf einen naturphilosophischen Teil folgen. Während die N a turphilosophie' vor allem in dem Jenaer Entwurf von 1805/06 bereits die systematischen Züge erkennen lässt, die sie auch zehn Jahre später in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften aufweisen wird, stellen beide Entwürfe der ,Philoso6 7

W. Schmied-Kowarzik,,Von der wirklichen, von der seyenden Natur'. Schellings Ringen um eine Naturphilosophie GW5,264.

in Auseinandersetzung

mit Kant, Fichte und Hegel, Stuttgart 1996.

DIE BEDEUTUNG DER ,MITTEN' DES BEWUSSTSEINS

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phie des Geistes', wenn auch in unterschiedlicher Weise, jene eigentümliche Vermischung von Phänomenologie und Realphilosophie dar, wie sie nur für die Jenaer Zeit Hegels typisch ist. Die Vorgliederung der Phänomenologie des Geistes (1806/07) als einführende Hinleitung des subjektiven Bewusstseins zum System bedingt, dass die ,Philosophie des Geistes' innerhalb der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften ab 1816/17 einen rein realphilosophischen Charakter erhält. Obwohl beide Entwürfe in ihrer Durchführung recht unterschiedlich sind, was zum Teil aber auch daran liegt, dass der erste uns nur in Fragmenten überliefert ist und der zweite mehrfach nicht zugeordnete Einschübe enthält sowie beide lediglich Notizen zum Vorlesungsgebrauch darstellen, die manche Argumentationsstränge nur andeuten, weisen sie doch eine ähnliche Grundstruktur auf, die zunächst am Entwurf von 1805/06 knapp umschrieben werden soll: Nach einer Überblick gebenden methodologischen Einleitung, die deutliche Parallelen zur Einleitungsfunktion der Phänomenologie von 1807 aufweist, werden zunächst I. die Formen der Existenz des Bewusstseins behandelt, und zwar unter a) .Intelligenz' der Zusammenhang von Zeichen - Namen - Sprache und unter b) , Willen' der Zusammenhang von Arbeit - Werkzeug - List. Ihre Einheit als Bewusstsein aus sich selbst bezogen auf ihr unmittelbares Sein für Andere manifestiert sich in der Beziehung der Liebe in der Familie als gemeinschaftliche Erkenntnis und gemeinschaftliche Arbeit sowie in der Erziehung des Kindes. Dem wird der Kampf um Anerkennung (1805/06 deutlich außerhalb der Familie im .Naturzustand') entgegengestellt, ein Kampf, der in letzter Konsequenz auf den Tod des Anderen geht, dabei aber den eigenen Tod riskiert. Dieser absolute Widerspruch führt II. zu den Formen des,wirklichen Geistes': a) b)

dem Recht in seinen Gestalten des unmittelbaren Anerkanntseins im Tausch und Vertrag und deren Negation im Verbrechen mit der darauf bezogenen Strafe, sowie dem gewalthabenden Gesetz mit seinen Gestalten der richterlichen Gewalt und der peinlichen Rechtspflege. Daraus erwächst schließlich III. die .Constitution' des Staates als der sich wissenden Verfasstheit des Geistes eines Volkes, getragen einerseits durch die Sicherheit eines jeden Einzelnen durch die Herrschaft des Gesetzes und andererseits durch das Vertrauen eines jeden Einzelnen in das Allgemeine des Gemeinwesens. Von hier her strukturieren sich die Regierung als die Individualität im Allgemeinen sowie das Volk in seinen Ständen. Gemeinsam bilden sie den sich selbst gewissen Geist der Sittlichkeit - in dem der sich wissende Geist die höchste Spitze seiner Wirklichkeit erreicht.

Was an dieser Gliederung sofort auffällt, ist, dass sie wie im Jahr darauf in der Phänomenologie des Geistes trotz ihrer Dreigliedrigkeit in Wahrheit zweigliedrig aufgebaut ist, indem das jeweils einen Gegensatz aufhebende dritte Glied sofort wieder die eine Seite eines neuen Gegensatzes bildet. Dieser wird wiederum in einem neuen Dritten aufgehoben, dem ebenfalls sogleich wieder ein Gegenpart gegenüber tritt. So werden Sprache und Arbeit (abgekürzt gesprochen) als Momente in der Familie aufgehoben, ihrer unmittelbar sittlichen Beziehung der Liebe tritt aber der Kampf um Anerkennung

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entgegen, deren Aufhebung im Recht mit seinen entgegengesetzten Gestalten schließlich in der Konstitution des Staates zu ihrem Abschluss kommt. Es folgt ein Teil ,C. Kunst, Religion und Wissenschaft' (GW 8, 277-287), der einerseits inhaltlich in die ,Philosophie des Geistes' integriert ist, andererseits aber - wie in der Systemeinteilung bei Schelling - als C. gegenüber der .Naturphilosophie' und der ,Philosophie des Geistes' (die dann als A. und B. zu zählen sind) einen dritten realphilosophischen Teil zu benennen scheint. Denkt man der Realphilosophie als einleitenden ersten Teil die Logik voraus, die sich selber zur Metaphysik fortbildet, kann man hier noch immer von vier Systemteilen sprechen.

4. Die Mitten Nach dieser Grobstrukturierung, die wir stärker an dem Manuskript der ,Philosophie des Geistes' von 1805/06 orientiert haben, die aber weitgehend auch den weniger vollständig ausgearbeiteten und überlieferten Fragmenten von 1803/04 entspricht, wollen wir uns nun dem Konzept der ,Mitten' zuwenden, wie es vor allem in diesem Systementwurf entwickelt wird. Die .Philosophie des Geistes' ist der schrittweise Aufweis der vermittelnden Wirksamkeit des aus sich selbst konstituierten Geistes durch alle Gestalten des Bewusstseins hindurch vom ersten Auftauchen des Bewusstseins im Individuum an bis zum wirklichen Geist eines Volkes, der gleichsam die absolute Mitte ist (GW6, 270-271). Der Geist eines Volkes organisiert sich selbst als absolute Mitte durch die Mitten der Sprache, der Arbeitsorganisation und der ursprünglichen Sittlichkeit der Familie hindurch. So wird er zum absoluten, sich aus sich selbst begreifenden Geist: ,Nur als Werk eines Volks ist die Sprache die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht ... Die Arbeit ist... eine Vernünftigkeit, die sich im Volke zu einem allgemeinen macht ... die Arbeit des ganzen Volkes ... hat einen Werth'. (GW6, 318-322) ,Das sittliche Werk des Volks ist das lebendigseyn des allgemeinen Geistes; er als Geist ihr ideales Einsseyn, als Werk ihre Mitte ... Das absolute Werden ... des sittlichen Geistes ist die Notwendigkeit seines Handelns in der Totalität seines Werks.' (GW6, 316-317) Was wir hier mit Hegel vorweg hervorgehoben haben, ist das Ziel und die treibende Kraft der ganzen Bewegung, nicht aber der Weg, den die ,Philosophie des Geistes' durchschreitet. Dieser begleitet vielmehr das Bewusstsein, wie es sich im einzelnen Individuum unmittelbar offenbart über alle weiteren Stufen bis zum Bewusstwerden des allgemeinen Geistes in ihm. Dabei ist dies kein Weg, den das einzelne Bewusstsein sich selbst bahnt; dieses sieht immer nur seinen jeweiligen Bewusstseinsgegenstand; der allgemeine Geist ist es, der den Weg durch die Bewusstseinsstufen leitet und begleitet. Diese uns aus der Phänomenologie des Geistes vertraute Struktur liegt auch dem ersten Entwurf einer .Philosophie des Geistes' von 1803/04 ausdrücklich zugrunde: ,In dieser Einheit des Gegensatzes ist das sich bewußtseyende die eine Seite desselben, und das

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dessen es sich bewußt ist, die andre. Beyde sind wesentlich dasselbe, beyde eine unmittelbare Einheit der Einzelnheit und der Allgemeinheit. Aber diß bewußtseyende, und das dessen es sich bewußt ist, ist nur für einen dritten diese Einheit des Bewußtseyns, nicht für sie selbst [!] ...Dieses empirische Bewußtseyn muß aber absolutes Bewußtseyn seyn ...Diß ist das Ziel, die absolute Realität des Bewußtseyns in die wir [!] seinen Begriff zu erheben haben.' (GW 6, 273-274) Wenn wir weiterhin dem empirischen oder individuellen Bewusstsein vorweg über die Schulter schauen, erkennen wir in den Mitten der Sprache, der Arbeitsorganisation und des Familienguts bzw. der Familiensitte die Formen der negativen Befreiung des Bewusstseins aus der Natur: zum einen durch die theoretische Lösung von den seienden Dingen und deren theoretische Verfügbarmachung durch die sprachlich vermittelte Vernunft, zum andern durch die praktische Beherrschung der Natur und deren technische Einbeziehung in die Arbeitsorganisation und drittens durch das völlige Unabhängigwerden des Bewusstseins von der Natur und die Neukonstitution des Bewusstseins aus der Welt des Geistes, der ,νοη hier zu seiner absoluten Existenz zur Sittlichkeit übergeht'. (GW 6, 281) Nun aus der Perspektive des empirischen bzw. individuellen Bewusstsein betrachtet, wird das wirkliche Bestimmtsein aus dem allgemeinen Geist als schrittweises in Erscheinung treten der Mitten und das Bewusstwerden des individuellen Bewusstseins aus diesen Mitten der theoretischen und der praktischen Vernunft sowie den unmittelbar sittlichen Beziehungen in der Familie erfahrbar und begreifbar. Die Sprache ist die existierende Vermittlung zwischen Begreifendem und Begriffenen im geistigen Medium des Begriffs. Das Bewusstsein - das Hegel ein tätiges .Gedächtnis' nennt - beginnt zu begreifen, dass ihm nicht seiende Gegenstände entgegenstehen, die es äußerlich aufeinander zu beziehen gilt, sondern eine Welt selbst hervorgebrachter Namen, ,1m Nahmen ist sein empirisches Seyn daß es ein concretes in sich mannichfaltiges lebendes und seyendes ist aufgehoben, es zu einem schlechthin in sich einfachen ideellen gemacht.' (GW 6, 288) Die sprachliche Welt der Namen ist eine doppelt vermittelnde Ordnung, denn zum einen ist sie die .allgemein mittheilende Existenz; die leere Stimme des Thiers erhält eine unendlich in sich bestimmte Bedeutung' (ebd.), und zum andern erfolgt - wie Hegel treffend im Entwurf von 1805/06 formuliert - das geistige .Erwachen' des Bewusstseins im ,Reich der Nahmen', insofern kein Seiendes als solches außer diesem Reich denkbar ist, da .sich Nahmen nur auf Nahmen bezieht' (GW8, 190 und 193) Aus beidem ergibt sich: JDie Sprache, die sich zum Verstände erhebt, geht damit wieder in sich, sie hebt den einzelnen gesprochenen Nahmen auf, - der Begriff wie alles fällt selbst in die Sprache, und [ist] ein absolut mitzutheilender.' (GW 6, 294) Die Sprache ist - um es mit einem späteren Ausdruck Hegels zu umschreiben - das Übergreifende über das begreifende Bewusstsein und die begriffene Welt, und zwar so, dass beide sich aus dem, in dem und durch das Reich der Namen bestimmt begreifen. Aber dies ist nur die theoretische, die ideelle Bewältigung des Gegensatzes von Bewusstsein und Natur durch den Geist, die nun ,in den praktischen Prozeß', in die ,reale Herrschaft gegen die Natur' übergeht. Die zweite existierende Vermittlung ist die Arbeit, oder genauer die Arbeitsorganisation, denn für Hegel ist Arbeit nur die Tätigkeit des wollenden Bewusstsein, die sich

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im Werkzeug materialisiert, zu dem auch beispielsweise der ,bebaute, fruchtbar gemachte Acker' (GW 8, 206) zählt, und sich schließlich in der List zu der Arbeit und Natur beherrschenden Mitte der Arbeitsorganisation ausgestaltet, wie Hegel genauer im Entwurf von 1805/06 herausarbeitet. Da der Entwurf von 1803/04 nach der Behandlung des Werkzeugs als Mitte mit einem Verweis auf eine eingefügte Ergänzung, die nicht mehr erhalten ist, abbricht, sei hier mit einem Zitat zur Konzeption der List auf den Entwurf von 1805/06 vorausgegriffen: ,Hier tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zurück; er läßt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu, und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze - List'. (GW 8, 207) .Überhaupt daß die eigene Thätigkeit der Natur, Elasticität der Uhrfeder, Wasser, Wind, angewendet wird, um in ihrem sinnlichen Daseyn etwas ganz anderes zu thun, als sie thun wollten - ihr blindes Thun zu einem zweckmäßigen gemacht wird; - zum Gegentheile ihrer selbst - vernünftiges Verhalten der NaturGesetze in ihrem aüssern Daseyn. Der Natur selbst geschieht nichts - einzelne Zwecke des natürlichen Seyns [werden] zu einem Allgemeinen. Vogel fliegt dahin (GW 8, 206-207) Somit erweist sich die List oder Arbeitsorganisation als das Übergreifende über die Arbeit und die Natur, beides geht gänzlich ein in die organisierende Mitte der zweckbestimmenden Gestaltung des Lebens. Die dritte Mitte ist die Familie, das Familiengut oder die Sitte und der Geist der Familie, in ihr sind zum einen Sprache und Arbeit, die je für sich die entgegengesetzten Abstraktionen der theoretischen und praktischen Negation der Natur darstellen, in die Einheit des gemeinschaftlichen Sprechens und gemeinschaftlichen Arbeitens aufgehoben und in ihr tritt das Bewusstsein nicht mehr dem anderen der Natur entgegen, sondern in der Geschlechterbeziehung beginnend erkennt sich das Bewusstsein im anderen Bewusstsein: „Die Freyheit des Bewußtseyns ... macht die beiden Geschlechter zu Bewußtseyn füreinander, zu für sich seyenden, bestehenden; oder so daß in dem für sich seyn des andern jedes [es] selbst ist; daß jedes in dem Bewußtseyn des andern ... für sich ist; und die Geschlechtsbeziehung wird eine solche, in welcher in dem Seyn des Bewußtseyns eines jeden, jedes selbst eins mit dem andern ist, oder eine ideale ...' (GW 6, 301-302) Die reale, existierende Mitte ihres für und mit dem Anderen Seins, ihrer Liebe und Ehe, ist das Kind, das selbst ein eigenes Bewusstsein ist. Und in dieser Mitte der Sitte und des Geistes der Familie durch die Liebe und Erziehung der Eltern erscheint es ,als ein für es selbst werdendes', das ,zum gebildeten Bewusstseyn' wird (GW 6, 304). Mit dieser Mitte tritt das Bewusstsein ganz in die Totalität seiner eigenen Welt ,als ein für sich selbst werdendes; das Individuum schaut in dem andern sich selbst an' (GW 6, 306), allerdings zunächst nur für uns, noch nicht für sich selbst. Um für sich selbst Bewusstsein zu werden, muss es sich zunächst in einen Kampf um Anerkennung, um ein Anerkanntwerden vom Andern einlassen. ,Es ist absolut nothwendig, daß die Totalität zu der das Bewußtseyn in der Familie gelangt ist, sich in einer andern solchen Totalität Bewußtseyn sich als sich selbst erkennt ... Diß ist das gegenseitige Anerkennen überhaupt'. (GW6, 307) Es ist dies zunächst ein Kampf auf Leben und Tod, der nicht nur auf den Tod des Anderen geht und den eigenen Tod riskiert, sondern auch

DIE BEDEUTUNG DER ,ΜΓΓΤΕΝ' DES BEWUSSTSEINS

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weiß, dass der Andere seinen Tod riskiert und auf den Tod seines Anderen geht. Denn jeder ,ist für den andern ein absolut einzelner' (ebd.) und will vom Anderen in dieser Totalität anerkannt werden, genauso aber auch der Andere. ,Als diese Totalität treten bey de, die sich als diese Totalität der Einzelnheiten gegen einander anerkennen, und anerkannt wissen wollen, gegeneinander auf; und die Bedeutung, die [sie] sich gegeneinander geben, ist daß jeder in dem Bewußtseyn des andern erscheine, als ein solcher'. (GEW 6, 308) Aus diesem .absoluten Widerspruch' gibt es keinerlei Entkommen, schon gar nicht ein sprachliches durch ,Worte, Versicherungen, Drohungen oder Versprechen' (ebd.), es muss praktisch ausgefochten werden: ,Sie müssen daher einander verletzen'. (GW 6, 309) Der eine ,muß auf den Tod des andern, und seinen eigenen gehen'. (GW 6, 312) Darum führt erst die Einsicht in ,das Nichts des Todes' (GW 6, 311) die Einzelheit des Bewusstseins zur selbstaufopfernden Wende in die absolute Mitte der allgemeinen Totalität des Geistes eines Volkes. Auch diese absolute Mitte des Geistes eines Volkes und seiner Sittlichkeit erkennen zunächst nur wir, nicht das einzelne Bewusstsein. Es muss sich auch das Sich-Begreifen aus dem Allgemeinen des Geistes in den gemeinsamen Erfahrungen der Sprache (Bildung), Arbeit und Sittlichkeit erst erwerben. ,Dieses, was wir erkennen, daß das anerkannte Totalität Bewußtseyn nur ist, indem es sich aufhebt, ist nun [erst] ein erkennen dieses Bewußtseyns selbst; es macht selbst diese Reflexion seiner selbst in sich selbst daß die einzelne Totalität indem sie als solche sich erhalten, seyn will, sich selbst absolut aufopfert, sich aufhebt; und damit das Gegenteil dessen thut, worauf sie geht ... Diß Seyn des aufgehobenseyn der einzelnen Totalität ist die Totalität als absolut allgemeine, als absoluter Geist-, es ist der Geist, als absolut reales Bewußtseyn ... [Und gerade] dadurch ist die Einzelnheit absolut gerettet.' (GW6, 312-313, Hinzufügungen in eckigen Klammern vom Verfasser, WSK.) Jetzt erst können die Mitten - Sprache, Arbeitorganisation und sittlicher Geist der Familie - als das erkannt werden, was sie immer schon waren, als Gestaltungen, in denen der Geist eines Volkes lebendig wirksam ist. Während Hegel dies im Entwurf von 1803/04 auf die Sprache als positive Grundlage bezogen nur andeutet, führt er dies in Bezug auf die Arbeitsorganisation in ihrer negativen Zerrissenheit näher aus. Die Arbeitsorganisation, die in dem die ,Arbeit des ganzen Volkes' auf einander beziehenden Wert materialisiert ist, existiert in der realen Abstraktion des Geldes. So zeigt sie sich als ein .ungeheures System von Gemeinschafftlichkeit und gegenseitiger Abhängigkeit' (GW6, 324), das sich jedoch gegen die einzelnen Individuen rücksichtslos erweist. Dieser Widerspruch ist der Arbeitsorganisation immanent, denn dieses System, .das in seiner Bewegung blind und elementarisch sich hin und herbewegt' ist wie ein .wildes Thier', das ,einer beständigen strengen Beherrschung und Bezähmung bedarf.' (Ebd.) Diese Bezähmung kann allerdings nur das Volk in seiner politischen Konstitution als Staat leisten, denn hier erst werden allgemeiner und individueller Wille in gegenseitiger Anerkennung zur Einheit aufgehoben. Dies spricht Hegel im Entwurf von 1805/06 so aus: ,Es ist Volk... daseyendes Ganzes, die allgemeine Gewalt; es ist von unüberwindli-

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cher Stärke gegen den Einzelnen... und die Stärke, die jeder nach seinem Anerkanntseyn hat, ist die des Volkes. Aber diese Stärke ist wirksam nur insoweit sie in eins verbunden ist, nur als Willen... Aller und Jeder'. (GW 8, 256)

5. Zur weiteren Entwicklung Trotz einiger Modifikationen und Ausdifferenzierungen weisen beide Entwürfe der ,Philosophie des Geistes' in der Jenaer Zeit Hegels die gleiche systematische Gliederung auf. Ein wichtiges eigenes Motiv des Entwurfs von 1803/04 muss dabei wohl erwähnt werden, weil es zeigt, dass Hegel sich mit Recht in dieser Zeit nicht als Idealist versteht, was eine besondere Nähe zu Marx anzeigt, wie sie Lukács bemerkt und Habermas unterstrichen hat. Freilich will sich Hegel auch nicht als Realist oder Materialist verstanden wissen. Die Parallele zu Schellings identitätsphilosophischer Konzeption mit ihrem Real-Idealismus oder Ideal-Realismus ist unverkennbar. Der Gedanke der .doppelten Mitten' (Gedächtnis und Sprache, Arbeit und Werkzeug, Familie und Familiengut/Familienbesitz), bei denen die innere bewusstseinsmäßige und die äussere kommunikativ-gesellschaftliche Seite als gleichbedeutend neben einander gestellt werden - in Hegels damaliger Terminologie: begriffliche Bestimmtheiten des Bewusstseins und das Bezogensein dieser Bestimmtheiten auf Andere - , stellt ein Motiv dar, das wohl als besonders aktuell gelten muss und entsprechende Beachtung verdient. Zu dem Streit zwischen Idealisten und Realisten sagt Hegel wörtlich: ,Es ist über einen solchen unvernünftigen Streit eigentlich nichts vernünftiges zu sagen... Der Streit geht eigentlich um die in sich selbst streitende Potenz der Mitte, worin nemlich zugleich Bestimmtheiten als solche, und das Bezogenseyn, beyde als Eins und als unterschieden gesetzt sind.' (GW 6, 292-293) Was die bewusstseinstheoretische Hinführung und die darauf folgenden Passagen der Gmiesphilosophie betrifft, wird das, was später als Phänomenologie des Geistes (1807) und als .Philosophie des Geistes' in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817, 1827 und 1830) differenziert wird, in einem einzigen Durchgang entwickelt. Dabei wird die phänomenologische Thematik, d.h. der Verfolg der Bewusstseinsstufen, bis zur Anerkennungsproblematik fortgeführt, während die Behandlung als .Philosophie des Geistes' im eigentlichen realphilosophischen Sinn mit der Thematisierung des Volkes und seiner politischen Konstitution beginnt. Hegel selbst führt diese Differenzierung in den Jenaer Jahren bis zur Ausarbeitung der Phänomenologie des Geistes nicht als solche durch. Daraus ergibt sich, dass die Jenaer Systementwürfe - ohne dies zu intendieren - gleichsam zwei Einführungen aufweisen: zum einen den vorangestellten begriffsdialektischen Einstieg ins System, der in der ,Logik und Metaphysik' im Entwurf von 1804/05 gut durchgearbeitetet vorliegt, und zum andern die phänomenologisch - fast könnte man sagen: bewusstseinsdidaktische - Hinführung zum aus sich selbst bestimmten Geist, die sich nach der Naturphilo-

DIE BEDEUTUNG DER ,MITTEN' DES BEWUSSTSEINS

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sophie in den ersten Kapiteln der ,Philosophie des Geistes' vollzieht. Dadurch ergeben sich zwischen diesen beiden Einleitungen nicht nur unaufgeklärte Spannungen, sondern auch einige thematische Überschneidungen - so vor allem zwischen der Thematisierung des subjektiven Geistes innerhalb der ,Metaphysik' und dem subjektiven Bewusstsein in der ,Philosophie des Geistes'. Es sind wohl diese Spannungen und Überschneidungen, die Hegel 1806/07 veranlassen, einerseits die Phänomenologie des Geistes als subjektiven Weg des Bewusstseins zum absoluten Wissen als Hinführung zum System diesem vorauszuschicken - also gerade das zu vollziehen, was Schelling ab Ende 1800 gefordert hatte. Durch die Vorordnung der Phänomenologie wird andererseits der Weg frei für den Aufbau einer rein begriffsdialektischen ,Philosophie des Geistes', die dann den Abschlussteil innerhalb der dreigliedrigen Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften bildet. Vor diesem Hintergrund ist Hegels erste öffentliche Kritik an Schelling in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes nochmals genauer zu untersuchen und einer gerechten Würdigung zu unterziehen, was aber hier nicht geschehen soll. Wenn wir nun die weitere Behandlung der drei Mitten kurz bedenken, so sehen wir, dass sie nicht mehr als Einheit zusammenbleiben, sondern ganz andere systematische Einordnungen erfahren. Sprache und Arbeit gehen in die Phänomenologie des Geistes mannigfach ein, haben aber nicht mehr die ursprünglich paradigmatische Funktion der Gegenüberstellung von theoretischer und praktischer Beherrschung der Natur. Am deutlichsten wird die Anerkennungsproblematik aus dem Entwurf von 1803/04 in die Phänomenologie im Herr-Knecht-Kapitel übernommen und sie wird dabei in eigentümlicher Weise mit der Arbeit in Zusammenhang gebracht. Gleichzeitig verliert sie aber ihren kontrapunktischen Zusammenhang mit der ursprünglich vorausgehenden gegenseitigen Anerkennung in der Liebe der Geschlechter und führt auch keineswegs schon durch die Einsicht in das .Nichts des Todes' zur Aufhebung in die allgemeine Vernunft oder den wirklichen Geist. Trotzdem kann insgesamt gesagt werden, dass die Phänomenologie des Geistes ein Anliegen der Jenaer Entwürfe zur .Philosophie des Geistes', nämlich die einführende Abfolge der Bewusstseinsgestalten bis hin zum sich wissenden Geist, in der Weise zu Ende führt, dass sie diese als Bewusstseinsphilosophie dem eigentlichen System vorlagert. In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften wird die Sprache ganz zentral innerhalb der ,Philosophie des subjektiven Geistes' behandelt, während sie in der .Philosophie des objektiven Geistes' innerhalb der Bildungsproblematik nur noch am Rande erwähnt wird. Genau umgekehrt ergeht es der Arbeit bzw. Arbeitsorganisation, sie wird innerhalb der ,Philosophie des subjektiven Geistes' nur gestreift, während sie in der ,Philosophie des objektiven Geistes' in der Behandlung des Kapitels zur bürgerlichen Gesellschaft die tragende Rolle zugewiesen bekommt. Diesem Kapitel voraus wird in der Enzyklopädie die Familie als ursprüngliche Sittlichkeit angeordnet, so dass sich nun folgende - sich im Jenaer Entwurf von 1805/06 bereits abzeichnende - Argumentationsfolge ergibt: ursprüngliche Sittlichkeit in der Familie, zerrissene Sittlichkeit

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WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK

der Arbeitsorganisation in der bürgerlichen Gesellschaft, versöhnte Sittlichkeit in der politischen Konstitution des Staates. Schließlich sei noch ergänzend angemerkt, dass der vierte Teil in der Durchzählung bzw. der dritte realphilosophische Teil der Jenaer Entwürfe in der Enzyklopädie als abschließender Teil einer .Philosophie des absoluten Geistes' in die .Philosophie des Geistes' einbezogen wird. Mit der Thematisierung des absoluten Geistes kehrt der philosophische Gedanke in seinen Ausgangspunkt in der ,Logik' zurück.

6. Ausblick Hegels Philosophie ist sowohl in der Phänomenologie des Geistes als auch in der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften vom idealistischen Anliegen der bewussteinsdidaktischen bzw. begriffsdialektischen Einholung des Anderen in den Begriff geprägt, d.h. es geht ihr darum, alles Wirkliche begreifend in den Geist einzuholen. Man muss Hegels Philosophie schon radikal vom Kopf auf die Füße stellen, um seine ohne Zweifel anregenden Ausführungen zu Sprache, Arbeit und Familie in anthropologischgeschichtsmaterialistische Zusammenhänge zu übersetzen. Hegel geht es in der Realphilosophie nicht darum wirkliche menschliche Lebens Verhältnisse aufzuklären, um sie der entschiedenen Gestaltung verfügbar zu machen, sondern sie in einem Prozess des Begreifens aufzuheben. Dies lässt sich einerseits an der Naturphilosophie im Kontrast zu Schellings Naturphilosophie und andererseits bezogen auf die Gesellschafts- und Geschichtsphilosophie im Kontrast zu Marx herausarbeiten. Um so bedeutsamer ist die Positionierung Hegels im Entwurf von 1803/04 außerhalb der Alternative von Idealismus und Realismus oder Materialismus, aus der sich gerade eine auffällige Nachbarschaft sowohl zu Schellings Identitätsphilosophie, in der Natur und Geist gleichbedeutend neben einander stehen, als auch zur Marxschen materialistischen Dialektik ablesen lässt, die sich primär auf gesellschaftlich-geschichtliche Verhältnisse richtet, ohne freilich die Bindung an die Natur zu vernachlässigen. Bei Marx werden dann Arbeit, Bewusstsein (Sprache) und soziale Beziehungen (FaQ

milie, ,wie man in Deutschland zu [sagen] pflegt' ) definitiv als auf einander angewiesene Dimensionen menschlichen Daseins begriffen, in denen die Menschen sowohl mit der Natur verbunden sind, als auch sich von ihr befreien. Das natürliche und das gesellschaftliche Bestimmtsein des Menschen werden bei Marx zusammen genommen. Daraus erwächst das geschichtliche Menschsein - wie dies Marx in den Ökonomisch-philosophischen Manuskripten bezogen auf das Verhältnis von Mann und Frau ausführt: ,Das unmittelbare, natürliche, notwendige Verhältnis des Menschen zum Menschen ist das Verhältnis des Mannes zum Weibe. In diesem natürlichen Gattungsverhältnis ist das Verhältnis des Menschen zur Natur unmittelbar sein Verhältnis zum Menschen, wie das MEW3.29

DIE BEDEUTUNG DER ,MITTEN' DES BEWUSSTSEINS

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Verhältnis zum Menschen unmittelbar sein Verhältnis zur Natur, seine eigene natürliche Bestimmung ist. In diesem Verhältnis erscheint also sinnlich, auf ein anschaubares Faktum reduziert, inwieweit dem Menschen das menschliche Wesen zur Natur oder die Natur zum menschlichen Wesen des Menschen geworden ist. Aus diesem Verhältnis kann man also die ganze Bildungsstufe des Menschen beurteilen. Aus dem Charakter dieses Verhältnisses folgt, inwieweit der Mensch als Gattungswesen, als Mensch sich geworden ist und erfasst hat; das Verhältnis des Mannes zum Weib ist das natürliche Verhalten des Menschen zum Menschen. In ihm zeigt sich also, inwieweit das natürliche Verhalten des Menschen menschlich oder inwieweit das menschliche Wesen ihm zum natürlichen Wesen, inwieweit seine menschliche Natur ihm zur Natur geworden ist. In diesem Verhältnis zeigt sich auch, inwieweit das Bedürfnis des Menschen zum menschlichen Bedürfnis, inwieweit ihm also der andre Mensch als Mensch zum Bedürfnis geworden ist, inwieweit er in seinem individuellsten Dasein zugleich Gemeinwesen ist.9 Aus der Möglichkeit, dass jene drei Dimensionen - Arbeit, Sprache und Familie - , obwohl zusammengehörig, sich gegen einander stellen können, erwachsen mannigfaltige Möglichkeiten realer Entfremdungen im menschlichen Zusammenleben, die es theoretisch zu durchschauen gilt, um sie praktisch aufheben zu können. Vor allem auf die Arbeit und Arbeitsorganisation bezogen hat Marx dies in seiner Kritik der politischen Ökonomie als einen geschichtsdialektischen Zusammenhang detailliert entfaltet und damit zugleich die sittlich-praktische Perspektive gesellschaftlichen Handelns auf die Menschheitsgeschichte bezogen dargelegt.

9

MEW, 40,535.

BIRGIT SANDKAULEN

,Esel ist ein Ton'. Das Bewusstsein und die Namen in Hegels Jenaer Systementwürfen von 1803/04 und 1805/06

I. ,Es ist in Namen, daß wir denken,'1 Hegels viel zitiertes Wort lenkt den Blick auf das einschlägige Kapitel der Enzyklopädie, das unter dem Titel .Psychologie' dem t h e o r e tischen Geist' gewidmet ist. Beginnend mit der Anschauung und endend mit dem Denken führt der Gang in zunehmender Freiheit durch die ,Mitte' der Vorstellung,2 die, ihrerseits in Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis differenziert, im Zeichen der Sprache, genauer des Namens, ihr Zentrum findet. Der Name, das Produkt aus ,Zeichen machende[r] Phantasie'3 und ,Namen behaltende[m] Gedächtniß',4 vermittelt zwischen Bild und Gedanke und markiert so den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt auf dem Wege des Geistes zu sich selbst. Dass der Erörterung des Namens in Hegels Überlegungen beträchtliches Gewicht zukommt, lässt bereits diese grobe Skizze erkennen. Die Lektüre seiner Jenaer Systementwürfe bestätigt dies. Von Anfang an sieht man Hegel hier mit dem Phänomen der Sprache befasst, deren fundamentale Rolle in der Konstitution des Bewusstseins er betont. ,Gedächtniß und Sprache' sind die ,1. Potenz', in der das Bewusstsein zunächst ,existirt' .5 Das steht in deutlichem Kontrast zu der im System der Sittlichkeit zuvor schon erwähnten ,Rede'6 War es hier noch allein um das .vernünftige Band' der .Intelligenzen' zu tun, das die praktischen, durch Arbeit und Familie vermittelten Perspektiven zu einen hatte,7 so tritt in den Entwürfen von 1803/04 und 1805/06 nicht nur dieser intersubjektive Horizont hinter der jetzt als wesentlich ausgezeichneten ,Nahmengebende[n] Krafft1, der Sprache zurück.8 Als ,1. Potenz', die den ,theoretische[n] Proceß' des Bewusstseins insgesamt prägt und zusammenschließt (GW6,280), geht die Sprache nun auch allen weiteren Bestimmungen voraus.

G.W .F. Hegel, Encyclopädie der philosophischen 2

Ebd., 4 4 5 ^ 4 6 (§451).

3

Ebd., 450-451 (§457).

4

Ebd., 459 (§461).

5

GW 6,282.

6

GW5,292-293.

7

Ebd., 294-295.

8

GW8,189.

Wissenschaften (1830), GW 20,460 (§ 462).

150

BIRGIT SANDKAULEN

Dem Grundgedanken nach sind damit zugleich die Hinsichten exponiert, die das spätere Projekt der Enzyklopädie ohne substantielle Veränderungen entfaltet. Überflüssig ist es gleichwohl nicht, die Genese des Konzepts einer genaueren Analyse zu unterziehen.9 Denn von vornherein wirken die frühen Überlegungen gerade in ihrem Entwurfscharakter nicht etwa verhaltener, sondern entschieden radikaler. Das betrifft zum einen die Gestaltung des .theoretischen Processes' selbst. Indem Hegel hier noch nicht über dessen spätere Feinabstufungen und geschmeidigen Übergänge verfügt, sondern sie sukzessive erst entwickelt, stellt er um so drastischer heraus, daß die Organisation dieses Prozesses von seinem Ziel in der Tat vollständig beherrscht wird. Indiz dafür ist, dass der Auftakt noch zwischen Empfindung und Anschauung wechseln, die funktionale Verortung und Benennung der Einbildungskraft schwanken und auch das Vermögen der Erinnerung erst im zweiten Entwurf thematisch werden kann, während im Kontrast dazu die Leistung des Gedächtnisses in ihrem Konnex mit Namen und Sprache von Beginn an als Orientierungsinstanz feststeht. Dass das Gedächtnis in , seiner wahren Bedeutung' nicht etwa wie die ,Mnemosyne der Alten' die ,sinnliche Anschauung' bewahrt, sondern sie ,zur GedächtnißSache, zu einem gedachten macht' (GW 6, 287), dass das Gedächtnis demnach eigentlich' der ,sich noch in seinem Gegenstande, als Gegenstand habende Verstand' ist (GW 8, 192): das weiß Hegel definitiv schon in Jena und an diesem etymologisch gestützten Konnex von Sprache, Gedächtnis und Denken hält er dann auch entschlossen fest.10 Der zweite Punkt betrifft den Systemaufriss im Ganzen. Dass die spätere Schrittfolge der Enzyklopädie noch nicht annähernd durchgeführt ist, bedeutet hier, dass Anthropologie und Phänomenologie als Vorstufen der Selbstvergewisserung des Geistes noch gänzlich fehlen. Somit setzt die Philosophie des Geistes in den Jenaer Entwürfen aber nicht nur instantan mit dem in Sprache und Gedächtnis zentrierten Bewusstseinsprozess ein. Sie mutet ihm auch zu, den Übergang von der Naturphilosophie zur Philosophie des Geistes ohne jede glättende Vorbereitung zu leisten. Als Indiz dieser Leistung findet sich in beiden Entwürfen der durchaus pathetische Rekurs auf Adam, den die Enzyklopädie dann wohl nicht zufallig unterdrückt: ,Adam gab allen Dingen einen Nahmen, diß ist das Majestätsrecht und erste Besitzergreiffung der ganzen Natur, oder das Schaffen derselben aus dem Geiste' (GW 8, 190; vgl. GW 6,288). Welches Gewicht der namengebenden Kraft der Sprache zukommt, ist so in beiden Hinsichten nicht zu übersehen. Figuriert in Adam manifestiert sie sich einerseits als ,erste Schöpferkräfft, die der Geist ausübt' (GW8, 190), indem er sich die Welt der Natur namentlich unterwirft, während sie sich andererseits im Konnex mit dem Gedächtnis ,zum Verstände erhebt' (GW 6, 294). Zwischen Natur und Geist bildet das Angemerkt sei, dass in allen einschlägigen Arbeiten zur Sprach- und Namensproblematik bei Hegel der Text der Enzyklopädie nahezu ausschließlich im Zentrum steht. Vgl. G.W .F. Hegel, .Philosophische Enzyklopädie für die Oberklasse', in: Werke in zwanzig Bänden, hg. von E. Moldenhauer und K.M. Michel, Frankfurt/M. 1971, Bd.4, §§155ff., und GW20,462-463 (§464).

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,Esel ist ein Ton'

,Reich der Nahmen' (GW8, 190) die im Gebrauch sich aufhebende Brücke und es allein garantiert auch allen Fortgang. In Abwandlung einer Formulierung Schellings gesagt: nicht der ästhetische Sinn' und die anschauliche Kunst, sondern der bilderlose λογος in seiner Einheit von ,Vernunft Wesen des Dings und Rede, Sache und Sage, Kategorie' (GW 8, 190) ist das ,wahre Organon'11 des Systems, das Hegel in Jena entwirft.

II. Der Hinweis auf Schelling zeigt bereits, dass es im Umkreis von Transzendentalphilosophie und Idealismus etwas der Hegeischen Konzeption Vergleichbares tatsächlich nicht gibt. Von den Bemerkungen abgesehen, die sich in Kants Anthropologie zum Ge12

dächtnis und dem so genannten .Bezeichnungsvermögen' finden - Bemerkungen, die Hegel gewiss registriert hat, die aber seine eigene Exposition nicht im mindesten erklären - , abgesehen davon also spielt die namengebende Sprache in allen hier einschlägigen Texten keinerlei Rolle. Was es hingegen ausgehend von Kant bei Fichte und Schelling systemisch fruchtbar gemacht gibt, sind Variationen der transzendentalen Einbildungskraft. Dass sie aber die maßgebliche Orientierungsinstanz bei Hegel nun gerade nicht mehr ist, hat sich schon gezeigt. Dieses „nicht mehr" ist hier ganz wörtlich gemeint. Denn eben das Vermögen, das in Hegels Kant-Kritik in .Glauben und Wissen' soeben noch als spekulativer Index absoluter Identität galt, dies sieht man jetzt auf seine reproduktive Leistung als ,empirische' (GW6, 284) oder .vorstellende' (GW8, 186) Einbildungskraft zurückgestuft, auf ein Vermögen, das ,nur leere Form' gibt (GW 8, 189).13 Überhaupt mag es in diesem Zusammenhang verwunderlich scheinen, dass Hegel die in Kants transzendentaler Deduktion eingeübte Umkehrung der Erkenntnisvermögen seinerseits von neuem verkehrt und im Ausgang von der Empfindung nun beinahe selber wie ein vorkritisch empirischer Psychologe verfährt, was ja mit dem späteren Titel .Psychologie' durchaus zusammenstimmt. Bemerkenswert genug aber geht eben damit einher, dass die produktive Funktion der transzendentalen Einbildungskraft jetzt durch ein anderes Vermögen ersetzt wird. Sie wird ersetzt durch die namengebende, später dann .Zeichen machende Phantasie' genannte .Schöpferkrafft' der Sprache in ihrem in-

F.W.J. Schelling, System des transscendentalen

Idealismus,

in: Sämmtliche

Werke, hg. von

K.F.A. Schelling, Stuttgart/Augsburg 1856-1861, Band3,351. I. Kant, Anthropologie

in pragmatischer

Hinsicht, in: Werke, hg. von W. Weischedel, Frank-

furt/M. 1957, Bd. 12, §§31 und 35. Vgl. zur Reduktion der Bedeutung der Einbildungskraft: K. Düsing, .Hegels Theorie der Einbildungskraft', in: F. Hespe u. B. Tuschling (Hg.), Psychologie und Anthropologie oder des Geistes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991,297-320.

Philosophie

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BIRGIT SANDKAULEN

trikaten, noch genauer zu betrachtenden Konnex mit dem Gedächtnis. Mit dieser Position betritt Hegel idealistisches Neuland. Idealistisches Neuland gewiss. Aber Neuland auch in der Philosophie im Großen und Ganzen? Handelt es sich bei Hegels Entdeckung der Sprache wirklich um eine terra incognita, wie die fehlenden Hinweise in den Editionskommentaren suggerieren? Immerhin ist die Thematik der Namen im wahrsten Sinne uralt - der Genesiserzählung zufolge, auf die ja auch Hegel anspielt, reicht sie bis in paradiesische Vorzeit zurück. In postparadiesischer Zeit geht es dann weiter: mit wachsendem Abstand zum Ursprung werden die Namen jetzt, wie schon Piatons Kratylos in einer Mischung aus Ernst und Ironie zu verstehen gibt, zu einem Rätsel, das zu Kontroversen längs durch die Jahrhunderte führt. In der Moderne sind es schließlich so prominente Geister wie Locke und Hobbes, Vico und Condillac, Leibniz und Herder, die sich alle und keineswegs an abgelegenem Ort mit dem Problem der Namen befassen. Dass Hegel eine terra incognita betritt, dass er nicht einmal irgendeine der hier einschlägigen Quellen studiert haben sollte, erscheint nicht plausibel. Und in der Tat wird auf eine Vorlage zurückzukommen sein, der sich die Genese seines Konzepts offenbar maßgeblich verdankt. Mit dem schlichten Eintrag einer historischen Verpflichtung ist das jedoch nicht zu verwechseln, denn entscheidend berücksichtigt werden muss, dass jeder Schritt Hegels ein Schritt innerhalb eines Systementwurfs ist. Was heißt das aber hier? Nimmt er ursprünglich Interesse an einem jahrhundertealten und in seiner Zeit durch Herder im Gefolge Hamanns virulent aktualisierten Diskurs, um ihm in seinem Systemprojekt nun die herausragende Stellung zu geben, die er verdient? Oder zielt das genuine Interesse Hegels umgekehrt auf die Ausbildung eines lückenlosen Systems und auf die Sprache nur insoweit, als sie diesem Interesse entgegenkommt? Die Frage so zu stellen, heißt mit dem Einwand zu rechnen, dass dergestalt in eine künstliche Alternative zerfällt, was bei Hegel charakteristischerweise zusammengehört: die weiträumige Aufmerksamkeit auf alle Phänomene und die Intention auf ein System, das sie enzyklopädisch zu integrieren versteht. Schon aus heuristischen Gründen ist es indes geraten, die Alternative gerade im Blick auf die Jenaer Systemgenese zuzuspitzen. Dies schärft das Profil eines Einsatzes, mit dem Hegel eben doch ein bisher nicht gekanntes Land betritt.

III. Der fragliche Punkt, ob Hegels Rekurs auf die Namen je schon ein systemisch bedingter ist oder nicht, lässt sich vor der Folie der genannten anderen Positionen in zweierlei Hinsicht verdeutlichen. Gemeint ist erstens das Phänomen der Eigennamen. Dass sich das ganze Rätsel der Namen, die Frage nach ihrer Bedeutung in eins mit der nach ihrer natürlichen oder arbiträren Einsetzung, an diesem Phänomen sogar entzündet, führt der schon erwähnte Dialog Piatons in aller Breite vor. In jedem Fall wird es zur Selbstver-

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,ESELISTEINTON'

ständlichkeit, dass man zwei Typen von Namen zu unterscheiden hat: das nomen proprium, das ein Singuläres, und das nomen appellativum, das ein Allgemeines unter jeweiligem Aspekt bezeichnet. Die insbesondere zwischen Locke, Leibniz und Herder geführte Debatte, ob die nomina propria den appellativa vorausgehen oder ob sie ursprünglich selber allgemeine Namen waren, ist hier nicht zu verfolgen.14 Wichtig im gegenwärtigen Zusammenhang ist, dass Hegel die genannte Differenz so wenig auch nur erwähnt, wie er die Namen immer schon mit appellativen Namen identifiziert. Hätte er zumindest auch an das Phänomen der Eigennamen gedacht, wie man bisweilen lesen kann, dann wäre es - bei aller Schwierigkeit, die gerade Eigennamen bis in die gegenwärtige analytische Diskussion hinein aufwerfen15 - ein Leichtes gewesen, dies durch Personen- oder Ortsnamen anzuzeigen. Hegels Beispiele hingegen beschränken sich auf ,blau',,Farbe', ,Löwe' und ,EseP. Wie sollte es aber auch in diesem ,Reich der Nahmen' nicht allein um solche appellativen Namen gehen? Welchen Sinn hätte es, so wie Leibniz von ,Brutus, Cäsar, Augustus, [...] Brenner oder Pyrenäen'16 oder so wie Herder vom ,Lieblingsnamen' eines vertrauten Tieres zu sprechen,17 wenn der Prozess des Bewusstseins insgesamt darauf zielt, in einer Serie aufeinanderfolgender Schritte hin zum Allgemeinen die ,Einzelnheit der Empfindung' (GW 6, 290) über die Stufen von Bild, Name und Begriff zuletzt zur ,einfache[n], absolute[n] Abstraction der Einheit', zu einem ,absolut leeren Eins' zu steigern? (GW 6, 295) Dass es Hegel aus systeminternen Gründen um die Berücksichtigung von Eigennamen prinzipiell nicht gehen kann, bestätigt später auch die Wissenschaft der Logik an einer der wenigen Stellen, wo von ihnen überhaupt, wenn auch nur in negativer Absicht die Rede ist. Wer ,meint', so heißt es da in Anspielung auf den Anfang der Phänomenologie, durch einen indexikalischen Ausdruck wie .„Dieses" etwas vollkommen Bestimmtes auszudrücken', der übersieht, ,daß die Sprache, als Werk des Verstandes, nur Allgemeines ausspricht, außer in dem Namen eines einzelnen Gegenstandes; der individuelle Name ist aber ein Sinnloses in dem Sinne, daß er nicht ein Allgemeines ausdrückt, und erscheint als ein bloß Gesetztes, Willkürliches [...].' 18 Inwiefern sich Hegel

Vgl. J. Locke, An Essay Concerning Human Understanding,

in: Works. New edition corrected,

London 1823 (Nachdruck Aalen 1963), Bd.2, 3. Buch, Kap.III: ,Of General Terms', 166-185; G.W. Leibniz, Nouveaux essais sur l'entendement,

in: Philosophische

Schriften, hg. von C.I.

Gebhardt, Berlin 1882 (Nachdruck Hildesheim/New York 1978), 3. Buch ,Des mots', Kap.I, §3, Kap.III, §§ 1-5; J.G. Herder, Eine Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, in: Werke, Bd.8, hg. von H.D. Irmscher, Frankfurt/M. 1998,550f. Vgl. dazu den von U. Wolf herausgegebenen Band: Eigennamen. Dokumentation einer Kontroverse, Frankfurt/M. 1993. Leibniz, Nouveaux essais, 3. Buch, Kap. III, § 5. J.G. Herder, Älteste Urkunde des Menschengeschlechts,

in: Werke, Bd.5, hg. von R. Smend,

Frankfurt/M. 1993,529. G.W .F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, in: Werke in zwanzig Bänden, Bd.5,126.

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BIRGIT SANDKAULEN

nicht für Eigennamen, im Kontext des Gedächtnisses aber durchaus für die Struktur völliger Sinnlosigkeit interessieren kann, davon wird am Ende noch zu sprechen sein. So lange ist aber auch über die appellativen Namen das letzte Wort noch nicht gesagt.

IV. Dies lenkt auf die zweite Hinsicht: auf das Problem der Referenz. Kein Name klebt einem Ding einfach an. Gleichwohl ist es .etwas', auf das der Name referiert. Was dieses ,etwas' sei, spaltet die Parteien. Für Locke und auch für Hobbes sind es stets ,Ideen' oder conceptions', 19 die durch völlig arbiträre Namen bezeichnet werden. Die These, dass es keinerlei natürliche Ähnlichkeit zwischen Dingen, Ideen und Namen gibt, setzt spätestens auf dem Niveau von allgemeinen Ideen einen Nominalismus frei, der Locke zu der Behauptung führt, dass einerseits Sachverhalte insbesondere moralischer Art überhaupt nur in dem Namen bestehen, den wir ihnen geben, und dass andererseits im Falle von Substanzen ihre im Namen benannte .nominelle Wesenheit' als Abstraktionsprodukt der Erkenntnis von ihrer uns unbekannten .realen Wesenheit' zu unterscheiden ist. Schon Leibniz und dann Herder erst recht vertreten die Gegenposition. Dass die .Griechen', so Herder, ,Vernunft und Rede mit Einem Wort [...] λογος' 20 ausdrückten, verweist darauf, dass es unsinnig ist, Ideen und Namen zu trennen, als ob Namen nachträglich auf Ideen referierten. Wenn aber alle Erkenntnis sich ab ovo schon 21 22 ,mit Worten' vollzieht, dann ist das, worauf der .Namengebende Verstand' Bezug nimmt, hier nun ein .etwas', das er weder ideell noch namentlich produziert, sondern das er in dem von ihm geschaffenen Namen anerkennt. Der .Actus' der Erkenntnis macht sich .zueigen', was als An-erkenntnis eines wie immer strukturierten ,Seins' im 23

Namen ausgesprochen wird. Dementsprechend sind die Namen auch keine gänzlich willkürlichen Gebilde, sondern weisen etymologisch jederzeit auf ursprünglich sinnlich erfahrene Konstellationen zurück. Hegels Einsatz hat mit keiner der skizzierten Positionen zu tun. Bei näherem Hinsehen heißt das aber, dass er Aspekte beider auf eine Weise in sein Konzept integriert, die nicht nur die jeweilig behauptete Lösung, sondern in eins damit auch das Problem der Referenz überhaupt zum Verschwinden bringt. So teilt er mit Herder die im λογος je schon formulierte Einsicht, dass .Vernunft' und .Rede' untrennbar sind.24 Und eben Vgl. Th. Hobbes, Computation or Logic, in: The Collected Works of Thomas Hobbes, London 20 21 22 23 24

1841 (Nachdruck London 1994), Bd. 1, das Kapitel .OfNames', 13-28. Herder, Metakritik, 322. Ebd., 320. Ebd., 404. Ebd., 391. Vgl. die zu Beginn schon zitierte Stelle GW8,190.

