Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung: Eine politische Prozessanalyse zum Bundesteilhabegesetz [1 ed.] 9783428587827, 9783428187829

Im Jahr 2013 wurde im Zuge der 18. Koalitionsvereinbarung die Schaffung eines neuen Gesetzes für Menschen mit Behinderun

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German Pages 356 Year 2023

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Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung: Eine politische Prozessanalyse zum Bundesteilhabegesetz [1 ed.]
 9783428587827, 9783428187829

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S ozia lp olitis che S chriften Band 98

Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Eine politische Prozessanalyse zum Bundesteilhabegesetz

Von

Laura Schultz

Duncker & Humblot · Berlin

LAURA SCHULTZ

Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung

Sozia lpolit ische Schrif ten herausgegeben von Ute Klammer, Simone Leiber und Sigrid Leitner

Band 98

Die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Eine politische Prozessanalyse zum Bundesteilhabegesetz

Von

Laura Schultz

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen hat diese Arbeit im Jahre 2022 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISSN 0584-5998 ISBN 978-3-428-18782-9 (Print) ISBN 978-3-428-58782-7 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde Ende 2018 von der Universität Duisburg-Essen als Promotionsvorhaben angenommen. In diesem Zeitraum – und auch davor – haben mich viele verschiedene Personen auf diesem langen Weg begleitet. Diesen Menschen möchte ich hiermit danken. Mein erster Dank gilt meiner Erstbetreuerin Prof. Dr. Simone Leiber, die mich von der ersten Minute im Zuge der Themenfindung bis zur Abgabe der Dissertation sehr unterstützt hat. Vielen Dank, Simone, für die unkomplizierten Hilfestellungen und die wertvollen Hinweise zur Methode. Zudem gilt ein weiterer Dank meiner Zweitgutachterin Prof. Dr. Sigrid Leitner, die sich gegen Ende der Schreibphase dazu bereit erklärt hat, meine Dissertation mitzubetreuen. Ein weiteres Dankeschön geht an meine (ehemaligen) Kolleginnen und Freundinnen: An Christina Josupeit fürs Zuhören und die spontane Korrektur sowie ein herzlicher Dank an Dr. Sarah J. Grünendahl, Mara Ittner und Petra Kaiser fürs Korrekturlesen und die gewissenhaften Hinweise. Ein lieber Dank gilt auch allen Beteiligten der Promotions-/Doktorand*innenkolloquien an der Hochschule Düsseldorf und der Universität Duisburg-Essen. Der Austausch mit euch war sehr wertvoll. Vielen Dank auch an Vera van Bonn, Lea Schultz, Udo Hannok, Camilla Dünnwald und Patrick Pötters für die hilfreichen Korrekturen. Zudem gilt ein großer Dank meinen Interviewpartner*innen, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Herzlichen Dank für Ihre Offenheit und die spannenden Gespräche. Ein letzter Dank gilt meiner Familie: Sabine, vielen Dank für deine Unterstützung und dass du jeder Zeit ein offenes Ohr hattest. Lieben Dank an Norbert, für die Hilfen gegen Ende der Schreibphase. Dankeschön an Sarah, für dein Korrekturlesen zwischendurch und deine Diskussionsanregungen, die mich weiter angetrieben haben und Simon, dass du ganz unkompliziert Lösungen für kleine Probleme gefunden hast. Und natürlich an Noah und Lotta, dafür, dass ihr mich unbeabsichtigt in schwierigen Phasen abgelenkt habt. Danke an euch alle, dass ihr immer an mein Vorhaben geglaubt habt und mich auch in kritischen Momenten unterstützt habt. Essen, im August 2022

Laura Schultz

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fragestellung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Forschungsstand und -lücke  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Aufbau der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Theoretische Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriffstheoretische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Policy-Cycle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Theorie der schwachen Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schwache Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Organisationsfähigkeit von schwachen Interessen . . . . . . . . . . . . 3. Zum Begriff der Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strategien der Interessendurchsetzung von schwachen Interessen . . . IV. Der Machtressourcenansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff Macht und der Machtressourcenansatz . . . . . . . . . . . . . . a) Der Machtressourcenansatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen (1.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lobbying von Interessenverbänden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 28 30 34 34 36

C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . I. Die UN-Behindertenrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das SGB IX, BGG und BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland – von der Fürsorge zur Inklusion . . . . . . . . . . . 2. Das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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D. Das methodische Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dokumentenanalyse als Teil der Prozessanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Expert*inneninterviews als Teil der Prozessanalyse . . . . . . . . . . . . . a) Fallauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Interviewplanung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Anonymisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Interviewdurchführung und -dauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62 62 64 65 66 67 68 69

37 38 40 40 41 44 49

8 Inhaltsverzeichnis

II.

3. Qualitative Tests der Prozessanalyse und die Darstellung von ­kausalen Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Auswertung: Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse  . 73

E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes . . . . . . . . . . . I. Relevante Phasen im Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes  . . . . II. Beteiligte Akteur*innen im Reformprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reformphase 1 (2001 bis 2013): Der Weg zum Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . 2. Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kommunale Spitzenverbände und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entscheidungsträger*innen und Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung Reformphase 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015): Die AG BTHG – Ermächtigung durch Ermöglichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . a) Erste Sitzung der AG BTHG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zweite Sitzung der AGB BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dritte Sitzung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vierte Sitzung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fünfte Sitzung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Sechste Sitzung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Siebte Sitzung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Achte Sitzung der AG BTHG und Stellungnahmen  . . . . . . . . . . i) Neunte Sitzung der AG BTHG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Nach Beendigung der AG BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) ‚Verbündete‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Individuelle Bewertung der Interviewpartner*innen über die AG-Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderung . m) Die Heterogenität der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . n) Zusammenfassung Interessenverbände von Menschen mit ­Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kommunale Spitzenverbände und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung Länder und kommunale Spitzenverbände . . . 5. Entscheidungsträger*innen und Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis9

V.

a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . b) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition . . 6. Zusammenfassung Reformphase 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reformphase 3 (Ende 2015 bis Spätsommer 2016): Emotionale ­Handlungsorientierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschiedenen Gesetzesentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsentwurf im Dezember 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Referentenentwurf im April 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kabinettsentwurf im Juni 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gesetzesentwurf der Bundesregierung im September 2016 . . . . . 2. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reaktionen auf den Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die sechs gemeinsamen Kernforderungen . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Stellungnahmen zum Referentenentwurf und ­Aktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Verbändeanhörung im Mai 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) ‚Verbündete‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reaktionen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf  . . . . . . . aa) Kabinettsentwurf und vereinzelte Aktionen . . . . . . . . . . . . . . bb) Regierungsentwurf und Demonstrationen . . . . . . . . . . . . . . . cc) ‚Verbündete‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zur Lobbyarbeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Das Selbstverständnis der Partizipation und die aktive ­Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung: Interessenverbände von Menschen mit ­Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reaktionen auf den Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verbändeanhörung im Mai 2016  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reaktionen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf . . . . . . . . d) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reaktionen auf den Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Verbändeanhörung im Mai 2016  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kommunale Spitzenverbände und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reaktionen auf den Referentenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Verbändeanhörung im Mai 2016  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reaktionen auf den Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zusammenfassung kommunale Spitzenverbände und Länder . . .

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10 Inhaltsverzeichnis 6. Entscheidungsträger*innen und Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 b) Reaktionen auf den Referentenentwurf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Reaktionen auf den Regierungsentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition  . 239 7. Schlichtung: Ermächtigungs-Lern-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 8. Zusammenfassung Reformphase 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016): Die Kompetenz zu stören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . 243 a) Zusammenfassung Interessenverbände der Menschen mit ­Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 2. Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 a) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Zusammenfassung Sozialpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 4. Kommunale Spitzenverbände und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Zusammenfassung Kommunale Spitzenverbände und Länder . . . 261 5. Entscheidungsträger*innen und Opposition  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 a) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition  . 268 6. Zusammenfassung Reformphase 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017 . . . . . . . . . . . . . 270 1. Darstellung einzelner Veränderungen und die stufenweise ­Umsetzung des BTHG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Ausgewählte gesetzliche Veränderungen durch das BTHG . . . . . . . . 273 3. Wahrgenommene Verbesserungen und Verschlechterungen durch das Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016: Der kausale Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0 . . . . . . . . 287 G. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Beantwortung der Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beitrag für die Forschung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Praktischer Mehrwert: Genutzte Methoden zur politischen Einfluss­ nahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang: Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle

1: 2: 3: 4: 5:

Anonymisierte Darstellung der Interviewpartner*innen . . . . . . . . . . . 68 Beispiel Code ‚Macht‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Forderungen verschiedener Akteur*innen 2001 bis 2013 . . . . . . . . . . 99 Themen der einzelnen AG-Sitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung 2014–2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 6: Forderungen der Wohlfahrtsverbände 2014–2015 . . . . . . . . . . . . . . . 137 7: Forderungen der Sozialpartner 2014–2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 8: Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und Länder 2014–2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 9: Forderungen der Entscheidungsträger*innen und der Opposition . . . 157 10: Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung als Reaktion auf die Gesetzesentwürfe 2015–2016 . . . . . . . . . . 210 11: Forderungen der Wohlfahrtsverbände als Reaktion auf die ­verschiedenen Gesetzesentwürfe 2015–2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 12: Forderungen der Sozialpartner als Reaktion auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe 2015–2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 13: Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und Länder als Reaktionen auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe . . . . . . . . . . . . . 230 14: Forderungen der Entscheidungsträger*innen und der Opposition als Reaktion auf die Gesetzesentwürfe 2015–2016 . . . . . . . . . . . . . . 239 15: Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Mitte/Ende 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 16: Forderungen und Erwartungen der Wohlfahrtsverbände Mitte/Ende 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 17: Forderungen und Erwartungen der Sozialpartner Mitte/Ende 2016  . 258 18: Forderungen und Erwartungen der kommunalen Spitzenverbände und der Länder Mitte/Ende 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 19: Forderungen der Entscheidungsträger*innen und Opposition Mitte/Ende 2016 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 20: Stufe 1 ab 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 21: Stufe 2 ab 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 22: Stufe 3 ab 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 23: Stufe 4 ab 2023 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 24: Durchgesetzte, vertagte und nicht-durchgesetzte Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302

12

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Der Policy-Cycle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2: Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen . . . . . . . . . . . . . Abbildung 3: Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ ­Interessen 1.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 4: Identifizierte Reformphasen des BTHG-Reformprozesses . . . . . . . Abbildung 5: Ladder of Citizen Participation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 6: Kausaler Mechanismus des BTHG-Reformprozesses . . . . . . . . . . . Abbildung 7: Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ ­Interessen 2.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 8: Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, ihre Bündnisse und gemeinsame Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 39 48 80 186 281 295 298

Abkürzungsverzeichnis ABiD

Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland

AG BTHG

Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz

AK Sign-Teilhabe

Arbeitskreis Sign-Teilhabe

Anthropoi Selbsthilfe Bundesvereinigung Selbsthilfe im anthroposophischen Sozialwesen e. V. ASMK

Arbeits- und Sozialministerkonferenz

AWO Bundes-   verband e. V.

Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V.

BAG Selbsthilfe

Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe

BAG unterstützte  Beschäftigung

Bundesarbeitsgemeinschaft unterstützte Beschäftigung

BAG WfbM

Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten behinderte Menschen e. V.

BAGFW

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege

BAGüS

Bundearbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe

BAR

Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation

BDA

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände

BeB

Bundesverband evangelische Behindertenhilfe

BGG

Behindertengleichstellungsgesetz (Langversion: Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung)

BMAS

Bundesministerium für Arbeit und Soziales

BMF

Bundesministerium für Finanzen

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

BPE e. V.

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V.

BSK

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V.

BSVH

Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e. V.

BTHG Bundesteilhabegesetz BVKM

Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V.

CBP

Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V.

dbb

dbb Beamtenbund und Tarifunion

DBR

Deutscher Behindertenrat

14 Abkürzungsverzeichnis DBSV e. V.

Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V.

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DGB e. V.

Deutscher Gehörlosen-Bund e. V.

DLT

Deutscher Landkreistag

DRK

Deutsches Rotes Kreuz

DST

Deutscher Städtetag

DStGB

Deutscher Städte- und Gemeindebund

DVBS

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V.

DVfR

Deutsche Vereinigung für Rehabilitation

EGH Eingliederungshilfe Fachverbände

Konferenz der Fachverbände für Menschen mit Behinderung

FbJJ

Forum behinderter Juristinnen und Juristen

ForseA

Bundesverband Forum selbstbestimmte Assistenz behinderter Menschen e. V.

GGO

Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien

ICF

Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit

ipb

Institut für Protest- und Bewegungsforschung

ISL e. V.

Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben e. V.

KabE Kabinettsentwurf LAG AVMB BW

Angehörige und gesetzliche Betreuer von Menschen mit geistiger Behinderung Baden-Württemberg e. V.

LAG WR BW

Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte BadenWürttemberg

LAG WR NRW

Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte NordrheinWestfalen

mmb

Mobil mit Behinderung

NITSA e. V.

Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz e. V.

PSG III

Pflegestärkungsgesetz III

RefE Referentenentwurf RegE Regierungsentwurf SGB

Sozialgesetzbuch

SoVD

Sozialverband Deutschland

TBI

Taubblind (Merkzeichen Behindertenausweis)

UAG SQ

Unterarbeitsgruppe Statistik und Quantifizierung

UN-BRK UN-Behindertenrechtskonvention VdK

Sozialverband VdK Deutschland

Abkürzungsverzeichnis15 ver.di

Vereinigte Dienstleistungsgesellschaft

Weibernetz

politische Interessenvertretung behinderter Frauen im Weibernetz e. V.

WfbM

Werkstätten für Menschen mit Behinderung

A. Einleitung In Deutschland lebten auf Grundlage des dritten Teilhabeberichts der Bundesregierung im Jahr 2017 über 13 Millionen Menschen, die eine Beeinträchtigung haben (BMAS, 2021, S. 12). Die Anzahl der Empfänger*innen der Eingliederungshilfe (EGH) betrug im Jahr 2020 rund 939.000 Menschen – beinahe eine Million Menschen in Deutschland benötigen demnach eine spezielle Förderung, um eine individuelle Lebensführung ermöglicht zu bekommen sowie eine volle, gleichberechtigte und wirksame Teilhabe innerhalb der Gesellschaft zu erhalten. Dies sind zumindest die Kernaufgaben der EGH (destatis, o. J.). Diese ist Teil des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX), welches verschiedene Gesetze zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung umfasst. Zu den sozialpolitischen Zielen der Leistungen gehören Stichworte wie Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe. Das SGB IX beinhaltet beispielsweise verschiedene Definitionen, beschreibt Leistungsinhalte und Trägerzuständigkeiten sowie das Schwerbehindertenrecht (Integrationsämter, 2019). Im Zeitraum von 2014 bis 2016 wurde das SGB IX reformiert, nachdem im Jahr 2013 die Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD im Rahmen des 18. Koalitionsvertrages der Bundesregierung beschlossen hatte, dass das Gesetzeswerk zum einen die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung verbessern sowie zum anderen die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ins deutsche Recht implementieren sollte (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77; Tessloff, 2017, S. 1). Daneben sollte auch die unaufhaltsam steigende Ausgabendynamik der Eingliederungshilfe gebremst werden. Das neue Gesetz wurde im Koalitionsvertrag unter dem Begriff des ‚Bundesteilhabegesetzes‘ (BTHG) geführt. Die Vereinbarung der Großen Koalition sah vor, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände im Zuge des Reformprozesses unter dem Motto „Nichts über uns ohne uns“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77) an Entscheidungsprozessen kontinuierlich zu beteiligen (ebd., S. 77, 78). Der Leitsatz hat dabei seinen Ursprung in der Entstehung der UN-BRK (Callus/Camilleri-Zahra, 2017, S. 7), es ist aber durchaus auch üblich dass sich die Akteur*innen einer Regierung an Verbände und Interessengruppen richten, „wenn Entscheidungen vorbereitet und umgesetzt werden sollen“ (Strünck, 2013, S. 298). So stellen Verbände einen „elementaren Bestandteil der wohlfahrtsstaatlichen Architektur“ (Klenk, 2019, S. 41) in Demokratien dar (ebd.). Daraufhin wurde Mitte 2014 eine Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz (AG BTHG) ins Leben gerufen unter

18

A. Einleitung

Mitarbeit von „Menschen mit Behinderungen, ihrer Verbände, Leistungsträger, Sozialpartner sowie Vertretern des Bundes, der Länder und Kommunen“ (Hellrung, 2017, S. 249) wurden Handlungsbedarfe für das BTHG erarbeitet (ebd.). Die Arbeitsgruppe tagte in neun Sitzungen von Juli 2014 bis April 2015 und bearbeitete hierbei mögliche Reformthemen sowie die Kernpunkte der Reform (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i). Bei der AG handelte es sich um einen prälegislativen Beteiligungsprozess, anschließend folgte der ‚typische‘ parlamentarische Prozess, indem sich das zuständige Ministerium nach der Beendigung der AG BTHG zurückzog, um einen ersten Gesetzesentwurf zu entwickeln. Es folgten verschiedene Entwürfe, auf die Menschen mit Behinderung und ihre Verbände die Möglichkeit erhielten Stellung zu nehmen, an Verbändeanhörungen im Bundestag teilzunehmen oder direkt mit Politiker*innen und ministeriellen Mitarbeitenden in Kontakt zu treten. Darüber hinaus aktivierten verschiedene Interessenverbände von Menschen mit Behinderung ihre Mitglieder in Form von Protesten, Aktionen, Kampagnen und Petitionen, nachdem deutlich wurde, dass verschiedene Thematiken, die ihnen wichtig waren, in den Gesetzesentwürfen keinen Niederschlag gefunden hatten (s. Kapitel E.). Das BTHG wurde Ende 2016 als Artikelgesetz verabschiedet und wird seitdem in vier Stufen vom 01. Januar 2017 bis 2023 schrittweise umgesetzt (Umsetzungsbegleitung-BTHG, o. J.). Die Gruppe der Menschen mit Behinderung und ihre Interessen werden der Verbändeforschung folgend als ‚schwach‘ eingestuft (Willems/von Winter, 2000, S. 40). Nach von Winter und Willems (2000) erfahren schwache Interessen eine Benachteiligung in der politischen Interessenvertretung, die auf eine gering ausgeprägte Ausstattung der Organisations-, Artikulations-, Durchsetzungs- und Mobilisierungsfähigkeit zurückgeht (ebd., S. 14). Allerdings lassen sich für einzelne Gruppierungen der schwachen Interessen dauerhafte und stabile Organisationen nachweisen, sodass durchaus von ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen ausgegangen werden kann. Dazu gehören auch die Verbände der Menschen mit Behinderung (Geissler, 2004, S. 167, 267; von Winter, 2007, S. 361 ff.). Im Rahmen des Dissertationsprojektes werden so genannte schwache Akteur*inneninteressen – also die Interessen von Menschen mit Behinderung – unter den Bedingungen transformierter Wohlfahrtsstaatlichkeit in den Blick genommen, um herauszufinden, inwiefern und wie sie sich im Falle des BTHG-Reformprozesses durchsetzen konnten. Oben wurde bereits auf verschiedene Lobbyaktivitäten hingewiesen, die in engem Zusammenhang mit genutzten Machtressourcen stehen. Um die Durchsetzungsfähigkeit dieser hier betrachteten Personengruppe in den Blick nehmen zu können, wurde der Machtressourcenansatz nach Schmalz und Dörre (2013), der ursprünglich für starke Interessen (Gewerkschaften) entwickelt wurde, angepasst an die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen. Der Machtressourcenansatz bildet



A. Einleitung19

demnach gemeinsam mit der Theorie der schwachen Interessen den theoretischen und konzeptionellen Rahmen dieser Arbeit. Der Reformprozess wird mit Hilfe der Methode der politischen Prozessanalyse (engl. Process Tracing) nachgezeichnet. Diese beinhaltet eine ausführliche Dokumentenanalyse (z. B. Analyse von Stellungnahmen verschiedener Interessenverbände und anderer Akteur*innen, Zeitungsausschnitte, Plenarprotokolle) und wird durch 17 Expert*inneninterviews ergänzt. Das Zentrum der Aufmerksamkeit wird auf den Zeitraum von 2013 bis Ende 2016 gelegt – ausgehend vom Koalitionsvertrag bis zur Verabschiedung des Gesetzes. Um diesen Prozess abzubilden, wird anhand einzelner Phasen des Policy-Cycle (Knill/Tosun, 2015, S. 93) ein Blick auf die Problemdefinitionsphase und das Agenda Setting geworfen, während ein Schwerpunkt auf die Politikformulierungsphase gelegt wird. Auch der Zeitraum der Implementationsphase wird kurz skizziert. Wie bereits deutlich wurde, handelt es sich bei dieser Arbeit um eine qualitative Einzelfallstudie, da sich auf einen einzelnen Reformprozess konzentriert wird. In der Dissertation wird davon ausgegangen, dass Menschen mit Behinderung und einzelne ihrer Verbände über vergleichsweise starke Machtressourcen verfügen, die sie anzuwenden wissen (‚starke unter den schwachen‘ Interessen). Darüber hinaus wird die Einbindung der Menschen mit Behinderung von Seiten der Politik durch die Teilnahme an der AG BTHG befördert und vorausgesetzt. Die Rahmenbedingungen für eine positive Interessendurchsetzung erscheinen im hier betrachteten Fall demnach günstig, sodass die Verbände der Menschen mit Behinderung Einfluss auf politische Entscheidungssituationen nehmen können. Angenommen wird im Rahmen dieser Arbeit, dass unter diesen Umständen Ursache-Wirkungs-Mechanismen auf den Einsatz und die Wirksamkeit von Machtressourcen herausgearbeitet werden können. Mit dieser Einzelfallstudie soll gezielt u. a. ein Beitrag zur Verbändeforschung geleistet werden – mit dem Schwerpunkt auf Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. Die Dissertation wird zu diesem Zweck die Verbändeforschung der schwachen Interessen durch den Ansatz der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen bereichern. Wie in Teilkapitel A.II. aufgezeigt wird, gibt es zu den stärkeren schwachen Interessen bisher weniger bis gar keine Forschung. Die Dissertation wird diesen Partizipationsprozess durch Interessensverbände von Menschen mit Behinderung am Beispiel des BTHG aufzeigen. Vermutet wird, dass die Einflussmöglichkeit nicht nur mit den Machtressourcen und der Stärke der jeweiligen Verbände zusammenhängt, sondern auch mit der gegebenen Möglichkeit der Partizipation, die von Seiten der Politik und der UN-BRK in Deutschland gefördert wird. Auch dies wird die vorliegende Arbeit genauer betrachten.

20

A. Einleitung

Durch die Verwendung des Machtressourcenansatzes ist es möglich, die Durchsetzungsmöglichkeit detailliert abzubilden und nachzuzeichnen, wie die Interessenverbände Einfluss nehmen können und wo ihre Ressourcen begrenzt sind.

I. Fragestellung und Zielsetzung Im vorangegangenen Teilkapitel wurde bereits der thematische Hintergrund der Dissertation kurz beleuchtet. So stehen die ‚starken unter die schwachen‘ Interessenverbände von Menschen mit Behinderung sowie die Durchsetzung ihrer Interessen im Mittelpunkt der Arbeit. Eine Vorannahme der Dissertation ist, dass Verbände das Ergebnis einer Reform verändern können – so auch im Zuge des hier betrachteten Reformprozesses. Im Rahmen dieser Arbeit sollen folgende Forschungsfragen beantwortet werden: (1) Inwiefern und wie konnten sich schwache Interessen im Fall des BTHG durchsetzen? (2) Welche Ziele haben die Verbände von Menschen mit Behinderung im BTHG-Prozess verfolgt? (3) Welche Interessen konnten sie durchsetzen und welche nicht? Ziel ist es, am Beispiel der BTHG-Reform und mit Hilfe der Methode der politischen Prozessanalyse/des Process Tracings zu rekonstruieren, inwiefern und wie sich schwache Interessen durchsetzen konnten. Dabei werden die Problemdefinitionsphase, das Agenda Setting sowie die Politikformulierungsphase und die Implementationsphase des Policy-Cycles in den Blick genommen, wobei ein Schwerpunkt auf die drittgenannte Phase gelegt wird. Zum Process Tracing gehört es, Hypothesen durch qualitative Tests zu überprüfen, um die Ursache-Wirkungs-Mechanismen des Prozesses abzusichern. Die Kernhypothese der vorliegenden Arbeit lautet: Die Einrichtung der AG BTHG bzw. die von der Regierung geförderte Einbindung derselben führt dazu, dass sich die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung in besonderer Weise in den folgenden Reformprozess einbringen. Ihre Interessen können sie unter der Nutzung von Machtressourcen transportieren und beeinflussen somit das Reformergebnis.



II. Forschungsstand und -lücke 21

II. Forschungsstand und -lücke Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Forschungsstränge der Verbändeforschung, der neuen sozialen Bewegung und die der Teilhabeforschung. Im Folgenden wird aufgezeigt, wo die vorliegende Arbeit ansetzt und welche Forschungslücken geschlossen werden können. Verbändeforschung: Die Verbändeforschung hat gerade seit den 1990er Jahren eine zentralere Rolle in der Forschung eingenommen. So konnten in diesem Zeitraum konzeptionelle Fortschritte im Themenfeld der Verbändeforschung und des Korporatismus erzielt werden (s. Streeck, 1994; Voelzkow, o. J.; von Winter, 2004), sodass verschiedenste Ergebnisse bezüglich des Wandels der Beziehung zwischen Staat und Verbänden vorliegen. So haben korporatistische Regelungsformen in der Sozialpolitik an Bedeutung verloren und werden durch neue, stärkere Wettbewerbselemente verdrängt. Daher wird auch von einer gewissen Transformation des klassischen Korporatismus gesprochen (s. Evers/Heinze, 2008). Im Zuge dessen wird auch untersucht, welche Funktion Verbände im Bereich der Wohlfahrt haben (s. Bandelow, 1998; Boeßenecker, 2005; Schmidt/Mansour, 2007). Dabei ist eine Konzentration auf starke Interessenvertreter*innen zu konstatieren – anders als in der hier angestrebten Dissertation, in der die schwachen Interessen genauer betrachtet werden. So liegt der Blick beispielsweise auf Sozial- (s. Schroeder et al., 2010) und Ärzteverbänden (s. Bandelow, 2007) sowie Gewerkschaften (s. Hassel, 2014). Das an der Universität Kassel angesiedelte Graduiertenkolleg ‚Wohlfahrtsstaat und Interessenorganisationen‘ (2013 bis 2016) fasst in einem Sammelband (s. Schroeder/Schulze, 2019) die Kolleg-Ergebnisse zusammen. Untersucht werden akteur*innenbezogene Umbauprozesse des Wohlfahrtsstaates – sowohl in Deutschland als auch in der EU. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen sozialpolitische Verbände und Interessengruppen. So konzentriert sich das Kolleg auf die Veränderungen der Akteur*innenkonstellationen, welche durch den demografischen Wandel, institutionelle Wandlungsprozesse sowie veränderte Sozialstrukturen und Geschlechterverhältnisse entstehen. Betrachtet werden einerseits ‚stärkere‘ Interessenvertretungen, wie Wohlfahrtsverbände, kommunale Spitzenverbände in einzelnen Bundesländern und Gewerkschaften; sowie andererseits ‚schwächere Interessen‘ wie SGB-II-Be­zie­ her*innen, Geringqualifizierte sowie Kinder und Jugendliche aus zugewanderten Familien (ebd.). Menschen mit Behinderung werden hier allerdings nicht bedacht. Auch die Einflussnahme von Verbänden auf die Politik durch politikfeldbezogene und einzelgesetzliche Formen wird bearbeitet (s. Pappi et al., 1995; von Winter, 1997a). Von Winter (1997) stellt im Rahmen seiner Arbeit ver-

22

A. Einleitung

schiedene Bereiche der korporatistischen Beteiligung von Verbänden im Politikprozess vor. Die sozialpolitischen Interessen der Sozialhilfe, Alterssicherung und Arbeitsförderung werden darin inhaltlich bestimmt und die einzelnen Schritte der Interessenvermittlung bis zur politischen Entscheidungsebene dargestellt. Schiffers (2019) untersucht in seiner Arbeit die Einflussmöglichkeiten ausgewählter institutionalisierter Koordinierungsgremien in NRW und Bayern und nimmt dabei Akteur*innen der Umwelt- und Energiepolitik in den Blick. Er kommt u. a. zu dem Ergebnis, dass es einen Zusammenhang zwischen Strategiewahl, Policy-Ziel und dem jeweiligen Einflusserfolg gibt. Auch sogenannte schwache Interessen werden im Rahmen korporatistischer Interessenvermittlung miteinander in Verbindung gesetzt (s. Schroeder/ Hänlein, 2010; Spörke, 2008; Willems/von Winter, 2000). Beispielsweise untersucht Spörke (2008) in seiner Studie zum einen die Entstehung des SGB IX und des Gesetzes der Gleichstellung, zudem schaut er auf die Beziehungsmechanismen zwischen Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung und den institutionellen und administrativen politischen Akteur*innen. Als Bezugsrahmen dient der Regierungszeitraums von SPD und Bündnis 90/ Die GRÜNEN (1998 bis 2005). Spörke konzentriert sich dabei besonders auf den Sozialverband VdK sowie die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL). Er untersucht u. a., wie sich behindertenpolitische Interessen organisieren lassen (s. Spörke, 2008). Die hier vorliegende Arbeit geht darüber hinaus: Es wird nicht nur die Organisation derselben, sondern vielmehr die Durchsetzungsfähigkeit von Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung in den Fokus genommen. Auch die Selbstverwaltung der wohlfahrtsstaatlichen Institution wird in verschiedenen Arbeiten intensiver begutachtet (s. Klenk et al., 2012). Außerhalb und innerhalb der Selbstverwaltungskörperschaften haben sich neue Interessenorganisationen bemerkbar gemacht und werden von Lentz et al. (2010) untersucht. Hervorzuheben ist das Herausgeber*innenwerk von Benz und Toens (2019). Diese nähern sich aus dem Blickwinkel der Sozialen Arbeit verschiedenen Interessenvertretungen an. Sie betrachten unterschiedliche Handlungsfelder – dazu gehören u. a. Personengruppen, die von Armut betroffen sind, die Interessenverbände in der Wohnungslosenhilfe und die von jungen Menschen. Ebenso thematisieren sie Interessenvertretungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen und auch die Entwicklung der Vertretung von Interessen von Menschen mit Behinderung im Allgemeinen. Nach Dischler et al. (2019) fällt es beispielsweise Personen mit psychischen Erkrankungen schwer, sich aufgrund von Tabuisierung selbstständig politisch zu beteiligen. Daher wird die Soziale Arbeit dazu aufgerufen, diese Personengruppe zu



II. Forschungsstand und -lücke 23

befähigen, ihre Interessen kollektiv zu vertreten. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände, so eines der Ergebnisse von Kulke und Dallmann (2019) im selben Buch, werden in der Gesellschaft immer sichtbarer, was auf das Fortschreiten der Inklusion zurückzuführen ist. Schulze (2020) wirft einen Blick auf die Barrieren, denen Menschen mit Behinderung bei der Selbstvertretung gegenüberstehen können. Zudem konzentriert sie sich auf die Beteiligung von Menschen mit Behinderung bei der Entstehung der UN-BRK und betont, dass durch einzelne Interessenvertretungen Einfluss auf das Ergebnis der Menschenrechtskonvention genommen werden konnte. Auch international wird sich mit schwachen Interessen beschäftigt. Trumbull (2012) fokussiert sich auf die Durchsetzungsfähigkeit von Verbraucher* innen, konkret im Einzelhandels-, Kredit-, Pharma- und Agrarsektor in den USA. Er argumentiert, dass besondere Bündnisse zwischen Aktivist*innen, Industrie und Regulierungsbehörden die Macht der Akteur*innen erhöhen können. Die vorliegende Arbeit möchte zwar nicht die Steigerung von Macht aufzeigen, wird aber die Machtressourcen von Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung darstellen. Damit soll die Durchsetzungsfähigkeit der Verbände abgebildet werden. Anders als bei Trumbull, der Bündnisse zur Industrie und Regulierungsbehörden in den Blick nimmt, geht es in der Studie hier um Bündnisse zwischen stärkeren und schwächeren Akteur*innen im sozialpolitischen Bereich. Neue soziale Bewegungen: Bezugspunkte zur Verbändeforschung sowie zu sozialen Bewegungen scheinen im Falle des BTHG-Reformprozesses eng beieinander zu liegen. Im Rahmen des Reformprozesses kam es zu öffentlichen Protesten und Kampagnen (bspw. Proteste im Jahr 2016; s. Teilkapitel E.V. u. E.VI.) gegen das BTHG. Dass Verbände auf die „Mobilisierung öffentlicher Aufmerksamkeit“ (Willems/von Winter, 2007, S. 23) zurückgreifen, kommt in den letzten Jahren vermehrt vor (ebd.). So soll im Folgenden ein erster Überblick über Forschungen zu neuen sozialen Bewegungen gegeben werden. Das Augenmerk im deutschsprachigen Raum zu den neuen sozialen Bewegungen bezieht sich vor allem auf Frauen- und Umweltorganisationen. Kern (2021) gibt einen Überblick über die Entwicklung der Forschung in Deutschland und in den USA: Lange Zeit, so Kern, lag der Schwerpunkt in Deutschland lediglich auf der kulturellen Relevanz von sozialen Bewegungen (z. B. Touraine, 1985; Weber, 1949). In der US-amerikanischen Forschung wiederum wurde bereits in den 1980er Jahren ein anderer Fokus gewählt, indem nicht länger dem warum nachgegangen wurde, sondern dem wie (Micro-Level) von sozialen Bewegungen (s. z. B. Klandermans et al., 1988). Im Zen­ trum der Aufmerksamkeit standen und stehen die Mobilisation, die Rahmung

24

A. Einleitung

(Framing) und die Möglichkeit der Beteiligungsstrukturen (s. Rucht, 2014). Die europäische Forschung hat sich der amerikanischen genähert und hat nun eine breitere Perspektive eingenommen (s. Kern, 2021). Das Institut für Protest- und Bewegungsforschung (ipb) untersucht beispielsweise verschiedene Themen im sozialwissenschaftlichen Bereich, um die bisher bestehende Lücken in der Forschung im deutschsprachigen Raum zu füllen. U. a. wird dabei der Wandel von sozialen Bewegungen in Deutschland und Europa besonders thematisiert und miteinander verglichen (s. Daphi et al., 2017). Im Rahmen dessen wird konzentriert darauf geschaut, welchen Einfluss Protest auf internationale Politik hat und auch, ob es eine Veränderung bezüglich der teilnehmenden Personen an Protesten gibt. Die Europäisierung von Protestbewegungen (s. Becker/Hutter, 2017; Rucht, 2000) wird besonders fokussiert von Rucht (2000) betrachtet. Hier schaut er, ob Verbände, Parteien und soziale Bewegungen auf europäischer Ebene gestärkt werden. So beschreibt Rucht, dass es einen Anstieg des EULobbying von Verbänden gibt – dabei gibt es aber strukturelle Ungleichheiten zwischen ressourcenstarken europäischen Verbänden (stärkere Verbände in den Bereichen des Handels, der Industrie und Landwirtschaft) sowie schwächeren Verbänden (wie Netzwerke von Frauen, Umweltschützer*innen, Organisationen von Arbeitnehmer*innen, Verbraucher*innen sowie Menschen- und Bürgerrechtler*innen; ebd.). Er klammert dabei Menschen mit Behinderung und ihre Verbände in seiner Forschung aus. Auch die Behinderten- bzw. die sogenannte ‚Krüppelbewegung‘ gehört zu den neuen sozialen Bewegungen. Die Bewegungsforschung konzentriert sich auf die Entstehung und den Einfluss der ‚Krüppelbewegung‘, wobei die Forschung hierzu eher lückenhaft erscheint (s. Daiber, 2016). In den Disability Studies wird die Bewegung deskriptiv beschrieben, wie etwa bei Mürner und Sierck (2009), die die Entwicklung der Behindertenbewegung in Deutschland abbilden oder Köbsell (2016), die einen Schwerpunkt auf die ‚Krüppelbewegung‘ von Frauen legt. In dem aufgezeigten Forschungsstand werden Lücken deutlich. Die neuen sozialen Bewegungen blicken auf verschiedene Personengruppen, lassen aber Menschen mit Behinderung als Personengruppe zunächst außer Acht und konzentrieren sich auf den Wandel dieser. Die Forschung zur Behindertenbewegung wiederum wirft einen Blick auf die Entwicklung dieser und nimmt aktuelle Geschehnisse nicht in den Blick. Die vorliegende Arbeit möchte nicht auf den Wandel der sozialen Bewegungen fokussieren, sondern vielmehr den genutzten Möglichkeiten der Mobilisation im Rahmen des Reformprozesses nachgehen. Teilhabeforschung: Auch die Teilhabeforschung ist im Zuge der Betrachtung des BTHG-Reformprozesses von Interesse, da Menschen mit Behinde-



II. Forschungsstand und -lücke 25

rung aktiv in den vorgelagerten Beteiligungsprozess eingebunden wurden. Im Zentrum steht hier die Forschung rund um die Verwirklichung von Partizipation, Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung. Neben der Forschung unter Einbezug von Menschen mit Behinderung (Bergold/ Thomas, 2010, S. 333; s. Becker et al., 2019; Fornefeld, 2021), spielt auch die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderung eine Rolle dieses Forschungsfeldes. Beispielsweise forschte die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe NRW (LAG Selbsthilfe NRW) in den Jahren 2012 bis 2016 über die politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen auf kommunaler Ebene. Das Projekt kommt zu dem Ergebnis, dass die Vernetzung der Interessenvertretungen mit der kommunalen Politik von Relevanz ist, um politische Partizipation zu ermöglichen. Dabei wird betont, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten in der kommunalen Interessenvertretung unterrepräsentiert seien und eine Assistenz dieser und Barrierefreiheit sowie eine Beteiligungskultur wichtig seien, damit auch sie ihre Interessen angemessen vertreten können (LAG Selbsthilfe NRW, o. J.). Dass die Partizipation in NRW Ausbaubedarf hat, wird in einem Folgeprojekt der LAG deutlich (s. LAG Selbsthilfe NRW, 2021). Auch andere Autor*innen nehmen sich der kommunalen Teilhabemöglichkeit von Menschen mit Behinderung an (s. Rohrmann, 2014; Weber et al., 2015). Lamplmayr und Nachtschatt (2016) nehmen international vier Länder in den Blick (dazu gehören Österreich, Deutschland, Neuseeland und Australien) und vergleichen, inwiefern Menschen mit Behinderung an politischen Prozessen beteiligt werden. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die politische Partizipation in allen vier Ländern steigerungsfähig ist und dass im Zuge von Beteiligungsformen Personengruppen, wie Menschen mit geistigen Behinderungen ihre eigenen Interessen selten vertreten können (s. Lampl­ mayr/Nachtschatt, 2016). Da der Beitrag zu einem Zeitpunkt erschien, als das BTHG noch entwickelt wurde, konnten die Autor*innen bei der Betrachtung der Bundesrepublik zu keiner vollumfänglichen Beurteilung kommen. Die Forschung zur Beteiligung von Menschen mit Behinderung im Zuge von Reformprozessen auf Bundesebene in Deutschland und ihre Durchsetzungsfähigkeit ist demnach noch unterrepräsentiert. Die Dissertation vereint somit verschiedene Forschungsstränge miteinander und schließt, wie aufgezeigt, Forschungslücken. So soll die Durchsetzungsfähigkeit von stärkeren unter den schwachen Interessen und ihre Beteiligung am BTHG-Reformprozess abgebildet werden (Verbändeforschung). Die Beteiligung am politischen Prozess zeichnet sich durch den Austausch im Rahmen der AG BTHG, Stellungnahmen, Protesten und den direkten Kontakt zum Bundesministerium/zur Politik wieder. Es wird somit die Beteiligung von Menschen mit Behinderung auf Bundesebene aufgezeigt (Teilhabeforschung), indem ergänzend die Mobilisationsmöglichkeiten dieser deutlich gemacht werden sollen (neue soziale Bewegungen).

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A. Einleitung

Um die Durchsetzungsfähigkeit systematisch zu erheben, wird der Machtressourcenansatz, der ursprünglich für starke Akteur*innen entwickelt wurde, an die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen angepasst. Die vorliegende Arbeit geht somit über die Organisationsfähigkeit von Verbänden hinaus.

III. Aufbau der Studie Im zweiten Kapitel (B.) dieser Arbeit wird auf einzelne theoretische Zugänge eingegangen, die dazu beitragen sollen, ein grundsätzliches Verständnis für die Thematik zu erhalten. Dazu gehört die Einengung, was im Rahmen dieser Studie unter Interessenverbänden, dem Behinderungsbegriff und Partizipation verstanden wird (Teilkap. B.I.). Des Weiteren geht es um den Policy-Cycle und die Abläufe von Reform- und Gesetzesverfahren in Deutschland (Teilkap. B.II.). Weiter beschreibt dieses Kapitel ‚schwache Interessen‘ und die Abgrenzung zu den ‚starken unter den schwachen‘ Interessen (Teilkap. B.III.1.). Zudem wird der Begriff der Durchsetzungs- und Organisationsfähigkeit von schwachen Interessen erläutert (Teilkap. B.III.2. bis B.III.4.). Anschließend erfolgt eine Beschreibung des Machtressourcenansatz, welcher auf die hier betrachtete Personengruppe angepasst wurde (Teilkap. B.IV.1.). Auch das Lobbying von Interessenverbänden wird thematisiert (Teilkap. B.IV.2.). Im dritten Kapitel (C.) wird die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung international und in Deutschland in den Blick genommen, um die behindertenpolitische Thematik historisch einzuordnen. Im Rahmen des vierten Kapitels (D.) wird das methodische Vorgehen erläutert. Um herauszufinden, inwiefern und wie sich Interessenverbände der Menschen mit Behinderung im Zuge des BTHG-Reformprozesses durchsetzen konnten, wird die politische Prozessanalyse als methodische Rahmung genutzt. Diese beinhaltet eine Dokumentenanalyse und Expert*inneninterviews sowie qualitative Tests (Teilkap. D.I.). Ausgewertet wurden die Daten mit Hilfe der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018; Teilkap. D.II.). Das fünfte Kapitel (E.) widmet sich den Ergebnissen der Empirie. Das heißt, dass zunächst einzelne Reformphasen, die als Kapitelstruktur dienen sollen, identifiziert werden (Teilkap. E.I.). Anschließend werden die relevanten Akteur*innen aufgeführt (Teilkap. E.II.), um dann, der politischen Prozessanalyse folgend, die einzelnen Phasen von 2013 bis Ende 2016 in den Blick zu nehmen. Dabei wird sich an drei Phasen den Policy-Cycle orientiert. Da der BTHG-Reformprozess nicht im ‚luftleeren Raum‘ steht und nicht alleinstehend betrachtet werden kann, wird auch ein Blick zurückgeworfen



III. Aufbau der Studie27

(genauer, auf den Zeitraum 2001 bis 2013), um identifizieren zu können, was die ausschlaggebenden Faktoren für den Beginn der Reform waren. Im Anschluss werden die vier Reformphasen (von 2013 bis 2016) einzeln erläutert, um den kausalen Mechanismus herauszuarbeiten (Teilkap. E.III. bis E.VI.). Einzelne Geschehnisse ab dem Jahr 2017 werden ebenso erläutert (Teilkap. E.VII.). Das Kapitel endet mit einer Zusammenfassung der als zentral erachteten Jahre 2013 bis 2016, durch eine Konzentration auf die durch die Darstellung der empirischen Ergebnisse herausgearbeiteten Ursache-WirkungsMechanismen (Teilkap. E.VIII.). Das sechste Kapitel (F.) umfasst eine Darstellung der genutzten Machtressourcen im Reformprozess des BTHG, um darzustellen, ob der Ansatz einer weiteren Anpassung bedarf. Das siebte Kapitel (G.) beinhaltet die Schlussbemerkungen, indem sich zunächst der Beantwortung der Forschungsfragen (Teilkap. G.I.) gewidmet wird sowie anschließend der Beitrag für die Forschung und der praktische Mehrwert (Teilkap. G.II., G.III.) dargestellt werden. Die Arbeit endet mit einem Ausblick (Teilkap. G.IV.).

B. Theoretische Zugänge Das folgende Kapitel beleuchtet die theoretischen Zugänge dieser Arbeit. Daher widmet sich das erste Teilkapitel (B.I.) einzelnen Begriffen (Interessenverbände, Behinderungsbegriff und Partizipation), um ein besseres Verständnis für die Thematik zu erhalten. Nachfolgend wird ein Blick in die Abläufe von Reform- und Gesetzgebungsprozessen in Deutschland geworfen. Anschließend erfolgt eine Verortung, in welchen Reformphasen des PolicyCycles der hier betrachtete Prozess eingeordnet werden kann. Ein besonderer Fokus wird auf das darauffolgende Teilkapitel (B.III.) gelegt, indem die Theorie der schwachen Interessen sowie das in dieser Arbeit vorliegende Verständnis von den ‚starken unter den schwachen‘ Interessen erläutert werden. Die Durchsetzungs- und Organisationsfähigkeit von Interessenverbänden wird nachfolgend thematisiert sowie auch, im nächsten Teilkapitel (B. IV.), der an die Thematik angepasste Machtressourcenansatz erläutert.

I. Begriffstheoretische Grundlagen Dieses Teilkapitel dient dazu, Grundlagen von einzelnen Begriffen darzulegen. Von Relevanz ist es daher, zu erläutern, was im Rahmen dieser Arbeit unter Interessenverbänden, Behinderung und Partizipation verstanden wird. Interessenverbände: In der Literatur werden verschiedene Begriffe synonymhaft füreinander verwendet, wie Interessengruppe, Interessenverbände, Lobbygruppen oder Interessenorganisationen. Gemeinsam haben sie alle, dass sie dem Zweck dienen, die „Interessen ihrer Mitglieder nach außen zu repräsentieren und in den politischen Prozess einzuspeisen“ (Knill/Tosun, 2015, S. 100). ‚Interesse‘ und ‚Verband‘ werden in den jeweiligen Definitionen meist getrennt voneinander betrachtet (s. z. B. Rucht, 1993; Schmid, 1993; Spörke, 2008; Willems/von Winter, 2007). Beide Begriffe – Verband und Interesse – vereinend stellen nach Sahner (1993) einen Interessenverband dar: „ein freiwilliger oder durch verschiedene Formen des Zwanges erfolgter Zusammenschluss von natürlichen oder juristischen Personen, der zu einem Mindestmaß verfasst ist, um Interessen der Mitglieder [oder diejenigen einer ausgewählten Klientel oder auch an Werten oder moralischen Prinzipien orientierte sonstige Ziele, U. W./Th. v. W.] entweder selbst zu verwirklichen oder durch Mitwirkung an oder Einwirkung auf Gemeinschaftsentscheidungen durchzusetzen, ohne selbst die



I. Begriffstheoretische Grundlagen29 Übernahme politischer Verantwortung (gleichviel auf welcher Ebene) anzustreben“ (Sahner, 1993, S. 26 zit. in Willems/von Winter, 2007, S. 24).

Dieses Begriffsverständnis liegt auch diesem Projekt zugrunde. Behinderungsbegriff: Im Rahmen dieser Arbeit wird sich an der Behinderungsdefinition des SGB IX-neu orientiert. Demnach sind Menschen mit Behinderung Personen, „die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“ (§ 2 SGB IX-neu Abs. 1). Eine solche Beeinträchtigung, so das SGB IX, liegt vor, „wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist“ (§ 2 SGB IXneu Abs. 1). Die neue Definition des Behinderungsbegriffes im SGB ist angelehnt an die der UN-Behindertenrechtskonvention (UN BRK, Art. 1). In dieser Arbeit werden aber nicht Einzelakteur*innen mit Behinderung in den Blick genommen, sondern, wie oben dargestellt, ihre Verbände. Doch bei den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung handelt es sich um eine sehr heterogene Akteur*innengruppe. Die Definition des Behinderungsbegriffs zeigt auf, dass die Beeinträchtigungen der Menschen sehr unterschiedlich in ihrer Form, Schwere und Ursache sein können. Eine gleiche Heterogenität gilt für die Verbände und ihre jeweiligen Interessen (Kulke/ Dallmann, 2019, S. 230). Beteiligung und Partizipation: Im Rahmen des BTHG-Reformprozesses fand ein prälegislativer Beteiligungsprozess statt, an dem u. a. einzelne Interessenverbände von Menschen mit Behinderung teilnehmen konnten. Anschließend nutzten sie verschiedene Beteiligungsformen, die im Rahmen von Reformprozessen zum Einsatz kommen können. In diesem Abschnitt wird daher bündig dem Begriff der Beteiligung bzw. vielmehr die der (politischen) Partizipation nachgegangen, da beide Wörter häufig als Synonym füreinander verwendet werden. Weitere Sammelbegriffe sind Mitwirkung, Einbeziehung, Mitbestimmung und Teilhabe (Beck et al., 2018, S. 20). Es existieren unterschiedliche Definitionen, was unter Partizipation zu verstehen ist (s. z. B. Arnstein, 1969; Dahl, 1971; Kersting, 2008; Schubert/Klein, 2011; Windisch, 2011). Folgendes Verständnis von Partizipation liegt diesem Projekt zugrunde: „By political participation, we refer to those legal activities by private citizens [or groups] that are more or less directly aimed at influencing the selection of governmental personnel and/or the actions they take“ (Verba et al., 1978; Hoecker, 2006, S. 4). Politische Partizipation umfasst die Handlungen, die „bewusst auf die Erreichung eines politischen Ziels ausgerichtet sind“ (ebd., S. 4).

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B. Theoretische Zugänge

II. Der Policy-Cycle Um den in diesem Teilkapitel beschriebenen Policy-Cycle zu verstehen, ist es zunächst notwendig, Reform- und Gesetzgebungsprozesse in Deutschland zu erläutern. Anschließend wird auf den Policy-Cycle eingegangen, welcher in der vorliegenden Arbeit einen strukturellen und heuristischen Rahmen bietet. Reformen haben zwei zeitliche Schwerpunkte: Auf der einen Seite den Status quo, welcher verbesserungswürdig ist und/oder in irgendeiner Form als problembelastet gilt. Auf der anderen Seite steht der Status futurus, welcher die bestehenden Probleme lindern oder zu einer Verbesserung führen soll (Petring, 2010, S. 21). Dabei zielt die Reform auf ein neues, zukünftiges Ideal, oder zurück zu einem früheren Zeitpunkt ab (Lehmann/Imlig, 2018, S. 4). Die Reform stellt dabei ein Mittel zum Zweck dar, um durch die Veränderung oder Umordnung der Strukturen eine Verbesserung herbeizuführen (Petring, 2010, S. 21–22; Lehmann/Imlig, 2018, S. 4). Reformen weisen eine starke Bindung zur Realität auf, sie greifen konkrete oder „vermeintlich praktische Unordnungen auf“ (ebd., S. 5). Petring (2010) fasst die Relevanz der Reform für die Demokratie zusammen: „Demokratie ist der institutionell geregelte Konflikt über die Bestimmung von gesellschaftlichen Problemen, die Relevanz unterschiedlicher Probleme und die angemessenen Reaktionen auf diese Probleme“ (ebd., S. 22). Gesetzgebungsverfahren werden von Regierungen oder Verwaltungen in „die parlamentarischen gemeindlichen, Landes- oder Bundesvertretungen“ (Boeckh et al., 2017, S. 189) oder von parlamentarischen Gremien angestoßen. Welche auslösenden Faktoren im Fall des BTHG zur Reform geführt haben, wird in Teilkapitel E.III. nachgegangen. Ein Gesetzesvorhaben (sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene) durchläuft verschiedene Stufen, die im Folgenden erläutert werden. Auch im BTHG-Reformprozess wurde sich daran orientiert: (1) Ein Bundesministerium beginnt im Zuge eines Reformprozesses mit der Erarbeitung eines Referentenentwurfes, welches von der ministerialen Arbeitsebene eingebracht wird. Verschiedene Interessengruppen werden daraufhin gebeten, eine Rückmeldung zum Entwurf abzugeben. (2) Anschließend muss das Bundeskabinett den Kabinettsentwurf mit allen anderen Ministerien den Gesetzesentwurf abstimmen, dieser wird als Regierungsentwurf in den Bundestag eingebracht. Nach einer ersten gemeinsamen Lesung wird dieser an den zuständigen Parlamentsausschuss weitergegeben. Daraufhin beginnt die zweite Runde der Verlesung inklusive einer Anhörung und der Berücksichtigung von Stellungnahmen von ausgewählten Fachleuten sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form. (3) Sobald der jeweilige Bundestagsausschuss den Geset-



II. Der Policy-Cycle 31

zesentwurf verabschiedet hat (und er somit die Arbeitsebene des Parlaments verlässt), wird im Rahmen einer zweiten und dritten Lesung im Parlamentsplenum miteinander beraten und der Entwurf in der Fassung beschlossen (ebd.). Handelt es sich im Falle des jeweiligen Gesetzes um ein Zustimmungsgesetz (weil die Länderebene betroffen ist), muss das Gesetz auch den Bundesrat passieren (nicht wie bei Einspruchsgesetzen nur den Bundestag). Die Mitglieder des Bundesrates vertreten die Interessen auf Ebene der Länder und ihrer Gemeinden. Diese Interessen haben die Mitglieder zu wahren (ebd.). Bei dem BTHG handelt es sich um ein Zustimmungsgesetz. Zu erkennen ist dies an den einleitenden Worten: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen“ (Bundesrat, o. J.; BTHG, 2016, S. 3234). Falls keine Einigung zwischen Bundestag und -rat zu strittigen Themen erreicht wird, folgt ein Vermittlungsverfahren, welches zwischen den beiden Parlamentskammern erfolgt. Bleibt die Vermittlung ohne Ergebnis, kommt es zu einem Scheitern des Gesetzgebungsverfahrens. Gelingt aber der parlamentarische Prozess, so wird auf der Ebene des Bundes nach einer Unterzeichnung der*des Bundespräsident*in das Gesetz im sogenannten Bundesgesetzesblatt veröffentlicht. Damit ist zwar die Phase der politischen Entscheidungsfindung beendet, aber die fachpolitische und juristische Bewertung des Gesetzes stehen dann noch aus (Boeckh et al., 2017, S. 190). Im Rahmen des folgenden Abschnitts wird sich dem Policy-Cycle gewidmet, um eine Übersicht zu geben, welche einzelnen Phasen im Rahmen der Dissertation im Fokus stehen. Politische Prozesse durchlaufen verschiedene Phasen, wie bereits mit Hilfe der Beschreibungen von Reformprozessen und Gesetzgebungsverfahren verdeutlicht wurde. Um diese darstellen zu können hat Lasswell (1951, 1956) einen heuristischen Orientierungsrahmen entwickelt, und zwar den sogenannten Policy-Cycle. Durch diesen Zyklus wird es ermöglicht, fokussiert Erkenntnisse über unterschiedliche Phasen von Politikprozessen zu erhalten. Trotz der Kritik am Policy-Cycle, dass die einzelnen Phasen nicht trennscharf voneinander abzugrenzen sind (Blum/Schubert, 2017, S. 154; Jann/ Wegrich, 2014, S. 123), eignet sich der Policy-Cycle als Orientierungsrahmen für die spätere Analyse im Rahmen dieser Arbeit. Das unten aufgezeigte sechsphasige Modell (Abbildung 1) soll im Folgenden beschrieben und erläutert werden.

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B. Theoretische Zugänge

Quelle: Blum/Schubert, 2017, S. 156

Abbildung 1: Der Policy-Cycle

Problemdefinitionsphase: Voraussetzung dieser Phase ist, dass ein soziales Problem als solches erkannt und beschrieben wird. Dieses muss als notwendig erachtet sowie für die Politik formuliert werden, sodass das Problem auf die politische Agenda genommen werden kann (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Die verschiedenen Akteur*innen, die an dieser Phase beteiligt sind, versuchen diese Phase in ihrem Sinne zu beeinflussen (Knill/Tosun, 2015, S. 16). Agenda Setting: Damit das genannte Problem zur Weiterverarbeitung in die politische Agenda (Agenda Setting) aufgenommen wird, muss dieses als relevant erachtet werden. Die Agenda ist im Grunde eine Liste von Themen, der sich die Regierung mit großer Aufmerksamkeit widmet (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Diese wird nicht nur von Politiker*innen beeinflusst, sondern auch von Verbänden, wie Wohlfahrtsverbänden, Nichtregierungsorganisationen oder den Medien. Auch hier versuchen die verschiedenen Akteur*innen die Agenda zu beeinflussen (ebd.). Politikformulierungsphase: Im Rahmen dieser Phase wird das Problem eingeschätzt. In den Blick genommen werden auch Handlungsalternativen und -vorschläge. Herausgearbeitet werden muss also, welche Lösung für das



II. Der Policy-Cycle 33

Problem entwickelt werden soll (Blum/Schubert, 2017, S. 176). Ziel ist es, aus „artikulierten Problemen, Vorschlägen und Forderungen staatliche Programme“ (Jann/Wegrich, 2014, S. 110) entstehen zu lassen. Die Anzahl der beteiligten Akteur*innen nimmt in dieser Phase ab. Die Regierung und das Parlament übernehmen hier die Federführung. Die Ministerialbürokratie entscheidet aber letztendlich, welche Policies artikuliert werden: Die fachliche Arbeit obliegt dabei den Referaten. Gerade bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen werden auch andere Akteur*innen eingebunden, wie Interessengruppen (wie auch im Rahmen des BTHG-Reformprozesses) oder wissenschaftliche Expert*innen. So können Interessen und Sachkenntnisse mit in den Prozess eingebunden werden sowie eine Akzeptanz der geplanten Änderungen bei den Adressat*innen erzielt werden. Allerdings gibt es nicht immer die eine korrekte Lösung für ein Problem, sondern verschiedene Handlungsalternativen, die im Rahmen dieser Phase diskutiert werden, bis es letztendlich zu einer Festlegung der Strategien kommt. Bei informellen Verhandlungsgesprächen einigen sich häufig Interessengruppen und die Vertreter*innen der Ministerien auf bestimmte Policies, die dann anschließend an die Regierung und an das Parlament gegeben werden. Am Ende der Politikformulierungsphase werden konkrete Maßnahmen, wie Steuerungsinstrumente oder politische Programme, beschlossen (Blum/Schubert, 2017, S. 176–179). Implementierungsphase: Im Zuge dieser Phase werden Policies durch- und umgesetzt (Knill/Tosun, 2015, S. 17). Dies erfolgt durch die zuständigen Organisationen und Institutionen, die meist zum politisch-administrativen System gehören. Besondere Elemente dieser Phase sind die Programmkonkretisierung, Ressourcenbereitstellung und Entscheidung (Jann/Wegrich, 2014, S. 114). Politikevaluierungsphase und Politikterminierung: Bei der Evaluierungsphase handelt es sich um die letzte Phase des Policy-Cycle. Hierbei wird evaluiert, ob eine Policy ihre Wirkung erreicht hat. „Je nachdem, wie diese Evaluation ausfällt, wird die Policy fortgesetzt [bzw. terminiert], verändert oder sogar beendet“ (Knill/Tosun, 2015, S. 17–18). Falls sie verändert oder beendet werden soll, kann es zu einer Wiederholung des Policy-Prozesses kommen (Blum/Schubert, 2017, S. 168–169). Dieser idealtypisch und kreisförmig dargestellte Ablauf zeigt, dass der Politikprozess eher selten ein endender Prozess ist, sondern vielmehr als ein andauernder, wiederholender Ablauf zu verstehen ist. Policies entstehen meist aus schon bestehenden Policies oder ergänzen diese (Jann/Wegrich, 2014, S. 106). In dieser Arbeit werden vor allem, wie bereits weiter oben beschrieben, die ersten vier Phasen in den Blick genommen, mit einem besonderen Fokus auf die Politikformulierungsphase.

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B. Theoretische Zugänge

III. Die Theorie der schwachen Interessen Im Rahmen der Dissertation wird, wie bereits erwähnt, die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung im Zuge des BTHG-Reformprozesses rekonstruiert. Diese hier betrachtete Personengruppe wird, wie in Teilkapitel A.II. erläutert, aus der Perspektive der Verbändeforschung den schwachen Interessen zugeordnet. Doch was genau wird unter dem Begriff schwache Interessen verstanden? Wie grenzen sich die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen davon ab? Was wird im Rahmen dieser Arbeit unter Durchsetzungs- und Organisationsfähigkeit dieser Akteur*innengruppe verstanden? Damit befasst sich das folgende Kapitel. 1. Schwache Interessen Der Verbändeforschung folgend werden die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung als schwach eingestuft (von Winter, 2000, S. 40). Der Begriff der schwachen Interessen umfasst Personengruppen, die über geringe Ressourcen verfügen. Neben der sozialen Ungleichheit werden auch andere „Aspekte struktureller Benachteiligung in gesellschaftlichen Regulierungs- und Verteilungsprozessen“ (Clement, 2010, S. 7) darunter verstanden. Die Interessen sind zwar nicht immer zum gleichen Zeitpunkt schwach, aber gelten in Gesellschaften mit Produktionsverhältnissen und politischen Institutionen strukturell benachteiligt. „Strukturelle Asymmetrien gehen damit einher, dass Interessengruppen über sehr unterschiedliche Ressourcen und gesellschaftliche Akzeptanz verfügen“ (ebd.). Von Winter und Willems (2000) betonen, dass schwache Interessen „eine relative Benachteiligung in der politischen Interessenkongruenz, die aus einer Minderausstattung mit den für die Artikulations-, Organisations-, Mobilisierungs- und Durchsetzungsfähigkeit notwendigen Eigenschaften resultiert“ (ebd., S. 14; s. auch Windisch, 2011, S. 232) erfahren. Um politische und private Interessen verfolgen zu können, benötigt man zum einen eine gewisse „Einsicht in und Motivation zur Realisierung von Zielen“ (von Winter/Willems, 2000, S. 14) und zum anderen genügend (monetäre oder materielle) Mittel zur Durchsetzung von eigenen Interessen. Wenn auf einer der Ebenen ein Defizit herrscht, kann von einer Schwäche gesprochen werden. Je geringer beispielsweise die finanziellen Ressourcen der Akteur*innen ist, desto schwächer kann das Interesse sein (ebd.). Die Verbändelandschaft unterteilt sich in erwerbs- und nichterwerbsbezogene Interessen, so von Winter und Willems. Wobei die Zweitgenannten als schwächere Interessenvertretung gelten, da diese die oben genannten Ebenen nicht oder nur teilweise erfüllen können (ebd., S. 15). Nullmeier (2000) ergänzt, dass zu den schwachen Interessen auch „Nicht-Konsum-Interessen“ (ebd., S. 94) gehören. Die jeweilige Stärke oder Schwäche



III. Die Theorie der schwachen Interessen 35

von Akteur*innen kann von der Ressourcenausstattung, der Leistungsfähigkeit, den Kompetenzen und dem Zugang zu Entscheidungsträger*innen abhängig sein und daran gemessen werden. Die Schwäche ist demnach immer relational, in Bezug auf stärkere Akteur*innen zu verstehen (Clement, 2010, S. 13). Man unterscheidet zwischen zwei Public Interest Groups. Hierunter versteht man Gruppen, welche Kollektivgüter erstreben. Das Erreichen eines Ziels kommt den einzelnen Mitgliedern weder selektiv noch materiell zugute (von Winter/Willems, 2000, S. 16): • Exogene Gruppe: Diese Gruppe definiert sich über externe Faktoren, wie soziodemografische oder natürliche Merkmale. Sie kann den nichterwerbsbezogenen Sozialmerkmalen zugeordnet werden, wozu randständige (Personen-)Gruppen wie von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen oder Menschen mit Behinderung gezählt werden, aber auch Frauen oder Jugendliche. Die exogene Gruppe ist häufig von Ressourcendefiziten oder motivationalen Problemen betroffen, weil sie an einem Mangel an konstitutiver Gruppenidentität leidet. Die Mitglieder dieser Gruppe weisen allerdings eine Gemeinsamkeit mit erwerbsbezogenen Organisationen auf, indem sie ebenfalls die materielle Wohlfahrt der einzelnen Akteur*innen steigern wollen. Dieser Gruppenart können sich alle Bevölkerungsgruppen anschließen – sowohl Betroffene als auch Nicht-Betroffene. Sobald aber die Nicht-Betroffenen-Mitglieder überwiegen, handelt es sich um eine endogene/advokative Gruppe. Die einzelnen Mitglieder haben „bei der Realisierung der allgemeinen Interessen am kollektiven Nutzen teil“ (ebd.). • Endogene Gruppe: Hierbei handelt es sich um eine selbstgewählte Beteiligung an einer Sache, ein Engagement für ein allgemeines Anliegen. Diese Gruppe verfügt über ausreichende Ressourcen, um gemeinsam die jeweiligen Ziele zu erreichen. So nehmen sich beispielsweise wohlhabende Bevölkerungsgruppen einem Anliegen an und haben somit eine „relativ große Realisierungschance“ (ebd., S. 15). Das Durchsetzen ihrer Interessen kann demnach nur dann schwach sein, wenn die Motivation fehlt. Es können nicht nur allgemeine Interessen vertreten werden, sondern auch die Interessen exogener Gruppen. Hierbei profitieren die Akteur*innen nicht selbst, sondern sie können lediglich eine „Befriedigung aus dem gesteigerten Nutzen Dritter ziehen“ (ebd., S. 16). ‚Starke unter den schwachen‘ Interessen: Menschen mit Behinderung werden der Gruppe der schwachen Interessen zugeordnet. „Denn aufgrund ihrer jeweiligen Beeinträchtigung sind sie in hohem Maße von der öffentlichen Infrastruktur abhängig (Barrieren), besitzen eine geringere gesellschaftliche Akzeptanz (Stigmatisierung) und eine mangelnde Organisations- und Artikulationsfähigkeit“ (Windisch, 2011, S. 232). Diese mangelnde Artikulationsfä-

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B. Theoretische Zugänge

higkeit kann beispielsweise mit erschwerter Kommunikation (wie Gebärdensprache) und auch auf die „sozialpolitische Zuschreibung ‚Behinderung‘ zurückzuführen“ (ebd.) sein. Weiter führt Windisch aus, dass diese Personengruppe mit einem Stigma miteinander verbunden ist, ihre Interessen aber sehr heterogen sein können (ebd.). Trotz dieser Problematik können sich sogenannte randständige Gruppen durchaus organisieren, denn „at certain times even most marginalized groups will engage in collective action“ (Imig, 1996, S. 90). Einzelne schwächere Gruppierungen konnten sich demnach stabil und auf Dauer organisieren (z. B. durch Verfügbarkeit von Bildung, hohe Mitgliederzahlen, Zeit und finanziellen Ressourcen) – sie haben an „Schlagkraft“ (Kleinfeld et al., 2007, S. 19) gewonnen. Dass sich die gemeinhin als schwach geltenden Interessen durchaus weiter differenzieren lassen, bildet sich dadurch ab, dass es unter den schwachen auch vergleichsweise starke Interessen gibt. Einzelne Verbände von Menschen mit Behinderung werden auch zu diesen gezählt (von Winter, 2019, S. 29). 2. Die Organisationsfähigkeit von schwachen Interessen Es gibt verschiedene Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit schwache Interessenverbände gemeinsam ihre Forderungen durchsetzen können. Dazu muss zunächst die Voraussetzung der gemeinsamen Organisationsfähigkeit erfüllt sein. Olson (1965) betont, dass gerade das Handeln kollektiver Interessen zu Problemen führen kann. „Ausgehend von der Annahme rationaler Individuen argumentierte Olson, dass es irrational sei, sich einer Interessengruppe anzuschließen, da Individuen den Nutzen, der durch andere sichergestellt wird, auch ohne Kosten durch ‚Trittbrettfahren‘ erhalten können“ (Knill/Tosun, 2015, S. 100). Folglich weisen, so Knill und Tosun, kleine Gruppen weniger Probleme im gemeinsamen Handeln auf, da sie „empfänglicher sind für höheren sozialen Druck, der das Risiko für ein Trittbrettfahrer-Verhalten reduziert“ (ebd.). So können kleine Gruppen das Trittbrettfahrer*innen-Problem umgehen, da sie über Machtpotenziale verfügen ihre Interessen durchzusetzen. Die Anzahl der Aktivitäten und Mitglieder sind dabei von besonderer Relevanz. Sie können daher genauso einflussreich sein wie große Organisationen (Spörke, 2008, S. 41), da große Interessengruppen Trittbrettfahrer*innen eher anziehen. Umgangen werden kann diese Problematik nur, wenn selektive Anreize (ein Nutzen, der nur für Gruppenmitglieder gilt) gesetzt wird. Dies geschieht, indem Personen, die einer solchen latenten Gruppe angehören, dazu angeregt werden, ein gruppenorientiertes Verhalten aufzuzeigen und auch dementsprechend handeln (Knill/Tosun, 2015, S. 101). Für das kollektive Handeln ist nicht nur die Gruppengröße von Relevanz, sondern auch andere Ressourcen: So sollte beispielsweise eine Einigkeit über die



III. Die Theorie der schwachen Interessen 37

gemeinsamen Interessen der Gruppe bestehen. Denn: „die Wahrscheinlichkeit der Bereitstellung eines Kollektivgutes [gilt] als umso größer, je stärker die Gruppenmitglieder an dem Kollektivgut interessiert sind und je mehr Ressourcen sie zur Verfügung haben“ (von Winter, 2000, S. 41). Unter den Ressourcen werden Bildung, Zeit und Finanzen einer Gruppe gefasst (ebd., S. 43). Es gibt einzelne Gruppierungen der schwachen Interessen, denen es über die Zeit gelungen ist, dauerhaft stabile Organisationen zu bilden. Demzufolge gibt es ‚starke unter den schwachen‘ Interessen, die sich kollektiv (durch hohe Mitgliederzahlen und verschiedene vorhandene Ressourcen) etablieren konnten. Hierzu können auch die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung gezählt werden (Geissler, 2004, S. 167/267; von Winter/Willems, 2007, S. 361 ff.). Die Möglichkeit zur politischen Partizipation erhalten auch zum Teil die Interessenvertretungen von schwächeren Interessen, sodass sie sich an Entscheidungsgremien beteiligen können oder beratend auf politische Prozesse einwirken können (Schroeder et al., 2010, S. 154 ff.). Doch wie können sie ihre Interessen durchsetzen? Dem wird im Folgenden nachgegangen. 3. Zum Begriff der Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen Sofern die Voraussetzung geschaffen ist, dass sich Interessenverbände dauerhaft organisieren, rückt auch die Durchsetzungsfähigkeit dieser in den Mittelpunkt des Interesses. In der Literatur wird der Begriff der Durchsetzungsfähigkeit meist aus dem Bereich der Klinischen- oder Entwicklungspsychologie betrachtet und auf Individuen bezogen. So schreibt Lang (2009), dass die Durchsetzungsfähigkeit „als die Fähigkeit für seine eigenen Rechte einzustehen ohne dabei die Rechte anderer zu verletzen“ (ebd., S. 92) zu verstehen ist. In Kiper/Mischke (2008) wird Durchsetzungsfähigkeit als ein Verhalten aufgefasst, welches das Ziel hat, den Bereich des Einflusses des Individuums zu vergrößern (ebd., S. 152). Kanning (2014) definiert: „Menschen, die über eine hohe soziale Kompetenz verfügen, […] [sind] in der Lage, in sozialen Kontexten ihre eigenen Interessen erfolgreich zu vertreten“ (ebd., S. 116). Die Kompetenz stellt ein Potenzial dar, welches die Basis für ein „Verhalten in sozialen Kontexten [ist], ohne es determinieren zu können“ (ebd.). Das sozialkompetente Verhalten führt dazu, dass eine Person in einer bestimmten Gegebenheit die eigenen Ziele erreichen kann (ebd., S. 117). Für die Fragestellung der Dissertation eignet sich diese entwicklungspsychologisch-individuelle Perspektive auf Durchsetzungsfähigkeit kaum. Das hier vorgestellte Konzept kann aber auf Gruppen und Gruppierungen, wie die

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B. Theoretische Zugänge

hier interessierten Verbände, übertragen werden. Es geht also nicht um die individuelle, sondern die kollektiv-organisierte Durchsetzungsfähigkeit und die damit zusammenhängenden Kompetenzen und Potenziale, um die eigenen Ziele zu verwirklichen (angelehnt an Kanning, 2014). 4. Strategien der Interessendurchsetzung von schwachen Interessen Spörke (2008), Knill/Tosun (2015) und andere Autor*innen beschreiben im Rahmen ihrer Arbeiten, unter welchen Umständen schwache Interessenverbände erfolgreich ihre Ziele durchsetzen können. So stellt es – neben der Organisationsfähigkeit – ebenso eine Voraussetzung dar, dass die jeweiligen Verbände ihre Ziele und Aktivitäten so gestalten, dass sie Entscheidungsprozesse (im Parlament, in der Regierung oder Verwaltung) beeinflussen können. Bevor und während eines solchen Prozesses spielen besonders Kooperationen zwischen Verbänden (Lobbyarbeit, s. Teilkapitel B.IV.2.) und die politische Nähe zu Parteien eine Rolle. Auch eine gute Kontaktpflege zu verschiedenen Instanzen in der Politik und zu anderen Verbänden ist wichtig. Je größer ein Verband ist, desto mehr Kontakte bestehen zwischen diesem und dem Parlament. Zudem können informelle Gespräche zwischen Bündnis­part­ ner*innen (Ministerien und anderen Verbänden) und Kontakte vor Anhörungen ausschlaggebend sein, ob Änderungen erzielt werden können oder nicht. Wenn gute Kooperationen sowie eine erfolgreiche Kontaktpflege umgesetzt werden, kann der politische Prozess beeinflusst werden. Denn nur, wenn sich Verbände aktiv an parlamentarischen Anhörungen beteiligen, können ihre Vorstellungen im parlamentarischen Gesetzgebungsfahren eingebracht werden. Gerade eine frühe Einflussnahme auf die ministerielle Vorbereitungsphase der Gesetzgebung ist entscheidend, ob Forderungen anschließend wirkungsvoll im Gesetzgebungsverfahren eingebunden werden. Denn sobald Gesetzesentwürfe über den Referentenentwurf hinaus sind, sind diese nicht sehr leicht zu ändern (Spörke, 2008, S. 59 ff.; Knill/Tosun, 2015, S. 101; Reutter, 2001, S. 93). Von Winter (1997) beschreibt zudem, dass das Durchsetzen der eigenen Interessen durch die Öffentlichkeit (Bevölkerung und Medien) beeinflusst wird. Inwieweit nimmt diese die schwachen Interessen wahr? Häufig liegt das Problem vor, dass sie aufgrund eines Ressourcenmangels ihre lobbyistischen Aktivitäten nur eingeschränkt umsetzen können (von Winter, 1997, S. 556). Einzelne Interessenvertretungen haben andererseits erkannt, dass sie lediglich einen geringen Einfluss auf politische Sektoren haben, sodass sie daher besonders intensiv auf ihre Öffentlichkeitsarbeit setzen – so zum Beispiel das Vorgehen des Sozialverbandes VdK in der Senior*innenpolitik. Das Vorge-



III. Die Theorie der schwachen Interessen 39

hen wird genutzt, um zum einen eine Legitimität der eigenen Interessen vor der Gesellschaft darzulegen und zum anderen die Medien als ein Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen zu nutzen (Schroeder et al., 2010, S. 163). Einen Überblick über das beschriebene Durchsetzungsvermögen von schwachen Interessen wird in der Abbildung 2 dargestellt. Nicht nur die Interessenverbände haben eine Motivation in Entscheidungsprozesse mit eingebunden zu werden, sondern auch die Ministerialbürokratie sieht einen Vorteil an der Beteiligung von Interessenorganisationen. Denn der Gesetzgeber ist auf das Wissen der Interessenvertretungen angewiesen. Des Weiteren erhält der Gesetzgeber Informationen darüber, „welche Aspekte des Gesetzesvorhabens von den betroffenen Kreisen als verbesserungswürdig erachtet werden“ (Knill/Tosun, 2015, S. 102). Dieser Austausch untereinander kann als eine gewisse „Aufklärungsarbeit“ (ebd.) verstanden werden, sodass die Maßnahmen des Policy-Prozesses von den Interessenverbänden akzeptiert werden und dies zu geringeren Umsetzungsproblemen führt. Zudem ist es für den Gesetzgeber wichtig, mehrere Interessenorganisationen über ein neues Gesetzesvorhaben zu befragen und in den Prozess einzubezie-

Quelle: Eigene Darstellung nach Spörke (2008) und Knill/Tosun (2008)

Abbildung 2: Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen

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B. Theoretische Zugänge

hen (s. Teilkapitel B.IV.). So integriert die Ministerialbürokratie möglichst viele verschiedene Interessenvertretungen – beispielsweise nicht nur die Arbeitgeber*innenverbände bei einem arbeitsrechtlichen Vorschlag, sondern auch die Arbeitnehmer*innenseite durch die Vertretung von Gewerkschaften. „Durch den Einbezug unterschiedlicher Interessen wird nicht nur die Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet erweitert, sondern auch die Gefahr der regulativen Befangenheit verringert“ (ebd.). Einen differenzierteren und strukturierteren Überblick über die Durchsetzungsfähigkeit, also die Machtpotenziale von Akteur*innen, bietet der Machtressourcenansatz. Dieser bildet den konzeptionellen Rahmen der vorliegenden Arbeit. Einzelne der oben aufgeführten Techniken zur Durchsetzung von Interessen können auch im Machtressourcenansatz wieder gefunden werden.

IV. Der Machtressourcenansatz Das nachfolgende Kapitel dient dazu, einen Überblick über Machtpotenziale von Akteur*innen zu bieten. Daher wird der angepasste Machtressourcenansatz1 erläutert. Dieser dient als Analyserahmen, um die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Zuge des BTHG-Reformprozesses nachzeichnen zu können. Auch das Lobbying, welches eng mit der konzeptionellen Rahmung des Machtressourcenansatzes in Verbindung steht, wird darauffolgend beschrieben. 1. Der Begriff Macht und der Machtressourcenansatz Der Machtressourcenansatz analysiert Lohnabhängige (Beschäftigte in Unternehmen), die mit Hilfe der kollektiven Mobilisierung von Machtressourcen ihre Interessen vertreten und durchsetzen können (Schmalz/Dörre, 2014, S. 221). Doch was genau bedeutet ‚Macht‘? Webers häufig zitierte Definition besagt, dass Macht als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (Weber, 1980, S. 28) zu verstehen ist. Die Ausübung der Macht ist demnach sichtbar im Rahmen von Entscheidungen oder Implementierungen und hat positive oder negative 1  Die Teilkapitel B.IV.1.a) und B.IV.1.b) beruhen auf einem veröffentlichten Tagungspaper der Autorin (Schultz, L. (2018), Der Bundesteilhabegesetzes-Reformprozess: Schwache Interessen und ihre Machtressourcen. Gemeinsame Tagung der Sektion Sozialpolitik in der DGS und des AK Wohlfahrtsstaatsforschung in der DVPW, in Essen). Die beiden Teilkapitel wurden für die vorliegende Arbeit angepasst.



IV. Der Machtressourcenansatz41

Auswirkungen für andere beteiligte Akteur*innen (Imbusch, 2012, S. 11). Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff der Herrschaft, den Weber als Gegenpol von Macht bezeichnet (Treiber, 2007, S. 51), nicht berücksichtigt, da sich diese Arbeit mit ungleichverteilten Machtverhältnissen beschäftigt und nicht mit Herrschaftsverhältnissen. Imbusch (2012) ergänzt, dass Macht auch das Ziel verfolgen kann, „Kontrolle des größeren gesellschaftlichen Kontextes und der Rahmenbedingungen“ (ebd., S. 12) zu erlangen, indem Einfluss „auf die Öffnung oder Schließung bestimmter Optionen und Handlungskorridore“ (ebd.) genommen wird. Es handelt sich um eine Meta-Macht, für die es gewisse Machtpositionen geben muss, in denen einzelne Akteur*innen soziale Situationen strukturieren können und auf die Interessendefinitionen anderer beteiligter Akteur*innen Einfluss ausüben können (ebd.). Nach Olsen/Marger (1993) liegen zwei Differenzierungen in der Ausübung von Macht vor – und zwar zwischen ‚power to‘ und ‚power over‘. Ergänzt werden können diese beiden Begriffe mit ‚power with‘ und ‚power within‘ (Lane/Pritzker, 2017, S. 81). Hiermit werden verschiedene Sichtweisen auf Macht sowie verschiedene Legitimationsstandards erklärt (Imbusch, 2012, S. 11). • Power to: Hier steht im Vordergrund, dass ein*e Akteur*in die Möglichkeit erhält, etwas zu tun, was er*sie unter anderen Umständen nicht gekonnt hätte. Es wird demnach die förderliche Fähigkeit in den Vordergrund gestellt, dass man alleine oder zusammen mit anderen Akteur*innen ein bestimmtes Ziel zu erreichen versucht (ebd.). • Power over beschreibt, dass ein*e Akteur*in Handlungen von anderen Akteur*innen ver- oder behindert. Es handelt sich um eine präventive Machtausübung – es wird eine Kontrolle über andere ausgeübt (ebd.). •• Power with umfasst die kollektive Aktivierung und Mobilisation sowie den Ausbau von Bündnissen (Lane/Pritzker, 2017, S. 81). •• Power within: Das Gefühl von Selbstwert auf individueller oder kollektiver Ebene (ebd.). a) Der Machtressourcenansatz Im Rahmen dieses Projektes wird die Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen im BTHG-Reformprozess mit Hilfe des Machtressourcenansatzes rekonstruiert. Verbände übernehmen die Funktion der „Entscheidungsfindung und Einflussnahme auf die staatliche Politik […] und die Funktion der Interessenrepräsentation und des Austausches mit ihren Mitgliedern“ (Wiß, 2011, S. 55). Ihre vorhandenen und genutzten Machtressourcen spielen dabei eine entscheidende Rolle.

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B. Theoretische Zugänge

Für die Betätigung von Macht stellen Machtressourcen einen zentralen Indikator dar – auch bezogen auf ihren jeweiligen Einfluss. Die Organisation und die Machtstrukturen beeinflussen die Verbandsinteressen und -positionen im Reformprozess. Das gesamte System steht dabei unter einem Einfluss von verschiedenen Klassen-, Interessen- und Machtstrukturen und übernimmt die Verantwortung für die Durchsetzung von Reformen. Sobald der Staat und die Organisationen gegensätzliche Interessen (aus ökonomischen und sozialen Aspekten) in Reformprozessen haben, kann dies zu einer Umverteilung von Leistungen (sogenannte redistributiven Wirkungen) führen. Daher haben Machtressourcen einen Einfluss auf den jeweiligen Prozess und die Ergebnisse von Reformen. Genutzte und vorhandene Machtressourcen können zum einen Verbandsstrategien und zum anderen Verbandsinteressen beeinflussen und können somit Einfluss auf die Ergebnisse einer Reform nehmen (ebd.). Es ist davon auszugehen, dass mit Hilfe des Machtressourcenansatzes herausgearbeitet werden kann, welche Interessen die Verbände von Menschen mit Behinderung im Reformprozess verfolgt haben und welche Machtressourcen zur Durchsetzung der Interessen beigetragen haben. Im Nachfolgenden wird der Machtressourcenansatz, der für starke Interessen (Gewerkschaften) entwickelt wurde, dargestellt. Anschließend wird dieser auf die ‚Starken unter den Schwachen‘ angepasst. Der Machtressourcenansatz ist in den 1980er Jahren aus der vergleichenden Staatstätigkeitsforschung hervorgegangen. Darunter wird die Entstehung und die Entwicklung „der Wohlfahrtsstaaten in den westlichen Demokratien als Resultat langfristiger Verteilungskonflikte zwischen sozio-ökonomischen Interessengruppen […] und von Entscheidungen klassenorientierter Parteienpolitik […] begriffen“ (Urban, 2010, S. 444). Die jeweiligen Konfliktstrategien, die Macht und die Handlungspräferenzen der Akteur*innen stehen dabei im Fokus. Da die Ausgestaltung von wohlfahrtsstaatlichen Inhalten im Rahmen von Reformen entschieden werden, ist die jeweilige Machtausstattung der verschiedenen Akteur*innen entscheidend. Dies äußert sich beispielsweise durch ihren Umgang mit Verteilungskonfliktsituationen oder den ökonomischen Ressourcen. Im Zentrum stehen sowohl Interessenorganisationen des Kapitals (Arbeitgeber*innen) als auch die der Arbeit (Arbeitneh­ mer*innen) und ihre jeweiligen Interaktionsbeziehungen zueinander (ebd.). Von Wright (2000) wurde die neuere Gewerkschaftsforschung geprägt. Unter Macht versteht der Autor eine Kapazität von Individuen oder kollektiven Akteur*innen, die ihre Interessen durchsetzen möchten. Voraussetzungsvoll ist es, wenn diese die Möglichkeit erhalten, ihre jeweiligen Interessen einer anderen ‚Klasse‘ entgegenzusetzen (Urban, 2010, S. 444). Der Machtressourcenansatz nach Schmalz und Dörre (2014) unterschiedet zwischen vier Machtressourcen: der strukturellen, institutionellen und gesell-



IV. Der Machtressourcenansatz43

schaftlichen Macht sowie der Organisationsmacht. Auf die erstgenannte Machtressource wird insbesondere in diesem Teilkapitel eingegangen, die drei weiteren werden im nächsten Teilkapitel (B.IV.1.b)) thematisiert, um Wiederholungen im angepassten Machtressourcenansatz zu vermeiden. Strukturelle Macht: Diese Machtressource fokussiert sich auf das ökonomische System und die Stellung von Beschäftigten in diesem. Es handelt sich um eine primäre Machtressource, da die strukturelle Macht auch ohne eine kollektive Interessenvertretung existiert. Sie geht zurück auf die Abhängigkeitsbeziehung zwischen Arbeitgeber*innen und -nehmer*innen in Betrieben oder dem Arbeitsmarkt. Die strukturelle Macht enthält die sogenannte ‚Macht zur stören‘ und „kann somit die Kapitalverwertung […] unterbrechen“ (ebd., S. 222). Es gibt zwei Formen der strukturellen Macht: • Produktionsmacht: Diese Machtressource hängt von der Stellung der Arbeitnehmer*innen im Produktionsprozess ab. Dazu gehört beispielsweise die Arbeitsniederlegung oder subtilere Formen wie Sabotage. Es handelt sich hierbei um eine zum Teil spontane und dezentrale Machtform. Auf Unternehmensseite kann dieses Vorgehen zu hohen Kosten führen. Die Exportbranche oder Unternehmen mit erhöhter Arbeitsproduktivität besitzen eine große Produktionsmacht. Als Gegengewicht können Arbeit­ geber*innen beispielsweise Standortverlagerungen oder Rationalisierungsmaßnahmen durchführen (ebd.). Der Produktionsmacht können zwei weitere Machtressourcen zugeordnet werden: ‒ Die Zirkulationsmacht ist im Transportsektor wiederzufinden. Arbeit­ nehmer*innen können Verteilungskanäle oder Transportwege stören (ebd.). ‒ Die Reproduktionsmacht gehört in den Bereich Pflege und Erziehung. Arbeitnehmer*innen können Druck ausüben, „indem sie die Möglichkeit anderer Beschäftigter ihrer Lohnarbeit nachzugehen stören und somit weitere Sektoren der Volkswirtschaft beeinflussen“ (ebd., S. 223). • Marktmacht: Hierbei handelt es sich um eine subtile Machtressource. Sie entsteht durch eine angespannte Arbeitsmarktsituation, durch seltene berufliche Qualifikationen sowie geringe Arbeitslosigkeit. Wenn Beschäftigte unter diesen Bedingungen einen beruflichen Wechsel anstreben, könnte dies zu zusätzlichen Ausbildungskosten führen. Um dies zu verhindern, können Arbeitgeber*innen z. B. höhere Gehälter zahlen. „Hierarchien, die sich aus der unterschiedlichen Ressourcenausstattung der Lohnabhängigen [z. B. der Struktur des Arbeitsmarktes, welche die Stammbelegschaft, Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung beinhaltet] und den Grenzziehungen am Arbeitsmarkt [beispielsweise ethnische und geschlechtsspezifische

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B. Theoretische Zugänge

Zuschreibungen] ergeben, bergen somit immer auch die Gefahr einer Entsolidarisierung“ (ebd.). Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung der strukturellen Macht ist eine ausgefeilte institutionalisierte Konflikt- und Streitstrategie. Damit die Interessen der Arbeitnehmer*innen effektiv vertreten werden können, bietet es sich an, eine gezielte Konfliktfähigkeit im Rahmen von Streiks zu entwickeln (ebd.). Gewerkschaften verfügen über Machtressourcen, die schwächere Ak­ teur*innen nicht vorzuweisen haben, wie beispielsweise die Produktions- und Marktmacht (s. oben). Andere Machtressourcen können wiederum an diese Personengruppe angepasst werden, was im folgenden Kapitel erfolgen wird (s. Teilkapitel B.IV.1.b)). b) Der Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen (1.0) Der weiterentwickelte Machtressourcenansatz umfasst zentriert die Personengruppe der Menschen mit Behinderung. D. h., dass (a) weder Unterschiede zwischen Wohlfahrtstypen herausgearbeitet (s. Reiter, 2017) noch (b) nur Lohnabhängige betrachtet werden (Schmalz/Dörre, 2014, S.  221). Die Gruppe der Menschen mit Behinderung ist sehr heterogen, daher werden darin sowohl Menschen erfasst, die einer Tätigkeit nachgehen, als auch Personen, die aufgrund der Art und Schwere der Behinderung nicht arbeiten können. Es handelt sich demnach um eine exogene Gruppe nach von Winter und Willems (2000, S. 16). Die hier betrachtete Personengruppe unterscheidet sich demzufolge grundlegend von denen im ‚klassischen‘ Machtressourcenansatz. Die zentrale Gemeinsamkeit mit dem ‚klassischen‘ Ansatz besteht in der kollektiven Mobilisierung der Machtressourcen: Nachfolgend werden die Machtressourcen, die Menschen mit Behinderung im Rahmen des Reformprozesses des BTHG innehaben könnten, sowie auch ihre Interaktionsbeziehungen zu anderen Akteur*innen, betrachtet. Es ist davon auszugehen, dass sich einzelne Machtressourcen auf die Interessenverbände der ‚Starken unter den Schwachen‘ anwenden lassen. Vermutet wird, dass die strukturelle Macht nicht genutzt werden kann, da einzelne Menschen mit Behinderung, wie oben beschrieben, keiner Tätigkeit nachgehen können und somit nicht zur Produktionsniederlegung aufrufen oder diese durchführen können (s. Abbildung 3; s. auch von Winter, 2019, S. 32). Nur weil diese Machtressource nicht verwendet wird, heißt es nicht, dass „sich Lobbying […] nur im Ausnahmefall im Wege der Drohung mit dem Einsatz von Machtmitteln vollzieht, sondern meist durch Anwendung einer ganzen Reihe mehr oder minder filigraner Einflusstechniken unter Einsatz vor allem



IV. Der Machtressourcenansatz45

der öffentlichen Meinung“ (ebd.) erfolgt. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die anderen Machtressourcen (Organisationsmacht – zumindest in Teilen –, institutionelle und gesellschaftliche Macht) in Bezug auf die Gruppe der Menschen mit Behinderung, als die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen, durchaus verwendet werden können. Organisationsmacht: Die Organisationsmacht entsteht u. a. aus einem Zusammenschluss von gewerkschaftlichen Arbeitsorganisationen und kann dabei eine fehlende strukturelle Macht (wie in diesem Fall) kompensieren, ohne diese allerdings zu ersetzen. Voraussetzung dieser Machtressource ist die kollektive Beteiligung von Akteur*innen im Zuge eines Organisationsprozesses. Diese Machtressource unterteilt sich in drei verschiedene Ebenen: Eine Verbindung zu Betriebsräten, ein Austausch mit anderen Gewerkschaften sowie eine Politikvertretung durch Arbeiterparteien (Schmalz/Dörre, 2014, S. 224). Allerdings können diese Ebenen bei dem hier betrachteten Personenkreis nicht erwartet werden. Es lassen sich aber verschiedene Beziehungen zu verschiedenen starken Akteur*innen herausarbeiten: (1) Verbindungen zwischen unterschiedlichen Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung (z. B. das Aktionsbündnis des Deutschen Behindertenrates2). (2) Verbindungen zur advokatorischen Interessenvertretung (Wohlfahrtsverbände) und anderen ‚stärkeren‘ Akteur*innen (wie Gewerkschaften). (3) Verbindungen und Unterstützung durch Oppositionsparteien (z. B. die LINKE und Bündnis 90/Die GRÜNEN). Darüber hinaus könnten die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung auch weitere Machtressourcen nutzen, die nachfolgend aufgeführt werden: •• Infrastrukturressourcen: Für eine erfolgreiche Vertretung von Interessen sind personelle Ressourcen von Relevanz. Demnach benötigen Interessenverbände nicht nur ‚Aktivist*innen‘, sondern auch weitere personelle Ressourcen, wie technisches Fachpersonal oder hauptamtliche Mitarbei­ ter*innen. Das Personal sollte im Rahmen von Reformprozessen die Möglichkeit erhalten, vorübergehend von der alltäglichen Arbeit freigestellt zu werden (Schmalz/Dörre, 2014, S. 225). 2  Der DBR wurde Ende der 1990er Jahre von der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, den Sozialverbänden und auch von unabhängigen Behindertenverbänden gegründet. Aufgabe des DBR ist es, die Interessen von Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen sowie ihrer Angehörigen zu fördern und auf die notwendigen Dienste und die Selbsthilfestrukturen einzuwirken. Das Aktionsbündnis versteht sich als eine Plattform für einen gemeinsamen Austausch und gemeinsames Handeln. Von daher besitzt der DBR kein generelles Vertretungsmandat, da er kein Dachverband ist (Deutscher Behindertenrat, o. J.).

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B. Theoretische Zugänge

•• Organisationseffizienz: Eine weitere Voraussetzung stellt die Organisa­ tionseffizienz dar. Hierunter fallen organisationale Planungen, wie Arbeitsteilung, funktionierende Arbeitsabläufe und eine Verteilung von Ressourcen (ebd.). •• Mitgliederpartizipation: Mitglieder müssen auch die Bereitschaft haben zu handeln, worunter die aktive Teilnahme an Mobilisierungen zu verstehen sind. Fehlt diese aktive Beteiligung, so könnten sich Interessenverbände in Organisationen verwandeln, die lediglich bürokratisch handeln. Eine zu intensive Mitgliederpartizipation ist auf Dauer allerdings auch schwierig zu stellen. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aktivierung und NichtAktivierung ist von Relevanz (ebd., S. 226). •• Innere Kohäsion: Die Mitgliedersolidarität stellt einen weiteren zentralen Faktor der Organisationsmacht dar. Dabei stellt die Kollektividentität der Mitglieder eine wichtige Rolle dar. Sie entwickelt sich aus sozialen Netzwerken und geteilten Erfahrungen im Alltag (ebd.). Institutionelle Macht: Diese Machtressource entsteht aus der Organisationsmacht (und dem ‚klassischen‘ Machtressourcenansatz folgend auch aus der strukturellen Macht), die ein Resultat aus Aushandlungsprozessen ist. Es handelt sich hierbei um formale Rechte, die der Staat den Interessenverbänden und ihren Mitgliedern einräumt. D. h. sie können sich an Gesetzgebungsprozessen und an Kommissionen beteiligen oder auch Kontakte zu Parteien pflegen (Schroeder, 2014, S. 23). Die institutionelle Macht umfasst einen Doppelcharakter: Den Interessenverbänden werden zwar Rechte der Beteiligung zuteil, allerdings bestehen Einschränkungen in der Handlungsfähigkeit (einerseits versuchen sie alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, indem sie Lobbying betreiben sowie andererseits die politische Autonomie aufrecht zu erhalten). Ein weiterer Faktor stellt die zeitliche Beständigkeit dar: „Sie wurzelt in der Tatsache, dass Institutionen soziale Basiskompromisse über Konjunkturzyklen und kurzzeitige politische Veränderungen hinweg fortschreiben“ (Schmalz/Dörre, 2014, S. 229). Genutzt werden kann diese Machtressource auch, wenn die organisatorische Machtressource bereits rückläufig ist (ebd.). Es ist davon auszugehen, dass auch diese Machtressource auf die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen anzuwenden ist. Gesellschaftliche Macht: Die gesellschaftliche Macht umfasst zum einen die Unterstützung der Gesellschaft für die Forderungen von Interessenverbänden als auch den Handlungsspielraum, der aus Kooperationen mit anderen Organisationen entsteht. Die folgenden Formen der gesellschaftlichen Macht verstärken sich gegenseitig (ebd., 2014, S. 230 ff.):



IV. Der Machtressourcenansatz47

• Kooperationsmacht: Eine erfolgreiche Interessenvertretung kann durch Netzwerke bzw. die Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen gestärkt werden. Profitieren können die Verbände gerade dann, wenn bei Kampagnen zusammengearbeitet wird und sich die Mitglieder beider Organisationen gemeinsam mobilisieren. Die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels ist dabei wichtig. So wird die eigene Organisationsmacht gestärkt, wenn auf die Ressourcen von anderen zurückgegriffen werden kann. Bündnis­ partner*innen können z. B. Nichtregierungsorganisationen oder Sozialverbände sein. Gestärkt werden kann diese Machtressource durch sogenannte Bridge Builder – Personen, die sowohl einem Interessenverband angehören als auch einer stärkeren Organisation (z. B. Parteien oder advokatorische Interessenvertretung). •• Diskursmacht: Diese Machtressource kommt bei öffentlichen Debatten zum Tragen. Die Gesellschaft soll die Forderungen der Interessenverbände als gerecht wahrnehmen und diese unterstützen. Dies kann beispielsweise durch die „Skandalisierung von Ungerechtigkeiten“ (Schmalz et al., 2013, S. 361; Schmalz/Dörre, 2014, S. 231) erfolgen. Bei diesem Vorgehen wird dargestellt, wie die Lebensbedingungen aussehen und dass diese als ungerecht empfunden werden. Eine weitere Machtressource der Diskursmacht sind die narrativen Ressourcen, die sich an herrschenden Moralvorstellungen orientieren. Sie beziehen sich auf „Kämpfe oder feste Normen, die im gesellschaftlichen Bewusstsein verwurzelt sind“ (ebd.). Zu dieser Macht­ ressource gehört auch die Problemlösungskompetenz. Demzufolge müssen Interessenverbände Lösungen oder Interpretationsmuster für bestehende Probleme aufzeigen und diese der Öffentlichkeit näherbringen. Gerade bei politischen Verhandlungen ist die Problemlösungskompetenz wichtig, um als Verhandlungspartner*in akzeptiert zu werden. Das Framing stellt einen weiteren Faktor dar, den Interessenvertretungen für sich nutzen sollten. Zentral ist hierbei, „die gesellschaftliche Macht der Organisation strategisch klug aufzubauen und einzusetzen“ (ebd., S. 232). Initiativen sollten demnach zum richtigen Zeitpunkt aufgegriffen werden, um die passenden Themen beispielsweise zur Mobilisation einzusetzen (ebd.). Es ist zu erwarten, dass einzelne der in Abbildung 3 dargestellten Machtressourcen unterschiedlich intensiv zu tragen kommen. So könnte es sein, dass bei der Ausarbeitung der Forschungsergebnisse deutlich wird, dass manche Machtressourcen relevanter für die hier betrachtete Personengruppe sind als andere. Der Machtressourcenansatz enthält auch Lobbying-Aktivitäten, wie die Beteiligung an Aushandlungsprozessen und Kontaktpflege zu Parteien, die Nutzung von Mobilisation, durch Proteste und Aktionen oder Bündnisse. Daher soll im Folgenden dem Begriff des Lobbyings nachgegangen werden.

Abbildung 3: Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen 1.0

Quelle: Eigene Darstellung in Abwandlung des Machtressourcenansatzes nach Schmalz/Dörre (2014)

48 B. Theoretische Zugänge



IV. Der Machtressourcenansatz49

2. Lobbying von Interessenverbänden Im Zuge der politischen Beteiligung von Interessenvertretungen und anderen Akteur*innen sowie zur Beeinflussung ihrer Interessen, wird sich – wie auch im Falle des BTHG – des Lobbyings bedient. Daher wird der Begriff an dieser Stelle nochmal explizit erläutert: Der Begriff des Lobbyings hängt eng mit dem der Interessenvertretung (s. oben, Kapitel B.I.) zusammen und wird häufig als Synonym füreinander verwendet – und zwar als der Versuch der politischen Einflussnahme von Vertreter*innen die ein gesellschaftliches Interesse verfolgen, um politische Ergebnisse zu verändern. Dem Begriff des Lobbyings hängt eine negative Konnotation (die der illegalen Einflussnahme) an (Speth/Zimmer, 2015, S. 12). Lobbyismus wird in der Literatur beispielsweise als ‚fünfte Gewalt‘ (s. Leif/Speth, 2006) bezeichnet, als etwas Bestechliches, dem man nicht trauen kann (Kleinfeld et al., 2007, S. 11). Speth und Zimmer (2015) verweisen auf die Unterschiede zwischen den beiden Begriffen (Interessenvertretung und Lobbying): „Während Organisationsmacht auf der Bündelung von Mitgliederinteressen und ihrer Vertretung in der Politik beruht, basiert Lobbying auf Informationstransfers“ (ebd., S. 12). Damit in Verbindung stehend ist die Bereitstellung von Informationen (ebd.). Rieger (2014, S. 340) bezeichnet dies als eine „Tauschbeziehung“. Denn die Politik benötigt fachliche Informationen und bietet umgekehrt den Lobby-Akteur*innen Einfluss (s. auch Kapitel B.III.4.). Gleichermaßen werden auch der Öffentlichkeit Informationen zur Verfügung gestellt oder mit besonderen Gruppen (beispielsweise Verbraucher*innen oder Naturschüt­ zer*innen) geteilt. Die öffentliche Meinung und der Nutzen von Medien wird dabei immer relevanter (Speth/Zimmer, 2015, S. 12–13). Gerlinger (2009) und Kleinfeld et al. (2007) beziehen sich in ihren Definitionen auf das ‚klassische‘ Lobbying, mit Ausschluss der Nutzung von Medien. So schreibt Gerlinger beispielsweise: „Unter Lobbyismus sollen hier jene Formen und Strukturen der Interessenvermittlung verstanden werden, mit denen private Interessengruppen oder deren Verbände auf politische Akteure einwirken, um deren Entscheidungen im eigenen Interesse zu beeinflussen. Lobbyismus nutzt vor allem persönliche Kontakte, erfolgt als ‚Schattenpolitik‘ (Alemann/Eckert, 2006) zumeist jenseits der Öffentlichkeit und bedient sich in der Regel der Präsentation von Informationen und Argumenten“ (Gerlinger, 2009, S. 34; Hervorhebung im Orginial).

Das Lobbying kann unterteilt werden in das Beschaffungs- und Gesetzeslobbying. Unter dem ersten wird das Einwerben öffentlicher Mittel verstanden; unter dem zweiten geht es um die Gestaltung von rechtlichen Rahmenbedingungen (Rieger, 2014, S. 340). Zweiteres erfolgt auch im Zuge des

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B. Theoretische Zugänge

BTHG-Reformprozesses, indem die Akteur*innen Einfluss auf die Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen nehmen. Lobbyarbeit erfolgt nach Klenk (2019) durch drei verschiedene Mechanismen: 1. Innere Lobby: Die innere Lobby kann durch „personelle Verflechtungen zwischen Parlamentariern und Interessenorganisationen“ (ebd., S. 47) erfolgen, weil ein*e Akteur*in zwei Positionen innehat – sowohl bei einem politischen Entscheidungsträger als auch Verbandsmitglied ist. Im Lobbying – im Gegensatz zum Machtressourcenansatz (s. Bridge Builder, Teilkapitel B.IV.1.a)) – wird diese Konstellation von der Öffentlichkeit allerdings kritisch betrachtet, „da ihre Anfälligkeit für Klientelismus einerseits, capture andererseits besonders hoch erscheint“ (ebd.). 2. Formalisierte Kommunikation: Diese Form der Kommunikation findet zwischen Abgeordneten und Verbänden im Rahmen von öffentlichen Anhörungen im Zuge von Gesetzgebungsverfahren statt. Dabei können die jeweiligen Fraktionen aussuchen, wer eine Einladung zur Anhörung erhält. Es wird versucht, eine möglichst breite Auswahl an Interessenvertretungen einzuladen, um einen möglichst weiten „gesellschaftlichen Konsens zu schaffen“ (ebd.). Allerdings wird es vermieden, Verbänden das Rederecht zu erteilen, von denen besonders kritische Ablehnung zu erwarten ist (ebd.; s. auch institutionelle Macht der Machtressourcen). 3. Informelle Kommunikation: Zeitgleich oder im Vorfeld der öffentlichen Anhörungen findet die informelle Kommunikation statt. Für die Interessenvermittlung ist diese Ebene besonders relevant, da die Netzwerke auf informeller Ebene dafür entscheidend sind, welche Verbände Einladungen zu den öffentlichen Anhörungen erhalten (ebd.). Auch die Interaktion (durch schriftlichen oder persönlichen Kontakt) zwischen den Interessenverbänden und der Ministerialbürokratie bietet besonders große Einflusschancen, da die Ministerialbürokratie im Rahmen der Gesetzgebung eine besondere (und entscheidende) Rolle einnimmt (Wehrmann, 2007, S. 43). Gerade beim Agenda Setting (Formulierungshilfen für das Parlament) und der Politikformulierung (u. a. Gesetzes- und Satzungsentwürfe) sind Ministerien bzw. ihre Sachbearbeiter*innen und Referent*innen (ebd., S. 43; Rieger, 2014, S. 339) „ganz wesentlich an der Auswahl und Aushandlung politischer Alternativen beteiligt“ (Klenk, 2019, S. 49) und sind daher wichtige Anlaufpartner*innen für Interessenverbände oder auch Wohlfahrtsverbände (ebd.). Neben den Parlamentarier*innen und der Ministerialbürokratie ist auch der Bundestag selbst, bzw. vielmehr die einzelnen (regierenden) Fraktionen wichtige Ansprechpartner*innen für Interessenverbände (Wehrmann, 2007, S. 43). Abgeordnete und Ministeriumsmitarbeitende haben in ihrer Arbeit mit sehr komplexen Themeninhalten zu tun. Es kann vorkom-



IV. Der Machtressourcenansatz51

men, dass diese Schwierigkeiten haben, einen „genauen Überblick über einen Themenkomplex und damit zusammenhängende Probleme zu haben“ (ebd., S. 44). Hier kommen ihnen die Lobbyist*innen zugute, die ihr fachliches Wissen verständlich aufbereitet zur Verfügung stellen können. Sowohl die Interessenverbände als auch die politischen Entscheidungsträ­ger*innen profitieren von dem Austausch (ebd.; s. auch Teilkapitel B.III.4.). Im Zuge eines Gespräches sind „Onepager“ (ebd., S. 46) üblich, also eine verständliche und kurze Übersicht über die relevantesten Inhalte (ebd.). Nach Wehrmann (2007) und Rieger (2014) gibt es sowohl das direkte als auch das indirekte Lobbying. Dem direkten Lobbying kann die formalisierte und informelle Kommunikation (s. oben) zugeordnet werden. Die indirekte Kommunikation kann beispielsweise über Medien erfolgen. Um Kommunikationsprozesse zu beschleunigen, kann die Publizität genutzt werden – dazu gehören beispielsweise redaktionelle Berichte in der Presse (Rieger, 2014, S. 340; Wehrmann, 2007, S. 46). Gerade Nichtregierungsorganisationen nutzen dies vermehrt, um möglichst viele Personen auf ein bestimmtes Anliegen aufmerksam zu machen. Dazu gehören Aktionen oder gesellschaftliche Mobilisierungen. Zu den relevantesten Kommunikationsinstrumenten von Lobbyist*innen gehören „die Informationssammlung, -auswertung und -weitergabe, persönliche Kontakte, Gespräche mit Entscheidungsträgern, Netzwerkbildung, Briefe und Petitionen“ (Wehrmann, 2007, S. 46).

C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung Das folgende Kapitel befasst sich zunächst mit der UN-Behindertenrechtkonvention, um sich anschließend den gesetzlich verankerten Rechten von Menschen mit Behinderung in Deutschland zu widmen.