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,ESEL IST EIN T O N '

diese Identität artikulieren zu können, ist denn auch die vorzügliche Leistung der lautlichen Sprache. Sie bindet sich nicht wie die ,stumme Bezeichnung' an irgendein Ding, dessen Bedeutung ihm durch die ,Willkühr' des .Subjects' äußerlich zugeschrieben wird und das ohne Rücksicht darauf, ,was dieses sich dabey denkt', als Zeichen auch nicht verständlich ist (GW 6, 287). Während es sich hier also nur um eine bloße .Indifferenz' handelt, die die .idealen Glieder' von Subjekt, Zeichen und Bedeutung in Beziehung aufeinander erhält, besteht der entscheidende Gewinn des im Laut artikulierten Namens darin, die Bedeutung ,an ihm selbst' zu sein (GW 6,287-288). ,Vernichtet' ist damit aber nicht nur die ,ßr sich seyende Realität des Zeichens'. In radikalem Kontrast zu Herder ,vernichtet' ist in dieser Subjekt und Zeichen, Inneres und Äußeres völlig verschmelzenden Bedeutung des Namens jetzt auch jegliche ßeziehung nach aussen', wie Hegel ausdrücklich notiert (GW6, 288, letzte Hervorhebung von der Verfasserin, BS). Die Dinge beim Namen zu nennen, meint nicht, ihr Dass- und Sosein anerkennend auszusprechen, sondern im Gegenteil ihr .empirisches Seyn daß es ein concretes in sich mannichfaltiges lebendes und seyendes ist', aufzuheben, ,es zu einem schlechthin in sich einfachen ideellen' zu machen. Eben dies begründet die ,Herrschafft' Adams über die Tiere, dass er sie, indem er ,ihnen Nahmen gab', ,als seyende vernichtete' (ebd.). Diese im Akt der Namengebung selbst instantan vollzogene Aufhebung externer Referenz und die darin behauptete Idealität der Namen, der das Medium der Luft auch keinerlei Widerstand entgegensetzt (ebd.), rückt Hegels Position andererseits in die Nähe Lockes. Hier wie dort ist das Reich der Namen eine freie Kreation des Bewusstseins. Und ganz im Sinne des Allgemeinen, das Locke als .Schöpfung des Verstandes' 25

begreift, ist denn auch zu verstehen, was Hegel im Entwurf von 1803/04 am Beispiel des Namens ,Blau' unterstreicht. In einem ersten Schritt ist ,Blau' bereits »abgetrennt von dem Vielfachen, besonderten, in welchem es ist' - an blauen Himmel und blaue Blumen hat man also schon nicht mehr zu denken - ,aber es ist immer noch diese Bestimmtheit': blau also im Unterschied zu rot oder grün. Von ihr führt deshalb ein nächster Schritt zur ,Farbe' als dem ,allgemeine[n] verschiedener Farben', wobei es sich indes nicht, wie Hegel einschärft, um eine ,Extraction derselben', sondern um eine ,Abstraction' handelt (GW 6, 289-290). Kein bloßes Herausziehen des allen bestimmten Farben Gemeinsamen also ist gemeint, wie Herder dieses Prozedere tatsächlich fasst, sondern an ein Wegziehen ist gedacht, an die Aufhebung der Bestimmtheit im Allgemeinen als ,Verstandesbegriff' wie bei Locke. Was jedoch Hegels Konzept von demjenigen Lockes dramatisch unterscheidet, ist nicht allein die schon genannte Verschmelzung von Subjekt und Zeichen, mit der einhergeht, dass die Sprache über die Funktion des Behaltens und Mitteilens von Ideen hinauswächst und zu einem Medium der Selbst-Vergewisserung wird, in der das Bewusstsein allererst .Realität' gewinnt (GW 6. 287). Ausschlaggebend im Anschluss an diese Bestimmung der .Realität' ist

Locke, Essay

Concerning Human Understanding,

3. Buch, Kap. III, §11.

156

BIRGIT SANDKAULEN

vielmehr, was Hegel im Entwurf von 1805/06 vollends entwickelt, und was so auch Herder nochmals trifft. So sinnlos es nämlich jetzt ist, den Namen auf ein empirisches Sein zu verpflichten, so sinnlos ist es zugleich, das ,Reich der Nahmen' für ein bloß nominelles zu halten. Sobald ein Name, so Hegel, ,nur sein Nähme' und das ,Ding selbst' noch ,etwas anderes' sein soll, fallen wir zurück ,in die sinnliche Vorstellung' (GW8, 189). Allein im Blick auf das ,Reich der Bilder' ist die Unterscheidung von Sein und Bewusstsein im Recht: Bilder sind als Verinnerlichungen der Empfindung nur Bilder, denen .Realität' und ,Dasein' fehlt. Entscheidend ist also, die Eigenlogik der Namen in der Abkehr von Sinnlichkeit und Bilderwelt wirklich zu vollziehen und folglich einzusehen, dass die freie Kreation der Namen, indem sie das Seiende vernichtet, das .wahre Seyn', das ,Seyn des Geistes' schafft. Wenn die Antwort auf die Frage ,was ist diß?' etwa lautet, ,es ist ein Löwe', dann geht es hier nicht nur um ein Urteil, das ein Einzelnes unter eine namentliche Klasse subsumiert. Vor allem geht es darum, von ihm als einem ,eigne[n] selbständige[n]' und auch von seinen Eigenschaften wie .gelbes, Füsse und so fort habendes' abzusehen, um im Namen Löwe nunmehr das ,wahre Seyn des Gegenstandes' als ,Τοη meiner Stimme' auszusprechen. Das sich äußernde Bewusstsein und das ,aus dem Ich heraus gebohrenfe]' ,Seyn des Gegenstandes' schließen sich so zur Identität zusammen. ,Geist verhält sich zu sich selbst', heißt es hier, aber nie mehr hat Hegel so drastisch erläutert, was das wirklich bedeutet. Der Mensch sagt nämlich ,zum Esel, du bist ein innres und diß Innre ist Ich - und dein Seyn ist ein Ton, den ich willkührlich erfunden - Esel ist ein Ton, der ganz etwas anderes ist, als das sinnliche Seyn selbst' (GW 8, 189-190). Der ewig geplagte Esel muss aushalten, dass in seinem Namen das Exempel einer Konzeption statuiert wird, die das Problem der Referenz löst, indem sie systembedingt jegliche Referenz in Selbstreferenz überführt. Dieser Gedanke geht mit Hegels These, dass das Bewusstsein nicht Subjekt im Gegenüber zu einem Objekt, sondern als .Einheit und Mitte von bey dem, absolut für sich ist', völlig konform (GW 6, 290). Und dazu passt auch der Hinweis, den er selbst zur Positionierung seiner Überlegungen gibt. Denn insofern der ,sog. Realismus und der sog. Idealismus' Hegel zufolge um den Primat von Objekt oder Subjekt streiten, zeigt die Debatte nur, dass beide Kontrahenten dem Textkommentar gemäß kann man sie mit Jacobi und Fichte assoziieren - stets noch auf dem .Standpunkt des gemeinen Bewußtseyns' stehen (GW6, 291-292). Der aber wird ebenso wie der ganze auf Kant zurückgehende Streit obsolet, wenn man den .theoretischen Proceß' des Bewusstseins als die Bewegung begreift, die im Übergang von der Natur zum Geist alles Verhältnis in ein sprachlich artikuliertes Selbstverhältnis transformiert. Zu fragen bleibt vor diesem Hintergrund jedoch, und darin schließen sich nun beide erörterten Hinsichten zu einer Problemperspektive zusammen, ob man einen Namen, der im „Ton" des Ich das „wahre Seyn" der Sache behauptet, überhaupt noch einen appellativen Namen nennen kann. Oder anders formuliert: solange in dem eben zitierten

,ESEL IST EIN T O N '

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Satz gleichwohl noch ein Esel gemeint und nicht behauptet sein soll, dass das Ich ein Esel sei, solange ist die im Namen freigesetzte Logik der Selbstreferenz offenbar noch nicht völlig am Ziel. Radikaler als in der Enzyklopädie, die das Problem durch die Einführung der .Vorstellung' verdeckt, ist der Aufstieg ins Gedächtnis genau hierin motiviert.26

Mir scheint, dass Hegels spätere Einfügung der .Vorstellung' zwischen Anschauung und Denken John McCumber geradezu verführt hat, von ,two types of philosophical words' zu sprechen, die man in der Enzyklopädie zu unterscheiden habe: .representational names' auf der einen, und .names as such' auf der anderen Seite (The Company of Words. Hegel, Language and Systematic Philosophy, Evanston, 111. 1993, 220ff.). Mittels dieser Unterscheidung soll der Nachweis gelingen, dass alle die, die Hegels Philosophie entweder einem Systemdenken oder im Kontrast dazu einem phänomenoffenen, geschichtlichen Denken vindizieren, seit jeher übersehen haben, dass Hegel als ,a philosopher of language', der als erster den linguistic turn vollzogen habe (ebd., 20), zwei verschiedene Sprachen spricht und damit die beiden Perspektiven immer schon verbunden hat. In diesem Sinne sollen die sog. representational names' durch Referenz ,to external reality' ebenso wie als .expression of a culture' gekennzeichnet sein (ebd., 227), während die .names as such', im mechanischen Gedächtnis von jeglicher referentiellen und historischen Bedingtheit befreit, das Medium darstellen, das dann der systematischen Explikation der Begriffe und ihrer jetzt allein durch ihren jeweiligen Ort im System bezeichneten Bedeutung zur Verfügung steht (ebd., 238). Aufschlussreich ist, dass McCumber diese Unterscheidung in der Enzyklopädie zugegebenermaßen .unclear' ausgeführt sieht und deshalb zur Verdeutlichung auf die Jenaer Überlegungen zurückgreift: Hegels Rede vom Löwen, der im ,Τοη meiner Stimme' sein .wahres Sein' gewinnt, verweise, so die These, auf die ,names as such' des mechanischen Gedächtnisses. Diese These bestätigt nun gewiss, was ich selber oben die ,im Namen freigesetzte Logik der Selbstreferenz' genannt habe. Jedoch hat sich auch gezeigt, dass diese Logik bislang noch nicht völlig realisiert ist, und eben deshalb der Aufstieg ins Gedächtnis hier ja noch bevor steht. Bezogen auf McCumbers Unterscheidung hieße das, dass der Name Löwe an dieser Stelle noch keineswegs ein ,name as such' ist, sondern zu den sog. .representational names' zu zählen wäre was selbstverständlich, hier folge ich McCumber, keinen Sinn ergibt. In der Konsequenz bedeutet das aber erstens, dass Hegel, was die ursprüngliche Ausarbeitung seines Konzepts betrifft, nicht im mindesten mit zwei verschiedenen Sprachen operiert, sondern nur mit einer, deren systemische Logik Schritt für Schritt entfaltet wird. Und es bedeutet zweitens, dass man gut daran tut, auch die entsprechenden Passagen der Enzyklopädie dieser radikalen Logik gemäß zu entziffern, insofern hier von der Sache her kein neuer, das frühere Konzept strukturell verändernder Gedanke in Anschlag gebracht wird. Die zu Recht konstatierte .Unklarheit' dieser Passagen verschwindet mit anderen Worten genau dann, wenn man sieht, dass Hegels Gebrauch des Ausdrucks .Vorstellung' hier lediglich kaschiert, dass die vermeintlichen .representational names' in Wahrheit immer schon in den Prozess der Aufhebung jeglicher mundaner Bedeutung eingespannt sind, ja diesen in das Selbstverhältnis des Denkens mit sich einmündenden Prozess sogar eigentlich ermöglichen und vorantreiben sollen.

158

BIRGIT SANDKAULEN

V. Dass Hegels Gedankengang sich maßgeblich am Konnex zwischen Sprache und Gedächtnis orientiert, wurde zu Beginn schon exponiert. Dieser Punkt ist jetzt gleichsam von unten herkommend eingeholt, und zwar so, dass Hegels primär systematisches Interesse an den Namen inzwischen außer Frage steht. Das belegen die höchst eigenwilligen Akzente, die er im Kontrast zu anderen sprachphilosophischen Positionen setzt, und das belegt zugleich die Logik der Überbietung, die in dieser Akzentuierung offenbar steckt. Worin besteht nun die spezifische Leistung des Gedächtnisses? Es empfiehlt sich, hier zunächst auf ein Motiv zurückzugehen, von dem am Anfang auch schon die Rede war. Hegel betritt idealistisches Neuland, so hieß es da, insofern er Kants transzendentale Einbildungskraft durch die ,Nahmengebende Krafft' der Sprache ersetzt. Dass er Kants Deduktion damit natürlich nur scheinbar in den Gang einer empirisch verfahrenden ,Psychologie' verkehrt, bedarf inzwischen keiner Erklärung mehr. Entscheidend zu notieren ist aber, dass der Einsatz der Sprache den Finger auf genau das Problem der Transzendentalphilosophie legt, das Kant selbst sich durch seine Behauptung zweier verschiedener Stämme der Erkenntnis von vornherein eingehandelt und durch die Vermittlungsinstanz eines transzendentalen Schematismus dann überaus mühsam zu beheben versucht hat. Wozu braucht man indes diese Konstruktion eines zwischen Verstand und Sinnlichkeit, zwischen Begriff und anschaulichem Bild weniger vermittelnden als vielmehr hin- und hergerissenen ,Monogramm[s] der reinen Einbildungskraft a priori', wo es doch die Sprache gibt, die von jeher Verstand und Sinnlichkeit verbindet - und zwar vor aller Ohren und nicht als eine angeblich , verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele'?27 Die ,nahmengebende Krafft' der Sprache tritt funktional an die Stelle des Schematismus: dass Hegel diesem Gedanken gemäß Kants Transzendentalphilosophie von Grund auf reformuliert und sie so zugleich als erste Etappe der Philosophie des Geistes in sein System integriert, ist evident, obwohl bisher, wie es scheint, nicht bemerkt. Die eigentliche Pointe dieser Reformulierung aber zeigt sich gerade im Übergang zum Gedächtnis erst dann, wenn man außerdem festhält - und damit ist nun auf eine frühere Andeutung zurückzukommen - , dass Hegel den Gedanken, den Schematismus durch Sprache zu ersetzen, offenkundig nicht selbst erfunden hat. Er konnte ihn nachlesen in Herders Metakritik zur Kritik der reinen Vernunft, wo es deutlich genug heißt, dass der ,menschliche Verstand [...] eine viel höhere Kraft' hat, ,als dunkel zu schematisieren; er kann seine erfaßten Merkmale durch Worte ausdrücken, er kann sprechen, daß man 28

die Dinge sehe und ihn vernehme'. Herder entfaltet hier, worauf Hamann in seiner Metakritik über den Purismum der Vernunft zunächst nur verwiesen hatte. Bemerkenswerterweise aber hebt Hegel später 27

28

I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, in: Werke, Bd. 3, Β 180 f. Herder, Metakritik,

425.

, E S E L IST EIN T O N '

159

allein Hamanns Intuition hervor, die zu ,entwickelte[r] Erkenntnis' gebracht zu haben, das Verdienst der ,Wissenschaft' sei, während er Herder mit dem harschen Verdikt 29

straft, dass sein ,mit großem Dünkel' verfasster Text zu Recht,längst vergessen' sei. Hier mögen Spuren verwischt worden sein. Spuren eines Konkurrenzunternehmens nämlich, dessen Kantkritische Stoßrichtung - durch den Einsatz der Sprache geradenwegs in die umgekehrte Richtung zielend - auf Anerkennung aus war: auf einen Verstand, der spricht, dass man ,ihn vernehme' und ,die Dinge sehe'. Hegels Aufstieg ins Gedächtnis hingegen, dessen etymologische Verbindung mit dem Gedachten er 30 gleichfalls schon bei Herder finden konnte, bricht solchem Sehen endgültig die Spitze. Endgültig deshalb, weil der zuletzt erreichte Stand noch durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet war. Einerseits sollte der Akt der Namengebung als solcher bereits jegliche .Beziehung nach aussen' stornieren. Streng genommen gibt es schon jetzt nichts mehr zu sehen, sondern nur noch zu hören: den ,Τοη meiner Stimme', dem sich das wahre ,Seyn des Gegenstandes' verdankt. Bei aller Willkürlichkeit meiner Töne aber bleibt andererseits die Bestimmtheit' des Namens (GW 6, 289-290), sofern sie eben doch noch etwas anderes ist als ,Ich', wenigstens ursprünglich an einen Kontext gebunden. Der ,Nähme', so heißt es jetzt, ,hat noch eine andre Bedeutung als er ist': er verweist, obwohl er es bereits ,vernichtet' hat, auf ,das sinnlich seyende' zurück (GW 8, 191). Hier könnte Hegel innehalten und sich fragen, ob das vorher Gesagte womöglich allzu forciert am Phänomen der Namen vorbeiging. Wirklich scheint er jetzt auf die Linie Herders einzuschwenken, wenn er im Entwurf von 1805/06 auch über das Gedächtnis zunächst sagt, dass es den Namen behält, indem es ,die freye willkührliche Verknüpfung dieses Bildes, (der Bedeutung) und des Nahmens' bewahrt, ,daß bey dem Bilde ihm der Nahmen, und beym Nahmen das Bild da ist'. Und als sei auch diese Rückbindung des Namens an das Bild noch nicht genug, spricht Hegel überdies unter den Namen ,Blitz' und ,Donner' von der Ähnlichkeit' dieser Namen ,mit der sinnlichen Erscheinung' und nimmt damit nicht nur wiederum etymologische Beispiele Herders auf (GW8, 192-193),31 sondern fällt so auch seiner eigenen These einer , freien willkürlichen Verknüpfung' direkt in den Rücken.

Hegel,,Hamanns Schriften', in: GW 16, 129-187. Hegels Verdikt hat Konsequenzen bis heute. In der Hegel-Literatur wird Hamann genannt, während von Herder bestenfalls die hier nicht einschlägige Sprachursprungsschrift erwähnt wird. Vgl. z.B. Th. Bodammer, Hegels Deutung der Sprache. Interpretationen zu Hegels Äußerungen über die Sprache, Hamburg 1969, 133ff. Einen kursorischen, hier ebenfalls nicht einschlägigen Hinweis auf den ,Volksgeist' gibt J. Derbolav, ,Hegel und die Sprache. Ein Beitrag zur Standortbestimmung der Sprachphilosophie im Systemdenken des Deutschen Idealismus', in: H. Gipper (Hg.), Sprache. Schlüssel zur Welt, 30

31

Festschrift für L. Weisgerber, Düsseldorf 1959,56-86. Herder, Metakritik, 386: .Gedächtnis zeigt an, daß etwas mit einem Merkmal gedacht sei und wieder gedacht werde; Erinnerung, daß ich einer innegewordenen Sache wieder inne werde.' Ebd., 403.

160

BIRGIT SANDKAULEN

Hegel indes will nicht innehalten - was wie ein Rückfall seiner Konzeption in einen längst überwundenen Standpunkt aussieht, dient hier nur dazu, das .eigentliche' Gedächtnis (GW 8, 192) in seiner dekontextualisierenden Funktion freizusetzen. Diese Funktion - im Entwurf von 1803/04 treffend die ,negative Einheit des Gedächtnisses' genannt (GW 6, 290) - hat nun endgültig mit der ,Mnemosyne der Alten' nichts mehr 32

zu tun. Dennoch tritt sie durchaus nicht wie etwas völlig Neues auf den Plan, sondern sie realisiert, was in der Eigenlogik der Namen, in ihrer jede ,Beziehung nach aussen' vernichtenden Idealität also, erst ,nur der Form nach' angelegt ist (GW 6, 289, Hervorhebung von der Verfasserin, BS). 33 Dieser Form ist der .Inhalt' der Namen nunmehr anzupassen: die .Bestimmtheit' externer Bedeutung also, die ihnen wohlgemerkt nicht als singulären Eigennamen, sondern, mit Mill gesprochen, als konkret allgemeinen Namen wohl oder übel noch anhaftet,34 muss restlos aufgehoben werden. Dergestalt ist das Verfahren der Dekontextualisierung identisch mit dem einer Internalisierung: der .Geist geht in sich' im Gedächtnis (GW8, 191) und widmet sich jetzt nur noch einer ,STOFFLOSE[N] BESCHÄFFTIGUNG und Bewegung [...] mit sich' (GW8, 193). Spätestens an dieser Stelle ist klar, worauf Hegels Aufstieg ins Gedächtnis zielt. Nicht allein wird der schematisierende Vollzug der Ver-Sinnlichung in eine Bewegung der Ent-Sinnlichung zurückgenommen. Der Logik folgend, die Hegel bereits der Sprache im Tausch gegen die transzendentale Einbildungskraft .der Form nach' zugeschrieben hat, heißt das zudem, dass diese Umkehr sich jetzt als eine Reflexionsbewegung präsentiert. Sowohl die externe Bedeutung als auch die Verlautbarung der Namen im .Ton meiner Stimme' werden selbstreflexiv zurückgebogen in den so eröffneten Binnenraum des Verstandes. Dass die nähere Ausleuchtung dieses Binnenraums vor Probleme stellt, machen die divergierenden Fassungen der Jenaer Entwürfe kenntlich. Gleichwohl lassen sich drei Aspekte markieren, die offenkundig in beiden Entwürfen das strukturell maßgebliche Die strukturelle Grundlegung der Jenaer Entwürfe ausdifferenzierend, wird Hegel in der Enzyklopädie zwischen dem ,Namen behaltenden', dem .reproducirenden' und dem ,mechanischen' Gedächtnis unterscheiden. In erneuter Polemik gegen die ,.Mnemonik der Alten' wird in eins damit aus dem .reproducirenden' Gedächtnis jeglicher Bildbezug entfernt (GW20, 459—460, §462). Die .Namen', in denen ,wir denken', sind ,bildlose, einfache Vorstellung [en].' So bieten sie dann die beste Voraussetzung dafür, in einem nächsten Schritt, in der ,höchste[n] Erinnerung des Vorstellens', welche sich im mechanischen oder in Jena .eigentlich' genannten Gedächtnis vollzieht, die .Macht' der Intelligenz ,als ganz abstracte Subjektivität' unter Beweis zu stellen (GW20, 461^-62, § 463). Vgl. zur Kritik an Hegels, in diesen Prozess selbstreferentiellen Zusichkommens zwingend eingebauten Ikonoklasmus: St. Otto, ,11 Conflitto tra Immagini e Parole. La Filosofia del Ricordo in uno Sguardo su Vico e Hegel', in: St. Otto und V. Vitiello, Vico - Hegel. La Memoria e il Sacro, Napoli 2001,11-73. Vgl. GW8,191: Der .Inhalt' des Namens ,muß ihm selbst, seiner einfachen, seyenden Geistigkeit gleich werden'. Vgl. J.St. Mili, A System of Logic. Ratiocinative and Inductive, in: Collected Works, hg. von J.M. Robson,Toronto 1973,Bd.7,Kap.II: ,Of Names',24-^5.

,EselisteinTon'

161

Raster bilden. Der erste Aspekt ist die Isolierung der Namen. Der Blick wendet sich von außen nach innen und konzentriert sich jetzt nur mehr auf den Namen als solchen: auf sein Sein im Bewusstsein. Hegel nennt diese wie etwa ,das Blau' aus ihrem Kontext herausgerissenen Namen ,freye Nahmen' (GW8, JS III, 178). Sie sind ,frey', weil sie nichts mehr benennen, sondern nur noch den Akt der Namengebung reflektieren. Ihre ,Bestimmtheit', um jede mundane Bedeutung gebracht, wird selbstbezüglich, und folglich sind sie, wie es im Entwurf von 1805/06 konsequent heißt, in ihrer Freiheit gänzlich ,einsam' (GW 8, 191). Damit kommt der zweite Aspekt ins Spiel: die Beziehung der Namen. Entscheidend ist hier, dass diese Beziehung geknüpft werden muss. Dekontextualisiert wie sie sind, verbindet die einsamen Namen von sich aus nichts: darauf legt Hegel den allergrößten Wert. Die Form und Inhalt zur Deckung bringende Verselbständigung der Bestimmtheit gegenüber ihrer externen Referenz setzt also mitnichten den Prozess einer autonomen Binnenbestimmung frei, dem das Bewusstsein dann nur noch zuzuschauen hätte. Was für Begriffe gilt, gilt nicht für Namen: sie verweisen nicht von sich aus ,auf anderes' und bilden somit keine sich ,selbst tragende Reihe' (GW 8, 191). Ihre Eigenlogik, von Anfang an wenn auch zunächst nur formell der ,Herrschafft des Selbst' (GW 8, 188) unterstellt, wird jetzt im Gedächtnis vollends realisiert - Namen haben ,dienstbare' zu sein und zu ,gehorchen' (GW8, 192). Sie haben in Beziehungen einzutreten, die das Bewusstsein aus freien Stücken stiftet. Der Entwurf von 1803/04 stellt diese Tätigkeit als den an Locke gemahnenden Verallgemeinerungsprozess vor, der aus bestimmten Namen allgemeine Begriffe abstrahiert. Überzeugender und bereits das .mechanische Gedächtnis' der Enzyklopädie antizipierend, verfährt der Entwurf von 1805/06, indem er diesem Prozess eine Verknüpfungsleistung vorschaltet, die vorderhand nur eine .Ordnung' etabliert. Notwendig ist allein die allgemeine Ordnung als solche, die Kriterien hingegen, was und wie geordnet wird, sind völlig beliebig. Das unterstreicht, dass die Namen jenseits allen Sachbezugs nun endgültig zu gleichgültigen' geworden sind, mit denen das Bewusstsein schalten und walten kann wie es will, indem es sich zugleich als den ,freye[n] Träger' ihrer .zufälligen' Ordnung erfasst (GW 8, 192-193). Zuletzt stülpt dieser Träger sein substantiell Inneres nach außen. Die Namen auswendig' wissend (GW8, 195), verwirklicht das Bewusstsein die je schon angezielte Selbstreferenz genau in dem Maße, wie es sich nun buchstäblich selbst zur Sache macht. Der früher erwähnte Punkt, dass Hegel sich durchaus für die Struktur völliger Sinnlosigkeit interessieren kann, ist eben der: einem potenzierten Nominalismus nur mehr dahergesagter Wörter entspricht die jetzt perfekte Identität von Sein und Bewusstsein um den Preis, dass das Ich sich selbst zur Allgemeinheit einer .gedankenlosen Ordnung' - in gewisser Weise also doch zum ,EseV - verdinglicht hat (GW 8, 194).35 35

Im Text der Enzyklopädie

macht Hegel später die Parallele zwischen immer schon sinnlosen

Eigennamen und den im mechanischen Gedächtnis sinnentleerten allgemeinen Namen explizit: .Das Vermögen, Reihen von Worten, in deren Zusammenhang kein Verstand ist, oder die schon

162

BIRGIT SANDKAULEN

Indessen ist dieser Preis Hegel zufolge nicht zu hoch bezahlt. Was die Sprache betrifft, so wird der nominalistische Verlust mundaner Bedeutung auf die Länge mehr als kompensiert, sobald sich die notwendige Selbstexplikation des Geistes der planmäßig zu bloßen Buchstaben reduzierten Wörter spekulativ, d.h. im Begriff annehmen wird. Was aber zunächst das Ich betrifft, so zielt hier nun der dritte Aspekt auf den letzten und höchsten Punkt des ganzen theoretischen Prozesses. Schon im Falle der je gestifteten Beziehung, als deren substantieller ,Träger' sich das Ich erfasst, ist klar, dass man es hier mit einer An Verwandlung Kants, einer Anverwandlung also der .ursprünglich synthetischen Einheit der Apperzeption' zu tun hat. Der von Hegel inszenierten Umkehrbewegung gemäß muss das ,Ich denke' hier jedoch nicht ,alle meine Vorstellungen begleiten können', sondern im Gedächtnis begleitet das Ich tatsächlich - allerdings nur mehr beliebige, zu Buchstaben geronnene Namen. Dass aus der Bedingung der Möglichkeit ein faktischer Vollzug, wenn auch um den Preis seiner objektiven Bezüglichkeit, geworden ist, heißt zuletzt, daß das Ich auch von seiner synthetischen Leistung noch absehen und sich als analytische Einheit, als ,einfache, absolute Abstraction der Einheit' (GW 6, 295) oder dem Entwurf von 1805/06 zufolge schlicht als ,Ichselbst' begreifen kann (GW 8, 201).

VI. Dass diese .Reflexion als Punkt' (GW 6, 295) sich nun nur noch selber begleiten könnte, ohne die mindeste Ahnung, wer oder was da begleitet zu werden verdiente, weiß Hegel natürlich selbst. Die auf Kosten allen .Inhalts' realisierte Freiheit ist ,leer' (GW6, 295; GW8, 201). Und schlimmer noch: das im Umgang mit den Namen plan-

für sich sinnlos sind (eine Reihe von Eigennamen) auswendig behalten zu können, ist darum so höchst wunderbar, weil der Geist wesentlich diß ist, bei sich selbst zu seyn, hier aber derselbe, als in ihm selbst entäußert, seine Thätigkeit als ein Mechanismus ist' (GW20, 461-462, §463). Nur wenn man wie J. Simon dem .mechanischen Gedächtnis' keine Aufmerksamkeit schenkt, lässt sich aus Hegels Konzept der Namen ein „,im Prinzip" unendlicher Zeichenprozeß' herauslesen, ,der sich immer nur „pragmatisch" abbrechen läßt' (.Zeichenmachende Phantasie. Zum systematischen Zusammenhang von Zeichen und Denken bei Hegel', in: Zeitschrift für philosophische Forschung (50) 1996, 254—270). Insofern damit auch der von Hegel für entscheidend gehaltene Übergang vom Gedächtnis zum Denken als Übergang vom (sinnlosen) Namen zum Begriff unberücksichtigt bleibt, vermag der von T. Borsche unternommene Versuch, Hegels Dialektik als namentlich gebundenes Resultat , un vorhersehbarer Zufälle' gegen systemkritische Einwände zu verteidigen, gleichfalls nicht zu überzeugen („,Es ist in Namen, daß wir denken." Lyotards Kritik des spekulativen Diskurses', in: Chr. Hubig (Hg.), Cognitio humana, Berlin 1997, 380-394). Vgl. zum Übergang vom Gedächtnis zum Denken die .Erläuterung' von H.F. Fulda, die allerdings auf eine Stellungnahme zu Hegels Überlegungen ausdrücklich verzichtet (,Vom Gedächtnis zum Denken', in: F. Hespe und B. Tuschling (Hg.), Psychologie und Anthropologie, 321-360).

,ESEL IST EIN TON'

163

mäßig in Selbstreferenz aufgehobene Sein stellt sich dem leeren Ich nun plötzlich mit realer Macht gegenüber (GW 6,295-296). Hätte es je selber den Löwen nur einen ,Τοη' genannt, so käme er jetzt und fräße es auf. An diesem Punkt macht Hegel den Übergang in den praktischen Prozess zwingend. Die Möglichkeit jedoch, dass das Bewusstsein rückblickend auch gegen den ihm angesonnenen theoretischen Prozess protestiert, ist damit nicht ausgeräumt. Immerhin könnte es den Referenzverlust der Namen wettmachen wollen, indem es sich in indexikalische Ausdrücke rettet und versichert, dass es Jetzt' eben .dieses' meine. Wie der Anfang der Phänomenologie zeigt, hat Hegel diese Möglichkeit tatsächlich noch ins Auge gefasst und dann die Auskunft gegeben, von der schon die Rede war. Auch das vermeintlich bestimmte ,Dieses' ist nur ein dem Bewusstsein zugehöriges Allgemeines.

CHRISTOF SCHALHORN

Hegels Jenaer Begriff des Selbstbewusstseins (1801-1805/06)

Hegels Begriff des Selbstbewusstseins in seinen Jenaer Jahren vor der Phänomenologie des Geistes (1807) hat bislang keine eigene Darstellung gefunden. Das erklärt sich wohl zum Teil aus seiner wenig exponierten Stellung in Texten, deren Überlieferung unvollständig ist. Gleichwohl ist es nicht nur möglich, sondern aufschlussreich, den Jenaer Selbstbewusstseinsbegriff separat zu verfolgen. Denn an ihm lässt sich Hegels Abkehr von einer transzendentalphilosophisch orientierten Position hin zu seiner eigenen, spekulativen Metaphysik paradigmatisch aufzeigen. Die zu diesem Zweck betrachteten Schriften unterteilen sich in zwei aufeinander folgende Gruppen: Erstens die Jenaer Kritischen Schriften, und zwar die Differenzschrift (1801), ,Glauben und Wissen' (1802) und der ,Naturrechtsaufsatz' (1802/03)'; zweitens aus den erhaltenen Manuskripten Hegels diejenigen Passagen der Systementwürfel (1803/04), II (1804/05) und III (1805/06), die für die Geistesphilosophie relevant sind. Um einen Ausblick zu geben, so wird anhand dieser Schriften: (1) die Entwicklung des Jenaer Selbstbewusstseins-Begriffs skizziert. Dabei steht jede dieser Gruppen für eine gegenläufige Tendenz: In der erstgenannten Gruppe von Schriften erfolgt ausgehend von einem transzendentalen Begriff von reinem Selbstbewusstsein als intellektueller Anschauung eine Abwertung. Und zwar eine Abwertung des Selbstbewusstseins zugunsten von Hegels metaphysischer Konzeption des Absoluten als Geist. Innerhalb der Systementwürfe I, II und III erfolgt dann eine Aufwertung, indem Hegel an Stelle des Bewusstseins das Selbstbewusstsein in neuer Deutung zum Leitbegriff des Geistes macht. (2) eine Differenzierung in Hegels Selbstbewusstseins-Begriff aufgezeigt. Denn Hegel kennt verschiedene Typen von Selbstbewusstsein. Damit ergeben sich einerseits systematische Berührungspunkte zur breiten Phänomenalität von Selbstbewusstsein.

Die vollständigen Titel der hier in Kurzform genannten Schriften lauten: Differenz des Fichte'schen und Schelling'sehen Systems der Philosophie in Beziehung auf Reinhold's Beyträge zur leichtern Übersicht des Zustands der Philosophie

zu Anfang des neunzehnten Jahrhunderts,

lstes

Heft,

.Glauben und Wissen, oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische, und Fichtesche Philosophie' und ,Ueber die wissenschaftlichen Behandlungsarten

des Naturrechts,

seine Stelle in der praktischen Philosophie, und sein

Verhältniß zu den positiven Rechtswissenschaften'.

166

CHRISTOF SCHALHORN

Andererseits differenziert sich Hegels Kerninteresse: die im Selbstbewusstsein erfolgende Erkenntnis des Absoluten. Diese kann nämlich eine bloß formale oder eine inhaltlich angereicherte sein. (3) ein strukturelles Problem in den Mittelpunkt gestellt. Es betrifft die Symmetrie bzw. Asymmetrie von Subjekt und Objekt in der Erkenntnisrelation. Virulent wird dieses Problem in der Opposition zwischen dem Bewusstsein (Symmetrie) und dem Selbstbewusstsein (Asymmetrie) als Leitbegriffen des Geistes. Dabei ergibt sich im ersten Fall die Erkenntnis des Absoluten als Objekt-Erkenntnis, im zweiten Fall als Selbst-Erkenntnis. Diese Opposition zeigt und entscheidet sich besonders im Verhältnis der Systementwürfe I und III. Was aber ist bei Hegel am Anfang der Jenaer Zeit unter .Selbstbewusstsein' philosophisch zu verstehen? Das sei einleitend beleuchtet mit Bezug auf einen Begriff des Selbstbewusstseins, den Hegel zwar erwähnt, aber nicht direkt behandelt: das empirische Selbstbewusstsein. Geht man aus vom empirischen Bewusstsein, bei dem das Subjekt sich auf die ,mannichfaltigen Objekte' der Erfahrung bezieht,3 dann ergeben sich für das empirische Se/èsfbewusstsein bei Hegel zwei Typen. Zum einen hat das Subjekt in der Differenz zu den Objekten ein Bewusstsein von sich als Subjekt überhaupt - der Typ des empirischen Ich-Bewusstseins.4 Zum anderen hat das Subjekt ein Bewusstsein von sich selbst als empirisches Objekt in der ,Einzelheit und Besonderheit des Individuums' - der Typ der empirischen Selbstzuschreibung.5 Einschränkend ist festzustellen, dass manches der folgenden Ausführungen durchaus hypothetischen Charakter hat, weil die Textbasis und die Ausarbeitung durch Hegel teilweise unvollständig sind. Außerdem ist festzuhalten, dass das Selbstbewusstsein in starkem Maß an andere wichtige Theoreme angrenzt - logische, ontologische, epistemologische - , die hier nicht gleichfalls erörtert werden können. Das betrifft auch bekannte Begriffspaare und Begriffe Hegels, wie Gegensatz-Einheit/Identität, Subjekt-Objekt, Allgemeines-Einzelnes, Spekulation usf. Grundlegend hierfür ist nach wie vor K. Düsing, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik. Systematische und entwicklungstheoretische Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik, Bonn 1976, sowie für die frühe Jenaer Epoche: H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens. Hegels ,System der Philosophie' in den Jahren 1800-1804, Bonn 1970. Für Hegels Jenaer Begriffe von Bewusstsein und Selbstbewusstsein vor allem in der Zeit der Systementwürfe I bis III ist zu nennen: L. Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/München 1979, besonders 54-68,178-190. S. in der Differenzschrift GW4, 36, auch 28 und 34 sowie im .Naturrechtsaufsatz' 434: ,Das empirische Bewußtseyn ist darum empirisch, weil die Momente des Absoluten in ihm zerstreut, nebeneinander, aufeinanderfolgend, zersplittert erscheinen.' S. in der Differenzschrift GW4, 34: ,Ich [kommt] in Entgegensetzung [gegen ein Objekt] vor.' Vgl. auch im .Naturrechtsaufsatz', ebd., 434. G W 4 , 4 6 2 . In .Glauben und Wissen', ebd., 389, nennt Hegel dies den ,empirische[n] Standpunkt eines jeden Einzelnen' und charakterisiert diesen Standpunkt so, dass ,für jeden Einzelnen [...]

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

167

Solchem empirischen Selbstbewusstsein, das in den philosophischen Debatten unserer Tage eine große Rolle spielt, gilt nun Hegels Interesse gerade nicht. Stattdessen interessieren ihn Formen von Selbstbewusstsein, die zwar gleichfalls empirisch auftreten, deren Gegenstand aber das Absolute ist. Das Absolute als jenes monistische Konzept, in dem die empirische Differenz von Subjekt und Objekt gerade überwunden ist.6 Die Verbindung von Selbstbewusstsein und Absolutem ist nun eine zentrale Überzeugung des (früh-)idealistischen Philosophierens. Hegel allerdings bringt in seiner Jenaer Epoche in Bezug auf diese Überzeugung tief greifende Veränderungen an, die nun beginnend mit der Differenzschrift darzustellen sind.7

1. Differenzschrift In der Differenzschrift ist philosophisch interessant das Abstraktions-Selbstbewusstsein. Hegel nennt es ,reines Selbstbewußtseyn'. Negativ betrachtet heißt es ,rein', weil es - so Hegel - dadurch zustande komme, dass das Subjekt von aller Empirie, d.h. von allen möglichen Erfahrungsobjekten, abstrahiert. Sofern das Subjekt denkt, verhält es sich als ,reines Denken'. 8 Diesen negativen Aspekt des Abstraktions-Selbstbewusstseins hat Hegel seine ganze Jenaer Epoche hindurch beibehalten. Ja, es handelt sich wohl um die einzige Konstante seines philosophischen Selbstbewusstseinsbegriffs überhaupt. Das ist anders mit dem positiven Aspekt. Bei ihm geht es um den Inhalt des reinen Selbstbewusstseins, also um das, was der Gegenstand des reinen Denkens ist. In der Differenzschrift wird dieser Inhalt als eine doppelte Erkenntnis-Relation gedacht, in deren Zentrum die das Absolute auszeichnende Identität von Subjektivität und Objektivität steht. Zum einen nämlich beziehe sich das Subjekt als reines Denken auf sich selbst. Dabei komme es zur Erkenntnis der eigenen - quasi internen - Identität unter der Formel des Ich = Ich. Zum anderen bestehe darin zugleich die Erfahrung der Identität von

seine Realität die unbegreifliche Sphäre gemeiner Wirklichkeit [ist], in die er nun einmal eingeschlossen ist.' Auch Hegels Ausführungen zur ,empirischen Psychologie' gehören in diesen Zusammenhang, s. ebd., 322. Die Abgrenzung bzw. das Zusammenspiel von empirischem und absolutem Selbstbewusstsein (vgl. in der Differenzschrift GW4, 35) ist eines der Themen, die sich aus den Jenaer Schriften Hegels nicht hinreichend behandeln lassen. Hegels Ansicht vom Selbstbewusstsein muss in den Jenaer Kritischen Schriften - vor allem in der Differenzschrift - seiner teils kritischen, teils affirmativen Darstellung der Theorien von Fichte, Schelling und Kant entnommen werden. Das erfolgt hier ohne zu fragen, ob Hegels Darstellung diesen Theorien gerecht wird, und ohne Hegels Verhältnis zu diesen Theorien zu diskutieren. S. vor allem G W 4 , 3 5 - 3 6 .

168

CHRISTOF SCHALHORN

Subjektivität und Objektivität überhaupt. Es handle sich um die Erkenntnis der das Absolute auszeichnenden - quasi externen - Identität.9 Leider unterzieht Hegel in der Differenzschrifi keine der beiden Identitäten und auch nicht ihr Verhältnis zueinander und zum Absoluten einer eingehenden Analyse. Das entspricht freilich dem Hauptinteresse der Schrift: ausgehend von gemeinsamen Überzeugungen die Differenz zwischen dem Fichteschen und Schellingschen System zu markieren. Die beschriebene Auffassung des reinen Selbstbewusstseins aber zählt Hegel zu solch einer gemeinsamen Überzeugung - der er sich offensichtlich anschließt.10 Das gilt auch für den Ausdruck der .intellektuellen' Anschauung. Im Unterschied zur empirischen Anschauung verwendet Hegel ihn für die .spekulativ' genannte, weil das Absolute betreffende Erkenntnisart des reinen Selbstbewusstseins. Zu ihr - und somit auch zum reinen Selbstbewusstsein - sei exklusiv der transzendentale Philosoph in der Lage.11 Diese Exklusivität unterscheidet das reine Selbstbewusstsein von der in der Differenzschrift ebenfalls vorkommenden .absoluten Selbstanschauung'.12 Mit ihr soll als Schlusspunkt des philosophischen Systems für den Menschen die Erkenntnis des Absoluten gegeben sein. Auch wenn Hegel die .absolute Selbstanschauung' offenbar nicht als Selbstbewusstsein konzipiert, ist sie hier anzuführen - weil er noch in Jena genau das tun wird. Sieht Hegel in der Differenzschrift die hier skizzierte Auffassung des reinen Selbstbewusstseins als das ,kühn ausgesprochene[n] ächte[n] Princip der Spekulation' auch bei Fichte und Schelling gleichermaßen vorhanden, so kritisiert er bekanntlich Fichte für seine systematische Anwendung dieses Prinzips. Hegel beanstandet die Einseitigkeit, in der allein ein subjektiver, von der Objektivität abstrahierter Ausgangspunkt zum Prinzip gemacht sei. Das nämlich führe durch die sekundäre, äußerliche Einbeziehung der Objektivität (.Anstoß') zu einem Dualismus und belaste so die identitätsphilosophische Durchführung des Systems.13 Auf die Rechtmäßigkeit dieser Vorwürfe und auf die mit Schelling favorisierte Lösung einer .Ergänzung' des subjektiven Prinzips durch das objektive der Naturphilosophie ist hier nicht einzugehen.14 Trotzdem ist festzuhalten,

9

S. etwa G W 4 , 3 5 - 3 6 und 62.

10

S. ebd., 6: ,Das reine Denken seiner selbst, die Identität des Subjekts und des Objekts, in der Form Ich = Ich ist Princip des Fichte'schen Systems, und wenn man sich unmittelbar an dieses Princip, so wie in der Kantischen Philosophie an das transcendentale Princip, welches der Deduktion der Kategorieen zum Grunde liegt, allein hält, so hat man das kühn ausgesprochne ächte Princip der Spekulation.'

11

Vgl. GW4, 35 und ff. (,Dem Philosophen entsteht dieß reine Selbstbewußtseyn [...]'). Hegel unterscheidet von der .intellektuellen' offenbar die .transcendentale Anschauung' (vgl. ebd., 27-28 und 34), was für den vorliegenden Zusammenhang allerdings ohne Bedeutung ist.

12

GW4,46.

13

S. ebd., 7 , 3 7 ff., 64 ff. S. ebd., 64 ff.

14

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

169

dass bereits in der Differenzschrift die durch die Abstraktion verursachte Inhaltslosigkeit des reinen Selbstbewusstseins als Problem verstanden wird.

2. ,Glauben und Wissen' In dem Aufsatz ,Glauben und Wissen' ist Hegels Problembewusstsein angesichts der Inhaltslosigkeit des reinen Selbstbewusstsein verschärft. Ganz unabhängig von der Fichteschen Anstoß- oder der Schellingschen Ergänzungs-Lösung kritisiert er nun direkt dessen ,Formalismus' und .Leerheit'.15 In seiner Analyse für diesen Befund nimmt Hegel den negativen Aspekt des reinen Selbstbewusstseins auf - leer ist es durch Abstraktion von aller Empirie - , deutet den positiven Aspekt jedoch neu. Denn nunmehr verliert das reine Denken mit dem empirischen Inhalt jeden positiven Inhalt und gelangt nur mehr zur Erfahrung der ,formale[n] Identität'.16 Das bedeutet: Von einer inhaltlichen Erkenntnis - sei es des Subjektes als interne sei es des Absoluten als externe Identität - ist keine Rede mehr. Freilich bleibt zu fragen, wie die Erfahrung einer bloß formalen Einheit bzw. Identität logisch zu denken ist - eine Frage, die sich auch im Folgenden aus Hegels Jenaer Texten nicht beantworten lässt. Gleichwohl kann der Umstand, dass sich Hegel auf diese Weise bzw. ab diesem Zeitpunkt strukturellen Analysen und damit den bekannten Problemen des transzendentalen reinen Selbstbewusstseins nicht mehr stellt, nicht hoch genug eingeschätzt werden.17 Diese neue Deutung des positiven Aspektes des reinen Selbstbewusstseins zeigt sich entsprechend in Hegels Abwertung der intellektuellen Anschauung. Hegel restringiert nämlich (im Fichte-Teil von ,Glauben und Wissen') nun die intellektuelle Anschauung auf den Akt, ,νοη allem fremdartigen im Bewußtseyn [zu] abstrahiren, und sich selbst 18

[zu] denken'. Wiederum besteht der Inhalt dieses Sich-selbst-Denkens nur mehr in der Leere des ,rein Formelle[n]' des Wissens.19 Hinzu kommt, dass es sich jetzt um einen Akt handelt, der nicht mehr nur dem transzendentalen Philosophen, sondern jedem Menschen jederzeit möglich ist. Damit wird das Konzept der intellektuellen Anschauung in der Tat etwas ,Gemeine[s] und Einfache[s]' 20 und scheidet - übrigens auch unter

Ebd., 328 (,das leere Ich', .Abstraction des Ich'), 390ff. (,formales' und formelles Wissen'). 16

Ebd., 343-344.

17

18

19 20

Mit anderen Worten ist hier der Punkt, wo Hegel die Pfade und Probleme der von Dieter Henrich für den transzendentalen reinen Selbstbewusstseinsbegriff aufgewiesenen ,Reflexionstheorie des Selbstbewusstseins' für immer verlässt. GW 4,390-391. Ebd., vgl. auch 388 (.diese intellectuelle Anschauung ist etwas formelles'). Ebd., 390.

170

CHRISTOF SCHALHORN

dem Namen , transcendental Anschauung' - für Hegel als Explikant des reinen Selbstbewusstseins und Erkenntnisquelle des Absoluten dauerhaft aus. Allerdings erfährt in ,Glauben und Wissen' das Selbstbewusstseins-Thema auch konstruktive Impulse. Und die hängen eben mit jener formalen Einheits- bzw. Identitäts-Erfahrung im reinen Selbstbewusstsein zusammen. Ihren Ausgang nehmen diese Impulse bei einer von Hegel bei Kant ausgemachten spekulativen Metaphysik-Konzeption. Diese spekulative Metaphysik-Konzeption sieht Hegel in .Glauben und Wissen' bekanntlich darin, dass Kant das von ihm so genannte ,Vermögen der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperception' gerade nicht subjektiv denke, sondern objek21

tiv. Metaphysisch sei es nämlich ,das Erste und Ursprüngliche', und so die gemeinsame Wurzel von Apriorität und Aposteriorität, aus der ,das subjective Ich sowohl als die objective Welt erst zur nothwendig zweytheiligen Erscheinung und Produkt sich tren„ < 22 nen . Was bedeutet diese spekulative Metaphysik-Konzeption für das Selbstbewusstsein? Es bedeutet, vorsichtiger: es könnte bedeuten, dass, wenn Hegel das .subjective Ich' neben der ,objectiven Welt' als .Produkt' des Absoluten bezeichnet, die im abstrakten Selbstbewusstsein erfahrene .formale Einheit bzw. Identität' keine andere ist als die des Absoluten selbst. Damit käme das Absolute als Gegenstand der Erfahrung im Selbstbewusstsein wieder ins Spiel - aber nur formal und nicht als inhaltliche Erkenntnis. Das entspräche zumindest im Ansatz auch Hegels in .Glauben und Wissen' formulierter Maxime, den Menschen nicht als ,fixe, unüberwindliche Endlichkeit der Vernunft' zu begreifen, sondern ,als Abglanz der ewigen Schönheit, als geistige[n] Focus des Universums'.23 Auf jeden Fall handelt es sich um eben die Auffassung, die Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' dann explizit vertritt.

Ebd., 329 bzw. 334f. Hier sieht Hegel bei Kant auch einen objektiven Begriff von Selbstbe22

23

wusstsein und Ich, s. 328 (u.a. .wahres Ich'). Ebd., 329. Es ist bekannt und soll hier nicht näher ausgeführt werden, dass Hegel mit der transzendentalen Apperzeption sowohl die Kantische produktive Einbildungskraft als auch Vernunft und Verstand zusammenschließt und mit der reflektierenden Urteilskraft in der ,Idee der absoluten Mitte eines anschauenden Verstandes' kulminieren sieht (vgl. ebd., 335, 339-343). Nimmt man Hegels Loblied auf Kants .wahrhafte Form' der .Triplicität' und Kants spekulativ gedeutete Urteils- und Schlusslehre hinzu (ebd., 335), so ergeben sich tatsächlich die Umrisse eines Begriffs vom Absoluten und einer Philosophie, die auf Hegels eigene spekulative Konzeption vorausweisen. Ebd., 323.

171

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

3.

,Naturrechtsaufsatz'

Im ,Naturrechtsaufsatz' skizziert Hegel sein eigenständiges Systemprogramm. In dessen Zentrum steht das Doppeltheorem des Absoluten, das als ,absoluter Begriff' bzw. ,Idee' zugrunde liegend alle Verhältnisse strukturiert und im ,Geist' seine reale Erscheinung hat.24 Mit dem ersten Theorem - der zugrunde liegenden Idee - kommt Hegel auf seine Formulierung der Kantischen spekulativen Metaphysik aus ,Glauben und Wissen' zurück. Diese Idee ist nämlich ,das Princip der Entgegensetzung und die Entgegensetzung selbst' ,25 Im zweiten Theorem - dem Geist - behauptet Hegel in der Rea26

lität eine Höherstellung des Geistes gegenüber der Natur. Damit bringt er das Thema der Asymmetrie von Subjektivität und Objektivität programmatisch ins Spiel. Hegel schreibt nämlich, der Geist habe als ,absolute[s] Erkennen' das .Universum in sich' zurückgenommen und ,übergreif[e]' so ,die auseinandergeworfene Totalität dieser Vielheit'. 27 Wieder ist nach der Bedeutung dieser Systemprogramms für den Begriff von Selbstbewusstsein zu fragen. Einschlägig ist eine Formulierung, mit der Hegel die beiden .Produkte' (wie sie in .Glauben und Wissen' heißen) der Trennung der Idee charakterisiert. Sie lautet, dass die Idee in der Trennung ,als reine Einheit sich entgegengesetzt ist 28 als Vielheit'. Die .Vielheit' ist die objektive Welt, also letztlich die Natur. Und die .reine Einheit' verwirklicht sich im Geist, der sich selbst im subjektiven Ich begreift. Damit aber ist ausgesprochen, dass im bzw. als subjektives Ich das Absolute (=die Idee) wenn auch nicht inhaltlich so doch formal - als ,reine Einheit' - vorhanden ist bzw. zur Erfahrung gelangt. Der Ort dieser Erfahrung ist die Leere des reinen Selbstbe29 wusstseins. Auf diese Weise hat Hegel erstens einen genuinen Bezug zwischen dem Selbstbewusstsein und der Erkenntnis des Absoluten hergestellt. Dies aber zweitens so, dass es sich nur um eine 30FormaZ-Erkenntnis handelt, d.h. ohne dass der Bezug eine inhaltliche Erkenntnis wäre. Diese Differenzierung ermöglicht Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' die Doppeldeutigkeit seiner Kritik an den Moralphilosophien von Kant und Fichte. In ihnen sei das im reinen Selbstbewusstsein wurzelnde , Sittengesetz' zwar einerseits ,das wahre 24

GW4,471,484.

25

Ebd., 441.

26

Ebd., 464 (,der Geist höher als die Natur').

27

Ebd.

28

Ebd., 441.

29

Dies kann hier nur auf der Grundlage der Gleichsetzung von Wörtern gesagt werden, nämlich: 30

formale Einheit = Leere. G W 4 , 4 3 1 - 4 3 4 ; vgl. 424: ,[...] wie die absolute Einheit sowohl als einfache Einheit, die wir die ursprüngliche nennen können, als auch als Totalität in dem Reflex des empirischen Wissens erscheint; beyde Einheiten, welche im Absoluten Eins, und deren Identität das Absolute ist, müssen in jenem Wissen getrennt und als ein verschiedenes vorkommen.'

172

CHRISTOF SCHALHORN

Wesen und das Absolute'. Andererseits aber sei es bloß formal und ,bedingt' durch die empirische Realität, mit der keine Einheit herzustellen sei. Auf diese Weise ergebe sich eine Opposition zwischen ,reinem Selbstbewußtseyn' und .realem Bewußtseyn'.31 Die Überwindung dieser Opposition ist es dann, was zur inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten führen soll. Hier konstatiert Hegel im ,Naturrechtsaufsatz' das Scheitern von Kant und Fichte und entwickelt als seine eigene Lösung die Konzeption der Sittlichkeit. Unter den logischen und ontischen Prämissen einer spekulativen Metaphysik der Idee bzw. des Geistes konstituiere sich in den sittlichen Institutionen eines Volkes das Verhältnis von ,reinem Selbstbewußtseyn' und ,realem Bewußtseyn' real als identisches. In der ,absolute[n] sittliche[n] Totalität' gelange das Subjekt damit zur inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten. Vielleicht überraschend aber für die weitere Entwicklung bezeichnend ist nun, dass Hegel das Zustandekommen der inhaltlichen Erkenntnis des Absoluten nicht über den 32

Selbstbewusstseins- sondern über den Bewusstseinsbegtiff definiert. Denn in ihren Institutionen existiert die Sittlichkeit als Objekt für das Subjekt, das darin das ,reale absolute Bewußtseyn der Sittlichkeit' erlangt.33 Die inhaltliche Erkenntnis des Absoluten erfolgt somit als Objekt-Bewusstsein. Diese Orientierung am Objekt-Bewusstsein zeigt sich auch im wenig später verfassten sog. System der Sittlichkeit (1802/03). Dort geht Hegel so weit, die intellektuelle, auch .absolut' genannte Anschauung - die in der Differenzschrift ja als Selbstbewusstsein auftritt - zum Objekt-Bewusstsein umzudeuten. Sie sei nämlich nur ,durch die Sittlichkeit, und in ihr allein eine reale'. 34 Das mündet in die Formulierung, wonach in der intellektuellen Anschauung als Bewusstsein der sittlichen Institutionen ,die Augen des Geistes und die leiblichen Augen vollkommen zusammen [fallen]'.35 Es ist diese Auffassung einer gegenständlichen Existenz und Erkenntnis des Absoluten, die Hegel in die nun anschließende Phase der Systementwürfe mitnimmt, um sie dort erst zu vertiefen und zuletzt einer Revision zu unterziehen. Im Kern ergibt sich dabei eine Opposition von Bewusstsein und Selbstbewusstsein als Leitbegriffe des GeisEbd., 442; vgl. 441: J e n e erste Seite, nach welcher das Wesen des Rechts und der Pflicht - und das Wesen des denkenden und wollenden Subjekts schlechthin eins sind, ist - wie im allgemeinen die höhere Abstraction der Unendlichkeit - die große Seite der Kantischen und Fichteschen Philo32 33

sophie'. Vgl. ebd., 468 ( .Reflex' im .reinen Bewußtseyn' und im .empirischen Bewußtseyn'). Ebd., 462. Möglicherweise im Widerspruch zu diesem Befund steht die allgemeine Charakterisierung des Geistes, 464. Dazu gehört auch die Definition des Absoluten als Selbsterkennen (464 und 484).

34

35

GW5.324. Ebd., 324; vgl. auch 326, u.a. ,[...] es erkennt an dem Entgegengesetzten absolut dasselbe, was das Subjekt ist; es schaut die Dieselbigkeit an.' S. auch G W 4 , 467. Bekanntlich arbeitet Hegel im System der Sittlichkeit

auch mit dem Begriff der .Potenz' für die gegenständliche Existenzform

der sittlichen Institutionen.

173

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

tes. Die Problemgehalte dieser Opposition als ein Entwicklungsmotiv der Jenaer Systementwürfe zu begreifen, ist das Anliegen der folgenden Darstellung.

4. Systementwürfe I Die Systementwürfe von 1803/04 enthalten in einer Vielzahl von fragmentarischen Texten Hegels erste Ausführung des Systemteils der Geistesphilosophie. Umso überraschender ist, dass dort das Selbstbewusstsein terminologisch gar nicht36 und der Sache nach nur unscheinbar vorkommt. Fragt man nach dem Grund für die wenig prominente Behandlung, so zeigt sich, dass das Selbstbewusstsein seine Leitfunktion komplett an einen anderen Begriff verloren hat - das Bewusstsein. Indem Hegel vermittels des Bewusstseins nicht weniger als den Geistbegriff insgesamt strukturiert, folgt er den genannten Tendenzen im ,Naturrechtsaufsatz' und im System der Sittlichkeit. Das sowie die damit verbundenen Probleme sind nun zu zeigen.37 Wie im ,Naturrechtsaufsatz' fasst Hegel das realisierte Absolute - also den Geist qua Bewusstsein - als Komplex auf, welcher das ,Einsseyn des Einfachen und der Unend38

lichkeit' ist. Zentral ist hierbei der Terminus .Unendlichkeit'. Als spekulativer Kernbegriff der mittleren Jenaer Zeit beschreibt er solche Sachverhalte, die ihre Differenzen - in der Regel ist es ein Différentes - in sich selber tragen.39 Die dialektische Programmformel, die Hegel in derselben Zeit für solche Sachverhalte bereithält, ist das bekannte ,Gegentheil seiner selbst'. Als ,Gegentheil seiner selbst' unterscheidet sich etwas von einem Anderem, mit dem es zugleich identisch ist.40

Einzige Ausnahme ist die Erwähnung in der Gliederungsnotiz zur ,Intelligenz' (GW6, 329), 37

wobei es sich aber um einen zeitlich etwas späteren und um keinen ausgeführten Text handelt. Vor allem anhand der Fragmente 18: ,Das Wesen des Bewußtseyns...'

und 19: ,Die erste Form

der Existenz des Geistes...'. Etwaige Differenzen zwischen den verschiedenen Geistesphilosophie-Fragmenten der Systementwürfe / bleiben in dieser Darstellung außen vor. 38

39

G W 6 , 2 6 6 f . , vgl. 275f. Vgl. zu Hegels Jenaer Begriff der Unendlichkeit R. Schäfer, Die Dialektik und ihre

40

besonderen

Formen in Hegels Logik, Hamburg 2001, z.B. 108 ff. Siehe z.B. GW6, 273: ,Das Wesen des Bewußtseyns

ist, daß unmittelbar in einer ätherischen

Identität absolute Einheit des Gegensatzes sey; es kann diß nur seyn, indem unmittelbar, es entgegengesetzt

insofern

ist, die beyden Glieder des Gegensatzes es selbst sind, an ihnen als Glieder des

Gegensatzes unmittelbar das Gegentheil ihrer selbst, die absolute Differenz sich selbst aufhebende und aufgehobne Differenz sind, einfach sind.' Sowie ebd., 274: ,[...] daß alles differente entgegengesetzte in seiner Differenz unmittelbar an sich in seinem Gegenteil ist, und darin nicht ist.' Bereits im .Naturrechtsaufsatz' stellt Hegel semantisch-logische Überlegungen zur Dialektik von .Unendlichkeit' und .Gegentheil seiner selbst' an: vgl. GW4,431 f., 446f., 463,474ff.