I. Die UN-Behindertenrechtskonvention Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode wurde beschrieben, dass ein Bundesteilhabegesetz unter besonderer Berücksichtigung der Meinungen von Menschen mit Behinderung entwickelt werden sollte. Oberstes Ziel des Bundesteilhabegesetzes sei es, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen (s. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013). Doch was genau beinhaltet die UN-BRK und wie ist sie zustande gekommen? Dem wird im Folgenden nachgegangen. Bielefeldt (2009) schreibt allgemein über Menschenrechtskonventionen, dass sie „[…] dem Empowerment der Menschen [dienen]. Sie leisten dies, indem sie Ansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe formulieren, sie rechtsverbindlich verankern und mit möglichst wirksamen Durchsetzungsinstrumenten verknüpfen“ (Bielefeldt, 2009, S. 4). Dies gilt demnach auch für die UNBRK. Bei dieser Konvention handelt es sich um ein universelles Rechtsinstrument, welches sich auf die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung bezieht und diese konkretisiert. Insgesamt sind weltweit rund 650 Millionen Menschen von einer Behinderung betroffen. Die UN-BRK gibt ihnen Zugang zu einem universellen Recht. Geschätzt wird, dass allerdings nur rund 40 Staaten (meist Industrienationen), eine konkrete nationale Gesetzgebung haben, die für Menschen mit Behinderung geschaffen wurde. Während andere Vereinbarungen, die Menschen mit Behinderung betreffen, einen empfehlenden Charakter innehaben, verpflichtet die UN-BRK die Staaten, die diese ratifiziert haben, verbindlich. Die UN-BRK verpflichtet die Staaten „[…] den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern“ (UN-BRK, Art. 1). Damit bezieht sich die Zielsetzung auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Daneben wird auch auf andere Men-



I. Die UN-Behindertenrechtskonvention53

schenrechtsverträge zurückgegriffen (hierzu gehören der UN-Sozialpakt, UN-Zivilpakt, die UN-Rassendiskriminierungskonvention, UN-Frauenrechtskonvention, UN-Antifolterkonvention und die UN-Kinderrechtskonvention) – im Rahmen der UN-BRK wird sich aber ganz speziell und konkret auf die Rechte von Menschen mit Behinderung konzentriert. Die UN-BRK schafft keine Sonderrechte, sondern präzisiert die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in einem Menschenrecht, welches sich auf die spezifische Lebenslage und auf die besondere Perspektive von Menschen mit Behinderung bezieht (Deutsches Institut für Menschenrechte, o. J.). Die Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention: Der Entwicklung der UN-BRK liegt die Besonderheit zugrunde, dass im Zuge dessen Menschen mit Behinderung aktiv daran beteiligt wurden. Der vorgelagerte Beteiligungsprozess des BTHG orientierte sich an diesem Beispiel – daher soll die Entstehung der UN-BRK im Folgenden kurz erläutert werden. Vor der Verabschiedung der UN-BRK im Jahr 2006 existierten international Übereinkommen, die auch die Rechte von Menschen mit Behinderung zum Inhalt hatten (s. hierzu ausführlich Degener/Begg, 2019, S. 45 ff.). Nachdem im Jahr 2002 durch eine Studie deutlich wurde, dass Menschen mit Behinderung durch die einzelnen bestehenden UN-Menschenrechtsverträge nicht ausreichend geschützt und ihre Situation zu wenig berücksichtig wurden (s. Quinn/Degener, 2002), beschloss die UN-Generalversammlung eine Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung zu entwerfen. Es wurde daher ein Ad-hoc-Komitee gegründet, welches Vorschläge für ein internationales Übereinkommen für Menschen mit Behinderung sammeln sollte. Dieses Komitee entschloss sich im Jahr 2003 dazu, eine Arbeitsgruppe einzurichten, die einen Entwurf zur UN-BRK erarbeiten sollte (Degener/ Begg, 2019, S. 55–61). Dabei wurde die Zivilgesellschaft insofern beteiligt, „dass manche Staatendelegationen VertreterInnen von Behindertenorganisationen aufnahmen; in manchen Fällen wurde die Delegation auch von Menschen mit Behinderung geleitet“ (Schulze, 2011, S. 14). Ein Entwurf wurde erarbeitet und Ende 2006 von der Generalversammlung angenommen. Seit März 2007 liegen diese beiden Dokumente für die Mitgliedsstaaten zur Unterzeichnung und Ratifikation in New York aus. Nachdem im April 2008 insgesamt 81 Staaten das Übereinkommen unterschrieben und 20 ratifiziert hatten, trat die Konvention im darauffolgenden Monat in Kraft (Degener/ Begg, 2019, S. 74; Deutsches Institut für Menschenrechte, o. J.). Die UNBRK wurde von insgesamt 164 Ländern unterschrieben und von 185 Ländern ratifiziert (Stand 06/2022) – hierzu gehört auch die Bundesrepublik Deutschland (United Nations, o. J.). Die UN-BRK trat im März 2009 in Deutschland in Kraft (Deutsches Institut für Menschenrechte, o. J.).

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C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung

II. Das SGB IX, BGG und BTHG Neben der internationalen Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung nehmen nationale Gesetze eine zentrale Rolle für die betroffenen Personen in Deutschland ein. Bevor das Sozialgesetzbuch IX geschaffen wurde, gab es bereits andere Versuche und Ansätze, die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland zu regeln. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung haben im Laufe der Geschichte versucht, Einfluss auf die rechtlichen Belange der Betroffenen zu nehmen. Daher wird die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung im Folgenden aufgeführt. 1. Historische Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland – von der Fürsorge zur Inklusion Bereits im 19. Jahrhundert haben Menschen mit Behinderung Rechte auf Rehabilitation zugesprochen bekommen. Während der Industrialisierung fanden Menschen mit Behinderung in den Städten keine Arbeit, da sie den dort anfallenden Tätigkeiten beispielsweise aufgrund ihrer körperlichen Beeinträchtigung nicht nachgehen konnten. Die damals eingeführte Krankenversicherung übernahm keine Kosten für anhaltende Behinderungen. Daher übernahmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Diakonie und die Caritas die Pflege von Menschen mit Behinderung. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die sogenannte ‚Krüppelfürsorge‘ ins Leben gerufen, im Zuge dessen wurden auch Wohnheime gegründet. 1920 wurde nach dem ersten Weltkrieg das ‚Preußische Krüppelfürsorgegesetz‘ verabschiedet, welches ein Rehabilitationsgesetz für Kinder und Jugendliche vorsah, das allen Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen „bis zum 15. Lebensjahr unentgeltliche medizinische Behandlung, pädagogische Förderung, Beschulung und eine Berufsausbildung garantierte“ (Thomann, 2008, S. 2–3)3. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er Jahre wurde ein Notprogramm entwickelt, um die Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zu sichern. Während der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem zweiten Weltkrieg wurden die Rechte und die Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung mit kognitiven Beeinträchtigungen zurückgefahren und diese Personengruppe je nach Behinderungsart auch ermordet. Da Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen arbeitsfähig waren, wurde sich von den Heimleitungen bemüht, dass ihre Leistungen nicht eingeschränkt wurden. 3  Inhaltlich wirkte dieses Gesetz bis ins Jahr 1957 bis zu der Verabschiedung des Körperbehindertengesetzes nach (ebd., S. 4).



II. Das SGB IX, BGG und BTHG55

Nach dem Krieg wurde die Kriegsopferversorgung in die Sozialversicherung integriert und auch die Versorgungsverwaltung wurde den Landesversicherungsanstalten zugeordnet. Kriegsopfer und Zivilbeschädigte wurden somit gleichgestellt. 1950 wurde das ‚Bundesgesetz zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer‘ und auch das ‚Bundesversorgungsgesetz‘ verabschiedet (ebd., S. 4). Die betroffenen Personen erhielten mit dem Gesetz einen „Opferstatus“ (Kulke/Dallmann, 2019, S. 233). Durch eine lange Tradition der Interessenvertretung konnten sich zwei Organisationen der Kriegsopfer durchsetzen und somit das ‚Bundesversorgungsgesetz‘ ermöglicht werden. Zurückzuführen ist dies auf eine große Anzahl Betroffener und Angehöriger „mit einem hohen politischen Gewicht, die enge[n] Verflechtungen mit der Politik, aber auch durch den moralischen Anspruch, den diese Klientengruppe für sich verbuchen konnte“ (ebd., S. 234). Drei Jahre später folgte die Schwerbeschädigtenfürsorge, welche eine Ausgleichsabgabe beinhaltete. Dieses wurde später ins ‚Kriegsfolgegesetz‘ umbenannt. Dieses beinhaltete eine Begutachtung (die sogenannten ‚Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen‘) zur Einschätzung der Kriegsbeschädigten4. 1957 wurde der Rehabilitationsbegriff stark gemacht. Hiermit trat die soziale und gesellschaftliche Integration in den Vordergrund und sollte frei von Diskriminierung sein. „Der ‚Rehabilitand‘ war Subjekt und musste aktiv den Rehabilitationsprozess unterstützen, dagegen blieb der von der Fürsorge betreute […] [Mensch mit Behinderung] ein Objekt gutgemeinter Zuwendung“ (Thomann, 2008, S. 4). In den 1960er Jahren wurde gesetzlich ein Schwerpunkt auf Menschen mit körperlichen Einschränkungen gelegt. Gleichzeitig gründeten sich Elternvereinigungen, die die Interessenverbände für Kinder mit geistigen Behinderungen vertraten. Im gleichen Zeitraum (1960er bis 1970er Jahre) gründeten sich ebenso Selbsthilfegruppen, die auch heute noch zum Teil bestehen (Kulke/Dallmann, 2019, S. 234–235). Erst in den 1970er Jahren wurde der Schwerpunkt der Rehabilitation nicht nur auf Menschen mit körperlichen Behinderungen beschränkt und stattdessen erweitert auf alle Menschen mit Behinderung, „die in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht nur vorübergehend um 50 Prozent gemindert waren“ (Thomann, 2008, S. 5). Vor und während der 1970er Jahren galt eine Behinderung als ein individuelles Problem, welches „mit instrumenteller Hilfe gelöst werden […] musste“ (Bösl, 2010). Das bedeutet, dass bis dahin der Grundsatz der Integration vorherrschte, indem darunter verstanden wurde, dass Menschen in die Gesellschaft „hereinzuholen [waren], der sie bisher scheinbar fern standen 4  Die ‚Anhaltspunkte‘ galten bis Ende 2008 für die gutachterliche Einschätzung im Versorgungsrecht und dem Schwerbehindertenrecht. 2009 trat daraufhin die zunächst kaum veränderte ‚Versorgungsmedizin-Verordnung‘ in Kraft (ebd.).

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C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung

[sic]“ (ebd.). Sie stellten ein Objekt dar (Mürner/Sierck, 2012, S. 121). Trotz allem ließ sich langsam ein Politikwandel (und somit auch ein Denkwandel) ausmachen, indem beispielsweise über die Sprachregelungen in der Politik nachgedacht wurde. Menschen mit Behinderung wurden als sogenannte ‚behinderte Mit-Bürger*innen‘ angesprochen – was in dieser Form neu war und Menschen mit Behinderung somit eine Mündigkeit in der Gesellschaft erhielten (Bösl, 2010). Ab dem Jahr 1976 traten nach und nach verschiedene Sozialgesetzbücher (SGB) in Kraft, in denen die Rechte von Menschen mit Behinderung geregelt wurden (Umsetzungsbegleitung-BTHG, o. J. a). In den 1990er Jahren wurde die Integration langsam von der Inklusion abgelöst. Menschen sollten nicht länger einer Gesellschaft zugeführt werden, sondern sie erhielten eine „von Geburt an bestehende Zugehörigkeit“ (Bösl, 2010) die aufrecht erhalten werden sollte. Damit sollte der Blick einer Defizitorientierung abgelöst werden durch die Förderung von Fähigkeiten. Dabei trat ein sogenanntes Normalisierungsverständnis zutage, welches vorsah, die Lebens- und Wohnformen der Gesellschaft zu verändern, sodass Menschen mit und ohne Behinderung diese „gleichermaßen in Anspruch nehmen“ (ebd.) konnten. Im Jahr 1994 folgte der ‚Allgemeine Gleichheitsgrundsatz‘ in Art. 3 Abs. 1 GG Satz 2, indem Menschen aufgrund ihrer Behinderung nicht länger diskriminiert werden durften. Das ‚Allgemeine Recht zur Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung‘ trat 2001 durch das SGB IX in Kraft. Es sollte damit verankert werden, dass Menschen mit Behinderung einen Anspruch auf eine ressourcenbezogene und individuelle Rehabilitation und Teilhabe im Gesetz erhalten können. Damit wurde der Paradigmenwechsel auf Behinderung begonnen (ebd.). Es standen nun „Teilhabe und Selbstbestimmung statt Fürsorge“ (Keune, 2003, S. 17) von Menschen mit Behinderung im Fokus. Im Frühjahr 2009 trat das Übereinkommen der UN über die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland in Kraft. Die UN-BRK bekräftigt die universellen Menschenrechte von Menschen mit Behinderung. Sie bildet die Grundlage für eine volle, gleichberechtigte und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung sowohl am politischen und gesellschaftlichen als auch im kulturellen und wirtschaftlichen Leben. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung der UN hat im Rahmen der ‚Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands‘ im Jahr 2015 Handlungsempfehlungen gegeben und um Überarbeitung einzelner Rechte von Menschen mit Behinderung gebeten. Mit dem BTHG sollen diesen Handlungsempfehlungen gefolgt und die UN-BRK ins deutsche Recht implementiert werden (Umsetzungsbegleitung-BTHG, o. J. a). Zusammengefasst bedeutet das, dass von „der Behindertenfürsorge vom Prinzip der Normalisierung hin zu den Zielen der Integration sowie dem ak-



II. Das SGB IX, BGG und BTHG57

tuellen Streben zur Inklusion […] sich auch die Position“ (Mürner/Sierck, 2012, S. 121) von Menschen mit Behinderung wandelte. „Die Veränderung vom reinen Objektstatus hin zum Subjekt selbstbestimmter Handlungen ging einher mit dem Verständnis“ (ebd.), dass Menschen mit Behinderung Menschenrechte und den „uneingeschränkten Anspruch auf den Schutz der Würde besitzen“ (ebd.). Dieser Grundsatz und ein geänderter Blick auf Menschen mit Behinderung, „gilt als Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik“ (ebd.). 2. Das Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) Schon unter der Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl wurde bereits ein SGB IX in Aussicht gestellt und Entwürfe dafür vorgelegt, allerdings wurden diese nicht weiter nachverfolgt (Spörke, 2008, S. 132). Erst im Rahmen der Koalitionsvereinbarung zwischen der SPD und Bündnis 90/Die GRÜNEN wurde 1998 beschlossen, dass ein neues Recht für Menschen mit Behinderung entwickelt werden sollte. Schwerpunkt war dabei, die grundgesetzliche Gleichstellung (s. oben) in einem Gesetz umzusetzen und die Vermittlung von Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern und zu unterstützen (ebd.). Denn: „Menschen mit Behinderungen brauchen den Schutz und die Solidarität der gesamten Gesellschaft. Die neue Bundesregierung wird alle Anstrengungen unternehmen, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und dem im Grundgesetz verankerten Benachteiligungsverbot für Behinderte Geltung zu verschaffen“ (Koalitionsvereinbarung SPD u. Bündnis 90/Die GRÜNEN, 1998, S. 26).

In der Schaffungsphase des SGB IX wurden Interessenverbände von Menschen mit Behinderung mit eingebunden. So wurden sie im Jahr 1999 im Rahmen von vier Werkstattgesprächen mit der Koalitionsarbeitsgruppe zum Austausch eingeladen. Daraufhin wurden die ersten Eckpunkte zum SGB IX vorgelegt. Bis Anfang 2001 wurde über das Gesetz verhandelt und im Frühjahr 2001 vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Im Juli 2001 trat das Gesetz in Kraft (Spörke, 2008, S. 130 ff.). Wie bereits in der Koalitionsvereinbarung beschlossen, wurde durch das SGB IX die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung gestärkt und sie erhielten ein Wunsch- und Wahlrecht. 2004 berichtete die Bundesregierung dem Bundestag über die Umsetzung des SGB IX. Hier wurde von einem Paradigmenwechsel für Menschen mit Behinderung gesprochen (s. Teilkapitel C.II.1.). Durch die Verlegung des Gewichts auf die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung, so die Bundesregierung, habe das SGB IX international einen Vorbildcharakter – gerade durch die vorgeschlagene Berücksichtigung der ‚Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit,

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C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung

Behinderung und Gesundheit‘ (ICF) der Weltgesundheitsorganisation. Hier wurde das Ziel der Teilhabe formuliert, indem verschiedenste Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung in den Mittelpunkt gerückt wurden und nicht länger eine Orientierung auf Defiziten bestand. „Im Bericht weist die Regierung darauf hin, dass die Begutachtung von Anträgen auf Leistungen nach dem SGB IX auf den Kriterien der ICF aufbauen sollte […]. Im Behindertenbericht 2009 […] wurde die Anwendung der ICF bei der Feststellung von Behinderung und der sich daraus ergebenden Leistungsgewährung nicht wieder aufgegriffen“ (Thomann, 2008, S. 6). D. h., dass jede Feststellung von Behinderung weiterhin mit der versorgungsmedizinischen Verordnung zu bewerten war (ebd.). Im Zuge des SGB IX wurde 2001 eine neue Definition über den Begriff der Menschen mit Behinderung eingeführt: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist“ (§ 2 Abs. 1 Sozialgesetzbuch IX a. F.).

Zuvor galten Menschen mit Behinderung als ‚geschädigt‘, welches zu einer ‚Aktivitätseinschränkung‘ führte und als eine ‚Störung der Partizipation‘ galt. Das SGB IX sah eine Teilhabe an der Gesellschaft und im Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung als Rehabilitationsmaßnahme vor – und nicht, wie zuvor als Maßnahme zur Eingliederung. Im SGB IX wurden auch die neuen Zuständigkeiten und Empfehlungen zur Zusammenarbeit von verschiedenen Rehabilitationsträgern beschrieben (bke-Hinweis, o. J., Umsetzungsbegleitung-BTHG, o. J. a). Mit dem SGB IX wurde das bis dahin bestehende Schwerbehindertengesetz aufgehoben (SGB, o. J.). Mit Hilfe des SGB IX sollte auch eine einheitliche Praxis des Rehabilitationsrechts erzielt werden. Kritisiert wird allerdings von Fuchs (o. J.), dass eben dies nicht erreicht wurde, „weil die dafür im SGB IX enthaltenen Vorschriften von den Trägern weitgehend nicht umgesetzt wurden. Kein Rehabilitationsträger hat sich die Umsetzung des SGB IX zum vorrangigen Anliegen gemacht“ (ebd., S. 5). So habe es sich die Rechtsprechung lediglich zur Aufgabe gemacht, die sogenannten Kollisionsregeln (beispielsweise die Zuständigkeitsklärungen) aufzugreifen und habe sich darüber hinaus für Strukturprinzipien der einzelnen Gesetze entschieden und weniger für die Prinzipien des SGB IX (ebd.).



II. Das SGB IX, BGG und BTHG59

3. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) Auch das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) soll an dieser Stelle kurz erläutert werden, da es ebenfalls sowohl Interessenverbände von Menschen mit Behinderung in der Entstehung beteiligte als auch für die Betroffenen relevante rechtliche Änderungen beinhaltete. Schon in den 1990er Jahren wurden die Forderungen der Behindertenbewegung laut, dass ein Gleichstellungsgesetz geschaffen werden sollte – demnach kam die Anregung für ein neues Gesetz aus dem außerparlamentarischen Bereich von den Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung. Im Zuge dessen wurde darüber hinaus gefordert, das Grundgesetz (GG) zu ändern. Die Grundgesetz-Änderung gelang 1991 – seitdem ist es gesetzlich geregelt, dass niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden darf (GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2). Die Schaffung des BGG allerdings wurde erst unter der Rot-Grünen-Bundesregierung im Jahr 2000 in die Tat umgesetzt. Die Interessenvertretung des ‚Forums der behinderten Juristinnen und Juristen‘ (FbJJ) beteiligte sich intensiv am Reformprozess, so brachten sie beispielsweise einen Gesetzesentwurf ein (s. ausführlicher Spörke, 2008, S.  110 ff.). So regelt nun das Behindertengleichstellungsgesetz, die Gleichstellung von Menschen mit Behinderung im öffentlichen Recht – sofern der Bund zuständig ist. Es stellt einen Teil der Umsetzung des Benachteiligungsverbotes dar, welches im Grundgesetz verankert ist, welches besagt, dass niemand „wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Art. 1 Abs. 3 Satz 2 BGG) darf. Das BGG wurde unter dem Titel ‚Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts‘ novelliert und ist 2016 in Kraft getreten (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, 2017). Im Rahmen der Änderung wurde der Behinderungsbegriff der UN-BRK angepasst und Veränderungen in der Barrierefreiheit innerhalb der Bundesverwaltung (Bereich Informationstechnik und Bauen) erzielt. Bundesbehörden sollen durch die Neuformulierung des BGG Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung stellen und auch (seit 2018) Bescheide in Leichter Sprache erklären (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016b). 4. Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) Vorweg wurde die gesetzliche Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung skizziert. Nachfolgend wird sich dem BTHG zugewendet. Dazu wird zunächst ein Einblick in den Beteiligungsprozess gegeben, um im Anschluss den Inhalt und das Ziel des BTHG zu beschreiben.

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C. Die Entwicklung der Rechte von Menschen mit Behinderung

Der Beteiligungsprozess: Im Sinne der UN-BRK und wie im 18. Koalitionsvertrag beschrieben, wurden Menschen mit Behinderung durch ihre Interessenvertretungen in einem vorgelagerten Prozess, bevor der eigentliche Reformprozess begann, mit einbezogen (‚Nichts über uns ohne uns‘). Dafür wurden neun Treffen einer Arbeitsgemeinschaft einberufen, im Zeitraum von Juli 2014 bis April 2015. Die Sitzungsleitung übernahm die Parlamentarische Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller, welche zu dem Zeitpunkt im Bundesministerium für Arbeit und Soziales tätig war. Insgesamt nahmen zehn Vertreter*innen der Verbände von Menschen mit Behinderung teil (mit einer Zugehörigkeit zum Deutschen Behindertenrat – DBR) sowie Verena Bentele, die 2013 die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung war. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. war mit drei Mitgliedern vertreten. Des Weiteren saßen auch verschiedene Vertreter*innen der Bundesländer sowie kommunale Spitzenverbände, die Sozialversicherung, Sozialpartner, die Kultusministerkonferenz und die Bundesregierung mit in der AG (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014f; genauere Ausführen hierzu s. Teilkapitel E.II.). Im Rahmen der AG (2. Sitzung bis 9. Sitzung) wurden verschiedene Schwerpunkte thematisiert. Dazu gehört beispielsweise der leistungsberechtigte Personenkreis, der Behinderungsbegriff, Teilhabe am Arbeitsleben, Aufgaben und Verantwortung der Länder, inklusive Bildung und Übergangsregelungen (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i). Inhalt und Ziel des BTHG: Das Ziel des Bundesteilhabegesetzes ist es, eine Verbesserung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung durch die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in der Eingliederungshilfe zu erzielen (Lösekrug-Möller, o. J., S. 3; Tessloff, 2017, S. 1). Im Rahmen der oben beschriebenen Arbeitsgruppe unter Mitarbeit der oben aufgeführten Akteur*innen wurden Handlungsbedarfe für das BTHG erarbeitet (Hellrung, 2017, S. 249). Bei dem BTHG handelt es sich um ein Artikelgesetz. D. h., dass gleichzeitig mehrere Gesetze (insbesondere aber das So­ zialgesetzbuch IX) dadurch geändert wurden (Deutscher Bundestag, o. J.). Das BTHG sieht zahlreiche Veränderungen in Bezug auf die Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung vor (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 1) und tritt in vier Reformstufen in Kraft (s. Teilkapitel E.VII.). Seit 2020 hat das SGB IX-neu folgende Struktur: 1. Teil: Rehabilitations- und Teilhaberecht: Der erste Teil ist neu gefasst und beschreibt Begriffsdefinitionen (SoVD, 2017), die „Bedarfserkennung und -ermittlung, die Zuständigkeitsklärung und Koordinierung der Leistungen (…) sowie die Teilhabeplanung mit den Menschen mit Behinderung“



II. Das SGB IX, BGG und BTHG61

(BAR, 2017, S. 6). Das neue Rehabilitations- und Teilhaberecht betrifft alle „Menschen mit (drohender) Behinderung“ (SoVD, 2017). 2. Teil: Eingliederungshilferecht: Die Eingliederungshilfe wird durch das BTHG aus dem Fürsorgesystem (SGB XII, Sozialhilferecht) herausgelöst. Seit 2020 wird es als zweiter Teil in das SGB IX-neu – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung – aufgenommen (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 1). Dem Träger der Eingliederungshilfe sollen mehr Steuerungsmöglichkeiten eingeräumt werden (BAR, 2017, S. 6). 3. Teil: Schwerbehindertenrecht: Das Schwerbehindertenrecht verbleibt weiterhin im SGB IX, nun aber als dritter Teil. Dabei sollen Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden und die Mitwirkungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM), z. B. durch die Einführung von Frauenbeauftragten, verbessert werden (ebd.).

D. Das methodische Vorgehen Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine qualitative Forschungsmethode ausgewählt. Denn das Ziel dieser Methode ist es, „Prozesse zu rekonstruieren“ (Lamnek/Krell, 2016, S. 44), um die „soziale Wirklichkeit in ihrer sinnhaften Strukturierung“ (ebd.) herzustellen. Übertragen auf die Dissertation bedeutet dies, dass am Beispiel der BTHG-Reform und mit Hilfe der Methode der Prozessanalyse rekonstruiert werden soll, inwiefern und wie sich schwache Interessen bei der Entwicklung des BTHG durchsetzen konnten. Für die qualitative Sozialforschung ist der Mensch nicht lediglich ein Untersuchungsobjekt, sondern vielmehr ein erkennendes Subjekt. Das Erforschen von sozialen Handlungen setzt eine Kenntnis der Bedeutung von verwendeten Sprachsymbolen voraus, die von dem jeweiligen Kontext abhängig sind. Das Fremdverstehen erfordert demnach ein Vorhandensein von ähnlichen Bewusstseinslagen und beruht „auf der Annahme einer Reziprozität der Perspektiven“ (ebd.). Die Arbeit orientiert sich dabei an den Gütekriterien der qualitativen Sozialforschung nach Mayring (2008). Das folgende Kapitel befasst sich mit dem Forschungsdesign der Dissertation. Die Arbeit verwendet sie Methode der politischen Prozessanalyse, welche sowohl eine Datenerhebung (Dokumentenanalyse und Expert*innen­ interviews) als auch eine Analyse (qualitative Tests) der Ergebnisse umfasst.

I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf Nach George und Bennett (1997) stellt die politische Prozessanalyse (Process Tracing) eine Methode dar, um Daten hinsichtlich kausaler Mechanismen zu untersuchen (George/Bennett, 1997, S. 5). Doch was genau sind kausale Mechanismen? Zu dem Begriff liegen zwar eine Vielzahl an Definitionen vor, allerdings gibt es keine Einigkeit darüber, was darunter zu verstehen ist (Nullmeier/Kuhlmann, 2022, S. 6). Goertz/Mahoney (2012) beschreiben kausale Mechanismen beispielsweise als intervenierende Prozesse, durch die Ursachen ihre Wirkung entfalten. Mechanismen sind danach Variablen, welche chronologisch zwischen Ursache (cause) und Ergebnis (outcome) stehen, also eine Subgruppe von intervenierenden Variablen darstellen. Diese Variablen können durch ihre zeitliche Position in einer kausalen Kette erklärt werden (ebd., S. 100). Elster (1983) spricht bildlich von einer Blackbox, die geöffnet werden muss, um die Schrauben und Rädchen der Maschinerie ent-



I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf63

decken zu können. Die Blackbox steht für eine Lücke in einer (kausalen) Kette (Nullmeier/Kuhlmann, 2022, S. 11). Bei der Untersuchung des BTHG-Reformprozesses wird im Rahmen dieser Arbeit der Frage nachgegangen, welche Rolle (welche) Machtressourcen als Instrument der Durchsetzung schwacher Interessen spielen. Hierbei handelt es sich um eine qualitative Einzelfallstudie, da lediglich die sozialpolitische Reform des Bundesteilhabegesetzes näher betrachtet wird. Der gewählte Fall entspricht dem Muster eines Extremfalls. Dabei wird ein Fall ausgewählt, welcher eine besonders hohe oder niedrige Ausprägung einer interessierenden Variablen aufweist (Starke, 2015, S. 461). Im Fall der Dissertation wird die Durchsetzungsfähigkeit von schwachen Interessen im Reformprozess des BTHG rekonstruiert. Dabei zeichnet sich der Extremfall durch verschiedene Teilaspekte aus: (1) Es wird hier davon ausgegangen, dass die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Vergleich zu anderen schwachen Interessen dennoch über vergleichsweise starke Machtressourcen verfügen (‚starke unter den schwachen‘ Interessen, wie eingangs beschrieben). (2) Zudem wurde von der Politik die Einbindung der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung explizit gefördert. Die Rahmenbedingungen für eine positive Interessendurchsetzung erschienen in diesem Fall also besonders günstig. Unter diesen Umständen, so die Annahme, können Ursache-Wirkungs-Mechanismen in Bezug auf den Einsatz und die (Nicht-)Wirksamkeit von Machtressourcen schwacher Interessen besonders gut herausgearbeitet werden. Im Zuge der Arbeit werden insbesondere die beteiligten Akteur*innen sowie der Machtressourcenansatz (als Ansatz der Policy-Forschung) in den Blick genommen (Kuhlmann/Nullmeier, 2022, S. 436; s. auch Kuhlmann/ Nullmeier, 2019). Das Sampling erfolgt mit dem Ziel, theoriegenerierend anhand eines Falles zu arbeiten. Das Vorgehen ist eine Mischung von einem induktiven und deduktiven Verfahren. Diese theoriegenerierende Methode der Prozessanalyse zielt darauf ab, einen Kausalmechanismus zu beschreiben, der verallgemeinerbar und auf andere Fälle übertragbar ist (Beach/Pedersen, 2016, S. 16, 51), in diesem Fall bezüglich des Einsatzes von Machtressourcen bei der Durchsetzung schwacher Interessen generell. Diese Methode wird genutzt, wenn bereits bekannt ist, dass es einen Zusammenhang zwischen X (Ursache) und Y (Ergebnis) gibt, bisher aber nicht deutlich ist, was X und Y miteinander verbindet (ebd., S. 16). Dazu gilt es, die Mechanismen herauszuarbeiten, die sich durch ihre zeitliche Position auszeichnen (Mahoney, 2015, S. 206). Diese Mechanismen werden chronologisch zwischen X und Y als intervenierende Variablen herausgearbeitet (Goertz, 2017, S. 32). So gestaltet sich auch das Vorgehen im Rahmen dieser Arbeit.

64

D. Das methodische Vorgehen

Doch wie genau sieht das methodische Vorgehen (Datenerhebung und Analyse) einer Prozessanalyse im Detail aus? Dem soll im Folgenden nachgegangen werden. 1. Dokumentenanalyse als Teil der Prozessanalyse Zunächst wird im Zuge einer theoriegenerierenden Prozessanalyse damit begonnen, verschiedenes Material und verschiedene Daten zu sammeln. Hierbei kommt die Dokumentenanalyse zum Tragen. Dokumente sind Texte in schriftlicher Form. Salheiser (2014) versteht darunter natürliche Daten, welche nicht zu Forschungszwecken und ohne Beteiligung der Forschung entstanden sind (ebd., S. 813). Döring und Bortz (2016) beschreiben diese natürlichen Daten auch als genuine oder vorgefundene Dokumente5. Unter dem Begriff der (qualitativen) Dokumentenanalyse verstehen die Autor*innen eine Datenerhebungsmethode, die einer zielgerichteten, regelgeleiteten und systematischen Sammlung entspricht und sich u. a. mit der Auswertung von vorgefundenen textuellen Dokumenten befasst (Döring/Bortz, 2016, S. 540). In dieser Arbeit steht die Betrachtung und Analyse von verschiedenen natürlichen, vorgefundenen Daten, wie Plenarprotokollen, Gesetzesentwürfen, schriftlichen Stellungnahmen von Verbänden und anderen Akteur*innen, Positionspapieren und Protokollen von AG-Sitzungen während des Reformprozesses, im Fokus (s. Treib, 2014), sowie auch Zeitungsartikel und Homepageinhalte. Relevant ist hierbei, „welche Erkenntnisse über soziales Handeln sich aus einem Dokument erschließen lassen und welche sozialen Prozesse und Strukturen daraus rekonstruiert werden können“ (Salheiser, 2014, S. 814). Die verschiedenen zu untersuchenden Dokumente sollen im Zuge der Dissertation dazu beitragen, den Reformprozess des BTHG zu rekonstruieren und die verschiedenen Machtressourcen im Rahmen des Prozesses aufzudecken. Insgesamt wurden im Rahmen der vorliegenden Arbeit 198 Dokumente hinzugezogen und analysiert. Eine Liste der Dokumente ist im Anhang hinterlegt. Der Vorteil der genuinen Dokumentenerhebung ist, so Döring und Bortz (2016), dass die Forschung keinen Einfluss auf die Dokumente nehmen kann (anders als bei Interviews) – auch nonreaktive Methode genannt. Nachteilig ist allerdings zum einen, dass die „Kontextbedingungen der Dokumentenproduktion“ (ebd., S. 533) zum Teil unbekannt sind (wie fehlende Autor*innen5  Dem gegenüber stehen forschungsgenerierte Dokumente, die im Laufe eines Forschungsprozesses durch Datenerhebungsmethoden – wie Transkripte von qualitativen Interviews – gebildet wurden (Döring/Bortz, 2016, S. 533).



I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf65

Nennung bei Online-Dokumenten) und zum anderen, dass „im Zuge einer genuinen Dokumentenanalyse mit vorgefundenen Dokumenten […] die Dokumentenproduktion nicht im Hinblick auf die größtmögliche Aussagekraft für das Forschungsproblem gestaltet werden“ (ebd., S. 534) kann. So gehen die genuinen Dokumente nicht gezielt auf den zu erforschenden Gegenstand ein. Bei forschungsgenerierenden Dokumenten (im Falle dieser Arbeit die Expert*inneninterviews, s. Teilkapitel D.I.2.) kann explizit auf das Forschungsproblem eingegangen werden, um die Aussagekraft zu erhöhen und zu steuern. Allerdings sind die Ergebnisse des Forschungsprozesses künstlich erzeugt und dadurch eventuell verzerrt. Hier ist es wichtig, die „Konsequenzen der Verzerrung im Zusammenhang mit dem Forschungsproblem zu reflektieren“ (ebd.). Um die Vor- und Nachteile der jeweiligen Datenanalysen auszugleichen – und wie in der Methode der Prozessanalyse vorgesehen – werden beide Elemente im Rahmen dieser Arbeit genutzt. Die Analyse der Dokumente nimmt insbesondere den Zeitraum von 2013 (Beginn gekennzeichnet durch den Koalitionsvertrag der 18. Legislaturpe­ riode) bis Ende 2016 (Beschluss des Gesetzes) in den Blick. Darüber hinaus wird ein Blick in die Jahre vor 2013 und ein kurzer Ausblick in das Jahr 2017 geworfen, um den Fall in den Gesamtkontext einzubetten. Ausgewertet und zugeordnet werden kann diese Arbeit dem Bereich der qualitativen Policy-Forschung, bei der die Politikformulierungsphase im Zentrum der ­ Betrachtung steht (s. Teilkapitel B.II.). So soll durch die Prozessanalyse erzielt werden, dass der Reformprozess unter Beteiligung der Interessenvertretungen Schritt für Schritt nachgezeichnet und analysiert wird. Durch den sequenziellen Ablauf können Rückschlüsse über die jeweiligen „Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge“ (Treib, 2014, S. 214) gezogen werden. Ausgewertet wird die Dokumentenanalyse anhand der strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018), da es um die inhaltliche Aufschlüsselung der oben genannten Dokumente geht (s. Teilkapitel D.II.). Der Dokumentenanalyse folgten Expert*inneninterviews. 2. Expert*inneninterviews als Teil der Prozessanalyse Im Rahmen von Prozessanalysen „nimmt die Befragung von Experten aus Politik und Verwaltung, aber auch von [Mitarbeitenden in] Nichtregierungsorganisationen […] traditionell eine wichtige Rolle ein“ (Kaiser, 2014, S. 289). Bei Prozessanalysen müssen die jeweiligen Präferenzen ausfindig gemacht sowie der Debattenablauf und die „zugrundeliegenden Entscheidungsregeln“ (Treib, 2014, S. 214) verfolgt werden. Die Wahrnehmungen oder Deutungen der Situation durch Erzählungen der Expert*innen können zwar variabel sein, was in der Regel allerdings ausreichend „einheitlich und stabil“ ist, „[so]dass sie für den Forscher einigermaßen objektiv nachvollzo-

66

D. Das methodische Vorgehen

gen werden können“ (ebd.). Den Interviews kommt die Aufgabe zu, das Wissen der Menschen, die an den jeweiligen Prozessen und Situationen beteiligt waren, für den*die Forscher*in zugänglich zu machen. Diese Prozesse werden rekonstruiert, „um eine sozialwissenschaftliche Erklärung zu finden“ (Gläser/Laudel, 2010, S. 13). Die Fehleranfälligkeit der genuinen Dokumente kann durch die Erweiterung des Instrumentariums ‚Expert*inneninterview‘ reduziert werden (Kaiser, 2014, S. 295–296). Die Planung und Durchführung der hier geführten Expert*inneninterviews richten sich nach Meuser und Nagel (2013): Als Expert*innen kommen für die Autor*innen nur Personen in Frage, die „sich ‚durch eine institutionalisierte Kompetenz zur Konstruktion von Wirklichkeit‘ “ (ebd., S. 461) auszeichnen. So entscheidet die Wahl „des Interviewpartners […] über die Art und Qualität der Informationen“ (Gläser/Laudel, 2010, S. 117). Der*die Expert*in wird als ein*e Repräsentant*in einer Gruppe gesehen, die über ein bestimmtes Betriebs- und Kontextwissen verfügt (Flick, 2016, S. 215–216). D. h., dass sie ein bestimmtes Wissen hat, über das der*die Forschende Informationen erlangen möchte. Die Expert*innen sind demnach „nicht das ‚Objekt‘ “ der Untersuchung, „sondern sie sind bzw. waren ‚Zeugen‘ “ (Gläser/ Laudel, 2010, S. 12) des interessierenden Prozesses, wie auch in diesem Fall. a) Fallauswahl Wie oben beschrieben, war es bei der Auswahl der Interviewpartner*innen wichtig, dass diese über ein bestimmtes Wissen über den zu verfolgenden Politikprozess verfügten. Demnach wurden Expert*innen interviewt, die am Entscheidungs-/Reformprozess beteiligt waren oder diesen aufgrund ihrer beruflichen Position aus der Nähe miterlebt haben. Dazu können beispielsweise Vertreter*innen von Verbänden, beteiligte Beamt*innen in den Ministerien, Minister*innen und Parlamentarier*innen zählen (s. Treib, 2014). Diese Personengruppen wurden auch im Rahmen dieser Arbeit interviewt. Die jeweiligen Interviewpartner*innen wurden zwar gezielt und bewusst angesprochen, wie auch von Starke (2015, S. 466) empfohlen, allerdings war es eine Herausforderung, mit einzelnen Expert*innen in Kontakt zu treten. Daher wurde zum Teil auch auf das Schneeballsampling zurückgegriffen (Przyborski/Wohlrab-Sahr, 2008, S. 185). Letztendlich wurden 17 Interviews6 mit Personen geführt, die den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung (d. h. sie waren Mitglieder des Deutschen Behindertenrates) zuzuordnen 6  Hinzugezählt werden hier ebenfalls zwei explorative Interviews (nach Witzel, 1982) mit Expert*innen sowie der vorgelagerte Pretest zum Expert*inneninterview.



I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf67

sind sowie einem Wohlfahrtsverband und einem Sozialpartner, einem kommunalen Spitzenverband, einer rechtlichen Vertretung für Menschen mit Behinderung, dem zuständigen Ministerium (Bundesministerium für Arbeit und Soziales – BMAS), einer Partei und der Bundesregierung (s. Tabelle 1). Diese Personen waren u. a. an der AG-BTHG direkt beteiligt, arbeiteten den jeweiligen involvierten Akteur*innen zu oder/und waren an Expert*innen­ gesprä­c­hen oder Anhörungen im Bundestag beteiligt. Eine Person (Pretest) war in keine der Sitzungen direkt oder indirekt involviert, konnte aber aufgrund seines*ihres Fachwissens auf Länderebene und dem Verfolgen des Reformprozesses wegen seiner*ihrer beruflichen Stellung relevante Einblicke in den Reformprozess bieten und wurde daher in der Auswertung hinzuge­ zogen. b) Interviewplanung Bei den Expert*inneninterviews handelt es sich um eine halbstandardisierte Interviewart: „Das bedeutet, dass die Reihenfolge der Fragen dem Gesprächsverlauf angepasst wird und die Fragen in Anlehnung an die Begrifflichkeit der Teilnehmenden formuliert werden“ (Hussy et al., 2013, S. 225). Der Leitfaden diente demnach im Rahmen der hier durchgeführten Interviews als Gedächtnisstütze und wurde inhaltlich an die Erzählung der Interviewpartner*innen angepasst (ebd.). Zudem wurden drei verschiedene Interviewleitfäden erstellt: Einer für die Interessenvertretungen für Menschen mit Behinderung (Blick der Innenperspektive), ein weiterer für andere Expert*innen (Blick der Außenperspektive inkl. geringer Anpassung je nach Interviewpartner*in) sowie ein verkürzter Interviewleitfaden (ebenfalls Blick der Außenperspektive) für das Interview 177. Die Leitfäden (sowohl Innen- als auch Außenperspektive, mit Ausnahme von Interview 17) hatten folgenden thematischen Aufbau mit Blick auf den modifizierten Machtressourcenansatz und die Theorie der schwachen Interessen: 1. Einstieg zur Person 2. Vom SGB IX zum BTHG 3. Reformprozess: Interesseneinbindung 4. Interessendurchsetzung: Die verschiedenen Akteur*innen im Reformprozess 7  Dieses Gespräch konzentrierte sich auf die als zentral erachteten Fragen (Fragen zur Interessendurchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, eine Frage zu anderen Akteur*innen sowie Fragen zu den politischen Akteur*innen, da es sich bei der*dem Gesprächspartner*in um eine*n Politiker*in handelte).

68

D. Das methodische Vorgehen

5. Bündnisse und Allianzen 6. Abschluss (inkl. der Möglichkeit zur Schlussbemerkung). c) Anonymisierung Um die Anonymität der Expert*innen zu garantieren, wurden die Interviews von 1 bis 17 durchnummeriert. Diese Nummerierung erfolgte willkürlich. Da es sich im Rahmen der Interviews um die Darstellung des Prozesses handelt, ist dieses Vorgehen unbedenklich. Die Interviewpartner*innen wurden darüber hinaus noch weiter anonymisiert, indem ihnen kein spezifisches Geschlecht zugeordnet wird (z. B. ‚ein*e Interviewpartner*in betont …‘ statt: ‚eine Interviewpartnerin betont …‘). Durch die mögliche Zuordnung des Geschlechts könnten die Gesprächspartner*innen ggf. identifiziert werden, daher wurde diese Variante gewählt, um die zugesagte Anonymisierung einhalten zu können. Tabelle 1 Anonymisierte Darstellung der Interviewpartner*innen Nummerierung Anonymisierung (1–17)

Anonymisierte Beschreibung der Institution/Vertreter*in der Institution:

Interviewart

Interview 1

Expert*in für Teilhabefragen

Exploratives Interview

Interview 2

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Exploratives Interview

Interview 3

Mitglied Wohlfahrtsverband

Expert*inneninterview (Pretest)

Interview 4

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview (telefonisch)

Interview 5

Mitglied Interessenvertretung von und für Menschen mit Behinderung8

Expert*inneninterview

Interview 6

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview

Interview 7

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview

Interview 8

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview

8  Weder einem Wohlfahrtsverband noch der advokatorischen Interessenvertretung zuzuordnen, sondern Bündnis aus stärkeren und schwächeren Interessenvertretungen. Allerdings kein Mitglied des DBR.



I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf69 Nummerierung Anonymisierung (1–17)

Anonymisierte Beschreibung der Institution/Vertreter*in der Institution:

Interviewart

Interview 9

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview

Interview 10

Mitglied Deutscher Behindertenrat

Expert*inneninterview

Interview 11

Mitglied Sozialpartner

Expert*inneninterview

Interview 12

Mitglied rechtliche Vertretung für Menschen mit Behinderung

Expert*inneninterview

Interview 13

Mitglied kommunaler Spitzen­ verband

Expert*inneninterview

Interview 14

Mitglied Bundesministerium

Expert*inneninterview (telefonisch)

Interview 15

Mitglied Bundesregierung

Expert*inneninterview (telefonisch)

Interview 16

Mitglied Bundesministerium

Expert*inneninterview (telefonisch)

Interview 17

Mitglied Partei

Expert*inneninterview (telefonisch)

Quelle: Eigene Darstellung

d) Interviewdurchführung und -dauer Die explorativen Interviews fanden im Herbst 2017 und Anfang 2018 statt und wurden als face-to-face-Interviews geführt. Die Expert*inneninterviews (3 bis 13) wurden von Frühjahr 2019 bis Herbst 2019 durchgeführt. Eines der Interviews wurde als qualitatives Telefoninterview9 geführt, alle weiteren Interviews fanden als face-to-face Gespräche statt. Die Interviews wurden im Zuge dessen in den Büros der Gesprächspartner*innen geführt. Vier Interviews wurden von April bis Juni 2020 geführt und fanden als qualitative Telefoninterviews statt10. Bevor die telefonischen Interviews geführt wurden, wurde abgewogen, welche Art des ‚Fern‘-Interviews am sinnvollsten sein könnte (s. Schulz/Ruddat, 2012). Es gab die Möglichkeit, die Interviews einerseits telefonisch oder andererseits in Form von Onlinegesprächen (via 9  Die

zeitnahe Durchführung des Interviews ließ keine Reise zu. auf die SARS-CoV-2-Pandemie und das damit einhergehende Kontakt- und Reiseverbot. 10  Zurückzuführen

70

D. Das methodische Vorgehen

Video) durchzuführen. Um den Risiken einer schlechten WLAN-Verbindung vorzubeugen (damit einhergehend: zeitliche Verzögerungen beim Sprechen, oder Unverständlichkeit des Gesagten, wenn beide Interviewpartner*innen zeitgleich reden; Dröge, 2020, S. 3), fiel die Entscheidung auf telefonische Interviews. Zudem wurde im Rahmen der ersten Anfrage zum ‚Fern‘-Interview von einer*einem Interviewpartner*in angedeutet, dass das telefonische Interview bevorzugt würde. Die Dauer der Interviews variierte zwischen 40 und 100 Minuten. Gesondert betrachtet wird das Interview 17. Hierbei handelte es sich um ein verkürztes Interview (Zeitrahmen 20 Minuten), da der*die Interviewpartner*in geringe zeitliche Ressourcen für ein Gespräch zur Verfügung hatte. Im Anschluss an jedes Gespräch wurde ein Postskript erstellt (nach Kruse, 2015, S. 287). Die Verschriftlichung der Interviews erfolgte nach einem einfachen Transkriptionssystem (in Anlehnung an Flick, 2016); die Daten wurden anschließend mit Hilfe der Computersoftware MaxQDA kodiert. Die Auswertung der Expert*inneninterviews erfolgte, ebenso wie die Auswertung der Dokumentenanalyse, anhand der qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018). Das Vorgehen soll im übernächsten Teilkapitel kurz erklärt werden. 3. Qualitative Tests der Prozessanalyse und die Darstellung von kausalen Mechanismen Der nächste Schritt der politischen Prozessanalyse beinhaltete die Formulierung von qualitativen Tests11, um eine Beurteilung der ‚Ausprägung‘ der gesammelten Daten (Dokumentenanalyse und Interviews) zu erhalten (Starke, 2015, S. 467). Diese Tests wurden von van Evera (1997) entwickelt. Es handelt sich um Tests, die sich in ihrer Gewissheit (certainty) und Einzigartigkeit (uniqueness) unterscheiden. Die Gewissheit spielt „eine größere Rolle zur Widerlegung von Annahmen“, während die Einzigartigkeit „dabei vorwiegend auf die Bestätigung von Hypothesen“ (Siewert, 2017, S. 247) abzielt. Im Falle dieser Arbeit wurde bei der Durchführung der Tests folgendermaßen vorgegangen: Die jeweiligen Tests hatten hier eine hohe Gewissheit, wenn sie mit verschiedenen genuinen Literatur-/Dokumentenquellen unter11  Die qualitativen Tests wurden im Rahmen der eingereichten Dissertation durchund aufgeführt (tabellarische Darstellung dieser in Anlehnung an Rossel et al., 2019), allerdings wird im Zuge der Veröffentlichung auf eine detaillierte Darstellung verzichtet. Die qualitativen Tests können auf Nachfrage von der Autorin ausgehändigt werden. Als alternative Erklärung wurde der Advocacy Coalition Framework (Weibele/Sabatier, 2007) gewählt, wobei die kontrastierende Erklärung in diesem Fall nicht getragen hat und somit der angepasste Machtressourcenansatz bestätigt werden konnte.



I. Die politische Prozessanalyse und ihr Ablauf71

legt werden konnten; einzigartig waren sie hingegen, wenn ein Test die subjektive Einzigartigkeit/Seltenheit durch forschungsgenerierende Dokumente nachweisen konnte. Beach/Pedersen (2016) betonen, dass es keine sicheren oder eindeutigen Tests geben kann, da es unmöglich ist, soziale Phänomene korrekt zu messen. Sie sprechen daher nicht von einer Teststärke, sondern vielmehr von einem Kontinuum (Beach/Pedersen, 2016, S. 102; ausführliche Darstellung der verschiedenen Test s. z. B. Starke, 2015). Es ist üblich, die Tests nicht nur mit der vorliegenden Theorie oder Ansätzen abzusichern, sondern mit Hilfe von alternativen Erklärungen die theoretischen Implikationen abzugleichen (Starke, 2015, S. 465). Nachdem diese Tests durchgeführt werden, ist es möglich aufzuzeigen, welche Gründe (X) zum Ergebnis (Y) geführt haben (s. Beach/Pedersen, 2016). Die gesamten Ergebnisse der Prozessanalyse werden üblicherweise, und auch im Rahmen dieser Arbeit, in narrativer Form beschrieben (Starke, 2015, S. 470). Die Narration kann entweder in abstrakter oder in spezifischer Form erfolgen (Punton/Welle, 2015, S. 5). Bei der vorliegenden Arbeit fiel die Entscheidung auf die spezifische Ausarbeitung, da die Heterogenität der Interessenverbände und die damit einhergehenden diversen Forderungen aufgezeigt werden konnten. Mit diesem Vorgehen konnte die zweite und dritte Forschungsfrage beantwortet werden. Eine abstraktere Form hätte die Gefahr beinhaltet, relevante Ursache-Wirkungs-Mechanismen und Forderungen im Reformprozess zu übersehen. Doch wie sieht diese narrative Beschreibung im Detail aus? Wie werden Ursache-Wirkungs-Mechanismen dargestellt? Dazu schlagen Nullmeier und Kuhlmann (2022) in ihrem Herausgeber*innen­ werk einen modularen, prozesshaften und akteurszentrierten Ansatz zum Herausarbeiten des Kausalmechanismus vor. Dieser setzt sich aus verschiedenen Aspekten zusammen: (1) Der Ansatz wurde u. a. vom Process Tracing geprägt und erfolgt daher ebenso prozessorientiert. Ereignisse werden chronologisch in Sequenzen dargestellt. Es soll nachgewiesen werden, dass Akteur*innen bestimmte Ereignisse als Grund für ihre eigenen Aktivitäten wahrnehmen (ebd., S. 14). (2) Es wird auch ein Schwerpunkt auf die Akteur*innen (auch als Einheit bezeichnet) selbst gelegt. Dabei werden die am politischen Prozess beteiligten Akteur*innen, ihre Handlungen und Interaktionen als sogenannte Triebkräfte der Sozialpolitik betrachtet. Ihre Aktivitäten werden dabei fokussiert auf Ereignisse, die bestimmten kollektiven (oder individuellen) Akteur*innen zugeschrieben werden können. Nullmeier und Kuhlmann betonen, dass manche Situationen Akteur*innen dazu ‚zwingen‘ können, auf eine bestimmte Art und Weise zu reagieren und zu handeln. Dabei steht die Situations-Interpretation der Akteur*innen im Zentrum

72

D. Das methodische Vorgehen

und weniger die Situation selbst. „Each reaction to a situation is based on the perception, interpretation and action orientation of those actors who find themselves in the situation and have to deal with it“ (ebd., S. 16). (3) Der modularen Erklärung liegt die Vorstellung zugrunde, dass ein Kausalzusammenhang zwischen elementaren und komplexen Kausalmechanismen erläutert werden kann. Unter elementaren Kausalmechanismen verstehen die Autor*innen eine Erzeugung von Aktivitäten (also den Auslöser), während der komplexe Kausalmechanismus die Reaktionen, also die Abfolge von Aktivitäten, darstellt. Zusammenfassend können so einzelne Schritte und Sequenzen dargelegt werden, die gemeinsam zu einer Wirkung führen (ebd., S. 16–17).

Die elementaren Kausalmechanismen können charakteristisch unterteilt werden (Nullmeier und Kuhlmann sprechen von einer ‚Toolbox‘). Diese zeichnen sich durch ein Zusammenspiel von Handlungsmodellen, Wahrnehmungs- und Interpretationskomponenten aus (ebd., S. 17). ‒ Kalkulatorische Orientierung: Ist ein Mechanismus, welcher eine instrumentelle Rationalität mit einer kognitiv-orientierten Wahrnehmungsform verbindet, in der eine Nutzen-Kosten-Kalkulation zugrunde liegt (ebd.). ‒ Normorientierung: Ein Mechanismus, der sich an die Einhaltung von gültigen sozialen Normen orientiert und evaluative Kategorien bildet. Hier stehen Werte und Normen im Mittelpunkt (ebd.). ‒ Normierte kalkulatorische Orientierung: Dieser Mechanismus folgt aus der Normorientierung. Akteur*innen verbinden dabei Normen mit einem rationalen Kalkül (ebd.). ‒ Reflexive Orientierung: Ein Kausalmechanismus, bei dem die Wahrnehmungs- und Handlungsorientierung der Akteur*innen argumentativ erfolgt und begründbar ist (ebd.). ‒ Emotionale Orientierung: Ein Mechanismus, bei dem die emotionale Wahrnehmung, also aktuell dominierenden Gefühle, im Vordergrund der Handlungsorientierung stehen (ebd.). ‒ Vergleichende Orientierung: Ein kausaler Mechanismus, „in which comparison with others determines one’s own preference formation“ (ebd.). Dabei stehen verschiedene Ziele im Fokus (z. B. der*die Beste einer Gruppe sein), die kombiniert werden aus kognitiven und emotionalen Wahrnehmungs- und Interpretationsformen (ebd.).

An diesem Vorgehen lehnt sich die Analyse der Ergebnisse an (s. Kapitel E.). Anlehnung daher, weil eine Beschreibung der jeweiligen Situation



II. Auswertung: Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse 73

erfolgt, um den Gesamtzusammenhang nachvollziehen zu können (z.  B. durch die Darstellung von Forderungen und Erwartungen verschiedener Akteur*innen). Gleichzeitig wird die von den Autor*innen beschriebene Vorgehensweise der Situations-Interpretation sowie die Auslöser-Reaktions-Beschreibung der Analyse hinzugezogen, sodass die Analyse davon gerahmt werden kann.

II. Auswertung: Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse Im Rahmen dieser Arbeit wurden sowohl die Dokumentenanalyse als auch die Expert*inneninterviews anhand der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) ausgewertet. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte inhaltlich-reduktive Auswertungsmethode. Üblich ist es, zunächst deduktiv und anschließend induktiv bei der Bildung der Kategorien vorzugehen, so auch im Falle dieser Arbeit. Dem bereits im Vorfeld entwickelten Interviewleitfadens folgend wurden Hauptkategorien entwickelt und im Anschluss induktiv (Sub-)Kategorien gebildet, indem die Kategorien dem vorliegenden Material gemäß weiterentwickelt wurden (Kuckartz, 2018, S. 97). In dieser Arbeit wurde nach dem sieben-phasigen Ablauf der inhaltlich strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) vorgegangen (ebd, S. 101 ff.): • Phase 1: In dieser Phase wurden erste, als wichtig erachtete Textstellen markiert und Memos formuliert. Gerade für die Dokumentenanalyse war die Nutzung der Memos hilfreich, da das Material sehr umfangreich war und somit zur ersten Strukturierung des Inhaltes beitrug (ebd., S. 101). • Phase 2: Hier erfolgte eine inhaltliche Strukturierung durch Kategorien und Subkategorien. Einzelne Kategorien können aus den Forschungsfragen abgeleitet werden. Bei der ersten groben Durchsicht der Texte wurden aber auch neue, zunächst nicht erwartete Themen identifiziert, die ebenfalls von Wichtigkeit waren (ebd.). • Phase 3: Im Zuge der dritten Phase begann der erste Kodier-Durchlauf. Dabei wurde jeder Text sequenziell (Zeile für Zeile, von Anfang bis zum Ende) bearbeitet. Einzelne Textabschnitte können dabei mehrere Codes beinhalten (ebd., S. 102). • Phase 4 und 5: Zunächst wurden hier alle kodierten Textstellen einer gleichen Kategorie zusammengestellt und anschließend, bei erneutem Durchgehen des Materials, induktive (Sub-)Kategorien gebildet, welchen jeweils eine kurze Definition zugeordnet wurde (ebd., S. 106 ff.). Eine beispielhafte Darstellung erfolgt in Tabelle 2.

74

D. Das methodische Vorgehen

• Phase 6: Hiermit begann der zweite Kodier-Prozess, indem die ausdifferenzierten Kategorien nun „den bislang mit der Hauptkategorie codierten Textstellen zugeordnet“ (ebd., S. 110) wurden. Nachdem der zweite Kodier-Prozess abgeschlossen war, wurde mit den Summarys/der Paraphrasierung begonnen. Die thematischen und fallbezogenen Zusammenfassungen erfolgten daraufhin. Im Rahmen dieser Arbeit wurde sich daran für einzelne, als relevant erachtete Codes orientiert12 (ebd.). • Phase 7: Mit dieser Phase begann die Analyse und die Ergebnispräsentation wurde vorbereitet (ebd., S. 118). Da in der vorliegenden Arbeit mit der Methode der politischen Prozessanalyse vorgegangen wurde, erfolgt die Ergebnispräsentation chronologisch dem Reformprozess folgend. Das Kategoriensystem Das zunächst deduktiv entwickelte Kategoriensystem wurde auf Grundlage der Forschungsfragen und des Interviewleitfadens konstruiert, um anschließend auch, der qualitativen Inhaltsanalyse folgend, induktive Kategorien aus dem Material heraus zu entwickeln. Eine Übersicht über eine beispielhafte Darstellung des Codes ‚Macht‘, der ersten dazu gehörigen Subkategorien und der jeweiligen Codedefinitionen enthält die unten aufgeführte Tabelle 2: Tabelle 2 Beispiel Code ‚Macht‘ Code

Subcode (1)

Definition

Ankerbeispiel Interviews

Macht

 

Alle Aussagen, die sich auf Formen der Macht beziehen, um „den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ (Weber, 1980, S. 28) verstanden wird. Alle individuellen Aussagen, die nicht den Machtressourcen zuzuordnen sind.

„Es ist aber auch immer, wie soll man sagen, ein Aushandlungsprozess und gibt den Stand der Diskussion und der Machtverhältnisse wieder. Und von daher kann man jetzt gar nicht so abstrakt sagen, also wenn wir es alleine zu bestimmen gehabt hätten, dann wäre dieses oder jenes anders geworden. In vielen Punkten ist sehr intensiv gerungen worden“ (Interview 5, Zeile 153–157).

12  Fallbezogene thematische Zusammenfassung der Codes: Forderungen Betroffenenverbände/ Interessen/ Einschätzungen, Kooperationsmacht, Heterogene Verbandslandschaft/ Heterogenität Menschen mit Behinderung, Macht (allgemein).



II. Auswertung: Die inhaltlich strukturierende qualitative Inhaltsanalyse 75 Code

Subcode (1)

Definition

Ankerbeispiel Interviews

 

Gesellschaft­ liche Macht

Alle Aussagen, die diese Machtressource allgemein betreffen: Unterstützung der Gesellschaft für die Forderungen von Menschen mit Behinderung.

„Und an diese Frage der Einkommens- und Vermögensheranziehung wurde eine sehr – wurde in der Folge also eine sehr intensive GerechtigkeitsDebatte geführt, die in der Öffentlichkeit über die Behindertenverbände hinaus natürlich auch wahrgenommen wurde.“ (Interview 16, Zeile 557–560)

 

Organisations- Alle Aussagen, die macht sich allgemein auf Organisationsprozesse und kollektive Beteiligung beziehen.

„Also ich würde sagen, öffentlichkeitswirksame Aktivitäten, die beiden im Wesentlichen die Demonstration und das Blinde gehen baden“ (Interview 6, ­Zeile  60–62)

 

Institutionelle Macht

„Danach fand das parlamentarische Verfahren im üblichen Umfang statt. Das heißt, man hat die Möglichkeit, eine schriftliche Stellungnahme zum Arbeitsentwurf, zum Referentenentwurf machen. Letztendlich vorm Parlament zum Regierungsentwurf. Man macht die Anhörung im Parlament“ (Interview 1, Zeile 863–867)

Quelle: Eigene Darstellung

Alle Aussagen, über die formalen Rechte, die der Staat den Interessenverbänden von Menschen mit einräumt, z. B. sich an Gesetzgebungsprozessen zu beteiligen.

E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Im Rahmen des Dissertationsprojektes werden im Folgenden die so genannten ‚starken unter den schwachen‘ Interessen in den Blick genommen und stehen im Fokus der Analyse. Daneben werden auch weitere am Reformprozess beteiligte Akteur*innen analysiert. Um herausarbeiten zu können, inwiefern und wie sich die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung durchsetzen konnten, kann nicht nur eine einzelne Perspektive herangezogen werden, sondern dies muss vielmehr multiperspektivisch erfolgen. So erst kann die Interaktion der unterschiedlichen Akteur*innen herausgearbeitet werden. Es handelt sich demnach um einen Interessengruppenmechanismus (Kuhlmann/Nullmeier, 2022, S. 444), der im Rahmen dieser Arbeit analysiert wird. Zur Darstellung der verschiedenen Blickwinkel werden Stellungnahmen und Forderungen verschiedener Verbände herangezogen sowie Gesetzesentwürfe und Protokolle (AG BTHG und Plenarprotokolle) im Detail betrachtet und analysiert. Die Expertise bzw. das Wissen um den Reformprozess beteiligter Akteur*innen wird durch ausgewertete Expert*innen­ inter­views dargestellt. Da dieser Arbeit die Methode der politischen Prozessanalyse zugrunde liegt, wird der Reformprozess chronologisch nachgezeichnet. Dabei werden zunächst die Jahre vor 2013 in den Blick genommen, um abzubilden, welche Ursache (cause) zum Reformprozess geführt hat. Anschließend werden die Jahre 2013 bis 2016 aus der Perspektive verschiedener Akteur*innen abgebildet. Auch das Jahr 2017 wird anschließend bündig beleuchtet. Die Orientierung erfolgt dabei an den Phasen des Policy-Cycle (Knill/Tosun, 2015, S. 93). Hier wird ein Schwerpunkt auf die Politikformulierungsphase gelegt, wobei auch andere Phasen von Relevanz sind, z. B. die Problemdefinitionsphase, das Agenda Setting und die Implementierungsphase. Die folgende Darstellung des Prozesses bildet zum einen Ursache-Wirkungs-Mechanismen ab – in Anlehnung an das Vorgehen von Nullmeier und Kuhlmann (2022; s. Teilkapitel D.I.3.). Demnach beruht jede Reaktion auf eine Situation und jede Reaktion beinhaltet die Wahrnehmung und Handlungsorientierung einzelner Akteur*innen, die sich in der jeweiligen Situation befinden. Das wiederum kann die jeweilige Aktivität eine*r Akteur*in erklären (ebd., S. 13 ff.). Zum anderen findet eine Beschreibung von Situationen statt, um die einzelnen Forderungen und Sichtweisen der verschiedenen



I. Relevante Phasen im Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes 77

Akteur*innen herausarbeiten zu können. Die folgende Beschreibung kann in innere und äußere Faktoren unterteilt werden: Unter äußeren Faktoren wird der politische Kontext verstanden (AG BTHG, Gesetzesentwürfe etc.), interne Faktoren stellen die innere Organisation (Verwendung von Machtressourcen und Lobbying-Aktivitäten der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung und anderen Akteur*innen) dar (Anlehnung an Knill/Tosun, 2015, S. 64). Äußere und innere Faktoren bedingen sich gegenseitig und können Reaktionen und Aktivitäten der jeweils anderen Seite hervorrufen. Bevor der Reformprozess im Einzelnen nachgezeichnet werden kann, werden zunächst die verschiedenen Phasen des Reformprozesses in den Blick genommen, da diese die folgende Kapitelstruktur beeinflussen. Anschließend wird begründet, weswegen einzelne Akteur*innen für die Darstellung des Prozesses als relevant erachtet werden und somit im Fokus der empirischen Analyse stehen.

I. Relevante Phasen im Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Um den Reformprozess des BTHG nachverfolgen und rekonstruieren zu können, werden im Folgenden vier Phasen des Reformprozesses identifiziert und herausgearbeitet, inwiefern und wie sich schwache Interessen in dem hier betrachteten Reformprozess durchsetzen konnten. Anhand der identifizierten Reformphasen, die chronologisch den Prozess abbilden, wird ab Teilkapitel E.III. ausführlicher auf einzelne Akteur*innen und ihre jeweiligen Reform-Aktivitäten eingegangen. Nachfolgend wird erläutert, warum sich welche Reformphasen als solche identifizieren lassen: Reformphase 1: Im Fokus des Koalitionsvertrages der 18. Legislaturperiode steht die Reformierung der Eingliederungshilfe. So sei es Ziel, Menschen mit Behinderung „aus dem bisherigen ‚Fürsorgesystem‘ heraus[zu]führen und die Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht weiter[zu] entwickeln“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 78). Dazu werde ein neues „Bundesleistungsgesetz“ (ebd.) bzw. Bundesteilhabegesetz entwickelt. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände, so der Koalitionsvertrag, sollen in den Gesetzgebungsprozess mit einbezogen werden (ebd.). Daher sprechen zwei Gründe für eine besondere Reformphase: Die Entscheidung, dass die Rechte für Menschen mit Behinderung (a) reformiert werden sollen und (b) das Vorhaben bzw. die Schaffung der Voraussetzung, die betroffenen Akteur*innen aktiv mit in den Prozess einzubeziehen. Zuzuordnen ist diese Reformphase der Problemdefinitionsphase des ­Policy-Cycles, da ein nach Veränderung drängendes Problem von der Bun-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

desregierung erkannt wird und im Rahmen eines Koalitionsvertrages festgehalten und erste inhaltliche Prioritäten gesetzt werden (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Reformphase 2: Im Sinne der UN-BRK und wie im 18. Koalitionsvertrag beschrieben, werden Menschen mit Behinderung durch ihre Interessenvertretungen im Rahmen des BTHG-Reformprozesses mit einbezogen („Nichts über uns ohne uns“; Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77). Es finden neun Treffen einer Arbeitsgemeinschaft statt im Zeitraum von Juli 2014 bis April 2015. Die AG gilt als vorgelagerter Prozess des Reformvorhabens. So geht es dem BMAS darum unterschiedliche Beiträge verschiedener beteiligter Akteur*innen aufzunehmen (s. Protokoll der fünften Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 5. Sitzung am 10. Dezember 2014, 2014e). Eine explizite Bewertung von Handlungsoptionen soll gesondert bei der Erstellung des Gesetzesentwurfes entstehen (ebd.). Die Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft ist es, Reformthemen zu diskutieren und nicht, einen Konsens über einzelne Inhalte des BTHG herzuarbeiten (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 5). Auch diese identifizierte Reformphase lässt sich dem Policy-Cycle zuordnen, wenn auch nicht ganz trennscharf zur nächsten Reformphase (Nr. 3). Hierbei handelt es sich um das Agenda Setting, also die Besprechung der Handlungsbedarfe im Rahmen der AG, sodass auch eine Einbindung der Interessenverbände, der Wohlfahrtsverbände und anderer Akteur*innen erfolgt und relevante Themen diskutiert werden können (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Reformphase 3: Die verschiedenen Verbände veröffentlichen als Reaktion auf die Gesetzesentwürfe Stellungnahmen und gehen auch mit Aktionen und Protesten gegen das geplante Gesetz vor (Hinweise dazu z. B. Interview 1, 6, 9, 10, 17). In diesem vielseitigen Vorgehen spiegelt sich eine Enttäuschung und Verärgerung der Interessenverbände wider. Diese Emotionen gehen auf eine hohe Erwartungshaltung der Interessenverbände an das Gesetz zurück (s. Interview 7, 11, 13). Denn das, was im Rahmen der AG BTHG besprochen wurde, habe keinen Eingang in den Referentenentwurf gefunden. Man habe sich gefragt, wohin all die Inhalte ‚verschwunden‘ seien. Eine Rückbindung bzw. ein Feedback darüber, warum einzelne Themen im Arbeits- und Referentenentwurf nicht aufgenommen wurden, habe gefehlt (s. Interview 7, 11, 12, 13). Es lässt sich festhalten, dass diese Reformphase eine zentrale gewesen ist. Die Gesetzesentwürfe und die Reaktionen der Betroffenenverbände und anderer Akteur*innen sind massiv und umfangreich (allein die Stellungnahmen zum Referentenentwurf umfassen 87 Dokumente verschiedener Akteur*in­ nen). Im Jahr 2016 gibt es neben den oben aufgeführten Stellungnahmen, Aktionen und Protesten auch Bündnisse, um Kräfte zu bündeln.



II. Beteiligte Akteur*innen im Reformprozess 79

Auch hierbei handelt es sich um das Agenda Setting des Policy-Cycles, durch die Beeinflussung der verschiedenen Akteur*innen des Handlungsbedarfs durch Stellungnahmen und Proteste (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Darüber hinaus kann diese Reformphase auch der Politikformulierungsphase zugeordnet werden, da im Rahmen dieser Phase die artikulierten Probleme, Forderungen und Vorschläge vermeintlich befolgt werden und verschiedene Gesetzesentwürfe von Seiten des Ministeriums entwickelt werden. Hier wird die oben beschriebene Kritik am Policy-Cycle deutlich. Manche Phasen lassen sich nicht trennscharf voneinander betrachten (s. Teilkapitel B.II.). Reformphase 4: Folgt man den Aussagen zweier Interviewpartner*innen (s. Interview 2, 3), so sei ohne die vorangegangenen Stellungnahmen und Proteste die hohe Anzahl an Änderungsanträgen nicht möglich gewesen und somit hätte der abschließende Gesetzesentwurf nicht geändert werden können. Es zeigt sich demnach, dass die beteiligten Interessenverbände den BTHG-Reformprozess durchaus beeinflussen können. Die vierte Reformphase kann, wie auch schon die vorherige Reformphase, ebenfalls der Politikformulierungsphase des Policy-Cycle zugeordnet werden, weil durch die Änderungsanträge Lösungen für die zuvor artikulierten Probleme bearbeitet werden. Das Parlament und die Regierung übernehmen die Zuständigkeit (Blum/Schubert, 2017, S. 176–179; Jann/Wegrich, 2014, S. 110). Eine Übersicht der zuvor dargelegten Reformphasen bietet die folgende Abbildung 4 (siehe nächste Seite).

II. Beteiligte Akteur*innen im Reformprozess Für das weitere Vorgehen ist es von Interesse zu identifizieren, welche Akteur*innen im Rahmen des BTHG-Reformprozesses von zentraler Relevanz sind, um diese anschließend in den folgenden Kapiteln genauer zu betrachten. Nimmt man die AG BTHG als Ausgangspunkt, so setzt sich diese aus einer Vielzahl unterschiedlicher Akteur*innen zusammen: • • • • •

Sitzungsleitung Vertreter*innen der Verbände von Menschen mit Behinderung Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. Bundesländer Kommunale Spitzenverbände (beinhaltete nicht nur den Deutschen Städteund Landkreistag sowie den Deutschen Städte- und Gemeindebund, sondern auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe)

Steigende Ausgabendynamik

UN-BRK

Forderung nach Reform von Verbänden

Entstehung SGB IX

Quelle: Eigene Darstellung

Ab 2001

Bildung der Großen Koali on

3. Reformphase 4. Reformphase

Änderungs -anträge

Verabschiedung Gesetz

Ende 2015– Ende 2016

Proteste & Ak onen

Gesetzesentwürfe & Stellungnahmen

2014 – 2015

BTHG AG: Vorgelagerter Beteiligungs prozess

2. Reformphase

Abbildung 4: Identifizierte Reformphasen des BTHG-Reformprozesses

2013

Koali onsvertrag: Beschluss zum neuen Gesetz

1. Reformphase

Umsetzung BTHG in vier Reformstufen

ab 2017

Wissenscha�liche Begleitung und Evaluierung

80 E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes



II. Beteiligte Akteur*innen im Reformprozess 81

• Sozialversicherung • Sozialpartner • Kultusministerkonferenz •• Bundesregierung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014f). Die Interessenverbände bestehen im Rahmen der AG aus den Mitgliedern des Deutschen Behindertenrates (DBR) und setzen sich zusammen aus: • • • • • • • • • •

Sozialverband Deutschland SoVD, Sozialverband VdK Deutschland, Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihrer Angehörigen e. V., Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e. V., Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten – Selbsthilfe und Fachverbände e. V., Bundesverband für Körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V., Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V., Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. sowie Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland (ebd.).

An dieser Bandbreite der DBR-Verbände wird deutlich, dass sich diese sowohl aus Verbänden der eigenen Interessenvertretung/der Selbsthilfe als auch aus der advokatorischen Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung zusammensetzen (im Folgenden als ‚Verbündete‘ aufgeführt). Darüber hinaus werden den Vertreter*innen der Verbände von Menschen mit Behinderung noch drei weitere Akteur*innen zugeordnet, die allerdings nicht dem DBR angehören: • Bundesvereinigung der Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte, • Konferenz der Fachverbände für Menschen mit Behinderungen, • sowie Frau Verena Bentele als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung (ebd.). Einzelne dieser oben aufgeführten Akteur*innen sind nicht nur an der AG beteiligt, sondern haben nach Abschluss der AG Stellungnahmen formuliert oder sind im Rahmen von Anhörungen im Bundestag aktiv (z.  B. Vertreter*innen der Verbände von Menschen mit Behinderung, Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Sozialpartner oder die kommunalen Spitzenverbände). Die verschiedenen AG-Beteiligten unterscheiden sich in ihrer Stärke und somit in ihrer Fähigkeit, ihre Interessen durchzusetzen. Diese Arbeit verfolgt

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

das Ziel, mit Hilfe der Methode der politischen Prozessanalyse herauszufinden, inwiefern und wie die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung sich im Rahmen des BTHG-Reformprozesses durchsetzen können. Dazu wird der weiterentwickelte Machtressourcenansatz herangezogen, um zu identifizieren, welche Machtressourcen sie genutzt haben. Darüber hinaus ist es von Interesse, die Forderungen und Ziele der Interessenverbände – aber auch anderer Akteur*innen – herauszuarbeiten. Folgende Akteur*innengruppen stehen (u. a. der AG-Teilnehmenden folgend) besonders im Fokus: • Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung: Hier wird die oben aufgeführte Akteur*innen-Unterteilung der AG BTHG für die folgenden Kapitel beibehalten. D. h., dass auch die ‚Verbündeten‘ (Sozialverbände, Lebenshilfe) diesen zugeordnet werden. Es gibt verschiedene Hinweise, dass die DBR-Verbände im Rahmen des Reformprozesses eng zusammengearbeitet haben, sodass die ‚Verbündeten‘ nicht ohne die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung betrachtet werden können. •• Wohlfahrtsverbände: Die Träger in der Behindertenhilfe weisen nach Kulke und Dallmann (2019) eine besondere Vielfalt auf und stellen eine relevante Interessenvertretung dar (ebd., S. 231). •• Sozialpartner: Auf Grund ihrer besonderen Rolle im Rahmen des Reformprozesses werden auch sie im Rahmen der folgenden Analyse genauer betrachtet: So hat eine Gewerkschaft eine Schlichtung zwischen verhärteten ‚Fronten‘ vorgenommen und kann somit zu einem Fortsetzen der Reform beitragen (s. Interview 11 und 13). Zudem unterstützt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Interessen von Menschen mit Behinderung in Form von schriftlichen Stellungnahmen (die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ – s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). •• Kommunale Spitzenverbände und Länder: In verschiedenen Interviews wird betont, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Länder aufgrund ihres Mitspracherechts im Zuge des zustimmungspflichtigen Gesetzes (im Bundesrat) besonders starke Akteur*innen sind (z. B. Interview 8). Daher werden auch diese beiden Akteur*innen der Analyse hinzugezogen. •• Entscheidungsträger*innen und Opposition: Aufgrund des theoretischen Vorwissens (z. B. Boeckh et al., 2017) wurden auch die verschiedenen Parteien und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Zuge der Analyse bedacht. Ebenso wird die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung hinzugezogen. Sie nimmt zwar eine vermittelnde Rolle zwischen Regierung und Menschen mit Behinderung ein, wird aber aufgrund ihrer Funktion (Beauftragte der Bundesregierung) gemeinsam mit ihren Kolleg*innen auf Länderebene den Entscheidungsträger*innen zugeordnet.



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)83

Daher werden im Folgenden (1) die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, (2) die Wohlfahrtsverbände, (3) Sozialpartner, (4) die kommunalen Spitzenverbände und Länder sowie (5) Entscheidungsträger*innen (Große Koalition sowie Ministerium, Beauftragte der Bundesregierung) und Opposition im Rahmen der Analyse des kausalen Mechanismus in den Fokus genommen – wobei der Schwerpunkt auf den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung liegt.

III. Reformphase 1 (2001 bis 2013): Der Weg zum Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode Der Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode wird als Ausgangspunkt des hier vorliegenden Reformprozesses betrachtet. Dem Koalitionsvertrag liegt ein langjähriger Aushandlungsprozess zugrunde, der den Vertrag zwischen den Parteien der Großen Koalition erst ermöglicht. Daher wird im Zuge dieses Kapitels auch ein Blick in die Entwicklungsphase rund zehn Jahre zurück geworfen (s. Problemdefinitionsphase des Policy-Cycle; Jann/ Wegrich, 2014, S. 107). Dies dient dazu, die Ursache, die den Reformprozess anstößt, zu identifizieren. Um dem nachzugehen ist ein multiperspektivischer Blick auf diesen Zeitraum unabdingbar, sodass die im vorigen Kapitel beschriebenen Akteur*innen und ihre Aktivitäten im Einzelnen betrachtet werden können13. D. h. jede Beschreibung der jeweiligen Akteur*innen setzt neu in einer chronologischen Darstellung der Ereignisse an. 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung haben, nach Aussage einzelner Interviewpersonen, bereits lange vor dem Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode wiederholte Forderungen nach einer Reform des SGB IX gestellt (s. Interview 2, 4, 5, 10). So betont Interviewpartner*in 5, dass der Vorlauf zum BTHG bereits zehn bis fünfzehn Jahre zuvor begonnen habe (Interview 5, Zeile 19–24). Unterstützt und spezifiziert wird die Aussage im Rahmen eines anderen Interviews: „Natürlich haben wir immer wieder nach einer Reform gerufen. Das heißt, das geht also schon weit zurück, als man begann in den 90er Jahren von einem Paradigmenwechsel zu reden“ (Interview 2, Zeile 12–15). Die Betonung auf „natürlich“ legt nahe, dass die Verbände schon zur Entstehung des SGB IX (‚Paradigmenwechsel‘) – in den 1990er Jahren/Anfang 2000er – unzufrieden waren mit dem 13  Da aus der Zeit 2013 keine Dokumente oder Aussagen der Interviewpartner*innen über die Sozialpartner vorliegen, werden diese im Rahmen dieses Kapitels nicht näher beleuchtet.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

geschaffenen Recht. „Natürlich“ suggeriert auch ein Partizipationsverständnis. Der*die Interviewpartner*in spricht in Form einer Metapher, was er*sie an dieser Stelle durch die Worte „immer wieder […] gerufen“ zum Ausdruck bringt. Vermutlich hat sein*ihr Interessenverband wiederholt auf die Notwendigkeit einer Reform aufmerksam gemacht, auch in Form von Aktionen und Protesten. Dabei deutet ‚gerufen‘ auf eine gewisse Lautstärke hin, welche durch Proteste zum Ausdruck gebracht werden könnte. Ein*e Interviewpartner*in betont, dass bereits im Koalitionsvertrag der 17. Legislaturperiode von einer Reform die Rede war. Daraufhin habe es Expert*innenrunden gegeben an denen auch Menschen mit Behinderung beteiligt waren (Interview 4, Zeile 63–66). Dies könnte ein Hinweis auf den Nationalen Aktionsplan 201114 sein. Im Rahmen dessen wurden Menschen mit Behinderung und ihre Verbände mit einbezogen. Dies geht zurück auf eine Forderung des Bundesrates und Anforderungen der UN-BRK. Im Zuge dieser Expert*innenrunden standen Positions- und Forderungspapiere der unterschiedlichen Interessenverbände im Zentrum der Aufmerksamkeit (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011, S. 108). Das Forum für behinderte Juristinnen und Juristen (FbJJ) legt im Mai 2013 einen Gesetzesentwurf vor, in dem die soziale Teilhabe im Mittelpunkt steht (s. Interview 2, 10). Dazu wird in Interview 2 berichtet: „[…] das Forum für behinderte Juristinnen und Juristen haben der Bundessregierung einen richtigen Gesetzesentwurf geschenkt. Also ein Gesetz zur sozialen Teilhabe“ (Interview 2, Zeile 386–388). Interessant ist hier die gewählte Ausdrucksweise des Schenkens, welches impliziert, dass der Interessenverband der Bundesregierung mit diesem Gesetzesentwurf ein Geschenk gemacht habe, einen Gefallen getan hat. Ein Geschenk kann – wie auch in diesem Fall – ungefragt erfolgen, man erwartet dann aber trotz allem im Gegenzug einen Dank, welcher hier (im übertragenen Sinn) allerdings nicht eingetreten ist: „Das wäre eigentlich eine sehr gute Vorlage gewesen. Und wenn sich Leute mal so richtig hinsetzen und einen Gesetzesentwurf machen – das macht man halt nicht mit Links. In Abstimmung und Erwägung aller möglicher/ Da hätte die Bundesregierung deutlich mehr draus machen können.“ (Interview 2, Zeile 388–392).

Der*die Interviewpartner*in beschreibt die Schwierigkeiten und den Arbeitsaufwand bei der Erstellung eines Gesetzesentwurfes und bringt seine*ihre Enttäuschung und die geringe Wertschätzung von Seiten der Bun14  Insgesamt gibt es zwei Nationale Aktionspläne. Diese sehen verschiedene Maßnahmen und Projekte vor (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014a, S. 109; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2016a, S. 279) die umgesetzt werden sollen, um die Anforderungen der UN-BRK in Deutschland zu verwirklichen (ebd.).



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)85

desregierung zum Ausdruck. Es wirkt so, als habe er*sie sich davon mehr erhofft. Der Gesetzesentwurf des FbJJ sieht eine Neuregelung des siebten Kapitels, Teil eins des SGB IX und des sechsten Kapitels des SGB XII vor. Hintergrund des Aufschlags ist eine Reaktion auf die von der Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) fiskalisch geführte Diskussion über eine Neugestaltung der Eingliederungshilfe. Der FbJJ-Gesetzesentwurf nimmt es sich zur Aufgabe, die UN-BRK mit Blick auf die soziale Teilhabe in verschiedenen Bereichen (z. B. Teilhabe am Arbeitsleben oder ergänzende Leistungen) im deutschen Recht umzusetzen. Dabei steht besonders der Artikel 19 der UN-BRK (selbstbestimmte Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft) im Fokus. Nach Einschätzung des FbJJ fehle es im deutschen Recht – im Sinne der UN-BRK – an einer konsequenten Umsetzung folgender Prinzipien und Rechte: Selbstbestimmung, Inklusion, gleichberechtigte Teilhabe, ein Diskriminierungsverbot und ein uneingeschränktes Wahlrecht (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2013, S. 3). Es werden verschiedene Schwerpunkte im Gesetzesentwurf des FbJJ aufgeführt, welche mit einem neuen Behinderungsbegriff und einer Beeinträchtigungsdefinition beginnen und sich dann auf verschiedene Teilhabebereiche (soziale und gesellschaftliche Teilhabe, Teilhabe am Arbeitsleben oder Teilhabe durch Bildung) beziehen. Auch fallen hier bereits Begriffe wie unabhängige Teilhabeberatung, Teilhabegeld oder die Neureglung des persönlichen Budgets (ebd., S. 6 ff.), die im späteren Reformprozess des BTHG durchaus eine Rolle spielen und diskutiert sowie zum Teil im SGB IX-neu umgesetzt werden. Der selbstverfasste Gesetzesentwurf weist auf die Nutzung einer Problemlösekompetenz (Teil der gesellschaftlichen Macht) des Verbandes hin (Schmalz et al., 2013). Denn der FbJJ bietet der Regierung einen Lösungsweg für bestehende Problematiken im SGB IX und SGB XII an. Sowohl im Vorfeld der als auch im Anschluss an die Bundestagswahl im September 2013 nutzen zwei Interessenverbände die Möglichkeit, auf ihre Anliegen in Form von Stellungnahmen aufmerksam zu machen. Sie reagieren auf die sich verändernde politische Lage und nehmen diese als Auslöser bzw. Möglichkeit, ihre Interessen auf die Agenda zu bringen. Eine der Stellungnahmen im September 2013 formuliert der Deutsche Behindertenrat. Er betont, dass die Umsetzung der UN-BRK durch das ‚Bundesleistungsgesetz‘ von besonderer Relevanz für Menschen mit Behinderung als Personengruppe sei. Demnach sei es zentral, eine „volle und wirksame Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen“ (Deutscher Behindertenrat, 2013, S. 1) zu ermöglichen, „mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben“ (ebd.). Gefordert wird auch, dass Menschen mit Behinderung in den Reformprozess „aktiv“ (ebd.) mit einbezogen werden sollten.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Aktive Einbindung deutet auf eine ausübende Tätigkeit bzw. Beteiligung hin, in der Diskussions- und Mitentscheidungsmöglichkeiten gegeben werden. Für den DBR sind einzelne inhaltliche Aspekte für ein neues Recht unabdingbar. Dazu gehören: ‒ die Schaffung eines unabhängigen Beratungssettings als Ersatz zu den Servicestellen (SGB IX). ‒ die Herauslösung der Leistungen der EGH aus der Fürsorge sowie ihre Einbindung in das neue geplante Gesetz. Dabei sei es von besonderer Relevanz, diese Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen zu erbringen (sowohl für die betroffene Person als auch für ihre Angehörigen). ‒ die Zukunftssicherung bedarfsdeckender Leistungen der EGH. Darüber hinaus sollte es keine Leistungslücken geben, was durch einen weiten und offenen Leistungskatalog erreicht werden könnte. Die Leistungen sollten individuell durch Bereitstellung von Personal, Technik und fachliche Anleitung für die Betroffenen erbracht werden. ‒ die Sicherung des uneingeschränkten Wunsch- und Wahlrechts sowie des Rechtsanspruchs auf Teilhabe an allen Lebensbereichen. Der bestehende Mehrkostenvorbehalt sollte im Rahmen eines neuen Gesetzes gestrichen werden. ‒ eine bundeseinheitliche Gestaltung der Bedarfsfeststellung. Zugrunde liegen sollte dabei die internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Das Feststellungsverfahren sollte individuell und partizipativ erfolgen. ‒ ein Nachteilsausgleich in Form einer pauschalierten Geldleistung (neben den individuellen Teilhabeleistungen). Dieser Forderung liegt die Stärkung der Autonomie und der Selbstbestimmung der Leistungsberechtigten zugrunde (ebd., S. 1–2). Auch Sigrid Arnade (ISL) fordert im September 2013 im Rahmen der Schaffung eines neuen Gesetzes die „Gewährung behinderungsbedingter Leistungen ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen“ (Miles-Paul, 2013). Darüber hinaus sollte die soziale Teilhabe mit der beruflichen und der medizinischen Rehabilitation gleichgestellt werden. Sie betont ebenso, dass Vertreter*innen mit Behinderung als Expert*innen in den Gesetzgebungsprozess einbezogen werden sollten – hierfür wird das Forum der behinderten Juristinnen und Juristen als Beteiligte vorgeschlagen (Miles-Paul, 2013). Hintergrund dieser Forderung könnte das fachliche juristische Wissen des Verbandes sein. Ein*e Akteur*in auf Augenhöhe mit anderen beteiligten Akteur*innen im Reformprozess. Dass die ISL auf das Forum der behinderten Juristinnen und Juristen verweist, gibt ein Hinweis auf die Kooperations-



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)87

macht (Teil der gesellschaftlichen Macht). Im Rahmen dieser Machtressource werden Netzwerke zu anderen Akteur*innen genutzt, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Dies wird häufig in Form von Kampagnen und MitgliederMobilisierung umgesetzt (Schmalz et al., 2013). Da noch nicht von einer direkten Aktivierung für eine Kampagne gesprochen werden kann, kann an dieser Stelle zunächst nur ein erster Ansatz der Kooperationsmacht wahrgenommen werden. Im November 2013 wird der Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode zwischen der CDU/CSU und SPD beschlossen (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013). 2. Wohlfahrtsverbände Nachdem im November 2013 der Koalitionsvertrag beschlossen wird, reagiert die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) mit einem Forderungspapier, den ‚Eckpunkten zu einem Bundesleistungsgesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen‘, welches Ende 2013 veröffentlicht wird. Im Folgenden wird verdeutlicht, dass die Wohlfahrtsverbände sowohl ihre eigenen Interessen als Arbeitgeber*innen als auch die Interessen von Menschen mit Behinderung im Fokus der Aufmerksamkeit haben. An dieser Stelle wird davon ausgegangen, dass sich die BAGFW mit der Stellungnahme erhofft, die eigenen Interessen auf die Agenda der neuen Regierung bringen zu können. Im Rahmen der Eckpunkte werden unterschiedliche Forderungen aufgeführt und erläutert. Es wird aber weniger von Forderung im eigentlichen Sinn gesprochen, sondern viel mehr von konzeptionellen Anforderungen an ein neues Gesetz. Beim genaueren Blick auf das Dokument fällt auf, dass durchaus indirekt Forderungen gestellt werden, indem von „müssen“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, 2013, S. 2, 3, 5, 7, 8) und nicht von sollte gesprochen wird. D. h. es wird deutlich formuliert, was sich im Rahmen eines neuen Gesetzes ändern muss, damit die Teilhabe von Menschen mit Behinderung in Zukunft umfänglicher gestaltet werden kann. Die BAGFW zählt ähnliche Forderungen auf wie das FbJJ (z. B. Einführung eines Bundesteilhabegeldes, Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, personenzentrierte Teilhabeplanung). Gefordert wird zudem eine Neudefinition des Behinderungsbegriffes, erneut mit einem Bezug zur UN-BRK. So müsse eine neue Definition „den erweiterten sozialen Behinderungsbegriff“ (ebd., S. 2) der UN-BRK aufgreifen und dabei die „Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ (ebd.) berücksichtigt werden. Eine weitere genannte Anforderung betrifft das Beratungssetting für Menschen mit Behinderung. So sei es wichtig, Beratung frühzeitig anzusetzen, in

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Form einer qualifizierten, anwaltschaftlichen Beratungsstruktur mit Blick auf die Interessen der zu beratenden Person. Da es sich bei dem Verfasser dieser Eckpunkte um die Freie Wohlfahrtspflege handelt, wird dementsprechend auch die Forderung gestellt, dass die Wohlfahrt weiterhin für die Beratung zuständig sein sollte. Die „plurale Beratungsstruktur auf kommunaler Ebene […] [setzt voraus], dass Leistungserbringer, Leistungsträger, Verbraucherzentralen, Freie Wohlfahrtspflege und/oder die Selbsthilfe als Anbieter in Frage kommen“ (ebd., S. 3). Auch die Selbsthilfe, also die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung, wird an dieser Stelle aufgeführt und somit als relevante*r Akteur*in im Rahmen der Beratungssettings anerkannt. Die Ausgestaltung der Teilhabeleistungen sollte durch die Beibehaltung des offenen Leistungskataloges der Eingliederungshilfeleistungen erfolgen. Auch das sozialarbeiterische Case-Management sollte im Zuge einer Reform erhalten bleiben (ebd., S. 5). Die BAGFW positioniert sich als Arbeitgeber*in und dringt darauf, die qualifizierte Soziale Arbeit im Feld zu belassen. Gleichzeitig steht die BAGFW für ein großes Arbeitsfeld (Arbeit mit Menschen mit Behinderung, welches sich über Freizeit, Bildung, Arbeit, Wohnen erstreckt) und nimmt eine Position als Arbeitgeber*in ein. Auch auf die Vertrags- und Vergütungsregelungen wird eingegangen. Hierbei betont die BAGFW, dass „ein zukünftiges Bundesleistungsgesetz klarstellen [muss], dass die Vergütung danach bestimmt wird, dass sie plausibel und wirtschaftlich angemessen ist und die Besonderheiten der Einrichtungen und Dienste berücksichtigt“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, 2013, S. 8). Erneut tritt die BAGFW als Arbeitsgeber*in auf und stellt Forderungen im eigenen Interesse. 3. Kommunale Spitzenverbände und Länder Eine Interviewperson beschreibt nachdrücklich, dass die Bundesländer eine ausschlaggebende Kraft gewesen sind, um eine Reform voranzutreiben, sodass das BTHG geschaffen werden kann: „Und ich würde sagen, dass es diese Befassung der Länder mit der Notwendigkeit, im Eingliederungshilfeprozess was zu ändern, das war schon ein […] Vor-Gesetzgebungsprozess. Und den hat es auch gebraucht, glaube ich, sonst wäre auch nichts passiert“ (Interview 6, Zeile 966–969). Auch andere Interviewpartner*innen betonen ähnliches: „Und ich glaube schon, dass das jetzt fällig war. Die haben auch schon einerseits die BRK, aber auch die Rufe der Länder gehört und wollten letztlich […] daraus auch handeln. So. Das […] glaube ich schon“ (Interview 10, Zeile 793–795). Der beschriebene ‚Ruf der Länder‘ sei aus „eher finanziellen Gesichtspunkten“ (Interview 5, Zeile 23–24) gekommen, so ein*e weitere*r Interviewpartner*in. Der Hintergedanke sei demnach, wie



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)89

die immer weiter steigende Ausgabendynamik gebremst werden könnte (s. Interview 3, 6). Der Einsatz der finanziellen Mittel für die einzelnen Leistungsberechtigten sei allerdings nicht wesentlich gestiegen, so Interviewperson 3, sondern vielmehr die Zahl der Leistungsberechtigen habe zugenommen (Interview 3, Zeile 78–83). Der ‚Ruf der Länder‘ geht auf die BundLänder-Papiere des ASMK aus den Jahren 2007, 2010 und 2013 zurück. Eine Interviewperson betont, dass die Inhalte des Bund-Länder-Papiers aus dem Jahr 2007 in den Arbeitsentwurf wiederzufinden waren (Interview 1, Zeile 470–475) und somit eine große Relevanz für die Diskussionen über das BTHG einnehmen. Auch erinnert sich ein*e Interviewpartner*in daran, dass die ASMK 2007/2008 bereits eine Initiative gezeigt habe, um eine Reform anzustoßen (Interview 2, Zeile 17–19). Im Rahmen des ersten ASMK-Papiers wird festgestellt, „dass in den vergangenen Jahren die Kosten der Eingliederungshilfe stetig angestiegen sind“ (Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 2007, S. 10). Dies sei zurückzuführen sowohl auf nicht beeinflussbare Faktoren (wie längere Lebenserwartungen von Menschen mit Behinderung) als auch „Fehlanreize im Leistungssystem“ sowie „die Verlagerung von Aufgaben aus originär zuständigen Leistungssystemen in die Sozialhilfe“ (ebd.). Es wird allerdings nicht deutlich, was die Minister*innen der Länder unter Fehlanreizen im Leistungssystem oder einer Verlagerung der Aufgaben in die Sozialhilfe verstehen. So werden im Paper, neben der aufgeführten Bremse der Ausgabendynamik, auch Themen wie verschiedene Lebensbereiche in den Blick genommen. Es wird u. a. die Stärkung der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung im Rahmen einer Reform angesprochen. Wie diese auszusehen hat und wie das erreicht werden soll, ist nicht näher bezeichnet. Ein weiteres Ziel einer Reform sei es, die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung an die „allgemeinen Lebensbedingungen“ (ebd., S. 11) anzunähern. Die „allgemeinen Lebensbedingungen“ (ebd.) – so die Vermutung an dieser Stelle – sind die Lebensbedingungen von Menschen ohne Behinderung, angelehnt an den Begriff ‚allgemeiner Arbeitsmarkt‘. Die Lebensbedingungen umschließen das Wohnen in einer eigenen Wohnung, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie die Vorrangigkeit von ambulanten vor stationären Leistungen. Ein wichtiger Punkt, der im Rahmen der weiteren Diskussionen immer wieder aufgeworfen wird, ist die „Zuständigkeit aus einer Hand“ (ebd.), später umbenannt in ‚Zuständigkeiten wie aus einer Hand‘. Auch eine individuelle Teilhabeplanung und eine lokale Koordination werden aufgeworfen sowie eine bessere Steuerung und Wirkungskontrolle von Kostenträgern (ebd.). Zwei weitere relevante Punkte, die benannt werden, sind zum einen die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Eingliederungshilfe sowie zum anderen eine individuelle Leistungsgewährung des Teilhabebedarfes (ebd.). Infolge dessen erfolgt 2009 ein Diskussionsprozess mit dem Beauftragten für

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

die Belange von Menschen mit Behinderung, einzelnen Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung, den kommunalen Spitzenverbänden und den Leistungserbringern. Im November 2009 werden die dort erarbeiteten Eckpunkte für eine Reform der ASMK gebilligt. Die Bundesregierung wird aufgefordert, den „Entwurf eines Reformgesetzes zur Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe so rechtzeitig vorzulegen“ (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, o. J.), dass dieser im Rahmen der 17. Legislaturperiode verabschiedet werden könne. 2010 bestätigt die ASMK erneut, dass eine Reform der EGH wichtig sei. Dabei formuliert die ASMK die Eckpunkte zu Zielen um. Zudem wird festgehalten, dass die die ASMK die Kostenneutralität und die finanzielle Beteiligung des Bundes als relevante Voraussetzung für ein neues Gesetz ansieht (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, o. J.). Der Bundesrat reagiert 2012 darauf mit einer „Entschließung zur ‚Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes‘ “ (Bundesrat Drucksache 282/12, 2012). Unter Berufung auf die UN-Behindertenrechtskonvention wird der Bund dazu aufgefordert, in Zukunft u. a. die Gesamtkosten für die EGH zu tragen (ebd., S. 1 ff.). Da dieser Aufforderung weiterhin keine Reform folgt, sich nun aber eine neue Regierung zusammenstellt, formuliert die ASMK ein weiteres Paper im November 2013. Darin beschließen die Minister*innen und Senator*innen für Arbeit und Soziales der Länder, dass die Eingliederungshilfe weiterentwickelt werden müsse, inklusive der Entwicklung eines Teilhabegeldes. Dazu führen sie aus, dass die Ausgabendynamik, die bereits seit längerer Zeit anhält, eingedämmt werden müsse. Die Länder fordern daher erneut den Bund auf, die Kosten der EGH zu übernehmen (Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 2013, S. 2). Des Weiteren wird gefordert, die Beteiligungsrechte von Menschen mit Behinderung zu fördern und ihre Interessenvertretung am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen. Auch die Teilhabe am Arbeitsleben wird unter verschiedenen Gesichtspunkten thematisiert (Schaffung zur Wahlmöglichkeit neben WfbM, Budget für Arbeit) sowie Wohnen (Trennung von existenzsichernden Leistungen) und bundeseinheitliche Kriterien – sowohl in Bezug auf die Teilhabeplanung als auch auf die individuelle Bedarfsfeststellung (ebd). Die ASMK habe durch seine Diskussionen dazu beigetragen, dass viele Teile der langjährigen Forderungen im BTHG wieder zu finden seien. Die ASMK habe den Reformprozess somit „dominiert“, so Interviewperson 3 (Zeile 197–198). Der Begriff der Dominanz wird nicht weiter ausgeführt, es ist fraglich, ob dies eher positiv oder negativ von dem*der Interviewpartner*in wahrgenommen wird. Denn die ASMK hat im Beschlusspapier festgehalten, dass die Kosten der EGH immer weiter ansteigen (Arbeits- und Sozialminis-



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terkonferenz, 2007, S. 10) und verfolgt somit indirekt das Ziel, diese Ausgabendynamik zu bremsen. Andererseits kann der Dominanz-Begriff durchaus positiv betrachtet werden, da im Paper Stichworte wie Partizipationsprozess und Teilhabe in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft genannt werden (ebd., S. 9–10). Dominanz verweist auf jeden Fall auf eine Form der Macht: Die ASMK wird als ein*e starke*r Akteur*in im Rahmen des BTHG-Reformprozesses wahrgenommen. Dass die Reform im Rahmen der 18. Legislaturperiode angegangen wird, bezieht eine Interviewperson vielmehr auf ‚Mischkoalitionen‘ in den Bundesländern: „Wir müssen Bund und Länder – und das könnte jetzt in der nächsten Legislaturperiode gelingen, weil eben so von den – nicht Bund in CDU-Hand, Länder in SPD-Hand oder umgekehrt, sondern überall solche […] Mischkoalitionen, so dass […] es möglich war, das […] zu stemmen.“ (Interview 9, Zeile 570–574).

Aber nicht nur auf Länderebene gab es eine neue Dynamik durch ‚Mischkoalitionen‘, sondern auch auf Bundesebene durch die Große Koalition. Dass die Veränderungsforderungen der Bundesländer eng mit dem der Bundesebne verwoben sind, darauf wird im nächsten Teilkapitel (s. Teilkapitel E.III.4.) genauer eingegangen. 4. Entscheidungsträger*innen und Opposition Ein*e Interviewpartner*in (9) führt die Diskussionen um die Spezifik des Herauslösens der EGH aus der Sozialhilfe bis in die 1970er Jahre zurück, zur Regierung vom damaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Damals habe es diesbezüglich einen Antrag der CDU/CSU-Opposition gegeben (Interview 9, Zeile 554–558). Viele Jahre später, in der Entstehungszeit des SGB IX, hat es mit der Rot-Grünen-Koalition einen gewissen „Aufbruchgeist“ (Interview 2, Zeile 415) gegeben. Damit könnte, neben der Schaffung des SGB IX auch das Behindertengleichstellungsgesetz und die Beteiligung von Menschen mit Behinderung an dem Prozess gemeint sein. Leider habe es Fehler bei der Umsetzung des SGB IX gegeben, sodass eine Reform dessen von Nöten gewesen sei (Interview 2, Zeile 422–424). Doch warum war eine Reform bis dahin nicht möglich? Ein*e Interview­ partner*in versucht zu erklären, dass die ASMK-Diskussion nicht erfolgreich gewesen sei, da „das nicht unter Schwarz-Gelb bis zu der Koalition 2013“ (Interview 2, Zeile 19) umzusetzen sei. Das Bundesministerium für Arbeitund Soziales (unter der CDU/CSU-Leitung von Ursula von der Leyen und dem Koalitionspartner FDP) sei, wie oben angedeutet, an einer Reform nicht interessiert gewesen (Interview 2, Zeile 20–22). Eine andere Interviewperson schließt sich dieser Meinung von Interviewpartner*in 2 an und betont:

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

„Vorausgegangen waren mehrere erfolglose Regierungen, die an dieser Stelle zwar zum Teil was im Koalitionsvertrag stehen hatten, aber es nie umgesetzt haben, zum Beispiel Frau von der Leyen blumige Worte im Koalitionsvertrag, aber da war sehr deutlich, aber da war sehr deutlich, dass sie und der Staatssekretär überhaupt kein Interesse hatten, das Thema zu bewegen“ (Interview 5, Zeile 32–37).

Die ‚blumigen Worte‘ im damaligen Koalitionsvertrag der 17. Legislaturperiode umfasst einen 14-zeiligen Text, in dem ein Ziel formuliert wird, „die Rahmenbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderung positiv zu gestalten“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP, 2009, S. 83). Die Ziele durch diese Beschreibung des Adjektivs ‚positiv‘ sind allerdings nicht klar zu fassen und erscheinen unpräzise. Die Barrierefreiheit solle in unterschiedlichen Bereichen des Lebens geschaffen werden und ein Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK entwickelt werden (ebd., 83–84). Die Durchführung von Aktionsplänen ersetzt allerdings keine Reform, sodass die Bundesregierung weiterhin dazu verpflichtet gewesen sei, die UN-BRK ins deutsche Recht umzusetzen (Interview 17, Zeile 227–229). Die damalige Opposition sei sehr enttäuscht darüber gewesen, dass für die Rechte von Menschen mit Behinderung bis zur 18. Legislaturperiode wenig getan wurde. Daher habe sich die SPD in der 18. Legislaturperiode besonders intensiv im Rahmen der Koalitionsverhandlungen darauf konzentriert, dass eine Reform umgesetzt wird. Der Wunsch nach einer Veränderung des Gesetzes habe aber auch viel mit der zuständigen Ministerin (Andrea Nahles, SPD) zu tun gehabt, so ein*e Interviewpartner*in, aber gleichzeitig auch mit der Bereitschaft der CDU/CSU, sich darauf einzulassen (Interview 17, Zeile 245–246). Ein*e andere*r Interviewpartner*in betont ebenfalls, dass die SPD es erst durch die Große Koalition geschafft habe, Türen für eine Reform zu öffnen (Interview 2, Zeile 18–24). Marschall und Strünck (2010) bestätigen dies, indem sie betonen, dass der SPD insbesondere die Sozialpolitik am Herzen liegt und das Thema der sozialen Gerechtigkeit in den Blick nimmt (Marschall/ Strünck, 2010, S. 138), was auch im Falle des Reformprozesses zum BTHG der Fall ist. Im Jahr 2013 nimmt der Interessenverband Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (BSK) es sich zur Aufgabe, verschiedene Parteien auf Bundesebene zu befragen, welche Ziele sie im Rahmen einer Reform des SGB IX verfolgen werden. Betitelt ist das Paper als „Wahlprüfsteine“ (Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2013, S. 1) und bezieht sich also auf die anstehende Wahl im September 2013. Dazu stellen sie zwei Fragen, auf die die Parteien antworten. Die erste Frage lautet: „Wie werden Sie und Ihre Partei sich dafür einsetzen, dass Nachteilausgleiche im Lichte der UN-BRK einkommens- und vermögensunabhängig gewährt werden?“ (ebd.). Die CDU/CSU betont, dass sie als Partei die EGH „durch ein zeitgemäßes und zukunftsorientiertes“ (ebd.) neues Gesetz ablösen möchte. Was



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genau sie darunter versteht, wird nicht offengelegt. Die SPD führt hingegen etwas spezifischer aus, dass nach der UN-BRK jedem Menschen ein gleichberechtigtes Leben in der Gesellschaft ermöglicht werden sollte. Dazu zählen, so die SPD, Leistungen, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Die EGH sollte so reformiert werden, dass einkommens- und vermögensunabhängige Teilhabeleistungen umgesetzt werden können. Dazu sollten die Bund-Länder-Finanzbeziehungen genutzt werden, um die UN-BRK umzusetzen und die EGH in ihrer bisherigen Form abzulösen. Auffallend ist, dass die SPD, im Gegensatz zur CDU/CSU, die Umsetzung der UN-BRK als wichtigen Aspekt betrachtet, in dem sie diese in einem kurzen Text zwei Mal wiederholt. Die FDP, die darauffolgend zu Wort kommt, benennt nicht den menschenrechtlichen Aspekt, sondern konzentriert sich vielmehr auf finanzielle Aspekte. So sollte das persönliche Budget ausgeweitet und vereinfacht werden. Des Weiteren sollte der Nachteilsausgleich einkommensunabhängig gewährt werden. Einschränkend setzt die FDP hinzu: „Leistungen zum Lebensunterhalt hingegen werden, wie bei jedem anderen Leistungsempfänger auch, nach Bedürftigkeit gezahlt“ (ebd.). Die LINKE fordert, dass es einen Anspruch auf einkommens- und vermögensunabhängige Assistenzleistungen geben sollte. Die Leistungen, so die LINKE, sollten „sich aus einer Pauschale und/oder Personal- und Sachkosten (z. B. Hilfsmittel) zusammensetzen“ (ebd.). Die GRÜNEN drängen auf ein ‚echtes‘ Teilhabeleistungsgesetz durch eine Weiterentwicklung des SGB IX. Was unter einem ‚echten‘ Teilhabeleistungsgesetz zu verstehen ist, bleibt fraglich. Vermutlich will die Partei damit verdeutlichen, dass das SGB IX noch nicht UN-BRK konform umgesetzt wird. Die GRÜNEN führen daraufhin zwei Schritte auf, die zu erfolgen hätten: „In einem ersten Schritt sollen die Leistungen der bisherigen Eingliederungshilfe davon erfasst werden. Dabei ist für uns selbstverständlich, dass die Leistungen zur Teilhabe unabhängig von der wirtschaftlichen Lage der Leistungsbezieher und deren Angehörigen erbracht werden. Mittel- bis langfristig streben wir an, dass alle Leistungen zur Teilhabe aus einer Hand erbracht werden“ (ebd.).

Die Partei formuliert somit recht spezifisch was aus ihrer Sicht zu erfolgen hat. Die zweite Frage des Interessenverbandes BSK lautet: „Wie werden Sie und Ihre Partei entsprechende gesetzliche Regelungen, die wir15 im Entwurf zum Gesetz der sozialen Teilhabe16 vorgestellt haben, in der nächsten Legis15  Der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter verwendet den Begriff ‚wir‘, obwohl das Forum behinderter Juristinnen und Juristen den Entwurf zum Gesetz vorgelegt hat. Das ‚wir‘ könnte sich auf eine gemeinsame Identifizierung – ‚wir‘, die Menschen mit Behinderung – beziehen. Der Verband nimmt sich demnach als große gemeinsame Gruppe wahr und spricht als Einheit. 16  Bezug zum Gesetzesentwurf des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ), s. oben.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

laturperiode im Bundestag einbringen und umsetzen?“ (ebd.). Die CDU/CSU betont, dass Menschen mit Behinderung zukünftig eine selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht werden sollte und dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe sei. Ein wichtiger Aspekt sei es, dass sich der Bund in Zukunft an den Kosten beteilige, um die Kommunen zu entlasten. Die SPD wiederum betont, dass der Gesetzesvorschlag zur sozialen Teilhabe ein „sehr guter Vorschlag“ (ebd.) sei, der für eine „Verhandlungsgrundlage dienen kann und den wir in den weiteren Verhandlungsprozess zwischen Bund, Ländern und Kommunen einbeziehen“ (ebd.). An dieser Stelle wird deutlich, dass die Reform ein Aushandlungsprozess zwischen verschiedenen Akteur*innen ist und das, selbst wenn der ein oder andere Punkt von der SPD als positiv wahrgenommen wird, dieser am Ende nicht unbedingt umgesetzt werden kann – einfach, weil es sich um einen Prozess zwischen verschiedenen Verhandlungspartner*innen handelt. Kritik wird an der SchwarzGelben-Koalition geübt, indem die SPD betont: „Hier liegt uns am Herzen, auch endlich die Betroffenen verstärkt einzubeziehen, was von der derzeitigen Bundesregierung leider vernachlässigt wurde“ (ebd.). Es wird deutlich, dass die SPD eine Einbeziehung von Menschen mit Behinderung und ihrer Verbände als wichtig erachtet. Allerdings wird von Einbeziehung und nicht von Beteiligung gesprochen. Zwischen den Begriffen bestehen durchaus Unterschiede. Während Beteiligung suggeriert, partizipativ teilzuhaben und Entscheidungen mit treffen zu können, kann eine Einbeziehung implizieren, dass man ‚dabei sein‘ kann, eben einbezogen wird, aber einem die Entscheidungskompetenz fehlt. Gerade dieses hier anfänglich formulierte Verständnis könnte ausschlaggebend für den weiteren Reformprozess sein (s. Teilkapitel E.IV. u. E.V.). Die FDP verweist lediglich auf die vorherige Antwort. Die LINKE betont, dass sie den Gesetzesentwurf zur sozialen Teilhabe unterstütze und bereits im Vorfeld Vorschläge zu einem Teilhabesicherungsgesetz gemacht habe (s. Bundestagsdrucksache 17/889). Sie fordern „inklusive Strukturen, umfassende Barrierefreiheit in allen Bereichen und einkommens- und vermögensunabhängige Leistungen“ (Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2013, S. 1), um die UN-BRK im deutschen Recht umzusetzen. Die LINKE nennt als Forderungen beispielsweise eine personenorientierte Leistungserbringung, unabhängige Beratungsformen sowie eine Assistenz für die Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung. Die GRÜNEN stimmen dem Gesetzesentwurf des FbJJ ebenfalls zu und schreiben, genau wie die SPD, dass dieser Entwurf eine „sehr gute Grundlage für das entsprechende Gesetzgebungsverfahren“ (ebd., S. 2) darstelle. Dabei könnte man die meisten Vorschläge des Gesetzesentwurfes durchaus übernehmen, „in einigen Punkten sehen wir aber noch Klärungs- und Änderungsbedarf“ (ebd.).