174

CHRISTOF SCHALHORN

Nach diesem Schema definiert Hegel den Geist qua Bewusstsein als Komplex, dessen Differente das „Bewußtseyende" und das „Bewußte" sind. (Im Folgenden ist von ihnen als .Subjekt' und .Objekt' die Rede.) Dabei - und das ist entscheidend - nimmt Hegel neben den beiden Differenten das Bewusstsein insgesamt als ,Mitte' an, die zwischen ihnen existiert. Damit ergibt sich ein im Prinzip dreigliedriger Komplex. Er ist mit Hegel durch folgende sieben Punkte zu charakterisieren41: 1. 2. 3. 4. 5.

6.

7.

Das Subjekt ist,Tätiges', das Objekt .Passives'. Die Tätigkeit des Subjekts besteht darin, das Objekt zu verändern. Die Veränderung wird als Auflieben verstanden. Es gibt zwei Weisen des Aufhebens: das empirische, das nicht zu einer Identifizierung von Subjekt und Objekt führt; und das absolute, bei dem das der Fall ist. Das absolute Aufheben erfolgt mit Bezug auf ein ,Drittes'. Dieses Dritte ist die ,existirende Mitte' von Subjekt und Objekt, und dabei ein phänomenaler Sachverhalt, der zwischen Subjekt und Objekt steht. Hegel bezeichnet ihn als die jeweilige ,Potenz'. Die Mitte ist der Vollbegriff von Bewusstsein und besitzt folgende Charakteristika: (a) Sie stellt als das ,Werk' beider die Existenzform der Einheit von Subjekt und Objekt dar. (b) Als Existenzform der Einheit hat die Mitte eine ,gedoppelte' Struktur. Denn sie ist in sich geteilt in eine subjektive Seite - das ,einfache Einsseyn' (z.B. Arbeit) - und in eine objektive Seite - die ,gebundene Existenz' (z.B. Werkzeug).42 (c) Die Mitte fungiert als,Mittel', dessen sich das Subjekt bei seinem Aufheben des Objekts bedient, (d) Sie ist für das Subjekt der Gegenstand, in dem dieses wie im ,Naturrechtsaufsatz' ,absolutes Bewußtseyn' hat.43 Im Unterschied zum ,Naturrechtsaufsatz' deutet Hegel nun nicht nur die sittliche sondern die gesamte geistige Welt auf der Basis dieses Bewusstseinsbegriffs: Die geistigen Sachverhalte werden jeweils mit einer Potenz identifiziert und in eine Stufenfolge gebracht, über die das Subjekt zu einer immer reicheren Erkenntnis des Absoluten gelangt.44

Bevor die Eigenheiten und Probleme dieses Bewusstseinsbegriffs erörtert werden sollen, ist nach der Rolle des Selbstbewusstseins in den Systementwürfen I zu fragen. Abgesehen von beiläufigen reflexiven Wendungen kommt das Selbstbewusstsein der Sache nach im Übergang vom theoretischen' zum praktischen' Bewusstsein vor. Dort nämlich - auf dem Höhepunkt seiner .negativen Befreiung aus der Natur'- unternimmt

42 43

44

Die Nachweise der sieben Punkte finden sich vor allem in Fragment 18 (GW6,273 ff.). Beide Nachweise ebd., 277. Vgl. ebd., 274, 314,330f. Das .absolute Bewußtseyn' fungiert dabei als Gegenstand; s. GW6, 269, 271, 313 ff., 330f. Allerdings ist diese Erkenntnis des .absoluten Bewußtseyns' insofern implizit, als das Subjekt in den meisten Potenzen weder um seine Erkenntnis des Absoluten noch um die BewusstseinsKonstellation überhaupt weiß.

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

175

es das Subjekt in der Potenz des Verstandes, ,νοη allem absolut [zu] abstrahiren' 45 Das deutet Hegel so, dass das Subjekt sich in die Form des Verstandes, die Allgemeinheit, zurückzieht. Das Resultat sei die ,reine Beziehung, die absolute Leerheit des Unendlichen, das formale der Vemiinftigkeit, die einfache, absolute Abstraction der Einheit; die Reflexion als Punkt' ,46 Damit ist das aus den Jenaer Kritischen Schriften bekannte Abstraktions-Selbstbewusstsein beschrieben und zwar nach seinem negativen Aspekt: als nur jormales Wissen'. Seine inhaltliche Leere ist es gerade, aus der Hegel die Notwendigkeit für das theoretische Bewusstsein deduziert, praktisch zu werden, indem es die Natur begehrt und bearbeitet.47 Als Resumée ist damit für das Selbstbewusstsein in der Geistesphilosophie von 1803/04 festzuhalten: Es kommt als realphilosophische Geistesgestalt vor, und zwar an der systematischen Stelle des ,Verstandes'. Dabei ist sein Charakteristikum das Bewusstsein der radikalen Leere. Mit dieser seiner Beschränkung auf die Potenz des Verstandes ist das Selbstbewusstsein bei Hegel auf seinem systematischen Tiefpunkt angelangt. Freilich ist das nur die Konsequenz aus Hegels Orientierung des Geist- am Bewusstseins-Begriff und weiter aus Hegels Konzeption des Bewusstseins als existierende gedoppelte Mitte. Um das zu zeigen, seien vier Konsequenzen dieser Konzeption herausgestellt: 1.

2.

3.

45

Differenz. Durch die Orientierung am Bewusstseinsbegriff wird die Differenz von Subjekt und Objekt im Geist betont. Das zeigt sich in der Mitte, in der die Einheit von Subjekt und Objekt ja existiert und bezogen auf die daher Subjekt und Objekt die existierenden Differenten sind. Symmetrie. Die Struktur des Geistes ist im Bewusstsein durch die symmetrische Bedeutung von Subjekt und Objekt geprägt. Denn beider Einheit existiert gerade in der Mitte, in der und bezogen auf die Subjekt und Objekt gleichrangig sind. Das belegt auch die Doppelung der Mitten in eine subjektive und eine objektive Seite. Schwaches Auflieben. Die Betonung der Differenz führt zu einem schwachen Begriff von Aufheben des Objekts durch das Subjekt. Das geht im Einzelnen aus Hegels Ausführungen zu den Potenzen hervor, folgt aus der Betonung der Differenz und zeigt sich in der Konzeption der Mitte als Mittel, mit dem das Subjekt das Objekt nur äußerlich verändert.

GW 6,296.

46

47

Ebd., 295; vgl.,absolut fiirsichseyende Form, absolute Reflexion in sich selbst, absolute Leerheit des Begriffs' ebd., 280. Es ist diese größtmögliche Leere, welche in der größtmöglichen ,Klufft' zur Empirie, der .Totalität der Bestimmtheiten' besteht (ebd., 296).

176

4.

CHRISTOF SCHALHORN

Absolutes Bewusstsein. Die Erkenntnis des Absoluten ist nach dem Vorbild des empirischen Objekt-Bewusstseins konzipiert. Denn das Absolute existiert als Potenz real und ist als solches vom Subjekt zu rezipieren.48

Abgesehen von den prinzipiellen Problemen einer spekulativen Logik mit ihrer Identifizierung von Entgegengesetzten, erweisen sich im Geistbegriff von 1803/04 vor allem zwei Punkte als problematisch: 1.

2.

49

50 51

Logisch, die Konzeption der Mitte als existierende Einheit. Einerseits ist die Möglichkeit einer empirischen Existenz des Absoluten schwer verständlich. Denn mit ihr befindet sich das Absolute auf der Objekt-Seite und hat seine Existenz als ein .entgegengesetztes', was einer Verendlichung des Unendlichen gleichkommt.49 Andererseits ergibt sich durch das Existieren der Mitte eine Drei-Gliedrigkeit des Verhältnisses, die durch Hegels dialektische Mittel unter der Programmformel des ,Gegentheil seiner selbst' nicht gedeckt erscheint.50 Denn es lässt sich nach den separaten Einheits- und Differenz-Verhältnissen zwischen der Mitte und einerseits dem Subjekt, andererseits dem Objekt fragen. Nimmt man aber die Doppelung der Mitte in .einfaches Einsseyn' und .gebundene Existenz' hinzu, dann ergibt sich sogar eine Fünf-Gliedrigkeit, die den Rahmen vollends sprengt. Epistemologisch, die symmetrische Stellung des Subjekts. Dieses Problem ergibt sich vor dem Hintergrund einer philosophischen Überzeugung, die Hegel selber bereits im ,Naturrechtsaufsatz' skizziert hat: die Höherstellung des Geistes, in dem die Natur situiert ist bzw. der sie übergreift. Dabei kommt die Erkenntnis des Absoluten dann als SW/wt-Erkenntnis zustande - was mit Hegels Orientierung am Bewusstseins-Begriff gerade nicht mehr der Fall ist und auch nicht der Fall sein kann. Eine sachliche Argumentation für die Überzeugung von der Höherstellung des Geistes wird stark machen müssen, dass allein das Subjekt der uns bekannte Ort der Objekt-Erkenntnis ist. Der Ort nämlich, in dem mit allen Begriffen überhaupt sowohl die Differenz zu als auch die anvisierte Einheit mit dem Objekt ihre einzige uns zugängliche Präsenz hat. Aber auch der Ort wo - wenn überhaupt - die Selbst-Erkenntnis des Absoluten ein philosophisches Thema sein kann.51

Vgl. für die Nachweise oben sowie: ,[...] das Bewußtseyn [...] ist [...] ein mit einer Bestimmtheit behafftetes, existirendes.' (Ebd., 276) - Wie diese Rezeption zu denken ist, thematisiert Hegel leider in den Jenaer Schriften nicht. Vgl. ebd., 275-276: ,Die absolute Allgemeinheit (d.h. der wahre Begriff des Bewusstseins) wird nur in dem Subjecte, in dem Isoliren des Gegensatzes zur Mitte. Als diese Mitte ist es selbst ein entgegengesetztes oder es hat darin die Form seiner Existenz; denn seine Existenz ist das, worin es als ein entgegengesetztes ist.' (Hinzufügung in Klammem im Zitat vom Verfasser, CS.) S. auch ebd., 279. Vgl. G W 5 , 4 7 4 f . Mit solchen Behauptungen sind natürlich Kernprobleme der philosophischen Erkenntnistheorie berührt, die hier nicht eigens behandelt werden können.

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

177

Ist es auch schwer nachweisbar, so doch nicht ausgeschlossen, dass die beiden genannten Probleme in den folgenden Jenaer Systementwürfen zu einer Konzeptionsänderung des Geistbegriffs beitragen.52

5. Systementwürfe II Bekanntlich hat sich von den Systementwürfen aus den Jahren 1804/05 keine Geistesphilosophie erhalten. So bleibt als Quelle nur die ,Metaphysik der Subjektivität' aus dem Manuskript zur ,Logik, Metaphysik, Naturphilosophie' mit den Kapiteln ,1. Theoretisches Ich, oder Bewußtseyn', ,11. Praktisches Ich' und ,111. Der absolute Geist'. 53 In seiner ,Metaphysik' behandelt Hegel zunächst unter dem Begriff des ,Erkennens' das Absolute als ,Idee', anhand deren er dann in der .Metaphysik der Subjektivität' die strukturelle Grundlegung der Geistesphilosophie expliziert.54 Dabei schließt Hegel nicht nur durch die dialektischen Programmformeln wie ,Gegentheil seiner selbst' und .Unendlichkeit' an die Geistesphilosophie von 1803/04 an, sondern vor allem durch seine Konzeption des /c/ibegriffs mit der Unterscheidung in theoretisches' und .praktisches' Bewusstsein.55 Dieser Anschluss zeigt sich auch beim Selbstbewusstsein. Denn wie in der Geistesphilosophie von 1803/04 kommt es in der .Metaphysik der Subjektivität' dem Terminus nach zwar nicht, der Sache nach jedoch im Übergang vom .theoretischen' zum .praktischen' Ich vor. Denn als .theoretisches' hat das Ich die zwei Seiten als ,freies' und als .ursprünglich bestimmtes' Ich. .Ursprünglich bestimmt' ist das Ich, weil es sich über die Objektivität empirisch bestimmt sieht. Zugleich aber kann es sich von der Bestimmtheit ,frei' machen und ist so .das sich selbstbewußtwerden' 56 Als solches charakterisiert Hegel es als die .formale absolute Reflexion, die sich selbst gefunden hat, und einfaches Gleiches geworden ist'. Damit ist nichts anderes als das AbstraktionsSelbstbewusstsein und sein .formales Wissen' bezeichnet.57 Klaus Dtising beschreibt diese Konzeptionsänderung als Paradigmenwechsel von der Substanzmetaphysik hin zur Subjektphilosophie (vgl. .Idealistische Substanzmetaphysik. Probleme der Systementwicklung bei Schelling und Hegel in Jena', in: Hegel in Jena hg. von D. Henrich 53

und K. Düsing, Bonn 1980). Vgl. kritisch zu einer solchen Nutzung: R.P. Horstmann, .Uber das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften', in: Hegel in Jena

54

(s. vorige Anm.), 181-196. Hegel merkt G W 7 , 177 an, dass in der Metaphysik (der Subjektivität) der Geist wohl behandelt werde, wenn auch ,nur' als ,Idee'.

55

Der Terminus .Bewußtseyn' fällt G W 7 , 160-161 in bezeichnender und 161-162 zwei Mal in eher übertragener Bedeutung.

56

57

Ebd., 162. Vgl. mehrfach ebd. 160-163 (.formale Reflexion') sowie 171 (.formaler Geist').

178

CHRISTOF SCHALHORN

Allerdings weicht die .Metaphysik der Subjektivität' in einem entscheidenden Punkt von der Geistesphilosophie von 1803/04 ab: Die Symmetrie von Subjekt und Objekt wird durch die subjektive Asymmetrie im Geistbegriff ersetzt. Dafür spricht freilich nicht schon, dass 1804/05 die Konzeption der Mitte nicht anzutreffen ist. Denn dieses Fehlen könnte dem Metaphysik-Charakter anzulasten sein. Ist das realisierte Erkennen des Absoluten - welches durch die Mitte ja erst zustande kommt - doch gerade nicht das Thema der Metaphysik sondern der Geistesphilosou·

58

phie. Für die subjektiv bestimmte Asymmetrie von Subjekt und Objekt im Geistbegriff spricht stattdessen, dass Hegel in der .Metaphysik der Subjektivität' erstens das Absolute selbst mit dem (Subjektivität markierenden) Begriff des Ich belegt,59 und dass er zweitens von diesem Ich sagt, dass es sich ,selbst zugleich [als] ein bestimmtes, oder ein dem Ich entgegengesetztes' setzt.60 Damit ist die objektive als Abkömmling der subjektiven Seite behauptet.61 Das zeigt sich auch in Hegels Behauptung der Immanenz des Gegensatzes von Subjekt und Objekt im Subjekt. Denn er schreibt, dass ,der Gegensatz [...] ganz immanent im Ich [ist] oder es [...] nur seine Unendlichkeit, in welcher er ist.'62 Hegels Annahme der Immanenz erweist sich des weiteren in seiner Entgegnung auf einen Einwand. Dieser lautet, dass die Setzung des Objekts durch das Subjekt dann ja wohl beim empirischen Bewusstsein erfolgen müsse! Hierzu stellt Hegel fest, dass das Ich sich ,nicht gleichsam unter den Augen [...] seine Bestimmtheit' erzeugt,,sondern diese ist ihm unbegreifflich, bewußtlos'.63 Mit der Annahme der subjektiven Asymmetrie wandelt sich konsequent die Konzeption des .absoluten Bewußtseyns': Die Erkenntnis des Absoluten wird nicht mehr analog zur Objekt-Erkenntnis gedacht, sondern als Selbst-Erkenntnis des Subjekts. In der .Metaphysik der Subjektivität' kommt genau dies im Zusammenhang mit einer begrifflichen Eigentümlichkeit vor. Es handelt sich um die Terminologie des Findens, mit der Hegel das Selbst-Erkenntnis-Verhalten des Ich beschreibt. Hervorzuheben ist die Passage, wo es vom Ich heißt, dass es ,nur ist, als ein sich findendes, nicht getrennt, etwa

59

Vgl. den Schluss der .Metaphysik* (GW 7 , 1 7 6 ff.) sowie den Beginn der Naturphilosophie (179 f.). Siehe ebd., 160 (.absolute Einheit', .Totalität'), 171 (.geschlossenen Kreis') sowie zum ,Ich' ab 154 ff.

60 61

Ebd., 159. Indem das Absolute selbst sich etwas als Objekt entgegensetzt, ist es selbst zugleich das diesem Objekt gegenüber stehende Subjekt. Zum .übergreifenden' Charakter des Ich vgl. G W 7 , 164: , [ . . . ] es ist der Krais seines eigenen Kraises, und des andern, oder des An sich des entgegengesetzten [...].' S. auch ebd., 174 (zur subjektiv bestimmten Asymmetrie von Subjekt und

62

Objekt). Ebd., 160, vgl. 161 (.ganz ein im Ich geschlossenes'), ebd. (.nur selbst als ein Fremdes erscheint').

63

Ebd., 160, vgl. auch 159: ,[...] obzwar Reflexion und Negation, ist es ein Theil der Welt, ein in negirter Form gesetzter Theil, aber darum ein bestimmtes negatives.'

179

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

vorher, als es sich gefunden hat, sondern daß es diß Finden seiner selbst [ist], diß ist seine absolute Unendlichkeit;'64 Aufschlussreich ist diese Passage auch aus zwei weiteren Gründen: erstens, weil darin eine positionale Betrachtungsweise der Differenten im Geist zurückgewiesen wird. Für eine solche Betrachtungsweise wäre das Ich eine Position mit bestimmten Eigenschaften, die sich, zum Beispiel erkennend, zu anderen Positionen mit bestimmten Eigenschaften verhält - sich selber eingeschlossen. Für Hegel dagegen ist das Ich gerade nicht unabhängig vom Verhältnis des Findens zu bestimmen. Es ist vielmehr das Verhältnis zwischen sich und seinem Objekt. - Das bedeutet dann aber zweitens, dass das Sich-Finden kein endgültig abschließbares bzw. kein erschöpfendes Verhältnis sein kann. Denn da es auf sich selbst gerichtet ist, ist das Verhältnis nur im steten Vollzug sein eigenes Objekt. Damit ist seine im Zitat erwähnte .absolute Unendlichkeit' der Garant einer sich stets erneuernden Selbst-Erkenntnis-Bewegung. Ein Theorem mit provokantem logischen und folgenreichem lebensweltlichen Potential - scheint es doch eine paradoxale Form der Iteration in Anspruch zu nehmen, die jedem geläufigen Begriff von Erkenntnis widerspricht.65

6. Systementwürfe III Anders als in der Geistesphilosophie von 1803/04 sind für die von 1805/06 keine Textpassagen überliefert, in denen Hegel den Geist allgemein und über einen Leitbegriff charakterisiert. Erhalten ist nur die - allerdings durchgängige und umfangreiche - Ausführung, in der Hegel, äußerlich betrachtet, weitgehend dieselben Gestalten des Geistes auf ähnliche Weise abhandelt. Die genauere Betrachtung zeigt freilich gravierende Unterschiede, von denen die für unser Thema relevanten sind: 1. die Struktur des Geistes, 2. die Logik, nach der er sich verhält, 3. die Rolle des Selbstbewusstseins. 1 .Struktur des Geistes. Zur Explikation der Struktur des Geistes verzichtet Hegel auf die bislang zentralen dialektischen Programmformeln wie ,Gegentheil seiner selbst' und den Begriff der ,Unendlichkeit'. Stattdessen agiert er mit dem Begriffsfeld des konkreten Allgemeinen.66 Wenn es auch sein mag, dass die Programmformeln einfach auf Grund ihrer Vagheit als entbehrlich erkannt worden sind, so erscheint ihr Verzicht doch zumindest im Fall des ,Gegentheils seiner selbst' nicht zufällig. Denn mit dieser Formel lässt sich die subjektive Asymmetrie im Verhältnis der Differenten nicht angemessen ausdrücken. Denn der Begriff des ,Gegentheils' ist symmetrisch; und dass Eins sein

64

Ebd., 164, vgl. auch 162,171 f., 177.

65

Wollte man nun den Selbstfindungs- stellvertretend für den Selbstbewusstseins-Begriff nehmen, dann wäre bereits in den Systementwürfen

II der Geist als solcher nach dem Prinzip des

Selbstbewusstseins bestimmt. 66

Vgl. hierzu K. Diising, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (s.o.), 244-251.

180

CHRISTOF SCHALHORN

Gegenteil am Anderen hat, gilt von den beiden gleichermaßen. Möglich wird eine asymmetrische Struktur dagegen durch das Explikationsmittel des konkreten Allgemeinen. Denn dabei setzt der Geist als das Allgemeine die empirische Welt der Einzelheit das Objekt - und macht sich selbst dadurch als Subjekt zu einem Besonderen. So aber ist er erstens auch als besonderes Subjekt das Allgemeine - d.h. sowohl die Identität von Subjekt und Objekt als auch die Bedingung der Möglichkeit ihrer Differenz. Zweitens vermag er so überhaupt das Bedürfnis des Absoluten zu haben, das ja - wie Hegel bereits in der Differenzschrift konstatiert - neben der Abwesenheit auch die Anwesenheit des Absoluten im Subjekt voraussetzt. Drittens wird der Geist in die Lage versetzt, durch Aufheben der ihm immanenten Differenz zum Objekt die Erkenntnis des Absoluten explizit herzustellen. Damit ist der Umfang der subjektiven Asymmetrie im Geist skizziert. Dieses Aufheben erfolgt freilich anders als in der Geistesphilosophie von 1803/04, nämlich ohne die Vermittlung eines Dritten als ,existirende Mitte'. Das wird deutlich bei Betrachtung der Logik, nach der sich der Geist verhält. 2. Verhalten des Geistes. Hegel generiert aus seinem Begriff des Allgemeinen die Verhältnisse der Setzung des Objekts als ontologisch verstandenes Urteilen und der Aufhebung des Objekts als ontologisch verstandenes Schließen.67 Für den vorliegenden Zusammenhang genügt es, die subjektive Asymmetrie darin festzuhalten. Sie besteht bekanntlich darin, dass Hegel im Urteil die Kopula und im Schluss den medius terminus als je verschiedenen Einheitsbegriff der Differenten mit dem ,Ich', d.h. mit dem Geist selbst identifiziert.68 Für den Trennungsakt als Urteilen bedeutet dies, dass, wenn er auch nicht vom empirischen Subjekt initiiert und manipulierbar ist, er dem Bewusstsein doch zugrunde liegt: als Bedingung der Möglichkeit und als die Wirklichkeit der Erkenntnis überhaupt. Hier ist der Ort von Hegels spekulativer Interpretation der Kantischen Urteilslehre aus , Glauben und Wissen'. Und für den Aufliebungsakt als Schließen bedeutet es, dass die objektiven Gestalten des Geistes ihre Existenz nur im lebendigen Vollzug durch das empirische Subjekt haben. Die ,existirende Mitte' aus den Systementwürfen I wandert so auf die Seite des empirischen und zugleich absoluten Subjekts hinüber: in dessen Aufhebungsleistungen sie sich vollzieht. Damit werden die logischen und die epistemologischen Probleme, zu denen die Drei67

Vgl. zum Urteilen: GW8, 198, 222, 225; zum Schließen: ebd., 199, 205, 209; sowie 200 und 202f. ,Die Allgemeinheit ist eine solche, welche unmittelbar sich gleich, und sich selbst entgegengesetzt ist; in sich und ihr Gegentheil dirimirt ist, ebenso die Negativität, und das einfache Seyn ist unmittelbar Vieles. Es ist die Einheit der Gegentheile, das sich in sich bewegende Allgemeine, das sich entzweyt in seyende, die es sind, das dadurch die reine Negativität ist.' (199)

181

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

Gliedrigkeit des Bewusstseins-Begriffs führte, obsolet. War die Erkenntnis des Absoluten in der Geistesphilosophie von 1803/04 Objekt-Bewusstsein, so ist sie in der Geistesphilosophie von 1805/06 Vollzugs-Bewusstsein. Damit aber kommt das Selbstbewusstsein neu ins Spiel. 3. Selbstbewusstsein. Als erstes fallt auf, dass hier, anders als in den Systementwürfen I und //, Selbstbewusstsein sowohl dem Terminus als auch der Sache nach vielfach vorkommt. Ja, es ist so, dass es kaum eine Geistesgestalt gibt, bei der der Terminus 69

.Selbstbewusstsein' nicht explizit, wenn auch z.T. in Umschreibung genannt wird. Das hat seinen Grund. Denn einerseits handelt es sich bei den Gestalten des Geistes um Formen der soeben angesprochenen Erkenntnis des Absoluten im Vollzugs-Bewusstsein des aufhebenden Subjekts, das andererseits nichts anderes als ein Fall von Selbstbewusstsein ist. Der geistige Vollzugsakt der Einheit ist zugleich auch der Erkenntnisakt der Einheit, und dessen Bewusstsein ein Bewusstsein des Subjektes von sich selbst als dem zugrunde liegenden Allgemeinen. Das Selbstbewusstsein ist mit anderen Worten das universelle Medium, vermittels dessen der Geist sich selbst als Absolutes erkennt. Das legitimiert es zu sagen, dass der Geist schlechthin Selbstbewusstsein ist 70 oder, in Hegels Worten, ,das Geistige, diß erfüllte selbstbewußte Leben.' Also nicht 71

bloß bewusstes, sondern selbstbewusstes Leben zeichnet den Geist aus. Dabei fallt zweitens auf, dass es mit den unterschiedlichen Geistgestalten auch unterschiedliche Typen des absoluten Vollzugs-Bewusstseins, d.h. unterschiedliche Typen von Selbstbewusstsein gibt. Beim theoretischen Geist, der ,Intelligenz', betreffen diese Typen teils implizit, teils explizit die Form des Absoluten: als Erfahrung der inneren Freiheit (bei der vorstellenden Einbildungskraft),72 der Meinigkeit (bei der Erinnerung),73 der inneren Wirkmacht (beim Benennen)74 und der Leere (beim Verstand bzw. der Vernunft.)75 Mit dem praktischen Geist, dem .Willen', erfolgt der Übergang zu einer teils impliziten, teils expliziten Erkenntnis inhaltlicher Aspekte des Absoluten. Erwähnt sein soll Ebd., 197, 211 (.Mitte'). Vgl. zu dem gesamten Themenkomplex Klaus Dtising in Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, 160 ff., sowie 244ff. 69

70 71

72

73 74 75

S. GW8, 202, 204, 209 (.Anschauen seiner selbst'), 214 (.Selbstbewußtseyne') 220 gewußtes Für sich seyn'), 224 (,fürsichseyendes Ich'), 227 (,darin schaue ich mein Anerkanntseyn an'), 233f., 243, 284 (,ihr Selbst darin wissen'), 250, 255f. (,des reinen Bewußtseyns und meiner selbst'), 263 (,das sich selbst absolut Wissen als Einzelnheit'), 264 (,sich Selbstwissens'), 265 (, Wissen [...] von sich selbst'), 266 (,sich selbst wissender Geist'), 280, 281 (,Wissen seiner als des Geistes'). Ebd., 243; s. auch 280. Ebd., 250 Ebd., 186f. (,diß reine Subject, das frey ist von seinem Inhalt; aber auch über diesen Herr,'), 188 sowie 181 und 187. S. ebd., 188 (,ich habe unmittelbar das Bewußtseyn Meiner darin'). Ebd., 193 und 194 (,das erste innre wirken auf sich selbst'). Ebd., 200 f.

182

CHRISTOF SCHALHORN

nur das .Erkennen' in der Liebe bzw. im ,Anerkanntseyn'.76 Bei den folgenden Gestalten des .wirklichen Geistes' verhält es sich der Struktur nach ähnlich, z.B. beim Selbstbewusstsein der Stände in der .Constitution' ,77 Gleiches gilt zu guter Letzt für das .Wissen des absoluten Geistes von sich als absolutem Geiste' etwa in der Religion.78 Interessant ist in diesem Zusammenhang die systematisch neue Situierung des Abstraktions-Selbstbewusstseins. Denn offenbar fasst Hegel es nicht mehr nur als eine eigene Gestalt auf, der ein einziger systematischer Ort zukommt: im Übergang vom theoretischen zum praktischen Geist. Stattdessen generalisiert er die Möglichkeit des Geistes, sich ,in eine Abstraction [zu] setzen'. Und so kommt das Abstraktions-Selbstbewusstsein auch öfters vor.79 Dabei gibt Hegel auch eine kritische Bewertung solchen abstrahierenden Verhaltens, bestehe dieses doch darin, „sich [zu] analysiren, und eine[r] Existenz [zu] geben - wie das Thier nicht, - wo das Selbst, das in ein S y s t e ^ s i c h legt, zur Krankheit wird; aber es ist nur augenblickliche, verschwindende Existenz."

Wahre Erkenntnis ist somit nicht durch bloße innere Analyse des Selbst, nicht - wie Hegel ebenfalls in der Geistesphilosophie von 1805/06 formuliert - durch , Intussusception' 81 zu erlangen, die zur .Krankheit' führt. Wahre Erkenntnis zu erlangen, ist nur möglich, .durch Erzeugung [eines Inhalts] und zwar eines solchen, worin sie (die Intelligenz - man darf generalisieren: der Geist) das Bewußtseyn ihres Thuns hat; d. h. ihrer 82

als des Setzens des Inhalt, oder sich zum Inhalte machens.' Ergänzt um das Aufheben dieses Inhalts ergibt sich damit eine Konzeption von Geist, die dadurch absolut ist, dass sie die gesamte Wirklichkeit einbezieht. Ihr Vollzugsort aber ist das Selbstbewusstsein des empirischen Subjekts.

76

Ebd., 220.

77

Ebd., 224, 227, 248, 253-256 (,mein positives Selbst', .hierin erhalte ich das Bewußtseyn als meiner selbst'), 265 und 266 (.Selbstbewußtseyn' der Stände), 277 f.; s. auch 227 und 282.

78

Ebd., 280, vgl. 281.

79

Ebd., 199ff., s. bes. 223; vgl. 204, 224 (,Dem Ich, als abstractem Fürsichseyn'), 237 (,als reine Abstraction'), 243 (,die Abstraction der Arbeit'), 264 (,aber ihre innre - die Freyheit des Gedankens erhalten - der Geist [...] ist in sein reines Element des Wissens getreten [...] oder es ist seine formale Existenz als [die des] sich Selbstwissens; - er ist diß nordische Wesen, das in sich ist, aber sein Daseyn im Selbst aller hat.').

80

Ebd., 223 f.

81

Ebd., 201. Ebd. (Hinzufügung in runden Klammern vom Verfasser, CS.)

82

HEGELS JENAER BEGRIFF DES SELBSTBEWUSSTSEINS

183

7. Fazit Es sollte deutlich geworden sein, welche Wandlungen der Selbstbewusstseinsbegriff in Hegels Jenaer Entwicklung erfährt. Bezogen auf eine transzendental-philosophische Ausgangslage, war das zuerst seine Abwertung, bei der das reine Selbstbewusstsein unter Verabschiedung der intellektuellen Anschauung auf eine bloß formale Bedeutung restringiert wird. Dann erfolgte eine Aufwertung, bei der erstens dieses formale reine Selbstbewusstsein verknüpft wird mit Hegels neuem Begriff vom Absoluten als Geist, dann zweitens einen Platz erhält im neuen Systemteil der Geistesphilosophie, bevor das Selbstbewusstsein drittens durch die Verabschiedung des Bewusstseins als Leitbegriff des Geistes und durch die Logik des konkreten Allgemeinen in den Stand des universellen Mediums gesetzt wird, über das die Erkenntnis des Absoluten erfolgt. Dabei ist mit der Opposition von Symmetrie im Bewusstsein und Asymmetrie im Selbstbewusstsein auch etwas über die sachlichen Motive Hegels deutlich geworden, ja, vielleicht über Strukturprobleme, die die Selbstbewusstseins-Thematik aufwirft. Allerdings - in den zuletzt genannten Punkten zeigen sich auch die Grenzen der vorliegenden Darstellung wie auch der Behandlung des Selbstbewusstseinsbegriffs durch den Jenaer Hegel. Denn alle weiteren vor allem logisch-strukturellen Fragen zum Selbstbewusstsein lassen sich aus den Jenaer Texten heraus nicht mehr beantworten. Das gilt sowohl für die subjektive Asymmetrie - die, wenn man so will, interne Struktur des Selbstbewusstseins - , für die Frage, wie das Wissen im Selbstbewusstsein überhaupt zu denken ist, als auch für das Verhältnis von Hegels philosophischen' Selbstbewusst83 seins-Typen zu den Typen des empirischen Selbstbewusstseins.

Begriffe Hegels, die in den genannten Hinsichten relevant, jedoch mit Hegels Jenaer Mitteln allein nur schwer nutzbar zu machen sind, sind etwa: Ich, Selbst, Anschauen und vor allem Reflexion.

KLAUS DÜSING

Von der Substanzmetaphysik zur Philosophie der Subjektivität. Zum Paradigmenwechsel Hegels in Jena

Der Sinn von Selbstbewusstsein oder Subjektivität wird vom späten 19. Jahrhundert an bis heute von vielen Kritikern aus ganz unterschiedlichen, oft miteinander inkompatiblen Gründen bezweifelt oder sogar heftig geleugnet. So meinen manche wie z.B. G.E.M. Anscombe, die ,Ich'-Rede in der ersten Person referiere auf gar nichts; andere wie D. Dennett halten das Ich oder Selbst für eine bloße Fiktion; und diese Ansicht äußerten im späten 19. Jahrhundert aus ganz verschiedenen Motiven auch schon E. Mach oder F. Nietzsche.1 Die Kritiker des Ich oder Selbstbewusstseins gehen dabei offenbar von einer generellen Abwehrhaltung gegen hochdifferenzierte Subjektivitätstheorien gerade in der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel oder auch in der subjektorientierten Phänomenologie des zwanzigsten Jahrhunderts aus, ohne sich selbst einer gründlichen argumentativen Auseinandersetzung mit diesen Theorien zu stellen. So dürfte es von besonderem Interesse sein zu untersuchen, wie der wirkungsmächtigste Denker des deutschen Idealismus, nämlich Hegel, zu seiner Subjektivitätstheorie gelangte. Hegel befand sich in einer partiell vergleichbaren Situation wie Subjektivitätstheoretiker heute. Im Spinozismus-Streit und seinen Folgen war zutage getreten, dass führende Dichter und Philosophen einem Spinozismus zuneigten, der dem menschlichen Selbst im göttlichen Universum nur eine abhängige Rolle zumaß; Jacobi .berichtete' es von Lessing; Goethe stand - anders als Schiller - phasenweise dem Pantheismus und Spinozismus nahe, ohne sich auf ihn festzulegen; der klassische Hölderlin war Pantheist, ähnlich Herder in der zweiten Auflage seines Werkes Gott (1800), das Hegel rezensierte. Schelling suchte zuerst Spinozas .Substanz' mit Fichtes ,Ich' zu verbinden und vertrat dann einen Spinozismus in der Naturphilosophie, bevor er - signifikanterVgl. G.E.M. Anscombe, ,Die erste Person' (The First Person. 1975 und 1981), in: Analytische Theorien des Selbstbewußtseins, Philosophie

des menschlichen

hg. von M. Frank, Frankfurt/M. 1994, 84-109; D. Dennett, Bewußtseins (Consciousness

Explained. New York etc. 1991),

übers, von F. M. Wuketits, Hamburg 1994,53, 331, 396ff., 541 ff. u.ö.; E. Mach, Die Analyse der Empfindungen und das Verhältnis des Physischen zum Psychischen

(l.Aufl. 1886), Jena 1922,

9.Aufl. (Nachdruck: Darmstadt 1985), 20; F. Nietzsche, Götzendämmerung

(1888), in: ders.,

Werke in drei Bänden, hg. von K. Schlechta. Bd. 2., München 1955, 973. Zu den Grundrichtungen der Subjektivitätskritiken im zwanzigsten Jahrhundert vgl. K. Düsing, Moderne 23-120.

Kritiken

und systematische

Selbstbewußtseinsmodelle.

Entwürfe zur konkreten Subjektivität,

München 1997,

186

KLAUS DÜSING

weise zeitgleich mit Hegel und vermutlich von ihm angeregt - zur Metaphysik des Absoluten als Identitätsphilosophie überging, in der das Absolute als vollständig intellektuell erkennbar galt; Schelling bestimmte es metaphysisch spezifischer als die Eine und einzige Substanz. In dieser näheren Bestimmung des Absoluten als Substanz folgte ihm Hegel zunächst. Doch konzipierte Hegel später in Jena ab 1804 im Rahmen der Metaphysik eine Theorie des Ich und des Geistes als eine neue .Metaphysik der Subjectivität'} Dies kann innerhalb seines systematischen Entwurfs von Metaphysik durchaus als ein Paradigmenwechsel verstanden werden; das als erkennbar angesehene eigentliche und höchste Seiende wird nun nicht mehr mit dem traditionellen Grundterminus der Ontologie und Metaphysik als Substanz bestimmt, sondern mit dem moderneren der Subjektivität. Dabei wird die Charakterisierung als Substanz nicht zurückgewiesen, sondern in die neue Theorie integriert. So soll nun in einem ersten Teil Hegels Bestimmung des Absoluten als Substanz in seinen frühen Jenaer Jahren skizziert werden. Ein zweiter Teil gilt Hegels Hinausgehen darüber in der .Metaphysik der Subjectivität' von 1804/05 und seinen Gründen dafür sowie seiner dortigen erneuten Auseinandersetzung mit Fichte. Ein dritter Teil soll dann Weiterführungen der Bestimmung des Absoluten als Subjektivität im Entwurf von 1805/06 und in der Phänomenologie aufzeigen und in einen Hinweis auf die Fruchtbarkeit dieser Theorie für heutige Versuche münden.

1. Hegels frühe Jenaer Substanzmetaphysik Mit der Konzeption, dass das Absolute vollständig vernünftig erkennbar sei, die Hegel und Schelling Anfang 1801 aufstellen und die durchaus zu kritischen - anderwärts erörterten - Fragen Anlass gibt, stehen nun beide Denker vor dem Problem, wie das Absolute grundlegend begrifflich oder kategorial zu bestimmen ist. Beide denken es als noch näher zu explizierende absolute Identität; aber damit ist der ontologische Charakter noch nicht gekennzeichnet. Um diesen zu erfassen, greifen Schelling und mit ihm Hegel auf Spinozas Lehre von der Einen und einzigen Substanz zurück. Doch wird diese Bestimmung der Substanz nicht streng von ihnen aufgenommen. Aristoteles hatte ousia (lat. substantia) mit zwei negativen Charakterisierungen umschrieben, nämlich als dasjenige, was nicht in oder an einem anderen ist und nicht von einem anderen ausgesagt wird, was Spinoza positiv umwendet, so dass Substanz für ihn dasjenige ist, was in sich ist und durch sich begriffen wird als Essenz. Hegel dagegen versteht Substanz als Einheit von Ursache und Wirkung, von Wesen und Existenz, was begrifflich eher auf die causa sui zutrifft, oder als Einheit von Begriff und Sein, von Einem und Vielem

2

GW7,154-178.

187

V O N DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBJEKTIVITÄT

u.ä. 3 Eine systematische Abfolge solcher Bestimmungen und Vereinigungen entwickelt Hegel noch nicht; vielmehr erklärt er nur, das ,wahre Verhältniß der Spekulation' sei ,das Substantialitätsverhältniß' (GW4, 33); d.h. die Spekulation, die wahre Vernunfterkenntnis erfasst nach Hegel das Absolute als Substanz, in der entgegengesetzte endliche Bestimmungen wie die eben genannten vereinigt sind. In dieser Bedeutung ist das Absolute zugleich das hen kai pan, das Jacobi als Grundprinzip Lessing zuschrieb.4 Es ist das unendliche Universum, das alles, also auch Entgegengesetztes in sich fasst. So beruft Bruno sich in dem Auszug, den Jacobi mitteilt, auf das Heraklit zugeschriebene, aber eigentlich Cusanische Prinzip der .durchgängigen Koinzidenz des Entgegengesetzten',5 das freilich von Bruno pantheistisch gedeutet wird. Die Philosophie des Cusanus kannten Schelling und Hegel nicht, wohl aber Jacobis Bruno-Auszug mit dessen impliziten Cusanus-Anspielungen. Insbesondere Hegel führt diesen Grundgedanken der Einheit Entgegengesetzter fort in seiner Lehre von der absoluten Identität, die als .Identität der Identität und der Nichtidentität' (GW 4, 64), womit er seine frühere Bestimmung des Lebens fortsetzt, zur Bestimmung des Absoluten selbst wird. Diese ursprüngliche Einheit ist nicht transzendent, sondern in den endlichen Momenten und deren Entgegensetzungen gegenwärtig. Methodisch werden diese endlichen Bestimmungen in ihrer Reinheit durch den Verstand oder die Reflexion in Gegensatzpaaren oder Antinomien innerhalb einer Logik des Endlichen aufgestellt. Deren höhere Einheit, die zugleich Unendlichkeit ist, wird negativ gegenwärtig in der Aufhebung der selbständigen Gültigkeit, die diese einander widerstreitenden endlichen Bestimmungen wie Einheit und Vielheit, Ursache und Wirkung und dgl. jeweils beanspruchen; positiv erfasst werden kann die höhere Einheit als Unendlichkeit nach Hegel nur durch eine postulierte, über den endlichen Verstand hinausgehende intellektuelle Anschauung. Das Absolute wird freilich erst erkannt, wenn es in einem System entfaltet wird, in dem eine Synthesis jener intellektuellen Anschauung mit dem Verstand und seinen endlichen Bestimmungen zustande gebracht wird.6 Vgl. GW4, 24, 208,223. Schon Herder hatte gefordert, man müsse Spinozas Philosophie von der cartesianischen Terminologie befreien (vgl. J.G. Herder, Gott. Einige Gespräche über Spinozas System nebst Shaftesbury s Naturhymnus, Gotha 1800,2. Aufl., 115). 4

Vgl. F.H. Jacobi, Uber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn, in: F.H. Jacobi, Werke, Leipzig 1815ff„ Bd.IV, 1, 54f. Zum Folgenden vgl. IV, 2, 35ff., 39f., 43ff. 5 6

(Jacobis Bruno-Auszug). Ebd. 43 f. Vgl. zu Hegels früher Jenaer Substanzmetaphysik und Spinoza-Aufnahme F. Chiereghin, L'influenza dello spinozismo nella formazione

della filosofia hegeliana, Padova 1961; ders.,

dell' assoluto e ontologia della soggettività

in Hegel. Dall' ideale giovanile alla

Dialettica

Fenomenologia

dello spirito, Trento 1980, bes. 31 f., 96-108; G. Maluschke, Kritik und absolute Methode in Hegels Dialektik, Hegel-Studien, Beiheft 13, Bonn 1974, 55-81; L. Lugarini, .Spinoza nella formazione della dialettica hegeliana', in: ders., Prospettive

hegeliane, Roma 1986, 55-76; vgl. ferner

die Darlegungen in Κ. Düsing, Hegel und die Geschichte der Philosophie.

Ontologie und Dia-

lektik in Antike und Neuzeit, Darmstadt 1983, 160-195 (Forschungsbericht 161 ff.), s. auch ders.,

188

KLAUS DÜSING

Hegel denkt also zu Beginn seiner Jenaer Zeit das Absolute als Substanz, als für sich bestehende, nichts außer sich zulassende, allumfassende, unendliche Einheit, die alles Endliche und dessen Entgegensetzungen in sich enthält und nur in einer Synthesis von endlicher Verstandeserkenntnis und intellektueller Anschauung erkannt werden kann. Schelling konzipiert in seiner frühen Identitätsphilosophie das Absolute ebenfalls als die Eine Substanz, die unendlich ist. Dabei nimmt er überwiegend Hegels Konzeption der ,Identität der Identität und der Nichtidentität' (s.o.) auf, wobei die relata dieser Identitätsrelation wechseln; nicht selten gibt er ihr die Fassung einer Einheit von Einem und Vielem. Schelling hält allerdings auch in der Identitätsphilosophie z.T. an seiner früheren Konzeption von Einheit als Indifferenz von Entgegengesetzten fest, so dass diese in jener Einheit ununterschieden sind oder die Einheit ihnen gegenüber transzenη

dent ist. An einer Stelle in dem Dialog Bruno versucht Schelling, diese beiden unterschiedenen Einheitskonzeptionen, die zuvor schon, ohne dass Schelling dies gegenwärtig war, verschiedene Konzeptionen des Neuplatonismus prägten, systematisch zu vereinbaren. Das Absolute ist in sich selbst Indifferenz als gegensatzlose, über den Gegensätzen stehende, insofern transzendente Einheit, wie z.B. bei Plotin; in Beziehung auf das Viele des Universums aber ist es, wie etwa bei Bruno, Einheit des Einen und Vielen bzw. Einheit in den entgegengesetzten endlichen Bestimmungen, die in ihr nicht

,Von der Substanz zum Subjekt. Hegels spekulative Spinoza-Deutung', in: Spinoza und der deutsche Idealismus, hg. von M. Walther, Würzburg 1991, bes. 164ff. Dass für Hegels .Spinozismus' in dieser Zeit auch Herders Gott (2. Aufl.) von freilich nicht unkritisch aufgenommener Bedeutung war, darauf weist Myriam Bienenstock hin: ,Zu Hegels erstem Begriff des Geistes (1803/04). Herdersche Einflüsse oder Aristotelisches Erbe?' In: Hegel-Studien 24 (1989), bes. 39 f.; s. auch dies., Politique du jeune Hegel. Jena 1801-1806, Paris 1992,42f„ 139f. Zu Hegels früherer Stellung zu Spinoza vgl. M. Bondeli, ,Spinozanische und anti-spinozanische Denkfiguren in Hegels philosophischer Entwicklung bis 1800', in: Spinoza im Deutschland des achtzehnten Jahrhunderts. Zur Erinnerung an Hans-Christian Lucas, hg. von E. Schürmann, N. Waszek und F. Weinreich, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, 503-531. Zu Hegels späterer Spinoza-Rezeption vgl. u.a. die detaillierte, auch kritische Darlegung von P. Macherey, Hegel ou Spinoza, Paris 1979. Vgl. F.W.J. Schelling, Sämmtliche Werke, hg. von K.F.A. Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856-1861, Bd.IV, 246: Das Absolute ist wesentlich .weder ideal noch real, weder als Denken noch als Sein. In der Beziehung aber auf die Dinge ist es nothwendig das eine und andere mit gleicher Unendlichkeit'. Schelling unterscheidet aber nicht streng zwischen diesen beiden Einheitsmodellen. Auf die neuplatonische Herkunft der Einheit über den Gegensätzen verweist W. Beierwaltes, .Absolute Identität. Neuplatonische Implikationen in Schellings „Bruno"', in: Philosophisches Jahrbuch 80 (1973), 242-266. Vgl. die Darlegung Düsings in: .Vernunfteinheit und unvordenkliches Daßsein. Konzeptionen der Überwindung negativer Theologie bei Schelling und Hegel (zuerst: 1987), in: ders., Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel. Stuttgart-Bad Cannstatt 2002, bes. 182-191; vgl. auch Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik (1801-1802). Zusammenfassende Vorlesungsnachschriften von I.P.V. Troxler, hg. von K. Düsing, Köln 1988, bes. 145ff.

189

V O N DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBJEKTIVITÄT

verschwinden. Hinsichtlich der Erkenntnisart kann nach Schelling diese absolute Einheit in beiderlei Bedeutung nur intellektuell angeschaut werden; der Reflexion kommt keine auch nur mitkonstitutive Funktion für die Erkenntnis des Absoluten zu. Schelling ebenso wie Hegel konzipieren in dieser Zeit also das Absolute als die Eine Substanz; diese wird als das ansichselbstbestehende Eine gedacht, das gemäß den beiden erwähnten Einheitsmodellen entweder als absolute, unendliche Identität von entgegengesetzten endlichen Bestimmungen gedacht wird oder als absolute Indifferenz, in der die Gegensätze ausgelöscht sind, die also übergegensätzlich ist. Hegel legt nun die Eine Substanz in einer noch komplexeren Einheitsbedeutung innerhalb des ,Naturrechtsaufsatzes' (1802/03)8 seiner Systemgliederung zugrunde; hierbei versucht er, Schellings Indifferenz-Einheit in sein nunmehr bedeutungsmäßig angereichertes Identitätsmodell zu integrieren. Das Absolute als Substanz ist für ihn generell die Einheit der .Indifferenz' und des .Verhältnisses'. .Indifferenz' bedeutet hier die gegensatzlose Einheit, in der Eines und Vieles ununterscheidbar sind, .Verhältnis' dagegen die Verbindung der unterschiedenen Relationsglieder von Einem und Vielem. Offenbar soll die Metaphysik nach Hegel als erster Systemteil, zu dem eine Logik der endlichen Reflexion einleitend hinführt, diese .Indifferenz' selbst in ihrer Einheit mit jenem .Verhältnis' überhaupt und damit die Substanz an sich explizieren. Das mit der Indifferenz verbundene .Verhältnis' der unterschiedenen relata des Einen und des Vielen aber ist nach Hegel zweifach; entweder prävaliert darin das Viele, dann entsteht die .physische Natur', entsprechend Spinozas Attribut der Ausdehnung, die die Naturphilosophie darzulegen hat; oder es prävaliert in diesem ,Verhältnis' das Eine; dann ergibt sich die ,sittliche Natur', offenbar entsprechend Spinozas Attribut des Denkens, die die Geistesphilosophie zu entwickeln hat. Wenig Spinoza gemäß ist Hegels Charakterisierung, dass die .physische' und die .sittliche Natur' nur .Erscheinungen' des Absoluten seien, während Denken und Ausdehnung bei Spinoza die einzig uns erkennbaren Wesensattribute der Substanz sind;9 unspinozanisch ist ebenso Hegels Auffassung, die absolute Substanz könne an sich und auch vor ihren Attributen in ihrer genannten hochkomplexen Einheitsstruktur erkannt werden. - Auch in dieser zentralen Bedeutung der absoluten Substanz als Grundlage des ganzen Systems ist Spinozas begriffliche Bestimmung und Entwicklung der Einen Substanz nur schemenhaft gegenwärtig. Eigentlich geht es Hegel in der strukturellen Bestimmung des ansichseienden Absoluten um eine komplexere Fassung der absoluten Identität unter Einbeziehung der Schellingschen .Indiffe-

Vgl. hier und im Folgenden GW4, 4 3 2 f . Vgl. zu dieser Systemgliederung R.P. Horstmann, .Probleme der Wandlung in Hegels Jenaer Systemkonzeption', in: Philosophische (1972), 87-118, bes. 95ff.; M. Baum, Die Entstehung der Hegeischen

Rundschau 19

Dialektik. Bonn 1989,

2. Aufl., bes. 225ff.; vgl. auch vom Verf., ,Von der Substanz zum Subjekt' (s.o.), 165ff. Nach Spinoza hat die Eine göttliche Substanz unendlich viele Attribute als Vollkommenheiten, von denen nach unserer eigenen Beschaffenheit nur zwei: Denken und Ausdehnung erkennbar sind. Schon Jacobi wies diese Lehre von unendlich vielen Attributen vorsichtig zurück (vgl. Werke IV, 1,189 f. Anm.)

K L A U S DÜSING

190

renz'; diese kann nicht rein für sich selbst gedacht werden, was Hegel später auch am undenkbaren neuplatonischen Einen kritisch hervorhebt. Sie kann letztlich vielmehr nur in Einheit mit dem charakterisierten zweifachen Verhältnis von Einem und Vielem als strukturreiche Gedankenbestimmung gefasst und systematisch expliziert werden. Diese Konzeption der Metaphysik des Absoluten als Substanzmetaphysik bestimmt auch noch Hegels Systementwurf von 1803/04. Danach stellt der erste Systemteil, die reine Metaphysik den ,Geist als Idee' dar und gelangt ,zu der absoluten sichselbstgleichheit zur absoluten Substanz'.10 Diese aber denkt Hegel nicht als statisches, lebloses Sein, wie er und Schelling es später Spinoza vorwerfen, sondern als Einheit von Sein und Werden in ihrer Tätigkeit gegenüber Passivem. Solche Bestimmungen gewinnen in der Geistesphilosophie dieses Systementwurfs plastische Konturen. Hier ist der Volksgeist ,die absolute, einfache, lebendige, einzige Substanz' (GW6, 315), wie von Hegel spinozistisch gesagt wird. Er ist tätig und befindet sich darin im Werden zu sich selbst, und zwar durch die einzelnen Bewußtseine, indem er durch sie ein Werk schafft, das man allgemein wohl als Kulturprodukt bezeichnen kann; dazu gehört auch, wie in einem .Fragment aus Vorlesungsmanuskripten' von 1803 überliefert ist, das Kunstwerk als ,das Werk aller' und spezifischer das allgemeine .Kunstwerk der Mythologie' (GW5, 376-377). Die einzelnen Mitglieder eines Volkes, die an diesem allgemeinen Werk mitschaffen, erkennen einander wechselseitig an und erkennen sich selbst darin wechselseitig als in ihrer selbständigen Einzelheit aufgehobene;11 sie sind in ihrem Selbstbewusstsein beseelt von der lebendigen Substanz' der allgemeinen Sittlichkeit und sehen sich nicht als selbständige oder gar autonome Subjekte an, sondern als .aufgehoben' in der Substanz des Geistes, spezifischer dem ,Geist eines Volks' (GW 6, 314-315). Hier gilt für den Einzelnen als Volksmitglied nicht nur - wie später hinsichtlich seines Staatsbürgerseins, sondern auch hinsichtlich seines Mitwirkens etwa an Kunst und Religion in einem Volk, daß er sich selbst nicht als selbständig, sondern als aufgehoben und ,verschlungen' (GW6, 315) in der absoluten, lebendigen Substanz des Volksgeistes betrachtet. Prinzipielle Grundlage dafür ist die Substanzmetaphysik. Bei dieser von Spinozas und auch Brunos Lehren ausgehenden und sie zugleich wesentlich verändernden Substanzmetaphysik Hegels in Jena ergeben sich nun aber zwei grundlegende Probleme: Zum einen kann, wenn dem Absoluten, dem ,Geist als Idee', denkende Selbsterkenntnis zukommen soll, die Substanz auch in ihrer Version als

G W 6 , 268. - Weniger der Terminus ,Bewußtseyn' als die Aufnahme des Programms einer Geschichte des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, die durch die Geistesphilosophie dieses Entwurfs durchscheint, ist darin neu gegenüber Hegels früheren Ansätzen in Jena. Zur Theorie der Anerkennung in Hegels Jenaer Entwürfen vgl. L. Siep, ,Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften', in: 9 (1974), 155-207; ders., Anerkennung als Prinzip der praktischen zu Hegels Jenaer Philosophie Düsing, Intersubjektivität idealistische

des Geistes.

Hegel-Studien Untersuchungen

Freiburg/München 1979, bes. 5 3 - 1 4 5 , 178-202; E.

und Selbstbewußtsein.

Begründungstheorien

Philosophie.

Behavioristische,

phänomenologische

und

bei Mead, Schütz, Fichte und Hegel, Köln 1986, bes. 293-327.

V O N DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBJEKTIVITÄT

191

hochkomplexe Einheit keine zureichende begriffliche Grundlage dafür sein; sie bleibt auch in ihrem Sein und Werden oder in ihrer Lebendigkeit des Ansichseienden eine bloß ontologische Bestimmung, die zur Erfassung erfüllter denkender Selbstbeziehung bei weitem nicht ausreicht. Zum anderen kann eine stufenartige Entwicklung des einzelnen Bewusstseins und Selbstbewusstseins, wie Hegel sie in prinzipieller Aufnahme des idealistischen Programms einer Geschichte des Selbstbewusstseins innerhalb der Geistesphilosophie von 1803/04 anstrebt, schwerlich ihre Vollendung darin finden, dass das einzelne Bewusstsein und Selbstbewusstsein sich in der Substanz des Volksgeistes aufhebt, darin eingeht und sich darin versenkt.