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)95

‚Nichts über uns ohne uns‘ und der Koalitionsvertrag Nachdem nun der Entstehung und den Reaktionen auf den Koalitionsvertrag nachgegangen wurde, wird sich im Folgenden mit dem Inhalt des Koalitionsvertrages befasst. Im Rahmen des Koalitionsvertrages wird die Leitidee „Nichts über uns ohne uns“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77) aufgenommen. Dieser hat seine Wurzeln in der Entstehungsgeschichte der UN-BRK. Denn im Rahmen der Entwicklung der Konvention, erhielten Menschen mit Behinderung und ihre Verbände die Möglichkeit, sich aktiv an der Ausarbeitung des Inhaltes als auch an den Verhandlungen über die UNBRK zu beteiligen (Callus/Camilleri-Zahra, 2017, S. 7–8). Dies alles erfolgte unter der Betitelung „Nothing about us without us“ (ebd., S. 7) und steht für einen wichtigen Beteiligungsprozess in der Geschichte der Behindertenbewegung: „According to de Beco and Hoefmans the adoption of this particular slogan during the negotiations of the UNCRPD does not only symbolize the participation and influence of disabled people at all the stages of drafting of the UNUNCRPD [sic], including in the Ad Hoc Committee, but also represents one of the most fundamental principles incorporated in the Convention, that is, disabled people’s participation in decision making. In addition, the adoption of this slogan also symbolizes another principle which disabled people had been fighting for since their walking out of the Rehabilitation International conference in 1980 […], that of control over the disability agenda and over their own lives. The slogan ‚Nothing about without us‘, makes very explicit the fear held by disabled people that unless they are involved in the decision-making processes their needs will never be truly met“ (ebd., S. 8).

Der Slogan steht demnach für die direkte Beteiligung von Menschen mit Behinderung im Rahmen von Entscheidungsprozessen, welche die Teilhabeund Selbstbestimmungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung in eigener Sache gefördert hat. Dass eben dieses Motto im Rahmen des Koalitions­ vertrages aufgenommen wird, suggeriert den Verbänden von Menschen mit Behinderung, dass sie im Rahmen des gesamten Aushandlungsprozesses beteiligt werden – wie im Vorbild der Entstehung der UN-BRK. Gerade dieser Aspekt spielt im weiteren Verlauf des BTHG-Reformprozesses eine entscheidende Rolle (s. Teilkapitel E.IV. u. E.V.). Der Koalitionsvertrag orientiert sich – neben dem Slogan ‚Nichts über uns ohne uns‘ – auch an dem Begriff der inklusiven Gesellschaft. Definiert wird dies wie folgt: „Menschen mit und ohne Behinderung sollen zusammen spielen, lernen, leben, arbeiten und wohnen. In allen Bereichen des Lebens sollen Menschen mit Behinderung selbstverständlich dazugehören – und zwar von Anfang an. Menschen mit Behinderung sind Experten in eigener Sache, ihre Beteiligung an den Entschei-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

dungsprozessen wollen wir besonders berücksichtigen – nach dem Motto ‚Nichts über uns ohne uns‘ “ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77).

Somit wird angedeutet, dass Menschen mit Behinderung an relevanten Entscheidungen mit beteiligt werden sollen. Dies wird später im Text unter dem Stichwort „Eingliederungshilfe reformieren – Modernes Teilhaberecht entwickeln“ (ebd., S. 78) erneut aufgenommen und deutlicher formuliert. Es wird hier angekündigt, dass „Menschen mit Behinderung und ihre Verbände […] von Anfang an und kontinuierlich am Gesetzgebungsprozess beteiligt“ (ebd.) werden. Wie diese Beteiligung aber aussehen würde, wird nicht beschrieben. Aber nicht nur hierbei bleibt der Koalitionsvertrag offen, sondern auch an anderen Stellen, wie ein*e Interviewpartner*in betont: „Was übrigens so pauschal gehalten war, dass es ja gerade nachhaltig Schwierigkeiten gemacht hat, so dass sich da ja auch alle was anderes vorgestellt haben. Also wenn die so Schwafelbegriffe wie ‚Modernes Teilhaberecht‘ entwickeln oder aus dem Fürsorgeprinzip rausführen, wenn ich das verwende als Auftrag, dann kann sich da jeder drunter verstehen, was er schon immer haben wollte.“ (Interview 13, Zeile 669–674).

So kann jede*r etwas anderes in den Vertrag hineininterpretieren. Also das, was man subjektiv unter den einzelnen Begriffen, wie beispielsweise ‚modernes Teilhaberecht‘, versteht. Gerade bei der Umsetzung des Koalitionsvertrages kann das, je nach Perspektive (z. B. Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung, Wohlfahrtsverbände, Ministerium) zu Unstimmigkeiten und Unklarheiten untereinander führen. Auch ein*e andere Interviewperson bestätigt die ‚Unschärfe‘ – begründet das aber damit, dass das für Koalitionsverträge durchaus ‚normal‘ sei: „Und ein Passus aus dem Koalitionsvertrag war auch der Auftrag sozusagen für ein Bundesteilhabegesetz. Wie das Koalitionsverträge an sich haben, ist das aber relativ unscharf gewesen und zu Beginn einer Legislaturperiode schaut man dann natürlich in einem Ministerium, wie setzen wir das um?“ (Interview 14, Zeile 24–27).

Da das Vorgehen der Beteiligung im Rahmen des Koalitionsvertrages offengehalten ist, entwickelt das Ministerium nach der Veröffentlichung dessen ein Verfahren, ein „großes Projekt“ (Interview 14, Zeile 32), um Menschen mit Behinderung in einem Beteiligungsprozess mit einzubinden (s. Teilkapitel E.IV.). Das darauffolgende Vorgehen der Bundesregierung sei bereits durch den Koalitionsvertrag festgelegt (Interview 16, Zeile 740–741). Neben der Umsetzung der UN-BRK soll auch der Nationale Aktionsplan weiter fortgesetzt werden. Relevante „Etappenziele“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77) stellen eine verbesserte Teilhabe, Selbstbestimmung und auch Barrierefreiheit (in Bezug auf Transport, Kommunikation und Information sowie Zugang zu Einrichtungen/Diensten) dar. Im weiteren Verlauf wird auf Teilhabe und Selbstbestimmung erneut einge-



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)97

gangen (Inklusion im Arbeitsleben und Reformierung der Eingliederungshilfe), wenn auch nicht die direkten Begrifflichkeiten Teilhabe und Selbstbestimmung genutzt werden (Wunsch- und Wahlfreiheit kann beispielsweise als synonym für Selbstbestimmung stehen, während die Inklusion im Arbeitsleben auch als Teilhabe im Arbeitsbereich verstanden werden kann; ebd., S. 78). Beim Stichwort Arbeitsleben wird aufgeführt: „Zentrales Element der sozialen Inklusion ist eine aktive Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen die Integration von Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt begleiten und so die Beschäftigungssituation nachhaltig verbessern“ (ebd.). Inklusion und Integration werden im Zitat nacheinander benannt, obwohl die Begriffe unterschiedliche Auffassungen vertreten. Auch Georgi (2015) fragt sich, ob „Inklusion Integration im neuen Gewand“ (ebd., S. 26) ist, oder ob „Inklusion vielleicht eine optimiertere, erweiterte oder visionäre Form der Integration“ (ebd.) darstellt. Integration will zwar Teilhabe schaffen, sieht aber ein zu integrierendes Individuum einer anderen (mehrheitsgesellschaftlichen) Gruppe homogen gegenübergestellt. So strebt Inklusion wiederum an, „strukturelle (rechtliche) Rahmenbedingungen zu schaffen, die benachteiligende Ausgangslagen ausgleichen können und Partizipation ermöglichen“ (ebd.). Inklusion erkennt die gesellschaftliche Vielfalt an, indem die Individualität der*des Einzelnen sowie deren*dessen gesellschaftliche Teilhabe zentral stehen. Jede*r Einzelne ist wertvoll für die Gesellschaft, unabhängig davon, wie viel er*sie leisten kann. Georgi führt weiter aus: „Die Aufmerksamkeit richtet sich nicht auf die Integrationsfähigkeit Einzelner oder Gruppen, sondern auf die Transformationsfähigkeit von regulären Institutionen und Strukturen – etwa auf das Bildungssystem. Diese Strukturen müssen ‚geöffnet‘ und diversitätssensibel gestaltet werden, so dass die Teilhabe und Selbstbestimmung jedes Einzelnen gewährleistet werden kann (s. Merx, 2013). Inklusion ist im Gegensatz zur Integration mit einem Rechtsanspruch verbunden, hebt den rechtlich verbindlichen Nachteilsausgleich hervor und unterstreicht zugleich das Benachteiligungsverbot des Grundgesetzes in Artikel 3.3“ (Georgi, 2015, S. 27).

Deutlich wird, dass die Begriffe durchaus unterschiedliches meinen. Umso fraglicher ist es, dass die Stichworte im Rahmen des Koalitionsvertrages direkt hintereinander aufgeführt werden. Vermutlich orientiert sich die Bundesregierung bei dem Begriff „Integration […] in den allgemeinen Arbeitsmarkt“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 78) an den allgemeingültigen Bezeichnungen aus dem SGB II und SGB III. Weitere wichtige Stichworte sind die Reformierung der Eingliederungshilfe sowie Barrierefreiheit im Netz. Die Reform der Eingliederungshilfe ist untertitelt mit „modernes Teilhaberecht entwickeln“ (ebd.) – eben dieser ‚unscharfen‘ Begrifflichkeit, über die die Interviewperson (s. oben) berichtet. Was genau ist ‚modern‘ und was versteht die Bundesregierung darunter? Wird unter ‚Modernität‘ vielleicht die Umsetzung der UN-BRK in deutsches

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Recht verstanden? Es werden zwar verschiedene Schlagworte wie Wunschund Wahlrecht nach dem Vorbild der UN-BRK oder die Herausführung aus der Fürsorge benannt, aber eine Erklärung der Überschrift erfolgt nicht. Im Koalitionsvertrag wird abwechselnd – vielleicht als Synonym füreinander – von einem „Bundesleistungsgesetz“ (ebd., S. 67, 78) und von dem „Bundesteilhabegesetz“ (ebd., S. 9, 63 u. 67) gesprochen. Betrachtet man die Worte aber genauer, wird deutlich, dass die Worte nicht als Synonyme verstanden werden können. Ein Leistungsgesetz regelt die Finanzierung und den Umfang der Leistungen, ein Teilhabegesetz die Partizipation, der UN-BRK folgend. Das neue Gesetz möchte aber beides miteinander vereinen. Die abschließend gewählte Begrifflichkeit des Bundesteilhabegesetzes wirkt sinnvoll, da das Gesetz (neben dem Kostendruck der Länder und Kommunen) den internationalen Druck durch die Vereinten Nationen folgen muss. 5. Zusammenfassung Reformphase 1 Diese Reformphase ist in der Problemdefinitionsphase des Policy-Cycles zu verorten. Zurückzuführen ist dies auf ein nach Veränderung drängendes Problem, welches von verschiedenen Akteur*innen erkannt und anschließend von der Bundesregierung durch einen Koalitionsvertrag festgehalten wird (Jann/Wegrich, 2014, S. 107): Unterschiedlichen Akteur*innen ist bereits vor dem Jahr 2013 bewusst, dass es eine Reform der EGH geben muss. Die Akteur*innen verfolgen zwar verschiedene Ziele mit der Forderung nach einer Reform, aber eine Veränderung wird von ihnen allen erwartet. Es müssen verschiedene Problematiken im Rahmen dieser Reform bearbeitet werden. Petring (2010) macht deutlich, dass eine Reform „eine intentionale Errichtung, Abschaffung oder Veränderung von formellen (wohlfahrtsstaatlichen) Strukturen oder Programmen durch legislative Maßnahmen [ist]“ (ebd., S. 23). Demnach dienen Reformen „dazu, Problemlagen zu beseitigen oder abzumildern“ (ebd.). Gleiches verfolgen die verschiedenen Akteur*innen in diesem Fall. So wird es deutlich, dass die Entwicklung zum BTHG auf eine Ansammlung unterschiedlicher Effekte und Problemlagen (s. Jann/Wegrich, 2014, S. 107) zurückzuführen ist: • Moralischer und normorientierter Effekt: Die allgemeine internationale Verpflichtung, die UN-BRK ins deutsche Recht zu implementieren und langjährige Forderungen von Menschen mit Behinderung, dass die UNBRK umgesetzt werden muss, um Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu fördern. • Kostenabwägender Effekt: Die immer weiter steigende Ausgabendynamik, die auch die Länder motiviert, eine Reform anzustreben.



III. Reformphase 1 (2001 bis 2013)99

• Politischer Effekt: Die veränderte politische Konstellation auf Länder- und Bundesebene – besonders aber die Entstehung der Großen Koalition auf Bundesebene, indem die SPD das neue Gesetz vorantreibt. Diese verschiedenen Effekte/erkannten Problemlagen können als Ausgangspunkt bzw. vielmehr als Ursache (cause) für den folgenden Reformprozess betrachtet werden. Die im Rahmen dieses Kapitels gestellten Forderungen der verschiedenen Akteur*innen werden nachfolgend in der Tabelle 3 zum besseren Verständnis dargestellt: Tabelle 3 Forderungen verschiedener Akteur*innen 2001 bis 2013 Interessenverbände der Menschen mit Behinderung

Wohlfahrtsverbände

Kommunale Spitzenverbände und Länder

Entscheidungsträger*innen und Opposition

Aktive Einbeziehung in den Prozess

Neuer Behinderungsbegriff (UN-BRK)

Beteiligung Bund an Kosten der EGH

ICF beachten

Stärkung Selbst­bestimmung und Eigenverantwortung

CDU/CSU: selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen, Beteiligung Bund an Kosten der EGH

Schaffung eines Teilhabegeldes neuer Behinderungsbegriff (UN-BRK)

Unabhängige ­Teilhabeberatung

unabhängige ­Teilhabe­beratung

Wunsch- und Wahlrecht

Neuregelung ­persönliches Budget

Abschaffung Einkommensund Vermögensanrechnung

Herauslösung EGH aus Fürsorge Wunsch- und Wahlrecht Abschaffung Einkommens- und Vermögensanrechnung Bedarfsfeststellung bundeseinheitlich gestalten

Teilhabeplanung personenzentriert gestalten Neuregelung persönliches Budget Alternative Beschäftigungen schaffen (Teilhabe Arbeitsleben) Kommunen finan­ziell entlasten

Quelle: Eigene Darstellung

Zuständigkeiten aus einer Hand Schaffung eines Teilhabegeldes Aktive Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in den Prozess Änderungen Bereich Wohnen Änderungen Bereich Teilhabe am Arbeitsleben Große Lösung

SPD: EGH reformieren, UN-BRK umsetzen, Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit, aktive Einbeziehung von Menschen mit Behinderung in den Prozess FDP: Nachteilsausgleich vermögensunabhängig, persönliches Budget ­überarbeiten LINKE: Barrierefreiheit, einkommens- und vermögensunabhängige Assistenzleistungen, unabhängige Beratung GRÜNE: Einkommensund Vermögens­ unabhängigkeit, Leistungen aus einer Hand

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Die Tabelle macht deutlich, dass die einzelnen Akteur*innen ähnliche oder zum Teil gleiche Erwartungen und Forderungen an ein neues Gesetz haben. Dabei sind sich die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und die Wohlfahrtsverbände in ihren Forderungen ähnlicher als andere Akteur*in­ nen. So möchten beispielsweise die Interessen- und die Wohlfahrtsverbände eine Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit mit dem neuen Gesetz erzielen und einen neuen Behinderungsbegriff initiieren. Die Erwartung an eine Beteiligung von Menschen mit Behinderung im Reformprozess wird nicht nur von den Betroffenen gefordert, sondern auch von den kommunalen Spitzenverbänden, den Ländern und der SPD. Die verschiedenen Akteur*innen werden dabei den Vorgaben der UN-BRK gefolgt sein (sogenanntes Partizipationsgebot).

IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015): Die AG BTHG – Ermächtigung durch Ermöglichung Um bestehende Probleme aufzudecken und neue Lösungen für das SGB IX zu diskutieren, wird die bereits in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach erwähnte AG BTHG initiiert. Das vorliegende Kapitel kann daher dem Agenda Setting des Policy-Cycle zugeordnet werden, da eine Besprechung von Handlungsbedarfen im Rahmen der AG BTHG erfolgt (Jann/Wegrich, 2014, S. 170). Die AG findet, wie in Teilkapitel E.III.4. erläutert, nach dem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 77) statt. Das heißt, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände werden in den Betei­ ligungsprozess mit einbezogen. Im Zuge dessen nehmen verschiedene Akteur*innen, wie in Teilkapitel E.II. dargestellt, daran teil. Diese erhalten hierbei die Möglichkeit, ihre eigenen Interessen, Forderungen und Erwartungen an das zukünftige BTHG einzubringen und mögliche Inhalte zu diskutieren. Die AG BTHG stellt eine formale Austauschmöglichkeit dar und ist somit eine genutzte institutionelle Macht (Schröder, 2014, S. 23). Auch wenn noch weitere Machtressourcen im Zuge dieses Kapitels aufgeführt werden, überlagert die institutionelle Machtressource die anderen, da sie den Rahmen, also die Ermöglichung der Teilnahme, herstellt. Bei der Auswahl der Akteur*innen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung wird von Seiten des Ministeriums nicht vorgegeben, welche Verbände teilnehmen sollen. Vielmehr wird der Deutsche Behindertenrat darum gebeten, einzelne Verbände vorzuschlagen, welche im vorgelagerten AG-Prozess mitwirken können (Interview 6, Zeile 149–153). Dabei habe der Deutsche Behindertenrat versucht, eine möglichst große Heterogenität an verschiedenen Gruppen von Menschen mit Behinderung abzubilden (Interview 4, Zeile 118–120).



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)101

Die AG BTHG, welche zeitlich vor dem formalen Gesetzgebungsverfahren stattfindet (Interview 16, Zeile 252–255), ist ein bis dahin eher untypischer Prozess, „indem ja schon, bevor überhaupt irgendwas aufgeschrieben wurde, die Beteiligung gelaufen ist“ (Interview 17, Zeile 23–24). Dies sei eine Vorarbeit des Ministeriums gewesen, ohne eine Beteiligung des Parlaments (Interview 17, Zeile 26–28). Im nun folgenden Kapitel werden neben AG-Protokollen und Sitzungsunterlagen auch Stellungnahmen und wichtige Ereignisse im Zeitraum dieser Reformphase beschrieben. Hier erfolgt ebenfalls ein multiperspektiver Blick auf die verschiedenen Akteur*innengruppen (Interessenverbände der Menschen mit Behinderung, Wohlfahrtsverbände, Sozialpartner, kommunale Spitzenverbände/Länder, Entscheidungsträger*innen und Opposition). Dies dient dazu, (a) die jeweiligen Situationen zu beschreiben, um die Handlungen in einen Kontext einzubetten sowie (b) eine Auslöser-Reaktions-Beschreibung vorzunehmen, um die jeweiligen Ursache-Wirkungs-Mechanismen herauszuarbeiten. Inhalte der AG BTHG Die Reformziele werden in einer Sitzungsunterlage der ersten AG-Zusammenkunft definiert. So soll den Vorgaben des Koalitionsvertrages gefolgt werden, um die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung in Deutschland zu verbessern. Dabei stehen acht Reformziele im Zentrum: 1. „Dem neuem gesellschaftlichen Verständnis nach einer inklusiven Gesellschaft im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention wird Rechnung getragen. 2.  Selbstbestimmung und individuelle Lebensplanung werden dem gewandelten Rollenverständnis von Menschen mit Behinderungen entsprechend vollumfänglich unterstützt. 3. Die Eingliederungshilfe wird zu einem modernen Teilhaberecht entwickelt, in dessen Mittelpunkt der Mensch mit seinen behinderungsspezifischen Bedarfen steht. 4. Die vorgelagerten Systeme und die mit der Eingliederungshilfe verbundenen Systeme sowie ihre Zusammenarbeit werden verbessert. 5. Die Koordinierung der Rehabilitationsträger wird verbessert. Dazu wird eine Weiterentwicklung des SGB IX angestrebt. Die Leistungen sollen für den Bürger wie aus einer Hand erbracht werden. 6. Hierzu soll die Eingliederungshilfe als bedarfsdeckendes Leistungssystem strukturell in eine ‚Eingliederungshilfe neu‘ (Arbeitstitel) weiterentwickelt werden. […] 7. Mit dem Bundesteilhabegesetz wird die Entlastung der Kommunen dem Koalitionsvertrag entsprechend umgesetzt. 8. Die Neuorganisation der Ausgestaltung der Teilhabe zugunsten der Menschen mit Behinderung wird so geregelt, dass daraus keine neue Ausgabendynamik entsteht“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014e, S. 3–4).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Deutlich macht dieses Zitat, dass drei verschiedene Schwerpunkte gesetzt werden. Zum einen wird die menschenrechtliche Perspektive in den Blick genommen (Punkt 1 und 2), wobei nicht klar definiert wird, wie die UNBRK umgesetzt werden soll. Zum anderen werden inhaltliche Punkte angesprochen (Punkt 3 bis 6), welche die Eingliederungshilfe und somit die spezifischen rechtlichen Regelungen betreffen. Ein weiterer Punkt beinhaltet die finanziellen Regelungen (Punkt 7 und 8), die besonders für die Kommunen und Länder relevant sind. Diese Ziele sind ebenfalls in den AG-Themenschwerpunkten wieder zu finden, welche innerhalb von neun Sitzungen Mitte 2014 bis Frühjahr 2015 besprochen werden (Tabelle 4): Tabelle 4 Themen der einzelnen AG-Sitzungen Sitzung Nr.

Datum

Inhalt

1

10.07.2014

Auftaktveranstaltung: Überblick über das BTHG als Artikelgesetz, das Selbstverständnis der AG sowie die Ziele, die Arbeitsplanung und den Zeitrahmen

2

17.9.2014

Behinderungsbegriff und der leistungsberechtigte Personenkreis, ­Abgrenzung der Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen, unabhängige Beratung sowie Bedarfsermittlung und -feststellung

3

14.10.2014

Medizinische Rehabilitation sowie Teilhabe am Arbeitsleben

4

19.11.2014

Soziale Teilhabe, Bedürftigkeits(un-)abhängigkeit der Fachleistungen, die pauschalierte Geldleistung als mögliche Leistungsform (z. B. Bundesteilhabegeld)

5

10.12.2014

SGB IX und mögliche Änderungen innerhalb dessen, Länder- und Trägeraufgaben und ihre jeweilige Verantwortung, SGB XII und SGB IX: Leistungserbringungsrecht/Vertragsrecht

6

20.01.2015

SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe (‚Große Lösung‘), inklusive Bildung (Schule und Hochschule)

7

19.02.2015

SGB V: Krankenversicherung (inkl. häusliche Pflege und Soziotherapie), SGB XI: Pflegeversicherung (inkl. Pflegebedürftigkeitsbegriff), Hilfe zur Pflege

8

12.03.2015

Finanzierung und die Bewertung dessen in Bezug auf: Kommunale Entlastung, Gegenfinanzierung der Leistungsverbesserungen sowie das Finanzierungstableau

9

14.04.2015

Abschlussveranstaltung: Übergangsregelung und Inkrafttreten

Quelle: Eigene Darstellung nach Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014h, S. 2



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)103

Im Rahmen der AG BTHG soll nicht nur ein Austausch der bereits „bekannten Positionen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 4) erfolgen, sondern vielmehr eine offene Diskussion „für neue Denkanstöße über mögliche Handlungsoptionen“ (ebd.) hergestellt werden. 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Noch bevor sich die Arbeitsgruppe zum BTHG das erste Mal zusammensetzt, werden bereits verschiedene Forderungspapiere von Interessenverbänden veröffentlicht. Zudem nutzen sie den Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Damit wird die Erwartungshaltung der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung an die anstehende AG BTHG deutlich. Sie nutzen durch die vorab Veröffentlichung der Forderungen die Möglichkeit, ihre Erwartungen und Interessen darzustellen. Die Interessenverbände erhoffen sich damit, die Öffentlichkeit und die politische Entscheidungsebene auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Eine dieser Veröffentlichungen stellt die „Kernpunkte für ein Bundesteilhabegesetz“ (Miles-Paul, 2014) dar, welche durch die Kampagne ‚Teilhabegesetz.org‘ durch verschiedene Interessenverbände von Menschen mit Behinderung entstanden sind (DVfR, 2018; Miles-Paul, 2015d). Mit dem Begriff ‚Kernpunkte‘ assoziiert man ein Herzstück, den Fokus – also den Kern – auf einzelne Forderungen, die die verschiedenen Verbände miteinander vereinbaren können, auf die sie sich geeinigt haben. Darüber hinaus wird es, so die Vermutung, noch weitere behinderungsspezifische Forderungen der einzelnen Interessenverbände geben, die keinen Weg in diese Kernpunkte gefunden haben. Interessant ist die Wahl des Begriffes ‚Punkt‘. Es erfolgt keine Betitelung wie beispielsweise später im Reformprozess ‚Kernforderungen‘, sondern lediglich ‚Punkte‘, die man an dieser Stelle zusammengefasst darstellen möchte. Trotz allem wird durch die inhaltliche Betrachtung der ‚Punkte‘ deutlich, dass es sich um insgesamt sechs Forderungen handelt: 1. Die erste Forderung beinhaltet, das Einkommen und Vermögen von Angehörigen und Partner*innen nicht länger hinzuzuziehen (Miles-Paul, 2014, S. 1). 2. Es wird ein offener Leistungskatalog gefordert, welcher die jeweiligen Leistungen schnell ermöglichen soll und zum anderen die persönliche Unterstützung/Assistenz, die bundeseinheitlich und bedarfsdeckend im neuen Recht verankert werden soll. Dazu werden verschiedene Lebensbereiche von Kindheit bis ins Erwachsenenalter aufgezählt. Zudem wird auch eine Assistenz für Eltern mit Behinderung gefordert (ebd.).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

3. Eine weitere Forderung umfasst das Bundesteilhabegeld, welches als bedarfsdeckender Nachteilsausgleich angedacht ist. Gefordert wird auch, dass diese Leistung nicht auf das Einkommen und Vermögen der Menschen mit Behinderung angerechnet werden darf. Das Teilhabegeld soll verschiedenen Gruppen von Menschen mit Behinderung zugutekommen und bundeseinheitlich geregelt sein. Betont wird auch, dass Menschen, die erblindet, gehörlos oder taubblind sind, ebenfalls davon profitieren sollen. Diese Forderung umfasst demnach eine große, recht heterogene Gruppe von Menschen mit Behinderung, die von einem Bundesteilhabegeld profitieren sollen (ebd.). 4. Die vierte Forderung konzentriert sich auf die Inklusion der schulischen Bildung bis zum Beruf, im privaten und gesellschaftlichen Leben (Persönliches Budget, Wahlmöglichkeiten Wohnen). Es wird hierbei betont, dass „Alternativen“ (ebd.) sowie ein „Weg aus Sondereinrichtungen“ (ebd.) geschaffen werden müsse (ebd.) – indirekt also Teilhabe in der Gesellschaft ermöglicht werden soll. 5. Die fünfte Forderung „Barrierefreie Information und unabhängige Beratung“ (ebd.) beschreibt den Wunsch nach einer unabhängigen Beratungsform (ohne Anbindung an einen Träger), welche die rechtlichen Anforderungen barrierefrei (für Menschen mit Behinderungen der Sinne) und in Leichter Sprache zugänglich machen soll (ebd.). Auch diese Forderung umfasst erneut verschiedene Gruppen der Menschen mit Behinderung. 6. Die letzte Forderung bezieht sich nicht auf inhaltliche Punkte des neuen Gesetzes, sondern auf den Beteiligungsprozess: Menschen mit Behinderung und ihre Verbände sollen „von Anfang an effektiv“ (ebd.) mit einbezogen werden (ebd.). Kurz darauf erfolgt die Veröffentlichung eines Zusammenschlusses verschieden starker Akteur*innen: Dem Deutschen Behindertenrat (DBR), den Fachverbänden für Menschen mit Behinderung (Fachverbände) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW). Die Akteur*innen nutzen dabei Netzwerke/Bündnisse (Kooperationsmacht, Teil der gesellschaftlichen Macht; Schmalz et al., 2013), um die Politik auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Sie sprechen von einer „gemeinsamen Positionierung“ (Deutscher Behindertenrat et al., 2014, S. 1) zum Bundesteilhabegesetz. Sie möchten demnach Stellung zum weiteren Reformvorgehen beziehen und verdeutlichen, was ihnen im Rahmen des neuen Gesetzes wichtig ist. Das Ziel eines Bundesteilhabegesetzes müsste es sein, so das Verbändebündnis, eine „volle und wirksame Teilhabe für Menschen mit Behinderung“ zu erreichen, „mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gesellschaft zu leben“ (ebd., S. 1–2). Damit wird Bezug zur UN-BRK und deren Anforderungen, diese ins deutsche Recht zu implementieren, ge-



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)105

nommen. Für den Reformprozess seien verschiedene Themen unverzichtbar. Viele davon sind auch in den oben beschriebenen Kernpunkten wiederzufinden. Zwei Forderungen gehen darüber hinaus und werden im Folgenden dargestellt: • Die Leistungen der EGH sollten auch in Zukunft bedarfsdeckend erbracht werden und einen offenen Leistungskatalog beinhalten, sodass sich keine Leistungslücken bilden: „Denn das Recht auf Teilhabe erstreckt sich auf alle Lebensbereiche und Lebensphasen. Zu unterbleiben haben daher auch benachteiligende Regelungen, die pauschal an das Alter der Leistungsberechtigten anknüpfen“ (ebd.). Es wird deutlich zum Ausdruck gebracht, was ermöglicht werden sollte und was nicht. Personelle, technische und eine fachliche Anleitung seien darüber hinaus zu ermöglichen (ebd.). • Das Wunsch- und Wahlrecht sei für ein selbstbestimmtes Leben unverzichtbar und daher dürfe der Rechtsanspruch nicht eingeschränkt werden. Dabei wird das Beispiel des Wohnens aufgeführt mit der Forderung, dass eine „freie Wahl des Wohnorts und der Wohnform gesetzlich normiert werden“ (ebd.) muss und der Mehrkostenvorbehalt zu streichen ist. Abgeschlossen wird diese Forderung mit den Worten „Teilhabe hat Vorrang vor Kostensteuerung“ (ebd.). Damit wird deutlich, dass das Verbändebündnis zwar die Ausgabendynamik wahrnimmt, aber trotz allem das Ziel vor Augen hat, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen ohne auf die reine Kostenseite zu schauen. Die meisten der Forderungen beziehen sich auf die Verbesserung der Teilhabe, der Lebenswelt von Menschen mit Behinderung (Anforderungen der UN-BRK), weniger auf die Leistungsträger (Krankenversicherung, Pflege, Rehabilitationsleistungen) oder die damit zusammenhängende kommunale Entlastung/finanzielle Seite des Gesetzes (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2014). Am 5. Mai 2014 findet zum Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung eine Demonstration in Berlin statt. Daran beteiligen sich rund 1.500 Menschen. Das Motto lautet: ‚Ohne Teilhabgesetz keine Inklusion‘. An diesem Aktionstag finden auch andere, anschließende Demonstrationen statt (Tack, 2014). Durch die Demonstrationen mobilisieren die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung ihre Mitglieder und verweisen auf die Dringlichkeit eines neuen Gesetzes (Organisationsmacht; Schmalz/Dörre, 2014). Damit wird deutlich, dass die Reform für die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung ein zentrales Anliegen darstellt. Im Rahmen einer Plenardebatte werden diese Demonstrationen – und die damit in Zusammenhang stehenden Aktionen – in den Reden der Politiker*in­nen aufgenommen. Eingebettet ist diese Thematik in der Begründung, schnellstmöglich ein Bundesteilhabegesetz auf den Weg zu bringen (s. Plenarprotokoll

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

18/33, 2014). Gleichzeitig wird durch die Reden im Zuge der Plenardebatte deutlich, dass die politischen Akteur*innen auf stattgefundene Mobilisierungen reagieren und somit die Interessen der Verbände wahrnehmen. a) Erste Sitzung der AG BTHG Im Juli 2014 beginnt die AG BTHG. Nachfolgend werden alle Mitglieder des Deutschen Behindertenrates als ‚Interessenverbände der Menschen mit Behinderung‘ aufgeführt, da sie sich vor und nach den AG-Sitzungen über einzelne Themen abstimmen (s. Interview 11) und dies Auswirkungen auf das in der AG eingebrachte haben kann. Stellungnahmen des SoVD, VdK und der Lebenshilfe werden wiederum gesondert in einem Unterkapitel (‚Verbündete‘) dargestellt. Am 10. Juli 2014 findet die erste Sitzung der AG BTHG statt. Im Rahmen dessen werden die verschiedenen Erwartungen der Teilnehmenden festgehalten. Die Interessenverbände nehmen die Aufforderung, ihre Erwartungen aufzuzählen ernst und äußern kritische Bedenken. So formulieren die Vertreter*innen der Verbände, dass die Finanzierung des BTHG durchaus eine Relevanz im Reformprozess habe, die „Fachlichkeit“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 3) allerdings im Vordergrund stehen solle. Des Weiteren sei es relevant, dass „Menschen mit Behinderung nicht als ‚Feigenblatt‘ für finanzielle Umschichtungen dienen sollen“ (ebd.) – womit deutlich wird, dass die Verbände die Gefahr wahrnehmen, dass ein falsches Interesse des Ministeriums und der Bundesregierung bestehen könnte, Menschen mit Behinderung zwar einzubinden, ihre Meinungen aber nicht anzuhören, da die Finanzen im Vordergrund stehen. Dazu betont ein*e Interviewpartner*in: „Und der Eindruck […], dass es sozusagen – ja, es darf nicht mehr kosten, gleichzeitig soll es aber ernst gemeinte […] Selbstbestimmung erhöhen und Konventionsumsetzung dann, das […] biss sich dann“ (Interview 12, Zeile 148–151). Dieses Zitat macht die Bedenken und den Wiederspruch (UN-BRK vs. Ausgabendynamik) deutlich und beschreibt die Sorge der Interessenverbände. Zudem wird im Rahmen der ersten Sitzung von den Betroffenen gefordert, dass die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung verbessert werden sollte, auch mit Blick auf die Heterogenität der Beeinträchtigungen. Gestärkt werden müsste das Recht auf Teilhabe, womit ein Bezug zur UN-BRK hergestellt wird (s. Artikel 19, 26, 27, 29, 30 UN-BRK). Wichtig sei es auch, dass „Bund, Länder und Kommunen […] das Bundesteilhabegesetz gemeinsam stemmen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 3). Hier lässt sich herauslesen, dass eine Zusammenarbeit und ein Austausch für eine gute Umsetzung des neuen Rechts wichtig sind, auch mit Blick auf die



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)107

Finanzierung. Dies wird im Zuge des nächsten Satzes verdeutlicht: „Die Ausführungen im Koalitionsvertrag, dass durch Regelungen im Bundesteilhabegesetz keine neue Ausgabendynamik entstehen soll, dürfe nicht dazu führen, dass die Aufgabe nicht richtig gemacht werde“ (ebd.). b) Zweite Sitzung der AGB BTHG Im Rahmen der zweiten Sitzung werden verschiedene Themenpakete bearbeitet, welche den Behinderungsbegriff, den leistungsberechtigen Personenkreis betreffen sowie die unabhängige Beratung, die Bedarfsermittlung und die Feststellung dessen umfassen. Auch die Abgrenzung der Fachleistungen17 zu den existenzsichernden Leistungen wird besprochen. Die Interessenverbände nehmen die Möglichkeit, sich an der Diskussion zu beteiligen, intensiv wahr, was abzulesen ist an der Anzahl ihrer Redebeiträge. Sie stellen deutlich ihre Meinungen dar und weisen auf die Umsetzung der UN-BRK hin, was zum Beispiel bei der Diskussion rund um den leistungsberechtigten Personenkreis deutlich wird: Dieser soll in der EGH-neu aktualisiert definiert werden, mit Blick auf die ‚wesentlichen Teilhabeeinschränkungen‘. Demnach soll eine Person leistungsberechtigt sein, welche eine Behinderung im Sinne der Definition des SGB IX vorzuweisen hat und „deren Notwendigkeit an (personeller/technischer) Unterstützung in noch zu bestimmenden Lebensbereichen wesentlich ausgeprägt ist“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014c, S. 3). Die Lebensbereiche sollten ICF-orientiert sein und gliedern sich in neun verschiedene Bereiche, zu denen u. a. „Lernen und Wissensanwendung, […] häusliches Leben, […] Gemeinschafts-, Soziales- und Staatsbürgerliches Leben“ (ebd., S. 3–4) zählen. Die verschiedenen Verbände der Menschen mit Behinderung stimmen dem Verfahren zu (z. B. Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen, Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland sowie der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband). Es wird aber betont, dass man sich bei der Ausgestaltung dessen „konsequenter an der UN-BRK“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 4) orientieren sollte. In einzelnen Interviews wird deutlich, dass gerade die menschenrechtliche Perspektive für die Verbände der Menschen mit Behinderung relevant sind (s. Interview 4, 9, 10). Die UN-BRK liegt auch einer weiteren Diskussion an diesem Tag zugrunde, auch wenn diese nicht explizit erwähnt wird, und zwar beim Thema der unabhängigen Beratung. Hier sprechen sich verschiedene Interessenverbände (z. B. ISL, SoVD, DBSV, Konferenz der Fachverbände) für die gesetz17  Bei Fachleistungen handelt es sich um einen „notwendigen Unterstützungsbedarf bei der Alltagsbewältigung“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014l, S. 2).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

liche Verankerung des Rechtsanspruchs auf Beratung von Menschen mit Behinderung für Menschen mit Behinderung in der EGH (Peer-Counseling) aus. So betonen die ISL und der Allgemeine Behindertenverband Deutschland (ABiD), dass eine hauptamtliche Beratungsstruktur wichtig sei, um auch „Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 16) zu schaffen. Der Konferenz der Fachverbände ist es wichtig, dass Menschen mit Behinderung eine Wahlmöglichkeit haben, welche Beratungsstelle sie nutzen möchten. Zudem geben sie zu bedenken, dass sich durch die Schaffung einer neuen Beratungsstruktur durchaus neue Schnittstellen ergeben könnten, die das Gesamtplanverfahren wieder erschweren könnten (ebd.). Die Idee des Peer-Counselings trifft hier auf offene Ohren und viel Zuspruch, vielleicht auch, da dieses System der UN-BRK entspricht (Stichworte: Selbstbestimmung und Partizipation). Auch im Rahmen der Interviews wird bestätigt, dass dieses Thema den Interessenverbänden wichtig ist und von ihnen vorangetrieben wird (z. B. Interview 4, Zeile 186–191). c) Dritte Sitzung der AG BTHG Im Rahmen der dritten AG-Sitzung im Oktober 2014 wird die Teilhabe am Arbeitsleben thematisiert. Sowohl in der UN-BRK (Art. 27) als auch im deutschen Recht (SGB IX) ist die Teilhabe am Arbeitsleben vorgesehen. In Deutschland geht das bis in die 1960er Jahre zurück, indem dort die Werkstattförderung im Bundessozialhilfegesetz gesetzlich verankert wurde. Im Jahr 2014 waren rund 300.000 Menschen mit Behinderung in ca. 700 Werkstätten für Menschen mit Behinderung tätig (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014m, S. 1–2) – eine recht umfangreiche Personengruppe. Die Mehrzahl der hier tätigen Menschen haben eine geistige Behinderung, eine geringere Anzahl eine psychische Beeinträchtigung (Rehadat Statistik, 2019). Einzelne Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen lehnen allerdings die Tätigkeit in einer Werkstatt ab, sodass es im Rahmen der AG BTHG, neben der Teilhabe im Arbeitsleben in Werkstätten auch um alternative Beschäftigungsangebote u. a. für diese Personengruppe geht. „Vorrangiges Ziel ist [aber] eine Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014m, S. 4). Eine Interviewperson hebt hervor, dass diese Thematik besonders von den Interessenverbänden und von Gewerkschaftsseite vorangetrieben wird (Interview 7, Zeile 580–582). Durch die Diskussionen in der AG BTHG wird deutlich, dass die DBR-Verbände heterogene Interessen verfolgen, da sie ihre eigenen verbandsspezifischen Interessen in den Vordergrund stellen: Beispielsweise betonen der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener und die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten behinderungsspezifische Handlungsbedarfe



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)109

(Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 4, 8, 9). Auch die Lebenshilfe meldet sich hier mehrfach zu Wort und stellt ihre Hauptpersonengruppe (Menschen mit geistiger Behinderung) in den Fokus. Die Lebenshilfe plädiert bei einer weiteren Handlungsoption dazu, nicht länger beim Zugang zur Werkstatt von einem „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 16) zu sprechen und diese Regelung in Zukunft zu streichen. Dabei erhält die Lebenshilfe Unterstützung von anderen Akteur*innen (zwei Bundesländer, die BAGFW und die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung). Hierbei machen sich die Akteur*innen gemeinsam – mit Blick auf die UN-BRK – stark, dass es keinen Ausschluss von Menschen mit Behinderung aus dem Berufsbildungsbereich oder von der Teilhabe am Arbeitsleben durch Einschränkungen geben darf. Dies sei in der Form nicht länger vertretbar (ebd., S. 16–17). Der DBR tritt aber ebenso als gemeinsame*r Akteur*in geschlossen auf, beispielsweise während der Diskussion um Instrumente zur Unterstützung von einzelnen Behinderungsgruppen sowie bei der Thematik zur beruflichen Rehabilitation (ebd., S. 17 ff.). d) Vierte Sitzung der AG BTHG Im Rahmen der vierten Sitzung am 19. November 2014 wird das sogenannte Schäuble-Scholz-Papier aufgegriffen. Der Koalitionsvertrag verspricht: „Mit Inkrafttreten dieses Gesetzes wird der Bund zu einer Entlastung der Kommunen bei der Eingliederungshilfe beitragen“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 67). Doch diese versprochene Entlastung der Kommunen kommt mit dem Schäuble-Scholz-Papier ins Wanken. Durch die neuen Überlegungen würde die Finanzierung losgelöst von der BTHG-Reform stattfinden und sich diese somit ändern. Die Interessenverbände reagieren darauf kritisch und äußern ihre Sorgen. Sie nehmen eine gewisse Problematik in dieser Entwicklung wahr. Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung sind sich einig, dass an den „Entlastungsvorhaben konsequent“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 2) festgehalten werden sollte, da sich „eine beschränkte Gesetzgebungskompetenz der Länder […] gegen die Zielstellung des Beteiligungsprozesses […] [richtet], eine strukturelle Weiterentwicklung zu erreichen“ (ebd., S. 3). Ergänzt wird, dass Menschen mit Behinderung mit einer „erheblichen strukturellen Weiterentwicklung“ (ebd., S. 5) rechnen und dies ohne eine Entlastung der Kommunen nicht möglich sei. Es bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass diese fehlende Finanzierung zu einer „fachlich schlechteren Reform führen“ (ebd.) könnte. Abschließend wird auf die Umsetzungsverpflichtung der UN-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

BRK gepocht. Die Umsetzung sei im Koalitionsvertrag aufgeführt, daher solle ein sinnvolles Konzept für das BTHG vorgelegt werden. Dies könne nur durch die Finanzierung der Kommunen ermöglicht werden. Diese tragen die Hauptlast der finanziellen Umsetzung und sie müssten daher die Möglichkeit erhalten, „diesem Auftrag nachzukommen“ (ebd., S. 5). Anschließend wird die soziale Teilhabe (einschließlich Assistenzleistungen) besprochen. In der Diskussion über den Handlungsbedarf gibt es zwei verschiedene ‚Lager‘ bzw. eine Uneinigkeit zwischen den Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung: Die einen sprechen sich zukünftig gegen vollstationäre Einrichtungen aus (z. B. Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen) bzw. kritisieren diese scharf (z. B. Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener), die anderen betonen, dass die vollständige Abschaffung von stationären Einrichtungen problematisch sei (z. B. Bundesvereinigung der Landesarbeitsgemeinschaften der Werkstatträte; ebd., S. 9–11). Deutlich werden die unterschiedlichen Interessenslagen der Verbände von Menschen mit Behinderung: Zum einen gibt es Personengruppen, die sich von der stationären Unterbringung klar abgrenzen (Menschen mit körperlichen Behinderungen sowie Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen) und jene, die häufig ihren Lebensmittelpunkt in vollstationären Einrichtungen haben (Menschen mit geistiger Behinderung – Werkstattangehörige). Dieser Widerspruch wird in einem Interview thematisiert und beschreibt ebenso die Schwierigkeiten, die der DBR bei der Aushandlung dieser sehr unterschiedlichen Interessen innehat (Interview 8, Zeile 784–799). Die Interessenverbände betonen im Zuge der Diskussion um das ‚Poolen‘ von Leistungen18, dass diese Regelung unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt stehen müsse. Der Bundesverband der Lebenshilfe und die Konferenz der Fachverbände betonen, dass die Personenzentrierung dabei beachtet werden müsse. Der ISL ist es wichtig hervorzuheben, dass ein verbindlich festgelegtes ‚Poolen‘ ein Verstoß gegen die UN-BRK darstelle. Der SoVD ergänzt, dass es sich beim ‚Poolen‘ lediglich um ein „sozialrechtlichen Ausnahmefall“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 13) handeln dürfe und nur, wie bereits aufgeführt, unter Vorbehalt der Zustimmung der Betroffenen zu erfolgen hat (ebd.). Ein*e Interviewpartner*in berichtet ebenfalls über die oben aufgeführte Problematik zum Thema des ‚Poolens‘: „Aber […] sagen wir so, die Diskussionen sind ja eng im Zusammenhang mit […] der UN-Behindertenrechtskonvention eben erfolgt, und wir haben ja auch selber so sehr viel damit begründet, dass vieles, wenn man jetzt sagt, nein, zum Beispiel die 18  Zusammenlegung der Erbringung von Leistungen in der Freizeit von Menschen mit Behinderung.



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)111 Zusammenlegung von Leistung und das Poolen von Leistungen, also das gemeinsame Erbringen oder Erbringen von Leistung gemeinsam an mehrere Betroffene, da bestand dann die Befürchtung, dass dadurch der Einzelne halt […] in seiner Selbstbestimmung beschränkt wird, wenn er dann sich dem anschließen muss, was die meisten wollen. Ob das jetzt bei der Unterkunft oder […] bei der sozialen Teilhabe der Fall ist. Und so ein Punkt würde – ist zum Beispiel sehr stark – […] oder ist aus der UN-BRK herauslesbar, […] dass das nicht mit ihr vereinbar ist, denn da gibt es ja immer noch genügend andere Regelungen, wo man das so oder so auslegen kann, Spezialregelungen“ (Interview 4, Zeile 655–668).

Im Rahmen des Interviewausschnitts wird deutlich, dass auch diese Interviewperson eine Schwierigkeit in der Umsetzung der UN-BRK und dem ‚Poolen‘ sieht. Der*die Interviewpartner*in gehört dem Deutschen Behindertenrat an und stellt, wie bereits mehrfach betont, die menschenrechtliche Umsetzung des neuen Rechts in den Vordergrund der aufgeführten Argumente. Auch im Verlauf der AG-Sitzung wird deutlich, dass die Interessenverbände verstärkt mit der Umsetzung der UN-BRK argumentieren. Die UN-BRK stellt in ihren Diskussionsreaktionen den ‚Dreh-und-Angel-Punkt‘ dar: Die Konferenz der Fachverbände und der DBR sind sich einig, dass ein Rechtsanspruch auf eine vollständig bedürftigkeitsunabhängig erbrachte Fachleistung aus der UN-BRK hervorgehe und daher umzusetzen sei. Der DBSV betont, dass es sich hierbei um das „Herzstück der Reform“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 16) handele, gerade mit Blick auf die überschaubaren finanziellen Wirkungen und mit Fokus auf die UN-BRK. Der SoVD nimmt später in der Diskussion den Begriff „Herzstück“ (ebd., S. 18) erneut auf und betont, dass dies aus dem Blickwinkel der Politik durchaus im Bereich des Möglichen liegen sollte. Mit Hilfe der UN-BRK wird auch an dieser Stelle argumentiert, aber gleichzeitig wird die Finanzierbarkeit des Ganzen nicht aus den Augen gelassen. Die ISL äußert sich wiederholend zu dieser Thematik (ebd., S. 16, 17 u. 18): Betont wird, dass es ein Benachteiligungsverbot der UN-BRK gebe, „wonach Behinderungen nicht zu einem Armutsrisiko gemacht werden dürften und deshalb jedwede diskriminierende Inanspruchnahme von Einkommen und Vermögen ausgeschlossen sei“ (ebd., S. 17). Wie im Koalitionsvertrag festgehalten, soll eine Möglichkeit zur Einführung des Bundesteilhabegeldes geprüft werden. Hierüber wird daher zur Thematik pauschale Geldleistungen im Rahmen der vierten AG-Sitzung diskutiert. Eine Interviewperson hebt hervor, dass das Bundesteilhabegeld sehr heterogen und unterschiedlich von den Verbänden bewertet werde (Interview 7, Zeile 125–127) – was nachfolgend zum Ausdruck kommt. Die ISL und die Konferenz der Fachverbände für Menschen mit Behinderung sprechen sich für die Einführung eines Bundesteilhabegeldes aus, unterscheiden sich aber in den jeweiligen Voraussetzungen, wie man dieses Geld erhalten sollte (Konferenz der Fachverbände: volljährige Leistungsberechtigte der EGH; ISL: volljährige Menschen mit Behinderung, „unabhängig vom Bezug

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

von Leistungen der Eingliederungshilfe“; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 5). Eine Interviewperson betont, dass für einzelne Interessenverbände das Teilhabegeld ein „Allheilmittel“ (Interview 15, Zeile 436) gewesen sei, um Selbstbestimmung und Teilhabe zu verwirklichen. Doch die Verwirklichung, wie die Idee finanziell umgesetzt werden sollte, sei nicht durchdacht gewesen (Interview 15, Zeile 479–482). e) Fünfte Sitzung der AG BTHG An diesem AG-Tag (10. Dezember 2014) werden mögliche Änderungen im SGB IX thematisiert sowie auch das Leistungserbringungsrecht/Vertragsrecht. Im Zuge der Diskussion ergänzen sich die Interessenverbände in ihren Ausführungen, sie sind nicht gegen die Vorschläge der anderen DBRAkteur*innen. Sie verfolgen somit eine gemeinsame Strategie. Dies wird besonders deutlich bei der Diskussion um die Bundesarbeitsgemeinschaft der Rehabilitation (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014k, S. 8 ff.). Sie können durch ihr geschlossenes Auftreten und die aufeinander abgestimmten Reaktionen als eine Einheit wahrgenommen werden. Eine Inter­ view­ person (DBR-Mitglied) berichtet, dass es vor jeder AG-Sitzung eine Telefonkonferenz gegeben habe, um sich mit allen Teilnehmenden abzusprechen. Diese Vorabsprache sei besonders wichtig gewesen (Interview 7, Zeile 62–62), gerade mit Blick auf einzelne Thematiken (Interview 4, Zeile 191–194). Weiter führt eine andere Person aus, dass es dabei durchaus zu Konflikten unter den Verbänden gekommen sei (Interview 6, Zeile 655– 656). Doch diese Auseinandersetzung und der Austausch habe zu einer verbesserten Vernetzung der DBR-Verbände geführt (Interview 10, Zeile 230– 231). Diese Zusammenarbeit, die durchaus von Konflikten der Aushandlung untereinander belastet wird, kann einen wichtigen Hinweis auf die vorhandenen Machtressourcen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung geben (Organisationsmacht; Schmalz/Dörre, 2014). f) Sechste Sitzung der AG BTHG Dem Koalitionsvertrag folgend, besprechen die Akteur*innen in dieser Sitzung am 20. Januar 2015 die sogenannte ‚Große Lösung‘. So ist im Koalitionsvertag ist festgehalten: „Im Interesse von Kindern mit Behinderung und ihren Eltern sollen die Schnittstellen in den Leistungssystemen so überwunden werden, dass Leistungen möglichst aus einer Hand erfolgen können“ (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 78). Dies sei ein „schwieriges Feld“ (Interview 2, Zeile 156), so eine Interviewperson, da man stets zwischen verschiedenen Sozialgesetzbüchern stehe, und zwar zwischen Jugend- und Sozialhilfe (Interview 2, Zeile 157). Es sei immer fraglich, wer



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zuständig sei (Interview 2, Zeile 363). Auch wenn es sich um eine herausfordernde Thematik handelt, wird anhand der AG-Diskussion deutlich, dass die Verbände der Menschen mit Behinderung als eine gemeinsame Einheit auftreten und die Argumentationen gegenseitig bekräftigen. Auch hier ist die Nutzung von Machtressourcen (insbesondere die Organisationsmacht) zu erkennen: Die Zusammenarbeit der Akteur*innen und die Einigkeit, die sie nach außen vertreten, können ihnen helfen, ihre Interessen an die anderen Teilnehmenden deutlich zu transportieren. Eine Interviewperson betont, dass dieser Diskussionsprozess eine neue Wahrnehmungsebene für alle Teilnehmenden der AG eröffnet habe und benennt hierbei ein ‚Extrembeispiel‘ zur Verdeutlichung: „Wenn ein Vertreter des Finanzministeriums neben der Vertreterin der Werkstatträte sitzt und wirklich zuhört, was die sagt, ist das ziemlich ungewöhnlich. Und umgekehrt ist es auch so“ (Interview 14, Zeile 74–76). Durch diesen Austausch können Meinungen und Ansichten untereinander gut transportiert und verdeutlicht werden. Bei einer weiteren Diskussion an diesem AG-Tag zur inklusiven Bildung und Hochschulbildung werden allerdings wieder die unterschiedlichen Blickwinkel der einzelnen DBR-Verbände deutlich. Hier sind drei verschiedene ‚Lager‘ zu erkennen. Die einen, die der klaren Überzeugung sind, dass die Doppelstrukturen im Bildungssystem (Förderschule und allgemeinbildende Schulen) ausgedient haben und daher – auch mit Blick auf die UN-BRK – abzuschaffen sind (ISL, ABiD, bvkm) sowie auf der anderen Seite die Verbände, die sich dazu nicht explizit äußern (DBSV, SoVD, BAG Selbsthilfe) und diejenigen, die der Meinung sind, dass das bestehende System durchaus auch inklusive Bildung sichere (Lebenshilfe) (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015a, S. 13 ff.). Diese ‚Lager‘ verfolgen deutlich ihre eigenen Interessen: Beispielsweise vertritt die Lebenshilfe hauptsächlich advokatorisch die Interessen von Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen – Personen, die häufig (in den meisten Bundesländern) Förderschulen mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung besuchen. Die ISL und der ABiD vertreten schwerpunktmäßig die Interessen von Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Die Selbstbestimmung steht im Zentrum dieser Verbände (Köbsell, 2012, S. 68). Es handelt sich demnach um die Interessenvertretung von Personen, die selbstbestimmt artikulieren können, was sie möchten und auch, was sie nicht möchten (beispielsweise eine Förderschule für körperliche und motorische Entwicklung zu besuchen). Der SoVD, welcher die Interessen „der gesetzlich Rentenversicherten, der gesetzlich Krankenversicherten sowie der pflegebedürftigen und behinderten Menschen gegenüber der Politik“ (SoVD, o. J.) vertritt, hat einen allgemeineren Schwerpunkt was die schulische Bildung von Menschen mit Behinderung betrifft, und bezieht daher keine klar geäußerte Stellung zu diesem Thema (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015a, S. 13 ff.).

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g) Siebte Sitzung der AG BTHG Die siebte Sitzung am 19. Februar 2015 setzt sich u. a. mit dem Thema der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV im SGB V), der häuslichen Krankenpflege, der Soziotherapie und der Versorgung mit Hilfsmitteln (z. B. Hörhilfen, orthopädische Hilfsmittel etc.) auseinander. Diese drei Teilhabeleistungen weisen jeweils eine problematische Schnittstelle zur GKV auf und werden daher im Rahmen der AG thematisiert. Verschiedene Interessenverbände (bvkm, Lebenshilfe, SoVD, Konferenz der Fachverbände) sprechen sich bei der Diskussion zur häuslichen Krankenpflege zu einer Änderung des § 37 SGB V aus, welche vorsieht: „Es wird gesetzlich geregelt, dass häusliche Krankenpflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen vorrangig gegenüber den Leistungen anderer Leistungsträger erbracht wird“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015, S. 8). Geschlossen spricht sich der DBR anschließend gegen alle vorgeschlagenen Handlungsoptionen zum Thema Hilfsmittelversorgung aus. Diese klare Abneigung der Handlungsoptionen wird nicht weiter ausgeführt, nur, dass ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestehe. Die Konferenz der Fachverbände begründet, dass diese Optionen die bestehenden Probleme nicht lösen werden. „Wichtig sei, dass unklare Zuständigkeiten nicht die zeitnahe Bedarfsdeckung der Betroffenen gefährden“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015b, S. 11). h) Achte Sitzung der AG BTHG und Stellungnahmen Die achte Sitzung der AG BTHG befasst sich mit der Finanzierung des BTHG – spezifischer: Mit der kommunalen Entlastung, der finanziellen Auswirkung und der Gegenfinanzierung der Leistungsverbesserung. Es entsteht eine Diskussion über die im Koalitionsvertrag versprochene Entlastung der Kommunen und die neue Planung, die durch das SchäubleScholz-Papier (s. fünfte Sitzung) entstanden ist. Es zeichnet sich ab, dass die ursprünglich geplante Finanzierung in dieser Form nicht umgesetzt wird und stattdessen dem Vorschlag des Schäuble-Scholz-Papiers gefolgt wird. Im Interview berichtet eine Person, dass mit dem Thema Finanzierung eine „entscheidende Sache passiert“ (Interview 2, Zeile 448) sei, indem durch das fehlende Geld die Kommunen ein sinkendes Interesse an der Reform haben. Mit dieser neuen „Dynamik stockte dann eigentlich auch der Beteiligungsprozess, der jetzt so richtig hätte kommen müssen“ (Interview 2, Zeile 455– 457), ein „entscheidender Einschnitt“ (Interview 2, Zeile 878–879) in dem gesamten Reformprozess. Eine andere Interviewperson spricht von einem „schwierigen Moment“ (Interview 16, Zeile 397), als die finanzielle Bewertung der Reformvorschläge ansteht. Diese Verkündung habe zu einer Ernüch-



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terung auf Seiten der Interessenverbände geführt und habe ihre Begeisterung deutlich gebremst. Dieser Moment im Rahmen des Prozesses habe auch dazu beigetragen, dass das Bundesteilhabegeld von Seiten des Ministeriums nicht weiterverfolgt wird (Interview 16, Zeile 404–421) – dies ist auch den Interessenverbänden bewusst (Interview 6, Zeile 285–290). Diese Pläne werden im Rahmen der AG BTHG, wie von den Interviewpartner*innen beschrieben, mit großer Kritik aufgenommen. Der VdK versucht sachlich zu argumentieren und hebt hervor, dass „in den vorangegangenen Sitzungen [festgestellt worden sei] […], dass es erheblichen Reformbedarf gebe“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 4) und sich Deutschland mit der Ratifizierung der UN-BRK verpflichtet habe, diese in nationales Recht zu implementieren. Der VdK versucht zum einen mit der rechtlichen Verpflichtung (UN-BRK) zu argumentieren. Zum anderen geht der VdK auf die ‚emotionale Ebene‘ und bezieht auch Menschen mit Behinderung („mit schweren Einzelschicksalen“) und ihre Angehörige ein, welche „die dringend notwendige Reform erwarten“ (ebd.). Der DBSV argumentiert ebenfalls mit der UN-BRK, diese „müsse umgesetzt werden“ (ebd., S. 5), wobei der Verband sich nun die Frage stellt, wie dies finanziell umzusetzen sei. Der DBSV wirkt ‚gekränkt‘ und enttäuscht, was durch den Satz: „Diese Nachricht vor Abschluss des Beteiligungsprozesses zu übermitteln zeuge von einem schlechten Politikstil und führe zu einem Glaubwürdigkeitsverlust“ (ebd.) zum Ausdruck kommt. Die ISL nimmt die Worte des DBSV auf und betont, dass die Regierung ein „Glaubwürdigkeitsproblem“ (ebd., S. 7) erhalte, wenn der Koalitionsvertrag in der Form ‚gebrochen‘ werde. Auch dieser Aussage merkt man die Enttäuschung des Verbandes an. Die ISL kritisiert abschließend, dass die Menschenrechte „nicht unter Kostenvorbehalt gestellt werden“ (ebd.) dürfen. Ebenso enttäuscht zeigt sich die Konferenz der Fachverbände für Menschen mit Behinderung. Diese betont, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen sei, dass es durchaus Leistungsverbesserung geben werde, trotz der Zielsetzung „keine neue Ausgabendynamik“ (ebd., S. 8) zu erzeugen. Abschließend hebt der SoVD hervor, dass gerade diese kommunale Entlastung bis dato die „antreibende Prozesskomponente“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 8) gewesen sei. Kritisch wird zusammengefasst: „Wenn diese Komponente nun wegfalle, bestehe die Gefahr, dass die ‚Fliehkräfte‘ größer werden. Er sieht die Gefahr, dass nun nur noch die Reformelemente umgesetzt werden, die bisher von Seiten des DBR eher notgedrungen mitgetragen wurden, um Leistungsverbesserungen zu generieren; die Leistungsverbesserungen selbst aber auf der Strecke bleiben“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 8).

Mit diesem Zitat wird deutlich, dass der DBR bereits Kompromisse bei den AG-Sitzungen eingegangen ist und diese lediglich mit Widerwillen mit-

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getragen werden. Erwartete (oder vielmehr erhoffte) Leistungsverbesserungen seien nun in Gefahr, nicht umgesetzt zu werden. Die meisten der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung argumentieren, wie aufgezeigt, mit Hilfe der UN-BRK und der Verpflichtung, die die Bundesrepublik damit eingegangen ist. Bezeichnend ist auch, dass die Betroffenenverbände der Selbsthilfe (ISL, DBSV) emotionaler argumentieren – vielleicht aufgrund ihrer eigenen Betroffenheit. Im Rahmen eines Interviews wird das Thema – die Emotionalität (s. auch Schiffers, 2019, S. 227 ff.) – ebenso angesprochen. So wird bedauert, dass die Selbsthilfeverbände und andere Akteur*innen „nachher nicht mehr vernünftig miteinander“ (Interview 13, Zeile 906–907) haben reden können, da „das so emotional aufgeladen“ (Interview 13, Zeile 907) gewesen sei. Es wird zwar nicht benannt, dass die eigene Betroffenheit mit der Emotionalität im Zusammenhang steht, doch lässt die Bemerkung der ‚Aufgeladenheit‘ dies vermuten. Eine weitere Interviewperson schätzt die Beteiligung Selbstbetroffener, sieht aber auch die daraus resultierenden Probleme. Durch die Selbstbetroffenheit sei die Fachlichkeit eingeschränkt (Interview 7, Zeile 98–101). Unter der eingeschränkten Fachlichkeit könnte, so die Vermutung an dieser Stelle, zum einen die fehlende Distanziertheit zum Anliegen oder zum anderen die fehlenden theoretischen und rechtlichen Kenntnisse über bestimmte Thematiken gemeint sein. Dem hält eine andere Interviewperson entgegen, dass gerade eben diese eigene Betroffenheit dazu geführt habe, dass die Verbände der Menschen mit Behinderung ihre Forderungen intensiv und gerechtfertigt vorbringen können (Interview 14, Zeile 307–310). Windisch (2011) beschreibt ebenfalls diese von den Interviewpartner*innen wahrgenommenen Vor- und Nachteile. Gerade institutionelle Akteur*innen, so Windisch, nehmen die Beteiligungsmöglichkeiten von Externen eher als störend wahr. Begründet wird diese negative Sichtweise damit, dass Debatten länger anhalten können oder die Entscheidungsmacht eingeschränkt wird. Weiter wird aufgeführt, dass die Vermehrung von eher nebensächlichen Verhandlungen, Mehraufwand durch fehlende Verfahrenskenntnisse der beteiligten Akteur*innen, das Blockieren von Entscheidung oder die „Unzufriedenheit bei der Zielerreichung aufgrund der vielfältigsten Wünsche und Bedürfnisse, die niemals alle zu befriedigen sind“ (ebd., S. 231) negativ wahrgenommen werden. Diese Wünsche können nun, „im Gegensatz zu früher[,] jetzt aber laut und offen artikuliert werden“ (ebd.). Diese Artikulation nimmt Interviewperson 13 als emotional wahr, aufgrund der Selbstbetroffenheit der Akteur*innen. Andere Akteur*innen sehen eher positive Seiten in der Beteiligung, welche auch Windisch beschreibt. Er betont, dass durch das „alternative Denken der Betroffenen“ (ebd., S. 232) das verwaltungsrechtliche Entscheidungsverfahren ergänzt und aufgewertet werden kann – also ein Mehrwert für den Gesetzgeber sein kann (ebd.).



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Infolge der achten AG-Sitzung werden zeitnah verschiedene Stellungnahmen veröffentlicht und Demonstrationen durchgeführt, welche sich auf die Finanzierung des BTHG beziehen. Die Interessenverbände reagieren auf das Schäuble-Scholz-Papier und erhoffen sich mit ihrem Vorgehen, die Gesellschaft und die politische Ebene auf ihre Sichtweise aufmerksam zu machen. Mit diesen Reaktionen wird die Unzufriedenheit der Interessenverbände mit der veränderten Finanzierung deutlich. Die folgenden Stellungnahmen zeigen die emotionale Betroffenheit der Akteur*innen auf. Am 13.03.2015 veröffentlicht Ottmar Miles-Paul auf ‚Teilhabegesetz.org‘ eine Stellungnahme von Sigrid Arnade (ISL), in der sie betont, dass dem sonst so positiv wahrgenommenen Prozess durch die geänderte Finanzierung die „inhaltlichen Zähne“ (Miles-Paul, 2015c) gezogen werden. Ihre Enttäuschung wird mit dem Satz: „Die Worte von gestern und die im Koalitionsvertrag verhandelten Ziele scheinen für die FinanzpolitikerInnen der Regierungskoalition nichts mehr wert zu sein“ (ebd.) ausgedrückt. Diese Entscheidung sei ein „Schlag ins Gesicht der SozialpolitikerInnen“ (ebd.). Ohne die geplanten fünf Milliarden Euro sei es nicht möglich, das geforderte Teilhabegeld im neuen Recht zu implementieren oder die Anrechnung auf Einkommen und Vermögen abzuschaffen. Der erwartete „große Sprung“ (ebd.) werde zu einem „kleinen Hüpfer“ (ebd.). Es wird mit verschiedenen Metaphern (‚Zähne ziehen‘, ‚Schlag ins Gesicht‘, ‚Öffnung der Türen‘, ‚kleiner Hüpfer‘) gearbeitet, um die empfundene Enttäuschung zu verbildlichen. Auch der DBSV (2015) übt Kritik an der Entscheidung und bezeichnet das BTHG als „Feigenblatt der Regierung“ (DBSV e. V., 2015). Das von dem Verband geforderte Bundesteilhabegeld sei ohne die Möglichkeit der fünf Milliarden Euro nicht umsetzbar und somit werde dieses Gesetz „ohne finanziellen Spielraum […] maximal eine Schmalspur-Teilhabe ermöglichen“ (ebd.). Das Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz e. V. (NITSA) äußert sich ebenfalls enttäuscht, gekränkt und betroffen über die Änderungen. Die Mitglieder formulieren einen offenen Brief an den damaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, einen der Namensgeber des sogenannten Schäuble-Scholz-Papieres. So wird betont, dass Menschen mit Behinderung durch diese Änderungen „das absolute Gegenteil von Respekt“ (NITSA e. V., 2015, S. 1) entgegen gebracht werde. Behinderungsspezifisch werden anschließend die Auswirkungen der Finanzplanung für Menschen mit Assistenzbedarf aufgezählt (z. B. Leben in Altenpflegeeinrichtungen junger Menschen, Verweigerung der Grund- und Menschenrechte). Plakatierend wird beschrieben: „Seit zwei Generationen werden Menschen mit Behinderungen um ihre Lebensplanung und -gestaltung betrogen. Das Bundesteilhabegesetz hätte daran endlich etwas ändern können, doch die finanzielle Entlastung der Kommunen ist das Einzige, was zählt“ (ebd.). Das Wort des ‚Betrogen-Seins‘, zeigt die Enttäuschung des Verbandes auf. Die Selbstbe-

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troffenheit der Verfasser*innen hebt das gesamte Schreiben auf eine emotionale Ebene und eine schärfere Wortwahl. Es wird versucht, Wolfgang Schäuble als einen Politiker mit Behinderung persönlich anzusprechen („[…] aber sollten wir nicht annehmen können, dass gerade Sie eine vage Vorstellung davon haben, was Menschen mit Assistenzbedarf benötigen, um aktiv und erfolgreich in dieser Gesellschaft teilhaben zu können?“, ebd., S. 2) und der Verband tritt damit sehr nah an ihn persönlich heran. NITSA verweist auf unausgewogene Machtverhältnisse: „Schließlich ist es immer wieder die gleiche Allianz der Kostenträger, die hinter den Kulissen die Strippen zieht“ (ebd.) und bezieht sich damit auf den Deutschen Landkreistag. Weiter heißt es, dass der Bundesfinanzminister in Verantwortung für alle beteiligten Akteur*innen stehe und nicht nur eine Verantwortung gegenüber dem Deutschen Landkreistag habe (ebd.). NITSA wirkt darüber verärgert, spricht ein relevantes Thema, noch vor Beginn des Reformprozesses an, und stellt in Frage, welche*r Akteur*in während des gesamten Gesetzgebungsprozesses seine*ihre Interessen am intensivsten durchzusetzen weiß. Eine weitere Reaktion auf die achte Sitzung der AG stellt eine Aktion des Netzwerks Artikel 3 dar. In einem Aktionsaufruf werden verschiedene Problematiken aufgeführt, welche mit gleichbleibender Finanzierung nicht zu ändern sind. Dazu gehöre es, dass weiterhin das Einkommen und Vermögen angerechnet werden, auch das der Partner*innen und Angehörigen; dass ohne Bundesteilhabegeld weiterhin die Selbstbestimmung eingeschränkt werde sowie, dass die Menschenrechte weiterhin nicht umgesetzt werden könnten (Miles-Paul, 2015a). Letztendlich nehmen, nach Aussagen der ISL, „rund 200 Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und aus verschiedenen Verbänden am Bundeskanzleramt in Berlin gegen die Verlagerung von Haushaltsmitteln aus dem Sozialbereich heraus“ (ISL e. V., 2015) an der Aktion teil. Zwischen der Veröffentlichung des Aktionsaufrufes und der Durchsetzung dieser Aktion liegt lediglich ein Tag – die Aktivierung der Mitglieder erfolgt demnach zügig und ohne Umschweife (Organisationsmacht; Schmalz/ Dörre, 2014). Die zeitnahe Aktivierung durch Beteiligung macht den Unmut der Betroffenen deutlich. Herauszulesen sind den Forderungen des Netzwerks Artikel 3, dass für eine bestimmte Gruppe der Menschen mit Behinderung das Thema der geänderten Finanzierung als besonders wichtig eingestuft wird. Die aufgeführten Problematiken des Aktionsaufrufes verdeutlichen, dass diese Thematik nicht für alle Betroffenen – der Gruppe der Menschen mit Behinderung als Ganzes – gleichermaßen relevant zu sein scheint. Die Anrechnung von Einkommen und Vermögen, das Bundesteilhabegeld und die UN-BRK sind eng mit der selbstbestimmten Lebensführung verbunden. Demnach umfassen die Forderungen das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderung, die selbstbefähigt ihr Leben führen können. Dies beinhaltet allerdings nicht



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Menschen, die beispielsweise aufgrund einer Schwerstmehrfachbehinderung bettlägerig sind und sich dazu nicht äußern können. Ein paar Tage später (22.03.2015) geht der Gehörlosenbund unter dem Motto „Versprochen ist Versprochen … Keine Haushaltstricks auf Kosten der Teilhabe behinderter Menschen“ (Miles-Paul, 2015c) auf die Straße. Auch dieser Protest stellt eine Reaktion auf das Schäuble-Scholz-Papier dar. Hieran nehmen nicht nur Menschen teil, die gehörlos sind, sondern auch weitere Unterstützer*innen, wie die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung (Verena Bentele), die ISL und der ABiD. Insgesamt sind 150 Menschen vor Ort (ebd.). Durch die verschiedenen Beteiligten wird deutlich, dass die Veränderungen, die durch die neue Finanzierung entstehen könnten, die Menschen mit Behinderung und ihre Unterstützer*innen verunsichern und enttäuscht. Eine anwesende Person fordert die Protestbeteiligten dazu auf, sich zu vernetzen und „das große gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren“ (Miles-Paul, 2015f). Diese Aufforderung zeigt, dass die Verbände der Menschen mit Behinderung die Bündelung von Interessen als Vorgehen der Interessendurchsetzung für sich erkannt haben (Kooperationsmacht; Schmalz et al., 2013). i) Neunte Sitzung der AG BTHG Im Rahmen der neunten AG-Sitzung am 14. April 2015 werden abschließende Themen besprochen. Ein Fokus wird an dieser Stelle auf die Abschlussrunde der AG BTHG gerichtet, in der jede*r Akteur*in die Möglichkeit erhält zentrale Forderungen, welche zum Teil behinderungs-/verbandsspezifisch sind, aufzuführen: • LAG Werkstatträte: Sie fordern einen strukturierten Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, Rückkehrrechte für ehemalige Werkstattbeschäftigte sowie keine Kostenverlagerung zu Lasten der Werkstattbeschäftigten. • SoVD: Der SoVD fordert die Unabhängigkeit von Einkommen und Vermögen sowie ein bundeseinheitliches Verfahren der Bedarfsermittlung, die Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsleben sowie die unabhängige Beratung zu initiieren. • VdK: Der VdK erwartet die Sicherstellung der Finanzierung für Leistungsverbesserungen. • Lebenshilfe: Sie fordert, Leistungen unabhängig vom Wohnort zu erbringen. • ISL: Gefordert wird die Unabhängigkeit der Einkommens- und Vermögensanrechnung für Betroffene sowie eine unabhängige Beratung (PeerCounseling).

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•• DBSV: Es wird eine einheitliche Bedarfsfeststellung erwartet sowie Instrumentarien für die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszubauen. Auch die Rückkehrrechte ehemaliger Werkstattbeschäftigter sollten verbessert werden. Das Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben soll ausgebaut werden und auch für Menschen ermöglicht werden, „die bisher durch die Definition des Mindestmaßes an wirtschaftlich verwertbarerer Arbeit ausgeschlossen wurden“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015d, S. 19). •• ABiD: Der ABiD fordert, die Selbstbestimmung der Betroffenen zu fördern (ebd., S. 18 ff.). j) Nach Beendigung der AG BTHG Am gleichen Tag (14. April 2015) und im Anschluss an die letzte Sitzung der AG BTHG veröffentlicht der Blinden- und Sehbehindertenverein Hamburg e. V. (BSVH) eine Pressemitteilung, in der er sich kritisch über die am 18. März getroffene Entscheidung des Kabinetts äußert, dass die Kommunen anders entlastet werden sollen als ursprünglich geplant. „Dem Gesetzesvorhaben fehlt damit ein entscheidender Baustein zur Umsetzung“ (bsvh, 2015), so der Verein. Es wird ein Zitat von Andreas Bethke (Geschäftsführer des DBSV) aufgeführt, welcher betont, dass Teilhabe mit fehlenden Finanzmitteln nicht umzusetzen sei und dass das Finanzministerium dafür Sorge zu tragen habe, dass die Gelder zur Verfügung gestellt werden (ebd.). Für die beiden Vereine ist ein erfolgreiches Bundesteilhabegesetz offenbar nur möglich, wenn die ursprünglich geplanten finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Die Reaktionen über die geänderte Finanzierung lassen nach der Stellungnahme des BSVH nach, stattdessen wird sich in den darauffolgenden Monaten in den Stellungnahmen allgemeineren Themen gewidmet und zum Teil behinderungsspezifische Forderungen formuliert. Diese Stellungnahmen reagieren nicht direkt auf Geschehnisse, sondern möchten vielmehr an die jeweiligen Forderungen erinnern und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf ihre Anliegen aufmerksam machen, welches sich zu diesem Zeitpunkt zum Formulieren des Gesetzesentwurfes zurückgezogen hat: So werden im Juni 2015 auf der Homepage ‚Teilhabegesetz.org‘ die Forderungen des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) aufgeführt. Das FbJJ nimmt die Leistungen der sozialen Teilhabe in den Blick und fordert, dass diese aus dem Fürsorgesystem herausgelöst und im SGB IX, Teil 1 zu integrieren sind. Weitere Themenbereiche, die ihrer Meinung nach im neuen Gesetz zu ändern sind, sind u. a. das Bedarfsfeststellungsverfahren, die Bedürftigkeits(un-)abhängigkeit, Beratung (wahrscheinlich ist damit die un-



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abhängige Teilhabeberatung gemeint) und die Persönliche Assistenz (MilesPaul, 2015b). Bei diesen kurz aufgeführten Interessen steht das selbstbestimmte Leben im Mittelpunkt der Forderungen, es wird somit indirekt mit der UN-BRK argumentiert. Zur gleichen Zeit erscheint eine Stellungnahme eines Bündnisses zwischen dem Deutschen Behindertenrat, dem Deutschen Studentenwerk, der Hochschulrektorenkonferenz sowie dem Deutschen Gewerkschaftsbund. Wie durch die Zusammensetzung der Akteur*innen zu erwarten, befasst sich dieses Dokument mit dem Studium von Menschen mit Behinderung. Jede einzelne Forderung ist zwar sehr spezifisch auf den Bereich der Hochschule konzentriert (finanzielle Hilfen, die unabhängig von Einkommen und Vermögen zu erbringen sind sowie Assistenz und Unterstützung bei dem Besuch der Hochschule seien erforderlich; Deutscher Behindertenrat et al., 2015), doch sind diese Forderungen auch in anderen allgemeiner formulierten Stellungnahmen oder in Bezug auf andere Gruppen von Menschen mit Behinderung wiederzufinden (s. bsvh, 2015; Miles-Paul, 2015b). Dieses Bündnis macht jedoch deutlich, dass die Zusammenarbeit unter verschiedenen starken Akteur*innen relevant sein kann, um thematisch Schwerpunkte zu setzen und gemeinsam auf spezielle Aspekte aufmerksam zu machen (Kooperationsmacht; Schmalz et al., 2013). Auf der Kampagnen-Homepage ‚Teilhabgesetz.org‘ werden im August 2015 die Forderungen dieser Kampagne erneut festgehalten. Diese sind deutlich fokussierter als der Forderungskatalog am Anfang des Kapitels E.IV.1. Die Akteur*innen erwarten, neben bereits bekannten Forderungen (Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, Schaffung eines Bundesteilhabegeldes), auch eine Öffnung von „Sonderwelten“ (Miles-Paul, 2015e). Die Existenz der Vermögens- und Einkommensanrechnung und die sogenannten ‚Sonderwelten‘ seien nicht mit der UN-BRK vereinbar. Daneben werden die bundesweit unterschiedlichen Regelungen des Blindengeldes thematisiert und aufgeführt, wie weit die finanzielle Unterstützung innerhalb Deutschlands auseinander gehe. Anhand eines Beispiels wird die individuelle Lebenslage von Menschen mit Behinderung verdeutlicht (Miles-Paul, 2015e). Dies gehört zu einer der Taktiken, die zumindest einzelne der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Rahmen des Reformprozesses genutzt haben: „Weil das ist so ein kompliziertes Gesetz, dass wir halt auch gesagt haben – also in unserem Bereich haben wir dann gesagt, […] wir müssen es am Beispiel verständlich machen“ (Interview 6, Zeile 604–607). Die Interessenverbände gehen somit gezielt in ihrem Lobbying vor. Ähnliche Forderungen formuliert auch die ISL im Rahmen einer Mitgliederversammlung. Die Forderungen sind an den menschenrechtlichen Stichworten Selbstbestimmung und Teilhabe orientiert (Miles-Paul, 2015d). Dabei

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handelt es sich um Forderungen, die für den Verband als behinderungs-/verbandsspezifisch zu bezeichnen sind. Im September 2015 erarbeitet die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Nordrhein-Westfalen (LAG WR NRW) gemeinsame „Kölner Forderungen“ (Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Nordrhein-Westfalen, 2015). Diese sind zum Teil umgangssprachlich und plakativ formuliert, bilden aber deutlich ab, was die Werkstatträte von einem neuen Gesetz erwarten. Die Werkstatträte, welche sich aus Beschäftigten der Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammensetzen, sprechen sich für den Beibehalt der Werkstätten aus (ebd.). Sie haben demnach einen anderen Blick darauf als einzelne Interessenverbände, die sich für die Abschaffung der „Sonderwelten“ (s. Miles-Paul, 2015d) aussprechen. Den allgemeinen Arbeitsmarkt haben die Werkstatträte aber ebenfalls im Blick, wenn auch mit dem Ziel, das Rückkehrrecht in WfbM zu stärken (s. Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Nordrhein-Westfalen, 2015). k) ‚Verbündete‘ Als Reaktion auf die geänderte Finanzierung veröffentlicht der SoVD am 16. März 2015 eine Pressemitteilung, in der dieser vor einem Scheitern der Reform warnt. Sofern die „erforderlichen Gelder“ (SoVD, 2015) nicht zur Verfügung stehen, ende das „zentrale Reformvorhaben bevor es begonnen“ (ebd.) habe. Im Zuge dessen werden drei fokussierte Forderungen formuliert: die EGH müsste aus dem Fürsorgesystem herausgelöst werden, unabhängige Beratung sollte ermöglicht werden und zudem müssten Leistungen unabhängig von Einkommen und Vermögen möglich sein (ebd.). Die Forderungen des SoVD sind sehr präzise. Der Verband geht somit weniger emotional mit der Veränderung der Finanzierung um als die Betroffenenverbände (s. oben). Die Auflistung der SoVD-Forderungen entspricht einem ‚Onepager‘, der kurzen Darstellung von Forderungen im Rahmen des Lobbyings (Wehrmann, 2007, S. 46). l) Individuelle Bewertung der Interviewpartner*innen über die AG-Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderung Doch wie nehmen die verschiedenen Interviewpartner*innen die Durchführung der AG BTHG wahr? Dem wird sich in diesem Teilkapitel gewidmet: Rückblickend beschreiben die Interviewpartner*innen die AG-Durchführung recht positiv. Die Vorab-Beteiligung sei bis dahin im Bereich der Sozialpolitik und in diesem Ausmaß die erste dieser Art gewesen, so ver-



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schiedene Interviewpersonen (Interview 14, Zeile 40–44; Interview 17, Zeile 22–24), gerade mit Blick auf die Beteiligungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderung (Interview 5, Zeile 286–288; Interview 10, Zeile 254– 258). Es sei ein kommunikativer Prozess gewesen und nicht, wie ‚normale‘ Reformprozesse, schriftliche Verfahren durch Stellungnahmen von Stakeholdern (Interview 14, Zeile 67–70) oder die Teilnahme an Anhörungen (Interview 4, Zeile 96). Durch diese kommunikative Form sei es möglich, den Akteur*innen untereinander verschiedene Sichtweisen zu verdeutlichen (Interview 14, Zeile 70–72). Es handelt sich demnach um Begegnungen auf Augenhöhe. Dafür, dass dieser Prozess vorher nicht ‚geübt‘ worden sei, so Interviewperson 14, sei der Prozess gut gelungen (Interview 14, Zeile 178– 179). Auch Interviewpersonen 5 und 10 betonen, dass die Beteiligung im Rahmen der AG außergewöhnlich und eine gute Möglichkeit gewesen sei, sich einzubringen und auszutauschen (Interview 5, Zeile 266–275; Interview 10, Zeile 511–513). Der Austausch habe zu einem Wechsel der Perspektiven geführt, so Interviewperson 14: „Und am Ende finde ich, es lohnt sich aber, weil ein Perspektivwechsel, über den man ja in der Politik so gerne redet, eben nur möglich ist, wenn ich auch wirklich die Perspektive wechsele tatsächlich“ (Interview 14, Zeile 195–198). Die Teilnahme an der AG ist, so Interviewperson 4, „auf jeden Fall […] weitaus mehr […], als man bis dahin gewohnt war“ (Interview 4, Zeile 106– 107) – auch hier wird deutlich, dass die AG-Einbindung eine bis dahin neue Beteiligungsform darstellt. Weitere Interviewpartner*innen schließen sich der Meinung an, dass das Beteiligungsverfahren ein gutes gewesen ist und neue Maßstäbe gesetzt hat (s. Interview 2, 6, 7, 8, 10 und 11). Das wird auch deutlich, wenn man auf die vier verschiedenen Typologien eines dialogischen Beteiligungsverfahren nach Kersting (2008a) blickt. Diese Beteiligungsmöglichkeiten umfassen: (1) Hearing (z.  B. in einem Ausschuss): gewählte Politiker*innen und NGOs – den Vorsitz haben dabei Politiker*innen. (2) Beirat (z. B. Behindertenbeirat): gewählte Politiker*innen und NGOs – den Vorsitz haben dabei die Interessenvertretungen. (3) Jury (z. B. Citizen Jury): repräsentative Stichprobe einzelner Akteur*innen (Politiker*innen und NGOs sind exkludiert) – den Vorsitz hat ein*e Mode­rator*in. (4) Forum (z.  B. World Café): offener Zugang für verschiedene Akteur*innen – den Vorsitz hat ein*e Moderator*in (Kersting, 2008a, S. 277). Die Unterteilungen zeigen, dass der vorgelagerte Beteiligungsprozess des BTHG keiner dieser Typologien zugeordnet werden kann. Die neun Treffen dieser AG gehen beispielsweise über eine ‚normale‘ einmalige Anhörung

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hinaus (durch einen Ausschluss von Politiker*innen, die Diskussionsmöglichkeit und mehrmalige Treffen). Die Einschätzung der Interviewpartner*innen, dass es eine solche Art des Beteiligungsverfahrens bis dahin nicht gegeben hat, lässt sich hiermit bekräftigen. Eine Weiterentwicklung bzw. Erweiterung19 der Typologien nach Kersting kann wie folgt beschrieben werden: (5) Arbeitsgruppe: mehrmalige Zusammenkünfte verschiedener Akteur*innen mit offener Diskussionsgrundlage, allerdings ohne Entscheidungsrechte – den Vorsitz hat ein Ministerium. Der Leitspruch des Koalitionsvertrages (‚Nichts über uns ohne uns‘) wird, so Interviewpartner*in 16, umgesetzt (Interview 16, Zeile 262–264). Der*die Interviewpartner*in 11 hebt hervor, dass es sich um keine „Show-Veranstaltung“ und „kein Feigenblatt“ (Interview 11, Zeile 393 u. 395) gehandelt habe, sondern eine ernst zu nehmende Einbindung von Seiten des Ministeriums (Interview 11, Zeile 395–399), demnach ein „ernsthaftes Ansinnen“ (Interview 11, Zeile 443). Nach Aussage dieser Interviewperson hätten einzelne Verbände im Nachhinein bestätigt, dass sie an dieser Form der Einbindung erneut teilnehmen würden (Interview 11, Zeile 446–449): „Wir würden einiges anders machen, aber den Prozess […] dieser auch breiten Debatte, das würden sie in jedem Fall noch mal machen“ (Interview 11, Zeile 451– 453). Gerade durch eine gute Moderation der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Lösekrug-Möller sei eine faire Beteiligung im Rahmen der AG möglich gewesen (Interview 2, Zeile 443; Interview 15, Zeile 49–50), denn „da saßen 40, 45 Menschen, alles Personen, die wichtige Organisationen repräsentierten und die gewohnt waren, gewohnt sind, ihre Meinung sehr prägnant deutlich zu machen und mit ausufernden Reden darzulegen. Und nicht immer die ausreichende Sensibilität haben, auch auf Einwendungen anderer freundlich und aufmerksam einzugehen“ (Interview 5, Zeile 339–343). Das Zitat verdeutlicht einmal mehr, dass an der AG unterschiedlich starke Akteur*innen beteiligt sind, die es aufgrund ihrer jeweiligen Rolle gewohnt sind, in solchen Runden ihre Meinungen vorzubringen. Daher stellt eine klare Strukturierung der AG ein sinnvolles Vorgehen dar, sodass alle Beteiligten zu Wort kommen können (Interview 9, Zeile 30). Die verschiedenen Positionen können einander deutlich kommuniziert, gehört und angemessen diskutiert werden, so Interviewperson 11 (Interview 11, Zeile 427–435) und zwar partizipativ, wertschätzend und zeitlich intensiv (ebd., Zeile 968–970). Im Rahmen dieses Interviews betont die Gesprächsperson, dass der prälegislative Reformprozess „einer der großartigsten Prozesse“ (ebd., Zeile 956) seit vielen Jahren gewesen sei, da dieser sehr beteiligungsorientiert gewesen sei, ohne große „Show“ (ebd., Zeile 959). Nicht nur diese Interviewperson nimmt 19  Aufgrund der Nachahmung des AG BTHG-Prozesses in anderen Reform-Dialogverfahren (s. unten).



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die Durchführung der AG als erfolgreiches und sinnvolles Instrument des Austausches wahr, sondern auch der Gesetzgeber: Zwei Gesprächspartner*innen erwähnen im Rahmen der Interviews (s. Interview 3 und 13) und eine Person im Nachgang des Gespräches (s. dazu Postskript Interview 7), dass im Rahmen anderer Reformprozesse der vorgelagerte Beteiligungsprozess des BTHG ‚nachgeahmt‘ werde: „ich hatte angesprochen BMJ20, den Dialogprozess Betreuungsrecht. Aber Sie haben recht, BMFSFJ21 macht ja genauso einen Dialogprozess zur Reform des SGB VIII“ (Interview 13, Zeile 837– 839) – was darauf hindeuten könnte, dass die Regierung und andere Ministerien den vorgelagerten BTHG-Prozess positiv bewerten und daher diese Form der Beteiligung (mit leichter Abänderung) in weiteren Reformprozessen wählen. Der vorgelagerte Reformprozess hat somit in seiner inhaltlichen Gestaltung Auswirkungen auf andere Reformprozesse. m) Die Heterogenität der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Nachdem die verschiedenen Einschätzungen über die AG BTHG dargelegt wurden, erfolgt in diesem Teilkapitel eine Reflexion über die Heterogenität der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Zuge der AG. In der Beschreibung des Teilkapitels E.IV.1. wird deutlich, dass nicht alle Gruppen der Menschen mit Behinderung im Rahmen der AG ihre eigenen Positionen darlegen können. Innerhalb der Gruppe der Menschen mit Behinderung gibt es unterschiedlich starke oder schwache Interessenvertretungen, die unterschiedlich intensiv ihre Forderungen kommunizieren können (s. hierzu auch von Winter, 2019). Das bedeutet, dass die Interessen von einer Teilgruppe der Menschen mit Behinderung lediglich durch die advokatorische Interessenvertretung abgedeckt wird, da verschiedene Barrieren diese Teilgruppe aus Beteiligungsverfahren ausschließt. Auch Lamplmayr und Nachtschatt (2016) kommen zu der Erkenntnis, dass einzelne Personengruppen der Menschen mit Behinderung in politischen Beteiligungsprozessen unterrepräsentiert sind (ebd., S. 155). Palleit (2018) fordert in seinem Paper, dass „die Vielfalt von Menschen mit Behinderung bei der Planung und Durchführung der Beteiligungsverfahren von vornherein angemessen abzubilden“ (ebd., S. 3) ist, was ein erhöhtes Maß an Barrierefreiheit voraussetzt. Zudem müssten besonders marginalisierte Gruppen in den Blick genommen werden, ggf. mit besonderer Unterstützung, um sich beteiligen zu können (ebd.). 20  Bundesministerium 21  Bundesministerium

für Justiz. für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Trotz des Versuches, alle Behinderungsarten im Rahmen der AG BTHG abzubilden (s. Interview 4, 5, 7), ist dies nicht nachhaltig gelungen. Denn während einzelne Vertreter*innen durch ihre reine AG-Anwesenheit „nachhaltig Einfluss auf das Gesetz“ (Interview 5, Zeile 494–495) nehmen können, werden andere Personengruppen nicht an der AG beteiligt. Ein*e Interview­ partner*in betont: „Und zweitens, es gibt Betroffenengruppen, die sitzen nicht am Tisch, und die werden auch niemals dasitzen. Also schwerst Pflegebedürftige zum Beispiel, die werden von anderen Gruppen nicht vertreten. So ehrlich muss man sein. […] Und es ist – auch der BTHG-Prozess hat deutlich gemacht, es gibt durchaus auch Konkurrenz-Verhältnisse unter Behindertenverbänden“ (Interview 7, Zeile 101–111).

Das Zitat hebt verschiedene Problematiken der vorgeschalteten AG BTHG und des Reformprozesses hervor: (a) Einzelne Akteur*innen können an partizipativen Prozessen aufgrund verschiedener Barrieren nicht teilnehmen und, das wiederum bedeutet, dass (b) die Interessenvertretungslandschaft der Menschen mit Behinderung sehr heterogen ist und es stärkere und schwächere Interessenvertretungen der Akteur*innengruppe gibt. Auch andere Interviewpartner*innen heben diese Problematik im Rahmen der Gespräche hervor (s. Interview 3, 8; s. auch von Winter, 2019). Neben Menschen, die schwerst pflegebedürftig sind, kann eine weitere Personengruppe lediglich eingeschränkt für sich selbst sprechen, nämlich die Personengruppe der Menschen mit geistigen Behinderungen (s. hierzu Lamplmayr/Nachtschatt, 2016). Da sie sich nur eingeschränkt bzw. nicht selbst äußern können, seien ihre Interessen (trotz advokatorischer Interessenvertretung) nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der AG-Gespräche gewesen. Der Schwerpunkt liege beispielsweise vielmehr auf Personen, die ein Erwerbseinkommen haben (Interview 8, Zeile 252–285). Im Rahmen eines anderen Interviews (Nr. 3) wird diese Thematik zusammengefasst. Interessenverbände werden von Betroffenen selbst vertreten, die über eine eigene „Regie-Kompetenz“ (Interview 3, Zeile 335) verfügen, während andere Personen das nicht können, da Barrieren vorliegen sie daran hindern. Auch bei den Interessenvertreter*innen habe es „mit einer gewissen Selektion zu tun“ (Interview 3, Zeile 348) gehabt. Wie bereits von Winter (2007) mit Blick auf die Sozialverbände feststellt, gibt es „privilegierte Subgruppen“ (ebd., S. 349) – das ist auch übertragbar auf die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung. Es gibt also verschiedene Subgruppen von Menschen mit Behinderung, ein ‚von bis‘ der einschränkenden Barrieren, die wiederum Auswirkungen auf die Beteiligungsmöglichkeiten haben. Dies belegen folgende Aussagen: Ein*e Interviewpartner*in spricht kritisch über das Ergebnis des Gesetzes: „Also das ist meine große – größte Kritik eigentlich […] an diesem Gesetz. Das ist ein Gesetz für Stärkere“ (Interview 10, Zeile 777–778), welches auch von den ‚Stärkeren unter den Schwachen‘ mitgestaltet wurde. Demnach han-



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delt es sich bei dem BTHG um ein Gesetz der Subgruppe der stärkeren schwachen Interessen für Stärkere. Auch in anderen Gesprächen wird von ‚privilegierteren‘ und ‚unterprivilegierten‘ Menschen mit Behinderung gesprochen: „Rollstuhlfahrer und Blinde, ja, das sind sozusagen Behinderte de Luxe, weil da ganz viel schon immer passiert ist“ (Interview 11, Zeile 467– 468) – diese Subgruppe ist demnach stärker als andere Subgruppen der Menschen mit Behinderung. Dieser Meinung, in Bezug auf Menschen mit körperlichen Behinderungen, ist auch ein*e andere*r Gesprächspartner*in (s. Interview 13). Aber nicht nur die Außenwahrnehmung ist eine solche, sondern auch aus der Innenperspektive wird diese Einschätzung geteilt. Ein*e selbstbetroffene*r Interviewpartner*in betont, dass er*sie der ‚privilegierten‘ Gruppe der Menschen mit Behinderung angehöre und es ungerecht finde, dass andere ihre eigenen Meinungen nicht in dem Maße äußern können wie er*sie: „Aber das können nicht alle Menschen, wenn sie sehr, sehr schwer beeinträchtigt sind, nicht kommunizieren können, vielleicht bettlägerig sind, dann ist das schwieriger zu organisieren. […] Und es kann aber nicht sein, dass […] solche Menschen weniger gehört werden. Die haben genauso Menschenrechte wie ich und wie jeder andere auch“ (Interview 10, Zeile 570–572).

Aber nicht nur die Akteur*innengruppe ist heterogen, sondern auch die Interessen der verschiedenen Verbände sind es (Interview 6, Zeile 240–242). So erzählt ein*e Interviewpartner*in: „Und das gab natürlich so, dass – dass dann, was weiß ich, Menschen mit Hörbehinderung andere Schwerpunkte hatten […] als Menschen mit […] intellektuellen Beeinträchtigungen oder so“ (Interview 12, Zeile 305–307). Daher sei der Aushandlungsprozess im DBR nicht immer einfach gewesen und es habe vermehrt Kompromisse gegeben (Interview 7, Zeile 123–141; Schmalz/Dörre, 2014, S. 229). Ein*e Interviewpartner*in beschreibt einen besonderen Moment für ihn*sie im Rahmen dieser internen DBR-Aushandlung. Im Zuge der Diskussion habe es eine Uneinigkeit in Bezug auf Teilhabeleistungen ohne Altersgrenzen gegeben. Die Mehrzahl der Betroffenenverbände habe sich für eine Altersgrenze ausgesprochen, ihr*e Interessenvertretung allerdings dagegen: „Ja, und daran merkt man, wie – wie weit die Solidarität bei den Behindertenverbänden geht, bei Alten hört es dann auf. Und deswegen sage ich, stimmt, die Leute sitzen nicht am Tisch, aber die haben Interessen, die genauso berücksichtigungsfähig sind. Und es geht nicht, dass dann sozusagen jüngere und gut organisierte Gruppen sozusagen sagen, nein, für Ältere, die müssen dann halt ihre Pflege – dann müssen sie halt ihr Haus verkaufen, ist dann halt so. Es sind halt alte Leute. Wo ich denke, das kann doch nicht sein. Also das war für mich wirklich ein Aha-Erlebnis in der Debatte“ (Interview 7, Zeile 193–201).

Die fehlende Solidarität habe diese*n Interviewpartner*in recht nachdenklich gemacht. Der*die Gesprächspartner*in wirkt enttäuscht. Die Verbände

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

haben lediglich einen Schwerpunkt auf ihre eigenen, behinderungsspezifischen Interessen gelegt. Allerdings betonen andere Interviewpartner*innen, dass diese Aushandlungsprozesse dazu geführt haben, dass der DBR stärker aus dem Reformprozess herausgekommen sei, als er rein gegangen ist (s. Interview 6, 7, 11). Ein*e anderer*e Interviewpartner*in bestärkt dies und meint auch, dass ohne das gemeinsame Wirken, deutlich weniger Forderungen hätten durchgesetzt werden können: „Ja, die, […] die im Deutschen Behindertenrat vereinigt sind, ja, ohne deren Zusammenwirken wäre lange kein so […] deutliches Einwirken auf die Politik möglich gewesen.“ (Interview 11, Zeile 900–902). Offenbar hat das ‚Zusammenraufen‘ und die Aushandlung innerhalb des Deutschen Behindertenrates dazu geführt, dass der DBR nach außen als gemeinsame*r Akteur*in wahrgenommen wird. Die Bündelung der Interessen des DBR findet nicht nur im Rahmen der AG BTHG statt, sondern auch darüber hinaus – so viel vorweggenommen – in Form von Stellungnahmen. So initiiert der DBR die ‚sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016) in Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen (Gewerkschaft und Wohlfahrtsverbände) und entwickelt somit eine gute Ausgangsbasis für weitere Diskussionen (s. Teilkapitel E.V. u. E.VI.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es zwar sehr heterogene Interessen unter den Interessenverbänden im Rahmen des BTHG-Reformprozesses gegeben hat, diese aber durch den DBR gebündelt an Außenstehende transportiert werden. So wird zu diesem Zeitpunkt vermutet, dass diese Homogenität – das Auftreten als Einheit – dazu geführt haben könnte, dass die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Teile ihrer Forderungen durchsetzen können. n) Zusammenfassung Interessenverbände von Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ Die AG BTHG ermöglicht den Interessenverbänden, sich formell an einem Austauschprozess zu beteiligen (das Ministerium hat sie somit ermächtigt, sich zu beteiligen). Durch die Beteiligungsmöglichkeit wird die institutionelle Macht genutzt. Die Wortbeiträge der Interessenverbände machen deutlich, dass sie die Gelegenheit aktiv nutzen, um ihre Interessen anderen Akteur*innen näher zu bringen. So ermöglicht das Beteiligungsverfahren den Verbänden von Menschen mit Behinderung, dass nicht nur über, sondern mit ihnen gesprochen wird. Im Folgenden wird eine Übersicht (Tabelle 5) über die Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung gegeben:



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)129 Tabelle 5 Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung 2014–2015 Interessenverbände der Menschen mit Behinderung (Auswahl) Einkommen und Vermögensanrechnung abschaffen (für Betroffene und Angehörige/Partner*innen) Bedarfsdeckende und bundeseinheitliche persönliche Assistenz einführen Bundesteilhabegeld (sowie auch bundeseinheitliches Blindengeld) ermöglichen Inklusion in der Schule und Teilhabe am Arbeitsleben verbessern Unabhängige Teilhabeberatung implementieren Offener Leistungskatalog initiieren EGH aus der Fürsorge herausführen Wunsch- und Wahlrecht verbessern

Quelle: Eigene Darstellung

Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung setzen in ihren Forderungen besonders die menschenrechtliche Perspektive in den Fokus, was beispielsweise abzulesen ist an den Forderungen zum Wunsch- und Wahlrecht oder zur Teilhabe am Arbeitsleben. Es erfolgt demnach eine Norm­orientierung nach Nullmeier und Kuhlmann (2022, S. 16). Die Interessenverbände reagieren in Form von mündlichen Beiträgen in der AG, verschiedenen Stellungnahmen oder durch Demonstrationen, indem sie in ihren Begründungen auf die Einhaltung der UN-BRK und die moralische Verpflichtung, diese umzusetzen, verweisen. Es werden darüber hinaus noch weitere Wirkungsmechanismen deutlich, die mit der Erwartungshaltung der Interessenverbände einhergeht. Wie oben beschrieben, findet ein intensiver und weitreichender Austausch im Rahmen der AG BTHG statt. Es erfolgt ein Dämpfer in der Erwartungshaltung durch eine Veränderung der Finanzierung im Rahmen der achten AG-Sitzung. Die Interessenverbände verdeutlichen ihre Enttäuschung in Form von Stellungnahmen und vereinzelten Protesten. Nullmeier und Kuhlmann (2022) sprechen dabei von einer emotionalen Handlungsorientierung: Sie entspringen der Erwartung, dass durch das neue Gesetz Verbesserungen im Lebensalltag der Betroffenen möglich sind. Diese Hoffnung wird durch die positive Durchführung der AG BTHG gesteigert. Doch die Veränderung der Finanzierung löst eine Enttäuschung aus, die durch die eigene Betroffenheit verstärkt wird. Wie in den weiteren Kapiteln der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung aufgezeigt wird, bildet die AG BTHG eine Art Grundstein für

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

den noch folgenden partizipativen Beteiligungsprozess. Die Interessenverbände haben im Rahmen der AG die Möglichkeit erhalten, sich aktiv einzubringen – diese Beteiligung behalten sie in den folgenden Reformphasen konsequent bei. Im Zuge des Teilkapitels wurde auch die Heterogenität der beteiligten Akteur*innen verdeutlicht. Es gibt demnach ein Machtgefüge innerhalb der Interessenverbandslandschaft. Einzelne Verbände können den ‚Stärkeren unter den Schwachen‘ zugeordnet werden (s. auch von Winter, 2019), andere (die aufgrund von fehlenden Machtressourcen zu den schwachen Interessenvertretungen gehören) nicht. Deutlich wird das die beteiligten AGAkteur*innen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, zu den ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen gehören. 2. Wohlfahrtsverbände Das nun folgende Teilkapitel stellt die Reaktionen und die von den Wohlfahrtsverbänden dargestellten Interessen im Zuge der AG BTHG-Phase dar. Vor dem ersten Sitzungstag der AG BTHG formuliert die Diakonie Deutschland im März 2014 einen Erwartungskatalog an ein neues Gesetz. Der Wohlfahrtsverband erhofft sich, mit Hilfe des Papers, vorab seine Eigeninteressen den Entscheidungsträger*innen präsentieren zu können. Im Zuge der AG BTHG wird der Verband nicht als Vertreter*in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. (BAGFW) auftreten. Dies übernehmen andere Wohlfahrtsverbände des Zusammenschlusses (s. Teilkapitel E.IV.2.a)). Daher könnte dieses Paper für den Wohlfahrtsverband von großer Relevanz sein. Zusammenfassend erwartet die Diakonie eine „uneingeschränkte, gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und […] [den] Ausbau einer inklusiven Infrastruktur“ (Diakonie Deutschland, 2014, S. 4). Dies sei eine Aufgabe an die gesamte Gesellschaft und stelle eine Herausforderung für alle Politikfelder dar. Die Diakonie betrachtet zunächst die Inklusion und die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Diese beiden Punkte seien durch das Vorbild der UN-BRK auch im deutschen Recht umzusetzen. Dem Verband geht es um das alltägliche Leben der Menschen mit Behinderung und die finanzielle Ausgestaltung dessen (die Forderungen lauten u. a.: Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen, einheitliches Leistungsrecht ermöglichen, neuer Behinderungsbegriff, offenen Leistungskatalog ermöglichen). Zudem vertritt die Diakonie Arbeitgeber*in­nen­ interessen, indem sie sich auf Leistungs- und Vergütungsaufgaben bezieht. Darüber hinaus geht der Wohlfahrtsverband wiederholend auf die UN-BRK/ Menschenrechte ein (ebd., S. 4 ff.). Eine Interviewperson betont: „Also […]



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die freie Wohlfahrtspflege insgesamt hat sich den […] menschenrechtlichen Anliegen der Reform nie verschlossen“ (Interview 3, Zeile 599–600). a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen An der AG BTHG nimmt die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e. V. teil  – vertreten durch den AWO Bundesverband e. V., dem Deutschen Caritasverband e. V. sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten behinderte Menschen e. V. (BAG WfbM). Im Rahmen der AG BTHG reagieren die Akteur*innen auf die festgelegten Thematiken, die eingangs in Teilkapitel E.III. aufgeführt sind. In den Diskussionen rund um einzelne Thematiken finden sich Schnittmengen zwischen den Erwartungen der Wohlfahrtsverbände und den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung. Eine dieser stellt die Orientierung an der ICF bei der Neuformulierung des Behinderungsbegriffes dar (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 6). Eine weitere Übereinstimmung gibt es bei der sozialen Teilhabe (‚Poolen‘ von Leistungen). Die BAGFW spricht sich bei den Handlungsoptionen zum ‚Poolen‘ dafür aus, dass es eine Neustrukturierung der Leistungen zur sozialen Teilhabe in einem eigenen Kapitel im SGB IX geben sollte und auch, dass ‚Poolen‘ von Leistungen unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt stehen sollte. Dies entspricht den Aussagen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d). Weitere Schnittmengen werden im Zuge der Diskussion um die pauschalierten Geldleistungen/Bundesteilhabegeldes deutlich, indem sich die BAGFW und der SoVD bei ihrer Argumentation einig sind, dass es nur zu einer Stärkung der Betroffenen kommen kann, „wenn nicht die Weitergabe der Gelder an die Kostenträger (Finanzströme) im Vordergrund steht, sondern ein relevanter Anteil der Leistung anrechnungsfrei bei den Berechtigten verbleibt“ (ebd., S. 20). Hier nimmt die Freie Wohlfahrtspflege die Interessen der Betroffenen in den Blick. Eine Interviewperson betont, dass nicht nur die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung für die Interessen der Betroffenengruppe im Zuge des Reformprozesses einstehen, sondern auch Wohlfahrtsverbände ihre Aufgabe als advokative Interessenvertretung wahrnehmen (Interview 14, Zeile 312–314). Eine andere Person blickt kritischer auf die Thematik: „Weil die ja für sich in Anspruch nehmen, die Wohlfahrtsverbände, gerade auch die [Verband], dass sie Interessensvertreter sind, haben sie ein paar Punkte herausgegriffen, die für die Menschen wichtig sind. Aber das ist ja auch der Konflikt zwischen den selbstbestimmten Selbsthilfeorganisationen und den Wohlfahrtsverbänden, dass die Selbsthilfeverbände denen vorwerfen, dass sie als Leistungserbringer eigentlich gar kein Interesse daran haben, dass jetzt umfassend selbstbestimmte Teilhabe stattfindet. Dann könnten natürlich mehr Menschen selbstbestimmt leben.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Und diese Schnittstelle ist ganz interessant. Weil da wird nämlich klar, dass die, die selbstbestimmt leben, ihre Forderungen aus der Lebenssituation ableiten und darauf abzielen, selbstbestimmt leben zu können. Während die Forderungen, die auf die Betroffenen abzielen, die von den Wohlfahrtsverbänden aufgegriffen werden, die von ihnen erzielt werden wollen, dass es die Lebensbereiche betrifft, nicht selbstbestimmt leben zu können. Sondern immer nur das Leben in der Einrichtung. Oder mit Hilfe der Einrichtung. Das ist die Bruchstelle“ (Interview 1, Zeile 389–403).