2. Hegels neue Subjektivitätsmetaphysik von 1804/05 Dass Hegel über die charakterisierte Substanzmetaphysik hinausgeht und eine Subjektivitätsphilosophie begründet, wird zum ersten Mal in der ,Metaphysik der Subjectivität' im Systementwurf von 1804/05 manifest. Hier bahnt sich der für Hegels weiteres Philosophieren entscheidende Paradigmenwechsel an. Rosenkranz hat diese neue Position in 12

seiner Hegel-Biographie als ,Fichteanismus' bezeichnet, den Hegel in der Phänomenologie des Geistes von 1807 überwinde. Hegel konzipiert jedoch in einer neuen impliziten Auseinandersetzung mit Fichte zum ersten Mal seine eigene, später weiter entwickelte Metaphysik des Absoluten als Subjektivität, in der dessen Bestimmung als Substanz nicht abgelehnt, sondern als untergeordnete Bestimmung bewahrt wird. In der ,Logik' des Entwurfs von 1804/05 zeigt sich als Ergebnis der systematischen Kategorienentwicklung das ,Erkennen'; es versammelt diese Kategorienfolge in sich als den noematischen, rein gedachten Gehalt seiner Erkenntnistätigkeit. In der von dieser ,Logik' äußerlich-systematisch noch unterschiedenen .Metaphysik' erfasst das Erkennen in diesem Anderen, nämlich dem von ihm Gedachten und Erkannten, schrittweise sich selbst; das Erkennen gelangt somit in der ,Metaphysik' stufenartig zur sich im Anderen oder zur sich im noematischen Inhalt wissenden Selbstbeziehung. Es erfasst in diesem noematischen Inhalt zunächst ein System von logisch-metaphysischen Grundsätzen, die die Vorgestalt der späteren, in der Wissenschaft der Logik von 1812-1816 ausgearbeiteten ,Reflexionsbestimmungen' des ,Wesens' darstellen, in deren Sachgehalt es aber noch nicht sich selbst als Erkennen begreift. In einem zweiten Schritt erkennt das Erkennen in diesem noematischen Inhalt, der eigentlich es selbst ist, verschiedene Grundweisen des ihm zukommenden Ansichseins in einer ,Metaphysik der Objectivität' (GW 7, 138-154), in die es die traditionellen Themen der metaphysica specialis integriert, nämlich: Seele, Welt und Gott. Erst in der darüber hinausführenden Metaphysik der Subjectivität' (GW 7, 154-178) erfasst das Erkennen in dem vollständig ent-

12

Karl Rosenkranz, Hegel's Leben, Berlin 1844 (Nachdruck: Darmstadt 1963), 112.

KLAUS DÜSING

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wickelten noematischen Gehalt sich selbst in seiner eigenen Seins- und Erkenntnisverfassung.13 Die , Metaphysik der Objectivität', die das Erkennen als Ansichseiendes noch in Bestimmungen der Substantialität erörtert, vollendet sich im Begriff des , höchsten Wesens' (GW7, 150ff.). Dieses wird wesentlich spinozistisch als die Eine Substanz gedacht, deren Attribute Denken und Sein bzw. ausgedehntes Natursein bedeuten. Es macht als Ganzes, als Universum, dasjenige Allgemeine aus, das, da es außer ihm nichts gibt, zugleich Einzelnes ist; andererseits hebt es in sich alles begrenzte Einzelne auf. Diese dem Allgemeinen des höchsten Wesens begrifflich immanente Widersprüchlichkeit oder Negativität wird zunächst nur vom bestimmenden Erkennen des Philosophen gedacht; im höchsten Wesen selbst ist sie nach Hegel verschwindend. Aber diese Negativität muss eigens in der Konzeption des höchsten Wesens entwickelt werden; daraus entsteht nach Hegel das Ich, das in sich Allgemeinheit, aber zugleich Einzelheit in einer widersprüchlichen oder unendlichen Einheit vereinigt. Dieses Ich denkt Hegel - mit Bezügen auf Fichte, aber gegen die Theorie des frühen Fichte und gemäß dem Atheismusvorwurf, der gegen Fichte erhoben wurde, - als das höchste Wesen, als Gott.14 Der Gedanke des jungen Schelling, Spinozas Substanz und Fichtes Ich in einem Prinzip zu vereinigen, wird hier differenziert; über die Substantialität des höchsten Wesens wird hinausgegangen zum Ich als höchstem Wesen; und im Ich ist die Negativität oder Unendlichkeit entwickelt, die im positiven Bestehen der Substanz nur latent war. Dies in den abstrakten Darlegungen des Entwurfs von 1804/05 nur durchscheinende Argument führt Hegel später, insbesondere in der Wissenschaft der Logik und der dortigen rein kategorialen Erhebung der Substanz zur Subjektivität des denkenden Begriffs weiter. In der .Metaphysik' von 1804/05 bedeutet die dem Ich immanente Unendlichkeit in der Beziehung von Einzelnem und dem allumfassenden Allgemeinen die Gegensatzbeziehung und das Einander-Widersprechen von Bestimmungen, die als entgegengesetzte eben jeweils endliche sind. Deren Anspruch auf selbständige Gültigkeit löst sich, wie Zur .Metaphysik der Subjectivität' vgl. H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit Denkens. Hegels ,System der Philosophie'

in den Jahren 1800-1804,

des

Hegel-Studien, Beiheft 8,

Bonn 1970 (2. Aufl. 1982), bes. 129ff. Das Manuskript ,Logik, Metaphysik, Naturphilosophie' konnte erst durch H. Kimmeries außerordentlich bedeutungsvolle Neudatierung auf 1804/05 in Hegels Jenaer Entwicklungsgeschichte sinngerecht eingeordnet werden (vgl. H. Kimmerle, ,Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften', in: Hegel-Studien

4 (1967), 144, 164ff. (vgl. auch

G W 8 , 358). Zur .Metaphysik der Subjectivität' vgl. auch R.P. Horstmann, .Über das Verhältnis von Metaphysik der Subjektivität und Philosophie der Subjektivität in Hegels Jenaer Schriften', in: Hegel in Jena, hg. von D. Henrich und K. Düsing, Hegel-Studien, Beiheft 20, Bonn 1980, 181-195; vgl. darüber hinaus die detaillierte Interpretation von G. Gérard, Critique et L'itinéraire

de Hegel à Jena (1801-1805),

Darlegungen des Verf.s in: Das Problem entwicklungsgeschichtliche

Untersuchungen

dialectique.

Bruxelles 1982, bes. 4 2 0 - 4 3 8 , auch 414ff.; s. auch die der Subjektivität zum Prinzip

in Hegels Logik. Systematische des Idealismus

und zur

Hegel-Studien, Beiheft 15, Bonn 1995,3. erw. Aufl., bes. 189-198. Vgl. G W 7 , 1 7 1 : ,Das theoretische Ich findet sich als das höchste Wesen'; vgl. 160.

und

Dialektik,

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193

oben geschildert, dadurch auf, und dies ist schon die negative Gegenwart des Unendlichen in ihnen. Erreicht ist damit eine Beziehung von Einzelnem und Allgemeinem in diesem Ganzen, d.h. ein konkret Allgemeines als Subjekt, wie es intuitiv schon der Frankfurter Hegel anstrebte, nämlich als grundsätzliche Bestimmung des ethischen konkret-allgemeinen Subjekts, das Kant, wie Hegel kritisiert, getrennt habe in das allgemeine Wollen des Sittengesetzes einerseits und das existierende einzelne Subjekt andererseits.15 Wenn die aus dem höchsten Wesen entwickelte, in sich negative oder unendliche Einheit von Einzelnem und Allgemeinem aber wesentlich dem Ich zukommen soll, so muss in ihr spontane Selbstbeziehung enthalten sein. Das allumfassende Allgemeine bezieht sich in jenem unendlichen oder gegensätzlichen Verhältnis von Einzelnem und Allgemeinem nur auf sich; es teilt sich auf oder es ,ur-teilt' sich in diese Bestimmungen und ist in dieser seiner Ungleichheit oder Negativität selbsttätig. Diese Entwicklung der Negativität, des Sich-in-sich-Unterscheidens in entgegengesetzte Momente und des Sich-auf-sichBeziehens ebendann als der Wiedergewinnung von Gleichheit mit sich bildet den später differenzierten Grundgedanken der Entwicklung von der Substanz zum Subjekt. Hier tritt er bei Hegel zum ersten Mal ansatzweise auf, und zwar in der metaphysischen Bestimmung des höchsten Prinzips. In Orientierung an der Lehre des frühen Fichte und in deren Umdeutung ist dies Ich zunächst nur theoretisch. Es ist allumfassende Tätigkeit und findet doch in sich Bestimmtheit vor als etwas Fremdes. Für uns, die Philosophierenden auf dem Standpunkt der entwickelten reinen Erkenntnis als Selbsterkenntnis, ist dieses Ich schon Geist, der sich vollständig selbst bestimmt und erkennt, für das bisher erreichte Ich aber ist in ihm selbst noch ein Anderes. Hegel nimmt damit Fichtes Theorie des ,Anstoßes' auf, der eine Bestimmtheit und Begrenztheit der Tätigkeit des Ich und auf Grund dessen die Vorstellung der Welt begründen soll; aber solcher Anstoß kann, wenn dem Ich die Universalität des höchsten Wesens zukommt, nichts außerhalb des Ich sein. So liegt es im Begriff des Ich, sich dieses Fremde als Bestimmtheit anzueignen und der eigenen Allgemeinheit zuzuschreiben. Hegel nimmt hierbei im Fortgang der ,Metaphysik' wie schon in der vorangehenden ,Logik' die später aus der Phänomenologie des Geistes bekannt geöwordene, aber schon von Fichte in die idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins eingeführte Unterscheidung vor zwischen der Position, die ,für uns', die Erkennenden in vollständiger Selbsterkenntnis gilt, und der Position, die ,für es', das thematisierte, erörterte Erkennen oder Ich jeweils Geltung hat. Das theoretische Ich hat sich für sich selbst noch nicht vollständig erfasst, da ihm die Bestimmtheit zwar eine Eigenschaft des Ich, aber eine ,unbegreifflich[e]' ist (GW 7, 160). Schon in der Differenzschrift hatte Hegel an der Theorie des frühen Fichte kritisiert, dass nach ihr der Anstoß und das

Vgl. Hegels

theologische

Jugendschriften,

Frankfurt/M. 1966), 264-268.

hg. von H. Nohl, Tübingen 1907 (Nachdruck:

KLAUS DÜSING

194

Nichtich im Ich letztlich nicht aus dem Ich und seiner Tätigkeit erklärt werden können. Ebendiese Aufgabe sucht Hegel nun selbst zu lösen. Wie Fichte schreitet er vom theoretischen zum praktischen Ich fort, das allerdings anders als bei Fichte - wiederum als weiterentwickeltes .höchstes Wesen' zu verstehen ist. Das praktische Ich subjektiviert die im theoretischen Ich unbegreiflich und fremd gebliebene Bestimmtheit, es eignet sie sich an. Doch kommt dem praktischen Ich, das hier nicht als Subjekt sittlicher oder rechtlicher Praxis konzipiert wird,16 damit nur eine Übergangsfunktion zu; sowie ihm das Begreifen und Sich-Aneignen der fremden Bestimmtheit als seiner eigenen gelingt, vereinigt es in sich die entgegengesetzten Bedeutungskomponenten der Bestimmtheit oder Einzelheit einerseits und der Allgemeinheit andererseits als die seinigen und erfasst deren Gegensätzlichkeit oder Unendlichkeit ebenso wie deren Einheit im Begreifen seiner selbst. Damit wird es Geist, der vollständig für sich selbst ist; denn nun ist die Unendlichkeit und Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit nicht mehr nur ,für uns', sondern auch für das Ich selbst geworden; es erfasst darin seine eigene Wesensbestimmung. So ist es Geist, und zwar als Vollendung des ,höchsten Wesens': absoluter Geist, der alles ihm Andere, alle scheinbar fremde Bestimmtheit sich vollkommen anverwandelt hat, der darin für sich ist und sich vollständig selbst erkennt. Die Substantialität des höchsten Wesens und dessen bloßes Ansichsein ist selbst reines Fürsichsein und Sich-Wissen des absoluten Geistes geworden; die Substantialität wird als ontologische Bestimmung aber nicht schlechthin zurückgewiesen, sondern in der Subjektivität des absoluten Geistes aufgehoben.

3. Subjektivität und Geist in Hegels späterer Jenaer Zeit Die äußerlich-systematisch noch aufrechterhaltene Trennung von ,Logik' und .Metaphysik' im Entwurf von 1804/05 lässt Hegel in der folgenden Systemkonzeption von 1805/06 fallen. In seiner dortigen Gliederung der ,spekulativen Philosophie', die Logik und Metaphysik in Einer Wissenschaft vereinigt, und zwar in der zweiten Hälfte dieser Gliederung lässt sich noch der thematische Bestand der früheren ,Metaphysik der Subjectivität' von 1804/05 wieder erkennen; die Abfolge in jenem soeben erläuterten früheren Entwurf, nämlich theoretisches Ich, praktisches Ich, die beide an sich schon Geist sind, und absoluter Geist wird nun in dem späteren Entwurf zur Abfolge: ,wissendes

Vgl. generell zum Vorrang der Theorie in Hegels Jenaer Jahren H. Kimmerle, Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens (s.o.), 37f. Zum Vorrang denkenden Selbstbewusstseins beim späteren Hegel in Abhebung von Fichtes praktischem Idealismus vgl. E. Düsing, ,Zum Verhältnis von Intelligenz und Wille bei Fichte und Hegel', in: Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes, hg. von F. Hespe und B. Tuschling. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, 107-133, bes. 119 ff.

VON DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBJEKTIVITÄT

195

Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich'.17 Besonders die letzte Bestimmung nimmt die vollständige Selbsterkenntnis des Geistes als absoluter Subjektivität wieder auf. Sie wird in diesem programmatischen Aufriss spekulativer Philosophie von 1805/06 nicht näher erläutert. Es finden sich jedoch konkrete Bestimmungen der Bedeutung des Geistes innerhalb der Philosophie der Religion in diesem Systementwurf, der die realphilosophischen Teile ausarbeitet; und Hegel erklärt schon hier ebenso wie später, dass der wesentliche Inhalt der Religion und der Philosophie derselbe sei, nämlich die speculative Idee' oder Gott als ,Geist" (GW 8, 282). In der Kunst wird der göttliche Geist nur sinnlich angeschaut; er wird damit nur so vergegenwärtigt, wie er in Schönheit verhüllt oder verschleiert ist. In den vorchristlichen Religionen, in der Naturreligion oder in der schönen, mythischen, nämlich der griechischen Religion wird der Geist nur oberflächenhaft und nicht eigentlich erfasst, wie Hegel andeutet, was von ihm später in den Vorlesungen zur Philosophie der Religion inhalts- und bedeutungsreicher ausgeführt wird. Zum ersten Mal und anders als zuvor in den Frankfurter oder den früheren Jenaer Schriften ist für Hegel die christliche die absolute Religion; dafür gibt er einen rein philosophischen Grund an: ,Die absolute Religion ist diß Wissen - daß Gott die Tiefe des seiner selbst gewissen Geistes ist, - dadurch ist er das Selbst aller' (GW 8, 280); er ist trinitarisch zugleich der Geist der Menschen als deren eigentliche Selbstgewissheit. ,Die absolute Religion [...] ist das Tiefe, das zu Tage herausgetreten - diß Tiefe ist das Ich - es ist der Begriff, die absolute reine Macht' (GW 8, 281). Der Sinn der Offenbarung, des Sich-Manifestierens ist, philosophisch betrachtet, das ,Ich' oder Selbstbewusstsein, als dieses offenbart sich der göttliche Geist; rein spekulativ wird es erfasst als Denken oder als Begriff, der, wie es später die Wissenschaft der Logik expliziert, reines Denken seiner selbst ist, aber zugleich unabhängige, an und für sich seiende Existenz und substantielle Macht in sich aufbewahrt. Die absolute Religion, als die die geschichtlich aufgetretene christliche begriffen wird, enthält also die Offenbarung des göttlichen Geistes als Selbstbewusstsein, wie es ebenso jedem einzelnen Menschen zukommt; sie ist die Religion der Subjektivität. In der Religion wird dies freilich nur .vorgestellt'; die Einigung des göttlichen und menschlichen Geistes ist darin noch nicht begriffen. Begriffen wird sie erst in der Philosophie, die nach Hegel das .Wissen des Geistes von sich', also diese höchste Bestimmung, die das göttliche Denken seiner selbst charakterisiert, in menschlichem Wissen als philosophische reine Erkenntnis zu explizieren vermag. Die göttliche oder absolute Subjektivität im reinen Wissen und Denken ihrer selbst ist auf diese Weise im menschlichen rein denkenden, nämlich philosophischen Wissen nach Hegel unverhüllt gegenwärtig. Damit ist die spinozistische Metaphysik der Einen Substanz, wie Hegel sie zu Beginn seiner Jenaer Zeit - zusammen mit Schelling - vertrat, endgültig verlassen. Die Substantialität ist nicht mehr die entscheidende Bestimmung des Absoluten, auch nicht

17

GW 8,286.

196

KLAUS DÜSING

mehr Grundbestimmung eines Metaphysik-Teils wie der .Metaphysik der Objectivität'; allerdings wird die Substantialität als Bestimmung des Absoluten nicht einfach fallen gelassen, sondern in die weitaus differenziertere der Subjektivität und ihres Wissens von sich als ein Moment integriert; sie stellt deren ontologischen Charakter des An-undFürsichseins dar und kennzeichnet die absolute Macht, die ihr zukommt im Setzen und Wiederaufheben ihrer Akzidentien. Aber diese Macht der eigentlichen, selbständigen Existenz wird nicht mehr in .blinder' Notwendigkeit ausgeübt, sondern in .hellsichtiger', spontaner, intellektueller Aktuosität, die sich in den von ihr gesetzten Momenten 18

selbst erkennt. Zu einem solchen reinen Wissen, das in Vollendung reines Denken und Wissen seiner selbst in allen seinen Momenten ist, führt nun allererst der Durchgang durch eine ideale Geschichte des Selbstbewusstseins als systematische Explikation der gestuften Weisen des Fürwahrhaltens in der Phänomenologie des Geistes von 1807. Die ideale Geschichte des Selbstbewusstseins ist bei Fichte und Schelling eine systematische Entwicklung der Fähigkeiten und Leistungen des menschlichen Geistes sowie ihrer jeweiligen noematischen Korrelate (als Vorstellungsgegenstände) oder der jeweiligen Stufen des vorgestellten, des objektiven Ich; und sie ist vollendet in der vollständigen Selbsterfassung des Selbstbewusstseins, die Fichte im sittlichen Willen, Schelling aber im Genie erblickt. Hegel wandelt in der Phänomenologie von 1807 diese ideale Geschichte des Selbstbewusstseins dahingehend ab, dass er nicht die systematische Abfolge der Fähigkeiten und Leistungen als solche und deren Korrelate untersucht, sondern nur, sofern sie jeweils bestimmte Weisen des Fürwahrhaltens des Bewusstseins, Selbstbewusstseins oder Geistes darstellen, also z.B. nicht die Empfindung, sondern die sinnliche Gewissheit.19 Eine Weise des Fürwahrhaltens nach der anderen erfährt hierbei dialektisch ihre Auflösung; immer höherstufige werden untersucht, auch künstlerisches oder religiöses Fürwahrhalten des Göttlichen;20 aber nur die letzte, das philosophische Wissen des Absoluten oder das .absolute Wissen', hält einer Prüfung seiner Wahrheitsrelation stand.21 In ihm wird ohne den Schein einer wesentlichen Differenz von Wissen

Vgl. dazu Hegels Darlegungen in der Wissenschaft

der Logik, s. GW 11, 394ff. (zur Substan-

tialität) und GW 1 2 , 1 1 - 5 2 (zum Begriff). Vgl. O. Pöggeler, ,Hegels Phänomenologie des Selbstbewußtseins' (zuerst 1973), in: ders., Hegels Idee einer Phänomenologie

des Geistes, Freiburg/München 1993, 2. erw. Aufl., 231-298,

bes. 2 9 2 f f . ; vgl. auch die Darlegung des Verf.s in: .Hegels „Phänomenologie" und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins', in: Hegel-Studien

28 (1993), 103-126.

Zur Rechtfertigung, daß auch diese Weisen des Fürwahrhaltens zum Gesamtunternehmen der Phänomenologie

gehören, vgl. Hegel: Enzyklopädie.

zu dieser Frage H.-F. Fulda: Das Problem

3. Aufl., Heidelberg 1830, §25 Anm.; vgl.

einer Einleitung

in Hegels Wissenschaft

der

Logik,

Frankfurt/M. 1965, bes. 148 ff. Zum ,absoluten Wissen' sei auswahlweise verwiesen auf J. Hyppolite, Genèse et structure de la Phénoménologie luten

Wissens

de l'esprit in Hegels

de Hegel, Paris 1946, 553-583; G. Gretic, Das Problem Phänomenologie

des Geistes,

des

abso-

Diss. Köln 1975; P.J. Labarrière,

197

V O N DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBJEKTIVITÄT

und Gegenstand, der allen anderen Weisen des Fürwahrhaltens noch anhaftet, das reine, denkende Wissen von sich erreicht, das auch in allem Anderssein sich selbst erkennt, d.h. offensichtlich das Wissen der absoluten Subjektivität. Doch ist in diesem .absoluten Wissen' als der eigentlichen Weise der Wahrheitserkenntnis dessen rein begriffliche Explikation noch nicht vollbracht. Hier stellt sich dieselbe Frage wie schon am Ende des Systementwurfs von 1805/06, nämlich wie denn der Inhalt der reinen Gedankenbestimmungen in diesem ,Wissen des Geistes von sich' zu entwickeln sei; die Explikation dieser Inhalte fällt, wie Hegel in der Einleitung in die 22

Phänomenologie sagt, in die eigentliche Wissenschaft des Geistes'. Da ,Geist' in seinem Wissen von sich nach der oben genannten Gliederung der .spekulativen Philosophie', d.h. der spekulativen Logik eben deren Vollendungsbestimmung ist, handelt es sich bei dieser eigentlichen Wissenschaft des Geistes' offensichtlich um eben diese spekulative Logik. Sonst kennzeichnet Hegel, um Verwechslungen mit dem Begriff des .Geistes' in der Realphilosophie zu vermeiden, den sich wissenden Geist in der Logik als sich denkende .Idee'. Im absoluten Wissen erfasst der Geist sich, wie er an und für sich selbst ist, als ,Ich = Ich' (GW 9, 430,431). Auch hier nimmt Hegel wie in seinem Entwurf einer ,Metaphysik der Subjectivität' von 1804/05 das Prinzip des frühen Fichte auf und verändert es grundlegend. Er sieht gegenüber Fichte - klarer als früher - zwei entscheidende systematische Veränderungen vor: Erstens darf die Sichselbstgleichheit des Ich mit sich nicht als analytische Verstandesidentität, sondern muss als absolute Identität konzipiert werden, die zugleich .absolute Negativität' (GW9. 430) in sich enthält; das Ich als Geist muss sich ebenso in seinem Anderssein vollständig begreifen. Zweitens darf diese Subjektivität nicht entontologisiert werden; sie muss somit auch als selbständiges Anund-Fürsichseiendes, spezifischer: als Substanz gedacht werden. Aus dieser spekulativen Umformung des Fichteschen Prinzips des Ich = Ich oder des ,Ich bin' kann man demgemäß entnehmen, dass der sich darin selbst verstehende, rein sich denkende Geist sich Sein als ihm immanentes Moment im ,Ich bin' zuschreibt. Hiermit geht, wie Hegel nach Rosenkranz' Überlieferung wohl in der Vorlesung vom Sommersemester 1806 erklärt, die .Einheit des allgemeinen und einzelnen Selbstbewußtseins' zum .Sein' über, nämlich wenn dieses Selbstbewusstsein sich seine ihm immanenten Momente als das in 23

ihm Gedachte vergegenwärtigt. Die Einheit von allgemeinem und einzelnem Selbstbewußtsein' aber ist Geist, dem wesentlich reine denkende Selbsterkenntnis zukommt; sucht er diese nun eigens in ihren Momenten zu thematisieren, so denkt er sich selbst zunächst in einer ersten und einfachsten, noch ganz unmittelbaren Bestimmung, nämlich als Sein. Weitere ontologische Bestimmungen kommen nach Hegels Andeutungen in der Vorrede und im Schlusskapitel der Phänomenologie hinzu wie Dasein Introduction

à une lecture de la „Phénoménologie

de l'esprit",

Chiereghin, Dialettica dell' assoluto (s.o.), 440-449. 22

GW 9 , 6 2 .

23

Vgl. K. Rosenkranz, Hegel's Leben (s.o.), 213; G W 5 , 4 7 3 .

Paris 1979, bes. 255-279; F.

198

K L A U S DÜSING

oder Wesen (vgl. GW 9. 29f, 39f, 430f), ferner absolute Identität, Unterschied und Gegensatz, Substanz und schließlich auch Begriff. Dies alles ist schon aus den Entwürfen oder Vorlesungen von Hegels letzter Jenaer Zeit und aus der Phänomenologie zu entnehmen. In solcher Logik soll insbesondere die Entwicklung von der Substanz zum Subjekt24 in reinen Gedankenbestimmungen expliziert werden (vgl. GW 9. 18), nämlich zu einem Subjekt als sich selbst wissendem Geist oder sich selbst denkender Idee, die in metaphysischer Bedeutung als ein Moment Substantialität in sich selbst in aufgehobener Weise bewahrt. Dieser Paradigmenwechsel in Jena von der Metaphysik der Substanz zur Metaphysik der Subjektivität ist in der weiteren Entwicklung der Hegeischen Philosophie von entscheidender Bedeutung geblieben. Auch später begreift Hegel die absolute Idee als reines, spontan-produktives Denken seiner selbst und den absoluten Geist, wie er sich selbst in Kunst, absoluter Religion und vollendeter Philosophie erfasst, als vollständiges Wissen und Erkennen seiner selbst auch in seinem Anderssein in Natur und Geschichte. Diese Theorie unendlicher, absoluter Subjektivität, in der endliche Subjektivität und endliches Selbstbewusstsein, sei es einzelner Menschen, sei es ganzer Völker begründet ist, wird von Hegel immer zugleich als Metaphysik konzipiert; der unendlichen Subjektivität kommen somit nach Hegel immer ontologische Bestimmungen wie Sein, Dasein, Substantialität oder Objektivität als ihre eigenen, wenn auch letztlich in das Wissen ihrer selbst integrierten Momente zu. Wie immer man sich zu Grundtypen der Metaphysik, zu darauf jeweils bezogenen Arten der Metaphysikkritik und speziell zu Hegels Metaphysik verhält, diese ontologische und metaphysische Bestimmung von Subjektivität stellt ein grundlegendes, auch heute kritisch zu erörterndes Problem dar. Unabhängig davon aber, wie eine Stellungnahme hierzu ausfällt, können Hegels reine Strukturbestimmungen von Subjektivität und Selbstbewusstsein für heutige Bemühungen exemplarische Vorprägungen darstellen. Die modernen Kritiker, die Subjektivität und Selbstbewusstsein reduktionistisch betrachten, ja negieren, ignorieren damit nicht nur klassische Theorien, sondern weitgehend auch die evidenten Phänomene, die diese behandeln. Solche Phänomene der unmittelbaren, dem Selbst erschlossenen Gewissheit von etwas, des theoretischen und praktischen Identitätsbewusstseins des Selbst und seiner Selbstgewissheit oder auch komplexerer geistiger Selbsterkenntnisse werden in Hegels Phänomenologie des Geistes reichhaltig und vielfältig erfasst. Zugleich geht hieraus hervor, dass Hegel in diesem Kontext nicht am Schema eines einfachen SubjektObjekt-Verhältnisses festhält, wie es etwa im Neukantianismus geschieht, sondern dass er das Verhältnis von Wissen und für wahr gehaltenem Gegenstand dynamisiert und in der Skala der Weisen des Fürwahrhaltens differenziert. So folgt schließlich auch das Sich-Denken der Idee oder das , Wissen des Geistes von sich' nicht jenem simplen und starren Schema der Selbstbeziehung als Subjekt-Objekt-Beziehung, sondern entfaltet sich in unterschiedlichen Weisen des Selbsterfassens in immer reichhaltiger werdenden Den Problemgehalt dieser allzu bekannten Aussage Hegels gewinnt Hermann Schmitz zurück in: Hegels Logik, Bonn 1992,57ff., zur Substanz in konkreten Verhältnissen s. 293 ff. u.ö.

VON DER SUBSTANZMETAPHYSIK ZUR PHILOSOPHIE DER SUBIEKTIVITÄT

199

kategorialen Gedankenbestimmungen. Daraus lässt sich die Einsicht entnehmen, dass Selbstbewusstsein und Subjektivität nicht von monolithischer Bedeutung sind, sondern sich nur in einer Skala von ,Selbstbewußtseinsmodellen'25 erfassen lassen. Dies kann unter Transformation von Hegeischen Perspektiven in heutigen Problemzusammenhängen - ausgeführt werden auch ohne Metaphysik der Einen Substanz.

Zu diesem Kontext möge der Hinweis auf die Darlegungen des Verf. in: Selbstbewußtseinsmodelle (s.o.) gestattet sein.

BRADY BOWMAN

Unendliche Bestimmtheit und wahrhafte Individualität in Hegels Logik-Entwurf von 1804/05*

I. Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht das Verhältnis von Substanz und logischem Subjekt in Hegels Logik-Entwurf von 1804/05. Dieses Verhältnis wird aber zugleich in den Rahmen einer eng verwandten Thematik gestellt: Eine der markantesten Entwicklungen seiner Jenaer Jahre ist Hegels endgültige Abkehr von Positionen, welche die anschauende Erkenntnis als einzig adäquaten Modus der Erkenntnis des Absoluten behaupten und die Reflexion dementsprechend abwerten. Am Ende jener Jahre wendet er sich in der Phänomenologie des Geistes von 1807 gegen solche Positionen mit einem Argument, das in der Philosophiegeschichte seinesgleichen sucht. Die Tatsache, dass die unmittelbare sinnliche Erfahrung sprachlich nicht voll zu erfassen und zu bestimmen ist, spricht für Hegel gar nicht gegen die Sprache und die Reflexion, sondern gegen die vermeintlich .absolute Gewißheit und Wahrheit' des sinnlichen Diesen.1 Vertreter einer solchen ,sinnlichen Gewißheit' des Absoluten ,meynen' etwas, so Hegel, das sie gar nicht ,sagen' können. Der Kontext seiner Äußerungen macht deutlich, dass Hegel unter ,Sagen' das verbale Beschreiben, Bestimmen oder Charakterisieren versteht, und die Unmöglichkeit adäquater verbaler Charakterisierung des gemeinten ,Einzelnen' (denn Einzelnheit ist eben der Begriff des unendlich bestimmten, diskursiv nicht einzuholenden Anschauungsgehalts) gerät Hegel zu einem überraschenden Argument gegen dessen wahrhafte Existenz. Denn unter ,dem wirklichen Versuche, es zu sagen,' beobachtet er, würde das gemeinte Einzelne ,vermodern'. Diejenigen, ,die seine Beschreibung angefangen, könnten sie nicht vollenden, sondern müßten sie andern überlassen, welche von einem Dinge zu sprechen, das nicht ist, zuletzt selbst eingestehen würden' ,3 Hegels Folgerung der Nichtigkeit des dergestalt Unsagbaren ist in der Tat überraschend, denn seine Beobachtung bietet für sich genommen weniger einen Grund, den Mit Dank an Ludovicus De Vos, der die erste Fassung dieses Beitrags gelesen und hilfreich kommentiert hat. 1

GW 9,70.

2

Ebd.

3

Ebd.

202

BRADY BOWMAN

Glauben an die Realität des sinnlich Einzelnen aufzugeben, als vielmehr Anlass zu Sprachskepsis. An unserer Unfähigkeit, die sinnliche Konkretion der Realität in Begriffen adäquat einzuholen, an der Unmöglichkeit, zu sagen, was wir meinen,4 braucht ja nicht die Realität als solche schuld zu sein! Überdies ist die Unmöglichkeit, durch Aneinanderreihung von Prädikaten ein Individuum auf der untersten, für unsere referentiellen Bedürfnisse fundamentalen Ebene zu identifizieren, in der Philosophie der Sprachanalyse längst schon ein Gemeinplatz und motiviert dort die Beschäftigung mit dem konzeptuellen Zusammenspiel von demonstrativer und nichtdemonstrativer Identifizierung bei der Bezugnahme auf wahrnehmbare Einzeldinge.5 Darum haben sprachanalytisch geschulte Interpreten versucht, die Unfähigkeit der sinnlichen Gewissheit, das sinnlich Konkrete festzuhalten, einer konzeptuellen Naivität zuzuschreiben, die durch einen entsprechenden referentiellen Identifikationsapparatus überwunden werden könnte.6 Sowohl die sprachskeptische Einstellung als auch die sprachanalytische Einschätzung von Hegels Beobachtung haben gemein, dass sie die Unvollendbarkeit der Beschreibung aus Gründen eines subjektiven Mangels der Bewusstseinsgestalt , sinnliche Gewißheit' zu erklären suchen: Der objektiv bestimmte Anschauungsgehalt wäre da, um erfasst zu werden, wenn das Bewusstsein sinnlicher Gewissheit nur über geeignete, hinreichend komplexe referentielle Mittel verfügte. Oder vielmehr: Der Vertreter der Theorie der sinnlichen Gewissheit verfügt aus der Perspektive der sprachanalytischen Interpretation tatsächlich über solche Mittel, wie wir es im Normalfall alle tun, aber seine Theorie kann der Tatsache seiner eigenen Bezugnahme nicht gerecht werden; die Inadäquatheit seiner Gegenstandskonzeption zeigt sich in der absurden Konsequenz, dass sie keine Bezugnahme auf sinnliche Gegenstände ermöglichen würde. Diese eher realistisch orientierte Einschätzung kommt jedoch mit Hegels eigener Intention keineswegs überein. Das macht folgender Passus aus dem Logik-Entwurf von 1804/05 deutlich. Es scheine zwar, räumt Hegel dort ein, ,als ob nur dieses ein blosses Sollen, eine unerfüllte Foderung sey, diese Eigenschafften, diese absolutvielen Bestimmtheiten für den Gedanken darzustellen und zu erschöpfen; als ob aber das Subjekt [d.h. der Referent der Aussage] an und für sich, ohne Beziehung auf dieses Aufzählen ein vollkommen bestimmtes, gerade insofern in jener Unabhängigkeit ein dieses wäre'. 7 Hinter der These, das ,Diese' sei nicht unabhängig von unserem Denken an und für sich vollkommen bestimmt, einen wie immer gearteten Begriffsschema-Relativismus zu 4

Vgl. G W 9 , 6 6 .

5

Vgl. etwa P.F. Strawson, Einzelding und logisches Subjekt (Individuais). Ein Beitrag zur deskriptiven Metaphysik, übers, von F. Scholz, Stuttgart 1972,23 ff., sowie E. Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt/M. 1976,400 ff.

6

Vgl. etwa M. Kettner, Hegels ,Sinnliche Gewißheit'. Diskursanalytischer Kommentar, Frankfurt/M./New York 1990 und K. Westphal,,Hegel's internal critique of naive realism', in: Journal of Philosophical Research, XXV, 2000,173-229.

7

G W 7 , 9 9 . (Hinzufügung in Klammern im Zitat vom Verfasser, BB.)

203

UNENDLICHE BESTIMMTHEIT UND WAHRHAFTE INDIVIDUALITÄT g

vermuten, scheint mir abwegig. Aber wenn sich Hegels Schluss auf die Nichtigkeit des Einzelnen nicht unmittelbar aus seiner Beobachtung über die Unabschließbarkeit seiner prädikativen Bestimmung ergibt, worin liegt dann seine Berechtigung? Ich möchte dafür plädieren, Hegels Schluss wie folgt zu rekonstruieren: Was unendlich viele Bestimmtheiten an sich hat, ist an und für sich unbestimmt. Aber solches an sich Unbestimmte ist kein Individuum oder wahrhaftes Dieses, sondern (nur) substantiales Akzidenz. Das sinnlich Einzelne aber ist ein nicht abschließbar zu Bestimmendes. Also ist es kein wahrhaftes Individuum, sondern ein an sich schlechthin in der Bestimmungslosigkeit Vergehendes, Nichtiges. Die Erläuterung dieser Rekonstruktion wird den Hauptteil dieses Beitrags ausmachen.

II. Klaus Düsing (der auch auf Ähnlichkeiten mit der .sinnlichen Gewißheit' aufmerksam macht) hat darauf hingewiesen, dass Hegels ,eigene Auffassung eines nicht-diskursiven und doch begrifflichen Allgemeinen [...] offensichtlich in einer ontologischen Betrachtung des Dinges und des substantiellen Seienden gründet'.9 Hieraus entspringt nach Düsing Hegels Ablehnung der traditionellen Lehre vom diskursiven Begriff. ,Je reicher ein Begriff an inhaltlichen Bestimmungen ist, desto geringer ist [sc. nach der traditionellen Lehre] sein Umfang, d.h. die Sphäre der logischen Subjekte, auf die er sich beziehen kann. Je ärmer ein Begriff an inhaltlichen Bestimmungen ist, desto größer ist der Bereich der Subjekte, für die er gemeinsames Merkmal ist.'10 Es liegt in der Konsequenz einer solchen, wesentlich quantitativen Auffassung von Begriffen, das Individuelle als ein Subjekt zu konzipieren, welches unendlich bestimmt ist.11 Das Ärmste

Vgl. etwa die Thesen Tom Rockmores in seinem Buch: Cognition. An Introduction to Hegel's Phenomenology of Spirit, Berkeley u.a. 1997, 32 und 38 ff. Κ. Düsing, Das Problem der Subjektivität

in Hegels Logik. Systematische

und

entwicklungsge-

schichtliche Untersuchungen zum Prinzip des Idealismus und zur Dialektik (Hegel-Studien, Beiheft 15), Bonn 1976, 164. Im folgenden zitiert als Problem der Subjektivität. Siehe auch die Rekonstruktion der spekulativen Schlusslehre von dems., .Syllogistik und Dialektik in Hegels spekulativer Logik', in: D. Henrich (Hg.), Hegels Wissenschaft der Logik. Formation und Rekonstruktion, Stuttgart 1986,15-38. Düsing, Problem der Subjektivität,

163 f. (Hinzufügung in Klammern im Zitat vom Verfasser,

BB.) Diese Auffassung führte übrigens all die Spitzfindigkeiten herbei, auf Grund derer die Logik des Mittelalters verschrieen wurde, indem logische Subjekte als eo ipso quantitativ verstanden wurden. Die traditionelle Auffassung begünstigte damit zugleich eine gewisse Einebnung der Differenz zwischen dem .Subjekt' und dem .Prädikat' einer Aussage, indem jene Differenz nicht als wesentlich funktionale, sondern als quantitative erschien. So konnte unter diesen Bedingungen auch die Vorstellung von Individualbegriffen florieren. Auf dem Boden der Tradition verbleibt

204

BRADY BOWMAN

und Allerallgemeinste wäre dagegen der Begriff des Seins, das schlechthin allem in gleicher Weise zukäme. Auf dem Boden derselben Auffassung entsteht jedoch zugleich die Gegenintuition, das wahrhaft Seiende sei allein das unendlich bestimmte Individuelle und dieses allein sei wahrhaftes Sein - entgegen jenem leeren Sein als bloßem Abstraktionsprodukt. Im Lichte dieser traditionellen Auffassung liegt die von Hegel verfemte Position der sinnlichen Gewissheit sogar recht nahe, ja sie erscheint geradezu als erkenntnistheoretisch-ontologischer Auswuchs der traditionellen Logik. Aber trotz seiner Kritik an der ,diskursiven' Begriffsauffassung bewegt sich Hegel aus heutiger Sicht noch immer auf dem Boden jenes vormodernen Logikverständnisses, so dass wir in seiner eigenen Theorie der Substanz in ihrem Verhältnis zum Begriff nachschauen müssen, wenn wir seine Absetzbewegung und die Gründe seiner Kritik verstehen wollen. Wenn Hegel im Logik-Entwurf von 1804/05 von der Realisierung des Begriffs der Substanz in und als das Verhältnis des Denkens spricht,12 referiert er auf die allerselbstverständlichste Schicht unserer Welterfahrung. Gemeint ist unsere Welt temporal beständiger Gegenstände, die zwar in sich und in Relation auf einander veränderlich sind, doch als identische Substrate (hypokeimena) ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in eigentümlicher Weise besitzen, und dies sogar über ihre eigene Dauer als wirkliche hinaus: sie sind es eben selbst, die vergangen, gegenwärtig oder zukünftig sind. Solche Gegenstände sind es, die als Subjekte in kontrafaktischen und konditionalen Aussagen auftreten können und die im kleinen wie im großen verschiedene mögliche Weltläufe denkbar werden lassen. In dieser Schicht unserer Erfahrung, die erst Welt im eigentlichen Sinn genannt zu werden verdient, erhält - so Hegel - ,das bestimmte Seyn [...] eine ganz andere Bedeutung [...]; es ist selbst in Wahrheit nichts anderes als der bestimmte Begriff, das realisirte Seyn, so wie das Verhältniß des Seyns eigentlich das realisiren desselben ist; dasjenige was unter bestimmtem Seyn gewöhnlich verstanden 13

wird, ist vielmehr der bestimmte Begriff'. Diese Bemerkung erhellt, wenn man das ,bestimmte Seyn' im strengen, terminologischen Sinn mit der relationalen und temporalen Beständigkeit des eigentlich so genannten Begriffs kontrastiert. ,Das Accidens der Substanz, das ein wirkliches ist, hat seine Beziehung sein Andersseyn ausser sich, und ist darum nicht, es ist nur ein mögliches, nicht ansich seyendes; erst das reflectirte Accidens, der bestimmte Begriff, ist in sich; es ist ein bestimmtes, und dadurch selbst nur ein mögliches, eins nur in Beziehung auf ein anderes; aber als diß mögliche ist es gesetzt' W

Hegels Logik trotz seiner Kritik, ja eigentlich auch gerade wegen der spezifischen Natur seiner Kritik. 12 13 14

Vgl. etwa G W 7 , 7 5 ff. GW 7 , 7 6 f. G W 7 , 7 7 . (Die beiden letzten Hervorhebungen im Zitat vom Verfasser, BB.)

UNENDLICHE BESTIMMTHEIT UND WAHRHAFTE INDIVIDUALITÄT

205

Durch sein Gesetztsein als Mögliches (Hegel verwendet den Terminus ,gesetzt als aufgehobenes' gleichbedeutend15) ist das reflektierte Akzidens dem Prozess unendlichen Anderswerdens und Außersichkommens entnommen, während das bestimmte Sein an sich in der Unendlichkeit zerfällt und zu Nichts wird.16 (Im Hinblick auf das Ziel der hier dargestellten Entwicklung heißt dies, dass das reflektierte Akzidens auf dem Weg zum bestimmten Begriff' ist, der seinerseits an die Stelle des bestimmten Seins treten wird. Das reflektierte Akzidens, das zum bestimmten Begriff werden soll, ist also das Scharnier zwischen dem Verhältnis des Seins und dem Verhältnis des Denkens.) Der Prozess des Anders- und dadurch Nichtigwerdens diesseits der Schwelle zum bestimmten Begriff verdient unsere nähere Aufmerksamkeit. Auch er referiert auf eine Schicht unserer Erfahrung, nicht jedoch auf die der begriffenen, stabilisierten Weltlichkeit. Gemeint ist das elementarische Geschehen einer erhabenen, ungeregelten, begñfflosen Natur. Dieses Reich der Substanz charakterisiert Hegel als unendlich zersplittert in einzelne, bestimmte Substanzen (die zuvor als Akzidenzien der Einen Substanz begriffen wurden), die miteinander in allseitiger Wechselwirkung stehen. Zwar unter17

scheidet sich jede Substanz in einen vergänglichen und einen unvergänglichen Teil, so dass man schon hier etwas von der beständigen Substrathaftigkeit des bestimmten Begriffs zu ahnen meint. Definiert ist diese Teilung jedoch nur in der jeweiligen Beziehung auf die bestimmte andere Substanz, mit der sie in Wechselwirkung steht: der Teil, der in der einen Beziehung unvergänglich ist, wird in einer anderen Wechselbeziehung wiederum selbst zum vergänglichen Teil. So tritt die Substanz selbst als bleibende Einheit der vielen sich abwechselnden und vernichtenden Substanzen ganz aus ihrer Bestimmtheit, die diese sind, zurück. Sie wird im unendlichen Prozess der Wechselwirkung zu einer allgemeinen, aber innerlich bestimmungslosen Einheit: ,Die Linie des Entstehens und Vergehens geht vor und rükwarts fort, ins unendliche, und es sind ebenso unendlich viele Linien, und unendlich viele Theilungs und Ausgangspunkte. Diese unendliche Verwirrung und Durchkreutzung des Entstehens und Vergehens, macht die Wirklichkeit zu einem entstehenden und darin vergehenden Seyn der Substanzen. Das Wesen ihrer Bewegung ist die sich selbstgleiche Einfachheit der entgegengesetzten; aber diese ist das Verborgene in dieser Verwirrung nicht gesetzte; und da diese - erfüllte - Einheit ausser ihr [d.h. der Bewegung] ist, fällt sie ganz in die 18 schlechte Unendlichkeit.'

15

S. ebd.

16

Vgl. ebd.

17

18

G W 7 , 7 3 : Die Substanzen ,sind getheilt; sie sind durch das Wesen der Wechselwirkung, getrennt, jede für sich, und in ihrer Wirklichkeit zugleich bezogen, sie sind es nur zum Theil; und trennen sich bestimmt in einen unveränderlichen, und in einen veränderlichen Theil'. G W 7 , 7 4 . (Hinzufügung in Klammern im Zitat vom Verfasser, BB.)

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B R A D Y BOWMAN

Diese schlechte, individualitätslose Unendlichkeit der Substanz macht die ,Schwäche des Begriffs in der Natur' 19 aus. Diese Unendlichkeit kehrt nun in der Theorie des Schlusses als die unendliche Bestimmtheit der schlechten, bloß ,sogenannten Individu20

alitât' des Dieses wieder und zeichnet ihre Spur als die Unvollendbarkeit von dessen prädikativer Bestimmung. Um die strukturellen Voraussetzungen ihrer Wiederkehr innerhalb des Verhältnisses des Denkens, in dem das Seinsverhältnis zunächst als überwunden erschien, zu erfassen, müssen wir jetzt den ,unendlich vermittelten'21 Wechsel entstehender und vergehender Akzidenzien noch näher betrachten. Den unendlichen Wechsel erklärt Hegel aus22der besonderen modalen Natur des Bezogenseins der Substanz auf ihre Akzidenzien. Er entwickelt den Substanzbegriff als 23

Begriff der ,absoluten Möglichkeit' entgegengesetzter Bestimmtheiten, als die sich die Substanz je verwirklicht. D.h., die Substanz setzt sich nur als die je eine bestimmte Substanz, indem deren entgegengesetzte nicht gesetzt ist. Aber die bestimmte Substanz bleibt in ihrer Wirklichkeit als bestimmte schlechthin auf die ihr entgegengesetzte Substanz bezogen - auf ihre Möglichkeit. Das Bezogensein der wirklichen Substanz auf die entgegengesetzte mögliche konstituiert für Hegel das Vergehen derselben, wie die umgekehrte Beziehung das Entstehen ist. Nun sind aber beide Bestimmtheiten absolut gesehen dieselbe Möglichkeit, so dass beide als wirklich gesetzt werden müssen (es ist das Wesen der Substanz als absolute Möglichkeit - potentia dei - sich in ihrem Bezogensein auf die Akzidenzien zu verwirklichen). Aber so setzt die Verwirklichung der Substanz einen Widerspruch, deren natürliche, ja ,Natur' im Hegeischen Sinn konstituieS.W. Lefèvre, „,Die Schwäche des Begriffs in der Natur". Der Unterabschnitt „Beobachtung der Natur" im Vernunft-Kapitel der Phänomenologie des Geistes', in: Hegel-Jahrbuch 2001,157-166. 20

GW7,98.

21

GW7,73.

22

23

Zu Hegels Behandlung der Modalkategorien s. F.P. Hansen, Ontologie und Geschichtsphilosophie in Hegels ,Lehre vom Wesen' der , Wissenschaft der Logik', München 1991, 218-235; sowie besonders K.J. Schmidt, G.W F. Hegel: ,Wissenschaft der Logik - Die Lehre vom Wesen'. Ein einführender Kommentar, Paderborn u.a. 1997, 190-210, der zentrale Aspekte des Hegeischen Möglichkeitsbegriffs im Ausgang von der aristotelischen Auffassung entwickelt. Meinem Rekonstruktionsansatz liegt die These zugrunde, daß die Überwindung des Spinozanischen Substanzbegriffs ein dominierendes Interesse der ,Logik' von 1804/5 wie auch der Wissenschaft der Logik von 1812-16 bildet. Mit Schmidts aristotelisch inspirierter Interpretation kommt meine Auffassung in jedem Fall auch darin überein, die Modalkategorien bei Hegel nicht nur logisch zu verstehen, sondern ihnen ontologische Bedeutung beizumessen und insbesondere ihr Verhältnis als ein innerlich dynamisches zu begreifen. Hierin liegt zugleich die Berechtigung, Hegels Begriff der ,absoluten Möglichkeit' (GW7, 42) als Spinozanische ,potentia dei' (s. Ethica, parsi, prop.34) zu lesen und mit der Problematik zusammenzubringen, wie die Eine unendliche Substanz in ichrem Verhältnis zu ihrer Verwirklichung als eine Welt mannigfaltig existierender einzelner Bestimmtheiten zu konzipieren sei. Die erforderliche Vermittlung dieses Ansatzes mit anderen Interpretationen der Modalkategorien bei Hegel würde den Rahmen dieses Beitrags freilich sprengen. GW7,42

UNENDLICHE BESTIMMTHEIT UND WAHRHAFTE INDIVIDUALITÄT

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rende Bewegungsform der unendliche Prozess der sich abwechselnden, entstehenden und vergehenden bestimmten Akzidenzien der Substanz qua absoluter Möglichkeit ist. Das .Wesen' der so bestimmten Substanz ist es, sich seiner Wirklichkeit als in einander vergehenden einzelnen Substanzen schlechthin zu entziehen, um in sich als bestimmungslose Einfachheit zurückzukehren. Wir sehen daher in diesem Entwicklungsstadium des Substanzbegriffs gewissermaßen die totale Äußerlichkeit der Bestimmtheiten oder vielmehr die Totalität als Äußerlichkeit an sich. Auch der Übergang von der Substanz zum denkenden Verhältnis geschieht zunächst in der Weise äußerlicher Reflexion. In der Vervielfältigung jener vorhin zitierten .Verwirrung und Durchkreutzung des Entstehens und Vergehens' sind die Bestimmtheiten gleichermaßen substantiiert und ,indifferentiirt' worden.24 Sie sind nämlich alle, insofern sie überhaupt sind, dasselbe numerische Eins, als welches sich die Substanz in ihrer Rückkehr in sich konstituiert. Die Substanz ist sich in ihnen gleich und diese selbst sind nur als Bestimmtheiten voneinander unterschieden, nicht dagegen in ihrem unendlich abwechselnden Bestehen und Nicht-Bestehen. In dieser ihrer gleichen absoluten Möglichkeit bestehen die Akzidenzien als bestimmte oder sie sind (in Hegels Worten) .gesetzt als aufgehobene, ideelle'. Sie sind nämlich .nicht nichtgesetzte, in der Einfachheit verschwindende, sondern was sie an sich sind, ein auf gleiche Weise gesetztes, aber als aufgehobene, in Einer sichselbstgleichen einfachen Einheit derselben, die ihr nicht gesetztseyn ist'. 25 In diesem neuen Verhältnis identifiziert Hegel die formallogische Kategorie des ,Allgemeinen' mit dem Bestehen der Bestimmtheiten (der Akzidenzien) als nichtgesetzte, während er die logische Kategorie des .Besonderen' als .Bestimmtheit an sich selbst' fasst26 und an die Stelle treten lässt, welche die Reflexion des Akzidens in sich selbst vorbereitet hat. Das Substantialitätsverhältnis stellt daher in seiner Realisation eine reflektierte Einheit von Allgemeinem und Besonderem (Einheit und Unterschiedenheit) dar, die Hegel hier auch den .bestimmten Begriff' nennt.27 Der sich bewegende Widerspruch des Substantialitätsverhältnisses hat sich hierdurch in dem neuen Verhältnis des Denkens zwar .beruhigt', aber nicht aufgelöst. Denn erstens hat er zunächst einmal nur die Form verändert. Der Widerspruch besteht nunmehr in der Identität der Reflexion in sich (d.h. des Allgemeinen, das die Substanz geworden ist) und der Bestimmtheit oder Reflexion in Anderes. Zweitens aber und entscheidender ist es so, dass die Beruhigung des natürlichen Übergehens um den Preis der Entwirklichung in dem Sinne erkauft worden ist, dass das Gesetztsein der Bestimmtheit als aufgehoben oder reflektiert in sich zunächst noch ihr bloßes Möglichsein bedeutet, die Aufhebung ihrer Wirklichkeit, die den Motor des schlecht-unendlichen Naturprozesses bildete. Dieser zweite Punkt bildet nun das eigentliche Hauptinteresse der frühen Lehre vom Schluss. 24 25 26

GW7,74 f. GW7,75. GW 7,76.

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BRADY BOWMAN

Wie ist die Wirklichkeit der Individualität zu begreifen, ohne in die schlechte, entindividualisierende Unendlichkeit der Substanz zurückzufallen?

III. Diese Problemstellung gibt schon als solche deutliche Hinweise zur Beantwortung unserer eingangs gestellten Frage nach den Voraussetzungen für Hegels Schluss auf die Nichtigkeit des sinnlichen Diesen. Jedoch bevor wir daran gehen, die relevanten Implikationen explizit zu machen, wollen wir noch einen Augenblick bei der anderen Frage verweilen, weshalb denn jene Aufgabe nun ausgerechnet der Lehre vom Schluss zufällt. Die einfachste Antwort ist, dass im Gegensatz zum Urteil, bei dem das Subjekt und seine potentiellen Bestimmtheiten letztlich als aufgehobene, also als nur mögliche gesetzt gewesen sind, das Subjekt ,im Schlüsse [...] aus der Idealität, in der [es] noch im 28

hypothetischen Urtheile gesetzt ist, heraus[tntt]'. und als wirklich gesetzt wird. (Hegel deutet nämlich den Untersatz des hypothetischen Schlusses oder modus ponens als das unvermittelte Setzen des Einzelnen als wirklich: Wenn A ist, so ist B; aber A ist; also ist auch B. Entsprechendes gilt für den disjunktiven Schluss, in welchem statt29 eines ,Diesen Subjekts' eben ein ,Dieses Prädikat' rein und unvermittelt gesetzt wird. ) Verlangt wird also ein im terminologischen Sinn .begrifflicher' Nachfolger jener einzelnen Substanz, die in der Wechselwirkung thematisch war, der (anders als die einzelne Substanz) sich in seiner Verwirklichung als sich selbst erhält, statt sich in einen unendlichen Prozess des Differierens von sich zu verlieren. Diese Zielbestimmung formuliert Hegel als eine Bestimmtheit, ,die das allgemeine sich selbst gleiche in seinem 30 Wege des anderswerdens bleibt' - in markantem Gegensatz zur Einfachheit der Substanz, die gänzlich 31 außer der Bewegung des Anderswerdens ihrer selbst qua sich verwirklichender fällt. Seine Vorstellung gelingender Individualität formuliert Hegel auch sonst in der Schlusstheorie in auffälliger Anlehnung an die Substanzproblematik. Und er artikuliert den Soll-Zustand als ein Allgemeines, das sich im Gegensatz zur Substanz nicht als Möglichkeit auf seine Bestimmtheiten bezieht, um erst und ausschließlich an ihnen seine Wirklichkeit zu gewärtigen, sondern an sich selbst wirklich sei.32

G W 7 , 9 8 . (Die zweite Hinzufügung in Klammern im Zitat vom Verfasser, BB) 29

Zum hypothetischen Schluss s. ebd.; auf den disjunktiven Syllogismus geht Hegel in GW7, 100 ein. 30

GW 7,102.