Demnach sind die Wohlfahrtsverbände für die Interessen der Menschen mit Behinderung eingetreten, allerdings mit dem eigenen Interesse, die Einrichtungen und das Leben dort weiter beibehalten zu können. Auch andere Interviewpartner*innen nehmen diese Problematik wahr: „Naja, das ist für die Wohlfahrt oft ein zweischneidiges Schwert. […] das, was die Wohlfahrtsverbände natürlich – also die haben immer zwei Seiten der Medaille. Die haben einerseits immer das Gefühl und Bedürfnis, die Positionen behinderter Menschen […] abzubilden und andererseits natürlich sind sie Leistungserbringer und haben natürlich auch spezielle Punkte im Leistungserbringungsrecht. Das ist ganz klar so, und das ist auch richtig so. Also ich meine, dafür sind sie da“ (Interview 10, Zeile 618–629).

Damit sprechen die beiden Interviewpersonen (1 u. 10) eine relevante Thematik an, der sich die Wohlfahrtsverbände immer wieder zu stellen haben. Die Interviewperson 10 verwendet für die advokatorische Interessenvertretung Metaphern (‚zweischneidiges Schwert‘, ‚zwei Seiten der Medaille‘), um zu verdeutlichen, dass die Aufgabe, die Wohlfahrtsverbände übernehmen, keine leichte ist und diese immer von zwei Seiten auf einen politischen Prozess blicken und einwirken müssen. Eine weitere Interviewperson umschreibt das ‚zweischneidige Schwert‘ folgendermaßen: „bei der Freien Wohlfahrtspflege war es sozusagen noch mal der fachliche Blick, weil die ja einerseits Betroffene vertreten, andererseits als Leistungserbringer ja auch unterwegs sind. […] Und […] wissen, wie sich bestimmte Veränderungen auf Strukturen auswirken“ (Interview 11, Zeile 825–831). Demzufolge haben die Wohlfahrtsverbände deutlich ihr eigenes Interesse im Fokus und beurteilen politische Prozesse anders als Interessenverbände, da sie auch die strukturellen Veränderungen für sich im Blick haben müssen. Beide Sichtweisen der Interviewpersonen wirken verständnisvoll und sie haben diese ‚zweiseitige Medaille‘ offenbar akzeptiert. Später betont Interviewperson 10 allerdings deutlich kritischer, dass einzelne Wohlfahrtsverbände zwar behaupten, dass sie sich für die Interessen der betroffenen Personen einsetzen, letztendlich aber ihr Leistungserbringer*inneninteresse stärker sei (Interview 10, Zeile 647–652). Auch die Interviewperson eines Wohlfahrtsverbandes schaut auf diese Schwierigkeit und fügt sogar eine weitere Rolle hinzu: „Wir spielen im Verband ja immer verschiedene Rollen, ja, wir sind – so ein Verband wie der unsere sieht sich als sozialpolitischer Akteur, er sieht sich auch in der Verantwortung für Menschen, also für etwa vulnerable Bevölkerungsgruppen, die



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)133 ihre eigenen Interessen nicht so gut vertreten können. Aber wir sind natürlich auch Interessenverband, ne, und vertreten Interessen von Mitgliedsorganisationen, haben insofern unter anderem auch eine von drei Rollen, so eine lobbyistische Funktion“ (Interview 3, Zeile 52–58).

So habe der Wohlfahrtsverband nicht nur die Interessen der Betroffenen im Blick, sondern auch die Interessen der Mitgliedsorganisationen (als Leistungserbringer*in) und versteht sich darüber hinaus auch als sozialpolitische*r Akteur*in. Messan (2019) beschreibt ebenfalls, dass Wohlfahrtsverbände verschiedene interessenspolitische Funktionen einnehmen: Zum einen gebe es die Vertretung der Interessen der Klient*innen/Zielgruppe (Anwaltsfunktion) sowie zum anderen die Interessen der Mitgliedsorganisationen (dienstleistungsproduzierende Funktion). D. h. Wohlfahrtsverbände vertreten auf der einen Seite ihre eigenen Interessen und auf der anderen Seite die von Dritten (ebd., S. 19–20). Daher werden Wohlfahrtsverbände auch „Multi-Purpose-Organisationen bzw. multifunktionale Organisationen“ (Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V., 2017, S. 1) genannt. Steibert (2014) sieht mit der Einführung des New Public Managements Herausforderungen für die Wohlfahrtsverbände. Denn diese Art des Managements habe „einen Keil zwischen Dienstleistungsfunktion und Anwaltsfunktion“ (Steibert, 2014) gegraben, welcher ein Nachteil für die Klient*innen/ Zielgruppe sei. Steibert erwähnt Seithe (2012), welche von einer ‚internalisierten schizophrenen Situation‘ der Wohlfahrtsverbände spricht, da sie zwischen Unternehmer*innentum und Fachlichkeit stehen würden (Seithe, 2012 in Steibert, 2014; s. auch Schroeder et al., 2010). Die Wohlfahrtsverbände wären daher aufgefordert, „mit zwei Zungen zu sprechen“ (Seithe, 2012, S. 247; zit. in Steibert, 2014). Das Zitat ähnelt der Aussage des*der Inter­ viewpartner*in 10, welche*r von ‚zwei Seiten der Medaille‘/vom ‚zweischneidigen Schwert‘ spricht. Gefährlich sei dies, da die Anwaltsfunktion dabei zurückstecken müsse (ebd.). Auch diese Gefahr nimmt Interviewperson 10 im Rahmen des BTHG-Beteiligungsprozess wahr (s. oben). Diese ‚zwei Zungen‘ werden auch deutlich, wenn man beispielsweise auf die Diskussion rund um die Teilhabe am Arbeitsleben im Zuge der AG BTHG blickt (Oktober 2014). Zum einen sprechen die Wohlfahrtsverbände und die BAG WfbM als Einrichtungsbetreiber*innen und zum anderen nehmen sie auch den Blickwinkel der Menschen mit Behinderung auf: Die Rolle der alternativen Anbieter22 sollte intensiv im Gesetz beachtet werden – sowohl im Verhältnis zu den Werkstätten als auch dem Übergang auf den all22  Weiterer Tätigkeitsbereich für Menschen mit Behinderung, die einen Anspruch auf Werkstattleistungen haben.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

gemeinen Arbeitsmarkt, so die BAG WfbM. Die Aufgabe der Werkstätten sei es zwar, auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln, aber durch den hohen Unterstützungsbedarf einzelner Personen könnten nicht immer einfache Übergänge zu erwarten sein, sodass die alternativen Anbieter eine gute andere Möglichkeit darstellen (Einrichtungsbetreiberinteressen). Im Verlauf der Diskussion betonen verschiedene Akteur*innen (stärkere und schwächere, darunter auch die BAGFW und BAG WfbM) gemeinsam, dass der Beibehalt „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit […] nicht vertretbar“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 16–17) sei und dies nicht mit der UN-BRK in Einklang gebracht werden könne (advokatorische Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung; ebd.). Bei der Thematik der unabhängigen Beratung (September 2014) führt die BAGFW auf, dass es je nach Beratungsfeld durchaus Interessenkonflikte geben könne, die zu berücksichtigen seien (Einrichtungsbetreiberinteresse). Zudem sei es wichtig, dass es Qualitätsstandards in der unabhängigen Beratung gebe (Einrichtungsbetreiberinteresse) und auch, dass diese flächendeckend zur Verfügung gestellt werden (advokatorische Interessenvertretung für Menschen mit Behinderung; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 15 u. 17). Die BAGFW ist demnach eher ein ‚Bedenkenträger‘ mit Blick auf diese Thematik. Ein*e Interviewpartner*in betont, dass die unabhängige Beratung – weil sie losgelöst ist von der Wohlfahrt – nicht „so recht gewollt“ (Interview 6, Zeile 1413) gewesen sei. Mit Blick auf die Finanzierung der neuen Reform hält die Wohlfahrtspflege nicht stringent an einer Meinung fest. So betont diese im Zuge der ersten Sitzung (Juli 2014) zunächst noch, dass das neue Gesetz kein „ ‚Spargesetz‘, sondern ein ‚Teilhabegesetz‘ “ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 4) werden müsse und es daher von zentraler Bedeutung sei, im neuen Gesetz die kommunale Entlastung der angesetzten fünf Milliarden Euro wiederzufinden (ebd.). Bei der ersten Besprechung des SchäubleScholz-Papiers wiederum halten sich die BAGFW und die BAG WfbM in der Diskussion zurück (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 2 ff.). Andere Akteur*innen äußern sich darüber sehr besorgt, wie oben bereits in Teilkapitel E.IV.1. dargestellt. Es ist fraglich, warum von Seiten der Wohlfahrtsverbände darauf nicht reagiert wird – entweder, weil die Akteur*innen davon ausgehen, dass diese Diskussion letztendlich eine Diskussion bleibt und nicht umgesetzt wird oder aber, weil die ursprüngliche Erwartungshaltung nicht ernst gemeint war. Nachdem sich abzeichnet, dass es eine Veränderung der Finanzierung geben wird, veröffentlicht der Paritätische Wohlfahrtsverband, kurz vor der achten AG-Sitzung, am 10. März 2015 auf seiner Homepage eine Pressemitteilung als Reaktion auf die Entscheidung zum Schäuble-Scholz-Papier. Hier



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)135

fordert er gemeinsam mit dem Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BkmM) und dem Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV), dass es, trotz der drohenden Änderung der Finanzen, keine Einschnitte für Menschen mit Behinderung geben dürfe. Die Gefahr bestehe nun, dass „dringend notwendige Reformen finanziellen Vorbehalten zum Opfer fallen könnten“ (Paritätischer Gesamtverband, 2015). Zitiert wird ein Mitglied des Vorstandes des Paritätischen Gesamtverbandes, welcher betont, dass die Bundesregierung mit dem formulierten Koalitionsvertrag „große Erwartungen geweckt“ (ebd.) habe und nun „liefern“ (ebd.) müsse. Dabei sei dem Bündnis wichtig, dass eine volle und echte Teilhabe von Menschen mit Behinderung erzielt wird – im Bildungsbereich, im Alltag oder bei der Arbeit. Der Paritätische bezieht sich in seiner Pressemitteilung auf das Eckpunktepapier (ebd.), welches in Teilkapitel E.IV.1. bereits als ‚Kernpunkte für ein Bundesteilhabegesetz‘ aufgeführt ist. Die darauffolgende AG-Sitzung (12. März 2015) nimmt, wie die vorherige Pressemitteilung erwarten lässt, die kommunale Entlastung, finanzielle Auswirkungen und Gegenfinanzierung von Leistungsverbesserungen in den Blick. Die BAGFW nimmt den Koalitionsvertrag eher kritisch in Augenschein – hierbei geht es um die veränderte Finanzierung durch das sogenanntes Schäuble-Scholz-Papier. Die BAGFW betont, dass der Koalitionsvertrag finanziell nicht hinterlegt sei: „Zwar gebe es kostenneutrale Elemente der Reform, aber Elemente anderer Bereiche, wie z. B. die Abschaffung der Heranziehung von Einkommen und Vermögen, müssen finanziell gedeckt werden. Im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis23 sind Synergien durch verbesserte Steuerung möglich. Diese sind aber nicht valide zu quantifizieren und würden die vorgenannten kostenintensiven Reformelemente nicht decken. Auch das beste Beteiligungsverfahren werde keine politische Entscheidung über den Reformrahmen ersetzen. Sobald Klarheit darüber herrsche, wie dieser Rahmen aussieht, kann man Maßnahmen priorisieren. Diese Entscheidung ist aber unabhängig von der Abkopplung der Reform der kommunalen Entlastung. Die Chancen auf einen Konsens im parlamentarischen Verfahren seinen [sic] allerdings gesunken, da der Reformdruck durch eine Abkopplung sinken wird. Aufgrund der hohen fachlichen Komplexität sollte die Reform nun zügig angegangen werden“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 4).

Diese Aussage klingt nüchtern und bedacht, nicht emotional wie beispielsweise die Reaktionen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (s. Teilkapitel E.IV.1.). Die Wohlfahrtspflege nimmt demnach einzelne Inhalte nicht länger als finanzierbar wahr (ebd.). 23  Das Leistungserbringungsrecht ist geprägt durch das Verhältnis zwischen Kos­ tenträger, Leistungserbringer*in und Leistungsempfänger*in und wird als sozialrechtliches Dreieck bezeichnet (Kolhoff, 2017, S. 5).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Zum Abschluss der AG (April 2016) erhält jede*r Akteur*in die Möglichkeit, abschließende Punkte zu nennen, die besonders relevant für das neue Gesetz sind. Die BAGFW betont, dass das bestehende sozialrechtliche Dreiecksverhältnis beibehalten werden solle und die Teilhabeplanung ein positives Element darstelle. „Eine Zulassung von Leistungserbringern durch […] [Leistungsträger] werde abgelehnt. Etwaige Ausschreibungen würde[n] die Tarifautonomie in der Eingliederungshilfe unterlaufen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015d, S. 17), so die BAGFW. Die BAG WfbM betont abschließend, dass für sie in Zukunft relevant sei, eine durchlässige Leistungserbringung zu erhalten (ebd., S. 18). Beide Akteur*innen beziehen sich auf ihre jeweils für sie als zentral erachtete Forderungen als Arbeit­ geber*innen. Rückblickend betonen zwei Interviewpersonen, dass zum einen die BAGFW im Rahmen der AG – im Gegensatz zu den Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung – recht unvorbereitet erscheint (s. Interview 5) und zum anderen die BAGFW im Allgemeinen nicht sehr präsent im Verlauf der AG BTHG (und auch später) sei, weil sie nach außen nicht durchgängig Einigkeit gezeigt habe (Interview 8, Zeile 943–946). Erklärt wird von Interview­ person 5, dass die BAGFW nicht zeitgerecht sprachfähig sei und „nicht immer wirklich gut gesprächsfähig beziehungsweise mit irgendwelchen Papieren präsent, bis fast gar nicht“ (Interview 5, Zeile 624–630) gewesen sei. Was Interviewperson 5 damit meinen könnte, wird deutlich, wenn man einen Blick auf die Anzahl der Wortbeiträge der BAGFW in der AG wirft: Diese sind deutlich geringer als die Beiträge der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. b) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände Blickt man auf die AG-Beiträge der Akteur*innen der Freien Wohlfahrtspflege, so wird deutlich, dass sie eher selten menschenrechtlich argumentieren, obwohl sie ähnliche Inhalte fordern, wie die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. Es wird in diesem Teilkapitel ebenso deutlich, dass die Wohlfahrtsverbände nicht nur die Interessen der Betroffenen vertreten, sondern auch Leistungserbringerinteressen. Nachfolgend werden die Forderungen der Wohlfahrtsverbände mit Hilfe der Tabelle 6 dargestellt:



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)137 Tabelle 6 Forderungen der Wohlfahrtsverbände 2014–2015 Wohlfahrtsverbände (Auswahl) Einheitliches Leistungsrecht ermöglichen Teilhabeleistungen einkommens- und vermögensunabhängig gestalten Unabhängige Teilhabeberatung schaffen Anpassung des Behinderungsbegriffs Leistungsberechtigter Personenkreis nach ICF-Kriterien Offener Leistungskatalog

Quelle: Eigene Darstellung

Wie auch schon die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung unterstützten die Wohlfahrtsverbände die unabhängige Teilhabeberatung sowie auch die Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit. 3. Sozialpartner Die Sozialpartner setzen sich im Rahmen der AG BTHG aus dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) zusammen. Sie stellen also die kollektive Interessenrepräsentation von Arbeitnehmer*innenseite (Hassel, 2007, S. 173) und von Arbeitgeber*innenseite dar (Schroeder, 2007, S. 179). Typischerweise versuchen beide Akteur*innen unabhängig voneinander ihre Interessen gegenüber dem Staat und gegeneinander zu artikulieren, darzustellen und durchzusetzen (Schroeder, 2007, S. 179). Gewerkschaften stecken, nach Schroeder und Keudel (2008), in einer ‚dreifachen Krise‘ – durch eine Abnahme von Mitgliederzahlen, damit einhergehender finanzieller Problematik und einer „Abnahme ihrer gesellschaftlichen Akzeptanz“ (Schroeder/Keudel, 2008, S. 9). Blickt man von dieser ‚dreifachen Krise‘ auf die Machtressourcen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber*innenverbände, so wird deutlich, dass sie hierbei vor besonderen Herausforderungen stehen, die sich in Spannungen zwischen Einfluss- und Mitgliedslogik widerspiegeln (Schroe­ der/Greef, 2020; s. auch Jeanrond, 2016, S. 16). Gerade über die Gewerkschaften gibt es kontroverse Diskussionen, ob sie ‚machtlos‘ geworden sind oder weiterhin (beispielsweise die DGB-Gewerkschaften) intermediäre Arbeit­ nehmer*innenorganisationen sind, welche sich gegen die Arbeitgeber*innen und die Politik durchsetzen können (Schroeder, 2014, S. 15).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen Die beschriebenen verschiedenen Blickwinkel der Akteur*innen werden im Zuge der Diskussionen in der AG BTHG recht deutlich. Während die BDA zum Teil die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände unterstützt, macht sich der DGB eher für die Interessen der Menschen mit Behinderung stark oder verweist auf Problematiken, die im Zuge der Erarbeitung des neuen Gesetzes beachtet werden müssen. Dies wird beispielsweise bei der Diskussion rund um den Behinderungsbegriff deutlich (September 2014). So empfiehlt der DGB, dass bei einer Änderung des Begriffes auch die Auswirkung auf andere Leistungsgesetze geprüft werden müsse, da ansonsten „Richterrechte“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 4) drohen könnten. Die BDA betont wiederum (wie auch der Deutsche Landkreistag), dass keine neue Behinderungsdefinition von Nöten sei, da ansonsten der Personenkreis ausgeweitet werden könnte (ebd.). Während der DGB keine direkte Stellung bezieht und nur auf Gefahren hinweist, grenzt sich die BDA deutlich von den Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung – und auch anderen Akteur*innen – ab, indem sich klar gegen die neue Definition ausgesprochen wird. Zu vermuten ist, dass die BDA die Kostenseite (keine neue Ausgabendynamik, wie im Koalitionsvertrag festgehalten) mit der Begründung im Blick hat. Bei dem AG-Thema der Teilhabe am Arbeitsleben (Oktober 2014) handelt es sich für beide Akteur*innen um ein gewohntes Terrain, dieser Meinung ist auch eine Interviewperson, welche betont, dass die Sozialpartner in „ihre[n] Bereiche[n]“ (Interview 15, Zeile 601–602) besonders stark sind. Dementsprechend viele Wortbeiträge gibt es auch von den Akteur*innen zum Thema Arbeiten. Die BDA spricht bei diesem Themenfeld ganz deutlich als Arbeitgeber*innenvertretung. Zukünftig wäre es wünschenswert, so die BDA, wenn Arbeitgeber*innen verbesserte Informationen über Förder- und Unterstützungsleistungen für Menschen mit Behinderung erhalten würden. Die BDA spricht sich auch für eine erhöhte Durchlässigkeit auf den ersten Arbeitsmarkt aus. Ferner wird ausgeführt: „Eine Anhebung der Ausgleichsabgabe oder der Beschäftigungspflichtquote konterkariere das Ziel eines Bewusstseinswandels, weg von dem bisherigen Zwangscharakter hin zu einer stärken- und kompetenzorientierten Sichtweise. Eine Erhöhung sei auch nicht angemessen. Schon heute gebe es mehr Pflichtarbeitsplätze als arbeitslos gemeldete Schwerbehinderte“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 10).

Es wird sich gegen eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber*innen bzw. die Beschäftigungspflichtquote ausgesprochen. Des Weiteren führt die BDA auf, dass die Versicherungsträger nicht in der Finanzierungspflicht sein dürfen und blickt eher kritisch auf den Finanzierungsanteil. Der-



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weil sehe die BDA aber, dass eine „Integration der Tagesstrukturierung im Arbeitsbereich der Werkstätten“ (ebd., S. 16) sinnvoll ist. Der DGB, als Interessenvertretung für Arbeitnehmer*innen bzw. als „Anwälte der Betroffenen“ (Interview 7, Zeile 46), macht sich dafür stark, dass es bessere Anreize für Werkstätten geben sollte, um Beschäftigte in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu integrieren. Zudem betont er (gemeinsam mit dem Allgemeinen Behindertenverband Deutschland), dass es eine bessere Förderung von Arbeitgeber*innen geben sollte, die die Beschäftigungspflichtquote erfüllen (ebd.). Auch in der AG-Sitzung im November 2014 wird erneut deutlich, dass die BDA sich von den Erwartungen des DGB (und der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung) abgrenzt und unterscheidet. Denn die BDA schließt sich der Meinung der BAGüS an, dass das ‚Poolen‘ aus Kostengründen erlaubt werden sollte (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 11–13). Auch bei der Bedürftigkeits(-un-)abhängigkeit betont die BDA, dass die Ausgabendynamik und auch das sozialrechtliche Subsidiaritätsprinzip beibehalten werden müssen. Nach Einschätzung der BDA gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Schaffung einer teilweise vorhandenen Einkommensunabhängigkeit durch die Privilegierung einzelner Einkommensarten oder aber durch die Erhöhung der bis dahin bestehenden Einkommensgrenze und des Vermögenseinsatzes – mit Beibehaltung von sozialhilferechtlichen Regelungen. Die BDA unterscheidet sich mit der Einschätzung deutlich von den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung, welche sich beispielsweise für die Abschaffung der Einkommensgrenzen aussprechen. Der DGB argumentiert bei dieser Thematik mit der UN-BRK und hebt das Benachteiligungsverbot hervor, um klarzustellen, dass die Einkommens- und Vermögensprüfung abgeschafft werden sollte. Zudem könnte eine Abschaffung Verwaltungsressourcen schaffen, die anderweitig eingesetzt werden könnten (ebd., S. 16–17). Im Zuge eines Interviews wird ebenfalls betont, dass die Abschaffung bzw. der Schwächung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen ein besonderes Anliegen der Gewerkschaft gewesen sei (Interview 11, Zeile 231–233). Zum Bundesteilhabegeld äußert sich die BDA kritisch. Es sollte beachtet werden, dass mit der Einführung des Geldes mit einer „Uneinheitlichkeit der Entlastungswirkung bei den Ländern und Kommunen“ (ebd., S. 21) sowie mit der „Notwendigkeit eines dafür einzurichtenden zusätzlichen Verwaltungsverfahrens“ (ebd.) zu rechnen sein werde – also entstehende Mehrkosten für die Verwaltung und die Länder. Der DGB drängt wiederum auf eine Gleichbehandlung aller Personengruppen (ebd.). Der DGB formuliert im Januar 2015 eine Stellungnahme, in der er recht umfänglich Forderungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stellt (s. DGB, 2015b).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Damit reagiert der DGB auf die AG-Sitzung im Oktober 2014, in der die Teilhabe am Arbeitsleben besprochen wurde. In der Stellungnahme wird Bezug genommen auf die Handlungsoptionen der betreffenden Sitzung (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014m). Zu vermuten ist, dass der DGB seinen Standpunkt zur Teilhabe am Arbeitsleben mit Hilfe der Stellungnahme untermauern möchte. Mit diesem Forderungskatalog wird einmal mehr deutlich, dass die Gewerkschaft die Interessen von Arbeitnehmer*innen vertritt – sowohl die der Menschen mit Behinderung (innerhalb und außerhalb der Werkstätten) als auch die der dort arbeitenden Fachkräfte ohne Behinderung. Dass die Teilhabe am Arbeitsleben im Rahmen der Reform Änderungsbedarf hat, argumentiert der DGB mit Hilfe der UN-BRK. Gerade für Menschen, die in einer WfbM tätig sind, sollte es zukünftig deutlich mehr Alternativen geben. Dies beinhalte auch ein Wahlrecht des Tätigkeitsortes, die soziale Absicherung und die Möglichkeiten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeiten zu können (DGB, 2015b, S. 1). Folgende Forderungen formuliert der DGB: Die Öffnung der Werkstätten nach ‚außen‘: • Die Qualitätsanforderungen alternativer Anbieter sollten denen der WfbM entsprechen. Dies sollte sowohl für die Vergütung und die Qualifizierung der Fachkräfte gelten als auch für den Betreuungsschlüssel sowie die soziale Absicherung und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen mit Behinderung. • Ein Rückkehrrecht in die WfbM sollte eingeführt werden. • Die soziale Absicherung soll bei den alternativen Anbietern und beim Budget für Arbeit vergleichbar mit denen der WfbM sein (ebd.). Die Öffnung der Werkstätten nach ‚innen‘: • Menschen mit Behinderung, die in Tagesstrukturierungen gefördert werden, sollten in Zukunft einen Zugang zum Berufsbildungs- oder Arbeitsbereich der Werkstätten erhalten und auch vergleichsweise abgesichert sein (Nachteilsausgleich Rentenversicherung). Dies sei gerade auch mit Blick auf die UN-BRK dringend erforderlich. • Zudem sollte der Eingangsbereich, der über die Arbeitslosenversicherung getragen wird, zukünftig aus Steuermitteln finanziert werden, da die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist (ebd., S. 2). Um die Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes stärker „in die Pflicht zu nehmen“ (ebd., S. 3) sei eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe sinnvoll, so der DGB abschließend (ebd.).



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)141

Im Zuge der achten Sitzung der AG BTHG (März 2015) wird die kommunale Entlastung (Schäuble-Scholz-Papier) diskutiert. Beide Akteur*innen sind sich in diesem Fall einig, dass die Entlastung durch den Bund getragen werden müsse. Der DGB findet deutliche und ablehnende Worte für die Entscheidung zum Schäuble-Scholz-Papier: „Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) […] kritisiert die fehlende Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln durch den Bund. Der Bedarf zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderungen sei gegeben. Er warnt davor Länder, Kommunen und Sozialversicherung gegeneinander auszuspielen. Der Bund habe sich in der Vergangenheit auf Kosten der Sozialversichertengemeinschaft finanziell saniert. Die Kosten für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen sind gesamtgesellschaftlich und müssten vom Bund getragen werden“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 5).

Auch die BDA betont, dass davon ausgegangen wird, dass eine kommunale Entlastung durch den Bund und nicht durch die Sozialversicherungsträger zu erfolgen habe. Zentral ist für die BDA u. a. eine Verbesserung des Zugangs zur sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit für Menschen mit Behinderung sowie eine personenzentrierte Zuordnung von Fachleistungen – dafür sei eine gesicherte Finanzierung von Nöten (ebd., S. 9). In der letzten AG-Sitzung (April 2016) erhalten die AG-Beteiligten die Möglichkeit, ihre relevantesten Forderungen an das neue Gesetz zu äußern. Dem kommen beide Akteur*innen nach. Die zentrale Erwartung des DGB an ein neues Gesetz ist, das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderung zu stärken sowie eine Unabhängigkeit von Einkommen und Vermögen zu erwirken. Leistungen der Sozialversicherung stehen jeder versicherten Person zu, unabhängig von der jeweiligen Lebenssituation. Die Teilhabe von Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt müsse gestärkt werden. Nach Einschätzung der BDA müsste der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt besser gestaltet werden. Ein sinnvolles Angebot stelle das Budget für Arbeit dar. Beide Akteur*innen sind sich einig, dass es keine steuerlichen Verschiebungen zu Lasten der Beitragszahler*innen geben dürfe (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015d, S. 16–17). Nach Abschluss der AG BTHG veröffentlicht der DGB im August 2015 ein weiteres Paper, welches einzelne Forderungen der Stellungnahme im Januar 2015 erneut aufnimmt (s. DGB, 2015b), nun aber zum Teil über die Forderungen der Teilhabe am Arbeitsleben hinaus gehen. Es ist zu vermuten, dass der DGB mit Hilfe dieses Papers das BMAS, welches zu diesem Zeitpunkt den Gesetzesentwurf erarbeitet, auf seine Interessen aufmerksam machen möchte. Aus Sicht des DGB sollten zukünftig die Leistungen der EGH unabhängig von der jeweiligen Bedürftigkeit erbracht werden. Dies wird plakativ und leicht verständlich betitelt mit: „Behinderung darf nicht arm machen, Bedürftigkeitsunabhängigkeit anstreben“ (DGB, 2015a, S. 7). Der DGB fordert, das

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Erwerbseinkommen „von der Anrechnung auf die Leistungen des Sozialhilfeträgers in größerem Umfang als bislang“ (ebd., S. 8) zu verschonen. Zudem sollte es möglich sein, Ersparnisse, wie beispielsweise eine Altersvorsorge, anzusammeln. Der DGB weicht damit von seiner AG-Forderung ab, die Einkommens- und Vermögensanrechnung komplett abzuschaffen. Eine weitere umfangreiche Forderung umfasst das Wunsch- und Wahlrecht: Neben der freien Wahl des Arbeitsortes gehöre es auch dazu, wählen zu können, wo und wie man leben möchte (Wohnort aber auch Wohnheim oder eigene Wohnung; ebd.). Damit verdeutlicht und vertieft der DGB seine abschließenden Forderungen im Rahmen der letzten AG-Sitzung erneut. b) Zusammenfassung Sozialpartner Beide hier betrachtete Akteur*innen äußern sich im Rahmen der AG BTHG ihren Aufgabenschwerpunkten entsprechend. Beide Akteur*innen sind besonders ‚stark‘ in ihren Wortbeiträgen, sobald es um die Teilhabe am Arbeitsleben geht – ein bekanntes ‚Terrain‘ für beide Akteur*innen. Allerdings nehmen sie häufig gegensätzliche Meinungen ein, was in der unten dargestellten Tabelle 7 deutlich wird (s. z. B. Bundesteilhabegeld oder Einkommen- und Vermögen): Tabelle 7 Forderungen der Sozialpartner 2014–2015 Sozialpartner (Auswahl) DGB: neuer Behinderungsbegriff, Trennung der Fachleistungen einkommens­ unabhängig gestalten, Beschäftigungspflichtquote einführen, Abschaffung Ein­ kommens- und Vermögensanrechnung, Teilhabe am Arbeitsleben – Übergang ­allgemeinen Arbeitsmarkt stärken, Wunsch- und Wahlrecht verbessern DBA: Beibehalt der Ausgleichsabgabe, Beibehalt des Behinderungsbegriffes nach SGB IX-alt, teilweise Schaffung der Einkommensunabhängigkeit, Teilhabe am ­Arbeitsleben durch den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt besser ge­ stalten Quelle: Eigene Darstellung

4. Kommunale Spitzenverbände und Länder Im Zuge der AG BTHG nehmen sowohl die kommunalen Spitzenverbände als auch fünf verschiedene Bundesländer teil. Zu den kommunalen Spitzenverbänden zählen je ein*e Vertreter*in des Deutschen Städtetags (DST), des Deutschen Landkreistags (DLT), des Deutschen Städte- und Gemeindebun-



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des (DStGB) sowie auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS). Der DST übernimmt die Interessenvertretung von kreisfreien und kreisangehörigen Städten (Deutscher Städtetag, o. J.), während der DLT zum Ziel hat, die gemeinsamen Interessen der „kommunalen Körperschaften gegenüber Staat und Öffentlichkeit zur Geltung zu bringen“ (Deutscher Landkreistag, o. J.). Der DStGB nimmt sich den Interessen von Städten und Gemeinden in der EU an (Deutscher Städte-und Gemeindebund, o. J.) – eine weitere Ebene der Vertretung der kommunalen Spitzenverbände. Die BAGüS stellt einen Zusammenschluss von überörtlichen Trägern der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe dar (BAGüS, o. J.). Von Seiten der Bundesländer sind Vertreter*innen der zwei Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie Bayern, Rheinland-Pfalz und das Saarland vertreten. Gerade die immer weiter steigende Ausgabendynamik, welche besonders zu Lasten der Städte und Kommunen geht, lässt eine Beteiligung dieser Akteur*innen als sinnvoll erscheinen. Zeitgleich handelt es sich beim BTHG um ein zustimmungspflichtiges Gesetz, das heißt, dass die Länder dem Gesetz letztendlich zustimmen müssen. Denn neben dem Bund üben auch sie eine Gesetzgebungskompetenz aus (Bogumil, 2019, S. 1). Es ist daher nachvollziehbar, dass auch die Länder mit in die AG BTHG eingebunden werden. Verschiedene Interviewpersonen verweisen ebenfalls auf die Zustimmungspflichtigkeit des Gesetzes und weisen damit zeitgleich auf eine machtvolle Position dieser Akteur*innen hin (s. Interview 1, 2, 5, 6, 7, 8, 11). a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen Der finanzielle Blickwinkel der Akteur*innen wird im Rahmen der AG BTHG sehr deutlich. Daher sollen einzelne ihrer Argumentationen und Standpunkte im Folgenden verdeutlicht werden. Die Akteur*innen reagieren im Zuge der AG auf die jeweils vorab festgelegten Thematiken. Bereits im Zuge der ersten Sitzung der AG BTHG (Juli 2014) betonen die Bundesländer sowie die kommunalen Spitzenverbände, dass die finanziellen Probleme der Kommunen und Länder in den Blick genommen werden müssen und somit eine Entlastung der Kommunen mit Hilfe der Reform erzielt werden sollte (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 4). Auch weitere Themen stehen unter dem Schirm der Finanzierung: So wird gerade bei den Themen soziale Teilhabe und Bedürftigkeits(-un-)abhängigkeit von Fachleistungen der finanzielle Blickwinkel besonders deutlich. Gleiches gilt bei der Diskussion zur sozialen Teilhabe (inkl. Assistenzleistungen): Rheinland-Pfalz betont, dass es bereits gute Erfahrungen im ‚Poolen‘ von Leistungen im Bereich der Pflege gebe, sodass eventuelle Befürchtungen anderer Teilnehmenden (beispielsweise die der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung) ausgeräumt werden können. Auch die BAGüS spricht sich

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

für das ‚Poolen‘ von Leistungen aus, gerade mit Blick auf die Kostendynamik (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 12–13). Insbesondere die kommunalen Spitzenverbände seien für das ‚Poolen‘ gewesen, so die Aussage zweier Interviewpartner*innen (s. Interview 7, 8), im Gegensatz zu den Verbänden der Menschen mit Behinderung. Zur Diskussion der kommunalen Entlastung (Schäuble-Scholz-Papier) im März 2015 äußern sich die beiden Akteur*innen kritisch. Es wird erneut auf die finanzielle Entlastung durch den Bund gepocht. So betont Hamburg, dass die UN-BRK umgesetzt werden müsse. Die Erwartungen, die durch die AG geschürt wurden, müssten von der Politik aufgenommen werden. Das neue Gesetz sollte die steigende Ausgabendynamik bremsen, was mit Hilfe des Bundesteilhabegeldes durchaus umzusetzen sein könnte. Hamburg fordert, neben der Arbeitsgruppe, auch den Bund auf, „nun ihre Vorstellungen für ein realistisches Bundesteilhabegesetz“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 7) offenzulegen. Bremen ergänzt, dass sich die ASMK (genauere Beschreibung der Inhalte des ASMK in Teilkapitel E.III.3.) für die Koppelung von Finanzen und EGH ausgesprochen habe – dies sei auch ursprünglich Ziel des Koalitionsvertrags gewesen. Durch das Bundesteilhabegeld könnte eine kommunale Entlastung herbeigeführt werden. Einer Entkoppelung der kommunalen Entlastung von der Reform sei demnach nicht zuzustimmen. Das Saarland, die BAGüS und der DST nehmen die angestrebte Veränderung ebenfalls kritisch wahr (ebd., S. 5–9). Das Land Bremen und die kommunalen Spitzenverbände berufen sich auf den Einhalt des Koalitionsvertrages. Beiden Akteur*innen wird aber bewusst sein, dass ein Koalitionsvertrag eher eine „politische Geschäftsgrundlage“ (Deutscher Bundestag, 2009, S. 2) darstellt und weniger ein rechtlich bindender Vertrag. Das heißt, dass die Umsetzung der politischen Ziele nicht eins-zueins verwirklicht werden müssen (ebd.). Daher stellt es ein schwieriges Unterfangen dar, auf die Umsetzung aller Punkte des Koalitionsvertrags zu pochen. Im Zuge der letzten Sitzung (April 2015) verweisen die Länder und die kommunalen Spitzenverbände erneut auf die Wichtigkeit der Umsetzung der finanziellen Aspekte. Hamburg betont, dass für die Länder geklärt werden müsse, inwiefern sich der Bund an den Kosten zu beteiligen gedenkt. Nur so könnten Leistungsverbesserungen umgesetzt werden. Dies könnte durch eine Veränderung der Leistungserbringungs- und des Vertragsrechts ermöglicht werden. Der DLT betont, dass es beim weiteren Vorgehen relevant sei, dass die Ausgabendynamik gebremst wird. Eine Abkoppelung der kommunalen Entlastung von der EGH sei daher ein wichtiger Ansatz (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015d, S. 15 ff.). In Bezug auf einzelne Erwartungen an ein BTHG gibt es andererseits auch Schnittmengen mit den Forderungen der Menschen mit Behinderung. So



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sprechen sich Hamburg und Rheinland-Pfalz beispielsweise sehr deutlich für die flächendeckende Einführung eines Bundesteilhabegeldes aus. Interviewperson 6 betont, dass einzelne der Länder sich durchaus für das Bundesteilhabegeld aussprechen, andere Länder diesem allerdings ablehnend gegenüberstehen (Interview 6, Zeile 539–541). Auch der DST und der DLT stimmen dem Bundesteilhabegeld zu (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 19–21). Zur Thematik rund um den Behinderungsbegriff sind sich die Länder einig, dass es eine neue Definition dessen geben sollte. Dem schließt sich die BAGüS an und betont, dass diese im Sinne der UN-BRK auszugestalten sei und auch in anderen Leistungssystemen dem Begriff anzupassen sind24 (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b, S. 4–6). Zur unabhängigen Beratung betonen das Saarland und Bremen, dass es eine gesetzliche Verankerung in der EGH auf das Recht des Peer-Counselings geben sollte (ebd., S. 15–16). Im Zuge der Diskussion rund um die Teilhabe am Arbeitsleben (Oktober 2014) nehmen die Länder sowohl die UN-BRK als auch die finanziellen Aspekte in den Blick. Verschiedene Akteur*innen der AG BTHG (stärkere und schwächere), darunter auch das Saarland, sprechen sich für die Umsetzung der Teilhabe am Arbeitsleben aus, die bereits in Nordrhein-Westfalen praktiziert wird. Somit könnte es für alle Menschen mit Behinderung (abgesehen von Menschen, die eine erhebliche Selbst- oder Fremdgefährdung vorweisen) ermöglicht werden, eine Werkstattförderung zu erhalten. Ferner sei es nicht vertretbar, dass Menschen, die kein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbringen können, aus dem Berufsbildungsbereich und dem Arbeitsbereich von Werkstätten – gerade auch mit Blick auf die UNBRK – ausgeschlossen werden. Bayern nimmt die Abschaffung der Tagesförderungsstätten hingegen eher kritisch wahr, „weil daraus dann ein nicht intendiertes Abschieben dieses Personenkreises [der Menschen mit hohem Pflegebedarf] in die Pflege resultieren könne“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 17). Hamburg schlägt vor, die Tagesförderungsstätten werkstattnäher zu organisieren, da dies ein inklusiver Ansatz sei. Allerdings sollte die Finanzierung dessen noch geklärt werden (ebd.). Nachdem die AG BTHG im April 2015 das letzte Mal getagt hat, veröffentlicht der Deutsche Landkreistag Anfang Mai 2015 ein Argumentationspapier mit Erwartungen, die Kommunen an das BTHG haben. Es ist zu vermuten, dass der DLT dem BMAS seine Sichtweise auf das neue Gesetz für die Entwicklung des BTHG auf den Weg geben möchte. Zentral ist die Forderung, 24  Lediglich der DLT nimmt einen anderen Blickwinkel ein und macht deutlich, dass der bis dahin bestehende Behinderungsbegriff nicht so defizitär sei, wie im Arbeitspapier dargestellt. Die Definition, die bisher gelte, könne bereits den Anforderungen der UN-BRK entsprechen (ebd.).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

dass keine neue Ausgabendynamik mit dem BTHG entstehen dürfe. Der DLT erwähnt, dass eine bedürftigkeitsunabhängige Gewährung der Leistungen oder höhere Freibeträge von Einkommen und Vermögen zu Mehrausgaben führen würden. Auch „ein anrechnungsfreier Selbstbehalt bei einem als Geldleistung gezahlten Bundesteilhabegeld, das im Übrigen auf die Eingliederungshilfe angerechnet werden soll, würde gleichfalls beträchtliche Mehrkosten auslösen“ (Deutscher Landkreistag, 2015, S. 1). Ferner wird, wie auch schon im Rahmen der AG BTHG (s. Bundesministerium für Arbeit und So­ ziales, 2014b), im Argumentationspapier hervorgehoben, dass es keinen neuen Behinderungsbegriff geben sollte, da der bestehende Begriff bereits an der UN-BRK angelehnt sei. Inwiefern dies bereits der Fall ist, wird nicht erläutert. Sofern es mit dem neuen Behinderungsbegriff zu einer Ausweitung des leistungsberechtigen Personenkreises kommt, könnte dies ebenfalls mit Mehrkosten verbunden sein. Das von vielen anderen Akteur*innengruppen positiv wahrgenommene Beratungsangebot der unabhängigen Beratung sei nach Einschätzung des DLT überflüssig, da es bereits eine Fülle von anderen Beratungssettings gebe (Deutscher Landkreistag, 2015, S. 1). Nachfolgend wird betont, dass nicht nur keine neue Ausgabendynamik entstehen dürfe, sondern auch die aktuelle Ausgabendynamik mit einem neuen Gesetz gebremst werden müsste. Auch die jährliche kommunale Entlastung in der Höhe von fünf Milliarden Euro sollte alle Bundesländer und somit auch alle Kommunen unmittelbar erreichen. Zentral sei die Entlastung der einzelnen Kommunen, nicht die der einzelnen Bundesländer (ebd.). Mit dieser Aussage wird eine deutliche Abgrenzung zwischen den Bundesländern und den Kommunen vorgenommen, aber gleichzeitig die Finanzierung des neuen Gesetzes als zentrale Voraussetzung aufgeführt. Die Diskussionen in der AG BTHG und die Stellungnahme des DST verdeutlichen, dass die Eindämmung der Kostendynamik einen zentralen Forderungspunkt der Länder und der kommunalen Spitzenverbände darstellt. Auch verschiedene Interviewpartner*innen fällt auf, dass die Ausgabendynamik im Fokus der beiden Akteur*innen ist (zu nennen sind hier Interview 1, 5, 6, 7, 8, 10, 11, 13). Dazu beschreibt Interviewperson 5: „Naja, die kommunalen Spitzenverbände und die Länder, die waren ja schon extrem einflussreich, denen ging es immer darum, auch die finanziellen Risiken, die mit so einem Gesetz, was ja […] in gewisser Weise einen Neuaufbruch mit sich bringt, wo keiner, sage ich mal, einfach sagen kann, was kostet denn der Spaß, ne, wenn wir das alles umkrempeln? Das war schon […] ein ganz wesentlicher Punkt. Das heißt, deren Engagement auch im Hinblick darauf, wie wird der Personenkreis begrenzt“ (Interview 5, Zeile 660–667).

Mit diesem Zitat wird deutlich, dass durchaus Verständnis für die finanziellen Aspekte des Gesetzes herrschen. Allerdings wird eine Problematik darin gesehen, dass die Entwicklung eines neuen Gesetzes durchaus eine neue fi-



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nanzielle Ausgabenseite mit sich bringt. Eine weitere Interviewperson betont, dass auch die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung die finanzielle Seite im Blick haben, aber einen anderen Schwerpunkt (soziale Teilhabe) gesetzt haben als die kommunalen Spitzenverbände (Interview 8, Zeile 639–642). Eine andere Interviewperson, die den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung zuzuordnen ist, schildert, wie die Diskussionen im Rahmen der AG mit einem der kommunalen Spitzenverbände auf sie gewirkt hat: „Mit offenem Visier sind die [kommunaler Spitzenverband] uns entgegengetreten und haben gesagt, geht nicht. Zahlen wir nicht. […] Da war wenigstens klar, dass so – die wollen das Poolen von Leistungen. Punkt. [lacht kurz] Es geht anders nicht zu finanzieren“ (Interview 7, Zeile 696– 698). Der kommunale Spitzenverband wirkt zwar unnachgiebig und nicht verhandlungsbereit, aber die Interviewperson schildert dieses Vorgehen vielmehr so, als habe sie das Gefühl, dass mit ‚offenen Karten gespielt‘ werde. Die Interessenverbände wissen demnach, woran sie sind und wo ggf. noch Verhandlungsmöglichkeiten sind – und in welchen Punkten nicht. b) Zusammenfassung Länder und kommunale Spitzenverbände Wie mehrfach in diesem Teilkapitel beschrieben, haben gerade die kommunalen Spitzenverbände die Ausgabendynamik im Blick. Zurückzuführen ist dies auf ihre eigene finanzielle Belastung durch die Eingliederungshilfe. Daher fordern sie, dass die Finanzierung im Rahmen eines SGB IX-neu nicht weiter ansteigen dürfe – dies betonen sie im Rahmen der AG BTHG mehrfach (z. B. mit Blick auf alternative Anbieter/Teilhabe am Arbeitsleben, ‚Poolen‘ von Leistungen). Aber auch einzelne Länder nehmen die Kostenseite des neuen Gesetzes wahr und verweisen darauf. Nachfolgend werden die Forderungen der beiden Akteur*innen Tabelle 8 dargestellt: Tabelle 8 Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und Länder 2014–2015 Kommunale Spitzenverbände und Länder (Auswahl) Kommunale Spitzenverbände: Entlastung der Kommunen durch Bund, keine neue Ausgabendynamik, Beibehalt des Behinderungsbegriffs SGB IX-alt, ‚Poolen‘ aus finanziellen Aspekten sinnvoll, Fürsprache für das Bundesteilhabegeld, bundesweit gleiches Gesamtplanverfahren Länder: Entlastung der Kommunen durch den Bund, neue Definition des Behinderungsbegriffes, Schaffung der unabhängigen Teilhabeberatung, ‚Poolen‘ aus finanziellen Aspekten sinnvoll, Fürsprache für das Bundesteilhabegeld Quelle: Eigene Darstellung

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Die dargestellten Forderungen verdeutlichen, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Länder andere Erwartungen an ein neues Gesetz haben als beispielsweise die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung (s. Teilkapitel E.IV.1.). Gerade was das ‚Poolen‘ von Leistungen angeht, sind die Meinungen sehr unterschiedlich, sowie auch z. B. mit Blick auf die Schaffung eines neuen Behinderungsbegriffes (s. kommunale Spitzenverbände). Beide Akteur*innen haben besonders die Ausgabendynamik im Fokus ihrer Forderungen, weniger die Umsetzung der UN-BRK. In ihren Argumentationsmustern lässt sich eine kalkulatorische Orientierung nach Nullmeier und Kuhlmann (2022, S. 16) erkennen: Die Akteur*innen nehmen durch ihre wiederholende Darstellung der Finanzierung eine deutliche Kostenabwägung vor. Ein neues Gesetz ist ihrer Einschätzung nach nur mit Hilfe einer Bremsung der Kostendynamik möglich. 5. Entscheidungsträger*innen und Opposition Im nachfolgenden Teilkapitel werden verschiedene Akteur*innen in den Blick genommen. Dazu gehören die verschiedenen Parteien (Große Koalition und Opposition), das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung und ihre Kolleg*innen von Bund und Ländern. Die verschiedenen Akteur*innen haben unterschiedliche Erwartungen an das neue Gesetz. a) Die AG BTHG und vereinzelte Stellungnahmen Die AG BTHG wird vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) durchgeführt. Daher nehmen verschiedene Mitarbeitende des Ministeriums daran teil, ebenso die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung (Verena Bentele), nicht aber die verschiedenen Vertreter*innen der Parteien (Interview 7, Zeile 791–793). Die Aufgaben der beauftragten Person der Bundesregierung sind in § 18 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) festgehalten. So ist es seine*ihre Aufgabe, „darauf hinzuwirken, dass die Verantwortung des Bundes, für gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderungen zu sorgen“ (§ 18 Abs. 1 BGG) und zwar „in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens“ (ebd.). Die Bundesministerien sind nach Abs. 1 dazu aufgerufen, den*die Beauftragte bei Gesetzesvorhaben, sofern sie Fragen zur Integration betreffen, darin einzubinden (§ 18 Abs. 2 BGG). Des Weiteren ist die beauftragte Person auch ein Sprachrohr für die Interessen von Menschen mit Behinderung (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2000, S. 11). Sie nimmt also eine „Vermittlerrolle“ (Interview 15, Zeile 29) zwischen den



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Menschen mit Behinderung und der Bundesregierung ein. Dieser Aufgabe kommt sie demnach auch im Rahmen der AG nach. Das Ministerium sieht seine Rolle im Zuge der AG als „aktiver Zuhörer“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014k, S. 2), es erfolgt demnach keine Positionierung des BMAS in der AG (ebd.; s. auch Interview 13, Zeile 696). Diese eher passive Rolle wird deutlich, wenn man sich die Beiträge des Ministeriums in den AG-Protokollen genauer ansieht. Das BMAS beteiligt sich nicht an der Diskussion, sondern stellt auf Anfrage einzelne Inhalte dar, führt in neue Tagesordnungspunkte ein oder weist die anderen AG-Teilnehmenden mehrmals auf die eigene – unbeteiligte – Rolle hin. Ähnlich verhält es sich beispielsweise mit der Rolle des Bundesministeriums für Finanzen (BMF). Dieses wird zu Rate gezogen, um finanzielle Fragen zu klären oder Sachverhalte darzustellen, allerdings nicht, um an der Diskussion teilzunehmen. Auch andere Bundesministerien nehmen an verschiedenen Sitzungen teil und nehmen eine ähnliche Rolle ein. Einzig Verena Bentele kann im Zuge der AG BTHG mitdiskutieren. Im Folgenden sollen einzelne Hinweise der Ministerien, die als relevant erachtet werden (wie Aussagen zu Aufgaben der AG und die jeweilige Rollendarstellung, Rede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, etc.), dargestellt werden. Ferner werden auch die Reaktionen von Verena Bentele und der Parteien (Reaktionen außerhalb der AG) dargelegt. Das Ministerium Im Zuge der ersten AG BTHG-Sitzung am 10. Juli 2014 stellt das BMAS eingangs deutlich dar, welche Aufgabe die AG innehat: „Das BMAS erläutert, dass es aus seiner Sicht nicht Aufgabe der Arbeitsgruppe sei, einen Konsens über die Inhalte des Bundesteilhabegesetzes herzustellen. Vielmehr solle es darum gehen, Reformthemen zu identifizieren und strittige Themen zu erörtern. Nach Möglichkeit sollten hierbei Sachverhalte einvernehmlich aufgearbeitet, die sich daraus ergebenden Problemlagen dargestellt und mögliche Handlungs­ optionen diskutiert werden. In den Protokollen und dem abschließenden Bericht der AG werden die unterschiedlichen Positionen der AG-Mitglieder festgehalten. Sollten Kompromisslinien herausgearbeitet werden, werden diese entsprechend abgebildet“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014i, S. 4).

Demnach sollen Kompromisse für strittige Reformthemen und relevante Inhalte gefunden werden und kein Konsens über die Inhalte des BTHG. Damit stellt das BMAS indirekt dar, dass es sich bei der AG BTHG um eine offene Diskussion handelt, in der jede*r beteilige*r Akteur*in die eigenen Sichtweisen einbringen kann, allerdings diese kommunizierten Sichtweisen nicht unbedingt dazu führen müssen, dass diese auch später im Gesetz wieder zu finden sind.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Im Rahmen der achten Sitzung der AG BTHG im März 2015 wird u. a. über die kommunale Entlastung bzw. die Entscheidung über das SchäubleScholz-Papier diskutiert und vielerseits kritisiert. Im Zuge dessen wiederholt das BMAS, welche Aufgabe die AG innehat. Denn der Beteiligungsprozess könnte keine politischen Entscheidungen lenken oder garantieren. „Er könne aber sehr wohl bessere Voraussetzungen für die politischen Entscheidungen schaffen. Dies gelte unabhängig vom Transferweg der kommunalen Entlastung“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 6). Der AGBTHG-Prozess ziele eben nicht darauf ab, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, sondern Lösungsmöglichkeiten herauszuarbeiten. „Die Abwägung von Inhalten des Bundesteilhabegesetzes sei dann Teil der Gesetzgebungsarbeit“ (ebd., S. 7). Die Wiederholung dieser Argumentation wirkt so, als sehe das BMAS keine andere Lösung, die Gemüter und die Diskussion zu beruhigen, als die beteiligten Akteur*innen darauf hinzuweisen, was der Arbeitsauftrag dieser AG ist. Das BMAS reagiert somit auf die kritischen Beiträge der AG-Beteiligten. Im Zuge einer Sitzung (Dezember 2014) nimmt Andrea Nahles an der AG teil – welche das BMAS in dieser Legislaturperiode leitet – und hält eine kurze Rede. Bei den vielseitigen Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung sei es relevant, immerzu den Koalitionsvertrag im Blick zu behalten. Ein Hinweis, dass Anforderungen, die über den Koalitionsvertrag hinausgehen, eher schwierig umzusetzen seien. Mit diesem Blick auf den Koalitionsvertrag sei es zentral, so Andrea Nahles, dass es zu keiner neuen Ausgabendynamik der EGH komme. Das BTHG müsse vielmehr Lösungen finden, um diese Dynamik zu bremsen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014k, S. 3). Hier wird auch die Richtungsweisung des BMAS indirekt deutlich. Wirft man einen Blick auf die Inhalte einzelner Interviews, so zeichnet sich ab, dass nicht nur die Länder und kommunalen Spitzenverbände die Finanzierung im Fokus haben, sondern auch das BMAS. Damit sitzt das Ministerium in einem „Dilemma“ bzw. einer „Bredouille“ (Interview 12, Zeile 165–167). Einerseits, weil es die weiter steigende Ausgabendynamik der Eingliederungshilfe eindämmen möchte, hin zu einer Kostenneutralität (Interview 6, Zeile 292–295) und andererseits, weil es den Vorgaben der UN-BRK folgen möchte, die die fachliche Seite im Blick hat, was aber ggf. zu einer Erhöhung der Kosten führen könnte (Interview 12, Zeile 165–167). Kritisiert wird, dass das Ministerium im Rahmen der AG BTHG ‚ehrlicher‘ hätte sein müssen, dass neben der menschenrechtlichen Thematik auch die Finanzen eine besondere Relevanz haben: „Die andere Seite […] hätte meines Erachtens da auch deutlich vielleicht ehrlicher sein sollen und a) auch mal wirklich expliziter sagen können, es ist ja auch einfach ein Kostenthema. Und es geht nicht nur um die Reform des Teilhaberechts, um die Teilhabe zu stärken und die Behindertenrechtskonvention umzusetzen, so stand es



IV. Reformphase 2 (Mitte 2014 bis Frühjahr 2015)151 überall, und das muss die Politik ja auch – oder ein Ministerium auch so schreiben, aber diese Kostenfrage war halt einfach ein dominierendes Thema“ (Interview 15, Zeile 169–175).

Diese Aussage lässt eine Unzufriedenheit über die Rolle des Ministeriums als ‚aktiver Zuhörer‘ durchblicken. Es wirkt so, als würde sich die Interview­ person wünschen, dass sich das Ministerium in der AG-Diskussion stärker mit Blick auf die Ausgabendynamik positioniert hätte, um die Priorisierung im Fortgang der Reform zu verdeutlichen. Verena Bentele und die Beauftragten von Bund und Ländern Im Verlauf der AG BTHG – aber auch darüber hinaus – nimmt Verena Bentele ähnliche Sichtweisen wie die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung ein. Dies zeigt sich beispielsweise in der Diskussion zur unabhängigen Beratung im September 2014. Hier spricht sich Verena Bentele für das Peer-Counseling aus, welches zusätzlich zum bestehenden Beratungsspektrum der Leistungsträger bestehen könnte. Die Diskussion darüber, dass Menschen mit Behinderung diese Tätigkeit ehrenamtlich ausführen, wäre ihrer Einschätzung nach nicht akzeptabel (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014b)25. Ferner betont sie zum Thema Bedürftigkeits-(un-)abhängigkeit der Fachleistung, dass eine volle Freistellung von Einkommens- und Vermögensanrechnung erfolgen sollte und dies möglichst einfach gestaltet sein sollte, „um die schwierige politische Streitfrage nach der Festlegung von Freibetragsgrenzen zu vermeiden und um die Umsetzung der Regelung nicht mit Komplexität zu erschweren“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014d, S. 17), so ihre Begründung. Im Zuge einer weiteren Sitzung der AG BTHG (14. Oktober 2014) wird die Teilhabe am Arbeitsleben thematisiert. Hier betont Verena Bentele, dass es eine Leistungserweiterung in den Werkstätten geben müsste, und zwar dahin gehend, dass Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote geschaffen werden. Zudem sei es wichtig, Anreize für Arbeitgeber*innen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu schaffen, „insbesondere durch Überprüfung der Leistungen des SGB II, damit die Rolle der Arbeitgeber nicht auf die Erfüllung der Beschäftigungsquote verengt wird“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2014j, S. 9–10). Verena Bentele und andere Akteur*innen (wie 25  Das BMAS kann sich an dieser Stelle zwar nicht zu Wort melden, es gibt aber Hinweise im Rahmen der Interviews, dass das Ministerium der unabhängigen Teilhabeberatung nicht abgeneigt gegenübersteht (Interview 7, Zeile 287–288) – und damit nicht nur die gleiche Meinung teilt wie Verena Bentele, sondern auch die der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (Interview 15, Zeile 381–384; zum Thema s. auch Interview 14, Zeile 124–129).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

BAG WfbM oder die Fachverbände) betonen, dass die Formulierung „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit“ (ebd., S. 17) nicht vertretbar sei, gerade mit Blick auf die UN-BRK (ebd.). Verena Bentele lehnt, wie auch beinahe alle anderen Akteur*innen eine Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab. Sie befürchtet, dass durch eine Entkopplung des BTHG von der kommunalen Entlastung der Reformdruck sinken könnte. Ein modernes Teilhaberecht könnte nur ermöglicht werden, wenn zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Weiter führt sie aus, dass durch den AG-Beteiligungsprozess „Erwartungen geweckt worden [sind], die nicht einfach abgewiesen werden können“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015c, S. 4). Kurz nach Abschluss der AG BTHG reagiert Verena Bentele in ihrem Newsletter erneut auf die veränderte Finanzierung. Als „herben Rückschlag“ (Bentele, 2015) bezeichnet sie die Trennung der finanziellen von der fachlichen Reform. Eine Entlastung der Kommunen werde somit unabhängig von der Reform des BTHG erfolgen, sodass unklar ist, ob es einen finanziellen Spielraum für die Verbesserung von Leistungen gibt. Nur mit angemessener Finanzierung könnte ein solides Teilhabegesetz entstehen, so Verena Bentele (ebd.). In ihrem Newsletter-Eintrag wird deutlich, dass Verena Bentele auf die Umsetzung der UN-BRK pocht und dass die Umsetzung dieser eng mit der Finanzierung verwoben ist. Damit nimmt sie ein Spannungsfeld zwischen Kosten und Menschenrechten wahr. Im Mai 2015 nimmt die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung an einer Podiumsdiskussion der SPD-Bundestagsfraktion der Landesvertretung des Freistaates Bayern in Berlin teil. Die Veranstaltung findet kurz nach der Beendigung der AG BTHG statt. Verena Bentele fordert, dass die UN-BRK im BTHG umgesetzt werden muss. Sie betont, dass dafür die Teilhabeleistungen unabhängig von Vermögen und Einkommen gewährt werden müsse und die Assistenz unabhängig vom Wohnort geleistet werden solle (Miles-Paul/Vega, 2015). Diese Forderungen – oder ähnliche – sind bereits im Rahmen anderer Veranstaltungen/ Stellungnahmen von ihrer Seite benannt worden (s. Miles-Paul, 2015f; s. Weiberzeit, 2015). Diese Wiederholungen machen deutlich, dass diese Forderungen für sie Kernpunkte darstellen. Im Gegensatz dazu fordern ihre Kolleg*innen von Bund und Ländern lediglich eine deutliche Verbesserung (nicht aber die Abschaffung) der Regelungen von Einkommen und Vermögen (Behindertenbeauftragte Bund und Länder, 2015, S. 1–3). Die Parteien Bevor die AG BTHG das erste Mal tagt, wird im Rahmen einer Plenardebatte im Bundestag zum Europäischen Tag der Gleichstellung am 08. Mai 2014 über Forderungen und Erwartungen gesprochen, die einzelne Parteien



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an das BTHG haben. Kerstin Tack (SPD) formuliert sehr deutlich, was sie von der Reform erwartet: Eine verbesserte Personenzentrierung, ein besseres Wunsch- und Wahlrecht und eine Schnittstellenlösung für verschiedene Sozialgesetzbücher. Zudem fordert sie eine Entkoppelung der Sozialhilfe, sodass nicht länger eine Überprüfung von Einkommen und Vermögen nötig ist. Daneben sind auch Mitwirkungsrechte von Schwerbehindertenvertretungen zu überarbeiten und die Mitwirkungsrechte von Werkstatträten. Kerstin Tack hebt auch hervor, dass die SPD mit verschiedenen Verbänden von Menschen mit Behinderung Gespräche führe. Die Erwartungshaltung der Verbände sei hoch, es seien bereits viele Vorschläge für die Reform gemacht worden. Jutta Eckenbach (CDU/CSU) formuliert das Ziel, die Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderung zu vergrößern. Dafür möchte die CDU/CSU „alles Menschenmögliche tun“ (Plenarprotokoll 18/33, 2014, S. 2823). Diese Ausdrucksweise suggeriert, dass keine Grenzen für ein sehr breites Thema gesetzt sind, welches zunächst einmal alle Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung betrifft. Es könnte demnach – sehr zugespitzt – für alle Lebensbereichen ohne jegliche Einschränkungen ein neues Gesetz geschaffen werden. Doch im Folgenden grenzt sie diese Möglichkeiten ein. Sie bezieht sich auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen, wobei nicht spezifiziert wird, ob die Anrechnung abgeschafft oder nur verändert werden soll. Uwe Schummer (CDU/CSU) legt hingegen einen Schwerpunkt auf die Finanzierung, indem er betont, dass das Bundesteilhabegeld Menschen mit Behinderung nicht nur aus der „Armutsfalle“ (ebd., S. 2821) herausführen, sondern auch die Kommunen finanziell entlasten könnte. Auch die Teilhabe am Arbeitsleben hat er im Blick (ebd.). Die Opposition äußert sich ebenfalls zu Wort. Corinna Rüffer (Bündnis 90/ Die GRÜNEN) betont, dass es nicht in Ordnung sei, wenn Ehepartner*innen durch die Anrechnung von Einkommen und Vermögen „arm werden“ (ebd.). Weiter kritisiert sie, dass in kürzlich geführten Debatten vielmehr über die finanziellen Einsparpotenziale gesprochen werde als über die Rechte von Menschen mit Behinderung. Katrin Werner (die LINKE) spricht deutliche Forderungen an die Reform zum BTHG aus: Der Behinderungsbegriff sollte an die UN-BRK angepasst werden, und zwar in verschiedenen Gesetzen, die Menschen mit Behinderung betreffen. Zudem sei es ratsam, die Einkommens- und Vermögensgrenzen zu streichen, damit Menschen mit Behinderung ein eigenes Vermögen ansparen können. Auch der Anspruch auf Assistenz sollte ausgeweitet werden. Sie betont, ebenso wie Corinna Rüffer, dass die Bundesregierung nicht nur auf die Kostenseite schauen dürfe, sondern vielmehr „freiheitliche Lebenschancen“ (ebd., S. 2817) im Zentrum stehen sollten (ebd., S. 2816 ff.). Ähnliches wird im Zuge einer Rede im Bundestag am 03. Juli 2014 auf einen Antrag der Fraktion die LINKE, zum Thema „Bundesteilhabegesetz

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

zügig vorlegen – Volle Teilhabe ohne Armut garantieren“ (Plenarprotokoll 18/46, 2014, S. 4239) von den verschiedenen Politiker*innen vorgebracht. Unterschiedliche Interviewpersonen bestätigen, dass auch sie einzelne der oben aufgezählten Forderungen von den Parteien wahrnehmen können. So sei es nicht nur das Ziel der Opposition die UN-BRK umzusetzen, sondern auch die der Großen Koalition (s. Interview 1, 4, 8, 17). Betont wird, dass gerade die Opposition (insbesondere Bündnis 90/Die GRÜNEN) die Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung aufgenommen habe (Interview 3, Zeile 810–816; Interview 10, Zeile 434–435; Interview 15, Zeile 682–684). Insgesamt sei immer wieder zu beobachten gewesen, dass die Opposition sozialpolitische Themen aufgenommen habe (Interview 2, Zeile 808–814; Interview 3, Zeile 826–829), wie beispielsweise die Thematik von Einkommen und Vermögen (Interview 10, Zeile 434–435; Interview 12, Zeile 579–581) und der Abänderung der Definition der wesentlichen Behinderung (Interview 12, Zeile 581–582). Da die SPD an der AG BTHG nicht teilnimmt, formuliert die Bundestagsfraktion (unter Kerstin Tack) Anfang Dezember 2014 ein Eckpunktepapier zu den Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz. Mit Hilfe der Veröffentlichung möchte Kerstin Tack auf ihre Interessen aufmerksam machen. Im Eckpunktepapier wird betont, dass durchaus ein „Balanceakt“ (SPD Bundestagsfraktion, 2014, S. 1) zwischen Finanzierung und sozialpolitischen Veränderungen wahrgenommen werde. Für die SPD bzw. für Kerstin Tack stellt die UN-BRK einen wichtigen Anspruch dar, welcher für die Selbstbestimmung durch das Wunsch- und Wahlrecht unverzichtbar sei und auch für die Umsetzung eines modernen Teilhaberechtes. Ferner wäre es wünschenswert, wenn es ein bundeseinheitliches Bedarfsermittlungsverfahren gebe, Leistungen ‚wie aus einer Hand‘ gewährt werden sowie die Einkommens- und Vermögensgrenzen geändert werden (ebd.) – nicht, wie im Mai 2014 noch angekündigt, abzuschaffen (s. oben). Diese Änderung ist vermutlich auf die Aushandlungen innerhalb der Großen Koalition zurückzuführen. Einschränkend wird zur Thematik des Bundesteilhabegeldes aufgeführt, dass dieses zunächst geprüft werden müsse (ebd., S. 1–4). Dieses Thema stelle einen indirekten Bezug u. a. auf die Forderungen verschiedener Interessenverbände (s. z. B. Miles-Paul, 2014) und der ASMK-Beschlüsse (s. Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 2007 u. 2013) dar. Damit reagiert die SPD bzw. Kerstin Tack u. a. auf die gestellten Forderungen der Interessenverbände. Allerdings wird auch deutlich, dass Kerstin Tack die Forderungen der Akteur*innen wahrnimmt, diesen kritisch – aber offen (‚Prüfung‘ dessen) – gegenübersteht. Dabei könnte die Finanzierung des Teilhabegeldes einen ausschlaggebenden Punkt darstellen. Denn neben dem Ministerium hat auch die Große Koalition die Finanzen im Blick, so Interviewpersonen 1, 6 und 8.



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Die Ausgabendynamik sei ein „wesentliches Motiv“ (Interview 8, Zeile 1242) die Reform zu beginnen, wie auch bereits im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode nachzulesen sei (Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013, S. 67). Zurückzuführen sein kann diese politische Sichtweise auf die Zustimmung der Länder. Das BTHG ist ein zustimmungspflichtiges Gesetz, bei dem die Länder ein großes Mitspracherecht haben und sich die Politik daher gewissermaßen auf ihre Seite stellen muss (auch, wenn sie vielleicht andere Vorstellungen hat), um eine Zustimmung für das Gesetz zu erzielen. Ein*e Interviewpartner*in beschreibt ein ‚Zerrissen-sein‘ der Großen Koalition zwischen ihren eigenen fachlichen Ideen und der Kostenseite: „In der Koalition haben wir uns vorgenommen, die Länder eng zu beteiligten, weil am Ende des Tages sind sie diejenigen, die erstens zustimmen müssen und zweitens umsetzen müssen, und deshalb haben wir die Länder sehr eng beteiligt an den Fragen, was verändern wir im parlamentarischen Raum. […] Das war nicht einfach, denn wir hatten häufig fachlich weitergehende Forderungen als die Länder bereit waren mitzumachen“ (Interview 17, Zeile 185–189).

Das Zitat lässt durchblicken, dass auch die Große Koalition ihre Forderungen aushandeln und Kompromisse eingehen muss. Am 18. März 2015 veröffentlicht Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die GRÜNEN) eine Pressemitteilung, in der sie die geplante und geänderte Finanzierung kritisch betrachtet. Damit reagiert sie auf das Schäuble-Scholz-Papier. Sie betont, dass für ein erfolgreiches Gesetz auch eine angemessene Finanzierung vorliegen sollte. Selbstbestimmung und Teilhabe sollten für Menschen mit Behinderung im Zuge der Reform ermöglicht werden. Corinna Rüffer bezieht sich im Rahmen ihrer Pressemitteilung auf einen Protest vor dem Kanzler*innenamt, den sie für angemessen und wichtig hält (Rüffer, 2015). Dieser wird vom Deutschen Gehörlosenbund initiiert und von anderen Interessenverbänden unterstützt und findet im März 2015 statt. Daran beteiligt sich auch Verena Bentele als Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Sie und andere Redner*innen sprechen sich gegen das Vorgehen der Bundesregierung (Änderung der Finanzierung des Gesetzes – s. achte Sitzung der AG BTHG) aus (Miles-Paul, 2015f). Die Zusammenarbeit mit den Beauftragten der Belange für Menschen mit Behinderung der jeweiligen Parteien (Große Koalition und Opposition) und deren Engagement im Rahmen des gesamten Reformprozesses sei enorm gewesen, so Interviewperson 5: „Das war bemerkenswert. Das wird ja in der Öffentlichkeit so gar nicht wahrgenommen, dass so Personen wie Frau Tack von der SPD, das war da die Führende, Herr Schummer von der CDU, aber vor allen Dingen von der CSU Frau Dr. Freudenstein, dass […] solche Persönlichkeiten sich dann da nachhaltig und intensiv mit auseinandergesetzt haben. Die haben […] auch weitergehende Gespräche geführt. Also immer, […] wieder angerufen bei den Behindertenverbänden oder auch

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

bei den Fachverbänden, könnt ihr uns erklären, wie der Sachverhalt denn sich in der Praxis darstellt und so, die haben sich also selbst eine eigene Meinung gebildet, das war schon wirklich beeindruckend“ (Interview 5, Zeile 556–566).

Die Beauftragten der Parteien haben demnach neben der Ankündigung und Unterstützung von Protesten (wie im oben aufgeführten Fall Corinna Rüffer) auch praxisnahe Beispiele von den Interessenverbänden selbst eingefordert, um, wie es üblich ist in der parlamentarischen Demokratie, ihre „Vermittlerrolle zwischen Staat und Gesellschaft ein[zunehmen]“ (Mielke, 2013, S. 175) – indem sie Interessen sammeln, bündeln und anschließend im Parlament und der Regierung näherbringen. Besonders Kerstin Tack (SPD) wird im oben aufgeführten Zitat (Interviewperson 5) hervorgehoben. Da das BMAS in dieser Legislaturperiode von der SPD geführt wird, liegt es nah, dass sie sich besonders engagiert gezeigt hat. Aber auch andere Interviewpersonen haben den Einsatz der Beauftragten der Parteien wahrgenommen – sowohl von der Großen Koalition (s. Interview 2, 6 u. 11) als auch von der Opposition (s. Interview 2, 5, 9, 10 u. 11). So betont beispielsweise Interview­ person 2, dass gerade Kathrin Werner (Die LINKE) und Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die GRÜNEN) „sehr viel Energie“ (Interview 2, Zeile 826) investiert haben, die über ihre eigentlichen Aufgaben als Beauftragte hinaus gehen (Interview 2, Zeile 826–827). Ulla Schmidt betont im Rahmen einer Podiumsdiskussion der SPD-Bundestagsfraktion der Landesvertretung des Freistaates Bayern im Mai 2015, kurz nach Beendigung der AG BTHG, in ihrer Rolle als SPD-Mitglied und Bundestagsabgeordnete26, dass im Zuge eines modernen Teilhabegesetzes die Einkommens- und Vermögensanrechnung in der EGH fallen müsse. Allerdings könnte das nur schrittweise erfolgen. „Inklusion könne nicht von heute auf morgen durchgesetzt werden“ (Miles-Paul/Vega, 2015). Ulla Schmidt hat eine Doppelrolle inne. Neben ihr gibt es noch weitere sogenannte Bridge Builder (s. Schmalz/Dörre, 2014) unter den Politiker*innen (z. B. bei den Parteien Bündnis 90/Die GRÜNEN und die LINKE). D. h. es sind Personen, die sich in zwei unterschiedlichen Organisationen engagieren und zeitgleich fähig sind, zwischen beiden Organisationen zu kommunizieren. Rose (1999) betont: „They learned to be bilingual, capable of translating between different classes and movements. They are bridge builders, people who are comfortable and competent to act within diverse social groups“ (Rose, 1999, S. 167). Davon können beide Organisationen profitieren, da es hilfreich sein kann, dass ein*e Akteur*in Einsicht in beide Organisationen hat und somit für Verständnis zwischen beiden Seiten werben kann und insight, also Einblicke/Erkenntnisse über eine bestimmte Problematik, transportieren kann (ebd.). Diese 26  Und nicht als Vorsitzende der Bundesvereinigung der Lebenshilfe, die sie ebenfalls innehat.



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Doppelrollen werden von den Interviewpersonen einerseits positiv wahrgenommen, da die Bridge Builder Fürsprecher*in der Interessen von Menschen mit Behinderung bei Parteien sind und Wissen über Verbandsinteressen innehaben (Interview 8, Zeile 1283–1289). Andererseits werden diese auch kritisch betrachtet; „Da muss man immer gucken, wer spricht hier gerade wie?“ (Interview 2, Zeile 698), was sich durch eine Unsicherheit darüber äußert, in welcher Rolle die Verbandsmitglieder/Politiker*innen aktuell ‚stecken‘. Damit wird eine Machtressource genutzt. Folgt man dem Ansatz, können sogenannte Bridge Builder aufgrund der oben aufgeführten Gründe positive Effekte auf die Interessenvermittlung haben (s. Schmalz/Dörre, 2014). b) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition Im Rahmen des Teilkapitels werden unterschiedliche Akteur*innen dargestellt. Verena Bentele erhält die Möglichkeit, ihre Forderungen oder ihre Ablehnung zu einzelnen Thematiken im Rahmen der AG BTHG zu vertreten, während die anderen Akteur*innen an der AG nicht beteiligt werden. Die verschiedenen Politiker*innen haben allerdings im Zuge anderer Beteiligungsebenen eine Möglichkeit, ihre Meinungen kundzutun, wie in Plenardebatten, in Stellungnahmen oder bei Veranstaltungen der jeweiligen Partei. Ihre Forderungen werden in der folgenden Tabelle 9 dargestellt: Tabelle 9 Forderungen der Entscheidungsträger*innen und der Opposition Entscheidungsträger*innen und Opposition (Auswahl) Politik: CDU/CSU: Wunsch- und Wahlrecht verbessern, Bundesteilhabegeld implementieren, inklusive Arbeitswelt schaffen, EGH aus Sozialhilfe herauslösen, Veränderung Einkommens- und Vermögensanrechnung SPD: verbesserte Personenzentrierung, Wunsch- und Wahlrecht verbessern, Schnittstellenlösung für verschiedene SGB, Leistungen ‚wie aus einer Hand‘, (zunächst Abschaffung, später) Veränderung Einkommens- und Vermögensanrechnung LINKE: Behinderungsbegriff an UN-BRK anpassen, Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen GRÜNE: Barrierefreiheit, Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen Ministerium: Ausgabendynamik bremsen Beauftragte der Bundesregierung: Schaffung der unabhängigen Teilhabeberatung, Abschaffung des ‚Mindestmaßes an verwertbarer Arbeit‘ in WfbM, Abschaffung Einkommens- und Vermögensanrechnung, Große Lösung, Wunsch- und Wahlrecht verbessern Quelle: Eigene Darstellung

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CDU/CSU und SPD machen mit ihren Forderungen deutlich, dass die Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit verändert, aber nicht abgeschafft werden soll. Die Opposition fordert (wie auch die Interessenverbände, einzelne Gewerkschaften oder die Beauftragte der Bundesregierung), dass diese komplett abgeschafft werden sollte. Hierbei wird das Spannungsfeld deutlich: Die Große Koalition hat die Kostendynamik im Blick, während die Opposition (und andere Akteur*innen) vielmehr die UN-BRK im Fokus ihrer Forderungen haben. Im Rahmen dieser Reformphase hat das Ministerium keine Möglichkeit, eigene Interessen zu vertreten, sondern nimmt vielmehr eine passive Rolle ein. Das BMAS kann somit lediglich auf organisatorischer Ebene in die AG eingreifen. Im nun folgenden Teilkapitel (E.V.) nimmt das BMAS allerdings eine zentrale und aktive Rolle ein, indem es, nach Abschluss der AG BTHG, einen Referentenentwurf erarbeitet. 6. Zusammenfassung Reformphase 2 Das Teilkapitel E.IV. ist dem Policy-Cycle folgend dem Agenda-Setting zuzuordnen, indem eine Besprechung von Handlungsbedarfen im Rahmen der AG BTHG und durch Stellungnahmen erfolgt (Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Durch die Reaktionen der Akteur*innen im Rahmen der AG und durch ihre Stellungnahmen werden verschiedene Sichtweisen deutlich: Die Einen legen einen Fokus auf die menschenrechtlichen Gesichtspunkte (vor allem Menschen mit Behinderung), die Anderen blicken auf die finanziellen Aspekte des BTHG (insbesondere kommunale Spitzenverbände und Länder). Jedes ‚Lager‘ hat Unterstützer*innen vorzuweisen. So argumentieren zwar die Wohlfahrtsverbände weniger mit der UN-BRK, unterstützen aber die Interessenverbände durch ähnliche Forderungen, wie die Einführung der unabhängigen Teilhabeberatung oder die Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Auch der DGB (als Arbeitnehmer*innen-Vertretung) nimmt ähnliche Erwartungen in den Blick. Ferner wird bei der Argumentation der Opposition und der Beauftragten der Bundesregierung deutlich, dass auch sie beispielsweise die Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung fordern. Die kommunalen Spitzenverbände und die Länder bekommen im Zuge der AG BTHG Zuspruch vom BDA (Arbeitgeber*innenVertretung). Die drei Akteur*innen sprechen sich für das ‚Poolen‘ von Leistungen aus, da dieses Vorgehen aus einem finanziellen Blickwinkel für sie sinnvoll erscheint. Folgt man der charakteristischen Unterteilung von Kausalmechanismen nach Nullmeier und Kuhlmann (2022), so wird deutlich, dass sich zwei Blickwinkel gegenüberstehen: (a) die Normorientierung, indem darauf gepocht wird, die UN-BRK ins deutsche Recht zu implementieren und (b) die



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kalkulatorische Orientierung, indem die Erwartungshaltung besteht, die Kosten einer Reform möglichst gering zu halten und die Ausgabendynamik zu bremsen (ebd., S. 16).

V. Reformphase 3 (Ende 2015 bis Spätsommer 2016): Emotionale Handlungsorientierung Die hier beschriebenen Geschehnisse können sowohl dem Agenda Setting als auch der Politikformulierungsphase des Policy-Cycle zugeordnet werden. Die Reaktionen auf Gesetzesentwürfe und der Versuch der Beeinflussung durch Stellungnahmen und Proteste stehen im Zentrum dieses Kapitels (s. Blum/Schubert, 2017). Im Rahmen der Interviews merken verschiedene Gesprächspartner*innen an, dass der Beteiligungsprozess an sich, wie auch oben beschrieben (s. Teilkapitel E.IV.), größtenteils recht positiv wahrgenommen wird. Allerdings gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass die Beteiligungsstrukturen, die mit der AG BTHG begonnen haben, nach Abschluss dieser abbrechen und nicht weiter fortgesetzt werden (z. B. Interview 3, 7, 12) – entgegen Andrea Nahles Ankündigung in der letzten AG-Sitzung, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände „weiterhin zu beteiligen“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2015d, S. 21). Nach Abschluss der AG BTHG zieht sich das Ministerium jedoch zurück und bereitet den ersten Gesetzesentwurf vor (Interview 4, Zeile 121–122), allerdings mit Ausschluss der Öffentlichkeit, um konzentriert Änderungen vorzunehmen, ohne Rechtfertigungsdruck (Interview 17, Zeile 294–299; 306–310). So betont Interviewperson 12, dass die Beteiligung „nicht konsequent zu Ende gedacht“ (Interview 12, Zeile 73) gewesen sei: „Und ich glaube, das Kernproblem […] in diesem Prozess war, dass zwischen dem ersten […] Gespräch und dem dann darauffolgenden Entwurf, da gab es keine Rückkopplung. Warum etwas übernommen wurde, warum etwas nicht übernommen wurde, und so weiter. Das Feedback zurück in die Verbände-Landschaft fehlte“ (Interview 12, Zeile 108–112).

Es folgt eine gewisse „Enttäuschung“ (Interview 12, Zeile 94), da die Interessenverbände statt einer engen und stringenten Eingebundenheit nun außen vorgelassen werden. Ebenso betont Palleit (2018), dass generell der Eindruck entsteht, dass Menschen mit Behinderung und ihre Verbände im Rahmen von Reformen „wenig Rückmeldung dazu [erhalten], in welcher Form ihre Empfehlungen, Anregungen oder Forderungen aufgegriffen wurden oder warum sie nicht umgesetzt wurden“ (Palleit, 2018, S. 2). Erst im Dezember 2015 ‚sickert‘ ein Arbeitsentwurf des BTHG durch, auf den die verschiedenen Akteur*innen zunächst in Form von Stellungnahmen

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

unaufgefordert reagieren. Dieser Arbeitsentwurf, so wird von verschiedenen Interviewpersonen vermutet, ist ein „Testballon“ (Interview 7, Zeile 499), um herauszufinden, wie die Öffentlichkeit auf die ersten Veränderungen, die dem Ministerium vorschweben, reagiert (s. Interview 2, 5, 7, 10). Es ist zu vermuten, dass die im Vorfeld stattgefundene AG BTHG, in der ein Austausch von Interessenverbänden durch die Regierung befördert wird, einen Grundstein für die nun folgende Beteiligung gelegt hat. Es wirkt ganz so, als entwickelt sich eine Art Beteiligungsselbstverständnis (s. Lietzmann, 2019), welches in dieser Reformphase durch Emotionen der Enttäuschung und Verärgerung (zurückzuführen auf die Selbstbetroffenheit) verstärkt wird. Im Folgenden werden u. a. die verschiedenen Gesetzesentwürfe als Auslöser für weitere Geschehnisse aufgefasst. Das heißt, die Gesetzesentwürfe stellen äußere Faktoren dar, welche Stellungnahmen bzw. Reaktionen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung und anderer Akteur*innen hervorrufen. Die Reaktionen der Akteur*innen können wiederum eine Auswirkung auf die Ebene der Entscheidungsträger*innen haben. 1. Die verschiedenen Gesetzesentwürfe Um nachvollziehen zu können, auf welche Inhalte sich die verschiedenen Akteur*innen im folgenden Kapitel beziehen, werden die verschiedenen Gesetzesentwürfe und die jeweiligen Veränderungen dieser nachfolgend erläutert. a) Arbeitsentwurf im Dezember 2015 Der Arbeitsentwurf ‚sickert‘ im Dezember 2015 durch und ist insgesamt 242 Seiten lang. Der Entwurf nimmt zunächst die UN-BRK und die Handlungsempfehlungen der ‚Abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands‘27 in den Blick. Den Handlungsempfehlungen folgend, soll das BTHG eine neue Definition der Behinderung erhalten, die sich enger an der UN-BRK orientiert. Die Deinstitutionalisierung soll vorangetrieben werden, um die Selbstbestimmung der Betroffenen zu fördern. Weitere aufgeführte Punkte, sind die Verbänderung des inklusiven Arbeitsmarktes, die Ermöglichung von sozialen Dienstleistungen sowie die Prüfung des 27  Die Bundesregierung war nach Artikel 35 der UN-BRK zwei Jahren nach Inkrafttreten der Konvention dazu verpflichtet, einen ersten Staatenbericht über die Lage von Menschen mit Behinderung in Deutschland zu formulieren. Im Rahmen des Staatenberichts der UN-Monitoring-Stelle werden verschiedene Maßnahmen, die die Bundesregierung unter Vorgabe der UN-BRK in die Wege geleitet hat, beschrieben und Verbesserungsvorschläge aufgeführt (s. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, 2015).



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Umfangs, „in dem Menschen mit Behinderungen ihr persönliches Einkommen verwenden, um ihre Bedarfe zu decken und selbstbestimmt zu leben“ (Arbeitsentwurf BTHG, 2015, S. 1). Auffällig sind die anfänglichen Wiederholungen der Worte Selbstbestimmung und Inklusion – Worte, die im Verlauf des Dokuments immer nebensächlicher werden. Anschließend wird die ASMK-Diskussion der Jahre 2007 bis 2015 aufgeführt, welche die Bundesregierung dazu aufgefordert hat, ein „modernes Teilhaberecht“ (ebd.) zu schaffen und die Ausgabendynamik aufgrund steigender Fallzahlen zu bremsen. Was die ASMK unter ‚modern‘ und unter einem ‚Teilhaberecht‘ versteht, wird an dieser Stelle nicht weiter beschrieben (ebd.). Anschließend wird die neue Struktur des Gesetzes vorgestellt, die bereits so gegliedert ist, wie die BTHG-Endfassung, auch wenn die Inhalte im Detail noch leicht davon abweichen: Teil 1 des SGB IX umfasst das Rehabilitations- und Teilhaberecht: Der Arbeitsentwurf sieht eine Normierung der Grundsätze der Rehabilitationsträger vor. Beispielsweise soll die Bedarfsermittlung oder das Teilhabeplanverfahren für die Rehabilitationsträger untereinander gestärkt werden. Zudem soll, zur Stärkung von Selbstbestimmung und Teilhabe, eine unabhängige Teilhabeberatung gefördert werden. Ferner sieht der Entwurf eine Erweiterung und Präzisierung der Leistungskataloge von Teilhabe am Arbeitsleben, soziale Teilhabe und der medizinischen Rehabilitation vor (ebd., S. 3). Teil 2 umfasst die reformierte EGH mit dem Titel „Besondere Leistungen zur selbstbestimmten Lebensführung von Menschen mit Behinderung“ (ebd., S. 3): In diesem Teil des SGB IX steht die Personenzentrierung im Zentrum. Das Wunsch- und Wahlrecht soll individuell geleistet werden. Eine Unterteilung der Leistungen von ambulant, teilstationär und vollstationär soll abgeschafft werden. Zudem soll die Regelung der Anrechnung des Einkommens und das Heranziehen von Vermögen anders ausgerichtet werden. Dies soll mit Hilfe von Übergangsregelungen erfolgen. Diese sind noch recht unpräzise formuliert (ebd., S. 4). Man merkt auch hier, dass es sich noch um einen Rohentwurf des Gesetzes handelt und vieles noch nicht zu Ende gedacht ist. Eine Gesamtplanung soll bundesweit vergleichbar normiert werden, was als ein Vorteil für die Träger der EGH verstanden wird. So sollen die Leistungen „passgenau bei den Betroffenen ankommen und sparsam und wirtschaftlich erbracht werden“ (ebd.). Die Wahl der Begriffe von Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit weisen auf die Bremsung der Ausgabendynamik hin. Die oben bereits erwähnte Erhöhung der Steuerungsfähigkeit in der EGH soll präventiv erfolgen, um Zugänge in die EGH in Zukunft zu reduzieren (ebd.). Teil 3 umfasst das Schwerbehindertenrecht: Unter anderem soll das ehrenamtliche Engagement von Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden, die Mitwirkungsmöglichkeiten in WfbM erweitert und das Merkzeichen für

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Menschen, die Taubblind sind, soll im Schwerbehindertenausweis aufgenommen werden (ebd.). In der Kapitelübersicht der verschiedenen Teile (1 bis 3) des BTHG sind zum Zeitpunkt des Arbeitsentwurfes lediglich die ersten zwei Kapitel dargestellt, Kapitel 3 – inklusive Paragrafen – fehlen. b) Referentenentwurf im April 2016 Der Referentenentwurf wird Ende April 2016 veröffentlicht und ist insgesamt 373 Seiten lang. Die Aufteilung des Arbeitsentwurfes ist beibehalten worden. Mit Blick auf den Inhalt erkennt man schon auf den ersten Seiten, dass dort einzelne Wortlaute gestrichen oder ergänzt worden sind. Ab Seite 3 sind mehrere Absätze eingefügt worden und ergänzen einzelne Thematiken in Teil 2 SGB IX: So wird bei den Zielen des BTHG, die im Lichte der UN-BRK umgesetzt werden sollen, nun erweitert, dass die Beeinträchtigungen von Menschen, die taubblind sind, berücksichtigt werden sollen. Zu Teil 2 SGB IX werden im Referentenentwurf minderjährige Menschen mit Behinderung aufgeführt. Für sie bleiben weiterhin die Regelungen erhalten, die bisher galten (Referentenentwurf BTHG, 2016, S. 4). Die Übergangsregelung für die Veränderungen beim Einkommen und Vermögen sind nun expliziter beschrieben. So soll die erste Stufe im Jahr 2017 in Kraft treten, bei dem eine Erhöhung des Vermögensfreibetrags vorgesehen ist. Diese Regelung soll auch für Leistungen der Hilfe zur Pflege gelten. Im Jahr 2020 soll die zweite Stufe in Kraft treten. Dabei soll u. a., dass bis dahin bestehende „Anrechnungsverfahren durch ein Eigenbeitragsverfahren ersetzt“ (ebd.) werden. Menschen mit Behinderung dürfen dann „deutlich mehr von ihren Einkünften behalten“ (ebd.), es wird aber nicht weiter ausgeführt, was unter ‚deutlich mehr‘ zu verstehen ist. Das Einkommen und die Heranziehung des Partner*innenvermögens ist anrechnungsfrei und orientiert sich an Artikel 23 UN-BRK (Achtung der Wohnung und Familie). Ferner soll die Reform auch eine Auswirkung auf die Leistungen der EGH im sozialen Entschädigungsrecht (Bundesversorgungsgesetz) haben (ebd., S. 5). Im Referentenentwurf sind nun die Haushaltsausgaben mit und ohne Erfüllungsaufwand eingefügt. Hier werden Leistungen und Kosten von Bund, Ländern und Gemeinden aufgeführt (ebd., S. 5–7). Einzelne Paragrafen des Referentenentwurfes umfassen folgende Änderungen: § 2 Abs. 1 SGB IX RefE Begriffsbestimmungen: Im Referentenentwurf wird eine neue Begriffsbestimmung für Menschen mit Behinderung vorge-



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nommen. Neben körperlichen, seelischen und geistigen Beeinträchtigungen werden nun auch Sinnesbeeinträchtigungen aufgeführt, wie auch der Wortlaut „welche in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit höher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können“. Damit ist die Begriffsdefinition zwar an der UN-BRK angelehnt, nicht aber vollständig übernommen (s. Art. 1 UN-BRK). § 8 Abs. 1 SGB IX RefE Wunsch- und Wahlrecht: Zum Wunsch- und Wahlrecht wird betont, dass den Wünschen der leistungsberechtigten Person entsprochen werden soll, und zwar sowohl mit Blick auf die Entscheidung über die Leistungen als auch über die Ausführung der Leistungen zur Teilhabe. Es soll dabei auf individuelle Faktoren (u. a. Alter, Lebenssituation, Geschlecht) Rücksicht genommen werden. In § 104 Abs. 2 Satz 1 SGB IX RefE wird allerdings eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts vorgenommen, indem ein Mehrkostenvorbehalt aufgeführt wird. § 32 SGB IX RefE, Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung: Neu ist nun die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, welche „neben dem Anspruch auf Beratung durch die Rehabilitationsträger“ (Abs. 1) besteht und niedrigschwellig umgesetzt werden soll. Gefördert werden soll eine Beratung von Betroffenen für Betroffene (Peer-to-Peer). Abs. 5 sieht eine zeitliche Beschränkung der Förderung aus Bundesmitteln der unabhängigen Teilhabeberatung vor (bis Ende Dezember 2022). Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Auswahl) • § 60 SGB IX RefE Andere Leistungsanbieter: Neu sind die ‚Anderen Leistungsanbieter‘, welche eine neue Möglichkeit der Beschäftigung für Menschen mit Behinderung – außerhalb einer Werkstatt – darstellen. Allerdings sind einzelne Leistungen, die eine WfbM zu erfüllen hat, für die ‚Anderen Leistungsanbieter‘ nicht verpflichtend, sodass beispielsweise die Förderung eines Übergangs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht erfolgen muss. • § 61 SGB IX RefE Budget für Arbeit: Das Budget für Arbeit soll den Nachgang einer Tätigkeit außerhalb einer Werkstatt – und zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt – für Menschen mit Behinderung ermöglichen. Dazu sollen Leistungen, „die für eine Werkstattbeschäftigung erbracht werden, umgewandelt werden in einen Arbeitgeberzuschuss für eine sozialversicherte Beschäftigung mit einem ortsüblichen oder tariflichen Entgelt“ (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a, S. 38). Dieser Paragraf wird der UN-BRK (Art. 27 Abs. 1) gerecht.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

•• § 219 Abs. 2 SGB IX RefE Begriff und Aufgaben einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung: Weiter beibehalten wird der Satz „Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ von Beschäftigten in Werkstätten. Ausgeschlossen werden damit beispielsweise Menschen, die einen sehr hohen Pflegebedarf haben. § 99 SGB IX RefE Leistungsberechtigter Personenkreis: Die Leistungen erhalten Personen, „deren Beeinträchtigung die Folge einer Schädigung der Körperfunktion und -struktur sind“ (§ 99 Abs. 1 SGB IX RefE) und deren „Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft erheblich eingeschränkt sind“ (ebd.). Dies wiederum ist zurückzuführen auf die Wechselwirkung mit Barrieren. Weiter heißt es in § 99 SGB IX RefE Abs. 1: „Eine Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft in erheblichem Maße liegt vor, wenn die Ausführung von Aktivitäten in mindestens fünf Lebensbereichen nach Absatz 2 nicht ohne personelle oder technische Unterstützung möglich oder in mindestens drei Lebensbereichen auch mit personeller oder technischer Unterstützung nicht möglich ist (erhebliche Teilhabeeinschränkung)“.

Das bedeutet, dass Personen nur dann leistungsberechtigt sind, wenn sie in mindestens fünf von insgesamt neun Lebensbereichen bestimmte Aktivitäten nicht ohne Hilfe bewältigen können. Zu den Lebensbereichen, die in Absatz 2 aufgeführt sind, gehören u. a. die Kommunikation oder Lernen/Wissensanwendungen. § 116 Abs. 2 SGB IX RefE Gemeinsame Leistungserbringung („Zwangspoolen“; s. SoVD, 2016): Demnach sollen beispielsweise Leistungen zur Assistenz, zur Mobilität oder zur Förderung der Verständigung an mehreren Personen, die leistungsberechtigt sind, zusammen erbracht werden, sofern diese für die betroffenen Personen zumutbar sind und eine Vereinbarung darüber vorliegt. Schnittstelle Pflege: Der Referentenentwurf sieht weiterhin eine parallele Struktur der Leistungssysteme zwischen SGB IX (Eingliederungshilfe) und SGB XII (Hilfe zur Pflege) vor, sodass auch in Zukunft die Möglichkeit besteht, dass Personen, die auf die Leistungen beider Systeme angewiesen sind, in der Sozialhilfe verbleiben könnten (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a, S. 47). c) Kabinettsentwurf im Juni 2016 Der Kabinettsentwurf zum Bundesteilhabegesetz wird am 22. Juni 2016 veröffentlicht und am 28. Juni 2016 beschlossen (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, o. J.). Darin befinden sich bereits eingangs geringe Ergänzungen zum Referentenentwurf. So heißt es nun, dass sich Bund und Länder Mitte Juni 2016 darauf verständigt haben, „dass zur Umsetzung der



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Entlastung der Umsatzsteueranteil der Gemeinden, die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft sowie der Umsatzsteueranteil der Länder erhöht werden sollen“ (Kabinettsentwurf BTHG, 2016, S. 2), um damit der im Koalitionsvertrag zugesagten Entlastung der Kommunen nachzukommen. Mit Blick auf die Haushaltsausgaben für den Bund, die Länder und Gemeinden werden im Kabinettsentwurf nun einzelne Positionen verändert. Die meisten finanziellen Auswirkungen sind allerdings gleichbleibend zum Referentenentwurf. Der Erfüllungsaufwand der Verwaltung wird hier präzise dargestellt und jährliche Kosten, Mehrbedarfe und ein Umstellungsaufwand aufgeführt (ebd., S. 2–7). Folgende Inhalte sind nun, im Vergleich zum Referentenentwurf, gleichbleibend, ergänzt oder verändert (Auswahl): § 99 SGB IX KabE Leistungsberechtigter Personenkreis: Die Regelungen werden beibehalten – es gilt weiterhin die ‚fünf-aus-neun-Regelung‘ (s. RefE). § 103 Abs. 2 SGB IX KabE Sonderregelung für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung: In bestimmten Fällen kann die Eingliederungshilfe die Hilfe zur Pflege übernehmen, sofern die Person ein Erwerbseinkommen hat. Für einzelne Personengruppen besteht somit der Grundsatz Rehabilitation/ Teilhabe vor Pflege; andere Subgruppen der Menschen mit Behinderung sind damit weiterhin von dieser Regelung ausgeschlossen (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016b). § 116 Abs. 2 SGB IX KabE Gemeinsame Leistungserbringung: Der Paragraf ist gleichbleibend zum RefE. Zu Nummer 2b § 3 KabE Merkzeichen Taubblind: Im Gegensatz zum RefE ist nun das Merkzeichen TBI (taubblind) im Schwerbehindertenausweis vermerkt. Der Kabinettsentwurf begründet, dass diese Neuerung auf die Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung zurückgeht. d) Gesetzesentwurf der Bundesregierung im September 2016 Anfang September 2016 wird der Gesetzesentwurf der Bundesregierung veröffentlicht. Das Dokument ist insgesamt 368 Seiten lang. Die Inhalte der ersten Seiten (von Problem und Ziel, über Lösung und Alternativen, Haushaltsausgaben (mit und ohne Erfüllungsaufwand sowie weitere Kosten) sind gleichbleibend mit dem Wortlaut des Referentenentwurfes. Lediglich bei den Haushaltsausgaben findet eine andere Berechnung statt, wie auch bei dem Erfüllungsaufwand der Verwaltung. Die Kapitelüberschriften in Teil 1 bis 3 sind gleichbleibend des Referentenentwurfes (Regierungsentwurf BTHG, 2016, S. 12–22). Einzelne Inhalte sind beibehalten worden, aber auch kleine

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Änderungen vorgenommen worden: Beibehalten wird die Begriffsbestimmung (§ 2 des Entwurfes), ebenso der § 99 (Leistungsberechtigter Personenkreis). Neu ist hierbei nun eine Einzelfall-Ermessungsleistung – eine sogenannte Kann-Regelung. § 116 Abs. 2 sieht weiterhin eine Zusammenlegung von Leistungen (‚Poolen‘), auch ohne Zustimmung der leistungsberechtigten Person vor. Es bleibt zudem bei der Anhebung der Einkommens- (§§ 92, 135) und Vermögensanrechnung (§§ 93, 139), wobei weiterhin keine Abschaffung dieser vorgesehen ist. 2. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Im Folgenden sollen die Reaktionen (in Form von Stellungnahmen oder Protesten28, Kampagnen29 und Aktionen) auf die oben dargestellten Inhalte der verschiedenen Gesetzesentwürfe aufgezeigt werden. Im Zuge dieses Kapitels nutzen die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung besonders intensiv die gesellschaftliche Macht30, indem sie Bündnisse schließen (Kooperationsmacht) und verschiedene Handlungstechniken der Diskursmacht verwenden. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, argumentieren die Interessenverbände erneut mit der menschenrechtlichen Verpflichtung, die Regelungen und Bestimmungen der UN-BRK ins deutsche Recht zu implementieren (Normorientierung). Zeitgleich sind ihre Forderungen häufig emotional verfasst – vermutet wird, dass dies mit ihrer eigenen Betroffenheit zusammenhängt (emotionale Orientierung). Somit lassen sich auch hier wieder die Charakteristiken nach Nullmeier und Kuhlmann (2022, S. 16–17) herausarbeiten. a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf Ende Dezember 2014 ‚sickert‘ ein Arbeitsentwurf des BTHG durch. Die Reaktionen der Interessenverbände sind noch nicht so zahlreich, wie jene auf den späteren Referentenentwurf, die in Teilkapitel E.V.2.b) behandelt sind. Trotz allem wird in den Stellungnahmen deutlich, dass die Interessenvertre28  Proteste sind nach Goldstone (1998) jeder nachhaltige Versuch einer kooperierenden Gruppe von Individuen, die Ansprüche an eine Gesellschaft oder an andere soziale Akteur*innen stellen, der Widerstand provoziert (Goldstone, 1998, zit. in: Kern, 2008, S. 121). 29  Mithilfe von Kampagnen verfolgen Protestbewegungen nicht nur politische Ziele, sondern „leisten auch die Einbindung nicht-organisierter Gruppen von Sympathisanten aus der Bevölkerung in die Bewegung“ (Kern, 2008, S. 134). 30  Auch andere Machtressourcen werden verwendet, doch die gesellschaftliche Macht ist vordergründig in Nutzung.



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tungen bereits dem Arbeitsentwurf eher abneigend gegenüberstehen, was durch die folgenden Reaktionen verdeutlicht wird: Sigrid Arnade (ISL) veröffentlicht über die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Mitte Februar 2016 einen Kommentar. Hier betont sie, dass durch den Arbeitsentwurf „Hoffnungen auf die Verwirklichung grundlegender Menschenrechte“ (Arnade, 2016) gering seien, wie auch das Vorhaben des Koalitionsvertrages. Durch den Arbeitsentwurf werde deutlich, dass der wichtigste „Motor“ (ebd.) der Reform entfalle, da die ursprünglich geplante Finanzierung anders erfolgen wird (Verweis auf Schäuble-Scholz-Papier). Der Motor versinnbildlicht eine vorantreibende Kraft, eine bestimmte Energie – ohne diese fehlt dem weiteren Reformprozess etwas Zentrales. Weiter wird bemängelt, dass das Teilhabegeld und bundeseinheitliche Regelungen (durch Gesetzgebungskompetenz der Länder) nicht umgesetzt werden. Arnade betont, dass es nicht reiche, eine unabhängige Beratung und Alternativen zur WfbM zu schaffen, sondern dass die Änderungen weitreichender sein sollten. Sie beruft sich auf die UN-BRK und darauf, dass diese ins deutsche Recht umzusetzen sei. Die Kostenfrage sollte nicht eine so hohe Priorität erhalten. Arnade thematisiert das Wunsch- und Wahlrecht (Wohnort und Unterbringung) sowie das „Herzstück“ (ebd.) der Reform, die Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Kritisiert wird die „kosmetische Anhebung“ (ebd.) der Anrechnung im Arbeitsentwurf. Eine Metapher, um zu verdeutlichen, dass es zwar nach außen wie eine Verbesserung aussieht, aber von innen weiterhin das gleiche Problem bestehen bleibt. Ferner fordert Arnade, die Leistungen der Assistenz von „bevormundenden Strukturen“ (ebd.) zu lösen, um ein gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Hierbei handelt es sich um Begriffe der UN-BRK. Der Text endet mit der Forderung, die UN-BRK ohne jeglichen Kostenvorbehalt umzusetzen (ebd.). NITSA e. V. stellt im Zuge eines Briefs zum Arbeitsentwurf des BTHG an die Mitglieder des Bundestages fest, dass die Bundesregierung die UN-BRK eher als Empfehlung verstehe und nicht als einen rechtsverbindlichen Vertrag (NITSA e. V., 2016a, S. 1). Bei diesem Vorgehen handele es sich um einen „eklatanten Verstoß“ (ebd.) gegen die UN-BRK, so NITSA. Die Wortwahl klingt verärgert. Auch der weitere Briefinhalt spiegelt die Empörung des Vereins wider: „Der kursierende (noch unvollständige) Arbeitsentwurf zeigt die wahre Intention des BMAS: Keine Verbesserung und Stärkung von Teilhabe und Selbstbestimmung. Nicht einmal der Erhalt des Status Quo“ (ebd.). Auch eine Interviewperson bestätigt diese Wahrnehmung: „wir haben die Welt nicht mehr verstanden, weil es war eigentlich schlechter als […] das vorher geltende Recht“ (Interview 9, Zeile 47–49). Betrachtet man die hier dargestellten Stellungnahmen, so fällt auf, dass verschiedene Akteur*innen enttäuscht und unzufrieden mit dem Arbeitsent-

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wurf sind, indem sie deutliche Verschlechterungen wahrnehmen und diese darstellen. Dabei argumentieren sie wiederkehrend mit der UN-BRK. Diese Enttäuschung spiegelt sich auch in den Interviews wider. Die Interviewpersonen versuchen Erklärungen für diese Unzufriedenheit, die mit dem Arbeitsentwurf aufkommt, zu finden. So spricht ein*e Interviewpartner*in von einer „Ernüchterung“ (Interview 10, Zeile 260) und einer ‚Befremdung‘ (Interview 10, Zeile 263) die sich mit dem Entwurf einstellt, eine andere Person wiederum betont, dass der Arbeitsentwurf zu einem ‚blanken Entsetzen‘ (Interview 3, Zeile 422–423) geführt habe. Eine ‚Ernüchterung‘ suggeriert, dass die Begeisterung, die der AG BTHG nachhängt, auf einmal endet und in Entsetzen und Empörung umschlägt. Diese Unzufriedenheit beeinflusst die Beteiligung der Interessenverbände intensiv, so die Meinung einer Interviewperson: „Durch die versehentliche Freigabe, die versehentliche Veröffentlichung des Arbeitsentwurfes [wurde] die Beteiligung noch mal gestärkt […]. Was man auch sagen muss, ist, dass die Reaktion auf den Arbeitsentwurf sehr heftig war. […] Also die Kritik an der Arbeit des BMAS war sehr stark. Und in der Folge fand auch noch einmal innerhalb des BMAS eine sehr weitgehende Überarbeitung dieses […] Entwurfes statt“ (Interview 16, Zeile 363–370).

Das Zitat verdeutlicht, dass der Arbeitsentwurf zum einen dazu geführt hat, dass die Interessenverbände ‚aufschrecken‘ und merken, dass die Diskussionen des Beteiligungsprozess im Zuge dieser anschließenden Reformphase weniger Einfluss haben, als zunächst angenommen oder erwartet. Zum anderen betont das Zitat auch, dass durch die Kritik verschiedener Akteur*in­ nen der Arbeitsentwurf nochmal überarbeitet wird. Die Reaktionen der jeweiligen Interessenverbände wird in Teilkapitel E.V.2.b) beschrieben. Verbündete ‚Kobinet-Nachrichten‘31 berichtet im Januar 2016 von Forderungen der Bundesvereinigung der Lebenshilfe zur Veränderung der Finanzierung des BTHG. Mit Blick auf die veränderten Pläne der Ausgaben der Länder betont die Überschrift: „Ungleiche Standards drohen“ (Schmahl, 2016a). Das Verb ‚drohen‘ deutet auf eine Gefahr und Einschüchterung hin, die die Länder für ihre Zwecke zu nutzen wissen. Die ursprünglich geplanten fünf Milliarden Euro Entlastung, die das BTHG für die Länder bewirkt hätte, „spielen in den Überlegungen der Länder keine Rolle mehr“ (ebd.) – nun fordern diese stattdessen eigene Gesetzgebungszuständigkeiten der Behindertenhilfe. Dies würde bedeuten, dass in einzelnen (finanzschwachen) Bundesländern Benachteiligungen durch weniger Hilfeleistungen für Menschen mit Behinde31  Internetseite zum aktuellen Geschehen über die Politik, die Menschen mit Behinderung betrifft.



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rung zu erwarten wären. Ulla Schmidt, als Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, sieht darin einen deutlichen „Verstoß gegen das Grundgesetz“ (ebd.), da dies zu ungleichen Lebensverhältnissen führen könne (ebd.). b) Reaktionen auf den Referentenentwurf Am 26. April 2016 wird der Referentenentwurf veröffentlicht. Dieser enthält eine Definition des Behinderungsbegriffes, der sich an der UN-BRK orientiert, die unabhängige Teilhabeberatung wird zeitlich beschränkt und es gibt eine neue Beschreibung des leistungsberechtigten Personenkreises (s. Teilkapitel E.V.1.). Daraufhin wird verschiedenen Interessenverbänden die Möglichkeit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Die Verbände und andere Akteur*innen nehmen diese Möglichkeit umfangreich wahr (insgesamt 87 Stellungnahmen; Bundesministerium für Arbeit und Soziales, o. J.). Eine Auswahl dieser Stellungnahmen wird im Folgenden dargestellt. Diese enthalten größtenteils Kritik und Forderungen, vereinzelt aber auch Lob. Zudem finden einzelne Demonstrationen statt, die ebenfalls in diesem Teilkapitel dargestellt werden sollen. Auch diese können als Reaktion auf den Referentenentwurf gewertet werden. In einem Blog wird auf der Webseite ‚Zeit Online‘ am 02. Mai 2016 ein Kommentar veröffentlicht, in dem kritisch auf den Referentenentwurf geblickt wird. Es wird die Einkommens- und Vermögensanrechnung thematisiert und darüber hinaus auch die geplanten Einschränkungen des leistungsberechtigten Personenkreises (durch eine neue Regelung, nach der man in fünf-aus-neun-Lebensbereichen Unterstützungsbedarfe nachweisen muss, um Leistungen zu erhalten). Im Zuge des Blogeintrags werden Ausschnitte aus Twitter-Nachrichten zitiert, darunter auch eine der Kampagne Ability Watch, welche titelt: „Regierung bricht Versprechen“ (Zeit Online, 2016) mit einem Link zur Petition ‚Teilhabegesetz jetzt!‘ (Teilhabegesetz, 2016). Mit Hilfe des Blogeintrags, dem dargestellten Tweed und dem Link zur Petition können Menschen mit Behinderung auf ihre Anliegen aufmerksam machen und nutzen somit die öffentliche Wahrnehmung für sich. Hierbei handelt es sich um eine genutzte Kooperationsmacht im allgemeinen und das Framing im Besonderen – also das Nutzen von Initiativen zum korrekten Zeitpunkt (s. Schmalz/Dörre, 2014). Mit Hilfe der Petition wird umgehend auf den Referentenentwurf reagiert, es spiegelt sich darin die Enttäuschung, aber auch die Handlungsfähigkeit der Kampagne wider. Gleiches zeigt sich am 04. Mai 2016, dem europäischen Tag der Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, an dem eine Demonstration zwischen dem Kanzler*innenamt und dem Brandenburger Tor stattfindet. Daran nehmen verschiedene Akteur*innen teil, darunter auch die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele, sowie Vertreter*innen vom

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter, dem Allgemeinen Behindertenverband, der SoVD sowie dem Deutschen Gehörlosenbund. Die Ak­ teur*innen fordern zum einen Nachbesserungen im Behindertengleichstellungsgesetz sowie zum anderen im Bundesteilhabegesetz (Schmahl, 2016b). aa) Die sechs gemeinsamen Kernforderungen Am 11. Mai 2016 veröffentlichen der Deutsche Behindertenrat (DBR), die Fachverbände für Menschen mit Behinderung, der Paritätische Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ‚sechs gemeinsame Kernforderungen‘. Eine gemeinsame Reaktion auf den Referentenentwurf, die vermutlich mit der Erwartungshaltung verbunden ist, dass ein Bündnis von unterschiedlich starken Akteur*innen zu einer größeren Aufmerksamkeit auf politischer Ebene führen kann als Einzelreaktionen. Die Stellungnahme enthält hauptsächlich (zentrale) Forderungen, die sich auf den Gesetzesentwurf beziehen. Recht allgemein wird eingangs beschrieben, dass alle notwendigen Leistungen für Menschen mit Behinderung bundeseinheitlich gestaltet werden müssen (gemäß Grundgesetz), „um einheitliche Lebensverhältnisse zu sichern“ (Deutscher Behindertenrat et al., 2016, S. 1). Demnach sei eine Regionalisierung der EGH abzulehnen. Des Weiteren werden Öffnungsklauseln kritisiert, die jedes Bundesland dazu befähigen würden, Leistungen, Zugänge und Umfang „zulasten der Betroffenen reduzieren“ (ebd.) zu können. Die Forderungen lauten: •• „Wir fordern, für mehr Selbstbestimmung die Wunsch- und Wahlrechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken und nicht einzuschränken“ (ebd. S. 1): Unter dieser Überschrift werden alle Inhalte angesprochen, die mit dem Wunsch- und Wahlrecht zusammenhängen. Dazu zählt, wo und mit wem man zusammenleben möchte, sowie die Freizeitgestaltung (Ausspruch gegen das ‚Zwangspoolen‘). Der Gesetzesentwurf sieht weiterhin „defizitäre Regelungen der Sozialhilfe“ (ebd.) vor, was gegen ein modernes Wunschund Wahlrecht spreche (ebd.). •• „Wir fordern, Einkommen und Vermögen nicht mehr heranzuziehen“ (ebd.): Behinderung dürfe nicht arm machen, so der Zusammenschluss der verschiedenen Akteur*innen. Dazu zählen Leistungen der EGH, der Hilfe zur Pflege sowie die Blindenhilfe. Daher wird gefordert, dass auf die Einkommens- und Vermögensheranziehung verzichtet werden müsse, gerade auch



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mit Blick auf den Nachteilsausgleich. Zudem müsse die Heranziehung von Einkommen und Vermögen von Familienangehörigen und Ehepartner*innen aufgehoben werden. Geldbeträge sollten auch in Zukunft für Personen zur Verfügung stehen, die in Gemeinschaftseinrichtungen leben (ebd.). •• „Wir sagen NEIN zu Leistungskürzungen und -einschränkungen“ (ebd., S. 3; Hervorhebung im Original): Es wird betont, dass mit dem BTHG keine Personenkreise auszuschließen sind und dass diese Änderung kritisch wahrgenommen wird: „Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in 5 von 9 Lebensbereichen bestehen muss. Die Folge wäre, dass notwendige Unterstützung in einzelnen Lebensbereichen (z. B. bei Bildung oder Kommunikation) trotz bestehenden Hilfebedarfs nicht mehr gewährt wird. Das ist umso problematischer, als bei Personen ohne wesentliche Behinderung bisherige Ermessensleistungen gestrichen werden sollen“ (ebd., S. 2).

Daneben „drohen“ (ebd.) auch in der sozialen Teilhabe Einschränkungen (Freizeit, Ehrenamt, Hilfsmittelversorgung oder Mobilität), wovon auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf betroffen sein würden. Auch dem sei zu widersprechen, so die Akteur*innen. Die inklusive Bildung sollte keine Restriktionen enthalten, sondern einen Fortschritt darstellen, durch niedrigschwellige Zugänge und passende Leistungsinhalte. Ferner sei es abzulehnen, dass Leistungen der Pflege nicht gleichberechtigt neben der EGH zu gewähren sind (ebd.). •• „Wir fordern ein Verfahrensrecht, das Leistungen zügig, abgestimmt und wie aus einer Hand für Betroffene ermöglicht und nicht hinter erreichte SGB IX-Gesetzesstandards zurückfällt“ (ebd.): Für alle betroffenen Menschen müsse der „Zugang zu den Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe […] ermöglicht werden“ (ebd.). Daher sei zu erwarten, dass alle Rehabilitationsträger daran zusammen mitarbeiten. Auch der Zugang oder der Inhalt der Teilhabeleistungen sollten einem einheitlichen Niveau entsprechen und qualitativ hochwertig sein – für alle Rehabilitationsträger (ebd.). •• „Wir fordern mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben“ (ebd., S. 3): Es wird gefordert, die Ausgleichsabgabe für Unternehmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu erhöhen, um „rechtswidriges Verhalten [dieser Unternehmen] zu ändern“ (ebd.). Zudem wird erwartet, dass die Schwerbehindertenvertretungen gestärkt werden sowie auch die Mitbestimmungsrechte von Werkstattbeschäftigten. In einer Werkstatt sollen, so das Verbändebündnis, auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf teilhaben dürfen, „ohne dies auf Leistungen der Werkstatt zu beschränken“ (ebd.).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

•• „Wir fordern, Betroffenenrechte nicht indirekt, z. B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, zu beschneiden“ (ebd): Die Akteur*innen der Stellungnahme fordern, dass die Trennung der Teilhabeleistungen von existenzsichernden Leistungen zu keinen Leistungslücken führen dürfen. So sei es wichtig, weiterhin die Kosten von Lebensunterhalt und Unterkunft zu finanzieren, egal wo man lebt. Zuletzt wird gefordert, dass die Bremsung der Ausgabendynamik nicht dazu führen darf, „dass Leistungen abgebaut werden oder die Tarifbindung der Leistungserbringer ausgehöhlt wird“ (ebd.). An diesem Forderungskatalog ist zu erkennen, dass die unterschiedlichen Akteur*innen versucht haben, möglichst viele und umfangreiche Forderungen im Rahmen der Kernforderungen aufzunehmen, z. B. Personen, die trotz ihrer Behinderung selbstständig leben möchten und können, Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf, Familienangehörige, etc. Neben verschiedenen Personenkreisen werden auch verschiedene Lebensbereiche, z. B. Wohnen, soziale Teilhabe, Teilhabe am Arbeitsleben, thematisiert. Zudem wird auch die Problematik der verminderten Ausgabendynamik angesprochen, die in Forderung sechs besonders kritisch betrachtet wird. Die UN-BRK wird eher indirekt aufgeführt, indem Begriffe wie „Recht auf Teilhabe“ (ebd., S. 1), „Selbstbestimmung“ (ebd.) und „Inklusion“ (ebd., S. 2) fallen. Zu erwähnen ist auch, dass sich diesen Kernforderungen (Stand 11. Mai 2016) bereits 17 verschiedene Verbände von Menschen mit Behinderung als Unterstützer*innen angeschlossen haben (ebd., S. 4). Es kann demnach unterschieden werden zwischen den Verfassenden und den Unterstützenden (Interview 7, Zeile 409–411). Die Liste der unterstützenden Verbände wächst bis zum Ende des Reformvorhabens, nach Aussage der Interviewperson 7, auf über hundert an (ebd.). Die Kernforderungen finden auch eine Er­wähnung in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der LINKEN. Hier wird hervorgehoben, dass sich bis zum 22. September 2016 rund 140 Verbände, Organisationen und Vereine angeschlossen haben (s. Plenarprotokoll 18/190). Wie im Folgenden zu erkennen sein wird, beziehen sich un­ terschiedlichste Interessenverbände in verschiedenen Phasen des Reformprozesses wiederholend auf diese Kernforderungen (s. unten). Die Kernforderungen – und auch alle weiteren folgenden Forderungspapiere dieses Verbändebündnisses – nehmen vermutlich eine zentrale Stellung in der Interessendurchsetzung ein. In Teilkapitel E.IV.1. wurden bereits die ‚Kernpunkte‘ (s. Miles-Paul, 2014) angesprochen. Es könnte sein, dass diese nun auf den Referentenentwurf angepasst und geschärft worden sind, gerade auch durch die verschiedenen beteiligten Akteur*innen. Einzelne der damaligen Forderungen sind



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auch in den ‚Kernforderungen‘ enthalten: Dazu gehört das Wunsch- und Wahlrecht, Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, die Trennung von Leistungen sowie Leistungen ‚wie aus einer Hand‘, Teilhabe am Arbeitsleben, der Leistungskatalog und inklusive Bildung (ebd.; s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Fehlend sind nun Forderungen zur Kinderund Jugendhilfe sowie das Bundesteilhabegeld (s. Miles-Paul, 2014). Dass die Forderungen sich nun verändert haben, kann zum einen daran liegen, dass die ‚Kernforderungen‘ von verschiedenen – stärkeren und schwächeren – Akteur*innen formuliert sind und sie einen Konsens über ihre Erwartungen finden müssen. Oder zum anderen, weil zum Zeitpunkt des Referentenentwurfes deutlich wird, dass einzelne Punkte nicht mehr umzusetzen sind. Eine Interviewperson berichtet von der Zusammenarbeit und der wachsenden Unterstützendenliste. Es wird betont, dass mit diesen ‚Kernforderungen‘ die „Essentials“ (Interview 7, Zeile 241) der Reform dargestellt werden. An anderer Stelle wird von „Big Points“ (ebd., Zeile 420) gesprochen – und eine klare Strategie, die diesen ‚Kernforderungen‘ zugrunde liegt: „Und durch diese Offenheit […] war das ständig eine Nachricht wert, die Unterstützerliste ist wieder gewachsen und ist wieder gewachsen und ist wieder gewachsen. Das hält politischen Druck enorm. Das köchelt einfach weiter. Also das war wirklich strategisch [eine] gute Idee. Und da war dann in dem […] Zeitraum war dann nur noch, wir müssen uns beschränken, also raus aus den Details und rein in die großen Big Points. Und deswegen sind halt diese sechs Kernforderungen entstanden. Das sind die Big Points“ (Interview 7, Zeile 413–420).

Das Zitat zeigt auch, dass die Unterstützer*innenliste immer größer wird und durch die Anzahl dieser eine subjektiv wahrgenommene Machtressource gegenüber der Politik darstellt. Die Liste kann daher als Organisationsmacht (also die Zusammenarbeit zwischen verschieden starken Akteur*innen) identifiziert werden. Allerdings werden auch Herausforderungen bei dem Herausarbeiten der ‚Big Points‘ beschrieben. So hätte jede*r beteiligte Akteur*in gerne weitere individuelle (behinderungsspezifische) Punkte in den ‚Kernforderungen‘ gesehen. Aber da es sich um einen Aushandlungsprozess handele, habe jede*r mit Beschränkungen leben müssen. Die Beteiligten müssen demnach von ihren Einzelforderungen abrücken, um die gemeinsame Stellungnahme realisieren zu können. Dies setzt eine Kompromissbereitschaft aller Akteur*innen voraus (s. hierzu auch Schiffers, 2019, S. 277; s. Schmalz/ Dörre, 2014). „Das hat allen viel abverlangt. […] Aber insofern mussten wir uns in diesem Prozess dann total konzentrieren, um überhaupt dort mächtig zu bleiben“ (ebd., Zeile 422–425). Die Interviewperson spricht die Ressource der Macht an, ein wichtiger Hinweis darauf, dass die Verbände einzelne Machtressourcen als Werkzeug zur Interessendurchsetzung erkannt haben.

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bb) Weitere Stellungnahmen zum Referentenentwurf und Aktionen Am 11. Mai 2016 findet eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion statt. Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die im Rollstuhl sitzen, ketten sich vor dem Reichstagsufer in Berlin an. Demonstriert wird sowohl gegen das Bundesgleichstellungsgesetz, welches am darauffolgenden Tag beschlossen werden soll, als auch gegen den Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes. Verschiedene Tageszeitungen werden darauf aufmerksam. Beispielsweise titelt Spiegel online „Demo gegen Behindertengleichstellungsgesetz: Rollstuhlfahrer protestieren vor Bundestag“ (Spiegel online, 2016b), der Tagesspiegel schreibt „Rollstuhlfahrer ketten sich am Reichstagsufer an“ (der Tagesspiegel, 2016). Im Rahmen der Artikel wird auf die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen aufmerksam gemacht, die Probleme, die im Zuge dessen für Menschen mit Behinderung entstehen und auch, wie ihre jeweiligen Lebenslagen schon jetzt – unter altem Recht – aussehen. Folgt man dem Machtressourcenansatz, so wird deutlich, dass die Öffentlichkeit durch diese Zeitungsartikel auf die Darstellung von Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht wird. Im Artikel des Tagesspiegels erfolgt dies durch die aktuell bestehende Einkommens- und Vermögensanrechnung (Diskursmacht; Schmalz et al., 2013). Als Reaktion auf den Referentenentwurf veröffentlichen eine Vielzahl an Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung Mitte Mai 2016 ihre Stellungnahmen. Nachfolgend wird durch eine Auswahl der Stellungnahmen deutlich gemacht, dass die unterschiedlichen Interessenvertretungen wiederholend mit der UN-BRK und der Verpflichtung zur Umsetzung dieser argumentieren. Zudem verweisen eine Vielzahl von Verbänden auf die oben dargestellten ‚gemeinsamen Kernforderungen‘ und schließen sich diesen als Unterstützer*innen an. Verschiedene Stellungnahmen sind zudem emotional und aufgebracht verfasst: Mobil mit Behinderung e. V. (mmb), der Bundesverband Forum selbstbestimmte Assistenz behinderter Menschen e. V. (ForseA) und das Netzwerk für Inklusion, Teilhabe, Selbstbestimmung und Assistenz (NITSA) veröffentlichen gemeinsam eine Stellungnahme als Reaktion auf den Referentenentwurf des BTHG. Die Verbände lehnen sehr deutlich den Gesetzesentwurf ab: „Wir sagen klar und deutlich NEIN! Dieser Referentenentwurf ist NICHT mit unserer Beteiligung entstanden“ (NITSA e. V. et  al., o. J., S. 1). Diese Aussage spiegelt zwei Punkte wider, auf die die Verbände im Rahmen der Stellungnahme immer wieder zurückkommen. Zum einen lehnen sie verschiedene Inhalte des Entwurfes ab, da sie keine Ausweitung der Selbstbestimmung, Partizipationsmöglichkeiten oder Autonomie für Menschen mit Assistenzbedarf sehen und zum anderen zeigen sie sich enttäuscht mit dem Beteiligungsprozess der AG BTHG, welcher nun rückblickend als „Täu-



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schungsmanöver“ (ebd.) wahrgenommen wird. Zudem zeigen sich die Verbände verärgert darüber, dass lediglich ein kurzer Zeitraum von drei Wochen zur Stellungnahme zur Verfügung gestellt wird, zumal beinahe zeitgleich ein weiterer Gesetzesentwurf des Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) eine Rückmeldung der Verbände erfordert. Den engen Zeitrahmen sprechen auch zwei Interviewpersonen an (s. Interview 4, 10). Interviewperson 4 hebt verschiedene Problematiken, die damit einher gehen, hervor: „Ich erinnere mich, das war glaube ich […] zeitlich relativ knapp, als wir dann den Referentenentwurf bekommen haben, um dazu Stellung zu nehmen, das ist ja doch ein umfangreiches Papier gewesen, einige hundert Seiten, und auch komplexe und komplizierte Regelungen, wo man dann, wenn man noch Rücksprache mit anderen Organisationen oder […] Betroffenen halten möchte, was die dann davon halten, das war dann schon eine Herausforderung, das alles zu schaffen“ (Interview 4, Zeile 333–339).

Demnach steht die Länge des Entwurfes, seine Komplexität und die erforderliche Zusammenarbeit bzw. die Absprache mit anderen (Betroffenen-) Verbänden gegen diese kurze Frist. Warum das Ministerium so vorgegangen ist, kann nur vermutet werden. Es könnte sein, dass einhergehend mit dieser kurzen Frist eine Strategie des Ministeriums zugrunde liegt, indem dieses die Erwartung hat, dass dadurch (a) möglichst wenige Stellungnahmen erfolgen oder (b) die Komplexität des rechtlichen Rahmens und die damit einhergehenden Veränderungen von Seiten der Verbände nicht wahrgenommen werden. Vielleicht aber steckt gar keine Strategie, sondern lediglich Zeitdruck dahinter, da das Gesetzesvorhaben in dieser Legislaturperiode (2013 bis 2017) verabschiedet und umgesetzt werden soll und die Zeit im April, mit Voranschreiten des Jahres bereits etwas drängt. Die Verbände mmb, NITSA und ForseA nehmen wahr, dass der Gesetzesentwurf des BTHG stärker auf die Kostenseite als auf die UN-BRK blickt. Inhaltlich bezieht sich die Stellungnahme auf die Interessen von Menschen mit Assistenzbedarf. Probleme nehmen die Verbände im Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben, der Pflege und beim Leben in der Gemeinschaft wahr. Ferner wird auch detailliert Bezug zur Anrechnung von Einkommen und Vermögen, dem persönlichen Budget und zur unabhängigen Teilhabeberatung genommen sowie die Begriffsdefinition von Behinderung diskutiert. Anders als andere Verbände (s. Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; Arbeitskreis SignTeilhabe, 2016) stellen NITSA, ForseA und mmb auch Lösungsansätze und Alternativen zum Reformvorhaben auf (NITSA e. V. et al., o. J., S. 2–4). Der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland e. V. (ABiD) veröffentlicht ebenso eine Stellungnahme. Darin spiegelt sich die Verärgerung des Interessenverbandes mit dem Referentenentwurf wider. Sofern der Entwurf in der Form umgesetzt werden sollte, so der ABiD, wäre das ein Rückschritt für die gesamte Behindertenbewegung. Der ABiD fordert die Bundesregie-

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rung auf, die UN-BRK ernst zu nehmen und umzusetzen. Nach dieser Einleitung werden die Hauptmängel der Gesetzesinitiative, aus Sicht des ABiD dargelegt, welche u. a. die UN-BRK missachten, diskriminierend sind und Selbstbestimmung erschweren. Verschiedene Menschen mit Behinderung (jüngere und ältere, Menschen mit erhöhtem Pflegebedarf) sind demnach Verlierer*innen, die aus diesem Gesetz hervorgehen würden. Als Gewin­ ner*innen werden Unterbringungen der ambulanten und stationären Versorgung aufgeführt. Kritik wird am Beibehalt der Einkommens- und Vermögensgrenzen und dem „Zwangspoolen“ (ABiD, 2016, S. 4) geäußert (ebd.). Es fällt auf, dass die Stellungnahme hauptsächlich Kritik an der Gesetzesinitiative äußert, dabei aber selten Forderungen formuliert und keine Lösungen aufzeigt. Die gesamte Stellungnahme ist aufgebracht formuliert (z. B. „fremdbestimmte Gängelei“; ebd., S. 1; „Sie ignorieren, daß Diskriminierung geächtet und gefahndet werden muß“; ebd.), es fallen herabwertende Wörter (z. B. „Aufbewahrungs-Anstalten“, „Sonderwelten“, „Aussonderungs-Anstalten“; ebd., S. 2, 5). Anhand der Ausdrucksweise lässt sich herauslesen, dass die eigene Betroffenheit die Formulierungen beeinflussen. Die Stellungnahme hat Ilja Seifert, als Vorsitzender des Vereins, formuliert. Ilja Seifert ist nicht nur Vorsitzender des ABiD, sondern gleichzeitig auch Politiker der Partei die LINKE. Folgt man dem Machtressourcenansatz, nimmt er damit die Rolle eines Bridge Builders ein (s. Schmalz/Dörre, 2014). Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL) nimmt ebenfalls Stellung zum Referentenentwurf. Der Verband betont, dass es sich um ein „Bundesspargesetz“ (ISL e. V., 2016a, S. 1) handele und nicht um ein Bundesteilhabegesetz, da es nicht um eine Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung oder um die UN-BRK gehe, sondern vielmehr um „Leistungskürzungen und Zugangsbeschränkungen“ (ebd.). Die ISL möchte keine Stellungnahme im ‚klassischen‘ Sinne formulieren, sondern „K.O.-Kriterien“ (ebd.) benennen, demnach eine Bewertung von Inhalten des BTHG, die nach Einschätzung des Verbandes in dieser Form nicht umzusetzen sind. Insgesamt werden vier Kriterien benannt, nämlich (1) das Wunschund Wahlrecht in Bezug auf das Wohnen (sowie auf das ‚Poolen‘), (2) die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, (3) die Einkommens- und Vermögensanrechnung sowie (4) die „Regionalisierung statt bundeseinheitlicher Standards“ (ebd., S. 3). Demnach Themenbereiche, die auch schon andere Verbände in ihren Stellungnahmen angesprochen haben und daher an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden sollen. Auffallend ist, dass die ISL, wie auch schon in anderen Stellungnahmen, mit Metaphern arbeitet und sich vermutlich aus der eigenen Betroffenheit heraus, nicht sachlich ausdrückt, wie folgendes Beispiel unterstreicht:



V. Reformphase 3 (Ende 2015 bis Spätsommer 2016)177 „Wenn jemand nur in einem Lebensbereich Leistungen benötigt, muss er für weitere vier Bereiche seine Bedürftigkeit nachweisen? Was für ein Irrsinn! Welch ein bürokratisches Monster, das nur dazu gedacht ist, Menschen aus dem System zu drängen beziehungsweise fernzuhalten“ (ebd., S. 2).

Ferner bemängelt die ISL, dass durch den Beteiligungsprozess im Rahmen der AG-BTHG viele Überstunden (zum Teil auf ehrenamtlicher Basis) erforderlich waren und daher nun die Enttäuschung besonders groß sei, da der aus dem Prozess resultierende Referentenentwurf eine Verschlechterung der Rechtslage darstelle. Auch Palleit (2018) nimmt die personelle Knappheit (meist durch Ehrenamt ermöglicht) von Interessenverbänden, und damit zusammenhängend fehlende zeitliche Ressourcen wahr. Darüber hinaus beobachtet er ein ‚Machtgefälle‘ zwischen Interessen- und Wohlfahrtsverbänden: „Um sich aber zu fachlichen Fragen kompetent äußern zu können, muss die Möglichkeit bestehen, sich das nötige Fachwissen anzueignen. Dies ist bei prekären Strukturen sehr schwierig. Die steigende Zahl an Beteiligungsprozessen in verschiedenen politischen Themenfeldern, zudem oft verbunden mit knappen Fristen, überfordert die Selbstvertretungsorganisationen daher rasch. Im Vergleich zu den besser aufgestellten Sozial- und Wohlfahrtsverbänden haben sie bei schwierigen Sachfragen weit schlechtere Chancen, inhaltlich Einfluss auszuüben. Hier ist nach wie vor ein deutliches Machtgefälle festzustellen“ (Palleit, 2018, S. 1).

Damit nimmt Palleit indirekt Bezug auf die verschiedenen Machtstrukturen und macht darauf aufmerksam, dass die Wohlfahrtsverbände, im Gegensatz zu den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung, ‚stärker‘ sind (s. Palleit, 2018). Die ISL plädiert dafür, die Reform des BTHG nicht weiter fortzusetzen, sondern kleinere Inhalte im SGB IX zu ändern, die zu Verbesserungen führen könnten (ISL e. V., 2016a, S. 4). Die gleiche Auffassung vertritt die LIGA Selbstvertretung. Darüber hinaus äußert auch sie sich enttäuscht über den Referentenentwurf, da weder die UN-BRK umgesetzt werde noch Verbesserungen für Menschen mit Behinderung im Entwurf enthalten sind. Die LIGA gehört zu den Unterstüzter*innen der ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ (s. LIGA Selbstvertretung, 2016). Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV) zeigt sich enttäuscht über den Referentenentwurf. Der Entwurf zeige deutlich, dass ein einheitliches Rehabilitationsrecht „aufs Spiel“ (DBSV e. V., 2016b, S. 3) gesetzt werde und somit Verschlechterungen in der EGH zu befürchten seien. Es solle nicht nur keine neue Ausgabendynamik entwickelt werden, sondern auch die bestehende gebremst werden. Wichtig sei, so der DBSV, dass die UN-BRK umgesetzt werde, die die Teilhabemöglichkeiten und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung stärke und dass keine weiteren Leistungskürzungen in der EGH ermöglicht werden. Nicht nur die oben aufgeführte Stellungnahme der ISL spricht von einem ‚Sparge-

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setz‘, sondern auch der DBSV mit Blick auf den Ausschluss einzelner Personengruppen durch die geplanten Änderungen des leistungsberechtigten Personenkreises (ebd., S. 3; ISL e. V., 2016a, S. 1). Zudem verabschiede sich der Entwurf von der Zielsetzung des Koalitionsvertrages, um in Deutschland einheitliche Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderung zu schaffen (sogenannte Länderöffnungsklausel). Weitere Themen des DBSV umfassen u. a. Forderungen zur Teilhabe an Bildung, Teilhabe am Arbeitsleben, das Wunsch- und Wahlrecht (Wohnen) sowie die Einkommens- und Vermögensanrechnung. Behinderungsspezifische Forderungen sind beispielsweise, dass es Verbesserungen von Einkommen und Vermögen in der Blindenhilfe geben müsse. Auch die bedarfsgerechte Unterstützung von Menschen die taubblind sind wird gefordert sowie Hilfsmittel im Bereich der sozialen Teilhabe nicht abzuschaffen. Die unabhängige Teilhabeberatung wird von Seiten des Verbandes begrüßt (s. DBSV e. V., 2016b). Zudem verweist der DBSV, als Mitglied des DBR, auf die ‚sechs Kernforderungen‘ (DBSV e. V., 2016, S. 3). Weitere Unterstützer*innen der Kernforderungen sind der Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2016b) und die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (folgend BAG Selbsthilfe32; BAG Selbsthilfe, 2016, S. 8–9). Die BAG Selbsthilfe zeigt sich enttäuscht, dass der Referentenentwurf „weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, die gerade vor dem Hintergrund der langen Diskussionen im vorausgegangenen hochrangigen Beteiligungsprozess entstanden waren“ (ebd., S. 1–2). Der Beteiligungsprozess der AG BTHG wird durch das Adjektiv ‚hochrangig‘ beschrieben, was eine gewisse Wertschätzung dessen beinhaltet. Auch an anderer Stelle wird der Beteiligungsprozess lobend aufgeführt und hervorgehoben, dass dieser „neue Maßstäbe gesetzt“ (ebd., S. 13) habe. Allerdings betont die BAG Selbsthilfe auch: „Angesichts der Fülle an Neuregelungen und der Komplexität des Gesetzes insgesamt ist es kaum möglich, innerhalb der wenigen Tage, die als Frist zur Stellungnahme gesetzt worden sind, abschließend zu allen Detailaspekten Stellung zu nehmen. Gerade vor dem Hintergrund, dass Menschen mit Behinderungen und chronischer Erkrankung häufig aufgrund ihrer körperlichen bzw. gesundheitlichen Einschränkung mehr Zeit benötigen als nichtbehinderte Personen, mutet es geradezu zynisch an, einerseits von Partizipation von Menschen mit Behinderungen zu sprechen, andererseits jedoch ein derartiges ‚Großprojekt‘ im Hauruckverfahren durchzuboxen, offensichtlich mit der Absicht, Widerstande [sic] und Kritik auf diese Weise zu minimieren“ (ebd.). 32  Ein Dachverband von einerseits insgesamt 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe von Menschen mit chronischen Erkrankungen und Menschen mit Behinderung sowie andererseits von 13 Landesarbeitsgemeinschaften (BAG Selbsthilfe, 2016, S. 1).



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Es wird deutlich, dass die Kürze der Zeit zur Rückmeldung der Stellungnahmen als ‚Schachzug‘ der Bundesregierung angesehen wird, um die Anzahl der Stellungnahmen und deren Kritikpunkte so gering wie möglich zu halten. Die Wahrnehmung von fehlenden Machtressourcen (durch körperliche Einschränkungen) werden auf Seiten der Interessenverbände sichtbar. Auch Palleit (2018) nimmt diese Problematik wahr (s. Palleit, 2018). Befürchtet wird mit Blick auf den Referentenentwurf, dass dieser zu Verschlechterung des Status quo führen könne. Die Neuregelungen würden größtenteils auch nicht im Einklang mit der UN-BRK stehen (BAG Selbsthilfe, 2016, S. 2). Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) veröffentlicht eine umfangreiche Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMAS. Die Forderungen sind nicht, wie bei anderen Stellungnahmen zu beobachten (s. unten), behinderungsspezifisch formuliert. Das FbJJ streift verschiedene Thematiken, die für Menschen mit unterschiedlichen Behinderung von Relevanz sind. Dazu gehören beispielsweise Themen wie der Behinderungsbegriff, das Wunsch- und Wahlrecht, Teilhabe an Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben und die Schnittstelle Eingliederungshilfe zur Pflege (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a, S. 7 ff.). So argumentiert das FbJJ verstärkt mit der menschenrechtlichen Perspektive. Im Gegensatz zum FbJJ formulieren verschiedene Interessenverbände von Menschen mit Behinderung vielseitige Stellungnahmen, die zum Teil als behinderungsspezifische Forderungen zu identifizieren sind. Einzelne dieser werden nachfolgend exemplarisch dargestellt: Bei der ‚Baden-Württemberger Erklärung zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit hohem Hilfebedarf‘ handelt es sich um einen Zusammenschluss verschiedener Verbände. Dazu gehören die Landesarbeitsgemeinschaft der Eltern, Angehörigen und gesetzlichen Betreuer von Menschen mit geistiger Behinderung Baden-Württemberg e. V. (LAG AVMB BW), die LAG Werkstatträte Baden-Württemberg (LAG WR BW), der Paritätische BadenWürttemberg, die Lebenshilfe Baden-Württemberg sowie die Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten Baden-Württemberg (LAG WfbM BW). Die Forderungen beziehen sich, wie der Titel der Erklärung vorausahnen lässt, auf die Teilhabe am Arbeitsleben mit besonderem Blick auf die Werkstätten. So wird hier betont, dass der Referentenentwurf nicht im Einklang mit der UN-BRK (Artikel 27) und dem Grundgesetz (Artikel 3, Absatz 3, Satz 2) stehe. Menschen mit Behinderung mit höherem/hohem Hilfebedarf dürfen demnach nicht diskriminiert werden. Daher wird gefordert, dass die Teilhabe am Arbeitsleben für alle Menschen mit Behinderung ermöglicht werden müsse sowie, dass die Formulierung ‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit‘ wegzufallen habe (s. Landesarbeitsgemeinschaft der Eltern,

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Angehörigen und gesetzlichen Betreuer von Menschen mit geistiger Behinderung Baden-Württemberg e. V. et al., 2016). Dem schließen sich die Werkstatträte Deutschland in ihrer Stellungnahme an und kritisieren den Beibehalt der Formulierung. Positiv sehen sie, dass Werkstätten auch in Zukunft als Arbeitsmöglichkeit bestehen bleiben, aber zeitgleich mehr Übergangsmöglichkeiten auf den allgemeinen Arbeitsmarkt geschaffen werden, wie durch andere Leistungsanbieter und das Budget für Arbeit. Die Werkstatträte gehören zu den Unterstützer*innen der ‚Kernforderungen‘. Einzelne der Forderungen des Verbändebündnisses werden im Zuge der Stellungnahme aufgenommen, aber an die Teilhabe am Arbeitsleben angepasst. So schreiben sie, dass Menschen mit Behinderung selbst entscheiden sollen können, ob sie über die Rentenaltersgrenze hinaus arbeiten möchten (Wunsch- und Wahlrecht). Ebenso wird die „alleinige Steuerung und Koordinierung der Leistungen durch die Träger der Eingliederungshilfe“ (Werkstatträte Deutschland, 2016, S. 4) abgelehnt (Teilhabeplanverfahren). Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. (BPE e. V.) kritisiert, dass den Sozialversicherungsträgern und den Bundesländern zu viel Entscheidungsspielraum bei der Ermöglichung und der Höhe der jeweiligen Leistungserbringung gelassen wird. Dies könne weiterhin zu einer Fehlversorgung in einzelnen Regionen führen. Den wirtschaftlichen Interessen der Leistungserbringer wird im Referentenentwurf ein Vorrang eingeräumt. Sie stehen vor der freien Wahl des Wohnortes (Bezug zur UN-BRK), sodass das Wunsch- und Wahlrecht eingeschränkt bleibe. Weiter wird mit Blick auf die unabhängige Teilhabeberatung ausgeführt, dass eine Problematik in der Flächenberechnung gesehen werde: „Eine Beratungsstelle auf 100.000 Einwohner, bedeutet in dünn besiedelten Flächenländern wie z. B. MecklenburgVorpommern unzumutbare weite Wege für die Betroffenen“ (Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V., 2016, S. 2). Wie eine Interviewperson betont, versuchen die Verbände mit Beispielen zu arbeiten, um die Problematik plastischer zu machen (s. Interview 6). Der Verband führt nur Kritikpunkte und Forderungen auf, allerdings keine eigenen Lösungsvorschläge. Der BPE e. V. konzentriert sich zudem auf die Interessen der Psychiatrie-Erfahrenen, lässt andere Behinderungsspezifika (außer beim Wunsch- und Wahlrecht) außen vor. Es wird versucht, verschiedene Lebensbereiche (Wohnen, Arbeiten) in der Stellungnahme abzudecken, wie auch allgemeine Thematiken, die das Leben und die Unterstützungsleistungen der Menschen mit Psychiatrie-Erfahrungen beeinflussen können (leistungsberechtigter Personenkreis, Entscheidungsspielraum Länder, unabhängige Teilhabeberatung; ebd.). Die ‚sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016) werden ebenfalls von dem Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener unterstützt (Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V., 2016, S. 2).



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Der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. (DGB e. V.) nimmt in seiner Stellungnahme Bezug zur UN-BRK und nutzt diese zur Stärkung der Argumentation. Der Verband unterstützt ebenfalls die ‚sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Wie auch schon andere Verbände (z. B. NITSA e. V. et  al., o. J.) nimmt der Verband die kurze Frist zur Stellungnahme, parallel zu weiteren Gesetzesentwürfen oder Novellierungen, negativ wahr und beschreibt die Problematik, die gerade für kleinere Verbände damit verbunden gewesen ist. Insgesamt bewertet der Verband einzelne behinderungsübergreifende Thematiken sowohl positiv als auch negativ. Auch dieser Verband hat das Gefühl, dass die Ausgabendynamik im Zentrum des Entwurfes steht. Dazu äußert sich der DGB e. V. kritisch: „Echte Teilhabe gibt es nicht zum Nulltarif“ (Deutscher Gehörlosen-Bund e. V., 2016, S. 2). Der Verband führt anschließend behinderungsspezifische Inhalte auf (ebd., S. 3 ff.). Neben dem DBSV und dem DGB e. V. veröffentlichen noch weitere Interessenverbände mit dem Schwerpunkt der Sinnesbehinderung Stellungnahmen – diese verweisen ebenso auf die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ oder auf Stellungnahmen untereinander. Zudem führen sie, wie auch schon der DGB e. V., vermehrt behinderungsspezifische Forderungen auf (s. z. B. Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten, 2016; Deutscher Schwerhörigenbund e. V., o. J.; Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V., o. J.; Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/ taubblind, 2016). Ein weiterer Verband der einen Schwerpunkt auf eine Sinnesbehinderung legt, ist der Arbeitskreis ‚Sign-Teilhabe‘ (AK Sign-Teilhabe). Betitelt ist diese Stellungnahme: „Bundesteilhabegesetz? – Bundesverhinderungsgesetz, eine schwere Diskriminierung für die Gebärdensprachgemeinschaft!“ (Arbeitskreis Sign-Teilhabe, 2016, S. 1). Die Enttäuschung über den Referentenentwurf wird damit bereits sehr deutlich sowie auch die Thematik, auf welche der Verband im Rahmen der Stellungnahme eingehen wird. Da sowohl im Titel der Stellungnahme als auch in den ersten Absätzen immer wieder verdeutlicht wird, dass das Paper Menschen der Gebärdensprachgemeinschaft betrifft und diese sich besonders diskriminiert und somit ausgeschlossen fühlt, wird indirekt ausgedrückt, dass andere Menschen mit Behinderung mehr Beachtung im Gesetzesentwurf gefunden haben als andere. Dies beschreibt ein Ungleichgewicht der Machtressourcen innerhalb der Interessenlandschaft der Menschen mit Behinderung. Wie bereits von Winter (2019) feststellt, gibt es zum einen ‚stärkere unter den schwachen‘ Interessen und zum anderen weiterhin schwächere Interessen mit Blick auf die Verbändelandschaft der Menschen mit Behinderung. Man kann demnach nicht per se von den Menschen mit Behinderung sprechen – bzw. im Falle dieser Arbeit nicht per se von den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung – es liegt eine viel zu große Heterogenität vor, die zurückzuführen ist auf un-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

terschiedlich stark ausgeprägte Machtressourcenausstattungen (s. Benz/Toens, 2019). Dieses wahrgenommene Ungleichgewicht wird einige Seiten später vom AK Sign Teilhabe mit Hilfe einer plakativen Abbildung verdeutlicht. Hier ist auf der linken Seite die ‚hörende‘ Gesellschaft dargestellt, unter der Bürger*innen ohne Einschränkung, sowie Menschen mit körperlichen Einschränkungen und einer Sinnesbeeinträchtigung (Blindheit) angehören. Separiert und durch einen Pfeil getrennt dargestellt werden Menschen, die sich der Gebärdensprachgemeinschaft zuordnen. Auch einzelne Interviewpart­ ner*innen nehmen, wie bereits in Kapitel E.IV.5. betont, unterschiedliche ‚privilegierte‘ und ‚unterprivilegierte‘ Subgruppen von Menschen mit Behinderung wahr (s. Interview 10, 11). Betitelt wird diese Abbildung „Stand im Referentenentwurf eines Bundesteilhabegesetzes“ (Arbeitskreis Sign-Teilhabe, 2016, S. 6), um zu verdeutlichen, dass Menschen der Gebärdensprachgemeinschaft sich durch das geplante BTHG Kommunikativ aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Ferner wird festgestellt, dass wichtige Begriffe der UN-BRK nicht im Referentenentwurf aufgenommen werden und ein Verstoß gegen das Grundgesetz (Artikel 2 und 3 GG) vorliegt. Es wird lediglich eine Forderung formuliert, und zwar, dass sowohl Menschen die blind sind, als auch Menschen die taubblind sind, in Zukunft das Merkzeichen ‚TBI‘ im Schwerbehindertenausweis vermerkt haben sollten (ebd., S. 3). Am 2. Juni 2016 titelt die Süddeutsche Zeitung: „Warum behinderte gegen das Teilhabegesetz protestieren“ (die Süddeutsche, 2016). Bezug genommen wird auf eine Veranstaltung der SPD-Bundestagsfraktion zur geplanten Behindertenpolitik. Hier wird aufgeführt, dass Menschen mit Behinderung keinen geplanten offiziellen Redeanteil erhalten haben, sich zu diesem aber „ungebeten“ (ebd.) Zutritt verschafft haben, indem zwei Rollstuhlfahrende Aktivist*innen (Sigrid Arnade, ISL sowie Raul Krauthausen, Verein ‚Sozialhelden‘) auf die Bühne kommen und einen Redebeitrag einfordern. Auch eine Interviewperson berichtet von dem Auftritt der beiden Aktivist*innen und betont, dass, bevor diese auf die Bühne kommen, nur über und nicht mit Menschen mit Behinderung diskutiert wird (s. Interview 9) – gegen das ursprüngliche Motto des Koalitionsvertrages ‚Nichts über uns ohne uns‘ (s. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013). Sigrid Arnade und Raul Krauthausen betonen, unter dem Aktions-Motto #NichtmeinGesetz, dass sie das Reformvorhaben in dieser Form nicht unterstützen. Dazu liegt ebenfalls ein Video vor, welches auf YouTube einzusehen ist – hochgeladen auf dem YouTube-Kanal von Raul Krauthausen (#NichtmeinGesetz, #BTHG: Sigrid Arnade und Raul Krauthausen stürmen SPD-Bühne der „Tagung zum geplanten Teilhabegesetz“, 2016). Durch die Nutzung des Videoportals machen sich die Interessenverbände und Aktivist*innen der Szene auch die sozialen Medien zunutze, arbeiten somit öffentlichkeitswirksam (Schmalz et al., 2013). Auch in zwei Interviews wird betont, dass sich die Interessen-



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verbände soziale Medien zu eigen machen und anzuwenden wissen (s. Interview 2, 9) – gerade die „jungen Wilden“ (Interview 2, Zeile 941), wie eine Interviewperson betont. Die Interessenverbände werden, wie auch in dem hier dargestellten Fall, wiederholend von einzelnen Aktivist*innen – wie beispielsweise Raul Krauthausen – unterstützt (s. Interview 9, 16): „Also ich glaube, dass die Verkörperung von Handlungsbedarfen durch Personen, die das [die drohenden Verschlechterungen] in der Öffentlichkeit erklären, wahnsinnig wichtig war“ (Interview 16, Zeile 688–689). Rückblickende Kritik an die AG BTHG: Austausch vs. Beteiligung In diesem Teilkapitel werden Kampagnen, Proteste und Aktionen von Seiten der Interessenverbände beschrieben, welche durch Enttäuschung, Ernüchterung und Verärgerung ihrerseits ausgelöst wird (s. Interview 6, 9, 11). Dazu wird betont, dass die Interessenverbände auf die „Barrikaden“ (Interview 9, Zeile 57) gehen und sich im Zuge dessen versuchen, gegenseitig zu unterstützen: „Ich finde, kampagnenmäßig war es sogar gar nicht so schlecht dann. Also der Deutsche Behindertenrat hat im Grunde dann Hintergrundarbeit gemacht und die Kampagnenstärke eigentlich haben die Verbände, und die haben dann schon auf ihre Weise versucht, diesen Referentenentwurf oder nachher den Gesetzentwurf, den es gegeben hat, mit ihrem Kampagnen-Möglichkeiten noch mal extrem zu beeinflussen“ (Interview 6, Zeile 592–597).

Es wird von einer ‚Kampagnenstärke‘ gesprochen, demnach eine machtvolle Ressource, um auf die eigenen Belange in Form von Aktionen und Proteste aufmerksam zu machen. Demzufolge eine Machtressource, die die Verbände im Rahmen dieser Phase der Reform für sich zu nutzen wissen und auch als eine solche für sich erkennen. Die Verbände organisieren selbstständig Proteste bzw. unterstützen sich gegenseitig und machen somit die Öffentlichkeit auf ihre Anliegen aufmerksam (Diskursmacht und Organisationsmacht; Schmalz et al., 2013). Doch wie genau kommt diese Enttäuschung und die Verärgerung zustande, die sich in Kampagnen, Protesten und Stellungnahmen widerspiegeln? Was könnte der Grund dafür sein? Der Auslöser dieser Emotionen könnte eine nicht ausreichend stattfindende Kommunikation über den Begriff Beteiligungsprozess darstellen. Dem wird im Folgenden nachgegangen: Wie oben aufgezeigt, äußern sich verschiedene Verbände enttäuscht über den Referentenentwurf, einzelne fordern sogar einen Abbruch des Reformvorhabens (s. ISL e. V., 2016a; s. LIGA Selbstvertretung, 2016). Auch unterschiedliche Interviewpartner*innen betonen im Rückblick, dass der Referentenentwurf kritisch aufgenommen wird. Die Reaktionen seien – so eine Interviewperson – „vernichtend“ (Interview 3, Zeile 533) von Seiten der Interes-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

senverbände gewesen, eine andere Person betont die „absolute Ernüchterung“ (Interview 2, Zeile 876), die dem Referentenentwurf folgt. Der Output des Entwurfes sei „unbefriedigend“ (Interview 6, Zeile 1006–1007) gewesen, denn „da stand ganz viel dann drin, […] was nicht mehr unsere Position war und was eigentlich auch nicht den Ergebnissen der Gespräche [der AG BTHG] entsprochen hat“ (Interview 6, Zeile 301–303). Eine Interviewperson blickt, nachdem der Arbeits- und der Referentenentwurf veröffentlicht sind, eher skeptisch auf die AG BTHG zurück. Es wird betont, dass das Beteiligungsverfahren viel mehr wie ein „politisches Manöver“ (Interview 3, Zeile 435) gewirkt habe. Es sei ein kluges Vorgehen des Ministeriums gewesen, die gesellschaftlich relevanten Gruppen mit einzubinden, um anschließend Proteste „abzufedern“ (Interview 3, Zeile 516–524). Eine weitere Interviewperson verwendet ähnliche Begriffe. Sie betont, dass die AG BTHG ein „geschickter Schachzug […] von Seiten des Ministeriums“ (Interview 8, Zeile 1584–1585) gewesen sei. Die Person nutzt dabei eine Metapher zur Veranschaulichung. Diese Metapher unterstreicht das Gefühl der Interviewperson, dass es sich um eine geplante Strategie des Ministeriums handelt, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände in den Prozess einzubinden, um vorweisen zu können, dass man inklusiv handelt. Eine gute „Außenwahrnehmung“ (Interview 8, Zeile 1600) des Ministeriums. Wenn die beteiligten Interessenverbände von Menschen mit Behinderung mit dem Ergebnis unzufrieden seien, könne durchaus gesagt werden: „Wir haben euch beteiligt, und das war ein Kompromiss und ihr habt ihn doch mitgetragen“ (Interview 8, Zeile 1609–1611). Um die Metapher der Interviewperson weiter fortzusetzen: Man setzt die anderen involvierten Akteur*innen dadurch Schachmatt. Tompson und Price (2009) bezeichnen dies als ein entpolitisierendes Vorgehen der Regierung, indem die Politik Verbände in Kommissionen einbindet, um spätere Schuldzuweisungen zu unterbinden. Durch die Beteiligung der Verbände kann die Regierung ihre eigene Verantwortung kaschieren (ebd., S. 36). Auch andere Interviewpartner*innen blicken auf den Beteiligungsprozess nicht nur positiv zurück (s. Interview 9 und 12). Interviewpartner*in 12 spricht auch von einem Gefühl einer „Feigenblatt-Veranstaltung“ (Interview 12, Zeile 106–107). Dazu schreibt Palleit (2018) für das Deutsche Institut für Menschenrechte, dass die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung das Gefühl hätten, trotz investierter Zeit und fachlichem Input nur geringen Einfluss auf politische Prozesse nehmen zu können. „Beteiligung wird dann nur als Scheinpartizipation erlebt und die aufgewendete Zeit und Mühe als nutzlos vertan“ (Palleit, 2018, S. 1; zu Scheinpartizipation s. auch Windisch, 2011, S. 241). Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass Menschen mit Behinderung ihre Beteiligung nicht auf Augenhöhe wahrnehmen, was mit Intransparenz der „Rolle und Einflussmöglichkeiten“ (Palleit,



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2018, S. 2) im jeweiligen Beteiligungsprozesses zusammenhängen könnte. „Sie erhalten wenig Rückmeldung dazu, in welcher Form ihre Empfehlungen, Anregungen oder Forderungen aufgegriffen wurden oder warum sie nicht umgesetzt wurden“ (ebd.). Schließlich habe der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung aus dem Jahr 2015 bereits die Bundesrepublik Deutschland aufgefordert, eine inklusive und transparente Partizipation für die Interessenvertretungen zu ermöglichen (s. UN, Committee on the Rights of Persons with Disabilities, 2015; zit. in Palleit, 2018, S. 3). Diesem Vorschlag ist die Bundesregierung allerdings nur teilweise gefolgt, wie im Folgenden verdeutlicht wird: Eine Interviewperson wünscht sich, dass das Ministerium die verschiedenen Formen der Beteiligung für zukünftige Reformprozesse reflektiert. Die Interviewperson sieht einen Unterschied zwischen Einbindung und „wirklicher Beteiligung“ (Interview 15, Zeile 33–34). Folgendes Problem wird beschrieben: „Die Herausforderung ist aber eben, wie gesagt, dass auch bei den Verbänden meines Erachtens da sehr schnell der Eindruck sich verfestigt hat, zumindest bei dem einen oder anderen Akteur oder Akteurin, dass es hier wirklich um eine Beteiligung geht, die auch […] ein hohes Maß an Mitgestaltung beinhaltet. Und ich würde mal sagen, es war mal eine […] Einbindung mit einem hohen Informationsgrad“ (Interview 15, Zeile 106–111).

Beteiligung bedeutet demnach für die Interviewperson, die Möglichkeit der Mitgestaltung/Mitentscheidungsmöglichkeiten, während der vorgelagerte BTHG-Prozess lediglich eine Einbindung bzw. ein „Austausch“ (Interview 15, Zeile 778) über unterschiedliche Informationen war. Daher sollte in zukünftigen Beteiligungsverfahren der sehr weitgefasste Begriff klarer definiert werden, so die Forderung der Interviewperson, und eine deutliche Unterscheidung zwischen den Begriffen Austausch und Beteiligung hergestellt werden. Der zweite Begriff suggeriert, dass man etwas mitentscheiden kann, was im Falle der AG BTHG nicht der Fall gewesen ist (Interview 15, Zeile 795–800). Der Leitspruch ‚Nichts über uns ohne uns‘, welcher sich an den Entstehungsprozessen der UN-BRK orientiert, könnte zu einer Irritierung der Begriffe beigetragen haben. Denn die Partizipation ging im Rahmen der UN-BRK-Entstehung mit einer Entscheidungsmacht einher (s. Callus/Camilleri-Zahra, 2017). Arnstein (1969) führt ein Stufenmodell auf, welches die Intensität von Partizipation zu differenzieren versucht. Die Ladder of Citizen Participation unterscheidet insgesamt acht verschiedene Stufen, die in drei Bereiche aufgeteilt sind: • Nicht-Beteiligung (Stufen eins und zwei): Hierzu zählen Maßnahmen der Desinformation, Manipulation oder Versuche des Befriedens.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

•• Quasi-Beteiligung/Schein-Beteiligung (Stufen drei bis fünf): Hier werden die Akteur*innen angehört, informiert und beraten, allerdings liegen keine „formale[n] Einflussmöglichkeiten auf politische Entscheidungsprozesse“ (Windisch, 2011, S. 236) vor. Die Informationen, die von den Akteur*innen zur Verfügung gestellt werden, werden dann als „Informationen […] im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen“ (ebd.) verwendet – den beteiligten Akteur*innen wird eine Partizipation daher nur vorgespielt. •• Wirkliche Partizipation (Stufen sechs bis acht): Im Rahmen dieses Bereichs kommt es zu einer Partizipation, in der es eine partnerschaftliche Beteiligung gibt. Diese führt von einem Aushandlungsprozess, über eine „Delegation von Entscheidungskompetenzen für gewisse Teilbereiche“ (ebd.) bis hin zu einer allumfänglichen Kontrolle der beteiligten Akteur*innen (citizen control) über alle Entscheidungskompetenzen (ebd.).

Quelle: Arnstein, 1969, S. 217

Abbildung 5: Ladder of Citizen Participation

Die LAG Selbsthilfe NRW (o. J.; 2021) hat das Stufenmodell nach Arnstein weiterentwickelt und auf die Beteiligungsstrukturen von Menschen mit Behinderung in der kommunalen Politik angepasst. In ihrem Modell gibt es lediglich sieben Stufen, die sich in



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• Instrumentalisierung/Alibibeteiligung (keine Partizipation), • Information, Anhörung, Einladung zur Beratung (Vorstufen der Partizipa­ tion) sowie •• Mitwirkung an der Entscheidungsfindung, eigener Entscheidungsbereich, Beteiligung in einem inklusiven Umfeld (Partizipation) aufteilen (LAG Selbsthilfe NRW, o. J., S. 21; 2021, S. 26). Die bei Arnstein noch als ‚Quasi-Beteiligung/Schein-Beteiligung (Stufen drei bis fünf)‘ benannte Einteilung, wird in dem Modell der LAG bereits als ‚Vorstufe der Partizipation‘ verstanden. Demnach wäre die AG BTHG – wenn auch auf Bundes- und nicht auf kommunaler Ebene – als Vorstufe der Partizipation zu verstehen. Deutlich macht die LAG allerdings: „Ohne daher die Möglichkeit der Einflussnahme durch Prozesse der Beratung und Argumentation abzuwerten, ist es sinnvoll, nur im Falle einer tatsächlichen Möglichkeit zur Mitentscheidung von Partizipation zu sprechen. Dies ist möglich durch Beteiligung an Abstimmungen, die Festlegung eines eigenen Entscheidungsbereiches oder die Verankerung eines Vetorechts, das auch auf bestimmte Bereiche begrenzt sein kann. Formale Partizipationsstrukturen sind daran zu bewerten, ob bzw. inwiefern sie eine solche Mitbestimmung ermöglichen. Ein inklusives Gemeinwesen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention sollte solche partizipativen Mitbestimmungs- und Entscheidungsmöglichkeiten aufweisen“ (LAG Selbsthilfe NRW, 2021, S. 22).

So betonen auch Lane und Pritzker (2018), dass zwischen Partizipation und bedeutungsvoller Partizipation unterschieden werden sollte: „Many programs and structures provide opportunities for public participation. Rarely, though, do these opportunities enable the public to meaningfully impact decisions – decisions that often directly impact their lives“ (ebd., S. 91). Die Stufenmodelle nach Arnstein oder der LAG nehmen verschiedene Hinweise der Interviewpartner*innen auf. Zum einen sprechen einzelne Interviewpersonen von einer ‚Scheinbeteiligung‘, die den zweiten Bereich nach Arnstein abdeckt; eine andere Person spricht davon, dass die Beteiligung und die Definition dessen unzureichend gewesen sei und somit nicht das gewesen sei, was die beteiligten Akteur*innen erwartet haben. Blickt man auf die Modelle, so wird deutlich, dass das Ministerium eine Quasi-Beteiligung (Diskussion verschiedener Inhalte des neuen Gesetzes, nicht aber formale Einflussmöglichkeiten) bzw. eine Vorstufe der Partizipation (Einladung zur Beratung) durchgeführt hat (s. auch Huppert, 2018, S. 11). Die Kritik der Interviewperson über die Definition des vorgelagerten Beteiligungsprozesses könnte durchaus angebracht sein. Es ist zu überlegen, ob man daher weniger von einem Beteiligungsprozess sprechen kann oder vielmehr, wie von Interviewperson 15 angemerkt, einem weitreichenden und breiten Austausch. Dieser vorgelagerte Austausch war aber nicht sinnlos oder überflüssig, da –

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wie einzelne Interviewpartner*innen angemerkt haben – verschiedene Akteur*innengruppen, die sonst nicht miteinander diskutiert hätten, nun zueinander gefunden haben und Verständnis für ihre jeweiligen Sichtweisen entwickeln können. Ein Austausch auf Augenhöhe. Zwei Interviewpersonen zweifeln, inwiefern Verbände in der Lage sind, politische Entscheidungen zu beeinflussen, da der parlamentarische Prozess ohne sie stattfindet (s. Interview 8, 10). Windisch (2011) betont ebenfalls, dass im Rahmen von politischen partizipativen Prozessen die VerbandAkteur*innen keinen Einfluss auf verwaltungsrechtliche Entscheidungsverfahren haben, sondern der Input der betroffenen Akteur*innen vielmehr das Verfahren erweitere und aufwerte. „Die Hauptverantwortung für die politischen und planerischen Entscheidungen bleibt bei den Experten, diese werden jedoch durch ein alternatives Denken der Betroffenen unterstützt. Hierfür müssen Organisationsformen etabliert werden, in denen die entsprechenden Themenstellungen gemeinsam bearbeitet werden können“ (Windisch, 2011, S. 232).

Gelinge eine „echte Partizipationsstruktur“ (ebd.), könnte das Vorteile auf verschiedenen politischen Ebenen haben. So könnte beispielsweise das Empowerment und die Handlungskompetenz der betroffenen Personengruppe gestärkt werden. „Je stärker die Interessen aller betroffenen Akteure vertreten sind, desto besser ist die Informationslage auf der Entscheidungen getroffen werden“ (ebd., S. 232–233), d. h., dass die Entscheidungen bedürfnisgerechter und effizienter für alle beteiligten Akteur*innen sind (ebd.). cc) Die Verbändeanhörung im Mai 2016 An der Verbändeanhörung am 24. Mai 2016 nehmen verschiedene Interessenverbände der Menschen mit Behinderung teil. Darunter beispielsweise der Deutsche Behindertenrat (DBR), der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. (DBSV), der Deutsche Gehörlosen Bund (DGB e. V.), das Forum behinderter Juristen und Juristinnen (FbJJ), die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. (ISL), das Weibernetz e. V. sowie auch, als Mitglieder des DBR, die Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., die Sozialverbände SoVD und VdK33. Beinahe alle Redebeiträge verweisen im Rahmen der Stellungnahmen auf die ‚gemeinsamen sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Die Wiederholung der Nennung 33  Die Lebenshilfe, der SoVD und der VDK werden hier als DBR-angehörige Verbände gemeinsam mit den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung aufgeführt, da vermutet wird, dass, wie auch schon im Rahmen der AG BTHG, eine Zusammenarbeit im Vorfeld zwischen den DBR-Verbänden stattgefunden hat.



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dieser ‚Kernforderungen‘ zeigt die Zentralität des Dokuments auf (Schülle et al., 2016, S. 2). Begonnen wird mit Teil 2 des Referentenentwurfes, der Eingliederungshilfe. Kritisiert wird von den Interessenverbänden, dass es sich bei der überarbeiteten EGH um ein Sondergesetz mit Einschränkungen handele und die menschenrechtliche Perspektive sowie die einzelnen Inhalte des Beteiligungsverfahrens (AG BTHG) unbeachtet bleiben. Besonders kritisiert wird das Verhältnis zwischen den Hilfen zur Pflege sowie die Beibehaltung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen „in Verbindung mit den Hilfen zur Pflege“ (ebd., S. 3). Auch das Wunsch- und Wahlrecht wird im Detail kritisch betrachtet. Besonders besorgt wird der neue leistungsberechtigte Personenkreis (§ 99 SGB IX RefE) in den Blick genommen. Es wird befürchtet, dass Menschen, die zurzeit EGH-Leistungen erhalten, in Zukunft aus dem Leistungsbezug herausfallen. Diese Einschränkung sei weder mit dem § 2 SGB IX RefE noch mit der UN-BRK vereinbar. So wäre es mit dem neuen Recht möglich, dass Menschen mit starken Sinnesbeeinträchtigungen ausgeschlossen sein könnten, so der DBSV und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS; Schülle et al., 2016, S. 3–4). Wie auch schon im Rahmen der AG BTHG wird an dieser Stelle deutlich, dass sich die Verbände in ihrer Argumentation ergänzen. Mit dem Wunsch- und Wahlrecht werde die Selbstbestimmung der Betroffenen eingeschränkt. Das FbJJ verweist darauf, dass „in der EGH eine fatale Verquickung mit dem Mehrkostenvorbehalt vorgenommen“ (ebd., S. 4) werde. Gemeinsam mit einem Wegfall von ‚ambulant vor stationär‘ und den damit bezogenen Hilfen, könnte es sein, dass Menschen mit Behinderung in Heime verwiesen würden. Dies sei nicht vereinbar mit Artikel 19 UN-BRK. Einen weiteren Einschnitt stelle das ‚Zwangspoolen‘ (§ 116 Abs. 2 SGB IX RefE) für die Selbstbestimmung dar (Schülle et al., 2016, S. 4). Kritisch werden auch die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben/zur Beschäftigung in der EGH von den Interessenverbänden wahrgenommen, „die nach dem RefE nur noch die Leistungen in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), Leistungen anderer Anbieter und das Budget für Arbeit umfassen“ (ebd.). Von Seiten des DVBS wird darauf aufmerksam gemacht, dass jüngere Selbstständige von Leistungen (§ 111 SGB IX RefE) ausgeschlossen werden. Das Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX RefE) widerspreche dem Ziel, in ganz Deutschland gleichwertige Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung zu schaffen, „da sie [die Regelungen] in den Ländern näher ausgestaltet werden sollen“ (Schülle et al., 2016, S. 5). Kritisch geäußert wird auch, dass das ‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit‘ (§ 219 Abs. 2 SGB IX RefE) als Aufnahmevoraussetzung in die Werkstatt beibehalten wird (Schülle et al., 2016, S. 5).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Positiv hingegen seien die Leistungen zur sozialen Teilhabe, da nun ein offener Leistungskatalog vorgesehen ist (§ 113 SGB IX RefE). Der BVKM betont, dass auch das Gesamtplanverfahren (§§ 177 ff. SGB IX RefE) positiv zu bewerten sei. Dieses orientiere sich nun an der ICF (Schülle et al., 2016, S. 6). Zu Teil 1 des Referentenentwurfes (Regelungen für Menschen mit Behinderung sowie von Behinderung bedrohter Menschen) heißt es von Seiten der Verbände, dass es zur Koordinierung der Leistungen einer Beseitigung der Schnittstellenproblematik bedürfe. Die Teilhabeplankonferenz (§ 20 SGB IX RefE) sollte „immer erfolgen und […] Leistungsberechtigte [sollten] auf die Durchführung einen Anspruch (und nicht nur ein Vorschlagsrecht) haben“ (Schülle et al., 2016, S. 8), so die Bundesvereinigung Lebenshilfe. Für die Beratung, die Leistungsformen und das Persönliche Budget sei es notwendig, einen Anspruch auf eine Budgetassistenz zu erhalten. Die unabhängige Teilhabeberatung (§ 32 SGB IX RefE) hingegen sei positiv zu bewerten, allerdings sei die Befristung durch Gelder des Bundes nicht angebracht, so der SoVD. „Zudem müsse gesichert sein, dass die Beratung barrierefrei erfolgt und bei Bedarf mit Hilfe von Gebärdensprachdolmetschern, bilingual oder in leichter Sprache“ (Schülle et al., 2016, S. 8) erfolgt, so die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten. Auch für Menschen mit Sinnesbehinderung sollte eine überregionale Beratung ermöglicht werden (ebd.). Von den Interessenverbänden wird angeregt, das Merkzeichen für taubblinde Menschen umzubenennen, dafür wird vorgeschlagen, dieses in „ ‚TBI‘ (taubblind) [zu] ändern“ (ebd., S. 11). Abschließend wird vom SoVD und dem VdK angeregt, die Ausgleichsabgabe (§ 160 SGB IX RefE) zu erhöhen sowie die Mindestbeschäftigungsquote für Arbeitgeber*innen anzuheben (von 5 % auf 6 %; Schülle et al., 2016, S. 11). Mit den Äußerungen der Interessenverbände wird deutlich, dass viele von ihnen Expert*innen ihres eigenen Bereichs sind. Sie argumentieren zum Teil behinderungsspezifisch, ergänzen sich aber ebenso in ihren Aussagen. Die menschenrechtliche Perspektive der Interessenverbände wird durch einzelne Redebeiträge erneut deutlich. dd) ‚Verbündete‘ Am Tag der Veröffentlichung des Referentenentwurfes veröffentlicht der ‚Spiegel‘ einen Artikel über das geplante Gesetz. Darin wird u. a. Ulla Schmidt, als Vorsitzende des Bundesvereinigung Lebenshilfe und SPD-Mitglied (Bridge Builder) wie auch Ulrike Mascher des SoVD zitiert. Zur Sprache kommen darin ihre Einschätzungen über die Einkommens- und Vermö-



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gensanrechnung sowie das Wunsch- und Wahlrecht (Wohnen). Die Erhöhung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen weise zwar in die richtige Richtung, reiche aber nicht aus, so der SoVD. Dem schließe sich die Lebenshilfe an. Angestrebt werden sollte eine Abschaffung dieser Regelungen. Auch die ISL wird mit ihrer Kritik an den geplanten Assistenzleistungen zitiert. Es sei wichtig, dass sich die Betroffenen aussuchen können, wer ihnen assistiert, was somit einen Teil des Wunsch- und Wahlrechts anspricht (Spiegel online, 2016a). Im Rahmen des Artikels wird auf bestehende Ungerechtigkeiten aufmerksam gemacht (Diskursmacht; Schmalz et al., 2013). Kurz darauf folgt eine Stellungnahme der Bundesvereinigung der Lebenshilfe. Im Zuge dessen kritisiert sie u. a. die Einengung des leistungsberechtigen Personenkreises und die Verengung des Zwecks der EGH (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2016, S. 4). Am 18. Mai 2016 bezieht der SoVD Stellung zum Referentenentwurf und betont eingangs, dass die geringe zeitliche Frist zur Stellungnahme und der Umfang des BTHG keine umfangreiche Rückmeldung zulässt. Wie auch schon andere Verbände unterstützt der SoVD als Mitinitiator vollumfänglich die ‚sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Stellung genommen wird zu verschiedenen Themen des Referentenentwurfs, es ist keine Behinderungsspezifik zu erkennen. Die Stellungnahme umfasst Kritikpunkte und Forderungen zu den Selbstbestimmungsrechten, welche eingeschränkt und nicht erweitert werden (z. B. Wunsch- und Wahlrecht, ‚Poolen‘ von Leistungen) sowie die Einkommens- und Vermögensunabhängigkeit der EGH, welche als „Herzstück“ (SoVD, 2016, S. 2, 8) der Reform bezeichnet wird. Gleichzeitig wird bedauert, dass diese nicht abgeschafft, sondern nur erweitert wird. Das Wort ‚Herzstück‘ suggeriert eine Zentralität, etwas, wovon alles andere abhängt. Der VdK formuliert in seiner Stellungnahme ähnliche Forderungen und kritisiert ebenso übereinstimmende Inhalte. Er spricht ebenfalls von einem fehlenden ‚Herzstück‘ der Reform, wenn die Anrechnung von Einkommen und Vermögen weiterhin beibehalten wird (VdK, 2016, S. 1 ff.). c) Reaktionen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf Auf den Kabinettsentwurf34 folgen verschiedene Reaktionen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, die im Folgenden dargestellt werden. Da im Kabinettsentwurf und dem Regierungsentwurf lediglich marginale Änderungen zu erkennen sind, sei man auf Seite der Interessenver34  Der Kabinettsentwurf enthält nun die neuen Finanzierungsregelungen und das Merkzeichen TBI ist neu. Viele andere Inhalte sind gleichbleibend zum Referentenentwurf (s. Teilkapitel E.VI.1. ff.).

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bände der Menschen mit Behinderung sehr unzufrieden gewesen (Interview 2, Zeile 164 u. 876–881). Die geringen Veränderungen im Regierungsentwurf lösen Proteste, Aktionen und weitere Stellungnahmen von Seiten der Interessenverbände aus. Auf die Demonstrationen – und die Wichtigkeit dieser im Reformprozess – verweisen verschiedene Interviewpartner*innen (s. Interview 1, 2, 4, 7, 8, 9, 10, 12). aa) Kabinettsentwurf und vereinzelte Aktionen Die Reaktionen, die dem Kabinettsentwurf folgen sind weniger emotional verfasst als die Stellungnahmen zum Referentenentwurf. Zusammenhängen könnte dies mit einer gewissen Resignation, die den geringen Änderungen folgt. Doch die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung halten weiterhin an dem Verfassen und Veröffentlichen von Stellungnahmen fest, um ihre Unzufriedenheit mit dem Gesetzesentwurf anderen Akteur*innen zu verdeutlichen. Es folgt zudem eine Petition. Als Reaktion auf den Kabinettsentwurf vom 22. Juni 2016 veröffentlichen der Deutsche Behindertenrat, die Fachverbände, der Paritätische Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund am 27. Juni 2016 eine gemeinsame Stellungnahme35, wie auch schon einige Monate zuvor die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Diesmal unter dem Titel: „Verbändebündnis fordert dringend Nachbesserungen beim Bundesteilhabegesetz“ (Deutscher Behindertenrat et al., 2016a, S. 1). Während in den ‚gemeinsamen Kernforderungen‘ noch sechs Forderungen aufgezählt wurden, werden nun lediglich fünf Forderungen dargestellt. Demnach sind die Einschränkungen des leistungsberechtigten Personenkreises inakzeptabel sowie die Leistungsausschlüsse oder -einschänkungen dieser unvertretbar. Weiter sollten die Einkommensund Vermögensanrechnung nachgebessert werden. Nicht angemessen sei die Regelung, dass die Pflege vorrangig zur EGH sein soll. Die Verbände arbeiten an einzelnen Stellen mit Beispielen, um zu verdeutlichen, welche Auswirkungen die neuen Regelungen auf das Leben von Menschen mit Behinderung haben könnte. Bei diesem Vorgehen, der Arbeit mit Beispielen, handelt es sich um ein spezifisches Vorgehen des Lobbyings, so eine Interviewperson (s. Interview 6). Abgeschlossen wird der Beitrag damit, dass die ‚gemeinsamen Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016) weiterhin maßgeblich seien (Deutscher Behindertenrat et al., 2016a, S. 2). 35  Diesmal allerdings ohne die Beteiligung der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung.



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Am 28. Juni 2016 beschließt das Kabinett den Entwurf (s. BMAS, o. J.), trotz vorangegangener vielseitiger ablehnender Stellungnahmen und verschiedener einhergehender Aktionen und Proteste – beispielsweise bauen Aktivist*innen zeitgleich zur Kabinettsentscheidung vor dem Hauptbahnhof in Berlin einen Käfig auf, um damit bildlich auf die Einschränkungen der Selbstbestimmung durch das neue Gesetz aufmerksam zu machen (Leidmedien, 2016). Am 03. Juli 2016 veröffentlicht NITSA e. V. eine Stellungnahme zum Kabinettsentwurf. Es wird darauf verwiesen, dass die bereits in einer anderen Stellungnahme genannten Kritikpunkte (s. NITSA e. V. et al., o. J.) weiterhin bestehen bleiben, aber im Rahmen diesen Schreibens auf relevante Änderungen des Kabinettsentwurfes eingegangen wird. Konzentriert wird sich auf die Eingliederungshilfe und die Hilfe zur Pflege, die Einkommensanrechnung sowie das gemeinschaftliche Erbringen von Assistenzleistungen. Diese Inhalte werden kritisiert und es wird gefordert, diese im weiteren Verlauf des Reformprozesses zu ändern. Einzig das Wunsch- und Wahlrecht wird positiv erwähnt. Hier wird lobend darauf hingewiesen, dass die am Referentenentwurf geäußerten Kritikpunkte wieder zurückgenommen wurden und das Wunsch- und Wahlrecht somit wieder auf dem Stand des damals aktuellen SGB  IX sei. Allerdings kann somit, so NITSA e. V., von keiner Stärkung dessen gesprochen werden (NITSA e. V., 2016b). Im Rahmen der Stellungnahme wird größtenteils Kritik geübt, allerdings keine Lösungsvorschläge aufgezeigt (was auf eine fehlende Problemlösungskompetenz des Vereins verweisen könnte; s. Schmalz et al., 2013). Im Gegensatz zu den Stellungnahmen auf den Arbeits- und Referentenentwurf ist diese Stellungnahme deutlich weniger emotional verfasst, was mit einer Resignation von Seiten des Verbandes zusammenhängen könnte. Das Forum behinderter Juristinnen und Juristen veröffentlicht am 12. Juli 2016 ebenfalls eine weitere Stellungnahme. Diese soll zum einen dazu dienen, „die Mandatsträger bei ihrer Entscheidungsfindung mit konkreten Regelungsvorschlägen zu unterstützen“ (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016b, S. 3) und die Landesregierungen mit ihren Voten zu informieren sowie zum anderen eine Unterstützung für die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung darstellen, um sie auf die parlamentarischen Anhörungen vorzubereiten. Das Vorgehen stellt eine genutzte Machtressource dar und zwar die Diskursmacht, da die ‚Regelungsvorschläge‘ Lösungen darstellen, an denen sich die Politik bedienen kann. Zeitgleich werden auch Interessenverbände durch das juristische Wissen unterstützt. Eine weitere Machtressource, die Kooperationsmacht, stellt einer der Ersteller des Papers dar: Horst Frehe hat, neben Nancy Poser, das Dokument erarbeitet. Horst Frehe ist auch Politiker der Partei Bündnis 90/Die GRÜNEN – er ist also ein Bridge Builder (s. Schmalz et al., 2013).

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Im Rahmen der Stellungnahme werden zentral erachtete Änderungsvorschläge thematisiert. Es wird wiederholend mit der UN-BRK argumentiert und ein Bezug zu verschiedenen Artikeln dieser hergestellt. Es werden ‚(Änderungs-)Vorschläge‘ aufgeführt, keine Forderungen, sondern vielmehr Empfehlungen. Diese beinhalten beispielsweise Vorschläge zum Behinderungsbegriff, dem leistungsberechtigten Personenkreis, zur EGH für Menschen mit Behinderung, die als Ausländer*innen gelten, und für Pflegebedürftige, zu Assistenzleistungen sowie der Persönlichen Assistenz, zur gemeinsamen Leistungserbringung und zur Begrenzung des Einkommens von Leistungsberechtigten. Das Fazit der Stellungnahme ist die Feststellung, dass auch der Kabinettsentwurf den Anforderungen der UN-BRK nicht entspreche und daher eine weitere Überarbeitung von Nöten sei (ebd., S. 23). Am 21. Juli 2016 wird durch den gleichen Verbändezusammenschluss wie am 27. Juni 2016, welcher sich aus dem DBR, den Fachverbänden, den Paritätern, dem DRK und dem DGB zusammensetzt, eine weitere Stellungnahme veröffentlicht, diesmal mit dem Titel „Aufruf ‚Nachbesserung jetzt‘ “ (Deutscher Behindertenrat et al., 2016b, S. 1). Ein ‚Aufruf‘ impliziert einen öffentlichen Appell, in dem zum einen die Öffentlichkeit und zum anderen die Politik auf eine Bedrohung (in diesem Falle das BTHG) aufmerksam gemacht werden soll (Diskursmacht; Schmalz/Dörre, 2014). Das Verbändebündnis reagiert sowohl auf den Kabinettsbeschlusses des BTHG als auch auf das Pflegestärkungsgesetz III (PSG III). Es wird zwar eingangs anerkannt, dass es „kleinere Verbesserungen“ (Deutscher Behindertenrat et al., 2016b, S. 1) im Gegensatz zum Referentenentwurf gebe, aber weiterhin „große Defizite“ (ebd.) fortbestehen. Wie auch schon bei den ‚gemeinsamen Kernforderungen‘, werden im Rahmen dieses Papers sechs verschiedene Forderungen formuliert. Fünf Forderungen entsprechen dem Paper vom Juni 2016. Neu hingegen ist folgende Erwartung: „Wir fordern, Betroffenenrechte nicht indirekt, z. B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, zu beschneiden“ (ebd., S. 4): Die Trennung der existenzsichernden Leistungen von Teilhabeleistungen darf zu keinen Leistungslücken für die betroffenen Menschen führen. „Kosten der Unterkunft und des Lebensunterhalts sind weiter umfassend zu finanzieren – unabhängig vom Lebensort“ (ebd.). Die Forderungen sind sehr deutlich formuliert und sind behinderungsübergreifend. Es werden allerdings keine Lösungsvorschläge formuliert. Da es sich um einen ‚Aufruf‘ handelt, der impliziert, dass es sich um eine Aufforderung zum Handeln handelt, kann an dieser Stelle vermutlich darauf verzichtet werden. Verschiedene Interviewpersonen betonen, dass die Zusammenarbeit/die Bündnisse wichtig für das jeweilige Vorgehen sei (s. Interview 2, 4, 6, 8 u. 9). „Als die Entwürfe für […] das Gesetz dann auf dem



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Tisch lagen, war ja die Frage, wie geht man dann jetzt damit um. Und ein Teil ist sozusagen im Verbände-Bündnis dann geschehen“ (Interview 6, Zeile 37–39), während sehr behinderungsspezifische Themen anschließend verbandsintern besprochen und ausgearbeitet werden. Demnach wird zum Teil auf zwei verschiedenen Ebenen gearbeitet: Innerhalb des eigenen Verbandes sowie verbandsübergreifend (Kooperations- und Organisationsmacht; Schmalz/Dörre, 2014). Eine Interviewperson bewertet den ‚Aufruf‘ durch seine Kürze und die damit verbundenen aufgeführten Konsequenzen als ein erfolgreiches Instrument der Interessendurchsetzung: „Wo es auch, ich weiß gar nicht mehr, wie viele Stunden das waren, die […] hatten dann so einen Forderungskatalog gemacht, der so ein bisschen verbunden war […] [mit den] Kernforderungen, und dass es dann ziemlich aufgeteilt war, […] aber tatsächlich eine Kampagnenschiene dann einfach Aufmerksamkeit zu generieren. Wobei ich glaube, dass das am Ende mehr geholfen hat als die 150 Seiten Stellungnahme, wo fachlich gesagt worden ist, wie man das anders machen muss. Sondern wo es eher auch so eine emotionale – das wäre die Konsequenz, so“ (Interview 8, Zeile 695–703).

Weiter führt die Interviewperson aus, dass es wichtig gewesen sei, mit Hilfe dieses ‚Aufrufs‘ die Inhalte des Kabinettsentwurfes für Dritte zugänglich zu machen, damit auch diese nachvollziehen können, welche Änderungen vorgesehen sind – eine typische Vorgehensweise des Lobbyings (Wehrmann, 2007) – und auch, um die Forderungen öffentlichkeitswirksam darzustellen (Schmalz/Dörre, 2014). Relevant sei es dabei gewesen, so Interviewperson 8, sich nicht in Details zu verlieren (Interview 8, Zeile 706–707). Damit verweist der*die Gesprächspartner*in auf eine Art Onepager. Dabei steht die kurze überblicksartige Darstellung von Inhalten im Zentrum des Vorgehens (Wehrmann, 2007, S. 46). Aufgrund der geringen Änderungen im Gesetzesentwurf ruft Nancy Poser (FbJJ) im August 2016 eine Petition ins Leben (Miles-Paul, 2016d) unter dem Titel: „Hilfe für Menschen mit Behinderung – Beschluss eines Bundesteilhabegesetzes unter Beachtung der Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention“ (Petition 67028, 2016, S. 1). Sie fordert den Deutschen Bundestag dazu auf, ein menschenrechtskonformes BTHG zu beschließen. Dabei solle die unabhängige Lebensführung und die „volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft“ (ebd.) garantiert werden. Der vorgelegte Kabinettsentwurf, so Nancy Poser, erfülle in einzelnen Punkten nicht die Anforderung der UN-BRK (ebd.). Für die Petition müssen insgesamt 50.000 Mitzeichner*innen innerhalb eines Monats gefunden werden. Letztendlich haben über 10.100 Menschen die Petition online mitgezeichnet, weitere 5.000 Menschen sind Unterzeichner*innen einer Unterschriftenliste. Auf ‚Teilhabegesetz.org‘ äußert sich Nancy Poser zufrieden mit der Anzahl der

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Unterstützer*innen der Petition. Es zeige sich, wie viele Menschen unzufrieden mit dem geplanten Gesetz sind. Auch Ottmar Miles-Paul (LIGA Selbstvertretung, ISL e. V.) äußert sich in dem Artikel dazu und beschreibt die Schwierigkeiten, die mit einer Online-Petition für einzelne Menschen mit Behinderung verbunden sein können: „Wir müßen bedenken, daß viele behinderte Menschen keinen Internetzugang haben und daß für die Kampagne für die Petition keine Kampagnengelder und kein großer Personalapparat [bereit]steht“ (Miles-Paul, 2016e). Damit spricht Ottmar Miles-Paul die Schwächen der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung an. Hierbei deutet sich an, dass es einzelnen von ihnen durchaus an wichtigen (technischen und personellen) Ressourcen fehlt, um sich zu organisieren (s. von Winter, 2000). Daneben finden, so Ottmar Miles-Paul, auch andere Petitionen statt (beispielsweise die der Lebenshilfe, s. unten) sowie Aktionen und Demonstrationen, die die Unzufriedenheit der Menschen mit dem geplanten Gesetz widerspiegele (Miles-Paul, 2016e). Ebenfalls im August erscheint eine Stellungnahme eines Verbändebündnisses, welches sich u. a. zusammensetzt aus Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung (DBR Angehörige-Verbände wie z. B. die ISL e. V., BAG Selbsthilfe, bvkm, Anthropoi Selbsthilfe und Lebenshilfe), Wohlfahrtsverbänden (Diakonie Deutschland, der Paritätische Gesamtverband, AWO Bundesverband) sowie den dazugehörigen Fachverbänden (Bundesverband evangelische Behindertenhilfe, Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V.) und Berufsverbänden (Berufsbildungswerke, BAG Unterstützte Beschäftigung, Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft e. V.) sowie Werkstattvertretungen (BAG WfbM, Werkstatträte Deutschland). Der Schwerpunkt dieser Stellungnahme wird auf die Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen gelegt. So wird kritisiert, dass der vorgelegte Entwurf den Ausschluss von Menschen mit Behinderung von beruflicher Bildung und auch beruflicher Teilhabe verstärke. Begründet wird dies, indem das ‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung‘ beibehalten wird. „Leistungsfähigkeit im Sinne wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung entspricht einer inklusionsfeindlichen, marktorientierten, betriebswirtschaftlich geprägten Sichtweise, die den Anforderungen an ein menschenrechtsbasiertes Teilhaberecht und dem Rehabilitationsauftrag nicht gerecht wird“ (Anthropoi Bundesverband et al., 2016, S. 1). Es wird betont, dass bei den neuen Regelungen die Personengruppe (Menschen mit komplexen Unterstützungsbedarfen) kaum in den Blick genommen wird (ebd., S. 1). Gefordert wird, das Zugangskriterium zu streichen und auch den Rechtsanspruch mit Blick auf die berufliche Bildung und die Teilhabe am Arbeitsleben umzusetzen. Abschließend fassen die Verbände zusammen, dass das BTHG Inklusion und „ein UNTEILBARES Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben für ALLE Menschen mit Behinderungen gewährleisten [sollte]. Das im



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Artikel 3 Absatz 3 GG festgelegte Grundrecht ‚Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden‘ ist nicht teilbar“ (ebd., S. 2; Hervorhebung im Original). Diese Stellungnahme verstärkt die bereits geäußerte Vermutung, dass das BTHG ein Gesetz von ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen ist und ihre Interessen eher wahrgenommen werden als die von Personengruppen, die nicht oder nur eingeschränkt für sich selbst Forderungen formulieren und für diese einstehen können. Auch bei dieser Stellungnahme handelt es sich um eine genutzte Machtressource, um gebündelt auf die Interessen von Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen (Kooperationsmacht; s. Schmalz/Dörre, 2013). bb) Regierungsentwurf und Demonstrationen Anfang September 2016 wird der Regierungsentwurf des BTHG veröffentlicht. Dieser enthält, neben dem Beibehalt des leistungsberechtigten Personenkreises, nun eine dazugehörige ‚Kann-Regelungen‘ sowie weiterhin keine Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Viele Inhalte bleiben vom Referentenentwurf beibehalten (s. Teilkapitel E.V.1.). Diesem Gesetzesentwurf folgen insbesondere Demonstrationen und Aktionen (s. Interview 5), welche im Folgenden genauer beschrieben werden. Mit diesem Vorgehen möchten die Interessenverbände die Öffentlichkeit auf ihr Anliegen aufmerksam machen und somit auch die Politik und das Ministerium wissen lassen, dass sie gegen die geplanten Änderungen sind. Das Vorgehen ist ‚laut‘, vielseitig und auffällig. Menschen mit Behinderung und ihre Verbände werden somit als aktive Gruppe sichtbar. Von verschiedenen Interviewpersonen werden ‚eindrucksvolle‘ Aktionen beschrieben (s. Interview 3, 6, 11 u. 14), bei einer davon handelt es sich um den sogenannten ‚Sprung in die Spree‘: Der DBSV veranstaltet am 21. September eine Aktion, unterstützt von Mitarbeitenden der Landesvereine. Insgesamt springen 30 Menschen, die blind sind oder eine Sehbehinderung haben (gemeinsam mit Begleiter*innen) in die Spree, gegenüber vom Reichstagsgebäude. „Die Botschaft der schwimmenden Demonstranten: Die Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen darf mit dem neuen Gesetz nicht untergehen“ (DBSV e. V., 2016a, S. 66). Für diese Aktion muss der Schiffsverkehr unterbrochen werden, sie stören damit den Ablauf der Schifffahrt. Neben den 30 schwimmenden Aktivist*innen und ihren Begleitungen, sind rund 100 weitere Unterstützer*innen am Ufer anwesend, wie Mitglieder des DBSV und andere Interessenverbände (Interview 9, Zeile 630–631). Nach Aussage des DBSV sind auch die Medien (z. B. ARD, ZDF, mdr, BILD) vor Ort, sowie auch Nachrichtenagenturen, wie die dpa (DBSV e. V., 2016a, S. 76). Der DBSV weiß diese Aktion zu framen (Diskursmacht; Schmalz/ Dörre, 2014) – das Einsetzen von Aktionen im richtigen Moment (ein Tag

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vor einer Beratung zum Gesetzesentwurf im Bundestag). Es wird mit Metaphern gearbeitet, die sich gut in Form von Bildern/Fotos abbilden lassen (s. Interview 9) und somit eine hohe Öffentlichkeitswirksamkeit in sich haben. Zudem beteiligen sich auch Mitglieder des DBSV aktiv an der Aktion (Mitgliederpartizipation; s. Schmalz/Dörre, 2014). Mitte und Ende September 2016 finden nicht nur in Berlin Demonstrationen gegen das geplante Bundesteilhabegesetz statt, sondern auch weitere auf Landesebene, wie z. B. in Köln. Der SoVD und zwei Interessenvertretungen arbeiten in Form einer Aktion zusammen (ZSL Köln, 2016). Hier kommt die Zusammenarbeit von Bündnispartner*innen zum Tragen (Kooperationsmacht; Schmalz et al., 2013). Eine kleinere Demonstration wird auch in Rostock veranstaltet – es nehmen insgesamt 15 Personen daran teil, Unterstützung erhält die kleinere Demonstration von der Inklusionsbeauftragten der LINKEN (Rehacare, 2016). Daneben finden beispielsweise auch Demonstrationen in Hamburg, Stuttgart, Dresden (ZSL Köln, o. J.) und in Hamburg, Kiel, Düsseldorf und Stuttgart sowie in Hannover und Dresden (MilesPaul, 2016j). Die zuletzt aufgezählten Demonstrationen finden zeitgleich zu einer Beratung zum Gesetzesentwurf des BTHG im Bundestag statt, die in Teilkapitel E.V.6. genauer aufgeführt wird. Es handelt sich um einen passenden Moment, um große Mengen an Menschen zu mobilisieren, auch diese Demonstrationen werden gerahmt bzw. geframed. Die Diskursmacht wird genutzt (s. Schmalz/Dörre, 2014). Zu erwähnen ist, dass einzelne Politi­ ker*innen diese Demonstrationen, und Aktionen der Interessenverbände in ihren Reden aufnehmen (und somit wahrnehmen, darauf reagieren) und diese zurückführen auf die große Unzufriedenheit der betroffenen Akteur*innen mit dem geplanten Gesetz (Plenarprotokoll 18/190, 2016, S. 18809–18812). Die Interviewpersonen verweisen in den Gesprächen mehrfach auf die zentrale Rolle der Proteste und Aktionen, aber ebenso auf die Stellungnahmen und die Lobbyarbeit im Hintergrund mit dem Ministerium und der Politik. So bewertet Interviewperson 17 die Proteste als wichtiges Element der Interessendurchsetzung, um Handlungsbedarfe der Politik widerzuspiegeln: „Ja, […] es gab ja schon einen ganz gut organisierten Protest auch an vielen Stellen zum Gesetz, das war gut, denn es geht ja am Ende des Tages, also wir Fachpolitikerinnen und -politiker hatten ja vieles von den Themen, die den Menschen auf der Seele brannten, schon gehört im Rahmen unserer fachlichen Auseinandersetzung, aber um ein Gesetz in der Dimension, wie sie es dann verändert haben, auch verändern zu können, muss natürlich auch jeder andere, der sich normalerweise nicht mit den Themen beschäftigt, überzeugt werden, dass es hier Handlungsbedarfe gibt. Deshalb waren wir sehr glücklich, dass der Protest so war, dass wir alle Spielräume hatten, eben auch viele inhaltliche Fragen noch mal neu zu bewerten und im Verfahren auch noch mal völlig anders zu Gesetz zu bringen (Interview 17, Zeile 82–93).



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Demnach nimmt diese*r Interviewpartner*in (Politiker*in) rückblickend die Proteste als sinnvoll wahr – gerade auch, um Kolleg*innen, die sich mit der Behindertenpolitik nicht auskennen, Änderungsbedarfe zu verdeutlichen. Zudem spricht die Interviewperson von einer guten Organisation der Proteste, eine Machtressource, die die Interessenverbände für sich zu nutzen wissen (Oranisationsmacht; s. Schmalz/Dörre, 2014). Interviewpersonen 1, 8 und 17 betonen, dass erst die ‚Massen‘ an Demonstrierenden zu Änderungen im Gesetzesentwurf geführt haben: „erst die Bündelung der Kräfte hat es dann gebracht“ (Interview 1, Zeile 589–590). Allerdings nehmen verschiedene Gesprächspartner*innen auch die Schwierigkeiten wahr, die der Heterogenität und Diversität der Interessen zugrunde liegt. Ein*e Interviewpartner*in drückt Bedauern aus, dass einzelne Demonstrationen nicht gemeinsam stattfinden bzw. nicht aufeinander hingewiesen wird (s. Interview 2). Von „VerbandsEgoismen“ (Interview 6, Zeile 678) spricht dabei Interviewperson 6. Ein*e weitere*r Gesprächspartner*in beschreibt diesen Egoismus folgendermaßen: „aber ein Stück weit glaube ich ging es für alle Beteiligten auch ein bisschen da­ rum, dass man das Gesicht ist, das muss man einfach – das gehört zur Wahrheit auch dazu. […] Dass […] man sichtbar sein wollte damit. […] Weil ich glaube, dass schlussendlich […] sind vielleicht manche Sachen auch zu heterogen, um das wirklich gemeinsam zu machen (Interview 8, Zeile 1475–1479).

Interviewperson 6 resümiert, dass gerade diese Vielschichtigkeit und die Fülle der Demonstrationen sowie auch das Formulieren von Stellungnahmen (verbandsintern und in Bündnissen) und Einzelgespräche mit Abgeordneten dazu geführt haben, dass die verschiedenen Verbandsinteressen Gehör finden und einzelne Forderungen schlussendlich zur Interessendurchsetzung geführt haben. Allerdings sei das im Zeitraum des Reformprozesses nicht immer auf gegenseitiges Einverständnis gestoßen. Einzelne Interviewpersonen nehmen die oben beschriebenen Aktionen (z. B. Ankett-Aktion) oder das ‚Sprengen‘ von Veranstaltungen (s. oben, SPD-Tagung; s. die Süddeutsche, 2016) zu radikal und störend wahr (s. Interview 11, 13). Störend, da die Bundesregierung mit den Protesten nicht umgehen kann. Es habe festgefahrene Erwartungen und Forderungen der Interessenverbände nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfes gegeben (s. Interview 11). Daneben ist, wie im Teilkapitel E.V.7. dargestellt wird, der Reformprozess beinahe abgebrochen. Man könnte auch, wie Interviewperson 3 betont, von einem „konfliktbehafteten Gesetzgebungsprozess“ (Interview 3, Zeile 273) sprechen. cc) ‚Verbündete‘ Auch die ‚Verbündeten‘ nutzen öffentlichkeitswirksame Aktionen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Der SoVD und die Lebenshilfe, als advokatorische Interessenvertretungen, befähigen damit Menschen mit Be-

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hinderung bzw. schwachen Interessen, sich an politischen Prozessen zu beteiligen. Die nachfolgend beschriebenen Demonstrationen ermöglichen die Aktivierung einer hohen Anzahl an Menschen mit Behinderung und können dem politischen Empowerment zugeschrieben werden: „[It wants to help] to reduce powerlessness and strengthening the political power [of] individuals or groups“ (Lane/Pritzker, 2017, S. 90; s. auch Herriger, 2014, S. 205 ff.). Am 06. September 2016 veröffentlicht der Lebenshilfe Landesverband Bayern als Reaktion auf den Regierungsentwurf eine Pressemitteilung. Darin wird beschrieben, dass die Lebenshilfe Bayern bei der Bayerischen Staatskanzlei eine Resolution an den Ministerpräsidenten und die Sozialministerin übergeben habe. Erhofft wird sich damit, „dass sich die Bayerische Staatsregierung bei den bevorstehenden Beratungen des Gesetzentwurfes im Bundesrat der Anliegen der Menschen mit Behinderungen und deren Familien annehmen werde“ (Miles-Paul, 2016c, S. 1). Hauptkritikpunkte dieser Resolution sind zum einen die Einengung des leistungsberechtigten Personenkreises, der Vorrang der Pflege vor der EGH sowie zum anderen das sogenannte ‚Zwangspoolen‘ und die Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Gefordert wird, diese Kritikpunkte zu beseitigen. Zentral sei es, so die Lebenshilfe Bayern, dass sich die Angebote und Leistungen für Menschen mit Behinderung mit dem neuen Gesetz nicht verschlechtern dürfen. Abschließend wird betont, dass die Bundesvereinigung der Lebenshilfe eine Kampagne und Online-Petition gestartet hat, unter dem Titel „#TeilhabeStattAusgrenzung“ (ebd. S. 2). Eine Interviewperson führt aus, dass die verschiedenen Petitionen eine Bereicherung für den Reformprozess gewesen seien neben den Protestaktionen und den Stellungnahmen (Interview 2, Zeile 943–944). Eine andere Interviewperson erklärt, was genau die ‚Bereicherung‘ ausgemacht hat: So sei es sinnvoll gewesen, eine breite Masse zu erreichen – und somit der Politik widerspiegeln zu können, dass die Planungen des Gesetzesentwurfes von vielen Menschen als schlecht eingestuft werden (Interview 8, Zeile 686–688). Am 19. September 2016 findet ein Protest gegen das geplante BTHG in Köln statt (#UNgehindert). Ergänzend daran findet eine Aktion des SoVD statt, unter dem Kampagnen-Titel ‚Ich bin nicht behindert. Ich werde behindert‘. Der Sozialverband wird dabei von zwei Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung unterstützt (ZSL Köln, 2016). Es arbeiten demnach Bündnispartner*innen zusammen (Kooperationsmacht; s. Schmalz et al., 2013). Ein weiteres Beispiel für eine große Aktion auf Landesebene stellt eine Demonstration am 22. September 2016 in Hannover dar, zu der u. a. die Lebenshilfe, andere Verbände sowie die GRÜNEN aufrufen (die GRÜNEN, Regionsverband Hannover, 2016). Ein Zusammenschluss verschiedener



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Akteur*innen, um eine möglichst große Reichweite der Öffentlichkeitswirksamkeit zu erhalten (Schmalz/Dörre, 2014). Insgesamt nehmen rund 7.000 Menschen an dieser Demonstration teil (Leidmedien, 2016). Am 22. September finden auch verschiedene Demonstrationen in Berlin gegen das geplante BTHG statt. Darunter eine Demonstration der Bundesvereinigung Lebenshilfe, an der ebenfalls rund 7.000 Menschen teilnehmen. Die Demonstration richtet sich sowohl gegen das BTHG als auch gegen das PSG III. Zeitgleich findet auch die Übergabe einer Unterschriftensammlung statt, die von Ulla Schmidt (Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages sowie SPD-Mitglied) an die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales sowie an den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses übergibt. Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, ist Ulla Schmidt ein Bridge Builder – eine Person mit verschiedenen ‚Standbeinen‘ in unterschiedlich starken Verbänden (Schmalz et al., 2013). An der Unterschriftenaktion haben sich mehr als 150.000 Menschen beteiligt (Lebenshilfe Berlin, o. J.-b). dd) Zur Lobbyarbeit der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Wie bereits an verschiedenen Stellen beschrieben, nutzen die Interessenverbände Lobbyarbeit, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Damit reagieren sie auf die jeweiligen Gesetzesentwürfe und machen damit ihre Unzufriedenheit mit dem geplanten Gesetz deutlich. Ihre Lobbyarbeit umfasst öffentlichkeitswirksame Aktionen und Demonstrationen sowie auch schriftliche Stellungnahmen und die Sammlung von Unterschriften durch Petitionen. Das kontinuierliche Lobbying sei erfolgreich gewesen, so Interviewperson 14 (Interview 14, Zeile 354–356). Die Interessenverbände gehen strukturiert an die Lobbyarbeit heran, auch wenn das nicht zur alltäglichen Arbeit aller Verbände gehöre (Interview 8, Zeile 741–742). Einzelne Verbände verfügen über ein Team, das für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist (s. Interview 10), andere wiederum nicht (s. Interview 8). Folgende genutzte Lobbyarbeit wird deutlich: Skandalisierung von Ungerechtigkeiten: Dabei machen sich die Interessenverbände verschiedene Themen zunutze, die eine „Gerechtigkeits-Debatte“ (Interview 16, Zeile 558–559) bzw. das Betonen von drohenden Ungerechtigkeiten (s. Interview 2) anregen. Dem geht eine Vorüberlegung voraus, wie man am besten öffentlichkeitswirksam vorgehen kann: „Und an diese Frage der Einkommens- und Vermögensheranziehung wurde […] in der Folge also eine sehr intensive Gerechtigkeits-Debatte geführt, die in der Öffentlichkeit über die Behindertenverbände hinaus natürlich auch wahrgenommen wur-

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de. […] Und […] diese Gerechtigkeitsaspekte waren mit bestimmten Schlagworten verbunden. Also eins dieser Schlagworte war das sogenannte Heiratsverbot“ (Interview 16, Zeile 557–564).

Das im Zitat dargestellte Beispiel des ‚Heiratsverbotes‘ suggeriert, dass – in diesem Fall – Menschen mit Behinderung nach altem Recht aufgefordert seien, nicht zu heiraten. Was, wenn man sich die rechtliche Situation anschaut, nicht korrekt war. Menschen mit Behinderung konnten – und können – heiraten. Allerdings wurde das Einkommen und Vermögen der Ehepartner*innen herangezogen, sodass sich eine Heirat aus monetären Gründen nicht lohnte. Die Nutzung eines rhetorischen Mittels, der Hyperbel/ Übertreibung zeigt, wie geschult und mit welchem Wissen die Verbände der Menschen mit Behinderung an das Lobbying herangehen. Sie nutzen Schlagworte und können diese für ihre Sache verwenden. Eine geplante Strategie, um Ungerechtigkeiten zu skandalisieren (Diskursmacht; Schmalz et al., 2013). Direktes Lobbying: Auch der Kontakt zur Politik und zum Ministerium wird gesucht. Parlamentarier*innen werden angeschrieben und auf die jeweiligen Aktivitäten aufmerksam gemacht (Interview 6, Zeile 58–60) sowie Vieraugengespräche mit Bundestagsabgeordneten gesucht (Interview 2, Zeile 778). Umgekehrt suchen die Parteien ebenso Kontakt zu den Interessenverbänden (Interview 17, Zeile 31–33). Dabei sei es wichtig gewesen selbst dem „0-8-15 Bundestagsabgeordnete[n]“ (Interview 2, Zeile 791–792) mit Hilfe von Beispielen die Lebenswirklichkeit der Menschen mit Behinderung auf die eigenen Anliegen heruntergebrochen darzustellen (Interview 15, Zeile 291–295). Ein beliebtes Vorgehen des direkten Lobbyings, welches informelle Kommunikation mit politischen Entscheidungsträger*innen vorsieht (s. Klenk, 2019; s. Wehrmann, 2007). Daneben handelt es sich um eine genutzte Machtressource (institutionellen Macht), indem beispielsweise Kontakt zu Parteien aufgenommen wird (Schroeder, 2014). Social Media: Neben der oben genannten ‚klassischen‘ Vorgehensformen des Lobbyings, nutzen einzelne Interessenverbände und Aktivist*innen soziale Medien (beispielsweise Twitter, YouTube, Kampagnenhomepages), um auf das Gesetz aufmerksam zu machen und mit den eigenen Anliegen wahrgenommen zu werden. So hat dieses Vorgehen „die öffentliche Debatte, also die gesellschaftliche Debatte, ja, befördert“ (Interview 11, Zeile 523–524). Dies zeigt sich im Rahmen dieses Kapitels mit der Durchführung verschiedener Stellungnahmen und Proteste. Somit richtet sich der Protest der Interessenverbände an die Öffentlichkeit und damit auch an die Massenmedien – die Verbände werden somit sichtbar: „Bewegungen inszenieren Proteste als Pseudoereignisse, um von den Massenmedien wahrgenommen zu werden“ (Schade, 2018, S. 104). Schmitt-Beck (1998) vergleicht die Öffentlichkeit mit einem Scharnier – darüber tritt die Protestbewegung mit den politischen



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Entscheidungsträger*innen in eine Interaktion. Ein Protest ist somit das Mittel zum Zweck, um die Wahrnehmung der Öffentlichkeit auf sich zu lenken. Durch die Medienaufmerksamkeit können Proteste am politischen Gespräch, dem ‚Kräftemessen‘ teilnehmen. „Massenmedien sind daher von zentraler Bedeutung“ (Schade, 2018, S. 104). Daneben spielt das Internet als Handlungsform auch eine besondere Rolle. Dieses hat das kollektive Handlungsrepertoire von Protestbewegungen, die einen politischen und sozialen Wandel anstreben, geprägt. Die Nutzung des Internets hat demnach neue Formen des kollektiven Handelns ermöglicht – sie sind leichter zu organisieren und zu koordinieren als herkömmliche Formen der sozialen Bewegung. Es werden aber häufig beide Formen verwendet – internetbasiert und auf herkömmlichen Weg. Es wird angenommen, dass das auch in Zukunft so bleiben wird: „[T]he shift towards new internet-based actions and tactics relying on the internet has not resulted in the replacement of the old action forms, but rather complemented them […]. [E]ven a wide digital action repertoire will not, and probably never will, be able to replace traditional forms of activism and face-to-face communication“ (van Laer/van Aelst, 2010, S. 1150 u. 1146; zit. in Schade, 2018, S. 107–108).

Zudem nehmen beispielsweise Petitionen weniger Anstrengung der Initiator*innen ein, aufgrund von „geringeren Partizipationskosten sind die Hürden für die Teilnahme geringer, die Teilnahmebereitschaft daher höher“ (ebd., S. 107). Daher sind die Partizipationskosten (sofern ein Internetanschluss vorliegt) der Teilnehmenden durch das Internet herabgesetzt (ebd.). Gleiches ist auch im Rahmen des BTHG-Reformprozess zu beobachten – es wird sowohl internetbasiert als auch im herkömmlichen Stil demonstriert: Im Zuge der BTHG-Reform werden verschiedenste Kampagnen über das Internet/durch Social Media ins Leben gerufen, darunter beispielsweise ‚#NichtmeinGesetz‘, ‚#alleinzuhaus‘, ‚#UNgehindert‘, sowie ‚Teilhabegesetz jetzt‘ – um nur einzelne zu nennen (#NichtmeinGesetz, o. J.). Auf der Kampagnenseite zum BTHG (‚Teilhabegesetz.org‘) wird im Reformzeitraum regelmäßig auf Proteste und Aktionen aufmerksam gemacht und auch das politische Geschehen nachverfolgt (Kampagne Teilhabegesetz, o. J.). Es werden demnach verschiedene Social Media-Möglichkeiten genutzt, um sich untereinander zu vernetzen, auszutauschen und sich gegenseitig über neueste Entwicklungen zu informieren. Storytelling: Die Verbände nutzen, sowohl online als auch im direkten Kontakt zu den Abgeordneten, Beispiele aus der Lebensrealität der Menschen (s. Interview 6, 10, 15, 16). Eine Interviewperson spricht dabei vom „Storytelling“ (Interview 15, Zeile 271), eine Begrifflichkeit, die u. a. aus dem Kontext des Marketings und der betriebswirtschaftlichen Forschung stammt (s. Schmieja, 2014). Man habe festgestellt, so Interviewperson 10, dass politische Akteur*innen am besten eine Thematik verstehen, „wenn man ihnen erklärt, das passiert mit Heike Müller, oder so – also jetzt mal fiktiv rausge-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

griffen, wenn die Regelung so in Kraft tritt“ (Interview 10, Zeile 388–390). Nicht nur mit der Politik wird so vorgegangen, sondern auch mit der Öffentlichkeit (s. Interview 6). Dazu berichtet Interviewperson 15 von der erfolgreichen Nutzung des ‚Storytelling‘: „Wenn […] die es geschafft haben, wirklich auch […] durch das Erzählen von Geschichten, durch gutes Storytelling und durch praktische Beispiele eben auch von der theoretischeren Diskussion ein bisschen wegzukommen und wirklich hin zur – ja, sehr, sehr deutlichen, eindeutigen Darstellung von […] der Lebensrealität von Menschen mit Behinderung. Das waren immer Schlüsselmomente, die finde ich wirklich sehr gut waren und eindrucksvoll, wenn die Diskussion eben nicht nur theoretisch und juristisch geblieben ist, sondern gerade auch von Seiten der Selbstvertretungen auch mal sehr praktisch und eindrucksvoll wurde“ (Interview 15, Zeile 270–278).