31

Vgl. GW7,74. So rekonstruiere ich den Sinn des offenbar verderbten Passus in GW 7, 102. Das Subjekt sei die Indifferenz der unendlich vielen Bestimmtheiten, heißt es dort, ,aber als allgemeines, nicht als Substanz gesetzt, sondern, daß an und für sich nicht die Möglichkeit bezogen auf die Bestimmtheiten, oder nur an ihnen ist, sondern an sich selbst'. Vgl. die vom Herausgeber

32

UNENDLICHE BESTIMMTHEIT UND WAHRHAFTE INDIVIDUALITÄT

209

Hegel kontrastiert logisches Subjekt und Substanz in ähnlicher Weise ein paar Seiten zuvor, indem das als Substanz gesetzte Subjekt ein solches wäre, das gegen entgegengesetzte Prädikate gleichgültig wäre; diese aber wären „als Accidenzen in ihrer Wirklichkeit, in der sie als einzelne Bestimmtheiten gesetzt werden sollen, mit der Möglichkeit oder dem nichtgesetztseyn afficirt' ,33 Das Anundfürsichsein des logischen Subjekts qua Allgemeinem besagt, dass es gegenüber seiner Bestimmtheit überhaupt als Faktor begriffen werden muss: Im Unterschied zum SubstantialitätsVerhältnis, in dem das Prozessieren der Bestimmtheiten ein zwar notwendiges, aber blindes, der Substanz äußerliches Geschehen darstellt, sollen die Bestimmtheiten des logischen Subjekts als solche begriffen werden, an denen das Subjekt sein negatives Verhalten gegen Anderes zum Ausdruck bringt und in diesem Sinne handelt. Dies bedeutet mehr als bloße Tätigkeit, als welche die Substanz in der Bestimmung der Ursache gesetzt worden war.34 Das Sichselbstgleichsein ,in seinem Wege des anderswerdens'35 muss vielmehr als selbsterhaltende Praxis verstanden werden. Hierdurch kommen freilich Bestimmungen ins Spiel, die nicht im gewöhnlichen Verstand als logische Bestimmungen gelten - Handlung, Selbsterhaltung, später auch Leben. Erhellend und eigentlich vertretbar wird dies allerdings erst vor dem substanzphilosophischen Problemhintergrund, der Hegels Gedankengang in dieser frühen Logik motiviert. Die Einheitskonzeption im Verhältnis des Seins erscheint einerseits als eine innerlich leere Einheit, andererseits (in ihrer Realisation im Übergang zum Verhältnis des Denkens) als eine zwar erfüllte, aber erstarrte, entwirklichte, nur virtuelle Einheit. Die Einheit als quasi-spinozanische Substanz fällt in Hegels Sicht in sich zusammen, statt zu der lebendigen Konkretion zu gelangen, die sie erst zu einem voll verständlichen und brauchbaren Modell zur Weltdeutung machen würde. Die Theorie des Schlusses ist nun der systematische Ort, an dem Hegel eine sich der spinozanischen Substanz entringende, sich setzende individuelle Subjektivität zu denken unternimmt. Dass solche im gewöhnlichen Sinn außerlogischen Bestimmungen aber das Ziel der Überlegungen sind, wie er sie in der Schlusstheorie entwickelt, macht Hegel etwas später im Text deutlich: Die .Definition', als welche sich das einzelne Subjekt schließlich realisieren soll, ist wesentlich Lebendiges, dessen Bestimmung von den

vorgeschlagene Lesart in der Studienausgabe Jenaer Systementwürfe II. Logik,

Metaphysik,

Naturphilosophie, hg. von R.P. Horstmann, Hamburg 1982,106 u. 379. 33

GW 7 , 1 0 0 f.

34

Gegenüber der Substanz in der vorangehenden Bestimmung der absoluten Möglichkeit (GW 7, 42) ist die Substanz in der Bestimmung der Ursache als Ursache ihrer selbst (causa sui) gefasst. Hier gilt: ,Die Ursache ist Substanz, nur insofern sie das von ihr ausgeschlossene Mögliche selbst als ihre Wirklichkeit bestimmt, oder indem sie wirkt'. (GW7, 44) In diesem Sinn war schon die Ursache tätige Substanz oder ,Krafft' (GW7,45). 35

Vgl. GW 7,102.

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Waffen des Angriffs oder der Verteidigung genommen worden, als demjenigen, wodurch sie gegen anderes besondere sich selbst erhalten' ,36 Dieser besondere Status des Subjekts als wahrhaftes (und nicht nur ,sogenanntes') Individuum prägt sich in zwei Aspekten aus, die untrennbar verbunden und doch voneinander zu unterscheiden sind. Ich möchte sie zunächst in praktischen Begriffen als »Freiheit von...' und ,Freiheit zu...' fassen. Diese recht geläufige Unterscheidung eines negativen und eines positiven Aspekts des Freiheitsbegriffs leistet viel zum Verständnis 37

von Hegels kritischen Ausführungen zum logischen Schluss. Die beiden Freiheitsaspekte lassen sich in den textnahen Relationsbegriffen .absolute Bestimmtheit' und .unendliche Bestimmtheit' spiegeln. Auch diese Begriffe sind untrennbar miteinander verbunden und gehen in die konstituierende Bestimmung des zu realisierenden .Dieses' maßgeblich ein. Im Schluss ist das einzelne Subjekt .als negatives Eins an und für sich selbst als absolut bestimmt. Oder in seiner Bestimmtheit absolut; die Einheit vieler und 38 zwar unendlich vieler Bestimmtheiten.'' (In der engen Zusammengehörigkeit der beiden Bestimmungen klingt übrigens bereits das Thema der Absolutheit und Nichtausbestimmbarkeit der Anschauungserkenntnis an. Das wird auch sogleich explizit, indem Hegel die .Einfachheit des dieses' als das identifiziert, ,was als absolutes Seyn, und als 3Q absolute Gewißheit sich im gemeinen Erkennen als absolute Wahrheit geltend macht.' ) Doch gerade in der supponierten Einfachheit des Dieses liegt die Ambivalenz der absoluten Bestimmtheit. Diese dürfte man sich vielleicht am besten wie die Musilsche Eigenschaftslosigkeit vorstellen. Ein Mann ohne Eigenschaften, erklärt Musil in einer seiner denkwürdigen Kapitelüberschriften, ist ein Mann mit allen Eigenschaften, aber sie sind ihm gleichgültig.40 Dieses Losgebundensein von sich als Bestimmtem oder die Freiheit von der eigenen Bestimmtheit ist eine wesentliche Bedingung dafür, überhaupt ein Subjekt im Sinne vom Substrat zu sein, näher aber auch für die Möglichkeit, Ich sein und sagen zu können. Aber sie ist zugleich eine wesentlich ergänzungsbedürftige Bedingung. Denn ohne die Bestimmtheit, als die das Subjekt ist und im Falle des Selbst als die es sich identifiziert, bleibt das Subjekt nur die leere Möglichkeit, ja im Grunde GW7.106. Man beachte dort auch die Skalierung der Individualitätsgrade von tierischem Organismus über Pflanzen bis hinunter zu anorganischen Stoffen, die an der Schwelle zum In37

38 39

40

dividualitätslosen stehen. Diese und die folgenden Ausführungen erforderten, um ihren vollen Wert als Erklärung von Hegels Argumentationsgang in der Schlußtheorie von 1804/05 zu realisieren, eine tiefgreifendere Diskussion der Beziehung zwischen negativer oder theoretischer Freiheit und positiver, sittlicher Freiheit in Hegels Denken, als ich hier geben kann. Ich meine, dass die Erfüllung dieses Desiderats (die ich vorerst noch schuldig bleiben muss) mit der angebotenen Rekonstruktion konsistent sein würde. GW7.98. GW7,98f. Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften. Bandi. Erstes u. zweites Buch, hg. von A. Frise, neu durchgesehene und verbesserte Ausgabe, Hamburg 1978,151 ff.

UNENDLICHE BESTIMMTHEIT UND WAHRHAFTE INDIVIDUALITÄT

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eine Unmöglichkeit. Dieser geforderte Inhalt des absolut Bestimmten liegt nun in den unendlich vielen Bestimmtheiten.41 Sie sind es gewissermaßen, wozu das Subjekt frei ist oder es sein soll. Indem es sich in ihnen als seinen einrichtet, wird es Charakter; sein Dasein wird zum Ausdruck seiner selbst. Aber die Bestimmtheit gewährt nicht ohne weiteres die Individualität des Subjekts. Denn solange dieses nur als abgetrennte Möglichkeit derselben ist, reißen sie es über sich hinaus in eine unendlich prozessierende Wirklichkeit, die als die des Subjekts nicht mehr zu erkennen ist. Gelingende Individualität wäre die Synthese dieser beiden Aspekte. Wie die unendliche Bestimmtheit, so hat auch die absolute Bestimmtheit in der widersprüchlichen Einheit des bestimmten Begriffs ihre Herkunft, wobei sich der bestimmte Begriff wiederum aus der Substanz ergeben hatte. Als negative Einheit ist das Dieses Einheit Entgegengesetzter und insofern Bestimmtheit überhaupt. Als in sich Reflektiertes oder, wie Hegel sagt, ,DIE ALLGEMEINHEIT an sich selbst, ALS SUBSUMIRT habend,' sind die Bestimmtheiten des Diesen nicht (wie im Seinsverhältnis) gegeneinander gekehrt, sondern ,nur andere für einander'.42 Sie sind auf diese Weise, indem sie nicht als schlechthin vergehende sind, überhaupt solche, die man aufzählen könnte eine Tatsache, die unter vollentwickelten Bedingungen für ihre kognitive and praktische Rolle von großer Bedeutung sein würde. Aber wie die unendlichen Bestimmtheiten gegeneinander gleichgültig sind, ist es auch das absolut Bestimmte gegen sie als seine Bestimmtheiten. Das absolut Bestimmte ist als Reflexion in sich das Allgemeine, aber nur indem es .unendlich viele Eigenschafften hat; sie [sc. die Allgemeinheit] ist eben diß an ihm seyn derselben' 43 Die geforderte Realisation des Subjekts als einzelnen besteht darin, dies sein widersprüchliches Ansich so an sich selbst darzustellen und auszudrücken, dass es sich seines Wesens expressiv bemächtigt und sich als Individualität konstituiert. An dieser Forderung gewinnt Hegel den Maßstab seiner kritischen Betrachtung der Schlussformen. Nach diesem langen Vorlauf erscheinen Hegels einzelne Analysen der hypothetischen, disjunktiven und der von ihm so genannten .einfachen' Schlussform als relativ einfache Anwendungsfalle der bisher entwickelten Kategorien. Das einzelne Subjekt, wie es im hypothetischen Schluss gesetzt ist,44 soll an sich Allgemeines sein, indem es die Einheit seiner unendlich vielen Bestimmtheiten ist. Die theoretische Situation entspricht derjenigen von Hegels eingangs betrachteter Argumentation hinsichtlich des prädikativ nicht ausbestimmbaren (Pseudo-) Individuellen. Hier soll das Dieses die inhaltvolle Totalität seiner Bestimmtheiten, aber unter der Form Vgl. GW7, 99: ,[D]as dieses ist nicht diß leere, sondern die Reflexion in sich selbst, die Bestimmtheit als Totalität, deren Form eben das Dieses, das numerische Eins ist; aber es hat als Totalität einen Innhalt, es ist die in dem entgegengesetzten sich erhaltende Einheit, und das entgegengesetzte ist wie gezeigt, die Bestimmtheit als Vielheit, aber als vollendete Vielheit'. 42

43 44

GW7,98. Ebd. (Einfügung in Klammern im Zitat vom Verfasser, BB.) Vgl. GW 7,98-99.

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des numerischen Eins sein. Doch solche Totalität ist für das so verfasste Dieses prinzipiell ausgeschlossen. Als Totalität soll die Vielheit seiner Bestimmtheiten .vollendete Vielheit' sein; aber das Dieses, dessen Bestimmtheiten sie sein sollen und welches ihre Einheit sein soll, ist gegen sie gleichgültig, und sie haben darum ,die Einheit außer sich'.45 Hier greift also die Dialektik der Vielheit und Allheit der numerischen Eins, die bereits unter dem Titel ,einfache Beziehung' entfaltet wurde: Wenn die vielen ihre Einheit in sich hätten, so wären sie Alle in Hegels strenger Verwendung der Kategorie; aber sie haben die Einheit außer sich; also sind sie gemäß Hegels mit Bedacht formulierter Schlussfolgerung »schlechthin nicht Alle,'46 Als die unendlich bestimmte Totalität, als die es sein soll, kann sich das absolut bestimmte Dieses aus prinzipiellen Gründen nicht konstituieren; seine aufzählbaren Bestimmtheiten oder Eigenschaften sind an sich unvollendbar, schlecht unendlich. Deshalb sagt Hegel, ,das reine: Dieses löst sich unmittelbar in Nichts auf', 47 weil sein einziger Inhalt als Einheit die Totalität seiner Bestimmtheiten gewesen wäre, die aber schlechthin nicht zustande kommen kann: Seine Eigenschaften sind nicht seine·, das Dieses bleibt nur eine absolut leere, chimärische Einheit in der absoluten Dispersion. - Damit ist die Prämisse für Hegels eingangs zitiertes Argument aus der Phänomenologie des Geistes eingeholt. Betrachten wir aber abschließend noch seine Behandlung der anderen zwei Schlussformen, um zu einem Urteil darüber zu finden, ob denn sein so rekonstruiertes Argument tatsächlich auch ins Ziel gelangt. Wenn das Subjekt nicht das Allgemeine als Totalität subsumieren kann, so mag es wohl seinerseits durch das Allgemeine subsumiert sein; mit dieser Überlegung geht Hegel zum disjunktiven Schluss über. Jedoch auf diese Weise fällt das Subjekt ebenfalls in die Substanz zurück, denn es hat seine Wirklichkeit nicht mehr an sich selbst, sondern vielmehr erst an den einzelnen, sich gegenseitig ausschließenden Bestimmtheiten, die im disjunktiven Schluss als unmittelbar wirkliche an ihm gesetzt werden.48 Damit ist in der logischen Sphäre eine Beziehung zwischen dem Subjekt und seinen Prädikaten gesetzt, die zur Beziehung der absolut-möglichen Substanz auf ihre sie verwirklichenden, aber entindividualisierenden Akzidenzien genau analog ist. Kein Prädikat genießt einen echten Vorzug vor dem anderen; keines kann gesetzt werden, ohne die anderen, von ihm ausgeschlossenen, ebenfalls zu setzen, und das zu bestimmende Subjekt verbleibt entweder in der Bestimmungslosigkeit oder es erhält eine nur zufällige Bestimmung und zerreibt sich in der unendlich fortsetzbaren Vergleichung unter wechselnden, mehr oder minder gleich äußerlichen Gesichtspunkten. Mit dem so genannten einfachen Schluß'49 sieht es nicht viel besser aus. Hegels Behandlung desselben ist im Grunde nur die Fortsetzung seiner Kritik am disjunktiven 45

GW7,99.

46 47 48 49

Ebd. Zur Dialektik der Vielheit und Allheit der numerischen Eins s. G W 7 , 7 - 1 1 , bes. 10 f. GW7,99. GW7,100. GW7, lOOf.

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Schluss. Eine der unendlich vielen, als bestehend gesetzten Bestimmtheiten, wird als Merkmal selektiert, um das Subjekt mit einem bestimmten bzw. mit dem reinen Allgemeinen zu verbinden.50 Dies führt nun nach Hegel ebenfalls in die Bestimmungslosigkeit. Denn entweder (1) das reine Allgemeine oder (2) das bestimmte Allgemeine wird auf das Subjekt bezogen. Im ersten Fall versteht Hegel unter dem .reinen Allgemeinen' offenbar das reinstmögliche Allgemeine, denn dessen Beziehung auf das bestimmte Subjekt wäre gerade das Aufheben der Bestimmtheit.51 Im anderen Fall dagegen ist das Allgemeine, das mit dem bestimmten Subjekt verbunden werden soll, selbst ein bestimmtes Allgemeines. Auch hier wird nach Hegel alle Bestimmtheit aufgehoben. Denn zum einen ist das bestimmte Allgemeine nur eine von unendlich vielen Bestimmtheiten und die entsprechende prädikative Bestimmung daher rein zufällig. Zum anderen ist das Subjekt an sich ja negative Einheit und somit Einheit Entgegengesetzter. Folglich lässt sich immer eine andere zufällige Bestimmtheit finden, die zur ersten im Widerspruch steht. Also endet auch der einfache Schluss in Beliebigkeit und Widerspruch und alle Bestimmtheit, a fortiori aber alle Individualität ist aufgehoben.

IV. In all diesen Überlegungen findet man Gründe für Positionen, die feste Bestandteile von Hegels gesamter Philosophie bilden. So liefern die letzten Ausführungen zur disjunktiven und einfachen Schlussform Gründe für Hegels wiederholt vorgetragene Kritik an der ,formellen' oder mit Düsings Wort: ,diskursiven' Allgemeinheit, die an einzelnen Merkmalen oder Gruppen von Merkmalen ansetzt und von dort aus zur Klassenbildung 52

schreitet. Solche Allgemeinheit lässt nach Hegel das zu Bestimmende wesentlich unbestimmt - und wären es auch unendlich viele Prädikate, die man zu seiner Bestimmung aneinanderreihte, so blieben sie doch zufällig, unvollständig, wesenlos. - Hegels Schluss auf die Nichtigkeit des sinnlich Einzelnen ist unter den rekonstruierten Prämissen ebenfalls gültig. Aber ist er auch wahr und liefert er tatsächlich Ansätze zur WiderUnter einem .bestimmtem Allgemeinen' hat man sich eine bestimmte Eigenschaft oder ein bestimmtes Prädikat zu denken, die oder das anderen Eigenschaften oder Prädikaten derselben Art beigeordnet ist (z.B. rot neben blau, gelb usw.). .Reiner' wäre demgegenüber ein diese bestimmten Prädikate umfassendes .Allgemeines' (etwa .Farbe', .Farbig-sein'). Man sieht übrigens an diesem Argument ein Beispiel dafür, wie Hegel im Logik-Entwurf von 1804/05 die Prämissen seiner Folgerungen nicht nur häufig in der Implizitheit belässt, sondern sich bestimmter Aspekte der kritisierten ,diskursiven' Auffassung von Begriffen bedient, wo es seinen Zwecken entgegenkommt. So wird die Bedeutung des Allgemeinen, fürsichseiende Reflexion in sich zu sein, hier mit der diskursiven Bedeutung vermischt, das (relativ) Unbestimmte zu sein. Ohne diese Vermischung käme das Argument nicht zustande. Besonders nachdrücklich ist diese Kritik in der Wissenschaft der Logik. S. GW 12, 37ff. und bes. 212-219.

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BRADY BOWMAN

legung der Auffassung, das Absolute sei nur anschauend zu erkennen? Ich meine, er tut es nicht. Betrachten wir Hegels Überleitung zur gelingenden Individualität des mit seiner Definition identischen Subjekts am Ende des Abschnitts über die Realisation des Subjekts als Einzelnem, so hat sie etwas Dogmatisches an sich. Die Formen des Schließens wurden einst mit der Vernunft, der Rationalität selbst identifiziert.53 Angelangt am Ende seines (1804/05 freilich nicht ausführlichen) kritischen Durchgangs durch diese Formen, findet sie Hegel unfähig, das zu leisten, was der ihnen zugewiesene systematische Ort von ihnen verlangt: Individualität als Einheit der Reflexion in sich und des Anderswerdens darzustellen, begreiflich zu machen. Er findet sie unfähig, die geforderte Realisierung des Subjekts als Einzelnem zu vollbringen, und er erklärt das Problem kurzerhand für trotzdem gelöst. ,Und es ist etwas ganz anderes als diese Verbindung,' setzt er an, ,was durch den Schluß ist. Das Subject als absolut bestimmtes durch die Bestimmtheit mit dem bestimmten Allgemeinen, und durch seine unendlichen Bestimmtheiten mit dem rein allgemeinen [verbunden], ist in der That an und für sich in seiner Bestimmtheit ein allgemeines'.54 Dieser Übergang ist rein negativ motiviert und vollzieht sich genau genommen als Sprung. Weil die gelingende Individualität sein soll, wird die Individualität gesetzt. In der Weise des unendlich Bestimmten kann freilich keine Individualität, kein Selbstsein der Substanz abgerungen werden. Das bedeutet aber, dass die sinnliche Anschauung, welche Hegel zu Beginn der Phänomenologie kritisieren wird und 1804/05 bereits in allen wesentlichen Bestimmungen vorwegnimmt, und die von sich aus beansprucht, sinnliche Anschauung des Absoluten zu sein - diese Anschauung verfällt Hegels Kritik nur und ausschließlich insofern, als sie in der unendlichen Bestimmtheit des Seins auch Individualität, zentriertes und sich erhaltendes Selbstsein zu erblicken vermeint. Nur in dieser Rücksicht teilt sie Hegels Prämissen und nur in dieser Rücksicht kann er sie widerlegen. Von der supponierten Intention auf Individualität befreit, entgeht das Anschauen des unendlichen Jetzt und Hier Hegels vernichtender Kritik. Die Individualität des Absoluten wird zumindest 1804/05 nicht mit Mitteln eingeholt, die sie aus der spekulativen Betrachtung der Syllogistik einsichtig darzutun vermöchten. Die Rationalität bleibt hier nur formelle, durch Selbsterhaltung diktiert, und ihre Gründe verlieren sich in einem Absoluten, das nur selbstlos von sich unendlich differiert.

54

Aber siehe Hegels eigene Ausführungen zu dieser Tradition in GW 12,90ff.! GW 7,102.

MYRIAM BIENENSTOCK

Zur Revision der praktischen Philosophie Hegels in dem Systementwurf von 1805/06

In seinen Vorlesungen von 1803/04 über ,Das System der speculati ven Philosophie' entwickelt Hegel in der ,Philosophie des Geistes' eine Parallele zwischen theoretischer und praktischer Philosophie. Wenn man sich auf den .Standpunkt des gemeinen Bewußtseyns' beschränkt, (GW 6, 291) das ,nur auf den Gegensatz des Bewußtseyns sieht', (GW6, 277 f.) so führt er aus, dann sei es unmöglich, Sprache, Verstand und Vernunft, d.h. die theoretische Erkenntnis insgesamt, zu erklären. Und es sei ebenso unmöglich, von diesem Standpunkt aus die praktische Tätigkeit der Individuen zu verstehen. Denn die praktische Philosophie sei, ebenso wie die theoretische, eine Philosophie des Geistes. Diese sei zwar im Bewusstsein verankert. Doch sei das Bewusstsein nichts anderes als der .Begriff' des Geistes; was bedeutet, dass der Geist - der Geist eines Volkes, d.h. das Leben dieses Volkes - in ihm enthalten ist. Die praktische Tätigkeit sollte also von diesem Geiste her verstanden werden.1 In seinen Vorlesungen über ,Realphilosophie' von 1805/06 bedient sich Hegel bei der Behandlung dessen, was 1803/04 praktische Philosophie heißt, einer anderen Terminologie. Der Grundbegriff dieses Teils der Philosophie ist jetzt der Begriff des Willens (GW 8, 202 ff.) - ein Begriff, der in den Fragmenten der Vorlesungsmanuskripte von 1803/04 eigentlich nicht vorkam. Vom Staat behauptet Hegel jetzt, dass er sich aus den Willen der Einzelnen, als allgemeiner Willen konstituieren muss. (GW 8, 256f.) Ebenso wie in den Jahren 1803/04 zieht er aber eine Parallele zwischen den Abschnitten, die an die Stelle der theoretischen und der praktischen Philosophie treten. Dem Text von 1805/06 zufolge kann man zeigen, ,wie die Stufen der Intelligenz und des Willens sich entsprechen'. (GW 8,222) Auch jetzt ist dieser Teil seiner Philosophie eine Philosophie des Geistes, nicht eine Philosophie des Bewusstseins: er bezieht Intelligenz und Willen auf den ,Geist', nicht auf das ,Bewußtseyn'} Hegel dürfte sich also weniger weit von der Position entfernt haben, die er einige Jahre vorher vertreten hat, als der terminologische Wandel es nahe zu legen scheint. Vom Jahre 1802 an bis zum Ende seines Aufenthaltes in Jena stellt er sich primär die Aufgabe, eine Philosophie des Geistes zu entwickeln, nicht eine Philosophie des Bewusstseins. Es ging ihm um eine Philosophie, in der sich Theorie und Praxis entspre1

S. z.B. GW6,273-279.

2

S. z.B. G W 8 , 2 2 2 f .

216

M Y R I A M BIENENSTOCK

chen. Manfred Riedel scheint also seinerzeit zu weit gegangen zu sein, als er in den Jahren 1805/06 eine ,Umkehr' von Hegels früherer Philosophie sehen wollte. Ebenso dürfte er darin zu weit gegangen sein, diese .Umkehr' als die letzte Stufe eines Auflösungsprozesses der traditionellen praktischen Philosophie zu deuten.3 Riedel hatte drei Gründe oder .Bedingungen' angeführt, die es der dialektischen Vorgehensweise Hegels seiner Meinung nach erlaubten, diese Auflösung zu vollbringen: (1) Hegel hätte sich dem Kantischen Gedanken der Autonomie des Willens angeschlossen; (2) er hätte die Nationalökonomie in die Konstruktion der praktischen Philosophie einbezogen; (3) schließlich hätte er die praktische Philosophie mit der Dimension der Geschichte verbunden.4 Bereits die These, nach welcher Hegel die Kantische Idee der Autonomie des Willens übernommen hätte, könnte kontrovers diskutiert werden. Ebenso wäre es möglich, die ganze Perspektive Riedels in Frage zu stellen, nach der die Kantische Philosophie und besonders die Kantische Konzeption der praktischen Philosophie im Zusammenhang der Entwicklung zu einer Auflösung der traditionellen praktischen Philosophie stünde. - In den folgenden Ausführungen soll es indessen weniger um die weiter reichende Frage nach der Rolle gehen, die Hegel in der Transformation der praktischen Philosophie im 19. Jahrhundert spielte, als vielmehr lediglich um die Frage, ob die drei Bedingungen' Riedels als eine angemessene Beschreibung dessen gelten können, was Hegel in Jena, insbesondere in den Jahren 1805/06, in Anbetracht der Transformation der praktischen Philosophie geleistet hat. Die drei genannten .Bedingungen' Riedels sollen also im Hinblick auf die Entwicklung der Hegeischen Philosophie in Jena untersucht werden. Da in den folgenden Ausführungen, der Themenstellung dieses Bandes entsprechend, nur auf Hegels Jenaer Schriften eingegangen werden soll, steht in ihrem Mittelpunkt die zweite .Bedingung' Riedels: Hegels Jenaer Einbeziehung der politischen Ökonomie und seine neue Konzeption der Arbeit. Auch wenn es nicht zutrifft, dass Hegels Interesse für die politische Ökonomie zeitlich erst in seinen Schriften der Jenaer Periode anzusiedeln ist - wie besonders auch die Studien von Norbert Waszek zeigen, sind die Ursprünge dieser Beschäftigung früher zu suchen5 - so äußerte sich dieses Interesse doch zweifellos in Jena am stärksten. In den Jahren 1805/06 geht Hegel sogar so weit, zu behaupten, dass die erste Äußerung des Willens die Arbeit ist, d.h. die Tätigkeit,

Vgl. hierzu und zum Folgenden M. Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie,

Frankfurt/M.

1969, insbesondere die Artikel .Hegels Kritik des Naturrechts' (1967), 42-74, hier 60f., und .Objektiver Geist und praktische Philosophie' (1968), 11-41, hier 16f. Riedel, Studien zu Hegels Rechtsphilosophie, 17. S. N. Waszek, The Scottish Enlightenment and Hegel's account of,civil society', Dordrecht u.a. 1988; ders., ,Hegels Lehre von der „bürgerlichen Gesellschaft" und die politische Ökonomie der schottischen Aufklärung', in: Dialektik 3, 1955, 35-50; ders., ,„Das Gemüth des Menschen retten". Zu Hegels verschollenem Kommentar über Sir James Steuart', in: Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit, hg. von M. Bondeli und H. Linneweber-Lammerskitten, München 1999,277-293.

217

Z U R REVISION DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE HEGELS

welche Werkzeuge benutzt oder schafft. (GW 8,205) Die Konzeption des Willens, die Hegel damit entwickelt, ist keine Aristotelische, und sie ist auch eine ganz andere als diejenige Kants oder Fichtes, obwohl der Wille bei diesen beiden Autoren ebenfalls eine grundlegende Rolle spielt. Im Folgenden wird in einem ersten Abschnitt auf das Verhältnis eingegangen, das Hegel zwischen Arbeit und Willen herstellt. In einem zweiten Abschnitt, ebenfalls auf der Grundlage einer Untersuchung der Hegeischen Konzeption der Arbeit, soll dem Verhältnis nachgegangen werden, das Hegel zwischen praktischer Philosophie und Geschichte herstellt - und damit auch der Frage, wie Hegel mit seiner Philosophie des Geistes die traditionelle praktische Philosophie transformiert.

I. Zu Recht hat Andreas Arndt schon vor einigen Jahren die Zweideutigkeit des Hegelschen Arbeitsbegriffes und die manchmal metaphorische Weise hervorgehoben, in der Hegel diesen Begriff verwendet, insbesondere, wenn er die Tätigkeit des Geistes selbst als Arbeit charakterisiert.6 Auf überzeugende Weise hat Arndt auch gezeigt, dass Hegel den Begriff der Arbeit sehr früh, viel früher als 1805/06, mit dem Reflexionsbegriff in Verbindung bringt. Diese Verbindung gehe auf die Zeit zurück, als Hegel im Jahre 1797 von Bern nach Frankfurt übersiedelt. Damals setzt sich Hegel mit Hölderlins Konzeption der Philosophie auseinander, die eine Theorie der Arbeit als poiesis enthält. Diesen Thesen möchte ich lediglich hinzufügen, dass es zur Erhellung des Sinnes dieser etwas überraschenden Verbindung von Arbeit und Reflexion nützlich wäre, nicht nur auf Hölderlin und seinen Freundeskreis und auf die Auseinandersetzung dieser Gruppe mit Fichte zurückzukommen, sondern auch viel direkter auf denjenigen, der eine grundlegende Inspirationsquelle der ganzen Gruppe war, nämlich auf Rousseau. Selbst wenn diese Quelle bei der ersten Lektüre der einschlägigen Texte weniger offensichtlich ist, gehört Rousseau in den Jahren 1803/4, und sicherlich noch früher, sehr wohl bereits zum Hintergrund der praktischen Philosophie Hegels. Auf einen früheren Artikel über Hegels Auseinandersetzung mit Rousseau zurückη

greifend, sollen hier nur einige besonders wichtige Punkte dieses Bezuges hervorgehoben werden. Hegel ist damals natürlich nicht der einzige, der sich mit Rousseau beschäftigt. Fichte und Schelling, Hölderlin und sein Freundeskreis lesen ebenfalls Rousseau und suchen dort ihre Inspiration. Wie es auch Arndt bereits feststellt, ist es eben doch Rousseau, der die Quelle Sinclairs war, als dieser die Verknüpfung von ArS. A. Arndt, ,Zur Herkunft und Funktion des Arbeitsbegriffs in Hegels Geistesphilosophie', in: Archiv für Begriffsgeschichte XXIX, 1985,99-115. M. Bienenstock, ,Der Wille bei Rousseau und beim Jenaer Hegel. Zur Entstehung von Hegels Philosophie des subjektiven Geistes', in: Psychologie

und Anthropologie

oder Philosophie

Geistes, hg. von F. Hespe und B. Tuschling, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991,134-154.

des

218

MYRIAM BIENENSTOCK

beit und Reflexion herstellt. - Es ist daran zu erinnern, dass bereits Rousseau vom .Zustande der Reflexion' behauptet, dass er ,ein Zustand wider die Natur ist und daß der Mensch, der „nachsinnt" (qui médite), ein depraviertes Tier ist'. 8 Bekanntlich wurden diese Sätze von Voltaire und vielen anderen nach ihm als ein Aufruf zur Rebellion gegen die moderne Kultur und für die Rückkehr zum Naturzustand, d.h. zu einem tierischen Zustand, interpretiert. Diese tendenziöse Interpretation Voltaires ist sowohl von Fichte, als auch von Schelling übernommen worden: als Fichte in der fünften seiner Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten (1794) den .zweiten Diskurs' von Rousseau kommentierte, hatte er in diesem Sinne von dessen Autor gesagt, dass er ,mit aller Uebermacht [arbeitet], die [...] seine vorzügliche Bildung ihm gab [...], um wo möglich die gesammte Menschheit von der Richtigkeit seiner Behauptung zu überzeugen, um sie zu überreden, in jenen von ihm angepriesenen Naturzustand zurückzukehren.' Er hatte aber hinzugefügt, dass die Natur im Menschen das Leben der Sinne, nicht jedoch das Leben des Geistes bestimme. In den Naturzustand zurückkehren zu wollen, würde aus dem Menschen ein Tier und kein menschliches Wesen machen, und entspräche nun sicher nicht der Intentionen Rousseaus. Was Rousseau gewollt hätte, wäre nicht die Rückkehr zur tierischen Natur gewesen, sondern lediglich die Unabhängigkeit von den Bedürfnissen, die mit den Sinnen und der Sinnlichkeit verbunden sind, und diese Unabhängigkeit ließe sich über den Weg der Kultur und des Fortschritts nicht erwerben: .Rousseau wollte nicht in Absicht der geistigen Ausbildung, sondern bloss in Absicht der Unabhängigkeit von den Bedürfnissen der Sinnlichkeit den Menschen in den Naturzustand zurückversetzen. Und es ist allerdings wahr, dass so wie der Mensch seinem höchsten Ziele sich mehr nähert, es ihm immer leichter werden muss, seine sinnlichen Bedürfnisse zu befriedigen; dass es stets weniger Mühe und Sorge machen muss, sein Leben durch die Welt hinzubringen; dass die Fruchtbarkeit des Bodens sich vermehren, das Klima stets milder werden, eine unzählige Menge neuer Entdeckungen und Erfindungen gemacht werden müssen, um den Unterhalt zu vervielfältigen und zu erleichtern; dass ferner, so wie die Vernunft ihre Herrschaft verbreiten wird, der Mensch stets weniger bedürfen wird, nicht - wie im rohen Naturzustande, weil er die Annehmlichkeit desselben nicht kennt - sondern, weil er sie entbehren kann. [...] Wird dieser Zustand als idealisch gedacht, - in welcher Absicht er unerreichbar ist, wie alles Idealische, - so ist er das goldene Zeitalter des Sinnengenusses ohne körperliche Arbeit, den die alten Dichter beschreiben. Vor uns also liegt, was Rousseau unter dem Namen des Naturzustandes, und jene Dichter unter der Benennung des goldenen Zeitalters, hinter uns setzen.'

9

Dies ist auch eine Rückkehr zum Naturzustand, aber zu einem Naturzustand, der noch vor uns liegt, was Schelling seinerseits in seinen Ideen zu einer Philosophie der Natur (1. Ausgabe von 1797, 2. Ausgabe von 1803) vorschlägt. Rousseau berufe sich damit auf die vergangene Zeit, in welcher eine Harmonie, eine Einheit zwischen den Menschen und der Natur bestand, um hervorzuheben, daß die .einfache Spekulation' (wie er J J. Rousseau, Diskurs über die Ungleichheit, übers, von H. Meier, Paderborn 1984, 88 f. J.G. Fichte, Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten, in: ders., Sämmtliche Werke, hg. von J.H. Fichte, Berlin 1845-1846 (Nachdruck Berlin 1971), Bd. VI, 334-346, hier 336 und 342.

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219

in der ersten Auflage ausführt) oder (wie er in der zweiten Auflage schreibt) ,die bloße Reflexion [...] eine Geisteskrankheit des Menschen', also ,ein Uebel' sei, welchem die wahre Philosophie ,nur negativem Werth' beimessen soll, ,um durch Freiheit wieder zu vereinigen, was im menschlichen Geiste ursprünglich und nothwendig vereinigt war'. 10 Selbst wenn sich Schellings eigenes philosophisches Programm zu diesem Zeitpunkt schon deutlich von demjenigen Fichtes unterschied, unterschied sich seine Lesart von Rousseau kaum von derjenigen Fichtes. Für Hegel, wie es bereits die Vorlesungsfragmente über die Philosophie des Geistes aus den Jahren 1803/4 zeigen, war der Sachverhalt ein ganz anderer. Natürlich waren seine Zeitgenossen, insbesondere Schelling und Fichte, und nicht Rousseau, damals seine ersten und wichtigsten Gesprächspartner. Wenn Hegel in den Vorlesungen von 1803/4 über die praktische Beziehung' sagt, dass sie ,eine Beziehung des Bewusstseyns' (GW 6, 299) sei, dann behandelt er damit den Reflexionsakt selbst - jenen Akt, der darin bestünde, sich selbst zu denken, sich seiner selbst bewusst zu werden, mit welchem Fichte, zum Beispiel in der zweiten Einleitung zu seiner Wissenschaftslehre (1797), das Ich identifiziert hatte.11 Aber Hegel bezieht in den Vorlesungsmanuskripten von 1803/04 die .absolute Reflexion' als .praktische Beziehung' auf die ,Potenz des Werkzeugs', (GW6, 297ff.) d.h. auf die Arbeit: er führt die Arbeit in den Akt der Selbstbewusstwerdung des Individuums ein und er transformiert damit, wie ich etwas provokativ sagen möchte, die ,Reflexionsphilosophie der Subjektivität' in eine Philosophie der Arbeit. Es ist zunächst und vor allem seine Lektüre der schottischen Ökonomen, die es ihm erlaubt, diesen Weg zu beschreiten. Ohne hier auf die Einzelheiten dieser Lektüre zurückzukommen, möchte ich nur hervorheben, dass es ganz sicher diese ist, welche ihm erlaubt, sehr früh einzusehen, wie naiv die eben zitierte Prophezeiung Fichtes war, nach der ,so wie die Vernunft ihre Herrschaft verbreiten wird, der Mensch stets weniger bedürfen wird'. Was Hegels Lektüre von Rousseau in diesem Punkt interessanter und wohl auch genauer als diejenige Fichtes oder Schellings macht, ist sicher die Tatsache, dass er, im Gegensatz zu Fichte, gleichzeitig oder nach seiner Lektüre von Rousseau, auch die schottischen Ökonomen liest. - Und vielleicht wurde er auch direkt von Rousseau dazu gebracht, seine Analyse der Arbeitsteilung und ihrer Konsequenzen in den Rahmen einer Beschreibung der Weise, wie sich das Selbstbewusstsein bildet, zu integrieren. Denn weder Fichte, der die Bildung des Selbstbewusstseins, nicht jedoch die Arbeitsteilung behandelte, noch letztendlich die Schotten, welche die Arbeitsteilung im Kontext einer Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft, aber nicht im Rahmen einer Entwicklungsgeschichte des Selbstbewusstseins studierten, haben dies - im Unterschied zum Rousseau des .zweiten Diskurses' - getan. Hegels Gebrauch des Arbeitsbegriffs ist F.W.J. Schelling, Ideen zu einer Philosophie

der Natur, in: ders., Sämmtliche

Werke, hg. von

K.F.A. Schelling, Stuttgart 1856-1861, Abt.I, Bd.2, 12f. Vgl. hierzu K. Düsing, .Spekulation und Reflexion', in: Hegel-Studien 11

Fichte (1971), B d . I , 4 5 8 f .

5,1969,95-128.

220

MYRIAM BIENENSTOCK

indessen keine Übertragung eines ökonomischen Begriffs auf die Problematik des 12

Selbstbewusstseins. Um die Ursprünge dieses Begriffs und den Gebrauch, den Hegel davon macht, zu erhellen, scheint es unumgänglich, dem Rousseau des .zweiten Diskurses' größere Beachtung beizumessen. Vielleicht sind es die vehementen Akzente des ,zweiten Diskurses' gewesen - die allerdings auch schon von den schottischen Philosophen wahrgenommen worden waren - , die Hegel dazu führen, dem folgenden Paradox einen so weiten Raum zuzuweisen. Dieses Paradox begegnet uns in allen Jenaer Schriften wie ein Leitmotiv: je mehr die Menschen die Natur beherrschen, um so stärker sind sie ihr doch unterworfen. Durch die Entwicklung der Arbeitsteilung, insbesondere durch die Einführung der Maschinen in den Arbeitsprozess, wird der Mensch in einer Hinsicht Herr und Meister über die Natur: er lässt die Natur für sich arbeiten, er spielt ihre Gesetze gegen sie aus, um seine eigenen Ziele zu verwirklichen, seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. In anderer Hinsicht handelt es sich dabei um einen ,Betrug', der sich schließlich gegen den Menschen selbst wendet: , Aber jeder Betrug, den er gegen die Natur ausübt, und mit dem er innerhalb ihrer Einzelnheit stehen bleibt, rächt sich gegen ihn selbst; was er ihr abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst.' (GW 6,321) Diese Beschreibung, die Hegel bereits in den Texten der Jahre 1803/04 ausführlich bietet, kehrt in den Fragmenten der Jahre 1805/06 wieder. Hegel behandelt dort die Verwendung von Werkzeugen in der menschlichen Arbeit, anders ausgedrückt in seinem praktischen Bezug auf die Natur, als ,List'. Die Bezeichnung ,List' bringt vielleicht noch deutlicher als diejenige des .Betrugs' zum Ausdruck, wie weit der Jenaer Hegel davon entfernt ist, die Natur einfach ,als ein wesentlich bestimmtes und todtes' zu betrachten, wie es Fichte laut Hegels Differenzschrifi getan haben soll (GW4, 50): gegen etwas Totes setzt man keine ,List' ein, wohl aber bedient man sich der List gegen einen lebendigen Feind, ein menschliches oder menschenähnliches Wesen, einen Feind, dem eigene und unvorhersehbare Absichten zugesprochen werden. Wenn Hegel die Natur wie ,eine blinde Macht' behandelt; wenn er behauptet, dass es tatsächlich zwei ,Mächte', zwei .Charaktere' sind, die im Verhältnis Mensch und Natur aufeinanderprallen: der Mann und die Frau; wenn er schließlich den .weiblichen' Charakter der Strategie hervorhebt, die darin besteht, Werkzeuge gegen die Natur einzusetzen, (GW 8,206 f.) denkt er offenbar immer an eine Konzeption der Natur als lebendige Kraft - eine Konzeption, die sich zum Beispiel bei Hölderlin findet, wenn dieser 1799 schreibt, dass der Mensch nicht ,Meister und Herr' über die Natur sei, sondern dass er sich eher ,in aller seiner Kunst und Tätigkeit bescheiden und fromm vor dem Geiste der Natur beugen [muß], den er in sich trägt, den er um sich hat, und der ihm Stoff und Kräfte giebt; denn die Kunst und Thätigkeit des Menschen, so viel sie schon gethan hat, kann doch Lebendiges nicht hervorbringen, den Urstoff, den sie umwandelt, bearbeitet, nicht selbst erschaffen, sie kann die

12

Vgl. Arndt (1985), 101.

Z U R REVISION DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE HEGELS

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schaffende Kraft entwikeln, aber die Kraft selbst ist ewig und nicht der Menschenhände Werk.' 13

Aber Hegel akzeptiert nicht diese Position, die Hölderlin hier einnimmt. Er scheint die List vielmehr zu schätzen, die darin besteht, dass der Mensch die Natur gegen sich selbst ausspielt, dass er sich ihren Gesetzen unterwirft - um sie zu beherrschen. Darin besteht für ihn die ,Ehre der List gegen die Macht, die blinde Macht an einer Seite anfassen, daß sie sich gegen sich selbst richtet'. (GW8, 207) Schon im Jahre 1803 war er so weit gegangen, ,das Wesen des Geistes' durch seinen Gegensatz zur Natur zu definieren: ,das Wesen des Geistes ist diß, daß er sich einer Natur entgegengesetzt findet'. (GW5,370) ,Die Natur', so steht es in dem Fragment eines Vorlesungsmanuskripts von 1803 über deren Verhältnis zum Geist, ,hat nur Macht indem sie ein ihm fremdes ist'. Der Geist,entreißt sich der Macht der Natur, indem sie aufhört, ein anderes zu seyn als er ist'. (Ebd.) Selbst wenn die Konzeption der Natur, die er damit entfaltet - die Natur als ,Andersseyn' des Geistes - nicht Fichteanisch war (noch übrigens Schellingianisch): so spielte bei dieser Entfaltung Fichte dennoch eine Rolle, als Gegenspieler oder besser als Diskussionspartner, an dessen Ansichten sich Hegel messen wollte. Er behauptet damals, dass sich das Bewusstsein nur durch und in der Opposition zur Natur, in und durch die Reflexion, in der Natur wieder finden kann. Die Vorlesungsmanuskripte von 1803/04 und schließlich diejenigen von 1805/06 greifen dieses Argument wieder auf und entwickeln es weiter. Hier zeigt sich, dass in der Tat gegen die eingangs zitierten Thesen Manfred Riedels (s.o.) keine ,Umkehr' in Hegels Begriff der Natur festzustellen ist - auch nicht in seiner Verwendung der einschlägigen Terminologie Fichtes. Aber es gibt gewiss bemerkenswerte Akzentverschiebungen: 1805/06 drückt sich Hegels Wertschätzung der ,List' des Menschen bei der Arbeit viel deutlicher aus, als 1803 und 1803/04. Dabei scheint er auch die theoretische Haltung (,das theoretische Zusehen'), durch die der Mensch zum Herrn und Besitzer der Natur geworden ist, viel offener zu bewundern als in den früheren Jahren. Was es dem Menschen erlaubt, bei seiner Arbeit Erfolg zu haben und die Natur weitgehend zu beherrschen, das ist nach Hegel gerade die theoretische Intelligenz. Die Entwicklung der theoretischen Intelligenz und diejenige der Arbeit, die in den Zusammenhang einer praktischen Tätigkeit gehört, sind mit einander verbunden - sie beziehen sich auf einander, antworten sich gegenseitig. Wie bereits gezeigt wurde, hat Hegel von Anfang an die Arbeit mit der Rousseauschen Idee der Reflexion verknüpft. Der Mensch, der arbeitet, ist für ihn ein Mensch, der reflektiert und der in seiner Arbeit eine Fähigkeit theoretischer Analyse und Reflexion - sein Abstraktionsvermögen - zur Geltung bringt, so ζ. B. ,die Abstraction der allgemeinen Bilder', wie das folgende Zitat verdeutlicht. ,Die Bedürfnisse sind viele. 13

F. Hölderlin, Sämtliche Werke und Briefe, hg. von G. Mieth, Darmstadt 1998, Bd.II, 770. (Brief an seinen Bruder vom 4. Juni 1799.) G. Kurz, Mittelbarkeit und Vereinigung. Zum Verhältnis von Poesie, Reflexion und Revolution bei Hölderlin, Stuttgart 1975, 120 geht sogar so weit, die These Hölderlins als .materialistisch' zu bezeichnen. Vgl. auch M. Frank, Der unendliche Mangel an Sein. Schellings Hegelkritik und die Anfänge der Marxschen Dialektik, Frankfurt/M. 1975.

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Diese Vielheit in Ich aufnehmen, arbeiten, ist die Abstraction der allgemeinen Bilder; aber ein sich bewegendes Bilden. Das fürsichseyende Ich ist abstractes\ es ist aber arbeitend; sein Arbeiten ist ein ebenso abstractes.' (GW 8, 224)14 Der Gebrauch, den Hegel 1805/6 (und noch nicht 1803/4; dies ist festzuhalten) von der Idee der ,Abstraction' macht, ist schon so oft untersucht worden, dass hier nur noch einmal daran zu erinnern ist, dass es für Hegel gerade das Abstraktionsvermögen ist, wodurch sich der ,Geist' beim Menschen - und noch nicht beim Tier - äußert: ,Der Geist kann sich wohl in eine Abstraction setzen, sich analysiren, und einer Existenz geben - wie das Thier nicht, - wo das Selbst, das in ein System sich legt, zur Krankheit wird; aber es hat nur augenblickliche verschwindende Existenz. Hier ist die Begierde.' (GW 8, 223 f) Die .Begierde' erhält so in der Sphäre des ökonomischen Lebens der Menschen ihren legitimen Platz - die Begierde, die Hegel nur wenige Seiten vorher sorgfältig von dem eigentlich vernünftigen Trieb unterschieden hat, und von der er behauptet, dass sie ,thierisch' sei, das ,reine Verschwinden', so dass ihre Befriedigung eine ,leere Sattheit, das einfache Selbstgefühl' ist, das es nicht zum Selbstbewusstsein bringt. (GW8, 203 f.)15 Dies erklärt auch, warum die Arbeitsteilung keineswegs zu einem Fortschritt im Selbstbewusstsein aller Arbeiter führt, sondern im Gegenteil ,zur letzten Stumpfheit', wie Hegel schon im Jahre 1803/4 schreibt. (GW 6, 323) Hier lässt sich also wiederum eine Kontinuität zwischen den Entwürfen der Jahre 1803/04 und denjenigen von 1805/06 konstatieren, bei allen vorhandenen Differenzen in der Terminologie, deren Bedeutung vielleicht größer erscheint, als sie in Wirklichkeit ist. Zu dem Gebrauch, den Hegel 1805/6 von dem Begriff des Triebes macht, ließe sich viel sagen - er übernimmt ihn zweifellos in erster Linie von Fichte, aber wie Norbert Waszek in einem Artikel über den .Trieb der Geselligkeit' bei Christian Garve gezeigt hat, lässt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Hegel in dieser Hinsicht auch von Ferguson und Garve (dem deutschen Übersetzer Fergusons) beeinflusst wurde.16 Es erübrigt sich wohl, hier in den Einzelheiten darauf zurückzukommen, wie Hegel in den Jahren 1805/06 Rousseaus Konzeption der volonté générale aufgreift. Zumindest an einen Punkt sollte dabei aber erinnert werden. Die Tatsache, dass Hegel 1805/06 seine praktische Philosophie auf den ,Willen' begründet, bildet noch keinen Bruch zu den Ideen, die er früher entwickelt hat - denn es darf nicht übersehen werden, dass das, was Hegel 1805/06 in Rousseaus Ideen über den allgemeinen Willen' wieder zu finden glaubt, letztlich nichts anderes ist als die Aristotelische These, nach welcher der Mensch von Natur ein politisches Wesen ist, die These also, die Hegel schon in den 14

Vgl. auch G W 8 , 2 0 4 f .

15

Vgl. GW6, 299f., wo gezeigt wird, wie die ,animalische Begierde' in der Arbeit gewissermaßen vermenschlicht wird.

16

S.N. Waszek, ,La „tendance à la sociabilité" (Trieb der Geselligkeit) chez Christian Garve', in: Trieb: tendance, instinct, pulsion, hg. von M. Bienenstock, Paris 2002 (Revue germanique internationale, 18), 71-85, bes. 85.

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ZUR REVISION DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE HEGELS

ersten Jahren seiner Jenaer Periode vertreten hat. In den Jahren 1805/06 wird Hegel, wie bereits 1803/04, so weit gehen zu behaupten, dass es der Geist als Geist eines Volkes sei, der sogar das Wesen der Individuen bestimme. (GW8, 254) Es ist auch deutlich, dass der .allgemeine Wille', der für Hegel die Grundlage des Staates bildet, gewiss nicht denjenigen ,abstracten Willen' zum Modell hat, der sich in der Arbeit und in der Erzeugung von Werkzeugen äußert und den Hegel in den Jahren 1805/6 mehrfach als ein ,sich zum Dinge machen' des Bewusstseins bezeichnet.

II. Im Gegensatz zu dem, was Manfred Riedel in seinen Studien zu Hegels Rechtsphilosophie behauptet, kann also Hegels erneute Verwendung von Fichtes Terminologie, die sich in seinen Entwürfen der Jahre 1805/06 findet, nicht als Ausdruck der Übernahme ,einer durch die Transzendentalphilosophie veränderten ontologischen Grundlage' betrachtet werden.17 Hegel scheint ebenso weit davon entfernt zu sein, die traditionelle praktische Philosophie ,auflösen' zu wollen, indem er sie mit der Dimension der Geschichte verbindet. Hegel verknüpft vielmehr, und zwar auf eine letztlich ziemlich klassische Weise, die sich nicht nur auf Fichte, sondern auch auf Wolff zurückverfolgen lässt, Intellekt und Willen, theoretische und praktische Philosophie. Die Bedeutung, welche er in dem letztgenannten Bereich und in demjenigen der Geschichte theoretischen Betrachtungen beimisst, stellt für sich genommen keineswegs die auf Aristoteles zurückgehende Einteilung in theoretische und praktische Philosophie in Frage. Gerade die ersten Jahre seines Jenaer Aufenthaltes sind die Zeit, in der Hegel der praktischen Philosophie des Aristoteles am nächsten steht. Da sich einige Fragmente dieser Jahre mit der Frage beschäftigen, inwiefern die Philosophie praktisch ist', (GW5, 261) scheinen sie auch der praktischen Philosophie einen privilegierten Platz, ja, sogar die Priorität einzuräumen. Deshalb kommt ihnen auch eine besondere Stellung in der modernen Bewegung einer Rehabilitierung der praktischen Philosophie zu. Diese Bewegung, an der auch Riedel seinerzeit führend beteiligt war,18 orientierte sich vorwiegend am Aristotelismus. In diesem Zusammenhang werden der Wandel in der Terminologie, den Hegel 1805/6 vollzieht, und die Gründe wegen derer er sich von Aristoteles zu entfernen scheint, entscheidende Fragen: was sind denn, Hegel zufolge, die Grenzen der praktischen Philosophie Aristotelischer Provenienz? Die Antwort, die Riedel seinerzeit auf diesen Fragenkomplex gegeben hat, ist hinreichend bekannt. Nach Riedel ist es gerade die Definition der Arbeit als ,Sich-zumDinge-Machen des Bewußtseins', d.h. als Objektivierung - er benutzt in diesem Zusammenhang auch die Begriffe der Entäußerung und der Vergegenständlichung - die 17

18

Riedel, Studien, 30; vgl. G W 8 , 2 2 4 . Vgl. Riedel, Rehabilitierung

der praktischen Philosophie,

Bd. 1, Freiburg 1972.

224

MYRIAM BIENENSTOCK

Hegel zu einer Umkehr der Grundlegung der klassischen praktischen Philosophie geführt haben soll. Hegel habe ,das Fundament der alten praktischen Philosophie umge19

kehrt,' indem er die klassische Unterscheidung von poiesis und praxis in Frage gestellt und ein Denken der Geschichte, ein geschichtliches Denken entfaltet. Wie aber im ersten Teil dieses Aufsatzes behauptet wurde, geht die These, nach der Hegel die Arbeit als solche als einen Prozess der Objektivierung definiert hat, entschieden zu weit. Dass Hegels ganze praktische Philosophie von diesem Modell inspiriert sei, ist deswegen auch fragwürdig. Hier scheint es wichtig zu sein hervorzuheben, dass die Perspektive, in die Riedel 1967-69 Hegels Philosophie einordnete, nicht so sehr, wie damals viele dachten, vom jungen Marx beeinflusst war, als vielmehr von Wilhelm Dilthey. Diese Annäherung mag überraschen, insbesondere da viele dabei sofort an die Kritik denken werden, die Lukács zu seiner Zeit gegen Dilthey vorgebracht hat: in der Hegeldeutung Diltheys ist tatsächlich von Ökonomie und Arbeit kaum die Rede, und wie gerade gezeigt wurde, ist dies eine Fehleinschätzung. Keineswegs soll hier auf diese alte Debatte zurückgekommen werden. Wenn es, mutatis mutandis, hier dennoch für nützlich und erhellend gehalten wird, die Weisen, wie Dilthey und der junge Marx Hegel gelesen haben, einander näher zu rücken, so deshalb, weil das Paradigma, das beide Denker, Dilthey und der junge Marx, bei ihrer Lektüre verwenden und, um die Formulierung Riedels aufzugreifen, die ,durch die transzendentale Philosophie veränderte Grundlage' ihrer Interpretation, einander sehr nahe stehen. Für beide war es das Verdienst Hegels, erkannt zu haben, dass der Mensch oder die menschliche Gattung als ein Subjekt betrachtet - ein kreatives Subjekt - das Resultat eines Prozesses der Vergegenständlichung ist. Gewiss, Marx privilegiert die Arbeit - für den jungen Marx ist es, als er die Phänomenologie des Geistes liest, die Arbeit, welche ,die Hervorbringung des Menschen, unter der Ges20 talt der Vergegenständlichung, aber auch Entäußerung', konstituiert. Dilthey aber und dies ist hier der wichtigste Punkt - glaubt seinerseits bereits im ,Leben Jesu' aus dem Jahre 1795 Fichte zu entdecken. Es drängt sich auf, hier eine längere Passage von Dilthey zu zitieren, weil sie sehr erhellend ist für das, worum es in der ganzen Debatte ging, ob es in Hegels Texten von 1805/06 eine Rückkehr zu Fichte gibt. Dilthey bezieht sich zwar auf viel frühere Texte Hegels, doch sieht er darin bereits das, was Riedel für die Texte von 1805/06 herausstellt: .Hegels Verfahren in diesem Teil der Religionsphilosophie läßt stärker, als in dem vorhergehenden geschehen war, zwei wesentliche Grundlagen seiner historischen Auffassung hervortreten. An der ältesten christlichen Gemeinde kann er deutlicher noch als an den griechischen Politien ein einheitliches Bewußtsein aufzeigen, welches der Träger einer Gesamttätigkeit ist. Und indem er so diese Gemeinde als das Subjekt betrachtet, welches die ganze christliche übersinnliche Anschauungs- und Begriffsordnung hervorbringt, analog wie das Ich Fichtes die Welt, findet er hier in der Geschichte selber die Bestätigung für die Lehre Kants und Fichtes

19

20

Riedel, Studien, 29. K. Marx/F. Engels, Werke, Berlin 1974, Ergänzungsband 1, Schriften bis 1844. Erster Teil* 574.