Die Interviewperson spricht dabei sogar von einem besonders wichtigen Moment im Reformprozess. Onepager: Vielen dieser im oben dargestellten Zitat benannten Beispiele liegen die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ zugrunde (s. Interview 6, 8), die von verschiedenen Verbänden aufgegriffen werden. Das Paper kann einem sogenannten ‚Onepager‘ zugeordnet werden. Die Onepager sind in der Lobbyarbeit insbesondere für politische Entscheidungsträger*innen von Relevanz, um sich zügig in eine Thematik einzuarbeiten. Dabei handelt es sich um eine beliebte Strategie der Interessenvermittlung (s. Wehrmann, 2007). Die Kernforderungen sind insgesamt zwar zweieinhalb Seiten lang, das Paper kann aber, wie es ein Onepager erfordert, eine schnelle Übersicht über die Kernthemen des Verbändebündnisses bieten. Eine besondere Stärke erhalten die Kernforderungen in sich, dadurch, dass sie von verschiedenen Verbänden im Bündnis veröffentlicht werden. Diese Bündnisse sind für die Öffentlichkeitsarbeit relevant, besonders mit Blick auf die Stellungnahmen (s. Interview 6, 8, 10, 16). ee) Das Selbstverständnis der Partizipation und die aktive Beteiligung Die Interessenverbände haben für sich eine Art von partizipativem Selbstverständnis entwickelt, welches mit der AG BTHG (die Ermöglichung/Initiierung durch die Bundesregierung) vorangetrieben wird. Die Literatur spricht gerade mit Blick auf die politische Beteiligung von Frauen in den 1980er Jahren von der Entstehung eines politischen Selbstverständnisses (Geißel/ Penrose, 2003, S. 8). Dieses Beteiligungsselbstverständnis befähigt Bevölkerungsgruppen erst, sichtbar zu werden und dementsprechend artikulationsund handlungsfähig zu sein (in Anlehnung an Lietzmann, 2019, S. 24). Dies geht mit einer erlebten Selbstwirksamkeit einher, indem die Interessengrup-



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pen Veränderungen ‚in eigener Regie‘ herbeiführen möchten und können (in Anlehnung an Herriger, 2014, S. 188). Sie haben demnach die Möglichkeit mit ihrem Vorgehen zu stören und auf sich aufmerksam zu machen (angelehnt an Schmalz/Dörre, 2014, S. 222). Das politische Selbstverständnis wird im Fall dieses Reformprozesses durch eine enttäuschte Erwartungshaltung an das neue Gesetz ausgelöst. Dies ruft weitere – individuelle – Emotionen hervor, wie Verärgerung, Unzufriedenheit, Frustration und Enttäuschung. D. h. die Emotionen sind zunächst subjektiv und individuell (Mikroebene) und strahlen auf die kollektive Identität aus (in Anlehnung an Herriger, o. J., S. 24), sodass sich daraus vielzählige Mobilisationsformen und vielfältige Stellungnahmen entwickeln. Allerdings ist es wichtig zu reflektieren, wer dazu in der Lage ist, sich zu mobilisieren und Stellungnahmen zu formulieren. Welche der Subgruppen der Menschen mit Behinderung ist in der Lage, sich online über Themen zu informieren und in eine online geführte Diskussion einzusteigen oder zu Demonstrationen aufzurufen? Wie bereits an anderer Stelle festgehalten (s. Teilkapitel E.I.2.), gibt es nicht die Gruppe der Menschen mit Behinderung, sondern es handelt sich vielmehr um eine heterogene und sehr diverse Gruppe, die in Subgruppen unterteilt werden kann – ein ‚von bis‘ einzelner Barrieren und Behinderungen ist darin zu finden. Diese Einschätzung teilt auch eine Interviewperson (s. Interview 8). Unter der ‚großen‘, heterogenen Gruppe der Menschen mit Behinderung sind demnach die ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen wieder zu finden sowie auch die der schwachen Interessen (s. zu dieser Thematik auch von Winter, 2019). Es gibt Menschen, die sich selbst äußern und aktiv werden können; die sich austauschen können, in der Lage sind, sich dauerhaft und stabil zu organisieren und demnach in der Lage sind, Stellungnahmen zu formulieren, in Anhörungen zu diskutieren, Demonstrationen, Aktionen und Petitionen zu planen und durchzuführen. Einzelne Interessenverbände sind demnach ‚geübter‘ im Lobbying als andere (s. Interview 17). Beispielsweise wird die Lobbyarbeit von Menschen mit körperlichen oder Sinneseinschränkungen stärker als von anderen Subgruppen (z. B. Menschen mit geistiger Behinderung) wahrgenommen (s. Interview 8; s. auch Lamplmayr/Nachtschatt, 2016). Es wird somit deutlich, dass sich die Subgruppen in ihrer Organisiertheit stark unterscheiden und dabei unterschiedlichstes möglich machen können. Menschen mit geistigen Behinderungen oder Menschen mit stärksten Pflegegraden (jeden Alters) können zum Teil nur durch die advokatorische Interessenvertretung abgebildet werden – wie es die Lebenshilfe, die Sozial- oder Wohlfahrtsverbände tun. Diese können auch ‚Massen‘ mobilisieren, allerdings geht diese Organisation nicht von den Betroffenen selbst aus, obwohl diese durchaus – mit Blick auf die Demonstrationen des BTHG – daran beteiligt werden. Sie werden von Advokator*innen dazu befähigt, sich zu beteiligen.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

d) Zusammenfassung: Interessenverbände von Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ Die Teilkapitel zeigen die unterschiedlichen Reaktionen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung auf. Auffallend ist, dass fast alle Interessenverbände wiederholend mit der UN-BRK argumentieren (z.  B. s. Arnade, 2016; s. ISL e. V., 2016b; s. NITSA e. V., 2016). Hierbei handelt es sich um einen verpflichtenden internationalen Vertrag, den Deutschland ratifiziert und sich somit bereit erklärt hat, die Inhalte ins deutsche Recht zu implementieren. Daran möchten die Verbände erinnern und berufen sich daher darauf. Die Interessenverbände verweisen somit auf die Einhaltung gültiger Normen (Umsetzungsverpflichtung der UN-BRK) und zielen auf gesellschaftliche Werte hin (moralische Verpflichtung der Umsetzung). Nullmeier und Kuhlmann (2022) sprechen in einem solchen Fall von einer Normorientierung (ebd., S. 16). Begonnen wurde das Teilkapitel mit einer Beschreibung zum Arbeitsentwurf, in der die Unzufriedenheit und Enttäuschung der Interessenverbände deutlich wird. Diese Enttäuschung kann zurückzuführen sein auf die intensive Beteiligung im Rahmen der AG BTHG und die damit verbundenen Erwartungen, ihre eigenen Forderungen durch die Einbindung in den Entwurf einbringen zu können. In den Reaktionen sind aber gar nicht so sehr die individuellen und vielseitigen behinderungsspezifischen Forderungen zu erkennen, sondern vielmehr allgemeine Forderungen und eine große Unzufriedenheit mit dem Gesamtergebnis. Die Reaktionen wirken wie ein Versuch, das was im Rahmen der AG besprochen wurde, in Erinnerung zu rufen und gleichzeitig das zu ‚verteidigen‘ was bereits im SGB IX aufgeführt ist, damit es zu keinen Verschlechterungen kommt. Dies bestätigt auch eine Interviewperson: „Nachdem der erste Arbeitsentwurf aus dem Ministerium geleakt wurde, herrschte blankes Entsetzen bei vielen Beteiligten […]. Und danach […] wurden ja nur Dinge gerettet“ (Interview 3, Zeile 421–426). Die Interessenvertretungen nehmen einen Kostenvorbehalt der Bundesregierung wahr und kritisieren das intensiv. Die emotionale Handlungsorientierung der Interessenverbände nach Nullmeier und Kuhlmann (2022, S. 17) wird an dieser Stelle deutlich. Sie nutzen die Möglichkeit, Lobbying zu betreiben, indem sie ihre Meinungen in Form von Stellungnahmen oder auf Internetseiten veröffentlichen und sich somit erhoffen, Einfluss auf politische Entscheidungsträger*innen zu nehmen (institutionelle Macht; Schmalz/Dörre, 2014). Durch die vielzähligen Stellungnahmen als Reaktion auf den Referentenentwurf wird der Eigenbezug der Interessenverbände auf ihre Anliegen sehr deutlich. Zwar formulieren einzelne von ihnen gezielt, professionell und



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subjektiv (z. B. s. DBSV e. V., 2016b; s. Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a), während andere wiederum – vielleicht aufgrund der eigenen Betroffenheit – sich persönlich ‚angegriffen‘ fühlen und emotional argumentieren. Einzelne Verbände wirken daher verletzt (z. B. s. ABiD, 2016; s. ISL e. V., 2016a). Auch hier lässt sich in ihren Reaktionen eine emotionale Handlungsorientierung herauslesen (s. Nullmeier/Kuhlmann, 2022). Die Interessenvertretungen gehen emotional-wertend mit dem Gesetzesentwurf um und stellen ihre eigene Betroffenheit in den Vordergrund – ihre Wahrnehmung ist daher auf sich als Betroffene gerichtet. An der Art, wie die Stellungnahmen im Großen und Ganzen formuliert sind und auch an der Anzahl der Stellungnahmen insgesamt wird deutlich, dass die Verbände diese Form der politischen Beteiligung für sich angenommen haben und anzuwenden wissen. Dies stellt eine Form des Lobbyings dar, die eine genutzte Machtressource darstellt (institutionelle Macht). Insgesamt liegen umfangreiche Stellungnahmen vor, welche die Heterogenität der einzelnen Verbände abbilden. Die Forderungen variieren, je nach Schwerpunktthemen der jeweiligen Verbände, z. B. nach Sinnesbehinderungen oder selbstbestimmten Leben (z. B. s. Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; s. Bundesverband Autismus Deutschland e. V., 2016; s. Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind, 2016). Einzelne betrachten die vielfältigen ‚Gruppen‘ der Menschen mit Behinderung im Ganzen und versuchen die heterogenen Interessen in einer Stellungnahme zu vereinen. Dabei handelt es sich um sehr umfangreiche Stellungnahmen (z. B. s. BAG Selbsthilfe, 2016; s. DBSV e. V., 2016b; s. Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a). Einzelne Personengruppen können aber auch hier keine eigene Stellungnahme formulieren, beispielsweise Menschen mit schweren Behinderungen. Für sie wird versucht, advokatorisch Stellung zu nehmen (z. B. SoVD, 2016; VdK, 2016). Verschiedene Interessenverbände betonen, dass die Frist zur Stellungnahme zum Referentenentwurf zu kurzgefasst sei (24. April 2016 bis 18. Mai 2016), um im Detail auf den Entwurf eingehen zu können (z. B. s. Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2016a; s. Deutscher Gehörlosen-Bund e. V., 2016; s. NITSA e. V. et  al., o. J.). Vielleicht haben auch aus diesem Grund verschiedene Verbände ihre behinderungsspezifischen Forderungen formuliert und sind weniger behinderungsübergreifend vorgegangen. Von einem Verband wird vermutet, dass die kurze Fristsetzung ein Mittel des Ministeriums sein könnte, um Verbände an ausführlichen Stellungnahmen zu hindern, da sie um die personelle Situation einzelner Verbände wissen (s. Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e. V., 2016). Zwei Verbände fordern, den BTHG-Reformprozess abzubrechen und stattdessen kleinere Änderungen im SGB IX vorzunehmen (s. ISL e. V., 2016a; s.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

LIGA Selbstvertretung, 2016). Eine ‚radikale‘ Forderung, die zurückzuführen ist, auf eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem Referentenentwurf und den erwarteten Leistungsverschlechterung für Menschen mit Behinderung. Andere Verbände gehen in ihren Forderungen nicht so weit, sondern äußern ihre Unzufriedenheit stattdessen deutlich in ihren Stellungnahmen (z. B. s. ABiD, 2016). Die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ vom DBR et al. (2016) wird von den meisten der oben aufgeführten Verbände unterstützt (z. B. s. Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; s. Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2016a; s. DBSV e. V., 2016b) und nimmt dadurch eine besondere Stellung in der Referentenentwurfs-Phase ein. Durch den Zusammenschluss stärkerer und schwächerer Verbände können gegenseitige Ressourcen genutzt werden. Die Forderungen können somit ein besonderes Gewicht erhalten, um in der Öffentlichkeit gehört zu werden (Organisationsmacht; Schmalz et al., 2013). Den Kernforderungen, die durch unterschiedliche beteiligte Akteur*innen entwickelt werden, liegt eine Kompromiss- und Aushandlungsfähigkeit des DBR zugrunde (s. Schmalz/Dörre, 2014; Schiffers, 2019, S. 277). Nur einzelne Interessenverbände bieten Lösungsvorschläge (gesellschaftliche Macht; Schmalz/Dörre, 2014) im Rahmen ihrer Stellungnahmen an (s. Deutscher Gehörlosen-Bund e. V., 2016; s. Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a; s. NITSA e. V. et al., o. J.). Andere wiederum stellen lediglich Forderungen an ein neues Gesetz dar und/oder kritisieren den Referentenentwurf (s. ABiD, 2016; s. Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; s. Deutsche Rheuma-Liga, 2016). Ihre Enttäuschung über den Entwurf wird damit sehr deutlich. Die Forderungen werden, im Gegensatz zu den Stellungnahmen zum Arbeitsentwurf, nun breiter und vielschichtiger. Sie orientieren und argumentieren, wie oben beschrieben, häufig mit Hilfe der UN-BRK. Es wird vermutet, dass in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Schlichtungsprozess stattgefunden hat, an dem u. a. auch der DBR beteiligt ist (s. das noch folgende Teilkapitel E.V.7.). So viel sei vorweggenommen: Der Schlich­ tungsprozess stellt eine Konsequenz (Wirkung) der in diesem Teilkapitel dargelegten vielfältigen Stellungnahmen (Ursachen) dar. In diesem Teilkapitel wird auch deutlich, dass das Beteiligungsverfahren durch das Motto ‚Nichts über uns ohne uns‘ zu falschen Erwartungen geführt hat. Es wird mehr erwartet, als in einem vorgelagerten Beteiligungsverfahren ermöglicht werden kann. Lamplmayr und Nachtschatt (2016) schlagen daher vor, Beteiligungsverfahren möglichst transparent zu gestalten und Erwartungen deutlich zu kommunizieren (ebd., S. 157).



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Im Zuge der Reaktionen und Stellungnahmen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf kommen verschiedene Machtressourcen zum Tragen: Verstärkt wird die gesellschaftliche Macht genutzt, durch die Verwendung der Diskursmacht (Skandalisierung, Problemlösungskompetenzen, Framing) sowie auch die der Kooperationsmacht (Networking, Bridge Builder). Auch Infrastrukturressourcen werden genutzt, da einzelne Interessenverbände dauerhaft organisiert sind und hauptamtliche Mitarbeitende sowie auch Aktivist*innen vorweisen können (u. a. beispielsweise DBSV). Somit liegt auch eine Organisationeffizienz vor, durch Aufgabenteilungen etc. (Schmalz/ Dörre, 2014). Die Vielzahl der aufgeführten Demonstrationen enthält auch die Nutzung der Machtressource der strukturellen Macht, indem die Interessenverbände durch ihre unterschiedlichen Aktionen und Demonstrationen mit einer gewissen Lautstärke die Öffentlichkeit und die Politik auf ihr Anliegen aufmerksam machen – sie sind dazu in der Lage, mit ihren Forderungen andere Akteur*innen zu stören (‚Kompetenz zu stören‘; ebd.). Vorweggenommen sei an dieser Stelle, dass diese Proteste u. a. eine Auswirkung auf die Änderungsanträge haben – darauf wird im Teilkapitel E.VI. eingegangen. Die aufgeführten Forderungen und/oder Kritikpunkte der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung konzentrieren sich während der Phase des Kabinetts- und Regierungsentwurfes auf einzelne Thematiken, die nicht behinderungsspezifisch sind, sondern für eine größere Gruppe der Menschen mit Behinderung gilt. Dazu gehört die Kritik an der Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, an dem Vorrang der Pflege zur EGH, an der weiterhin bestehenden Einkommens- und Vermögensanrechnung für Betroffene, am Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf das Wohnen und die immer wieder kehrende Kritik an dem ‚Zwangspoolen‘. Die Interessenverbände berufen sich in ihren vereinzelten Stellungnahmen und Aktionen (z. B. #UNgehindert) auf die Umsetzung der UN-BRK. Die Forderungen der unterschiedlichen Gesetzesentwürfe werden in der folgenden Tabelle 10 zusammengefasst:

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Tabelle 10 Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung als Reaktion auf die Gesetzesentwürfe 2015–2016

Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘: Arbeitsentwurf

Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘: Referentenentwurf

Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘: Kabinetts- und ­Regierungsentwurf

Wunsch- und Wahlrecht umsetzen

Wunsch- und Wahlrecht verbessern

Wunsch- und Wahlrecht weiterentwickeln

Abschaffung von der ­Einkommens- und Ver­ mögensanrechnung

Einkommen- und Ver­ mögensanrechnung nicht länger heranziehen

Einkommen- und Vermögen der Betroffenen nicht heranziehen

‚Poolen‘ von Leistungen nicht ermöglichen

Leistungsberechtigten Personenkreis nicht einschränken

Leistungsberechtigten Personenkreis nicht einschränken (Kann-Regelung nicht hilfreich)

Teilhabe am Arbeitsleben weiterentwickeln (z. B. Budget für Arbeit bundeseinheitlich ausgestalten) Inklusive Bildung und Schulbegleitung verbessern Unabhängige Teilhabe­ beratung implementieren

Gegen ‚Poolen‘ von ­Leistungen Neue Definition des ­Behinderungsbegriffes Teilhabemöglichkeiten im Arbeitsleben erweitern (z. B. Abschaffung des ‚Mindestmaßes an verwertbarer Arbeitsleistung‘) Keine Leistungslücken durch Trennung von ­Leistungen Schnittstellenproblematik Pflege und EGH lösen Leistungen ‚wie aus einer Hand‘ ermöglichen Teilhabegeld schaffen Unabhängige Teilhabe­ beratung ermöglichen

Quelle: Eigene Darstellung

Gegen das ‚Poolen‘ von gemeinsamen Leistungen Definition des ­Behinderungsbegriffs an UN-BRK anpassen Teilhabe am Arbeits­ leben: Abschaffung des ‚Mindestmaßes an verwertbarer Arbeitsleistung‘ Schnittstelle EGH und Pflege: EGH vor Pflege



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3. Wohlfahrtsverbände Das folgende Kapitel befasst sich mit den Reaktionen (dargestellt in Form von Stellungnahmen und Protesten) der Wohlfahrtsverbände auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe. Hier erfolgt eine Auswahl einzelner Stellungnahmen. Die verschiedenen Wohlfahrtsverbände argumentieren zwar selten mit der UN-BRK, sie fordern aber ähnliche Inhalte wie die Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung. Somit stellen die Wohlfahrtsverbände indirekt Unterstützer*innen der Forderungen der Interessenverbände dar. a) Reaktionen auf den Referentenentwurf Die Reaktionen, die dem Referentenentwurf (April 2016) folgen, sind vielseitig, da dieser beispielsweise Veränderungen in der Begriffsdefinition von Menschen mit Behinderung vorsieht, Neuheiten zur Teilhabe am Arbeitsleben umfasst und einen neuen leistungsberechtigten Personenkreis plant (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Nicht nur verschiedene Interessenverbände von Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ rufen zur Teilnahme am Europäischen Protesttag für Menschen mit Behinderung (am 04. Mai 2016) auf (s. Teilkapitel E.V.2.), sondern auch der Paritätische Gesamtverband. Dieser führt sowohl eine Kundgebung vor dem Kanzler*innenamt als auch einen anschließenden Protestzug zum Brandenburger Tor durch. Damit reagiert der Paritätische auf den aktuellen Gesetzesentwurf. Kritisiert wird, dass der vorliegende Entwurf insbesondere die Verringerung der Kostendynamik im Blick habe (Paritätischer Gesamtverband, 2016a). Der Paritätische befähigt durch den Protest schwache Interessen, die Unterstützungen im Lebensalltag erhalten und Leistungen des Verbandes in Anspruch nehmen, sich partizipativ an dem Reformprozess zu beteiligen (Lane/Pritzker, 2017, S. 90) – gleiches trifft auch auf die ‚Verbündeten‘ der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung zu (s. oben). Am 17. und 18. Mai 2016 veröffentlichen unterschiedliche Wohlfahrtsverbände (AWO, DRK, Paritätischer Gesamtverband, Caritas Deutschland, Diakonie Deutschland) ihre Stellungnahmen zum Referentenentwurf. Ihre Reaktionen ähneln sich in der Kritik und in den Forderungen zum Nachbesserungsbedarf. Daher wird die Stellungnahme des Caritasverbandes Deutschland e. V. im Folgenden exemplarisch vorgestellt und ergänzt mit Hilfe der Stellungnahmen von anderen Wohlfahrtsverbänden. Der Caritasverband Deutschland e. V. nimmt einzelne Verbesserungen wahr, sieht aber gleichermaßen Nachbesserungsbedarfe. Der neue Behinderungsbegriff sei zwar ein Fortschritt, es fehle aber weiterhin die genaue Aus-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

führung der „volle[n] und wirksame[n] Teilhabe“ (Deutscher Caritasverband e. V., 2016, S. 1). Die Beschreibung folgt der UN-BRK. Ähnliches fordern auch der Paritätische, die AWO und das DRK in ihren Stellungnahmen (AWO Bundesverband e. V., 2016; DRK, 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016b). Das Wunsch- und Wahlrecht wird durch Angemessenheits- und Zumutbarkeitskriterien erweitert, welche der Caritasverband positiv wahrnimmt. Wichtig sei es dabei allerdings, dass bei der Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts die Wünsche der leistungsberechtigten Person vor denen der*des Betreuenden steht. Einzelne Beratungs- und Unterstützungsleistungen sieht die Caritas als Fortschritt an. Auch die Teilhabe am Arbeitsleben wird mit Blick auf das Budget für Arbeit, andere Leistungsanbieter und die Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes positiv bewertet. Einzig der Beibehalt der Werkstattfähigkeit („Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“; Deutscher Caritasverband e. V., 2016, S. 3) wird kritisch betrachtet (ebd.). Die gleiche Kritik wird auch von anderen Wohlfahrtsverbänden geäußert (AWO Bundesverband e. V., 2016; DRK, 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016b). Die Caritas unterstützt die Aufnahme des Begriffes der Assistenzleistungen im offenen Leistungskatalog, allerdings gebe es Nachbesserungsbedarf bei der geplanten Unterscheidung zwischen qualifizierten und nicht-qualifizierten Fachkräften. Das dürfe nicht gesetzlich festgelegt werden, so der Caritas Verband. Weitere Kritikpunkte (von der Caritas aber auch von anderen Wohlfahrtsverbänden) sind der Vorrang der Pflege (und ergänzende Hilfe zur Pflege) vor der EGH sowie die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises (Deutscher Caritasverband e. V., 2016, S. 4; s. auch Diakonie Deutschland/Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V., 2016; DRK, 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016b). Zwei Interviewpersonen bestätigen, dass gerade die Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises von Seiten der Wohlfahrtsverbände vehement abgelehnt wird (Interview 2, Zeile 716–718; Interview 7, Zeile 576–578). Im Gegensatz zu den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung, stimmt der Caritasverband dem ‚Poolen‘ von Leistungen in Einzelfällen zu, allerdings müssten die Zumutbarkeitsregelungen im neuen Gesetz genauer ausgeführt werden (Deutscher Caritasverband e. V., 2016, S. 5; sowie s. Teilkapitel E.V.2.). Ablehnend wiederum steht die Diakonie Deutschland und der Bundesverband der evangelischen Behinderungshilfe (BeB) dem ‚Poolen‘ gegenüber (Diakonie Deutschland/Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V., 2016, S. 1–2). Die Einkommens- und Vermögensanrechnung ist im Referentenentwurf durch eine Erhöhung bereits verbessert, erfordert aber zum Teil Nachbesserungen (Partner*innen, Eltern von Kindern mit Behinderung; Deutscher Caritasverband e. V., 2016, S. 6). Das Vertrags- und Vergütungsrecht (sozial-



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rechtliches Dreieck) wird von der Caritas als Leistungserbringer*in positiv wahrgenommen (ebd., S. 5). So befürchtet das DRK hingegen, dass es durch das Vertrags- und Vergütungsrecht zu einem neuen Machtgefüge im sozialrechtlichen Dreieck kommen könnte, bei dem die Kostenträger als Gewinner hervorgehen (DRK, 2016, S. 3). Die Caritas – wie auch andere Wohlfahrtsverbände – vertritt als Wohlfahrtsverband nicht nur die Interessen von Menschen mit Behinderung, sondern auch Leistungserbringer- und Arbeitgeber*inneninteressen (s. Interview 1, 2, 4 und 11). Daher ist es nicht überraschend, dass beispielsweise das Vertrags- und Vergütungsrecht thematisiert wird. Eine Thematik, die von Seiten der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung eher selten bis gar nicht in den Blick genommen wird (s. Teilkapitel E.V.2.). b) Die Verbändeanhörung im Mai 2016 Im Rahmen der Verbändeanhörung am 24. Mai 2016 wird mehrfach Bezug auf die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ genommen, welche u. a. der Paritätische Gesamtverband und das Deutsche Rote Kreuz mit erarbeitet haben (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Im Zuge der Anhörung werden die Interessen der Wohlfahrtsverbände als Arbeitgeber*innen sehr deutlich: Das neue Vertragsrecht der EGH wird zwar positiv wahrgenommen, allerdings sei die Gefahr der individuellen Abweichungsmöglichkeiten auf Länderebene kritisch, so der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP; Schülle et al., 2016, S. 6). Er bewertet damit die direkte Umsetzung in den Ländern, von der auch der CBP als Träger betroffen wäre. Inklusionsbetriebe sollen, nach Planungen des Referentenentwurfes, dazu verpflichtet werden, Maßnahmen von betrieblicher Gesundheitsförderung anzubieten. Da eine Finanzierung dessen, gerade für kleine Inklusionsbetriebe, zu einer finanziellen Belastung führen könnte, sollte die betriebliche Gesundheitsförderung zunächst in Modellprojekten erprobt werden, fordert der Paritätische Gesamtverband (ebd., S. 10). Hier wird deutlich, dass der Wohlfahrtsverband als Einrichtungsbetreiber agiert. Vom Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) wird die positive Entwicklung der Flexibilisierung von Werkstattleistungen wahrgenommen. Die AWO fordert allerdings, dass auch Menschen mit erhöhtem Pflegebedarf in Zukunft nicht länger aus Werkstätten exkludiert werden dürfen durch das ‚Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit‘ (ebd., S. 9). Gleicher Meinung sind auch die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (s. Teilkapitel E.V.2.).

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c) Reaktionen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf Am 22. Juni 2016 wird der Kabinettsentwurf veröffentlicht36. Als zeitnahe Reaktion darauf findet einen Tag später eine Mahnwache des Paritätischen Sachsen vor dem Sozialministerium Dresden statt, da Leistungs- und Qualitätseinbußen befürchtet werden. Der Paritätische verweist, neben ‚#NichtmeinGesetz‘ auch auf eine eigene Protestaktion „BTHG – So nicht!“ (Paritätischer Sachsen, 2016; s. unten). Einige Wochen später findet eine Demonstration der Diakonie auf Landesebene in Brandenburg statt. So protestieren hier „tausende Menschen“ (Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, 2016) mit und ohne Behinderung vor dem Landtag in Potsdam unter dem Motto „Teilhabe – voll behindert“ (ebd.). Innerhalb der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege hat sich die Diakonie mit anderen Spitzenverbänden des Landes Brandenburg (Paritätischer, Caritas und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e.V, AWO, DRK) zusammengeschlossen, um gegen den Referentenentwurf zu protestieren und somit die Öffentlichkeit auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. So wird gefordert, dass bundesweit gleiche Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung geschaffen werden sollten und gleichzeitig das „Sparpaket“ (ebd.), das das Gesetz darstellt, zu verhindern sei (ebd.). Am 29. Juli 2016 veröffentlicht der Paritätische Gesamtverband ein „Fazit“ (Paritätischer Gesamtverband, 2016c, S. 1) und reagiert somit auf den Kabinettsbeschluss der Bundesregierung. Ein Fazit wird normalerweise am Ende eines schriftlichen Texts oder einer mündlichen Äußerung aufgeführt – und steht an dieser Stelle sinnbildlich für die vorerst (beendete) Entscheidung des Kabinetts. Das Fazit möchte eine wertende Schlussfolgerung mit einem Ausblick darlegen. Das Paper versteht sich also als eine Aufforderung zur weiteren Handlung und fordert Veränderungen des Kabinettsentwurfes. Denn der Paritätische hebt zunächst hervor, dass der Entwurf von ihm kritisch betrachtet wird, gerade auch mit Blick auf die UN-BRK und die Ziele, die sich die Regierung mit dem Koalitionsvertrag selbst gesetzt hat. Trotz allem werden zunächst die positiven Entwicklungen stichpunktartig hervorgehoben (ebd., S. 1–2). Der Paritätische merkt kritisch an, dass dem Gesetzesentwurf die Dämpfung der Kostendynamik der EGH anzumerken ist, da einzelne Unterstützungsleistungen in Zukunft eingeschränkt werden sollen. Es wird sogar befürchtet, dass „bereits erreichte Standards nicht zu halten sein werden“ (ebd., 36  Am 28. Juni 2016 wird der Entwurf vom Kabinett beschlossen. Der Kabinettsund Regierungsentwurf enthalten wenig Veränderungen gegenüber dem Referentenentwurf. Neu sind nun z. B. das Merkzeichen TBI und eine geänderte Finanzierung (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.).



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S. 2). Es werden verschiedene Kritikpunkte benannt, die nach Forderung des Paritätischen im parlamentarischen Verfahren nachzubessern sind, wozu u. a. das Wunsch- und Wahlrecht, die Einschränkung des Personenkreises, das Vertragsrecht und die Länderöffnungsklausel gehören (ebd., S. 2–7). Bei diesem ‚Fazit‘ handelt es sich um einen kritischen Forderungskatalog, der allerdings keine Lösungsvorschläge enthält – was auch nicht der Anspruch eines Fazits ist. Ein Fazit möchte inhaltlich Themen zusammenfassen und einen Ausblick darstellen. Blickt man auf das Paper, so wird deutlich, dass einzelne zentrale Themen zusammenfassend dargestellt werden und diese mit einem Ausblick – einer Forderung bzw. der Erwartung und Aufforderung, dass etwas verändert werden muss – endet. Im August veröffentlicht der Paritätische eine weitere Stellungnahme mit ähnlichen Inhalten (Paritätischer Gesamtverband, 2016c, S. 8ff.). Am 22. September 2016 findet eine Anhörung zum BTHG im Bundestag statt. Zeitgleich erfolgen Kooperationen zwischen dem Paritätischen Gesamtverband und einzelnen Interessenverbänden. Unter dem Motto „Das Bundesteilhabegesetz – so NICHT!“ (Paritätischer Gesamtverband, 2016e; Hervorhebung im Original) ruft der Paritätische in Schleswig-Holstein, in NRW, Sachsen und Niedersachsen gemeinsam mit den „Partnern“ (ebd.; nicht näher bezeichnet) zu verschiedenen Protestaktionen auf Länderebene auf. Der Paritätische rechnet damit, dass beispielsweise in Hannover rund 2000 Personen teilnehmen werden. Gefordert wird vom Paritätischen, Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung zu schaffen. Ausgrenzung und Fremdbestimmung durch das Gesetz müssen nach Aussage des Paritätischen verhindert werden (ebd.). So versuchen Wohlfahrtsverbände, wie auch in diesem Fall, durch „Öffentlichkeitsarbeit und Proteste Einfluss zu nehmen und somit eine Lobby für Menschen“ (Zimmermann/ Huster, 2014, S. 83) zu schaffen, die von verschiedenen „sozialen Problemlagen betroffen sind“ (ebd.). Aber auch der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP), als Fachverband der Caritas, schreibt in seinem Jahresbericht, dass er Lobbyarbeit in Form von verschiedenen Aktivitäten (nicht näher ausgeführt) und Fachgespräche mit Sozialpolitiker*innen, sozialpolitischen Sprecher*innen geführt und das BMAS beraten habe und somit gegen geplante Änderungen des BTHG gesteuert hat (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V., 2017, S. 24). Mit Blick auf die Lobbyarbeit äußert eine Interviewperson, dass diese von den Wohlfahrtsverbänden deutlich professionalisierter gewesen sei als von einzelnen Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung. So haben Wohlfahrtsverbände beispielsweise Jurist*innen, die eine fachlich korrekte Einschätzung von Gesetzesentwürfen abgeben können oder Referent*innen, die auf einzelne Thematiken spezialisiert sind (Interview 2, Zeile 637–640).

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Das fehle den Interessenverbänden. Eine andere Person spricht davon, dass die Wohlfahrtsverbände nicht nur die Wohlfahrt pflegen, sondern „relativ gedeihliche Beziehungen in die […] Politik“ (Interview 11, Zeile 842) habe und daher befähigt ist, „ordentliche Lobbyarbeit“ (Interview 11, Zeile 843), mit großem Einfluss zu leisten (s. auch Interview 4, Zeile 504–507). Vorrangiges Ziel des Lobbyings der Wohlfahrtsverbände ist es, „die eigenen und advokatorisch vertretenen Interessen in den politischen Prozess einzubringen und die Entscheidungsfindung zu beeinflussen“ (Rieger, 2014, S. 338). Dabei nimmt das Lobbying einen politikberatenden Charakter ein. Dies zeigt sich, in dem die Politik durch den Austausch von Informationen die Positionen der Träger der Wohlfahrtsverbände erhält sowie auch „schwer organisierbare Klienteninteressen“ (ebd.) in den politischen Prozess eingebunden werden können. Ferner sollte die Lobbyarbeit stets als rationale Politikberatung betrachtet werden, damit das Lobbying auch erfolgreich sein kann. Um Einfluss nehmen zu können, ist eine gute Beziehung und beidseitiges Vertrauen zwischen Politik und Wohlfahrtsverbänden notwendig, damit nicht nur Problemlagen transportiert, sondern auch Problemlösungen entwickelt werden können. Neben der Überzeugung sind auch die Verhandlung und das Ausüben von öffentlichem Druck ein Teil des Lobbyings. Wobei die Informationsweitergabe, Fachwissen und Zuverlässigkeit sowie politische Erfahrung relevante Voraussetzungen für die erfolgreiche Interessendurchsetzung durch Lobbying darstellen. Demnach gehört die Politikberatung „zum Leistungsspektrum sozialer Organisationen und ist unverzichtbarer Bestandteil ihrer advokatorischen Rolle“ (ebd.). Aufgrund der advokatorischen Interessenvertretung übernehmen die Wohlfahrtsverbände keine direkte Beauftragung der Klient*innen, sondern vielmehr von der Wohlfahrtsverbändebasis. Demnach suchen die Wohlfahrtsverbände den Kontakt zur Lebenswelt der Klient*innen und sind ihnen gegenüber solidarisch (Steibert, 2014). Einzelne Interviewpartner*innen nehmen wahr, dass man bei der Beteiligung und Zusammenarbeit zwischen Wohlfahrtsverbänden und Interessenverbänden nicht von der Wohlfahrt sprechen könne, da sich einzelne Wohlfahrtsverbände intensiver eingebracht haben als andere. So seien die kon­ fessionellen Träger der Wohlfahrtspflege in der Bündnisarbeit eher zurückhaltend gewesen (Interview 6, Zeile 1162–1164; s. auch Interview 7). Rückblickend nimmt eine Interviewperson alle Wohlfahrtsverbände im Reformprozess als „nicht so präsent“ (Interview 8, Zeile 944) wahr.



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Verbändebündnisse Im Mai, Juni und Juli 2016 veröffentlicht das Verbändebündnis zwischen den Fachverbänden, dem DRK, dem Paritätischen, dem DBR und dem DGB37 drei Stellungnahmen. Hier werden die zentralen Kernforderungen zum BTHG formuliert und um dringende Nachbesserungen gebeten (s. Teilkapitel E.V.2.). Das Verbändebündnis reagiert damit auf unterschiedliche Gesetzesentwürfe oder auf anstehende Entscheidungen. Mit Blick auf dieses Bündnis wird von Seiten einer Interviewperson betont, dass es zwar unterschiedliche Interessen gegeben habe, man diese aber durch Aushandlung „überein bringen“ (Interview 10, Zeile 635) kann. Ferner beschreibt eine andere Interviewperson: „Genau, wir haben gesagt, die […] können es mit zeichnen und wir haben sie auch eingeladen, genau, wir haben die auch zusammen entwickelt. Da waren zumindest Wohlfahrtsverbände dabei. Und es haben aber nicht alle unterschrieben. […] Aber ein Teil der Wohlfahrtspflege hat es auch mitunterschrieben, genau. Und das ist […] die [Wohlfahrtsverband] […] haben ziemlich viele Schnittmengen gefunden und auch zusammengearbeitet und gab ja dann teilweise auch gemeinsame Pressekonferenzen und so was, oder Veranstaltungen. Das […] ging eigentlich ganz gut“ (Interview 6, Zeile 747–756).

Das Bündnis ist, folgt man der Aussage der Interviewperson, von Seiten des DBR initiiert worden, die Wohlfahrtsverbände werden lediglich ‚eingeladen‘ sich daran zu beteiligen. Neben der schriftlichen Stellungnahme gibt es zudem noch andere Bündnisse zwischen den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung und einzelnen Wohlfahrtsverbänden, zum Beispiel in Form von Veranstaltungen oder Pressekonferenzen. Eine der Veranstaltungen beschreibt Interviewperson 2, indem von einem gemeinsamen parlamentarischen Abend berichtet wird. Hintergrundgedanke dessen sei die Darstellung der nach außen transportierten Einigkeit („Hand-in-Hand“; Interview 2, Zeile 680) gewesen. Die Interviewperson führt im Rahmen des Gespräches den Begriff „gute Verbrüderungen“ (Interview 2, Zeile 676) auf – ein Begriff, der an eine Kriegssituation erinnert, in der sich zwei Akteur*innen miteinander vereinigen. In abgeschwächter Form – ohne Kriegshandlung – ist auch genau das passiert. Zwei verschiedene Akteur*innen, die unter anderen Umständen nicht zusammenarbeiten würden, haben sich nun zusammengetan, um an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten. Einer der im Bündnis der ‚sechs Kernforderungen‘ vertretenen Wohlfahrtsverbände habe darüber hinaus sehr eng mit einem der Interessenverbände zusammengearbeitet: „Diese unterschiedlichen Bedarfe und auch sehr ernst genommen zu werden, die haben sehr dankbar auch unsere Punkte aufgegriffen. Und es war eigentlich eine gute Kommunikation, muss ich sagen, das ist nicht schlecht. Also das hilft ja auch, 37  Die erste Stellungnahme auch in Zusammenarbeit mit der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung.

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diese gegenseitige Unterstützung, wenn […] sich alle der eigenen Rolle bewusst sind und das auch transparent machen, an welcher Stelle, warum, welche Position, finde ich das auch in Ordnung“ (Interview 10, Zeile 635–642).

Im Zitat wird ein wohlwollender Aushandlungsprozess verschiedener Positionen von Interessenverbänden und des Wohlfahrtverbandes aufgeführt. Durch diese „breite Front“ (Interview 10, Zeile 856) bzw. die Zusammenarbeit (und weitere folgende) sei eine größere Einflussmöglichkeit auf die Politik möglich gewesen, so zumindest das Resümee einer Interviewperson (Interview 4, Zeile 417–420 u. 501–504). Interessant ist, dass auch Interview­ person 10 von einer ‚Front‘ spricht (Interview 10, Zeile 856) – wieder ein Begriff, der u. a. an eine Kriegshandlung erinnert. Beide Substantive (Verbrüderung und Front) können einen Hinweis darauf geben, dass die Verhandlungen und die Zusammenarbeit mit den Wohlfahrtsverbänden nicht immer einfach sind und auch, dass der BTHG-Reformprozess eine schwierig durchzuführende Handlung mit Höhen und Tiefen darstellt. d) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände Im Rahmen des Teilkapitels wird deutlich, dass die verschiedenen Wohlfahrtsverbände im Zeitraum der Gesetzesentwürfe aktiv gewesen sind und auf Veränderungen der Entwürfe reagieren – einzelne intensiver und vielseitiger als andere. Es entsteht der Eindruck, dass gerade der Paritätische besonders aktiv ist. Dieser ruft zu Demonstrationen auf, nimmt zu verschiedenen Zeitpunkten Stellung zu unterschiedlichen Gesetzesentwürfen und arbeitet im Rahmen des Bündnisses (‚6 Kernforderungen‘ und Weiterentwicklung dieser) aktiv mit. Dabei kann es sich aber um einen inkorrekten außenstehenden Eindruck handeln, andere Wohlfahrtsverbände könnten das direkte Lobbying gewählt haben, um ihre Interessen durchzusetzen. Es könnte sein, dass sie ‚hinter den Kulissen‘ gearbeitet haben, sodass rückblickend der Eindruck entsteht, dass andere Wohlfahrtsverbände weniger intensiv Lobbyarbeit betrieben haben. Da das direkte Lobbying als die erfolgreichere Variante bezeichnet wird (s. Rieger, 2014), kann dies durchaus eine Möglichkeit darstellen. Mit Blick auf die Forderungen zeigt sich, dass die verschiedenen Wohlfahrtsverbände im Rahmen ihrer Stellungnahmen und Demonstrationen thematische Schwerpunkte gesetzt haben. Beinahe jede Stellungnahme, die in diesem Kapitel aufgeführt wird, kritisiert den rechtlichen Umgang mit Pflege und Eingliederungshilfe (s. AWO Bundesverband e. V., 2016; Diakonie Deutschland/Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V., 2016; DRK, 2016). Aufgrund der Arbeitgeber*innenfunktion, die die Wohlfahrtsverbände inne haben wird auch das geplante Vertrags- und Vergütungsrecht vielseitig kritisiert (s. Deutscher Caritasverband e. V., 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016d). Wiederholt wird auch die Einschränkung des leistungsberech-



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tigten Personenkreises thematisiert (s. AWO Bundesverband e. V., 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016b), wie auch das Festhalten an der Exklusion von einzelnen Personengruppen an der Teilhabe am Arbeitsleben in Werkstätten (‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit‘; s. Deutscher Caritasverband e. V., 2016). Thematiken, die für die Wohlfahrtsverbände als Arbeitgeber*innen und advokatorische Interessenvertretung von Belang sind. Zudem betonen verschiedene Wohlfahrtsverbände im Rahmen ihrer Stellungnahmen, dass den Gesetzesentwürfen die Bremsung der Ausgabendynamik anzumerken ist (s. Deutscher Caritasverband e. V., 2016; DRK, 2016; Paritätischer Gesamtverband, 2016b). Es wird auch deutlich, dass die Wohlfahrtsverbände einen anderen Schwerpunkt in ihren Stellungnahmen gesetzt haben (Leistungserbringersicht und Arbeitgeber*in von Fachkräften), als die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (Schwerpunkt auf die eigene Lebenssituation; s. Interview 1). Demnach überrascht es nicht, dass die Kritik am Beibehalt der Einrichtungsstrukturen von Seiten der Wohlfahrtsverbände zurückhaltend ist, während sie beispielsweise von einzelnen Interessenverbänden sehr deutlich kritisiert wird. Die Forderungen der Wohlfahrtsverbände werden in der folgenden Tabelle 11 exemplarisch zusammengefasst: Tabelle 11 Forderungen der Wohlfahrtsverbände als Reaktion auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe 2015–2016 Wohlfahrtsverbände (Auswahl) Keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises (in den meisten Stellungnahmen) Gemeinsames ‚Poolen‘ nicht ermöglichen Teilhabe am Arbeitsleben: ‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit‘ abschaffen Anrechnung von Einkommen und Vermögen abschaffen Neue Behinderungsdefinition an UN-BRK anpassen Vorrang EGH vor Pflege Wunsch- und Wahlrecht weiter verbessern Unabhängige Teilhabeberatung ohne zeitliche Beschränkung Quelle: Eigene Darstellung

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4. Sozialpartner Auch im Zuge dieser Reformprozess-Phase reagieren die Sozialpartner auf die unterschiedlichen Gesetzesentwürfe, vor allem in Form von Stellungnahmen. Dabei orientieren sie sich an Forderungen, die ihrem Themenschwerpunkt (Arbeitsleben) gerecht werden. a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf Der Arbeitsentwurf stellt einen Zwischenstand der Entwicklung des Gesetzes dar und ist daher noch unvollendet. Erkennbar sind nun aber Neuerungen, wie die unabhängige Teilhabeberatung (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Der ver.di Bundesarbeitskreis Behindertenpolitik formuliert Mitte April 2016 ein Schreiben an die Bundesministerin für Arbeit und Soziales (Andrea Nahles) und reagiert damit auf den Arbeitsentwurf. Im Rahmen dieses Schreibens führt ver.di die Schwierigkeiten, denen Schwerbehindertenvertretungen im Alltag begegnen müssen, auf. Es fehle bisher an Anhörungs- und Beteiligungsrechten dieser. Gefordert wird daher, die Rechte der Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben im Zuge der Reform zu stärken. Inwiefern das gelingen könnte, wird nicht beschrieben, sondern lediglich der IstStand (die derzeitigen Probleme der Schwerbehindertenvertretungen) und die Forderung nach Veränderung (ver.di, 2016a, S. 1–2). b) Reaktionen auf den Referentenentwurf Der Referentenentwurf enthält neue Regelungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die besonders die Sozialpartner interessiert. Aber auch andere Themen sind neu, wie der leistungsberechtigte Personenkreis oder die Erhöhung der Einkommens- und Vermögensanrechnung für Betroffene (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Im Mai 2016 veröffentlicht der DGB in Zusammenarbeit mit dem DBR, den Fachverbänden, dem Paritätischen und dem DRK sowie (anfänglich auch mit) der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Weitere gemeinsame Stellungnahmen folgen dieser im Juni und Juli, als Reaktionen auf den Kabinetts- und Regierungsentwurf (s. Teilkapitel E.V.2.). Das Bündnis zwischen den Interessenverbänden und der Gewerkschaft wird von den Interviewpartner*innen als besonders förderlich (z. B. Interview 7, 9, 10, 11) und außergewöhnlich wahrgenommen (Interview 10,



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Zeile 862–865). Die Zusammenarbeit sei eine ‚Win-Win-Situation‘ gewesen. So haben sowohl die Interessenverbände vom Fachwissen über die Arbeitswelt der Gewerkschaft profitiert als auch umgekehrt, die Gewerkschaft von dem Wissen und dem Erfahrungsschatz der Interessenverbände. Die Interessenverbände haben, so Interviewperson 11, die Gewerkschaft auf Themen aufmerksam gemacht, die sie zuvor nicht im Blick hatten (Interview 11, Zeile 911–915) und haben demnach zu einer Erweiterung des Wissens der Gewerkschaft beigetragen. Das bestätigen auch Frege, Heery und Turner (2003), indem sie betonen, dass Gewerkschaften auf Bündnispartner*innen zurückgreifen, um von dem fachlichen Expert*innenwissen der Bündnispart­ ner*innen zu profitieren, welches über ihr Gewerkschaft-eigenes Wissen, und das eigentliche Arbeitsverhältnis, hinausgeht. Daher suchen sie, wie auch im Falle des BTHG, die Nähe zu Interessengruppen (Frege et al., 2003, S. 549, 550 u. 552). Unter Bündnissen verstehen Frege et al. all jene „singulären, unregelmäßigen oder kontinuierlichen gemeinsamen Aktivitäten […], die von Gewerkschaften in Verbindung mit anderen, nicht gewerkschaftlichen Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich Nachbarschafts-, Reli­ gions-, Identitäts-, Advocacy- oder Wohlfahrtsorganisationen zur Verfolgung gemeinsamer Ziele unternommen werden“ (ebd., S. 549). Diese Zusammenschlüsse müssen nicht von Dauer sein (ebd.). Dies ist auch hier der Fall. So besteht das Bündnis während des Reformprozesszeitraums, sodass die Akteur*innen gegenseitig von dem Wissen (und im Falle der Interessenverbände auch der Stärke) der anderen zu profitieren, die Interessen zu bündeln sowie durch das Bündnis ‚gehört‘ und wahrgenommen zu werden. Verschiedene Arbeitnehmer*innenvertretungen veröffentlichen im Mai und Juni 2016 Stellungnahmen zu dem Referentenentwurf. Die Stellungnahme des DGB wird im Folgenden exemplarisch dargestellt und wird mit Hilfe von Einschätzungen des Beamtenbundes und Tarifunion (dbb) und von einer Stellungnahme von ver.di ergänzt. Der DGB veröffentlicht im Mai 2016 seine Stellungnahme und reagiert damit kritisch auf den Referentenentwurf. Der Entwurf bleibe, so der DGB, hinter den im Beteiligungsverfahren formulierten Erwartungen sowie auch hinter den Zielen des Koalitionsvertrages zurück. Bezogen wird sich zunächst auf den § 7 SGB IX RefE, welcher die Teilhabeziele einschränke (durch die Beendigung einer einheitlichen Rechtsanwendung). Somit verliere das SGB IX „seine Funktion als Leitgesetz für die Rehabilitation“ (DGB, 2016, S. 2). Die Veränderung der Koordination der Leistungen sollte, nach Aussage des Ministeriums, zu einer Verbesserung dieser führen, allerdings nimmt der DGB die Neuregelungen als bürokratisch und kompliziert wahr. Hinter den neu eingeführten Regelungen zur Einkommensanrechnungen vermutet der DGB eine Verwaltungsvereinfachung und weniger eine Verbesserung für die Leistungsberechtigten (ebd.).

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Auch die Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises wird stark kritisiert. Mit dieser Regelung würden beinahe alle Menschen mit Behinderung „mit seelischen, geistigen oder Sinnesbeeinträchtigungen aus der Leistungsverpflichtung der Eingliederungshilfe herausfallen“ (ebd.). In diesem Fall sieht der DGB einen dringenden Nachbesserungsbedarf (ebd., S. 3). Auch der dbb und ver.di nehmen die Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises negativ wahr (dbb Beamtenbund und Tarifunion, 2016, S. 2; ver.di, 2016b, S. 2). Neben den oben dargestellten Themen werden auch verschiedene Inhalte des Gesetzesentwurfes aufgeführt, die sich umfangreich mit Arbeitneh­ mer*innen­interessen beschäftigen (z. B. zum einen mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt, wie Kündigungsschutz, Aufgaben von Schwerbehindertenvertretungen, Vertragsrecht oder Inklusionsbetriebe sowie zum anderen mit der Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung in Werkstätten und das Budget für Arbeit). Auch die Vorbereitung auf das Arbeitsleben, die Teilhabe an Bildung, wird thematisiert (DGB, 2016, S. 4–23). Ver.di fordert darüber hinaus, dass die Beschäftigungspflichtquote erhöht werden sollte. Des Weiteren betont ver.di, dass einzelne Verbesserungen für Schwerbehindertenvertretungen im Referentenentwurf erkennbar seien, trotz allem müsse die Mitbestimmung dieser, mit Blick auf die Anhörungs- und Beteiligungsrechte, in Zukunft gestärkt werden (ver.di, 2016b, S. 2). Der dbb hingegen kritisiert, dass die Schwerbehindertenvertretung lediglich in der Privatwirtschaft gestärkt werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet der öffentliche Dienst von dieser Regelung ausgeschlossen wird, so der dbb (dbb Beamtenbund und Tarifunion, 2016, S. 6). Am 18. Mai 2016 veröffentlicht die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eine Stellungnahme. Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine Reaktion auf den Gesetzesentwurf. Das Paper dient dazu, die eigene Sichtweise der BDA darzulegen. Darin führt die BDA Thematiken auf, die für Arbeitgeber*innen von besonderem Belang sind. Positiv wird wahrgenommen, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) mit dem neuen Gesetz gestärkt werden soll. Auch die verbindlichere Ausgestaltung des allgemeinen Rehabilitations- und Teilhaberechts für Träger der Rehabilitation wird als Fortschritt wahrgenommen. Die BDA lehnt, im Gegensatz zu ver.di, die geplanten Änderungen der Schwerbehindertenvertretungen ab, da abzusehen sei, dass diese Regelungen weitere Kosten und Bürokratie verursachen könnten. Diese Regelungen würden dazu führen, dass eine Bereitschaft der Betriebe des allgemeinen Arbeitsmarktes weiter sinken würde, Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, 2016, S. 1). Wie bereits in Teilkapitel E.IV.3. aufgeführt, lehnt die BDA erneut die Anpassung des neuen Behinderungsbegriffes mit der gleichen Begründung



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ab (ebd., S. 2). Die BDA sieht des Weiteren eine deutliche Verbesserung bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen. Die vollständige Abschaffung dieser Regelung hätte „dem Subsidiaritätsprinzip widersprochen, wonach Leistungen nur gewährt werden, wenn der Einzelne nicht selbst in der Lage ist, sich mit eigenen Mitteln zu helfen“ (ebd., S. 7). Damit nimmt die BDA wiederholend eine andere Sichtweise ein als andere Akteur*innen im Reformprozess (beispielsweise Interessen- und Wohlfahrtsverbände). c) Die Verbändeanhörung im Mai 2016 Am 24. Mai 2016 findet eine Verbändeanhörung statt. Im Rahmen dessen wird wiederholend Bezug auf die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ genommen, an denen u. a. auch der DGB mit beteiligt ist (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Es wird deutlich, dass dieses Dokument eine zentrale Stellung im Reformprozess einnimmt. Im Zuge der Diskussion über die Teilhabe an Bildung macht der DGB darauf aufmerksam, dass die „Einschätzung der Schule und die Heranziehung der erbrachten Leistungen als entscheidungserhebliche Kriterien […] beim Übergang auf weiterführende Schulen“ (Schülle et al., 2016, S. 9) oder bei der Ausbildung dienen könnte, was wiederum das Elternwahlrecht erheblich einschränke (ebd.). Der dbb führt mit Blick auf die Schwerbehindertenvertretungen auf, dass es im Referentenentwurf an Regelungen mangele, welche die Rechtsdurchsetzung in Betrieben garantiert. Verschiedene Akteur*innen sprechen sich im Rahmen dieser Diskussion für eine „gesetzliche Unwirksamkeitsklausel bei der Verletzung von Beteiligungsrechten […] aus“ (ebd., S. 9). Diese Klausel könnte dazu führen, dass Entscheidungen, an denen die Schwerbehindertenvertretung nicht beteiligt bzw. von denen sie ausgeschlossen wird, als unwirksam gelten. Die BDA – als Arbeitgeber*innenvertretung – spricht sich gegen eine solche Verschärfung aus (ebd., S. 10). Die Themen der Verbändeanhörung machen deutlich, dass die Akteur*innen – ihren Aufgaben folgend – einen Schwerpunkt auf die Arbeitswelt (DGB, BDA) bzw. die Interessen von Arbeitnehmer*innen setzen (DGB; Meise, 2014, S. 9). Diese Wahrnehmung wird auch im Rahmen der Interviews geteilt. Es wird betont, dass sie besonders im Bereich der beruflichen Rehabilitation eine wichtige Rolle im Gesetzgebungsprozess eingenommen haben (Interview 6, Zeile 1190–1192) – demnach in ‚ihren‘ Bereichen besonders stark sind (Interview 15, Zeile 601–602). Der Bereich der Sozialpartner, so Interviewperson 11, sind Personen in Betrieben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die eine Beeinträchtigung, Behinderung oder chronische Erkrankung haben, weniger der Personenkreis der UN-BRK. Wobei dieser

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Personenkreis versucht wird, nicht außen vor zu lassen (Interview 11, Zeile 29–31). Gerade für die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung habe die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften eine besondere Ressource dargestellt (Interview 6, Zeile 1194–1195). d) Zusammenfassung Sozialpartner Anhand der Stellungnahmen wird deutlich, dass die verschiedenen Sozialpartner einen besonderen Fokus auf das Arbeitsleben in Betrieben durch ihre schriftlichen Reaktionen auf die Gesetzesentwürfe legen. Die Auffassungen der Akteur*innen unterscheiden sich im Detail durchaus, was zurückgeführt werden kann auf die verschiedenen Schwerpunkte ihrer jeweiligen Arbeit – Arbeitnehmer*inneninteressen (DGB, ver.di, dbb) und Arbeitgeber*innen­ interessen (BDA). Zu erkennen sind die verschiedenen, stark differenzierenden Interessen bereits mit Blick auf den Behinderungsbegriff. So lehnt die BDA die neue Definition ab; der DGB und ver.di (als Mitglied des DGB) wiederum lassen die Begriffsdefinition in ihren Einzelstellungnahmen außen vor. Durch das Verbändebündnis zwischen dem DGB, dem Deutschen Behindertenrat, den Fachverbänden und den beiden Wohlfahrtsverbänden stellt die Gewerkschaft eine Nähe zu den Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung her. Die Kernforderungen werden, durch den DGB als Mitinitiator des Bündnisses, voll unterstützt, auch wenn auf einzelne Forderungen nicht im Detail im Rahmen der DGB-eigenen Stellungnahmen eingegangen wird (wie beispielsweise die Begriffsdefinition). Die Forderungen der Sozialpartner werden in der unten aufgeführten Tabelle 12 zusammengefasst dargestellt: Tabelle 12 Forderungen der Sozialpartner als Reaktion auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe 2015–2016 Sozialpartner (Auswahl) Arbeitnehmer*inneninteressen: Keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, Erhöhung der Leistungsabgabe und Beschäftigungspflichtquote BDA: Ablehnung von neuer Begriffsdefinition von Behinderung Quelle: Eigene Darstellung



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5. Kommunale Spitzenverbände und Länder Auch die kommunalen Spitzenverbände und die Länder haben zum Referentenentwurf Stellung genommen und reagieren somit auf die inhaltlichen Reformpläne; der Bundesrat (als Vertretung der Länder) hat zum Regierungsentwurf Empfehlungen an die Bundesregierung formuliert. Diese Stellungnahmen werden nachfolgend dargestellt, um den finanziell geprägten Blick der kommunalen Spitzenverbände und der Länder zu verdeutlichen. a) Reaktionen auf den Referentenentwurf Der Referentenentwurf enthält Neuerungen mit Blick auf eine neue Definition des Behinderungsbegriffs, der Trennung der Fachleistungen und Leistungen zum Lebensunterhalt sowie zum leistungsberechtigten Personenkreis (weitere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Im Folgenden soll die Stellungnahme der BAGüS exemplarisch den Blickwinkel der kommunalen Spitzenverbände darstellen und mit Hilfe anderer Stellungnahmen ergänzt werden, um einen Überblick über die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände zu erhalten. Im Mai 2016 veröffentlicht die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) eine Stellungnahme und reagiert somit auf den Referentenentwurf. In dieser wird die Problematik, vor der der Gesetzgeber steht, betont: So stelle es eine Herausforderung dar, ein Gleichgewicht zwischen der UN-BRK und der Dämpfung der Kostendynamik der EGH herzustellen. Die BAGüS erwartet daher, dass die gesamte öffentliche Verwaltung in die Pflicht genommen wird, um diesen Konflikt zu lösen (BAGüS, 2016, S. 1). Auch wenn im Zuge der einleitenden Worte ein menschenrechtsbasierter Blickwinkel aufgeführt wird, legt die BAGüS in ihrer Stellungnahme einen Schwerpunkt auf die Ausgabendynamik. Auch der DStGB sowie der DST/DLT haben einen finanziellen Fokus im Zuge ihrer Stellungnahmen (s. Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag, 2016; Deutscher Städte- und Gemeindebund, 2016). Gelobt wird, dass viele der BAGüS-Forderungen bereits im Gesetzesentwurf wieder zu finden sind, allerdings wird es kritisch gesehen, dass auf eine dauerhafte Beteiligung des Bundes verzichtet wird. Gefordert wird u. a. ein neuer Behinderungsbegriff, ein überarbeitetes Teilhabeverfahren, die Trennung von Fachleistung und existenzsichernden Leistungen, eine Verbesserung der Leistungsträger-Koordination (‚Hilfen wie aus einer Hand‘) und eine Erweiterung von Maßnahmen der Teilhabe am Arbeitsleben. Allerdings lasse sich bei den Erneuerungen dieser Gesetzesbausteine noch nicht erkennen, ob neue Ausgaben dadurch entstehen könnten (BAGüS, 2016, S. 2). Der

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DStGB hingegen betont, dass es beispielsweise durch eine Neuformulierung des Behinderungsbegriffes zu Mehrausgaben kommen werde (Deutscher Städte- und Gemeindebund, 2016, S. 2). Eine fehlende Bremsung der Ausgabendynamik nehmen der DST und der DLT in ihrer gemeinsamen Stellungnahme bei der Veränderung des leistungsberechtigten Personenkreises wahr und befürchten, dass es somit zu einer Ausweitung der Kosten kommen könnte (Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag, 2016, S. 1–2). Noch zu überarbeiten gelte es beispielsweise, die Regelungen der örtlichen Zuständigkeiten oder der Regelungen zur Abgrenzung zwischen EGH und Hilfe zur Pflege (ebd.; BAGüS, 2016, S. 3) sowie das Vertragsrecht. Weiter wird von der BAGüS kritisiert, dass die „vereinbarte Koppelung der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe mit der finanziellen Entlastung der Kommunen im Umfang von 5 Milliarden Euro nicht umgesetzt wird“ (ebd.). Die BAGüS ist der Auffassung, dass die Beteiligung des Bundes als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu erfolgen habe. Im Zuge dessen wird das Bundesteilhabegeld, das bereits Anklang in der AG BTHG gefunden hat, aufgeführt, welches eine Lösung der Bundesbeteiligung darstellen könnte (ebd.). Die Länder veröffentlichen ebenfalls eine Stellungnahme und nehmen zum Teil zu einzelnen Inhalten des Referentenentwurfes eine andere Sichtweise ein als die kommunalen Spitzenverbände. Trotz allem pochen auch sie vermehrt auf die Kostendynamik. Die Stellungnahme beginnt mit einer Aufzählung aller Eckpunkte, die für die Länder von besonderer Relevanz sind. Diese seien bereits im Gesetzesentwurf wieder zu finden. Dazu gehört u. a. die Stärkung der Selbstbestimmung durch eine partizipative Bedarfsfeststellung, die ergänzende unabhängige Teilhabeberatung, Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen sowie die Stärkung der Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt durch verbesserte Übergänge von der Werkstatt in eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit. Es wird darum gebeten zu prüfen, ob die Zeitplanung und Umsetzungsplanung mit Blick auf den Verwaltungsablauf und das Vertragsrecht wirklich realistisch sind (Bundesländer, o. J., S. 2). Die Erwartungshaltung sei, dass es zu keinen neuen Mehrkosten kommt, die zu Lasten der Länder oder der Kommunen gehen (ebd., S. 2). Im Gegensatz zu den kommunalen Spitzenverbänden begrüßen die Länder die unabhängige Teilhabeberatung. Der Bund wird aufgefordert, auf Dauer die Kosten des Angebotes zu übernehmen. Zudem betonen die Länder, dass zum Zeitpunkt des Referentenentwurfes nicht abzusehen sei, ob der leistungsberechtigte Personenkreis erweitert oder eingeschränkt wird. Daher schlagen die Länder vor, eine empirische Überprüfung dieser Regelung durchzuführen (ebd., S. 5 u. 7).



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Länder und Kommunen haben ein besonderes Mitspracherecht bei der Vorbereitung von Gesetzesvorlagen, die – wie in diesem Fall – ihre Belange berühren. Nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) sollen die Länder und die kommunalen Spitzenverbände vor der Abfassung eines Entwurfes ihre Auffassung mitteilen können. Demnach soll ein Gesetzesentwurf den Ländern oder kommunalen Spitzenverbänden frühzeitig zugeleitet werden (Henneke, 2007, S. 994). Allerdings werden die kommunalen Beteiligungsrechte häufig von Seiten einzelner Bundesressorts ignoriert. Die Unterrichtung der Bundesressorts reicht beispielsweise von einer frühen Beteiligung inklusive Einflussmöglichkeiten im ersten Entwurf bis hin zu einer Routinebeteiligung oder Nichtbeteiligung. Zum Teil sind die Fristen der Stellungnahme recht kurz bemessen (ebd., S. 996). Im Falle des BTHG-Referentenentwurfes werden die kommunalen Spitzenverbände bei der Formulierung des Gesetzesentwurfes nicht beteiligt, das BMAS hat sich ohne Einflussmöglichkeiten anderer Akteur*innen zurückgezogen (Interview  4, Zeile 121–122; Interview 17, Zeile 294–299 u. 306–310). Erst mit der Veröffentlichung des Referentenentwurfes werden die kommunalen Spitzenverbände mit einbezogen. Die Möglichkeit der Rückmeldung durch eine Stellungnahme ist, folgt man den Aussagen einzelner kommunaler Spitzenverbände (und auch die anderer Akteur*innen), kurz bemessen (s. BAGüS, 2016; s. Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag, 2016). Da sie im Zuge der BTHG-Reform erst verspätet einbezogen werden, wird an dieser Stelle vermutet, dass die kommunalen Spitzenverbände daher auf das direkte Lobbying zurückgegriffen haben (s. Wehrmann, 2007). Zwei Interviewpersonen gehen ebenso davon aus, dass die kommunalen Spitzenverbände „hinter den Kulissen“ (Interview 4, Zeile 529–530, s. auch Interview 7) versucht haben, Einfluss auf die Politik nehmen. Spannungsfeld: Kostendynamik vs. Menschenrechte In den oben dargestellten Sichtweisen der kommunalen Spitzenverbände und der Länder wird ihr finanzieller Blickwinkel sehr deutlich. Auch den Interviewpersonen fällt vermehrt auf, dass insbesondere die kommunalen Spitzenverbände einen Schwerpunkt auf die Ausgabendynamik legen (s. Interview 1, 5, 6, 7, 8, 12), zurückzuführen darauf, dass sie diejenigen sind, die die Änderungen letztendlich finanziell umsetzen müssen (s. Henneke, 2007). Es entsteht somit ein Spannungsfeld zwischen einem finanziell geleiteten Denken und der menschenrechtlichen Perspektive – und somit auch zwischen den Akteur*innen der kommunalen Spitzenverbänden und der Gruppe der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung. Dies fällt auch einzelnen Interviewpersonen ins Auge (s. auch Interview 3, 6, 7):

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„da spiegeln sich ja auch die unterschiedlichen Ziele wider, ne, die Behindertenverbände, die hatten das Ziel, dass die Teilhabe tatsächlich modernisiert wird. Und die kommunale Seite oder die […] das bezahlen muss, die hat ein Interesse daran, die Ausgabendynamik zu […] senken. Und ich würde gar nicht sagen, dass beide Seiten nicht auch beide Sachen im Blick haben, weil das wäre auch naiv, das nicht zu tun, so, aber natürlich ist der Schwerpunkt dann ein anderer“ (Interview 8, Zeile 635–642).

Es wird deutlich, dass die Schwerpunktsetzungen gegensätzlich sind, aber beide Seiten nicht grundsätzlich die Meinungen der jeweils andere Seite außen vorlassen können. Dies belegen auch die Stellungnahmen: Die BAGüS und der DLT/DST verweisen auf die Schwierigkeiten, vor denen der Gesetzgeber steht – und zwar davor, ein Gleichgewicht zwischen Umsetzung der UN-BRK und der Bremsung der Ausgabendynamik zu erzielen (s. BAGüS, 2016; s. Deutscher Landkreistag/Deutscher Städtetag, 2016). Aber der Schwerpunkt der Stellungnahmen, und das ist deutlich an den oben dargestellten Stellungnahmen der Akteur*innen zu erkennen, auf die Kostenseite konzentriert. Abzulesen sind die konträren Sichtweisen (UN-BRK vs. Finanzierung) auch an den Forderungen und Begründungen der kommunalen Spitzenverbände und denen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. Beispielsweise betonen der DLT/DST und die BAGüS, dass durch § 99 BTHG-RefE der leistungsberechtigte Personenkreis ausgeweitet werde und nicht, wie die Interessenverbände befürchten, verkleinert wird. Auch der Blick auf das ‚Poolen‘ von Leistungen wird von der BAGüS und dem DStGB mit Sorge betrachtet, da die neuen Regelungen dazu führen könnten, dass die Kosten dafür ansteigen. Die Interessenverbände wiederum befürchten durch die neue Regelung eine Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts und sehen damit die Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderung eingeschränkt. Auch die Veränderung von der Anrechnung von Einkommen und Vermögen geht einzelnen kommunalen Spitzenverbänden (BAGüS, DStGB) zu weit, den Interessenverbänden nicht weit genug. Während die unabhängige Teilhabeberatung von den Interessenverbänden gelobt wird, wird sie vom DStGB und dem DLT/DST vielmehr abgelehnt. Ferner wird der neue Behinderungsbegriff vom DStGB aufgrund einer befürchteten Erweiterung des Personenkreises abgelehnt – von Interessenverbänden-Seite geht die neue Definition zum Teil noch nicht weit genug, hierbei berufen sie sich wiederkehrend auf die UN-BRK (s. Sichtweisen der Interessenverbände ausführlicher in Teilkapitel E.V.2.). Auch diese unterschiedlichen Begründungen bilden die Schwerpunkte der Akteur*innen ab. Es gibt aber ebenso einzelne Themen, in denen zwischen den Akteur*innen Einigkeit herrscht – allerdings aus unterschiedlichem Antrieb. So sprechen sich sowohl verschiedene Interessenverbände der Menschen mit Behinderun-



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gen als auch die BAGüS für die Einführung eines Bundesteilhabegeldes aus. Die Interessenverbände begründen dies mit Hilfe einer Ausweitung der Selbstbestimmung (auf Grundlage der UN-BRK); die BAGüS mit einer Veränderung der Kostendynamik. Im Kern verfolgen die Akteur*innen das gleiche Ziel. Auch die Kritik an der Schnittstelle EGH und Hilfe zur Pflege wird von beiden Seiten gleichermaßen formuliert (s. Teilkapitel E.V.2.). b) Die Verbändeanhörung im Mai 2016 Am 23. Mai 2016 findet eine Anhörung der Länder statt, allerdings liegen darüber keine öffentlichen Protokolle vor (Schülle et al., 2016, S. 3). Aus dem Protokoll der Verbändeanhörung am 24. Mai 2016 gibt es allerdings einen Anhaltspunkt, was von Seiten der Länder im Rahmen dessen geäußert wurde: So wird von den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung befürchtet, „dass Menschen, die bisher Leistungen der EGH erhalten, unter den neuen Regelungen nicht mehr leistungsberechtigt sein würden“ (ebd., S. 3). Die Länder hingegen haben im Rahmen der zuvor stattgefundenen Anhörung das Gegenteil befürchtet – und zwar, dass im Zuge des neuen Gesetzes Leistungsausweitungen entstehen könnten, die nicht zu finanzieren sind (ebd.). Demnach haben nicht nur die kommunalen Spitzenverbände konträre Meinungen gegenüber denen der Interessenverbände (und der Wohlfahrtsverbände), sondern auch die Länder. c) Reaktionen auf den Regierungsentwurf Der Regierungsentwurf enthält gegenüber dem Referentenentwurf geringe Veränderungen, beispielsweise marginale Veränderungen zu den Regelungen des leistungsberechtigten Personenkreises (weitere Informationen s. Teilkapitel E.V.1.). Am 13. September 2016 veröffentlicht der Bundesrat Empfehlungen an die Bundesregierung, welche aus der Betrachtung der Gesetzesentwürfe entstanden sind. Eingangs wird betont, dass mit dem Gesetzesentwurf verbesserte Selbstbestimmungs- und Teilhabemöglichkeiten geschaffen werden. Mit der Unterscheidung zwischen ambulanten und stationären Leistungen und einer Einführung des Budgets für Arbeit, werde Forderungen der Länder nachgekommen (Bundesrat Drucksache 428/1/16, 2016, S. 2–5). Der Bundesrat legt, ebenso wie die oben aufgeführten Länder, einen Schwerpunkt auf die Finanzierung des BTHG. Weitere Mehrkosten werden in der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, den Leistungen zur Teilhabe an Bildung, dem Budget für Arbeit und einer Erhöhung von Verwaltungskosten (beispielsweise durch das Teilhabeplanverfahren) vermutet – die

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fiskalischen Auswirkungen für die Länder könne man noch nicht valide einschätzen. Zurückzuführen sei dies darauf, dass noch keine transparente Kostenfolgenabschätzung vom Bund vorliege (ebd.). d) Zusammenfassung kommunale Spitzenverbände und Länder Das Teilkapitel zeigt, dass die kommunalen Spitzenverbände und die Länder ein eigenes Interesse an dem BTHG haben: Sie fordern eine neue Finanzierung des Gesetzes. Mutmaßlich zurückzuführen ist diese Haltung auf die immer weiter steigenden Kosten der Eingliederungshilfe, welche die Länder und Kommunen in der Vergangenheit zu stemmen hatten (s. Arbeits- und Sozialministerkonferenz, 2013). Daher überrascht es nicht, dass die Forderungen und Erwartungen an das BTHG einen Fokus auf die Kosteneindämmung legen (und weniger auf die menschenrechtliche Perspektive). Somit wird erneut die kalkulatorische Handlungsorientierung der Akteur*innen deutlich (s. Nullmeier/Kuhlmann, 2022, S. 17). Damit unterscheiden sich die Anforderungen, die von den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern gestellt werden, von denen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, aber auch von den Wohlfahrtsverbänden und einzelnen Sozialpartnern. Die Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und der Länder werden in der folgenden Tabelle 13 aufgeführt: Tabelle 13 Forderungen der kommunalen Spitzenverbände und Länder als Reaktionen auf die verschiedenen Gesetzesentwürfe Kommunale Spitzenverbände und Länder (Auswahl) Kommunale Spitzenverbände: keine neue Ausgabendynamik, Abgrenzung zwischen EGH und Pflege überprüfen, Vertragsrecht überarbeiten, Bundesteilhabegeld einführen, unabhängige Teilhabeberatung nicht ermöglichen, Budget für Arbeit überdenken Länder: keine neue Ausgabendynamik, Schnittstelle EGH und Pflege überdenken Quelle: Eigene Darstellung

6. Entscheidungsträger*innen und Opposition Das nachfolgende Kapitel führt Stellungnahmen und Plenardiskussionen der verschiedenen Parteien (Opposition und Große Koalition) sowie die der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung auf. Die



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Akteur*innen reagieren mit ihrem jeweiligen Vorgehen (ob in mündlicher oder schriftlicher Form) auf die jeweiligen Gesetzesentwürfe. Die im nachfolgenden beschriebenen Akteur*innen haben zum Teil gegensätzliche Erwartungen an ein Bundesteilhabegesetz. Einzelne Interviewpersonen heben, wie bereits in Teilkapitel E.IV.5. dargelegt, ein Dilemma des Ministeriums und der Bundesregierung hervor. Es sei eine Herausforderung gewesen, ein Gleichgewicht zwischen UN-BRK und Finanzen herzustellen (s. Interview 2, 6, 8, 12, 14). Noch während der AG, aber auch im Anschluss daran, so vermutet Interviewpartner*in 12, ist dem Ministerium deutlich geworden, dass beides – menschenrechtliche Perspektive und finanzielle Aspekte – nicht zusammenpassen: „Und wenn wir das versuchen umzusetzen, […] dann wird es mehr kosten, […] dann werden es auch mehr Leistungserbringer. Und da haben sie das Dilemma glaube ich richtig erkannt […] und die politischen sozusagen roten Linien. Und waren selber in der Bredouille. Wäre meine Mutmaßung. Und das […] ist auch der Grund, warum dann keine […] authentische Rückmeldung möglich ist, wenn das nämlich daran lag, dass sie sagten, wir haben hier unsere zwei Haltelinien, das werden sie aber nicht sozusagen öffentlich machen können, weil […] aus menschenrechtlicher Perspektive geht das gar nicht. Also Menschenrechte stehen nicht unter […] einem derartigen Finanzierungsvorbehalt“ (Interview 12, Zeile 163–173).

Damit wird auch versucht zu begründen, warum sich das Ministerium nach der AG zurückzieht. Letztendlich steht daher die UN-BRK hinter der Finanzierung an. Wobei auch diese Entscheidung ein weiteres Dilemma darstelle, führt Interviewperson 12 weiter aus. Eine Regierung, die die UN-BRK umsetzen möchte und Selbstbestimmung und Teilhabe stärken will, zeitgleich aber eine deutliche finanzielle Grenze setzt – das widerspreche sich, beides nebeneinander gehe nicht (Interview 12, Zeile 185–189). Eine weitere Vermutung einer Interviewperson ist, dass sich das Ministerium intern nicht einig ist, wie das BTHG auszusehen hat bzw. worauf der Schwerpunkt gelegt werden sollte (Interview 6, Zeile 462–465). Auch innerhalb der Großen Koalition seien solche „Machtrangeleien“ (Interview 12, Zeile 523) erkennbar, die CDU habe Sorge vor zu hohen Kosten gehabt (Interview 11, Zeile 422– 425; Interview 6, Zeile 781–782). Man sei bei verschiedenen Themen unterschiedlicher Meinung gewesen (Interview 17, Zeile 273–274). Inwiefern sich aber letztendlich die SPD mit ihren Interessen durchsetzen kann, die für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der Legislaturperiode zuständig ist, sei von außen nicht erkenntlich gewesen (Interview 12, Zeile 583– 540). Hätte es aber keine gemeinsamen Ziele gegeben, hätte man sich auch nicht auf ein Ergebnis einigen können (Interview 17, Zeile 276–278).

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a) Reaktionen auf den Arbeitsentwurf Verschiedene Politiker*innen reagieren auf den Arbeitsentwurf sowohl in mündlicher als auch in schriftlicher Form. Ihre Sichtweisen werden nachfolgend aufgeführt. Der Entwurf sieht die Einführung einer unabhängigen Teilhabeberatung vor sowie die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen in der Freizeitgestaltung (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Die Parteien Am 09. März 2016 wird unter ‚Teilhabegesetz.org‘ eine Zusammenfassung über eine Vorsitzende- und Geschäftsführerkonferenz der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen (Lebenshilfe NRW) gegeben, an der Uwe Schummer sowohl als Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung der CDU/ CSU als auch Vorsitzender der Lebenshilfe NRW teilnimmt (ein Bridge Builder, ein Teil der Kooperationsmacht; Schmalz/Dörre, 2014). Uwe Schummer betont, dass seiner Meinung nach, der leistungsberechtigte Personenkreis nicht eingeschränkt werden dürfe. Er und die Bundesgeschäftsführerin der Lebenshilfe (Jeanne Nicklas-Faust) setzen sich dafür ein, dass zwei ICFKriterien als Zugangsvoraussetzung ausreichend sind (Miles-Paul, 2016a). Mit ihren Aussagen reagieren die beiden Akteur*innen auf den Arbeitsentwurf, welcher Änderungen dieser Thematik vorsieht. Einige Tage später veröffentlicht Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die GRÜNEN) eine Pressemitteilung, um ihre Sichtweise auf den Arbeitsentwurf zu verdeutlichen. Hierin fordert sie das BMAS auf, einen Referentenentwurf vorzulegen, welcher Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Teilhabe fördert und der UN-BRK gerecht wird. Daher sollte in dem nächsten Gesetzesentwurf, im Gegensatz zum Arbeitsentwurf, auf die Anrechnung von Einkommen und Vermögen (für Betroffene und Partner*innen) verzichtet sowie das Wunsch- und Wahlrecht gestärkt werden, gerade mit Blick auf die Freizeit und das Wohnen (Rüffer, 2016a). Wie bereits in anderen Kapiteln aufgezeigt, argumentiert die Opposition vermehrt mit den menschenrechtlichen Verpflichtungen – so auch in diesem Fall. b) Reaktionen auf den Referentenentwurf Der Referentenentwurf sieht eine parallele Struktur von Pflege und der EGH vor, behält die Einkommens- und Vermögensanrechnung für Betroffene bei und umfasst einen neuen leistungsberechtigten Personenkreis (ausführlichere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Darauf folgen Reaktionen der hier betrachteten Akteur*innen.



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Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung: Anfang Mai 2016 findet der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung unter dem Motto „Deutschlands Zukunft inklusiv gestalten! Kein Kompromiss bei der Teilhabe“ (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, 2016) statt, zu dem auch Verena Bentele aufruft. Im Zuge des Aufrufs wird auf den Referentenentwurf Bezug genommen, indem zwar der Beteiligungsprozess gelobt wird, die unberücksichtigten Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung hingegen kritisiert werden. Dies führe dazu, dass aus „der bisherigen Beteiligung […] Stück für Stück Protest“ (ebd.) werde. Daher setzt sich Verena Bentele gemeinsam mit den Interessenverbänden für Änderungen im Gesetz ein, da das Expert*innenwissen der Betroffenen unverzichtbar sei (ebd.). Dies zeigt sich auch durch ihre Beteiligung an den ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘, die einige Wochen später veröffentlicht wird (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). ‚Die Welt‘ veröffentlicht am 26. Juni 2016 ein Interview mit Verena Bentele. Darin wird die Unzufriedenheit mit dem Gesetzesentwurf und die damit im Zusammenhang stehenden Proteste besprochen. Verena Bentele betont, dass die Proteste auf eine hohe Erwartungshaltung der Interessenverbände zurück gehen. Thematisiert werden leichte Verbesserung der Einkommensund Vermögensanrechnung (wobei diese noch nicht weitreichend genug sind) sowie die Teilhabe am Arbeitsleben. Kritik wird am ‚Poolen‘ von Leistungen geäußert, das entspräche nicht dem Wunsch- und Wahlrecht, so Verena Bentele. Daher nimmt sie deutlichen Nachbesserungsbedarf im Gesetzesentwurf wahr (die Welt, 2016a). Die Parteien Die LINKEN veröffentlichen Ende Mai 2016 eine Positionierung zum Gesetzesentwurf. Eingangs wird betont, dass sie sowohl den Entwurf für ein Gesetz zur sozialen Teilhabe des FbJJ (s. Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2013) unterstützen als auch die Positionierung des DBR (s. Deutscher Behindertenrat, 2013) und die ‚sechs Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Ebenso wird wiederkehrend ein Bezug zur UNBRK hergestellt. Es wird gefordert, das neue Gesetz in seiner Gänze menschenrechtlich auszugestalten – „und zwar im Gesetzestext, nicht nur in der Einleitung oder Begründung“ (die LINKE, 2016, S. 13). Der Positionierung ist anzumerken, dass die Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung aufgenommen werden. Dies zeigt sich beispielsweise in der Forderung, die Einkommens- und Vermögensanrechnung abzuschaffen, die Behinderungsdefinition der UN-BRK im vollen

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Umfang zu übernehmen, keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises zu ermöglichen, das ‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Leistung‘ in Werkstätten zu streichen sowie den rechtlichen Rahmen der Alternativen Leistungsanbieter zu klären. Gewertschätzt werden die Freistellungsregelungen der Schwerbehindertenvertretungen, das Budget für Arbeit, die unabhängige Beratung (allerdings nicht die zeitliche Befristung) sowie einzelne Veränderungen in Werkstätten (ebd., S. 5–15). c) Reaktionen auf den Regierungsentwurf Der Gesetzesentwurf beinhält einzelne Änderungen des Referentenentwurfes bei, beispielsweise das vielerseits kritisierte ‚Poolen‘ von Leistungen oder die zeitliche Beschränkung der unabhängigen Teilhabeberatung. Neu sind jetzt z. B. ein neues Merkzeichen im Behindertenausweis, eine neue Finanzierung sowie eine ‚Kann-Regelung‘ des leistungsberechtigten Personenkreises (weitere Hinweise s. Teilkapitel E.V.1.). Die Parteien Im Zuge eines Antwortschreibens der Bundesregierung wird die Anfrage der LINKEN mit aufgeführt (12. September 2016): Hier betont die Oppositionspartei, dass sich die verschiedenen Interessenverbände im Rahmen der Verbändeanhörung im Mai verärgert und verwundert gezeigt hätten, dass einzelne besprochene Vorschläge der AG BTHG lediglich marginal eine Berücksichtigung gefunden haben. Die LINKE betont, dass von Verbändeseite eine Vielzahl an Änderungsbedarfen wahrgenommen werde und es auch einzelne Ablehnungen des Referentenentwurfes gegeben hätte (s. Teilkapitel E.V.2.). Die Fraktion bezieht sich auch auf den Aufruf ‚Nachbesserung jetzt‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016c) und erneut auf die ‚gemeinsamen Kernforderungen‘ (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Sie nimmt auch die vielen Unterstützer*innen der ‚Kernforderungen‘ wahr und zählt die Summe dieser auf. Zudem werden die zentralen Forderungen der Verbände stichwortartig aufgeführt (Deutscher Bundestag, 2016, S. 1–2). Katrin Werner (die LINKE) nimmt im Rahmen einer Befragung der Bundesregierung am 21. September 2016 die Rolle der Befragerin ein. Sie führt in ihren Wortbeiträgen den großen Widerstand der Interessenverbände auf und setzt diese in Verbindung mit der Unzufriedenheit der Verbände. Sie betont, dass es trotz dieses Widerstands so aussehe, dass „keine erheblichen Nachbesserungen“ (Plenarprotokoll 18/189, 2016, S. 18697) im Gesetzesentwurf zu finden sein werden (ebd.). Sie führt auch verschiedene Aktionen der Interessenverbände auf (z. B. ‚Käfig-Aktion‘). Diese Demonstrationen, so Katrin Werner, seien zurückzuführen auf die Ängste der Betroffenen (ebd., S. 18716).



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Es zeigt sich, dass die Opposition auf die Interessen der Verbände aufmerksam wird, vielleicht sogar ein Sprachrohr darstellt, wie in diesem Fall die Partei die LINKE. Katrin Werner führt Bundesrat-Empfehlungen auf, welche deutlich machen, dass die Ziele des Koalitionsvertrages mit Blick auf die Finanzen nicht eingehalten werden. Andrea Nahles (Bundesministerin für Arbeit und Soziales) bezieht sich in ihrer Antwort auf die Finanzierung und betont, dass zusätzliche Mittel (700 Millionen Euro bis 2020) geplant seien, um auf die Mehrbedarfe angemessen eingehen zu können. Sie versichert, dass die Leistungsverbesserungen des Gesetzes durch den Bundeshaushalt gedeckt seien. Dass die Länder den Bund auffordern, die Kosten zu übernehmen, sei nach Einschätzung von Andrea Nahles, „ein altes Spiel“ (ebd., S. 18697), über das in den weiteren Verhandlungen noch gesprochen werden müsse (ebd.). Corinna Rüffer betont am gleichen Tag im Rahmen einer Pressemitteilung (Bündnis 90/Die GRÜNEN), dass der Gesetzesentwurf einer großen Nachbesserung bedürfe. Auslöser ihrer Pressemitteilung ist die stattfindende Befragung der Bundesregierung zum BTHG (s. oben). So sehe der Regierungsentwurf vor, in Zukunft den leistungsberechtigten Personenkreis einzuschränken, sodass beispielsweise Personen mit psychischen Erkrankungen oder Menschen die gehörlos sind, von den Leistungen ausgeschlossen werden könnten. Auch das Recht der Selbstbestimmung könnte durch das neue Wunsch- und Wahlrecht eingeschränkt werden (z. B. im Bereich Wohnen). Corinna Rüffer kritisiert, dass die Große Koalition ein „Spargesetzt vorgelegt [hat], auf das sie Inklusion geschrieben haben“ (Rüffer, 2016b). Im Zuge der Pressemitteilung verweist Corinna Rüffer auch auf einen Antrag der Bundestagsfraktion der GRÜNEN im Bundestag. Die Partei stellt im Rahmen dessen fest, dass das neue Gesetz vielmehr unter Kostenaspekten erstellt wurde und weniger unter menschenrechtlichen Aspekten, obwohl dies als Ziel im Koalitionsvertrag vorgegeben sei. Kritisiert werden ähnliche Punkte, die bereits im März 2016 von der Partei dargestellt werden (Fraktion die GRÜNEN, 2016, S. 4 ff.). Am 22. September 2016 wird in einer Pressemitteilung der SPD auf die an diesem Tag stattfindenden Beratungen zum BTHG verwiesen. Der Regierungsentwurf sorge dafür, dass Menschen mit Behinderung, die Eingliederungshilfeleistungen erhalten, eine geringere Eigenbeteiligung leisten müssen als bisher. Die SPD möchte sich in der weiteren Aushandlung mit Themen, wie dem leistungsberechtigten Personenkreis, Schwerbehindertenvertretungen und Zugang zu Pflegeleistungen einbringen (SPD Bundestagsfraktion, 2016a, S. 1). Die in den anderen Teilkapiteln bereits mehrfach beschriebenen Demonstrationen am 22. September 2016 finden zeitgleich zu einer Beratung zum

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BTHG-Gesetzesentwurf im Bundestag statt. Im Rahmen dessen nehmen verschiedene Politiker*innen die Demonstrationen in ihren Reden auf. So betont beispielsweise Katrin Werner (die LINKE), die Aktion ‚Sprung in die Spree‘ und erwähnt den zeitgleich stattfindenden Protest am Brandenburger Tor. Erneut wird auf die ‚sechs Kernforderungen‘ (Anzahl zum Zeitpunkt 22.09.2016: 140 Unterstützter*innen) verwiesen. Die hohe Anzahl der Stellungnahmen zum Referentenentwurf und die Petition von Nancy Poser finden in ihrer Rede ebenfalls Beachtung. Zurückzuführen seien all diese Reaktionen auf die befürchteten Verschlechterungen durch das BTHG, so Katrin Werner. Dies bestätigt auch Corinna Rüffer (Bündnis 90/Die GRÜNEN; Plenarprotokoll 18/190, 2016, S. 18812–18813, 18815). Gerade die Opposition nimmt die Anstrengungen der Interessenverbände besonders wahr und stellt ihre Interessen auf der politischen Bühne dar. Dies spiegelt sich in einer Aussage von Jutta Krellmann (die LINKE) wider, indem sie betont, dass sie „den Menschen draußen, die Kritik an einem Gesetz haben, eine Stimme“ (ebd., S. 18821) geben möchte. Andrea Nahles (Bundesministerin für Arbeit und Soziales) betont mit Blick auf die vielzähligen Rückmeldungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung: „Ich sehe darin den Beleg für das gewachsene Selbstbewusstsein, für politisches Engagement und für den Willen, für die eigenen Interessen vernehmlich und nachdrücklich einzutreten. Ich nehme darin aber auch Unsicherheit wahr: die Sorge betroffener Menschen und ihrer Familien, sie könnten durch das Gesetz etwas verlieren, was sie sich vielleicht über Jahre von Behörden oder Trägern hart erkämpft und mit viel Einsatz durchgesetzt haben, das ihnen im Alltag unverzichtbar ist“ (ebd., S. 18798).

Damit nimmt sie zwei wichtige Aspekte mit Blick auf Menschen mit Behinderung wahr. Zum einen die Stärke einzelner Subgruppen der Menschen mit Behinderung, sich dauerhaft mobilisieren zu können. Sie gehören somit zu den ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen. Zum anderen die Wahrnehmung der Interessenverbände, trotz allem weiterhin nicht zu den durchsetzungsfähigen ‚Starken‘ zu gehören und daher – in Verbindung zum neuen Gesetz – die Sorge haben, dass ihre Forderungen nicht umgesetzt werden können sowie, dass das neue Recht ggf. Leistungsverschlechterungen mit sich bringt. Andrea Nahles führt weiter aus, dass es sich bei der Entwicklung des Gesetzes nicht nur um „Politik für Menschen mit Behinderung“ (ebd.), sondern vielmehr um eine „Politik mit Menschen mit Behinderung“ (ebd.) handele – ein Bezug zum Slogan ‚Nichts über uns ohne uns‘, den die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag aufgenommen hat (s. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 2013). Sie hebt im Folgenden vier Verbesserungen im



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Gegensatz zum alten Recht hervor: ‚Leistungen wie aus einer Hand‘, die Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen für Part­ ner*innen sowie Verbesserungen im Bereich Teilhabe am Arbeitsleben und die unabhängige Teilhabeberatung (Plenarprotokoll 18/190, 2016, S. 18799). Kerstin Tack (SPD) führt hingegen zurückhaltend Verbesserungen auf und wirbt für eine gute Zusammenarbeit, um das Gesetz in Zukunft immer weiter zu verbessern. Sie hebt, wie auch schon in der oben dargestellten Pressemitteilung der SPD hervor, dass der Zugang zur Pflegeleistung in Zukunft genauer betrachtet werden müsse und auch, dass der Zugang zur EGH nicht eingeschränkt werden solle. Daher sei es wichtig, dies bis 2020 zu evaluieren (ebd., S. 18819–18820). Uwe Schummer (CDU/CSU) betont in seiner Rede, dass es sich – hingegen mancher Aussagen – nicht um ein Spargesetz handele und macht dies an den Ausgaben fest, und zwar an den „ab 2020 […] jährlich […] 700 bis 800 Millionen Euro“ (ebd., S. 18811), die zur Verfügung gestellt werden sollen. Schwierigkeiten sieht er in den heterogenen Partikularinteressen, die an die Bundesregierung in dieser Diskussion um das neue Gesetz herangetragen werden: „Die Diskussion, die wir jetzt haben, ist davon geprägt, dass nahezu jede einzelne Gruppe zu uns kommt und ihre Partikularinteressen durchsetzen will. Sie kommen mit ihren eigenen Interessen zu uns und wollen eine individuelle Lösung. Da gerät der Staat – übrigens auch in seinem Organisationsvermögen – oft leicht an seine Grenzen. Unsere Aufgabe in der Politik besteht darin, die Dinge zu einem Ausgleich zu bringen und zusammenzuführen. Das ist wahrhaft mühsam genug, wenn wir den Menschen gerecht werden wollen“ (ebd.).

Astrid Freudenstein (CDU/CSU) geht ebenfalls auf die Partikularinteressen der Menschen mit Behinderung ein und betont, dass die Betroffenen kein Sprachrohr benötigen, da sie sich schließlich selbst vertreten können (ebd., S. 18817). Damit wird deutlich, dass sie nur eine Subgruppe der Menschen mit Behinderung im Fokus hat, und zwar die der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen. Personen, die nicht für sich selbst sprechen können, werden somit in ihrer Rede nicht bedacht. Die Opposition wirft der Großen Koalition eine gewisse Verharmlosung und Ignoranz vor (z. B. ebd., S. 18810), während die Große Koalition der Opposition eine „Skandalisierung“ (ebd., S. 18811) der Thematik und Irreführung von Betroffenen vorwirft (ebd.). Es wird demnach deutlich, dass die Koalitionspartner CDU/CSU und SPD – in ihrer Rolle als Initiator*innen des Gesetzes – das BTHG in Schutz nehmen und die Vorteile und Verbesserungen hervorheben. Wohingegen die Opposition die Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung in den Blick nimmt und ihre Forderungen und ihre Kritik im Rahmen der Plenarsitzung abbilden. Dabei

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folgen die Parteien einem ‚typischen‘ Vorgehen im Politikprozess, den auch Fröhlich (2013) beschreibt. So stehe häufig ein oppositioneller Vorwurf der ‚Schönfärberei‘ gegenüber der „stereotype[n] Entgegnung im Vorwurf des Horrorgemäldes, das in diffamatorischer Absicht vorgetragen werde“ (Fröhlich, 2013, S. 395). Parteipolitische Auseinandersetzungen werden durch die Nutzung von Worten deutlich. Der Einsatz der politischen Sprache dient dazu, „Inhalte zu bewerben, Themen zu besetzen, Realitäten zu deuten, den Gegner zu provozieren und schließlich auch Verheißung mit Blick auf die Zukunft zu organisieren“ (ebd.). Im Reformprozess sei die SPD deutlich stärker und aktiver wahrgenommen worden als der Koalitionspartner CDU/CSU, so einzelne Interviewpersonen (s. Interview 2, 6, 15). Es deutet darauf hin, dass sich die SPD aufgrund ihrer Zuständigkeit im BMAS und der Zielsetzung des Koalitionsvertrages für die Umsetzung des Reformvorhabens besonders engagiert und verantwortlich fühlt (Interview 12, Zeile 547–548; Interview 17, Zeile 245– 247). Obwohl die Opposition eine geringe Einflussmöglichkeit im Reformprozess hat (s. Interview 5, 11, 13), habe sie sich sehr intensiv in den Prozess eingebracht und stellt eine besondere Unterstützung für die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung dar (s. Interview 2, 3, 4, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 16). Sie haben – im Gegensatz zum Ministerium und der Großen Koalition – die menschenrechtliche Perspektive im Blick (s. Interview 2, 4, 8). Dies ist auch abzulesen an den oben aufgeführten Stellungnahmen, mündlichen Äußerungen in Plenardebatten und Pressemitteilungen. Zudem haben die Oppositionsparteien dazu beigetragen, die Öffentlichkeit auf die Anliegen der Menschen mit Behinderung aufmerksam zu machen (s. Interview 5, 6, 9, 10). Einzelne Politiker*innen haben darüber hinaus an Aktionen oder Demonstrationen teilgenommen (z. B. Interview 9, Zeile 623–635). Wie auch schon in anderen Teilkapiteln beschrieben, haben die beteiligten Akteur*innen (Sozialpartner*innen, Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, Wohlfahrtsverbände) das direkte Lobbying (s. Wehrmann, 2007) mit den Parteien der Großen Koalition, den Oppositionsparteien und dem Ministerium gesucht (s. Interview 3, 6, 7, 17), aber auch umgekehrt ist dies erfolgt, indem die Parteien das Wissen von Betroffenen eingeholt haben (s. Interview 17) – ein typisches Vorgehen nach Fröhlich (2013, S. 396).



V. Reformphase 3 (Ende 2015 bis Spätsommer 2016)239

d) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition Das Teilkapitel verdeutlicht, dass sich die Opposition im Zuge des Reformprozesses für die Interessen von Menschen mit Behinderung eingesetzt hat. Dies ist beispielsweise abzulesen an den von der Opposition formulierten Forderungen und Veränderungswünschen in den Stellungnahmen, Pressemitteilungen und Plenardebatten. D. h., dass gerade die menschenrechtlichen Aspekte von den Oppositionsparteien aufgegriffen werden. Das Ministerium und die Große Koalition haben die Kostendynamik im Blick, wobei es eine Herausforderung darstellt, neben der finanziellen Seite auch die UN-BRK gleichwertig ins Gesetz einfließen zu lassen. Die einzelnen Forderungen der Parteien und der anderen Akteur*innen werden im Folgenden (Tabelle 14) dargestellt: Tabelle 14 Forderungen der Entscheidungsträger*innen und der Opposition als Reaktion auf die Gesetzesentwürfe 2015–2016 Entscheidungsträger*innen und Opposition (Auswahl) Politik: GRÜNE: Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, Wunschund Wahlrecht stärken, Bildung an Lebenswirklichkeiten anpassen LINKE: Abschaffung der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, Abschaffung des ‚Mindestmaßes an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung‘, Schnittstelle EGH und ­Pflege überdenken, Wunsch- und Wahlrecht nicht einschränken (‚Poolen‘ und Wohnen) SPD: Schwerbehindertenvertretungen stärken, Zugang zu Pflegeleistungen verbessern (Evaluation dieser), leistungsberechtigten Personenkreis überdenken Beauftragte der Bundesregierung: ‚Poolen‘ überdenken – Wunsch- und Wahlrecht dadurch eingeschränkt Quelle: Eigene Darstellung

7. Schlichtung: Ermächtigungs-Lern-Prozess Im Hintergrund der verschiedenen und vielseitigen Stellungnahmen gibt es einen Konflikt zwischen den Interessenverbänden und dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Über diese Problematik finden sich – trotz Recherche – keine Dokumente, sondern lediglich Hinweise aus sechs Interviews (s. Interview 3, 6, 8, 9, 11 u. 13). Es lässt sich rückblickend nicht verorten, wann genau

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

dieser Schlichtungsprozess im Jahr 2016 stattgefunden hat, wahrscheinlich ist, dass dieser Prozess in der ersten Jahreshälfte erfolgt ist. Daher wird dieser Aushandlungs- und Schlichtungsprozess in diesem Teilkapitel aufgeführt. Interviewperson 8 verweist eher indirekt auf den Schlichtungsprozess, indem ausgesagt wird, dass zwischenzeitig die Lobbyarbeit zum BMAS schwierig gewesen sei (Interview 8, Zeile 227–234; s. auch Interview 9). Zurückgeführt wird dies auf die persönliche Betroffenheit der Interessenverbände: „Und ich glaube, das lag ein Stück weit daran, dass die Auseinandersetzung zum Teil sehr hart, sehr persönlich geführt worden ist“ (Interview 8, Zeile 1073–1075). Die Emotionalität der Verbände wird hier sehr deutlich. Die Bundesregierung habe im Vorfeld nicht damit gerechnet, dass die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung so konsequent protestieren würden, so eine Vermutung einer anderen Interviewperson (Interview 2, Zeile 616–622). Der Prozess sei ins Stocken geraten, da die (An-)Forderungen vom Deutschen Behindertenrat nicht aufgenommen wurden. Eine Interviewperson betont, dass die Auseinandersetzung beinahe so weit gegangen sei, dass sowohl das zuständige Ministerium (BMAS) als auch die zuständige Ministerin (Andrea Nahles) den Reformprozess abbrechen wollen, zurückzuführen auf die ‚spektakulären‘ Aktionen der Interessenverbände (Interview 13, Zeile 341–349 u. 408–409). Daneben sei Verena Bentele, als Beauftragte der Regierung, ebenfalls „massiv“ (Interview 11, Zeile 89) aufgetreten, vielleicht aus eigener Betroffenheit und/oder aufgrund einer ernsthaften Ausführung ihres Amtes. Daher habe es „widerstreitende Interessen“ (Interview 11, Zeile 102), zwischen dem Deutschen Behindertenrat und dem Ministerium gegeben, sodass sich eine Gewerkschaft und die Parlamentarische Staatssekretärin Frau Lösekrug-Möller verpflichtet gefühlt haben, zu intervenieren und deeskalierend zu schlichten. Das heißt, die umfangreiche Mischung aus Protesten und Stellungnahmen, auf die die Interessenverbände auf die Gesetzesentwürfe reagiert haben, hat wiederum eine Reaktion des BMAS hervorgerufen. Das Vorgehen der Menschen mit Behinderung hat demnach eine Wirkung gezeigt. Der Schlichtungsprozess erfolgt folgendermaßen: Zunächst setzt sich die Gewerkschaft mit dem DBR zusammen, um einen besonderen Fokus auf einzelne zentrale Forderungen zu legen. Dabei sei es wichtig gewesen herauszuarbeiten, welche Forderung politisch anschlussfähig sind. Anschließend finden Gespräche mit dem BMAS statt, um die Sichtweise der Interessenverbände diplomatisch zu vermitteln. Aus dem Blickwinkel der Verbände fehlen relevante Änderungen im Gesetzesentwurf. Im Rahmen dieses Gespräches wird sich zwischen Gewerkschaft und BMAS verständigt, dass die Interessenverbände ihre Forderungen weiter fokussieren sollten, dann gebe es die Zusage, dass ein Teil dieser Forderungen im Gesetz wieder zu finden sind. Daraufhin setzt sich die Gewerkschaft erneut mit den Interessenverbänden



V. Reformphase 3 (Ende 2015 bis Spätsommer 2016)241

zusammen, um die diversen Forderungen auf einzelne zu fokussieren. Es sei ein schwieriger Aushandlungsprozess gewesen, da es so viele verschiedene Forderungen und Erwartungen an das neue Gesetz gegeben habe. Aber es habe limitierende Faktoren gegeben, wie die Finanzierung der EGH, die nicht verhandelbar seien. Nachdem auf beiden Seiten im Hintergrund die ‚Stellschrauben‘ gestellt sind, stellt die Parlamentarische Staatssekretärin die Kommunikation zwischen den ‚verhärteten Fronten‘ (a) der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, Verena Bentele und (b) Andrea Nahles bzw. dem BMAS wieder her. Die DBR-Forderungen werden dem BMAS übergeben (Interview 11, Zeile 80 ff.). Dieser Schlichtungsprozess soll dazu beitragen, eine neue Vertrauensbasis zwischen den beiden Akteur*innen zu finden. Jede*r Akteur*in habe am Ende das gegeben und angenommen, was zu geben und anzunehmen gewesen sei (Interview 11, Zeile 710–712). Letztendlich sei dieser Schlichtungsprozess für beide Seiten von einer besonderen Relevanz gewesen: „Und dieses ernst genommen werden der Verbände, zu verstehen, dass es nicht um Wegdrücken geht, sondern wirklich um […] ein Fokussieren auf […] wesentliche Forderungen, ne, die man mit […] ins Verfahren mit hinein nehmen will regierungsseitig, das war glaube ich der Punkt, […] der getragen hat. Und auf der anderen Seite […] die Vertreter der Bundesregierung, aber auch […] der Regierungsfraktionen, die eben gesehen haben, da kommt jetzt nicht eine Truppe, die jetzt aus taktischen Erwägungen erst mal mit den zehn Punkten kommt“ (Interview 11, Zeile 712–720).

Der Erfolg der Schlichtung ist von verschiedenen Faktoren abhängig: (1) Die Gewerkschaft nimmt eine zentrale Rolle in der Intervention ein. So wären die verhärteten Fronten unter Umständen verhärtet geblieben, wenn diese nicht eingegriffen hätte. (2) Die Bereitschaft zur Eskalation, die auch hätte scheitern können, sowie die Schlichtung, auf die eine positive Aushandlung folgt, zeigt einen Lernprozess der Interessenverbände auf. Eine Deeskalation hätte nicht ohne die Bereitschaft und die Einsicht des DBR erfolgen können. Das Aktionsbündnis ist demnach in der Lage, seine Forderungen zu fokussieren, ist kompromissbereit (Schiffers, 2019, S. 277; Schmalz/Dörre, 2014, S. 229) und kann damit eine Verhandlungsstärke in der internen und anschließend in der externen Aushandlung aufzeigen. D. h. die Interessenverbände haben sowohl eine Konfliktfähigkeit (ebd., S. 223) sowie auch eine Problembewältigungskompetenz bewiesen. (3) Doch auch ohne die Bereitschaft der Regierung und des Ministeriums, eine gemeinsame Lösung finden zu wollen, wäre die Schlichtung erfolglos geblieben. Das Ministerium hat die Anliegen der Interessenverbände ernst genommen.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

8. Zusammenfassung Reformphase 3 Dem Policy-Cycle folgend, handelt es sich in dieser Reformphase um das Agenda Setting und die Politikformulierungsphase. Die verschiedenen Akteur*innen formulieren Handlungsbedarfe und äußern diese in Form von Stellungnahmen oder Mobilisationen. Sie versuchen somit die Entscheidungs­ träger*innen auf ihre Interessen aufmerksam zu machen und Änderungen in den Gesetzesentwürfen herbeizuführen. Gleichzeitig reagieren die Entschei­ dungs­ träger*innen darauf, indem sie unterschiedliche Gesetzesentwürfe (weiter-)entwickeln. Diese Reformphase stellt einen Zeitraum dar, indem gegenseitig auf Situationen reagiert wird, durch unterschiedliche Handlungsorientierungen und -interpretationen (s. Jann/Wegrich, 2014, S. 107). Im Rahmen dieser Reformphase betreiben die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung intensive Lobbyarbeit und nutzen verschiedene Machtressourcen, um ihre Forderungen zu verdeutlichen. Damit werden die Enttäuschung und der Widerwille gegen das geplante Gesetz der Interessenverbände deutlich (emotionale Orientierung). Die Argumentation der Verbände erfolgt größtenteils mit der menschenrechtlichen Verpflichtung, die UN-BRK im deutschen Recht umzusetzen (Normorientierung). Dem Referentenentwurf folgend sind die Forderungen sehr heterogen und wenig fokussiert. Das ändert sich im Verlauf dieser Reformphase, indem die Forderungen allgemeiner und homogener dargestellt werden. Das ist ein Anzeichen dafür, dass die Interessenverbände aus dem Schlichtungsprozess gelernt haben, ihre Forderungen nun zu fokussieren. Die Kernforderungen, die der DBR in Zusammenarbeit mit anderen, stärkeren Akteur*innen erarbeitet hat, erhalten eine hohe Aufmerksamkeit – von Seiten der Politik und von anderen Akteur*innen, die sich den Forderungen anschließen. Die Zusammenarbeit zeigt eine direkte Wirkung. Auslöser für ein Schlichtungsverfahren stellen die vielseitigen und heterogenen Forderungspapiere der Menschen mit Behinderung dar. Dabei zeigen die Interessenverbände unterschiedliche Kompetenzen, indem sie mit einer Konfliktsituation angemessen umgehen können und die Forderungen – im Interesse aller – bündeln können. Die Wohlfahrtsverbände stellen in dieser Reformphase Forderungen, in denen ihre Interessen als Arbeitgeber*in deutlich werden. Trotz allem nehmen sie auch Forderungen für Menschen mit Behinderung in den Blick. Die Sozialpartner nehmen ebenfalls ihre eigenen Interessen in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit und setzen sich für das Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung ein. Der BDA und der DGB zeigen weiterhin gegensätzliche Interessen auf (z. B. Definition des Behinderungsbegriffes). Die kommunalen Spitzenverbände und die Länder bleiben ihren anfänglich geäußerten Forde-



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)243

rungen weiterhin ‚treu‘ und erwarten von einem neuen Gesetz, dass die alte Ausgabendynamik nicht weiter ansteigt und keine weiteren Kosten entstehen (kalkulatorische Orientierung). Im Zuge dieser Reformphase wird besonders deutlich, dass sich die Opposition intensiv auf die Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung fokussiert und vermehrt mit der Umsetzung der UN-BRK argumentiert.

VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016): Die Kompetenz zu stören Das nachfolgende Kapitel setzt bei den Änderungsanträgen an, nachdem der Gesetzesentwurf des Bundesteilhabegesetz am 22. September 2016 in erster Lesung in den Bundestag eingebracht und diskutiert wird sowie einen Tag später, im ersten Durchgang im Bundesrat beraten wird. Die Reaktionen der verschiedenen Akteur*innen und Inhalte von Plenardebatten werden im Folgenden erörtert. Dies dient dazu herauszufinden, was die jeweiligen Akteur*innen in dieser Reformphase gefordert und wie sie auf äußere Einflüsse reagiert haben. Somit wird abgebildet, wie versucht wird die Endphase der Politikformulierung (s. Blum/Schubert, 2017) zu beeinflussen. So nutzen beispielsweise die Interessen- und Wohlfahrtsverbände Proteste und Aktionen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Auch andere Akteur*innen wirken aktiv in dieser Reformphase mit und versuchen den Ausgang des Gesetzes in ihrem Sinne zu lenken. 1. Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung machen sich verschiedene Lobbying-Aktivitäten zunutze, dazu gehören Proteste, Aktionen, Stellungnahmen, Bündnisse und der direkte Kontakt zum Ministerium/Politik. Sie nutzen dabei die gesellschaftliche und strukturelle Macht (Verwendung der ‚Kompetenz zu stören‘; in Anlehnung an Schmalz/Dörre, 2014, S. 222). Die Lobbymischung veranlasst zu der Annahme, dass die politische Entscheidungsebene die Forderungen der Interessenverbände wahrgenommen hat und einzelne dieser Forderungen am Ende im Gesetz wieder zu finden sind. Nachdem das Gesetz am 22. September 2016 im Rahmen der ersten Lesung im Bundestag eingebracht und einen Tag darauf im Bundesrat beraten wird (und 96 Änderungen angeführt werden), findet am 24. September 2016 eine Veranstaltung des Deutschen Bundestages statt. Davon berichtet die Kampagnenhomepage ‚Teilhabegesetz.org‘. Ziel der Veranstaltung sei ein Austausch zwischen Abgeordneten und Menschen mit Behinderung gewesen.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Insgesamt nehmen rund 200 Menschen mit und ohne Behinderung daran teil. Obwohl der Titel der Veranstaltung „Politik für und mit Menschen mit Behinderung“ (Miles-Paul, 2016g) lautet, erhalten Menschen mit Behinderung erst nach einer Stunde einen Redeanteil, so zumindest die Kritik auf der Kampagnen-Homepage. Es wird berichtet, dass es vermehrt Zwischenrufe im Zuge der Ansprachen der Abgeordneten gegeben habe, die die Unzufriedenheit der Menschen mit dem Gesetz widerspiegelt. Kritik wird mit Blick auf die Einschränkung des leistungsberechtigen Personenkreises, das ‚Poolen‘ von Leistungen, Einschränkung des Wunsch- und Wahlrechts (Wohnen) sowie die Schnittstelle zwischen Hilfe zur Pflege und EGH geäußert. Die Verärgerung wird auch im ‚Teilhabegesetz.org‘-Artikel deutlich: „Es sind nicht nur ein paar unzufriedene von der Opposition instrumentalisierte egozentrische Chaoten, die die massiven Protestaktionen gegen den Gesetzentwurf zum Bundesteilhabegesetz seit einigen Monaten durchführen. Die Kritik am Gesetz ist so breit, dass massiver Handlungsbedarf besteht“ (Miles-Paul, 2016g). Damit wird auf den Vorwurf der Großen Koalition im Rahmen der Plenardebatte am 22. September eingegangen, dass die Opposition das Gesetzesvorhaben skandalisiere und die Meinungen der Menschen mit Behinderung damit beeinflusst (Plenarprotokoll 18/190, 2016, S. 18811). Geäußert wird dies vermutlich, um darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen mit Behinderung selbstbestimmte Meinungsbilder darstellen und vertreten können, ohne von anderen beeinflusst zu werden. Der Artikel enthält auch einen Verweis auf verschiedene Aktionen und Proteste, die von Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung und auch von Kampagnen ins Leben gerufen wurden (Miles-Paul, 2016g), um die Unzufriedenheit mit dem Gesetzesentwurf zu untermauern. Der Deutsche Behindertenrat veröffentlicht im bereits bekannten Verbändebündnis (gemeinsam mit den Fachverbänden, dem Paritätischen Gesamtverband, dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ) am 18. Oktober 2016 eine weitere Stellungnahme unter dem Titel „Nachbesserung jetzt erst recht!“ (Deutscher Behindertenrat et al., 2016c, S. 1). Bezogen wird sich auf das BTHG und das Pflegestärkungsgesetz III. Eingangs wird der Bundesgesetzgeber dazu aufgefordert, die Pflicht der Gesetzgebungskompetenz nicht an die Länder weiterzugeben, da das BTHG für gleichwertige Lebensverhältnisse sorgen sollte und die Verantwortung daher auf Bundesebene liege. Wie bereits die ‚Kernforderungen‘ enthält auch dieser Aufruf sechs Forderungen und bezieht sich erneut auf die im Juni und Juli aufgeführten Forderungen (leistungsberechtigter Personenkreis, Leistungsausschlüsse/-einschränkungen, Einkommens- und Vermögensanrechnung, Pflege und Rehabilitation, Nachbesserung im ersten und dritten Teil des SGB IX, nicht-Einschränkung von Betroffenenrechten; ebd., S. 1–5).