ZUR REVISION DER PRAKTISCHEN PHILOSOPHIE HEGELS

225

von der schöpferischen Natur des Subjektes. So entsteht hier der erste bedeutende Versuch, Geschichte aus diesem Begriff des transzendentalen Idealismus verständlich zu machen.'

Wie der junge Marx insistiert Dilthey darauf, die Umwandlung Hegels von einer .transzendentalen' oder theologisch-transzendentalen zu einer historischen Perspektive zu zeigen. Am Ursprung der Hegeischen Konzeption des objektiven Geistes sieht Dilthey den Gedanken des .objektivierten Geistes' und diese Gleichung ist es, die bei Dilthey das Interesse an dem jungen, nicht nur dem reifen Hegel, weckt. Es ist die Tatsache, dass der junge Hegel noch nicht zwischen dem .objektiven' und dem .absoluten Geist' unterschieden hat: er habe also Kunst, Religion und Philosophie ebenso wie das politische und soziale Leben für Objektivierungen des Geistes, für den objektivierten Geist einer Gemeinschaft gehalten. Ohne hier diese Interpretation näher zu diskutieren, ist doch an die wichtige Unterscheidung zu erinnern, die auch Nicolai Hartmann in diesem Zusammenhang vollzieht, diejenige zwischen dem .objektiven Geist' und dem .objektivierten Geist'. Wer mit Dilthey nicht zwischen dem unterscheidet, was Hegel später ,objektiven Geist' nennen wird, und dem, was Dilthey als .objektivierten Geist' bezeichnet, wer damit alle Phänomene des menschlichen Lebens als Objektivierungen eines Geistes betrachtet, macht sich letztlich unfähig, nicht nur die Geschichte zu denken, sondern auch das zu erfassen, was für Hegel gerade das historische Problem par excellence bildet: die Positivität oder, um den Terminus aufzugreifen, der sich immer stärker durchsetzt, die Objektivität, das ,Objektiv-sein' von gewissen Phänomenen, wie denjenigen des ökonomischen und sozialen Lebens. In den Beschreibungen, die Hegel von der ,Positivität' der christlichen Religion bietet, von der Weise, wie eine Religion .positiv' wird, und in den Analysen der Phänomene der Arbeitsteilung in der modernen Ökonomie steckt implizit die .Entdeckung' (um den sehr starken Ausdruck zu verwenden, den Hartmann benutzt) einer Realität, die eine eigene Objektivität besitzt, unabhängig von uns, selbst wenn sie nur in und durch unser Bewusstsein existiert. Diese Realität mit dem Begriff des Lebens zu bezeichnen wäre ungenügend, denn ,Leben' kann nicht für das Hauptkennzeichen der erwähnten Phänomene stehen: ihre Exteriorität, ihre Unabhängigkeit den Individuen gegenüber. Solche Phänomene erscheinen als von den Individuen unabhängig, sie haben eine sozusagen .objektive' Realität, auch wenn sie nur in und durch das Bewusstsein da sind. Um den späteren Begriff Hegels hier aufzugreifen, der .objektive Geist' ist Objekt - aber kein Subjekt. Es gibt kein Subjekt dieses Objekts. ,Es darf als ein hohes Verdienst Hegels angesehen werden, daß er in diesem grundlegenden Punkt nicht zu metaphysischen Hilfskonstruktionen greift, keinen übermenschlichen Intellekt einführt - nach dem bekannten Vorbild der Nationalisten - , daß er sich nicht zu einem allgemeinen Ich oder einem transzendentalen Subjekt rettet. All das läge hier nahe und wäre eine bequeme Lösung des Widerspruchs. Hegel läßt sich dadurch nicht verführen. Er läßt streng das Phänomen walten, wie er es findet und nimmt den Widerspruch ungeschmälert auf.'

W .Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, in: Gesammelte Schriften, Bd. IV, Göttingen 1974,171. N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, II. Teil: Hegel, Berlin/Leipzig 1929, 302.

226

MYRIAM BIENENSTOCK

Es dürfte ein Irrtum sein, Hegels Entdeckung' einseitig näher bestimmen zu wollen, also etwa zu behaupten, dass es ein Phänomen oder eine Realität - diejenige des ökonomischen Lebens zum Beispiel - gewesen sei, dessen Beobachtung Hegel zu seiner Konzeption des .objektiven Geistes' geführt hat. Bei der Suche nach dem, was Hegel zur Entfaltung dieser Konzeption in seinem System führt, ist eher sein Interesse für die Geschichte, seine Lektüre geschichtlicher Werke zu bevorzugen. Denn für ihn kann jede Dimension unseres Lebens zu diesem oder jenem Zeitpunkt .positiv' oder .objektiv' werden, gerade weil dieses Leben seinem Wesen nach geschichtlich ist. Dies gilt ebenso im Falle der Religion, im Positiv-werden der Religion, dem Hegel bereits in seinen Schriften vor der Jenaer Periode nachgegangen ist, wie es im Falle des Rechts anzunehmen ist, dessen Positiv-werden Hegel in Jena untersucht. Er beruft sich dabei auf Montesquieu, um gegen die Anhänger einer .positiven Rechtswissenschaft', eine Konzeption des .Geistes der Gesetze' zu erarbeiten, in der ein erster Ansatz seines späteren 23

Begriffs des .objektiven Geistes' gesehen werden kann. Die Analyse der Entwicklung der Arbeitsteilung, die Hegel damals leistet, scheint ihn zu der Schlussfolgerung geführt zu haben, dass es auch auf dem Gebiet der Ökonomie ein Positiv- oder Objektiv-werden geben kann. Einige der Jenaer Manuskripte Hegels über die Arbeitsteilung zeigen, dass er auch das ,Objektiv-sein', die Unabhängigkeit gewisser ökonomischer Phänomene den Individuen gegenüber schon klar wahrnimmt. Er versteht, dass die Individuen durch die Entwicklung der Arbeitsteilung von einem ökonomischen System beherrscht werden, das seine eigenen Gesetze hat.24 Dies muss ihm um so deutlicher auffallen, als für ihn, wie bereits für die schottischen Ökonomen vor ihm, die Arbeit, wie sie sich im Rahmen der Arbeitsteilung entwickelt, keine Tätigkeit von Sklaven, wie noch bei den Autoren der klassischen Antike, sondern freie Arbeit ist. Die Arbeit ist für Hegel eine Manifestation der subjektiven Freiheit, deren Entwicklung mit der Entfaltung der Moderne verbunden ist.25 Damit wird für ihn gerade eine der Schranken, wenn nicht gar die entscheidende Schranke, deutlich, welche die ökonomischen Modelle belastet, die aus der Antike überliefert sind. Die Anerkennung dieses Punktes führt Hegel jedoch nicht dazu, die eigentlichen Grundlagen der praktischen Philosophie Aristotelischer Prägung in Frage zu stellen, deren wesentlich politische Grundlegung er vielmehr beibehält. An sich weist der Versuch, die , Arbeit' in eine praktische Philosophie Aristotelischen Ursprungs einzugliedern, keine besonderen Schwierigkeiten auf und kann nicht einmal als originell gelten. Denn schon Sir James Steuart, einer der Schotten, der eine der entscheidenden moderVgl. hierzu M. Bienenstock, .Die „Ungeschicklichkeit, die wahrhaften Sitten in die Form von Gesetzen zu bringen", ist „das Zeichen der Barbarey". Hegels Kodifikationsforderung um 1802', in: Verfassung und Revolution, hg. von E. Weisser-Lohmann, Hamburg 2000 (Hegel-Studien. Beiheft 42), 85-105, und dies., ,Qu'est-ce que l'„esprit objectif' selon Hegel?', in: Hegel: droit, histoire, société, Paris 2001 (Revue germanique internationale, 15), 103-126. 24

25

Vgl. z.B. GW6,324-325. Vgl. hierzu Ν. Waszek, The Scottish

Enlightenment..157-170.

227

ZUR REVISION DER PRAICTISCHEN PHILOSOPHIE HEGELS

nen Quellen von Hegels ökonomischem Denken bildet, hat bereits seine Analyse, obwohl sie in ihrem Gehalt ganz modern ist, auf Aristotelischen Kategorien begründen wollen.26 In dieser Hinsicht dürfte Hegel in der Nachfolge von J. Steuart stehen. Auch die Herausstellung einer historischen Dimension der praktischen Philosophie und insbesondere der ökonomischen Aktivität erfolgt in Jena auf recht traditionelle Weise. In seiner Lobeshymne auf die Erfindung von Werkzeugen, die eine Technik als Gemeingut eines Volkes bewahrt, weil die späteren Generationen ihrerseits deren Gebrauch erlernen können, beruft sich so Hegel zum Beispiel ausdrücklich auf Homer. ,Das Werkzeug', schreibt Hegel in den Manuskripten von 1803/4, ,ist das worin das Arbeiten sein Bleiben hat, was von dem arbeitenden und bearbeiteten allein übrig bleibt, und worin ihre Zufälligkeit sich verewigt; es pflanzt sich in Traditionen fort, indem sowohl das begehrende, als das begehrte nur als Individuen bestehen, und untergehen'. (GW 6, 300) Gegen die Tendenz, bei der Arbeit nur die gerade lebenden Individuen zu betrachten, ihre jeweiligen Begierden und deren Befriedigung, hebt Hegel dasjenige hervor, was, im Anschluss an Dilthey, als die .Geschichtlichkeit' des Werkzeugs bezeichnet werden könnte. Es wäre aber allerdings anzumerken, dass für Hegel im Werkzeug nicht nur eine historische, kollektive Tradition zum Ausdruck kommt, sondern auch die Vemünftigkeit selbst. Das Werkzeug ist für ihn ,die existirende vernünftige Mitte existirende Allgemeinheit des praktischen Processes'. Oder genauer: ,Die Arbeit ist nicht ein Instinct, sondern eine Vernünftigkeit, die sich im Volke zu einem allgemeinen macht, und darum der Einzelnheit des Individuums entgegengesetzt ist, die sich überwinden muß, und das Arbeiten ist ebendarum nicht als Instinkt sondern in der Weise des Geistes vorhanden, daß sie als subjective Thätigkeit des Einzelnen doch ein andres geworden ist, eine allgemeine Regel, und erst die Geschicklichkeit des Einzelnen durch diesen Proceß des Erlernens wird; durch das Anderswerden ihrer selbst zu sich zurückkehrt.' (GW 6, 320)27 Das Verhältnis, das Hegel so zwischen der Arbeit und der Vernünftigkeit herstellt, wird deutlicher, wenn an die Parallele gedacht wird, die er damals zwischen der Sprache und dem Werkzeug zieht - die Parallele nämlich, die er bereits in seinem System der Sittlichkeit gesehen hat: ebenso wie sich in der Sprache die , Vernünftigkeit' des Menschen ausdrückt, so äußert sich diese auch im Werkzeug, dem Mittel der Arbeit. In

Vgl. P. Chamley, ,Les origines de la pensée économique de Hegel', in: Hegel-Studien 3, 1965, 252f.; G. Göhler (Hg.), Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Frühe politische Systeme, Frankfurt/M. u.a. 1974,491 und N. Waszek, The Scottish Enlightenment...,

182-191.

Hegel hatte diesen Punkt seit seinem System der Sittlichkeit hervorgehoben. In diesem System wollte er das praktische Verhältnis ganz ausdrücklich auf der Grundlage des Prinzips der Identität von Subjekt und Objekt verstehen. Die Bedeutung des Werkzeugs erwächst für ihn dort aus seiner Fähigkeit Subjekt und Objekt zu vereinen, worin auch seine .reale Vernünftigkeit' besteht: ,1m Werkzeug macht das Subject eine Mitte, zwischen sich und das Object, und diese Mitte ist die reale Vernünftigkeit der Arbeit' (GW 5,291).

228

M Y R I A M BIENENSTOCK

seinen Bemühungen, eine geschichtliche Dimension in eine traditionelle praktische Philosophie einzuordnen, sieht Hegel auch hier keine großen begrifflichen Schwierigkeiten. Seine .Entdeckung' der Positivität, der Objektivität gewisser Phänomene führt ihn nicht dazu, die Unterscheidung von theoretisch und praktisch grundlegend in Frage zu stellen, sondern eher dazu, eine Parallele und eine Interaktion zwischen beiden herauszustellen. Diese Interaktion kommt später in der berühmten Passage der Grundlinien der Philosophie des Rechts zum Ausdruck, in der Hegel die Gesetze der politischen Ökonomie mit denjenigen Gesetzen vergleicht, welche die Bewegung der Planeten bestimmen. Somit lobt er die schottischen Ökonomen ausdrücklich dafür, diesen Zusammenhang begriffen und dadurch aus der Ökonomie eine Wissenschaft - eine theo28

retische Wissenschaft - gemacht zu haben. Um am Ende dieser Ausführungen noch einmal Nicolai Hartmann aufzugreifen, möchte ich mit ihm sagen, dass am Ursprung der terminologischen Wandlungen der Jenaer Systemkonzeptionen, soweit darin die praktische Philosophie behandelt wird, die .Entdeckung' Hegels steht, die später zum Begriff des ,objektiven Geistes' führt. Hartmann schreibt: ,An sich ist der „objektive Geist" durchaus kein dialektischer Begriff und kann sehr wohl auch in anderer Form entwickelt werden [...] der Begriff des objektiven Geistes ist keine Systemkonsequenz, kein Produkt des dialektischen Gedankenzuges; ja er ist überhaupt kein spekulativer Lehrbegriff, sondern ein schlicht deskriptiver Begriff, philosophische Formulierung eines Grundphänomens, das sich unabhängig vom Standpunkte jederzeit aufzeigen und beschreiben läßt. Kurz, er ist ein ursprünglich Geschautes, eine ganz auf sich selbst beruhende Entdeckung Hegels [...] nicht das System führte zur Entdeckung, sondern die Entdeckung führte zum System. Die Konzeption des „objektiven Geistes" in Hegels Denken liegt weit diesseits der He29 gelschen Systematik.' Auf einer Tagung, die den Systemkonzeptionen Hegels in Jena gewidmet ist, kann Hegel kein größeres Kompliment gemacht, keine größere Ehre erwiesen werden.

28 29

Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt/M. 1971, Bd.7,346 (§ 189). S.N. Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, II.Teil: Hegel, 298-314, hier 298f.

KAROLBAL

Der Begriff des Gewissens im Gesamtbild der Systemkonzeption in der Phänomenologie des Geistes'

In der Hegel-Forschung hat man oftmals versucht, den Begriff des Gewissens zu beleuchten, doch nur selten tat man das systematisch und vielseitig, mit Berücksichtigung nicht nur der Sphäre des Ethischen im engeren Sinn. Vom Gesichtspunkt der gesamten Überlegungen Hegels aus, die sich auf ,Moralität', Sittlichkeit' und .Religion', aber auch auf ,Staat', Gesellschaft' und .Geschichte' beziehen, erwächst meines Erachtens der Begriff des Gewissens zu einem Schlüsselbegriff der praktischen Philosophie Hegels. Dabei ergibt sich sogleich folgendes Problem: die Lokalisierung des Begriffs des Gewissens im Prozess der Umgestaltungen des Hegeischen Systems von der frühen in die späteren Perioden seines philosophischen Schaffens. Meine aktuelle Darstellung bildet eine erweiterte und modifizierte Fassung meines Referates, das ich auf dem Kongress der Internationalen Hegel-Gesellschaft in Zagreb im Jahre 2001 gehalten habe.1 In der mir bekannten Literatur über den Begriff des Gewissens bei Hegel gibt es keine Veröffentlichung, die zugleich analytisch und systematisch diesen Begriff beleuchtet hat — wie er in den frühesten Schriften Hegels aus der Zeit vor der Phänomenologie des Geistes erscheint. Ein derartiges Unternehmen, das Problem der Vorgeschichte des Hegeischen Gewissensbegriffes zu erörtern, ist übrigens keine einfache Aufgabe, weil Hegel in seinen Jugendschriften und in den Arbeiten aus der Jenaer Zeit bis 1806 keine präzise und geschlossene ethische Konzeption präsentiert hat. In diesen Arbeiten finden wir lockere Aussagen über das Gewissen, verschiedenartige Bestimmungen und nicht immer ohne Bezug auf andere Autoren formulierte Definitionen. Er knüpft hier am häufigsten an die Fichteschen Bestimmungen des Gewissens, wie etwa: das Gewissen ist der .innere Richter der Handlungen, der seinem Stuhl in dem Herzen des Menschen selbst aufgeschlagen hat' .2 Fichte bemerkt unmittelbar, dass das Gewissen ein .Gefühlsvermögen' ist.3 Hegel reduziert aber, wie Fichte, das Gewissen nicht auf die Sphäre der Sinnlichkeit. Denn ,das Gewissen' ist nach Fichte ,das unmittelbare

Vgl. K. Bai, .Der Begriff „Gewissen" in der Phänomenologie des Geistes. Eine Konfrontation', in: Hegel-Jahrbuch 2001. Phänomenologie des Geistes. Erster Teil, Berlin 2002,220-224. 2

G.W.F. Hegel, Werke in zwanzig Bänden. Bd.l: Frühe Schriften, Frankfurt/M. 1971, 15. Vgl. J.G. Fichte, Das

System der Sittenlehre nach den Principien

der Wissenschaftslehre (1798), in:

Sämmtliche Werke,hg. von I.H. Fichte,Berlin 1845/46 (NachdruckBerlin 1971),Bd.IV, 147. 3

Vgl. ebd.

230

KAROL BAL

Bewußtseyn

unserer

bestimmten

Pflicht'.4

Die sinnliche Form des Gewissens verdankt

dem Denken ihren Gehalt. ( , D i e Bestimmung der Pflicht wird durch Denken gefunden.') Das Gewissen konstituiert sich nach Fichte im Kommunikationsakt zwischen den Individuen und setzt deren gegenseitige Annerkennung voraus! 5 In seinen

Jugendschrif-

ten verbindet H e g e l , ähnlich wie Fichte, das G e w i s s e n mit Staat und Gemeinschaft. Zwar wird diese Idee erst in der Philosophie inzwischen - d . h . vor der Phänomenologie

des Rechts des Geistes

systematisch entwickelt, doch — bleibt es bei Äußerungen, die

in einem anders bestimmten Kontext stehen. 6 Und zum Schluss dieser kurzen Andeutungen über die Behandlung des Gewissens in den Schriften Hegels, die der nologie

des Geistes

Phänome-

vorangehen, soll auf die Tatsache aufmerksam gemacht werden,

dass es in der Jenaer .Philosophie des Geistes' aus dem Jahre 1805/06 nur ein Mal erscheint, und zwar in einem Kontext, der von den früheren hier erwähnten Anschauungen auffällig abweicht: ,Der Staat ist der Geist der Wirklichkeit, was in ihm sich zeigt,

Fichte, ebd., 173. .Indem Fichte das Gewissen als unmittelbares Bewußtsein bestimmter Pflicht begreift, das sich formaliter als Gefühl äußert, verweist er zugleich auf die handlungsstiftende Funktion, weil es als Gefühl Grund unseres Realitätsbewußtseins ist und uns daher in einer konkreten Situation zu orientieren vermag.' S. W H . Schräder, ,Der Begriff des Gewissens bei Johann Gottlieb Fichte und die moderne Diskursethik', in: Beiträge zur philosophischen Partnerschaft Deutschlands und Polens. Przyczynki do ftlozoftcznego partnerstwa Niemiec i Polski. Poznan 2000,35-36. Indem Schräder auf diese Weise die oben zitierte Aussage Fichtes über das Gewissen kommentiert, äußert er seine Meinung, dass der Autor der Wissenschaftslehre weit über die Kantische Definition des Gewissens hinausgeht. Denn dem Gewissen wird bei Kant der .objektive Inhalt' entzogen. Vgl. ebd., 36; Th. S. Hoffmann, .Gewissen als praktische Apperzeption. Zur Lehre vom Gewissen in Kants Ethik-Vorlesungen', in: Kant-Studien 4, 2000, 425-426, macht darauf aufmerksam, dass Kant erst in seinen Ethik-Vorlesungen seine Auffassung des Gewissens in einer Weise systematisch darstellt, die von den Erwähnungen in der Kritik der praktischen Vernunft bzw. in der Metaphysik der Sitten abweicht. Dabei soll bemerkt weiden, dass der in den Ethik-Vorlesungen Kants dargestellte Begriff des Gewissens dem Standpunkt Fichtes und Hegels durchaus nahe ist. Vgl. W.G. Jacobs, Trieb als sittliches Phänomen. Eine Untersuchung zur Grundlegung der Philosophie nach Kant und Fichte, Bonn 1967, 126. In der Phänomenologie des Geistes nimmt diese ,Überzeugung' die Gestalt der .Annäherung' an. In Volksreligion und Christentum und in Die Positivität der christlichen Religion wird der Begriff des Gewissens von Hegel als Argument gegen die entfremdete Gestalt der katholischen Religion ausgenutzt, die das Gewissen für eine Art von ,Kirchenpolizei' hält, für einen Gegenstand der Gewalt und der Unterdrückung. Vgl. Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Bd. 1,62-63. Nach der Bestimmung von Hermann Lübbe wurde der Begriff des Gewissens bei Hegel nicht auf die Sphäre des .religiösen Gewissens' eingeengt, sondern mit den Fragen des Staates und der menschlichen Gemeinschaft verbunden. S. H. Lübbe, ,Zur Dialektik des Gewissens nach Hegel', in: Heidelberger Hegel-Tage, hg. von H.G. Gadamer, Bonn 1964 (Hegel-Studien. Beiheft 1), 248-249. Lübbe meint hier die Philosophie des Rechts. Diese Konstatierung lässt sich aber auch bereits in den Frühschriften Hegels finden. Vgl. auch Z. Kuderowicz, Doktryny moraine mlodego Hegla, Warszawa 1962,42 und 47.

DER BEGRIFF DES GEWISSENS IM GESAMTBILD DER SYSTEMKONZEPTION

231

muß ihm gemäß seyn; er hat das Gewissen nicht zu respectiren - diß ist das innre, ob es als Handlung, oder Princip der Handlung gültig sey, muß sich aus ihr selbst zeigen.' In einigen meiner Publikationen, die ich der Analyse des Hegeischen Begriffes Geo

wissen widmete, habe ich die Ansicht geäußert, dass dieser Begriff im Rahmen des Abschnitts ,der objektive Geist' eine der zentralen Kategorien des ethischen Systems und der Geistesphilosophie überhaupt bildet. Diese Schlussfolgerung habe ich anhand der Texte des späteren Hegel wie etwa Grundlinien der Philosophie des Rechts, Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie und Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte gezogen. Konfrontiert man den in diesen Texten geäußerten Standpunkt Hegels mit seinen Überlegungen zum Wesen und Charakter des Gewissens in der Phänomenologie des Geistes, so kann festgestellt werden, dass in der Entwicklungsgeschichte des Hegeischen Denkens ein deutlicher Unterschied in der Auslegung der Problematik und des Gewissensbegriffes zu bemerken ist, deren Zäsur in seinem Jenaer Werk liegt. In Bezug auf den inhaltlichen Umfang der genannten Problematik und zugleich auf die Notwendigkeit, den Rahmen deren Darstellung kurz zu halten, werde ich mich auf die Behandlung einiger weniger Probleme, und zwar auf folgende Punkte beschränken: 1. Man hat in der Hegelforschung oftmals auf die spezifische Rolle hingewiesen, welche die Phänomenologie des Geistes im gesamten Werk Hegels spielt. Die Phänomenologie des Geistes wird für ein Werk aus der frühen Periode seiner philosophischen Tätigkeit angesehen, in dem das spätere als .Enzyklopädie' ausgeführte System seinen ursprünglichen, noch weniger .geschlossenen' Umriss gewinnt. Die Phänomenologie des Geistes ist ein eigenartiges Laboratorium, in dem das begriffliche Instrumentarium des Hegelismus sich ausformt und ausreift; sie ist zugleich ein Speicher, aus dem Hegel Baumaterial für sein späteres ausgeführtes System nehmen wird.9 Das sind bekannte Feststellungen. Weniger dagegen wird auf gewisse Details der Metamorphose von Hegels Begriffen auf dem Weg von der Phänomenologie des Geistes zur Philosophie des Rechts aufmerksam gemacht. Zu diesen vernachlässigten Aspekten der Analyse kann die Hegeische Ansicht über die Moral, und insbesondere seine Auffassung des Gewissens gezählt werden. Die Erwähnung dieses Aspekts seiner Überlegungen hat einen bestimmten Wert an sich, d.h. sie trägt zur Enthüllung von Mäandern der Hegeischen ethischen Lehre, zur Erhellung von deren thematischen Details bei, kurzum: sie erweitert unser Verständnis des Hegeischen Standpunkts in der Ethik und erlaubt es zugleich, anhand einer grundlegenden Kategorie konkrete Aussagen über Verbindungen, Unter7

g

9

Hegel, GW 8,284 f. Κ. Bal, ,Der Begriff Gewissen als zentrale Kategorie der Hegeischen Ethik', in: Hegel-Jahrbuch 1987, 226-234; ders., Kant und Hegel. Dwa szkice ζ dziejów niemieckiej mysli etycznej, Wroclaw 1994. Mit nahezu identischen Worten wiederholt Hegel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte den Satz über die Kammerdienermoral, der zuerst in der Phänomenologie des Geistes vorkommt (GW 9,358). Derartige wörtliche oder fast wörtliche Übernahmen gibt es häufiger.

232

KAROL B A L

schiede und Ähnlichkeiten zwischen der Phänomenologie des Geistes und den späteren Werken zu treffen; schließlich erlaubt sie eine genauere Erläuterung der Mechanismen, welche die Entwicklung der philosophischen Ansichten Hegels in Gang setzen. 2. Der Begriff des Gewissens bildet in der Phänomenologie des Geistes einen Bestandteil derjenigen Gestalt des Bewusstseins, die Hegel als .moralische Weltanschauung' bestimmt. Dem Charakter der in der Phänomenologie des Geistes vorliegenden Darstellungsweise entsprechend wird die bestimmte Gestalt des Bewusstseins jeweils als eine logische Figur dargestellt, zu deren näherer Bestimmung eine Fülle von Mitteln der phänomenologischen Analyse - neben einem begrifflichen Spiel mit Verbindungen, Differenzierungen, Vermittlungen, Negation und Synthese - gebraucht wird. Die erörterte Gestalt des Bewusstseins wird in einen Komplex geschichtlicher Ereignisse, in das Erscheinen literarischer Werke und in die Exemplifikation des Materials der Kultur einer Zeit eingebettet. Die historische Zeit der ,moralischen Weltanschauung' ist für Hegel das zeitgenössische Deutschland; die philosophische Lehre, auf die er sich primär bezieht, ist Kants Ethik, aber auch die Anschauungen Jacobis,10 Fichtes und Novalis' werden erwähnt. Literarisch werden von Hegel die Werke der Romantiker und Goethes herangezogen. Manche Interpreten - wie A. Kojève und G. Lukács - reduzieren den Inhalt des Kapitels .moralische Weltanschauung' in der Phänomenologie auf den Kontext der politischen Geschichte. So schreiben sie von der ,deutschen Utopie', vom Hegelschen ,Napoleonismus' usw. Ein derartiges Überspitzen des historisch-soziologischen Bezugsrahmens erfolgt auf Kosten der logisch-phänomenologischen sowie der Strukturund Systemanalysen. Die einseitige Betonung der Napoleon Verehrung Hegels erlaubt es nicht, zu den ethischen Vorschlägen des Philosophen - darunter zur Frage des Gewissens - Stellung zu nehmen. Dass sich Hegel mit dieser Problematik beschäftigt hat, wird von Lukács für eine politische Schwäche seines Systems gehalten, das in die Richtung des Idealismus und Utopismus tendiere.11 3. Das Kapitel VI, Abschnitt C. der Phänomenologie des Geistes hat als Titel: ,Der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität'. Dieser Abschnitt wird eröffnet mit dem Unterabschnitt ,a. Die moralische Weltanschauung'. Darin wird zunächst jene Stufe des Bewusstseins dargestellt, die im historisch-philosophischen Rahmen durch Kants Ethik ausgedrückt wird. Die Kritik an ihr hat Hegel mehrfach in allen seinen Werken geübt. 10

D. Köhler, .Hegels Gewissensdialektik', in: Hegel-Studien 28, 1973, 133, behauptet, dass Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes Jacobis Konzeption des Gewissens von seinem Waldemar geradezu paradigmatisch übernommen hat. Ich prüfe an dieser Stelle nicht im Einzelnen, ob der Satz Köhlers zu verteidigen ist. Aber ich halte seine Konstatierung für vollständig unzutreffend, dass in der Philosophie des Rechts der Begriff des Gewissens seinen .dynamischen' Charakter verliert, indem er im Rahmen der .Moralität' eine gewisse Erstarrung erfährt (vgl. ebd., 138). Der Autor bemeikt nicht, dass sich die Gewissensdialektik in diesem Werte Hegels auf die Integration der ,Moralität' in die .Sittlichkeit' stützt. Der Begriff des Gewissens ist doch auch ein Begriff der .Sittlichkeit'.

11

G. Lukács, Mtody Hegel. O powiqzaniach dialektyki ζ ekonomiq, Warszawa 1980, 891-892; A. Kojève, Wstçp do wykhdów o Heglu, Warszawa 1999,177.

DER BEGRIFF DES GEWISSENS IM GESAMTBILD DER SYSTEMKONZEPTION

233

Es ist eine spezifisch Hegeische Kritik, die mit einer eindimensionalen Negation nicht identifiziert werden kann. Sie bedient sich der Methode der Aufhebung und knüpft an eine ganze Reihe Kantischer Thesen positiv an, einschließlich der grundsätzlichen Richtung des Kantischen Denkens auf die Menschheit, ihren humanen und freiheitlichen Charakter. Derartige Anknüpfungen erscheinen in der Phänomenologie des Geistes seltener als etwa in der Philosophie des Rechts. Warum? Es ist nicht einfach, eine eindeutige Antwort auf diese Frage zu geben. Als Hegel den Weg seiner selbständigen philosophischsystematischen Arbeit betreten hat, spielt zweifelsohne die zeitlich nahe Popularität der Ethik Kants, Fichtes und der Romantiker eine bedeutende Rolle. Das führt dazu, dass Hegel sich vom Standpunkt der unmittelbaren Vorläufer seines Systems entschieden abgrenzt. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand gewinnt er auch die innere Distanz gegenüber den einen gegensätzlich anderen Standpunkt vertretenden Denkern, die ein retrospektives Verständnis ermöglicht. Sollte also die Beurteilung von Kants Ethik in der Phänomenologie des Geistes von psychologischen Voraussetzungen beeinflusst sein? Wie dem auch sei, die Polemik gegen die .moralische Weltanschauung' gibt Hegel Anlass zu einer Präzisierung des eigenen ethischen Standpunktes, nach dem sich der von ihm abgelehnte Formalismus des Handelns rein aus Pflicht in eine subjektive, mit der Sinnlichkeit vermittelte Aktivität umwandelt, und sich die ,reine' Moral mit einem konkreten, natürlichen, humanen, sinnlich-gemeinschaftlichen Inhalt erfüllt und somit die Voraussetzungen für eine wirkliche Tätigkeit bildet, nicht nur für ein quietistisches Postulieren. Diese inhaltlich bestimmte und gezielte Tätigkeit des Individuums wird bei Kant durch die Auflösung der Antinomie des guten Handelns und der damit unter endlichen irdischen Bedingungen nicht verbundenen Glückseligkeit durch das moralische Postulat nicht unterbaut, das der realen Wirklichkeit (in der Phänomenologie des Geistes bedient sich Hegel auch der Bestimmung ,Natur') nicht gerecht wird. 4. Eine genaue Erörterung der Hegeischen Analyse der ,moralischen Weltanschauung' überschreitet den Rahmen der gesuchten Charakteristik des Gewissensbegriffs in der Phänomenologie des Geistes. Das Gewissen - ebenso wie ,die schöne Seele', ,das harte Herz', ,die Heuchelei', ,das Böse' und ,die Verzeihung' - ist eine Form, in der sich die .moralische Weltanschauung' ausdrückt. Indem er sich auf die Problematik des Gewissens konzentriert, macht Hegel den Exemplifikationsraum seiner Darstellung breiter. An die Auseinandersetzung mit Kant schließen sich kritische Bezugnahmen auf Jacobi (.Unmittelbarkeit des Gewissens'), Fichte (mit seiner Ich-Konstellation), die deutschen Romantiker (,objektivitätsloses Gewissen', substanzlose Subjektivität der Ironie')12 als einzelner Objektivationen des ethischen Bewusstseins, und in dieser historischen Etappe: ausschließlich des ethischen Bewusstseins, an; und dies ist eine notwendige Entwicklungsstufe des Geistes auf dem Weg zum .absoluten Wissen'. In den Passagen, die sich auf den Begriff des Gewissens beziehen, ist in der Phänomenologie

12

Vgl. O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, München 1998,38und43.

234

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des Geistes ein interessanter Umstand zu bemerken. Während inhaltliche Anklänge an die Kantischen Auffassungen im Fortgang der Darstellung immer weniger hörbar sind Hegel schenkt nun der nachkantischen Philosophie immer mehr Aufmerksamkeit - wird die Kantische Terminologie immer häufiger zur Bestimmung der Rolle und Funktion des Gewissens gebraucht. Systematisch widmete Kant der Problematik und dem Begriff des Gewissens keine besondere Aufmerksamkeit. Aber man kann seine Auffassung des Gewissens aus den in seine ethischen Texte eingestreuten einzelnen Definitionen wie etwa Gewissen als Gerichtshof, als Urteilsspruch, als Urteilskraft, als .Gesetz in uns', als Bewusstsein morali13

scher Gewissheit, als Verantwortung vor Gott rekonstruieren. Manche dieser Kantischen Bestimmungen werden von Hegel in seine Definitionen des Gewissens, wie z.B. Gewissen als moralisches Urteil, Gewissheitsbewusstsein, Gesetz in uns, Gesetz des Selbsts aufgenommen. Die Analyse des Gewissensbegriffes ermöglicht ihm, allgemein betrachtet, die den Standpunkt der moralischen Weltanschauung zerreißende Antinomie, dass es - als Postulat - ein .moralisches Bewußtseyn gibt', und - in der Realität .keines gibt', zu erkennen und deren .Unredlichkeit', Heuchelei, Verlogenheit usw. als negative moralische Einstellungen zu enthüllen. In der moralischen Weltanschauung gelte so das .nichtmoralische Bewußtseyn' aufgrund der Verstellung und Verdrehung des Inhalts und der Form der Moral als moralisch.14 Dem versucht das Bewusstsein als .seiner selbst gewisser Geist' ein Ende zu setzen und das der Moral zugefügte Unrecht wieder gut zu machen. Das gewissenhafte Bewusstsein als eine Figur der phänomenologischen Logik ist von guten Absichten erfüllt. Ich wiederhole, das Aufheben des moralischen Bewusstseins auf die Stufe des gewissenhaften Bewusstseins signalisiert die Unzufriedenheit Hegels mit dem Verfall der .moralischen Weltanschauung', drückt seine Unruhe um die Einheit des moralischen Bewusstseins, um den in seiner Zeit gegebenen Status der Moral überhaupt aus. Das Gewissen, .als moralisches reines Selbstbewußtseyn flieht es aus dieser Ungleichheit seines Vorstellens mit dem, was sein Wesen ist, aus dieser Unwahrheit, welche das für wahr aussagt, was ihm für unwahr gilt, mit Abscheu in sich zurück. Es ist reines Gewissen, welches eine solche moralische Weltvorstellung verschmäht, es ist in sich selbst der einfache seiner gewisse Geist, der ohne die Vermittlung jener Vorstellungen unmittelbar gewissenhaft handelt, und in dieser Unmittelbarkeit seine Wahrheit hat.' 15 Anfangs also, sobald das Gewissen erscheint, ist es rein, seiner moralischen Reinheit gewiss. Hegel bedient sich hier unvergleichbarer Möglichkeiten der deutschen Sprache, die verbale Verwandtschaften zwischen Wissen, Gewissheit und Gewissen liefert. Diese Semantik bestimmt den Rahmen für Hegels Folgerungen. In der Tat bietet das GewisS. dazu W. Heubült, Die Gewissenslehre Kants in ihrer Endform von 1797. Eine Anthroponomie, Bonn 1980, bes. 72-86. 14 15

GW 9,340 f. Ebd., 340.

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sen in seiner ethischen Konzeption die Möglichkeit zur Rationalisierung der moralischen Sphäre, es ist Wissen um das moralische Gesetz, um Pflichten, um das Gute und Böse, es bezieht sich auf den Inhalt moralischer Handlungen. Der Begriff des Gewissens bildet so eine tragende Säule des ethischen Rationalismus bei Hegel. Vor allem ist das Gewissen als Gewissheit imstande, die von dem moralischen Inhalt auferlegten Pflichten zu erfüllen, es ist Realisierung ihres Wesens, Garantie der Stabilität und moralischen Redlichkeit nach dem Vorbild des Kantischen Kategorischen Imperativs. So .taucht' das Gewissen - auf Grund des Protestes (Protestantismus) - aus dem durch die moralische Weltanschauung verdorbenen Geist der Moral auf; es erscheint als Reformator (Reformation) einer schlechten Wirklichkeit mit einem konkreten Wiederherstellungsprogramm der moralischen Welt. Bald aber stellt es sich heraus, dass die erklärte formale Bereitschaft zu dieser Wiederherstellung, der gute Wille also, unzureichend ist. Denn das Bewusstsein, seine innere Dynamik, zeichnet sich dadurch aus, dass es immer den Gegenstand des Bewusstseins polarisiert, seine eigenen Inhalte differenziert, einander widerstreitende Einstellungen und Haltungen, Antinomien auslöst. Die Arbeit des Geistes, also die Dialektik der Entgegensetzung, Entfremdung mit den Konsequenzen der Versteinerung und Verabsolutierung - dies alles zerstört die ursprüngliche Idylle einer Einheit, das Selbstgefühl des ehrgeizigen Gewissens, oder besser: des gewissenhaft handelnden Individuums. Auch diese Gestalt des Gewissens muss, wie alle anderen, dem eisernen Gesetz der Konkretisierung, einer neuen Form der Bestimmtheit unterliegen. Reines, einfaches Gewissen zerfällt in eine Reihe von Gewissensarten - so sehr differenzierter und einander widerstreitender Formen, dass es nicht einfach ist, aus diesem Gewissensmosaik eine Form des Gewissens heraus zu bekommen, die vom ethischen System Hegels akzeptiert werden kann. Der Verfallsprozess der ursprünglich einheitlichen Form des Gewissens in allerlei .schlechte', hinterlistige, gierige, heuchlerische Gewissen ist in der Philosophie des Rechts systematischer und tiefgehender dargestellt als in der Phänomenologie des Geistes. Obwohl die Darstellung dieses Prozesses in der Phänomenologie des Geistes weniger lesbar und viel enger ist, verbindet beide Werke die einheitliche Überzeugung, dass das Gewissen eine Gestalt des Bewusstseins des Individuums ist, in dem Unabhängigkeit, Subjektivität, und das emanzipatorische Ethos hervortreten. Es ist zugleich subjektive Gestalt des Gewissens und ist als solche immer der Gefahr ausgesetzt, moralisch zufällige Inhalte und Haltungen zu propagieren. Die Gefahr der Verabsolutierung dieser Subjektivität, die Zufälligkeit der von diesem Gewissen ausgesagten Urteile, Willkürlichkeit der gefällten Beurteilungen und der Partikularismus von Handlungen - dies alles kann durch die Konstitution moralischer Werte, ihren sui generis universalistischen Charakter aufgehoben werden. Die Hegeische Moralauffassung - ihr Ort im Systemaufbau, die Verbindung der Moralität mit der Sittlichkeit - ist in der Phänomenologie des Geistes in vielen Punkten anders als in den anderen Werken. Die Phänomenologie des Geistes stellt drei Hauptstu-

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fen der Entwicklung und Erfahrungen des moralischen Bewusstseins heraus. Zuerst erscheint es als ,der wahre Geist, die Sittlichkeit', dann als ,der sich entfremdete Geist; die Bildung' und schließlich als ,der seiner selbst gewisse Geist. Die Moralität'. Die Sittlichkeit geht also der Moralität voraus, während in der Philosophie des Rechts eine umgekehrte Situation entsteht. Die Sittlichkeit bezeichnet in der Phänomenologie des Geistes eine einfache, entsubjektivierte Moralität, also - laut Hegel - eine ,leere' Objektivität, eine Unmittelbarkeit der Geltung moralischer Gesetze ohne Teilnahme der individuellen Initiative. Das moralische Diktat wird von außen (von den Göttern) auferlegt. So gibt es hier keinen Platz für eine innerliche Motivation zu Taten, zu einer subtilen Reflexion über den Charakter von Pflichten. Es fehlt ein Gesetz für individuelle Urteile darüber, was das Individuum für Gutes und was es für moralisch Böses hält. Das alles heißt, dass es hier keinen Platz für das Gewissen gibt, denn gerade das Gewissen ist der innere Pol des guten Handelns. Für eine solche sittliche Welt ohne die Seite der Subjektivität steht bei Hegel die Antike. ,Was wir in unserem Sinn des Worts Gewissen nennen, hat hier noch nicht seinen Platz gefunden. Der griechische Mensch handelt zwar oft aus eigner Leidenschaft, aus schlimmer wie aus guter, das echte Pathos jedoch, das ihn beseelen sollte und beseelt, kommt von den Göttern, deren Inhalt und Macht das Allgemeine solch eines Pathos ist, und die Helden sind entweder unmittelbar davon erfüllt, oder sie fragen die Orakel um Rat, wenn sich ihnen die Götter nicht selber, um die Tat zu befehlen, vor Augen stellen.'16 In der geschichtlichen Periodisierung der Ethik billigt Hegel die Rolle der Einführung des subjektiven Faktors in die Moral, d.h. der Konzipierung der Moralität par excellence, erst dem Einfluss des Christentums in der modernen Welt zu. ,So hat die christliche Religion Kategorien des Sittlichen zur Folge gehabt, welche den Griechen durchaus fremd waren. Die innere Reflexion z.B. des Gewissens bei der Entscheidung dessen, was gut und schlecht sei, Gewissensbisse und Reue gehören erst der moralischen Ausbildung der modernen Zeit an.' Diese Zitate kommen aus den Vorlesungen über Ästhetik}1 Ähnliche Formulierungen sind auch in anderen Vorlesungen Hegels zu finden. Es ist vergeblich, nach Feststellungen über die Genesis des Gewissens und der Moralität in der Phänomenologie des Geistes zu suchen. Doch die Überzeugung von dem modernen Status der Moral wird durch eine strukturelle Sequenz dokumentiert, innerhalb deren zunächst die Entfremdung der sittlichen Welt der Antike, dann die Rousseauistisch verstandene Bildung als innerer subjektiver Gegenpol und schließlich der seiner selbst gewisse Geist auf einander folgen. Trotzdem wird hier vom historischen Standpunkt aus nicht alles klar. Die ,moralische Weltanschauung' und somit auch das Gewissen werden in den Zeiten einer ,ruhigen' nachrevolutionären Situation des deutschen Geistes untergebracht, die durch die Errungenschaften der Philosophen, mit Kant an der Spitze, charakterisiert ist. Das bedeutet, dass die Geburtszeit des Gewissens in der Phänomenologie des Geistes im Vergleich zu der in den späteren Werken unterge16

G.W.F. Hegel,Ästhetik, hg. von F. Bassenge, Berlin 1955,444-445.

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Ebd., 288.

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brachten geschichtlichen Lokalisierung ausdrücklich verschoben wird. Die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte deuten ausdrücklich auf die Reformationszeit hin. Das Hauptproblem der Auseinandersetzung des Protestantismus mit dem Katholizismus war für Hegel die Frage des Gewissens in beiden Konfessionen. In der Philosophie des Rechts beschuldigt er den Katholizismus der Ausbreitung von ,bösen' Formen des Gewissens. Ein solcher direkter Hinweis lässt sich aber nicht in seiner Phänomenologie des Geistes finden. Hegels konfessionelle Neutralität ist nur eines der Merkmale, welches die Konzeption des Gewissens in der Phänomenologie des Geistes von seinen späteren Werken unterscheidet. Es gibt auch andere, wie z.B. das offenkundige Fehlen einer politischen und gesellschaftlichen Verortung des Gewissens. Denn in seinem Jenaer Werk verbindet Hegel das Gewissen nicht mit einem bestimmten Rechtssystem, mit Staat, Volk, Geschichte, Familie, bürgerliche Gesellschaft, Korporation. Es 18

wird auch nicht erwähnt, dass das Gewissen als Kriterium des historischen Fortschritts auftreten kann. Derartige Bezüge des Gewissens zu bestimmten Inhalten des .objektiven Geistes' werden später in anderen Zusammenhängen ausgearbeitet. Das Gewissen wird sich als ,mittleres Glied' erweisen, als eine das Recht mit der Sittlichkeit verbindende Brücke, während es in der Phänomenologie des Geistes als ,Vorhof' des religiösen Bewusstseins behandelt wird, in dem das moralische Subjekt seine endgültige Versöhnung mit Gott findet. Die Beobachtung der Umgestaltung ethischer Hauptkategorien bei Hegel: Moralität, Gewissen, Sittlichkeit und das Konfrontieren des ethischen Inhalts der Phänomenologie des Geistes mit den Werken seiner Berliner Periode gibt Anlass dazu, sich der Variabilität inhaltlicher Bedeutungen und ihrer strukturellen Stellung zu vergewissern und in den komplizierten Entwicklungsprozess der Hegeischen Philosophie einzudringen. Die Besonderheiten der Darstellung der Gewissensproblematik in der Phänomenologie des Geistes sind dabei auch dem Umstand geschuldet, dass hier nicht die reale Geschichte (mit den Dimensionen der Kunst und der Religion) oder die Geschichte der Philosophie zum Thema gemacht sind, sondern eine .Geschichte' der Gestalten des Bewusstseins, denen in der realen oder philosophischen Geschichte bestimmte Perioden und Entwicklungsschritte entsprechen. Das ist bei der Erörterung der allgemeinen entwicklungsgeschichtlichen Fragen der ethischen Konzeptionen im Denken Hegels zu berücksichtigen. Welche Stelle und Funktion dem Gewissen in dieser Bewusstseinsgeschichte zukommt, wie sie der obigen Darstellung zu entnehmen sind, macht die Eigenbedeutung der Jenaer Darstellung dieser Problematik in der Phänomenologie des Geistes aus.

Vgl. dazu Hegels Konfrontation mit dem revolutionären und reformatorischen Weg, der von den Nationen zurückgelegt wird, in: G.W .F. Hegel, Vorlesungen Uber die Philosophie der Geschichte, in: Sämtliche Werke, Stuttgart 1998, Bd. 11,482.

Lu D E VOS Hegels Systemkonzeption in der Phänomenologie des Geistes'

Nach einer captatio benevolentiae bringt Hegel in der , Vorrede' zum System der Wissenschaft. Erster Theil: die Phänomenologie des Geistes gleich die erste Hauptthese: ,Die wahre Gestalt, in welcher die Wahrheit existirt, kann allein das wissenschafftliche System derselben seyn.' (GW 9, 11) Diese These wirft nicht nur Licht auf Hegels Wahrheitsverständnis, sondern auch auf seine Systemkonzeption. Sie wird in den geläufigen Thesen erläutert, dass das Wahre nicht nur als Substanz, sondern ebenso sehr als Subjekt gedacht werden müsse und dass sie das Ganze sei. Dabei wird die Wahrheit zugleich gedeutet als ,Geist'. Mit diesen Thesen ist nun vermutlich schon die ganze Problematik der Phänomenologie des Geistes auf den Punkt gebracht. Doch reicht dazu die erste These nicht bereits aus? Ist darin die zweite nicht bereits enthalten? Denn, was bedeuten Wahrheit und System? Weshalb existiert solche Wahrheit in einem System? All diese Fragen gehören zur Problematik der systematischen Konzeption in der Phänomenologie des Geistes. Obwohl es möglich wäre, sich bei der Erörterung der genannten Fragen auf philologische Untersuchungen zu beschränken, wäre damit vermutlich in der Sache nicht viel gewonnen. Denn in diesem Falle bliebe die Wahrheit, d.h. die Sache der Philosophie selbst, auf der Strecke. Deshalb will ich zunächst (1) einige vorläufige Überlegungen zur Deutung der ersten Textstelle anstellen. Anschließend (2) komme ich auf philologische Fragen und Ergebnisse zu sprechen, drittens (3) frage ich nach der Bedeutung der Wahrheit innerhalb der Phänomenologie des Geistes und erläutere ich (4) die Wahrheit als System. Schließlich gehe ich (5) etwas näher ein auf einige Folgen in philologischer und philosophischer Hinsicht. Die Hauptthesen werden lauten: Die Konzeption der Wahrheit wird in der Phänomenologie des Geistes in solcher Weise von der Bewusstseinsgestalt beeinträchtigt, dass .Phänomenologie des Geistes' und ,Logik' einander wechselseitig voraussetzen. Wenn beide für sich betrachtet werden, liefern sie bloß den ,bewusstseinstheoretischen' oder ,reinen' Begriff des absoluten Geistes, dessen volle Wirklichkeit dem .Geist' entliehen werden muss, wie er in der Zusammenschau beider erfassbar wird.

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1. Systematische Wahrheit? Vielleicht ist es am einfachsten, mit der Frage anzufangen: Was heißt System?1 Dabei ist von der Kantischen Fassung auszugehen: System heißt die Einheit mannigfaltiger Erkenntnisse unter einer Idee. Diese ist der Vernunftbegriff von der Form des Ganzen, sofern sowohl der Umfang des Ganzen als auch die Stelle der Teile untereinander a priori bestimmt wird.2 Mit einer solch pointierten Definition von System sind nun sogleich mehrere Fragen und Voraussetzungen einbezogen, die sicherlich nicht einfacher zu deuten sind als die Hegeischen. Doch können wir zumindest feststellen, dass System etwas mit Erkenntnis oder Wissen zu tun hat, und insofern steht System in einem Zusammenhang mit sich auf sich beziehender Vernunft oder Unbedingtheit und hat somit letztendlich mit Wahrheit zu tun. System ist außerdem auf eine Ganzheit bezogen, die die methodische Gliederung der Erkenntnisse untereinander vollständig bestimmt und rechtfertigt. Also erscheint oder existiert mögliche Wahrheit für Hegel in der Form eines Systems. Für die Philosophie Hegels insgesamt und für die Phänomenologie des Geistes insbesondere ergeben sich hieraus einige wichtige Fragen. Zunächst, ob die Philosophie bzw. die Phänomenologie des Geistes die vernünftige Einheit mehrerer Erkenntnisse ausmacht? Diese Frage sollte man schon von der Definition her bejahen, denn das Problem derselben ist die Wahrheit oder, wie Hegel sagt, das Erkennen dessen, was in Wahrheit ist. Dann die Frage, ob das, was in Wahrheit erkannt wird, das Ganze der Philosophie oder der Phänomenologie des Geistes berührt? Auch dies sollte man bejahen! Das Absolute, wenn es ein solches gibt, oder die Wahrheit, wenn sie erreichbar ist, sind zur Grundlegung und vernünftigen Durchdringung der Philosophie gehörende Themen.3 Bei der Entwicklung der Frage ist schon die Einsicht in die Vollständigkeit und in den notwendigen Zusammenhang berührt. Hegel erläutert diese Probleme nicht nur, er stellt sie auch ins Zentrum der eigentlichen phänomenologischen Methode, indem sie es überhaupt erst möglich machen, die Methode systematisch zu betrachten. Allerdings ist die nähere Bestimmung der eigentlichen spekulativen Methode nach dem Durchgang durch die .Vorrede' der Phänomenologie des Geistes nicht unbedingt leichter einsichtig und systematisch konsequent durchführbar geworden. Zur Philosophie überhaupt oder zum System gehört sie, darüber ist kein Zweifel möglich; ob sie aber in ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit von der Phänomenologie des Geistes hervorgebracht wird oder nicht, ist ein viel diskutiertes Problem in ihrem Verhältnis zur Wissenschaft der Logik.4 Mit dieser Frage ist die Gestalt des Systems nicht berührt, sie wird vorläufig ausgeklammert. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Β 708, in: Kants Werke. Akademie Textausgabe, Berlin 1968, Bd. III, 448 f. Selbst die Ablehnung der beiden Themen gehörte in das Grundsätzliche der Philosophie. M. Forster, Hegel's Idea of a Phenomenology of Spirit, Chicago/London 1998, 274; L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt/M. 2000, 256. Kritisch dagegen Sinclair an Hegel, .Brief vom 12.10.1812', in: J. Hoffmeister (Hg.), Briefe von und an Hegel, Bd.I, Hamburg

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HEGELS SYSTEMKONZEPTION IN DER .PHÄNOMENOLOGIE DES GEISTES'

Mit diesen vorläufigen Betrachtungen ist schon die Problematik der systematischen Wahrheitsauffassung selbst, als Thema und vielleicht auch Methode, in den Blick gekommen. Das Problem des Systems ist also die methodisch spekulativ' genannte Darstellung der Wahrheit.

2. Philologisches Welche Gestalt erhält das anvisierte System, soweit es ausgeführt worden ist und uns vorliegt? Die Phänomenologie des Geistes ist erster Teil eines zwei-, bzw. viergliedrigen .Systems'. Nach Hegels ,Selbstanzeige der Phänomenologie' wird ein zweiter Band die Wissenschaft der Logik und als weitere Teile der Philosophie die Wissenschaften der Natur und des Geistes enthalten. Nach der Aufteilung in Bände ist das System somit zwei-, den Themen nach allerdings viergeteilt. Die Phänomenologie des Geistes ist der erste Teil des Systems. Sie bildet die Einleitung zum und die Begründung des eigentlichen Systems. Aufgrund der ,Vorrede', die sich genau genommen auf das System der Wissenschaft im Ganzen bezieht, lässt sich eigentlich nur sagen, dass sie zur Philosophie als Wissenschaft, beginnend mit der Logik, hinführt. Auf die Probleme dieser Hinführung werde ich noch näher zurückkommen. Lassen wir die philosophische Problematik zunächst einmal außen vor, dann ist als erstes festzustellen, dass es eine Entsprechung der Phänomenologie des Geistes' zur ,Logik' gibt - allerdings nicht umgekehrt eine der .Logik' zur .Phänomenologie des Geistes'. Von allen Logiken Hegels ist die, die der hier in Rede stehenden am nächsten kommt, die Skizze aus der .Geistesphilosophie 1805/06', wie O. Pöggeler gezeigt hat.5 In dieser Skizze, die sich gliedert nach ,absolutes Seyn, das sich andres, (Verhältniß wird) Leben und Erkennen - und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich', (GW8, 286) fehlt allerdings die .begriffliche' Stelle, die dem absoluten Wissens entsprechen würde. Außerdem scheint mir hier von einer zusätzlichen begrifflichen Bestimmtheit die Rede zu sein, die sich so in der .Phänomenologie' nicht wieder findet, nämlich vom ,Wissen des Geistes von sich', der reines Selbstbewusstsein desselben ist. Alle Versuche, die über die Parallelen zu dieser .Logik' hinaus Entsprechungen der einzelnen Momente der Phänomenologie des Geistes zu den .realphilosophischen Wissenschaften' oder Teilen davon geben wollen, sind bislang fehlgeschlagen, da diese nämlich ausnahmslos die zehn Jahre spätere enzyklopädische Darstellung dieser Abschnitte des Systems zugrunde legen. Einzig von dem Versuch, die Naturphilosophie

1961, 2.Aufl., 416ff.; K. Diising, Das Problem

der Subjektivität

in Hegels Logik, Bonn, 1976,

205ff.; L. De Vos, .Absolute Knowing in the Phenomenology', in: A. Wylleman (Hrsg.), Hegel on the Ethical Life, Religion and Philosophy, Leuven/Dordrecht, 1989,251 ff. Vgl. O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie

des Geistes, Freiburg/München 1973,269.

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zur phänomenologischer Darstellung in eine Entsprechung zu bringen, kann man sagen, dass dieser gelingt, ja sogar, dass Hegel selber ihn in ihren Grundzügen vorgeführt hat. In der Naturphilosophie ist die Natur durch Momente bestimmt, die ,νοη der Meinung, dem Verstände und der Vernunft' herkommen - was uns von Karl Rosenkranz überliefert ist. Hier sind der Meinung ,die Zufälligkeit der in Raum und Zeit vereinzelten Existenz', dem Verstand ,die allgemeinen Gesetze der Natur' und der Vernunft ,das Leben, das Organische' zugeordnet, (s. GW5, 538 f.) Hier sind also tatsächlich Gestalten des Bewusstseins - allerdings ohne die der Wahrnehmung - aufgeführt, denen Formen des Wissens von der Natur entsprechen. In dieser Naturphilosophie ist jedoch das ,Leben' nicht die eigentliche Hauptkategorie, was freilich so schon 1805/06 (GW 8, 4) in Beziehung auf das ,reine Selbstbewußtseyn' eingeführt worden ist, und wie es - auch in der Phänomenologie des Geistes - als ,Leben und Erkennen' zusammengehörend dargelegt wird. (GW 8, 286; GW9, 104-109)6 Anhand dieser abrisshaften Andeutungen lässt sich nun schon vermuten, wie die übrigen Teile der Phänomenologie des Geistes sich zur Gliederung der Philosophie des Geistes verhalten werden, obwohl diese Gliederung philologisch weitgehend ungesichert bleibt, denn es ist dazu nichts überliefert, weder bei Rosenkranz, noch in irgendwelchen Nachschriften. In der Geistesphilosophie mag Hegel erstens theoretisch-rezeptiv die subjektgebundenen Seiten der Gewissheit, Wahrnehmung und des Verstands vorgeführt haben, und im Anschluss daran die praktisch-aktiven Selbstbewusstseinsgestalten. Eine neue Stufe erreichen diese Momente dann, wenn sie zusammen die verschiedenen, allerdings auch noch subjektiven Gestalten der Vernunfteinheit ausmachen. Weiter bleiben die Konstitutionsmomente des Geistes übrig, sowie das Selbstbewusstsein des absoluten Geistes, das die Konstitution, die in der Zeit ist, bloß reflektiert. So wäre auf hypothetische Weise vorgeführt, wie die Phänomenologie des Geistes nicht nur eine Einleitung in die ,Logik', sondern ebenfalls eine Einleitung in die ,realen Wissenschaften' sein kann. Ob das Vorgeführte jedoch auf diese Weise auch tatsächlich so von Hegel intendiert ist, lässt sich nicht endgültig entscheiden. Mit unserem Ergebnis ist allerdings zumindest eine genauere empirische Gestalt des Systems der Philosophie aufgestellt worden. Weshalb die Wissenschaft jedoch so und nicht etwa anders gegliedert ist, ist bislang unberührt geblieben. Um diese Frage zu beantworten, muss der Schritt zur Wahrheitsbestimmung gemacht werden, denn nur aus ihr folgt die Systembestimmung. Was heißt also Wahrheit?

Gerade die gedankliche Gestalt, bei der der Tod des Lebens das Entstehen des Selbstbewusstseins oder des ,Geistes' ist, die ab dieser Zeit grundlegende Bedeutung für alle Versionen der ,Logik', wie auch der ,Realphilosophie', erhält, beibt unerwähnt.

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3. ,Wahrheit' in der »Phänomenologie des Geistes' Das eigentliche Geschäft der Philosophie ist das wirkliche Erkennen dessen, was ,in Wahrheit' ist. (GW 9, 53) So wird in der ,Einleitung' der Phänomenologie des Geistes der Wahrheitsbegriff eingeführt. Was nun allerdings ,in Wahrheit' ist, ist das Absolute oder ,die Wahrheit', denn das Absolute ist ja das Wahre und umgekehrt. (GW9, 54) Nun ist freilich weder das eine noch das andere mit diesen Bestimmungen schon eigentlich bestimmt. Weil hier jedoch keine irgendwie bloß vorgefundene Instanz gemeint ist, sondern weil der Gegenstand des wahren Wissens das Wahre oder das erkannte Absolute ist, wird aus der Einleitung' zugleich eine nähere Gliederung des Erkennens sichtbar. Soll nämlich ,wahres Wissen' erreicht werden, muss die Erscheinung eines bestimmten Bewusstseinswissens, das mit einem Wahrheitsanspruch auftritt, kritisch geprüft und weitergeführt werden. (GW 9, 55) Die Gestalt des bestimmten Wissens heißt natürliches Bewusstsein, das sich als Bewusstsein auf einen bestimmten Gegenstand oder auf die Gegenständlichkeit bezieht. Als Wissen ist es in Beziehung auf Wahrheit gegliedert, doch ist das , An sich' in dieser Beziehung die Wahrheit. Wahrheit ist also nicht außerhalb der Beziehung, sie ist jedoch auch nicht das Sein des Bewusstseins. Diese Wahrheit lässt sich nun deshalb vermittels einer Selbstprüfung untersuchen, weil ja das natürliche Bewusstsein nicht natürlich bleibt, sondern erscheinendes Wissen ist, d.h. Wissen, das versucht, das wirkliche Wissen herauszustellen, oder Wissen, das sich auf seinen Wahrheitsanspruch hin prüft. Damit ist Philosophie kein natürlich vorhandenes Bewusstsein, sondern erscheinendes Wissen. Wissen und Wahrheit beziehen sich auf den Inhalt eines jeden natürlich auftretenden Bewusstseins und sind folglich auch die eigene Beziehung des erscheinenden Wissens. Wahr ist somit das, was seine eigene Bestimmung darstellen kann und sie somit auch η erreicht. Wahr kann das erscheinende Wissen allerdings nur heißen, wenn Wissen und Wahrheit einander entsprechen. Die Frage muss deshalb auch sein, wie sich diese beiden Momente als einander entsprechend ergeben? Das natürliche Bewusstsein findet als erscheinendes Wissen seinen eigenen, ansichseienden Maßstab innerhalb seiner selbst, und zwar als Anspruch. Weil das Wissen sich als wahr darstellen möchte, zeigt es in der Darstellung seiner selbst, wie das natürliche Bewusstsein als erscheinendes Wissen vorerst gegenüber diesem Anspruch scheitert. Das Bewusstsein erweist sich als Wissen und deshalb als durch sich selbst negiert. Die Selbstprüfung führt für das Bewusstsein zu Zweifel und letztendlich Verzweiflung, weil die einzelnen relata der Beziehung, die zum Prüfen da sind, in ihrem Anspruch vernichtet werden. Diese verzweifelte Negation wäre nun freilich das Ende der Bewusstseinsentwicklung, wenn es keine weiteren Gestalten irgendeines natürlichen Bewusstseins gäbe. Nur weil das natürliche Bewusstsein als Dasein des Geistes, wie es in der L. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, 76.

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.Vorrede' heißt, gefasst wird und sich so der Formen des Geistes erinnern kann, gibt es eine Reihe verschiedener Gestalten. Jede dieser Gestalten entspringt der zu behebenden Unzureichendheit der Gewissheit zur Wahrheit, denn jede Gestalt hat eine eigene Gewissheit, wahr zu sein. Die negierten oder kritisierten Gestalten bilden den Weg der Reihe des sich darstellenden Wissens. Die Reihe der Formen des erscheinenden Wissens wird durch die kritische Negativität in Beziehung auf eine mögliche endgültige Wahrheit konstituiert, wenn das erscheinende Wissen am Bewusstsein seine Wahrheit durch die mögliche Gliederung der Gestalten erreicht. Ist die Wahrheit erreicht, dann stellt die Phänomenologie des Geistes den Weg des natürlichen Bewusstseins als erscheinenden Wissens dar, der die vollständige Reihe der Gestalten oder Momente dieses erscheinenden Wissens aus der Bildung des Geistes erfasst hat. Die konstituierte Erfassung der Momente stützt sich zwar auf die Geschichte als die Ereignisse des ganzen Geistes, die als Gestalten darstellbar sind, sie ist jedoch nur dann wahr, wenn sie selbst daran auch ihre eigene Wahrheitskonzeption aufzeigen kann. Wahr ist zuletzt das erscheinende Wissen, wenn das Wissen dem Gegenstand entspricht und umgekehrt, weil Wissen und Gegenstand im Wissen wechselseitig geprüft werden. (Vgl. GW9, 59) Damit wird allerdings auch eine doppelte Korrespondenz beansprucht, weshalb das Korrespondieren von Gegenstand und Begriff und umgekehrt Erreichen von Wahrheit ist. Hiermit wäre nun eine erste, allerdings auch minimale Begriffsdefinition der Wahrheit geleistet, die zudem jede der traditionellen Wahrheitsdefinition verabschiedet, insofern mit doppelter Korrespondenz jede gewöhnliche ,Korreso

pondenz' über sich hinausgeführt ist. Mit dieser Wahrheitsdefinition ist außerdem eine Instanz erreicht, die bloß identisch scheint, doch zugleich auch die Aktivität der Korrespondenz aufzeigt. Diese verabschiedet jede bloß rezeptive Wahrheit, denn weder ist hier das Wissen vom Gegenstand, noch der Gegenstand vom Wissen abhängig, weshalb auch sowohl das wahre Wissen als auch der wahre Gegenstand einander entsprechen, denn sie stellen die Sache selbst dar. Mit diesen Bestimmungen ist nun auf den ersten Blick kaum etwas zur ersten Behauptung über die Wahrheitsthese in der , Vorrede' der Phänomenologie des Geistes erhellt, dass nämlich die Systemgestalt die Wahrheit darstellt. Dennoch ist die Wahrheit hier grundlegend methodisch gedeutet, d.h. das Wahre ist die methodische Selbstbewegung eines sich als wahr herausstellenden Wissens, die sowohl erscheinendes als auch natürliches Wissen umfasst. Deshalb wird das Ziel der Wahrheit offenbar auch neu interpretiert, sofern das Wahre nicht nur Substanz, sondern auch Subjekt sein soll. Gegen diese Bestimmung verhält sich die Rede vom Wahren als des Ganzen eher als eine plakative Version der Vollständigkeit der Systemmomente. Beide Thesen sind jedoch genau besehen nähere Ausarbeitungen der ersten These: zum System und damit zur Wahrheit gehören Existenz und Reflexion, das Ziel und die Vollständigkeit des Weges. g

Die doppelte Korrespondenz, die eine Parallele bildet zum in beide Richtungen gehenden Schluss (GW9, 423), weist auf ein unzureichendes Singularisierungsverständnis bzw. auf eine Lücke in der Bestimmung der .konkreten Allgemeinheit' hin.

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Es tritt allerdings noch die Präzisierung hinzu, dass nämlich das Absolute für die Vorstellung der Geist ist. Damit ist das Subjekt so benannt, wie es schon in der Religion vorkam. Nicht so sehr wiederholt, sondern vielmehr bestimmt wird in der ,Vorrede' eine spezifische Problematik der Notwendigkeit der Wahrheit. (Vgl. GW 9, 28-30) Die konstitutive Notwendigkeit der Negation ist nur ausreichend, wenn sie als .Wesenheit' des Geistes oder besser umgekehrt, wenn die Wesenheit der Geistigkeit begriffsnotwendig als eine konstitutive und bestimmte Negation verstanden wird und zwar so, dass Wissen oder Begriff von dieser Begrifflichkeit her verstanden werden muss. So weit die Aufgabe der Wahrheitssuche am Anfang der Phänomenologie des Geistes. Die nächste Frage ist, was die Phänomenologie des Geistes leistet und wie sie das genau tut. Es sollen und können hier freilich nur die bedeutsamsten Momente angeführt werden. Das Bewusstsein fängt mit der unmittelbaren Gewissheit an. Die unmittelbare Wahrheit derselben ist dasjenige, was als Wissensbestimmtheit der konkreten Sache ausgesagt wird. Erkannt wird kein unmittelbarer Reichtum, sondern das, was die konkret gegebene Sache ,in Wahrheit' ist. Dies ist nicht die Wahrheit des natürlichen Bewusstseins, bzw. der sinnlichen Gewissheit, da ja die sinnliche Gewissheit in ihrer Gliederung nicht als phänomenologische Erscheinung der Wahrheit zu verstehen ist, so dass ihr ,Seyn' unzureichend oder nicht definitiv ist. Die wahre Sache ist die der Wahrnehmung, d.h. des Nehmens des Wahren oder des Unterscheidens: das Ding ist das Wahre. Die Richtigkeit in der Beziehung auf das Ding zeigt, wie innerhalb des natürlichen Bewusstseins die traditionelle Wahrheitsproblematik als Richtigkeitsproblematik erhalten bleibt, weil der Gegenstand auch als nicht richtig wahrgenommen werden kann. (Vgl. GW 9, 80). Damit ist die Wahr/Falsch-Differenz, die innerhalb der natürlichen Differenz des Bewusstseins erhalten bleibt, dennoch so hingestellt, dass sie zur Frage der Wahrheit der Formen desselben nichts beiträgt. (Vgl. 9,30) 9 Mit dem Verstand tritt dann ein neuer Begriff des Wahren oder der Sache auf den Plan, denn der Verstand hat aufgehört, den Gegenstand hinzunehmen. Der Verstand versteht zwar den Gegenstand, fasst ihn auf, weiß jedoch noch nicht, dass er dieses alles selber tut. So erfasst er den Begriff des an sich Wahren, ohne selbst dies Erfassen zu sein. Mit dem Wahrheitsgedanken nun bekannt, stellt er diesen gegen das hingenommene Sein. Und so entstehen eine innere und eine äußere Wahrheit, die als verkehrte gegen einander gesetzt werden. Diese Erscheinung und das Jenseits oder das Innere derselben, d.h. die Formen des ungewussten aufgebauten Gegensatzes verschwinden erst, wenn die Bewusstseinsstruktur als solche aufgehoben wird. Mit dem Selbstbewusstsein wird dann eine Struktur erreicht, die die Wahrheit der Gewissheit seiner selbst ist. Hier erscheint die Wahrheit dem Bewusstsein als einheimisches Reich. Allerdings ist hier nicht die Wahrheit realisiert, sondern ist die Gewissheit das mit sich gleiche. Die Korrespondenz, die schon jetzt wechselseitig realisiert sein Vgl. R. Aschenberg, ,Der Wahrheitsbegriff in Hegels „Phänomenologie des Geistes'", in: K. Hartmann (Hg.), Die ontologische Option, Berlin/New York 1976,211 ff.

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soll, ist das jedoch nicht, solange die Gleichheit mit sich nur als Abstraktion dargestellt wird. Die Gleichheit ist mit anderen Worten nur als ein nicht dem Bewusstsein entsprechend gedachtes Moment realisiert. Die Vernunft bildet nun die zur Wahrheit erhobene Gewissheit, alle Realität zu sein. Sie findet und betätigt die Entsprechung ihrer Gewissheit zur Wahrheit. Diese letzte Wahrheit, so stellt sich an dem Bewusstsein heraus, ist nicht mehr vom einzelnen Bewusstsein abhängig. Das Wahre gilt somit dem Bewusstsein gegenüber schon als Absolutes oder Substanz. Das, was als natürliches Bewusstsein in der Reihe der Erscheinungen auftritt, hat, obwohl es mit dem Bewusstsein gegeben ist, jetzt die Struktur, Geist zu sein. Der Geist wird dann als jene Wahrheit bestimmt, die alle Realität ist. Er ist nämlich als allgemeines Werk die Darstellung einer eigenen Welt. Das Selbst in dieser Welt ist selber ,als* Wahrheit oder als Gegenstand überhaupt und die Welt ist ,als' selbstbewusst. Die Welt ist eine eigene und als eigene darstellbar. Dabei zeigen sich auch hier die Formen der Beziehung. Der Geist ist erneut eine Gestalt des erscheinenden und natürlichen Wissens. In der unmittelbaren Wahrheit desselben oder im wahren Geist bleibt ,als' verschlossen, weshalb die Beziehung zwischen Selbst und geistiger Welt unmittelbar ist. Das heißt, der Geist ist dem Bewusstsein nach verwirklicht, ohne den Begriff des Geistes als Begriff schon im Dasein erreicht zu haben. In der Entfremdung wird die Ais-Struktur als solche herausgestellt. Die aufeinander bezogenen Beziehungen Selbst und Welt werden gesondert und entgegengesetzt entwickelt. Und die Wahrheit erscheint als das, was gilt, gegen die wahre Wirklichkeit und den Gedanken einer Wahrheit, die gegenüber dem Gedanken der Wirklichkeit nicht fingiert ist. Diese Wahrheiten verschwinden, wenn die Freiheit als das Wesen der Beziehung des Geistes zu seinen Momenten die Macht der Wahrheit des Geistes ausdrückt. In der Moralität sind die Gedanken der Wahrheit und der Wirklichkeit dann als Form versöhnt. Das gedachte Selbst der Freiheit gilt als Wahrheit. Damit findet sich die Beziehung der Momente innerhalb des moralischen Selbstbewusstseins, das der Geist ist. Die Freiheit gilt als das Wahre, an dessen Gedanken sich der selbstbewusste Geist labt, insofern er Gedanke ist und bleibt. Der seiner selbst gewisse Geist ist Wissen und Wahrheit zugleich, denn seine Wahrheit ist das Wissen selbst als und für das Selbstbewusstsein. Das absolute Wesen oder der Maßstab ist nun nicht das Wesen des abstrakten Denkens, sondern als Wissen alle Wirklichkeit. Dieses reine Wissen ist kein formal logisches Wissen mehr, sondern vielmehr ist hier die Wahrheit dem Gewissen - als Inhalt vorgestellt - seine Gewissheit. Die wahre Versöhnung ist die Gewissheit der in ihr gesetzten Momente. Diese ,schöne Seele' ist als Selbstbewusstsein das Bewusstsein des reinen Wissens. Der allgemeine Geist (vgl. GW 9, 364) kann als Gegenstand nicht adäquat in der Wirklichkeit, sondern nur im Selbstbewusstsein realisiert werden. Die Moralität ist als reines Wissen nicht zureichend, das nur seinen Anspruch als realisiert oder sich selbst als wirklich weiß. Dennoch ist der Begriff des Geistes - daseiend - erreicht, er ist Selbstbewusstsein am Selbstbewusstsein.

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Die Religion wird nicht so sehr als Wahrheit, als vielmehr als Selbstbewusstsein des Geistes definiert. Sie stellt das Selbstbewusstsein vor, das sich alle Wahrheit ist und so alle Wirklichkeit enthält. Die Versöhnung erscheint als Gegenstand des Bewusstseins, weil sie als gewusster .realisierter Begriff' auftreten kann. Weil aber ,Wahrheit' eine doppelte Korrespondenz beinhaltet, geht die religiöse Bewegung vom Selbstbewusstsein weiter zum Bewusstsein der Versöhnung. Dieses Selbstbewusstsein, das mit dem Anspruch auftritt, absolut zu sein und Selbstbewusstsein des Geistes zu sein, erreicht solches Selbstbewusstsein allerdings nur über verschiedene Momente. Nur in der Offenbarung erscheint der Begriff der für sich als Selbstbewusstsein erscheinenden Substanz. Der christliche Gedanke der Trinität ist so betrachtet auch noch unmittelbar. Der absolute Geist macht jedoch hier den Inhalt der Wahrheit aus, denn dieser Inhalt ist selbst der Geist in seiner Vollständigkeit und zeigt sich auch als solcher. Die Form des Begriffs ist die des allgemeinen Selbst, wodurch das einzelne Selbstbewusstsein als solches auch nicht erhalten bleiben kann. Der Geist, der sich als Gegenstand in seiner Gemeinde vorstellt, drückt sich als Inhalt aus, der damit zwar für sich, aber noch nicht in der Form des Selbstbewusstseins erschienen ist. Diese letzte Form erreicht das Wissen im absoluten Wissen. Hier erscheint der Begriff endlich in Wahrheit, das heißt als die Einheit seiner und seiner doppelten Erfüllung im Wissen. Die erscheinende Wahrheit ist in dem Dasein der Wahrheit oder für den wissenden Geist selbst in der Form des Wissens ihrer selbst. Sie ist als Wissen der Begriff, der den Begriff des Geistes selbst durchlaufen hat. Die Wissenschaft allein ist deshalb wahres Wissen vom Begriff des Geistes, der sich in Wahrheit weiß. Fassen wir zusammen: Wahrheit ist die Form des Wissens oder der Gedanke der Gegenständlichkeit, allerdings vorerst nur in der Weise des Bewusstseins. Sie ist diese Form, die sich aus der Kritik gegebenen Wissensform oder der Negation der bloßen Gegenständlichkeit jeweils ergibt, ebenso auch im Selbstbewusstsein. Damit ist die Wahrheit als Maßstab des bloßen Bewusstseins auf die Realisierung der Gewissheit desselben herabgesetzt. Die Gegenständlichkeit umfasst dann in der Vernunft dasjenige Selbstbewusstsein, das sich innerhalb des Geistes in mehrheitlicher und objektiver Fassung seiner selbst als Geist realisiert. Dadurch ist Bewusstsein als wirkliches Dasein des Geistes wahrhaft, d.h. als Realisierung des Begriffs, hergestellt und hat der wahre Geist seine Existenz am Selbstbewusstsein. Weil der Geist mit sich als Geist gleichgesetzt wird und so in der Wirklichkeit seinem Begriff entspricht, wird das ganze Beziehungsgefüge der Wahrheitsmomente des Geistes aufgeboten. Das heißt, der Geist realisiert eine erste grundlegende adaequatio seiner mit sich in seiner sich entfaltenden Darstellung. Die realisierte Entsprechung seiner mit seinem Begriff wird zusätzlich in einer eigenen allgemeinen Form hergestellt, wo der Begriff (als Selbstbewusstsein) sich dem Geist (als Selbstbewusstsein) entsprechend aufzuzeigen weiß, nämlich in der Religion. Denn wenn keine eigene Form der Wahrheit aufgewiesen würde, die dem Geistbegriff der ganzen Wirklichkeit entsprechend, nämlich als allgemeines Selbstbewusstsein sei, oder wenn diese eigene Form nicht die Gegenbewegung leistete, käme vielleicht nur

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eine Leerheit statt einer Wahrheit zustande. Diese eigene Instanz wird nun als absoluter Geist gedacht, dessen Form als untätige Tätigkeit die reine Form des Wissens selbst hergibt.10 Solches methodisches Fortgehen ist von der kritischen Negation hervorgebracht oder angeregt, doch nicht so, dass der Fortgang unabhängig von den vorhandenen Gehalten ausgeführt werden könne. Die phänomenologische Wahrheit ist deshalb zuletzt die sich in sich gliedernde Form des selbstbezüglichen, d.h. spekulativen Wissens.11 Was dieses Wissen nun insbesondere leistet, oder wie seine systematische Form zustande kommt, wird weiter untersucht werden.

4. Wahrheit als System A. Wahres Wissen. Im absoluten Wissen der Phänomenologie des Geistes hat sich dem vorgeführten Begriff und Anspruch nach wahres Wissen gezeigt. Ist mit dieser Darstellung der Wahrheit des Wissens die endgültige Darstellung der Erscheinung als die der wahren Wissenschaft geleistet? Ist mit dem Wissen das Ziel erreicht, d.h. sind die Vollständigkeit des Weges und dessen Notwendigkeit erwiesen? Ist das Wissen aus einem einsehbaren Prinzip - und dies heißt nicht Grundsatz - hervorgegangen und damit zur Wahrheit gebracht und dies so, dass kein bewusstseinstheoretischer und Wahrheitsbehauptungen negierender Skeptizismus dieses zur Verzweiflung zu bringen vermag? Oder ist solches Wahres oder solches Wissen selbst mit Mitteln gezeigt, die auch jedes skeptische Bewusstsein als seine eigene akzeptieren muss? Im absoluten Wissen der Phänomenologie des Geistes wird das (reine) Wissen als einziges, mit dem Bewusstsein verbundenes Thema, das wahres Wissen zu sein beansprucht und seinen Anspruch einzulösen scheint, herausgestellt.12 Dies Wissen hat einen Inhalt, es bleibt jedoch auch Ich-Bewusstsein. Der Begriff ist Begriff eines jeden Inhalts, insofern das Ich im Inhalt das Andere des ichhaften Begriffs begreift. Damit ist die mögliche Vollständigkeit des Inhalts im Prinzip oder als innere Notwendigkeit abgeleitet. Das Wissen selbst zeigt sich als mögliche Methodenreflexion in sich. Und sein Inhalt ist nicht die gegenübertretende Substanz, sondern die absolute Substanz oder der Geist, der für sich auf phänomenologische Weise oder als erscheinendes Wissen den Begriff des Wissens als Gegenstand der Betrachtung hat. Mit dem Inhalt des erscheinenden Wissens ist aber noch nicht die prinzipielle Vollständigkeit der Formen des natürlichen Wissens hergeleitet. Dies leistet erst die Erfahrung. Denn hier zeigt sich der Geist in äußerer Notwendigkeit als absolute Substanz

Als systematisches Ergebnis kommt heraus, dass Religion und Philosophie nicht mehr zur Konstitution gehören. Dies geht gegen ,an enduring communal consensustheory of truth' (M. Forster, Hegel's Idea of a Phenomenology

of Spirit, 239).

L. De Vos, Absolute Knowledge in the Phenomenology', 231 ff.

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oder wirklicher Geist. Dieser Inhalt ist der Geist selbst, der an sich Wahrheit ist, und die Erfahrung desselben wird in der Geschichte betätigt. Allein der Geist selber, nicht die Religion, sondern das geistige Selbstbewusstsein ist das wahre Wissen des Geistes selber. Aus dieser zweifachen Vollständigkeit folgt die doppelte Notwendigkeit, sowohl als innere wie als äußere, wenn mit der vorgeführten Vollständigkeit der Begriff des Wissens als vollzogene Vollständigkeit der Reihe der Gestalten des Bewusstsein erreicht ist. Hiermit scheint sich allerdings auch die Lage der Beweisführung umzukehren: In der .Einleitung' ergibt sich aus der Negation, die die Notwendigkeit des Fortgangs bestimmt, die daraus mögliche Vollständigkeit. Denn wenn die Darstellung des natürlichen Bewusstseins als eines erscheinenden Wissens sich tatsächlich als fehlerhaft, oder in Wahrheit negiert, ergibt, lässt sich aus dem Geist die neue Gestalt hervorholen. Deshalb muss auch aus der inneren Notwendigkeit des absoluten Wissens die Rekonstruktion der geschichtlichen Erfahrung ermöglicht werden, weil dann nicht mehr eine neue Gestalt, sondern die Gestaltungsmöglichkeit selbst sich als Erscheinung des Daseins zeigt. Das absolute Wissen ist weder natürliches Bewusstsein, noch erscheinendes Wissen, sondern reales wahres Wissen, das die endgültige Rückerinnerung des Bewusstseins einzusehen vermag, das selbst - dem Dasein nach - geschichtlicher Geist ist, sofern selbst dieses Geschehen in der Zeit als zum Begriff gehörend gefasst wird.13 Im absoluten Wissen zeigt sich also grundsätzlich aus dieser (vorgesehenen) Vollständigkeit die Einsicht in Notwendigkeit. (Vgl. GW9, 432) Dabei bleibt dennoch die doppelte Frage stehen, ob das absolute Wissen mehr als eine bloße de facto Wahrheit erreicht, d.h. ob tatsächlich eine Einsicht in die Notwendigkeit geleistet worden ist? Geleistet ist jedenfalls, dass der reine Begriff des Geistes oder das absolute Wissen da ist. Damit ist das Wissen als einziges Thema eine notwendige Wahrheit, die in bestimmtem Sinn zureichend ist. Zureichend ist das Wissen, das als Ich zusieht, wie sich alles Geistige erkennend betätigt. Auf diese Weise reicht dem Bewusstsein gegen den bewusstseinstheoretischen Skeptizismus die Phänomenologie des Geistes aus, denn das Bewusstsein verfügt über kein Gegenargument mehr. Am Bewusstsein oder fürs Bewusstsein kann das Bewusstsein keine Argumente gegen reines oder spekulatives Wissen mehr vorbringen, weil das Bewusstsein als solches im Inhalt des Wissens aufgehoben ist. Dort erreicht nicht nur das Ich sich selbst als reines Wissen, wodurch für das Bewusstsein sein Gegensatz vernichtet worden ist, sondern dies Wissen erreicht auch die Aufhebung jeder mit dem Bewusstsein oder Geist verbundenen Erscheinungsweise. Vollends zureichend wäre das Wissen allerdings erst, wenn der Begriff als Methodenschritt der Phänomenologie des Geistes einerseits und dessen Dasein als Entfaltung 13

Das Tilgen der Zeit bedeutet, dass die zeitlichen Formen vollständig zum Begriff gehören, d.h. dem Begriff entsprechend gefasst werden können, und es bedeutet zumindest, dass diese Formen nie ganz unvernünftig sind, da sie verwendet oder benannt werden können.

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des in der Zeit erscheinenden Geistes zusammenfielen. In diesem Fall könnte die Phänomenologie des Geistes die eigene Wahrheit als absolute Wahrheit behaupten. Dies scheint aber nicht zu gelingen, weil sich nämlich diese f/nzureichendheit an zwei Momenten darstellt. Sogar die innere Notwendigkeit kann nicht aus sich ohne Eingriff (des uns/wir) zum Begriff als Begriff kommen.14 Es lässt sich deshalb auch bloß die Behauptung aufstellen, dass von nun an sich jedes Bewusstsein dem reinen Begriff des sich selbst wissenden Geistes entsprechend zu erfassen vermag. Zweitens tut sich ein weiteres Problem der ,wesentlichen' Notwendigkeit auf, die weder innere, noch äußere Notwendigkeit umfasst, sondern eine .spekulative' Notwendigkeit ausmacht und auf den Vollzug der begrifflichen Spekulation als solcher bezogen ist, weil am Bewusstsein nicht nur ein Bewusstseinsinhalt, sondern auch ein reiner Inhalt, ,Seyn [...] Verhältniß [...] Leben und Erkennen' usw., sich auftut. Vgl. GW8,286) Mit dem defacto Vollzug der negativ-konstitutiven Gliederung ist die Spekulation als solche also nicht zureichend erklärt, sie ist mit anderen Worten ihrer gliedernden Konstitution nach noch nicht gerechtfertigt. Aus diesem Grunde weist die Phänomenologie des Geistes auf die .spekulative Philosophie' oder auf die Logik hin, in der allein die wissenschaftliche Gestalt der Wahrheit nicht mit ihr als Einleitung und Grundlegung aufhört. Ist also mit dem absoluten Wissen die Sache der Philosophie, die Wahrheit selbst, erkannt? Ist ein wahres System aufgestellt? Mit diesen Fragen kommen verschiedene Sachen ins Visier. Ist mit Wahrheit ein Ansich oder ist damit wahres Wissen oder wahres Wissen des Ansich gemeint? Nur mit der letzten Bestimmung wäre die Sache der Philosophie zureichend erkannt. Aber auch ohne Bewusstseinsgegensatz bleibt dieses Wissen der Sache unvollständig, weil, worauf ja schon hingewiesen ist, noch eine Logik mit in die Fragestellung hineinzunehmen ist, was sich außerdem auch am Problem der Selbstbewegung zeigt. Nun bietet jede neue Stufe des erscheinenden Wissens die bessere Lösung des Problems, denn sie enthält in Wahrheit, was die vorhergehende dem Anspruch nach enthielt. Dies kommt in .Momenten' zur Darstellung, weil diese zu einer Gliederung führen, welche die Wissensmomente über die Negation sichern. Nun reicht selbst diese Negation nicht aus, um die Wahrheit an sich in der Phänomenologie des Geistes herauszustellen, weil nämlich immer wieder neue Inhalte aus der Erinnerung des Geistes hinzugenommen werden müssen. Die Negation als solche und als konstitutive gehört dabei nicht zum erfahrungsmäßigen Inhalt des Geistes.15 Weshalb denn, so muss man fragen, verfügen die abstrakten Momente zugleich über Reinheit, wodurch eine reine Selbstbewegung zustande kommt? Die Abstraktionsleistung ist eine Bestimmung und ein Akt der Negation. Deshalb auch, so scheint das zugrunde liegende Argument zu sein, ist auch die Abstraktionsleistung eine Selbstbe14 15

Vgl. L. De Vos, .Absolute Knowledge in the Phenomenology', 242. U. Claesges, .Das Doppelgesicht des Skeptizismus in Hegels Phänomenologie des Geistesin: H.F. Fulda und R.P. Horstmann (Hg.), Skeptizismus und spekulatives Denken in der Philosophie Hegels, Stuttgart 1996,126.

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Stimmung des erscheinenden Wissens, wodurch die Selbstbewegung desselben zustande kommt. Doch hiermit ist nicht der reine Inhalt selbst und in seiner Vollständigkeit bestätigt, denn dann wäre ja eine Parallelität der reinen Momente in Beziehung auf die phänomenologischen Momente postuliert, die nicht ausgewiesen, sondern bloß vorausgesetzt wird. Dies Problem der Vollständigkeit in den nicht mehr mit Bewusstsein gegebenen Inhalten zeigt sich bei der Umkehrung des Bewusstseins in Beziehung auf den Fortgang der reinen Bewegung. Was in dieser Entsprechung von .Phänomenologie des Geistes' und .Spekulation' gezeigt wird, ist nicht nur, dass die Darstellung der Wahrheit ohne die erscheinende Differenz des Bewusstseins weiter geht, sondern dass gerade die Bewegung selbst aus der Bewegung der reinen und nicht im Bewusstsein erscheinenden Momente gerechtfertigt werden muss, weil sie die eigene Negativität des Begriffs ist, die zwar vom Wissen verwendet wird, aber deshalb noch nicht rechtfertigt ist. Die so auf den Plan tretende .spekulative Logik' scheint autonom zu sein, denn sie hat ihre eigene Bestimmungen zum Inhalt. Doch auch sie ist nicht vollständig (zureichend), da sie nicht aus sich selbst die Realität ihrer Begriffe enthält; denn der Begriff ist selbst als sich als Wissenschaft entfaltender Begriff abstrakt. Auch die logischen Bestimmungen reichen nicht zur Realität aus, wodurch sie zwar in der Lage ist, die begriffliche, aber nicht die zureichende, weil in einer entscheidenden Hinsicht unvollständige, Wahrheit darzustellen. Zu diesem Übergang von der Phänomenologie des Geistes zur Logik kann Hegels Darstellung in seiner Vorlesung über .spekulative Philosophie' von 1806 hinzugenommen werden, die den Übergang weiter bestimmt. (Vgl. GW 5, 473 f.) Hier wird präzisiert, wie das Absolute das Element der nicht leeren logischen Wesenheiten ist, weil die Wirklichkeit sich dem Bewusstsein als seinem eigenen Geist gezeigt hat. Das Wissen selbst als Einheit des allgemeinen und einzelnen Geistes ist also das Element (Absolute) und Wesen (Geist zu sein), Inhalt und Gegenstand der Wissenschaft. Deshalb muss das Wissen auch auf gegenständliche Weise als Sein gefasst werden, d.h. also sein Selbstbewusstsein vernichtet. Die freyheit seines Seyns' (GW 9, 432) wird hierdurch beschrieben. Der Gegenstand der die logischen Unterschiede freigebenden Betrachtung ist erstens das unbestimmt Gegenständliche oder ,Seyn'. Das betrachtende Selbstbewusstsein hat in seiner Wahrheit die vollständige Gewissheit seiner selbst, und weil es wissender Geist ist, schaut es der freien Selbstbewegung zu, die vom Sein zum eigenen Wesen, nämlich Geist zu sein, fortgeht und zeigt, was Sein an sich ist. Die logischen Bestimmungen sind jetzt,Wissen, d.h. daß es in jenen Abstractionen die Bedeutung ihrer Allgemeinheit hat und sie ihm nicht abstracte Momente in dem Sinne sind, als ob sie, von der Realität zurückgezogen, fern von ihr, ihr Geschäft trieben, sondern daß sie allgemeine Wesen sind, in welchen die Realität eben so, indem sie aufgehoben, aufbewahrt ist, und daß es ferner diese Wesen, ihren Gang und ihr Ganzes begreift oder sein Selbst unmittelbar in ihnen hat und in ihnen einheimisch ist.' (GW 5,474).

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Diese Ausführungen bestätigen, dass das einheimische Reich der Wahrheit die Logik ist. Außerdem wird betont, dass die Realität der logischen Wesenheiten das allgemeine Wesen ist, und dass die Realität in der Logik kein Bewusstseinsinhalt mehr ist. Die Logik ist also keine zweite, gesonderte Welt wie diejenige des Verstandes. Dennoch ist die Realität der Bewusstseinswelt herauszustellen und dieses Herausstellen darf nicht unterlassen werden, weil sonst zwar eine Selbstbewegung, aber keine Erkenntnis wirklich zustande käme. ,Die reinen Begriffe der Wissenschaft in dieser Form von Gestalten des Bewußtseyns zu erkennen, macht die Seite ihrer Realität aus.' (GW 9, 432,27) B. Die spezifische Systemstruktur. Damit stellt die phänomenologische Lösung eigens heraus, dass die Logik ohne Realität des Geistes rein und abstrakt ist. Die Realität gewährleistet, dass für das erkennende Bewusstsein überhaupt irgendeine Berufung auf ein Etwas möglich ist.16 Ohne eine solche Realität entstünde ja überhaupt kein Erkennen und bliebe die Logik bloße Bewegung der Begriffe. Ganz spezifisch ist dabei eine wechselseitige Entsprechung von Logik und Phänomenologie des Geistes, indem beide einander wechselseitig bewähren oder begründen, womit insgesamt ein zirkuläres, allerdings auch fehlerhaftes Verhältnis zustande gekommen ist. Deshalb kann die Logik nicht mehr als eine abstrakte wesentliche Wahrheit der reinen Selbstbewegung sein, und bietet die Phänomenologie des Geistes die eigentlich geeignete Realität, die Erscheinung oder das Dasein, weil ja in den Wissenschaften die erkennende Bestimmtheit als Erscheinung bezogen auf das Wesen gedacht wird. Die Notwendigkeit der bewussten Realität der logischen Bewegung scheint dabei ein Relikt des Bewusstseinstheorems zu sein, weshalb die Wahrheit nur von beiden, Logik und Phänomenologie des Geistes, zusammen erkannt wird, denn wenn logische Momente Wesenheiten sind, dann bleiben sie auf das Erscheinen in der und durch die Phänomenologie des Geistes bezogen, wie in dieser die Erscheinung auf natürliche Inhalte bezogen bleibt. Zugleich darf man vermuten, dass diese Bezogenheit mit der doppelten Korrespondenz der Wahrheit des sich prüfenden Bewusstseins zu tun hat. Und zwar so, dass sich das Bewusstsein zum Begriff, wie dieser sich zum Bewusstsein bewegt. Die Zirkularität wäre zwar noch immer vitiös, aber jetzt nicht mehr zufällig. Vielmehr tritt dieselbe jetzt kraft eines Mangels der Wahrheitskonzeption hervor, die noch keine Singularisierung ermöglichte. Dies Spezifische der doppelten Bewegung zeigt sich weiter an der Entäußerung zum Bewusstsein. Das Bewusstsein wird nicht aus dem Wissen allein, sondern aus der spekulativen Wissenschaft hergeleitet. Es ist also nicht die Phänomenologie des Geistes selbst, die die Rückkehr zum Anfang aus sich leistet, sondern die Wissenschaft der .Spekulation'. Die wechselseitige Voraussetzung von Phänomenologie des Geistes und Logik bestimmt die grundlegende Wissenschaft, woraus sich überhaupt erst die Rückkehr zum ersten Bewusstsein herstellt. Deshalb auch scheint das phänomenologische Wissen selbst - ohne Hinzunahme der Logik - methodisch unzureichend oder unvoll-

Von solchen Überlegungen findet sich noch eine Spur am Ende der Wissenschaft der Logik von 1812/16, nicht mehr aber in den Fassungen der .Logik' in der Enzyklopädie seit 1817.

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ständig.17 Es erneuert sich somit das vorherige Resultat: Fürs Bewusstsein ist zwar Vollständigkeit geleistet, aber nicht spekulativ, nicht dem Begriffe nach. Beide Momente der gleichen Unvollständigkeit weisen vielleicht auf eine gemeinsame Doppeldeutigkeit. Beide parallelen Resultate zeigen, dass ihre Unzureichendheit noch eines Komplements bedarf. Beide sind nur von der Sache selbst her möglich gemacht, deren Begriff sie entwickeln. Diese Sache ist der Geist selbst oder die Wahrheit, die keine Einzelheit ihrer selbst darstellt, sondern eine zweifache Korrespondenz der in ihr sich zeigenden Momente aufweist. Dieser Geist erscheint als vorgegebene, reale Substanz einerseits und als hintergründiges Wesen andererseits. Dazu verwendet Hegel die zweifache Bedeutung von Geist, nämlich ein Begriff oder Wesenheit der Logik zu sein, und, obwohl nicht unabhängig vom Selbstbewusstsein, doch über eine eigene Subsistenz zu verfügen. ,Geist' ist logischer Begriff, was Hegel an verschiedenen Stellen bezeugt. So ist Geist das Thema der logischen Entwicklung der Logik-Skizze, wie dies früher in der ,Logik und Metaphysik' von 1804/05 der absolute Geist nach seiner Idee war. Er ist terminus ad quem (vgl. GW 9, 55), wo die wahre Existenz erreicht wird, in der Wesen und Erscheinung einander gleich sind. Und er ist wirklich das Wesen der freien Selbstbewegung selbst (vgl. GW 5, 474). Aus diesem Grunde ist absolutes Wissen der sich in geistiger Gestalt wissende Geist. Das Wissen erreicht aber nicht vollständig sich selbst, sondern heißt bloß Begriff des Geistes. Andererseits ist der Geist das allgemeine Werk und das Resultat der Geschichte, insbesondere der Geschichte der Philosophie. Er ist geschichtliche Substanz und auch vorgegebenes Subjekt, die oder das die jeweiligen eigenen Reiche ausbildet. Weder die Phänomenologie des Geistes noch die Logik können also auch zugleich ihre eigene Wahrheit konstituieren oder rechtfertigen, da sie nur einen Begriff hergeben, der noch einen Rest an ihm hat, der nicht eingeholt werden kann, nämlich den Geist 18

selbst. Dieser Geist kann dann entweder als Wesen oder als Subsistenz oder als Substanz vorausgesetzt werden, entweder als logisches Wesen der Selbstbewegung für eine .Phänomenologie des Geistes' oder als Realität des Geistes zur Sicherung des rein-abstrakten Begriffs. Damit ist nun ein wichtiges Resultat erreicht, das auf eine weitere grundsätzliche Sachlage hinweist. In ihrer Voraussetzung erreicht die Phänomenologie des Geistes zwar den Begriff (der 1804/05 noch die Idee des zugrunde liegenden Geistes ausmachte), der die spekulative Philosophie darzustellen vermag, doch ist dieser Geist als Realität von der Logik ebenso auch vorausgesetzt. Beide setzen in ihrer Wechselseitigkeit eine andersartige Bestimmung des Geistes voraus, so dass der Geist selbst doppelt bestimmt ist. Dadurch ist der Geist nur ,er selbst' in den beiden gegenseitigen Bewegungen und ist er nur das Zugrundeliegende der beiden Bestimmungen, weil die Wahrheit die Bewegung zu sich und umgekehrt ist. 17

18

Vgl. eine ähnliche Auffassung, jedoch mit anderer Pointe bei E.O. Onnasch, ,Die Negativität und ihre Tätigkeit in Hegels „Phänomenologie des Geistes'", in: Hegel-Jahrbuch

1997,220ff.

Damit verschiebt sich die Parallelität Phänomenologie des Geistes - Logik zum Geist selbst.

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Aus dieser wechselseitigen Voraussetzung geht die Notwendigkeit des nicht eingeholten Geistbegriffs selbst hervor. Diese Notwendigkeit des Geistes erscheint an der Bestimmung der Systemstruktur als der Darstellung des Geistes. Diese Systemgliederung rechtfertigt die Unzureichendheit des zum wahren Wissen fortschreitenden Bewusstseins einerseits und die wesentliche Selbstbewegung der Momente der gewussten, rein-abstrakten Wahrheit andererseits, was eine Rechtfertigung in Bezug auf den wirklichen Begriff des Geistes ist, der je nachdem Begriff und auch Realität ist, und deshalb sich als Wahrheit in der doppelten Bewegung bestätigen kann. Der Geist in seinem bloß wesentlichen, reinen Begriff bedarf deswegen einer dreifachen Entäußerung in natürliches oder sinnliches Bewusstsein, der den Begriff Realität verbürgt, und, wie Hegel weiter zeigt, in Natur und Geschichte, die sein und des Bewusstseins Werden vorführen.

5. Resultat In der Phänomenologie des Geistes zeigt die Gewissheit ihren Weg zur Wahrheit. Das wahre Wissen resultiert aus diesem Weg. Zur vollständigen Darstellung der methodischen, selbstbewegenden Notwendigkeit des Weges bleibt das Wissen unzureichend. Denn die Phänomenologie des Geistes ist ohne die Logik keine zureichende Wissenschaft. Umgekehrt ist auch die logische Selbstbewegung abstrakt und bedarf zur Realität der Momente eines Bewusstseins, das sich nicht zum Inhalt hat. Nur zusammen konstituieren beide Sphären, nämlich die des wahren Wissens und die des begrifflichen Wissens, den Begriff oder die wesentliche Wahrheit dessen, was das doppelte Werden des Geistes bzw. die Wahrheit der Darstellung nach ist - oder des Geistes ist, der auf den ,Geist selbst' hinweist. Wenn diese wechselseitige Voraussetzung am Begriff des Geistes sich tatsächlich als richtig ausweisen sollte, ist damit ein zwei- bzw. vierteiliges System unterstellt. Die Phänomenologie des Geistes hat zur Logik eine spezifische Beziehung. Sie führt über die Logik hinaus hin auf die Inhalte des Werdens und des wissenden Werdens des Geistes. Insgesamt ist der Geist die Ausarbeitung seines eigenen Systems: er führt sich aus in dem Bewusstsein, und zugleich erhält er sich in seinem eigenem Element, wie er gegen das Selbstbewusstsein und auch als (Selbst)Bewusstsein entfaltet wird. Sowohl die geforderte Realität der Selbstbewegung, wie der notwendige Übergang ins Bewusstsein deuten also auf eine vielleicht unzureichende, aber spezifische Konzeption hin, die mit einer bewusstseinstheoretisch gefassten Logik im Zusammenhang steht. Diese bringt eine - noch nicht überwundene - Aufspaltung der Erscheinung und des Wesens mit sich, selbst wenn der Bewusstseinsgegensatz überwunden ist, und sie weist vielleicht auch darauf hin, dass Hegel in der Phänomenologie des Geistes noch immer nicht über die Konzeption einer konkreten sich vereinzelnden Allgemeinheit der Wahrheit verfügt.

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Damit ist die eigentümliche Konzeption, in der Phänomenologie des Geistes und Logik zusammengehören, näher dargestellt und scheint die Dualität von Phänomenologie des Geistes und Logik die eigens vorgestellte Wahrheitskonzeption vorauszusetzen, die mit der Bewusstseinsspaltung auftritt. Zugleich scheint diese Dualität der grundlegenden Systemteile die alte Verdoppelung von ,Logik und Metaphysik' zu ersetzen. Denn nach dieser Deutung ist der Geist nicht begrifflich bzw. in Wahrheit eingeholt, denn weder der phänomenologische noch der logische Begriff ist selbst in der Lage, den Geist als seine notwendige, aber unzureichende Voraussetzung nachzuweisen, und sich so selbst, nämlich als logischer Begriff als das Ausreichende und das Wahre selbst in jedem philosophischen Denken aufzudecken. Wichtig ist allerdings die prägende Wahrheitskonzeption selbst. Diese Wahrheit zeigt einen phänomenologischen Begriff und setzt einen reinen voraus, welche jedoch beide nicht ausreichen, die Wahrheit endgültig zu bestimmen. Denn diese lässt sich zwar erkennen, allerdings nur in dem doppelten Zusammenhang der Realität und des reinen Begriffs. Obwohl der Geist selbst nicht ohne den einfachen Begriff und nicht ohne Selbstbewusstsein ist, bleibt der logische Begriff des Geistes seiner Realität nach gerade auf Bewusstseins- bzw. Geistesmomente angewiesen, so dass der logische Begriff des Geistes zwar notwendig, aber nicht zureichend ist. Jedes Bewusstsein, das mit Wahrheitsanspruch auftritt, und deshalb auch über Negation verfügt, kann in einer Einleitung zum .Wissen des Wahren, das selbst begriffliches Wissen' ist, geführt werden. Die Negation leistet zwar die Selbstprüfung, allerdings keine ausreichende Rechtfertigung des Begriffs selbst. Weil das Wissen dazu auf den Geist als reinen Geist verweist, ist es selbst nicht absolute Wahrheit, sondern bloß phänomenologische, d.h. erscheinende Wahrheit. Der Begriff des reinen Geistes verweist ebenso auf den Geist. Diese weitere - endgültige oder subsistierende - Realität weist deshalb zugleich darauf hin, dass nur der Geist sich als zureichend in der ganzen Struktur erweisen kann, weil dann Begriff und Realität in jeder Hinsicht und wechselseitig zusammengehören. Wahr ist so das entwickelte Absolute oder der Geist, dessen Begriff im absoluten reinen Wissen bloß begrifflich realisiert wird. Nicht nur für die Vorstellung, sondern auch für die phänomenologische Philosophie selbst ist der Geist der erhabenste Begriff. (Vgl. GW 9, 22) Dieses Absolute oder dieser Geist ist damit auch als eine metaphysische Subjektivität konzipiert, sich stützend auf eine durchgängige, mit Selbstbewusstsein verbundene, aber nie kritisch darstellbare Geisteskonzeption, die als erreichtes an sich oder als subjektivierte Substanz hingenommen wird.19 Das heißt somit, dass der absolute Geist in der Entwicklung seiner Teile wie seiner Reiche unabhängig von dem spezifischen Begriff seiner selbst existiert.

19

Die Einheit, die nach K. DUsing, Das Problem der Subjektivität

in Hegels Logik, 197f., für Logik

und Metaphysik zu fordern gewesen wäre, ist zwar realisiert, das Absolute derselben bleibt aber in beiden bloß ideell.

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Diese phänomenologische Konzeption misslingt vielleicht deshalb, weil sie sich auf 20

einen solchen metaphysischen Geistesbegriff stützt, der, wenn akzeptiert, zwar erkannt, aber nicht zureichend als reine philosophische Denkbestimmung gesichert werden kann, weil er in der Darstellung in je anderer Bedeutung schon als gesichert vorausgesetzt wird. Insgesamt zeigt diese Konzeption, dass der Geist, obwohl er an sich wahr und einsam hätte bleiben können, dennoch sein erkennbares Reich herausgebildet hat, und dadurch, wie sich dies ,in Wahrheit' erkennen lässt.

Gerade dies Dasein des Geistes, es sei als Bewusstsein, es sei als Zeit, ist mit der logischen Konzeption eines Denkens des Denkens (in der Wissenschaft der Logik von 1812/16) verschwunden.

OTTO PÖGGELER

Die Phänomenologie' - Konsequenz oder Krise in der Entwicklung Hegels?

Ende der sechziger Jahre drängte die Deutsche Forschungsgemeinschaft auf eine Neuordnung der Hegel-Edition. Auf einem Kolloquium in Bad Godesberg wurde der Vorschlag diskutiert, Hegels Werk in Abteilungen aufzugliedern und dann für einzelne Abteilungen in einem übersehbaren Zeitraum etwas Abgeschlossenes zu erstreben. Dafür wurden neben Hegels Frühschriften die Texte aus der Jenaer Zeit vorgeschlagen. Damals konnte z.B. Werner Marx die Differenzschrift ins Spiel bringen, Josef Derbolav die Problematik von ,Volksgeist' und ,Sprache' aus der Mitte von Hegels Jenaer Jahren. Weitere Diskussionen dieser Art führten zusammen mit der Ausdehnung der Buchstabenstatistik auf die Jenaer Manuskripte zu einem Umsturz in der Chronologie von Hegels Jenaer Texten. Das war dann, zusammen mit der neuen sachlichen Erörterung von Hegels Texten, die Voraussetzung für die Edition von Hegels Jenaer Arbeiten. Nun kann das Kolloquium Hegels Jenaer Systemkonzeptionen einen Rückblick auf eine getane Arbeit wagen - ,getan', was die Edition betrifft! In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde das sog. Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus Hegel zugesprochen, aber zugleich Hegels Wendung zum ,echten' Skeptizismus des Sextus Empiricus schon in Frankfurt und die Entwicklung von Hegels Denken in Jena diskutiert.1 Damit wurde der frühe Hegel stärker in den Freundeskreis um Hölderlin gerückt, dessen Mitglieder zumeist Fichte hatten hören können. Hegel entfaltete am Anfang der neuen Gemeinsamkeit mit Hölderlin in Frankfurt das Wortspiel der Entfremdung, als er die Grundausrichtung des jüdischen Volkes einer geradezu Voltaireschen Kritik unterwarf. Die Griechen zeigten weiterhin den guten Anfang der abendländischen Geschichte, in dem die Menschen als Bürger einer PoIis - anders als Abraham und Noah - aus dem Vertrauen zu Gott, zur Natur und zur geschichtlichen Welt lebten. In Jena forderte Hegel dann eine philosophische Durchdringung der christlichen Kreuzestheologie und sprach in seinem großen Aufsatz ,Glauben und Wissen' von einem spekulativen Karfreitag. So konnte die Rede von der

Vgl. H. Kimmerle, ,Zur Entwicklung des Hegeischen Denkens in Jena'; H. Buchner, ,Zur Bedeutung des Skeptizismus beim jungen Hegel'; O. Pöggeler, ,Hegel, der Verfasser des ältesten Systemprogramms des deutschen Idealismus', in: Hegel-Tage Gadamer, Bonn 1969 (Hegel-Studien. Beiheft 4), 33ff„ 49ff., 17ff.

Urbino 1965, hg. von H.-G.