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Das Forderungspapier endet mit dem Hinweis, dass es durchaus Verbesserungen gebe, die hier geforderten Inhalte aber nachgebessert werden müssten (ebd.). Wiederholend arbeitet das Verbändebündnis nun also zusammen, um gemeinsam Forderungen öffentlich sichtbar zu machen (s. Schmalz et al., 2013). Aus der wiederholenden Zusammenarbeit lässt sich herauslesen, dass die beteiligten Akteur*innen diese Form der Bündnisarbeit als ein erfolgreiches Vorgehen identifiziert haben und daher daran festhalten. Die Interessenverbände wählen Mobilisationsformen, um auf ihre Unzufriedenheit mit dem geplanten Gesetz aufmerksam zu machen. Durch das öffentlichkeitswirksame Vorgehen kann die politische Entscheidungsebene ihre Anliegen wahrnehmen. Beispielsweise finden im Laufe des Oktobers auf Landesebene verschiedene Demonstrationen statt (Miles-Paul, 2016j), gefolgt von Demonstrationen am 07. November in Berlin. Die Mobilisierungen im November erfolgen zeitgleich zu einer Anhörung im Bundestag. Dazu rufen verschiedene Interessenverbände und Kampagnen auf (Weibernetz e. V., o. J.; Krauthausen, o. J.; DBSV e. V., 2016). Diese ziehen sich über mehrere Stunden hinweg und gehen zum Teil ineinander über: Begonnen wird mit einer Demonstration des DBSV, anschließend folgt eine Demonstration der Caritas, des BeB und Anthropoi (Weibernetz e. V., o. J.). Später findet eine Demonstration der Lebenshilfe (#TeilhabestattAusgrenzung) am Brandenburger Tor (Lebenshilfe, o. J.-b) sowie eine Demonstration der Kampagne Abilty Watch statt (Krauthausen, o. J.). Zudem folgen im November weitere Mobilisierungen, beispielsweise eine Demonstration in Kiel mit rund 3.500 Teilnehmenden (Miles-Paul, 2016i) sowie eine Kundgebung in München (Miles-Paul, 2016j). Eine weitere Aktion wird von der Kampagne Ability Watch durchgeführt, in Form einer Telefonaktion, um direkt Kontakt zu Bundestagsabgeordneten aufzunehmen (Ability Watch, o. J.; Miles-Paul, 2016h). Die Sachverständigen-Anhörung Im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung am 07. November 2016, welche auf Anträge der Parteien die LINKE und Bündnis 90/Die GRÜNEN zurückgeht, nehmen einzelne eingeladene Menschen mit Behinderung teil sowie auch DBR-angehörige Verbände38. Durch die Anhörung wird die institutionelle Macht genutzt (s. Schröder, 2014, S. 23). Es werden verschiedene Themenbereiche angesprochen, auf die die Akteur*innen verbal reagieren. 38  Wie auch schon bei der ersten Verbändeanhörung und der AG BTHG wird an dieser Stelle davon ausgegangen, dass unter den DBR-angehörigen Verbänden im Vorfeld ein Austausch stattgefunden hat. Daher wird die Lebenshilfe als Interessenvertretung hier aufgeführt.

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Dazu gehören schwerpunktmäßig Fragen zur Pflege, zum Wunsch- und Wahlrecht (Freizeit und Wohnen) sowie zur Teilhabe am Arbeitsleben, zur unabhängigen Teilhabeberatung und zum leistungsberechtigten Personenkreis: •• Pflege: Von der Bundesvereinigung der Lebenshilfe wird abgelehnt, dass Leistungen der Pflegeversicherung in Zukunft vor den Leistungen der EGH stehen sollen, sodass das bis dahin bestehende Gleichgewicht zwischen den Leistungen wegfällt (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1533). Nancy Poser (Mitglied des FbJJ) kritisiert, dass die „Abgangsschnittstelle von Eingliederungshilfe zur Pflege […] überhaupt nicht zustimmungsfähig“ (ebd., S. 1535) sei. Dadurch werden zwei Klassen von Menschen mit Behinderung geschaffen, indem Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen, bevorzugt behandelt werden. Abgesehen vom eigenen Einkommen und Vermögen, werden auch die Partner*innen dieser Personen benachteiligt. Es sei wichtig, dass auch Menschen einen Zugang erhalten, die beispielsweise im Alter erblinden. So sollten diese die Möglichkeit erhalten, auch EGH-Leistungen zu bekommen. Im Pflegeheim sollte es ebenso möglich sein, Leistungen der EGH zu erlangen (ebd.). •• Wohnen: Der Bundesverband der Lebenshilfe spricht sich dafür aus, dass Leistungen außerhalb der ‚besonderen Wohnformen‘ vorrangig zu gestalten sind, sodass die jetzigen Regelungen von ambulant vor stationär beibehalten werden können (ebd., S. 1534). •• Freizeit: Die gemeinsame Leistungserbringung durch Fahrdienste (zur Schule und Arbeit) sei durchaus in Ordnung, so Nancy Poser (FbJJ), allerdings sieht sie eine Problematik in der gemeinsamen Leistungserbringung im Bereich der persönlichen Assistenz. Menschen ohne Behinderung möchten schließlich auch nicht vorgeschrieben bekommen, mit wem sie ihre Freizeit verbringen (ebd., S. 1535). •• Teilhabe am Arbeitsleben: Die Bundesvereinigung der LAG Werkstatträte spricht sich für die Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes in Werkstätten aus (ebd.). Dem stimmt auch die Lebenshilfe zu (ebd.). Die Änderungen der Schwerbehindertenvertretungen nimmt die BAG Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihrer Angehörigen e. V. positiv wahr, allerdings fehle noch eine Regelung, um sicher zu stellen, dass diese ein Anhörungs- und Informationsrecht erhalten (ebd., S. 1545). Die Bundesvereinigung der LAG Werkstatträte ergänzt später, dass Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen, die in Werkstätten tätig sind, über die bis dahin bestehende Altersgrenzen hinaus ermöglicht werden sollte. Die



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)247

Menschen sollten selbst entscheiden können, wann sie in Rente gehen (ebd., S. 1546). •• Leistungsberechtigter Personenkreis: Horst Frehe (Bridge Builder: Mitglied der ISL, Politiker Bündnis 90/Die GRÜNEN) sieht Schwierigkeiten in der Regelung des § 99. Seiner Einschätzung nach werden Menschen mit psychischen Erkrankungen in Zukunft ausgeschlossen. Zurück geht dies auf die Definition des leistungsberechtigten Personenkreises, indem eine Beeinträchtigung durch eine „Folge der Schädigung einer Körperfunktion und -struktur definiert wird“ (ebd., S. 1536). Auch Menschen, die blind oder gehörlos sind, würden aus dem Rasta fallen (ebd.). Die Lebenshilfe findet es besonders wichtig, die Änderung des leistungsberechtigen Personenkreises zunächst zu evaluieren, wie auch einzelne andere (z. B. Trennung der Leistungen, ‚Poolen‘; ebd., S. 1540). •• Unabhängige Teilhabeberatung: Die BAG Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. begrüßt die unabhängige Teilhabeberatung und das damit einhergehende Konzept des Peer-Counselings. Allerdings wird es kritisch gesehen, dass diese Beratungsart wahrscheinlich nicht regional flächendeckend sichergestellt werden kann. Außerdem wird der begrenzte Zeitraum der Förderung kritisiert (ebd., S. 1538). Die Beteiligten versuchen, mit Hilfe ihrer Wortbeiträge den Anwesenden zu verdeutlichen, welche Problematiken in den neuen geplanten Regelungen ‚stecken‘. Einzelne von ihnen argumentieren indirekt mit der UN-BRK (z. B. Ausschluss leistungsberechtigter Personenkreis, Gleichberechtigung bei Fahrdiensten). Am 01. Dezember 2016 findet die zweite/dritte Lesung des Gesetzes im Bundestag statt. Im Anschluss daran werden insgesamt 68 Änderungen im Gesetz beschlossen. Verschiedene Politiker*innen nehmen die unterschiedlichen Proteste und Aktionen der Interessenverbände in ihren Reden auf (Plenarprotokoll 18/206, 2016, S. 20492 ff.) und reagieren somit verbal auf die Mobilisierungen der Menschen mit Behinderung. Die Opposition bedauert, dass auf die dargestellten Problemstellungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung lange Zeit nicht eingegangen wurde (ebd., S. 20501–20503). Im Rahmen der zweiten/dritten Lesung des Gesetzes im Bundestag wird von CDU/CSU und der Opposition ein Zusammenhang zwischen den Protesten der Menschen mit Behinderung und den Änderungsanträgen hergestellt (z. B. ebd., S. 20498, 20500, 20507). Einen Zusammenhang stellen auch unterschiedliche Interviewpersonen her (s. Interview 1, 2, 3, 6, 7, 9, 10, 17). Dazu berichtet Interviewperson 17: „Ich glaube, es hat bisher kein Gesetz im Deutschen Bundestag gegeben, das so verändert das Parlament wieder verlassen hat, als es reingekommen ist“ (Interview 17,

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Zeile 257–259). Die Mischung aus Kampagnen (Interview 6, Zeile 596–597), den Protesten und die direkte Lobbyarbeit mit Abgeordneten habe einen hohen öffentlichen Druck ausgelöst (Interview 7, Zeile 430–435), das wiederum habe dazu geführt, dass die Parteien die Änderungsanträge entwickelt und diese letztendlich auch beschlossen haben (ebd., Zeile 445–446). Interviewperson 7 schätzt die vielfältigen Aktions- und Protestformen wie folgt ein: „diese unterschiedliche Tonalität war gut in dem Prozess. Und den haben wir auch ganz bewusst gemeinsam ausgehalten. Manche haben gesagt, ja, aber das ist ja jetzt zu radikal. […] unsere Form ist es jetzt auch nicht, sich anzuketten, aber es ist in Ordnung, wenn andere diese Form der Empörung wählen. Und wir haben andere Formen der Empörung gewählt. Und alles zusammen war sozusagen, fand ich, ein vielschichtiges Protestbild (Interview 7, Zeile 440–446).

Darüber hinaus haben auch Bündnisse dazu beigetragen, Änderungsanträge herbeizuführen. „Und es gab ja dann auch noch gemeinsame Veranstaltungen mit anderen Behindertenverbänden, […] also es gab viel öffentlichen lauten Druck“ (Interview 10, Zeile 365–367), gerade in den Wochen vor der Beschließung des Gesetzes (Interview 10, Zeile 367–368; s. auch Interview 5). Hier nutzen die Interessenverbände verschiedene Machtressourcen für die Durchsetzung ihrer Interessen. Dazu gehört die Vernetzung unter den Interessenverbänden, indem auf unterschiedliche Demonstrationen von einzelnen Akteur*innen aufmerksam gemacht wird (wie beispielsweise Weibernetz e. V., o. J.), somit wird zusammen kooperiert, um im richtigen Moment (Tag der Anhörung) auf die Unzufriedenheit mit dem Gesetz aufmerksam zu machen (Kooperationsmacht, Framing; Schmalz/Dörre, 2014). Zudem sind die vielzähligen Proteste ‚laut‘ und auffällig – sie ‚stören‘ (strukturelle Macht; ebd.) mit ihrem öffentlichkeitswirksamen Vorgehen die politische Entscheidungsebene, sodass diese unter Druck gesetzt wird und reagieren muss. Nicht nur einzelne Interviewpersonen und Politiker*innen sehen einen Zusammenhang zwischen den durchgeführten Protesten und aufgenommenen Änderungen, sondern auch die Zeitung ‚die Welt‘, welche am 01. Dezember 2016 vom Bundesteilhabegesetz berichtet. Im Rahmen des Artikels werden zunächst die Vorzüge des Gesetzes aufgelistet, wozu die Erhöhung von Einkommen und Vermögen zählt sowie einzelne Änderungen, die die Teilhabe am Arbeitsleben betreffen. Betont wird, dass die Große Koalition zunächst auf die ‚fünf-aus-neun-Regelung‘ (leistungsberechtigter Personenkreis) verzichtet und die Schnittstellen zwischen EGH und Pflege in Gleichrang beibehalten wird. ‚Die Welt‘ betont, dass die Änderungen auf die heftige Kritik und die Proteste der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung zurückgeht (die Welt, 2016b). Mitte Dezember 2016, beschließt der Bundesrat das vom Bundestag eingebrachte Gesetz (Bundesrat Drucksache 711/16, 2016). Im Zuge der Debatte



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)249

machen einzelne Ländervertretungen deutlich, dass die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung durch ihr Engagement ihre Forderungen intensiv nach Außen transportieren konnten und zu Änderungen im Gesetz beigetragen haben. So wird betont, dass Veränderungen mit Blick auf das Arbeitsförderungsgeld in Werkstätten, Leistungen zur Bildung und eine Vertagung verschiedener geplanter Änderungen (z. B. leistungsberechtigter Personenkreis) auf die Interessenverbände zurück gehe (Plenarprotokoll 952, 2016, S. 508–509). Die verschiedenen, vielseitigen und ‚lauten‘ Aktivitäten haben also eine Wirkung gezeigt. Die Politik ist somit einzelnen Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung gefolgt. Das Gesetz wird am 23. Dezember 2016 vom Bundespräsidenten unterschrieben und kurz darauf im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht (Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, 2016). a) Zusammenfassung Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung behalten ihre Forderungen, welche bereits in den vorigen Kapiteln dargelegt wurden, und Kritik bei. Sie zentrieren ihre Kritik nun aber auf einzelne Punkte: Sie nehmen die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, das ‚Poolen‘ von gemeinsamen Leistungen, das Wunsch- und Wahlrecht sowie die Schnittstelle zwischen EGH und Pflege kritisch wahr und fordern diese geplanten Änderungen anzupassen bzw. zu verhindern (z. B. Deutscher Behindertenrat et al., 2016c; Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016). Mit Blick auf die Einkommens- und Vermögensanrechnung wird weiterhin gefordert diese abzuschaffen (ebd.). Diese Kritikpunkte werden sowohl mündlich im Rahmen einer Veranstaltung mit dem Deutschen Bundestag (Miles-Paul, 2016g) und einer Anhörung (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016) vorgebracht, als auch in Form von Stellungnahmen schriftlich geäußert (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016c). Die Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung sind im Folgenden (Tabelle 15) dargestellt:

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Tabelle 15 Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Mitte/Ende 2016

Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und ihre ‚Verbündeten‘ (Auswahl) Verbesserung des Wunsch- und Wahlrechtes Verhinderung vom ‚Zwangspoolen‘ Verbesserung der Schnittstelle EGH und Pflege Keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises Erweiterung der Einkommens- und Vermögensanrechnung Keine Einschränkung der Betroffenenrechte Quelle: Eigene Darstellung

Dass Menschen mit Behinderung und ihre Verbände mit einzelnen Änderungen im geplanten Gesetz nicht einverstanden sind, wird durch Proteste, sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene deutlich (z. B. Weibernetz e. V., o. J.; DBSV e. V., 2016; Miles-Paul, 2016j). Auch das Verbändebündnis verschieden ‚starker‘ Akteur*innen wird beibehalten und als sinnvolles Instrument der Interessendarstellung angenommen. D. h. die Interessenverbände und Aktivist*innen der Behindertenbewegung nutzen im Zuge dieser Reformphase verschiedene Machtressourcen, beispielsweise das Framing, die Kooperationsmacht und die Mitgliederpartizipation (Schmalz et al., 2013; Schmalz/Dörre, 2014). Sie nutzen zudem die ‚Kompetenz zu stören‘ durch eine Vielzahl an ‚lauten‘ Protesten (strukturelle Macht, in Anlehnung an Schmalz/Dörre, 2014, S. 222) und setzen damit die Entscheidungsträger*innen unter Druck. So geht die hohe Anzahl der Änderungsanträge, nach Aussage verschiedener Akteur*innen, auf die intensiven Lobbyaktivitäten der Menschen mit Behinderung zurück. D. h. ohne die Mischung aus anhaltenden Protesten, Aktionen, Stellungnahmen (auch die der dritten Reformphase), Hintergrundarbeit und Bündnissen (demnach durch die Nutzung verschiedener Machtressourcen) wären keine Änderungsanträge eingegangen und angenommen worden. Die Interessenverbände haben somit auf sich aufmerksam gemacht, haben die Politik und die Gesellschaft mit ihrer Lobbymischung gestört. Die Entscheidungsträger*innen reagieren daher auf den aufgebauten Druck der Interessenverbände. Dies spiegelt sich in den Änderungsanträgen wider. Das Vorgehen der Menschen mit Behinderung hat somit eine Wirkung gezeigt, die im verabschiedeten Gesetz wieder zu finden ist.



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)251

2. Wohlfahrtsverbände Ende September 2016 wird in der ersten Lesung das Gesetz ins parlamentarische Verfahren eingebracht und einen Tag später im Bundesrat beraten. Nicht nur die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung haben Stellungnahmen veröffentlicht und Demonstrationen initiiert – und somit auf die Lesungen im Bundestag und -rat reagiert –, sondern auch verschiedene Wohlfahrtsverbände. Ihr Vorgehen wird im Folgenden dargestellt. Die Sachverständigen-Anhörung Zur Sachverständigen-Anhörung am 07. November 2016 sind zwei Verbände der Wohlfahrt vertreten: Zum einen der Deutsche Caritasverband e. V. (folgend Caritas) sowie zum anderen der Bundesverband der evangelischen Behindertenhilfe (BeB). Somit erhalten auch die Wohlfahrtsverbände die Möglichkeit des direkten Lobbyings (Wehrmann, 2007). Die Caritas nimmt die ICF-Orientierung des Behinderungsbegriffes positiv wahr sowie auch die Stärkung des sozialrechtlichen Dreiecks und die Herauslösung der EGH aus dem Fürsorgesystem. Nachbesserungsbedarf wird bei der Schnittstelle zwischen Pflegeversicherung und EGH gesehen sowie beim leistungsberechtigten Personenkreis. Zwar betont die Caritas bei der Thematik zum leistungsberechtigten Personenkreis, dass es positiv sei, dass sich die Zugangskriterien nun an den Lebensbereichen der ICF orientieren sollen, allerdings erscheine die fünf-aus-neun- bzw. die drei-aus-neun-Regelung willkürlich und unbegründet. Daher schlägt die Caritas eine modellhafte Erprobung der Regelung vor, inklusive einer Revisionsklausel. Wichtig sei, dass keine Personengruppen, die aktuell Leistungen erhalten, in Zukunft herausfallen (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1531– 1532). Mit Zugang zum Leistungsrecht entscheidet sich, wer in Einrichtungen leben kann. Die Wohlfahrtsverbände haben, so die Vermutung einer Interviewperson, demnach ein wirtschaftliches Interesse daran, gegen die fünf-aus-neun Regelung vorzugehen (Interview 7, Zeile 646–648). Denn wenn es eine Herausforderung wird, Leistungen zu erhalten, dann sei es auch schwierig, neue Kunden zu erhalten, vermutet Interviewperson 2 (Zeile 641– 645). Der BeB spricht sich deutlich gegen das „Zwangspoolen“ (ProtokollNr.  18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1534) im Bereich Wohnen, der Lebensführung oder Freizeit aus. Wenn überhaupt, dann sei das ‚Poolen‘ von Leistungen lediglich mit Zustimmung der leistungsberechtigten Person umsetzbar. Positiv, so der BeB, sei hingegen die unabhängige Teilhabeberatung und das Teilhabeplanverfahren (ebd., S. 1534, 1541).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Als Reaktion auf die zeitgleich stattfindende Verbändeanhörung (07. November 2016) rufen unterschiedliche Wohlfahrtsverbände zu Protesten auf. Damit wollen sie die Gesellschaft und die Politik darauf aufmerksam machen, dass sie mit dem Gesetzesentwurf nicht zufrieden sind. Es arbeitet ein Bündnis des Bundesverbandes der evangelischen Behindertenhilfe (BeB), der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (CBP) und des Bundesverbandes Anthroposophisches Sozialwesen zusammen. Unterstützt wird diese Veranstaltung u. a. von den Paritätern Berlin, AWO Berlin, und der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (Lebenshilfe Berlin, o.  J.-a). Insgesamt nehmen nach Aussage des CBP rund 5.000 Personen mit und ohne Behinderung an der Demonstration teil. Gefordert wird, dass das geplante Gesetz nachgebessert werden müsse (Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V., 2017, S. 25). Im Spätherbst 2016 veröffentlicht die Caritas Deutschland und der Paritätische Gesamtverband jeweils eigene Stellungnahmen. Beide werden nachfolgend vorgestellt: Der Paritätische begrüßt, dass nun in § 1 BTHG der Wortlaut „volle und wirksame Teilhabe“ (Paritätischer Gesamtverband, 2016, z. B. S. 9) aufgenommen wurde. Der Verband sieht die geplanten Änderungen der Assistenzleistungen hingegen kritisch. So wird gefordert, dass keine Unterteilung zwischen qualifizierten und nicht-qualifizierten Fachkräften vorzunehmen sei (ebd.). Auch die Caritas nimmt dies kritisch wahr sowie die Einschränkung des § 99/leistungsberechtigten Personenkreises (Caritas Deutschland, 2016). Der Paritätische schlägt vor, die Ergebnisse der Evaluation abzuwarten, um dann erst eine Entscheidung zu treffen, ob der § 99 in der Form umgesetzt werden sollte (Paritätischer Gesamtverband, 2016, S. 43). Der Verband argumentiert im Rahmen seiner Stellungnahme wiederholend mit der Verpflichtung zur Umsetzung der UN-BRK (z. B. ebd., S. 9, 22, 42). Eine Interviewperson betont, dass die Wohlfahrtsverbände gerne und geschickt mit den menschenrechtlichen Aspekten umgegangen seien. Zum Vorwurf wird den Wohlfahrtsverbänden allerdings gemacht, dass sie die UN-BRK nicht wirklich ernst nehmen würden, sonst würden sie nicht so viele „Sondereinrichtungen hier in Deutschland“ (Interview 2, Zeile 692) unterhalten. Damit spricht die Interviewperson die ‚zweiseitige Medaille‘, eine spezifische Problematik, an, mit der sich die Wohlfahrtsverbände stets auseinandersetzen sollten. Denn Wohlfahrtsverbände vertreten auf der einen Seite die Interessen der Betroffenen sowie auf der anderen Seite die eigenen verbandsinternen Interessen. Da sie selbst Arbeitgeber*in und Leistungs­ erbringer*in sind, steht für sie auch der Erhalt von Einrichtungen im Zen­ trum der Aufmerksamkeit (s. Messan, 2019; s. Steibert, 2014; s. hierzu Teilkapitel E.IV.2.a)). Somit entsteht nach Aussage von Interviewperson 2, eine wahrgenommene Spannung zwischen menschenrechtlichen Aspekten



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)253

und den Einrichtungen für Menschen mit Behinderung (Interview 2, Zeile 747–753). Nachdem am ersten Dezember 2016 die Regierungsfraktionen im Rahmen der zweiten und dritten Lesung das BTHG (inkl. 68 Änderungen) beschlossen haben, stimmt der Bundesrat am 16. Dezember 2016 dem Gesetz zu. Der Paritätische Gesamtverband veröffentlicht daraufhin am gleichen Tag ein ‚Resümee‘, also eine Schlussfolgerung zu den Ergebnissen des Reformprozesses. Eingangs wird auf die ‚gemeinsamen Kernforderungen‘ und die Zusammenarbeit mit Interessenverbänden Bezug genommen und der gemeinsame Zusammenhalt im Zuge von Protesten. Der Paritätische betont: „Allein in der Zeit von September bis November 2016 haben rund 20.000 Menschen ihren Protest bei Demonstrationen und Kundgebungen auf den Straßen und Plätzen in verschiedenen Städten Deutschlands kundgetan. Unzählige Gespräche mit politisch Verantwortlichen und an die hunderttausend Postkarten39 an Bundessozialministerin Andrea Nahles haben zur Aufklärung beigetragen. Als eine wesentliche Gesellschaftsgruppe sind Menschen mit Behinderung für ihre Rechte eingetreten, haben Politik aktiv selbst mitbestimmt und durch den Protest nicht nur ein Umdenken, sondern konkrete Veränderungen bewirkt. Die Proteste haben etwas bewegt“ (Paritätischer Gesamtverband, 2016g, S. 1).

Damit wird auf das direkte Lobbying (s. Wehrmann, 2007) verwiesen sowie auch auf die aktive Mitgliederpartizipation (Organisationsmacht) von Menschen mit Behinderung und des Verbandes im Reformprozess. Die Masse der beteiligten Personen an den Protesten wird konkret mit den Veränderungen im BTHG in Zusammenhang gebracht. Das bedeutet, dass der Paritätische die selbst durchgeführten Proteste und die Anstrengungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (Reaktion) als erfolgreich wahrnimmt und diesen eine direkte Auswirkung auf die Veränderungen im Gesetz nachsagt (Wirkung). Dadurch wird ein Kausalmechanismus verdeutlicht. Im Rahmen der Stellungnahme werden anschließend einzelne positive Entwicklungen und Veränderungen aufgezählt, die das BTHG mit sich bringt. Dazu gehört es beispielsweise, dass der Zugang zu den Teilhabeleistungen bis zur Evaluation im Jahr 2023 verhindert werden konnte und der Vorrang von Pflege vor Teilhabe zurückgenommen wurde. Auch der Vermögensschonbetrag hat sich in der Sozialhilfe erhöht, wie auch das Arbeitsförderungsgeld für Beschäftigte einer Werkstatt verdoppelt. Anschließend zeigt der Paritätische weiteren Handlungsbedarf auf und bezieht sich u. a. auf das Wunsch- und Wahlrecht im Bereich des Wohnens (vorgesehene neue Regelungen wurden zwar zurückgenommen, aber es gibt keine Verbesserungen zum alten Recht), das ‚Mindestmaß an verwertbarer Arbeitsleistung‘ wird für Werkstattbeschäftigte beibehalten und schließt somit weiterhin Personen mit 39  Kampagne

des Paritätischen Gesamtverbandes (Miles-Paul, 2016b).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

hohem Unterstützungsbedarf aus bzw. erschwert den Zugang (Paritätischer Gesamtverband, 2016g, S. 1–4). Am 16. Dezember 2016 stimmt der Bundesrat dem Gesetz im zweiten Durchgang zu; Ende des Monats wird das Gesetz im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht (BMAS, o. J.). a) Zusammenfassung Wohlfahrtsverbände Im Zuge dieser Reformphase engagieren sich die Wohlfahrtsverbände mit Hilfe des Lobbyings. Neben den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung haben auch verschiedene Wohlfahrtsverbände zu Demonstrationen aufgerufen und haben dadurch eine große Menschenmenge für ihr Anliegen gewinnen können. Sie nutzen verschiedene Formen des Lobbyings. Im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung haben die vertretenden Wohlfahrtsverbände nicht nur ihre Einrichtungsbetreiber*inneninteressen im Blick, sondern auch die Interessen der Menschen mit Behinderung (z. B. leistungsberechtigter Personenkreis, ‚Zwangspoolen‘, Schnittstelle EGH und Pflege mit Blick auf Wohnen). Ebenso führen sie die UN-BRK in ihren Begründungen auf. Durch die vielseitigen Aktivitäten der Wohlfahrtsverbände werden die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung in dieser Phase gestärkt und unterstützt. Auch wenn nicht unbedingt in Form von Bündnissen zusammengearbeitet wird, sondern Proteste getrennt voneinander stattfinden, kann diese Mobilisation der Kräfte von zwei verschiedenen Seiten (Wohlfahrtsverbände auf der einen und die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung auf der anderen Seite) dazu beigetragen haben, dass eine hohe Anzahl von Änderungsanträgen vorgelegt wird und die Änderungen vielzählig im Gesetz wieder zu finden sind. Die Proteste haben demnach eine Auswirkung auf das beschlossene Gesetz. Wie auch schon in anderen Reformphasen arbeiten zwei Wohlfahrtsverbände in Form eines Bündnisses mit den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung zusammen. Ein Bündnis, das von Beginn der Gesetzesentwürfe beibehalten wird und somit wiederholt die Meinung und die zentralen Forderungen des Zusammenschlusses abbilden kann. Die Forderungen und Erwartungen der Wohlfahrtsverbände werden zusammengefasst in der folgenden Tabelle 16 dargestellt:



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)255 Tabelle 16 Forderungen und Erwartungen der Wohlfahrtsverbände Mitte/Ende 2016 Wohlfahrtsverbände (Auswahl) Keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises Überarbeitung der Schnittstelle EGH und Pflege Überdenken der Trennung der Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen Veränderung der Assistenzleistungen (Personal) Streichung des ‚Mindestmaßes an verwertbarer Arbeitsleistung‘ Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung

Quelle: Eigene Darstellung

3. Sozialpartner Im September 2016 wird das Gesetz in einer ersten Lesung im Bundestag eingebracht und kurz darauf im ersten Durchgang im Bundesrat (inkl. Änderungen) beraten. Auch die Sozialpartner, bzw. vielmehr einzelne Gewerkschaften, veröffentlichen in dieser Phase des Gesetzesprozesses Stellungnahmen und verweisen auf Demonstrationen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. Zudem wird der DGB zur Sachverständigen-Anhörung am 07. November 2016 eingeladen. Die Gewerkschaft ver.di veröffentlicht zwei Paper – eine Stellungnahme und eine Positionierung, welche im Folgenden kurz dargelegt werden. Die Stellungnahme ist zum 31. Oktober datiert und reagiert somit auf den Regierungsentwurf und kann als Grundlage für die folgende SachverständigenAnhörung (s. unten) dienen. Im Zuge der Stellungnahme bemängelt ver.di, dass der Gesetzesentwurf hinter den Erwartungen des Beteiligungsverfahrens und dem Koalitionsvertrages zurückbleibe. Es wird keine Verbesserung der Leistungskoordination wahrgenommen, das Verfahren werde, so die Einschätzung von ver.di, durch die Neuregelungen bürokratischer und komplizierter. Auch die Einkommensanrechnung sei unzureichend verbessert worden. Menschen mit Behinderungen werden dadurch nicht aus dem Fürsorgesystem herausgeführt, sondern verbleiben darin, da „weiterhin ein Eigenbeitrag gefordert“ (ver.di, 2016c, S. 2) werde. Einzig die Anrechnungsfreiheit vom Partner*inneneinkommen sei ein „Lichtblick“ (ebd.), so ver.di. Auch den leistungsberechtigten Personenkreis sieht die Gewerkschaft kritisch. Einzelne Personengruppen mit Behinderung erfüllen die geplanten fünf-aus-neun Lebensbereichen nicht und würden somit in Zukunft aus dem Leistungsbereich herausfallen. Ver.di fordert daher, die Auswirkungen dieser Regelung zu überprüfen (ebd., S. 3).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Die Gewerkschaft nimmt ebenso die Teilhabe am Arbeitsleben in den Blick sowie auch die unabhängige Teilhabeberatung und das Wunsch- und Wahlrecht (ebd., S. 4 ff.). Dabei weicht ver.di ein wenig von seinem Hauptschwerpunkt der Arbeitnehmer*innenrechte ab (Hassel, 2007, S. 173) und konzentriert sich stattdessen auf allgemeinere Thematiken (ver.di, 2016, S. 4), während in der folgenden Positionierung ein deutlicher Schwerpunkt auf das Arbeitsleben von Arbeitnehmer*innen – diesmal ohne Behinderung – gelegt wird, indem die sogenannte Wettbewerbsklausel, die im BTHG vorgesehen ist, aufgeführt wird. Demnach gibt es eine gesetzliche Verankerung eines Kostensenkungswettlaufs zwischen den Leistungserbringern in der Behindertenhilfe. Diese Regelung bewirkt nach Einschätzung der Gewerkschaft, „dass auf längere Sicht alle Leistungserbringer ihre Kosten ins untere Drittel steuern müssen“ (ver.di, o. J.-b, S. 1). Dies senke den Branchendurchschnitt und erzeuge einen Kostensenkungsdruck, wie es bereits in Krankenhäusern zu beobachten ist. Neben der Kostensenkung sei auch ein Qualitätsrückgang zu erwarten, wenn Anbieter ihre Mitarbeitenden lediglich nach Mindestlohn bezahlen. Darüber hinaus fehle es an einer gesetzlichen Qualitätsdefinition und an normativen Vorgaben für gut qualifiziertes Personal. Insgesamt wird in der Behindertenhilfe mit niedrigen Löhnen, einer höheren Arbeitsverdichtung und einem geringer qualifizierten Personal gerechnet. Das widerspreche dem Inklusionsgedanken, da die Inklusion eine „hochspezifische Fachkompetenz“ (ebd., S. 2) von den Mitarbeitenden verlange. Abschließend führt ver.di einen Vorschlag für den Gesetzestext an (ebd., S. 3). Die Gewerkschaft ver.di verweist auf seiner Homepage auf die Demonstrationen am 07. November 2016 (ver.di, o. J.-a) und unterstützt zeitgleich die Demonstration der Lebenshilfe. Da auf der Caritas-ver.di-Homepage darauf hingewiesen wird, kann davon ausgegangen werden, dass auch die Caritas als Wohlfahrtsverband die Demonstration unterstützt (s. Caritas-ver.di, 2016). Nach Aussage von ver.di nehmen bundesweit rund 7.000 Menschen an den verschiedenen Demonstrationen teil, um gegen die geplanten Änderungen des Gesetzes vorzugehen (ver.di, o. J.-a). Die Sachverständigen-Anhörung Am 07. November nimmt der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) an der Sachverständigen-Anhörung teil und wird zu Arbeitnehmer*innen relevanten Thematiken befragt. Im Rahmen dessen betont der DGB, dass das bis dahin bestehende Recht von Schwerbehindertenvertretungen zu überarbeiten sei. Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben sollten in Zukunft bei Entscheidungen, beispielsweise bei Kündigungen von Mitarbeitenden nicht länger übergangen werden, sondern miteinbezogen werden. Falls Entscheidungen ohne sie getroffen werden, sei es wichtig, dass sie aus ihrer Position heraus



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)257

die Möglichkeit haben, die bereits entschiedenen Maßnahmen wieder rückgängig zu machen (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1539). Der DGB erhält auch die Möglichkeit, sich zum Budget für Arbeit zu äußern. Dabei wird zunächst gefragt, ob es von Seiten der Gewerkschaft sinnvoll sei, das Budget für Arbeit erst zu gewähren, wenn man den Berufsbildungsbereich einer Werkstatt durchlaufen hat. Diese Regelung wird vom DGB abgelehnt, da es sich beim Budget für Arbeit um ein Element der Eingliederung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt handelt und daher getrennt von der Werkstatt betrachtet werden sollte (ebd., S. 1546). Am 1. Dezember wird das Gesetz von den Regierungsfraktionen im Bundestag – inklusive 68 Änderungen – beschlossen, zwei Wochen später stimmt auch der Bundesrat dem Gesetz zu. Am 29. Dezember 2016 wird das Gesetz im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht (BMAS, o. J.). a) Zusammenfassung Sozialpartner Die Gewerkschaften ver.di und der DGB sind im Rahmen dieser Reformphase aktiv: Neben der informellen Kommunikation, durch das Veröffentlichen eigener Stellungnahmen und dem Beibehalt des Verbändebündnisses, wird auch die formelle Kommunikation als Lobbyformat ermöglicht, indem der DGB im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung anwesend ist. Der Forderungsblickwinkel der Gewerkschaften erweitert sich in dieser Reformphase, indem verschiedene Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung thematisiert und Änderungen kritisiert werden (z. B. leistungsberechtigter Personenkreis, das Wunsch- und Wahlrecht). Sie blicken gleichzeitig mit einer Lupe auf Themen, die Arbeitnehmer*innen mit und ohne Behinderung angehen (z. B. indirekt Einkommen- und Vermögen, direkt Budget für Arbeit und Wettbewerbsklausel). Nachfolgend werden die Forderungen und Erwartungen der Sozialpartner in Tabelle 17 aufgeführt:

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Tabelle 17 Forderungen und Erwartungen der Sozialpartner Mitte/Ende 2016

Sozialpartner (Auswahl) Verbesserung der Mitentscheidungsmöglichkeiten von Schwerbehindertenvertretungen Erhöhung der Ausgleichsabgabe Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung Überdenken der Wettbewerbsklausel Quelle: Eigene Darstellung

4. Kommunale Spitzenverbände und Länder Gegen Ende September 2016 wird das Gesetz zum einen im Bundestag durch die erste Lesung eingebracht und zum anderen im Bundesrat beraten (BMAS, o. J.). Im Rahmen einer Stellungnahme des Bundesrates vom 12. Oktober 2016, wird vermehrt auf die Ausgabendynamik und die Finanzierung des BTHG hingewiesen: Der Bundesrat nimmt im vorliegenden Gesetzesentwurf verbesserte Rahmenbedingungen der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung wahr. Begrüßt wird beispielsweise das Budget für Arbeit und die Unterscheidung zwischen ambulanten und stationären Leistungen. Diese Punkte gehören zu Kernforderungen der Länder. Bemängelt wird allerdings die finanzielle Planung des BTHG, da ursprünglich von Seiten des Bundes versprochen wurde, die Kommunen zukünftig zu entlasten und keine zusätzliche Ausgabendynamik entstehen zu lassen. Allerdings, so der Bundesrat, seien „diese Ziele […] mit dem vorliegenden Gesetzentwurf klar verfehlt“ (Deutscher Bundestag Drucksache 18/9954, 2016, S. 1) worden. Der Bundesrat stellt zusammenfassend fest, dass der Gesetzesentwurf keine finanzielle Entlastung, sondern vielmehr eine neue Belastung der Länder und Kommunen anstößt. Daher fordert der Bundesrat die Bundesregierung auf, beispielsweise die Auswirkungen der Finanzen zu evaluieren und eine Kostenübernahme durch den Bund, durch entstehende Mehrkosten für Kommunen und Länder, vorzusehen. Anschließend geht der Bundesrat auf einzelne Artikel des BTHG ein, bittet um Prüfung dieser und führt Begründungen auf. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung beispielsweise zu prüfen, ob die Regelung zum leistungsberechtigten Personenkreis durch das BTHG einschränkend ist. Wichtig sei, dass eine Evaluation dessen von Seiten der Bundes­ regierung erfolgt und eine Anpassung der Regelungen vorgenommen wird, falls Menschen aus dem Leistungssystem herausfallen sollten (ebd., S. 21–22).



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)259

In einzelnen Begründungen bezieht sich der Bundesrat zum Teil auf die UNBRK, wiederholend wird allerdings auf die Kosten verwiesen (ebd., S. 3–57). Die Sachverständigen-Anhörung Im Rahmen der öffentlichen Anhörung am 07. November 2016 nehmen auch die kommunalen Spitzenverbände als Sachverständige teil und äußern sich zu einzelnen Fragen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) wird aufgefordert, ihre Meinung zum leistungsberechtigten Personenkreis zu teilen. Erläutert wird, dass sich der neue Personenkreis an der ICF orientiere. Nach einer internen Prüfung sieht die BAGüS lediglich eine Gefahr darin, dass Menschen mit Sinnesbehinderungen aus dem leistungsberechtigten Personenkreis herausfallen könnten. Hier sollte eine Ermessensnorm für Träger im Gesetz eingeführt werden, um diese Problematik zu umgehen (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1533). Der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund werden aufgefordert, positive Entwicklung durch das BTHG zu benennen. Ihrer Einschätzung nach ist das ‚Poolen‘ von Leistungen in einzelnen Lebensbereichen (Assistenz und Bildung) angemessen und eine gute Maßnahme, um wirtschaftlich Leistungen zu erbringen. Zudem stehe die gemeinsame Erbringung von Leistungen nach dem BTHG unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit und Angemessenheit. Auch die Trennung von Fachleistungen der EGH vom Lebensunterhalt sei positiv, ebenso wie das gesetzliche Prüfrecht für Leistungsträger. Diese positiven kleineren Punkte könnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es größere finanzielle Kritikpunkte von Seiten des Deutschen Landkreistages und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund gebe (ebd., S. 1531, 1539). Es wird, gerade mit Blick auf die Äußerungen der zuletzt genannten Akteur*innen, deutlich, dass erneut die Ausgabendynamik im Fokus steht. Auch die Stellungnahme des Bundesrates befasst sich mit der Finanzierung des BTHG. Wie bereits in anderen Kapiteln beschrieben, nehmen auch die Interviewpersonen die Eindämmung der Kostendynamik als zentrales Ziel der kommunalen Spitzenverbände und der Länder wahr (s. Interview 1, 3, 5, 6, 7, 8, 10, 12, 13), an die sie bis zuletzt festhalten. Die beiden hier beschriebenen Akteur*innen werden als einflussreich und machtvoll beschrieben (s. Interview 1, 2, 5, 6, 7, 8, 9, 11, 12, 15). Zum einen, da die Länder in ihrer Funktion im Bundesrat dem Gesetz zustimmen müssen. Daher versucht die Bundesregierung, auf ihre Forderungen rücksicht zu nehmen. Zum anderen haben die kommunalen Spitzenverbände Einfluss auf die Länder, da diese Gelder zur Verfügung stellen müssen (Interview 8, Zeile 621–629). Daher

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

haben sie eine Machtposition inne und können einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen (s. Interview 6, 7, 8, 10): „aber natürlich hat die Seite dann einfach auch eine andere Machtposition, als wir [DBR-angehöriger Verband] die haben. So. Und […] das ist das Spiel, […] und das finde ich, merkt man aber ein Stück weit auch, würde ich sagen, dass es da Verzahnungen gibt“ (Interview 8, Zeile 629–632). Im Zitat wird ein Machtgefälle zwischen Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung auf der einen Seite und den kommunalen Spitzenverbänden/Ländern auf der anderen Seite deutlich. Im Vorfeld zur Plenarsitzung im Bundesrat am 16. Dezember 2016 findet die zweite und dritte Lesung der Regierungsfraktionen im Bundestag statt. Das Gesetz wird im Rahmen dessen mit einer hohen Anzahl von Änderungen beschlossen (BMAS, o. J.). Insgesamt tragen sechs Ländervertreter*innen im Rahmen der Bundesrat-Sitzung am 16. Dezember 2016 ihre Einschätzung zum BTHG vor. Fünf Vertreter*innen sind der Meinung, dass die Länder den BTHG-Prozess zum einen durch die ASMK-Diskussionen angestoßen haben, also die „Initialzündung“ (Plenarprotokoll 952, 2016, S. 509) gegeben haben. Zum anderen betonen sie, dass sie am Ende des Entscheidungsprozesses intensiv die Entwicklung der Reform mit beeinflusst haben. So wird beispielsweise von den Ländern Niedersachen und Rheinland-Pfalz betont, dass die modellhafte Überprüfung des leistungsberechtigten Personenkreises auf den Vorschlag der Länder zurückgehe (ebd., S. 508 u. 509). Die Interessen der Menschen mit Behinderung seien durch den von ihnen ausgelösten Druck (vermutlich sind damit die Proteste und Aktionen gemeint) veranschaulicht worden. Veränderungen, die auf die Interessenverbände zurückgehen, sind nach Einschätzung vom Bundesland Thüringen das Arbeitsförderungsgeld für Werkstattbeschäftigte, einzelne Leistungen zur Bildung und die zeitliche Verschiebung von geplanten Änderungen, wie die fünf-aus-neun-Regelung (leistungsberechtigter Personenkreis: Die Länder nehmen somit die Anstrengungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung wahr.). Einzelne Ländervertreter*innen loben das neue Gesetz (z. B. Bayern, NRW, Rheinland-Pfalz), während andere dem BTHG kritisch gegenüberstehen, wie Baden-Württemberg und Thüringen. Skeptisch zeigt sich auch das Bundesland Niedersachsen, indem die Ländervertretung das Für und Wider des Gesetzes aufführt (ebd., S. 508). Der Bundesrat stimmt dem Gesetz im Rahmen der Sitzung zu (BMAS, o. J.). Am gleichen Tag veröffentlicht der Bundesrat seinen Beschluss zum BTHG und stimmt dem Gesetz nun auch schriftlich zu. Im Zuge dessen wird begrüßt, dass die finanzpolitischen Forderungen, die der Bundesrat in seiner Stellungnahme formuliert hat, nachgebessert wurden. Positiv wird auch die Evaluation des Behinderungsbegriffs (bis 2022) und die der Einnahmen- und Ausnahmenentwicklung (2017 bis 2021) wahrgenommen (Bundesrat Drucksache 711/16, 2016, S. 1–2).



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)261

Die zentralen neuen Leistungen des BTHG umfassen nach Einschätzung des Bundesrates: – eine Verbesserung der Einkommens- und Vermögensanrechnung für die Betroffenen, – neue Leistungskataloge im Bereich Teilhabe an Bildung und soziale Teilhabe, – neue Inhalte der Teilhabe am Arbeitsleben, wie das Budget für Arbeit und andere Leistungsanbieter sowie Frauenbeauftragte in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, – eine „Trennung der Fachleistungen der Eingliederungshilfe von den Leistungen zum Lebensunterhalt“ (ebd., S. 1), – das trägerübergreifende Teilhabeplanverfahren (ebd.). Abschließend wird der Bund dazu aufgefordert, anfallende Kostensteigerungen der Länder/kommunalen Ebene rückwirkend, vollständig und dauerhaft zu übernehmen (ebd., S. 2). Zwei Wochen später wird das Gesetz im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht (BMAS, o. J.). a) Zusammenfassung Kommunale Spitzenverbände und Länder Den kommunalen Spitzenverbänden und den Ländern wird im Rahmen des Reformprozesses eine machtvolle Position nachgesagt. Begründet wird dies damit, dass es sich bei dem BTHG um ein zustimmungspflichtiges Gesetz handelt und somit die Länder durch den Bundesrat dem Gesetz zustimmen müssen. Da die Länder auch von den kommunalen Spitzenverbänden abhängig sind, ist es von Relevanz, dass diese ebenfalls Inhalte ihrer Forderungen im Gesetz wieder finden können. Zentrales Ziel der beiden Akteur*innen ist es, die immer weiter steigende Ausgabendynamik zu bremsen und keine neue Ausgabendynamik zu schaffen. Die Länder nehmen im Rahmen der Bundesratssitzung verbal die Interessen der Menschen mit Behinderung wahr und führen einzelne gesetzliche Änderungen auf ihre Anstrengungen zurück. Forderungen der hier betrachteten Akteur*innen werden in der folgenden Tabelle 18 dargestellt:

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Tabelle 18 Forderungen und Erwartungen der kommunalen Spitzenverbände und der Länder Mitte/Ende 2016

Kommunale Spitzenverbände und Länder (Auswahl) Kommunale Spitzenverbände: Keine neue Ausgabendynamik Länder: modellhafte Überprüfung des leistungsberechtigten Personenkreises, keine neue Ausgabendynamik Quelle: Eigene Darstellung

5. Entscheidungsträger*innen und Opposition Im nachfolgenden Teilkapitel werden die Interessen der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung von Bund und Ländern sowie von den Entscheidungsträger*innen und der Opposition dargestellt. In dieser Phase liegen vielzählige Redebeiträge der Politiker*innen vor, da das Gesetz abschließend auf den Weg gebracht wird. Beauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung (Bundes- und Länderebene) Die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung fordert gemeinsam mit ihren Kolleg*innen in Bund und Ländern am 11. Oktober 2016 die Bundesregierung dazu auf, das Bundesteilhabegesetz nachzubessern. Damit reagieren sie auf den Regierungsentwurf. Zunächst werden positive Entwicklungen des BTHG hervorgehoben, wozu das Budget für Arbeit, die Trennung von existenzsichernden und Fachleistungen sowie die unabhängige Beratung zählen. Allerdings sehen die Beauftragten von Bund und Ländern keine konsequente Umsetzung der UN-BRK im Gesetzesentwurf und fordern die Bundesregierung auf, das geplante BTHG zu überarbeiten. Besonders wichtig sind den Beauftragten u. a. folgende Belange: – Der leistungsberechtigte Personenkreis darf mit der Umstellung auf die ICF nicht eingeschränkt werden. – Menschen mit Behinderung haben das Recht, die Wohnform und den Wohnort frei zu wählen (Wunsch- und Wahlrecht). – Die Einkommens- und Vermögensanrechnung erfordert noch eine weitere Freistellung für Menschen mit Behinderung. – ‚Hilfen wie aus einer Hand‘ sollten im ersten Teil des SGB IX in den Verfahrensregeln festgehalten und ermöglicht werden (Die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, 2016, S. 2–4).



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)263

Entscheidungsträger*innen und Opposition Am 12. Dezember 2016 erfolgt eine Gegenäußerung der Bundesregierung auf die in Teilkapitel E.VI.4. dargestellte Stellungnahme des Bundesrates. Die Bundesregierung sieht im BTHG, wie auch der Bundesrat, eine Verbesserung von Teilhabe und Selbstbestimmung. Allerdings widerspricht die Bundesregierung den Aussagen des Bundesrates, dass eine neue Ausgabendynamik durch das Gesetz entstehe und spricht sich gegen den Vorschlag des Bundesrates aus, dass der Bund verursachte Mehrausgaben dauerhaft für Länder und Kommunen übernimmt. Über die vorgeschlagene Norm der Evaluation über die finanziellen Auswirkungen werde nachgedacht sowie auch über die Verschiebung einzelner Regelungen zum Inkrafttreten (Deutscher Bundestag Drucksache 18/9954, 2016, S. 58–59). Die Regelung des leistungsberechtigten Personenkreises möchte die Bundesregierung beispielsweise prüfen und ggf. deutlicher machen, dass der Personenkreis nicht eingeschränkt werden wird. Vielen Vorschlägen des Bundesrates folgt die Bundesregierung allerdings nicht, einzelne möchte sie (wie die Regelung zum leistungsberechtigten Personenkreis) prüfen, anderen – vereinzelten – stimmt sie zu (ebd., S. 58–78). Rund eine Woche später, übermittelt die Bunderegierung die Unterrichtung zum BTHG an den Bundestag (Deutscher Bundestag Drucksache 18/10102, 2016). Am 18. Oktober 2016 stellt die Bundestagsfraktion die LINKE einen Antrag an die Bundesregierung, mit der Aufforderung, den Gesetzesentwurf nachzubessern. Im Rahmen dessen wird sich wiederholend auf einzelne Forderungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung bezogen. Eingangs kritisiert die Bundestagsfraktion, dass der Gesetzesentwurf die Kernforderungen des Verbändezusammenschlusses (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016) missachte. Es wird darauf verwiesen, dass sich zum Zeitpunkt des Antrages insgesamt 140 Verbände und Organisationen angeschlossen haben (Antrag der Fraktion LINKE, Drucksache 18/10014, 2016, S. 1). Wie auch die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung bezieht und beruft sich die Bundestagsfraktion wiederkehrend auf die Umsetzung der UN-BRK. Im Rahmen der Sachverständigen-Anhörung am 07. November 2016 stellen die verschiedenen Parteien (Große Koalition und Opposition) Fragen an unterschiedliche Sachverständige. In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits der Inhalt aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt. An dieser Stelle soll sich stattdessen darauf konzentriert werden, wen die jeweiligen Parteien bitten, Stellung zu nehmen. Die CDU/CSU bittet beispielsweise besonders häufig den Deutschen Caritasverband (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1530, 1532, 1539, 1544) zu Wort. Die Beitragsaufforderung der Caritas als katholischer Träger

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

könnte auf die ideologisch-weltanschauliche Einstellung der CDU/CSU zurückgehen, da diese u. a. sozial-katholische Wurzeln hat (Decker, 2021, o. S.). Die CDU/CSU könnte sich aufgrund ihrer gemeinsamen christlichen Werte erhoffen, dass ähnliche Auffassungen geteilt werden. Seltener bittet die CDU/ CSU beispielsweise unabhängige Sachverständige um ihre Meinung (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1536). Die SPD wiederum fordert mehrmals die Bundesvereinigung der Lebenshilfe (ebd., S. 1533, 1534, 1540, 1546) auf sowie den DGB (ebd., S. 1539, 1546, 1549). Den Bundesvorsitz der Lebenshilfe hat Ulla Schmidt inne – eine Politikerin der SPD – daher verwundert es nicht, dass die Lebenshilfe häufig um ihre Meinung gebeten wird. Aus der historischen Entwicklung heraus sind sich zudem Gewerkschaften und die SPD nahe (Schroe­ der, 2008, S. 231), sodass die Partei wahrscheinlich daher den DGB vermehrt befragt. Die Opposition bittet eher selten die Wohlfahrtsverbände um ihre Meinung (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1548, 1549) und stattdessen, häufiger unabhängige Sachverständige: So fordert die Bundestagsfraktion die LINKE die unabhängige Sachverständige Nancy Poser zwei Mal auf, ihre Meinung zu äußern (ebd., S. 1539) – sie wurde eingeladen von der LINKEN (Krauthausen, o. J., o. S.) – sowie auch die Monitoring-Stelle der UN-Behindertenrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte (Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016, S. 1541, 1547, 1548) und den DGB (ebd., S. 1548, 1549). Da die LINKE, wie bereits mehrfach dargestellt, mit der Umsetzung der UN-BRK argumentiert (wie auch die Monitoringstelle) und die ‚Kernforderungen‘ (Mitinitiator DGB) in anderen Reden von ihr bedacht werden, könnten dies eine Erklärung dafür darstellen, warum die Opposi­ tionspartei die jeweiligen Sachverständigen zu Wortbeiträgen auffordert. Bündnis 90/Die GRÜNEN fordern mehrmals Horst Frehe als unabhängigen Sachverständigen auf (ebd., S. 1536, 1542) – Mitglied von Bündnis 90/Die GRÜNEN – sowie Dr. Tolmein (ebd., S. 1536, 1542, 1549, 1550). Sowohl die Opposition als auch die Große Koalition thematisieren im Rahmen ihrer Fragen besonders häufig das Wunsch- und Wahlrecht, den leistungsberechtigten Personenkreis, die Schnittstelle zwischen EGH und Pflege sowie das Einkommen- und Vermögen und die Teilhabe am Arbeitsleben – die Parteien der Großen Koalition versuchen dabei besonders die positiven Aspekte hervorzuheben, die Opposition wiederum zeigt durch ihre Fragen Lücken und Unstimmigkeiten im neuen Recht auf (z. B. ebd., S. 1530, 1533, 1534, 1539, 1541, 1542, 1544, 1546, 1548). Im Anschluss und als Reaktion auf die Sachverständigen-Anhörung am 07. November 2016 veröffentlicht die SPD eine Pressemitteilung, in der sie



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)265

auf die kontroverse Diskussion der Verbändeanhörung verweist. Nach Einschätzung der SPD bringt das BTHG in einzelnen Bereichen bereits Verbesserungen mit sich, trotz allem sieht die Bundestagsfraktion einzelne Verbesserungsbedarfe, die durch die Anhörung deutlich geworden sind (z. B. die selbstbestimmte Wahl vom Wohnort, den Katalog für Teilhabeleistungen an Bildung und die Zugangskriterien zur EGH; SPD Bundestagsfraktion, 2016b). Am 30. November 2016 veröffentlichen die Bundestagsfraktionen CDU/ CSU und SPD einen Entschließungsantrag zur dritten Beratung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung. Im Rahmen dessen wird aufgeführt, dass sich der Entwurf zum BTHG an der UN-BRK „orientiert“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10528, 2016, S. 1): es wird deutlich, dass die Konvention nicht in ihrer Gänze umgesetzt wird. Es wird wahrgenommen, dass das neue Gesetz (hier bezeichnet als „Systemwechsel“; ebd., S. 2) zu Unsicherheiten auf Seiten der Betroffenen, den Leistungserbringern und -trägern führe. Daher werde es verschiedene modellhafte Erprobungen wichtiger Neuregelungen der EGH geben (ebd.). Damit reagiert die Bundestagsfraktion auf die Kritik der Interessenverbände. Beispielsweise soll die reformierte Eingliederungshilfe, noch vor Inkrafttreten in ihrer Auswirkung erprobt werden. Dazu gehört z. B. die Erprobung der Assistenzleistung für ehrenamtlich tätige Menschen mit Behinderung, das Wunsch- und Wahlrecht sowie die gemeinsame Inanspruchnahme von Leistungen. Virtuell sollen ausgewählte „Modellträger“ (ebd.) die Änderungen testen. Diese Modellträger sollen wissenschaftlich unterstützt und begleitet werden. Auch der leistungsberechtigte Personenkreis soll wissenschaftlich untersucht werden. Dabei steht im Zentrum, ob der zurzeit bestehende Personenkreis beibehalten wird oder, wie von Wohlfahrts- und Interessenverbandsseite befürchtet, eingeschränkt wird. Des Weiteren wird eine Untersuchung über die finanzielle Belastung von Ländern und Gemeinden initiiert, um zu überprüfen, ob es zu einer finanziellen Mehrbelastung kommt. Damit wird dem Vorschlag des Bundesrates (s. oben) gefolgt. Ein weiteres Modellvorhaben stellt sich der Problematik der Stärkung der Rehabilitation. Da immer mehr Menschen von psychischen Erkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen betroffen sind und die Fallzahlen und Kosten der Sozialleistungssysteme steigen, möchte der Bundestag im Zuge des Modellvorhabens „die sozialrechtlichen Grundprinzipien ‚Prävention vor Rehabilitation‘ und ‚Rehabilitation vor Rente‘ mit spezifischen Unterstützungsangeboten […] stärken und auf diese Weise Zugängen in die Erwerbsminderungsrente und in die Eingliederungshilfe frühzeitig vorbeugen“ (ebd., S. 5). Auch der Haushaltsausschuss veröffentlicht am 30. November einen Bericht. Darin wird eingangs betont, dass verschiedene Stellungnahmen von Interessenverbänden und den Ländern dazu geführt haben, dass die Koalitionsfraktionen Änderungsanträge gestellt haben. Über diese Anträge wird im

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Rahmen der zweiten und dritten Lesung im Bundestag entschieden. Die Änderungsanträge umfassen die Themen: •• „Leistungszugang in die Eingliederungshilfe •• Schnittstelle Eingliederungshilfe/Pflege •• Regelung zum Thema ‚Poolen‘ •• Stärkung des Wunsch- und Wahlrechts •• Sicherstellung eines auskömmlichen Geldbetrags bei den Leistungen zum Lebensunterhalt •• Altersgrenzen in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen •• Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen“ (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10526, 2016, S. 1) •• sowie eine Modellphase vor Inkrafttreten der Reform und einer begleitenden Finanzuntersuchung (ebd.). Die Modellphase, inklusive einer wissenschaftlichen Untersuchung, führe zu Mehrkosten, welche bereits zum Teil im Bundeshaushalt für das kommende Jahr eingestellt seien. Einzelne Leistungsverbesserungen sind nach Einschätzung des Haushaltsausschusses ebenfalls mit Mehrkosten verbunden, welche zu Teilen von Bund und Ländern übernommen werden (ebd., S. 2). Am gleichen Tag werden auch die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales veröffentlicht (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10523, 2016). Dieser Bericht dient dem Bundestag dazu, eine abschließende Entscheidung über das Gesetz zu treffen (Deutscher Bundestag, o. J.-b). Zusammenfassend wird – mit Blick auf das BTHG – aufgeführt, welche Struktur das neue Gesetz in Zukunft haben wird. Beschlossene Änderungen umfassen beispielsweise den Leistungszugang, die Schnittstelle der EGH und Pflege, Hilfe zur Pflege sowie die gemeinsame Leistungserbringung (Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10523, 2016, S. 3–4). Die Anträge der beiden Oppositionsparteien werden im Zuge des Papers abgelehnt. Das von verschiedenen Akteur*innen geforderte Bundesteilhabegeld wird nun ebenso abschließend von der Bundesregierung abgelehnt. Dieses sei nach Einschätzung der Bundesregierung „wenig zielgenau, würde den Kreis der Anspruchsberechtigten gegenüber denjenigen in der Eingliederungshilfe deutlich erhöhen“ (ebd., S. 5) und somit zu „erheblichen Mitnahmeeffekten führen und den Bund mit mindestens 1 Mrd. Euro zusätzlichen Aufwendungen belasten“ (ebd.). Die Blickwinkel der Oppositionsparteien werden ebenfalls aufgeführt: Die LINKE erkennt zwar die Aufhebung einzelner Kritikpunkte der Interessenverbände und Organisationen durch die Änderungsanträge an, diese aber gehen nach Einschätzung der Partei nicht weit genug. Lücken sieht die LINKE



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)267

beispielsweise mit Blick auf Artikel 19 der UN-BRK (Selbstbestimmt Leben und Einbeziehung in die Gemeinschaft). Auch hier wird der verbands- und menschenrechtsbasierte Blick der Partei deutlich. Das Bündnis 90/Die GRÜNEN sieht einzelne Verschlechterungen als zunächst verhindert an, indem beispielsweise der leistungsberechtigte Personenkreis modellhaft erprobt wird (ebd., S. 55). Der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Haushaltsausschusses wird gefolgt, nachdem die CDU/CSU und SPD dem Entwurf zustimmten, die LINKEN ablehnen und die GRÜNEN sich enthalten (Deutscher Bundestag, o. J.-c). Am 01. Dezember 2016 findet die zweite/dritte Lesung des Bundesteilhabegesetzes im Bundestag statt. Im Rahmen dessen zeigen die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD verschiedene Verbesserungen und Fortschritte auf, die das Gesetz mit sich bringt. Wiederholend wird das Gesetz als ein „Meilenstein“ (Plenarprotokoll 18/206, 2016, S. 20490, 20498) oder als ein „Wendepunkt der Behindertenpolitik“ (ebd., S. 20504), als ‚großer Schritt‘ sowie als ein Paradigmen- und Perspektivwechsel (ebd., S. 20497, 20507 u. 20509) beschrieben und somit positiv konnotiert. Die Opposition spricht wiederum von einer negativ belegten „Großbaustelle“ (ebd., S. 20491 u. 20503) statt eines Meilensteins und von „kleine[n] Schritte[n] in Richtung Teilhabe“ (ebd., S. 20494). Von Seiten der LINKEN wird kritisiert, dass die Kostendynamik vor den Menschenrechten stehe (ebd.). Verschiedene Politiker*innen nehmen die intensiven Rückmeldungen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung wahr. Begonnen mit dem vorgelagerten Beteiligungsprozess, über die zahlreichen Stellungnahmen und vielseitigen Proteste und Aktionen. Andrea Nahles (als Leitung des BMAS) spricht von einer vorbildlichen „Beteiligungskultur“ (ebd., S. 20409), die CDU/CSU nimmt einen Beteiligungsprozess wahr, der „gekennzeichnet [ist] von Transparenz und Mitbestimmung“ (ebd., S. 20507). Die GRÜNEN haben im Zuge der AG BTHG eine Hoffnung auf Fortschritt von Seiten der Betroffenen und einer anschließenden Enttäuschung dieser wahrgenommen. Denn mit der Einbindung in die AG wurden Erwartungen auf Verbesserungen geweckt, die nun nicht umgesetzt werden (ebd., S. 20494 u. 20495). Die CDU/CSU, die LINKEN und GRÜNEN führen die hohe Anzahl der Änderungsanträge auf die Proteste der Menschen mit Behinderung zurück (ebd., z. B. S. 20498, 20500, 20507) – die Opposition sieht darin einen Beweis, dass die Gesetzesentwürfe nicht gut durchdacht waren (ebd., S. 20489, 20500). Zu ähnlichen Einschätzungen kommen auch einzelne Interview­ partner*innen. Auch sie sehen einen Zusammenhang zwischen dem Lobbying (durch Proteste, Aktionen, direkte Ansprache von Mitarbeitenden des Ministeriums und Politiker*innen) bzw. der Anwendung einzelner Machtres-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

sourcen (institutionelle Macht durch Kontakt zur Politik und Ministerium; Organisationsmacht durch Mitgliederpartizipation) der Interessenverbände und der hohen Anzahl der Änderungsanträge (s. Interview 2, 3, 6, 7, 9, 10). Die Interessenverbände haben durch ihr Vorgehen eine Reaktion auf Seiten der Regierung ausgelöst. Dazu berichtet Interviewperson 6: „und die [Interessenverbände] haben dann schon auf ihre Weise versucht, […] den Gesetzentwurf, den es gegeben hat, mit ihren Kampagnen-Möglichkeiten noch mal extrem zu beeinflussen. Und was ja am Ende rausgekommen ist, dass der Gesetzentwurf noch mal, ich glaube, 68 Änderungsanträge gekriegt hat, das hat es glaube ich so oft noch nicht gegeben“ (Interview 6, Zeile 594–600). Die hohe Anzahl der Änderungsanträge belege, dass das Gesetz „technisch schlecht“ (Interview 1, Zeile 921–922) gewesen sei. Mit insgesamt 68 Änderungen wird der Gesetzesentwurf von den Regierungsfraktionen am 1. Dezember 2016 beschlossen (BMAS, o. J.). Im Rahmen dieser Sitzung 16. Dezember 2016 stimmt der Bundesrat dem Gesetz in zweiten Durchgang zu (BMAS, o. J.). Rund zwei Wochen später wird das Gesetz im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht (s. Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz – BTHG), 2016). a) Zusammenfassung Entscheidungsträger*innen und Opposition Das Kapitel zeigt die verschiedenen Blickwinkel der Politiker*innen auf, die in diesem Zeitraum durch das parlamentarische Verfahren ihre Meinungen im Rahmen von Plenardebatten deutlich äußern können. Die Oppositionsparteien sowie auch die Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderung aus Bund und Ländern argumentieren wiederholend mit der Verpflichtung, die UN-BRK im deutschen Recht umzusetzen. Darüber hinaus führt die Opposition vermehrt Forderungen der Menschen mit Behinderung auf und bringt damit die Erwartungen der Betroffenen mit in das Verfahren ein. Sie sind Fürsprecher*innen der Forderungen von Menschen mit Behinderung. Während die Opposition negative Entwicklungen aufführt und die damit einhergehenden Einschränkungen für Menschen mit Behinderung, nimmt die Große Koalition das Gesetz in Schutz und stellt positive Neuheiten dar. Dabei klammern sie einige problematische Themen aus, was besonders deutlich im Rahmen von Plenardebatten wird. Das Verhalten könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Große Koalition das Gesetz initiiert hat und somit für das Gesetz ‚wirbt‘. Lediglich die SPD äußert sich im Rahmen einer Pressemitteilung dahingehend, dass noch einzelne Verbesserungsbedarfe nach der Verbändeanhörung wahrgenommen werden.



VI. Reformphase 4 (Spätsommer 2016 bis Ende 2016)269

Einzelne Forderungen der Akteur*innen werden in der folgenden Tabelle 19 festgehalten: Tabelle 19 Forderungen der Entscheidungsträger*innen und Opposition Mitte/Ende 2016 Entscheidungsträger*innen und Opposition (Auswahl) Politik: SPD: Wunsch- und Wahlrecht (Wohnort) sowie Zugangskriterien zur EGH ­(leistungsberechtigter Personenkreis) überdenken LINKE: Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen, Definition des ­Behinderungsbegriffes überdenken, leistungsberechtigten Personenkreis nicht ­einschränken, EGH vor Pflege, Wunsch- und Wahlrecht verbessern GRÜNE: Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen, ‚Zwangspoolen‘ verhindern Beauftragte von Bund und Ländern: leistungsberechtigten Personenkreis nicht ­einschränken, Wunsch- und Wahlrecht verbessern, Einkommens- und Vermögensanrechnung abschaffen Quelle: Eigene Darstellung

Einzelne Interviewpartner*innen wie auch verschiedene politische Akteur*innen (s. Plenarprotokolle) nehmen die Proteste und Aktionen von den Interessenverbänden wahr und sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen diesen. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass durch das intensive Lobbying von Seiten der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung Einflussmöglichkeiten auf die politische Entscheidung wahrgenommen werden. Die vielseitigen Proteste haben eine Wirkung gezeigt. 6. Zusammenfassung Reformphase 4 Mit Hilfe der Änderungsanträge werden Lösungen für die vielerseits dargestellten bzw. artikulierten Probleme gefunden. In dieser Phase übernehmen das Parlament und die Regierung die Zuständigkeit. Daher kann auch diese Reformphase der Politikformulierungsphase des Policy-Cycles zugeordnet werden (Blum/Schubert, 2017, S. 176–179). Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung zentrieren in dieser Reformphase ihre Forderungen. Sie halten an ihrer Normorientierung nach Nullmeier und Kuhlmann (2022) fest, indem sie weiterhin mit Hilfe von menschenrechtlichen Aspekten argumentieren. Ihre Forderungen äußern sie schriftlich, mündlich und im Zuge von Demonstrationen. Durch diese

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

Vielfalt, aber gerade durch die Vielzahl der Demonstrationen und Aktionen, nutzen sie ihre ‚Kompetenz (den Prozess) zu stören‘. Das Stören der Gesellschaft und der Politik und das damit verbundene sichtbar sein, haben dazu geführt, dass die Bundesregierung auf einzelne Forderungen der Interessenverbände eingegangen ist. Das Verbändebündnis der ‚Kernforderungen‘ wird beibehalten. Auch die Wohlfahrtsverbände werden aktiv und initiieren verschiedene Demonstrationen. Dadurch werden die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung indirekt unterstützt. Die Forderungen der Wohlfahrtsverbände ähneln denen der Verbände von Menschen mit Behinderung, sie argumentiert nun vermehrt mit der Umsetzung der UN-BRK. Nicht nur die Wohlfahrtsverbände ändern ihre Taktik bei den Forderungen, sondern auch die Sozialpartner (DGB, ver.di), indem sie nicht nur auf das Arbeitsleben, sondern auch auf andere Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung (z. B. leistungsberechtigter Personenkreis) blicken. Diese beiden stärkeren Akteur*innen unterstützen somit die Interessen der Menschen mit Behinderung. Die Oppositionsparteien sind Fürsprecher*innen für die Interessen von Menschen mit Behinderung, indem sie die Forderungen der Verbände in ihren Reden einbinden oder die menschenrechtliche Perspektive fokussieren. Die Große Koalition hingegen steht hinter ihren Änderungen in den Gesetzesentwürfen und hebt die Vorteile hervor – lediglich die SPD äußert gemäßigt Verbesserungsbedarfe. Die kommunalen Spitzenverbände und die Länder betonen weiterhin die Dringlichkeit, die Ausgabendynamik nicht weiter steigen zu lassen – und halten somit an ihrer kalkulatorischen Handlungsorientierung fest (ebd.).

VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017 Nachdem das Gesetz Ende 2016 verabschiedet wird, tritt es Anfang 2017 in Kraft. Die geplanten Policies werden somit schrittweise ins deutsche Recht implementiert und befinden sich daher nun in der Implementations- und Umsetzungsphase (Implementationsphase des Policy-Cycle; Knill/Tosun, 2015, S. 17). Nachfolgend werden Veränderungen, die das BTHG gesetzlich mit sich bringt, dargestellt. Anschließend werden wahrgenommene Verbesserungen und Verschlechterungen aus Sichtweise der Interviewpartner*innen dargestellt und Hinweisen aus Stellungnahmen gefolgt. Dabei erfolgt keine Unterteilung der verschiedenen Akteur*innen.



VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017271

1. Darstellung einzelner Veränderungen und die stufenweise Umsetzung des BTHG Wie bereits in Teilkapitel C.II.4. erwähnt, erfolgen die geplanten Änderungen des BTHG in vier Stufen. Diese werden vom 01. Januar 2017 bis 2023 umgesetzt (Lösekrug-Möller, o. J., S. 3). Im Folgenden sollen diese vier Stufen – und damit einhergehende Veränderungen – tabellarisch (Tabelle 20–23) dargestellt werden: Tabelle 20 Stufe 1 ab 2017 Stufe 1 2017 – das sogenannte Übergangsrecht tritt in Kraft (NITSA e. V., o. J.) Höhere Freibeträge bei Einkommen und Vermögen (1): Für das Erwerbseinkommen wurde der Freibetrag um rund 260 Euro monatlich und für das Barvermögen von 2.600 auf 27.600 Euro erhöht (BAR, 2017, S. 7; Aktion Mensch, 2017). Dies gilt auch für Menschen, die Hilfe zur Pflege erhalten (Lösekrug-Möller, o. J., S. 22). Öffentlicher Lohnzuschuss: Das Arbeitsförderungsgeld, für die Beschäftigten in WfbM, wurde von 26 Euro auf 52 Euro monatlich erhöht (Aktion Mensch, 2017). Mitwirkungsmöglichkeiten in WfbM: u. a.: Frauenbeauftragte können gewählt werden, Erhöhung der Anzahl der Mitglieder der Werkstatträte, Mitbestimmung bei wichtigen Angelegenheiten (Arbeitszeitbeginn o. ä.; Aktion Mensch, 2017; Lösekrug-Möller, o. J., S. 28). Ehrenamtliche Schwerbehindertenvertreter*innen: Die Rechte dieser wurde in Betrieben gestärkt (Aktion Mensch, 2017). Veränderungen Schwerbehindertenausweis: Es wird ein eigenes Kennzeichen für Taubblinde (TBI) eingeführt. Dies regelt die Unterstützungsleistungen für diese Personengruppe (Aktion Mensch, 2017; Meier, 2017). Quelle: Eigene Darstellung

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes Tabelle 21 Stufe 2 ab 2018

Stufe 2 2018 Kostenträger: Unterstützungsleistungen werden verpflichtend in Form des Persönlichen Budgets direkt an die Berechtigten ausgezahlt (bisher konnte das nur durch ein Antragsverfahren geschehen). „Das bedeutet: Eine Person, die Anspruch auf Unterstützungsleistungen hat, erhält dafür von den zuständigen Kostenträgern das Geld und kauft sich die Leistungen selbst (oder ggf. durch den Vormund) bei Anbietern ein“ ­(Aktion Mensch, 2017). Einkommen und Vermögen von Ehe-/Lebenspartner*innen: Bei der Bedarfsbeurteilung von Eingliederungshilfebeziehern wird das Einkommen und das Vermögen des jeweiligen Ehe- oder Lebenspartners nicht mehr herangezogen (Aktion Mensch, 2017; Meier, 2017). Quelle: Eigene Darstellung

Tabelle 22 Stufe 3 ab 2020 Stufe 3 2020 – Reform der Eingliederungshilfe tritt in Kraft (NITSA e. V., o. J.) Budget für Arbeit für Arbeitgeber*innen: Arbeitgeber*innen können aus dem Budget für Arbeit einen Lohnkostenzuschuss (bis zu 75 %) für die Beschäftigung einer Person mit Schwerbehinderung erhalten (Aktion Mensch, 2017). Herauslösung aus Eingliederungshilfe: Die Eingliederungshilfe wurde aus dem Fürsorgesystem des SGB XII (Sozialhilferecht) herausgelöst und ist somit als zweiter Teil in das „SGB IX-neu“ aufgenommen worden. Den Trägern der Eingliederungshilfe soll dies zu mehr Steuerungsmöglichkeiten verhelfen (BAR, 2017, S. 6). Höhere Freibeträge bei Einkommen und Vermögen (2): Die Barvermögensfreigrenze beträgt rund 50.000 Euro (BAR, 2017, S. 7). Quelle: Eigene Darstellung



VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017273 Tabelle 23 Stufe 4 ab 2023 Stufe 4 2023 Neugestaltung: Der Zugang zur Eingliederungshilfe wird neu gestaltet40 (§ 99 SGB IX) (BAR, 2017, S. 7).

Quelle: Eigene Darstellung

Die genaue Ausgestaltung des Gesetzes wird im Rahmen von Landesrahmenverträgen in den Bundesländern im Einzelnen ausgehandelt (Huppert, 2018, S. 11). 2. Ausgewählte gesetzliche Veränderungen durch das BTHG Da es einzelne Änderungen gibt, um die die verschiedenen Akteur*innen gerungen haben, wird im Folgenden eine Auswahl der zentralen Inhalte und Änderungen der Reform beschrieben. Der Behinderungsbegriff: Die bisherige Definition des Behinderungsbegriffs im Paragraf 2 SGB IX lautete bis Ende 2016: „Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht, wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist“.

Im Rahmen der Umsetzung des BTHG wird ein neuer Behinderungsbegriff eingeführt (Beyerlein/Welti, 2020, S. 10) und im Sinne der UN-BRK beschrieben. Nach der UN-BRK entsteht eine Behinderung durch die Wechselwirkung zwischen dem jeweiligen Menschen mit seiner Beeinträchtigung und den jeweiligen Umwelt- sowie einstellungsbedingten Barrieren (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017a, S. 7). Die neue Definition in § 2 Abs. 1 SGB IX-neu lautet daher wie folgt: „Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungsund umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand 40  In welchem Umfang war zunächst noch unklar. Es erfolgte eine wissenschaftliche Erprobung, wie der Personenkreis der Leistungsberechtigten in Zukunft beschrieben wird (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 2).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist“.

Leistungen zur Eingliederung und zur Sicherung des Lebensunterhalts: Bis Ende 2016 waren die Leistungen von der jeweiligen Wohnform abhängig, dies änderte sich unter dem BTHG: •• Vollstationäre Einrichtungen: Die Leistungen sind umfassend und betreffen die Versorgung und Betreuung (Fachleistungen der Eingliederungshilfe sowie die existenzsichernden Leistungen zum Lebensunterhalt und des Wohnens) von Menschen mit Behinderung. An den auftretenden Kosten der existenzsichernden Leistungen beteiligt sich die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nur pauschal an den Kosten. „Ein Teil der existenzsichernden Leistungen wird als Barbetrag ausgezahlt“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017a, S. 6). •• Ambulanter Bereich: Aus der Sozialhilfe oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende werden hier die existenzsichernden Leistungen (inkl. Wohnen) erbracht. Für den jeweiligen behinderungsspezifischen Bedarf werden die Leistungen aus der Eingliederungshilfe gezahlt (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2017a, S. 6). Durch das BTHG wird die Unterscheidung von stationären und ambulanten Wohnformen umgestellt und ‚personenzentriert‘ ausgestaltet (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 1; Beyerlein/Welti, 2020, S. 11). D. h., dass auch Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen leben, seit 2020 sowohl den Regelsatz als auch die Kosten der Unterkunft direkt ausgezahlt erhalten. Davon soll der Lebensunterhalt bestritten werden sowie die Wohnkosten gezahlt werden. Die Kleiderpauschale und der Barbetrag entfallen im Zuge der Umstellung (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 2). Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben, bekommen nicht mehr die Regelbedarfsstufe 1, sondern „lediglich die Regelbedarfsstufe 2 (§ 8, Abs. 1, S. 2 Regelbedarfsermittlungsgesetz)“ (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 2). Es werden demnach statt 409 Euro (Stufe 1) nur noch 368 Euro (Stufe 2) ausgezahlt (§ 8 Abs. 1 und 2 RBEG). Einkommen und Vermögen: Menschen mit Behinderung durften bis Ende 2016 von ihrem Einkommen „nur den doppelten Sozialhilfesatz zzgl. Unterkunftskosten und [von] ihrem Vermögen nur 2.600 Euro behalten“ (SoVD, 2017). Das Einkommen des*der Partner*in wurde bisweilen ebenfalls herangezogen, so auch ihr*sein Vermögen (SoVD, 2017). Das wurde im Zuge der Reform geändert. Das Einkommen des*der Partner*in wird demnach nicht mehr herangezogen, ebenso auch nicht das Partner*innenvermögen (seit 2020). Die Vermögensfreigrenzen werden durch das SGB IX-neu für die



VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017275

Betroffenen angehoben: Der Freibetrag steigt von 2.600 Euro auf 25.000 Euro, „danach bleiben 150 % der jährlichen Bezugsgröße der Sozialversicherung, d. h. ca. 50.000 Euro, frei“ (SoVD, 2017). Neben der Eingliederungshilfe werden auch in Zukunft viele Menschen mit Behinderung existenzsichernde Leistungen erhalten. Die Vermögensfreigrenze der Grundsicherung (SGB XII) steigt von 2.600 Euro auf 5.000 Euro (SoVD, 2017). Eingliederungshilfe und Leistungen der Hilfe zur Pflege: Bis 2016 erhielten Menschen, die nach dem 67. Lebensjahr „erheblich behindert werden“ (Diakonie, 2017) sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung Zugang zu verschiedenen Leistungssystemen des SGB XI, IX und XII. Die Regelaltersgrenze soll von nun an als ‚Abgrenzungsmerkmal‘ der Leistungen zwischen Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe gelten (nach § 103 Abs. 2 SGB IX). Bei Personen, die nach dem 67. Lebensjahr eine erhebliche Behinderung aufweisen, „sind Fallkonstellationen vorstellbar, in denen die Leistungen der Pflegeversicherung und Hilfe zu Pflege […] eine fachgerechte Pflege gewährleisten“ (Diakonie, 2017) ermöglichen. Leistungsberechtigter Personenkreis: Im Regierungsentwurf § 99 Abs. 1 BTHG wurde aufgeführt: „Eine Einschränkung der Fähigkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft in erheblichem Maße liegt vor, wenn die Ausführung von Aktivitäten in mindestens fünf Lebensbereichen nach Absatz 2 nicht ohne personelle oder technische Unterstützung möglich oder in mindestens drei Lebensbereichen auch mit personeller oder technischer Unterstützung nicht möglich ist“.

Diese Regelung wurde bis 2018 einer Prüfung unterzogen, indem eine modellhafte Erprobung durchgeführt wurde (Paritätischer Gesamtverband, 2016h, S. 6). Auf Grundlage verschiedener Berechnungen ist das Forschungsteam zu dem Ergebnis gekommen, dass die Änderungen zu einer Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises führen würde (Deutscher Bundestag, Drucksache 19/4500, 2018, S. 89). Die Evaluierung des leistungsberechtigten Personenkreises gehört bereits zur Politikevaluierungsphase des Policy-Cycles (Blum/Schubert, 2017, S. 168–169). Auch hier wird deutlich, dass die Phasen des Cycles nicht trennscharf voneinander zu betrachten sind. Teilhabe-/Gesamtplanverfahren: Das neue Antragsverfahren umfasst auch die Teilhabe- und Gesamtplanung. Die Leistungen erfolgen ‚wie aus einer Hand‘. D. h. leistungsberechtigte Personen müssen lediglich einen Rehabilitationsantrag stellen, um Leistungen von unterschiedlichen Rehabilitationsträgern zu erhalten. Das Teilhabeplanverfahren (§ 19 SGB IX-neu) richtet sich nach den Vorschriften des Gesamtplanverfahrens (§§ 117 ff. SGB IXneu). Die Leistungen orientieren sich an dem Bedarf und den Wünschen der Betroffenen (Paritätischer Gesamtverband, o. J.).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

3. Wahrgenommene Verbesserungen und Verschlechterungen durch das Gesetz Gerade im Hinblick auf die durchgesetzten Interessen der Verbände ist es aufschlussreich, einen Einblick in die Diskussion über positive und negative Entwicklungen durch das BTHG zu geben. Einzelne Akteur*innen bezeichnen das BTHG als „behindertenpolitischen Meilenstein“ (Aktion Mensch, 2017), andere wiederum sehen das neue Gesetz weiterhin sehr kritisch (ebd.). Die Diakonie (2017) beschreibt ausführlich, welche positiven und negativen Entwicklungen es durch das BTHG gibt. Kritisch wird erklärt, dass zwar einzelne angedrohte Verschlechterungen abgeschwächt werden konnten, das BTHG aber „weit hinter den Anforderungen an eine UN-BRK konforme Ausgestaltung des Leistungsrechts zurück“ (Diakonie, 2017) bleibe. Nach Einschätzungen der Diakonie (2017), Aktion Mensch (2017) und dem SoVD (2017) lassen sich zunächst41 folgende kritische Punkte identifizieren: 1. Leistungszugang: Die Festlegung der Definition des leistungsberechtigten Personenkreises (sogenannte fünf-aus-neun-Regelung) ist zurückgestellt (nicht aber aufgehoben) worden und soll modellhaft wissenschaftlich erprobt werden, doch „dies beseitigt nicht den Grundkonflikt einer selektiven ICF Anwendung“ (ebd.). Zum Beispiel: Ein*e Student*, der*die eine Sehbehinderung hat und nur eine Vorlesehilfe in der Hochschule oder eine technische Ausstattung benötigt, ansonsten aber keine Unterstützungsleistungen braucht, würde dann keine Unterstützung mehr erhalten (Aktion Mensch, 2017). 2. Leistungsinhalte/-formen: Bei Assistenzleistungen wird nun zwischen qualifizierter und nichtqualifizierter Assistenz unterschieden (Diakonie, 2017). Befürchtet wird, dass dies zu einer „Kosten- und Entfachlichungsdebatte im Assistenzbereich“ (SoVD, 2017) führen könne. 3. Einschränkung des Wunsch- und Entscheidungsrechtes: Durch das BTHG können Leistungen ‚gepoolt‘ werden. ‚Poolen‘ bedeutet: „Leistungen an mehrere Personen gemeinschaftlich“ zu erbringen, „auch wenn diese das gar nicht wollen“ (ebd.). Unter Kritiker*innen wird dies ‚Zwangspoolen‘ bzw. eine Gruppenpflicht genannt. Argumentiert wird, dass diese Regelung beispielsweise im Freizeitbereich die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung einschränkt (ebd.). 41  Einzelne der hier aufgeführten Kritikpunkte wurden durch modellhafte Evaluationen hinfällig. Da sie zum hier betrachteten Zeitpunkt im Jahr 2017 aber bestanden, werden sie an dieser Stelle aufgeführt.



VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017277

4. Grundausrichtung: Die Eingliederungshilfe wurde zwar aus dem SGB XII herausgelöst, aber die Weiterentwicklung des einkommens- und vermögensunabhängigen Nachteilausgleichs gelingt nicht, da „sozialhilferechtliche Prinzipien wie z. B. der Nachrangigkeitsgrundsatz beibehalten werden“ (Diakonie, 2017). So kann die Menschenrechtsperspektive im Leistungsrecht nicht abgebildet werden (ebd.). 5. Leistungserbringungsrecht: Kritisch werden hier folgende Entwicklungen gesehen: ‒ „Die Einführung des externen Vergleichs als Maßstab der Vergütungsfindung sowie ‒ Sanktionsmechanismen im Leistungserbringungsrecht, ‒ die Regionalisierung des Vertragsrechts auf Länderebene sowie ‒ lückenhafte Referenzsysteme und Maßstäbe zur Bemessung von Leistungen im Zuge der Trennung der Fachleistungen von den existenzsichernden Leistungen“ (ebd.). 6. Umzug von Menschen mit Behinderung von einer Einrichtung der Eingliederungshilfe in eine Pflegeeinrichtung bei hoher Pflegebedürftigkeit: Nach § 103 Abs. 1 SGB IX-neu können Leistungsträger/Leistungserbringer entscheiden, ob eine Person mit Behinderung in eine Pflegeeinrichtung umziehen sollte – trotz der Einbindung der/des Betroffenen in das Gesamtplanverfahren. „Die Regelung stellt einen massiven Eingriff in die Wahl- und Entscheidungshoheit des Menschen mit Behinderung dar und ist mit Artikel 1942 der UN-BRK nicht vereinbar“ (ebd.). 7. Voraussetzung in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM): Als Zugangsvoraussetzung, um in eine WfbM aufgenommen zu werden, wurde der Begriff des „Mindestmaß[es] an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleitung“ (§ 58 SGB IX-neu) beibehalten, trotz Forderungen, diese Formulierung abzuschaffen (Diakonie, 2017). Oben werden die Leistungen zur Eingliederung und zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Änderung des Regelbedarfsstufe 1 auf 2) beschrieben. Hierzu schreibt der Bundesverband der Lebenshilfe e. V. (2017) kritisch: „Es bleibt abzuwarten, ob diese Regelbedarfsbemessung den besonderen Bedarfslagen von Menschen mit Behinderung in Gemeinschaftswohnformen […] gerecht wird“ (Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V., 2017, S. 2–3). Der SoVD macht deutlich, dass neben den Verschlechterungen für den*die einzelne*n Betroffene*n auch eine negative Entwicklung für die Stellung der Behindertenverbände gibt. So wurde die Beteiligung dieser Verbände nicht 42  Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft (Artikel 19, UN-BRK).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

„an moderne Standards des SGB IX angepasst“, sondern sie fällt weiter „hinter geltendes Recht (s. § 116 SGB XII)“ (SoVD, 2017). Eine Notwendigkeit der Beteiligung der Behindertenverbände wird aber darin gesehen, da sie „Recht und Praxis eng mit den Erfahrungen der Verbände“ (ebd.) rückkoppeln können und so Fehlentwicklungen verhindert werden können und Transparenz gesichert werden kann (ebd.). Der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e. V. (bvkm) zieht folgendes Fazit: Das Gesetz sei erst in „letzter Minute“ (MüllerFehling, o. J., S. 1) so verändert worden, dass Menschen mit Behinderung damit leben können. „Damit sind wir mit dem BTHG nicht am Ziel, sondern stehen am Anfang. […] Das BTHG ist nicht unser Gesetz. […] Am Ende ist (fast) alles rausgeholt worden was rauszuholen war“ (ebd.). Nicht zuletzt haben dazu die Proteste der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung beigetragen wie auch Gespräche mit Politiker*innen. Der Verband verweist auf zwei relevante Machtressourcen, die den Ausgang des Gesetzes beeinflusst haben – und zwar auf die institutionelle Macht und die Mitgliederpartizipation (Schmalz/Dörre, 2014; Schroeder, 2014). Einzelne positive Entwicklungen (wie u. a. materielle Verbesserungen für Menschen mit Behinderung, unabhängige Beratung, Mitwirkungsmöglichkeiten in Werkstätten) können nach Einschätzung des bvkm nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Gesetz dem Sparen gilt und Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf weiterhin nur eingeschränkt am Arbeitsleben teilhaben können und der Zugang zu Pflegeversicherungsleistungen in einzelnen Wohnformen eingeschränkt ist (ebd., S. 2). Das Ergebnis des Gesetzes wird auch von Seiten der Interviewpersonen gemischt betrachtet. Eine Interviewperson lehnt das Gesetz in dieser Form ab und zeigt sich sehr enttäuscht (s. Interview 9), eine andere Person spricht von unzureichenden Änderungen, die vorgenommen wurden (s. Interview 1), andere Interviewpartner*innen finden das Gesetz akzeptabel, da einzelne Inhalte vertagt oder auch verhindert werden konnten (s. Interview 2, 3, 8). Verhindert werden konnte beispielsweise der Vorrang der Pflege vor der EGH (Interview 8, Zeile 475–481) und neue Zumutbarkeitsregelungen im Bereich Wohnen (Interview 7), während die Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises vorerst aufgehalten und somit eine endgültige Entscheidung vertagt werden konnte (s. Interview 2, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 12). Interviewperson 7 berichtet dazu: „Und da standen dann solche Sachen drin wie, beim Wohnen wird noch mal eine besondere Zumutbarkeitsregelung eingefügt und bei den Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben wurde da noch mal nachgelegt. Genau, die Fünf-von-neunRegelung hat diesen großen Vorbehalt bekommen, dass es erst noch eine wissenschaftliche Evaluierung geben soll. Und erst dann wird entschieden, ob da eine



VII. Rechtliche Änderungen durch das BTHG im Jahr 2017279 Regelung kommt. Ja, und also da wurde dann sozusagen nachgesteuert, das war sozusagen, um es noch zu retten“ (Interview 7, Zeile 471–480).

Positiv an diesen Vertagungen sei, dass der Prozess zum BTHG somit noch anhaltend und noch lange nicht abgeschlossen sei (s. Interview 1, 2, 6, 7). Das Gesetz sei somit zunächst unter Vorbehalt gestellt worden, so Interviewperson 3 (Interview 3, Zeile 970–972). Verbesserungen sehen einzelne Interviewpartner*innen in der unabhängigen Teilhabeberatung, auch wenn diese einer zeitlichen Beschränkung unterliegt (s. Interview 2, 4, 7, 9, 10) und in der Anhebung von Einkommen und Vermögen und die Abschaffung dieser für Angehörige (s. Interview 1, 2, 4, 5, 7, 8, 10, 12). Interviewperson 5 geht davon aus, dass die Einkommensund Vermögensanrechnung für Betroffene in Zukunft wegfallen wird und dies lediglich ein Anfang sei (Interview 5, Zeile 407–410). Die bundesweite Einrichtung des Budgets für Arbeit (s. Interview 2, 7) und die Reha-Berichterstattung (Interview 4, 7, 10) werden ebenfalls als Verbesserungen gewertet. Vereinzelt führen Interviewpersonen auch das Gesamt- und Teilhabeplanverfahren (s. Interview 2, 10), die Stärkung der Schwerbehindertenvertretungen (s. Interview 7), die neue Definition von Behinderung (s. Interview 12) und einzelne Verbesserungen in der Teilhabe am Arbeitsleben in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung (s. Interview 2) sowie die Einführung des Merkzeichens TBI (s. Interview 10) als Verbesserungen auf. Die wahrgenommenen Verschlechterungen sind nicht so umfangreich wie die erlebten Verbesserungen. Dazu gehört beispielsweise das sogenannte ‚Zwangspoolen‘ (s. Interview 2, 7, 8, 9), die weiterhin andauernde Exklusion einzelner Personengruppen aus der Teilhabe am Arbeitsleben (s. Interview 1, 10) und das Festhalten an der Anrechnung von Einkommen und Vermögen (s. Interview 2, 10). Es sei auch bedauerlich, dass die Kinder- und Jugendhilfe im Rahmen der Reform nicht überarbeitet worden sei (s. Interview 4, 14). Interviewperson 10 fasst zusammen: „Ja, weil es ist ja jetzt dann keine Einrichtung mehr da, die im Prinzip so eine Versorgung macht. Das ist auf Eigenverantwortung ausgerichtet, auf Selbstbestimmung, das ist ja erst mal gut. Das ist sogar sehr gut, aber ich muss die Menschen auch dazu befähigen, das wahrnehmen zu können. Und das kann nicht jeder aus sich heraus. […] Also das ist meine […] größte Kritik eigentlich an diesem […] Gesetz. Das ist ein Gesetz für Stärkere“ (Interview 10, Zeile 771–778).

Das Gesetz unterstützt und verbessert, nach der Einschätzung von Inter­ view­partner*in 10, das Leben von Menschen mit Behinderung, die selbstbestimmt und eigenverantwortlich leben können. Menschen, mit hohem Unterstützungsbedarf oder Personen, denen es an Unterstützung fehlt, haben es mit dem neuen Gesetz schwerer. Daher kommt die Interviewperson zu dem Ergebnis, dass das Gesetz für stärkere Menschen mit Behinderung entwickelt

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

wurde und Menschen, die viel Unterstützung benötigen, damit vielmehr übergangen werden (ebd.).

VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016: Der kausale Mechanismus Nachdem nun der gesamte Reformprozess von der Problemdefinitionsphase (ab 2001 bis 2013), über das Agenda-Setting durch den Koalitionsvertrag und die AG BTHG (2014 bis 2015), die Politikformulierungsphase (2014 bis 2016) und die Politikimplementierungsphase (2017) in den vorigen Kapiteln chronologisch und detailreich nachverfolgt wurde, fasst die folgende Abbildung 6 den kausalen Mechanismus zusammen. Die Übersicht wird genutzt, um den Mechanismus genauer zu erläutern. Die folgende Abbildung 6 veranschaulicht das Zusammenspiel von inneren und äußeren Faktoren: Den ‚äußeren‘ politischen Kontext (Koalitionsvertrag, Gesetzesentwürfe, Lesungen im Bundestag und -rat und die Verabschiedung des Gesetzes) sowie ‚interne‘ Erwartungen und die Organisation (partizipatives Selbstverständnis, Nutzung verschiedener Macht­ressourcen; in Anlehnung an Knill/Tosun, 2015, S. 64). Die äußeren Faktoren beeinflussen die Reaktionen der Interessenverbände und umgekehrt. Demnach können auch die Reaktionen der Interessenverbände dazu führen, dass der äußere Kontext angepasst oder verändert wird. Beide Faktoren können sich also gegenseitig bedingen. Es erfolgt daher im Folgenden zum einen eine Beschreibung der Situation, um den Gesamtzusammenhang nachvollziehen zu können. Zum anderen wird gleichzeitig dargestellt, wie Akteur*innen die jeweilige Situation wahrnehmen und reagieren bzw. handeln (s. Nullmeier/Kuhlmann, 2022). (1) Drei Effekte haben den Reformprozess zum Bundesteilhabegesetz erst ermöglicht (Ursache/cause), und zwar: • Politischer Effekt: Die Koalitionsbildung zwischen CDU/CSU und SPD. • Kostenabwägender Effekt: Das Aufhalten der Ausgabendynamik der Eingliederungshilfe. • Norm-/Wertorientierender Effekt: Umsetzung der UN-BRK.

Da die SPD sozialpolitische Entwicklungen generell in den Fokus ihres Regierens setzt, gleichzeitig die Ausgabendynamik der EGH weiter ansteigt und die Bundesrepublik sich mit der UN-BRK international verpflichtet hat, das Menschenrecht ins deutsche Recht zu implementieren, sind gute Voraussetzungen geschaffen, das SGB IX zu reformieren (s. Teilkapitel E.III.).

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 6: Kausaler Mechanismus des BTHG-Reformprozesses

VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016281

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

(2) Die unter Punkt (1) aufgeführten günstigen Rahmenbedingungen führen dazu, dass diese im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode berücksichtigt werden, in dem festgehalten wird, die UN-BRK ins SGB IX zu integrieren und die Ausgabendynamik bremsen zu wollen. Dabei sollen Menschen mit Behinderung an Mitentscheidungsprozessen beteiligt werden, wie von der UN-BRK vorgesehen (s. Teilkapitel E.III.). (3) Das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) entwickelt entsprechend der Koalitionsvereinbarung einen vorgelagerten Austauschprozess, in den Menschen mit Behinderung eingebunden werden. Die AG BTHG stellt einen Auslöser dar, der wiederum Reaktionen herruft. Denn die AG legt im Rahmen dieses Prozesses den Grundstein für das Verständnis der Interessenverbände, sich politisch zu beteiligen. Die Rahmenbedingungen für eine aktive Einbringung werden von der Politik befördert und sind besonders günstig. Indem ihnen die Möglichkeit gegeben wird, an der AG BTHG teilzunehmen, werden die Interessenverbände ermächtigt, sich (in den Prozess) einzubringen. Es entwickelt sich ein Beteiligungsselbstverständnis, welches im folgenden Prozess gekennzeichnet ist durch Emotionen (eine ausgeprägte Erwartungshaltung fürt zu Enttäuschung und Verärgerung). Die Emotionalität wird durch die Selbstbetroffenheit hervorgerufen. Dem emotionalen Unverständnis für Änderungen in den Gesetzesentwürfen folgt ein intensives Lobbying (s. unten). Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung nutzen die institutionelle Macht, indem sie die formelle Möglichkeit erhalten, sich an der AG zu beteiligen und üben diese Machtressource somit aus (s. Teilkapitel E.IV.). Im Rahmen der AG BTHG werden verschiedene Thematiken des SGB IX miteinander diskutiert. Die Forderungen, die in diesem Zeitraum von den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung formuliert werden, sind breit ausgelegt. Das heißt, die Interessenverbände können ihre vielfältigen Forderungen aufs Tableau der AG bringen und werden gehört. Es wird mit ihnen und nicht über sie geredet. Nachdem die AG ihre Arbeit abgeschlossen hat, zieht sich das BMAS zur BTHG-Entwicklung zurück. (4) Ende 2015 ‚sickert‘ ein Arbeitsentwurf durch, in dem einige Änderungen enthalten sind, mit denen die Interessenverbände – aber auch andere Akteur*innen – nicht gerechnet haben. Die Rückmeldungen darauf sind zurückhaltend, wenn auch enttäuscht. Die Interessenverbände warten allerdings noch auf den Referentenentwurf, der im April 2016 folgt. (5) Die nun folgende Phase wird in der Abbildung als emotionale Handlungsorientierung aufgeführt. Die Interessenverbände der Menschen mit







VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016283

Behinderung reagieren auf den von ihnen als enttäuschend wahrgenommenen Referentenentwurf. Die Reaktionen erfolgen in Form von vielzähligen Stellungnahmen, die ihre heterogenen Interessen widerspiegeln (s. Teilkapitel E.V.). Die Stellungnahmen sind zum Teil emotional verfasst, was zurückzuführen sein könnte auf die eigene Betroffenheit. Darin sind Enttäuschung und Verärgerung abzulesen: Enttäuschung darüber, dass einzelne Themen, die in der AG BTHG besprochen wurden, keinen Eingang gefunden haben; Verärgerung, da die Interessenverbände nicht genau erklären können, was mit den AG-Diskussionsinhalten geschehen ist43. Es handelt sich um eine bestimmte Charakteristik des Kausalmechanismus, insofern, dass die Wahrnehmung der Akteur*innen in dieser Sequenz emotional orientiert und geleitet sind (Nullmeier/Kuhlmann, 2022, S. 17). In dieser Phase entstehen auch die mehrfach erwähnten ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘, durch die die Kooperationsmacht genutzt wird. Diese ‚Kernforderungen‘, die im (beinahe) immer gleichen Verbändebündnis (stärkere und schwächere Interessenvertretungen) über das gesamte Jahr 2016 immer wieder erweitert werden, nehmen eine zentrale Rolle im Reformprozess ein. Ihnen schließen sich rund 140 Unterstüt­ zer*innen an – es wird im Rahmen anderer Stellungnahmen und Ver­ bändeanhörungen darauf verwiesen und sie werden in Plenardebatten aufgenommen. Dieses Bündnis, aber auch andere Bündnisse (unter den Interessenvertretungen und mit anderen Akteur*innen) sind im gesamten Reformprozess immer wieder zu finden. Wenn es keine direkte Zusammenarbeit gibt, dann wird aufeinander hingewiesen. Auf die ursprünglich breiten Forderungen der vorherigen Reformphase kann in dieser Phase nicht länger eingegangen werden, sondern es wird auf Inhalte reagiert, die vorher gar nicht auf dem Tableau waren (z. B. leistungsberechtigter Personenkreis, ‚Poolen‘ von Leistungen). Die Interessenverbände nutzen verschiedene Machtressourcen (insbesondere die gesellschaftliche Macht; s. Teilkapitel E.V.2.).

(6) Der Kabinettsentwurf folgt Mitte Juni 2016 und enthält nur vereinzelte Änderungen. Die Bundesregierung reagiert demnach nicht bzw. nur zurückhaltend auf die vielen verschiedenen abneigenden Stellungnahmen der Interessenverbände und anderen Akteur*innen. 43  Auf die AG BTHG rückblickend entwickelte sich aus dem Blickwinkel der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung der Eindruck einer ‚Feigenblattveranstaltung‘ und ‚Scheinpartizipation‘, denn eine Beteiligung/Partizipation inkl. Mitentscheidungsmöglichkeiten war die AG – entgegen dem Koalitionsvertrag – nicht. Es handelte sich vielmehr um eine Quasi-Beteiligung bzw. eine Vorstufe der Partizipation (s. Arnstein, 1969; LAG Selbsthilfe NRW, o. J.).

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

(7) Die Reaktionen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung sind im Zuge dieser Phase gemäßigter, weniger emotional und vielmehr objektiv begründet. Es wird daran festgehalten, verschiedene Stellungnahmen zu veröffentlichen, um die Unzufriedenheit mit dem vorliegenden Entwurf zu verdeutlichen. Es wird auch eine Petition ins Leben gerufen. Den Forderungen liegt erneut eine Normorientierung zugrunde, indem die Interessenvertretungen mit der moralischen Verpflichtung, die UN-BRK ins deutsche Recht zu implementieren, argumentierten (s. Teilkapitel E.V.2.c)aa)). (8) Der DBR ist in der ersten Jahreshälfte 2016 darüber hinaus an einem Schlichtungsprozess beteiligt (s. Teilkapitel E.V.7.). Die Forderungen der Interessenverbände sind, wie unter Punkt (5) dargestellt, sehr heterogen und vielseitig, die Reaktionen sehr intensiv, sodass das Ministe­ rium beinahe den Reformprozess abbrechen möchte. Die Vielzahl an Stellungnahmen hat somit eine Wirkung auf das Verhalten des Ministeriums. Es wirkt so, als sei den Interessenverbänden nicht bewusst gewesen, wie vielseitig und wenig miteinander vereinbar ihre Interessen sind. Eine Gewerkschaft schlichtet zwischen den Akteur*innen und handelt aus, dass, sofern die vielseitigen Forderungen homogener dargestellt werden, einzelne dieser Forderungen im Gesetz wiederzufinden sind. Das Bündnis sieht sich daraufhin gezwungen, auf die abgeneigte Reaktion des Ministeriums zu reagieren. In der Abbildung ist dieser Schlichtungsprozess als ‚Ermächtigungs-Lern-Prozess‘ aufgeführt. Der Begriff verweist darauf, dass der DBR mit den Entscheidungsträger*innen vorverhandelt und dadurch gelernt hat, seine Interessen zu bündeln. Das Aktionsbündnis zeigt in diesem Schlichtungsverfahren, dass es Kompromisse eingehen kann, aber ebenso über eine Verhandlungsstärke und Konfliktfähigkeit verfügt. Sie nutzten somit verschiedene Machtressourcen, insbesondere die strukturelle und institutionelle Macht. (9) Daraufhin folgt der Regierungsentwurf. In diesem sind nur marginale Veränderungen enthalten, trotz der vorab stattgefundenen Schlichtung. (10–11)  Der Gesetzesentwurf löst erneut Verärgerung und Enttäuschung aus, die sich in Form von vielseitigen Protesten widerspiegeln44. Während der Bundestag und der Bundesrat das Gesetz ab September 2016 besprechen, werden die Forderungen der Interessenvertretungen immer spezifischer, die Proteste vielzähliger. Der von der Öffentlichkeit wahrgenommene Protest und die Reaktion der Medien führt dazu, dass an den Protesten festgehalten wird und trägt somit dazu bei, dass die 44  Vor allem die strukturelle und die gesellschaftliche Macht werden in dieser Phase intensiv genutzt.



VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016285

­ ruppe der Menschen mit Behinderung wahrgenommen wird. Sie werG den sichtbar – nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Entschei­dungs­träger*innen. Durch diese intensive und laute Vorgehensweise ‚stören‘ die Interessenverbände die Gesellschaft und die Politik (‚Kompetenz zu stören‘, s. das noch folgende Kapitel F.). Auch die Wohlfahrtsverbände bringen sich in dieser Phase intensiv ein. Sie reagieren ebenso auf die Gesetzentwürfe und nutzen verschiedene Formen des Lobbyings. Durch dieses Vorgehen unterstützen sie die Interessenverbände indirekt, so auch die Sozialpartner. Die Opposition stellt die Interessen von Menschen mit Behinderung in Plenardebatten dar, nachdem deutlich wird, dass auf die Forderungen der Interessenverbände nicht eingegangen wird. Im November 2016 werden im Bundestag 68 Änderungsanträge angenommen und abschließend beschlossen. Verschiedene Politi­ker*in­nen (Landes- und Bundesebene) sehen in der hohen Anzahl der Änderungsanträge die intensiven Bestrebungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung bestätigt. Das Zusammenspiel des lauten und vielseitigen Lobbyings von Interessenverbänden (und der Unterstützung durch die Wohlfahrtsverbände, die Opposition und die Sozialpartner) ist insofern erfolgreich, dass sich ihre Vorschläge in den Änderungen im endgültigen Gesetz wiederfinden. Das bedeutet, dass die ‚Kompetenz zu stören‘ (im ursprünglichen Machtressourcenansatz als strukturelle Macht bezeichnet) der Interessenverbände die Bundesregierung beeinflusst: Diese reagiert darauf und nimmt einzelne Änderungen im Gesetz vor oder vertagt Entscheidungen. (12) Am 16. Dezember 2016 stimmt der Bundesrat dem Gesetz zu, am 29. Dezember 2016 wird das Gesetz im Bundesgesetzesblatt veröffentlicht und gilt somit ab Januar 2017 (Ergebnis/outcome). Das Gesetz wird seitdem in vier Stufen von 2017 bis 2023 umgesetzt. In den Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung ist die menschenrechtliche Perspektive wiederholt aufzufinden. Sie berufen sich häufig auf die internationale Verpflichtung, die UN-BRK umzusetzen. Damit wird eine wichtige Voraussetzung der Kooperationsmacht gelegt und genutzt. Zudem folgen sie in ihrer Begründung einer Normorientierung (Nullmeier/Kuhlmann, 2022, S. 17), indem sie auf die Verbindlichkeit der UN-BRK verweisen (menschenrechtlicher Vertrag, der eingehalten werden sollte). Aber auch die moralische Verpflichtung diese umzusetzen, wird vielmals genutzt (z. B. durch die Verwendung von Beispielen, die das Leben der Betroffenen darlegt). Andere Akteur*innen, wie beispielsweise die kommunalen Spitzenverbände und die Länder, konzentrieren sich wiederum eher auf die Finanzierung – die alte und neue Ausgabendynamik – in ihren Argumentationsmus-

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E. Ergebnisse: Der Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes

tern. Hier liegt eine kalkulatorische Orientierung, also eine Abwägung von Kosten zugrunde (s. hierzu ebd.). Auch die Große Koalition muss die finanzielle Seite bei der Entwicklung des neuen Gesetzes im Blick behalten, wobei sie auch die Vorgaben der UN-BRK umzusetzen hat. Das Spannungsfeld UN-BRK vs. Kostendynamik taucht im gesamten Reformprozess wiederkehrend auf – der gesamte Reformprozess wird davon gerahmt und beeinflusst den Prozess. Es stehen sich also die Normorientierung und die kalkulatorische Orientierung in Handlungsmustern gegenüber. Dass die Regierung den Austausch in der AG BTHG ermöglicht, das daraus erstarkte partizipative Selbstverständnis sowie das Zusammenspiel der verschiedenen genutzten Machtressourcen, die in verschiedenen Phasen des Reformprozesses zum Einsatz kommen, deuten darauf hin, dass diese Faktoren die Interessendurchsetzung beeinflusst haben (s. hierzu auch Kapitel G.). Die Darstellung des Ergebniskapitels macht den Schwerpunkt dieser Arbeit deutlich: Es wird ein Interessengruppenmechanismus beschrieben (s. Kuhlmann/Nullmeier, 2022, S. 444), indem die Interessen und Handlungsmuster der Verbände von Menschen mit Behinderung und ihre Interaktion mit anderen Akteur*innen im Zuge dieser Ausarbeitung im besonderen Fokus stehen.

F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0 Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung haben im Rahmen des Reformprozesses verschiedene Machtressourcen verwendet. Dazu zählen die institutionelle und gesellschaftliche Macht sowie die Organisationsmacht und die ‚Kompetenz zu stören‘. Im Folgenden sollen diese zusammengefasst und (auf Basis der empirischen Ergebnisse) alle notwendig erachteten Anpassungen erläutert werden. Ermächtigung durch Ermöglichung (bzw. die institutionelle Macht): Durch die institutionelle Macht räumt der Staat den Verbänden formale Rechte der Beteiligung ein (Schroeder, 2014) – er ermächtigt somit Ak­ teur*innen, sich politisch einzubringen. Eine treffende Überschrift für diese Machtressource ist daher ‚Ermächtigung durch Ermöglichung‘. Zurückzuführen darauf, dass dies die Voraussetzung für den darauffolgenden Prozess darstellt und die Ermächtigung als zentral erachtet wird. Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung haben im Laufe des hier betrachteten Reformprozesses die Möglichkeit erhalten, in einer vorgelagerten Arbeitsgruppe ihre Ansichten und Forderungen darzustellen und mit anderen Akteur*innen zu diskutieren, sodass ein Austausch über verschiedene Anliegen ermöglicht wird (Interview 5, Zeile 266–275; Interview 10, Zeile 511–513; Interview 14, Zeile 195–198). Auch Lobbying-Aktivitäten werden verfolgt, indem direkt Kontakt zu Politiker*innen und ministeriellen Mitarbeitenden gesucht wird, um ihre Verbands-Ansichten zu teilen (Interview 2, Zeile 778; Interview 6, Zeile 58–60; Interview 8, Zeile 695 ff.). Gleichzeitig hat auch das Ministerium und die Politik davon profitiert, da sie ebenfalls auf das fachliche Wissen der Interessenverbände angewiesen sind (Interview 17, Zeile 82–93). Zudem haben die Interessenverbände die Gelegenheit erhalten, Stellungnahmen zu den jeweiligen Gesetzesentwürfen zu formulieren und zu veröffentlichen (s. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, o. J.). Diese Machtressource setzt, dem ursprünglichen Machtressourcenansatz folgend, eine politische Autonomie voraus. Dabei geht es darum „die Fähigkeit, durch Lobbying und Ausschöpfung von rechtlichen Möglichkeiten die Institutionen für die eigenen Zwecke zu nutzen, aber gleichzeitig auch die politische Autonomie zu wahren“ (Schmalz/Dörre, 2014, S. 228). Anders ausgedrückt, gilt es die Bewegungsorientierung (Mobilisation) und die institutionelle Interessenvertretung (Bürokratie) in Einklang zu bringen. Im Hin-

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F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0

blick auf den hier betrachteten Reformprozess ist zu konstatieren, dass es darauf beinahe keine Hinweise auf die politische Autonomie einzelner Inte­ ressenvertretungen der Menschen mit Behinderung gibt. Allerdings gibt es im Zuge eines Interviews die Aussage, dass die einzelnen Interessenverbände des Deutschen Behindertenrates die politische Autonomie untereinander aufgeteilt haben. Das heißt, es gibt Verbände, die ihre Mitglieder durch Proteste und Aktionen mobilisiert haben, andere haben stattdessen Stellungnahmen formuliert oder haben direkt die Politik oder das Ministerium zur Interessenvermittlung ersucht (Interview 6, Zeile 592–597). Die zeitliche Beständigkeit umfasst die Fähigkeit von Verbänden, Kompromisse auszuhandeln sowohl (a) kurzzeitig als auch (b) über Konjunkturzyklen hinweg. Im Zuge des Reformprozesses sind die Interessenverbände in der Lage, kurzfristig Kompromisse einzugehen – innerhalb des DBR, in Bündnissen sowie im Schlichtungsprozess (s. Teilkapitel E.V.7.). Inwiefern Inte­ ressenverbände auch über Konjunkturzyklen hinweg in der Lage sind, Kompromisse einzugehen, konnte im Rahmen dieser Arbeit nicht abschließend geklärt werden, weil dieses Projekt als Einzelfallstudie durchgeführt und nur eine Legislaturperiode betrachtet wurde. Es liegt jedoch nahe, dass die Verbände dazu in der Lage sind, da einzelne Interessenverbände bereits mehrjährige Erfahrungen in der Interessenrepräsentation haben (z. B. die Interessenverbände ISL, FbJJ, ABiD etc.). Organisationsmacht: Die Organisationsmacht umfasst einen Organisa­ tionsprozess von verschiedenen Akteur*innen, die ein kollektives Interesse haben, sich daran zu beteiligen (Schmalz/Dörre, 2014). Es lassen sich verschiedene Organisationszusammenschlüsse im Rahmen des BTHG-Reformprozesses nachweisen. Dazu gehört zunächst einmal die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Interessenverbänden. Sie unterstützen sich gegenseitig im Rahmen von Stellungnahmen oder Aktionen und Protesten oder verweisen auf die jeweils anderen Stellungnahmen (z. B. DBSV e. V., 2016a, S. 66; Deutscher Schwerhörigenbund e. V., o. J., S. 2; NITSA e. V. et al., o. J., S. 1). Zum anderen findet in Form von Stellungnahmen und gemeinsamen Positionen auch eine Zusammenarbeit mit der advokatorischen Interessenvertretung statt, wie auch eine Unterstützung seitens der Gewerkschaften (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Darüber hinaus stellen auch die zwei Oppositionsparteien Organisationspartner dar, indem Bündnis 90/Die GRÜNEN und die LINKEN die Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung in ihren Plenardebattenbeiträgen und Anträgen aufnehmen (z. B. Plenarprotokoll 18/189, 2016; Antrag der Fraktion LINKE, Drucksache 18/10014, 2016; Plenarprotokoll 18/190, 2016) Die Organisationsmacht unterteilt sich in unterschiedliche Faktoren (Schmalz/Dörre, 2014), die im Folgenden betrachtet werden sollen:



F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0289

Infrastrukturressourcen: Diese Ressourcenart beinhaltet die personellen Ressourcen. Um erfolgreich seine Interessen vertreten zu können, benötigt ein Verband Fachkräfte; die von ihren alltäglichen Tätigkeiten freigestellt werden, um die Arbeit für den Reformprozess verrichten zu können. Dies ist zentral für ihre Handlungsfähigkeit im Reformprozess (s. Schmalz/Dörre, 2014). In dieser Arbeit wurden verschiedene Verbändearten unter dem Begriff ‚Interessenverbände von Menschen mit Behinderung‘ geführt. Dazu gehören Interessenvertretungen von und für Menschen mit Behinderung (z. B. ISL, FbJJ, Sozialverbände oder die Lebenshilfe). Diese wurden in der Analyse als gemeinsame Akteur*innen betrachtet, da sie unter dem Schirm des Deutschen Behindertenrates eng im Reformprozess zusammengearbeitet haben. Allerdings können die Infrastrukturressourcen stark voneinander abweichen. Während beispielsweise die Sozialverbände einen festen Mitarbeitendenstamm haben, aus dem sie Mitglieder in solchen Fällen freistellen können, fehlt es Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung ggf. an eben diesen Personen, da ihre Arbeit zum Teil ehrenamtlich erfolgt (s.  ISL  e. V., 2016a). Daher kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass dieser Faktor durchaus variieren kann und dieser nicht immer für alle Interessenverbände eine Ressource darstellen kann. Organisationseffizienz: Um die Infrastrukturressourcen erfolgreich umzusetzen, bedarf es einer ausgefeilten Organisationseffizienz (Schmalz/Dörre, 2014). Mit Blick auf den Deutschen Behindertenrat gibt es vereinzelte Aussagen, dass die Interessenverbände sich beispielsweise vor den einzelnen AG-Sitzungen intensiv untereinander austauschen und Absprachen treffen, um gemeinsam ‚stärker‘ ihre Interessen darstellen zu können. Es handelt sich um eine gemeinsame Strategie, um als Einheit und homogene Interessenvertretung vor den anderen Akteur*innen der AG auftreten zu können (Hinweise dazu in: Interview 4, Zeile 191–194; Interview 6, Zeile 655–656; Interview 7, Zeile 62–62; Interview 10, Zeile 230–231; Interview 12, Zeile 305–311). Auch im darauffolgenden Reformprozess organisiert sich der DBR untereinander und mit anderen Akteur*innen (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016; Deutscher Behindertenrat et al., 2016a, 2016b, 2016c). Die Art, in der die Interessenvertretungen zu Protesten aufrufen und Aktionen durchführen, zeugt von einem guten Organisationsgeschick, damit diese erfolgreich sind und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erhalten (z. B. DBSV e. V., 2016a; Miles-Paul, 2016f). Mitgliederpartizipation: Bei der Machtressource der Mitgliederpartizipation geht es darum, die eigenen Verbandsmitglieder für Mobilisierungen zu aktivieren. Wichtig ist dabei ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Aktivist*innen und Mitgliedern, die für die bürokratische Organisation verantwortlich sind (Schmalz/Dörre, 2014). Wie das empirische Kapitel aufgezeigt hat, sind unterschiedliche Interessenverbände der Menschen mit Behin-

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F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0

derung dazu in der Lage, ihre Mitglieder zu mobilisieren. Sie entwickeln Kampagnen, demonstrieren und führen Aktionen durch – sowohl in Berlin (z. B. LAG WfbM, 2016; #NichtmeinGesetz, o. J.; Spiegel online, 2016; Leidmedien, 2016) als auch deutschlandweit (z. B. Miles-Paul, 2016j; ZSL Köln, o. J.), um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen und als Gruppe sichtbar zu werden. Innere Kohäsion: Die innere Kohäsion bildet sich durch die Solidarität der Mitglieder untereinander ab. Die Kollektividentität ist dabei besonders relevant (Schmalz/Dörre, 2014). Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung sind, wie oben bereits mehrmals festgestellt, sehr heterogen. Ihre Forderungen und Interessen sind weit gefasst und variieren, je nach Merkmal und Zielsetzung der Verbände (Sinnesbehinderungen, Selbstbestimmung, körperliche Einschränkungen, …). Doch was die Ergebnisse aufgezeigt haben, ist, dass eine Vielzahl der Interessenvertretungen die volle gesellschaftliche Teilhabe – demnach die UN-BRK – im Blickfeld ihrer jeweiligen Forderungen haben (z. B. NITSA e. V., 2016, S. 1; ISL e. V., 2016b; ABiD, 2016; Deutscher Behindertenrat, 2013). Das heißt, die Mitglieder verschiedener Verbände haben das gleiche Interesse, teilen eine gemeinsame Überzeugung – somit eine Kollektividentität – und fordern ein, dass das neue Gesetz menschenrechtlich ausgestaltet wird. Gesellschaftliche Macht: Hierunter wird (a) die Kooperation zwischen Gruppen und Organisationen verstanden sowie (b) die Unterstützung der Gesellschaft bei Forderungen von Interessenverbänden. Diese Machtressource unterteilt sich in folgende Formen, welche sich gegenseitig verstärken können (Schmalz et al., 2013): Kooperationsmacht: Die Kooperationsmacht umfasst die Bildung von Netzwerken zu anderen gesellschaftlichen Akteur*innen, die bei Kampagnen aktiviert und mobilisiert werden können (Schmalz et al., 2013). Dies ist auch im Fall des BTHG zu erkennen, indem gemeinsame Aktionen durchgeführt werden (z. B. Miles-Paul, 2015c) oder zusammen Stellungnahmen formuliert werden. Dies erfolgt sowohl auf der Ebene der einzelnen Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung als auch darüber hinaus (Gewerkschaften, advokatorische Interessenvertretung; z.  B. Deutscher Behindertenrat et al., 2015). Dazu gehören auch die vielfach erwähnten ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ eines Verbändebündnisses (s. Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Dabei kann auf das fachliche Wissen verschiedener Akteur*innen zurückgegriffen werden. Die Bekanntheit des Papers ist auch auf die breite Unterstützer*innenliste zurückzuführen, die im Rahmen des Reformprozesses stetig gewachsen ist (Unterstützer*innen z. B. s. Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; s. Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V., 2016; s. DBSV e. V., 2016b) – ebenfalls ein Anzeichen für die Kooperationsmacht.



F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0291

Die Zusammenarbeit erfordert auch eine Kompromissfähigkeit der Interessenverbände und anderer Akteur*innen. Um das Paper gemeinsam zu formulieren, müssen die Beteiligten von ihren Maximalforderungen abrücken (s. hierzu auch Schiffers, 2019, S. 277). Einzelne DBR-angehörige Verbände weisen Bridge Builder auf – Verbandsangehörige, die gleichzeitig auch in der Politik aktiv sind oder anderen stärkeren Akteur*innen angehören – sie können zu einer höheren Funktionsfähigkeit dieser Machtressource beitragen. Beispielsweise ist Ilja Seifert Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes Deutschland (ABiD) und gleichzeitig Politiker der LINKEN (die LINKE, o. J.). Auch Ulla Schmidt hat eine Doppelrolle inne, indem sie Politikerin der SPD ist (Deutscher Bundestag, o. J.-a) und zeitgleich Bundesvorsitzende der Lebenshilfe (Lebenshilfe, o. J.-a). Die Verbindungen zueinander werden insofern deutlich als die Lebenshilfe im Rahmen der Verbändeanhörung am 07. November 2016 mehrfach von der SPD zu Wort gebeten wird (s. Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016). Zudem wird eine Nähe zwischen der Opposition und den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung wahrgenommen, dadurch, dass sie vermehrt die Forderungen dieser rezitieren und sich auf die Seite der Interessen der Menschen mit Behinderung stellen (z. B. Plenarprotokoll 18/206, 2016, S. 20492). Diskursmacht: Im Zuge von öffentlichen Debatten kommt die Diskursmacht zum Tragen. Dabei ist es wichtig, der Öffentlichkeit zu vermitteln, dass die Forderungen gerechtfertigt sind und sie diese daher unterstützen sollten – auch ‚Skandalisierung von Ungerechtigkeiten‘ genannt (s. Schmalz/ Dörre, 2014). Diese Darstellung der Ungerechtigkeiten kann man gerade bei der Debatte um die Einkommens- und Vermögensanrechnung beobachten (z. B. Deutscher Behindertenrat et al., 2016; Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind, 2016; ISL e. V., 2016a; der Tagesspiegel, 2016), ebenso wie bei dem damit einhergehenden subjektiv wahrgenommenen ‚Heiratsverbot‘ (Interview 16, Zeile 557–564). Es erfolgt eine Skandalisierung durch das absichtliche Aufbauschen einer Thematik. Als sich aber im Laufe der Debatte herausstellt, dass die Einkommens- und Vermögensanrechnung erhöht werden soll und die Anrechnung von Ehepartner*innen und Angehörigen wegfällt, ist der Skandalisierung der Grund entzogen (s. Interview 2). Diese Machtressource verliert (zumindest in Bezug auf dieses Beispiel) im Laufe des Reformprozesses der Außendarstellung an Relevanz. Auch die narrativen Ressourcen, die sich an den herrschenden Moralvorstellungen orientieren sind im Rahmen des Reformprozesses erkennbar. So verweisen die Interessenverbände häufig auf die zentrale Wichtigkeit der UN-BRK, die die Bundesrepublik Deutschland zum einen moralisch und zum anderen rechtlich dazu verpflichtet, die Rechte für Menschen mit Behin-

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F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0

derung zu verbessern, um somit die gesellschaftliche Teilhabe zu garantieren (z. B. DBSV e. V., 2016b; Deutscher Gehörlosen-Bund e. V., 2016; Deutscher Behindertenrat et al., 2016). Einzelne Interessenverbände bieten der Politik für ihre Forderungen Lösungsansätze, welche eine weitere Machtressource darstellt: Die Problem­ lösekompetenz. So führt das Forum der behinderten Juristinnen und Juristen (FbJJ) mit ihrem Gesetzesentwurf zur sozialen Teilhabe – noch vor Reformbeginn – eine Lösung für die von ihnen wahrgenommenen Probleme des SGB IX auf (Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2013). Auch andere Verbände führen Lösungs- oder Verbesserungsvorschläge im Rahmen ihrer Stellungnahmen auf, an denen sich das Ministerium und die Politik orientieren können (z. B. Deutscher Gehörlosen-Bund e. V., 2016; Forum behinderter Juristinnen und Juristen, 2016a; NITSA e. V. et al., o. J.). Allerdings hat sich deutlich gezeigt, dass eher wenige Interessenverbände diese Form der Diskursmacht für sich zu nutzen wissen. Eine Vielzahl der Interessenverbände konzentriert sich eher auf die Darstellung von Forderungen oder auf die Ablehnung von Änderungen (z. B. s. ABiD, 2016; Aktion Psychisch Kranke e. V., 2016; Deutsche Rheuma-Liga, 2016). Das Framing stellt die letzte enthaltene Ressource der Diskursmacht des ursprünglichen Machtressourcenansatzes (1.0) dar. Demnach zeigen die Verbände eine große Sensibilität für den richtigen Moment auf, in dem sie Initiative ergreifen. Das zeigt sich insbesondere in Form von Aktionen und Protesten, welche zum Teil vor oder während relevanter Plenardebatten oder -entscheidungen stattfinden. Beispielhaft sollen hier zum einen der ‚Sprung in die Spree‘ benannt werden, welcher am 21. September 2016 stattfindet, einen Tag vor einer Beratung zum Gesetzesentwurf im Bundestag (DBSV  e. V., 2016a) sowie zum anderen die Proteste und Aktionen z. B. im September und November 2016, die zeitgleich zu Beratungen zu verschiedenen Gesetzesentwürfen stattfinden (DBSV e. V., 2016; Lebenshilfe Berlin, o. J.; Leidmedien, 2016; Krauthausen, o. J.). Die Diskursmacht kann um eine weitere Handlungstechnik ergänzt werden. Dabei handelt es sich um das Storytelling – das Erzählen von Geschichten, um anhand eines Beispiels die Lebenslagen und den Alltag der Betroffenen plakativ darzustellen (z. B. Interview 6 u. 15). Diese Technik ist eng mit der Skandalisierung von Ungerechtigkeiten verbunden. Kompetenz zu stören: Entgegen der ursprünglichen Erwartung (s. Teilkapitel B.IV.1.), kann im Reformprozess des BTHG, wenn auch in abgewandelter/weiterentwickelter Form, die strukturelle Macht vorgefunden werden. Im ursprünglichen Machtressourcenansatz heißt es, dass Beschäftigte das ökonomische System ‚stören‘ können, indem sie die Kapitalverwertung (mit Hilfe der Produktions- oder Marktmacht) unterbrechen – etwa in der Gestalt eines



F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0293

Streiks und haben demnach die ‚Macht zu stören‘. Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung haben, wie erwartet, weder die Produktionsnoch die Marktmacht nutzen können (Schmalz/Dörre, 2014, S. 222–223). Die Vielzahl an Proteste, Kampagnen, Petitionen und Aktionen und die heterogenen Einzelstellungnahmen illustriert jedoch durchaus eine gegebene ‚Kompetenz zu stören‘ (s. Teilkapitel E.V. u. E.VI.). Sie stören nicht das ökonomische System, dafür aber die Gesellschaft und üben somit (durch die öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Proteste) Druck auf die Entschei­ dungs­träger*innen auf. Ferner haben sie eine Konfliktfähigkeit (ebd., S. 223) sowie auch eine Problembewältigungskompetenz u. a. im Zuge des Schlichtungsprozesses (s. Teilkapitel E.V.7.) bewiesen. Die ‚Kompetenz zu stören‘ ist von der strukturellen Macht allerdings deutlich abzugrenzen. Im Falle des angepassten Machtressourcenansatzes 2.0 ist die ‚Kompetenz zu stören‘ keine primäre Machtressource, sie kann sich aber aus einer vorhandenen gesellschaftlichen Macht entwickeln und diese bereichern. Durch die empirische Analyse der Machtressourcen ist deutlich geworden, dass einzelne Machtressourcen häufiger und intensiver genutzt werden als andere. Die ‚Ermächtigung durch Ermöglichung‘ (bzw. institutionelle Macht) nimmt im Rahmen dieses Reformprozesses eine zentralere Rolle ein als im ursprünglichen Machtressourcenansatz: Denn diese Machtressource hat Auswirkungen auf die anderen hier betrachteten Machtressourcen. Die Möglichkeit der Beteiligung im Rahmen der AG-BTHG beeinflusst die Organisa­ tionsmacht und die gesellschaftliche Macht. Dies geht zurück auf eine enttäuschte Erwartungshaltung, die durch die institutionelle Macht bzw. ‚Ermächtigung durch Ermöglichung‘– d. h. die Beteiligung im Rahmen der AG BTHG – geweckt wird und sich über die Stellungnahmen und Proteste hinweg zieht (emotionale Handlungsorientierung). Die Organisationsmacht stellt darüber hinaus eine Voraussetzung dar, damit die gesellschaftliche Macht und die ‚Kompetenz zu stören‘ angewendet werden können. Wie bereits Schmalz et al. (2018) festhalten, können die Machtressourcen nicht zur gleichen Zeit auftreten, sie treten nacheinander auf (Schmalz et al., 2018, S. 115) – so auch in diesem Fall. Sie stehen nicht nebeneinander, sondern bauen zum Teil prozesshaft aufeinander auf und haben Auswirkungen aufeinander, wie in Abbildung 7 dargestellt. Darüber hinaus können die einzelnen Machtressourcen verschiedenen Ebenen (Mikro- und Makroebene) zugeordnet werden: Das partizipative Selbstverständnis, welches sich aus der ‚Ermächtigung durch Ermöglichung‘ (bzw. institutionelle Macht) entwickelt hat und durch eine enttäusche Erwartungshaltung (Emotionen) vorangetrieben wird, ist auf einer subjektiven Ebene (Mikroebene) verortet. Die Emotionen (Verärgerung

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F. Genutzte Machtressourcen und der Machtressourcenansatz 2.0

und Enttäuschung) gehen auf die eigene jeweilige Selbstbetroffenheit der Menschen mit Behinderung zurück. Diese individuellen Emotionen können auf die kollektive Identität ausstrahlen und schlagen sich in Mobilisationsformen und Stellungnahmen wieder (in Anlehnung an Herriger, o. J., S. 24). Alle weiteren Machtressourcen sind auf der Makroebene (politische Ebene) zu verorten. Dies soll beispielhaft an der ‚Kompetenz zu stören‘ erläutert werden. Diese Ressource geht auf laute und störende Aktions- und Mobilisationsformen sowie vielfältige Stellungnahmen zurück. Es handelt sich um ein kollektives Verständnis, gemeinsam die Öffentlichkeit (Gesellschaft und Medien) und die politischen Entscheidungsträger*innen auf ein Problem aufmerksam zu machen bzw. sie dafür zu sensibilisieren und zu stören – und weist somit eine Wirkung nach außen auf. Voraussetzung dafür ist die kollektive Beteiligung, also die Mitgliederpartizipation, und hat daher gleichzeitig auch eine Wirkung nach innen auf die Gruppe selbst (ebd.).

Abbildung 7: Machtressourcenansatz der ‚starken unter den schwachen‘ Interessen 2.0

Quelle: Eigene Darstellung in Abwandlung des Machtressourcenansatz nach Schmalz/Dörre (2014)

VIII. Zusammenfassung der Jahre 2013 bis 2016295

G. Schlussbetrachtung Ziel dieser Einzelfallstudie war es, am Beispiel der BTHG-Reform und mit Hilfe der Methode der politischen Prozessanalyse zu rekonstruieren, inwiefern und wie sich schwache Interessen durchsetzen konnten. Ausgehend vom Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode im Jahr 2013 wurde rekonstruiert, welche Forderungen die Interessenvertretungen und andere Akteur*innen im Reformprozess vorgebracht haben, welche Erwartungen sie hatten sowie wann und wie sie diese eingebracht haben. Die Prozessanalyse ermöglichte die chronologische Rekonstruktion des Reformprozesses, um Ursache-Wirkungs-Mechanismen herauszuarbeiten. Hierbei kam eine ausführliche Dokumentenanalyse zum Einsatz sowie Expert*inneninterviews und qualitative Tests, die die Prozessanalyse vorsieht. Der Machtressourcenansatz legte seinen Blick auf die verwendeten Ressourcen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, um die Durchsetzungsfähigkeit dieser herausarbeiten zu können. Im Rahmen dieses Kapitels werden zunächst die Forschungsfragen beantwortet sowie auch der angepasste Machtressourcenansatz dargestellt. Anschließend werden der wissenschaftliche und praktische Mehrwert dieser Arbeit dargelegt sowie ein Ausblick gegeben.

I. Beantwortung der Forschungsfragen Im Rahmen diesen Teilkapitels soll auf die drei Forschungsfragen eingegangen werden. Diese lauteten wie folgt: • Inwiefern und wie konnten sich schwache Interessen im Fall des BTHG durchsetzen? • Welche Ziele haben die Verbände der Menschen mit Behinderung im BTHG-Prozess verfolgt? • Welche Interessen konnten sie durchsetzen und welche nicht? Die Kernhypothese lautete: Die Einrichtung der AG BTHG bzw. die von der Regierung geförderte Einbindung derselben führt dazu, dass sich die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung in besonderer Weise in den folgenden Reformprozess einbringen. Ihre Interessen können sie unter der Nutzung von Machtressourcen transportieren und beeinflussen somit das Reformergebnis.



I. Beantwortung der Forschungsfragen297

Wie Kapitel E. verdeutlicht hat, war der Reformprozess des BTHG vielschichtig – ebenso heterogen war die Gruppe der beteiligten Verbände der Menschen mit Behinderung, was sich in der Vielschichtigkeit ihrer Forderungen widerspiegelt. Daher kann nicht per se bei der Gruppe der Menschen mit Behinderung von den ‚starken unter den schwachen‘ Interessen gesprochen werden. Durch die Vielfalt der Behinderungen ist es vielmehr so, dass fortdauernd schwache Interessen einerseits von ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen andererseits unterschieden werden können (zurückzuführen ist die Stärke auf verschiedene förderliche Voraussetzungen, wie Bildungsressourcen oder dauerhafte Beständigkeit der Interessenvertretungen). Im Rahmen dieser Arbeit wurde die zweitgenannte Gruppe in den Blick genommen, da sie im Rahmen des Reformprozesses selbstständig sehr aktiv war und Einfluss auf einzelne Ergebnisse nehmen konnte. Ein Erkenntnisinteresse galt der Frage, inwiefern und wie sie ihre Interessen durchsetzen konnten. Die Voraussetzung zur Interessendurchsetzung war geprägt durch (a) die von den Entscheidungsträger*innen ausgehende Befähigung, Menschen mit Behinderung an der AG BTHG zu beteiligen sowie (b) das sich daraus entwickelnde (bzw. ‚geweckte‘) Beteiligungsselbstverständnis der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung. Die Emotionen der Enttäuschung und Verärgerung galten als Triebfeder dessen – es unterstützte ihr Vorgehen und prägte dieses (s. Kernhypothese; s. Lietzmann, 2019). Die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung haben sich im Rahmen des Reformprozesses eine große Bandbreite an Vorgehensweisen zu eigen gemacht, die zu einer Beachtung einzelner Forderungen im Gesetz geführt haben. Diese Vorgehensweisen lassen sich durch den Machtressourcenansatz abbilden (s. Kapitel F.). Die Anwendung dessen verdeutlicht, dass die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung diese vielseitig einzusetzen wussten: Es kamen verschiedene Machtressourcen zum Einsatz, welche im Zusammenspiel miteinander dazu beitrugen, dass die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung einen Teil ihrer Forderungen durchsetzen konnte. Einzelne Machtressourcen waren dabei zu verschiedenen Zeitpunkten von besonderer Wichtigkeit (s. hierzu auch Teilkapitel E.VIII.): Die institutionelle Macht wurde durch die Teilnahme an der AG BTHG genutzt, indem die Verbände von Menschen mit Behinderung die Möglichkeit erhielten, sich formell zu beteiligen. Nachdem die ersten drei Gesetzesentwürfe (Arbeits-, Referenten- und Kabinettsentwurf) veröffentlicht wurden, nutzten die Inte­ ressenvertretungen besonders intensiv die gesellschaftliche Macht, um der Öffentlichkeit und der Politik ihre Forderungen, ihre Enttäuschung und ihren Unmut über das geplante Gesetz zu verdeutlichen. In dieser Phase arbeitete der DBR intensiv zusammen und bündelte seine Interessen. Im Zuge der darauffolgenden Reformphase nutzten Menschen mit Behinderung und ihre

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G. Schlussbetrachtung

Verbände ihre vorhandene ‚Kompetenz zu stören‘: Sie nutzten vielseitig Proteste und Aktionen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Sie reagierten damit auf die geringen Veränderungen im Regierungsentwurf. Sie waren ‚laut‘ und störten damit die Öffentlichkeit (sie wurden als Gruppe sichtbar) und übten somit Druck auf die Entscheidungsträger*innen aus. Dies spiegelte sich in den Änderungsanträgen wider, indem die Politik auf die störenden öffentlichkeitswirksamen Proteste und Aktionen einging. Die dauerhafte Nutzung von Machtressourcen (das ‚Dranbleiben‘ dessen) hat im Rahmen des hier betrachteten Reformprozesses eine Wirkung gezeigt. Somit kann auch die Kernhypothese45 bestätigt werden. Im Rahmen des gesamten Reformprozesses gab es verschiedene Ebenen der Zusammenarbeit (mit einem gemeinsamen Ziel), die dazu beigetragen haben, dass die Interessenverbände ihre Forderungen durchsetzen konnten. Dies verdeutlicht die folgende Abbildung 8: Die Abbildung zeigt verschiedene Ebenen der Akteur*innen-Zusammenarbeit und ihr Ziel auf:

Quelle: Eigene Darstellung

Abbildung 8: Interessenverbände von Menschen mit Behinderung, ihre Bündnisse und gemeinsame Ziele

(1) Einzelverbände: Im Reformprozess sind verschiedene Einzelforderungen von den Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung formuliert worden. 45  Die Einrichtung der AG BTHG bzw. die von der Regierung geförderte Einbindung derselben führt dazu, dass sich die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung in besonderer Weise in den folgenden Reformprozess einbringen. Ihre Interessen können sie unter der Nutzung von Machtressourcen transportieren und beeinflussen somit das Reformergebnis.



I. Beantwortung der Forschungsfragen299

(2) Zusammenarbeit zwischen Einzelverbänden: In unterschiedlichen Phasen des Reformprozesses arbeiteten Einzelverbände zusammen, indem sie Stellungnahmen formulierten oder aufeinander verwiesen. (3) DBR als Aktionsbündnis: Der DBR wurde für die AG BTHG ausgewählt, Mitgliederverbände zu stellen. Im Zuge der AG trafen die Verbände untereinander vor und nach den AG-Sitzungen Absprachen, um sich geschlossen in der AG-BTHG präsentieren zu können. Dies bereitete eine Grundlage für die weitere Zusammenarbeit im folgenden Reformprozess, da Absprachen innerhalb des Aktionsbündnisses weiter erfolgten. Die diversen Interessen der DBR-Verbände konnten durch die enge Zusammenarbeit homogen an Außenstehende transportiert werden. (4) Bündnisse zwischen den ‚starken unter den schwachen‘ Interessen und stärkeren Akteur*innen: Gemeinsam wurden Stellungnahmen formuliert mit verschiedenen Themenschwerpunkten. Ein besonderes Verbändebündnis stellten die ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘ dar, welche die Grundlage für weitere Forderungspapiere darstellte. Den Kernforderungen schlossen sich viele andere Verbände an. Alle aufgeführten Akteur*innen, ob Einzelverband oder Bündnisse nutzten unterschiedliche Formen des Lobbyings und verschiedene Machtressourcen (s. oben und Kapitel F.). Den Forderungen der verschiedenen Akteur*innen­ konstellationen lag eine gemeinsame Überzeugung und das Ziel der Umsetzung der UN-BRK zugrunde. Unterstützung erhielten die Interessenverbände von der Opposition, die sich intensiv für die Interessen der Menschen mit Behinderung einsetzte. Auch die Wohlfahrtsverbände unterstützten die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderung indirekt, gerade im Jahr 2016, indem sie aktiv in Form von Protesten gegen das geplante Gesetz vorgingen. Weitere Unterstützung kam vom DGB. Als Arbeitnehmer*innen­ gewerkschaft setzte sich dieser für die Interessen der Menschen mit Behinderung ein. Es erfolgte demnach eine Bündelung verschiedener Kräfte. Diese Bandbreite an Hilfe, das gemeinsame Ziel und die Nutzung verschiedener Machtressourcen führten dazu, dass Menschen mit Behinderung ihre Forderungen zum Teil durchsetzen konnten. In den oben beschriebenen Kapiteln der Empirie wurden die Forderungen der verschiedenen Akteur*innen detailliert dargestellt. Dies diente u. a. dazu, herauszuarbeiten, welche Ziele die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung verfolgt haben. Wie bereits im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode abzulesen ist, sollten zwei zentrale Inhalte im Rahmen der Reform bearbeitet werden: Die Kostendynamik zu bremsen und die UN-BRK ins deutsche Recht zu implementieren. Diese zwei sehr unterschiedlichen Ziele haben die verschiedenen beteiligten Akteur*innen jeweils ihre eigene Gewichtung gegeben. Die Interessenverbände der Menschen mit Behinde-

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G. Schlussbetrachtung

rung hatten beispielsweise die menschenrechtliche Perspektive im Blick. Das zeichnete sich im Zuge verschiedener Stellungnahmen und Aktionen ab, in dem sie ihre Forderungen an die Programmatik der UN-BRK anknüpfend formulierten oder diese indirekt beschrieben (z. B. Selbstbestimmung, Teilhabe, Wunsch- und Wahlrecht, aber auch Partizipation/Beteiligung und Inklusion). Die Interviewpartner*innen betonten zwar, dass die Finanzierung von den Verbänden der Menschen mit Behinderung ebenfalls wahrgenommen wurde, sie allerdings ihren Schwerpunkt in ihren Argumentationen auf die Umsetzung der UN-BRK legten. Dieses Ziel war über den gesamten Reformprozess zu beobachten – sowohl in schriftlicher (Stellungnahmen, Positionspapiere, Plenarprotokolle von Verbändeanhörungen) als auch in mobilisierender Form (Proteste, Aktionen, Petitionen). Mit der Umsetzung der menschenrechtlichen Thematik erhofften sich die Verbände der Menschen mit Behinderung eine Verbesserung der Selbstbestimmung und Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen. Der Forderung zur UN-BRK liegt demnach der Eigennutz zugrunde, aber gleichzeitig auch eine Normorientierung nach Nullmeier und Kuhlmann (2022). Die Interessenverbände verwiesen auf die Einhaltung der Umsetzung der UN-BRK ins deutsche Recht aber ebenso auf moralische Aspekte, indem auf individuelle Lebenslagen von Menschen mit Behinderung verwiesen wurde und welche Auswirkungen das neue Recht auf ihr Leben hätte. Dem gegenüber standen die kommunalen Spitzenverbände und die Länder, die aus ihrer Eigennutz-Perspektive heraus die Ausgabendynamik/Finanzierung im Fokus ihrer Aufmerksamkeit hatten. Denn die Kommunen und somit auch die Länder mussten die stetig steigende Kostendynamik der Eingliederungshilfe finanzieren. Daher war ihr ursprüngliches zentrales Ansinnen, zum einen die Ausgabensteigung zu stoppen und zum anderen in der Finanzierung vom Bund unterstützt zu werden. Die Forderung wurde beibehalten, auch nachdem die Finanzierung durch das Schäuble-Scholz-Papier geändert wurde. Hinzu kam auf Dauer nicht nur die steigende Ausgabendynamik zu stoppen, sondern auch keine neue Ausgabendynamik durch das Gesetz (SGB IX-neu) entstehen zu lassen. Die Länder und Kommunen folgten einer kalkulatorischen Orientierung nach Nullmeier und Kuhlmann (2022), indem sie für sich eine Kosten-Nutzen-Abwägung vornahmen und diesen Blickwinkel konsequent beibehielten. Das Spannungsfeld UN-BRK und Finanzierung der EGH hat demnach den gesamten Reformprozess gerahmt und beeinflusst. Dies führt zu der dritten Forschungsfrage, welche Interessen die Verbände durchsetzen konnten und welche nicht. Dazu muss zunächst ein Blick auf die gesamten Forderungen der Interessenverbände der Menschen mit Behinderung geworfen werden, wie auch auf die der anderen Akteur*innen. In den Jahren von 2013 bis 2015 waren die Forderungen der Interessenverbände recht weit gefasst, es wurden



I. Beantwortung der Forschungsfragen301

verschiedene Lebensbereiche von Menschen mit Behinderung betrachtet. Sie waren allerdings wenig zielgerichtet. Zwar wurden die Forderungen nach Beschluss des Schäuble-Scholz-Papiers etwas spezifischer (eine Veränderung der Finanzierung bedeutete gleichzeitig die Gefahr des Wegfalls einzelner Forderungen, wie das Bundesteilhabegeld), doch herrschte weiterhin eine Art der Aufbruchsstimmung. Nachdem der Arbeitsentwurf und die weiteren Gesetzesentwürfe veröffentlicht worden waren, wurden die Forderungen in ihren Ausformulierungen spezifischer, aber es blieben zum Teil anfängliche Forderungen und Erwartungen bestehen (z. B. Abschaffung Einkommensund Vermögensanrechnung, Schaffung einer unabhängigen Teilhabeberatung, neue Definition des Behinderungsbegriffs). Andere Forderungen und Positionen entwickelten sich erst als Reaktion auf einzelne Gesetzesentwürfe (z. B. Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, ‚Poolen‘ von Leistungen im Freizeitbereich). In den Stellungnahmen oder im Rahmen von Protesten wurde, wie oben bereits beschrieben, bei den Forderungen mit der UN-BRK argumentiert. Die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung hatten bei ihren Forderungen und Erwartungen an ein BTHG Schnittmengen sowohl mit den Wohlfahrtsverbänden als auch mit dem DGB (beim zuletzt genannten wird der Schwerpunkt auf die Teilhabe am Arbeitsleben gelegt). Alle drei Akteur*innen waren Bündnispartner*innen der ‚sechs gemeinsamen Kernforderungen‘, d. h. die Kernforderungen sind auch in Einzelforderungen (wenn auch in unterschiedlichen Varianten und verschiedenen Schwerpunkten) wiederzufinden. Die kommunalen Spitzenverbände und die Länder legten, wie oben dargestellt, ihren Schwerpunkt auf die Ausgabendynamik und nahmen somit zum Teil entgegengesetzte Positionen zu denen der Interessenverbände von Menschen mit Behinderung ein (z. B. wird das ‚Poolen‘ von Leistungen in den meisten Fällen von den Akteur*innen positiv bewertet; der neue Behinderungsbegriff hingegen von den kommunalen Spitzenverbänden abgelehnt). Die Länder hatten zum Teil ähnliche Forderungen wie die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung und sprachen sich ebenso für ein Bundesteilhabegeld aus, was zurück geht auf die ASMK-Diskussionen. Die Forderungen der Politik unterschieden sich untereinander sehr: Während die Opposition die Forderungen der Menschen mit Behinderung in ihren Posi­ tionen aufnahm, hielt die Große Koalition in ihren Positionen an den Gesetzesentwürfen fest. Einzig die SPD blickte zum Ende des Reformprozesses kritischer auf das Gesetz und sah Weiterentwickelungsbedarf. In der nachfolgenden Tabelle 24 sind die Forderungen der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderungen sortiert nach durchgesetzten Forderungen, vertagten Entscheidungen und Nicht-Durchsetzung unterteilt dargestellt:

302

G. Schlussbetrachtung Tabelle 24 Durchgesetzte, vertagte und nicht-durchgesetzte Interessen der Verbände von Menschen mit Behinderung

Durchgesetzte Interessen (Auswahl)

Vertagte Entscheidungen/ teilweise umgesetzte Forderungen (Auswahl)

Nicht umgesetzte ­Interessen (Auswahl)

Neue Definition der Behinderungs­ begrifflichkeit

Einkommens- und Vermögensanrechnung (keine Abschaffung für Betroffene, lediglich Erhöhung)

Bundesteilhabegeld

Leistungsberechtigter Personenkreis: Modellhafte Erprobung

Wunsch- und Wahlrecht (Wohnen)

Implementation der unabhängigen ­Teilhabeberatung (EUTB) Herauslösung der EGH aus der Fürsorge Inklusive Ausgestaltung der Teilhabe am Arbeitsleben (z. B. andere Leistungsanbieter, Budget für Arbeit ­bundesweit, Frauenbeauftragte in ­WfbM, …) Schnittstelle EGH und Pflege: ­Änderungen aufgehalten, bleibt wie vorher bestehen Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung von (Ehe-) Partner*innen und Angehörigen

Einnahmen- und Ausgabendynamik der Eingliederungshilfe einzelner ­Regelungen (z.  B. Leistungskataloge soziale Teilhabe)

Keine gemeinsame Leistungserbringung (‚Poolen‘ von Leistungen im Freizeitbereich)

‚Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung‘ in Werkstätten abschaffen

Verfahrensrecht und Leistungen ‚wie aus einer Hand‘ Quelle: Eigene Darstellung

Die Tabelle 24 zeigt, dass die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung einzelne ihrer Forderungen durchsetzen konnten bzw. einzelnes (vorerst) verhindern konnten. Was aber waren die Hintergründe, dass einzelne Forderungen durchgesetzt, andere aufgehalten und andere nicht durchgesetzt werden konnten? Mit Blick auf die durchgesetzten Interessen wird deutlich, dass diese zum Teil der UN-BRK entspringen. Die neue Definition des Behinderungsbegriffes orientiert sich nun an der UN-BRK, die unabhängige Teilhabeberatung möchte umfassend durch Peer-to-Peer-Beratung Menschen mit Behinderung unterstützen, die Teilhabe am Arbeitsleben soll bessere Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt schaffen (Budget für Arbeit, andere Leistungsanbieter) und mehr Mitentscheidungsmöglichkeiten für Werkstatträte schaffen. Was auch deutlich wird: Einzelne dieser Maßnahmen sind – wenn auch nicht umsonst – finanziell kostenneutral. Eine kosteninten-



II. Beitrag für die Forschung 303

sive Forderung stellte beispielsweise das Bundesteilhabegeld dar, welches in seiner Umstellung aufwendig gewesen wäre und die Kosten daher nicht absehbar erschienen – so zumindest die Argumentation der Bundesregierung. Auch die gemeinsame Erbringung von Leistungen im Freizeitbereich (‚Zwangspoolen‘) geht auf die Kosteneindämmung zurück. Der Beibehalt der Einkommens- und Vermögensanrechnung für Betroffene steht ebenfalls unter dem Dach der Finanzierung (teilweise Verbesserungen gibt es allerdings durch die Erhöhung der Grenzen). D. h., dass die Länder und die kommunalen Spitzenverbände hier ihre Vorstellungen durchsetzen konnten und man ihre ‚Stärke‘/machtvollere Position spürt. Zugeständnisse gab es für die Anrechnung von Einkommen- und Vermögen von Angehörigen und Partner*innen – diese wurden abgeschafft. Bei den durchgesetzten Forderungen und durch die Verhinderung einzelner Änderungen wird auch deutlich, dass nicht nur die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung diese verfolgt haben, sondern auch andere Akteur*innen, wie die Wohlfahrtsverbände oder die Sozialpartner (z. B. keine Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises oder die neue Definition des Behinderungsbegriffes). Das heißt, die Interessenverbände hatten hierbei ‚starke‘ Partner*innen. Wie auch schon der Reformprozess, unterliegt das Gesetz ebenfalls dem Spannungsfeld der UN-BRK und der Ausgabendynamik. So gab es Zugeständnisse mit Blick auf die menschenrechtlichen Aspekte und auf die Finanzierbarkeit des Gesetzes.

II. Beitrag für die Forschung Das Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, inwiefern und wie Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Rahmen des Reformprozesses des Bundesteilhabegesetzes ihre Forderungen durchsetzen konnten. Ausgangspunkt war die Annahme, dass dies u. a. mit Ursache-Wirkungs-Mechanismen zu erklären ist. Daher wurde die Methode der politischen Prozessanalyse/das Process Tracing verwendet (s. Beach/Pedersen, 2016). Wie oben dargestellt, konnte der kausale Mechanismus chronologisch abbilden und darlegen, was und warum etwas zu welchem Zeitpunkt erfolgt ist. Die Methode hat ebenso dazu beigetragen, herauszuarbeiten, welche Forderungen die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung im Zuge des Reformprozesses gestellt haben und wie sich ihre Forderungen verändert haben. Ein weiterer Vorteil dieser Erhebungsmethode war es, dass sowohl Daten ‚natürlichen‘ Ursprungs erhoben als auch Expert*inneninterviews durchgeführt wurden. Diese beiden Vorgehensweisen haben es erst ermöglicht, den Prozess in dieser detaillierten Form darzulegen und haben sich somit in ih-

304

G. Schlussbetrachtung

rem Dasein ergänzt. Die im Anschluss daran folgenden qualitativen Tests haben dazu beigetragen, die Wirkung von Teilmechanismen abzubilden, um am Ende den gesamten kausalen Mechanismus (was führte von X zu Y) darstellen zu können. Dazu war es von Relevanz, aufzudecken, was der Auslöser bzw. die Ursache (cause) für diesen Prozess war. Zu diesem Zweck war es nötig, einen Blick in die über zehn Jahre zurückreichende Historie zu werfen. Es reichte demnach nicht aus, den ‚aktiven‘ Reformprozess im Zuge der Prozessanalyse zu analysieren, sondern auch die Zeit davor, um die Mechanismen korrekt darstellen zu können. Die Methode hat sich als sehr geeignet erwiesen, um das Forschungsziel zu erreichen, weil die Forschungsfrage vollumfänglich und differenziert beantwortet werden konnte. Die Ergebnisse tragen auch dazu bei, die Verbändeforschung – bzw. innerhalb dieser die Forschung zu den schwachen Interessen – weiter voranzubringen. Bisher gab es zwar erste Verweise auf die ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen (von Winter, 2019, S. 29) bzw. den allgemeinen Hinweis darauf, dass einzelne Personengruppen der Menschen mit Behinderung an Beteiligungsprozessen präsenter sind als andere (s. Lamplmayr/Nachtschatt, 2016), es existierte allerdings bisher keine Studie über die Einflussmöglichkeiten der stärkeren schwachen Interessen. Diese Lücke konnte diese Arbeit schließen. Es ist nun also möglich, mit Hilfe dieser Einzelfallstudie Aussagen darüber zu treffen, inwiefern und wie diese Subgruppe der Menschen mit Behinderung ihre Interessen in Reformprozessen einbringen und – zumindest teilweise – durchzusetzen wusste. Dazu hat auch der an diese Personengruppe angepasste Machtressourcenansatz (s. Schmalz et al., 2013; Schmalz/Dörre, 2014) beigetragen. Mit Hilfe dieser konzeptionellen Rahmung war es möglich, detailliert einzelne Machtressourcen aufzudecken. Diese haben wiederum dazu beigetragen, die Durchsetzungsfähigkeit der Interessenverbände darzulegen. Der angepasste Machtressourcenansatz hat sich demnach als umfassender Ansatz zum Nachzeichnen der Einflussnahme auf politische Prozesse für schwächere Interessen erwiesen. Gesellschaftlich bzw. für die Interessenverbände von Menschen mit Behinderung (bzw. für die starken unter den schwachen Interessen) bedeutet dies, dass aufgezeigt werden konnte, dass sie ungeachtet nachgewiesener Schwäche, einen Reformprozess beeinflussen können. D. h. die politische Partizipation in Form von Protesten, Stellungnahmen, die Aushandlung in Bündnissen und anderen Lobbyaktivitäten sind im Rahmen dieses Prozesses nicht ‚umsonst‘ gewesen, auch wenn dieser Reformprozess von den Interessenverbänden auch Ressourcen abverlangt hat (ggf. fehlende Infrastrukturressourcen, daher knappe zeitliche Ressourcen, da die Arbeit ehrenamtlich erfolgte). Es lässt sich aber insgesamt für diese Personengruppe festhalten, dass sie gehört und wahrgenommen wurde und auch, dass sie mit einer Mischung aus Machtressourcen/Lobbying ihre Interessen auf die politische Bühne bringen

III. Praktischer Mehrwert: Genutzte Methoden zur politischen Einflussnahme 305

konnte. Wichtige Voraussetzung ist, dass die Entscheidungsträger*innen einen solchen Prozess fördern und zeitgleich ein Selbstverständnis der politischen Beteiligung von der jeweiligen Betroffenengruppe vorliegt. Die Ergebnisse bedeuten aber zeitgleich auch, dass ggf. in anderen Bereichen der Verbändeforschung stärkere unter den schwachen Interessen vorgefunden werden können, da es auch bei anderen ‚schwachen‘ Personengruppen ‚stärkere‘ Organisationen gibt, die durchsetzungsstärker sind als andere Subgruppen.

III. Praktischer Mehrwert: Genutzte Methoden zur politischen Einflussnahme Was können andere Interessenverbände aus dem BTHG-Reformprozess mit Blick auf die direkte Anwendung von Machtressourcen und dem Lobbying lernen? Welche Aktivitäten waren im Rahmen dieses Prozesses besonders effektiv? Dem soll an dieser Stelle nachgegangen werden. In der Betrachtung des BTHG-Reformprozesses hat sich gezeigt, dass die ‚Klassiker‘ des Lobbyings, wie die Nutzung von Protesten und Aktionen sowie das direkte Lobbying genutzt wurden und durch ihre vielfältige Lautstärke effektiv waren. Darüber hinaus gab es methodische ‚Besonderheiten‘, die diesen Prozess auszeichneten, wie beispielsweise spezielle Bündnisse und gesonderte Absprachen zwischen den DBR-Verbänden. Ferner nutzten sie spezielle Handlungstechniken, die ebenfalls im Folgenden beschrieben werden. Die ‚Klassiker‘ des Lobbyings Proteste, Aktionen, Kampagnen und Petitionen: Einzelne Interessenverbände der Menschen mit Behinderung haben, wie oben bereits aufgeführt, verschiedene Formen der Mitgliederaktivierung genutzt, um auf ihre Anliegen in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen. Gerade im Jahr 2016 – dem Jahr, in dem verschiedene Gesetzesentwürfe veröffentlicht wurden – kam es vermehrt zu Protesten, sowohl in Berlin als auch auf Landesebene (s. Miles-Paul, 2016j; Schmahl, 2016b; ZSL Köln, 2016). Darüber hinaus wurden auch verschiedene Petitionen (z. B. Petition 67028, 2016) sowie Kampagnen ins Leben gerufen (s. die Kampagnen-Homepage ‚Teilhabegesetz.org‘). Die Kampagnen, Aktionen oder Proteste waren eng verbunden mit der Nutzung von Social Media (z. B. Krauthausen, o. J.; Leidmedien, 2016; #NichtmeinGesetz, #BTHG, 2016). Durch diese Aktionen und Proteste (in Berlin und in den Bundesländern) haben die Verbände ihre ‚Kompetenz zu stören‘ genutzt und wurden als Gruppe – sowohl in persona als auch online –

306

G. Schlussbetrachtung

sichtbar. Auch andere schwächere Interessenverbände könnten sich diese Methode der störenden Sichtbarkeit zunutze machen. Relevant ist dabei, dass es zu einer vielfältigen methodischen Anwendung kommt. Direktes Lobbying: Das direkte Lobbying unterteilt sich in die formalisierte und informelle Kommunikation (s. Rieger, 2014). Beide Lobbyingformen sind auch im BTHG-Reformprozess wiederzufinden. Die formalisierte Kommunikation umfasst die Kommunikation zwischen Abgeordneten und Verbänden, beispielsweise in Form von Anhörungen. Einzelne Interessenverbände (wie z. B. Angehörige des Deutschen Behindertenrates) wurden zu Anhörungen im Bundestag eingeladen (z. B. Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 2016). Auch die AG BTHG kann im weitesten Sinne als eine Beteiligung an der formalisierten Kommunikation gezählt werden. Es fand zwar keine Befragung von Interessenverbänden durch Abgeordnete statt, dafür aber ein intensiver Austausch zwischen Verbänden, Ministerium und anderen Akteur*innen. Eine Voraussetzung für die Nutzung der formalisierten Beteiligung stellt das Interesse der Politik an den Meinungen der Verbände dar. Sobald diese Voraussetzung erfüllt ist, kann sich diese Form des Lobbyings für die Interessenverbände als nützlich erweisen. Der direkte Kontakt in Verbändeanhörungen kann als Möglichkeit genutzt werden, die eigenen Interessen face-to-face einer breiten Zuhörer*in­ nenschaft mitzuteilen. Die informelle Kommunikation umfasst die direkte Interaktion mit der Ministerialbürokratie (Wehrmann, 2007). So wurde direkter Kontakt zu Mitarbeitenden im Ministerium oder in der Politik gesucht (s. z. B. Interview 2, 6). Zudem kann auch der informelle Kontakt zum Ministerium/Politik, andere schwächere Interessenvertretungen dabei unterstützen, ein professionelles und erfolgreiches Lobbying durchzuführen. Besonderheiten im Rahmen des BTHG-Reformprozesses Bündnisse: Die im Rahmen des BTHG-Reformprozesses geschlossenen Bündnisse waren vielschichtig. So sind (1) verschiedene Interessenverbände der Menschen mit Behinderung untereinander Bündnisse eingegangen. Zum einen existierte bereits im Vorfeld das Aktionsbündnis des Deutschen Behindertenrates (DBR). Der DBR hat sowohl alleine als auch in Zusammenarbeit mit anderen Akteur*innen Stellungnahmen und Forderungspapiere veröffentlicht, in denen die heterogenen Interessen homogenisierend und zusammengefasst dargelegt werden konnten (z. B. Deutscher Behindertenrat, 2013). Zum anderen haben auch einzelne ‚unabhängige‘ Interessenverbände gemeinsam Stellungnahmen verfasst, um u. a. ihre Meinungen zum Referentenentwurf zu verdeutlichen (z. B. Anthropoi Bundesverband et al., 2016; NITSA e. V. et al., o. J.).

III. Praktischer Mehrwert: Genutzte Methoden zur politischen Einflussnahme 307

Ferner haben sich (2) stärkere und schwächere Akteur*innen in unterschiedlichen Bündnissen zusammengeschlossen: Einerseits (a) in Form einer Reihe von Stellungnahmen, in der ein immer gleiches Bündnis seine Forderungen gebündelt dargestellt hat und andererseits (b) Stellungnahmen von Verbänden, die einmalig gemeinsam Forderungen formuliert haben. Der Zusammenschluss unter den Interessenverbänden von Menschen mit Behinderung und den Bündnissen mit stärkeren Verbänden war im Rahmen des hier betrachteten Reformprozesses von besonderer Bedeutung. Gerade das immer gleiche Bündnis, das geschlossen zu verschiedenen Zeitpunkten aufgetreten ist, war eine Bereicherung für die Interessenvertretung von Menschen mit Behinderung. D. h., dass auch andere Verbände der schwächeren Interessen diese Zusammenschlüsse auf unterschiedlichen Ebenen für sich nutzen können, um ihre Forderungen breiter in die Öffentlichkeit und somit auch auf die politische Bühne befördern zu können. Gemeinsame Absprachen: Eine Besonderheit im Rahmen des BTHG-Reformprozesses stellten die gemeinsamen Absprachen der Verbände des Deutschen Behindertenrates dar – und das in verschiedenen Phasen des Reformprozesses: Die verschiedenen DBR-angehörigen Verbände sprachen sich im Zuge der Vorbereitungen auf die AG BTHG-Sitzungen miteinander ab, um ihre heterogenen Interessen gemeinsam, demnach als ‚Front‘, nach außen abzubilden. Gleiches galt für verschiedene Stellungnahmen (z. B. Interview 4, 7, 10). Bündnisse zwischen schwächeren Akteur*innen können auch durch gemeinsame Absprachen für diese bereichernd sein, um zusammen als homogene Interessen wahrgenommen zu werden. Handlungstechniken Sowohl bei den verschiedenen Aktionsformen als auch bei den Stellungnahmen bedienten sich die Interessenvertretungen zum Teil an praktischen Techniken des Lobbyings und verschiedener Machtressourcen, die aufgrund ihrer vielseitigen und wiederholten Nutzung als förderliche Techniken identifiziert wurden und daher an dieser Stelle Erwähnung finden sollen: •• Framing: Initiativen – ob in schriftlicher oder mobilisierender Form – sollten nach dem Machtressourcenansatz im richtigen Moment ergriffen werden (s. Schmalz et al., 2013). Im BTHG-Reformprozess fanden beispielsweise gerade Proteste und Aktionen kurz vor oder während besonderer Entscheidungsmomente statt: Einzelne Aktivitäten fanden einen Tag vor Beratungen im Bundestag zum Gesetzentwurf des BTHG statt; andere Proteste im Jahr 2016 fielen in die Zeit von Plenardebatten. •• Storytelling: Die Geschichtenerzählung stammt aus der betriebswirtschaftlichen Forschung (Schmieja, 2014) und wird genutzt, um Produkte mit

308

G. Schlussbetrachtung

einer Geschichte möglichst gut zu vermarkten. Diese Vorgehensweise nutzten auch einzelne Interessenverbände im Rahmen des Reformprozesses. So wurde damit die Lebensrealität der Betroffenen anhand von Beispielen beschrieben, um der Öffentlichkeit und Abgeordnete, Politiker*innen oder Minister*innen die Schicksale bildhaft darzustellen (Interview 6, 10, 15, 16). •• Skandalisierung von Ungerechtigkeiten: Die Gesellschaft soll Forderungen als gerechtfertigt wahrnehmen (Schmalz et al., 2013). Dies geschah im Rahmen des hier betrachteten Reformprozesses. Einzelne Interessenverbände der Menschen mit Behinderung zeigten Ungerechtigkeiten im bestehenden Gesetz auf und forderten, dass diese Regelungen in der Reform und dem neuen Gesetz geändert werden sollten (Stichwort ‚Heiratsverbot‘, s. z. B. Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind, 2016). •• Onepager: Vereinzelt nutzten Interessenverbände auch die sogenannten Onepager, kurze Forderungspapiere, in denen verständlich und kurz eine Übersicht über die wichtigsten Inhalte gegeben wurde. Davon konnten sowohl Entscheidungsträger*innen profitieren (bei komplexen Themeninhalten ist es schwer, den Überblick über alle Thematiken zu behalten) als auch Interessenverbände, da sie somit ihre Forderungen auf informeller Ebene einbringen konnten (Wehrmann, 2007). Diese verschiedenen angewendeten Methoden der politischen Einflussnahme machen deutlich, dass die Interessenverbände der Menschen mit Behinderung in der Lage sind, diese anzuwenden. Auch andere Interessenvertretungen könnten sich diese daher zu eigen machen, um Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen.

IV. Ausblick Die vorliegende Arbeit hat den Reformprozess des Bundesteilhabegesetzes unter einer veränderten Sozialstaatstätigkeit mit Hilfe der politischen Prozess­ analyse rekonstruiert. Dabei wurde ein Interessengruppenmechanismus beschrieben, der einen besonderen Fokus auf Menschen mit Behinderung bzw. die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen legt. Die Interessenverbände nutzten im Zuge des Reformprozesses verschiedene Machtressourcen, um ihre Anliegen und Forderungen zu verdeutlichen. Dabei lag, wie soeben aufgeführt, ein Selbstverständnis einer Beteiligungskultur zugrunde, die ihre Wurzeln in der UN-BRK hat, aber zeitgleich durch die AG-BTHG – durch die Initiierung der Regierung/des Ministeriums – aktiviert wurde. Dies stellte eine zentrale Voraussetzung für die Durchsetzung der Interessen dar. Daher standen die Zeichen für eine Interessendurchsetzung, wie eingangs erwartet, besonders gut. Es bleibt demnach auch für folgende Regierungen der Auf-



IV. Ausblick309

trag, Menschen mit Behinderung und ihre Verbände in kommende Reformprozesse nicht nur einzubinden, sondern politisch zu beteiligen. Nur dann kann die Regierung dem Auftrag der UN-BRK (Inklusion, Selbstbestimmung, Teilhabe, Partizipation) gerecht werden. Falls dies aufgrund von gegebenen legislativen Rahmenbedingungen nicht möglich ist, sollte sehr deutlich miteinander kommuniziert werden, was von wem im Reformprozess erwartet wird und welche Rollen wem zuteilwerden. Zudem wurden die ‚starken unter den schwachen‘ Interessen im Zuge dieser Arbeit betrachtet. Dabei wurde bei der Betrachtung des Prozesses deutlich, dass es durchaus die ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen gibt. Dies ist zurückzuführen auf ein hohes Bildungsniveau und die Möglichkeit, die eigenen Forderungen facettenreich artikulieren zu können. Weiterhin existieren schwache Interessen in der großen Gruppe der Menschen mit Behinderung, zurückzuführen auf verschiedene Barrieren. Für diese Gruppe war es im Reformprozess relevant, dass ihre Interessen von der advokatorischen Interessenvertretung übernommen wurden. Damit kommt den Sozial- und Wohlfahrtsverbänden eine zentrale Rolle im Rahmen von Reformprozessen zu. Dies gilt ebenso für die ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessenverbänden, denn auch sie können andere Menschen mit Behinderung dazu befähigen, an politischen Prozessen zu partizipieren. Im Falle der Wohlfahrtsund Sozialverbände ist die Übernahme des advokatorischen Lobbyings im Zuge des hier betrachteten Prozesses zu erkennen. Sie haben beispielsweise Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf dazu befähigt, an Protesten teilzuhaben. Im Gegensatz dazu haben sich die ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessenverbände im BTHG-Reformprozess größtenteils auf ihre eigenen Anliegen/Forderungen und Ziele konzentriert, was deutlich wird in ihren Einzelstellungnahmen. Der Einbezug von deutlich schwächeren Interessen wurden zwar im Rahmen von gemeinsamen Stellungnahmen mit der advokatorischen Interessenvertretung bedacht, aber sie haben die schwachen Interessen eher selten als Einzelinteressen in ihren Forderungen solidarisch bedacht. Den ‚stärkeren unter den schwachen‘ Interessen muss in zukünftigen Reformprozessen deutlich werden, dass sie größere Einflussmöglichkeiten haben als andere Menschen mit Behinderung/schwache Interessen. Sie sind stärker und sollten daher auch andere Subgruppen in Zukunft intensiver einbeziehen, um diese zu empowern. Interessant wäre es in Zukunft, über diese vorliegende Einzelfallstudie hinaus, einen internationalen Blick auf die Durchsetzungsfähigkeit von Interessenverbänden der Menschen mit Behinderung in anderen Ländern zu werfen und zu vergleichen. Dies könnte einen Beitrag für die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung leisten. Aufgrund des spezifischen Einzelfalls, der dieser Arbeit zugrunde liegt, konnte ein solcher Vergleich nicht erfolgen. Zudem wäre es ebenso von Interesse, ob die beobachtete Stärke der schwachen Inte-

310

G. Schlussbetrachtung

ressen – also die unterschiedlichen Subgruppen – auch auf andere Personengruppen der schwachen Interessen zu übertragen sind und ob bei ihnen ähnliche Möglichkeiten der Durchsetzungsfähigkeit vorliegen wie in dem hier betrachteten Fall.

Anhang: Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

1

#NichtmeinGesetz (o. J.): Demo, 7. November 2016. #NichtmeinGesetz. Abgerufen am: 31.03.2021. Verfügbar unter: http://nichtmeingesetz.de

2

ABiD (2016): Stellungnahme des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ e. V. (ABiD) zu drei aktuellen Gesetzesvorhaben der Bundesregierung (Bundes-Behindertengleich­ stellungsgesetz (BBG), Bundes-Teilhabegesetz (BTHG), Pflegestärkungs­ gesetz III (PSG III). Abgerufen am: 25.02.2021. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_ABiD.pdf?__blob=publicationFile&v=8

3

Ability Watch (o. J.): Telefonaktion – Last Call. Abgerufen am: 17.06.2021. Verfügbar unter: https://abilitywatch.de/telefonaktion/

4

Aktion Mensch (2017): Bundesteilhabegesetz – ein zahnloser Tiger? Ab­gerufen am: 02.11.2017. Verfügbar unter: https://www.aktion-mensch.de/ magazin/gesellschaft/bundesteilhabegesetz.html

5

Aktion Psychisch Kranke e. V. (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Entwurf zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz BTHG)“. Abgerufen am: 26.02.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/ SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Aktion_Psychisch_ Kranke.pdf;jsessionid=4DF1DB07C3639D76FD1CA9ECD086CB78.2_ cid345?__blob=publicationFile&v=4

6

Anthropoi Bundesverband, Anthropoi Selbsthilfe, AWO Bundesverband e. V., BAG Berufsbildungswerke, BAG Selbsthilfe, BAG UB, BAG WfbM, Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V., bvkm, Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V., Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten, Deutsche Heilpädagogische Gesellschaft e. V., Diakonie Deutschland, ISL e. V., Lebenshilfe, Der Paritätische Gesamtverband und Werkstatträte Deutschland (2016): Teilhabe statt Ausgrenzung! Jetzt den Rechtsanspruch auf berufliche Bildung und Teilhabe am Arbeitsleben für ALLE Menschen mit Behinderungen sicherstellen! Abgerufen am: 21.04.2021. Verfügbar unter: https://beb-ev.de/wp-content/uploads/2016/08/Positionspapier-Teilhabe-stattAusgrenzung-August-2016.pdf

312 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

 7

Antrag der Fraktion LINKE, Drucksache 18/10014 (2016): Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Ralph Lenkert, Cornelia Möhring, Norbert Müller (Potsdam), Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann (Zwickau), Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE. Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten. Abgerufen am: 06.08.2021. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/ btd/18/100/1810014.pdf

 8

Arbeitsentwurf BTHG (2015): Arbeitsentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabe­ gesetz – BTHG). Abgerufen am: 17.02.2021. Verfügbar unter: https://behin dertenverband-nb.de/images/pdf-Dateien/2016-01-12_ArbeitsentwurfBTHG_ Dez.pdf

 9

Arbeits- und Sozialministerkonferenz (2007): Beschlussprotokoll der 84. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://asmkintern.rlp.de/fileadmin/asmkintern/Beschluesse/Aeltere_ Beschluesse/ergebnisprotokoll_84_asmk.pdf

10

Arbeits- und Sozialministerkonferenz (2013): Ergebnisprotokoll der 90. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 27./28. November 2013 in Magdeburg. Abgerufen am: 10.08.2020. Verfügbar unter: https://asmkintern.rlp.de/ fileadmin/asmkintern/Beschluesse/Aeltere_Beschluesse/ergebnisprotokoll_ 90_asmk.pdf

11

Arbeitskreis Sign-Teilhabe (2016): Stellungnahme zum Bundesteilhabe­ gesetz – Referentenentwurf Bundesteilhabegesetz? – Bundesverhinderungsgesetz, eine schwere Diskriminierung für die Gebärdensprachgemeinschaft! Abgerufen am: 20.05.2016. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_ Arbeitskreis_Sign_Teilhabe.pdf?__blob=publicationFile&v=3

12

Arnade, S. (2016): Menschenrechte verwirklichen und nicht länger unter Kostenvorbehalt stellen! Abgerufen am: 23.02.2021. Verfügbar unter: https:// www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2016/ nl_01_2016/nl_01_gastkommentar.html

13

Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (2015): Abschließende Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands. Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dreizehnte Tagung. Abgerufen am: 05.01.2021. Verfügbar unter: https://www.institutfuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/Weitere_ Publikationen/CRPD_Abschliessende_Bemerkungen_ueber_den_ersten_ Staatenbericht_Deutschlands.pdf

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

313

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

14

AWO Bundesverband e. V. (2016): Stellungnahme des AWO Bundesverbandes zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz). Stand 17. Mai 2016. Abgerufen am: 09.04.2020. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Arbeiterwohlfahrt.pdf;jsessionid=2CEACF5A372CC704D1B AFDA90955CEDE.2_cid320?__blob=publicationFile&v=4

15

BAG Selbsthilfe (2016): Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e. V. (BAG SELBSTHILFE) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/ SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_BAG_Selbsthilfe. pdf?__blob=publicationFile&v=3

16

BAGüS (2016): Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 19.05.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_BAGUES.pdf?__blob=publication File&v=4

17

BAR (2017): Bundesteilhabegesetz Kompakt. Die wichtigsten Änderungen im SGB IX. Abgerufen am: 25.10.2021. Verfügbar unter: https://www. bar-frankfurt.de/fileadmin/dateiliste/_publikationen/reha_grundlagen/pdfs/ BTHGÄnderungenSGBIX.web.pdf

18

Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung (2016): Gemeinsam für ein besseres Bundesteilhabe­ gesetz – Was geändert werden muss! Abgerufen am: 01.10.2021. Verfügbar unter: https://bayrvr.de/2016/10/11/behindertenbeauftragte-gemeinsam-fuerein-besseres-bundesteilhabegesetz-bthg-was-geaendert-werden-muss/

19

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung (2016): Protest der Menschen mit Behinderungen darf nicht verhallen. Behindertenbeauftragte setzt auf Änderungen am geplanten Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 24.05.2021. Verfügbar unter: https://www. behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/PM10_ EuropaeischerProtesttag.html

20

Behindertenbeauftragte Bund und Länder (2015): Berliner Erklärung der Behindertenbeauftragten von Bund und Ländern. Abgerufen am: 03.02.2021. Verfügbar unter: https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/ Downloads/DE/BerlinerErklaerung.pdf?__blob=publicationFile

314 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

21

Bentele, V. (2015): Inklusionsnewsletter der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung am 17. April 2015. Zugriff am: 19.02.2021. Verfügbar unter: http://inkludio.de/nachrichten/inklusionsnewsletter-der-behinderten beauftragten-der-bundesregierung/

22

bsvh (2015): Bundesteilhabegesetz: Beim Budget hört die Teilhabe auf. Abgerufen am: 02.10.2020. Verfügbar unter: https://www.bsvh.org/nachricht/ bundesteilhabegesetz-beim-budget-hoert-die-teilhabe-auf.html

23

Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (2013): Eckpunkte zu einem Bundesleistungsgesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Abgerufen am: 10.08.2020. Verfügbar unter: https://www.bagfw.de/ fileadmin/user_upload/Veroeffentlichungen/Publikationen/2013_12_17_ Eckpunkte_Bundesleistungsschutzgesetz.pdf

24

Bundesländer (o. J.): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Stellungnahme der Länder zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. April 2016. Abgerufen am: 19.05.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/ SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Laender.pdf?__ blob=publicationFile&v=3

25

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2011): Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft. Der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Zugriff am: 14.02.2021. Verfügbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Publikationen/a740-nationaler-aktionsplan-barrierefrei.pdf?__blob=publi cationFile&v=1

26

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2013): Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung. Abgerufen am: 01.03.2019. Verfügbar unter: https://archiv.bundesregierung.de/resource/blob/656922/ 429854/d4a513e8fa508755b83a56d6d7887ead/2013-07-31-teilhabeberichtdata.pdf?download=1

27

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014a): Evaluation des Nationalen Aktionsplans der Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention – Abschlussbericht – Forschungsbericht 446. Abgerufen am: 24.09.2019. Verfügbar unter: https://www.bmas.de/SharedDocs/ Downloads/DE/Publikationen/forschungsbericht-f446.pdf;jsessionid=6E64B E5D99FE830A3FAF05D1082B23AA.delivery1-replication?__blob=publi cationFile&v=1

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

315

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

28

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014b): Protokoll der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 2. Sitzung am 17. September 2014. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/2_Sitzung/ 2_sitzung_protokoll.pdf;jsessionid=57EC63582F550D0B58754EDD862ED 752.1_cid355?__blob=publicationFile&v=2

29

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014c): TOP 1: Leistungs­ berechtigter Personenkreis – Behinderungsbegriff, Arbeitsgruppe Bundes­ teilhabegesetz, 2. Sitzung am 17. September 2014, Arbeitspapier zu TOP 1. Abgerufen am: 21.09.2020. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/2_Sitzung/2_sitzung_ ap_zu_top1.pdf?__blob=publicationFile&v=1

30

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014d): Protokoll der vierten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz (AG). 4. Sitzung am 19. November 2014. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/4_ Sitzung/4_sitzung_Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=3

31

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014e): TOP 1–3: Die Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz, 1. Sitzung am 10. Juli 2014, Sitzungsunterlage zu TOP 1–3. Abgerufen am: 21.09.2020. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/1_Sitzung/ 1_Sitzung_AP_TOP_1-3.pdf?__blob=publicationFile&v=1

32

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014f): In der AG Bundesteil­ habegesetz vertretene Mitglieder und Institutionen (Stand: 7. Juli 2014). Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. Zugriff am: 23.10.2019. Verfügbar unter: http://www.bmas.de/Shared-Docs/Downloads/DEPDF-Schwerpunkte/ faq-bthg.pdf?_blob=publication-File&v=15

33

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014g): TOP 3 Pauschale Geldleistung als mögliche Leistungsform der Fachleistung/Prüfung Einführung Bundesteilhabegeld, Blinden- und Gehörlosengeld. Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz, 4. Sitzung am 19. November 2014, Arbeitspapier zu TOP 3. Abgerufen am: 21.09.2020. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/4_Sitzung/4_sitzung_ ap_zu_top3.pdf?__blob=publicationFile&v=1

34

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014h): TOP 4: Arbeitsplanung, Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz, 1. Sitzung am 10. Juli 2014, Sitzungsunterlage zu TOP 4. Abgerufen am: 21.09.2020. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/Archiv/Gesetzesvorhaben/BTHG/1_ Sitzung/1_Sitzung_AP_TOP_4.pdf?__blob=publicationFile&v=1

316 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

35

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014i): Protokoll der konstituierenden Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 1. Sitzung am 10. Juli 2014. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/1_Sitzung/ 1_sitzung_protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=4

36

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014j): Protokoll der dritten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 3. Sitzung am 14. Oktober 2014. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/Archiv/Gesetzesvorhaben/BTHG/3_Sitzung/3_Sitzung_ Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=1

37

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014k): Protokoll der fünften Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 5. Sitzung am 10. Dezember 2014. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/ 5_Sitzung/5_sitzung_Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=3

38

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014l): TOP 2: Abgrenzung Fachleistung zu existenzsichernden Leistungen, Arbeitsgruppe Bundesteil­ habegesetz, 2. Sitzung am 17. September 2014, Arbeitspapier zu TOP 2. Abgerufen am 21.09.2020. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Abschluss bericht_B.pdf?__blob=publicationFile&v=4

39

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2014m): TOP 1 Teilhabe am Arbeitsleben, Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz, 3. Sitzung am 14. Oktober 2014, Arbeitspapier zu TOP 1. Abgerufen am: 21.09.2020. ­Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/ Umsetzung_BTHG/3_Sitzung/3_sitzung_ap_zu_top1.pdf?__blob=publi cationFile&v=1

40

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015): TOP 1 – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) im Kontext Eingliederungshilfe (häusliche Krankenpflege, Soziotherapie und Hilfsmittel), Arbeitsgruppe Bundesteil­ habegesetz, 7. Sitzung am 19. Februar 2015, Sitzungsunterlage zu TOP 1. Abgerufen am: 23.09.2020. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/7_Sitzung/7_sitzung_ ap_zu_top1.pdf?__blob=publicationFile&v=1

41

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015a): Protokoll der sechsten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 6. Sitzung am 20. Januar 2015. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/6_Sitzung/6_sitzung_ Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

317

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

42

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015b): Protokoll der siebenten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 7. Sitzung am 19. Februar 2015. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/7_Sitzung/7_sitzung_ Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=3

43

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015c): Protokoll der achten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 8. Sitzung am 12. März 2015. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/8_Sitzung/8_sitzung_ Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=4

44

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015d): Protokoll der neunten Sitzung der Arbeitsgruppe Bundesteilhabegesetz. 9. Sitzung am 14. April 2015. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/9_Sitzung/9_sitzung_ Protokoll.pdf?__blob=publicationFile&v=2

45

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2016a): „Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft“. Nationaler Aktionsplan 2.0 der Bundesregierung zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Abgerufen am: 23.02.2019. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/NAP2/NAP2.pdf;jsessionid=E9F855E4FAD4485C2D140 1C85AC7E440.1_cid355?__blob=publicationFile&v=3

46

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (o. J.): Bundesteilhabegesetz. Nichts über uns – Ohne uns. Abgerufen am: 19.09.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_ BTHG/Bundesteilhabegesetz.html

47

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (o. J.): Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. Abgerufen am: 08.02.2019. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfachmachen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/Gesetz_BTHG/Gesetz_node. html;jsessionid=FD9663B32FDAA13ED57EA284F8FC681A.1_cid320

48

Bundesrat Drucksache 282/12 (2012): Antrag des Freistaates Bayern: Entschließung des Bundesrates „Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes“. Abgerufen am: 29.04.2020. Verfügbar unter: https://www.bundesrat.de/ SharedDocs/drucksachen/2012/0201-0300/282-12.pdf?__blob=publication File&v=3

49

Bundesrat Drucksache 428/1/16 (2016): Bundesrat Empfehlungen der Ausschüsse AIS – FJ – Fz – G – In – K – R – Wi. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 27.05.2021. Verfügbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/ 0401-0500/428-16.pdf?__blob=publicationFile&v=6

318 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

50

Bundesrat Drucksache 711/16 (Beschluss) (2016): Beschluss des Bundesrates Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 09.07.2021. Verfügbar unter: https://www.bundesrat.de/SharedDocs/ drucksachen/2016/0701-0800/711-16(B).pdf;jsessionid=446C301E6D8C547 D10761EA2888394C8.2_cid382?__blob=publicationFile&v=6

51

Bundestagsdrucksache 17/889 (2010): Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald, Dr. Diether Dehm, Heidrun Dittrich, Diana Golze, Andrej Hunko, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Thomas Nord, Alexander Ulrich, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE. Europäisches Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ernst nehmen. Abgerufen am: 10.08.2020. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/ 008/1700889.pdf

52

Bundesverband Autismus Deutschland e. V. (2016): Vorläufige Einschätzung zu ausgewählten Punkten von autismus Deutschland e. V. zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) vom 26.04.2016. Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen. de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_autismus.pdf?__ blob=publicationFile&v=4

53

Bundesverband behinderter und chronisch kranker Eltern e. V. (2016): ­Stellungnahme des bbe e. V. zum Referentenentwurf des Bundesteilhabe­ gesetzes vom 26.4.2016. Zugriff am: 25.04.2021. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Bundesverband_behinderter_chronisch_kranker_Eltern. pdf?__blob=publicationFile&v=4

54

Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener e. V. (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes. Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Bundesverband_Psychiatrie_ Erfahrener.pdf?__blob=publicationFile&v=3

55

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (2013): Wahlprüfsteine 2013: 4) Raus aus der Sozialhilfe, rein in eine selbstbestimmte Lebensform: Verwirklichung eines allgemeinen einkommensunabhängigen Teilhabegeldes im Rahmen der Reform der Eingliederungshilfe! Abgerufen am: 10.08.2020. Verfügbar unter: https://www.mobil-mit-behinderung.de/wp-content/ uploads/2018/03/Wahlpruefsteine.pdf

56

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e. V. (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Bundesverband_Selbsthilfe_ Koerperbehinderter.pdf?__blob=publicationFile&v=4

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

319

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

57

Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (2016): Teilhabe von Menschen mit Behinderung voranbringen – Strukturen der Rehabilitation verbessern. Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 06.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/ DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Bundesvereinigung_Arbeitgeberverbaende. pdf?__blob=publicationFile&v=3

58

Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. (2016b): Stellungnahme der Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Bundesvereinigung_Lebenshilfe.pdf?__blob=publication File&v=4

59

Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. (2017): Bundesteilhabegesetz und Co. – Was verändert sich? Übersicht der wichtigsten Neuerungen, die bisherige gesetzliche Bestimmungen ablösen. Abgerufen am: 08.03.2019. Verfügbar unter: https://www.lebenshilfe-harburg.de/dokumente/Bundesteilhabegesetzund-Co.---was-veraendert-sich.pdf

60

Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie e. V. (2017): Jahresbericht der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie 2016/2017. Abgerufen am: 22.04.2021. Verfügbar unter: https://www.cbp.caritas.de/cms/contents/cbp. caritas.de/medien/dokumente/der-verband/jahresberichte/jahresbericht2016-2/cbp_jahresbericht_2016.pdf?d=a&f=pdf

61

Caritas Deutschland (2016): Licht und Schatten beim Entwurf des Bundesteilhabegesetzes. Abgerufen am: 13.07.2021. Verfügbar unter: https://www. caritas.de/fuerprofis/stellungnahmen/10-24-2016-licht-und-schatten-beimentwurf-des-bundesteilhabegesetzes

62

Caritas-ver.di. (2016): „Teilhabe statt Ausgrenzung“ – Demonstration heute in Berlin. Abgerufen am: 13.07.2021. Verfügbar unter: http://caritas-verdi. blogspot.com/2016/11/teilhabe-statt-ausgrenzung.html

63

dbb Beamtenbund und Tarifunion (2016): Stellungnahme des dbb beamtenbund und tarifunion zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG), Stand 26. April 2016. Abgerufen am: 13.07.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_dbb_beamtenbund_tarifunion. pdf?__blob=publicationFile&v=3

320 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

64

DBSV e. V. (2015): Behindertenpolitik: Die Koalition torpediert ihr zentrales Reformprojekt. Abgerufen am: 29.09.2020. Verfügbar unter: https://www. dbsv.org/pressemitteilung/behindertenpolitik-die-koalition-torpediert-ihrzentrales-reformprojekt.html

65

DBSV e. V. (2016a): Gemeinsam weitersehen – Fragen stellen, Chancen erkennen, Zukunft gestalten! Tätigkeitsbericht des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. für das Jahr 2016. Abgerufen am: 12.10.2020. Verfügbar unter: https%3A%2F%2Fwww.dbsv.org%2Ftaetigkeitsberichte. html%3Ffile%3Dfiles%2Fueber-dbsv%2Fdbsv-transparent%2Ftaetigkeits berichte%2FT%25C3%25A4tigkeitsbericht%25202016.docx&usg=AOvVaw3 REVQoJJEwKp-ywaN6cv4F

66

DBSV e. V. (2016b): Stellungnahme des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V. (DBSV) – Spitzenorganisation der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe – zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 26.04.2016. Abgerufen am: 10.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/ SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_DBSV.pdf?__ blob=publicationFile&v=4

67

Der Tagesspiegel (2016): Protest gegen Bundesteilhabegesetz für Behinderte. Rollstuhlfahrer ketten sich am Reichstagsufer an. Zugriff am: 14.03.2021. Verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/berlin/protestgegen-bundesteilhabegesetz-fuer-behinderte-rollstuhlfahrer-ketten-sich-amreichstagsufer-an/13583484.html

68

Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten (2016): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz). Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/ DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Deutsche_Gesellschaft_Hoergeschaedigten. pdf?__blob=publicationFile&v=4

69

Deutsche Rheuma-Liga (2016): Stellungnahme der Deutschen Rheuma-Liga zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabe­ gesetz – BTHG). Abgerufen am: 10.03.2021. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Rheuma_Liga.pdf?__blob=publicationFile&v=3

70

Deutscher Behindertenrat (2013): Positionspapier des Deutschen Behindertenrates zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes. Abgerufen am: 31.03.2020. Verfügbar unter: http://www.teilhabegesetz.org/media/Ottmars_ Dateien/130924_DBR_Positionspapier_Bundesleistungsgesetz.pdf

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

321

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

71

Deutscher Behindertenrat, Bundesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege und Fachverbände für Menschen mit Behinderung (2014): Gemeinsame Positionierung des Deutschen Behindertenrates, der Bundesarbeits­ gemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege und der Fachverbände für Menschen mit Behinderung zur Schaffung eines Bundesteilhabegesetzes. Ab­gerufen am: 25.09.2020. Verfügbar unter: https://beb-ev.de/wp-content/ uploads/2015/03/2014-05-23-DBR-BAGFW-FV-Positionierung-zumBundesteilhabegesetz.pdf

72

Deutscher Behindertenrat, Deutscher Gewerkschaftsbund, Hochschulrektorenkonferenz und Deutsches Studentenwerk (2015): Anforderungen an eine Reform der bisherigen Eingliederungshilfeleistungen im Bereich der Hochschule. Abgerufen am: 02.10.2020. Verfügbar unter: https://www.vdk.de/ deutscher-behindertenrat/mime/00089973D1438264395.pdf

73

Deutscher Behindertenrat, die Fachverbände, der Paritätische Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz und Deutscher Gewerkschaftsbund (2016a): Verbändebündnis fordert dringend Nachbesserungen beim Bundesteilhabe­ gesetz. Abgerufen am: 26.03.2021. Verfügbar unter: https://www.diefachver baende.de/files/stellungnahmen/2016-06-27-Verbaendebuendnis-fordertNachbesserungen_Anlass-Kabinettsbeschluss-BTHG.pdf

74

Deutscher Behindertenrat, die Fachverbände, der Paritätische Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz und Deutscher Gewerkschaftsbund (2016b): Aufruf „Nachbesserung jetzt!“ Zu den Kabinettsentwürfen Bundesteilhabegesetz in Verbindung mit Pflegestärkungsgesetz III. Abgerufen am: 26.03. 2021. Verfügbar unter: https://www.vdk.de/deutscher-behindertenrat/ mime/00095869D1469098926.pdf

75

Deutscher Behindertenrat, die Fachverbände, der Paritätische Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz und Deutscher Gewerkschaftsbund (2016c): „Nachbesserung jetzt erst recht!“ Aktualisierter Aufruf des Verbändebündnisses zu den Gesetzesentwürfen von Bundesteilhabege- setz und Pflegestärkungsgesetz III nach den Erstberatungen in Bundestag und Bundesrat. Abgerufen am: 26.03.2021. Verfügbar unter: https://www.diefachverbaende. de/files/stellungnahmen/2016-10-18-DBR_Aufruf_Nachbesserung_Jetzt-erstrecht.pdf

76

Deutscher Behindertenrat, die Fachverbände, der Paritätische Gesamtverband, Deutsches Rotes Kreuz, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen und DGB (2016): Sechs gemeinsame Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz zum Referentenentwurf vom 26. April 2016. Abgerufen am: 10.03.2021. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Gemeinsame_Kernforderungen.pdf?__blob=publication File&v=6

322 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

77

Deutscher Bundestag (2016): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W. ­Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/9346 – Auswirkungen des Entwurfs für ein Bundesteilhabegesetz. Drucksache 18/9618. Abgerufen am: 11.08.2021. Verfügbar unter: https:// dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/096/1809618.pdf

78

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/9954 (2016): Unterrichtung durch die Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz ‒ BTHG) ‒ Drucksache 18/9522 ‒ Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung. Abgerufen am: 09.07.2021. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/18/099/1809954.pdf

79

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10102 (2016): Unterrichtung über die gemäß § 80 Absatz 3 der Geschäftsordnung an die Ausschüsse überwiesenen Vorlagen (Eingangszeitraum: 1. bis 20. Oktober 2016). Abgerufen am: 09.07.2021. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/18/101/ 1810102.pdf

80

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10523 (2016): Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) a) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/9522, 18/9954, 18/10102 Nr. 16 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabe­ gesetz – BTHG) b) zu dem Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksache 18/10014 – Das Teilhaberecht menschenrechtskonform gestalten c) zu dem Antrag der Abgeordneten Corinna Rüffer, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 18/9672 – Mit dem Bundesteilhabegesetz volle Teilhabe ermöglichen. Abgerufen am: 11.08.2021. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/18/105/1810523.pdf

81

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10526 (2016): Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung – Drucksachen 18/9522, 18/9954, 18/10102 Nr. 16, 18/10523 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Bericht der Abgeordneten Ekin Deligöz, Eckhardt Rehberg, Ewald Schurer und Dr. Gesine Lötzsch. Abgerufen am: 11.08. 2021. Verfügbar unter: https://dserver.bundestag.de/btd/18/105/1810526.pdf

82

Deutscher Bundestag, Drucksache 18/10528 (2016): Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung – Drucksachen 18/9522, 18/9954, 18/10102 Nr. 16, 18/10523 – Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 11.08.2021. Verfügbar unter: https://dserver. bundestag.de/btd/18/105/1810528.pdf

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

323

Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

83

Deutscher Bundestag, Drucksache 19/4500 (2018): Abschlussbericht zu den rechtlichen Wirkungen im Fall der Umsetzung von Artikel 25a § 99 des Bundesteilhabegesetzes (ab 2023) auf den leistungsberechtigten Personenkreis der Eingliederungshilfe. Abgerufen am: 30.09.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/ BTHG/BT-Drs_19-4500.pdf?__blob=publicationFile&v=3

84

Deutscher Caritasverband e. V. (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 19.04.2021. Verfügbar unter: https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/ stellungnahmen/05-17-2016-staerkung-der-teilhabe-und-selbstbestimmung-das-neue-bunde

85

Deutscher Gehörlosen-Bund e. V. (2016): Stellungnahme des Deutschen Gehörlosen-Bundes zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz vom 26.04.2016. Abgerufen am: 11.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/ BTHG/Stellungnahme_Deutscher_Gehoerlosen_Bund.pdf?__blob=publica tionFile&v=4

86

Deutscher Landkreistag (2015): Kommunale Erwartungen an das Bundesteilhabegesetz – Ein Argumentationspapier. Abgerufen am: 15.01.2021. ­Verfügbar unter: https://www.landkreistag.de/images/stories/pressemittei lungen/Argumentationspapier_BTHG_Layout.pdf

87

Deutscher Landkreistag und Deutscher Städtetag (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabe­ gesetz). Abgerufen am: 19.05.2021. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_DLT_DST.pdf?__blob=publicationFile&v=4

88

Deutscher Schwerhörigenbund e. V. (o. J.): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 05.03. 2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/Shared Docs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Deutscher_Schwerhoerigen bund.pdf?__blob=publicationFile&v=4

89

Deutscher Städte- und Gemeindebund (2016): Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz). Abgerufen am: 19.05.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/ BTHG/Stellungnahme_DStGB.pdf?__blob=publicationFile&v=3

324 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

90

Deutscher Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (o. J.): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu einem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Stand 26.4.2016). Abgerufen am: 05.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfachmachen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Deutscher _Verein_Blinde_Sehbehinderte.pdf?__blob=publicationFile&v=4

91

DGB (2015a): Gewerkschaftliche Anforderungen an ein Bundesteilhabegesetz. ArbeitsmarktAktuell DGB. Abgerufen am: 14.12.2020. Verfügbar unter: arbeitsmarkt-aktuell-07-2015-Gewerkschaftliche-Anforderungen-anein-Bundesteilhabegesetz.pdf

92

DGB (2015b): Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum BMAS Arbeitspapier „Teilhabe am Arbeitsleben“ vom 19.11.2014 im Rahmen der AG Bundesteilhabegesetz. Stellungnahme des DGB vom 14.01.2015. Abgerufen am: 09.12.2020. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/Umsetzung_BTHG/3_Sitzung/ 3_sitzung_stellungnahme_DGB.pdf?__blob=publicationFile&v=1

93

DGB (2016): Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) anlässlich der Verbändeanhörung am 24. Mai 2016 im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Abgerufen am: 05.05.2021. Verfügbar unter: https://www.dgb. de/themen/++co++02c8ef9a-2bd3-11e6-bc84-525400e5a74a

94

Diakonie (2017): Position zum Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 25.03.2021. Verfügbar unter: https://www.diakonie-wissen.de/home/-/asset_ publisher/19vt2cfcYK92/blog/position-zum-bthg?inheritRedirect=false

95

Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (2016): Tausend Menschen mit und ohne Behinderung demonstrieren gegen Verschlechterungen durch das Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 22.04.2021. Verfügbar unter: https://www.diakonie-portal.de/meldung/tausend-menschen-mit-undohne-behinderung-demonstrieren-gegen-verschlechterungen-durch-das

96

Diakonie Deutschland (2014): Erwartungen der Diakonie an ein Bundesleistungsgesetz zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Abgerufen am: 19.11.2020. Verfügbar unter: https://beb-ev.de/wp-content/uploads/2015/03/ 2014-03-Diakonie-Auf-den-Punkt-gebracht-zum-Bundesleistungsgesetz.pdf

97

Diakonie Deutschland und Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e. V. (2016): Stellungnahme der Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband und des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe e. V. (BeB) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) vom 26.04.2016. Abgerufen am: 22.09.2020. Verfügbar unter: https://www. gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_Diakonie_Deutschland.pdf;jsessionid=2CEACF5A372CC70 4D1BAFDA90955CEDE.2_cid320?__blob=publicationFile&v=3

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

 98 die GRÜNEN, Regionsverband Hannover (2016): Demonstration für ein besseres Bundesteilhabegesetz: Gleichberechtigt und Selbstbestimmt – Teilhabe ermöglichen! die GRÜNEN, Regionsverband Hannover. Abgerufen am: 31.03.2021. Verfügbar unter: https://regionsverband-gruene-hannover.de/ meldungen/gleichberechtigt-und-selbstbestimmt-teilhabe-ermoglichen  99 die LINKE (2016): Vorläufige Bewertung des Referentenentwurfs für ein Bundesteilhabegesetz (BTHG). Abgerufen am: 24.05.2021. Verfügbar unter: https://www.linksfraktion.de/fileadmin/user_upload/Positionspapiere/2016/ bewertung-bundesteilhabegesetz.pdf 100 die Süddeutsche (2016): Warum Behinderte gegen das Teilhabegesetz protestieren. Abgerufen am: 31.03.2021. Verfügbar unter: https://www.sued deutsche.de/politik/bundesteilhabegesetz-warum-behinderte-gegen-dasteilhabegesetz-protestieren-1.3013978 101 die Welt (2016a): „Auch Behinderte sollen für ihre Kinder sparen dürfen“. Abgerufen am: 18.02.2021. Verfügbar unter: https://www.welt.de/politik/ deutschland/article156576009/Auch-Behinderte-sollen-fuer-ihre-Kindersparen-duerfen.html 102 die Welt (2016b): Bundestag verabschiedet Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 24.06.2021. Verfügbar unter: https://www.welt.de/newsticker/news1/ article159882497/Bundestag-verabschiedet-Bundesteilhabegesetz.html 103 DRK (2016): Stellungnahme des Deutschen Roten Kreuzes zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Abgerufen am: 19.04.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/ Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Deutsches_Rotes_Kreuz.pdf;jsess ionid=2CEACF5A372CC704D1BAFDA90955CEDE.2_cid320?__blob= publicationFile&v=3 104 Forum behinderter Juristinnen und Juristen (2013): Gesetz zur Sozialen Teilhabe Gesetz zur Änderung des SGB IX und anderer Gesetze. Abgerufen am: 29.04.2020. Verfügbar unter: https://www.isl-ev.de/attachments/article/ 654/2013-06-01%20Gesetz%20zur%20Sozialen%20Teilhabe%202013%20 (Arbeitsfassung)%20(3).pdf 105 Forum behinderter Juristinnen und Juristen (2016a): Stellungnahme des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Diskussionsstand des Gesetzentwurfs: 26. April 2016, Bearbeitungsstand: 17. Mai 2016. Abgerufen am: 04.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsameinfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_ Forum_behinderter_Juristen.pdf?__blob=publicationFile&v=3

326 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

106 Forum behinderter Juristinnen und Juristen (2016b): Vorschläge des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) zum Kabinettsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) (1. Neufassung). Bearbeitungsstand: 12.7.2016. Abgerufen am: 26.03.2021. Verfügbar unter: http://www.teilhabegesetz.org/media/160712_Vorschlaege_FbJJ_BTHG.pdf 107 Fraktion die GRÜNEN (2016): Drucksache 18/9672. Abgerufen am: 24.05.2021. Verfügbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/096/ 1809672.pdf 108 Gemeinsamer Fachausschuss hörsehbehindert/taubblind (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesteilhabegesetzes im Hinblick auf die Teilhabe taubblinder Menschen. Abgerufen am: 25.06.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/ DE/AS/BTHG/Stellungnahme_Fachausschuss_hoersehbehindert_taubblind. pdf?__blob=publicationFile&v=3 109 Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG), Drucksache 18/9522 (2016): Abgerufen am: 17.02.2021. Verfügbar unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/095/ 1809522.pdf 110 ISL e. V. (2015): Keine Haushaltstricks auf Kosten der Teilhabe behinderter Menschen. Abgerufen am: 29.09.2020. Verfügbar unter: https://isl-ev.de/ index.php/aktuelles/nachrichten/1239-keine-haushaltstricks-auf-kosten-derteilhabe-behinderter-menschen 111 ISL e. V. (2016a): Stellungnahme der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e. V. – ISL vom 18. Mai 2016 zum Referentenentwurf des Bundeministeriums für Arbeit und Soziales „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen“ (Bundesteilhabegesetz – BTHG), Stand: 26.04.2016. Abgerufen am: 10.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/ SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Stellungnahme_ISL.pdf?__blob= publicationFile&v=4 112 Kabinettsentwurf BTHG (2016): Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BTHG vom 22. Juni 2016 (Kabinettbeschluss vom 28. Juni 2016). Abgerufen am: 26.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfachmachen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Gesetzentwurf_BTHG. html 113 Kampagne Teilhabegesetz (2016): Gesetzesentwurf veröffentlicht – Regierung bricht Versprechen. Abgerufen am: 26.04.2020. Verfügbar unter: http:// kampagne.teilhabegesetz.org/?p=208

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

114 Koalitionsvereinbarung SPD und Bündnis 90/Die GRÜNEN (1998): Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und Bündnis 90/Die GRÜNEN. Bonn, 20. Oktober 1998. Abgerufen am: 15.02.2019. Verfügbar unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/ koalitionsvertrag_gruene_spd_1998.pdf 115 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP (2009): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP. 17. Legislaturperiode. Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www. kas.de/c/document_library/get_file?uuid=83dbb842-b2f7-bf99-6180-e65b2de 7b4d4&groupId=252038 116 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD (2013): Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. Deutschlands Zukunft gestalten. Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://archiv.cdu.de/ sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf 117 Krauthausen, R. (o. J.): Demo zur Anhörung des BTHG. #NichtMeinGesetz. Montag, 7. November 2016 von 14:00 bis 15:30. Abgerufen am 17.06.2021. Verfügbar unter: https://raul.de/termine/demo-zur-anhoerung-des-bthgnichtmeingesetz/ 118 LAG WfbM (2016): 13.000 Menschen demonstrieren gegen das Bundes­ teilhabegesetz am 07.11.2016 in Berlin. Abgerufen am: 22.07.2019. Verfügbar unter: https://www.lag-wfbm-niedersachsen.de/aktuelles/161116_ DEMO_BTHG/3.html 119 Landesarbeitsgemeinschaft der Eltern, Angehörigen und gesetzlichen Betreuer von Menschen mit geistiger Behinderung Baden-Württemberg e. V., Landesarbeitsgemeinschaft Werkstatträte Baden-Württemberg, Der Paritätische Baden-Württemberg, Lebenshilfe Baden-Württemberg und Landes­ arbeitsgemeinschaft der Werkstätten Baden-Württemberg (2016): BadenWürttemberger Erklärung zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit hohem Hilfebedarf. Abgerufen am: 26.02.2021. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_BW_Erklaerung.pdf;jsessionid=4DF1DB07C3639D76FD1C A9ECD086CB78.2_cid345?__blob=publicationFile&v=3 120 Landesarbeitsgemeinschaft der Werkstatträte Nordrhein-Westfalen (2015): 2. Werkstatträtekonferenz in NRW: Kölner Forderungen zum Bundesteil­ habegesetz. Abgerufen am: 02.10.2020. Verfügbar unter: https://www. bagwfbm.de/article/2521 121 Lebenshilfe (o. J.-b): Teilhabe statt Ausgrenzung – Kampagne ist immer! Abgerufen am 17.06.2021. Verfügbar unter: https://www.lebenshilfe.de/ teilhabe-statt-ausgrenzung

328 Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

122 Lebenshilfe Berlin (o. J.-a): Demo für ein besseres Bundesteilhabegesetz am 7. November. Lebenshilfe Berlin. Abgerufen 06.07.2021. Verfügbar unter: https://www.lebenshilfe-berlin.de/de/aktuelles/meldungen/2016/Demo7.11.2016.php 123 Lebenshilfe Berlin (o. J.-b): Über 150.000 Unterschriften überreicht. Lebenshilfe Berlin. Abgerufen am 31.03.2021. Verfügbar unter: https:// www.lebenshilfe-berlin.de/de/aktuelles/meldungen/2016/Uebergabe_ Unterschriften.php 124 Leidmedien (2016): Papp-Protest und Spree-Sprung. #NichtMeinGesetz. Abgerufen am: 22.07.2019. Verfügbar unter: https://leidmedien.de/aktuelles/ papp-protest-spree-sprung-nichtmeingesetz/ 125 LIGA Selbstvertretung (2016): Stellungnahme zum Referentenentwurf für den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG) vom 26.04.2016. Abgerufen am: 10.03.2021. Verfügbar unter: https:// www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/ Stellungnahme_LIGA_Selbstvertretung.pdf?__blob=publicationFile&v=3 126 Miles-Paul, O. (2013): Enttäuschung über Pläne zum Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 10.08.2020. Verfügbar unter: https://kobinet-nachrichten. org/2013/09/30/enttaeuschung-ueber-plaene-zum-bundesteilhabegesetz/ 127 Miles-Paul, O. (2014a): Kernpunkte für ein Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 25.08.2020. Verfügbar unter: https://www.teilhabegesetz.org/ media/Ottmars_Dateien/140526_Kernpunkte_Teilhabegesetz.pdf 128 Miles-Paul, O. (2015a): Aktion gegen Haushaltstricks vor Bundeskanzleramt am 18. März. Abgerufen am: 29.09.2020. Verfügbar unter: https://www. teilhabegesetz.org/pages/posts/aktion-gegen-haushaltstricks-vor-bundes kanzleramt-am-18.-maerz151.php 129 Miles-Paul, O. (2015b): Behinderte JuristInnen geben Impulse für Gesetz­ gebung. Abgerufen am: 02.10.2020. Verfügbar unter: https://www.teilhabe gesetz.org/pages/posts/behinderte-juristinnen-geben-impulse-fuer-gesetz gebung249.php 130 Miles-Paul, O. (2015c): Bundesteilhabegesetz darf nicht zum zahnlosen Tiger werden. Abgerufen am: 28.09.2020. Verfügbar unter: https://www. teilhabegesetz.org/pages/posts/bundesteilhabegesetz-darf-nicht-zumzahnlosen-tiger-werden154.php 131 Miles-Paul, O. (2015d): Drei Kernpunkte für Bundesteilhabegesetz. Ab­gerufen am: 02.10.2020. Verfügbar unter: https://www.teilhabegesetz.org/ pages/posts/drei-kernpunkte-fuer-bundesteilhabegesetz298.php

Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Anhang: Dokumentenliste/Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.) Nr.

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

169 Protokoll-Nr. 18/92. Wortprotokoll der 92. Sitzung, öffentliche Anhörung, 92. Sitzung (2016): (testimony of Deutscher Bundestag). Abgerufen am: 30.12.2018. Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/ 482482/b48aaef6a3a7f0cbe46d594b1c69857d/protokoll-data.pdf 170 Referentenentwurf BTHG (2016): Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 17.02.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/ BTHG/Referentenentwurf_BTHG.pdf?__blob=publicationFile&v=4 171 Regierungsentwurf BTHG (2016): Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz – BTHG). Abgerufen am: 26.03.2021. Verfügbar unter: https://www.gemeinsam-einfach-machen. de/SharedDocs/Downloads/DE/AS/BTHG/Gesetzentwurf_BTHG.pdf; jsessionid=A216FC98767C14C07BB5C1A8EB177C83.1_cid320?__blob= publicationFile&v=5 172 Rehacare (2016): Nicht mit uns! – Proteste gegen das Bundesteilhabegesetz. Abgerufen am: 31.03.2021. Verfügbar unter: https://www.rehacare.de/de/ Archiv/Themen_des_Monats/Themen_des_Monats_2016/Oktober_2016_ Politik_und_Recht/Nicht_mit_uns!_–_Proteste_gegen_das_Bundesteilhabe gesetz 173 Rüffer, C. (2015): Teilhabegesetz: Bundesregierung rudert zurück! Abgerufen am: 05.02.2021. Verfügbar unter: https://www.corinna-rueffer.de/ pm-teilhabegesetz-bundesregierung-rudert-zurueck/ 174 Rüffer, C. (2016a): Echte Teilhabe ist selbstbestimmt und gleichberechtigt. Abgerufen am: 24.05.2021. Verfügbar unter: https://www.corinna-rueffer.de/ pm- bthg-selbstbestimmt-und-gleichberechtigt/ 175 Rüffer, C. (2016b): Rotstift verhindert Teilhabe. Abgerufen am: 24.05.2021. Verfügbar unter: https://www.corinna-rueffer.de/pm-rotstift-verhindertteilhabe/ 176 Schmahl, F. (2016a): Ungleiche Standards drohen. Abgerufen am: 23.02.2021. Verfügbar unter: https://kobinet-nachrichten.org/2016/01/27/ ungleiche-standards-drohen/ 177 Schmahl, F. (2016b): Protesttag in der Hauptstadt. Abgerufen am: 31.03.2021. Verfügbar unter: https://kobinet-nachrichten.org/2016/05/04/ protesttag-in-der-hauptstadt/

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Dokumentenliste und Internetquellen der Dokumentenanalyse (Kap. E.)

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Stichwortverzeichnis Arbeitsentwurf  75, 89, 159–162, 166–168 BGG  54, 59, 148 Bundesländer  21, 60, 79, 88, 91, 109, 113, 142, 143, 146, 168, 170, 180, 226, 260, 273, 305 Bundesteilhabegesetz  17, 52, 59, 77, 78, 96, 98, 101, 103–107, 117, 120, 135, 144, 153, 154, 164, 170, 176, 181, 192, 198, 215, 231, 243, 244, 248, 262, 268, 280 Demonstration  75, 105, 117, 129, 169, 192, 196–201, 205, 209, 214, 218, 234–236, 238, 245, 248, 251–256, 269, 270 Dokumentenanalyse  19, 26, 62, 64, 65, 70, 73, 296 Durchsetzungsfähigkeit  18, 22, 23, 25, 26, 34, 37–41, 63, 296, 304

Machtressourcen  18–20, 23, 27, 40–45, 47, 50, 63, 64, 74, 77, 82, 100, 108, 113, 130, 137, 166, 173, 179, 181, 209, 242, 248, 250, 278, 280, 283, 284, 286, 287, 293, 294, 296–299, 304, 305, 307, 308 Machtressourcenansatz  18, 20, 26, 28, 40–44, 46–48, 50, 63, 67, 70, 82, 174, 176, 285, 287, 292, 293, 295–297, 304, 307 Neue soziale Bewegungen  23, 25 Opposition  82, 83, 91, 92, 99, 101, 148, 153–158, 230, 232, 235–239, 243, 244, 247, 262–264, 267–269, 285, 291, 299, 301 Organisationsfähigkeit  26, 28, 34, 36, 38

Gesetzesentwurf der Bundesregierung  165

Partizipation  19, 25, 26, 28, 29, 37, 49, 58, 84, 91, 97, 98, 100, 108, 174, 178, 184–188, 198, 203, 204, 250, 253, 268, 278, 283, 289, 294, 300, 304, 309 Policy-Cycle  19, 20, 26, 28, 30–33, 72, 77–79, 83, 89, 100, 158, 159, 242, 269, 270 Prozessanalyse  19, 20, 26, 62–65, 70, 71, 74, 76, 82, 296, 303, 304, 308

Heterogenität  29, 71, 74, 100. 106, 125, 130, 181, 199, 207

Qualitative Inhaltsanalyse  73 Qualitative Tests  20, 26, 62, 70, 297

Kabinettsentwurf  30, 164, 165, 191, 192, 193, 194, 195, 214, 282, 297 Kommunale Spitzenverbände  21, 60, 79, 82, 88, 89, 99, 101, 142, 147, 148, 158, 225, 230, 258, 261, 262

Referentenentwurf  38, 75, 78, 158, 162, 164–166, 169, 170, 172, 174–184, 191–194, 197, 206–208, 210–212, 214, 220–223, 225, 229, 232, 233, 236, 242, 282, 283, 306

Entscheidungsträger*innen  82, 83, 91, 99, 101, 130, 148, 157, 160, 202–204, 206, 230, 239, 242, 250, 262, 263, 268, 269, 284, 285, 293, 294, 297, 298, 305, 308 Expert*inneninterview  19, 26, 62, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 73, 76, 296, 303

Stichwortverzeichnis355 Schwache Interessen  18, 20, 22, 26, 34, 40, 62, 77, 211, 296, 297, 305, 309 Sechs gemeinsame Kernforderungen  170, 174, 177, 181, 192, 194, 204, 208, 213, 220, 223, 233, 234, 253, 283, 290, 299, 301 Selbstverständnis  160, 204, 205, 280, 282, 286, 293, 297, 305, 308 SGB IX  17, 22, 29, 54, 56–61, 67, 83, 85, 86, 91–93, 100–102, 107, 108, 112, 120, 131, 142, 147, 161–165, 171, 177, 189, 190, 193, 206, 207, 221, 244, 262, 267, 273–275, 277, 278, 280, 282, 292, 300

Teilhabeforschung  21, 24, 25 UN-Behindertenrechtskonvention  17, 29, 52, 53, 60, 90, 101, 110, 150, 187, 195, 264 Verbändeforschung  18, 19, 21, 23, 25, 34, 304, 305 Wohlfahrtsverbände  21, 45, 50, 78, 82, 83, 87, 96, 100, 101, 128, 130–134, 136, 137, 158, 177, 205, 211–213, 215–219, 223, 238, 242, 243, 251, 252, 254, 255, 264, 270, 285, 299, 303