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Entfremdung eine positive Bedeutung gewinnen und in der Phänomenologie des Geistes einen notwendigen Durchgang in der Geschichte bezeichnen. Die Phänomenologie ist durch die französischen Bemühungen von Jean Wahl über Alexandre Kojève bis Jean Hyppolite zu einem Werk aufgestiegen, das selbst von Hegelgegnern wie Emmanuel Lévinas neben Piatons Staat und Kants Kritiken gestellt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden nach langer Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland die jungen Franzosen und Deutschen zueinander, bis de Gaulle und Adenauer ihnen das Ruder aus der Hand nahmen und 1963 den Elysée-Vertrag schlossen. Da hatte in der Philosophie schon der neue Austausch mit den USA begonnen, der die analytische und sprachanalytische Philosophie in den Vordergrund rückte und zum Pragmatismus, auch von Peirce, fand. Zu den bleibenden Ergebnissen der Hegel-Forschung der letzten fünfzig Jahre darf man rechnen, dass die Entstehung der Phänomenologie des Geistes und ihre Rolle in der Entwicklung von Hegels Denken aufgeklärt werden konnten. Heute sehen wir, dass die Phänomenologie schon durch Hegels Frankfurter Überlegungen vorbereitet wurde: Geschichtliche Gestalten wurden analysiert, damit die philosophische Durchdringung der politischen und religiösen Tradition wie der Aufgaben der Zukunft gelingen konnte. In der Differenzschrift von 1801 wiesen die einleitenden Erörterungen etwa über das Bedürfnis der Philosophie zurück auf die Frankfurter Zeit, die Überlegungen über Bildung und Geschichte voraus auf die Phänomenologie. Fragt man im engeren Sinn nach der Entstehung der Phänomenologie, dann darf man Karl Rosenkranz folgen. Dieser hielt 1844 in seiner Biographie Hegel's Leben fest, dass Hegel mit seinem Landsmann Bardiii die ,Logik' wieder in ihrer Unabhängigkeit von der ,Geschichte des Selbstbewusstseins' gefasst habe. Doch habe er, anders als Ploucquet und Bardiii, das Denken nicht als Rechnen genommen. Er habe schließlich (gemäß seinen ursprünglichen Interessen) in den Einleitungen zur , Logik und Metaphysik' den Begriff der Erfahrung entwickelt, welche das Bewusstsein von sich selbst mache. Daraus sei seit 1804 die .Anlage' zur Phänomenologie entstanden. In diese ,ideale Geschichte des Bewusstseins' (die schon von Fichte und Schelling entfaltet gewesen sei) habe Hegel , zuletzt allen Inhalt des empirisch geschichtlichen Bewusstseins' hineingezogen. Dieses Vorgehen habe zu dem geführt, was Rosenkranz in einem Zwischentitel Die phänomenologische Krisis des Systems bis 1807 nennt. Fast ein Jahrhundert später hat Theodor Haering Hegel einen Bruch in der Konzeption der Phänomenologie vorgehalten. So konnte man dann gemäß Hegels wechselnden Titeln eine .Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns' von einer .Phänomenologie des Geistes' unterscheiden. Dann wollte Hermann Schmitz gar für Hegel selbst eintreten und zeigen, was von der Phänomenologie bleiben dürfe. Solchen Überheblichkeiten gegenüber muss man darauf bestehen, dass Hegel auch da, wo er Vgl. K. Rosenkranz, Hegel's Leben, Berlin 1844, 150f., 201 f. - Zum Folgenden vgl. zu Haering und Schmitz O. Pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, Freiburg/München 1993,2. erw. Aufl., 193ff., 419ff.

DIE ,PHÄNOMENOLOGIE' - KONSEQUENZ ODER KRISE IN DER ENTWICKLUNG HEGELS?

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noch eine .Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns' als kurze Einführung in seine .Logik' plant, den ganzen Weg der Phänomenologie bis zum .absoluten Wissen' gehen will. Änderungen traten in der Ausgestaltung des einzelnen ein. Die Phänomenologie setzt sich durch in einer Reihe von Verschiebungen innerhalb der Systemkonzeptionen des frühen Hegel. Am Ende seiner Frankfurter Zeit will Hegel in der .Philosophie' die Begriffe in ihrer Endlichkeit und Einseitigkeit fassen, dann in Ausführungen über .Religion' den Menschen zu Gott führen. In Jena übernimmt die .Logik' die Aufgabe der Philosophie, die .Metaphysik' die Aufgabe der Religion. In der zweiten Hälfte seiner Jenaer Jahre schließt Hegel ,Logik und Metaphysik' zur einen ,speculativen Philosophie' zusammen, die nun einfach Logik genannt wird, dabei formale und transzendentale Logik und metaphysische Themen umschließt. Die sog. .Realphilosophie' von 1805/06 gibt die zweimal drei Kapitel dieser .speculativen Philosophie' an: .absolutes Seyn, das sich andres (Verhältniß) wird, Leben und Erkennen - und wissendes Wissen, Geist, Wissen des Geistes von sich'. (GW8, 286) Die ,Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns' oder Phänomenologie des Geistes' folgt im Wesentlichen dieser .Logik' oder ,speculativen Philosophie'. Dabei wird die Darstellung allerdings immer länger und unproportionierter. Das Kapitel über die .sinnliche Gewißheit' hat 16 Seiten, das fünfte Kapitel über die Vernunft' schon 214 Seiten und mannigfache Unterteilungen. Der Text explodiert gewissermaßen. Wäre die .Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns' so fortgeführt worden, wie sie begonnen worden ist, dann hätte sie mit 100 Seiten leicht als Einführung in der Logik stehen können. Doch sie wird als Phänomenologie des Geistes zu einem selbständigen Buch von 850 Seiten. Die Wissenschaft der Logik implodiert dagegen. Sie hat in der Ideenlehre noch breite Ausführungen über das .Leben', aber nur weniges über das ,Gute' und nur Andeutungen über die .absolute Idee'. Natürlich kann man sagen, Hegel habe auch in wenigen Sätzen entfalten können, was das Gute sei. Doch darum geht es nicht; entscheidend ist, dass Hegel das Gute wie das Leben teleologisch denkt. In seiner Enzyklopädie kann er gar das ,Gute' durch das ,Wollen' austauschen. Hier muss man jedoch Hannah Arendt Recht geben: Das Gute führt bei Aristoteles zu einer praktischen oder politischen Philosophie; die Neuzeit begibt sich auf einen verhängnisvollen Weg, wenn sie zum Erkennen das Wollen stellt, vom Sichwollen her sich zur Geschichte führen lässt und so die praktische Philosophie mit der Offenheit ihrer Handlungszusammenhänge durch Geschichte mediatisiert. Hegel führt in der Zeit seiner großen Wirksamkeit in Berlin seine Schüler in verschiedener Weise hin zu seinem System: Er zeigt den Weg von der Religion zur Philosophie auf; er sieht in der Geschichte der Philosophie die Systematik vorgeprägt. Im maßgeblichen Kompendium, der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, sollen Ausführungen über die drei Stellungen des Gedankens zur Objectivität' in der neueren Philosophie propädeutisch zum System hinführen. Nur in vieldeutiger Weise äußert Hegel sich zu

Vgl. H. Arendt, Vom Leben des Geistes, Bd.II, Das Wollen, München 1979.

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der Frage, wie die Phänomenologie des Geistes zu seinem System gehöre oder aber ein ,eigenthümliches Werk' aus früherer Zeit sei. Hätte er seinen Schülern nicht klar sagen sollen, in der .Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns', die dann zur Phänomenologie des Geistes geworden sei, habe jede Gestalt in den Gebrauch eines logischen Grundbegriffes einführen sollen, dann aber habe er in der Bamberger und Nürnberger Zeit den Aufbau der Logik umgestaltet, so dass die Entsprechung verloren gegangen sei? Hegel hätte so unter seinen Schülern - von Gabler bis Hinrichs und Michelet - viele Wirren vermeiden können. Heute stellt sich uns die Frage, ob die angedeuteten Schwierigkeiten in der Entwicklung und Ausgestaltung von Hegels Denken uns nicht auf ein Problem verweisen, das von Hegel nicht bewältigt wird.

I.

Ansatz und Aufbau der »Phänomenologie'

Hegel hat im Februar 1806 Ausführungen über den Anfang einer .Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseyns' und einen kurzen voranstehenden Text in den Druck gegeben. Als die .Wissenschaft der Erfahrung' zu einer Phänomenologie' wird, bekommt dieser vorangestellte Text im nachträglichen Inhaltsverzeichnis den Titel .Einleitung'. In diesen vorbereitenden und vorläufigen Überlegungen gebraucht Hegel die leitenden Begriffe in einer lockeren Weise gemäß der Umgangssprache der Philosophen. Entscheidend ist dabei das Verhältnis von Wissen und Wahrheit. So sagt Hegel, dass die beabsichtigte Prüfung des Wissens den Maßstab in sich selbst finde. Wir sprechen von Wissen, wenn ein Sein für ein Bewusstsein ist. Wahrheit meint dann die Entsprechung von Sein und Für-uns-sein oder auch von Wesen und Erscheinung. Die Wahrheit ergibt sich erst in einem Prozess. Aus der Prüfung der Wahrheit des Wissens der philosophischen Grundbegriffe entspringt jeweils ein neuer Gegenstand. Wir unterscheiden beim Seienden Dass-sein und Was-sein und kommen über Qualität und Quantität zur Relation, zum Verhältnis von Substanz und Akzidens. Die Gestalten des Bewusstseins folgen diesen Grundbegriffen des Denkens, also den Momenten der ,Logik' (wenigstens in einer exemplarischen Auswahl). Die Gewissheit will als sinnliche die schlechthin einzelnen ,Diese' oder das ,reine Seyn' (als Dass-Sein) wissen. Spricht sie ihr vermeintliches Wissen aus, dann deckt das Wort dieses sowohl dieses wie jenes ,Dieses'. In einer Umkehrung oder Dialektik muss sie anerkennen, dass sich ihr An-sich, die schlechthin einzelnen .Diese', als ein bloß gemeintes erweist. Was sie wirklich im ausgesprochenen Wissen hat, die kumulative Allgemeinheit, muss zum An-sich werden. Zu ihm hin kehrt sie sich ,dialektisch' um, mit ihm muss die neue Gestalt der Wahrnehmung, die sich nach Hegels Sprachgebrauch das Wahre nimmt, ihre Erfahrung machen. Hegel sagt am Schluss der ,Einleitung' vom Bewusstsein: .Indem es zu seiner wahren Existenz sich forttreibt, wird es einen Punkt erreichen, auf welchem es seinen Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behafftet zu seyn, oder wo die Erscheinung dem Wesen gleich wird, seine Darstellung hiemit mit

DIE .PHÄNOMENOLOGIE' - KONSEQUENZ ODER KRISE IN DER ENTWICKLUNG HEGELS?

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eben diesem Punkte der eigentlichen Wissenschafft des Geistes zusammenfällt, und endlich, indem es selbst diß sein Wesen erfaßt, wird es die Natur des absoluten Wissens selbst bezeichnen.' (GW 9, 61-62) Theodor Haering und Martin Heidegger dachten an den Übergang vom ,absoluten Wissen' zur Logik. Doch es ist von einem Punkt in der Phänomenologie vor der Bezeichnung der Natur des absoluten Wissens die Rede. So habe ich eine Zeitlang in der Geistesphilosophie die ,eigentliche Wissenschaft des Geistes' finden wollen und gemeint, bei der Vernunft und vor allem dem Geist gebe es Parallelen zwischen der Phänomenologie und der Geistesphilosophie (was ja auch der Fall ist). Doch ist für Hegel am Ende der Jenaer Zeit ,Geist' der höchste Begriff der ,speculativen Philosophie' oder der ,Logik'. So ist die .eigentliche Wissenschaft des Geistes' die .Logik', im Unterschied zur .Phänomenologie' als ,Wissenschaft des erscheinenden Geistes'. In der Phänomenologie erscheint der Geist in den Erfahrungen, die das Bewusstsein mit den Grundbegriffen der ,Logik' macht und die zu unterschiedlichen Gestalten führen.4 Was Hegel am Schluss der .Einleitung' sagt, wiederholt er in der Phänomenologie selbst. Vor allem sagt er es noch einmal in der .Vorrede', die er der fertigen Phänomenologie als ,Vorrede' zum begonnenen ganzen System der Wissenschaft voranstellte. Hegel sagt, die Phänomenologie des Geistes habe mit ihrem Weg zum absoluten Wissen sich das .Element des Wissens' erarbeitet. ,In diesem breiten sich nun die Momente des Geistes in der Form der Einfachheit aus, die ihren Gegenstand als sich selbst weiß. Sie fallen nicht mehr in den Gegensatz des Seyns und Wissens auseinander, sondern bleiben in der Einfachheit des Wissens, sind das Wahre in der Form des Wahren, und ihre Verschiedenheit ist nur Verschiedenheit des Inhalts. Ihre Bewegung, die sich in diesem Elemente zum Ganzen organisiert, ist die Logik oder speculative Philosophie.' (GW9. 30) Hegel sagt hier nichts anderes als am Schluss der .Einleitung', doch gebraucht er nun die Begriffe von Bildung und Geschichte viel konkreter. Er bleibt aber dabei: In der Phänomenologie fallen die Momente des Geistes, also die Begriffe der ,speculativen Philosophie' oder ,Logik', auseinander in den Gegensatz des Seins und Wissens. In der Logik sind sie das Wahre in der Form des Wahren. Von den verschiedenen Weisen, in denen Hegel innerhalb der Phänomenologie vom Ansatz und Aufbau des ganzen Werkes spricht, soll nur eine herausgehoben werden. In der Einleitung zum Kapitel über .Religion' blickt Hegel zurück auf die dargestellten Linien des Erfahrens und sagt, diese gingen in Knoten in sich zurück und begännen so immer wieder neu. Von den Knoten her könnten die Linien in einen Bund zusammengefasst werden. Das ,Bewußtseyn' geht z.B. nach der ,sinnlichen Gewißheit' und der .Wahrnehmung' mit dem .Verstand' in sich zurück und kann so als .Selbstbewußtseyn' neu beginnen. Legt man die Linien von Bewusstsein und Selbstbewusstsein nebeneinander, dann kommt die .sinnliche Gewißheit' im .Bewußtseyn' neben die .Selbstständigkeit des Herrn' im .Selbstbewußtseyn' zu liegen. Von diesem Bund sind dann auch

4

Vgl. Pöggeler, Hegels Idee..., 192ff.,207ff.,419ff.

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die Formen der .Religion' geprägt.5 So sind die ersten Formen der Naturreligion, die ,parsische Religion' und der jüdische Monotheismus', durch die ,sinnliche Gewißheit' vom Licht im Unterschied zum Dunkel und auch durch das Herr-sein bestimmt. Da nach Hegel die vernünftig interpretierte .christliche Religion' alle Möglichkeiten des Religiösen in sich vereint, kann sie als Sichwissen des Geistes sich mit dem weltlichen und sittlichen Dasein des Geistes verbinden und sich zum absoluten Wissen als solchen erheben. Für Hegel ist die Phänomenologie ein Linienbündel, dessen vollkommene Ordnung in den dargestellten Erfahrungsprozessen freilich nicht immer erreicht wird. Für die ,Unform' der letzteren Partien entschuldigt sich Hegel bekanntlich eigens gegenüber Schelling. Zweifellos gibt es einen Grundbegriff, der sich durch die Phänomenologie im ganzen durchzieht, nämlich den Begriff der Anerkennung. In seinem Frankfurter Fragment über die ,Liebe' sagt Hegel mit Shakespeares Julia: ,Je mehr ich gebe, desto mehr habe ich.' Die Liebenden steigern sich wechselseitig hoch zu dem, was sie in der Liebe und durch diese werden. In der Jenaer Zeit konnte Hegel dann mit Hobbes diesen Prozess als Kampf erfassen. In der Phänomenologie des ,Selbstbewußtseyns' führt der Kampf zwischen Herr und Knecht zur Anerkennung. Jene, die in einer bestimmten Sphäre ihre Ehre haben, müssen sich gegenseitig anerkennen. Das gilt gerade in jenem Bruch in der Geschichte, in dem spätestens seit der englischen ökonomischen Revolution und der französischen politischen Revolution gegensätzliche Formen des Zusammenlebens die Geschichte bestimmen. Der bourgeois, der von Tauschgeschäften lebt, und der citoyen, der sich den Staatsgeschäften widmet, müssen sich gegenseitig als Bürger gelten lassen. Hegel führt diese Überlegungen weiter zum Verhältnis zwischen Gott und Mensch im .unglücklichen Bewußtseyn'. Muss Gott nicht anerkennen, dass er eigens Mensch werden muss; muss der Mensch nicht anerkennen, dass er sich zu Gott zu erheben hat? Indem Hegel später die Gewissensproblematik von Kant, Fichte und Jacobi bis hin zu den Romantikern darstellt, kann er indirekt Novalis und Hölderlin als .schöne Seele' und .hartes Herz' auffordern, auch Friedrich Schlegel anzuerkennen, der sich (nach Hegels Meinung) ganz auf sich selbst stellt und sogar (im berühmten Lob der Frechheit) das Böse-Sein übernimmt. In dieser .Beisetzung der Romantiker' nimmt Hegel die Figuren und Stationen aus Jacobis Roman Woldemar als Leitfaden und trägt in sie die Schicksale seiner Generationsgenossen ein.6 In der Einleitung zu diesem Abschnitt sagt Hegel,

Vgl. M. de la Maza, Knoten und Bund. Zum Verhältnis von Logik, Geschichte und Religion in Hegels ,Phänomenologie des Geistes', Bonn 1988. (Neuzeit und Gegenwart. Band9.) - Zum folgenden vgl. U.R. Jeck, ,Zervane Akerene - Ein orientalisches Mythologem in Hegels Berliner Interpretationen zur Zendreligion', in: Jahrbuchßr Hegelforschung, 6/7,2002,277ff. Emanuel Hirsch hat 1924 die .Beisetzung der Romantiker in Hegels Phänomenologie' behandelt. Vgl. dazu auch O. Pöggeler, Hegels Kritik der Romantik, München 1999, 2.Aufl. Zur Gewissensdialektik vgl. zuletzt D. Köhler, .Hegels Gewissensdialektik', in: G.W.F. Hegel. Phänomenologie des Geistes, hg. von D. Köhler und O. Pöggeler, Berlin 1998 (Klassiker Auslegen, 9), 209ff.

DIE .PHÄNOMENOLOGIE' - KONSEQUENZ ODER KRISE IN DER ENTWICKLUNG HEGELS?

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das Dasein der Person sei ,Anerkanntseyn'. Er spricht vom Anerkanntwerden', vom Anerkennen', vom ,nichtanerkannten' Dasein des besonderen Fürsichseins. Der Schlusssatz dieses Abschnitts nennt das Ja der ,schönen Seele' zur Möglichkeit des Bösen, die doch die Freiheit voraussetzt, den erscheinenden Gott mitten unter ihnen, die sich als das reine Wissen wissen'. (GW9, 340-362, s. bes. 362) Eine letzte Anerkennung führt hier also zur Religion. Dort reklamiert Hegel schließlich das Anerkennen auch für die Aufnahme des Weltlichen und Sittlichen in die Religion, damit für die Konstitution des absoluten Wissens.7 Der Schluss der Phänomenologie unterscheidet von dem, was üblicher Weise Geschichte genannt wird, die Phänomenologie als ,begriffne Organisation' der Geschichte. Nach der Geschichte im üblichen Sinn ist z.B. in der Kunst der Weg von Homer über die Plastik bis zur Tragödie und Komödie ein konkreter, zufallsbehafteter Weg. Die Phänomenologie dagegen nimmt die griechische Kunst in ihrer Verbindung mit der Religion als Kunstreligion, die nach ihren Möglichkeitsformen vorgeführt wird. Dabei greift sie auf die .Logik' zurück, deren Momente zum Erfahrungsprozess der Phänomenologie führten. So ist die Phänomenologie die begriffene Organisation der Geschichte. Beide zusammen, die übliche Geschichte und die phänomenologische Geschichte, »bilden die Erinnerung und die Schädelstätte des absoluten Geistes'. Aus deren Gestaltungen schäumt nach Schillers Gedicht Die Freundschaft dem absoluten Geist seine Unendlichkeit. (GW 9,433 f.) Bekanntlich hat Hegel in seiner Rechtsphilosophie von 1820 am Schluss des Moralitätskapitels den Prozess der Gewissensgestalten entschärft, aber auch polemisch gegen Schlegel ausgerichtet. Die Rechtsphilosophie mündete in eine Geschichtsphilosophie. Hegel konnte hier dem Zufall eine größere Rolle zubilligen, als er es in Jena in der Phänomenologie des Geistes getan hatte. Doch musste er in einem verstärkten Systemzwang seine These erzwingen, die ,Geschichte der Philosophie' folge den Momenten der ,Logik'. So musste Heraklit als Vertreter des Werdens auf den Seinsdenker Parmenides folgen; für die Neuzeit konnte Hegel kaum seine These belegen. Für die Wirkungsgeschichte Hegels ist es bisher nicht sehr folgenreich, dass er sein eigenes Programm nicht überzeugend ausgeführt hat. Das möchte ich nun durch einen kurzen Blick auf die Kontroversen über Hegels Philosophie, insbesondere über die Phänomenologie des Geistes und ihre uneingelösten Programmaspekte, in den letzten hundert Jahren zeigen, und ich möchte eine Konsequenz, die daraus gezogen werden kann, vorschlagen.

Vgl. L. Siep, Anerkennung als Prinzip des praktischen Philosophie.

Untersuchungen zu Hegels

Jenaer Philosophie des Geistes, Freiburg/München 1979. Den Jenaer Texten wird eine größere ,Nähe' zu den Aufgaben der praktischen Philosophie der Gegenwart zugesprochen als Hegels späteren Überlegungen, s. 22

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II. Phänomenologie und Hermeneutik Was bedeutet die Phänomenologie des Geistes innerhalb der Überlieferung des abendländischen Denkens? Die Griechen suchen das mannigfaltige Sein in allem Seienden; die Neuzeit macht den Zugang zum Sein zum Problem. In einer vorsichtigen Weise, von der .reflektierenden Urteilskraft' aus, fragt Kant nach dem Zusammenhang der theoretischen, praktischen und poietischen Sphäre. Demgegenüber bezieht Fichte die Wahrheit auf eine letzte Selbstgewissheit als das strukturierende Prinzip. Konnte man nicht eine transzendentale Geschichte, die von den Stufen unseres Selbstgewinns spricht, der wirklichen Geschichte voranstellen? Schelling teilt diesen Weg mit Fichte; dann stellt er dem transzendentalen Idealismus die Naturphilosophie zur Seite. In der Freiheitsschrift spricht er gar von einem gedoppelten Absoluten: Was nur Grund in Gott ist, führt zu Krankheit und Schuld; es muss geeint werden mit dem, was Gott als er selbst ist. Das geschieht in der Liebe, die das jeweils andere freizulassen vermag. Doch bleibt Hegel der Autor, an den Marx sich anschließt mit den alles überragenden weltgeschichtlichen Folgen, die das gehabt hat. In den Pariser Manuskripten sucht Marx den Übergang von der theoretischen Durchdringung von Welt und Geschichte zur Geschichte der frei gewordenen Praxis der legitimen Ordnung unserer Wissens- und Verhaltensweisen. Die Phänomenologie des Geistes habe das Geheimnis der Hegeischen Philosophie in sich getragen, das nun in die Praxis umzusetzen sei. Der Bezug auf Hegel geht im zwanzigsten Jahrhundert recht unterschiedliche Wege. Richard Kroner führt mit Hegels Selbstverständnis von Kant über Fichte und Schelling zu Hegels eigener abschließender Systematik. In der Emigration wendet er sich jedoch dem jungen Hegel und Kierkegaard zu und sucht die Theologie und die Religion aus der Umklammerung der spekulativen Philosophie zu befreien. Auch Julius Ebbinghaus glaubt in seiner Dissertation von 1910 einen absoluten Idealismus vertreten zu können. Nach seinen Gesprächen mit dem jungen Heidegger stellte er dem Jenaer Hegel die Jugendschriften von Hegel und den Bezug zu Hölderlin voraus. Als er zu einer reduzieo

renden Kantinterpretation gelangt, verwirft er diese Jugendsünden. Doch die Gegensätze in der Interpretation der Tradition des deutschen Idealismus melden sich immer neu. Im Folgenden beschränke ich mich auf die Interpretationsansätze von Klaus Düsing und Manfred Baum. Klaus Düsing hat in seiner wegweisenden Arbeit über Hegels ,Logik' mit Hegel die Problematik der Grundbegriffe oder der Kategorien, wie Kant und Husserl sie entfalten, aufgenommen. Hegels ,Logik' wird zum Grundbuch des Deutschen Idealismus und jedes Anschlusses an ihn dadurch, dass sie nicht nur die Grundbegriffe vorführt, sondern auch ihren Ordnungszusammenhang selbstreflexiv werden und sich so selbst tragen lässt. Zeigt jedoch Kants Kategorienlehre jene Geschlossenheit, die auch noch die AusGegen alle Beschwörungen von Ebbinghaus ist seine Habilitationsschrift doch ediert worden, vgl. J. Ebbinghaus, Gesammelte Schriften, Bd.4, Zum Deutschen Idealismus, Bonn 1994.

DIE .PHÄNOMENOLOGIE' - KONSEQUENZ ODER KRISE IN DER ENTWICKLUNG HEGELS?

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gestaltung durch Hegels ,Logik' rechtfertigt? Günther Patzig z.B. hat Kants Behauptung, die Urteilsformen als Leitfaden bei der Suche der Kategorien genommen zu haben, auf ihren .Kristallisationspunkt' in der Entsprechung zwischen den kategorischen Urteilen und der Relation von Substanz und Akzidens sowie zwischen den hypothetischen Urteilen und der Kategorie von Ursache und Wirkung reduziert. Bei der Quantität und vor allem der Qualität habe ,kein Kant-Interpret eine solche sachliche Beziehung bisher entdeckt'. Hat nicht die moderne Naturwissenschaft auch deutlich gemacht, dass eine Kausalität nicht gegeben ist, die als fester Begriff nur unterschiedlich für Materie und Lebendiges, dann auch als Kausalität aus Freiheit anzuwenden sei?9 Manfred Baum findet den eigentlichen Ausgangspunkt von Hegels Unternehmen denn auch eher bei Spinoza. Die entschlossene Idealismuskritik, zu der Julius Ebbinghaus übergegangen war, steht Pate. War nicht die neuplatonische Tradition jene Gosse, in der alle Widersprüche zusammenlaufen konnten, Philosophie sich selber aufgab?10 Der junge Hegel bekam schon von Shaftesbury oder seinen Nachfolgern her neuplatonische Gedanken zugesprochen. Zeigt dieser Autor aber nicht, dass in der Tat die Wissenschaften vom Schönen und von der Kunst, überhaupt die Geisteswissenschaften viele Anstöße dieser neuplatonischen Tradition verdanken? Bleibt nicht Hegels ,Logik' (wie Theodor Litt es annahm) deshalb wichtig, weil sie Kant wie Herder aufnahm und zum naturwissenschaftlich Allgemeinen ein geisteswissenschaftlich Allgemeines stellte? So konnte man mit Alexandre Kojève fragen, ob nicht von Hegels Phänomenologie aus sich die Geschichte der religiösen und der realen Grundtendenzen unserer Zeit aufschließen ließe. Ein amerikanischer Regierungsberater wie Fukuyama schien wenigstens kurzfristig beim Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums um 1989 den Weg zur einen Welt mit Kojèves Rückgang auf Hegels Phänomenologie erfassen zu können. Arbeitsteilung und Markt galten dabei als die tragenden Strukturmomente der Weltzivilisation.11 Nachdem Fukuyama den Blick auf Japan und dann auf die tatsächliche Globalisierung richtete, hat er selbst diese Sicht aufgegeben. Hegels Phänomenologie ist überdies ein Werk, das auch bei Schriftstellern zählt, vor allem bei ihren Spekulationen über die Wege der Geschichte. Ich erinnere nur an die Titel einer Romantrilogie von Robert Menasse: Sinnliche Gewissheit von 1988 führt 1991 zu Selige Zeiten, brüchige Welt und 1995 zu Schubumkehr; 1995 erläuterte eine Phänomenologie der Entgeisterung die These des Autors, in ihm habe Hegel sich vollendet. Rita Kuczynski, Frau des Sohnes des Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski, Vgl. K. Diising, Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik, Bonn 1976 u.ö. Vgl. ferner G. Patzig, ,1. Kant. Wie sind synthetische Urteile a priori möglich?' in: Grundprobleme

großer

Philosophen, hg. von J. Speck, Göttingen 1978,9ff., vor allem 53. Vgl. M. Baum, Die Entstehung der Hegeischen Dialektik, Bonn 1986. - Zum folgenden vgl. Th. Litt, Das Allgemeine

im Aufbau der geisteswissenschaftlichen

Erkenntnis, hg. von F. Nicolin,

Hamburg 1980. Vgl. O. Pöggeler, Ein Ende der Geschichte?

Von Hegel zu Fukuyama, Opladen 1995. - Zum

Folgenden vgl. F. Fukuyama, Das Ende des Menschen, München 2002.

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OTTO PÖGGELER

wollte Hegels Phänomenologie wegen ihrer Musikalität in ein Ballett umschreiben und wurde in der ehemaligen DDR durch ihr Buch Nächte mit Hegel bekannt. Auf eine Hegelsche Thematik läuft ihre Autobiographie Mauerblume. Ein Leben auf der Grenze von 1999 hinaus. Rationaler bleiben junge amerikanische Autoren, etwa Allen Speight mit seinem Buch Hegel, Literature and the Problem of Agency. Speight zeigt, dass Hegel die bedeutendsten literarischen Werke in seiner Phänomenologie verarbeitete, also die Antigone des Sophokles, Rameaus Neffe von Diderot in der Übersetzung Goethes 12

und Jacobis Woldemar. Bei Hegel aber waren diese Werke Exempel zur Einübung logisch-metaphysischer Grundbegriffe, genauso wie in der Kritik der sinnlichen Gewissheit die deiktischen Worte ,ich, hier, jetzt'. Zum Schluss möchte ich einen anderen Weg einschlagen, mich innerhalb der Philosophie halten, aber den Idealismus zu einer hermeneutischen Philosophie weiterführen. Diese Rotterdamer Tagung behandelt Hegels Jenaer Systementwürfe im Rückgang auf Hegels Jenaer Systemkonzeptionen. Ich habe schon 1964 einen Aufsatz unter dem Titel ,Hegels Jenaer Systemkonzeption' publiziert,13 damals also noch den Singular gebraucht. Die Rede von einer Konzeption soll offenbar die strengere Rede von einem Begriff oder gar einer Idee vermeiden. Dies geschieht auch bei Hans Lipps in seinen Untersuchungen zu einer hermeneutischen Logik von 1938. Günther Buck hat in seinem Buch Lernen und Erfahrung Hegel für einen Nachkriegsversuch der Pädagogik, das exemplarische Lernen, reklamiert. Man soll die Schüler nicht mehr alle großen Ströme der Erde lernen lassen, sondern an einer exemplarischen Auswahl deren Wesen und typologische Ausprägungen zeigen. Versucht das nicht auch die Phänomenologie mit Bezug auf die Begriffe der ,Logik'? Bucks Buch: Hermeneutik und Bildung von 1981 führt diesen Ansatz ins Grundsätzliche, verknüpft also die Bildung, die Hegel in seiner Phänomenologie dem Bewusstsein zuspricht, mit der Hermeneutik. Im Gegensatz zum Begriff lasse eine Konzeption sich nur durch Beispiele einführen, vergleichbar Wittgensteins Begriffen ,mit verschwommenen Rändern', die zu der Rede von ,Sprachspielen' führen.14 Für Hegel selbst waren nach dem Sturz der rhetorischen Tradition Titel wie .Konzeption' etwas Fremdes. Er fragte Schelling in einem Brief von Anfang Mai 1807, was dieser von seiner ,Idee' einer Phänomenologie halte. Doch auch in der Frage nach der Idee scheiden sich die Geister. John F. Findlay findet es anstößig, dass ich mich überhaupt mit der Frage nach einer ,Idee der Phänomenologie' abgebe. Er knüpft an Piatons Ideenlehre an, aber so, dass die Ideen in der direkten Beschäftigung mit der Sache zur systematisch-begrifflichen Arbeit führen. Die Phänomenologie gehöre wie die Frühschriften zu den Juvenilia Hegels. Entscheidend sei, wie Hegel seine begriffliche Arbeit Vgl. A. Speight, Hegel, Literature and the Problem of Agency, Cambridge 2001. 13

O. Pöggeler, ,Hegels Jenaer Systemkonzeption', in: Philosophisches 14

Jahrbuch 71 (1963/64),

286-318. Vgl. G. Buck, Hermeneutik und Bildung, München 1981, 105, 223. - Vgl. ferner ders., Lernen und Erfahrung, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1969.

DIE .PHÄNOMENOLOGIE' - KONSEQUENZ ODER KRISE IN DER ENTWICKLUNG HEGELS?

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und Systematik in der Enzyklopädie zusammenfasse. Demgegenüber muss die Hermeneutik von Hans-Georg Gadamer die Phänomenologie bei Hegel bevorzugen: In seinen Platon-Studien achtet Gadamer auf die Dialogik und gibt schließlich ein breites Spektrum für das an, was bei Piaton ,Idee' heißt.15 Hegels Phänomenologie ist in dieser Sicht sicherlich eine Konsequenz seines Denkweges, nicht nur eine Krise seines Systemgedankens. Sie bleibt das .Geheimnis', das die systematischen Betrachtungen, die zu keiner universalen und endgültigen Systematisierung führen können, in übergreifende Zusammenhänge stellt und als Wirklichkeitserfahrungen immer auch nach ihren Grenzen hin thematisiert. Das ist dann eine Linie, auf der man an Hegel anknüpfen, ihn für die heutigen philosophischen Bemühungen aktualisieren kann. Doch gibt es bei Hegel auch andere Motive, von denen her er sowohl zu interpretieren wie zu aktualisieren ist. Diese stehen hier jedoch nicht zur Debatte. Hegels Größe liegt darin, dass er in so unterschiedlichen Weisen wirkt.

15

Vgl. O. Pöggeler, ,Ein Streit um Piaton: Heidegger und Gadamer', in: Piaton in der abendländischen Geistesgeschichte, hg. von Th. Kobusch und B. Mojsisch, Darmstadt 1997, 241 ff., vor allem 254.

Kurzbiographien der Autoren

PROF. DR. KAROL BAL, geb. 1934, ist seit 1990 Direktor des Instituts für Philosophie an der Universität Wroclaw. Ehemaliger Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung. Gastprofessor an der Universität Mainz (2000). Mitglied des Vorstands der Internationalen Hegel-Gesellschaft und Mitglied des Beirats einiger anderer internationaler Gesellschaften. Veröffentlichungen: Bücher u.a.: Rozum i historia (Vernunft und Geschichte, 1973); Zwischen Ethik und Geschichtsphilosophie. Aufsätze über Kant, Schelling und Hegel (1989); Kant i Hegel. Dwa Szkice ζ historii niemieckiej etycznej (Kant und Hegel. Zwei Skizzen aus der Geschichte des deutschen ethischen Denkens, 1993); Aktualität der Vergangenheit (1997).

Adresse: Universität Wroclaw, Institut für Philosophie, ul. Koszarowa 3, PL-51149 Woclaw. PROF. DR. MYRIAM BIENENSTOCK, geb. 1948 in Lyon/Frankreich. Studierte Philosophie an

der Universität Jean Moulin (Lyon). Sie promovierte 1975 und habilitierte sich 1990. Forschungsaufenthalte verbrachte sie an der Universität Boston/USA und am Hegel-Archiv der Ruhr-Universität Bochum. Sie lehrte Philosophie an der Hebräischen Universität, Jerusalem (1977-1986), an der Universität Pierre Mendès-France (Grenoble III: 1991-1997) und ist seit 1997 Professorin für Deutsche Philosophie an der Universität François Rabelais (Tours). Veröffentlichungen (in Auswahl): Fichte/Schelling: Correspondance (1794-1802 (1991); Politique du jeune Hegel (1801-1806) (1992); J.G. Herder, Dieu (1996); Hegel, Le premier système. La philosophie de l'esprit (1803-1804) (1999); La philosophie de l'histoire: héritage des Lumières dans l'idéalisme allemand? Littérature et nation (1999); Dans quelle mésure la philosophie est pratique. Fichte, Hegel (2000). Adresse: Université François Rabelais, Institut de Philosophie, 3 rue des Tanneurs, B.P. 4103, F-37041 Tours Cedex 1. DR. MARTIN BONDELI, seit 1994 Privatdozent für Philosophie an der Universität Bern, lehrt und forscht hauptsächlich zur Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts. Veröffentlichungen (Bücher): Hegel in Bern (1990); Das Anfangsproblem bei K.L. Reinhold (1995); Der Kantianismus des jungen Hegel (1997); Kantianismus und Fichteanismus in Bern (2001).

Mitherausgeber: Hegels Denkentwicklung in der Berner und Frankfurter Zeit (1999); G.W .F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie des Rechts (Nachschrift Ringier von 1819/20) (2000); G.W .F. Hegel: Vorlesung über die Philosophie der Natur (Nachschrift Ringier von 1819/20) (2002); Die Philosophie K.L. Reinholds (2003).

KURZBIOGRAPHIEN

269

Adresse: Universität Bern, Institut für Philosophie, Unitobler Länggassstr. 49a, CH-3000 Bern 9. DR. BRADY BOWMAN, geb. 1970 in den USA, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am philosophischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 482. Veröffentlichung: Sinnliche Gewißheit. Zur systematischen Vorgeschichte eines Problems des Deutschen Idealismus (2003). Adresse: Institut für Philosophie, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Zwätzengasse 9, D07740 Jena. PROF. DR. PAUL CRUVSBERGHS, geb. 1944, ist Ordinarius für Philosophie am Hoger Insti-

tuut voor Wijsbegeerte der Katholischen Universität Leuven (Belgien), wo er philosophische Anthropologie doziert. Er ist Vorsitzender des Zentrums für Kultur und Philosophie und des Niederländisch-belgischen Zentrums für Deutschen Idealismus. Veröffentlichungen über Hegel, Fichte und Kierkegaard. Adresse: Katholieke Universiteit Leuven, Hoger Instituut voor Wijsbegeerte, Kardinaal Mercierplein 2, B-3000 Leuven. PROF. DR. KLAUS DÜSING, geb. 1940. Studium in Köln und Zürich, Promotion 1967, Habilitation 1975, Professor für Philosophie in Bochum 1977, Siegen 1980, Köln 1983; Mitglied des Vorstands des Philosophischen Seminars und des Husserl-Archivs an der Universität zu Köln. Veröffentlichungen (Bücher): Die Teleologie in Kants Weltbegriff (1968, 2. erw. Aufl. 1986); Das Problem der Subjektivität in Hegels Logik (1976, 3. erw. Aufl. 1993); Hegel und die Geschichte der Philosophie (1983); Schellings und Hegels erste absolute Metaphysik. 1801-1902 (1988); Selbstbewußtseinsmodelle (1997); Hegel e l'antichità classica (2001); Subjektivität und Freiheit. Untersuchungen zum Idealismus von Kant bis Hegel (2002). Herausgeber: Zusammen mit Heinz Kimmerle: G.W .F. Hegel, Das System der speculativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten zur Philosophie der Natur und des Geistes. Jenaer Systementwürfel (1975 als Bd.6 der Gesammelten Werke. 1986 als Studienausgabe). Adresse: Universität zu Köln, Philosophisches Seminar, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln. PROF. DR. PETER JONKERS, geb. 1954 in Eindhoven, Niederlande. Studierte Philosophie am

Institut für Philosophie der Katholischen Universität Leuven. Er promovierte 1982 mit einer Dissertation über Hegels Schrift Glauben und Wissen. Zurzeit ist er Ordinarius für Philosophie an der Katholischen Theologischen Universität in Utrecht. Dort lehrt er über Hegel, Jacobi, gegenwärtige Metaphysik, Kulturphilosophie und Religionsphilosophie. Veröffentlichungen über die Gebiete der akademischen Lehre. Adresse: Alb. Giraudstraat 27, B-3000 Leuven.

270

PROF. DR. HEINZ KIMMERLE DLITT ET PHIL H.C., geb. 1930, Studium in Tübingen, Bonn

und Heidelberg, Promotion 1957, Habilitation 1970, Professor für Methoden der Philosophie 1976, für Grundlagen der Interkulturellen Philosophie 1990 an der Erasmus Universität Rotterdam, Emeritierung 1995; Gastprofessuren an der University of Nairobi und an der University of Ghana 1989, an der University of Venda 1997, an der University of South Africa 2002, Ehrendoktorat von der University of South Africa in Pretoria 2003. 1982-1992 Mitglied des Vorstands der Internationalen Hegel-Gesellschaft; seit 1998 Vorsitzender der Stichting voor Interculturele Filosofie en Kunst. Veröffentlichungen (Bücher): u.a. Die Zukunftsbedeutung der Hoffnung (1966 und 1982); Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens (1970 und 1982); Philosophie der Geisteswissenschaften als Kritik ihrer Methoden (1978); Entwurf einer Philosophie des Wir (1983); Derrida zur Einführung (1988, 5. erw. Aufl. 2000); Philosophie in Afrika - afrikanische Philosophie (1991); Die Dimension des Interkulturellen (1994); Philosophien der Differenz (2000); Interkulturelle Philosophie zur Einführung (2002). Herausgeber: u. a. F.D.E. Schleiermacher, Hermeneutik (1959 und 1974); zusammen mit Klaus Düsing: G.W .F. Hegel, Das System der spekulativen Philosophie. Fragmente aus Vorlesungsnachschriften zur Philosophie der Natur und des Geistes. Jenaer Systementwürfe I (1975 als Band 6 der Gesammelten Werke und 1986 als Studienausgabe); Schriften zur Philosophie der Differenz (seit 1987); zusammen mit Ram Adhar Mall: Studien zur interkulturellen Philosophie (seit 1993). Adresse: Nieuwewater 35, NL-2715 BP Zoetermeer. PROF. DR. WOLFGANG NEUSER, geb. 1950. Studium der Physik, Astronomie, Philosophie

und Wissenschaftsgeschichte in Tübingen, München, Heidelberg, Kassel. Dipl. phys. (1979), Dr. phil. (1986), Habilitation und Privatdozent für Philosophie (1992), Gastprofessuren u.a. seit 1992 an der Pontificia Universidade Católica Do Rio Grande Do Sul (PUCRS), Porto Alegre, Brasilien, Professor für Philosophie mit besonderer Berücksichtigung der Philosophie der Naturwissenschaften und der Technik an der Universität Kaiserslautern (seit 1995). Veröffentlichungen·. Zahlreiche Aufsätze zur Erkenntnistheorie, Metaphysik und Naturphilosophie. Herausgabe, Übersetzung, Einleitung und Kommentar von G.W .F. Hegel: Dissertatio Philosophica De Orbitis Planetarum - Philosophische Erörterung über die Planetenbahnen (1986); Natur und Begriff (1995); Quantenphilosophie, hg. und mit einem Vorwort versehen von W. Neuser und einem Nachwort von C. F. von Weizsäcker (1996); Menschheit und Individualität. Zur Bildungstheorie und Philosophie Wilhelm von Humboldts, hg. von E. Wicke, W. Neuser, W. Schmied-Kowarzik (1997); A infinitude do mundo. Notas acerca do Livro de Giordano Bruno Sobre a infinitude do universo e os mundos (1995); Kommentar zur Naturphilosophie Hegels (Enzyklopädien), in: Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken, hg. von H. Drüe, A. Gethmann-Siefert, C. Hackenesch, W. Jaeschke, W. Neuser, H. Schnädelbach (2000). Adresse: Universität Kaiserslautern, Fachgebiet Philosophie, Postfach 3049, D-67653 Kaiserslautern.

KURZBIOGRAPHIEN

271

PROF. DR. OTTO PÖGGELER, geb. 1928, e m . Professor für Philosophie an der Ruhr-Univer-

sität Bochum, o. Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften in Düsseldorf. Veröffentlichungen zur idealistischen und phänomenologischen Philosophie u.a.: Die Frage nach der Kunst (1984); Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes (1973 und 1993); Neue Wege mit Heidegger (1992); Schritte zu einer hermeneutischen Philosophie (1994); Bild und Technik. Heidegger, Klee und die moderne Kunst (2002); Antigone in der deutschen Dichtung, Philosophie und Kunst (2004). Adresse: Paracelsusweg 22, D-44801 Bochum. PROF. DR. BIRGIT SANDKAULEN, geb. 1959. Studium der Philosophie und Germanistik in

Tübingen und Poitiers (F), Promotion 1989 in Tübingen, 1992-98 wissenschaftliche Assistentin in Tübingen und Heidelberg, 1998 Gastwissenschaftlerin in Mainz. Habilitation 1999 in Heidelberg, seit 2000 Professorin für Philosophie mit Schwerpunkt Deutscher Idealismus in Jena. Veröffentlichungen (Bücher): Ausgang vom Unbedingten. Über den Anfang in der Philosophie Schellings (1990); Macht und Meinung. Die rhetorische Konstitution der politischen Welt (1992, Mitautorin); Grund und Ursache. Die Vernunftkritik Jacobis (2000). (Herausgeberin, zusammen mit Walter Jaeschke): ,Ein Wendepunkt in der geistigen Bildung der Zeit'. Friedrich Heinrich Jacobi und die klassische deutsche Philosophie (2004). Adresse: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Philosophie, Zwätzengasse 9, D-07743 Jena. DR. CHRISTOF SCHALHORN, geb. 1970, studierte an der Universität München Philosophie, Promotion 1999, arbeitet seit 2000 hauptberuflich in der Software-Dokumentation. Veröffentlichung: Hegels enzyklopädischer Begriff des Selbstbewußtseins (2000). Adresse: Zugspitzstr. 14, D-81541 München. DR. ULRICH SCHLÖSSER ist wissenschaftlicher Assistent am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen systematisch bei Themen der Metaphysik und der Philosophie des Geistes, historisch in der Erforschung der klassischen deutschen Philosophie. In dem zuletzt genannten Bereich sind insbesondere Beiträge zur späteren Wissenschaftslehre Fichtes, der Philosophie Jacobis und der Bewusstseins· und Geistkonzeption des Jenenser Hegel zu nennen. Buchpublikation: Das Erfassen des Einleuchtens. Fichtes Wissenschaftslehre von 1804

(2001) Adresse: Humboldt-Universität, Institut für Philosophie, Unter den Linden 6, D-10099 Berlin. PROF. D R . WOLFDIETRICH SCHMIED-KOWARZIK, g e b . 1 9 3 9 , S t u d i u m d e r P h i l o s o p h i e , E t h -

nologie und Psychologie in Wien, Promotion 1963, Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bonn, Habilitation 1970, seit 1971 Professor für Philosophie an der Universität

272

Kassel, Vorstand der Interdisziplinären Arbeitsgruppe für philosophische Grundlagenprobleme. Veröffentlichungen u.a.: Bruchstücke zur Dialektik der Philosophie (1974); Dialektische Pädagogik (1974, Portugiesisch 1983 und 1988); Die Dialektik der gesellschaftlichen Praxis (1981, Koreanisch 1992); Das dialektische Verhältnis des Menschen zur Natur (1984, Koreanisch 1994); Franz Rosenzweig. Existentielles Denken und gelebte Bewährung (1991); Bildung, Emanzipation und Sittlichkeit (1993); Richard Honigswalds Philosophie der Pädagogik (1995); ,Von der wirklichen, von der seyenden Natur' - Schellings Naturphilosophie (1996); Denken aus geschichtlicher Verantwortung (1999); Praxis e responsabilidade (2002). Adresse: Universität Kassel, Fachbereich 1, Philosophie, Nora-Platiel-Str. 1, D-34127 Kassel. DR. LU DE VOS studierte Philosophie in Antwerpen, Leuven und Bochum. Lehrt Philosophie an der Katholischen Universität Leuven. Veröffentlichungen: Die absolute Idee (1983) und Aufsätze zur klassischen deutschen Philosophie. Bereitet Hegels Theorie absoluter Wahrheit und als Mitherausgeber ein Hegel-Lexikon vor. Adresse: Molenstraat 12, B-2570 Duffel. DR. VIOLETTA L. WAIBEL, Assistentin für Transzendentalphilosophie und Deutschen Idealismus an der Universität Wien, zuvor langjährige Mitarbeiterin in Forschungsprojekten zu den Anfängen des Deutschen Idealismus und der philosophischen Frühromantik an den Universitäten München (Dieter Henrich) und Tübingen (Manfred Frank). Mitglied im Vorstand der Internationalen Johann Gottlieb Fichte Gesellschaft. Veröffentlichungen u.a.: Hölderlin und Fichte. 1794-1800 (2000); System der Systemlosigkeit. Erster Teil: Die ,Fichte-Studien' Friedrich Hardenbergs im philosophischen Kontext von Kant und Fichte. Zweiter Teil: Ein Philosophisch-systematischer Kommentar der ,Fichte-Studien' Friedrich von Hardenbergs (voraussichtlich 2005). Mitherausgeberin der Schriftenreihe Hölderlin-Texturen der Hölderlin-Gesellschaft Tübingen in Zusammenarbeit mit der Deutschen Schiller-Gesellschaft Marbach (seit 1995). Adresse: Universität Tübingen, Seminar für Philosophie, Bursagasse 1, D-72070 Tübingen.

Personenregister

Adenauer, Κ., 258 Adorno, Th. W., 20 Agrippa, 82 Althusser, L., 18 Anscombe, G.E.M., 185 Apelles, 16 Arendt, H., 259 Aristoteles, 19-21,69,72, 100,186,217,222-23, 226,259 Arkesilas. Siehe Erhard, J.B. Arndt, Α., 10,217,220 Aschenberg, R., 245 Augustinus, 100 Bacon, F., 14 Bai, K„ 229,231, 268 Bardiii, Ch. G„ 46,258 Bataille, G„ 21, 22 Baum, M., 1 2 , 2 1 , 2 6 , 4 5 , 48,50,55-56,81-82,111, 189,264-65 Beck, J.S., 27, 33 Beierwaltes, W„ 188 Berkeley, G., 75,78 Bienenstock, M., 188, 215, 217,226,268 Bodammer, Th., 159 Bondeli, M„ 25-26,28-29, 41,188,268 Bonsiepen, W., 11 Borsche, T., 162 Bouton, Ch., 100-01,104, 111-12 Bowman, Β., 201, 269 Bruno, G., 187-88, 190 Bubner, R„ 9 Buchner, H„ 257 Buck, G., 266 Cantillo, G., 12 Chamley, P., 227 Chiereghin, F., 187,197 Claesges, U., 250 Condillac, Ε.Β. de, 152

Cramer, K„ 38 Cruysberghs, P., 12,61,269 Cusanus, N., 187 Dennett, D„ 185 Derbolav, J., 159,257 Descartes, R„ 23,89, 99-100 Diderot, D., 266 Dilthey, W„ 224-25, 227 Diising, K., 1 1 , 3 8 , 6 0 , 6 5 , 69,80-81,119, 121,151, 166,177,179,181,185, 187-88,190, 194,196, 199,203,213,219,241, 255,264-65,269-70 Ebbinghaus, J., 264-65 Ebert, Th., 12 Erhard, J.B., 81 Eschenmayer, K.A., 14 Ferguson, Α., 222 Ferrini, C., 101 Fichte, J.G., 13-14,17,19, 23,27-28,31,33-35, 39-40,52,70, 7 5 , 8 0 , 9 0 , 104,136-38, 151,156, 167-69,171-72, 185-86, 190-94,196-97,217-24, 229-30,232-33,257-58, 262,264 Findlay, J.F., 266 Forberg, F.K., 81 Forster, M„ 240,248 Frank, M„ 221 Fukuyama, F., 265 Fulda, Η .F., 162,196 Gabler, G.A., 260 Gadamer, H.-G., 267 Garve, Ch., 222 Gaulle, Ch. de, 258 Gérard, G„ 11 Goethe, J.W. von, 185,266 Göhler, G., 227

Gorgias, 80 Gretic.G., 196 Habermas, J„ 43,135-36, 144 Haering, Th., 258,261 Halfwassen, J., 29 Hamann, J.G., 152,159 Hansen, F.P., 206 Harris, H.S., 11 Hartmann, N., 225, 228 Heidegger, M„ 261,264, 267 Henrich, D., 11, 169,203 Heraklit, 187,263 Herder, J.G. von, 152-56, 158-59,185,187-88,265 Herodot, 72 Heubült, W., 234 Hinrichs, H.F.W., 260 Hirsch, E„ 262 Hobbes, Th., 70,152, 154, 190,262 Hoffmann,Th. S., 230 Hölderlin, F., 28-29,100, 185,217,220-21,257, 262,264 Homer, 227, 263 Horstmann, R.-P., 11,25, 119,177,189,192 Hösle, V., 90, 113 Hume, D„ 75, 78 Husserl, E„ 264 Hyppolite, J., 196, 258 Illeterati, L„ 12 Jacobi, F.H., 27,32, 34,100, 156,185,187,189, 232-33,262,266 Jacobs, W.G., 230 Jeck, U.R., 262 Jonkers, P., 12,45,269 Kant, I., 14,17, 19,23, 25-43,48,52,63,65,70,

274 Kant, I. (Forts.), 78,99-101, 103-04,106,108-09,151, 156,158,162,167-68, 170-72,180, 185,193, 216-17,224, 230,232-36, 240,258,262,264-65 Kepler, J., 101 Kettner, M., 202 Kierkegaard, S., 264 Kimmerle, H., 9-11,30,33, 104,115,121,166,192, 194,257,269-70 Köhler, D„ 232,262 Kojève, Α., 232, 258,265 Kondylis, P., 28 Kozu, K., 12 Kratylos, 80,152 Kroner, R., 264 Kubo.Y., 12 Kuczynski, J., 265 Kuczynski, R., 265 Kuderowicz,Z., 230 Labarrière, P.J., 196 Laozi, 21 Lefèvre, S.W., 206 Leibniz, G.W., 52,109, 152-54 Leijen, A J., 12 Lessing, G.E., 185,187 Lévinas, E., 258 Lipp, H., 266 Litt, Th., 265 Locke, J., 152-55, 161 Lübbe, H., 230 Lugarini, L., 187 Lukács, G., 135, 144,224, 232 Mach,E„ 185 Maimón, S., 35,42 Maluschke, G., 187 Marx, K., 135-36,144, 146-47,224-25, 264 Marx, W„ 257 Maza, M. de la, 262 McCumber, J., 157 Meist, K.R., 11-13 Menasse, R., 265 Michelet, C.L, 260 Mill, J.S., 160 Mirbach, O., 28 Montaigne, M. de, 20, 81 Montesquieu, Ch. de, 226 Musil, R., 210

Napoleon, 232 Neuser, W„ 89-92, 95,101, 270 Newton, I., 101,109 Niethammer, F.I., 76, 81 Nietzsche, F., 20,185 Novalis, 232, 262 Nuzzi, Α., 12 Onnasch, Ε.Ο., 253 Otto, St., 160 Parmenides, 263 Pascal, B., 20 Patzig, G., 265 Peirce,Ch. S.,258 Pinkard, T., 28 Platon, 20-21, 35, 62,65,69,100, 152,258, 266-67 Plotin, 188 Ploucquet, G., 258 Pöggeler, Otto, 11,196,233, 241,257-58,261-62, 265-67,271 Pozzo, R„ 28 Pyrrhon, 76 Quante, M„ 85 Raphael, 16 Reinhold, C.L., 14-15,27, 33,41,46,81 Riedel, M., 216,221, 223-24 Rilke, Rainer Maria, 16-17 Rockmore, T., 203 Rosenkranz, K., 191,197, 242,258 Rousseau, J.-J., 217-22, 236 Sandkaulen, B., 149,271 Schäfer, R., 173 Schalhorn, Ch., 165,271 Schelling, F.WJ., 13-14, 17, 19,23,27-28,32-33,34, 61,90,100,103,136-38, 140,144—46, 151,167-69, 185,186-90, 192, 195-96, 217-19,258,262,264, 266 Schiller, F. von, 185,263 Schlegel, F., 80, 81,262, 263 Schleiermacher, F.D.E., 17, 19 Schlösser, U., 117,271

Schmidt, K.J., 206 Schmied-Kowarzik, W„ 135, 138,271 Schmitz, H„ 198, 258 Schneider, H., 13 Schräder, W.H., 230 Schulze, G.E., 40 Sextus Empiricus, 76,80, 82-85,257 Shaftesbury, A.A.C., 265 Shakespeare, W„ 16,262 Siep, L., 11,45,47-48,166, 190,240,243,263 Siep, W„ 22 Simon, J., 162 Sinclair, I. von, 217, 240 Smith, Α., 135 Sophokles, 16,266 Speight, Α., 266 Spinoza, Β., 19-20,29,67, 100,185-90,192,206, 265 Stapfer, Ph. Α., 29 Strawson, P.F., 202 Thukydides, 72 Tugendhat, E., 202 Vico, G.B., 152 Vieweg, Κ., 12,75-76, 82, 84 Villers, Ch. de, 29 Voltaire, F.M.A., 52,218, 257 Vos, L. De, 12,201,239, 241,248,250,272 Wacker, H., 28 Wahl, J., 258 Waibel, V.L., 99,272 Wandschneider, D„ 90,113 Wanjohi, G J., 21 Waszek, N„ 216, 222, 226-27 Westphal, K., 78,202 Windelband, W„ 78 Wittgenstein, L., 20,266 Wolf, U., 153 Wolff, Ch., 223 Wolff, M., 129 Wylleman, Α., 12 Xenokrates, 62 Yorikawa, J., 12 Zimmerli, W. Ch., 11,45, 47,50,52-53,56

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